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German Pages 321 [324] Year 1993
Thomas Scheffer Kants Kriterium der Wahrheit
w DE
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Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke und Rudolf Malter
127
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1993
Thomas Scheffer
Kants Kriterium der Wahrheit Anschauungsformen und Kategorien a priori in der ,Kritik der reinen Vernunft'
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1993
Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Scheffer, Thomas: Kants Kriterium der Wahrheit : eine systematische Interpretation der Argumentation für die Anschauungsformen und Kategorien a priori in der „Kritik der reinen Vernunft" / Thomas Scheffer. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 127) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1989/90 ISBN 3-11-013929-4 NE: Kantstudien / Ergänzungshefte
© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: W. Hildebrandt, D-1000 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61
Die vorliegende Untersuchung ist eine leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die ich dem Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Georg-August-Universität in Göttingen im Wintersemester 1989/90 zur Begutachtung vorgelegt habe. Erstgutachter war Herr Prof. Dr. Günther Patzig, der meine Promotion vorgeschlagen und maßgeblich gefördert hat. Zweitgutachter war Herr Prof. Dr. Konrad Cramer. Ihnen danke ich hiermit. Für die Unterstützung meiner Arbeit und die von ihnen erhaltenen Anregungen danke ich ebenfalls Herrn Prof. Dr. Robert Alexy, Herrn P. D. Dr. Ulrich Majer und Herrn Abdul Raffert. Für die finanzielle Unterstützung meiner Promotion danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes und meiner Mutter, Frau Erika Scheffer.
Thomas Scheffer
Inhalt Einleitung I. Hauptthese und Methode der Arbeit II. Teilthesen und Aufbau der Arbeit
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A. Die allgemeinen logischen Bedingungen der Wahrheit A. I. Die Unmöglichkeit eines allgemeinen und hinreichenden Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände A. II. Das Kriterium der formalen Wahrheit 1. Der Satz vom Widerspruch 2. Der Satz des zureichenden Grundes 3. Der relative Begriffsumfang 4. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten 5. Die Vollständigkeit der Grundsätze der formalen Logik A. III. Reichs Kritik an Jäsches Darstellung von Kants Logik A. IV. Stuhlmann-Laeisz' Kritik an Kants Begriff der formalen Wahrheit A. V. Zur Kritik an Kants Konzept der formalen Logik vom Standpunkt der modernen Logik 1. Kritik an Kants Konzept analytischer Urteile 2. Zweifel an der Vollständigkeit der Urteilstafel 3. Zweifel an der Formalität der Urteilstafel 4. Zweifel an einer Systematik der Urteilstafel 5. Zweifel am elementaren Charakter der Urteilsformen
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B. Die Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände B. I. Die Empfindungen als Bedingungen der Unterscheidung gegebener Gegenstände B. II. Die allgemeinen Formen unserer Anschauungen B. III. Die Aufgaben der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit C. Die Vorstellungen von Raum und Zeit beruhen nicht auf Erfahrungen C. I. Die Bildung empirischer Begriffe C. II. Die Begriffe von Raum und Zeit sind keine empirischen Begriffe C. III. Leibniz und Kant zur Relationalität des Raumes
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Inhalt
D. Die Vorstellungen von Raum und Zeit sind Bedingungen jeder möglichen Erfahrung D. I. Die Unmöglichkeit, sich vorzustellen, daß kein Raum und keine Zeit sei D. II. Die Möglichkeit, sich vorzustellen, in Raum und Zeit keine Erscheinungen anzutreffen D. III. Die Selbsterkenntnis erfordert Erkenntnisse räumlicher Gegenstände
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E. Der Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit 93 E. I. Der Umfang der Begriffe von Raum und Zeit ist durch eine Anschauung a priori bestimmt 93 E. II. Der Inhalt der Begriffe von Raum und Zeit ist durch eine Anschauung a priori gegeben 96 F. Zur Interpretation und Kritik der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit 99 F. I. Zu allgemeinen Einwänden gegen die transzendentale Ästhetik . 99 1. Der Einwand des Psychologismus 99 2. Der Einwand der Zirkularität 103 3. Der Einwand, Kants Theorie sei ihrem Inhalt nach überholt 104 4. Der Einwand einer verfehlten Problemstellung 106 F. II. Zur Interpretation und Kritik des ersten Raumarguments 108 1. Vaihingers Einwand einer petitio principii 108 2. Vaihingers Einwand, die Vorzeitigkeit der Raumvorstellung werde nicht bewiesen 108 F. III. Zur Interpretation und Kritik des zweiten Raumarguments .... 111 1. Vaihingers Auffassung vom Beweisziel des ersten und dem Beweismittel des zweiten Raumarguments 111 2. Ebbinghaus' Interpretation des Beweismittels des zweiten Raumarguments 114 3. Hossenfelders Einwand, Kants Argumentation besitze nur empirische Gültigkeit 117 4. Hossenfelders Einwand, die These von der Apriorität der Vorstellung des Raumes besitze hypothetischen Charakter. 118 F. IV. Zur Interpretation und Kritik des dritten Raumarguments: Vaihingers Unterscheidung von zwei Beweisgängen des dritten Raumarguments 120 F. V. Zur Interpretation und Kritik des vierten Raumargumentes: Vaihingers Einwand eines Widerspruchs zwischen den Behauptungen der Unendlichkeit und des Gegebenseins des Raumes 121
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Inhalt
G. Die objektive Gültigkeit der Anschauungen a priori für Gegenstände möglicher Erfahrung G. I. Die Bestätigung der Anschauung a priori durch die Erkenntnisse der Mathematik und der reinen Naturwissenschaft G. II. Die Sätze der Geometrie beruhen auf Anschauungen a priori.. G. III. Die Sätze der Arithmetik beruhen auf der Anschauung a priori der Zeit G. IV. Die Naturwissenschaften beruhen auf Anschauungen a priori 1. Reine und nicht-reine Sätze a priori 2. Die Naturwissenschaften beruhen auf Grundsätzen a priori. 3. Die Zeitordnung und der kausale Zusammenhang der Erscheinungen 4. Der Grundsatz der Kausalität ist ein reiner Satz a priori 5. Kants Entgegnung auf den Vorwurf, sich bei der Einstufung des Grundsatzes der Kausalität zu widersprechen H. Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung und der Schlüsse aus den Erörterungen des Begriffs des Raumes H. I. Vaihingers Einwand, die Anwendbarkeit der Geometrie auf Gegenstände der Erfahrung werde nicht nachgewiesen H. II. Trendelenburgs Kritik an dem Schluß auf die Ungültigkeit der Vorstellung des Raumes für Dinge an sich H. V. Konrad Cramers Interpretation des Grundsatzes der Kausalität als nicht-reiner Satz a priori J. Die Bezugnahme auf Gegenstände durch die prinzipiengeleitete Verknüpfung von Vorstellungen J. I. Die elementaren Formen von Urteilen über anschaulich gegebene Gegenstände J. II. Die Verknüpfung von Vorstellungen nach Prinzipien als das Vorstellen von existierenden Gegenständen J. III. Das Bewußtsein der reinen Synthesis a priori als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung J. IV. Die Kategorien als Elemente des allgemeinen Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände J. V. Reichs Idee eines Beweises der Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel und ihre Kritik durch Krüger J. VI. Prauss' Interpretation von Kants Auffassung des Wahrheitsproblems J. VII. Heckmanns Kritik am Wahrheitsverständnis Kants
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Inhalt
K. Die transzendentale Deduktion der Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien K. I. Die Aufgabe der transzendentale Deduktion K. II. Der erste Schritt der Deduktion K. III. Das Selbstbewußtsein a priori und die empirische Selbsterkenntnis K. IV. Der zweite Schritt der Deduktion K. V. Die Grenzen der Skepsis K.VI. Guyers Interpretationen und Kritik der transzendentalen Deduktion 1. Interpretation IA: Deduktion aus Erkentnissen a priori als Bedingungen empirischer Erkenntnisse von Gegenständen 2. Interpretation IB: Deduktion aus empirischen Erkenntnissen von Gegenständen 3. Kritik an den Interpretationen IA und IB 4. Darstellung und Kritik der Interpretation IIA: Deduktion aus einer Selbsterkenntnis a priori 5. Darstellung und Kritik der Interpretation IIB: Deduktion aus der empirischen Selbsterkenntnis
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Bibliographie
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Stellenregister zu Kants Schriften
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Einleitung I. Hauptthese und Methode der Arbeit Die Gründe für den Charakter der Erkenntnistheorie Kants sind nicht immer klar gesehen worden. Sie liegen meines Erachtens nicht darin, daß Kant von vornherein einer philosophischen Psychologie bestimmten Typs verhaftet gewesen wäre, und nicht in dem Wunsch Kants, eine Grundlegung der zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Theorien, d.h. insbesondere der Mechanik Newtons zu liefern, und auch nicht in erster Linie in dem Interesse Kants, mit seiner Auflösung der Antinomien eine Reihe klassischer philosophischer Probleme einer Lösung zuzuführen, sondern die Prämissen und die argumentative Struktur der Erkenntnistheorie Kants werden durch die Bedingungen der Möglichkeit einer Rechtfertigung von Erkenntnissen überhaupt bestimmt. Ziel dieser Arbeit ist es nachzuweisen, daß Kant in den grundlegenden Abschnitten der 'Kritik der reinen Vernunft' ein allgemeines Kriterium der Wahrheit aufzustellen und die Gültigkeit dieses Kriteriums zu begründen versucht. Dieser Versuch soll in dieser Arbeit nicht nur seinen Umrissen nach vorgestellt werden, sondern die Argumentation Kants soll in ihren wesentlichen Schritten am Text der 'Kritik der reinen Vernunft' nachvollzogen werden. Hierbei wird über die Wahrheit der Erkenntnistheorie Kants nicht entschieden, sondern das Verständnis dieser Theorie soll durch ihre Interpretation als eine mentalistische Form der Kohärenztheorie der Wahrheit gefördert werden. Als verbindliche Textgrundlage wird die von Raymund Schmidt besorgte Ausgabe im Felix Meiner Verlag angesehen. Andere Veröffentlichungen Kants, seine Reflexionen und seine Briefe werden nach der Akademie-Ausgabe zitiert. Auf die erste Auflage der 'Kritik' wird nur an solchen Stellen Bezug genommen, an denen eine tatsächliche oder vermeintliche Divergenz der Aussagen Kants in den beiden Auflagen der 'Kritik' von besonderem Interesse ist. Dies wird insbesondere bei der Erörterung der 'Widerlegung des Idealismus' der Fall sein. Die Hauptschritte der 'Transzendentalen Deduktion' werden in erster Linie
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Einleitung
anhand der Fassung der zweiten Auflage rekonstruiert. Um eine dem systematischen Anspruch dieser Arbeit entsprechende Bündigkeit der Darstellung zu erreichen, werden Zitate häufig unmittelbar bei der Darstellung der Argumentation Kants verwendet. Sind diese nicht aus sich heraus verständlich, werden sie unter Hinzuziehung anderer Formulierungen Kants erläutert. Hervorhebungen in den Texten Kants, den weiteren verwendeten Quellen und der Literatur werden nur in den eingerückten Zitaten ganzer Sätze oder Passagen wiedergegeben. Die Orthograhie der Texte Kants aus der Akademie-Ausgabe wurde vorsichtig modernisiert. Um die logische Struktur der Argumentation Kants und seine Aussagen über die Rolle der Prinzipien der Logik bei der Rechtfertigung von Erkenntnissen verständlich zu machen, ist es erforderlich, Kants Auffassung der allgemeinen Logik, d.h. seinen Begriff der 'formalen Logik1 zu verdeutlichen. Problematisch scheint hier die Bezugnahme auf die sogenannte 'Jäsche-Logik' zu sein. Zwar ist sie von Jäsche im Auftrage und anhand von Aufzeichnungen Kants zusammengestellt worden und noch zu Lebzeiten Kants erschienen, doch finden sich viele seiner hier wiedergegebenen Aussagen schon in Aufzeichnungen aus 'vorkritischer' Zeit, und einige dieser Aussagen scheinen schwer mit Aussagen der 'Kritik der reinen Vernunft' vereinbar zu sein. Bei der Stützung der Interpretation auf die 'Jäsche-Logik' muß also stets überprüft werden, inwiefern diese eine Logik-Auffassung wiedergibt, die Kant auch zur Zeit der Arbeit an der 'Kritik der reinen Vernunft' noch hatte. Dies soll dadurch geschehen, daß Entsprechungen zu den herangezogenen grundlegenden Passagen der 'Jäsche-Logik' in der 'Kritik' nachgewiesen werden oder gezeigt wird, daß Aussagen der 'Kritik' erst vor dem Hintergrund bestimmter Aussagen der 'Jäsche-Logik' verständlich werden. Den insbesondere von Klaus Reich erhobenen Einwänden gegen Jäsches Darstellung von Kants Logik wird in einem besonderen Abschnitt nachgegangen. Die Literatur zu den in dieser Arbeit näher analysierten Abschnitten der 'Kritik der reinen Vernunft' ist unüberschaubar. Unter ihr ist eine am Gesichtspunkt und an den Schwerpunkten dieser Arbeit orientierte Auswahl getroffen worden. Als ausführliches Verzeichnis der neueren Literatur zur theoretischen Philosophie Kants sei auf die Bibliographie von Axel Wüstehube verwiesen (Wüstehube 1988). Um den Gang der systematischen Darstellung der Argumentation Kants nicht zu stören, soll auf die für die besprochenen Passagen einschlägige Literatur im Anschluß an die entsprechenden Kapitel dieser Arbeit eingegangen werden.
II. Teilthesen und Aufbau der Arbeit
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IL Teilthesen und Außau der Arbeit Einer der Gründe dafür, daß die Argumentation der 'Kritik der reinen Vernunft' bisher nicht als der Versuch der Aufstellung eines Kriteriums der Wahrheit verstanden wurde, dürfte sein, daß Kant die Möglichkeit der Aufstellung eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit ganz und gar zu bestreiten scheint. Die entsprechende Passage sowie einige mit dem Versuch der Aufstellung eines solchen Kriteriums verbundenen grundsätzlichen Probleme werden zu Beginn dieser Arbeit erörtert. Es wird sich zeigen, daß Kant lediglich bestreitet, es sei möglich, ein allgemeines und zugleich hinreichendes Kriterium der Wahrheit aufzustellen, sehr wohl aber beansprucht, das allgemeine Kriterium der Wahrheit entdeckt zu haben. Obwohl es zur Charakterisierung von Erkenntnissen gegebener Gegenstände nicht hinreicht, soll es in Verbindung mit bestimmten jeweils besonderen Bedingungen die Auszeichnung jedes wahren Urteils ermöglichen, da die in ihm genannten Bedingungen der Wahrheit für alle uns vorstellbaren Erkenntnisse von Gegenständen gelten sollen und die Erfüllung dieser allgemeinen sowie der hinzukommenden besonderen Bedingungen nach Kant nicht ihrerseits durch Erkenntnisurteile festgestellt zu werden braucht, sondern uns kriterienlos unmittelbar bewußt sein kann. Bei der Suche nach den Inhalten des Kriteriums der Wahrheit werden von Kant zunächst zwei als auszeichnende Charakteristika naheliegende Eigenschaften wahrer Urteile ins Auge gefaßt, nämlich ihr sinnlicher Vorstellungsinhalt, der sie durch Beobachtungen gesichert erscheinen läßt, und ihre logische Korrektheit. Als nächstliegende wahrheitsrelevante Eigenschaft von Urteilen wird im ersten Teil (A.) dieser Arbeit ihre formallogische Korrektheit zum Untersuchungsgegenstand gemacht und Kants Auffassung der formalen Logik in ihren Grundzügen erläutert. Nach Kant bezieht sich der logische 'Grundsatz der Identität und des zu vermeidenden Widerspruchs' nicht nur auf das Verhältnis kategorischer Urteile zueinander, sondern auch auf das Verhältnis zwischen dem Subjekt- und dem Prädikatbegriff kategorischer Urteile. Durch den logischen 'Satz vom zureichenden Grund' wird im Unterschied zum 'Grundsatz der Sukzession' nicht die zeitliche Ordnung von Ereignissen, sondern die Form der Verknüpfung kategorischer Urteile in hypothetischen Urteilen bestimmt, und er ist grundlegend für die Bestimmung der Umfangsverhältnisse von Begriffen. Der 'Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten' fordert, daß der Umfang eines beliebigen Begriffs in logischer Betrachtung durch ein beliebiges positives Prädikat und dessen Negation vollständig erschöpft wird, so
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Einleitung
daß aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils und der Wahrheit seines Vordersatzes sicher auf die Wahrheit seines Nachsatzes geschlossen werden kann. Im Anschluß an die Erörterung dieser drei formallogischen Grundsätze wird versucht, die Gesichtspunkte anzugeben, unter denen Kant die formale Logik als abgeschlossen betrachtet. Zu Beginn des zweiten Teils (B.) dieser Arbeit wird nachgewiesen, daß Kant beansprucht, ein allgemeines Kriterium der Wahrheit aufgestellt zu haben, das in Verbindung mit jeweils besonderen Bedingungen hinreicht, jedes wahre von einem falschen Urteil zu unterscheiden. Die Rekonstruktion der Argumentation Kants wird mit der Suche nach den über die Forderungen der formalen Logik hinausgehenden Bedingungen der Bezugnahme auf gegebene Gegenstände fortgesetzt. Die empirische Erkenntnis, daß Gegenstände in uns Empfindungen hervorrufen, legt die Vermutung nahe, wir nähmen mit unseren Empfindungen auf Gegenstände Bezug. Diese Vermutung ist nach Kant jedoch nur teilweise berechtigt: Da derselbe Gegenstand bei uns verschiedene Empfindungen hervorrufen kann, können Empfindungen nicht zur allgemeingültigen Identifikation von Gegenständen dienen. Zwar ist das Bewußtsein gegebener Empfindungen eine notwendige Bedingung jeder besonderen Erkenntnis jeweils bestimmter Gegenstände, aber den Empfindungsqualitäten selbst kommt hierbei keine objektive Gültigkeit zu. Mit dem Ausscheiden der Empfindungen ist jedoch nicht die objektive Gültigkeit derjenigen Formen unserer Vorstellungen in Frage gestellt, in denen wir alle unsere Empfindungen voneinander und von gegebenen Gegenständen unterscheiden. Ein Vorverständnis dieser Formen wird anhand der Einleitung der 'Transzendentalen Ästhetik' erarbeitet. Am Ende des zweiten Teils wird Kants Konzept der Anschauungsformen vorgestellt und das Beweisziel der 'Transzendentalen Ästhetik' formuliert. Da die metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit, gemessen an ihrem argumentativen Gewicht, von Kant unverhältnismäßig knapp gehalten sind, muß ihre Analyse recht detailliert ausfallen. Der Erörterung der Argumentation für die Nicht-Empirizität der Begriffe von Raum und Zeit im dritten Teil (C.) dieser Arbeit ist eine Darstellung des Verfahrens der Bildung empirischer Begriffe vorangestellt. Bei der Erörterung der Argumentation für die Apriorität dieser Begriffe im vierten Teil (D.) wird gezeigt, daß Kant ihnen diesen Status nur in bezug auf die uns vorstellbaren Erkenntnisse zuspricht. In diese Erörterung wird eine Interpretation der 'Widerlegung des Idealismus' einbezogen und nachgewiesen, daß Kant implizit schon in der ersten
II. Teilthesen und Aufbau der Arbeit
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Auflage der 'Kritik' behauptet, jede Selbsterkenntnis sei an eine Erkenntnis räumlicher Gegenstände gebunden. Bei der Analyse der Argumentation für den Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit im fünften Teil (E.) dieser Arbeit wird gezeigt, daß sie auf der Unterscheidung von Form und Inhalt von Begriffen beruht. Der sechste Teil (F.) beschränkt sich auf eine eingehende Auseinandersetzung mit abweichenden Interpretationen und der Kritik an der Argumentation Kants für die Anschauung a priori des Raumes, da die Argumentation für die Anschauung a priori der Zeit ganz parallel zur ersteren aufgebaut und der Kritik weniger ausgesetzt ist. Zu Beginn des siebenten Teils (G.) werden die Aufgabe und die argumentative Struktur der 'Transzendentalen Erörterungen' der Begriffe von Raum und Zeit dargestellt. Den Verweisen Kants folgend wird auf die entsprechenden Passagen der Einleitung zur zweiten Auflage eigegangen, und es werden die von Kant genannten Beispiele synthetischer Sätze a priori der Mathematik und der reinen Naturwissenschaft näher analysiert. Da hierbei Kants Lehren vom 'Schematismus der reinen Verstandesbegriffe' und vom 'Grundsatz der Kausalität' zu behandeln sind, lassen sich Vorgriffe auf die erst später erörterte 'Transzendentale Deduktion' nicht vermeiden. Es wird sich zeigen, daß nach Kant die Arithmetik die Anschauung a priori der Zeit ihrer Methode nach voraussetzt und der Grundsatz der Kausalität als reiner Satz a priori zu verstehen ist, weil er eine Identifikation von Gegenständen oder Zuständen erst möglich macht, aber keine Behauptung der Existenz von Gegenständen oder der Realität von Zuständen einschließt. Anschließend werden im achten Teil (H.) einige Einwände gegen die transzendentale Erörterung des Begriffs des Raumes, gegen Kants Verständnis mathematischer Sätze und gegen die Apriorität des Grundsatzes der Kausalität behandelt. Zu Beginn des neunten Teils (J) dieser Arbeit wird eine vor dem gesteckten Ziel negativ ausfallende Zwischenbilanz gezogen: Auch in Verbindung mit den Anschauungsformen reichen die Prinzipien der formalen Logik nicht hin, Vorstellungen von irgendwelchen Dingen von Anschauungen oder Erkenntnissen existierender Gegenstände zu unterscheiden. Da nach Kant bei der Rechtfertigung von Erkenntnissen nicht die Existenz bestimmter Gegenstände, sondern nur das subjektive Bewußtsein sinnlicher Vorstellungen oder gedanklicher Leistungen vorausgesetzt werden darf und es seines Erachtens außer unserem sinnlichen Erleben und unserem begrifflichen Denken keine weiteren
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Einleitung
subjektiven Vorstellungen oder Leistungen gibt, die im Rahmen unseres Erkennens eine Rolle spielen, muß einer unserer Vorstellungen oder Leistungen bei der Rechtfertigung von Erkenntnissen eine weitergehende Funktion zugesprochen werden als im Verlauf der Suche nach dem Kriterium der Wahrheit bereits verdeutlicht wurde. Diese Funktion kann nach Kant nur unserem Denken zukommen, da nur dieses uns eine beim Wechsel gegebener Vorstellungen durchgängige Einstellung zu seinen Inhalten ermöglicht. Unter Rückgriff auf die Erörterung von Kants formaler Logik wird die Urteilstafel als transzendentallogische Tafel der Funktionen von Begriffen in Urteilen über anschaulich gegebene Einzeldinge erläutert. Im Anschluß daran wird die Kategorientafel als Tafel normativer Begriffe der korrekten synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen beliebiger Anschauungsform zu Vorstellungen von existierenden Gegenständen oder realen Zuständen vorgestellt. Nur um die Kategorien in der Form ihrer realen Verwendung anzugeben, macht Kant bei der Aufstellung der Kategorientafel bereits von der Anschauungsform der Zeit Gebrauch. Im Anschluß an die Erläuterung der Kategorientafel wird gezeigt, daß Kant seine Behauptung der Vollständigkeit der Urteils- und der Kategorientafel mit der Vollständigkeit der Bestimmung der elementaren Urteilsformen in der formalen Logik begründet. Schließlich wird versucht, die von Kant behauptete Identität des bezugnehmenden Charakters unserer Vorstellungen mit der kategorialen Korrektheit ihrer Verknüpfung verständlich zu machen. Der zehnte Teil (K.) dieser Arbeit beginnt wiederum mit einer Bestandsaufnahme. Gesetzt den Fall, Vorstellungen und Urteile könnten durch die Auszeichnung der Form, in der sie gebildet werden, als kategorial notwendig korrekte Verknüpfungen als Anschauungen oder Erkenntnisse existierender Gegenstände verständlich gemacht werden, so ist doch zweifelhaft, ob es im Rahmen unserer endlichen Erfahrung möglich ist, Vorstellungsverknüpfungen als kategorial korrekt, d.h. als für jeden möglichen Fall des Auftretens dieser Vorstellungen korrekt gebildet auszuzeichnen. Mit dem bisher Erreichten ist nach Kant ein allgemeines Kriterium der Wahrheit aufgestellt, das solange als unanwendbar zurückgewiesen werden kann, wie es nicht möglich ist, subjektive Vorstellungen oder Leistungen zu finden, die charakteristisch für unsere Erfahrung sind und durch deren Analyse die Möglichkeit der Verwendung der Kategorien und somit die objektive Gültigkeit des aufgestellten Kriteriums bewiesen werden kann. Diesen Beweis versucht Kant in der 'Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe' zu führen. In der entscheidenden Prämisse dieses Beweises wird die Möglichkeit eines durchgängigen subjektiven Bewußtseins von Vorstel-
II. Teilthesen und Aufbau der Arbeit
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lungsinhalten vorausgesetzt. Ein solches Bewußtsein impliziert nach Kant die Möglichkeit, sich der Leistung zu denken als eigener Leistung bewußt zu sein, und dieses Bewußtsein schließt seines Erachtens das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein einer Verwendung der Kategorien und somit die Möglichkeit von Erkenntnissen existierender Gegenstände ein. Wenn Kant nachweisen kann, daß das subjektive Bewußtsein einer Gesamtheit von Vorstellungen die Möglichkeit von Erkenntnissen existierender Gegenstände impliziert, wäre es ihm also gelungen, eine zirkelfreie Begründung der Allgemeingültigkeit des von ihm aufgestellten Kriteriums der Wahrheit zu liefern und zu beweisen, daß der positive Glaube an die Unmöglichkeit von Erkenntnissen existierender Gegenstände inkonsistent ist. Auf die Argumentation der 'Transzendentalen Deduktion' kann in dieser Arbeit nicht in allen Einzelheiten eingegangen werden, sondern sie soll nur in ihrer Aufgabe und ihren Hauptschritten erläutert werden. Einige ihrer Detailprobleme werden in der Auseinandersetzung mit der Literatur zur Sprache kommen. Mit der 'Transzendentalen Deduktion' ist Kants Suche nach den elementaren Inhalten eines Kriteriums der Wahrheit und sein Versuch, die Gültigkeit dieses Kriteriums nachzuweisen, abgeschlossen. In den 'Grundsätzen' wird dieses Kriterium systematisch entfaltet, und in der 'Transzendentalen Dialektik' wird es einigen begründet auftretenden Bewährungsproben ausgesetzt. Beides wird nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sein.
A. Die allgemeinen logischen Bedingungen der Wahrheit A. I. Die Unmöglichkeit eines allgemeinen und hinreichenden Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände "Wahrheit... [ist] die Ubereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande" (B 82; vgl. B 236, B 296, B 670, B 848); dies ist nach Kant die geläufige "Namenerklärung" der Wahrheit (B 82; vgl. Logik Einl., 50). Als Definition ist sie in dieser Form aber nicht "brauchbar" (vgl. Logik Einl., 50), weil sie offenläßt, in welchem Sinne eine Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand vorliegen soll: "Es fragt sich nämlich hier: Ob und inwiefern es ein sicheres, allgemeines und in der Anwendung brauchbares Kriterium der Wahrheit gebe? Denn das soll die Frage: Was ist Wahrheit? bedeuten." (Logik Einl., 50) Um diese Frage zu beantworten, müßte man den Sinn des Wortes "Wahrheit" angeben, d.h. eine Explikation des Begriffs der Wahrheit liefern, und hierzu würde es nicht hinreichen, verschiedene Fälle aufzuzeigen, in denen eine Erkenntnis mit ihrem Gegenstand auf irgendeine Weise übereinstimmt, sondern es müßte eine Art der Ubereinstimmung von beanspruchten Erkenntnissen mit den in ihnen beurteilten Gegenständen gefunden werden, die in allen Fällen wahrer Erkenntnisse und nur in diesen vorliegt. In bezug auf Begriffe läßt sich ein Merkmalsinhalt von ihrer Merkmalsfunktion, d.h. ihrer Funktion, zur Kennzeichnung irgendwelcher Dinge oder Zustände zu dienen, unterscheiden (vgl. Logik § 7., 95), und Kant betrachtet alle Begriffe unter diesen beiden Gesichtspunkten als Merkmale: "Alle unsere Begriffe sind ... Merkmale" (Logik Einl., 58), d.h. "Prädikat[e] zu einem möglichen Urteile" (B 94). Doch "es gibt unter den Merkmalen mancherlei spezifische Unterschiede" (Logik Einl., 58). So sind "notwendige Merkmale ... diejenigen, die jederzeit bei der vorgestellten Sache müssen anzutreffen sein", und "ein Merkmal ist zureichend, sofern es hinreicht, das Ding jederzeit von allen anderen zu unterscheiden" (Logik Einl., 60).
Das Kriterium der formalen Wahrheit
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Sucht man nach einem Kriterium, das bei jeder Unterscheidung wahrer von falschen Behauptungen, d.h. wirklicher von bloß vermeintlichen Erkenntnissen verwendet wird, muß man in bezug auf dieses Kriterium also seine beiden möglichen Eigenschaften unterscheiden, einerseits notwendig, d.h. ein Kriterium zu sein, das bei dieser Unterscheidung unentbehrlich ist, und andererseits für diese Unterscheidung auch hinreichend zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt muß man nach Kant feststellen, daß sich ein allgemeines und zugleich hinreichendes Kriterium der Wahrheit unmöglich finden lassen kann, da die Eigenschaften, in denen unsere Erkenntnisse jeweils mit bestimmten Gegenständen übereinstimmen, besondere Eigenschaften sein müssen, die sich durch kein allgemeines Kriterium angeben lassen. "Ein allgemeines materiales Kriterium der Wahrheit ist nicht möglich; es ist sogar in sich selbst widersprechend. Denn als ein allgemeines, für alle Objekte überhaupt gültiges, müßte es von allem Unterschiede derselben völlig abstrahieren und doch auch zugleich als ein materiales Kriterium eben auf diesen Unterschied gehen, um bestimmen zu können, ob ein Erkenntnis mit demjenigen Objekte, worauf es bezogen wird, und nicht mit irgendeinem Objekte überhaupt - womit eigentlich gar nichts gesagt wäre - übereinstimme." (Logik Einl., 50/51; vgl. Refl. 2177.) Da die Wahrheit als Übereinstimmung einer beanspruchten Erkenntnis mit ihrem Gegenstand aber "gerade diesen Inhalt angeht", kann also "ein hinreichendes und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden" (B 83).
A. II. Das Kriterium der formalen Wahrheit
Dies schließt jedoch nicht aus, daß es allgemeine Eigenschaften unserer Erkenntnisse gibt, die notwendige Bedingungen für deren Wahrheit sind. Hier kommen zunächst diejenigen formalen Eigenschaften in Frage, die alle sinnvollen Urteile über irgendwelche Dinge besitzen, aber nicht hinreichen, diese Urteile in ihrem Bezug auf bestimmte Gegenstände zu charakterisieren. Diese Eigenschaften sind nach Kant Gegenstand der "allgemeine[n]" und "reine[n]" (B 77) oder, wie Kant auch sagt, "formalen" Logik (B170). Ihre "formalen, allgemeinen Kriterien sind ... zur objektiven Wahrheit nicht hinreichend, aber sie sind doch ... die conditio sine qua non derselben" (Logik Einl., 51).
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Die allgemeinen logischen Bedingungen der Wahrheit
"Wir wollen in der Logik" nach Kant "nicht wissen: wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern wie er im Denken verfahren sollte" (Logik Einl., 14; vgl. Refl. 1612.). Die formale Logik ist seines Erachtens "eine Wissenschaft der notwendigen und allgemeinen Regeln des Denkens"; diese können zwar "zuerst nur durch Beobachtung [des] natürlichen Gebrauchs [unseres Verstandes] gefunden werden" (Logik Einl., 17), doch bleibt die Logik nicht bei dieser Beobachtung stehen. Denn nähme sie ihre Prinzipien aus bloßen "Beobachtungen über unseren Verstand", d.h. "aus der Psychologie", so würde dies nur "zu Erkenntnissen bloß zufälliger Gesetze führen" (Logik Einl., 14). Im wesentlichen ist die Logik eine "Analytik" (Logik Einl., 16), d.h. die Grundsätze der Logik werden "von dem objektiven ... und möglichen Gebrauch des Verstandes... abstrahiert", nicht aber von "dem subjektiven und wirklichen... deriviert"; sie sind Gesetze "der richtigen Erkenntnis überhaupt in Ansehung möglicher Erkenntnis" und "keine empirische principia" der "Psychologie" (Refl. 1603.). Die Logik untersucht unsere Verwendung von Begriffen also auf diejenigen Formen hin, deren Einhaltung eine notwendige Bedingung jeder denkbar möglichen Erkenntnis ist. Die formallogischen Grundsätze insgesamt sind "ein Kanon, der nachher zur Kritik dient, d.h. zum Prinzip der Beurteilung alles Verstandesgebrauchs überhaupt, wiewohl nur seiner Richtigkeit in Ansehung der bloßen Form". (Logik Einl., 15) Diese Grundsätze normieren zwar die Bildung von Urteilen, erfassen diese Bildung jedoch nicht in ihrem realen zeitlichen Vollzug. Zwar sind alle Urteile "Handlungen des Verstandes", Gegenstand der Logik sind aber nur die "Funktionen der Einheit in den Urteilen" (vgl. B 94) als bloße Formen eines möglichen Gebrauchs unseres Verstandes (vgl. B 77). In logischer Betrachtung sind alle Begriffe nach Kant "Prädikate möglicher Urteile" (B 94). So ist der Prädikatbegriff eines wahren bejahenden analytischen Urteils in logischer Betrachtung in dessen Subjektbegriff "enthalten" und trotz der numerischen Verschiedenheit der betreffenden Vorstellungen mit einem der "Teilbegriffe" des Subjektbegriffs identisch (vgl. B 10/11). Da die allgemeine Logik von jedem besonderen Merkmalsgehalt der Begriffe (B102) und somit "von allen Objekten insgesamt und von allem Unterschiede derselben" abstrahiert (Logik Einl., 51), kann sie Begriffe nur formal, d.h. in ihrer Funktion, Prädikate in möglichen Urteilen zu sein, behandeln, und sie kann von diesen Funktionen wiederum nur diejenigen als rein logisch gültig ausweisen, die sich nicht daraus ergeben, daß bestimmte unterscheidbare Gegenstände beurteilt werden. In der formalen Logik können Urteile also nicht als solche charakterisiert
Das Kriterium der formalen Wahrheit
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werden, in denen Gegenständen eine relationale Ordnung zugesprochen oder mit denen eine Existenzbehauptung aufgestellt wird. Sie kann von den Gegenständen der Prädikation nur den "Begriff von einem Gegenstande überhaupt (problematisch genommen und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sei)" (B 346) haben. "Da die allgemeine Logik von allem Inhalte des Erkenntnisses durch Begriffe abstrahiert, so kann sie den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d.h. nur subjektivisch erwägen; nicht wie er durch ein Merkmal ein Objekt bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objekte kann bezogen werden. Die allgemeine Logik hat also nicht die Quelle der Begriffe zu untersuchen; nicht wie Begriffe als Vorstellungen entspringen, sondern lediglich, wie gegebene Vorstellungen im Denken zu begriffen werden; diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes." (Logik § 5., Anm. 1., 94; vgl. Refl. 2856.) Ein solches problematisches Verständnis der Gegenstände der Prädikation muß in die formale Logik eingehen, da anderenfalls gar keine Aussagen über Begriffe und Urteile gemacht werden können; denn jeder Begriff ist dadurch charakterisiert, daß er irgendeinen zumindest gedachten Umfang hat. Er ist "nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Gegenstände beziehen kann" (B 94). Nach Kant besteht die Aufgabe der formalen Logik nicht in der Auszeichnung von Sätzen, die bereits aus rein formalen Gründen wahr sind, sondern in der Charakterisierung von Urteilen beliebigen Inhalts über irgendwelche Dinge als ihrer Form nach korrekte Kennzeichnungen. Ihre Verwendung besteht "allein" darin, in bezug auf vorgegebene Vorstellungen von irgendwelchen existierenden oder nicht existierenden Dingen in einem "analytischen Verfahren... Deutlichkeit zu erzeugen" (Logik Einl., 64; vgl. Refl. 2393.). Dies heißt aber nicht, daß nur analytisch wahre Urteile als formal korrekt gelten können, denn ein Urteil kann auch dann widerspruchsfrei sein, wenn in ihm Begriffe so verbunden sind, "wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt" (vgl. B 190). Die elementaren Funktionen, in denen Begriffe zur Kennzeichnung von Dingen verwendet werden können und auf denen alle besonderen Urteilsfunktionen beruhen, sind nach Kant durch "drei Grundsätze, als allgemeine, bloß formale oder logische Kriterien der Wahrheit" bestimmt, nämlich 1. den "Satz des Widerspruchs und der Identität" 2. den "Satz des zureichenden Grundes" und
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Die allgemeinen logischen Bedingungen der Wahrheit
3. den "Satz des ausschließenden Dritten" (Logik Einl., 52/53; vgl. Refl. 2178.). Bezogen auf die formal korrekte Bildung sinnvoller Urteile geben diese Sätze beschreibende "Gesetze des Verstandes und der Vernunft" (Logik Einl., 51) wieder, die von allen wahren Urteilen erfüllt werden. "Hätten wir keine andere Erkenntniskraft als den Verstand: so würden wir nie irren." (Logik Einl., 53) Bezogen auf unser Denken überhaupt, das zwar stets ein "Verstandesgebrauch" (B 76) ist, aber auch die Möglichkeit seines Mißbrauchs einschließt und eine 'Verstandeswidrige Form" annehmen kann (vgl. Logik Einl., 53), formulieren die genannten Sätze zu befolgende Regeln und zwar logische "Grundsätze" (Logik Einl., 52). Nach diesen Grundsätzen bemißt sich die "Ubereinstimmung" jeder beanspruchbaren Erkenntnis "mit sich selbst" als formal korrekter Erkenntnis "oder - welches einerlei ist - mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft", (vgl. Logik Einl., 51)
1. Der Satz vom Widerspruch Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch lautet nach Kant: "Keinem Dinge kommt ein Prädikat zu, welches ihm widerspricht" (A 151 = B 190). Daß es dieser Formulierung nach Widersprüche zwischen Dingen einerseits und Prädikaten andererseits zu vermeiden gilt, heißt nicht, daß man zum Zwecke der Befolgung dieses Grundsatzes festzustellen hätte, welche Eigenschaften die uns gegebenen Gegenstände tatsächlich besitzen, denn auch wenn "in unserem Urteile kein Widerspruch ist, so kann es dem ungeachtet Begriffe doch so verbinden, wie es der Gegenstand nicht mit sich bringt, oder auch, ohne daß uns irgendein Grund weder a priori noch a posteriori gegeben ist, welcher ein solches Urteil berechtigte, und so kann ein Urteil bei allem dem, daß es von allem inneren Widerspruche frei ist, doch entweder falsch oder grundlos sein" (B 190). Zu vermeiden gilt es also Widersprüche zwischen den verwendeten Prädikaten einerseits und den beurteilten Dingen als bloß vorgestellten Dingen andererseits. Da Urteile in der allgemeinen Logik auf ihre formale Korrektheit hin untersucht werden, werden auch die Vorstellungen der durch Prädikate zu kennzeichnenden Dinge in ihr formal, nämlich jeweils als der "Begriff des Subjekts" betrachtet, den man "durch Zergliederung in seine
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Teilbegriffe zerfallen" kann (vgl. B 11). Urteile, die einen Subjekt- und einen Prädikatbegriff haben, sind "kategorische Urteile". (Logik § 24., 105) Die Form der Verbindung von Subjekt und Prädikat, die "Kopula" kategorischer Urteile, ist entweder die der "Einstimmung" oder die des "Widerstreits" (Logik § 24., 105), d.h. alle kategorischen Urteile sind entweder bejahende oder verneinende Urteile (B 10). In einem widerspruchsfreien Urteil darf einem Ding keine Eigenschaft abgesprochen werden, deren Begriff in dem Begriff von diesem Ding als Teilberiff "schon (obgleich verworren) gedacht" wird (B11), und es darf ihm keine Eigenschaft zugesprochen werden, die mit einer seiner im Subjektbegriff gedachten Eigenschaften unverträglich ist, d.h. in formaler Betrachtung, man darf einem "Ding = A, welches etwas = B ist", nicht die Eigenschaft zusprechen, "non B" zu sein, (vgl. B 192) oder die Eigenschaft 'B' zu sein absprechen. "Der Unterschied zwischen der Verbindung der Vorstellungen in einem Begriff und der in einem Urteil z.B. der schwarze Mensch und der Mensch ist schwarz,... liegt... darin, daß im ersteren ein Begriff als bestimmt im zweiten die Handlung meines Bestimmens dieses Begriffs gedacht wird". (Brief an Beck vom 3. 7.1792, AA Bd. 11,347) Als ein "bloß logischer Grundsatz" nimmt der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch keine Rücksicht auf die "Zeitverhältnisse" zwischen den in einem Urteil vorgenommenen und den in seinem Subjektbegriff vorliegenden Bestimmungen der beurteilten Dinge (vgl. B 192), d.h. darauf, ob sie als zugleich oder als zu verschiedenen Zeiten gültig aufgefaßt werden, sondern bei seiner Anwendung ist stets davon auszugehen, daß die im Subjektbegriff eines kategorischen Urteils vorliegenden mit den in diesem Urteil vorgenommenen Bestimmungen gemeinsam gelten sollen und die in verschiedenen voneinander unabhängigen kategorischen Urteilen vorgenommenen Bestimmungen auch unabhängig voneinander gelten sollen. So kann ich z.B. nicht sagen, "der schwarze Mensch (der schwarz ist zu einer Zeit) ist weiß (d.i. er ist weiß, ausgebleicht, zu einer anderen Zeit), ohne mir zu widersprechen..., weil ich in diesem Urteile den Begriff des Schwarzen in den Begriff des NichtSchwarzen mit herüberbringe, indem das Subjekt durch den ersteren als bestimmt gedacht wird" (Brief an Beck vom 3. 7.1792, AA Bd. 11, 347; vgl. B 192). In voneinander unabhängigen kategorischen Urteilen hingegen kann derselbe Subjektbegriff durchaus mit einander ausschließenden Prädikaten verknüpft werden, da diese Urteile sich auf den beurteilten Gegenstand in verschiedenen aufeinanderfolgenden
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Zuständen beziehen können. So kann man in zwei voneinander unabhängigen Urteilen "von eben demselben Menschen sagen ... [,] er ist schwarz und auch eben dieser Mensch ist nicht schwarz (nämlich zu einer anderen Zeit, wenn er ausgebleicht ist), weil in beiden Urteilen nur dieHandlung des Bestimmens, welches hier von Erfahrungsbedingungen und der Zeit abhängt, angezeigt wird" (Brief an Beck vom 3. 7. 1792, AA Bd. 11,347). In bejahenden analytischen Urteilen, die eine Teilklasse der widerspruchsfreien Urteile ausmachen, sind Subjekt und Prädikat "durch Identität" verknüpft (B 10; vgl. Logik § 36., 111), d.h. das beliebige bestimmte Merkmal, das dem Gegenstand dieses Urteils durch das Prädikat zugeschrieben wird, wird schon in seinem Subjektbegriff als Bestimmung dieses Gegenstandes gedacht. Entsprechend wird in verneinenden analytischen Urteilen einem Gegenstand eine Eigenschaft (z.B. die Sterblichkeit) abgesprochen, deren Gegenteil (z.B. die Unsterblichkeit) bereits im Subjektbegriff als Eigenschaft dieses Gegenstandes gedacht wird. "Die Identität der Begriffe in analytischen Urteilen kann entweder eine ausdrückliche (explicita) oder eine nicht-ausdrückliche (implicita) sein. Im erstem Falle sind die Sätze tautologisch." (Logik § 37., 111; vgl. Refl. 2135.) Alle analytischen und alle tautologischen Urteile sind nach Kant widerspruchsfrei, und widerspruchsvolle Urteile werden von ihm nicht als 'analytisch falsch' bzw. 'tautologisch falsch', sondern lediglich als widerspruchsvoll eingestuft. Jedes Urteil, dessen Prädikat "B ... ganz außer dem Begriff A [liegt], ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht", ist ein synthetisches Urteil (vgl. B 10). Auch synthetische Urteile müssen widerspruchsfrei sein, aber die "allgemeine Logik" hat mit der "Erklärung der Möglichkeit synthetischer Urteile... gar nichts zu schaffen" und braucht "sogar ihren Namen nicht einmal [zu] kennen" (B193), denn "die synthetischen Sätze vermehren das Erkenntnis materialiter, die analytischen bloß formaliter" (Logik § 36. Anm. 1., 111; vgl. Refl. 3127.). Begriffe, deren Vorstellungsinhalt negativ bestimmt ist, wie z.B. der Begriff 'ist unsterblich', werden nach Kant in der allgemeinen Logik nur ihrer Form nach, d.h. nur in ihrem Gegensatz zu Begriffen mit demselben beliebigen aber urtnegierten Merkmalsgehalt, nicht jedoch in ihrem positiven alternativen Merkmalsgehalt berücksichtigt. Negative Merkmale sind damit inhaltlich nur insoweit bestimmt, als ihr Inhalt von dem eines beliebigen bestimmten positiven Merkmals verschieden ist und
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irgendeiner der unendlich vielen möglichen anderen Begriffsinhalte sein kann. Kant nennt Urteile mit Subjektegriffen mit negativ bestimmtem Merkmalsgehalt daher "unendliche Urteile" (vgl. B 97). Da die allgemeine und reine Logik die Möglichkeit der Unterscheidung von Begriffsinhalten jedoch nicht voraussetzen kann, muß sie Begriffe mit negativem und positivem Merkmalsgehalt gleichbehandeln und kann nur fordern, daß ein negiertes Merkmal keinem Subjekt zugesprochen wird, dem es ausweislich seines Begriffs in unnegierter Form zukommt, bzw. ihm nicht abgesprochen wird, wenn es ihm in negierter Form zukommt, (vgl. B 97) "In der allgemeinen Logik" werden die unendlichen Urteile dementsprechend den "bejahenden" (vgl. B 97) bzw. "den negativen Urteilen" gleichgestellt, (vgl. Logik § 23. Anm. 2., 104) Je nachdem, ob das Subjekt in den Umfang des Prädikats "eingeschlossen" oder von ihm "ausgeschlossen" wird (vgl. Logik § 21., 102), sind die unter den Subjektbegriff fallenden Dinge entweder "unter" dem Prädikat "enthalten" (vgl. Logik § 7., 95) oder liegen "außer" seiner "Sphäre" (vgl. Logik § 22., 103). Ihrer "Quantität", d.h. ihrem Umfang nach sind alle kategorischen Urteile "entweder allgemeine oder besondere oder einzelne, je nachdem das Subjekt im Urteile entweder ganz von der Notation des Prädikats ein- oder ausgeschlossen, oder davon zum Teil nur ein- zum Teil ausgeschlossen ist". (Logik § 21., 102; vgl. Refl. 3084.) Welchen formalen Kriterien kategorische Urteile ihrer Quantität nach zu genügen haben, läßt sich nicht in Betrachtung kategorischer Urteile im einzelnen, sondern nur unter Berücksichtigung ihrer Rolle bei einer möglichen Unterscheidung von Gegenständen klären und wird sich bei der Erläuterung des 'Satzes vom zureichenden Grund' zeigen: In formaler Betrachtung zählt der Umfang des Subjektbegriffs eines Urteils zur Gänze zum Umfang seines Prädikats, wenn die widerspruchsfreie Kennzeichnung von Dingen durch den Merkmalsgehalt des Subjektbegriffs allgemein eine hinreichende Bedingung für die widerspruchsfreie Kennzeichnung dieser Dinge durch den Merkmalsgehalt des Prädikats ist. Dies gilt sowohl für allgemeine Urteile, in denen das Prädikat auf jedes Ding einer bestimmten Klasse bezogen wird, als auch für 'einzelne' Urteile, in denen der Prädikatbegriff auf nur ein Individuum bezogen wird. Eine Verwendung von Individuenkonstanten oder von Variablen, die ausschließlich auf Individuen bezogen werden können, würde Kant in der allgemeinen formalen Logik für unmöglich halten, da dies die Möglichkeit der Verwendimg besonderer Kriterien zur Unterscheidung von Gegenständen voraussetzt und diese Kriterien nicht absolut allgemein gelten können, welchen Inhalt sie auch immer haben mögen. "Ein-
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zelne Urteile", in denen ein einzelnes vorgestelltes Ding gekennzeichnet wird, können nach Kant in der allgemeinen und reinen Logik in dieser besonderen Eigenschaft nicht bestimmt werden (B 97), da in dieser "bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik" (B 97) nicht unterschieden werden kann, ob ein bestimmtes einzelnes Ding oder eine Klasse näher unterscheidbarer Dinge Gegenstand der Prädikation ist. "Die einzelnen Urteile sind der logischen Form nach im Gebrauch den allgemeinen gleich zu schätzen, denn bei beiden gilt das Prädikat vom Subjekt ohne Ausnahme." (Logik § 21. Anm. 1., 102)
2. Der Satz des zureichenden Grundes Durch den "Satz des Widerspruchs" wird die logischen Wahrheit nur "negativ" bestimmt, denn ein Urteil, "welches sich widerspricht, ist zwar falsch, wenn es sich aber nicht widerspricht, nicht allemal wahr" (Logik Einl., 51). Uber ihre "irtnerlich[e] logisch[e] Wahrheit" (Logik Einl., 51) hinaus können kategorische Urteile zueinander in verschiedenen Verhältnissen stehen. Das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" ist der "Satz des zureichenden Grundes"; er betrifft den "logischen Zusammenhang" kategorischer Urteile untereinander und bestimmt deren logische Wahrheit "positiv" (Logik Einl., 51/52; vgl. Refl. 2174.). "Der äußere Gebrauch" von Begriffen in kategorischen Urteilen "besteht in der Vergleichung, sofern wir durch Merkmale ein Ding mit anderen nach den Regeln der Identität oder Diversität vergleichen können." (Logik Einl., 58; vgl. Refl. 2284.) Soll ein Ding oder eine Klasse von Dingen durch kategorische Urteile von anderen Dingen unterschieden werden, so muß einerseits die Gesamtmenge der Dinge, von denen einige von anderen unterschieden werden sollen, und andererseits die besondere, von anderen unterschiedene Teilklasse dieser Dinge durch ein Merkmal gekennzeichnet werden. Ob es sich hierbei um eine Unterscheidung von einzelnen Gegenständen oder von Gegenstandsklassen handelt, kann "in der bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik" (B 97) nicht entschieden werden, da "die einzelnen Urteile ... der logischen Form nach den allgemeinen gleich zu schätzen" sind (Logik § 21. Anm. 1., 102). Wie gesagt, können inhaltliche Unterschiede von Begriffen und somit die Inhalte von Begriffen von Beziehungen zwischen verschiedenen
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Gegenständen nach Kant durch ein allgemeines Kriterium der logischen Wahrheit nicht erfaßt werden. Soll die unterscheidende Verwendung von Merkmalen also ein logisches Prinzip haben, muß dieses unter Abstraktion von jedem Merkmalsgehalt der Begriffe wie z.B. räumlichen oder zeitlichen Relationen zwischen Gegenständen gefunden werden. Die Verwendung von Begriffen in kategorischen Urteilen läßt sich nach Kant nur in den Formen bestimmen, daß in diesen Urteilen irgendwelchen Dingen Eigenschaften in widerspruchsfreier oder widerspruchsvoller Weise zu- oder abgesprochen werden. Allein durch diese Formen läßt sich jedoch eine Unterscheidung von Dingen nicht charakterisieren. Dies ist nur möglich, wenn sich das Verhältnis der Kennzeichnung der Gesamtmenge der vorgestellten Dinge zu der Kennzeichnung einer Teilklasse dieser Dinge formal bestimmen läßt, wenn sich also über die Funktionen von Begriffen in kategorischen Urteilen hinaus Funktionen von kategorischen Urteilen relativ zueinander finden lassen. Diese Funktionen sind nach Kant, daß die Widerspruchsfreiheit eines kategorischen Urteils eine notwendige Bedingung für die eines anderen ist bzw. umgekehrt die Widerspruchsfreiheit des letzteren eine hinreichende Bedingung für die des ersteren ist. In diesem Sinne fordert der "Satz des zureichenden Grundes", daß ein Urteil "logisch gegründet sei, d.h. daß es a) Gründe habe und b) nicht falsche Folgen habe" (Logik Einl., 51). Kant konkretisiert die Korrektheitsforderung des Satzes vom zureichenden Grund dahingehend, daß er zwei Schlußweisen zulasse, nämlich 1. eine indirekte, den "modus tollens", und 2. eine direkte, den "modus ponens" (Logik Einl., 52). Vorausgesetzt, die Verknüpfung zweier Urteile miteinander als Grund und Folge ist korrekt, so charakterisiert der "modus tollens" diese Korrektheit dahingehend, daß "wenn die Folge (consequens) falsch ist: so ist auch der Grund (antecedens) falsch"; und der "modus ponens" charakterisiert die Korrektheit dieser Verknüpfung ergänzend dahingehend, daß "wenn der Grund (antecedens) wahr ist: so ist auch die durch ihn bestimmte Folge (consequens) wahr" (Logik § 26., 106). Wird der modus tollens oder der modus ponens von einer Verknüpfung zweier Urteile als Grund und Folge bei Falschheit des Nachsatzes bzw. Wahrheit des Vordersatzes nicht erfüllt, kann diese Verknüpfung also unmöglich formal korrekt sein. Verwendet man die Regeln des modus tollens und des modus ponens als Prinzipien der Beurteilung von Verknüpfungen kategorischer Urteile auf ihre Korrektheit hin, muß man die Gesamtheit aller Fälle der Verknüpfung jeweils zweier kategorischer Urteile betrachten und überprüfen, ob bei Falschheit des Nachsatzes auch stets sein Vordersatz
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logisch falsch ist, bzw. bei Wahrheit des Vordersatzes auch stets sein Nachsats logisch wahr ist. Eine Verknüpfung kategorischer Urteile als Grund und Folge ist also nur dann korrekt, wenn sie allgemein folgendermaßen zu schließen erlaubt: "1) Aus der Wahrheit der Folge läßt sich auf die Wahrheit des Erkenntnisses als Grundes schließen, aber nur negativ: wenn Eine falsche Folge aus einer Erkenntnis fließt, so ist die Erkenntnis selbst falsch. Denn wenn der Grund wahr wäre, so müßte die Folge auch wahr sein, weil die Folge durch den Grund bestimmt wird. - Man kann aber nicht umgekehrt schließen: wenn keine falsche Folge aus einem Erkenntnisse fließt, so ist es wahr; denn man kann aus einem falschen Grunde wahre Folgen ziehen. 2) Wenn alle Folgen eines Erkenntnisses wahr sind: so ist das Erkenntnis auch wahr. Denn wäre nur etwas Falsches im Erkenntnisse, so müßte auch eine falsche Folge stattfinden. Aus der Folge läßt sich also zwar auf einen Grund schließen, aber ohne diesen Grund bestimmen zu können. Nur aus dem Inbegriffe aller Folgen allein kann man auf einen bestimmten Grund schließen, daß dieser der wahre sei." (Logik Einl., 52; vgl. Refl. 2178.) Bei der 'Wahrheit' oder 'Falschheit' des Grundes oder der Folge, von der hier ausgegangen bzw. auf die geschlossen wird, handelt es sich in formaler Betrachtung um die Widerspruchsfreiheit bzw. die Widersprüchlichkeit eines kategorischen Urteils. Nach Kant ist eine Verknüpfung zweier kategorischer Urteile als Grund und Folge also nur dann formal korrekt, wenn man aus ihrer Verknüpfung und der Widersprüchlichkeit der betreffenden Folge in jedem Falle nach dem modus tollens auf die Widersprüchlichkeit des mit ihr verknüpften Grundes schließen kann. Wenn die Verwendung der Verknüpfung zweier kategorischer Urteile beim Schließen das Prinzip des modus tollens erfüllt, d.h. ein bestimmter Grund in keinem Falle wahr ist, in dem seine Folge falsch ist, so erlaubt dies jedoch nicht, aus der Wahrheit einer Folge auf die Wahrheit eines bestimmten Grundes zu schließen, da man nach dem modus ponens auch 'aus einem falschen Grund wahre Folgen ziehen' kann. Nach dem modus ponens ist eine Verknüpfung von zwei kategorischen Urteilen als Grund und Folge nur dann korrekt, wenn man mit ihrer Hilfe aus der Wahrheit eines Grundes in jedem Falle auf die Wahrheit des mit ihm als Folge verknüpften Urteils schließen kann. Doch auch wenn das Prinzip des modus ponens erfüllt ist und jeder wahre Grund stets eine wahre Folge hat, kann aus der Wahrheit eines Folgesatzes nicht auf die Wahrheit eines bestimmten Grundes geschlossen werden, da der modus ponens bezüglich derselben Folge von verschie-
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denen Urteilen als Gründen erfüllt werden kann. Auch "wenn alle Folgen" eines widerspruchsfreien Grundes "wahr sind", kann nach dem modus tollens aus der Wahrheit einer Folge nur auf die Wahrheit irgendeines Grundes geschlossen werden, "ohne diesen Grund bestimmen zu können". (Logik Einl., 52; vgl. Refl. 2178.) Diejenigen Urteile, in denen jeweils zwei kategorische Urteile so "miteinander als Grund und Folge" verknüpft sind, daß sie nach dem modus ponens und dem modus tollens zu schließen gestatten, sind hypothetische Urteile, (vgl. Logik § 25., 105) Sie sind insofern Urteile zweiter Stufe, als in ihnen kategorische Urteile lediglich die "Materie ausmachen" und nur die "Art von Verknüpfung beider Urteile ... [, d.h.] die Konsequenz", behauptet wird; die beiden erwähnten kategorischen Urteile, "der Vordersatz (antecedens, prius)" und "der Nachsatz (consequens, posterius)", werden nur als "problematisch", d.h. als möglicherweise wahr aufgefaßt; man kann "daher zwei falsche Urteile miteinander verknüpfen, denn es kommt hier nur auf die Richtigkeit der Verknüpfung - die Form der Konsequenz an, worauf die logische Wahrheit dieser Urteile beruht". (Logik § 25. u. Anm. 2., 105 f.; vgl. B 99) Das Kriterium der formalen Wahrheit hypothetischer Urteile formuliert der Satz vom zureichenden Grund. Die notwendigen Bedingungen der Korrektheit der "Form der Verknüpfung in den hypothetischen Urteilen" sind: "1) Wenn der Grund (antecedens) wahr ist: so ist auch die durch ihn bestimmte Folge (consequens) wahr; heißt der modus ponens. 2) Wenn die Folge (consequens) falsch ist: so ist auch der Grund (antecedens) falsch; modus tollens." (Logik § 26., 106) Damit ist der "Satz des Grundes" zugleich das allgemeine Prinzip der Verwendung hypothetischer Urteile in Schlüssen, (vgl. Logik § 76., 129) Gilt ein bestimmtes hypothetisches Urteil und gilt sein Vordersatz, so gilt notwendig auch sein Nachsatz, und gilt sein Nachsatz für den beurteilten Gegenstand nicht, so kann auch sein Vordersatz für diesen Gegenstand nicht gelten. Da in jedem hypothetischen Urteil nur die besondere Art der konditionalen Verknüpfung von zwei erwähnten kategorischen Urteilen behauptet wird, können hypothetische Urteile wahr sein, auch wenn ihre Teilsätze für eine gegebene Vorstellung von irgendwelchen Dingen nach dem Satz des Widerspruchs nicht gelten. In einem hypothetischen Urteil kann ein gültiges Verknüpfungsverhältnis behauptet werden, obwohl sein Vordersatz und sein Nachsatz in einem bestimmten beliebigen Fall seiner Bildung widerspruchsvoll sind, da dies nicht ausschließt, daß die
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beiden kategorischen Urteile im Falle ihrer Wahrheit stets in der behaupteten konditionalen Verknüpfung auftreten. Man kann in hypothetischen Urteilen "zwei falsche Urteile miteinander verknüpfen, denn es kommt hier nur auf die Richtigkeit der Verknüpfung - die Form der Konsequenz an". (Logik § 25. Anm. 2,105/106; vgl. B 99) Ebenfalls kann ein hypothetisches Urteil wahr sein, dessen Vordersatz in bezug auf irgendwelche bestimmten vorgestellten Dinge falsch, dessen Nachsatz in bezug auf diese Dinge aber wahr ist. Da ein bestimmter Nachsatz konditional mit verschiedenen Vordersätzen verknüpft werden kann, kann ein hypothetisches Urteil ein mögliches Verknüpfungsverhältnis behaupten, auch wenn es den Vordersatz, dessen Widerspruchsfreiheit bezüglich der zu analysierenden Vorstellungen die hinreichende Bedingung für die Widerspruchsfreiheit des Nachsatzes wäre, nicht erfaßt, denn "man kann aus einem falschen Grunde wahre Folgen ziehen" (Logik Einl., 52). Falsch ist ein hypothetisches Urteil nur darin, wenn sein Vordersatz assertorisch genommen wahr und sein Nachsatz falsch ist, da es in diesem Fall eine Verknüpfung behauptet, die in konditionaler Form nicht bestehen kann, denn jede unterscheidende Eigenschaft eines Gegenstandes muß als solche zugleich mit der Eigenschaft vorgestellt werden können, die dieser Gegenstand mit anderen gemeinsam hat: "Wenn eine falsche Folge aus einer Erkenntnis fließt, so ist die Erkenntnis selbst falsch". (Logik Einl., 52) Wenn der Vordersatz eines vermeintlichen hypothetischen Urteils aber wahr und sein Nachsatz falsch ist, "dann wird in der Form gefehlt", (vgl. Logik Philippi, 472) Die Verwendung kategorischer Urteile zur Unterscheidung von Dingen ist jedoch an die Bedingung geknüpft, daß sie keine tautologisch wahren oder falschen Sätze sind, da man anhand nur eines Merkmals kein beliebiges bestimmtes Ding und keine Klasse von Dingen von anderen unterscheiden kann. "Tautologische Sätze sind virtualiter leer oder folgeleer, denn sie sind ohne Nutzen und Gebrauch. Dergleichen ist z.B. der tautologische Satz: der Mensch ist Mensch. Denn wenn ich vom Menschen nichts weiter zu sagen weiß, als daß er ein Mensch ist: so weiß ich ;ar weiter nichts von ihm.
f mplicite identische Sätze sind dagegen nicht folge- oder fruchtleer,
denn sie machen das Prädikat, welches im Begriff des Subjekts unentwickelt (implicite) lag, durch Entwicklung (explicatio) klar." (Logik § 3 7 . Anm. 1., 111) Tautologisch falsch dürfen die erwähnten kategorischen Urteile schon deshalb nicht sein, weil sie in bezug auf keinen Gegenstand eine widerspruchsfreie Kennzeichnung ausmachen können. Der Vorder-
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oder der Nachsatz eines hypothetischen Urteils dürfen nur in dem Sinne widerspruchsvoll sein, daß sie in bezug auf ein anderes Ding widerspruchsfrei sein und im Rahmen eines anderen hypothetischen Urteils als wahre Urteile fungieren könnten. Tautologisch wahre kategorische Urteile sind zwar widerspruchsfrei, aber sie sind doch "ohne Nutzen und Gebrauch" (Logik § 37. Anm. 1., 111), da ihr Prädikatbegriff nicht nur ein Teilbegriff ihres Subjekts ist, sondern sein Merkmalsgehalt mit dem gesamten Merkmalsgehalt des Subjektbegriffs identisch ist, so daß diese Begriffe einander nicht subordiniert werden können und durch Verknüpfungen tautologisch wahrer Urteile somit keine Unterscheidungen von Dingen nach Gattungen und Arten getroffen werden können. Da im Rahmen einer endlichen logischen Analyse nicht sichergestellt werden kann, daß sich kategorische Urteile über die bereits verdeutlichten Fälle unserer Vorstellungen von Dingen hinaus in allen möglichen Fällen solcher Vorstellungen im Sinne bestimmter hypothetischer Urteile miteinander verknüpfen lassen, müssen die nach dem Satz vom zureichenden Grund gebildeten hypothetischen Urteile als "Hypothesen" über die systematische Ordnung von Gegenständen gelten (vgl. Logik Einl., 52 u. 84/85), die man nur "annehmen" kann (vgl. Logik Einl., 85). Nach dem modus tollens läßt sich "nur negativ" auf die Wahrheit eines Urteils "als Grundes" schließen (Logik Einl.,52), weil es für die Wahrheit eines hypothetischen Urteils und damit für die Korrektheit der Verwendung von Begriffen in ihrem "äußeren Gebrauch" (Logik Einl., 58) nicht hinreicht, wenn ein kategorisches Urteil als Vordersatz bei Falschheit seines Nachsatzes stets falsch ist. Vollständig ist die Wahrheit eines hypothetischen Urteils nach Kant erst dann bestimmt, wenn sicher ist, daß auch positiv die Wahrheit seines Vordersatzes im Sinne des modus ponens stets eine hinreichende Bedingung für die Wahrheit seines Nachsatzes ist. Um aber sicherzustellen, daß bei Wahrheit des Vordersatzes der Nachsatz jederzeit wahr ist, müßte man alle möglichen Fälle der Verknüpfung dieser Urteile berücksichtigen und ausschließen können, daß der Nachsatz in einem dieser Fälle bei Wahrheit des Vordersatzes falsch ist: Bei der "positiven und direkten Schlußart (modus ponens) tritt die Schwierigkeit ein, daß sich die Allheit der Folgen nicht apodiktisch erkennen läßt, und man daher durch die gedachte Schlußart nur zu einer wahrscheinlichen und hypothetisch-wahren Erkenntnis (Hypothesen) geführt wird, nach der Voraussetzung: daß da, wo viele Folen wahr sind, die übrigen auch alle wahr sein mögen". (Logik Einl., 2; vgl. Logik Einl., 84 f.)
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Da sich also die Wahrheit des Nachsatzes nicht für alle der unendlich vielen möglichen Fälle der Wahrheit des Vordersatzes feststellen läßt, muß der Behauptung, ein hypothetisches Urteil erlaube es, aus seiner Wahrheit und der Wahrheit seines Vordersatzes nach dem modus ponens auf die Wahrheit seines Nachsatzes zu schließen, über die Analyse aller vorliegenden Fälle hinaus die Annahme zugrunde liegen, daß der Vordersatz unmöglich ohne den Nachsatz wahr sein kann. Da wir aber "nie alle möglichen Folgen bestimmen können", müssen unsere "Hypothesen immer Hypothesen bleiben" (Logik Einl., 85; vgl. Refl. 2680., 6.).
3. Der relative Begriffeumfang Da in hypothetischen Urteilen keine Behauptungen über irgendwelche Dinge, sondern auf zweiter Stufe Behauptungen über die Verknüpfung kategorischer Urteile gemacht werden, erlauben sie es, allgemeine Verwendungsweisen von Begriffen relativ zueinander zu formulieren. Zwar werden schon in kategorischen Urteilen "zwei Begriffe ... im Verhältnis gegeneinander betrachtet" (B 98), dies jedoch nur bezüglich irgendwelcher gegebenen einzelnen Vorstellungen von Dingen und nicht im Verhältnis zu allen möglichen anderen Fällen der Verwendung dieser Begriffe. In kategorischen Urteilen werden der Subjekt- und der Prädikatbegriff relativ zueinander so verwendet, daß man "das Ding, dessen Vorstellung als ein Teil von der Sphäre einer anderen subordinierten Vorstellung betrachtet wird, als enthalten unter dieses seinem oberen Begriffe betrachtet, also wird hier in der Subordination der Sphären der Teil vom Teile mit dem Ganzen verglichen" (Logik § 29. Anm., 107). So wird z.B. in dem Urteil "Alle Körper sind teilbar" der Begriff der Teilbarkeit mittelbar über den Begriff des Körpers "auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen" (B 93/94), nämlich auf alle Dinge bezogen, die als körperlich vorgestellt werden. Aus der Wahrheit des Urteils 'Alle Körper sind teilbar' kann man unter Vertauschung des Inhaltes des Subjektbegriffs mit dem des Prädikatbegriffs und unter Veränderung der Quantität des Urteils auf die Wahrheit des partikulären Urteils 'Einiges Teilbare ist ein Körper' schließen; man kann jedoch nicht umgekehrt jedes wahre partikuläre in ein wahres allgemeines Urteil umformen (Logik § 53., 118; vgl. Refl. 3181. u. 3182.). Ein seiner Quantität nach partikuläres Urteil kann nämlich auch "nur zufälligerweise partikulär" sein. (Logik § 21. Anm. 5,103) In diesem Sinne wäre dann zwar einiges Teilbare ein Körper, aber nicht
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alle Körper, sondern wiederum nur einige Körper wären teilbar. Entsprechend ist z.B. die Aussage 'Einige Franzosen sind Generäle' zu verstehen. Ihrer Quantität nach, d.h. in ihrer Funktion bei der Vergleichung und Unterscheidung mehrerer Gegenstände, sind kategorische Urteile durch den Satz des zu vermeidenden Widerspruchs und der Identität also unterbestimmt. Kontingent partikuläre Urteile sind nach Kant nicht Gegenstand der formalen Logik, da in ihnen keine rein formale, sondern eine inhaltliche Verwendung von Merkmalen gemacht wird. Ihre Verwendung ist keine notwendige Bedingung dafür, ein Ding durch irgendein Merkmal von möglichen anderen zu unterscheiden, sondern sie dienen der näheren inhaltlichen Beschreibung von Gegenständen. Um etwas in einem partikulären Urteil von etwas anderem unterscheiden zu können, müssen die zu linterscheidenden Dinge in einer gemeinsamen Eigenschaft gekennzeichnet werden, d.h. unter einen allgemeinen Gattungsbegriff fallen, da nur so die Menge der Dinge, von denen einige von anderen unterschieden werden, angegeben werden kann. In dem oben angeführten Fall müßte z.B. angegeben werden, von welchen Dingen einige Dinge Generäle oder Franzosen oder beides sind. Darüber hinaus ist die Klassifikation, die in kontingent partikulären Urteilen vorgenommen wird, keine rein formale Klassifikation von möglichen Unterarten einer gemeinsamen Gattung, da diese Gattung in mehr als zwei Arten unterteilt würde. Eine solche "Polytomie" läßt sich nicht rein formal durch das Zusprechen einer beliebigen Eigenschaft zu einigen und das Absprechen derselben Eigenschaft von anderen Dingen einer Gattung bilden, sondern setzt eine inhaltliche Unterscheidung der Prädikate voraus: "Die Bestimmimg eines Begriffs in Ansehung alles Möglichen, was unter ihm enthalten ist, sofern es einander entgegengesetzt, d.i. voneinander unterschieden ist, heißt die logische Einteilung des Begriffs." (Logik § 110., 146) "Eine Einteilung in zwei Glieder heißt Dichotomie; wenn sie aber mehr als zwei Glieder hat, wird sie Polytomie genannt." (Logik § 113., 147; vgl. Reil. 3024.) "Polytomie kann in der Logik nicht gelehrt werden, denn dazu gehört Erkenntnis des Gegenstandes. Dichotomie aber bedarf nur dies Satzes des Widerspruchs, ohne den Begriff, den man einteilen will, dem Inhalte nach, zu kennen." (Logik § 113. Anm. 2., 147; vgl. Refl. 3031.) Dementsprechend ist "von den besonderen Urteilen ... zu merken, daß, wenn sie durch die Vernunft sollen können eingesehen werden und also eine rationale, nicht bloß intellektuale (abstrahierte) Form haben: so muß das Subjekt ein weiterer Begriff (conceptus latior) als das Prädikat
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sein", anderenfalls "ist es nur zufälligerweise partikulär" (Logik § 21. Anm. 5., 103; vgl. Refl. 3036.). In rein formalem Sinne ist ein partikuläres Urteil also nur dann wahr, wenn es unter Vertauschung des Merkmalsgehaltes von Subjekt und Prädikat sinngemäß in ein allgemeines Urteil umformuliert werden kann, wenn man z.B. statt 'Einiges Teilbare ist ein Körper' sinngemäß auch sagen kann 'Alle Körper sind teilbar'. In der formalen Logik werden partikuläre Urteile nach Kant also lediglich als korrekte Subklassifikationen und nicht schon als Existenzurteile charakterisiert. Welche weitergehenden allgemeinen Bedingungen die letzteren nach Kant zu erfüllen haben, wird sich bei der Erörterung der transzendentalen Logik zeigen. Es gibt jedoch rein formal korrekte partikuläre Urteile, die sich nicht ohne weiteres in äquivalente allgemeine Urteile umformen lassen. "Vom Allgemeinen gilt" nämlich "der Schluß auf das Besondere" (Logik § 46., 116; vgl. Refl. 3171.), so daß man von einem allgemeinen Urteil wie z.B. 'Alle Menschen sind sterblich' unmittelbar auf ein partikuläres Urteil wie z.B. 'Einige Menschen sind sterblich' schließen kann, in dem der Subjektbegriff nicht weiter ist als der Prädikatbegriff und das somit nicht sinngemäß in das allgemeine Urteil 'Alles Sterbliche ist menschlich' umgeformt werden kann. Zu den "allgemeinen Regeln der Umkehrung" der Inhalte des Subjekt- und des Prädikatbegriffs zählt die Umformung eines bejahenden partikulären in ein bejahendes allgemeines Urteil also nicht, sondern allgemein darf man ein bejahendes partikuläres Urteil unter Vertauschung des Merkmalsgehaltes des Subjekt- und des Prädikatbegriffs wiederum nur in ein partikuläres Urteil, so z.B. 'Einige Menschen sind sterblich' in 'Einiges Sterbliche ist menschlich', umformen. (Logik §§ 51.- 53., 118 f.) Doch wenn man den Inhalt solcher abgeleiteten partikulären Urteile weiter verdeutlicht und z.B. das Merkmal der Teilklasse der Menschen angibt, denen man hier die Eigenschaft der Sterblichkeit zuspricht, stellt sich heraus, daß sie verkürzte Formulierungen für die Verknüpfung eines partikulären mit einem allgemeinen Urteil sind, von denen das partikuläre Urteil sehr wohl einen Subjektbegriff hat, der weiter ist als sein Prädikatbegriff. So könnte der Subjektbegriff des Urteils 'Einige Menschen sind sterblich' in seinem äußeren Gebrauch zur Unterscheidung einiger sterblicher Menschen von anderen z.B. auf die Klasse der Philosophen bezogen sein, so daß sich dieses Urteil bei näherer Verdeutlichung als eine verkürzte Formulierung der Verknüpfung der Urteile 'Einige Menschen sind Philosophen' und 'Alle Philosophen sind sterblich' erweist. Auf die "rationale Form" (Logik § 21. Anm. 5., 103; vgl. Refl. 3036.) ihrer Verwendung zur Unterscheidung von Gegenständen hin werden
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kategorische Urteile nach dem "Satz vom zureichenden Grund" überprüft. Er ist das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit oder der Rationabilität" kategorischer Urteile (Logik Einl., 51/52) und fordert, daß jedes von ihnen im Verhältnis zu möglichen anderen "Gründe ... und ... nicht falsche Folgen habe" (Logik Einl., 53), d.h. daß alle formal korrekten Kennzeichnungen von Mengen und Teilklassen relativ zueinander der Form hypothetischer Urteile genügen. Da alle formal korrekten universellen Urteile sich unter Vertauschung des Merkmalsgehaltes von Subjekt und Prädikat in partikuläre und sich umgekehrt alle formal korrekten partikulären Urteile unter Vertauschung des Merkmalsgehaltes ihrer Begriffe in universelle Urteile umformen lassen müssen, hätte man bei der Überprüfung solcher Urteile auf ihre formale Korrektheit hin in beiden Fällen dasselbe Verfahren anzuwenden. Man müßte den Merkmalsgehalt seines Subjekt- und seines Prädikatbegriffs in neu zu bildenden unquantifizierten kategorischen Urteilen jeweils irgendwelchen Dingen bestimmter Art zusprechen und prüfen, ob in allen Fällen, in denen der Merkmalsgehalt des einen dieser Begriffe auf Dinge beliebiger bestimmter Art zutrifft, auch der Merkmalsgehalt des anderen Begriffs auf diese Dinge zutrifft, und ob nur in einigen Fällen, in denen der letztere auf sie zutrifft, dies auch von ersterem gilt. Das heißt man hätte mehrere Paare von unquantifizierten kategorischen Urteilen mit jeweils demselben Subjektbegriff zu bilden, die kategorischen Urteile jedes Paares konditional miteinander zu verknüpfen und zu prüfen, ob alle diese konditionalen Verknüpfungen bei der Analyse gegebener Vorstellungen von Gegenständen der Form wahrer hypothetischer Urteile genügen. In dem Urteil 'Alle Menschen sind sterblich' wird also genau dann eine formal korrekte Subklassifikation der Menschen unter die Menge der sterblichen Dinge vorgenommen, wenn in allen Fällen, in denen das Menschsein auf einen der vorgestellten Gegenstände zutrifft, auch die Sterblichkeit auf diese Dinge zutrifft, und wenn umgekehrt nur in einigen Fällen, in denen die Sterblichkeit auf die jeweils vorgestellten Dinge zutrifft, auch das Menschsein auf sie zutrifft. Solche Umformungen kategorischer Sätze in hypothetische Urteile mit bestimmten Vorder- und Nachsätzen dürfen jedoch nur zur Uberprüfung der Korrektheit der quantitativen Form kategorischer Urteile vorgenommen werden. Hypothetische Urteile können die durch sie ihrer Quantität nach verdeutlichten kategorischen Sätze nicht ersetzen, da in beiden Arten von Urteilen etwas anderes behauptet wird. Betrachtet man die entsprechenden kategorischen und hypothetischen Urteile nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Quantität, so scheint es "einerlei zu sein, wenn ich sage: Alle Men-
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sehen sind sterblich, oder wenn etwas ein Mensch ist, so ist es sterblich"; betrachtet man diese Urteile jedoch auch unter modalen Gesichtspunkten, so zeigt sich, daß sie "verschieden" sind, "denn bei d e m zweiten Urteile ist es problematisch, ob etwas sterblich sei"; das "Sterblichsein wird nicht kategorisch behauptet, sondern gilt nur dann, wenn das Menschsein gilt". (Wiener Logik, 934) Die Quantität aller Urteile ist also unter zwei Gesichtspunkten bestimmt. Durch die widerspruchsfreie Kennzeichnung von irgendwelchen Dingen in kategorischen Urteilen erhält jeder Begriff zunächst irgendeinen Umfang. Dieser kann im Einzelfall auch vorläufig angegeben werden, "je nachdem das Subjekt im Urteile entweder ganz von der Notation des Prädikats ein- oder ausgeschlossen, oder davon zum Teil nur ein- zum Teil ausgeschlossen ist" (Logik § 21., 102). Ihren allgemein korrekten relativen Umfang bekommen die in kategorischen Urteilen nur mit Rücksicht auf den gegebenen Fall quantitativ verwendeten Begriffe aber erst durch die Bestimmung der F o r m der logischen Verknüpfung kategorischer Urteile untereinander in hypothetischen Urteilen. Rein formal können Gegenstände relativ zueinander nur in Arten einer jeweiligen Gattung, d.h. in Teilklassen unterschieden werden, deren Merkmale zueinander nach dem Satz vom Widerspruch in ausschließendem Verhältnis stehen. Entsprechend sind alle formal verwendeten Merkmale "koordiniert, sofern ein jedes derselben als ein unmittelbares Merkmal der Sache vorgestellt wird, und subordiniert, sofern ein Merkmal nur vermittelst des anderen an dem Dinge vorgestellt wird" (Logik Einl., 59). Die Untergliederung von Dingen nach Gattungen und Arten in hypothetischen Urteilen kann grundsätzlich beliebig weit geführt werden, "denn eine jede Spezies ist immer zugleich als Genus zu betrachten in Ansehung ihres niederen Begriffs" (Logik §11. Anm., 97; vgl. Refl. 2293.). Einen "niedrigsten Begriff (conceptum infimum) oder eine niedrigste Art, worunter kein anderer mehr enthalten wäre, gibt es in der Reihe der Arten und Gattungen nicht, weil ein solcher sich unmöglich bestimmen läßt. Denn haben wir auch einen Begriff, den wir unmittelbar auf Individuen anwenden: so können in Ansehung desselben doch noch spezifische Unterschiede vorhanden sein, die wir entweder nicht bemerken, oder die wir aus der Acht lassen. Nur komparativ ßr den Gebrauch gibt es niedrigste Begriffe, die gleichsam durch Konvention diese Bedeutung erhalten naben, sofern man übereingekommen ist, hierbei nicht tiefer zu gehen." (Logik § 11. Anm., 97; vgl. Logik Pölitz, 569)
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4. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten Der "Satz des ausschließenden Dritten" oder wie man sinngemäß lesen muß, des 'ausgeschlossenen Dritten', nämlich als "principium exclusi medii inter dúo contradictoria" (Logik Einl., 53), hat nach Kant eine die Verwendung des Prinzips vom zureichenden Grund stützende Funktion. Schließt man nach dem modus tollens aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils und der Falschheit seines Nachsatzes in einem besonderen Fall auf die Falschheit seines Vordersatzes, so ist dies unproblematisch, da die Wahrheit der Folge eine notwendige Bedingung für die Wahrheit jedes ihrer möglichen Gründe ist. Man kann also sicher auf die Falschheit des in dem jeweils verwendeten hypothetischen Urteil erwähnten Vordersatzes schließen, ohne auf alle möglichen Fälle der Wahrheit des Nachsatzes Rücksicht nehmen zu müssen. "Bei der anderen, der positiven oder direkten Schlußart (modus ponens), tritt die Schwierigkeit ein, daß sich die Allheit der Folgen nicht apodiktisch erkennen läßt, und daß man daher durch die gedachte Schlußart nur zu einer wahrscheinlichen und hypothetischwahren Erkenntnis (Hypothesen) geführt wird, nach der Voraussetzung: daß da, wo viele Folg en wahr sind, die übrigen auch alle wahr sein mögen." (Logik Einl., 52; vgl. Refl. 2680., 4. u. 6.) Um nach dem modus ponens aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils und der Wahrheit seines Vordersatzes positiv auf die Wahrheit seines Nachsatzes schließen zu können, muß man bezüglich aller möglichen Vorstellungen von bestimmten Dingen sicherstellen, daß bei Wahrheit des Vordersatzes stets auch der Nachsatz wahr ist, d.h. man muß voraussetzen, daß das verwendete hypothetische Urteil absolut allgemein gilt. Angesichts der unendlich vielen möglichen Vorstellungen von Dingen könnte in den bereits verdeutlichten Fällen die Vorstellung der im Vordersatz zugeschriebenen Eigenschaft jedoch nur zufällig gemeinsam mit der Vorstellung der im Nachsatz zugeschriebenen Eigenschaft aufgetreten sein, wenn sich nämlich in weiteren Fällen zeigen sollte, daß der vermeintliche Grund einmal nicht mit seiner vermeintlichen Folge verbunden ist. Die im Vordersatz zugeschriebene Eigenschaft kann dann keine differentia specifica und das kategorische Urteil kein rationaler hinreichender Grund für die Folge sein, sondern die vorgestellten Gegenstände müssen auf andere Weise klassifiziert werden. Wenn sich aber "alle Folgen, die uns bis jetzt vorgekommen sind, aus dem vorausgesetzten Grunde ... erklären lassen... [,] ist kein Grund
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da, warum wir nicht annehmen sollten, daß sich daraus alle möglichen Folgen werden erklären lassen". (Logik Einl., 85) Nur muß dieser hypothetische Charakter der in den Schlüssen nach dem modus ponens verwendeten hypothetischen Urteile ausdrücklich angegeben werden, und dies ist die Funktion des 'Satzes vom ausgeschlossenen Dritten'. Auf ihm "gründet... die (logische) Notwendigkeit eines Erkenntnisses", daß nämlich in einem kategorischen Urteil relativ zu einem anderen als seinem Grund "notwendig so und nicht anders geurteilt werden müsse, d.i. daß das Gegenteil falsch sei". (Logik Einl., 53; vgl. Refl. 2167.) Dementsprechend wird durch den Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten die Voraussetzung gemacht, daß jeder angenommene Grund in allen möglichen Fällen der Vorstellung von bestimmten Dingen als hinreichender Grund für seine Folge in Frage kommt. Nach dem Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten folgt "aus dem Gegenteil" jedes wahren Grundes auch "die falsche Folge" (Refl. 2185), d.h. die Falschheit des mit dem negierten Vordersatz verknüpften Nachsatzes. Durch diesen Grundsatz wird "das Fürwahrhalten einer Voraussetzung als Grundes" (Logik Einl., 84; vgl. Refl. 2678. u. 2694.) zum Ausdruck gebracht. Da dies eine Voraussetzung ist, "zu deren völliger Gewißheit wir nie gelangen können", wird durch den Satz vom ausgeschlossenen Dritten jedes hypothetische Urteil als "Hypothese" ausgewiesen, der wir uns "ergeben ..., als wäre sie völlig gewiß, obgleich sie es nur durch Induktion ist" (Logik Einl., 85; vgl. Refl. 2675. u. 2676.). Urteile, in denen die Einschlägigkeit und Vollständigkeit einer Menge von Bedingungen als hinreichender Bedingungen für eine Folge vorausgesetzt wird, sind nach Kant ihrer Form nach disjunktive Urteile. Wie die Vorder- und Nachsätze hypothetischer Urteile, so sind auch "die Glieder der Disjunktion insgesamt problematische Urteile ..., von denen nichts anders gedacht wird, als daß sie, wie Teile der Sphäre einer Erkenntnis, jedes des anderen Ergänzung zum Ganzen (complementum ad totum), zusammengenommen, der Sphäre des ersten gleich seien ..., folglich" in jedem Fall "weder außer ihnen etwas anders, noch auch unter ihnen mehr als Eines wahr sein kann" (Logik § 29., 107; vgl. Refl. 3102.). Die in ihnen erwähnten Gründe derselben Folge stehen in disjunktivem, d.h. in ausschließend alternativem Verhältnis zueinander, da "in den disjunktiven Urteilen nicht die Sphäre des eingeteilten Begriffs, ... sondern das, was unter dem eingeteilten Begriffe enthalten ist, als enthalten unter einem der Glieder der Einteilung, betrachtet" wird (Logik § 29. Artm., 108; vgl. Refl. 3096.). Dementsprechend gilt von jedem einzelnen der Dinge, die einer gemeinsamen Gattung angehören, daß es nur jeweils einer ihrer Arten angehören kann. Mit Rücksicht auf
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den Gattungsbegriff schließen sich die Glieder der Einteilung nicht aus, sondern sind einander koordiniert. Sie geben die Merkmale aller in Frage kommenden hinreichenden Gründe für das Zutreffen eines Gattungsmerkmals an und bestimmen damit die Gesamtheit der Teilklassen dieser Gattung. "Nach dem Principium der Ausschließung jedes Dritten (exclusi tertii) ist die Sphäre eines Begriffs relativ auf eine andere entweder ausschließend oder einschließend" (Logik § 22. Anm. 2., 104; vgl. Refl. 3106.), je nachdem, ob man den Umfang eines Artbegriffs mit dem eines anderen oder den Umfang des Gattungsbegriffs mit dem eines ihm subordinierten Artbegriffs vergleicht. Betrachtet man ein Urteil modal, d.h. im "Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt" (B 100), so ist es "der Satz des ausschließenden Dritten..., worauf sich die (logische) Notwendigkeit eines Erkenntnisses gründet - daß notwendig so und nicht anders geurteilt werden müsse, d.i. daß das Gegenteil falsch sei - für apodiktische Urteile" (Logik Einl., 53; vgl. Refl. 2167.). Durch ihn wird das in hypothetischen Urteilen formulierte Verhältnis kategorischer Urteile zueinander als absolut allgemeingültig bestimmt, so daß die in einem kategorischen Urteil durch ein gewisses Merkmal gekennzeichneten Dinge im Unterschied zu anderen durch genau dieses Merkmal gekennzeichnet werden müssen.
5. Die Vollständigkeit der Grundsätze der formalen Logik Die Frage, "Ob und inwiefern es ein sicheres, allgemeines und in der Anwendung brauchbares Kriterium der Wahrheit gebe?" (Logik Einl., 50), wird von Kant also für den Fall der formalen Wahrheit positiv beantwortet. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, der Satz des zureichenden Grundes und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind die "formalen, allgemeinen Kriterien" der Wahrheit (Logik Einl., 51) und reichen nach Kant in Verbindung miteinander zur Bestimmung der formalen Wahrheit eines jeden Urteils hin. Durch den ersten dieser "drei Grundsätze" wird zunächst die "innere Möglichkeit", durch die ersten beiden die "(logische) Wirklichkeit" und durch alle drei Grundsätze insgesamt schließlich die "(logische) Notwendigkeit" von Urteilen bestimmt. (Logik Einl., 52/53; vgl. Refl. 2167.) Kant sieht in den durch diese Grundsätze bestimmten Formen kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Urteile also die elementaren logischen Formen, d.h. die zur Kennzeichnung der formal korrekten Verwendung eines jeden Begriffs
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absolut allgemein notwendigen und insgesamt hinreichenden Urteilsformen. Die Verwendung ihrer Form nach widerspruchsfreier kategorischer Urteile ist die notwendige und hinreichende Bedingung der internen Korrektheit jeder Zu- oder Absprechung irgendeines Merkmals zu bzw. von irgendetwas. Urteile, die dieser Form nicht genügen, können unmöglich in irgendeinem Falle ihrer Verwendung formal korrekt sein. Daß es real möglich ist, irgendeinem existierenden oder nicht existierenden Ding eine Eigenschaft zu- oder abzusprechen, kann in der von jedem Inhalt der Begriffe absehenden Logik nicht vorausgesetzt, sondern nur problematisch angenommen werden. Die Verwendung hypothetischer Urteile ist die notwendige Bedingung der Korrektheit der Verwendung jedes kategorischen Urteils relativ zu anderen bei der Unterscheidung mehrerer Dinge oder Klassen von Dingen. Daß irgendwelche Unterscheidungen anhand mehrerer kategorischer Urteile real möglich sind, kann in der allgemeinen und reinen Logik nicht vorausgesetzt werden, da besondere Kriterien verwendet werden müßten, um kategorische Urteile zu bestimmen und voneinander zu unterscheiden, besondere Kriterien aber unmöglich allgemein gelten können. In hypothetischen Urteilen wird als Urteilen zweiter Stufe nicht die Wahrheit oder Falschheit bestimmter kategorischer Urteile, sondern nur eine bestimmte Form der Abhängigkeit der Wahrheit zweier kategorischer Urteile voneinander behauptet. In bezug auf die beurteilbaren Dinge wird in hypothetischen Urteilen ihrer logischen Form nach lediglich behauptet, daß sich durch kategorische Urteile etwas nur dann von etwas anderem unterscheiden läßt, wenn es in einem dieser Urteile korrekt in seinem Artmerkmal und in einem anderen korrektin seinem Gattungsmerkmal erfaßt werden kann. Die Verwendung disjunktiver Urteile ist die notwendige und hinreichende Bedingung dafür, den bei der Unterscheidung von Dingen verwendeten hypothetischen Urteilen ihre absolut allgemeine Wahrheit zu sichern. Sobald durch ein disjunktives Urteil sichergestellt ist, daß ein kategorisches Urteil als Vordersatz hypothetischer Urteile mit demselben Nachsatz streng alternativ zu bestimmten beliebigen anderen Vordersätzen verwendet werden muß, müssen die Dinge, die in diesem kategorischen Urteil gekennzeichnet werden, notwendig durch das in diesem Urteil verwendete Merkmal von allen anderen unterschieden werden. In disjunktiven Urteilen wird nicht behauptet, daß es real möglich ist, ein Ding oder eine Art von Dingen relativ zu allen Arten einer Gattung zu bestimmen, sondern nur, daß sich etwas nur dann durch ein bestimmtes Merkmal sicher von etwas anderem unterscheiden läßt,
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wenn man es durch dieses Merkmal von allen Dingen anderer Arten derselben Gattung unterscheiden kann. Elementar sind diese Formen nach Kant nicht im Sinne der technischen Unmöglichkeit, sie aus einer Mindestzahl von vorauszusetzenden Funktionen von Begriffen in Urteilen zu generieren, sondern im Sinne der absolut allgemeinen Notwendigkeit ihrer Verwendung, um irgendetwas überhaupt sicher eine unterscheidende Eigenschaft zusprechen zu können. Auch wenn sich Funktionen von Begriffen in Urteilen finden lassen, aus denen man die von Kant genannten Urteilsformen generieren kann, so ist doch damit noch nicht entschieden, ob und welche der möglichen Generierungen komplexer Funktionen man vorzunehmen hätte, um Verwendungen von Begriffen als allgemein korrekte Kennzeichnungen von etwas auszuzeichnen. Die Formen kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Urteile sind hinreichend zur Kennzeichnung der formalen Korrektheit jeder Verwendung eines Begriffs, da es sich bei der allgemeinen reinen Logik um eine streng formale Disziplin handeln muß, die Begriffe nicht in ihren unterschiedlichen Inhalten erfaßt. Kontingent partikuläre Urteile können nach Kant in der allgemeinen und reinen Logik ihrer Form nach nicht berücksichtigt werden, da in ihnen einer unechten Teilklasse von Dingen mehr als eine, d.h. nicht genau ihre unterscheidende Eigenschaft zugesprochen wird, sondern anderweitig unterscheidbare Dinge inhaltlich näher beschrieben werden, irgendwelche voneinander verschiedenen Eigenschaften aber nicht durch ein allgemeines Kriterium erfaßt werden können. Formen möglicher Urteile über Relationen zwischen irgendwelchen existierenden oder bloß eingebildeten Dingen können nach Kant in der allgemeinen und reinen Logik nicht berücksichtigt werden, da dies die Möglichkeit der Verwendung besonderer Kriterien bei der Unterscheidung von Dingen voraussetzen würde. Mit dem Anspruch auf absolute Allgemeingültigkeit können Urteile aber nur in den Formen gekennzeichnet werden, die sie erfüllen müssen, um gegebenenfalls in Verbindung mit anderen zur Unterscheidung irgendwelcher Dinge oder Klassen von Dingen dienen zu können. Es muß also gefordert werden, daß sich jedes widerspruchsfreie Urteil über irgendwelche beliebigen bestimmten Dinge gegebenenfalls durch ein hypothetisches und ein disjunktives Urteil in Beziehung zu einer Kennzeichnung der Gesamtheit der zu unterscheidenden Dinge bzw. zu den Kennzeichnungen der anderen Arten setzen läßt. In der allgemeinen Logik kann nicht vorausgesetzt werden, daß es real möglich ist, irgendein Urteil zu fällen, da jeder wirklich verwendete Begriff einen besonderen Inhalt hat. Nach Kant müssen wir, wie sich
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in der Erörterung der transzendentalen Ästhetik zeigen wird, schon um uns irgendein Urteil als real möglich vorzustellen, die Begriffe der Zeit und des Raumes verwenden und uns denken, ein Urteilender könne sich irgendeiner Empfindung bewußt sein. Doch auch wenn die Verwendung der Begriffe von Raum und Zeit eine notwendige Bedingung dafür ist, uns irgendwelche bestimmten Urteile vorzustellen, so folgt daraus nicht die Unmöglichkeit irgendwelcher anderen, von uns nicht bestimmbaren Urteile irgendwelcher anderen Wesen, die zwar den Prinzipien der Logik, nicht aber den allgemeinen Kriterien unseres realen Vollzugs von Urteilen genügen.
A. III. Reichs Kritik an Jäsches Darstellung von Kants Logik
Da die vorliegende Arbeit sich zur Interpretation der Logik Kants unter anderem auf die Jäsche-Logik stützt, soll auf die Kritik von Reich an Jäsches Darstellung von Kants Logik eingegangen werden. Reich behauptet nicht, daß Jäsche Kants Reflexionen zur Logik im einzelnen falsch wiedergegeben habe, sondern wirft diesem vor, anscheinend unvereinbare Aussagen Kants ohne Klärung ihres systematischen Zusammenhangs oder ohne Rücksicht auf die Korrektur früherer Aussagen durch spätere zusammengestellt zu haben. Es gebe in der JäscheLogik "nicht nur genug schillernde Unklarheiten, sondern selbst Widersprüche, die Jäsche bei der Verarbeitung der ihm vorliegenden, aus fast einem halben Jahrhundert stammenden Notizen Kants für sein Kolleg... stehen" gelassen habe (Reich 1948,21). Reich versucht, seinen Vorwurf der "Inkorrektheit dieses Literaturwerks in der Darstellung von Kants Logik" (Reich 1948,21, Anm.) durch eine Kritik zweier Unterscheidungen der Jäsche-Logik zu belegen. Im Abschnitt IX. ihrer Einleitung müsse "notwendig unklar bleiben, was Wissen, was Gewißheit und was apodiktische Gewißheit ist" (Reich 1948, 22), und betreffs der Einordnung der hypothetischen Schlüsse unter die Vernunft- bzw. die Verstandesschlüsse widersprächen sich "bei Jäsche § 60 Anm. 2 und § 75 Anm. 1 und 2" (Reich 1948,23). Aus dem neunten Abschnitt der Einleitung der Jäsche-Logik greift Reich die Formulierungen auf "Das gewisse Fürwahrhalten oder die Gewißheit ist mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verbunden" (Logik Einl., 66) und "das Wissen ist ein apodiktisches Urteilen" (Logik Einl., 66) und kritisiert an ihnen zunächst den nicht näher erläuterten Übergang von "Fürwahrhalten" zu "Urteilen" (vgl. Reich 1948, 21, Anm.). Dieser
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Übergang aber ist unproblematisch. Aus Kants Reflexion 2474 geht klar hervor, daß das Fürwahrhalten stets Urteile betrifft, nämlich in der "Subsumtion eines Urteils unter objektive Regeln" besteht. In bezug auf diese Formulierung von S. 66 wirft Reich Jäsche weiter eine unzutreffende Identifikation von Gewißheit und apodiktischer Gewißheit vor. Diesen Vorwurf versucht er mit dem nicht ganz wortgetreuen Zitat zu belegen, bei Jäsche heiße "es: 'denn was ich weiß, das halte ich im Urteilen mit Bewußtsein für apodiktisch gewiß, d.i. für allgemein und objektiv notwendig (für alle geltend)'" (Reich 1948, 21, Anm.; vgl. Logik Einl., 66). Aus dieser Erklärung müsse man - offenbar in Verbindung mit der erstgenannten Aussage der Jäsche-Logik, die Gewißheit sei mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit eines Urteils verbunden - schließen, "1.... daß Gewißheit ein mit dem Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit des Urteils verbundenes Fürwahrhalten sein soll, und 2. daß Gewißheit und apodiktische Gewißheit als gleichbedeutende Ausdrücke gelten sollen" (Reich 1948,21, Anm.). Die zweite dieser von Reich behaupteten Konsequenzen folgt in der Tat schon aus der erstgenannten Formulierung Jäsches, "die Gewißheit" sei "mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verbunden" (Logik Einl., 66). Diese Formulierung läßt sich aber mit der Formulierung Kants aus der Reflexion 2473 belegen, "das Fürwahrhalten [,]... mit dem Bewußtsein der subjektiven Notwendigkeit verbunden [,]... heißt Gewißheit". Diese Aussage Kants und die entsprechende Aussage Jäsches wirken nur dann als ungerechtfertigte Identifikationen von Gewißheit und apodiktischer Gewißheit, wenn man nicht beachtet, daß der Begriff der Gewißheit hier als der Begriff einer vollständigen Gewißheit im Unterschied zu einer unvollständigen Gewißheit zu verstehen ist. Diese Unterscheidung aber wird von Jäsche gemacht, wenn er die Gewißheit im selben Abschnitt gegen die "Ungewißheit" abgrenzt, die die "Möglichkeit des Gegenteils" einräumt (vgl. Logik Einl., 66), und sie liegt offenbar auch der Formulierung Kants zugrunde, da dieser lediglich davon spricht, daß das mit dem Bewußtsein der subjektiven Notwendigkeit verbundene Fürwahrhalten Gewißheit "heißt" (vgl. Refl. 2473.). Die erste von Reich behauptete Konsequenz, Gewißheit sei ein mit dem Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit verbundenes Fürwahrhalten, folgt aus der Formulierung Jäsches, was ich "weiß", das hielte ich "für apodiktisch gewiß, d.i. für allgemein und objektiv notwendig" (Logik Einl., 66), nur, wenn man diese Formulierung aus ihrem Zusammenhang reißt und ihren Sinn verkennt. Jäsche identifiziert hier nur die apodiktische Gewißheit unseres Wissens mit der Uberzeugung von der objektiven Notwendigkeit von Urteilen. Unmittelbar vor der von Reich
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aufgegriffenen Formulierung erklärt Jäsche in demselben Satz, daß ich alles, "was ich glaube", zwar "nicht als objektiv", sehr wohl aber "als subjektiv notwendig" auf bestimmte Weise zu beurteilen ansehe (vgl. Logik Einl., 66). Folglich ist auch nach Jäsche nicht jede Gewißheit ein mit dem Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit des Urteils verbundenes Fürwahrhalten, sondern nur die Gewißheit unseres Wissens. Im weiteren widerspricht Reich auch dieser Auffassung. Wenn Jäsche behaupte, daß das für objektiv notwendig gehaltene Urteil auch eine "bloß empirische Wahrheit" sein könne (vgl. Logik Einl., 66), so könne man "nunmehr die Notwendigkeit, deren Bewußtsein mit der Gewißheit verbunden sein soll, unmöglich für eine objektive nehmen", sondern müsse sie "wieder für eine subjektive Notwendigkeit des Fürwahrhaltens halten", (vgl. Reich 1948, 21, Anm.) Reich wirft Jäsche vor, die Reflexion 2474 "nicht verstanden" zu haben, in der es heißt, "bei meinem Erfahrungsurteil [,]... da ist das Fürwahrhalten apodiktisch, obgleich der Satz objektiv zufällig ist" (vgl. Reich 1948,21, Anm.). Aufgrund der Aussage der Reflexion 2473 "das Fürwahrhalten [,]... mit dem Bewußtsein der subjektiven Notwendigkeit verbunden [,]... heißt Gewißheit" und der Aussage der Reflexion 2477 "das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der sowohl subjektiv als objektiv hinreichend ist, ist Wissen", sei "klar, daß die objektive Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens und seine bewußte subjektive Notwendigkeit einerlei sind", (vgl. Reich 1948, 21, Anm.) Dieser Behauptung aber liegt ein Mißverständnis der Reflexion 2474 durch Reich zugrunde. Kant unterscheidet hier ausdrücklich die objektive Zufälligkeit eines Urteils als Ereignis von der Zufälligkeit, es im Falle seiner Bildung nach bestimmten Prinzipien zu bilden: Die "Unterscheidung" des Fürwahrhaltens als notwendig oder als nicht notwendig "betrifft nur die Urteilskraft in Ansehung der subjektiven Kriterien der Subsumtion eines Urteils unter objektive Regeln. Ich frage nur, ob es bei mir ein Meinen sei, d.i. zufällig sei, nicht ob es objektiv zufällig ist". (Refl. 2474.) Zwar tritt jedes bestimmte empirische Erkenntnisurteil im Rahmen unserer Erfahrung insgesamt zufällig auf (B 142; vgl. B 765), da unsere subjektiven Wahrnehmungen als zufällig gelten müssen (B 219), aber jede "Erfahrung" ist "nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich" (B 218). Zwar bedürfen "Wahrnehmungsurteile", die "nur subjektiv gültig sind,... nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt", von jedem Erkenntnisurteil aber ist zu fordern, "daß es auch für uns jederzeit und ebenso für jedermann gültig sein solle" und "notwendige Allgemeingültigkeit" besitzt. (Prol. § 18., 298)
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Die apodiktische Gewißheit, die Kant in der Reflexion 2474 unserem Wissen und somit auch unseren empirischen Erkenntnissen abverlangt, ist also durchaus nicht, wie Reich meint, die bloße "subjektive Notwendigkeit" (Reich 1948,21, Anm.) des Fürwahrhaltens, sondern Jäsche gibt Kants Auffassung völlig richtig wieder, wenn er formuliert, "was ich ... weiß", das "halte ich im Urteilen ... für apodiktisch gewiß, d.i. für allgemein und objektiv notwendig (für Alle geltend), gesetzt auch, daß der Gegenstand selbst, auf den sich dieses gewisse Fürwahrhalten bezieht, eine bloß empirische Wahrheit wäre" (Logik Einl., 66). Reichs Versuch, einen Unterschied zwischen der objektiven Notwendigkeit eines Erkenntnisurteils und der objektiven Zulänglichkeit der in ihm enthaltenen Erkenntnisgründe zu machen und letzteren eine bloß subjektive Notwendigkeit des Fürwahrhaltens dieses Urteils zuzuordnen (vgl. Reich 1948,21, Anm.), trifft nicht Kants Auffassung, da "objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann)" nach Kant "Wechselbegriffe" sind (vgl. Prol. § 19., 298). Eine weitere Unklarheit in bezug auf die Einstufung unseres Wissens als gewiß oder apodiktisch gewiß scheint Reich bei Jäsche vorzuliegen, wenn dieser "nach wenigen Absätzen unter Ziffer 3 'Wissen' eine Einteilung der Gewißheit in empirische und rationale folgen [läßt], in Ansehung deren er bemerkt: 'Die rationale Gewißheit unterscheidet sich von der empirischen durch das Bewußtsein der Notwendigkeit, das mit ihr verbunden ist. Sie ist also eine apodiktische, die empirische dagegen nur eine assertorische Gewißheit'" (Reich 1948, 21, Anm.; vgl. Logik Einl., 71). Einerseits aber läßt sich diese Formulierung Jäsches durch die Reflexion 2475 belegen, in der Kant alles Wissen überraschenderweise als assertorisch gewiß und nur alles Wissen a priori als apodiktisch gewiß einstuft, und andererseits unternimmt Reich nichts, um die entstandene Unklarheit an Hand von Aussagen Kants zu beseitigen. Aufklärung verschafft hier die Reflexion 2479: "Das Fürwahr halten kann apodiktisch sein, ohne daß das Erkenntnis objektiv apodiktisch ist. Jenes ist nur das Bewußtsein, daß man sich unmöglich in der Anwendung ungezweifelt-gewisser Regeln habe irren können, z.B. in der Erfahrung." Als Anwendung bestimmter Regeln bei der Bildung von Urteilen müssen alle, auch unsere empirischen Erkenntnisse von uns ihrer Form nach für apodiktisch gewiß wahr, d.h. für apodiktisch gewiß korrekt gebildet gehalten werden. In bezug auf alle uns real möglichen Erkenntnisse von Gegenständen jedoch ist zu berücksichtigen, daß keine besondere empirische Erfahrung im Rahmen unseres Erkennens notwendig
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auftreten muß. Kant erweitert hier den Gesichtspunkt der Betrachtung von Erkenntnisurteilen über ihre unter gegebenen Bedingungen mit apodiktischer Gewißheit zu wählende Form hinaus auf die Bedingungen ihrer Bildimg und behauptet, daß die hinreichenden Bedingungen empirischer Erkenntnisse im Falle der Realität solcher Erkenntnisse zwar wirklich gegeben sind, keineswegs aber auch im Rahmen jeder möglichen Erfahrung gegeben sein müssen. Erkenntnisurteile, die schon aufgrund von Bedingungen a priori jeder möglichen Erkenntnis gebildet werden können, können nur ihrer begrifflichen Form nach, also nur rational mehr oder weniger gewiß korrekt gebildet sein. Als Erkenntnisse müssen sie apodiktisch gewiß korrekt gebildet sein, und aufgrund ihres Inhaltes a priori sind sie im Rahmen jeder möglichen Erkenntnis in genau ihrer Form formal apodiktisch gewiß wahr. Empirische Erkenntnisse hingegen müssen zwar auch apodiktisch gewiß korrekt gebildet sein, sind aufgrund ihres kontingenten Inhalts aber vor dem Hintergrund aller uns real möglichen Erkenntnisse nur assertorisch gewiß wahr. Daß Jäsche diese Zusammenhänge klar waren, läßt die Tatsache vermuten, daß er die Unterscheidung der apodiktischen rationalen von der assertorischen empirischen Gewißheit in bezug auf "die beiden Quellen, woraus unser gesamtes Erkenntnis geschöpft wird: die Erfahrung und die Vernunft", einführt (vgl. Logik Einl., 70). Der zweite Kritikpunkt, durch den Reich seinen Vorwurf der Inkorrektheit der Jäsche-Logik belegen will, betrifft Widersprüche bei der Einordnung hypothetischer Schlüsse als unmittelbarer Schlüsse bzw. mittelbarer Vernunftschlüsse. Reich weist darauf hin, daß Jäsche im § 60. Anm. 2. erklärt, die kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Schlüsse seien "Produkte gleich richtiger, aber voneinander gleich wesentlich verschiedener Funktionen der Vernunft"; im § 75. Anm. 2. werde aber "im Widerspruch dazu gesagt, daß der hypothetische Schluß eigentlich kein Vernunftschluß, sondern nur ein unmittelbarer Schluß sei, weil er nämlich keinen Mittelbegriff hat" (vgl. Reich 1948,21, Anm.). Dieser Widerspruch zwischen den Aussagen von § 60. Anm. 2. und § 75. Anm. 2. besteht bei Jäsche in der Tat, aber er läßt sich auch in den Reflexionen Kants finden. Einerseits werden die hypothetischen Schlüsse in den Reflexionen 3197,3199 und 3263 und auch in der 'Kritik der reinen Vernunft' in B 361 = A 304 ausdrücklich zu den Vernunftschlüssen gezählt, andererseits aber wird in der Reflexion 3265 gesagt, daß ein hypothetischer Schluß "kein Vernunftschluß" sei, und in der Reflexion 3264 wird erklärt, hypothetische Schlüsse seien "conclusiones immediatae demonstrabiles", die "keinen medium terminum" haben. Auf diese letzteren beiden Reflexionen kann sich Jäsche also für
Reichs Kritik an Jäsches Darstellung von Kants Logik
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seine Formulierung aus § 75. Anm. 2. berufen "Daraus, daß der hypothetische Schluß nur aus zwei Sätzen besteht, ohne einen Mittelbegriff zu haben, ist zu ersehen: daß er eigentlich kein Vernunftschluß sei, sondern vielmehr nur ein unmittelbarer ... Schluß". Zur Klärung dieses Widerspruchs ist zu prüfen, ob und inwieweit sich Kants Auffassung der formalen Struktur hypothetischer Schlüsse im Verlauf seiner philosophischen Arbeit geändert hat. Dies scheint nach dem Zeugnis seiner Reflexionen zur Logik jedoch nicht der Fall zu sein. Vielmehr ist Kant durchgängig der Auffassung, daß hypothetische Schlüsse einerseits keinen Mittelbegriff haben (vgl. Refl. 3197., 3199., 3264.), andererseits aber sehr wohl einen Untersatz besitzen, der "die Verwandlung der problematischen condition" des Obersatzes "in einen kategorischen Satz" sei (Refl. 3263.; vgl. Refl. 3199., 3264., 3265.). Hieraus muß man den Schluß ziehen, daß Kant im Verlauf seiner Uberlegungen das Kriterium der Unterscheidung unmittelbarer Schlüsse von mittelbaren Vernunftschlüssen gewechselt hat. Zur Zeit der Niederschrift der Reflexionen 3264 und 3265 scheint Kant die hypothetischen Schlüsse als unmittelbare Schlüsse eingestuft zu haben, weil sie keinen relativ zu den im Obersatz verwendeten Begriffen neuen Mittelbegriff haben. In allen anderen einschlägigen Reflexionen hingegen (vgl. Refl. 3197., 3199., 3200.) scheint er sie insofern zu den mittelbaren Vernunftschlüssen zu zählen, als sie trotz des Fehlens eines neuen Mittelbegriffs einen Untersatz besitzen. Diese letztere Auffassung vertritt Kant auch in der 'Kritik der reinen Vernunft': "Ist... außer der zum Grunde gelegten Erkenntnis ... noch ein anderes Urteil nötig, um die Folge zu bewirken, so heißt der Schluß ein Vernunftschluß" und zwar im Unterschied zum "unmittelbar[en]... Verstandesschluß" (A 303 = B 360). Reich wirft Jäsche vor, er verwende "in § 75 die Nummern 3263 3265 der Kantischen Reflexionen von 1769/70" und beachte "nicht, daß die in § 60 gestützt auf 3199 (aus dem Ende der 70er oder den 80er Jahren) ausgesprochene Behauptung der Gleichwertigkeit der drei Arten der Vernunftschlüsse jene frühere sie leugnende Betrachtung Kants umwirft"; es sei "wirklich kaum begreiflich", wie Jäsche die Ausschließung der hypothetischen Schlüsse von den Vernunftschlüssen in der Reflexion 3265 "als Kants authentische Lehre abdrucken (und noch gar im Widerspruche zu der vorher richtig dargelegten Sachlage) lassen" könne; der "Begriff des mittelbaren Schlusses" dürfe nach Kant "nur der sein, daß man bei ihm außer der zu Grunde gelegten Erkenntnis noch eines anderen Urteils bedarf, das die Folge vermittelt, nicht aber noch anderer Begriffe, als schon in der ersteren enthalten sind" (vgl. Reich 1948,21, Anm.). Wenn Reich hier auch Kants überwiegende und endgül-
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tige Auffassung des Unterschiedes von mittelbaren Vernunftschlüssen zu unmittelbaren Verstandesschlüssen richtig und nahezu wortgetreu wiedergibt (vgl. B 360), so lassen sich doch auch die von Jäsche in § 60 und in § 75 gemachten Aussagen durch die Reflexionen Kants belegen, und der zwischen ihnen bestehende Widerspruch ist in bezug auf die Gesamtheit der Aussagen Kants durchaus authentisch. Reich selbst nimmt eine - wenn auch im letzteren Falle ganz richtige - Interpretation der Reflexionen Kants vor. Zwar vermittelt die JäscheLogik ebensowenig wie die Reflexionen Kants selbst ein systematisches Bild der Logik Kants, aber sie kann durchaus als Dokumentation der Überlegungen Kants zur Logik gelten, weil sich die meisten ihrer Passagen "wörtlich oder beinahe wörtlich gleichlautend ... in Kants Bemerkungen" finden lassen (aus den Anmerkungen des Herausgebers der Jäsche-Logik, AA Bd. IX, 503). Da sie die vielen Wiederholungen der Reflexionen ausläßt und deren zentrale Aussagen wenigstens thematisch zusammenzieht, ist die Jäsche-Logik technisch erheblich leichter zu handhaben als die Reflexionen selbst, und sie übertrifft die überlieferten Vorlesungsmitschriften bei weitem an Detailliertheit. Bei ihrer Verwendung ist man jedoch stets mit der Aufgabe konfrontiert, den systematischen Zusammenhang der Aussagen Kants zu entdecken und alle ihn tragenden Passagen in den Reflexionen nachzuweisen.
A. IV. Stuhlmann-Laeisz'
Kritik an Kants Begriff der formalen Wahrheit
Auf Kants Konzept der formalen Logik geht von den Arbeiten der modernen Kantliteratur am ausführlichsten die Arbeit von Rainer Stuhlmann-Laeisz aus dem Jahre 1975 "Kants Logik: Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß" ein. Stuhlmann-Laeisz stützt sich für seine Interpretation insbesondere auf Nachschriften zu Kants Logikvorlesungen. Obwohl er sieht, daß diese "streng genommen ... bereits Interpretationen" sind (Stuhlmarun-Laeisz 1975,1), scheint ihm die Verwendung von Vorlesungsnachschriften unumgänglich, da er die Einschätzung von Reich teilt, daß das von Jäsche anhand von Aufzeichnungen Kants zusammengestellte und herausgegebene Kompendium 'Immanuel Kant's Logik' die Lehre Kants nicht korrekt darstellt (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975,1, Anm. 1). Den seines Erachtens von Reich "gegebenen Belegen" für eine inkorrekte Darstellung von Kants Logik durch Jäsche fügt Stuhlmann-Laeisz "die Bemerkung hinzu, daß Jäsches Ausführungen
Stuhlmann-Laeisz' Kritik an Kants Begriff der formalen Wahrheit
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über das Verhältnis zwischen hypothetischem und kategorischem Urteil ganz unverständlich sind" (Stuhlmann-Laeisz 1975,1, Anm. 1). Auf dieses Verhältnis geht Stuhlmann-Laeisz in dem für die formale Logik Kants zentralen Abschnitt seiner Arbeit 'Kants Begriff der formalen Wahrheit' näher ein. Zunächst weist er darauf hin, daß die formale Logik nach Kant in der Übereinstimmung von Urteilen "mit den Gesetzen des Verstandes besteht" (B 350) und diese Gesetze der Satz des Widerspruchs und der Satz des zureichenden Grundes sind (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 61). Schon zu Beginn seiner Arbeit unterzieht Stuhlmann-Laeisz Kants Redeweise von 'Gesetzen' des Verstandes bzw. der Logik einer Kritik. Ganz richtig stellt er fest, daß Kant mit seiner "Abgrenzung der formalen Logik von einer psychologischen Denklehre" in B 78 "jene als eine normative von dieser als einer deskriptiven Wissenschaft unterscheiden" will (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975,11). Die Auffassung von den Prinzipien der formalen Logik "als normativer Denkgesetze" ist seines Erachtens aber "entweder trivial... oder falsch"; in dem einzig angemessenen Sinn, in dem man von normativen Gesetzen der Logik sprechen könne, könne man von jedem beliebigen wissenschaftlichen Gesetz behaupten, daß es normativ gültig sei; auf diese Tatsache habe schon Frege im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Psychologismus in der Logik aufmerksam gemacht (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975,12): "Der Doppelsinn des Wortes 'Gesetz' ist hier verhängnisvoll. In dem einen Sinne besagt es, was ist, in dem andern schreibt es vor, was sein soll. Nur in diesem Sinne können die logischen Gesetze Denkgesetze genannt werden, indem sie festsetzen, wie gedacht werden soll. Jedes Gesetz, das besagt, was ist, kann aufgefaßt werden als vorschreibend, es solle im Einklangdamit gedacht werden, und ist also in dem Sinne ein Denkgesetz. Das gilt von den geometrischen und physikalischen nicht minder als von den logischen." (Frece 8 b 1893, XV) Auch die Logik ist nach Stuhlmann-Laeisz im Grunde aber keine normative Wissenschaft, sondern "vielmehr eine Wissenschaft von Tatsachen", und eine "solche 'logische Tatsache"' sei "z.B., daß Widerspruchsfreiheit eine notwendige Bedingung von Wahrheit ist"; letzteres habe Kant zwar "richtig erkannt", er habe aber "nicht gesehen, daß die Gesetze dieser Wissenschaft sich als Bedingungen nicht der Form von Gedanken, sondern der Form von Aussagen stellen" (vgl. StuhlmannLaeisz 1975,12 f.). Die Auffassung der Logik als Tatsachenwissenschaft, wie sie Stuhlmann-Laeisz vertritt, scheint aber nur im Rahmen eines Piatonismus in
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bezug auf die Gegenstände der Logik möglich zu sein. Wahre Aussagen lassen sich nicht wie die Gegenstände empirischer Wissenschaften relativ unabhängig von der Verwendung der Gesetze der betreffenden Wissenschaft beobachten und erst in einem zweiten Schritt wissenschaftlich beschreiben, sondern schon der Gegenstands-bereich der Wissenschaft der Logik wird durch die Verwendung logischer Prinzipien bestimmt. Schon bei der Auszeichnung wahrer oder falscher Aussagen werden logische Gesetze in Anschlag gebracht und wird jedermann für die ihm möglichen Erkenntnisse der Eigenschaften der formalen Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zumindest vorläufig auf diese Gesetze festgelegt. Die von Kant genannten Grundsätze der Logik sind zwar in gewissem Sinne trivial, aber sie sind keinesfalls, wie StuhlmartnLaeisz von logischen Prinzipien annimmt, "normativ nur in dem trivialen Sinne ..., daß, sofern wir Wahres behaupten wollen, wir unsere Behauptungen so einrichten müssen, daß diese schon als wahr erkannten Sätzen nicht widersprechen" (Stuhlmann-Laeisz 1975,129). Vielmehr sind sie in dem stärkeren Sinne normativ, daß durch ihre Verwendung festgelegt wird, welche Aussagen oder gedanklichen Gebilde überhaupt als wahr gelten können. Der Satz des zu vermeidenden Widerspruchs bezieht sich bereits auf Widersprüche "der Begriffe" eines kategorischen Urteils "untereinander", (vgl. Refl. 2109.) Im Kapitel über Kants Begriff der formalen Wahrheit sucht Stuhlmann-Laeisz nach den Gründen, aus denen Kant über den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch hinaus auch im Satz vom zureichenden Grund ein Kriterium der formalen Wahrheit sieht. Zunächst erklärt er, es sei "typisch für Kants Auffassung von Logik, daß er es für eine logische Forderung hält, wahre Sätze müßten begründet sein"; diese Auffassung habe "ein Analogon in seiner Schlußtheorie:... es ist nach Kant eine logische Forderung an einen korrekten Schluß, daß dieser dazu dient, einen Satz zu beweisen, und umgekehrt stellt er in der Logik an einen wahren Satz die Forderung, bewiesen zu sein" (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 62). Nach dieser Interpretation droht Kant bei der Bestimmung logisch wahrer Urteile aber unweigerlich in einen infiniten Regress zu geraten. Wenn jeder "Syllogismus mit mindestens einer (material) falschen Prämisse" nach Kant falsch ist (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 62), und wenn die logische Wahrheit nach Kant die "conditio sine qua non... aller Wahrheit" ist (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975,12), so kann man wahre Sätze nur aus zumindest logisch wahren Sätzen beweisen, und man könnte nie zur Bestimmung eines logisch wahren Satzes kommen, wenn dieser nur als bewiesener Satz logisch wahr sein könnte.
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Der Satz vom zureichenden Grund fordert nicht, daß jedes logisch wahre Urteil bewiesen sein muß, sondern nur, daß es in "Verknüpfung mit anderer Erkenntnis: a. mit den Gründen, b. mit den Folgen" stehe (Refl. 2174; vgl. Logik Einl., 51), d.h. daß jedes logisch wahre kategorische Urteil als Grund oder als Folge zu einem anderen als Folge bzw. Grund in Beziehung steht. "Als Folge" ist ein kategorisches Urteil logisch "gegründet", wenn es "eine richtige Folge aus wahren Gründen ist", und "als Grund" schon dann, "wenn [es] ein Grund von wahren Folgen ist". (Logik Busolt, 629) Zwar kann man nicht schließen: "wenn keine falsche Folge" aus einem kategorischen Urteil "fließt, ist es wahr", aber "aus dem Inbegriff aller Folgen" kann man nach Kant durchaus "auf einen bestimmten Grund, daß dieser der wahre Grund sei", schließen, (vgl. Refl. 2178.) Schon aufgrund der Wahrheit der Folgen kann also die Wahrheit eines als Grund betrachteten Urteils festgestellt werden. Ein als Grund auftretendes kategorisches Urteil muß also als logisch wahres Urteil nicht seinerseits bewiesen, sondern nur widerspruchsfrei sein und ausschließlich wahre Folgen haben. Die Tatsache, daß Kant die logische Wahrheit eines Satzes sowohl durch seine Widerspruchsfreiheit als auch durch seine "Eigenschaft, begründet zu sein, definiert", läßt nach Stuhlmann-Laeisz "aber noch eine weitere Erklärung zu"; Kant bringe seine formallogische "Wahrheitsauffassung in systematische Nähe zu seiner Konzeption der Modalkategorien", wenn er z.B. in der Reflexion 2181 erkläre: "Logische Möglichkeit: Ubereinstimmung des Erkenntnisses mit sich selbst, Wirklichkeit: Zusammenhang mit anderen gegebenen"; zweifellos verstehe Kant unter der logischen Möglichkeit eines Urteils seine Widerspruchsfreiheit, fraglich sei nur, warum Kant die logische Wirklichkeit eines Urteils gerade dadurch definiere, daß es widerspruchsfrei sei und dem Satz vom zureichenden Grund genüge, (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 63) Auf diese Frage gibt Stuhlmartn-Laeisz folgende Antwort: "Er orientiert sich in seiner Erklärung der beiden ersten logischen Modalitäten (logisch möglich, wirklich) streng an seiner Bestimmung der entsprechenden 'realen' Modalitäten (empirisch möglich, wirklich). Diese Bestimmungen gibt Kant in der K. d. r. V. mit den 'Postulaten des empirischen Denkens'. Er sagt dort über die empirische Wirklichkeit (2. Postulat): 'Was mit den materialen Bedmungen der Erfahrung ... zusammenhängt, ist wirklich' (A 2 1 8 / 26b). Wenn wir hier an die Stelle von 'Erfahrung' das Wort 'Denken' setzen und an die Stelle von 'wirklich' den Ausdruck 'logisch wirklich', dann lesen wir: 'Was mit den materialen Bedingungen des Denkens zusammenhängt, ist logisch wirklich'. Und dieser Satz zieht die in der Logik gegebene Erklärung von logischer Wirklich-
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keit nach sich. Denn vom Standpunkt der formalen Logik aus sind materiale Bedingungen des Denkens Begriffe und Urteile: 'Materie ist in der Logik aas Gegebene.... In kategorischen Urteilen muß das Subjekt und das Prädikat gegeben sein'. T)ie Materie des hypothetischen Urteils besteht... aus zwei Urteilen' (Logik Dohna-Wundlacken, XXIV, S. 764 bzw. S. 765 f.). Und logischer Zusammenhang ist Begründungszusammenhang: '... der Satz des zureichenden Grundes, der Satz des Zusammenhanges' (Wiener Logik, XXIV, S. 828). Schließlich gilt für die logischen wie für die realen Modalitäten, daß Möglichkeit notwendige Voraussetzung von Wirklichkeit ist. Daraus ergibt sich: Ein Satz ist 'logisch wirklich', wenn er a) widerspruchsfrei (also logisch möglich) und b) begründet ist. Genau dies sind nach Kant aber auch die definierenden Bedingungen der logischen (formalen) Wahrheit." (Stuhlmann-Laeisz 1975,63 f.) Diese Interpretation kann aber weder verständlich machen, warum Kant die logische Wirklichkeit eines Urteils gerade durch den Satz vom zureichenden Grund definiert, noch ist sie mit den Aussagen Kants zur formalen Logik vereinbar. Wenn die logische Wirklichkeit eines Urteils davon abhinge, ob es "mit den materialen Bedingungen des Denken zusammenhängt", so müßte ein widerspruchsfreies kategorischen Urteil ohne jede Rücksicht auf seine Verknüpfung mit anderen nach dem Satz vom zureichendem Grund logisch wirklich sein können, denn wenn sein Subjekt- und sein Prädikatbegriff wirklich material gegeben wären, so hinge es mit den materialen Bedingungen zusammen, unter denen es wirklich gedacht werden kann. Die logische Wirklichkeit eines kategorischen Urteils kann jedoch nicht davon abhängen, ob seine Materie gegeben ist, d.h. ob sein Subjekt- und sein Prädikatbegriff gegeben sind, denn nach Kant kann man schon "problematische Urteil[e]... für solche erklären ..., deren Materie gegeben ist mit dem möglichen Verhältnis zwischen Prädikat und Subjekt" (Logik § 30. Anm. 2., 109). Darüber hinaus verstößt Stuhlmann-Laeisz' Interpretation, Urteile erhielten ihre logische Wirklichkeit dadurch, daß ihnen eine Materie gegeben wird, grundsätzlich gegen Kants Auffassung der formalen Logik. Nach Kant ist die formale Logik nämlich gar nicht in der Lage zu beurteilen, ob ein Urteil wirklich eine bestimmte Materie besitzt. "Die allgemeine Logik abstrahiert" als solche vielmehr "von allem Inhalt der Erkenntnis und erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden" (B 102); und da sie "von allem Inhalt des Erkenntnisses durch Begriffe, oder von aller Materie des Denkens abstrahiert: so kann sie den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d.h. ... nicht [erwägen,] wie er durch ein Merkmal ein Objekt bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objekte kann bezogen werden" (Logik § 5. Anm. 1., 94).
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Wenn Kant davon spricht, daß nach Auffassung der formalen Logik "Subjekt und Prädikat die Materie" der kategorischen Urteile und die "kategorischen Urteile ... die Materie der übrigen Urteile" ausmachen (Logik § 24., 105; vgl. B 98/99), so kann dieser Auffassung also nur die bloß problematische Annahme zugrundeliegen, es könnten irgendwelche Vorstellungen zu beurteilender Gegenstände gegeben sein. Ihre logische Wirklichkeit erhalten kategorische Urteile auch bei Annahme des Gegebenseins ihrer Materie erst durch ihren Zusammenhang in hypothetischen Urteilen nach dem Satz des zureichenden Grundes. Nur kategorische Urteile, die "gegründet sind", sind "assertorische" Urteile im logischen Sinne. (Refl. 2176.) Stuhlmann-Laeisz hingegen ist der Ansicht, man dürfe für die logische Wirklichkeit eines Urteils statt materialer keine formalen Bedingungen stellen, da man dann "nicht mehr von Wirklichkeit, sondern nur noch von Möglichkeit sprechen" würde (Stuhlmann-Laeisz 1975, 63 Anm. 6). Der Sinn, in dem der Satz des zureichenden Grundes nach Kant eine notwendige und in Verbindung mit dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs eine hinreichende Bedingung der "logischen Wirklichkeit" eines Urteils ist (vgl. Refl. 2172.), ist bei der Erörterung dieses Satzes bereits erläutert worden: Man verwendet einen Begriff erst dann wirklich formal korrekt, wenn man durch ihn ein beliebiges bestimmtes Ding oder eine Klasse von Dingen von anderen unterscheiden kann. In unzusammenhängenden widerspruchsfreien kategorischen Urteilen kann man irgendwelchen Dingen aber durchaus richtig auch nur solche Eigenschaften zusprechen, durch deren Besitz sie sich nicht voneinander unterscheiden. Durch den Satz des zu vermeidenden Widerspruchs allein kann eine korrekte Verwendung von Begriffen bestimmbaren Umfangs also nicht charakterisiert werden. Erst wenn angegeben wird, in welcher formalen Beziehung widerspruchsfreie kategorische Urteile zueinander stehen müssen, damit eine Unterscheidung von Dingen oder Klassen von Dingen möglich ist, kann man von kategorischen Urteilen sagen, daß in ihnen ein Begriff wirklich so verwendet wird, daß durch ihn ein relativ bestimmtes Ding oder eine relativ bestimmte Klasse von Dingen gekennzeichnet wird; und in diesem Sinne ist der Satz des zureichenden Grundes das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" (Logik Einl., 51/52) und damit der logischen Wirklichkeit kategorischer Urteile. Da Stuhlmann-Laeisz annimmt, Kant bezeichne Urteile als logisch wirklich wahr, deren Materie wirklich gegeben ist, meint er bei Kant die Auffassung zu finden, daß "die Eigenschaft eines Satzes", im Sinne des Satzes vom zureichenden Grund "begründet zu sein, für seine materiel-
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le Wahrheit" im Sinne seiner '"Übereinstimmung mit dem Objekt'... hinreicht" (Stuhlmann-Laeisz 1975,64). Diese Auffassung könne man sich auf folgende Weise verständlich machen: "Wenn ich einen Satz habe, von dem ich nicht weiß, ob er ('materiell') wahr oder falsch ist, zugleich aber andere Sätze kenne, von denen ich dies weiß, dann kann es mir mit Hilfe des 'Satzes vom zureichenden Grunde' gelingen, über Wahrheit oder Falschheit des fraglichen Satzes zu entscheiden, und zwar gelingt mir dies genau dann, wenn ich den fraglichen Satz als hinreichenden Grund für einen der verfügbaren mischen Sätze oder einen der verfügbaren wahren Sätze als hinreichenden Grund für meinen Satz ausweise." (Stuhlmann-Laeisz 1975,64/65) Da sich Kant andererseits aber "auch der Tatsache bewußt" gewesen sei, "daß Beweisfehler, die auf die Falschheit eines Satzes in der Beweiskette zurückgehen, von anderer Art sind als solche, die auf nicht schlüssigen Beweisschritten beruhen", und "diesen Unterschied mit der unglücklichen Redeweise von 'in der Materie' bzw. 'in der Form' falschen Schlüssen (vgl. Logik Philippi, XXIV, S. 472)" mache (Stuhlmann-Laeisz 1975, 65/66), bezeichne er "mit dem Begriff 'wahr'... ganz verschiedene Eigenschaften von Sätzen, nämlich einmal die 'materielle' Wahrheit und zum anderen die Eigenschaft, Konklusion einer formal richtigen Schlußkette zu sein" (Stuhlmann-Laeisz 1975,66). Seine Behauptung, die Eigenschaft eines Satzes, im Sinne des Satzes vom zureichenden Grund begründet zu sein, sei nach Kant hinreichend für seine materiale Wahrheit, macht Stuhlmann-Laeisz an der Formulierung der Logik Busolt fest: '"hingegen ist bei der Wahrheit ... die Gründlichkeit aber ein hinreichendes Zeichen derselben' (XXIV, S. 629)" (Stuhlmann-Laeisz 1975, 64). "Aus dem Zusammenhang" dieses Zitats gehe hervor, "daß 'Wahrheit' hier im Sinne von 'Ubereinstimmung mit dem Objekt' gemeint" sei, und daraus folge, "daß hierfür die Bedingungen der formalen Wahrheit genügen" sollen, (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 64) Aus dem Zusammenhang dieses Zitat geht jedoch eindeutig hervor, daß Kant hier von der formalen logischen Wahrheit spricht, und an vielen Stellen seines Werkes betont Kant nachdrücklich, daß die hinreichenden Kriterien der formalen Wahrheit nicht hinreichen, die Ubereinstimmung eines Urteils mit seinem Gegenstand, d.h. seine objektive Gültigkeit zu beurteilen. Zu Beginn des Abschnitts "Von der Wahrheit", aus dem die von Stuhlmann-Laeisz zitierte Formulierung stammt, ist in der Logik Busolt zwar von der Wahrheit als "Übereinstimmung des Erkenntnisses mit dem Objekt" die Rede, im Anschluß an die Erörterung der Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der
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Wahrheit konzentriert sich die Betrachtung aber auf die "bloß formale nicht materiale allgemeine Kriteria der Wahrheit" in der Logik (vgl. Logik Busolt, 627), und die Auflistung dieser Kriterien, aus deren unmittelbar folgender Kommentierung das Zitat stammt, beginnt mit den Worten: "Die formale wesentliche Kenntnisse der Wahrheit sind:..." (Logik Busolt, 629). Die im folgenden wiedergegebenen formalen Kennzeichen der Wahrheit entsprechen eindeutig den z.B. in den Reflexionen zur Logik 2137,2174 und 2182 angegebenen Kriterien der "logische[n] Beurteilung der Wahrheit und Falschheit an sich selbst zum Verstände überhaupt" (Refl. 2174.), und diese werden von Kant durchgängig als notwendige, aber nicht hinreichende Kriterien der Beurteilung der objektiven Gültigkeit von Urteilen eingeschätzt (vgl. z.B.: Refl. 2155., 2162., 2177.; Logik Einl., 51; A 59 = B 83/84). Kant verwendet also durchaus einen eindeutigen Begriff der formalen Wahrheit. Unter diesen fallen jedoch nicht nur analytisch wahre oder tautologische Urteile, deren wahrheitsvalente Eigenschaften sich in solchen erschöpfen, die vollständig durch die Kriterien der logischen Wahrheit erfaßt werden können, sondern alle Urteile, in denen irgendwelche Dinge nach Gattungen und Arten unterschieden werden, und selbstverständlich alle Urteile, die objektive Gültigkeit besitzen. Kants Auffassung der logischen Notwendigkeit scheint StuhlmannLaeisz "weder in formal- noch in transzendentallogischer Hinsicht eindeutig" (Stuhlmann-Laeisz 1975,67). Zunächst weist er darauf hin, daß Kant in der Einleitung zur zweiten Auflage der 'Kritik' in B 3 zwischen notwendigen und "schlechterdings" notwendigen Sätzen unterscheidet (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 67): "Findet sich also erstlich ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, so ist er ein Urteil a priori; ist er überdem aucn von keinem abgeleitet, als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist, so ist er schlechterdings a priori". (B 3) Wie aus der Definition des Schlusses in der Reflexion 3201 hervorgehe, bezeichne Kant in der formalen Logik zumindest alle aus wahren Prämissen abgeleiteten Sätze als notwendig: "Vernunftschluß ist das Erkenntnis der Notwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner Bedingung unter eine gegebene allgemeine Regel." (vgl. StuhlmannLaeisz 1975,67) Diese Auffassung Kants sei jedoch nicht zutreffend, da nicht alle Konklusionen aus wahren Prämissen notwendig wahr seien, sondern nur solche, deren Prämissen bereits diese Eigenschaft besitzen, und solche notwendig wahren Prämissen könnten in formallogischer Hinsicht nur der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch und aller aus
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ihm ableitbaren Sätze sein. (Stuhlmann-Laeisz 1975, 67/68) Diese Fehleinschätzung könne auch nicht dadurch korrigiert werden, daß man zwischen schlechterdings notwendig wahren Sätzen, d.h. nach Stuhlmann-Laeisz Sätzen, die aus logischen Gründen wahr sind, und Sätzen unterscheidet, die aus empirischen Gründen wahr sind, und den letzteren eine "bedingte" Notwendigkeit zuspricht (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 68): "Diese Unterscheidung unterstellt nämlich, daß ein 'bedingt' notwendiger Satz genauso notwendig ist wie ein 'schlechterdings' notwendiger, wenn nur die betreffenden Bedingungen erfüllt smd. Da man aber jeden wahren Satz als Konklusion aus einer wahren Prämisse darstellen kann - nämlich dem Satz selbst ist dieser Auffassung zufolge jeder wahre Satz 'schlechterdings' notwendig wahr. Dies ist aber der Sache nach falsch. Der Satz: 'Gottingen liegt an der Leine' ist nicht etwa deshalb notwendig wahr, weil der Schluß: 'Göttingen liegt an der Leine; also liegt Gottingen an der Leine' gilt und seine Prämisse wahr ist." (Stuhlmann-Laeisz 1975,68/69) Daß Stuhlmann-Laeisz die Erklärungen Kants zur logischen Notwendigkeit falsch erscheinen, liegt daran, daß er nicht hinreichend zwischen bedingter und unbedingter Notwendigkeit sowie zwischen objektiver und logischer Wahrheit im Sinne Kants unterscheidet. Kant behauptet keineswegs, daß bedingt notwendig wahre Sätze bei Wahrheit ihrer Bedingungen genauso notwendig wahr sind wie unbedingt notwendig wahre, sondern er behauptet lediglich, daß bedingt notwendig wahre Sätze unter Voraussetzung der Wahrheit ihrer Gründe aus rein logischen Gründen, d.h. notwendig wahr sind, insoweit ihre Gründe wahr sind. In diesem Sinne sind z.B. alle analytisch wahren Urteile mit einem aufgrund von Erfahrungen gewonnenen Subjektbegriff nur bedingt notwendig wahre, nämlich nicht-reine Urteile a priori (vgl. B 3 u. Prol. § 2., 267). Hierbei kommt es aber gar nicht darauf an, daß der Subjektbegriff eines solchen Urteils wirklich objektive Gültigkeit besitzt, sondern lediglich darauf, daß die Eigenschaft, die einem Subjekt z.B. in einem bejahenden analytischen Urteil zugesprochen wird, "im Begriffe des Subjekts schon wirklich ... gedacht war" (Prol. § 2., 266). Entsprechend käme es auch für die bedingt notwendige Wahrheit des Satzes 'Göttingen liegt an der Leine' nicht darauf an, daß dieser Satz als seine eigene Prämisse empirisch wahr ist, sondern darauf, daß er als widerspruchsfreies Urteil vorausgesetzt wird. Folglich würde auch mit der bedingt notwendigen Wahrheit dieses Satzes im formallogischen Sinne nicht seine notwendige objektive Gültigkeit, sondern nur seine, unter Voraussetzung der formalen Wahrheit der Prämisse notwendige,
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formale Wahrheit als kategorisches Urteil behauptet. "Die Modalität der Urteile" trägt nach Kant "nichts zum Inhalte des Urteils" bei, sondern betrifft "nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt" (B 99/100). Selbstverständlich schließt ein Syllogismus "nicht... auf die Notwendigkeit des Schlußsatzes" (Stuhlmann-Laeisz 1975,69), sondern eben auf die Wahrheit eines Satzes bestimmter Form und bestimmten Inhalts, aber jeder korrekte "Vernunftschluß" insgesamt kann doch als die "Erkenntnis" zumindest der bedingten "Notwendigkeit eines Satzes" gelten (vgl. Refl. 3201.). Werden die Bedingungen der Wahrheit eines Satzes hingegen nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern weitet sich die modale Betrachtung eines Urteils in seinem formallogischen oder transzendentallogischen Zusammenhang auch auf sie aus, kann es sein, daß ein bedingt notwendig wahrer Satz sich als im allgemeinen nur wirklich wahrer Satz herausstellt, nämlich wenn die Prämissen seiner formallogischen Wahrheit oder die Bedingungen seiner objektiven Gültigkeit lediglich wirklich wahr bzw. erfüllt, aber nicht a priori gegeben sind. Das heißt aber nicht, daß bei Kant begrifflich "die 'bedingte Notwendigkeit' mit der 'formalen Wahrheit' bzw. 'logischen Wahrheit' zusammen[fällt]" (StuhlmannLaeisz 1975, 69). Im Sinne einer solchen Ausweitung der modalen Betrachtung ist der von Stuhlmann-Laeisz angeführte Wechsel in der modalen Einstufung transzendentallogisch wahrer Erkenntnisse als bedingt notwendig bzw. wirklich wahr zu verstehen, der bei Kant vorliegt, wenn er einerseits sagt, es sei "nicht das Dasein der Dinge (Substanzen), sondern ihres Zustandes, wovon wir allein die Notwendigkeit erkennen können, und zwar aus anderen Zuständen, die in der Wahrnehmung gegeben sind," (B 279 f.) und in B 272 andererseits behauptet, "die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstand selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung" (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 70). Als transzendentallogisch bedingt notwendig lassen sich bei Gegebensein der Bedingungen ihrer Erkenntnis in der Form von Wahrnehmungen lediglich besondere Zustände einer Substanz erkennen. Erstreckt sich die Erkenntnis aber auch auf das Dasein der Gegenstände selbst und schließt sie das durchgängige Bewußtsein unserer Wahrnehmungen ein, so kann dies, ebenso wie unsere Wahrnehmungen, nur als wirklich erkannt werden. Wenn Kant anscheinend behauptet, daß "der Zustand eines physikalischen Objekts in einem bestimmten Zeitpunkt ... deshalb ein notwendiger" sei, "weil er auf einen anderen Zu-
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stand nach einem notwendigen Gesetz folgt" (vgl. Stuhlmann-Laeisz 1975, 70), so ist dies genauer so zu verstehen, daß die Realität eines solchen Zustandes nach transzendentallogischen Gesetzen a priori als bedingt notwendig erkannt werden kann, wenn die Bedingungen dieser Erkenntnis erfüllt sind und d.h. auch eine Wahrnehmung dieses neuen Zustandes gegeben ist. Den logischen Grundsatzes vom ausgeschlossenen Dritten behandelt Stuhlmann-Laeisz in seiner Arbeit nicht. In den Reflexionen Kants wird aber gerade dieser Grundsatz als Kriterium der notwendigen logischen Wahrheit von Urteilen angeführt (vgl. Refl. 2165., 2167., 2176., 2178., 2185.). Nach Kant ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten das Kriterium formal wahrer disjunktiver Urteile (vgl. Refl. 2167., 2178.), und die Form disjunktiver Urteile zählt auch nach der Urteilstafel der 'Kritik der reinen Vernunft' zu den elementaren Urteilsformen a priori (vgl. A 70 = B 95). Es fragt sich also, wie eine Verwendung disjunktiver Urteile zur notwendigen formalen Wahrheit von Urteilen führen kann, und wie das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten die Form disjunktiver Urteile bestimmt. In der Reflexion 2178 wird das "principium exclusi medii inter 2 contradictoria" bei der Erörterung des Problems eingeführt, aus der Wahrheit einer Folge auf einen bestimmten wahren Grund zu schließen. Zunächst wird erklärt: "Aus der Folge läßt sich zwar auf einen Grund schließen, aber ohne ihn bestimmen zu können". Für diese Behauptung kann sich Kant auf den Satz vom zureichenden Grund berufen. Wenn jede wahre Folge irgendeinen für ihre Wahrheit hinreichenden wahren Grund haben muß, aber kein Grund eine notwendige Bedingung der Wahrheit seiner Folge ist, so kann aus der Wahrheit einer Folge nur auf die Wahrheit irgendeines Grundes geschlossen werden. Im nächsten Satz jedoch behauptet Kant unvermittelt, "aber aus dem Inbegriff aller Folgen allein" lasse sich "auf einen bestimmten Grund" schließen, d.h. darauf, "daß dieser der wahre Grund sei" (Refl. 2178.). Diese Behauptung bezieht sich auf eine andere als die oben bestrittene Möglichkeit. Das Problem besteht nicht mehr darin, aus der Wahrheit eines bestimmten kategorischen Urteils auf die Wahrheit eines anderen zu schließen, durch das das erstere dann begründet werden könnte, sondern das erstere Urteil wird als durch ein wahres Urteil begründetes Urteil, nämlich als Folge, vorausgesetzt, und es wird das Problem vorgelegt zu entscheiden, welcher seiner verschiedenen möglichen Gründe in einem bestimmten Falle seiner Wahrheit der hinreichende Grund seiner Wahrheit ist. Es soll darauf geschlossen werden, daß ein bestimmter Grund "der
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wahre Grund sei", und "aus dem Inbegriff aller Folgen" soll dieser Schluß durchaus möglich sein. Fraglich bleibt zunächst, wie es in der formalen Logik, d.h. ohne Berücksichtigung des besonderen Inhalts kategorischer Urteile, möglich sein soll, eine Gesamtheit gleicher Folgen verschiedener hinreichender Gründe zu charakterisieren. Zwar kann mit formallogischen Mitteln keine absolute oder bestimmte Gesamtzahl aller Fälle der Wahrheit eines bestimmten Urteils angegeben werden, aber der Satz vom zureichenden Grund bietet nach Kant die Möglichkeit, die Gesamtheit aller wahren Folgen relativ zur unbestimmten Anzahl ihrer wahren Gründe zu bestimmen. Wenn jede wahre Folge nach dem Satz vom zureichenden Grund irgendeinen wahren Grund haben muß, der eine hinreichende Bedingung der Wahrheit dieser Folge ist, muß die Häufigkeit aller Fälle der Wahrheit einer Folge nämlich identisch mit der Gesamtheit der Häufigkeiten ihrer jeweils hinreichenden wahren Gründe sein. Wenn es also möglich wäre, alle unbestimmt vielen wahren hypothetischen Urteile mit demselben Nachsatz und jeweils verschiedenen nicht konditional miteinander verbundenen Vordersätzen zu erfassen, so hätte man damit einen seinem Umfang nach relativ bestimmten "Inbegriff aller Folgen" bestimmter Art gewonnen. Notwendig zur Bildung dieses Inbegriffs ist jedoch die Voraussetzung, daß jeder der erfaßten hinreichenden Gründe der betreffenden Folge schon für sich genommen ein hinreichender Grund der Wahrheit dieser Folge ist, d.h. es muß vorausgesetzt werden, daß der die Folgen charakterisierende Nachsatz nicht nur in jedem Falle wahr ist, in dem einer seiner möglichen Vordersätze wahr ist, sondern er muß in jedem Falle ausschließlich auf Grund genau eines dieser Vordersätze wahr sein. Würde man sich darauf beschränken zu fordern, daß der Nachsatz in jedem Falle der Wahrheit mindestens eines Vordersatzes wahr sein muß, könnte man nämlich nicht ausschließen, daß kategorische Urteile als Vordersätze auftreten, deren Wahrheit nur deshalb gemeinsam mit der Wahrheit des Nachsatzes vorliegt, weil sie nur vermeintliche Gründe der Folge erfassen, die unentdeckt mit einem bereits berücksichtigten und schon für sich hinreichenden Grund verbunden sind. Der vermeintliche Grund einer bestimmten Folge könnte dann aber ein hinreichender Grund einer ganz anderen, unbeachteten Folge sein. Solange dies nicht ausgeschlossen werden kann, könnte die durch eine Gesamtheit von Gründen angegebene Menge von Folgen auch Folgen ganz anderer Art einschließen, und der vermeintliche Inbegriff könnte somit einen zu großen Umfang haben. Jeder der erfaßten Gründe muß also streng alternativ zu jedem anderen als schon für sich hinreichender Grund der betref-
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fenden Folge fungieren können, um durch die Gesamtheit der ersteren die relative Größe der Gesamtheit der letzteren bestimmen zu können. Dieses Verhältnis der Folgen bestimmter Art zu ihren möglichen jeweils hinreichenden Gründen wird in disjunktiven Urteilen behauptet. Ein disjunktives Urteil enthält "ein Verhältnis zweier oder mehrerer Sätze gegeneinander, aber nicht der Abfolge, sondern der logischen Entgegensetzung, sofern die Sphäre des einen die des anderen ausschließt, aber doch zugleich der Gemeinschaft, insofern sie zusammen die Sphäre der eigentlichen Erkenntnis erfüllen, also ein Verhältnis der Teile der Sphäre eines Erkenntnisses, da die Sphäre eines jeden Teils ein Ergänzungsstück der Sphäre des anderen zu dem ganzen Inbegriff der eingeteilten Erkenntnis ist". (B 99; vgl. Logik §§ 27 - 29., 106 ff.) Fungiert von einer beliebigen vollständigen Anzahl verschiedener wahrer kategorischer Urteile jedes streng alternativ zu jedem anderen als hinreichender Grund der Wahrheit desselben Nachsatzes, so kann man in jedem Falle der Wahrheit eines dieser Urteile und des betreffenden Nachsatzes diesen und nur diesen Grund als hinreichenden Grund der Folge angeben, und man muß die im jeweiligen Vordersatz gekennzeichnete Teilklasse der Gesamtmenge von Dingen, die die "Sphäre" des disjunktiv "eingeteilten Begriffs" ausmachen (vgl. Logik § 29. Anm., 108), durch genau den in diesem Vordersatz verwendeten Begriff von den anderen Teilklassen unterscheiden. Der Prädikatbegriff jedes dieser disjunktiv wahren kategorischen Urteile wird in bezug auf sein Subjekt also nicht nur möglicherweise oder wirklich, sondern notwendig korrekt zur unterscheidenden Kennzeichnung dieses Subjekts verwendet, und man kann aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils und der Wahrheit seines Vordersatzes in jedem Falle sicher auf die Wahrheit seines Nachsatzes schließen. Dieser disjunktiven Ordnung kategorischer Urteile dient der Satz des ausgeschlossenen Dritten. Er drückt "das Fürwahrhalten einer Voraussetzung als Grundes" aus (vgl. Logik Einl., 84), indem er als "Princip i u m ... disjunctionis" (Refl. 2167.) von jedem der mit demselben Nachsatz konditional verknüpften kategorischen Urteilen fordert, daß es bei Wahrheit des Nachsatzes entweder als einziges wahr oder falsch ist; und hierdurch bewirkt er, daß kein anderer der möglichen Vordersätze jenseits unseres Wissens den eigentlichen hinreichenden Grund der betreffenden Folge angibt. Nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten muß in jedem Fall, in dem man den hinreichenden Grund für eine Folge angeben kann, "die falsche Folge aus dem Gegenteil" (Refl. 2185.), d.h. aus der Negation des angeführten Grundes die Falschheit des die Folge charakterisierenden Urteils folgen; und so kann man
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mit seiner Hilfe darauf schließen kann, daß der angeführte Grund "der wahre Grund" (Refl. 2178.), d.h. der im gegebenen Fall einschlägige Grund der betreffenden Folge ist. In dieser Funktion ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten das logische Kriterium dafür, daß formal korrekt "notwendig so und nicht anders geurteilt werden müsse ...[,] für apodiktische Urteile" (Refl. 2176.; vgl. Logik Einl., 53).
A. V. Zur Kritik an Kants Konzept der formalen Logik vom Standpunkt der modernen Logik 1. Kritik an Kants Konzept analytischer Urteile Kants Konzept der formalen Logik ist seit dem Auftreten der modernen Prädikatenlogik unter deren Gesichtspunkten kritisiert worden. Schon Frege hat Kant vorgeworfen, "den Wert der analytischen Urteile offenbar - wohl in Folge einer zu engen Begriffsbestimmung - unterschätzt" zu haben (Frege 1884, § 88., 99). Wenn man Kants Definition des analytischen Urteils zugrundelege, so sei "die Einteilung in analytische und synthetische Urteile nicht erschöpfend"; Kant denke hierbei "an den Fall des allgemeinen bejahenden Urteils"; in bezug auf dieses könne man zwar "von einem Subjektbegriff reden und fragen, ob der Prädikatsbegriff in ihm - zufolge der Definition - enthalten sei. Wie aber, wenn das Subjekt ein einzelner Gegenstand ist?, wie, wenn es sich um ein Existenzialurteil handelt?"; dann könne "in diesem Sinne gar nicht von einem Subjektbegriff die Rede sein", (vgl. Frege 1884, § 88., 100) Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist nach Kant zwar "das allgemeine und völlig hinreichende Kriterium aller analytischen Erkenntnisse" (B 191); er ist es aber nur unter Voraussetzung der "Materie", d.h. des Subjekt- und des Prädikatbegriffs dieser Urteile (vgl. Logik § 24., 105). "Analytische Sätze heißen" nach Kant "solche, deren Gewißheit auf Identität... das Prädikats mit der Notation des Subjekts ... beruht" (Logik § 36., 111). Nur unter der Voraussetzung, daß das Prädikat eines kategorischen Urteils schon als einer der "Teilbegriffe", aus denen sich sein Subjektbegriff zusammensetzt, in diesem enthalten ist (B 11), soll der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch hinreichen, zu entscheiden, daß dieses Urteil ein analytisch wahres Urteil ist. Alle Begriffe aber, folglich auch die Teilbegriffe, aus denen sich ein Subjektbegriff zusammensetzt, können einander formal "zum Ganzen" eines "Begriffs" koordiniert oder subordiniert sein (vgl. Logik Einl., 59), und die "Syn-
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thesis" oder "Analysis" dieser Koordination oder Subordination geschieht in hypothetischen und disjunktiven Urteilen, in denen kategorische Urteile einander als Gründe und Folgen nachgeordnet bzw. als Gründe beigeordnet werden (vgl. Logik Einl. 59 f.). Jeder "äußere Gebrauch" von Begriffen bei der "Veigleichung" von Dingen (Logik Einl., 58) muß über den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch hinaus dem Satz des zureichenden Grundes als dem "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit oder der Rationabilität" von Urteilen (Logik Einl., 51/ 52) genügen. Kant denkt sich einen Begriff also keineswegs nur durch "beigeordnete Merkmale bestimmt" (Frege 1848,100), wie Frege annimmt, sondern schon der Subjektbegriff eines kategorischen Urteils kann sich aus konditional oder disjunktiv miteinander verbundenen Teilbegriffen zusammensetzen und in seinem Merkmalsgehalt folglich durch Urteile dieser Form zu verdeutlichen sein. Partikuläre Urteile fallen also keineswegs aus Kants Unterscheidung synthetischer und analytischer Urteile heraus, sondern es kann kategorische Urteile geben, die sich aufgrund der internen formalen Struktur ihres Subjektbegriffs durch Verwendung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch als analytisch wahre partikuläre Urteile erweisen lassen. So würde es sich z.B. bei dem Satz 'Einige Eltern sind Mütter' um ein analytisch wahres partikuläres Urteil handeln, wenn man unter Eltern die Gesamtheit von Vätern und Müttern versteht, d.h. voraussetzt, daß es hinreicht, entweder Mutter oder Vater zu sein, um Elternteil zu sein. Als Existenzbehauptungen können partikuläre Urteile nach Kant in der formalen Logik nicht behandelt werden, da dies die Entscheidbarkeit ihrer objektiven Gültigkeit in bezug auf eindeutig unterscheidbare Gegenstände und somit die Verwendung besonderer, inhaltlicher Kriterien voraussetzt (vgl. Logik § 5. Anm. 1., 94). Singuläre Urteile sind nach Kant in der formalen Logik vielmehr entsprechend den allgemeinen zu behandeln, obwohl ihr Subjektbegriff im Unterschied zu dem allgemeiner Urteile keinen näher differenzierbaren Umfang hat, da dies nur anhand des besonderen Merkmalsgehaltes ihres Subjektbegriffs festgestellt werden kann und sie ansonsten mit den allgemeinen Urteilen gemeinsam haben, daß auch ihr Subjekt ausnahmslos unter ihren Prädikatbegriff fällt (vgl. Logik § 21. Anm. 1., 102).
2. Zweifel an der Vollständigkeit der Urteilstafel Widerspruch hat insbesondere der Anspruch Kants gefunden, seine Urteilstafel sei eine vollständige Liste untereinander systematisch
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zusammenhängender elementarer Urteilsformen (vgl. B 89). So sieht Patzig die "an eine Urteilstafel als ein System der möglichen Aussageformen" zu stellenden "naheliegenden Forderungen" nach "Vollständigkeit" und "Formalität der Einteilung" und nach "Koordination der Einteilungsgesichtspunkte... von Kants Urteilstafel nicht erfüllt" (Patzig 1976,42). Vollständig sei sie nicht, da sich "Beziehungsurteile etwa der Form 'zu jeder Zahl gibt es eine größere Zahl'" keiner der in ihr genannten Formen zuordnen ließen, (vgl. Patzig 1972,42) Dieser Vorwurf wäre berechtigt, wenn Kant beanspruchen würde, daß sich aus den von ihm genannten Urteilsformen alle Formen beliebiger wahrer Urteile direkt entwickeln lassen. Nach Kant können Beziehungsurteile aufgrund der Urteilsformen a priori jedoch nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, daß dem Urteilenden in seiner sinnlichen Anschauung eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsinhalten bestimmter Art gegeben ist, anhand derer sich besondere Begriffe verschiedener zueinander in Beziehung stehender Dinge bilden lassen. Die formale Logik sieht nach Kant "von allem Inhalt der Erkenntnis" ab (B 102) und kann die Möglichkeit, Begriffe bestimmter verschiedener Einzeldinge zu bilden, nicht voraussetzen. Die transzendentale Logik, zu der die von Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft' aufgestellte Urteilstafel gehört (vgl. B 97), hat zwar "ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen" (B 102) und erfaßt auch die Form von Urteilen über irgendwelche Einzeldinge, auch sie läßt aber "unbestimmt", "wie" dieses Mannigfaltige "gegeben sein müsse" (B 145) und reicht somit nicht hin zu beurteilen, ob wirklich Urteile über Einzeldinge gebildet werden können. Eine zu der Einhaltung der Urteilsformen hinzukommende Mindestvoraussetzung für die Bildung von Beziehungsurteilen selbst der Art des oben genannten mathematischen Beispiels ist nach Kant die Anschauung a priori der Zeit. Selbst Größenverhältnisse zwischen beliebigen Zahlen können wir nach Kant nur beurteilen, indem wir einen beliebigen Teil des in der Anschauungsform der Zeit gegebenen Mannigfaltigen als willkürlich gewählte Ausgangsgröße methodisch kontrolliert in der Zeit durch eine bestimmte Anzahl bewußter gedanklicher Operationen zu einem bestimmten Vielfachen vermehren oder zu einem bestimmten Anteil verringern, (vgl. B182 u. B 745) Die Vorstellung jeder Zahl schließt die Vorstellung eines solchen methodischen Verfahrens ein (vgl. B 182), und diese Verfahren lassen sich potentiell unendlich fortsetzen, weil uns in der Anschauung der Zeit ein unseres Wissens potentiell unendliches Mannigfaltiges gegeben ist (vgl. B 47/48). Eine Logik, die sich auf die Berücksichtigung der Formen von Beziehungsurteilen ma-
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thematischer Art beschränken würde, könnte nach Kant zwar eine reine Logik a priori sein, ebenso wie die Mathematik nach Kant eine reine Wissenschaft a priori ist. Sie hätte aber keine bloßen Formen der Verwendung beliebiger Merkmale zum Inhalt und besäße nicht denselben Allgemeingültigkeitsgrad wie die formale Logik im Sinne Kants, da wir uns von ihr nicht denken müßten, daß sie auch für Urteile gilt, durch die irgendetwas, bei dem es sich möglicherweise noch nicht einmal um ein bestimmtes Einzelding handelt, in irgendwelchen Eigenschaften von etwas anderem unterschieden wird.
3. Zweifel an der Formalität der Urteilstafel Dem Anspruch der Formalität genügt die Urteilstafel Kants nach Patzig nicht, da eine Unterscheidung der "Modalität der Urteile nicht eine solche nach bloß formalen Kriterien ist"; so lasse sich ein Urteil wie "Alle Körper sind ausgedehnt", das nach Kants eigener Auffassung ein apodiktischer Satz sei, formal nicht von einer Aussage wie "Alle Walfische sind Säugetiere" unterscheiden (Patzig 1976,42). Eine modale Unterscheidung von Urteilen könne nicht subjektivistisch nach Maßgabe der Grade der "Einverleibung des Urteils in den Verstand" ( B 101), sondern nur in bezug auf die objektive Gültigkeit von Urteilen getroffen werden, da sie sonst der subjektiven Beliebigkeit überlassen bleibe; Kants Unterscheidung der Urteilsmodalitäten sei eine weitergehende, erkenntnistheoretische Unterscheidung, die sich nicht allein aufgrund der Form von Aussagen treffen lasse, (vgl. Patzig 1976,43) In der Tat wird der Satz, "daß ein Körper ausgedehnt sei", von Kant unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten als apodiktisch gewiß wahres Urteil eingestuft, denn seines Erachtens ist der Begriff eines Körpers als eines einzelnen ausgedehnten Gegenstandes eine notwendige Bedingung jeder Erkenntnis realer Dinge, so daß im Rahmen jeder möglichen Erfahrung "alle Bedingungen zu meinem Urteile schon in dem Begriffe" eines Körpers gegeben sind, "aus welchem ich das Prädikat nach dem Satz des Widerspruchs nur herausziehen und dadurch zugleich der Notwendigkeit des Urteils bewußt werden kann" (B 11/12); und tatsächlich kann ein wahres empirisches Urteil wie 'Alle Wale sind Säugetiere' durch die von Kant genannten Urteilsformen allein nicht von dem oben genannten reinen Urteil a priori unterschieden werden. Auch dieses letztere Urteil kann nach Kant aber als Urteil ein Urteil a priori, d.h. ein notwendig wahres Urteil sein, nämlich dann, wenn man seinen
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Subjektbegriff als gegeben voraussetzt und sein Prädikatbegriff bereits als Teilbegriff in seinem Subjektbegriff enthalten ist (vgl. B 10/11). Daß ein analytisch wahres Urteil einen aufgrund von Erfahrungen gebildeten Subjektbegriff hat, tut seinem analytischen Status und d.h. seiner unter Voraussetzung dieses Begriffs notwendigen logischen Wahrheit keinen Abbruch, (vgl. Prol. § 2., 267) Der Begriff der erkenntnistheoretisch notwendigen Wahrheit eines Urteils wie z.B. 'Körper sind ausgedehnt' und der Begriff der formallogisch notwendigen Wahrheit eines Urteils wie z.B. 'Alle Wale sind Säugetiere' sind hier als ein engerer bzw. weiterer Begriff der notwendigen Wahrheit zu unterscheiden. Unter formalen Gesichtspunkten betrifft eine modale Einstufung von Urteilen "den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt", d.h. "das Bejahen und Verneinen" in kategorischen Urteilen (vgl. B100). In bezug auf die uns vorstellbaren wohlunterscheidbaren Gegenstände möglicher Erfahrung können nach Kant jedoch Sätze bestimmten Inhalts als notwendig wahr ausgezeichnet werden, die unter Verzicht auf die Annahme der Erkennbarkeit der in ihnen beurteilten Dinge formal korrekt auch in anderer als genau ihrer Form gebildet werden können. Da die formale Logik von allem Inhalt der Begriffe absieht, kann sie lediglich Behauptungen darüber aufstellen, in welchen Formen man Merkmale zu verwenden hätte, um Gegenstände durch sie unterscheidend zu kennzeichnen. Unter formaler Betrachtung kann jedes kategorische Urteil möglicherweise in genau seiner Form zu bilden sein, wenn sein Prädikatbegriff nicht in Widerspruch zu seinem Subjektbegriff steht; durch den Satz des zu vermeidenden Widerspruchs ist "die innere Möglichkeit eines Erkenntnisses für problematische Urteile bestimmt". (Logik Einl., 52/53) Formal ist ein kategorisches Urteil wirklich wahr, wenn sein Gegenstand durch seine Verwendung in einem hypothetischen Urteil mit Gegenständen derselben Gattung verglichen oder von Gegenständen anderer Art unterschieden werden kann; auf dem Satz vom zureichenden Grund als dem "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" (Logik Einl., 5 2 / 5 3 ) von Urteilen bei der "Vergleichung" von Dingen (vgl. Logik Einl., 58) beruht die "logische ... Wirklichkeit einer Erkenntnis" (Logik Einl., 53). Und unter formallogischer Betrachtung muß ein kategorisches Urteil in genau seiner Form gebildet werden, wenn man seinen Gegenstand nur durch genau seine Verwendung von anderen unterscheiden kann; auf dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, nach dem "die Sphäre eines Begriffs relativ auf eine andere entweder ausschließend oder einschließend" ist (Logik § 22.
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Anm. 2., 104), beruht nach Kant die "logische ... Notwendigkeit eines Erkenntnisses" (Logik Einl., 53). Zur Beurteilung der formalen Wahrheit eines bestimmten Satzes reichen der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, der Satz vom zureichenden Grund und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten aber nur hin, wenn ihrer Anwendung ein Begriff von einem Gegenstand vorgegeben wird. Nur unter der Voraussetzung also, daß man Wale als eine Art Säugetiere auffaßt bzw. unter Körpern ausgedehnte Dinge versteht, sind die Urteile 'Alle Wale sind Säugetiere' und 'Alle Körper sind ausgedehnt' formal notwendig wahr, weil man dann Wale nur in ihrer Eigenschaft, Säugetiere zu sein, mit anderen Dingen vergleichen und Körper nur durch ihre Eigenschaft, ausgedehnt zu sein, von Dingen anderer Art unterscheiden kann. Über die Möglichkeit oder Notwendigkeit der objektiven Gültigkeit eines Begriffs hingegen kann in der formalen Logik keine Aussage gemacht werden. Die Wahl der inhaltlichen Kriterien zur Unterscheidung von Gegenständen hängt zwar von dem subjektiven Vermögen zur deren Unterscheidung ab, ist aber nicht dem subjektiven Belieben überlassen, da "objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann)" nach Kant "Wechselbegriffe" (Prol. § 19., 298), d.h. Begriffe sind, die denselben Umfang haben (vgl. Logik § 12., 98).
4. Zweifel an einer Systematik der Urteilstafel Dem Anspruch der "Koordination der Einteilungsgesichtspunkte" scheint Patzig die Urteilstafel nicht zu genügen, da sich z.B. die Formen der Quantität "nur auf kategorische Aussagen beziehen zu können" scheinen und es nach Kant auch "kein negatives hypothetisches oder disjunktives Urteil geben" könne, sondern "solche Urteile... sämtlich bejahend" seien (vgl. Patzig 1976,42). In der Tat können die von Kant unter den vier Titeln der Urteilstafel jeweils genannten Urteilsformen nicht frei mit denen eines anderen Titels kombiniert werden. Weder hypothetische noch disjunktive Urteile können verneinende Urteile sein, und sie können nach Kant auch keine bejahenden oder unendlichen Urteile sein. Kant wendet die Urteilsformen der Qualität nur auf kategorische Urteile und die Alternative, entweder bejahend oder verneinend zu sein, hier insbesondere auf analytisch wahre Urteile an. (vgl. B 190, B 191, B 193, B 97, BIO) Der Unterschied zwischen bejahenden und verneinenden Urteilen besteht darin, daß das Prädikat "dem Subjekt" entweder "beigelegt oder ihm
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entgegengesetzt" wird (B 97), und alle Urteile, in denen Subjekt und Prädikat die Materie ausmachen, sind kategorische Urteile (B 98). Die Charakterisierung unendlicher Urteile macht es darüber hinaus erforderlich, daß man kategorische Urteile "auch nach dem Werte oder Inhalt dieser logischen Bejahung" oder Verneinung "vermittelst eines bloß verneinenden Prädikats" betrachtet (vgl. B 97 u. Logik § 22. Anm. 2., 104). Auch die Urteilsformen der Quantität können nicht auf hypothetische oder disjunktive Urteile selbst angewandt werden. Als Beispiel hierfür führt Strawson den Fall an, daß "a hypothetical proposition, for example, might have a universal antecedent and a singular consequent. Is it then a universal or singular?" (Strawson 1966,79). Kant wendet diese Unterscheidung nur auf kategorische Urteile an. Partikuläre Urteile unterscheiden sich seines Erachtens von universellen dadurch, daß in ersteren "das Prädikat derselben ... bloß auf einiges dessen, was unter dem Begriff des Subjektes enthalten ist, gezogen, von einigem aber ausgenommen" wird und in letzteren der Subjektbegriff "einen Umfang ... [hat], von dessen ganzer Bedeutung das Prädikat" gilt (B 96; vgl. Logik § 21., 102). Die nähere Unterscheidung einzelner Urteile von allgemeinen Urteilen betrifft den Anteil des Umfangs eines kategorischen Urteils am möglichen Gesamtumfang aller systematisch verbundenen kategorischen Urteile, (vgl. B 96) Auch die Differenzierung des modalen Status von Urteilen wird von Kant als logische Differenzierung nur auf kategorische Urteile angewandt. Sie betrifft nur "das Bejahen oder Verneinen" in Urteilen (B 100), also nur Urteile mit Subjekt-Prädikat-Struktur (vgl. B 97), d.h. kategorische Urteile. Hypothetische und disjunktive Urteile sind unter rein logischer Betrachtung stets assertorische Urteile. Behauptet werden in ihnen jedoch nicht die kategorischen Urteile, die ihre Materie ausmachen, sondern nur deren Verknüpfung. So ist in hypothetischen Urteilen "nur die Konsequenz ... assertorisch" (B100; vgl. Logik § 25. Anm. 2., 105), und in disjunktiven Urteilen "bestimme" ich, daß die Glieder der Disjunktion "wie Teile der Sphäre einer Erkenntnis, jedes des anderen Ergänzung zum Ganzen,... zusammengenommen, der Sphäre des ersten gleich seien", und "hieraus folgt" erst unter der Voraussetzung, daß das Urteil, dessen Umfang disjunktiv eingeteilt wird, wahr ist, daß eines der disjunktiv verknüpften Urteile "assertorisch gelten müsse" (vgl.: Logik § 29. u. Anm., 107; B 100/101). Gerade die Tatsache aber, daß die von Kant unter den Titeln der Quantität, Qualität und Modalität genannten Urteilsformen von ihm nur auf kategorische Urteile angewandt werden, gibt einen Hinweis auf die Systematik der Urteilstafel. Zwar kommen alle unter den Titeln der
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Quantität und Qualität genannten Urteilsformen nur kategorischen Urteilen zu, aber sie kommen ihnen nur unter den Bedingungen logisch wirklich oder notwendig zu, daß sich diese kategorischen Urteile in diesen Formen oder diesen Formen gemäß in hypothetischen oder auch disjunktiven Urteilen systematisch miteinander verbinden lassen. Zwar sind alle kategorischen Urteile falsch, die intern widerspruchsvoll sind, wirklich logisch wahr sind sie aber erst, wenn sie in ihrer qualitativen Form und ihrer quantitativen Form nach miteinander in wahren hypothetischen Urteilen verbunden werden können; und notwendig logisch wahr sind sie in ihrer quantitativen oder qualitativen Form erst, wenn sie darüber hinaus in diesen Formen oder diesen Formen gemäß in wahren disjunktiven Urteilen miteinander verbunden werden können. Der Satz des zureichenden Grundes als das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" kategorischer Urteile (Logik Einl. 51 /52) gibt an, in welcher Form diese wirklich zur unterscheidenden Kennzeichnung von Dingen dienen können (vgl. Logik Einl., 53); und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, nach dem "die Späre eines Begriffs relativ auf eine andere entweder ausschließend oder einschließend" ist (Logik § 22. Anm. 2., 104), ist das Kriterium der "(logische[n]) Notwendigkeit eines Erkenntnisses" (Logik Einl., 53) und formuliert die Bedingung, unter der kategorische Urteile absolut allgemein zur Unterscheidung von Dingen nach Gattungen und Arten dienen können. Als apodiktisch gewiß logisch wahr betrachtet man ein kategorisches Urteil seiner Form nach erst, wenn man es sich "durch diese Gesetze des Verstandes", d.h. durch die drei logischen Grundsätze, "selbst bestimmt" denkt (B 101).
5. Zweifel am elementaren Charakter der Urteilsformen Insbesondere von Peter F. Strawson wird bestritten, daß die in der Urteilstafel genannten Urteilsformen dem von Kant z.B. in B 89 gestellten Anspruch genügen, logisch elementar zu sein. Da die Suche nach logisch primitiven Begriffen gerade in der modernen Logik intensiv betrieben worden sei, könne man sich zur Beurteilung dieses Anspruchs Kants an ihren Befunden orientieren; die moderne Logik werde gewöhnlich in zwei Teilen dargestellt, nämlich der Aussagenlogik oder auch Logik der Wahrheitswertfunktionen und der Prädikatenlogik oder auch Logik der Quantifikation; unter keinem dieser zwei Gesichtspunkte scheine aber viel für Kants Urteilstafel zu sprechen:
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"The points here are two. The first is that all the special forms of thrutn-functional composition can be defined in terms of the idea of truth-functional composition in general, which itself can be fully explained in terms of the notion of a proposition as something which is true or false but not both, while all forms involving quantification can be defined in terms either of existential or of universal quantification, together with truth-functional composition. The second is that 'referring' the general notions of truth-functional composition and of quantification 'to the conditions of determing judgments as objectively valid' can yield nothing in the way of 'a priori concepts of an object in general' which is not already contained in the notion of a singular subject-predicate proposition, i.e. a formally atomic proposition in which a one-or-more-place predicate is applied to one or more specified objects of reference." (Strawson 1966, 81) Es ist jedoch zweifelhaft, ob Kants Anspruch, mit den in der Urteilstafel genannten Formen elementare Urteilsformen aufgestellt zu haben, an den diesbezüglichen Befunden der modernen Logik gemessen werden kann. An einer Entdeckung der Formen wahrheitswertfunktionaler Verknüpfungen von Urteilen ist die formale Logik im Sinne Kants nicht in erster Linie interessiert. So geläufige Junktoren wie die Konjunktion, das nicht ausschließende 'oder' und das Bikonditional finden in seiner Logik keine besondere Berücksichtigung. Nach Kant werden in der formalen Logik vielmehr genau die internen Formen und Formen der Verknüpfung von atomaren Urteilen bestimmt, die jedes Urteil erfüllen muß, um überhaupt zur unterscheidenden Kennzeichnung von irgendwelchen Dingen dienen zu können. Er ist nicht der Auffassung, jedes widerspruchsfreie kategorische Urteil könne schon als solches, d.h. ohne Rücksicht auf seine Verknüpfung mit anderen, als ein Urteil verstanden werden, in dem man unter gegebenen Anwendungsbedingungen auf einen bestimmten Gegenstand Bezug nehmen könnte, sondern Kant sieht in der Möglichkeit bestimmter Verknüpfungen kategorischer Urteile untereinander eine notwendige Bedingung, ein kategorisches Urteil überhaupt als Urteil über eine relativ bestimmte Klasse von Dingen oder irgendein Einzelding zu verstehen; und er betrachtet diejenigen Urteilsformen als elementar, die hierbei ohne jede Rücksicht auf den besonderen Inhalt eines Urteils verwendet werden können und müssen. Zwar ist Kant durchaus der Ansicht, daß aus jedem universellen Urteil unmittelbar ein partikuläres Urteil folgt (vgl. Logik § 46., 116), aber er ist der Auffassung, daß man partikuläre Urteile nicht schon im Rahmen der formalen Logik als Existenzbehauptungen verstehen kann, da dies voraussetzt, daß entscheidbar ist, ob diese Urteile sich auf gegebene Gegenstände beziehen, und bei einer solchen Entscheidung beson-
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dere Kriterien zur Identifikation dieser Gegenstände verwendet werden müßten (vgl.: B 83; Logik Einl., 50/51; Logik § 5. Aran. 1., 94). Zwar werden universelle und partikuläre Urteile nach Kant durch ihre Umformung in hypothetische Urteile auf ihre Wahrheit hin überprüft (vgl.: Logik Einl., 51 /52; Logik § 21. Anm. 5., 103), aber die Entscheidung über ihre Wahrheit durch die Interpretation solcher hypothetischen Urteile in bezug auf ein Universum von Gegenständen würde Kant nicht für eine Aufgabe der formalen Logik selbst, sondern für ein Problem ihrer Anwendung halten. "Die Übereinstimmung mit einem Gegenstande, ohne daß in Ansehung dieses Gegenstandes etwas bestimmt ist, läßt sich nicht angeben .... Also ist die Logik bloß analytische in Ansehung der Erkenntnis überhaupt." (Refl. 2132.) Daß in der modernen Logik sowohl der Existenz- und Allquantor als auch die analogen Formen zu Kants hypothetischem und disjunktivem Urteil gegenseitig definiert werden können und daher bestenfalls eine dieser Formen bzw. einer dieser Quantoren als elementar gelten würde (vgl. Strawson 1966, 80), tut der Berechtigung von Kants Anspruch auf den elementaren Charakter der Formen hypothetischer und disjunktiver Urteile keinen Abbruch, denn durch den Nachweis ihrer gegenseitigen Definierbarkeit ist nichts darüber entschieden, ob man von solchen Definitionen bei der Kennzeichnung von Klassen oder Einzeldingen Gebrauch machen muß. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob sich die Formen hypothetischer und disjunktiver Urteile in den ihnen von Kant zugesprochenen Funktionen wirklich gegenseitig definieren lassen. In disjunktiven Urteilen wird nach Kant nämlich nicht nur behauptet, daß irgendwelche Dinge eine bestimmte beliebige Eigenschaft entweder besitzen oder nicht besitzen, sondern daß von allen möglichen unter einen Gattungsbegriff fallenden Dingen jedes entweder eine oder eine andere von bestimmten einander ausschließenden Eigenschaften besitzt (vgl. B 99; Logik § 29., 107). In dieser Funktion sichern disjunktive Urteile hypothetischen Urteilen ihre Allgemeingültigkeit für die Klassifikation von Gegenständen nach Gattungen und Arten und erlauben es somit, aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils und der Wahrheit seines Vordersatzes sicher auf die Wahrheit seines Nachsatzes zu schließen. Wenn "viele Folgen" eines wahren Grundes "wahr sind", so "glaubt man" nämlich nur, "daß alle übrigen wahr sein mögen (Hypothesen)" (Refl. 2130.); wenn eine Folge aber in jedem Falle entweder den einen oder einen anderen von bestimmten möglichen Gründen hat, so kann aus der Wahrheit eines hypothetischen Urteils
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und der Wahrheit seines Vordersatzes in jedem Falle sicher auf die Wahrheit seines Nachsatzes, d.h. auf die Folge geschlossen werden (vgl.: Refl. 2167., 2178.; Logik Einl., 52 f.). Zwar ist auch Kant der Auffassung, daß ein hypothetisches Urteil wahr sein kann, wenn sein Vordersatz falsch und sein Nachsatz wahr ist (vgl.: Logik Einl., 52; B 98); er fordert aber, daß es wenigstens einen Fall geben muß, in dem bei Wahrheit des Nachsatzes eines wahren hypothetischen Urteils auch sein Vordersatz wahr ist, da der betreffende Vordersatz sonst gar nicht zur Unterscheidung von Dingen dienen könnte. Aus einem falschen Urteil kann nach Kant "nichts Wahres folgen, sondern dies fließt aus dem Teil des Erkenntnisses, welcher wahr ist" (Refl. 2130.; vgl.: Refl. 2178.; Logik Einl., 52).
B. Die Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände Die "formalen, allgemeinen Kriterien sind ... zur objektiven Wahrheit nicht hinreichend" (Logik Einl., 51), da man bei ihnen "von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht...; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte" (B 83). Jedes der Prinzipien der formalen Logik ist eine "conditio sine qua non" der objektiven Wahrheit, da jedes von ihnen erfüllt sein muß, damit Erkenntnisse der Form nach korrekt sind oder, wie Kant auch sagt, "mit sich selbst (der Form nach) zusammenstimmein]" (Logik Einl., 51). Für die objektive Gültigkeit unserer Erkenntnisse aber läßt sich kein allgemeines und hinreichendes "Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst widersprechend ist", (vgl. B 83) Dennoch beansprucht Kant, "das sichere Kriterium" entdeckt zu haben, das es erlaubt, in "aller möglichen Erfahrung ... Wahrheit von Schein zu unterscheiden" (vgl. Prol. Anh., 375), d.h. ein Kriterium entdeckt zu haben, das hinreicht, im Rahmen jeder möglichen Erfahrung jedes wahre Urteil von nur scheinbar wahren aber objektiv falschen Urteilen zu unterscheiden. Bleibt Kant konsequent gegenüber seiner Argumentation für die Unmöglichkeit eines allgemeinen und zugleich hinreichenden Kriteriums der objektiven Wahrheit, so kann er auch von dem Kriterium, das er entdeckt zu haben glaubt, nicht behaupten, daß es sowohl für jedes wahre Urteil gilt als auch schon für sich genommen hinreicht, wahre von falschen Urteilen zu unterscheiden. Dementsprechend erklärt Kant, daß dieses Kriterium aus selbst nur "allgemeinen und notwendigen Gesetzen" besteht, auf denen die objektive Wahrheit "als ihren Kriterien" lediglich "beruht" (Prol. Anh. 375). Das "sichere", d.h. hinreichende Kriterium, "Wahrheit von Schein zu unterscheiden", sollen diese allgemeinen Gesetze nur in "aller möglichen Erfahrung" (vgl. Prol. Anh., 375), d.h. in Verbindung miteinander und mit besonderen Kriterien einzelner Erfahrungen abgeben. "Urteile, die objektive Gültigkeit hätten", können "immer nur indirekt durch Bezieh-
Die Empfindungen als Bedingungen der Unterscheidung gegebener Gegenstände 6 3
ung ... auf etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung", ausgezeichnet werden, und erst, "wenn diese ... vorausgesetzt wird", sind die allgemeinen Prinzipien aller objektiv gültigen Erkenntnisse, die Grundsätze, "apodiktisch gewiß". (B 765) Die "allgemeinen und notwendigen Gesetze", die in Ergänzung durch besondere Kriterien einzelner Erfahrungen hinreichen sollen, "Wahrheit von Schein zu unterscheiden", sollen sich aus den Anschauungsformen von "Raum und Zeit... in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen", den Kategorien, ergeben, (vgl. Prol. Anh., 375) Die "Kategorien" führen nach Kant "zur Wahrheit, d.i. der Übereinstimmung unserer Begriffe mit dem Objekte" (B 670), und in ihrer Anwendung bei der Strukturierung eines in den Anschauungsformen von Raum und Zeit gegebenen Mannigfaltigen von Vorstellungen machen sie "Grundsätze" aus, die "nicht allein a priori wahr..., sondern sogar der Quell aller Wahrheit, d.i. der Ubereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten" sind (B 296).
B. I. Die Empfindungen als Bedingungen der Unterscheidung gegebener Gegenstände Bei der Suche nach Eigenschaften, in denen sich Erkenntnisse als objektiv gültig auszeichnen lassen, steht man vor einem grundsätzlichen Problem. Setzt man die Existenz von Gegenständen voraus, um beanspruchte Erkenntnisse auf eine Ubereinstimmung mit diesen Gegenständen hin zu überprüfen, begeht man bei der Rechtfertigung dieser Erkenntnisse einen Zirkelschluß. Denn ich kann "das Objekt nur mit meinem Erkenntnisse vergleichen, dadurch, daß ich es erkenne", und "so kann ich immer doch nur beurteilen: ob meine Erkenntnis vom Objekt mit meiner Erkenntnis vom Objekt übereinstimme. Einen solchen Zirkel im Erklären nannten die Alten Diallele". (Logik Einl., 50) Um diese Diallele zu vermeiden, muß man sich nach Kant bei der Erläuterung dessen, was man unter der Wahrheit von Urteilen versteht, auf die Voraussetzung unmittelbar subjektiv bewußter Vorstellungen beschränken, die keine Fälle von Wissen im Sinne ihrer Übereinstimmung mit Gegenständen nach irgendeinem Kriterium sind und auch nicht durch die Möglichkeit einer solchen Übereinstimmung als der Glaube an die Existenz von etwas oder Meinungen über etwas Existierendes zu charakterisieren sind.
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Die Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit
Als subjektiv bewußte Vorstellungen, die nicht notwendig mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit auftreten, mit denen man aber Bezug auf bestimmte Gegenstände nehmen könnte, kommen zunächst all diejenigen sinnlichen Vorstellungen in Frage, deren Auftreten eindeutig mit der Anwesenheit bestimmter Gegenstände verbunden ist. Eine solche Verbindung ist auf zweifache Weise denkbar, nämlich zum einen so, daß eine Vorstellung eine notwendige und unter bestimmten allgemeinen Voraussetzungen hinreichende Bedingung für die Existenz eines bestimmten Gegenstandes ist, oder zum anderen so, daß umgekehrt ein bestimmter existierender Gegenstand eine notwendige und unter bestimmten allgemeinen Voraussetzungen hinreichende Bedingung für das Auftreten dieser Vorstellung ist: "Es sind nur zwei Fälle möglich, unter denen ... [eine] Vorstellung und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich aufeinander notwendigerweise beziehen und gleichsam einander begegnen können: entweder wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder diese den Gegenstand allein möglich macht." (B 124) Versteht man das fragliche Bedingungsverhältnis zunächst als Verursachungszusammenhang, nämlich so, daß entweder eine Vorstellung einen Gegenstand oder ein Gegenstand umgekehrt eine Vorstellung "dem Dasein nach hervorbringt" (B 125), so muß man feststellen, daß die erstere dieser Möglichkeiten tatsächlich nicht auftritt. "Vorstellung an sich selbst... [bringt] ihren Gegenstand nicht [hervor]", sondern besitzt "Kausalität" nur "vermittelst des Willens". (B 125) Vorstellungen kommen nur unter besonderen Bedingungen als Mitursachen der Existenz von Gegenständen in Frage, nämlich nur im Rahmen willkürlicher Handlungen. Von der willkürlichen Herbeiführung der Existenz von Gegenständen kann jedoch im Rahmen der Erkenntnistheorie "gar nicht die Rede" sein. (vgl. B 125) Der umgekehrte Fall, daß nämlich anwesende Gegenstände Vorstellungen hervorrufen, ist uns aus der Erfahrung bekannt und im Gegensatz zu ersterem zumindest für das Zustandekommen unserer Erkenntnisse einschlägig. Die "Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung" (B 34), und die "Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit" (B 33). Empfindungen scheinen einerseits in eindeutigen Entsprechungsverhältnissen zu Gegenständen zu stehen: Wie Gegenstände numerisch verschieden sein können und sich in ihren Eigenschaften qualitativ oder der Intensität nach unterscheiden können,
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so können Empfindungen numerisch, qualitativ und in ihrer Intensität verschieden sein; und jeder bestimmte Gegenstand, den wir wahrnehmen, ruft in uns offenbar qualitativ oder numerisch besondere Empfindungen hervor. Alle "Wahrnehmungen" sind nach Kant "mit Empfindung begleitete Vorstellungen" (B147); sie "enthalten... die Materien zu irgendeinem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Räume oder der Zeit vorgestellt wird), d.i. das Reale der Empfindung, ... die man auf ein Objekt überhaupt bezieht" (B 207). Andererseits sind Empfindungen selbst keine Erkenntnisse und auch keine von unseren beanspruchten Erkenntnissen verschiedenen Gegenstände, sondern sinnliche Eindrücke, die uns unmittelbar bewußt sein können, ohne daß wir auf sie mit bestimmten Kriterien Bezug nehmen. Nur wenn wir sie als reale 'innere' Zustände unserer selbst (vgl. B 50) voneinander und von existierenden Gegenständen unterscheiden, müssen wir uns ihrer nicht nur inhaltlich bewußt sein, sondern ihre Qualitäten auch als Begriffsinhalte verwenden. Nicht unser bewußtes Empfinden, sehr wohl aber jede "innere Erfahrung" eigener Vorstellungen ist eine "Erkenntnis" (vgl. B 277). Es scheint also möglich zu sein, die Zirkularität der Rechtfertigung objektiv gültiger Erkenntnisse, die sich ergibt, wenn man hierbei die Existenz von Gegenständen voraussetzt, dadurch zu vermeiden, daß man auf subjektiv bewußte Empfindungen als rechtfertigende Gründe zurückgreift, die das Kriterium der Wahrheit im Einzelfalle bestimmter Erfahrungen hinreichend machen. Daß Empfindungen bestimmte zeitliche Erlebniszustände sind und von bestimmten existierenden Gegenständen hervorgerufen werden, darf bei der Rechtfertigung von beanspruchten Erkenntnissen nicht vorausgesetzt werden, sondern es muß eine Funktion des Bewußtseins gegebener Empfindungen im Rahmen unseres Erkennens gefunden werden, die es erst ermöglicht, eigene Empfindungszustände zu unterscheiden und Empfindungen als durch existierende Gegenstände verursacht zu erkennen.
B. II. Die allgemeinen Formen unserer Anschauungen
Im einleitenden Abschnitt der 'Transzendentalen Ästhetik' stellt Kant die These auf, daß jede Empfindung die "Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit" ist, "sofern wir von demselben affiziert werden" (vgl. B 34), und er entwirft in knapper begrifflicher Darstellung ein Modell der sinnlichen Bedingungen a priori, unter de-
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Die Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit
nen seines Erachtens ein solches Verständnis unserer Empfindungen allein möglich ist. Wenn es möglich sein soll, Empfindungen als durch Gegenstände verursacht zu erkennen, so können sie nach Kant nicht die einzigen Vorstellungen sein, die dem affizierten Subjekt bewußt sind. Es muß uns möglich sein, uns einer allgemeinen "Form der Sinnlichkeit" (B 35) bewußt zu sein, in der sich "Empfindungen... ordnen, und in gewisse Form" stellen lassen (B 34), weil nur in dieser Form als "Grundlag[e]" (B 36) einzelne Empfindungen als bestimmte "Modifikationen... [der] sinnlichen Anschauung" (B 63) erkannt werden können. Da Kant unter jeder empirisch feststellbaren "Wirkimg eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit" eine "Empfindung" versteht (vgl. B 34), hebt er mit der "Form der Sinnlichkeit" auf die allgemeinste Beschaffenheit unseres sinnlichen Erlebens ab. Diese Form kann "nicht selbst wiederum Empfindung sein" (B 34), d.h. in dieser Form kann unser sinnliches Erleben kein besonderer Fall unseres Erlebens sein, sondern in dieser Form muß es "zu" allen Anschauungen irgendwelcher Gegenstände oder eigenen Zustände "im Gemüte a priori bereitliegen und daher abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden" (vgl. B 34). Kants Behauptung, unser sinnliches Erleben müsse in dieser Form vor allen Anschauungen von Gegenständen oder Zuständen "im Gemüte a priori bereitliegen" (B 34) und "als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüte stattfindefn]" (B 35), ist nicht so zu verstehen, daß unser Erleben in dieser Form ohne jeden Inhalt auftreten könne oder müsse. Eine "bloße Form" ist die allgemeine Art unserer Anschauungen in dem Sinne, daß sie nicht wiederum Inhalt eines Erlebens allgemeinerer Form sein kann. Man könnte sie jedoch nicht als Form verstehen, wenn man nicht mit irgendeinem Inhalt rechnen würde; und man könnte sie nicht als Anschauungsform verstehen, wenn man nicht berücksichtigen würde, daß man mit Vorstellungen dieser Form auf Gegenstände oder Zustände Bezug nehmen kann. Die "reine Anschauung" soll nicht in dem Sinne 'rein' sein, daß sie ohne irgendeinen besonderen Vorstellungsinhalt auftritt, sondern das Bewußtsein von der allgemeinen Form unseres sinnlichen Erlebens und die Bezugnahme mit einem Erleben dieser Form auf irgendwelche zunächst nicht näher unterschiedenen und noch nicht erkannten Gegenstände soll "ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung" (B 35), nämlich vor "der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände" (Prol. § 10., 283), möglich sein. Ließe sich die durchgängige Form unseres Erlebens finden, die es uns erlaubt, alle Empfindungen, die in uns bei Reizung durch Gegenstände entstehen, als bestimmte Vorstellungszustände zu erkennen, so
Die Aufgaben der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit
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könnte man die uns möglichen Erkenntnisse von Gegenständen ohne Rücksicht auf ihren jeweiligen Empfindungsgehalt allgemein als Vorstellungen dieser Form kennzeichnen. Da Kant beansprucht, diese Form entdeckt zu haben, ist seines Erachtens jeder Gegenstand, der von uns durch Erfahrung "angetroffen wird", als "Erscheinung" bestimmt durch "die Form der Anschauung ..., die völlig a priori erkannt und bestimmt werden kann, und die Materie (das Physische) oder [den] Gehalt, welcher ... der Empfindung korrespondiert" (vgl. B 751). Mit der in Aussicht genommenen Möglichkeit, Gegenstände aufgrund von Empfindungen zu unterscheiden, wäre jedoch noch nicht geklärt, wie es möglich sein soll, mit Empfindungen überhaupt Bezug auf Gegenstände zu nehmen bzw. Empfindungen als durch Gegenstände verursacht zu erkennen. Will man nicht den eingangs genannten Zirkelschluß begehen, mit der Existenz von Gegenständen bereits Erkenntnisse von diesen Gegenständen und damit das Kriterium der Wahrheit vorauszusetzen, müssen sich Erkenntnisse von Gegenständen allein aufgrund des kriterienlosen subjektiven Bewußtseins eigener Vorstellungen charakterisieren lassen. Uber seine allgemeine Form hinaus muß unser sinnliches Erleben uns also in einer zweiten Form bewußt sein, die es uns erlaubt, unsere Vorstellungen nicht nur als eigene Zustände, sondern als Wirkungen von Gegenständen zu verstehen. Hierbei muß die zweite dieser Formen ihrem Umfang nach der ersten untergeordnet sein. Unsere Vorstellungen von Gegenständen müssen uns auch in der Form unseres sinnlichen Erlebens überhaupt bewußt sein, "weil alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstand haben oder nicht, doch an sich selbst, als Bestimmungen des Gemüts, zum inneren Zustande gehören; dieser innere Zustand aber unter der formalen Bedingung der inneren Anschauung ... gehört" (B 50).
B. III. Die Aufgaben der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit
Zu Beginn des ersten Abschnitts der Transzendentalen Ästhetik' führt Kant als die allgemeine Form unserer Vorstellungen als eigener Zustände das Vorstellen der Zeit und als die gemeinsame Form unserer Vorstellungen als Vorstellungen von Gegenständen das Vorstellen des Raumes ein: "Vermittelst des äußeren Sinnes, (einer Eigenschaft unseres Gemüts), stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insge-
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Die Möglichkeit eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit
samt im Räume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegeneinander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird." (B 37) Das Verhältnis der Anschauungsformen zueinander wird dahingehend erläutert, daß die Anschauungsform der Zeit unsere "Art" sei, "uns selbst innerlich anzuschauen, und vermittelst dieser Anschauung auch alle äußere Anschauung in der Vorstellungskraft zu befassen" (B 51). Da auch unsere Vorstellungen von Gegenständen zu den uns insgesamt bewußten Vorstellungen zählen, sind auch sie uns in zeitlicher Form bewußt, und wir stellen uns alle von unseren Vorstellungen verschiedenen Gegenstände als raumzeitlich vor. Daß das Vorstellen der Zeit die gesuchte absolut allgemeine Form ist, in der uns alle unsere Vorstellungen bewußt sind, und das Vorstellen des Raumes die Form aller uns möglichen Vorstellungen von Gegenständen ist, soll in zwei getrennten, aber parallel aufgebauten "metaphysischen Erörterungen" gezeigt werden. Gegenstand dieser Erörterungen ist jeweils der "Begriff' vom Raum (vgl. B 37) bzw. der "Begriff' der Zeit (vgl. B 46), da wir - wie Kant an späterer Stelle erklären wird - mit sinnlichen Vorstellungen nur durch ihre begriffliche Verwendung Bezug auf Gegenstände oder Zustände nehmen können. Unter einer "Erörterung (expositio)" versteht Kant "die deutliche (wenn gleich nicht ausführliche) Vorstellung dessen, was zu einem Begriffe gehört" (B 38), und er grenzt sie gegen die ausführliche Definition eines Begriffs ab. "Definieren soll, wie es der Ausdruck selbst gibt, eigentlich nur so viel bedeuten, als, den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen.' (B 755) Nach Kant können aber "genau zu reden... weder empirisch noch a priori gegebene Begriffe definiert werden", denn "ich kann niemals sicher sein, daß die deutliche Vorstellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausführlich entwickelt worden, als wenn ich weiß, daß dieselbe dem Gegenstande adäquat sei", (vgl. B 756) "Da der Begriff desselben aber, so wie er gegeben ist, viele dunkle Vorstellungen enthalten kann, die wir in der Ziergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendimg jederzeit brauchen: so ist
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die Ausführlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft, und kann nur durch vielfältig zutreffende Beispiele vermutlich, niemals aber apodiktisch gewiß gemacht werden." (B 756/757) So können "philosophische Definitionen nur als Expositionen gegebener ... Begriffe" ausfallen, d.h. "nur analytisch durch Zergliederung (deren Vollständigkeit nicht apodiktisch gewiß ist)... zustande gebracht werden". (B 758) Als "metaphysisch" bezeichnet Kant die Erörterung eines Begriffs ihrem Inhalt nach, nämlich wenn sie "dasjenige enthält, was den Begriff als a priori gegeben darstellt" (B 38); und er unterscheidet sie von der Explikation eines "empirischen" Begriffs, d.h. eines Begriffs als eines solchen, der von der "Erfahrung abgezogen worden" ist (vgl. B 38 u. 46). Die metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit verfolgen in ihrer Analyse drei Teilziele: 1. Zunächst soll gezeigt werden, daß der Inhalt des Begriffs des Raumes bzw. des Begriffs der Zeit nicht erst durch einen Vergleich von Gegenständen oder Zuständen, die bereits auf andere Weise identifiziert wurden, und das Absehen von ihren Unterschieden gewonnen werden kann, sondern die Vorstellung des Raumes bzw. der Zeit eine notwendige Bedingung der Identifikation aller gegebenen Gegenstände oder eigenen Zustände ist. Mit einem ersten Argument soll also gezeigt werden, daß der Begriff vom Raum bzw. der Begriff der Zeit kein 'empirischer Begriff ist. 2. Weiter wird dafür argumentiert, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit nicht nur für die im Verlauf der bisherigen Erfahrung gegebenen Gegenstände oder Zustände gelten, sondern ihre Verwendung unseres Wissens eine notwendige Bedingung der Identifikation aller möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstände oder eigenen Zustände ist, da wir uns diese, auch wenn wir von unseren bisherigen Erfahrungen absehen, überhaupt nur als räumlich bzw. zeitlich vorstellen können. 3. Schließlich soll gezeigt werden, daß die Begriffe von Raum und Zeit trotz ihrer Allgemeingültigkeit ihrem Inhalte nach nicht willkürlich gebildet worden sein können, sondern die Vorstellungen von Raum und Zeit als sinnlich empfangene Anschauungen gelten müssen, da - so ein erstes Argument - sich von allen Fällen der Räumlichkeit und der Zeitlichkeit notwendig verstehe, daß sie Teile eines Ganzen sind, und diese Begriffe darüber hinaus - so ein zweites Argument - potentiell unendlich viele Teilinhalte haben.
C. Die Vorstellungen von Raum und Zeit beruhen nicht auf Erfahrungen C. I. Die Bildung empirischer Begriffe "An jedem Begriff'sind nach Kant "Materie und Form zu unterscheiden" (Logik § 2., 91). Seine Form kommt ihm "als einer diskursiven Vorstellung" zu (Logik § 4. Anm., 93), d.h. in seiner Form ist jeder Begriff ein Merkmal irgendwelcher Dinge, die als sein "Umfang" jeweils "unter ihm enthalten" sind (Logik § 7., 95); und die "Form eines Begriffs als einer diskursiven Vorstellung ist jederzeit gemacht" (Logik § 4. Anm., 93). Ihrem Inhalt oder, wie Kant auch sagt, ihrer "Materie" nach sind "alle Begriffe ... gegebene ... oder gemachte Begriffe" (Logik § 4., 93). Sie können "etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes" (Logik § 5. Anm. 1., 94). Alle ihrem Inhalt nach gegebenen Begriffe "sind entweder a priori oder a posteriori gegeben". (Logik § 4., 93; vgl. Refl. 2867.) Daß ein Begriff a posteriori gegeben ist, heißt, daß er als "empirischer Begriff... von einer Erfahrung abgezogen worden" ist (B 38 u. 46). "Der empirische Begriff entspringt aus den Sinnen durch Vergleichung der Gegenstände der Erfahrung und erhält durch den Verstanabloß die Form der Allgemeinheit. Die Realität dieser Begriffe beruht auf der wirklichen Erfahrung, woraus sie, ihrem Inhalte nach, geschöpft sind." (Logik § 3. Anm. 1., 92) Bei der Bildung eines diskursiven Begriffs, gleichgültig, ob dies ein Begriff a priori oder ein empirischer Begriff ist, nämlich immer, "wenn ich einen deutlichen Begriff mache: so fange ich von den Teilen an und gehe von diesen zum Ganzen fort. Es sind hier noch keine Merkmale vorhanden; ich erhalte dieselben erst durch die Synthesis. Aus diesem synthetischen Verfahren geht also die synthetische Deutlichkeit hervor, welche meinen Begriff durch das, was über denselben in der (reinen oder empirischen) Anschauung als Merkmal hinzukommt, dem Inhalte nach wirklich erweitert." (vgl. Logik Einl., 63)
Die Bildung empirischer Begriffe
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Da an jedem Begriff Form und Inhalt zu unterscheiden sind, ist jede Bildung eines Begriffs die Bildung eines Begriffs mit irgendeinem Inhalt. Da in der formalen Logik aber von allem Inhalt der Begriffe abstrahiert wird, kann in ihr nicht entschieden werden, ob Begriffe wirklich gebildet oder verwendet werden. "Die allgemeine Logik abstrahiert... von allem Inhalt der Erkenntnis, una erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese ... in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht." (B102) Daher kann sie "den Begriff nur in Rücksicht seiner Form ... erwägen, nicht wie er durch ein Merkmal ein Objekt bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objekte kann bezogen werden" (Logik § 5. Anm. 1., 94). Die "Erklärung der Möglichkeit synthetischer Urteile ist eine Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu schaffen hat", und sie braucht sogar den "Namen" synthetischer Urteile nicht zu "kennen". (B 193) Das heißt jedoch nicht, daß in der allgemeinen Logik gar keine Aussagen über die Bedingungen der Möglichkeit der Bildung von Begriffen gemacht werden können. Zwar reichen ihre Mitteln nicht hin zu entscheiden, ob irgendein Begriff wirklich gebildet wird, da man hierbei besondere Kriterien bestimmter Inhalte verwenden müßte; doch es ist nach Kant im Rahmen der allgemeinen Logik möglich, unter der problematischen Annahme, es seien irgendwelche Vorstellungen von Dingen gegeben, diejenigen gedanklichen Leistungen ihrer Art nach zu bestimmen, die notwendige Bedingungen der Bildung eines diskursiven Begriffe sind. "Die allgemeine Logik hat... nicht die Quelle der Begriffe zu untersuchen; nicht wie Begriffe als Vorstellungen entspringen, sondern lediglich, wie gegebene Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden", d.h., wie der "bloßen Form nach... eine mehreren Objekten gemeinsame Vorstellung (conceptus communis) entsteht"; "diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes". (Logik § 5. Anm. 1., 94; vgl. Refl. 2856.) "Die logischen Verstandes-Actus, wodurch Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden, sind: 1) die Komparation, d.i. die Vergleichung der Vorstellungen untereinander im Verhältnisse zur Einheit des Bewußtseins; 2) die Reflexion, d.i. die Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen in Einem Bewußtsein begriffen sein können; und endlich 3) Die Abstraktion oder die Absonderung alles Übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden." (Logik § 6., 94)
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Die Vorstellungen von Raum und Zeit beruhen nicht auf Erfahrungen
"Ich sehe z.B. eine Fichte, eine Weide und eine Linde. Indem ich diese Gegenstände zuvörderst untereinander vergleiche, bemerke ich, daß gie voneinander verschieden sind, in Ansehung des Stammes, der Aste, der Blätter u. dgl. m.; nun aber reflektiere ich hiernächst nur auf das, was sie unter sich gemein haben, den Stamm, die Äste, die Blätter selbst und abstrahiere von der Größe, der Figur derselben usw.; so bekomme ich einen Begriff vom Baume." (Logik § 6. Anm. 1., 94/95) Die Vorstellungen, die bei der Bildung von empirischen Begriffen einem Vergleich ihrer Inhalte, einer Reflexion auf ihren systematischen Zusammenhang im Bewußtsein von ihren Inhalten und einer Abstraktion von ihren inhaltlichen Unterschieden unterzogen werden, können dem Vorstellenden in ihrem Bezug zunächst unklar sein, d.h. sie können bloße Wahrnehmungen sein: "Der, der den ersten Baum sieht, weiß nicht, was das ist, das er sieht. Wird er gewahr, daß diese Gegenstände etwas gemein haben, so läßt er darauf alles weg, was sie Verschiedenes haben, und nimmt das zusammen, was sie gemein haben, und so hat er representationem communem, d.i. conceptum." (Wiener Logik, 905) Jede Anschauimg "bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln", jeder Begriff hingegen "mittelbar, vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann". (B 377) Zwar werden in sogenannten 'einzelnen' Urteilen Begriffe auf nur einen Gegenstand bezogen, doch können diese Begriffe durchaus auch in partikulären oder universellen Urteilen verwendet werden, und somit "kann" auch ihr Merkmalsgehalt "mehreren Dingen gemein sein". Ob Anschauungen wirklich gegeben sind, welchen Inhalt sie haben und ob die Bildung von Begriffen real möglich ist, kann vom Standpunkt der formalen Logik aus nicht untersucht werden. Der "Ursprung der Begriffe in Ansehung der Materie" wird vielmehr "in der Metaphysik erwogen". (Logik § 5. Anm. 2., 94; vgl. Refl. 2851.)
C. II. Die Begriffe von Raum und Zeit sind keine empirischen Begriffe
Wenn Kant in den metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit behauptet, der Begriff des Raumes sei "kein empirischer Begriff, der von äußeren Erfahrungen abgezogen worden" wäre (B 38), bzw. der Begriff der Zeit sei "kein empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden" wäre (B 46), so behauptet er damit nicht, diese Begriffe könnten gar nicht aufgrund von Anschauungen
Die Begriffe von Raum und Zeit sind keine empirischen Begriffe
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gebildet worden sein. Kant behauptet vielmehr, die Vorstellungsinhalte dieser Begriffe könnten nicht erst aufgrund von empirischen Anschauungen gebildet werden. "Empirisch" ist nach Kant jede "Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht" (B 34), d.h. jede Anschauimg, in der "etwas Existierendes im Raum oder der Zeit vorgestellt wird" (vgl. B 207). Zunächst mag es durchaus möglich scheinen, daß die Begriffe des Raumes und der Zeit erst im Verlauf der Erfahrung durch einen Vergleich von Wahrnehmungen räumlicher Gegenstände bzw. zeitlicher Zustände, durch Reflexion auf das gedank liehe Bewußtsein von ihren Inhalten und durch die Abstraktion von allen inhaltlichen Unterschieden dieser Wahrnehmungen gebildet werden. Eine solche Vermutung liegt in bezug auf die Vorstellungen von Raum und Zeit besonders nahe, da diese "nichts als bloße Verhältnisvorstellungen" sind (vgl. B 67), von denen man meinen könnte, sie würden erst aufgrund von Wahrnehmungen bestimmter Relate, d.h. aufgrund von empirischen Anschauungen bestimmter Dinge, möglich. Dies gilt nach Kant von den Begriffen von Raum und Zeit nicht, da die Verwendung der Vorstellung des Raumes bzw. der Vorstellung der Zeit schon eine notwendige Bedingung dafür ist, irgendwelche bestimmten Dinge besonderer räumlicher Gestalt und Lage oder zeitlicher Dauer und Stellung auch nur wahrzunehmen, denn soweit unsere Anschauungen von Gegenständen objektiv gültig sind, enthalten sie "nichts als bloße Verhältnisse ... der Orter in einer Anschauung (Ausdehnung), Veränderung der Örter (Bewegung) und Gesetze, nach denen diese Veränderung bestimmt wird (bewegende Kräfte)" (vgl. B 66/67). Da Empfindungen bei Identifikation desselben Gegenstandes "bei verschiedenen Menschen verschieden sein" können (vgl. B 45), machen "z.B. Körper im Lichte als Farbe, im Schalle als Töne, oder im Salze als Säuern usw. ... keine für jedermann gültige Vorstellung in der empirischen Anschauung" aus, sondern gelten "bloß subjektiv" (Preisschrift, 268/269). Die "Empfindungen der Farben, Töne und Wärme ... [lassen] an sich kein Objekt... erkennen" (B 44), und diese Qualitäten gelten "mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloß als Veränderungen unseres Subjekts" (B 45). So taugt nach Kant z.B. die Röte einer Rose nicht zur deren objektiver Bestimmung (B 45), und die Erscheinung eines Regenbogens ist objektiv nur durch Stellung von Regentropfen runder Gestalt zu den Sinnen eines Betrachters bestimmt (B 63). Um Gegenstände oder Zustände aber im Raum bzw. in der Zeit identifizieren zu können, muß man nach Kant bereits über die Vorstellungen von dem Raum überhaupt und von der Zeit überhaupt als bloßen Ordnungssystemen verfügen.
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Besonders deutlich wird die Argumentation Kants in der Formulierung des ersten Abschnitts der Erörterung des Begriffs der Zeit: "Die Zeit ist... kein empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zum Grunde läge. Nur unter deren Voraussetzung kann man sich vorstellen: daß einiges zu einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nacheinander) sei." (B 46) Die Behauptung der Notwendigkeit der Verwendung der Vorstellung der Zeit ist nicht auf die Wahrnehmung nur einiger Gegenstände der Erfahrung eingeschränkt, sondern beansprucht Gültigkeit für "irgendeine" Erfahrung, sei dies eine Erfahrung von eigenen Zuständen, von Gegenständen oder von Zuständen von Gegenständen. Gleichgültig, ob man wahrnimmt, daß "einiges", d.h. irgendwelche besonderen Gegenstände oder Zustände, "zugleich" auftritt bzw. auftreten, oder ob man wahrnimmt, daß sie "nacheinander" auftreten, so muß man hierbei nach Kant über die Vorstellung der Zeit schon verfügen, da man im ersten Falle genaugenommen wahrnimmt, daß sie "zu einer und derselben Zeit" auftreten (vgl. B 46), und man im letzten Falle genaugenommen wahrnimmt, daß sie in verschiedenen Teilen derselben Zeit auftreten (vgl. B 47). Weil alle Wahrnehmungen des Auftretens von Gegenständen oder Zuständen zu bestimmten Zeitpunkten bereits Vorstellungen der Identität oder Differenz dieser Zeitpunkte einschließen, muß bei diesen Wahrnehmungen die Vorstellung der Zeit überhaupt bereits verwendet werden. Der Begriff der Zeit kann seinem Inhalt nach also nicht erst durch Komparation verschiedener Wahrnehmungen des Auftretens von Gegenständen oder Zuständen, durch Reflexion auf ihren systematischen Zusammenhang im Bewußtsein und durch eine Abstraktion von den Unterschieden dieser Wahrnehmungen gebildet werden. Im ersten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes wird die Behauptung, daß dieser Begriff seinem Inhalt nach nicht erst aufgrund von Erfahrungen gebildet werden kann, ausdrücklich auf die "äußere Erfahrung" eingeschränkt. Dieser Ausdruck kann, wie die Analyse der Argumentation Kants zeigen wird, in einem weiteren und einem engeren Sinne verstanden werden. Zur Begründung der Behauptung, "der Begriff des Raumes" könne nicht "von äußeren Erfahrungen abgezogen worden" sein (B 38), bietet Kant zwei Argumente an, die einander durch "ungleichen" gleichgestellt sind. Das erste dieser Argumente wird in der Akademie-Ausgabe und in der Ausgabe von R. Schmidt in einer jeweils anderen Formulierung wieder-
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gegeben. In der Akademie-Ausgabe lautet es: "Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mir bezogen werden (d.i. auf etwas in einem anderen Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde),... dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen." (B 38) Bei Schmidt hingegen, der den Text der Originalausgaben grundsätzlich "auch in solchen Fällen beibehalten" hat, "wo er offensichtlich fehlerhaft ist" (Vorrede des Herausgebers, VI), wird dieser Satz anstelle der Formulierung "auf etwas außer mir" mit der Formulierung "auf etwas außer mich" wiedergegeben. Ob diese Formulierung der Originalausgaben zu den Stellen gehört, an denen der Text offensichtlich fehlerhaft ist, und evtl. die Lesart der Akademie-Ausgabe zu bevorzugen wäre, hängt davon ab, ob diese Formulierung in diesem Satz keinen oder einen solchen Sinn ergibt, der mit dem klar ersichtlichen Sinn anderer Aussagen Kants unvereinbar ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird von Kant im Sinne der Formulierung der Originalausgabe der allgemeine Fall untersucht, daß Empfindungen überhaupt auf etwas anderes als mich selbst bezogen werden; im Sinne der Lesart der Akademie-Ausgabe hingegen würde von Kant bereits der Fall betrachtet, daß Empfindungen auf etwas außerhalb meiner selbst bezogen werden. Im Sinne der Lesart der Akademie-Ausgabe nähme die erste Begründung für die Nicht-Empirizität der Vorstellung des Raumes also auf einen besonderen Fall der Unterscheidung räumlicher Dinge Bezug, und Kant würde argumentieren: Der Begriff des Raumes kann seinem Inhalt nach nicht erst aufgrund von Erfahrungen von Dingen, die außerhalb von einem selbst liegen, gebildet werden, da man die Vorstellung des Raumes bereits verwenden muß, um Empfindungen auf irgendetwas Bestimmtes außerhalb seiner selbst zu beziehen. Im Sinne der Formulierung der Originalausgaben hingegen würde Kant argumentieren: Der Begriff des Raumes kann seinem Inhalt nach nicht aufgrund von Erfahrungen von Dingen, die von einem selbst verschieden sind, gebildet werden, da man die Vorstellung des Raumes bereits verwenden muß, um mit Empfindungen auf etwas anderes als sich selbst Bezug zu nehmen. Im Rahmen dieser beiden Argumentationen hätte die in Klammern gesetzte Formulierung "(d.i. auf etwas in einem anderen Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde)" jeweils eine andere Funktion. Im ersten Falle würde sie eine bloße Verdeutlichung der Bezugnahme auf etwas "außer mir" liefern. Im zweiten Fall hingegen wäre sie als die spezifizierende Behauptung zu verstehen, daß eine Bezugnahme auf etwas anderes als einen selbst nur als Bezugnahme auf etwas räumlich von einem selbst Verschiedenes möglich ist.
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Berücksichtigt man bei der Interpretation des ersten Arguments das zweite, ihm durch "imgleichen" zur Seite gestellte Argument, so wird wahrscheinlich, daß das erste Argument im Sinne der Formulierung der Originalausgaben zu verstehen ist. Das zweite Argument lautet: "damit ich sie", d.h. gewisse Empfindungen, "als außer- und nebeneinander, mithin nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen" (B 38). An dieser Formulierung überrascht zunächst, daß Kant anscheinend behauptet, man körine sich Empfindungen "als in verschiedenen Orten" des Raumes vorstellen. In den Schlüssen aus den Erörterungen des Begriffs der Zeit aber behauptet Kant, daß uns unsere "innere Anschauung keine Gestalt gibt", sondern "das Verhältnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustande" ausschließlich in der Zeit "bestimmt" sei (vgl. B 50). An "verschiedenen Orten" des Raumes (B 38) könnten Empfindungen also nur insofern liegen, als sie Empfindungen räumlich verschiedener Personen wären. Vorstellungen oder Gedanken anderer kann man nach Kant jedoch nicht wahrnehmen, sondern nur durch "Übertragung ... meines Bewußtseins auf andere Dinge" (B 405) als Vorstellungen anderer erkennen. Kant behauptet also nicht, daß es möglich sei, sich Empfindungen als physische Ereignisse vorzustellen, sondern er bezieht sich in dieser Formulierung nur auf die in den Empfindungen selbst erlebten subjektiv bewußten Empfindungsqualitäten, die man sich bei der empirischen Anschauung räumlicher Gegenstände "als in verschiedenen Orten des Raumes" vorstellt (vgl. B 38). Kant begründet die Nicht-Empirizität des Begriffs des Raumes im zweiten Argument also damit, daß man die Vorstellung des Raumes schon verwenden muß, um sich Empfindungsqualitäten als Eigenschaften von Dingen bestimmter räumlicher Lage vorzustellen. Wenn Kant in seinem zweiten Argument aber behauptet, daß die Verwendung der Vorstellung des Raumes eine notwendige Bedingung dafür ist, sich durch Empfindungen auf bestimmte räumliche Dinge zu beziehen, so deckt dieses Argument auch den Fall ab, auf den sich das erste Argument in der Lesart der Akademie-Ausgabe beziehen würde, nämlich die Bezugnahme mit Empfindungen "auf etwas außer mir", d.h. auf Dinge, die räumlich außerhalb von einem selbst liegen. Nur im Sinne der Formulierung der Originalausgaben unterscheidet sich das erste Argument also wesentlich vom zweiten Argument und ergänzt die Argumentation. Außerdem macht nur der Sinn der Formulierung der Originalausgaben klar, warum das erste Argument dem zweiten vorangestellt ist. In diesem Sinn stellt es nämlich eine weitergehende Behauptung auf
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als das zweite: Die Verwendung der Vorstellung des Raumes ist nicht nur eine notwendige Bedingung dafür, sich durch Empfindungen auf Dinge betimmter räumlicher Lage zu beziehen, sondern sogar dafür, überhaupt auf irgendwelche von einem selbst verschiedenen Dinge Bezug zu nehmen. Erst das zweite Argument betrifft dann die Unterscheidung solcher von einem selbst verschiedenen räumlichen Dinge auch voneinander. Wenn aber die Verwendung der Vorstellung des Raumes eine notwendige Bedingung der Bezugnahme "auf etwas außer mich" und der Unterscheidung dieser Dinge voneinander ist, so "kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich" (B 38).
C. III. Leibniz und Kant zur Relationalität des Raumes Mit seiner Behauptung, "die Vorstellung des Raumes" könne "nicht aus den Verhältnissen der äußeren Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung" sei "selbst durch gedachte Vorstellung allererst möglich" (B 38), widerspricht Kant insbesondere der Auffassung von Leibniz, der Raum sei zwar nicht mit der Ausdehnung von Körpern identisch, die Vorstellung des Raumes werde aber aufgrund von Wahrnehmungen von Körpern gebildet. In seiner fünften Streitschrift gegen Clarke heißt es bei Leibniz (nach der Übersetzung von A. Buchenau): "47. Zur Bildung der Raumvorstellung gelangt man etwa in folgender Weise. Man beobachtet, daß verschiedene Dinge gleichzeitig existieren und findet in ihnen eine bestimmte Ordnung des Beisammenseins, der gemäß ihre Beziehung mehr oder weniger einfach ist. Es ist dies ihre wechselseitige Lage oder Entfernung. Ändert nun eines der Elemente seine Beziehung zu einer Mehrheit anderer Glieder, ohne daß unter diesen selbst eine Veränderung vor sich geht, und nimmt ein neu hinzukommendes eben die Beziehung zu den anderen ein, die das erste hatte, so sagt man, es sei an seine Stelle getreten [;]... der Inbegriff aller dieser Stellen aber wird Raum genannt. Es zeigt dies, daß es, um den Begriff der Stelle und folglich den des Raumes zu bilden, genügt, diese Beziehungen und die Regeln ihrer Veränderung zu betrachten, ohne daß man nötig hätte, sich hier eine absolute Realität außer den Dingen, deren Lage man betrachtet, vorzustellen." (aus Leibniz' fünftem Schreiben der Streitschriften zwischen Leibniz und Clarke (1715 - 1716), in: G. W. Leibniz:
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Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, Bd. 1,182 f.; im Originalin: Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz, Bd. VII,400 f.) Kant hat seine Theorie selbst von Leibniz' Theorie abgegrenzt (vgl. irisb.: B 327 ff.; B 56 f.), und Kants Interpretation und Kritik der Auffassung von Leibniz ist bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (u. a.: Vaihinger 1892,416 - 422; Paton 1936,171 -175; Patt 1988 m. w. N.). Einer Klärung bedarf hier, daß Kant Leibniz in der 'Kritik der reinen Vernunft' in einem Punkte nicht widerspricht: Das erste Raum- und das erste Zeitargument sind nicht - wie Patt meint - gegen die Auffassimg von Leibniz gerichtet, "derzufolge Raum und Zeit Relationen zwischen Dingen sind" (vgl. Patt 1988,28). Zwar können wir uns nach Kant denken, daß der Raum sei, obgleich keine Gegenstände in ihm "angetroffen werden" (B 38/39); doch wir können den Raum nur als real erkennen, indem wir irgendwelche räumlichen Gegenstände erkennen, und wir können uns den Raum nur als real denken, indem wir uns denken, es sei zumindest möglich, in ihm irgendwelche Gegenstände anzutreffen, denn Raum und Zeit sind keine "zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge..., welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen" (B 56), sondern der "Raum ... ist unter dem Namen des absoluten Raumes nichts anderes, als die bloße Möglichkeit äußerer Erscheinungen" (B 457 Anm.). Kant ist in der 'Kritik' mit diesem Teil der "Meinung der Philosophen aus der Leibnizschen Schule ganz wohl zufrieden. Der Raum ist bloß die Form der äußeren Anschauimg, aber kein wirklicher Gegenstand, der äußerlich angeschaut werden kann", (vgl. B 459/460) Kant bestreitet Leibniz also keineswegs, daß der reale Raum in der Einheit von räumlichen Beziehungen zwischen Körpern oder deren Teilen besteht; vielmehr behauptet er ausdrücklich, daß "alles, was in unserem Erkenntnis zur Anschauung gehört,... nichts als bloße Verhältnisse enthalte" (B 66). Versteht man den Raum aber als relationale Größe, so scheint zunächst nichts gegen Leibniz' Auffassung zu sprechen, die Vorstellung des Raumes werde erst aufgrund von Wahrnehmungen gleichzeitig existierender Gegenstände gebildet. Zur Bestätigung seiner gegenteiligen Behauptung, man müsse über die Vorstellung des Raumes bereits verfügen, um Gegenstände voneinander unterscheiden zu können, geht Kant in den 'Prolegomena' näher auf das Problem der Unterscheidung von Dingen ein, deren Gestalten sich spiegelsymmetrisch zueinander verhalten. Vergleicht man z.B. ein Dreieck mit seinem Spiegelbild, so kann an jedem von ihnen, wenn es "allein und zugleich vollständig beschrieben wird, nichts angetroffen [werden], was nicht zugleich in der Beschrei-
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bung des anderen läge" (Prol. § 13., 285/286), da ihre Seiten und Winkel intern in denselben räumlichen Relationen zueinander stehen. Daß insbesondere räumliche Gegenstände, deren Gestalten sich symmetrisch zueinander verhalten, nur unter Verwendung der Vorstellung des Raumes voneinander unterschieden werden können, wird nach Kant daran deutlich, daß diese Gestalten miteinander inkongruent sein können. Vergleicht man z.B. das Originalbild eines Ohres oder einer Hand mit dem Spiegelbild dieses Ohres bzw. dieser Hand, sieht man nämlich im Spiegel statt z.B. eines rechten Ohres oder einer rechten Hand ein linkes Ohr bzw. eine linke Hand; und diese können trotz der Identität der internen räumlichen Struktur ihrer Gestalten mit der der Originale nicht die Stelle der Originale einnehmen, da z.B. "der Handschuh der einen Hand ... nicht auf der anderen gebraucht werden" kann. (vgl. Prol. § 13., 286) In seiner Abhandlung "Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume" von 1768 hat Kant mit dem Hinweis auf dieses Problem nicht nur dafür argumentiert, daß der Begriff des Raumes ein "Grundbegriff ist (vgl. Von dem ersten Grunde, 383), sondern darüber hinaus noch die These von der Realität des absoluten Raumes vertreten (vgl. Von dem ersten Grunde, 378). Doch schon in dieser frühen Abhandlung behauptet er, "daß, weil der absolute Raum kein Gegenstand einer äußeren Empfindung, sondern ein Grundbegriff ist, der alle dieselbe zuerst möglich macht, wir dasjenige, was in der Gestalt eines Körpers lediglich die Beziehung auf den reinen Raum angeht, nur durch Gegenhaltung mit anderen Körpern vernehmen können" (Von dem ersten Grunde, 383). In der 'Kritik' zieht Kant aus dieser Unmöglichkeit, den Raum selbst als bestimmten Gegenstand wahrzunehmen, die Konsequenz, die Behauptbarkeit der Realität des absoluten Raumes zu bestreiten: Weil "der Raum ... kein wirklicher Gegenstand [ist], der äußerlich angeschaut werden kann,... sondern die Form der Erscheinungen selbst" (B 459), nehmen diejenigen, die "die absolute Realität des Raumes und der Zeit behaupten", "zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge ... [an], welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen" (vgl. B 56). In der 'Kritik' wird die Möglichkeit der Identifikation von Gegenständen im Raum nicht mehr durch die Annahme der Realität eines absoluten Raumes, sondern mit der These von der Anschauung a priori des Raumes erklärt; und diese Anschauung wird als Vorstellung eines bloßen Ordnungssystems verstanden. Nach Aussagen der 'Kritik' ist der "Raum vor allen Dingen,... die ... eine seiner Form gemäße empirische Anschauung geben ..., unter dem Namen des absoluten Raumes, nichts anderes, als die bloße Möglichkeit äußerer Erscheinungen" (B 458 Anm.). Dement-
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sprechend heißt es in den 'Prolegomena', wir könnten uns "den Unterschied ähnlicher und gleicher, aber doch inkongruenter Dinge (z.B. widersinnig gewundener Schnecken) durch keinen einzigen Begriff verständlich machen, sondern nur durch das Verhältnis zur rechten und linken Hand, welches unmittelbar auf Anschauung geht", (vgl. Prol. § 13., 286) In der 'Kritik der reinen Vernunft' verdeutlicht Kant die Notwendigkeit einer erfahrungsvorgängigen Bekanntschaft mit dem Ordnungssystem des Raumes am Problem der Unterscheidung rein numerisch verschiedener Gegenstände, deren Bilder sich nicht nur symmetrisch, sondern auch kongruent zueinander verhalten. "Wenn uns ein Gegenstand mehrmalen, jedesmal aber mit eben denselben inneren Bestimmungen (qualitas et quantitas) dargestellt wird, so ist derselbe, wenn er als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe und nicht viel, sondern nur Ein Ding (numerica identitas); ist er aber Erscheinung, so ... ist doch die Verschiedenheit der Orter dieser Erscheinung zu gleicher Zeit ein genügsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (der Sinne) selbst. So kann man bei zwei Tropfen Wasser von aller inneren Verschiedenheit (der Qualität und Quantität) völlig abstrahieren, und es ist genug, daß sie in verschiedenen Ortern zugleich angeschaut werden, um sie numerisch verschieden zu halten." (A 263/264 = B 319/320) Die Probleme der Unterscheidung rein numerisch verschiedener Gegenstände und solcher Gegenstände, deren Gestalten sich spiegelsymmetrisch zueinander verhalten, ohne auch miteinander kongruent zu sein, dienen Kant aber lediglich zur Verdeutlichung der NichtEmpirizität der Vorstellung des Raumes. Im ersten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes behauptet Kant darüber hinaus, daß man sich selbst Gegenstände, die man sich schon ihren internen Bestimmungen nach "verschieden" vorstellt, nur unter Verwendung der Vorstellung des Raumes "als in verschiedenen Orten" des Raumes liegend vorstellen und voneinander unterscheiden kann (vgl. A 23 = B 38). Die Vorstellung des Raumes wird nach Kant also trotz ihres relationalen Inhalts nicht aufgrund von Wahrnehmungen räumlicher Gegenstände gebildet, sondern jede Unterscheidung von Gegenständen im Raum setzt bereits voraus, daß verschiedene Räume als Teile ein und desselben Raumes aufgefaßt werden; und nach Aussagen der 'Kritik der reinen Vernunft' ist der Raum überhaupt trotz seiner Einzigkeit kein reales Einzelding, sondern ein a priori angeschautes Ordnungssystem von Gegenständen möglicher Erfahrung.
D. Die Vorstellungen von Raum und Zeit sind Bedingungen jeder möglichen Erfahrung D. I. Die Unmöglichkeit, sich vorzustellen, daß kein Raum und keine Zeit sei Zur Begründung der These, die Verwendung der Vorstellungen von Raum und Zeit sei eine notwendige Bedingung jeder möglichen Erfahrung, reicht der Nachweis der Nicht-Empirizität dieser Vorstellungen nicht hin. Noch ließe sich behaupten, die Begriffe von Raum und Zeit besäßen lediglich relative Allgemeingültigkeit für die von uns bisher wahrgenommenen Gegenstände, und es liege nur an der Beschränktheit unserer bisherigen Erfahrung, daß uns keine anderen als raumzeitliche Gegenstände oder zeitliche Zustände vorgekommen sind. In diesem Falle wäre die Verwendung der Vorstellungen von Raum und Zeit keine notwendige Bedingung jeder möglichen Wahrnehmung von etwas, sondern die Vorstellungen von Raum und Zeit wären neben möglichen anderen lediglich Bedingungen der Wahrnehmung einiger besonderer Dinge. Für die Apriorität der Vorstellungen von Raum und Zeit argumentiert Kant damit, daß der Begriff der möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstände oder Zustände weiter ist als der Begriff der von uns wahrgenommenen Gegenstände oder Zustände, aber auch dieser weitere Begriff die Anschauungsform des Raumes bzw. der Zeit einschließt. Dies soll mit der Möglichkeit einer und der Unmöglichkeit einer anderen Abstraktion nachgewiesen werden: Man könne sich "niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken" könne, "daß keine Gegenstände darin angetroffen werden" (vgl. B 38/39); bzw. man könne "in Ansehung der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbst nicht aufheben, ob man zwar ganz wohl die Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen" könne (vgl. B 46). In den ersten Teilen dieser Gegenüberstellungen wird nicht behauptet, daß es ganz unmöglich sei, vom Raum bzw. von der Zeit abzusehen, sondern lediglich, daß man "in Ansehung der Erscheinungen überhaupt" nicht von der Zeit absehen könne (B 46) bzw. es unmöglich sei, sich vorzustellen, "daß kein Raum sei" (B 38). Nach Kant ist es durchaus möglich, von der Räumlichkeit und der Zeitlichkeit
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abzusehen, indem man sich nämlich denkt, "daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, sondern bloß auf Gegenstände unserer Sinne geht... und mithin für irgendeine andere Art Anschauung und also auch für Dinge als Objekte derselben Platz übrig bleibt" (B 342/ 343). Nur sind solche Dinge keine möglichen "Erscheinungen", von denen man sich vorstellen kann, daß sie 'sind', sondern der Begriff von ihnen bleibt notwendig "problematisch, d.i. die Vorstellung eines Dinges, von dem wir weder sagen können, daß es möglich, noch daß es unmöglich sei, indem wir gar keine Art der Anschauung als unsere sinnliche kennen" und dieser Begriff somit "keine anzugebende positive Bedeutung" hat (B 343). Jede "Erscheinung" hingegen ist der "unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung", und "empirisch" ist jede "Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht", (vgl. B 34) Kants erste Behauptung ist also, es sei unmöglich, von der Realität des Raumes bzw. der Zeit abzusehen, was für Gegenstände oder Zustände, auf die man sich durch irgendwelche Empfindungen beziehen könnte, man sich auch immer vorstellt. Hiermit weitet Kant die Betrachtung über den Bereich der tatsächlichen Erfahrung auf den Bereich der denkbaren Erfahrung aus und behauptet jetzt ganz allgemein, daß die Verwendung der Vorstellung der Zeit eine notwendige Bedingung der Erfahrung von jedem überhaupt als wahrnehmbar vorstellbaren Gegenstand oder Zustand und die Verwendung der Vorstellung des Raumes eine notwendige Bedingung der Erfahrung von jedem überhaupt als wahrnehmbar vorstellbaren äußeren Gegenstand ist.
D. II. Die Möglichkeit, sich vorzustellen, in Raum und Zeit keine Erscheinungen anzutreffen Im zweiten Schritt der Argumentation für die Apriorität der Vorstellungen von Raum und Zeit wird behauptet, es lasse sich im Gegensatz zu nichträumlichen oder nichtzeitlichen Erscheinungen durchaus "denken", daß der Raum sei, obgleich "keine Gegenstände darin angetroffen werden" (vgl. B 39), bzw. daß die Zeit sei, obgleich für uns keine "Erscheinungen" in ihr liegen (vgl. B 46). Diese Behauptung ist nicht so zu verstehen, daß man sich Raum und Zeit als real vorstellen und es zugleich für unmöglich halten könnte, Gegenstände oder Zustände in ihnen anzutreffen, denn Raum und Zeit "können an sich gar nicht wahrgenommen werden" (B 207) und "sind, ohne ein Reales, keine Objekte" (A
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292 = B 349). Da man sich nicht vorstellen kann, Raum und Zeit seien real, "ohne daß doch etwas Wirkliches ist" (vgl. B 56), muß man sich stets irgendwelche Gegenstände oder Zustände als real vorstellen, wenn man sich den Raum oder die Zeit als real vorstellt. Kant behauptet lediglich, daß man sich hierbei nicht genau die Gegenstände oder Zustände als real vorstellen muß, die tatsächlich in Raum und Zeit "angetroffen werden" können (vgl. B 39). Abstrahiert werden soll also nur von der Realität, nicht aber auch von der Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen oder Zuständen in Raum oder Zeit. Diese Abstraktion ist auf zweierlei Weise möglich. Zum einen kann man sich anhand gegebener Empfindungen beliebige Gegenstände oder eigene Zustände vorstellen und ganz unausgemacht lassen, ob diese Gegenstände existieren oder man sich zu bestimmten Zeiten in diesen Zuständen befand. Zum anderen kann man darüber hinaus von den Qualitäten der gegebenen Empfindungen absehen, sich eine Empfindung nur als eine einzelne Vorstellung beliebigen bestimmten Intensitätsgrades denken (vgl. B 218) und nur artnehmen, es sei möglich, irgendeinen unbestimmten Gegenstand oder Zustand wahrzunehmen. Solange man nicht ausschließt, daß irgendwelche einem selbst eventuell imbekannten Gegenstände oder Zustände in Raum oder Zeit identifiziert werden könnten, kann man zwar nicht behaupten, sich aber "denken", Raum und Zeit seien als Eigenschaften dieser Gegenstände oder Zustände real, obgleich man selbst über keine Erkenntnisse von ihnen verfügt. Die Leistung, sich bestimmte Gegenstände vorzustellen, ohne ihre Existenz zu behaupten, ist nach Kant, sich diese einzubilden. Die "Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen". (B 151) Um sich irgendwelche bestimmten Gegenstände oder Zustände einzubilden, muß man sich erlebte Empfindungsqualitäten oder komplexe Wahrnehmungsinhalte als Eigenschaften dieser Gegenstände vorzustellen, und dies macht es erforderlich, sich irgendwelche der im Ablauf des sinnlichen Erlebens gegebenen Inhalte erneut, nämlich in der Ordnung der Eigenschaften der eingebildeten Gegenstände, bewußt zu machen. Die Einbildungskraft muß also teilweise ein "reproduktives Vermögen" sein, "eine Wahrnehmung, von welcher das Gemüt zu einer anderen übergegangen, zu den nachfolgenden herüberzurufen und so ganze Reihen derselben darzustellen" (vgl. A 121). Diese "Reproduktion" muß zwar "eine Regel haben, nach welcher eine Vorstellung vielmehr mit dieser als mit einer anderen in der Einbildungskraft in Verbindung tritt" (vgl. A 121), doch sie kann ganz unwillkürlich und ohne Anspruch auf objektive Gültigkeit, nämlich nach bloßen "Gesetzen... der Assoziation"
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(vgl. B 152), erfolgen. In der "Imagination" bleibt "das objektive Verhältnis der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt" (B 233/ 234), weil diese nicht unter den "formalen Bedingungen der Bestimmung der Gegenstände in der Erfahrung überhaupt" vorgestellt werden (vgl. B 272). So bildet man sich z.B. im Traum Gegenstände oder Ereignisse bloß ein. "Der Unterschied aber zwischen Wahrheit und Traum wird nicht durch die Beschaffenheit der Vorstellunjgen, die auf Gegenstände bezogen werden, ausgemacht, denn die smd in beiden einerlei, sondern durch die Verknüpfung derselben nach den Regeln, welche den Zusammenhang der Vorstellungen in dem Begriff eines Objekts bestimmen, und inwiefern sie in einer Erfahrung beisammen stehen können oder nicht." (Prol. § 13. Anm. III., 290) Man kann aber auch ganz davon absehen, sich bestimmte Gegenstände vorzustellen und sich dennoch denken, Raum und Zeit seien möglicherweise real, nämlich indem man von den Qualitäten der gegebenen Empfindungen absieht, sie sich nur in ihrer allgemeinen Eigenschaft, irgendeinen Intensitätsgrad zu besitzen (vgl. B 218), vorstellt und sich denkt, das Verfahren der Verknüpfung von Vorstellungen in der Einbildung könne überhaupt irgendeinen Anwendungsfall haben. "Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen", d.h. überhaupt irgendwelche Vorstellungen nach einer Regel zu reproduzieren, nennt Kant "das Schema zu diesem Begriffe", (vgl. B 179/180) Die Verwendung eines solchen Schemas und damit die Annahme der Möglichkeit, irgendwelche Gegenstände oder Zustände durch die Reproduktion irgendwelcher Empfindungen wahrzunehmen, ist nach Kant notwendige Bedingung dafür, sich den Raum oder die Zeit als real vorzustellen: "Selbst der Raum und die Zeit, so rein diese Begriffe auch von allem Empirischen sind, und so gewiß es auch ist, daß sie völlig apriori im Gemüte vorgestellt werden, würden doch ohne objektive Gültigkeit und ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn ihr notwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung nicht gezeigt wurde; ja ihre Vorstellung ist ein bloßes Schema, aas sich immer auf die reproduktive Einbildungskraft bezieht". (A 156 = B 195) Man kann sich Raum und Zeit also nur als objektive Größen vorstellen und sich zugleich "denken ..., daß keine Gegenstände darin angetroffen werden" (vgl. B 38/39), indem man sich beliebige bestimmte möglicherweise wahrnehmbare Gegenstände oder Zustände einbildet
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oder es zumindest für möglich hält, irgendwelche Gegenstände bzw. Zustände wahrzunehmen. Wenn man sich aber einerseits durchaus denken kann, Raum und Zeit seien real, obgleich man selbst keine bestimmten Gegenstände oder Zustände wahrnimmt, und wenn man sich andererseits keine möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstände oder Zustände vorstellen kann, ohne die Vorstellungen von Raum und Zeit zu verwenden, ist die Notwendigkeit der Verwendung der Vorstellungen von Raum und Zeit nicht auf die Identifikation nur der Dinge eingeschränkt, die man wahrnimmt oder wahrgenommen hat. Da wir nur solche Dinge wahrnehmen können, die wir uns zumindest als bestimmte wohlunterscheidbare Dinge vorstellen können, und wir uns unseres Wissens nur räumliche Gegenstände und zeitliche Zustände als bestimmte voneinander verschiedene Dinge vorstellen können, müssen die Vorstellungen von Raum und Zeit vielmehr als notwendige Bedingung jeder überhaupt nur möglichen Erfahrung gelten. Darüber, ob es uns eines Tages möglich sein wird oder anderen Wesen möglich ist, Gegenstände auf andere Weise als durch die Verwendung der Vorstellungen von Raum und Zeit zu identifizieren, kann nur haltlos spekuliert werden. Die Vorstellungen von Raum und Zeit besitzen also nicht bloß komparative, sondern absolute Allgemeingültigkeit im Rahmen jeder unseres Wissens menschenmöglichen Erfahrung von Gegenständen oder eigenen Zuständen. Und da man zu Recht nur die Existenz solcher Gegenstände oder Zustände behaupten kann, von denen man eine gesicherte Erkenntnis hat, kann nach menschlichem Ermessen nur die Existenz raumzeitlicher Gegenstände und zeitlicher Zustände behauptet werden. Unseres Wissens ist die Vorstellung des Raumes also "eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt" (B 39), und ist in der Zeit "allein ... alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich" (B 46).
D. III. Die Selbsterkenntnis erfordert Erkenntnisse räumlicher Gegenstände Kants Begründungen für die Apriorität der Vorstellungen von Raum und Zeit scheinen die Interpretation zuzulassen, daß Kant Erfahrungen für möglich hält, die nicht die Verwendung der Vorstellung des Raumes zur Voraussetzung haben: Wenn die Vorstellung der Zeit "eine notwendige Vorstellung" ist, "die allen Anschauungen zum Grunde liegt" (B46), und die Vorstellung des Raumes "eine notwendige Vorstellung a priori" ist, "die allen äußeren Anschauungen zum Grunde
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liegt" (B 38), so scheinen alle Erfahrungen, die keine Erfahrungen von solchen Dingen sind, die von einem selbst verschieden sind, d.h. alle Erfahrungen, die auf Anschauungen "unserer selbst und unseres inneren Zustandes" beruhen (vgl. B 49), nur die Vorstellung der Zeit, nicht aber die des Raumes vorauszusetzen. Solange man sich auf Erfahrungen eigener Vorstellungen beschränkt, scheint es nicht nötig, diese von Dingen zu unterscheiden, die von einem selbst verschieden sind und im Raum liegen, denn soweit es nur um "das Verhältnis der Vorstellungen in unserem inneren Zustande" geht, so ist dies nach Kant hinreichend in der Zeit "bestimmt" (vgl. B 59). Gegen die Interpretation, die Vorstellung des Raumes sei eine notwendige Bedingung nur der Erfahrung von äußeren Gegenständen, nicht aber auch der Erfahrung von eigenen Zuständen, spricht jedoch, daß Kant den Raum als "Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen" überhaupt (A 24 = B 39) bezeichnet und dies mit der Behauptung begründet, man könne sich "niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei" (A 24 = B 38). Erst in der zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft', nämlich im Rahmen der hier neuen "Widerlegung des Idealismus", argumentiert Kant ausdrücklich dafür, daß schon das "bloße, aber empirisch bestimmte Bewußtsein meines eigenen Daseins" die Bezugnahme auf Gegenstände und damit die Verwendimg der Vorstellung des Raumes voraussetzt (vgl. B 275). Die hierfür vorgebrachten Argumente beruhen jedoch auf Befunden der transzendentalen Ästhetik, die in der ersten und zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' identisch sind. In der "Widerlegung des Idealismus" behauptet Kant ausdrücklich, daß die "innere Erfahrung" als "empirische Erkenntnis" seiner selbst und eigener Vorstellungen "nur vermittelst" der äußeren Erfahrung (vgl. B 276/277), d.h. der Erkenntnis von "Gegenstände[n] im Raum außer mir" (vgl. B 275) möglich sei. Der "Beweis" hierfür setzt mit der Behauptung ein: "Ich bin mir meines Daseins als in der Zeit bestimmt bewußt." (B 275) Mit dieser Behauptung nimmt Kant einen der "Schlüsse" aus der metaphysischen Erörterung des Begriffs der Zeit auf: "Die Zeit ist nichts anderes als die Form des inneren Sinnes, d.i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes." (A 33 = B 49) Die Zeit ist "keine Bestimmung äußerer Erscheinungen" als solcher, da in ihr keine "Gestalt oder Lage" bestimmt werden kann (A 33 = B 49/50), sondern als rein zeitliche Größen lassen sich nur eigene Vorstellungszustände unterscheiden. Der Beweis dafür, daß man Vorstellungen nur durch Bezugnahme auf räumliche Gegenstände in einer bestimmten zeitlichen Ordnung
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wahrnehmen kann, wird mit dem Argument fortgeführt: "Alle Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraus." (B 275) Diese Behauptung wird näher in dem neu in die zweite Auflage aufgenommenen ersten Absatz des 'Beweises' für den 'Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz' erläutert, wo es heißt, es müsse "in den Gegenständen der Wahrnehmung, d.i. den Erscheinungen, das Substrat anzutreffen sein, welches die Zeit überhaupt vorstellt" (vgl. B 225). Begründet wird dies damit, daß "die Zeit für sich nicht wahrgenommen werden" kann (vgl. B 225). Auch diese Behauptung wird bereits in der transzendentalen Ästhetik, nämlich ebenfalls in den 'Schlüssen' aus den Erörterungen des Begriffs der Zeit aufgestellt: "Die Zeit ist nicht etwas, was für sich selbst bestünde", d.h. nicht etwas, "was ohne wirklichen Gegenstand dennoch wirklich wäre", (vgl. A 32 = B 49) Raum und Zeit sind keine "zwei ewigefn] und unendliche[n] für sich bestehende[n] Undinge ..., welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen" (A 39 = B 56), sondern jede "Zeitbestimmung" setzt die Wahrnehmung von etwas in der Zeit "Beharrlichelm]" voraus (B 275), und "alle Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst" (A 182). "Die bloße Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein Gegenstand, sondern die bloße formale Bedingung desselben (als Erscheinung)". (A 291 = B347) Also kann man die Zeit nur durch die Wahrnehmung einer in der Zeit beharrenden Substanz als real erkennen. Der entscheidende Schritt im 'Beweis' der 'Widerlegung des Idealismus' dafür, sich zur zeitlichen Bestimmung eigener Vorstellungen auf räumliche Gegenstände beziehen zu müssen, liegt in der Behauptung: "Dieses Beharrliche aber kann nicht etwas in mir sein, weil eben mein Dasein in der Zeit durch dieses Beharrliche allererst bestimmt werden kann." (B 275) Die hier bestrittene Möglichkeit, die zeitliche Folge eigener Vorstellungen relativ zu etwas Beharrlichem 'in mir' zu bestimmen, scheint zunächst recht naheliegend: Wenn die Anschauungsform der Zeit die Form ist, in der wir uns insbesondere unserer Vorstellungen bewußt sind, so müssen bei jeder Wahrnehmung unsere Empfindungen stets gleichzeitig mit der Vorstellung der Zeit vorliegen; anscheinend könnte man sich zur Bestimmung der Folge eigener Vorstellungen also z.B. auf die relativ beharrliche Vorstellung der Zeit selbst beziehen und sich vor-
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stellen, man habe jede seiner aufeinanderfolgenden Empfindungen im Verlauf der Zeit, in der man sich der Anschauungsform der Zeit bewußt ist. Zurückgewiesen wird die Möglichkeit, sein Erleben zeitlich relativ zu eigenen beharrenden Vorstellungen zu bestimmen, mit der Behauptung, daß "mein Dasein in der Zeit durch dieses Beharrliche allererst bestimmt werden kann" (B 275). Als Einwand könnte diese Behauptung zunächst im Sinne eines Hinweises darauf verstanden werden, daß eine zeitliche Bestimmung eigener Vorstellungen relativ zueinander nicht weit genug ginge: Wenn man sich Empfindungen nur relativ z.B. zur beharrenden Vorstellung der Zeit als an bestimmten Zeitstellen liegend vorstelle, so bleibe dadurch unbestimmt, welche Stelle in der Zeit die eigenen Erlebnisse insgesamt einnehmen, da die Zeitstelle des 'Daseins' eines selbst als dem Vorstellenden nicht angegeben wird; um sein Erleben insgesamt zeitlich zu lokalisieren, müsse man es vielmehr relativ zu etwas bestimmen, das das eigene Erleben überdauert, und hierbei könne es sich nur um von einem selbst verschiedene räumliche Gegenstände handeln. Der Grund dafür, sich zur zeitlichen Bestimmung eigener Vorstellungen auf räumliche Gegenstände beziehen zu müssen, kann jedoch nicht in der vermeintlichen Notwendigkeit liegen, sein Erleben insgesamt zeitlich zu lokalisieren. Könnte man zeitliche Bestimmungen stets nur dann korrekt treffen, wenn man auch die Dauer der Existenz des Beharrlichen bestimmt, relativ zu der man ein besonderes Ereignis lokalisiert, so würde dies zu einem infiniten Regreß von Zeitbestimmungen bzw. dazu führen, daß zeitliche Bestimmungen im Rahmen endlicher Erfahrung ganz unmöglich wären. Die bei allem Wechsel der eigenen Vorstellungen beharrende Substanz kann nicht als entstehender oder vergehender Gegenstand bestimmter Dauer wahrgenommen werden, da der der Existenz dieses Gegenstandes vorhergehende und der darauffolgende Zustand in der Dauer der Existenz eines weiteren beharrenden Gegenstandes bestimmt werden müßten usw. ins Unendliche, denn "bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert" (A 182 = B 224). Wenn aber die Dauer der Existenz des Dinges, relativ zu der man ein bestimmtes Ereignis lokalisiert, letztlich unbestimmt bleiben muß, so ist nicht zu sehen, warum nicht auch die Dauer unseres Erlebens insgesamt unbestimmt bleiben könnte, um sich eigene Vorstellungen als zeitlich geordnet vorzustellen. Hierzu scheint es also nicht nötig, sich auf räumliche Gegenstände zu beziehen, sondern hinreichend, z.B. die Vorstellung der Zeit als beharrende Bezugsgröße wahrzunehmen.
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In der Vorrede zur zweiten Auflage schlägt Kant vor, die dritte Prämisse des Beweises der Widerlegung des Idealismus folgendermaßen umzuformulieren: "Dieses Beharrliche aber kann nicht eine Anschauung in mir sein. Denn alle Bestimmungsgründe meines Daseins, die in mir angetroffen werden können, sind Vorstellungen und bedürfen als solche selbst ein von ihnen unterschiedenes Beharrliches, worauf in Beziehung der Wechsel derselben, mithin mein Dasein in der Zeit, darin sie wechseln, bestimmt werden könne." (B XXXIX Anm.) In dieser Formulierung wird deutlich, daß das Beharrliche, in dessen Dauer ich mein Dasein bestimme, deshalb nichts 'in mir' sein kann, weil wir in der Selbstwahrnehmung gar nichts Beharrliches wahrnehmen. Schon in der ersten Auflage behauptet Kant, daß die Zeit "die einzige Form unserer inneren Anschauung ist", sie aber "nichts Bleibendes hat, mithin nur den Wechsel der Bestimmungen, nicht aber den bestimmbaren Gegenstand zu erkennen gibt" (A 381). In "dem, was wir Seele nennen, ist alles im kontinuierlichen Flusse und nichts Bleibendes" (A 381), und auch wenn "ich alle und jede meiner sukzessiven Bestimmungen auf das numerisch-identische Selbst in aller Zeit" beziehe (A 362), so können wir doch "aus unserem Bewußtsein darüber nicht urteilen, ob wir als Seele beharrlich sind" (A 364), da wir "durch keine sichere Beobachtung eine solche Beharrlichkeit dartun können" (A 350). Wie noch näher zu erläutern sein wird, kann sich nach Kant der Wahrnehmende selbst nicht als räumlichen Gegenstand erkennen, da es eine notwendige Bedingung der Bezugnahme mit Vorstellungen auf Gegenstände oder Zustände ist, daß der Vorstellende sich der Inhalte seiner Vorstellungen bewußt ist und ein Selbstbewußtsein von sich als denkendem Wesen haben kann. Wenn man sich etwas Bestimmtes vorstellt, hat man nicht nur gewisse sinnliche Erlebnisse, sondern man stellt sich die erlebten Qualitäten "als im Objekt verbunden" (B 130), d.h. als Eigenschaften von etwas vor. Dies geschieht nach Kant dadurch, daß die Vorstellungen des betreffenden Inhalts gedanklich verknüpft und diese Verknüpfungen als methodisch korrekt und somit als gültige Verbindungen aufgefaßt werden; dies wiederum ist seines Erachtens nur so möglich, daß der Vorstellende sich der gedanklichen Verknüpfung von Vorstellungen mehr oder weniger deutlich bewußt ist und sich in jedem Falle des Vorstellens von etwas die Leistung der Verknüpfung als eigene Leistung zuschreiben kann (vgl. B 131/132). Dies gilt auch, wenn man sich darauf beschränkt, sich eigene Vorstellungen zuzuschreiben, denn auch dann stellt man sich sinnlich erlebte Qualitäten durch ihre
9 0 Ehe Vorstellungen von Raum und Zeit sind Bedingungen jeder möglichen Erfahrung
Verwendung in Begriffen als Qualitäten von etwas vor. Wenn man aber ein mehr oder weniger deutliches Bewußtsein von sich als denkendem Wesen haben muß, um sich räumliche oder zeitliche Strukturen oder gewisse Empfindungsqualitäten als Eigenschaften von Gegenständen oder Zuständen vorzustellen, kann man sich als denkendes Wesen nicht als einen bestimmten Gegenstand wahrnehmen, da man "dasjenige, was ... [man] voraussetzen muß, um überhaupt ein Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen" kann (A 402). Das Selbstbewußtsein des Erkennenden ist "sowenig Anschauung als Begriff von irgendeinem Gegenstande, sondern die bloße Form des Bewußtseins, welches beiderlei Vorstellungen begleiten, und sie dadurch zu Erkenntnissen erheben kann" (A 382, vgl. B 408). Gegenstände, die als bestimmte Gegenstände wahrgenommen und erkannt werden können, müssen also als vom Vorstellenden selbst verschiedene räumliche Gegenstände vorgestellt werden; und eigene Vorstellungen können nicht als räumliche Gegenstände oder Zustände räumlicher Gegenstände vorgestellt werden, da man sie sich so als von einem selbst verschiedene Dinge oder als Zustände von einem selbst verschiedener Dinge vorstellen würde. Man selbst als Vorstellender oder eigene Vorstellungen kommen also nicht als wahrnehmbare beharrende Substanzen in Frage, relativ zu deren Existenz man die Dauer und zeitliche Ordnung eigener Vorstellungen bestimmen kann. Zwar sind wir uns aller unserer Empfindungen in der Anschauungsform der Zeit bewußt, doch das Vorstellen der Zeit beharrt nicht während unseres Empfindens, denn es kann nicht als unabhängig von uns für die Dauer unseres sinnlichen Erlebens existierender Gegenstand wahrgenommen werden. Um uns unsere Vorstellungen relativ zur Dauer der Existens einer beharrlichen Substanz als bestimmte zeitliche Zustände zuschreiben zu können, müssen wir sie uns also unter Bezugnahme auf räumliche Gegenstände zuschreiben, denn nur eine "Erscheinung vor dem äußeren Sinn [hat] etwas Stehendes oder Bleibendes, welches ein den wandelbaren Bestimmungen zum Grunde liegendes Substratum ... an die Hand gibt" (A 381). Also muß in den "Gegenständen" der äußeren "Wahrnehmung ... das Substrat anzutreffen sein, welches die Zeit überhaupt vorstellt, und an dem aller Wechsel oder Zugleichsein durch das Verhältnis der Erscheinungen zu demselben ... wahrgenommen werden kann", (vgl. B 225) Als wahrnehmbarer Träger der real abgelaufenen Zeit insgesamt kommt nur "die Substanz, die im Räume" überhaupt wahrnehmbar ist und "die wir Materie nennen" (vgl. B 321 = A 265), in Frage. Sie ist "ein Etwas ..., das im Räume und der Zeit angetroffen wird, mithin ein Dasein enthält und der Empfindung korrespondiert", (vgl. B 751 = A 723) Die Materie räumli-
Die Selbsterkenntnis erfordert Erkenntnisse räumlicher Gegenstände
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eher Gegenstände überhaupt kann nicht als wechselnder Zustand einer weiter zugrundeliegenden Substanz erfahren werden, denn "das Entstehen und Vergehen schlechthin, ohne daß es bloß eine Bestimmung des Beharrlichen betreffe, kann gar keine mögliche Wahrnehmung sein", weil "eine leere Zeit, die vorherginge,... kein Gegenstand der Wahrnehmung" sein kann (B 231 = A 188). Die Dauer der Existenz der Materie, d.h. der Existenz räumlicher Gegenstände überhaupt (vgl. B 751, B 321), kann also nur als die Gesamtheit der Zeiträume ihrer Zustandswechsel bestimmt werden. Auch wenn wir z.B. bei geschlossenen Augen unsere Aufmerksamkeit ausschließlich dem Ablauf unserer Vorstellungen zuwenden, müssen wir es zumindest für möglich halten, irgendwelche in dieser Zeit beharrenden räumlichen Gegenstände wahrzunehmen. In der zweiten Auflage der 'Kritik' erklärt Kant, wir müßten, "um uns nachher selbst innere Veränderung denkbar zu machen ..., die Zeit als die Form des inneren Sinnes figürlich durch eine Linie und die innere Veränderung durch das Ziehen dieser Linie (Bewegung), mithin die sukzessive Existenz unserer selbst in verschiedenem Zustande durch äußere Anschauung uns faßlich machen", da "alle Veränderung etwas Beharrliches in der Anschauung voraussetzt, um auch selbst nur als Veränderung wahrgenommen zu werden, im inneren Sinn aber gar keine beharrliche Anschauung angetroffen wird" (B 292). Dasselbe gilt schon nach der ersten Auflage der 'Kritik' für den allgemeinen Fall, daß wir uns die Zeit überhaupt, in der alle möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstände oder Zustände lägen, vorstellen. Da wir im Rahmen unserer endlichen Erfahrung "das Weltganze jederzeit nur im Begriffe, keineswegs aber (als Ganzes) in der Anschauung" haben (A 518/519 = B 546/547) und weder alle möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstände noch einen ewig existierenden Gegenstand wahrnehmen können, an dem die Zeit überhaupt als Eigenschaft vorliegen könnte, müssen wir die Zeitfolge überhaupt in einer "Analogie", nämlich "an einer äußeren Anschauung ausdrücken", indem wir sie uns "durch eine ins Unendliche fortgehende Linie [vorstellen], in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist" (vgl. A 33 = B 50). Und wir müssen zu dieser Analogie greifen, da die Zeit "keine Bestimmung äußerer Erscheinungen", d.h. keine Eigenschaft von uns selbst verschiedener wahrnehmbarer Gegenstände als solcher, sondern "nichts anderes [ist], als die Form des inneren Sinnes, d.i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes". (vgl. A 33 = B 49) Die Verwendung des Bildes der Linie als Analogie der Zeit schließt die Überzeugung von der Möglichkeit der Wahrnehmung
9 2 Die Vorstellungen von Raum und Zeit sind Bedingungen jeder möglichen Erfahrung
räumlicher Gegenstände ein, denn Realität besitzt eine Linie nur als Grenze der Fläche eines Körpers. Jede Linie ist als solche lediglich ein "Raum, der die Grenze der Fläche ist", und jede Fläche ist nur "die Grenze des körperlichen Raumes", und nur von diesem "vollen Raum" ist Erfahrung möglich. (Prol. § 57., 354) Nur die Anschauungsform des Raumes also macht die Wahrnehmung existierender Gegenstände möglich und erlaubt es damit, sich eigene Vorstellungen als in der realen Zeit liegend, nämlich als relativ zu der Dauer der Existenz von Gegenständen bestimmt, vorzustellen. Die Anschauungsform des Raumes ist also nicht nur eine notwendige Bedingung eines Teils unserer Erfahrung, nämlich aller Wahrnehmungen und Erkenntnisse von uns selbst verschiedener Dinge, sondern sie ist wie die Anschauungsform der Zeit eine notwendige Bedingung aller uns möglichen Erfahrungen. "Man kann sich" also im Rahmen der uns möglichen Erfahrung "niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei", (vgl. B 38)
E. Der Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit Zur Begründung der These, es handele sich bei den Vorstellungen von Raum und Zeit um Anschauungen a priori, ist über die Argumentation für die Nicht-Empirizität und für die absolute Allgemeingültigkeit der Begriffe von Raum und Zeit hinaus noch eine Begründung dafür erforderlich, daß die Verwendung dieser Begriffe eine sinnliche Anschauung voraussetzt. Diese Begründung gibt Kant jeweils in den letzten beiden Abschnitten der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit unter Bezugnahme auf den Umfang bzw. den Inhalt dieser Begriffe. Im jeweils vorletzten Abschnitt soll gezeigt werden, daß der mögliche Umfang des Begriffs des Raumes bzw. des Begriffs der Zeit durch eine Anschauung a priori festgelegt ist, und im jeweils letzten Abschnitt soll bewiesen werden, daß der Inhalt des Begriffs des Raumes bzw. des Begriffs der Zeit potentiell unendlich mannigfaltig ist und daher aus einer Anschauung a priori stammt. E. I. Der Umfang der Begriffe von Raum und Zeit ist durch eine Anschauung a priori bestimmt Im dritten Abschnitt der Erörterung des Begriffs des Raumes und im vierten Abschnitt der Erörterung des Begriffs der Zeit behauptet Kant, daß der Umfang dieser Begriffe nicht wie der Umfang diskursiver Begriffe, unter die beliebig viele Exemplare fallen können, ganz unbestimmt ist, sondern bei jeder näheren Bestimmung von etwas Räumlichem oder etwas Zeitlichem in einer Hinsicht festliegt. Der "Umfang" eines Begriffs ist die Menge der "Dinge", die "unter ihm" als ihrem gemeinsamen Merkmal "enthalten" sind. (Logik § 7., 95) Wird ein "Begriff als ein solcher" (B 40), d.h. wird er in den allgemeinen Formen seiner Verwendung betrachtet und von einer Bestimmung seines Inhaltes abgesehen, wie es in der formalen Logik geschieht, muß man auch seinen Umfang unbestimmt lassen und kann den Begriff nur in seiner Funktion charakterisieren, zur Kennzeichnung irgendwelcher vorgestellten Dinge dienen zu können. Abstrahiert man vom Inhalt ei-
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Der Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit
nes Begriffs, ist nicht zu entscheiden, ob er auf ein bestimmtes Einzelding oder auf eine bestimmte Menge von Dingen bezogen werden kann. Durch die Grundsätze der formalen Logik wird lediglich gefordert, daß ein Merkmal nur dann korrekt zur Kennzeichnung irgendwelcher Dinge verwendet wird, wenn man diese Dinge auch durch einen "äußeren Gebrauch" dieses Merkmals von möglichen anderen nach Gattungen und Arten unterscheiden könnte (vgl. Logik, Einl., 58). "Aber einen niedrigsten Begriff..., worunter kein anderer mehr enthalten wäre, gibt es in der Reihe der Arten und Gattungen nicht" und zwar, weil ein solcher sich formal "unmöglich bestimmen läßt. Denn haben wir auch einen Begriff, den wir unmittelbar auf Individuen anwenden: so können in Ansehung desselben doch noch spezifische Unterschiede vorhanden sein, die wir entweder nicht bemerken, oder die wir aus der Acht lassen. Nur komparativ für den Gebrauch gibt es niedrigste Begriffe". (Logik § 11. Anm., 97; vgl. Logik Pölitz, 569) Der Umfang eines Begriffs läßt sich nur unter Berücksichtigung seines Inhaltes bestimmen. "Bestimmte Erkenntnisse ... einzelne[r] Dinge oder Individuen" kann es nur durch "Anschauung, nicht aber als Begriffe, geben". (Logik § 15. Anm., 99) Die Begriffe von Raum und Zeit weisen nun ihrem Umfang nach eine Besonderheit auf. Zwar läßt sich auch für diese Begriffe nur im Rahmen bestimmter Erfahrungen oder zumindest Einbildungen entscheiden, ob sie jeweils auf einen Gegenstand bzw. Zustand oder eine Mehrzahl unterscheidbarer Gegenstände oder Zustände angewandt werden, doch von beiden Begriffen versteht sich ganz unabhängig von jeder wirklichen Erfahrung, daß man mit ihnen auf jede räumliche Gestalt und jede Dauer nur als Teil genau eines Raumes bzw. genau einer Zeit Bezug nehmen kann. Man kann "sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen redet, so versteht man darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes" (B 39), und "verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit" (B 47). Von anderen Begriffen gilt Entsprechendes nicht mit Notwendigkeit. So ist es durchaus möglich, sich jeden beliebigen materiellen Körper als aus materiellen Teilen zusammengesetzt vorzustellen. Den Raum hingegen, den ein Körper einnimmt, kann man sich nicht als aus den Teilräumen zusammengesetzt vorstellen, die die materiellen Teile dieses Körpers einnehmen, da die Verwendung der Vorstellung des einen Gesamtraumes eine notwendige Bedingung der Identifikation materieller Körper ist. Teilräume "können... nicht vor dem einigen allbefassenden Räume gleichsam als dessen Bestandteile (daraus seine Zusammensetzung möglich sei)" vorgestellt werden, "sondern nur in ihm gedacht werden". (B 39) Im Gegensatz zu materiellen Körpern ist der Raum also
Der Umfang der Begriffe von Raum und Zeit
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"wesentlich einig", und "das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt, beruht lediglich auf Einschränkungen" (vgl. B 39). Die Begriffe von Raum und Zeit sind zwar in dem Sinne allgemeingültig, daß sie sich auf alle erkennbaren Gegenstände oder Zustände beziehen lassen, aber sie sind nicht in dem Sinne "allgemein[e] Begriff[e]", daß sie auf mehrere begrifflich voneinander unabhängige Fälle der Räumlichkeit und Zeitlichkeit bezogen werden könnten (vgl. B 39 u. B 47); d.h. weder der Begriff vom Raum noch der Begriff der Zeit ist ein "diskursiver ... Begriff" (vgl. B 39 u. B 47). Aus einem diskursiv-"allgemeinen Begriff' der Zeit würde sich nämlich "der Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können,... nicht herleiten lassen", (vgl. B 47) Da der Umfang von Begriffen allein durch die logischen Grundsätze ihrer korrekten Verwendung nicht bestimmt werden kann, sondern von ihrem Inhalt abhängt, muß es am Vorstellungsinhalt der Begriffe von Raum und Zeit liegen, daß diese auf besondere Gestalten oder Zeiten nur als Teile genau eines Raumes bzw. genau einer Zeit bezogen werden können. Vorstellungen, die sich unmittelbar auf bestimmte einzelne Gegenstände oder Zustände beziehen, sind nach Kant sinnliche Anschauungen dieser Gegenstände oder Zustände. Zwar ist eine sinnliche Anschauung als solche noch "keine Erkenntnis irgendeines Gegenstandes ..., denn... daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgendein Objekt aus" (vgl. B 309); doch wenn sich eine sinnliche Vorstellung korrekt nur auf einen einzelnen Gegenstand oder Zustand beziehen läßt, so handelt es sich bei ihr um eine Anschauung dieses Gegenstandes bzw. Zustandes, denn jede Anschauung kann "nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden" (vgl. B 47). Wenn nun der Umfang der Begriffe von Raum und Zeit dahingehend als bestimmt angesehen werden muß, daß unter sie nur Teile jeweils genau eines Dinges fallen können, und dies nur am Vorstellungsinhalt dieser Begriffe liegen kann, und wenn alle Vorstellungen, die man korrekt nur auf bestimmte Einzeldinge beziehen kann, sinnliche Anschauungen dieser Dinge sind, müssen auch die Vorstellungen von Raum und Zeit sinnliche Anschauungen sein. Da die Vorstellungen von Raum und Zeit notwendige Bedingungen jeder möglichen Erfahrung sind, muß es sich bei ihnen also um "Anschauung[en] a priori" (vgl. B 39 u. B 47) handeln, in denen man mit Eigenschaften aller erkennbaren Gegenstände oder Zustände bekannt ist. Zwar können diese Anschauungen a priori im Gegensatz zu unseren Empfindungen nicht auf die Einwirkung bestimmter raumzeitlicher Gegenstände zurückgeführt
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Der Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit
werden, da sie absolut allgemeine Bedingungen der Identifikation von Gegenständen sind. Doch auch sie lassen sich als "gegeben" (vgl. B 39 u. B 47) zumindest "verstehen" (vgl. B 42), nämlich, wie Kant später erläutern wird, dadurch, daß man eine allgemeine "Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden" (B 42), unterstellt. Aufgrund dieser Disposition, so läßt sich denken, reagiert der Erlebende in allen Fällen der Affektion durch irgendwelche Dinge auf dieselbe Weise, nämlich in der Form des Raum- und Zeiterlebens, und aufgrund der unterscheidenden Eigenschaften der ihn affizierenden raumzeitlichen Gegenstände und einer bestimmten Beschaffenheit seiner Wahrnehmungsorgane, so läßt sich behaupten, reagiert der Wahrnehmende auf jeden von ihnen mit einer Anschauung bestimmten Empfindungsgehaltes. E. II. Der Inhalt der Begriffe von Raum und Zeit ist durch eine Anschauung a priori gegeben Auch das zweite Argument dafür, daß die Verwendung der Begriffe von Raum und Zeit eine Anschauung a priori voraussetzt, geht von einer Betrachtung des Umfangs dieser Begriffe aus. Aus dieser Betrachtung wird jedoch nicht direkt auf eine der Verwendung dieser Begriffe zugrundeliegende Anschauung, sondern zunächst auf eine Besonderheit ihres Inhaltes geschlossen. Den Ausgangspunkt der Argumentation bildet jeweils die Feststellung, daß man bei der Verwendung des Begriffs des Raumes bzw. des Begriffs der Zeit voraussetzt, es handele sich beim Raum bzw. bei der Zeit um eine unendliche Größe. Wie in der Erörterung des Begriffs der Zeit deutlich wird, werden diese Feststellungen als direkte Konsequenzen aus dem jeweiligen Ausgangsbefund der vorhergehenden Argumentation in Anspruch genommen, daß "verschiedene Zeiten ... nur Teile eben derselben Zeit" sind (vgl. B 47) bzw. man unter "vielen Räumen... nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes" versteht (vgl. B 39). Zu Beginn der Argumentation für die Anschauung der Zeit heißt es ausdrücklich: "Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkung einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sei." (B 47/48) Da man entsprechend unter den potentiell unendlich "vielen Räumen ... nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes" versteht (vgl. B 39), muß man auch den Raum "als eine unendliche gegebene Größe" auffassen (vgl. B 39). Dies heißt nicht, daß man ihn sich als einen existierenden Gegenstand unendlicher Ausdehnung vorstellt, denn die Vor-
Der Inhalt der Begriffe von Raum und Zeit
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stellunge des Raumes ist eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung der Identifikation von Gegenständen, sondern es heißt, daß man den Raum als Ordnungssystem potentiell unendlich vieler Gegenstände versteht. Die Konsequenz aus der Betrachtung des möglichen Umfangs der Begriffe von Raum und Zeit für ihren Inhalt wird in der Erörterung des Begriffs der Zeit explizit gezogen, in der Erörterung des Begriffs des Raumes hingegen nur erwähnt: "Daher muß die ursprüngliche Vorstellung Zeit als uneingeschränkt gegeben sein" (B 48), und der Raum muß "so gedacht" werden, daß sein Begriff "eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich" enthält (vgl. B 40). Wenn man sich alle möglichen Gestalten oder Zeiträume nur als Teile des einen unendlichen Raumes bzw. der einen unendlichen Zeit vorstellen kann, müssen die Vorstellungen, die den Inhalt der Begriffe von Raum und Zeit liefern, aus einer potentiell unendlichen Menge von Teilvorstellungen bestehen, d.h. eine potentiell unendliche Bildung von Vorstellungen relativ zueinander verschiedener Teilräume bzw. Teilzeiten erlauben. Die Vorstellungen von Raum und Zeit enthalten also jeweils eine potentiell "unendliche Menge von Vorstellungen in sich" (vgl. B 40) und müssen "als uneingeschränkt gegeben sein" (vgl. B 48). Um aus der potentiell unendlichen Mannigfaltigkeit des Inhaltes der Begriffe von Raum und Zeit darauf schließen zu können, daß das Vorstellen dieser Inhalte Anschauungscharakter hat, ist eine weitere Prämisse erforderlich. Sie wird nur in der Erörterung des Begriffs des Raumes aufgestellt, aber auch in der Erörterung des Begriffs der Zeit in Anspruch genommen: "kein Begriff als ein solcher kann so gedacht werden, als ob er eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich enthielte" (B 40). Um einen Begriff als solchen, d.h. ausschließlich in seiner Funktion, zur Kennzeichnung von Dingen dienen zu können, zu betrachten, muß man seinen Vorstellungsinhalt ganz unbestimmt lassen. Zwar können unter jeden Begriff potentiell unendlich viele Dinge fallen, d.h. schon als solchen muß man sich "jeden Begriff als eine Vorstellung denken, die in einer unendlichen Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches Merkmal) enthalten ist" (B 39/ 40); doch kein Begriff enthält schon als solcher die möglicherweise unendlich vielen unterscheidenden Merkmale der Dinge, die unter ihn fallen mögen, in sich. Von einem Gattungsbegriff, durch den mehrere Arten von Dingen oder verschiedene Einzeldinge gekennzeichnet werden können, läßt sich als solchem nur behaupten, daß er mehrere Begriffe verschiedenen Inhaltes "unter sich haben" muß (vgl. Logik § 9., 96).
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Der Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit
Welcher Art die Inhalte dieser Begriffe sind, bleibt durch ihren begrifflichen Charakter als Artbegriffe aber ganz unbestimmt. Der Inhalt der Unterbegriffe, durch die besondere Räume oder Zeiten voneinander unterschieden werden können, läßt sich jedoch ohne Rücksicht auf die wirkliche Erfahrung oder Einbildung bestimmter räumlicher oder zeitlicher Dinge bestimmen. Es versteht sich nämlich von allen möglichen Fällen der Räumlichkeit und der Zeitlichkeit, daß sie relativ bestimmte Teile genau eines Raumes bzw. genau einer Zeit sind. Jedes bestimmte räumliche Ding muß in seiner Gestalt und Lage und jeder zeitliche Zustand muß in seiner Stellung in der Zeit von anderen unterschieden werden können. Die Begriffe von Raum und Zeit müssen also den Merkmalsgehalt der Begriffe, durch die räumliche und zeitliche Dinge unterschieden werden können, selbst zum Inhalt haben; und da der Umfang der Begriffe von Raum und Zeit potentiell unendlich ist, müssen die Vorstellungen von Raum und Zeit eine potentiell "unendliche Menge von Vorstellungen in sich" enthalten (vgl. B 40). Es handelt sich bei den Vorstellungen von Raum und Zeit also auch deshalb um Anschauungen, weil die Begriffe von Raum und Zeit nicht wie diskursive Begriffe "nur Teilvorstellungen" aller möglichen Fälle der Räumlichkeit oder der Zeitlichkeit "enthalten" (vgl. B 48), sondern es aufgrund der potentiell unendlichen Differenzierbarkeit ihres Inhaltes erlauben, Bezug auf bestimmte voneinander verschiedene Räume oder Zeiten zu nehmen. Begriffe aber, die sich "unmittelbar", d.h. unabhängig von der Verwendung weiterer Merkmale, auf einen einzelnen Gegenstand beziehen, beziehen sich "durch Anschauung" auf diesen Gegenstand (vgl. B 33). "Also ist die ursprüngliche Vorstellung vom Raum Anschauung a priori und nicht Begriff' (B 40), und es m u ß allen Begriffen von Teilen und besonderen Größen der Zeit "unmittelbare Anschauung zum Grunde liegen" (B 48). Ob wir Gegenstände bestimmter Gestalt oder Zustände bestimmter Dauer in der Erfahrung antreffen, hängt zwar davon ab, ob sie uns "durch Empfindung" gegeben sind (vgl. B 34), denn die Erkenntnis alles Realen "im Räume ... setzt notwendig Wahrnehmung voraus" (vgl. A 373), d.h. ein "Bewußtsein,... in welchem zugleich Empfindung ist" (vgl. B 207). Die Bildung von Begriffen bestimmter räumlicher oder zeitlicher Gestalten oder Verhältnisse aber ist systematisch vor jeder Erfahrung eines bestimmten Gegenstandes oder Zustandes möglich. "So konstruiere ich einen Triangel, indem ich den diesem Begriff entsprechenden Gegenstand... durch bloße Einbildung... in der reinen ... Anschauung ... völlig a priori, ohne das Muster dazu aus irgendeiner Erfahrung geborgt zu haben, darstelle." (B 741)
F. Zur Interpretation und Kritik der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit F. I. Zu allgemeinen Einwänden gegen die transzendentale Ästhetik
Malte Hossenfelder behauptet in seiner Arbeit "Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale Deduktion" von 1978, daß sich die Einwände gegen die Transzendentalphilosophie Kants, "die Kant wirklich treffen,... ihrer Tendenz nach unter drei Haupttitel bringen [lassen]: (1) Kants Theorie sei durch die moderne Mathematik und Naturwissenschaft widerlegt; (2) sie sei psychologistisch; (3) sie sei zirkulär, da sie das 'Faktum der Wissenschaff voraussetze" (Hossenfelder 1978,15). Alle drei Einwände werden von Hossenfelder auch auf die tranzendentale Ästhetik bezogen (vgl. Hossenfelder 1978,6). Da der erste und der letzte Einwand in sachlichem Zusammenhang miteinander stehen, soll zunächst zum Vorwurf des Psychologismus Stellung genommen werden.
1. Der Einwand des Psychologismus Kant verwendetin seiner Erkenntnistheorie durchgehend Ausdrükke, die als Begriffe bestimmter psychischer Zustände, Leistungen oder Fähigkeiten verstanden werden können, so z.B. die Ausdrücke 'Empfindung', 'Anschauung', 'Denken', 'Sinnlichkeit', 'Verstand', 'Vernunft' usw. Nur bei der Verwendung einiger dieser Ausdrücke handelt es sich um bloße analogische Redeweisen. Dies gilt insbesondere für die Redeweisen von "Handlungen des Verstandes" (B 94; vgl. B 130, B 143, B 153 f.) und von der "Urteilskraft" (vgl. z.B. B 169, B 171, B 174 f.), da die Begriffe "Kraft und Handlung" erst "Folgebegriffe ... der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" sind (Prol. Vorw., 257) und als solche nicht zu den Explanantia der Erkenntnistheorie, sondern zu ihren Gegenständen bzw. zu den Gegenständen der praktischen Philosophie gehören, denn von der "Kausalität" der Vorstellungen "vermittels des
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Zur Interpretation und Kritik der metaphysischen Erörterungen
Willens" ist in der Erkenntnistheorie "gar nicht die Rede" (B 125). Der Grund für die Verwendimg dieser Ausdrücke ist, daß sich Kant mit der "bloßen Worterklärung" der Wahrheit als der "Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Gegenstande" nicht zufriedengeben will, sondern die Frage beantworten will, "ob und inwiefern es ein sicheres, allgemeines und in der Anwendung brauchbares Kriterium der Wahrheit gebe" (vgl. Logik Eiril., 50). Um zu zeigen, daß ein Begriff "zur Anwendung brauchbar" ist, muß man nach Kant eine "Realdefinition" liefern, die "nicht bloß [den] Begriff, sondern zugleich die objektive Realität desselben deutlich macht", (vgl. A 242 Anm.) Obwohl sich der Begriff der Wahrheit nicht vollständig real definieren läßt, da ein allgemeines und zugleich hinreichendes Kriterium der Wahrheit unmöglich gefunden werden kann (vgl. B 83, Logik Einl., 50), muß man bei der Angabe auch nur eines allgemeinen brauchbaren Kriteriums der Wahrheit also die Realmöglichkeit von Erkenntnissen deutlich machen; und diesem Zweck dient die Verwendung von Begriffen subjektiver Vorstellungen oder Leistungen. Als reale Erkenntnisleistung ist jedes Urteil eine "Handlunfg] des Verstandes", nämlich eine Verwendung von Begriffen (vgl. B 94); jeder Begriff ist eine Vorstellung, unter der "andere Vorstellungen enthalten sind" (B 94), und ein Gedanke besteht nach Kant "aus vielen Vorstellungen" (vgl. A 353). Bei der Aufstellung eines allgemeinen Kriteriums der Wahrheit müssen nach Kant Begriffe unmittelbar subjektiv bewußter Vorstellungen und Leistungen verwendet werden, da die Begründung der allgemeinen Gültigkeit dieses Kriteriums durch eine Verwendung objektiv gültiger Begriffe zirkulär würde. Die Erkenntnistheorie kann seines Erachtens nicht als eine naturwissenschaftliche Theorie ausfallen, die z.B. ein bestimmtes Verhalten des Erkennenden oder seinen Umgang mit lautlichen oder schriftlichen sprachlichen Zeichen als Kriterien für das Vorliegen von Erkenntnissen anführt, da jede solche Theorie die Möglichkeit der Erkenntnis von Personen und ihrem Verhalten und damit die Möglichkeit der Verwendung eines Kriteriums der Wahrheit bereits voraussetzen müßte. Entsprechend dürfen auch die im Kriterium der Wahrheit genannten subjektiv bewußten Vorstellungen und Leistungen nicht als bestimmte erkannte Zustände oder Leistungen zu Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnissen erklärt werden. Zwar braucht nicht von vornherein ausgeschlossen zu werden, daß solche subjektiv bewußten Vorstellungen oder Leistungen als bestimmte psychische Zustände oder Leistungen bestimmter Personen erkannt werden können, doch muß die Erkenntnistheorie sie als Erlebnisse oder
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Leistungen in Anspruch nehmen, von denen man ein Bewußtsein haben kann, ohne auf sie durch Merkmale Bezug zu nehmen. "Also muß empirische Psychologie aus der Metaphysik gänzlich verbannt sein, und ist schon durch die Idee derselben davon gänzlich ausgeschlossen." (B 876) Die drohende Zirkularität der Aufstellung des Kriteriums der Wahrheit ist nicht der einzige Grund für den Ausschluß der Verwendung von Begriffen der empirischen Psychologie. Auf rein empirischem Wege könnte nicht gezeigt werden, daß das angegebene Kriterium für alle nach menschlichem Ermessen möglichen Erkenntnisse gilt. Besonders deutlich wird dieser Gesichtspunkt in Kants Aussagen über den Charakter der formalen Logik, die als "reine Logik ... keine empirischen Prinzipien" hat und "nichts (wie man sich bisweilen überredet hat) aus der Psychologie" schöpft (B 78): "Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d.h. aus den Beobachtungen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen, wie das Denken vor sich geht und wie es ist unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; dies würde also zur Erkenntnis bloß zufälliger Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach notwendigen Regeln; nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen". (Logik Einl., 14) Die Begriffe subjektiv bewußter Erlebnisse und Leistungen, die Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft' verwendet, sind also nicht als empirisch-psychologische Begriffe, sondern als mentalis tische Begriffe zu verstehen. In formaler Betrachtung faßt Kant Begriffe darüber hinaus als abstrakte Gegenstände auf. Unter den Gesichtspunkten der formalen und der transzendentalen Logik sind alle Begriffe "Prädikate möglicher Urteile" (B 94); und der Prädikatbegriff eines bejahenden analytischen Urteils ist trotz der numerischen Verschiedenheit der bei der Bildung dieses Urteils verwendeten Vorstellungen in logischer Betrachtung mit einem Teilbegriff des Subjektbegriffs identisch (vgl. B 10/11). Von Gedanken spricht Kant nicht in entsprechender Weise als abstrakten Gegenständen, sondern er bezeichnet den gedanklich erfaßten Inhalt von Urteilen als deren Sinn (vgl. B 149, B 195, B 299). Frege hat gegen ein mentalistisches Verständnis von Urteilen und dem Sinn von Urteilen, den 'Gedanken', eingewandt, daß es der intersubjektiven Gültigkeit von Erkenntnissen nicht gerecht zu werden vermag: "Wenn jeder Gedanke eines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte er gehört, so ist er Gedanke nur dieses Trägers, und es
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Zur Interpretation und Kritik der metaphysischen Erörterungen
gibt keine Wissenschaft, welche vielen gemeinsam wäre, an welcher viele arbeiten könnten; sondern ich habe vielleicht meine Wissenschaft, nämlich ein Ganzes von Gedanken, deren Träger ich bin, ein anderer hat seine Wissenschaft." (Frege 1918,43) Zwar muß es, wie Kant selbst sagt, zunächst "befremdlich erscheinen, daß die Bedingung, unter der ich überhaupt denke, und die mithin bloß eine Beschaffenheit meines Subjekts ist, zugleich für alles, was denkt, gültig sein solle" (vgl. B 404): "Die Ursache aber hiervon liegt darin: daß wir den Dingen a priori alle die Eigenschaften notwendig beilegen müssen, die die Bedingungen ausmachen, unter welchen wir sie allein denken. Nun kann ich von einem denkenden Wesen durch keine äußere Erfahrung, sondern bloß durch das Selbstbewußtsein die mindeste Vorstellung haben. Also sind dergleichen Gegenstände nichts weiter, als die Übertragung dieses meines Bewußtseins auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende Wesen vorgestellt werden." (B 405) Wenn ich in jemand anderem ein erkennendes Wesen sehe, so muß ich ihm Gedanken derselben Form und desselben Inhalts zusprechen, wie ich sie habe oder meines Erachtens hätte, wenn ich die Dinge erkenne bzw. erkennen würde, von denen ich glaube, daß er sie erkennt. Zwar müssen Urteile verschiedener Personen, die sich auf denselben Gegenstand beziehen, numerisch verschieden sein, aber ihre Form und zumindest ihr objektiv gültiger Vorstellungsinhalt müssen als qualitativ identisch gelten, da ich andere Wesen nur in Analogie zum Bewußtsein meiner Erkenntnisleistungen als erkennende Wesen verstehen kann. Auf diejenigen Vorstellungen oder Eigenschaften unserer Vorstellungen, die keine allgemein notwendigen Bedingungen der Erkenntnis von Gegenständen sind oder sich nicht aufgrund solcher Vorstellungen a priori bilden lassen, d.h. insbesondere auf unsere Gefühle und alle Empfindungsqualitäten, bezieht sich diese Notwendigkeit nicht. Die Qualitäten der von Person zu Person möglicherweise verschiedenen Empfindungen zählen nach Kant nicht zum objektiv gültigen Sinn wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. B 45), in bezug auf den Frege sein Bedenken gegen ein Verständnis von Gedanken als dem subjektiv bewußten Sinn von Urteilen erhoben hat. Der Behauptung Freges, daß über die ontologischen Bereiche der raumzeitlichen Gegenstände und der zeitlichen Vorstellungszustände hinaus ein "drittes Reich" anerkannt werden müsse (vgl. Frege 1918, 43), kann aus Kantischer Sicht nicht widersprochen werden. Für die intersubjektive Gültigkeit bestimmter subjektiver Vorstellungen und Gedanken kann im Rahmen der Erkenntnistheorie Kants nur mit der
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Begründung argumentiert werden, daß diese Vorstellungen oder Gedanken notwendige Bedingungen jeder als real möglich vorstellbaren Erfahrung sind. Vorstellungen und Gedanken, die notwendige Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis eines Gegenstandes oder Zustandes sind, müssen aber als mentale Zustände und Leistungen eines als solchen unerkennbaren Erkenntnissubjekts gelten. Kants mentalistische Auffassung von Begriffen und Gedanken scheint jedoch einen Vorzug vor der platonistischen Auffassung Freges zu besitzen. Kant ist in der Lage, einen Grund für den Charakter und für die Zugehörigkeit bestimmter abstrakter Entitäten zu dem onto-logischen 'dritten Reich' anzugeben. Kants These, daß es sich z.B. bei mathematischen Gegenständen um Vergegenständlichungen von Verfahren oder Verfahrensschritten handelt, die wir bei der Erkenntnis wahrnehmbarer Gegenstände anwenden oder anwenden könnten (vgl. B 179, B 752), kann verständlich machen, warum es sich bei diesen Gegenständen um potentiell unendlich viele abstrakte, nicht rein numerisch unterscheidbare Gegenstände handelt; und Kants These, daß wir diese Verfahren nicht erst aufgrund von Erfahrungen entwickeln, sondern a priori beherrschen, kann verständlich machen, warum bestimmte abstrakte Gegenstände feste Mitglieder des 'dritten Reiches' sind. Der ontologische Sonderstatus dieser abstrakten Gegenstände ist unaufhebbar, da "ich dasjenige, was ich voraussetzen muß, um überhaupt ein Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen" kann (A 402).
2. Der Einwand der Zirkularität Die Unterscheidung psychologischer und mentalistischer Begriffe eröffnet auch die Möglichkeit einer Entgegnung auf den dritten Haupteinwand, Kants Theorie sei zirkulär, da sie die Realität der empirischen Wissenschaften voraussetze. Zwar geht Kant in den metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit von der Realmöglichkeit von Erfahrungen und damit auch von der Realmöglichkeit der empirischen Wissenschaften aus und sondert hiervon zunächst alles, "was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt", und darüber hinaus noch "alles, was zur Empfindung gehört", ab, "damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen übrig bleibe" (B 36), doch die Voraussetzung der Realmöglichkeit von Erfahrungen soll wie noch erläutert werden wird - in der transzendentalen Deduktion der Kategorien dadurch als berechtigt erwiesen werden, daß von den in den
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metaphysischen Erörterungen herausgestellten Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung gezeigt wird, daß sie ebenfalls notwendige Bedingungen eines nur subjektiven durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte sind. Kants Erkenntnistheorie wäre also nur dann zirkulär, wenn schon das jeweils eigene durchgängige Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte als Erfahrung oder gar wissenschaftliche Erkenntnis bestimmter Vorstellungszustände der jeweils eigenen Person verstanden werden müßte. Ihrer argumentativen Struktur nach soll die 'Kritik der reinen Vernunff von den Paradigmen der euklidischen Geometrie und der Newtonschen Mechanik unabhängig sein. "Das Subjekt der Kategorien kann ... dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als einem Objekte der Kategorien einen Begriff bekommen; denn, um diese zu denken, muß es sein reines Selbstbewußtsein, welches doch hat erklärt werden sollen, zum Grunde legen. Ebenso kann das Subjekt, in welchem die Vorstellung der Zeit ursprünglich ihren Grund hat, ihr [AA: 'sein'] eigen Dasein in der Zeit dadurch nicht bestimmen, und wenn das letztere nicht sein kann, so kann auch das erstere als Bestimmung seiner selbst (als denkenden Wesens überhaupt) durch Kategorien nicht stattfinden." (B 422) Als bestimmte zeitliche Erkenntniszustände können nach Kant nur solche mentalen Vorstellungen oder Leistungen erkannt werden, die besondere Bedingungen von Erkenntnissen bestimmter Gegenstände oder Zustände sind, und zwar dadurch, daß ich mir der "Anschauung meiner selbst, als in Ansehung der Funktionen des Denkens bestimmt, bewußt bin" (vgl. B 406); und das Vorliegen jeder "Empfindung" kann darüber hinaus durch die "Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit" erklärt werden (vgl. B 34).
3. Der Einwand, Kants Theorie sei ihrem Inhalt nach überholt Gegen den Anspruch der Erkenntnistheorie Kants auf Allgemeingültigkeit für alle menschenmöglichen Erkenntnisse richtet sich der erste von Hossenfelder erwähnte Haupteinwand, sie sei ihrem Inhalt nach durch die modernen Naturwissenschaften falsifiziert, da "im Falle der Richtigkeit von Kants Theorie die Physik dieses Jahrhunderts undenkbar (und nicht bloß möglicherweise falsch) wäre" (Stegmüller 1968,27). (vgl. Hossenfelder 1978,15) Um die Möglichkeit einer Verteidigung der Thesen der transzendentalen Ästhetik gegen diesen Einwand aufzuzei-
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gen, muß an deren eigentliche Aufgabe erinnert werden. Sie soll die "reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen" entdecken, "welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann", (vgl. B 36) Unter "Anschauung" wird hierbei die "Art" verstanden, auf die sich Erkenntnisse "unmittelbar" auf Gegenstände beziehen, und unter "Sinnlichkeit" unsere "Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen", (vgl. B 33) In der transzendentalen Ästhetik soll nicht oder zumindest nicht in erster Linie angegeben werden, welchen Vorstellungsinhalt Begriffe haben können, "vermittels" derer wir uns, "sei es geradezu (directe) oder im Umschweife (indirecte),... zuletzt auf Anschauungen... beziehen" (B 33), sondern diese Anschauungen selbst, d.h. die allen unseren Erkertntnissenzugrundeliegenden, sich unmittelbar auf Gegenstände beziehenden Vorstellungen, sollen in allgemeinen Formen charakterisiert werden. Will man die Thesen der transzendentalen Ästhetik an anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen überprüfen, muß man in bezug auf die jeweilige Wissenschaft also zwischen Beobachtungssätzen und theoretischen Sätzen unterscheiden und prüfen, ob ihre Beobachtungssätze ihrem Vorstellungsinhalt nach den Anschauungsformen von Raum und Zeit genügen. Kant schließt keinesfalls aus, daß in eine Wissenschaft theoretische Modelle oder Größen, die man nicht als dreidimensionale räumliche oder als zeitliche Größen wahrnehmen kann als abstrakte Gegenstände eingeführt werden. Der Raum selbst wird nach Kant "in der Geometrie" als ein solcher abstrakter "Gegenstand vorgestellt" (vgl. B160, Anm.); und seines Erachtens ist es durchaus möglich, von Flächen als zweidimensionalen Räumen oder von Linien als eindimensionalen Räumen zu sprechen (vgl. Prol. § 57., 354). Auch über die Zeit, die selbst nicht vergeht, sondern in der alle Erscheinungen entstehen und vergehen (vgl. B 183), können nach Kant Axiome aufgestellt werden (vgl. B 47), obgleich sie selbst nicht wahrgenommen werden kann (vgl. B 225). In der Arithmetik werden die Zahlen als Gegenstände behandelt, obwohl man dabei nach Kant genaugenommen "mehr die Vorstellung einer Methode" hat, "einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge ... in einem Bilde vorzustellen" (B 179). Begriffe solcher abstrakten theoretischen Entitäten besitzen nach Kant aber stets nur mittelbar und nur insofern objektive Gültigkeit, als ihre Verwendung eine notwendige Bedingung der Erkenntnis von Gegenständen ist, die unmittelbar als dreidimensionale räumliche Gegenstände oder als zeitliche Zustände angeschaut werden können.
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"Selbst der Raum und die Zeit, so rein diese Begriffe auch von allem Empirischem sind, würden doch ohne objektive Gültigkeit und ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn ihr notwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung nicht gezeigt würde; ja ihre Vorstellung ist ein bloßes Schema, das sich immer auf die reproduktive Einbildungskraft bezieht". (A 156 = B 195) Für die Alltagserfahrung kann man die Behauptung Kants, daß es sich bei den uns unmittelbar gegebenen Phänomenen nur um raumzeitliche Gegenstände und deren Zustände oder um zeitliche Vorstellungszustände handeln kann, auch heute noch als gültig ansehen. Ob sie auch für die Beobachtungsbasis der modernen Naturwissenschaften gilt, könnte nur in gesonderten Untersuchungen geklärt werden. Einige Physiker würden diese Frage offenbar bejahen. So berichtet Carl Friedrich von Weizsäcker in seiner Arbeit 'Die Einheit der Natur' von seinem Lehrer, dem Quantenphysiker Nils Bohr: "Bohr sprach immer wieder die uns junge Physiker verblüffende These aus, auch nach der Quantentheorie müsse manjedes unmittelbare Phänomen, also jedes Meßergebnis, mit den Begriffen der klassischen Physik beschreiben. Derselbe Freund, den ich eingangs zitierte, hat mich neulich auch daran erinnert, daß er einmaibeim nachmittäglichen Institutstee Bohr klarzumachen suchte, auf die Dauer würden wir doch gewiß unsere Begriffe und Anschauungen dem quantentheoretiscnen Formalismus anpassen, womit der Rekurs auf die klassische Beschreibung entbehrlich werden würde; Bohr hörte schweigend, mit geschlossenen Augen zu und antwortete am Ende nur: 'Nun ja, man kann ja auch sagen, daß wir nicht hier sitzen und Tee trinken, sondern daß wir das alles nur träumen.'" (von Weizsäcker 1974,424)
4. Der Einwand einer verfehlten Problemstellung Mit der Betitelung der metaphysischen und der transzendentalen Erörterung als Erörterungen des "Begriffs" des Raumes (vgl. B 37 bzw. B 40) liegt für Vaihinger "bei Kant nicht bloß ein laxer Sprachgebrauch, sondern auch eine sachliche Unklarheit" vor (vgl. Vaihinger 1892,156). Die Befunde dieser Erörterungen würden nicht, wie Kant in seiner Darstellung der "Exposition" von Begriffen verlange, '"durch Analyse' des Begriffs vom Räume gewonnen", sondern diese Erörterungen seien "vielmehr eine sachliche Untersuchung des Wesens der Raumvorstellung" (vgl. Vaihinger 1892,155). Darüber hinaus hätten viele Inter-
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preten zu Recht darauf aufmerksam gemacht, "daß Kant doch im dritten und vierten Raumargument selbst vom Räume sage, er sei nicht ein Begriff, sondern eine Anschauung", (vgl. Vaihinger 1892,156) Einen entsprechenden Vorwurf hat bereits Schopenhauer erhoben. Seines Erachtens widerspricht die Aussage Kants, daß die Anschauung der Funktionen des Denkens auf keine Weise bedürfe (vgl. B 123), dessen Behauptung, alle Anschauungen stünden notwendig unter den Kategorien (vgl. B 143). (vgl. Schopenhauer 1818, Bd. 1,593 ff.) Hossenfelder hat diesen Vorwurf zu Recht zurückgewiesen und den vermeintlichen Widerspruch aufgelöst: "Schopenhauer verkennt, daß in der letzteren Behauptung keine absolute Notwendigkeit gemeint ist; eine solche beweisen zu können, hat Kant sich nicht angemaßt. Gemeint ist eine bedingte Notwendigkeit: die Anschauungen stehen notwendig unter den Kategorien unter der Bedingung, daß ich mir ihrer als meiner Vorstellungen soll bewußt werden können. Das besagt allerdings keineswegs, daß Anschauungen ohne Begriffe an sich unmöglich sind. Ich kann sie durchaus haben (wie es für Kant beim Tier der Fall ist); nur kann ich von ihnen dann nichts wissen und durch sie nicht etwas als etwas erkennen." (Hossenfelder 1978,14) Wenn Kant die Vorstellungen von Raum und Zeit als Anschauungen bezeichnet, betrachtet er sie nur insofern, als uns durch Vorstellungen dieser Form stets irgendwelche räumlichen Gegenstände oder zeitlichen Zustände gegeben sind. Als Vorstellungen von gegebenen Gegenständen sind uns unsere Anschauungen aber erst bewußt, wenn wir ihre Teilvorstellungen in dem mehr oder weniger deutlichen Bewußtsein, kategorial korrekt zu urteilen, miteinander verknüpfen (vgl. B 129 ff.), d.h. wenn wir Inhalte der Vorstellungen von Raum und Zeit begrifflich verwenden. "Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen und sie einer Regel zu unterwerfen". (B 242) In den metaphysischen Erörterungen, die zeigen sollen, daß die Anschauungen von Raum und Zeit im Verhältnis zu unseren Erkenntnissen von Gegenständen oder Zuständen "a priori gegeben" sind (vgl. B 38), und in den transzendentalen Erörterungen, die nachweisen sollen, daß nur durch die Annahme solcher Anschauungen die "Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori" verstanden werden kann (vgl. B
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40), muß also die begriffliche Verwendung dieser Vorstellungen im Rahmen unseres Erkennens analysiert werden, denn "Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (B 75). F. II. Zur Interpretation und Kritik des ersten Raumarguments 1. Vaihingers Einwand einer petitio principii In bezug auf das erste Raumargument wirft Vaihinger Kant eine "petitio principii" vor: Wenn Kant behauptet, "die Vorstellung des Raumes" müsse "schon zum Grunde liegen", damit ich mir "gewisse Empfindungen ... nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne" (vgl. B 38), so könne dies nur heißen, "ich könnte die Empfindungen nicht in den Raum hinausversetzen und nicht in demselben verteilen, wenn ich nicht dazu die Raumvorstellung schon gleichsam parat hätte"; hierbei werde aber von Kant die "stillschweigende Voraussetzung" gemacht, "daß eben die Empfindungen als solche raumlos, ortlos sind, daß sie erst durch die Raumvorstellung in räumliche verwandelt, transformiert werden müssen". (Vaihinger 1892,165) Dieser Einwand Vaihingers beruhtauf einer Fehlinterpretation. Kant setzt nicht voraus, daß unsere Vorstellungen nicht räumlich sind, sondern geht davon aus, daß wir uns unsere Empfindungen "bloß verschieden", d.h. zueinander beziehungslos nur in ihrer Empfindungsqualität vorstellen, und er behauptet, um sich diese Empfindungsqualitäten "als in verschiedenen Orten" vorstellen zu können, müsse die Vorstellung des Raumes "schon zum Grunde liegen" (vgl. B 38). Kant läßt also zunächst ganz offen, ob unsere Empfindungen insgesamt irgendwelche körperlichen Teile oder zeitliche Zustände unserer selbst sind, und erörtert die Bedingungen der Bezugnahme durch inhaltlich subjektiv bewußte Empfindungen auf Gegenstände.
2. Vaihingers Einwand, die Vorzeitigkeit der Raumvorstellung werde nicht bewiesen Bezüglich der Formulierung Kants, die Vorstellung des Raumes müsse bereits "zum Grunde liegen", um Empfindungen auf etwas von einem selbst Verschiedenes beziehen zu können (vgl. B 38), wirft Vaihinger die Frage auf, ob Kant hiermit den "subjektiv-psychologi-
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sehen Ursprung der Raumvorstellung" und damit die Vorzeitigkeit der Vorstellung des Raumes zu unseren Erkenntnissen existierender Gegenstände behaupten wolle oder ob er sagen wolle, "die Raumvorstellung ist die notwendige logisch-objektive Voraussetzung der Denkbarkeit der Einzeldinge, und in diesem objektiven Sinne eine Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung", (vgl. Vaihinger 1892,173) Vaihinger selbst glaubt, Kant wolle die psychologische Vorgängigkeit der Vorstellung des Raumes behaupten. Diese Interpretation sieht er dadurch bestätigt, daß Kant die Raumvorstellung in B 65 ausdrücklich als "subjektive Bedingung, a priori anzuschauen" bezeichnet, (vgl. Vaihinger 1892,176) Darüber hinaus führt er zur Begründung dieser Interpretation an, daß Kant den Ausdruck "zum Grunde liegen" im § 10 der Prolegomena synonym mit dem Ausdruck "vorhergehen" verwende, wenn er sagt, die Vorstellungen von Raum und Zeit würden "eben dadurch, daß sie reine Anschauungen a priori sind, beweisen, daß sie bloße Formen unserer Sinnlichkeit sind, die vor aller empirischen Anschauung, d.i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände, vorhergehen müssen" (Prol. § 10., 283). (vgl. Vaihinger 1892,167) Wenn Vaihinger hier einen Gegensatz zwischen einem "subjektivpsychologischen Ursprung" der Vorstellung des Raumes und ihrer "logisch-objektive[n] Voraussetzung" als Bedingung der Identifikation von Einzeldingen sieht (vgl. Vaihinger 1892,173), so liegt dies daran, daß er nicht zwischen der Art dieser Vorstellung und ihrer funktionalen Rolle im Rahmen unseres Erkennens unterscheidet. Die subjektive mentale Vorstellung des Raumes soll objektiv, d.h. unseres Wissens und nicht nur unserer subjektiven Meinung nach, eine Bedingung der Möglichkeit der Bezugnahme auf Gegenstände sein. Zwar werden von Kant alle unsere Erkenntnisse und in diese eingeschlossenen sinnlichen Vorstellungen und gedanklichen Leistungen als mentale Vorstellungen bzw. Leistungen betrachtet, die zwischen ihnen bestehenden Bedingungsverhältnisse sollen aber nicht in erster Linie und können nicht in jedem Falle als zeitliche Abfolgeverhältnisse verstanden werden. Die von Kant als Bedingungen a priori ausgezeichneten sinnlichen Vorstellungen und gedanklichen Leistungen sollen vielmehr notwendige Teilleistungen aller uns möglichen Erkenntnisse von Gegenständen oder Zuständen sein. Die Transzendentalphilosophie unterscheidet sich von der empirischen Psychologie darin, daß in ihr "nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede ... [ist], sondern von dem, was in ihr liegt" (Prol. § 21 a., 304; vgl. B1, B 876). Die Philosophie kann ihre Begriffe "nur analytisch durch Zergliederung" (vgl. B 758) unserer Erkenntnisse und Vorstellungen bilden, und in der transzendentalen Ästhetik sollen die Anschauungsfor-
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men "abgesondert von aller Empfindung ... betrachtet" werden (B 34), indem wir die Leistung des Verstandes im Rahmen unseren Erkennens von diesem "absondern" und alle Eigenschaften unserer Empfindungen davon "abtrennen" (vgl. B 36). Die transzendentale Ästhetik arbeitet also mit dem Mittel der Abstraktion und soll zeigen, daß zwischen der Möglichkeit der Bezugnahme durch Empfindungen auf bestimmte Gegenstände einerseits und dem sinnlichen Erleben von Raum und Zeit andererseits sachliche Bedingungsverhältnisse bestehen. Den zwischen mentalen Erkenntnisleistungen bestehenden zeitlichen Verhältnissen schenkt Kant bei ihrer Analyse nur dann besondere Aufmerksamkeit, wenn er insbesondere mit dem "Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" unser Bewußtsein von ihrem korrekten Vollzug beschreibt (vgl. B177 f.). Eine zeitliche Vorgängigkeit unserer Vorstellungen a priori von Raum und Zeit zu unseren empirischen Erkenntnissen gegebener Gegenstände kann nach Kant unmöglich behauptet werden, da wir "die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle inneren Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen" (B 156). Die Formulierung Kants, die reinen Anschauungen von Raum und Zeit müßten "vor... der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände ... vorhergehen" (Prol. § 10., 283), kann also nicht als Behauptung eines zeitlichen Vorhergehens der Vorstellungen von Raum und Zeit vor unseren Wahrnehmungen oder Erkenntnissen bestimmter Gegenstände verstanden werden, sondern sie dient lediglich zur Veranschaulichung des Teilleistungsverhältnisses dieser Vorstellungen a priori zu unseren empirischen Erkenntnissen, das Kant angemessener in der Formulierung zum Ausdruck bringt, die Vorstellung des Raumes müsse "schon zum Grunde liegen", damit man gewisse Empfindungen auf etwas außer sich beziehen kann (B 38). Über die Behauptung eines solchen Teilleistungsverhältnisses hinaus könnte Kant bestenfalls die Nicht-Nachzeitigkeit der Vorstellungen von Raum und Zeit zu unseren empirischen Erkenntnissen behaupten: Da jede gedankliche Leistung von uns in der Zeit erbracht wird, können die Voraussetzungen jeder solchen Leistung nicht zeitlich später als das Produkt dieser Leistung vorliegen, und wir können über die Vorstellungen von Raum und Zeit nicht erst nach der Erkenntnis oder Wahrnehmung eines bestimmten Gegenstandes oder Zustandes verfügen.ht. Da Vaihinger annimmt, Kant wolle die Nicht-Empirizität der Vorstellung des Raumes über ihre zeitliche Vorgängigkeit vor aller möglichen Erfahrung beweisen, glaubt er, daß die Argumentation Kants ihr Beweisziel verfehlt:
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"Wenn ... auch die Vorstellung des Raumes bei jeder Empfindung, die ich auf etwas außer mir beziehe, und worin ich etwas als außer einander gedenke, notwendig zum Grunde liegt, so folgt doch daraus nicht, daß sie vor den Empfindungen des außer mir und außer einander Befindlichen voraufgehe; sie kann auch zugleich mit demselben gegeben, und nachher durch Abstraktion zu einer besonderen Vorstellung gemacht werden. Der Raum kann also gar wohl ein empirischer Begriff sein." (Vaihinger 1892,178; so auch Baumanns 1981,100) Kants Argumentation im ersten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes kommt jedoch ganz ohne die Behauptung der Vorzeitigkeit der Raumvorstellung aus: Wenn die Vorstellung des Raumes jeder Bezugnahme durch Empfindungen auf äußere Gegenstände als notwendige Bedingung "zum Grunde lieg[t]" (vgl. B 38), kann diese Vorstellung und mit ihr der Vorstellungsinhalt des Begriffs des Raumes nicht erst aufgrund von Wahrnehmungen räumlicher Gegenstände auf dem Wege der Abstraktion gebildet werden.
F. III. Zur Interpretation und Kritik des zweiten Raumarguments 1. Vaihingers Auffassung vom Beweisziel des ersten und dem Beweismittel des zweiten Raumarguments Vaihinger bestreitet, daß das Beweisziel des ersten Raumarguments lediglich die Nicht-Empirizität des Begriffs des Raumes sei, und sieht in ihr vielmehr einen ersten Beweis für die Apriorität der Vorstellung des Raumes, (vgl. Vaihinger 1892,171) Zur Begründung verweist er auf das erste Zeitargument: "Die Behauptung, in dem ersten Argument sei noch nicht von Apriorität die Rede, läßt sich ja aufs einfachste widerlegen durch den Hinweis auf das entsprechende Zeitargument; da heißt es ja ausdrücklich, daß 'die Vorstellung der Zeit a priori pzum Grunae liege'; da haben wir ja den vermißten Ausdruck in optima forma!" (Vaihinger 1892,171) Im ersten Zeitargument wird die Apriorität der Vorstellung der Zeit von Kant aber nur erwähnt, weil sie betreffs des Bedingungsverhältnisses der Vorstellung der Zeit zu unseren Erfahrungen die sachliche Alternative dazu ist, daß diese Vorstellung aufgrund von Erfahrungen gebildet wird. Bewiesen wird die Apriorität der Vorstellung der Zeit
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hier noch nicht. Denn daraus, daß sie eine notwendige Bedingung dafür ist, sich vorzustellen, "daß einiges zu einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nacheinander) sei" (vgl. B 46), folgt nicht, daß die Vorstellung der Zeit eine Bedingung der Identifikation jedes beliebigen Gegenstandes oder Zustandes ist. Dies soll erst im zweiten Zeitargument und Entsprechendes für die Vorstellung des Raumes erst im zweiten Raumargument bewiesen werden. Da Vaihinger unzutreffenderweise schon im ersten Raumargument ein Argument für die Apriorität der Vorstellung des Raumes sieht, hält er das zweite für einen zweiten Beweis ihrer Apriorität und muß beide Argumente auf andere Weise unterscheiden. Es handelt sich seines Erachtens um zwei Beweise desselben Theorems, "von denen der erste als ein indirekter, der zweite als ein direkter bezeichnet werden kann. Dieses Theorem heißt einfach: der Raum ist eine Vorstellung a priori", (vgl. Vaihinger 1892,197) Bei dem Versuch, einen solchen methodischen Unterschied in bezug auf die beiden Argumente zu machen, verwickelt sich Vaihinger jedoch in Widersprüche. Seines Erachtens muß man den "Schlußsatz" des zweiten Arguments "in folgende zwei Bestandteile auseinanderlegen" (Vaihinger 1892,193): "a) der Raum ist eine Vorstellung a priori; b) der Raum liegt notwendiger Weise äußeren Erscheinungen zum Grunde; er ist die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinung. Der erste Gedanke behauptet die Notwendigkeit der Raumvorstellung an und für sich und als solcher im Sinne der Nicht-Hinweg-Denkbarkeit; wir können dafür auch setzen die Notwendigkeit für mich, für das vorstellende Subjekt. Der zweite Gedanke aber behauptet die Notwendigkeit der Raumvorstellung für die äußeren Erscheinungen, für die vorgestellten Objekte" (Vaihinger 1892,193). Die subjektive "Nicht-Hinweg-Denkbarkeit" mache den eigentlichen "Beweisnerv" des Arguments aus;'sie werde im zweiten Satz des Arguments behauptet und im Schlußsatz wieder aufgenommen, (vgl. Vaihinger 1892,185) Sie wird von Vaihinger als eine psychische Denknotwendigkeit verstanden, aus der die Gültigkeit der Vorstellung des Raumes für äußere Gegenstände folge: "Denn wenn der Raum eine mein Bewußtsein notwendig begleitende 'a priori mir gegebene' Vorstellung ist, welche ich nicht loswerden kann, welche in mir festhaftet, auch wenn ich ihren Inhalt gleichsam vollständig hinausgepumpt habe, dann ist eben diese mich so hartnäckig verfolgende Raumvorstellung auch eine notwendige Bedingung meines Vorstellens von äußeren Erscheinungen; dann kann ich mir keine Dinge anders vorstellen als im Räume". (Vaihinger 1892,193)
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Diese Interpretation Vaihingers aber ist unvereinbar mit seiner zutreffenden Auffassung, daß Kant ein gedankliches Absehen vom Raum durchaus für möglich erklärt, wenn er in A 28 behauptet, daß dem Begriff des Raumes "in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden", keine Gültigkeit zukomme (vgl. Vaihinger 1892,190). Zutreffend werden Kants Behauptungen, die Vorstellungen von Raum und Zeit seien a priori gegeben, hingegen von Paton verstanden. Die Notwendigkeit des Gegebenseins dieser Vorstellungen wird von Kant "in Ansehung der Erscheinungen überhaupt" (vgl. B 46), d.h. im Verhältnis zu der Vorstellung behauptet, daß überhaupt irgendetwas "sei" (vgl. B 38): "Space and time are necessary and a priori ideas. The reason for this is that we can think away objects of experience from space and time, and still have space ana time left; but if we try to think away space and time from objects of experience, we have nothing left. It follows that space and time are not 'determinations' logically dependent upon appearances; they are the conditions of the possibility of appearances and are logically prior to them." (Paton 1951,112) Auch in bezug auf die von Kant behauptete Möglichkeit, sich zu "denken..., daß keine Gegenstände" im Raum "angetroffen werden" (B 38/39), ist Vaihingers Interpretation imbefriedigend. Er erklärt einerseits, nach Kant könne man "die Gegenstände aus dem Raum wegdenken, er ist von diesen Gegenständen unabhängig und bleibt eben auch ohne sie in uns", andererseits gibt er Kants Behauptung mit den Worten wieder, man könne sich "die Erscheinungen ... ganz gut aus dem Räume hinwegdenken", (vgl. Vaihinger 1892,186) Da bei Kant ausdrücklich die Rede davon ist, man könne sich denken, es würden keine Gegenstände im Raum "angetroffen" (vgl. B 38/39), behauptet Kant lediglich, es sei möglich, von der Realität der Erfahrung räumlicher Gegenstände abzusehen und sich dennoch zu denken, der Raum sei real. Nach Kant kann man nur die real anzutreffenden Erscheinungen, nicht aber alle Gegenstände überhaupt aus dem Raum 'wegdenken', denn Raum und Zeit sind keine "zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge..., welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles Wirkliche in sich zu befassen" (B 56). Wir können also nur davon absehen, daß und welche Gegenstände wirklich im Raum angetroffen werden, müssen uns aber stets räumliche Gegenstände einbilden oder es zumindest für möglich halten, irgendwelche räumlichen Gegen-
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stände wahrzunehmen, um uns den Raum als real vorzustellen. Dies sieht wiederum ganz richtig Paton: "However much we can think of space or time as empty of any particular objects, there must be some sort of reference at least to possible objects; and we can know particular spaces and times only by knowing the objects they contain. " (Paton 1951,114)
2. Ebbinghaus' Interpretation des Beweismittels des zweiten Raumarguments Das zweite Raumargument ist der zentrale Gegenstand des erstmals 1944 im Druck erschienenen und 1973 in überarbeiteter Fassung neu abgedruckten Vortrags von Julius Ebbinghaus 'Kants Lehre von der Anschauung a priori'. Ebbinghaus will die Argumentation Kants als stichhaltig erweisen, indem er insbesondere die Behauptung, man könne sich "ganz wohl denken, daß keine Gegenstände" im Raum "angetroffen werden" (B 38/39) gegen Einwände zu verteidigen versucht. Da Ebbinghaus dieser Behauptung aber einen stärkeren Sinn beilegt, als er ihr nach Maßgabe des Textes zukommt, gelingt es ihm nicht, die Argumentation Kants als Begründung für die Apriorität der Vorstellung des Raumes verständlich zu machen. Die erste Teilbehauptung des Argumentes für die Apriorität der Vorstellung des Raumes, man könne sich "niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei" (B 38), "besagt" nach Ebbinghaus "nicht eine subjektive Unmöglichkeit, als könnte eine solche Vorstellung zu keiner Zeit in uns sein, sondern eine objektive Unmöglichkeit: daß nämlich eine Vorstellung vom Nichtsein des Raumes gar keinen möglichen Gegenstand hätte" (Ebbinghaus 1973,48). Der erste Teil dieser Interpretation steht offensichtlich in Widerspruch zu der Behauptung Kants, man könne sich eine Vorstellung von der Nicht-Existenz des Raumes "niemals ... machen" (B 38), denn diese Formulierung kann ausschließlich auf die subjektive Fähigkeit zur Bildung dieser Vorstellung bezogen werden. Zwar behauptet Kant hiermit nicht, daß es unmöglich wäre, von der Räumlichkeit der beurteilten Dinge ganz abzusehen und nur noch an irgendwelche nicht eindeutig unterscheidbaren Dinge zu denken, aber auf diese Weise können wir uns nach Kant nicht denken, daß der Raum nicht 'ist', denn solche nicht räumlichen Dinge können wir uns seines Erachtens nicht als bestimmte existierende Gegenstände
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vorstellen, da der Raum eine "Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen" ist (B 39). In ihrem zweite Teil trifft die Interpretation von Ebbinghaus zu. Um sich vorzustellen, der Raum sei nicht real, müßte man sich irgendwelche Gegenstände als existent vorstellen, die nicht räumlich wären, und dies ist nach Kant nicht möglich. Da wir uns bestimmte Gegenstände nur als Gegenstände bestimmter räumlicher Gestalt oder Lage vorstellen können, können wir uns nicht vorstellen, es existierten irgendwelche bestimmten Gegenstände, die nicht räumlich wären. Diesen Zusammenhang kann man verkürzt auch in der Formulierung zum Ausdruck bringen, wir könnten uns nicht vorstellen, daß der Raum nicht real sei, weil eine solche Vorstellung gar keinen Gegenstand hätte. Dieser Gedanke wird durch die weiteren Ausführungen von Ebbinghaus aber wieder verschüttet: "Wollte ich den Raum aus der Vorstellung, in der ich ihn vorstelle, entfernen, so heißt das die ganze Vorstellung überhaupt verruchten, und diese vernichtete Vorstellung kann doch wahrlich nicht eine Vorstellung vom Nichtsein des Raumes genannt werden. Suche ich aber andererseits innerhalb der Möglichkeit der Raumvorstellung einen vorstellbaren Gegenstand, in Beziehung auf den der Raum die Möglichkeit des Nichtseins hätte, so kann ich in alle Wege nichts finden - und also bleibt nichts übrig, als zu sagen: Der Raum kann nicht anders als im Verhältnis der Unmöglichkeit seines Nichtseins vorgestellt werden. Eben dies: den Raum vorstellen können und doch als nichtseiend - das ist es, wozu unserem Vorstellungsvermögen in der Tat die Mittel fehlen. Das heißt nun aber, wir stellen den Raum als etwas vor, das in seiner eigenen Seinsmöglichkeit zum Sein bestimmt ist". (Ebbinghaus 1973,48/49) Hier scheint Ebbinghaus der Ansicht zu sein, man könne sich stets, wenn man sich den Raum vorstellt, diesen nur als real vorstellen. Dies kann jedoch nicht der Sirin der Behauptung Kants sein, denn Kant selbst spricht den Dingen an sich die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit ab: "Ich werde ... in der transzendentalen Überlegung meine Begriffe jederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit vergleichen müssen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern der Erscheinungen sein". (B 332) Nach Kant können wir uns den Raum vielmehr unmöglich als nicht-real vorstellen, weil wir uns ein nicht räumliches Ding unmöglich als bestimmten existierenden Gegenstand vorstellen können. Die zweite Teilbehauptung des Arguments für die Apriorität der Vorstellung des Raumes, wir könnten uns "ganz wohl denken ..., daß
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keine Gegenstände" im Raum "angetroffen werden" (B 38/39), wird von Ebbinghaus folgendermaßen interpretiert: "Eben dies, daß der Raum in seiner Denkbarkeit als Gegenstand nicht an das gebunden ist, was wir vielleicht jederzeit in ihm vorstellen, das ist aer Tatbestand, auf den Kant hier hinweist und dessen wir uns in seiner Notwendigkeit wirklich bewußt werden können. Wer Kant widerlegen will, der muß nachweisen, daß der Gedanke (Beriff) eines von Dingen entblößten Raumes einen Widerspruch entält - und nun mag man über die Möglichkeit eines leeren Raumes denken, was man will - auch Kant ist ja weit entfernt davon, an diese Möglichkeit zu glauben, - wer wird deshalb glauben, daß die Verfechter dieses leeren Raumes gar nicht bemerkt hätten, daß sie das, dessen Möglichkeit als Ding sie mit Recht oder Unrecht verteidigten, nicht einmal denken konnten?" (Ebbinghaus 1973,50)
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Im Gegensatz zu dieser Interpretation behauptet Kant selbst an anderer Stelle, daß die Denkbarkeit der Realität des Raumes durchaus an die Vorstellung der Möglichkeit gebunden ist, Gegenstände in ihm wahrzunehmen: "Der Raum, vor allen Dingen, die ... eine seiner Form gemäße empirische Anschauung geben, ist, unter dem Namen des absoluten Raumes, nichts anderes, als die bloße Möglichkeit äußerer Erscheinungen". (B 458 Anm.) Absehen kann man bei der Bildung des Gedankens von der Realität des Raumes nur davon, daß in ihm wirklich Gegenstände bestimmter Gestalt und Lage "angetroffen werden" (vgl. B 39). Der "Gedanke (Begriff) eines von Dingen entblößten" realen Raumes (vgl. Ebbinghaus 1973,50) enthält nach Kant also durchaus einen Widerspruch. Sieht man nämlich auch von der Möglichkeit ab, irgendwelche räumlichen Gegenstände wahrzunehmen, so behält man den Raum als "Prädikat eines bloßen Gedankendinges" (vgl. B 458 Anm.) übrig, dessen Vorstellung für einen Beweis der Apriorität der Vorstellung des Raumes ohne Bedeutung ist. Nur daraus, daß wir uns nicht vorstellen können, der Raum sei nicht real, d.h. uns keine nicht räumlichen Gegenstände als real vorstellen können, uns den Raum aber durchaus als real vorstellen können, ohne uns genau die existierenden Gegenstände in ihm vorzustellen, folgt, daß die Vorstellung des Raumes unseres Wissens nicht nur eine Bedingung unserer wirklichen Erfahrungen, sondern aller uns möglichen Erkenntnisse von Gegenständen ist.
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3. Hossenfelders Einwand, Kants Argumentation besitze nur empirische Gültigkeit Hossenfelder hält Kants Begründungen der Apriorität der Vorstellungen von Raum und Zeit für unzureichend. Er sieht ganz richtig, daß Kant nicht "die begriffliche Aufhebbarkeit von Raum und Zeit... bestreitet", sondern vielmehr behauptet, man könne "sich keine anschauliche Vorstellung davon machen, daß kein Raum und keine Zeit sei"; und diese Behauptung Kants hält er in dem Sinne für ganz richtig, daß es "bisher noch niemanden gegeben zu haben" scheine, "der unräumlichunzeitlich anschauen konnte", (vgl. Hossenfelder 1978, 71) Aber zu seinen weitergehenden Behauptungen berechtige Kant das von ihm vorgeschlagene Gedankenexperiment nicht: "Wie alle Experimente so können auch Gedankenexjperimente solcher Art keine apriorische, sondern nur empirische Gewißheit verschaffen. Aus dem bisherigen Mißlingen kann nicht die Unmöglichkeit gefolgert werden.... Da wir über die Art der Affektion nichts wissen, so können wir es auch nicht ausschließen, ob nicht in uns noch ganz andere Formen der Rezeptivität schlummern, die nur des erweckenden Impulses harren, um uns eine ganz andere Welt vor Augen zu führen. Keinesfalls genügt die Feststellung: 'Ich kann es mir nicht anders vorstellen'; denn dies ist immer ein empirischer Satz, aus dem sich keine Notwendigkeit herauspressen läßt." (Hossenfelder 1978, 71/72) Diesem Einwand Hossenfelders liegt jedoch ein rein spekulativer Begriff möglicher Erkenntnisse zugrunde. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, daß es erkennende Wesen mit Anschauungen ganz anderer Form als den Vorstellungen von Raum und Zeit gibt oder in uns selbst unbekannte Anschauungsvermögen schlummern, aber wir können uns Erkenntnisse solcher Wesen oder solche Anschauungen in keiner Weise positiv vorstellen, sondern uns diese nur negativ als solche denken, die andere als die unsrigen wären. Über irgendwelche Bedingungen der Möglichkeit solcher Erkenntnisse oder Anschauungen kann folglich gar keine Aussage gemacht werden, und in bezug auf sie kann der Begriff der Apriorität somit gar nicht verwendet werden. Andererseits können wir bei der Bestimmung der Bedingungen der uns möglichen Erkenntnisse durchaus den Rahmen unserer Erfahrung verlassen, da wir uns beliebig viele bestimmte Gegenstände vorstellen können, die wir bisher nicht wahrgenommen haben und vielleicht nie wahrnehmen werden. Der Satz 'Ich kann mir nur räumliche Gegenstände als bestimmte Gegenstände vorstellen' ist nur in bezug auf seinen
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gedanklichen Vollzug ein empirischer Satz; in bezug auf die hier vorgestellten Gegenstände jedoch gibt er den näheren Sinn des Begriffs 'Gegenstand' und damit einen Teil des Sinnes aller uns überhaupt vorstellbaren Erkenntnisse von wohlunterscheidbaren Dingen an.
4. Hossenfelders Einwand, die These von der Apriorität der Vorstellung des Raumes besitze hypothetischen Charakter Hossenfelder hält die Argumentation Kants für die Apriorität des Begriffs des Raumes nicht für zwingend. Kants These, daß unsere "äußere Erfahrung" aufgrund unserer subjektiven Vorstellung vom Raum "allererst möglich" werde (vgl. B 38), sei "nichts als eine Hypothese, weil sie nicht die einzig mögliche Lösung" für das gestellte Problem sei, zu verstehen, daß wir auf äußere Gegenstände nur als räumliche Gegenstände Bezug nehmen können (vgl. Hossenfelder 1978,34): "Man braucht z.B., um den Idealismus zu vermeiden, nur die Grundthese, daß die räumlichen Verhältnisse der Gegenstände Bestimmungen des Raumes seien, aufzugeben und durch die andere zu ersetzen, daß räumliche Ausdehnung eine Bestimmung der Gegenstände sei. Dadurch gerät man nicht in Konflikt mit der ursprünglichen Einsicht, daß man äußere Gegenstände niemals unräumlich anschauen kann; denn da 'äußerlich' eine räumliche Vorstellung ist, so kann man nur solche Dinge äußerlich anschauen, die die Eigenschaft der Räumlichkeit besitzen, nicht anders, als dies bei anderen Qualitäten der Fall ist." (Hossenfelder 1978,34) Hossenfelder will auch seinen Gegenvorschlag nur als Hypothese verstanden wissen. Die von ihm zugestandene Tatsache, daß wir äußere Gegenstände ausschließlich als räumliche Gegenstände anschauen können, impliziere nicht, daß unsere subjektive Vorstellung vom Raum unseren Erkenntnissen äußerer Gegenstände zugrundeliege, sondern diese Tatsache könne ebensogut durch die Annahme verständlich gemacht werden, daß alle äußeren Gegenstände an sich räumlich sind; und da keine dieser Annahmen zwingend sei, sei jede von ihnen eine bloße Hypothese. Die von Hossenfelder vorgeschlagene alternative Hypothese steht jedoch nicht auf einer Stufe mit der These Kants, und sie wird durch den von Hossenfelder gezogenen Vergleich unserer Anschauungen räumlicher Gegenstände mit unseren Wahrnehmungen von Gegenständen in anderen Qualitäten nicht gestützt, sondern vielmehr aus dem Bereich
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der sinnvollen Hypothesen ausgeschlossen. Wir sind nicht der Ansicht, Gegenstände z.B. als braun, heiß oder bitter wahrzunehmen, weil sie selbst diese Eigenschaften besitzen, sondern wir können betreffs solcher Empfindungserlebnisse die Beobachtung machen, daß Personen je nach ihrer körperlichen Verfassung z.B. aus Gründen der Gewöhnung denselben Gegenstand in ganz verschiedenen Empfindungsqualitäten erleben (vgl. B 45). Wir sprechen Empfindungsqualitäten keine objektive Gültigkeit zu, sondern behaupten lediglich, daß die so erlebten Gegenstände Eigenschaften besitzen, die in uns bei bestimmter Verfassung bestimmte Empfindungen auslösen. In Entsprechung hierzu könnte die alternative These über die Bedingungen der Möglichkeit unserer Wahrnehmungen räumlicher Gegenstände nur sein, daß alle uns affizierenden Dinge Eigenschaften besitzen, dank derer sie in uns aufgrund einer allgemeinen subjektiven Verfassung unsererseits Vorstellungen räumlicher Gestalten hervorrufen. Mit dieser Hypothese würde die These Kants, daß allen unseren Wahrnehmungen äußerer Gegenstände die Vorstellung des Raumes zugrunde liegt, aber nicht umgangen, sondern letztere würde lediglich um die Annahme einer bestimmten Grunddisposition unsererseits und gewisser Eigenschaften aller äußeren Gegenstände erweitert. Doch auch unabhängig vom Problem der objektiven Gültigkeit von Empfindungsqualitäten für die Gegenstände unserer Erkenntnis kommt die von Hossenfelder vorgeschlagene Hypothese nicht als Alternative zu der These Kants in Frage. Kant versteht unter äußeren Gegenständen keineswegs von vornherein räumliche Gegenstände, sondern Dinge, auf die ich Bezug nehme, wenn ich auf etwas "außer mich" Bezug nehme (vgl. B 38), also zunächst lediglich irgendwelche bestimmten von einem selbst verschiedenen Dinge. Im ersten Raumargument begründet Kant die Nicht-Empirizität der Vorstellung des Raumes damit, daß diese eine notwendige Bedingung jeder Bezugnahme mit gegebenen Empfindungen auf Dinge sei, die von einem selbst als dem Bezugnehmenden verschieden sind. Diese Behauptung wäre noch mit der spekulativen Annahme verträglich, daß alle von uns wirklich wahrgenommenen Dinge auch an sich räumlich sind. Im zweiten Raumargument weitet Kant seine These jedoch aus und behauptet, daß die Vorstellung des Raumes eine Vorstellung a priori, d.h. eine notwendige Bedingung jeder möglichen Erkenntnis von Gegenständen ist. Diese Behauptung wäre bestenfalls mit der spekulativen Hypothese vereinbar, daß alle Gegenstände möglicher Erkenntnis, d.h. auch alle in Zukunft existierenden Gegenstände, jenseits unseres gesicherten Wissens an sich räumlich sind. Durch die Begründung, die Kant für die Apriorität der Vorstellung des
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Zur Interpretation und Kritik der metaphysischen Erörterungen
Raumes gibt, scheidet aber auch diese Hypothese als sinnvolle Hypothese zum Verständnis der Funktion der Raumvorstellung im Rahmen unserer Erkenntnis aus. Kant begründet die Apriorität der Raumvorstellung im zweiten Raumargument damit, daß wir uns den Raum durchaus als real vorstellen können, ohne uns genau die wirklich existierenden Gegenstände als real vorzustellen, wir uns aber keine nicht räumlichen Dinge als wohlunterscheidbare reale Gegenstände vorstellen können. Kant behauptet in der Begründung also, daß auch ohne Rücksicht auf unsere wirkliche Erfahrung der Sinn des Begriffs unterscheidbarer realer Dinge nur der Sinn des Begriffs räumlicher Gegenstände sein kann. Diese Tatsache aber kann nicht durch die Hypothese verständlich gemacht werden, daß alle wirklich und alle möglicherweise existierenden Gegenstände an sich räumlich sind, denn daraus, daß wir stets Gegenstände bestimmter Art wahrgenommen haben und wahrnehmen werden, folgt nicht, daß wir uns unterscheidbare Dinge nur als Gegenstände dieser Art vorstellen können. Auch wenn alle Dinge, die wir bisher wahrgenommen haben und wahrnehmen werden, Gegenstände mit einer bestimmten Masse sein mögen, können wir uns dennoch masselose Gegenstände als reale Einzeldinge vorstellen. Der Sinn des Begriffs unterscheidbarer realer Dinge wird also nicht durch irgendwelche allgemeinen Eigenschaften der von uns wahrgenommenen oder für uns wirklich wahrnehmbaren Gegenstände festgelegt. Umgekehrt folgt daraus, daß wir uns nur räumliche Gegenstände als reale unterscheidbare Dinge vorstellen können, durchaus, daß wir unseres Wissens nur räumliche Gegenstände erkennen können. Jede andere Möglichkeit einer Unterscheidung von Dingen muß ganz unbestimmt bleiben und kann für eine Rechtfertigung unserer Erkenntnisse nicht herangezogen werden
F. IV. Zur Interpretation und Kritik des dritten Raumarguments: Vaihingers Unterscheidung von zwei Beweisgängen des dritten Raumarguments Die Argumentation des dritten Abschnitts der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes (der zweiten Auflage) faßt Vaihinger folgendermaßen zusammen: "Im ersten Beweisgang dieses ... Argumentes, das die Anschaulichkeit der Raumvorstellung zum Thema hat, wird darauf hingewiesen: der Raum muß Anschauung und kann nicht Begriff sein; denn der Begriff enthält das Einzelne unter sich, nicht in sich, wie das bei der Raumvorstellung der Fall ist. Im zweiten Beweisgang aber wird
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erwiesen: der Raum muß Anschauung und kann nicht Begriff sein; denn beim Begriff gehen seine Teile vorher, während sie beim Räume erst in ihm möglich sind, erst aus ihm durch Einschränkung gewonnen werden können." (Vaihinger 1892,220) Obwohl Vaihinger Kants Unterscheidung von Umfang und Inhalt von Begriffen ganz richtig wiedergibt, wenn er sagt, "in ersterer Hinsicht müßten die betreffenden Bestandteile sein die einzelnen Exemplare, in zweiter Hinsicht die Merkmale des Begriffs" (Vaihinger 1892,219), wendet er diese Unterscheidung ganz unzutreffend auf die Argumentation Kants an. Im dritten Raumargument wird der Begriff des Raumes ausschließlich unter dem Gesichtspunkt seines Umfangs betrachtet. Seinem Vorstellungsinhalt nach enthält der Begriff des Raumes eben nicht etwas Einzelnes in sich, sondern, wie Kant im vierten Raumargument behauptet, "eine unendliche Menge von Vorstellungen" (B 40). Seinem Umfang nach kann er allerdings ausschließlich auf genau ein Ding oder bloße Teile dieses Dinges bezogen werden, und dies unterscheidet ihn von Begriffen mit beliebigem Vorstellungsinhalt, die, wie Vaihinger an anderer Stelle richtig sieht, "immer auf Mehreres" (vgl. Vaihinger 1892, 223), d.h. auf voneinander verschiedene Exemplare bezogen werden können, von denen jedes schon für sich den Umfang dieses Begriffs bilden könnte. Unter keinen Begriff fällt schon als solchen notwendig genau ein Ding. Der von Vaihinger diagnostizierte zweite Beweisgang des dritten Raumarguments existiert dementsprechend gar nicht, sondern Kant gibt lediglich eine nähere Erläuterung seiner ersten Behauptung: Zwar kann man von mehreren Räumen 'reden', doch handelt es sich bei den hierbei in Rede stehenden Dingen nicht um verschiedene Exemplare von Räumlichkeit, sondern um Teile des einen einzigen Raumes. Im dritten Raumargument betrachtet Kant das "Mannigfaltige in ihm", d.h. im Räume selbst (vgl. B 39), und erst im vierten Raumargument die "unendliche Menge von Vorstellungen", die der Begriff des Raumes seinem Inhalt nach ermöglicht (vgl. B 40).
F. V. Zur Interpretation und Kritik des vierten Raumargumentes: Vaihingers Einwand eines Widerspruchs zwischen den Behauptungen der Unendlichkeit und des Gegebenseins des Raumes Da das vierte Raumargument der zweiten Auflage ebenso wie das dritte die These beweisen soll, daß die Vorstellung des Raumes "kein
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diskursiver oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt [ist], sondern eine reine Anschauung" (B 39), wird diese These zu Beginn des vierten Arguments nicht wiederholt, sondern dieses setzt unmittelbar mit der Prämisse ein, aufgrund derer die Vorstellung des Raumes neuerlich von diskursiven Begriffen abgegrenzt werden soll: "Der Raum wird als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt." (B 39) Der Gesichtspunkt der von Kant hier getroffenen Unterscheidung wird von Vaihinger zutreffend dargestellt: Unter jeden Begriff können grundsätzlich, d.h. ohne Rücksicht auf die uns gegebenen Anschauungen, unendlich viele Gegenstände fallen. "Aber in einem anderen Sinne ist die Unendlichkeit von dem Wesen der Begriffe abzuweisen: kein eigentlicher Begriff 'als ein solcher', d.h. keine Vorstellung als Begriffim logischem Sinne betrachtet, enthält eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich. Ein Begriff ist in unendlich vielen Einzelvorstellungen enthalten, und enthalt darum auch diese unter sich", d.h. diese sind ihm begrifflich subordiniert; "aber er kann nicht auch unendlich viele Einzelvorstellungen in sich enthalten". (Vaihinger 1892,241) Problematisch erscheint Vaihinger die wesentliche Prämisse dieser Argumentation. Da sie besagt, daß der Raum als eine unendliche "gegebene" Größe vorgestellt wird, werde von Kant damit "die aktuelle Unendlichkeit der Raum Vorstellung behauptet", (vgl. Vaihinger 1892,254) "Aber diese unmittelbare Nebeneinanderstellung von 'unendlich' und 'gegeben'" sei insbesondere vor dem Hintergrund der Antinomienlehre Kants anstößig (vgl. Vaihinger 1892,257), und dieser "Widerspruch" trete bei Kant immer wieder auf (vgl. Vaihinger 1892,258). Dieser vermeintliche Widerspruch läßt sich auflösen, wenn man bedenkt, daß nach Kant auch "die formale Anschauung" des Raumes schon "eine Synthesis, die nicht den Sinnen angehört", einschließt, durch die "der Verstand die Sinnlichkeit bestimmt" und so die Vorstellungen von Raum und Zeit "als Anschauungen" von etwas "zuerst gegeben werden" (vgl. B 160 Anm.). Die Aussagen Kants, der Raum werde "als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt" (B 39) und "die ursprüngliche Vorstellung Zeit" müsse "als uneingeschränkt gegeben sein" (B 48), sind keineswegs so zu verstehen, daß uns der Raum und die Zeit als aktual-unendliche Größen gegeben sind, sondern Kant behauptet hiermit nur, daß uns unser Raum- und Zeiterleben unabhängig von jeder Erfahrung die Möglichkeit einer potentiell unendlichen, d.h. beliebig erweiterbaren synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen von Teilen des Raumes oder der Zeit bieten. Aktuell a priori gegeben ist nur die Beliebigkeit der Erweiterung dieser Synthesis; Raum und Zeit
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selbst als unendliche Größen sind damit nur potentiell gegeben. Dies macht Kants Erläuterung des Begriffs der Unendlichkeit deutlich: "Der wahre (transzendentale) Begriff der Unendlichkeit ist: daß die sukzessive Synthesis der Einheit in Durchmessung eines Quantum niemals vollendet sein kann." (B 460) Der Begriff des absoluten Raumes schließt nach Kant nur die Vorstellung einer solchen potentiell beliebig erweiterbaren Synthesis ein: "Der absolute Raum ist... an sich nichts und gar kein Objekt, sondern bedeutet nur einen jeden anderen relativen Raum, den ich mir außer dem gegebenen jederzeit denken kann, und den ich nur über jeden gegebenen ins Unendliche hinausrücke, als einen solchen, der diesen einschließt und in welchem ich den ersteren als bewegt annehmen kann." (Anfangsgründe, 481) Nach Vaihinger bietet diese Passage keine Möglichkeit zum Verständnis der Behauptung Kants, daß der Raum als unendliche Größe gegeben sei, da sich Kant mit dieser Erläuterung der Vorstellung der Unendlichkeit des Raumes in Widerspruch zur Antinomienlehre setze: "In der Tat wird hier die Form, wie wir es deutlicher nicht wünschen können, als ein Fortgang, als eine Handlung, d.h. ein Prozeß erklärt. Dieser Prozeß ist aber nichts anderes, als was in der Antinomienlehre Regressus in indefinitum genannt wurde, d.h. das endlose Aufsteigen vom Bedingten zu seiner Bedingung." (Vaihinger 1892,258) In dieser Form könnte ein Widerspruch zur Antinomienlehre nur betreffs der Behauptung des aktuellen Gegebenseins der Zeit als unendlicher Größe bestehen, denn, "da die Teile des Raumes einander nicht untergeordnet, sondern beigeordnet sind, so ist ein Teil nicht die Bedingung der Möglichkeit des anderen, und er macht nicht, so wie die Zeit, an sich selbst eine Reihe aus"; der Raum ist vielmehr "ein Aggregat", dessen "Teile insgesamt zugleich sind" (B 439). Kants Antinomienlehre steht aber tatsächlich weder zum vierten Raum- noch zum vierten Zeitargument in Widerspruch, da Kant hier nur das Gegebensein der potentiellen Unendlichkeit von Raum bzw. Zeit behauptet, die in der bloßen Möglichkeit unbegrenzten Fortführung der Subordination von Teilzeiten bzw. der Koordination von Raumteilen besteht. Paton findet es schwierig, die Raum- und Zeitargumente Kants abschließend zu beurteilen und beschränkt sich diesbezüglich auf eine Wiedergabe seiner subjektiven Uberzeugung: "Nevertheless I am inclined to suspect, though I recognize this may be due to ignorance, that space and time cannot be reduced to a
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logical system of relations. They look to me like individual wholes which are known by pure intuition, and this pure intuition seems to me, as it did to Kant, to underlie all our concepts of the relations which they contain. I am also inclined to suspect that space and time have a unique status in our experience, and that we shall make no progress in our philosophy till this essentially Kantian doctrine is recognized." (Paton 1951,173)
G. Die objektive Gültigkeit der Anschauungen a priori für Gegenstände möglicher Erfahrung Erst in der zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' wird eine 'transzendentale Erörterung' der Begriffe von Raum und Zeit von ihrer jeweiligen 'metaphysischen Erörterung' abgesetzt; und auch hier beschränkt sich die 'Transzendentale Erörterung des Begriffs der Zeit' auf Ergänzungen zum dritten Abschnitt seiner metaphysischen Erörterung, da in diesen "gesetzt" worden sei, "was eigentlich transzendental ist" (B 48). Aus diesem Grund ist dieser Abschnitt bisher übergangen worden. In der ersten Auflage hatte auch die metaphysische Erörterung des Begriffs des Raumes einen entsprechenden dritten Abschnitt. Der Grund für das ursprüngliche Fehlen gesonderter transzendentaler Erörterungen dürfte darin liegen, daß die in den metaphysischen Erörterungen gewonnenen Befunde über die Begriffe von Raum und Zeit in den transzendentalen Erörterungen nicht um neue erweitert, sondern nur unter einem neuen Gesichtspunkt betrachtet werden. Eine transzendentale Erörterung hat die Aufgabe, die "Erkenntnis" zu liefern, "daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)... a priori angewandt werden oder möglich sind" (B 80), d.h. sie hat zu zeigen, daß und wie sich diese a priori "auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen" (B 117). "Daher ist weder der Raum, noch irgendeine geometrische Bestimmung desselben a priori eine transzendentale Vorstellung, sondern nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs sind, und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf Segenstände der Erfahrung beziehen können, kann transzendental heißen." (B 80/81) Daß der Vorstellungsinhalt der Begriffe von Raum und Zeit nicht aufgrund von Erfahrungen von Gegenständen oder Zuständen gebildet worden sein kann, soll bereits im jeweils ersten Abschnitt ihrer metaphysischen Erörterungen bewiesen worden sein. Daß die Verwendung der Vorstellungen von Raum und Zeit darüber hinaus eine notwendige Bedingung jeder möglichen Identifikation eines Gegenstandes oder Zu-
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standes ist, soll im jeweils zweiten Abschnitt der metaphysischen Erörterungen bewiesen worden sein. In den transzendentalen Erörterungen wäre nun noch zu zeigen, daß durch die Anschauungen von Raum und Zeit die Möglichkeit der Bezugnahme auf wohlunterscheidbare Gegenstände erklärt werden kann. Da die transzendentalen Erörterungen erst zeigen sollen, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit als Anschauungen a priori für Gegenstände möglicher Erfahrung gelten, werden auch sie als Erörterungen des "Begriffs vom Räume" bzw. des "Begriffs der Zeit" durchgeführt (vgl. B 40 u. B 48). Da die transzendentalen Erörterungen sich aber auf eine Bestätigung des Anschauungscharakters und der Apriorität der Vorstellungen von Raum und Zeit beschränken, müssen sie noch durch den Nachweis der objektiven Gültigkeit von Begriffen überhaupt ergänzt werden. Dieser Nachweis soll in der späteren 'Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe' erbracht werden, die in einem Ergänzungsverhältnis zu den transzendentalen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit steht. Unter dem Verfahren einer "transzendentalen Erörterung" versteht Kant "die Erklärung eines Begriffs als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann" (B 40). Wie jede philosophische "Erklärung" ist auch eine transzendentale Erörterung ein Verfahren, "gegebene Begriffe ... nur analytisch durch Zergliederung ... [zu] erklären" (B 758). "Erkenntnisse aus Prinzipien" nennt Kant solche, in denen etwas "durch Begriffe" erkannt wird. (vgl. B 357) In den transzendentalen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit soll also eine Analyse dieser Begriffe geliefert werden, die beweist, daß durch deren Verwendung "die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann" (vgl. B 40). Sowohl bei dieser Einsicht als auch bei den als möglich eingesehenen weiteren Erkenntnissen a priori soll es sich um synthetische Erkenntnisse, d.h. um Sätze handeln, die einen "Begriff durch das, was über denselben in der Anschauung als Merkmal hinzukommt, dem Inhalte nach wirklich erweiter[n]" (Logik Einl., 63). Dennoch soll die Verwendung des Begriffs des Raumes bzw. des Begriffs der Zeit nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung der Bildung "anderer synthetischer Erkenntnisse" (B 40) sein: Es sollen "wirklich dergleichen Erkenntnisse aus dem gegebenen Begriffe herfließen" (B 40). Sowohl die synthetischen Erkenntnisse, deren Möglichkeit es einzusehen gilt, als auch diese Einsicht selbst sollen a priori möglich sein: Aus den Begriffen von Raum und Zeit sollen "a priori verschiedene synthetische Erkenntnisse geschöpft werden können" (B 55), und sie sollen "da-
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durch synthetische Sätze a priori möglich" machen (B 56). Aus dieser Möglichkeit soll darauf geschlossen werden, daß dem Begriff des Raumes bzw. dem Begriff der Zeit eine Anschauung a priori zugrunde liegt, indem gezeigt wird, daß sie "nur unter der Voraussetzung" der "gegebenen Erklärungsart dieses Begriffs" bestehen kann. (vgl. B 40) Die Analysen, die beweisen müßten, daß die Begriffe von Raum und Zeit diese Forderungen erfüllen, werden in den transzendentalen Erörterungen jedoch nicht in abstrakter Form ausgeführt, sondern Kant weist lediglich auf die Erkenntnisse der Geometrie (vgl. B 40) und der allgemeinen Bewegungslehre (vgl. B 49) als Beispiele für synthetische Sätze a priori hin, die nur aufgrund der Anschauung a priori vom Raum bzw. von der Zeit möglich seien. Der Grund hierfür dürfte sein, daß bereits in den metaphysischen Erörterungen die Konsequenz gezogen wurde, dem Begriff des Raumes und dem Begriff der Zeit müsse eine Anschauungen a priori zugrunde liegen, da man sich alle Fälle von Raum oder Zeit, d.h. alle besonderen Räume oder Zeiten, nur als Teile genau eines Raumes bzw. genau einer Zeit vorstellen könne und diese Begriffe somit unabhängig von jeder Erfahrung einen potentiell unendlich mannigfaltigen Inhalt besäßen. Ganz im Sinne der in den transzendentalen Erörterungen zu erwartenden Argumentation wird schon im vorletzten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes behauptet, "das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt," beruhe "lediglich auf Einschränkungen" (B 39); und schon im letzten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs der Zeit wird erklärt, die "Unendlichkeit der Zeit" bedeute "nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur durch Einschränkung einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sei" (B 47/48). Hieraus folgt, daß man sich jede besondere Gestalt und jede besondere Dauer schon aufgrund der Anschauungen a priori von Raum und Zeit vorstellen kann. Die Anschauungen a priori erlauben es also, vor jeder Erfahrung synthetische "Sätze" (B 56), d.h. behauptende Urteile (vgl. Logik § 30. Anm. 3., 109), über bestimmte möglicherweise existierende Gegenstände zu bilden. "Durch Bestimmung" der reinen Anschauungen a priori können wir also "Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach als Erscheinungen; ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt doch dabei noch unausgemacht" (B147). Zwar werden uns "Dinge im Raum und der Zeit" nur durch "Wahrnehmungen (mit Empfindung begleitete Vorstellungen)" gegeben und verschaffen uns "die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori angewandt werden..., nur sofern Erkenntnis, als
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diese ... auf empirische Anschauungen angewandt werden können" (B 147); aufgrund des potentiell unendlichen Inhalts der Anschauungen von Raum und Zeit ist es uns jedoch a priori möglich, Behauptungen über Eigenschaften von und Beziehungen zwischen möglicherweise erfahrbaren Gegenständen aufzustellen. Wenn die Verwendung der Begriffe von Raum und Zeit aber eine hinreichende Bedingung dafür ist, "die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori" einzusehen, so ist dies nur unter "Voraussetzung" der "gegebenen Erklärungsart diesefr] Begriff[e] möglich" (vgl. B 40), diesen Begriffen liege eine Anschauung a priori zugrunde. Denn anhand eines "bloßen" diskursiven Begriffs können "keine Sätze, die über den Begriff hinausgehen", d.h. keine Sätze über die nähere Beschaffenheit der unter diesen Begriff fallenden Dinge, gebildet werden (vgl. B 41). Die Behauptung, die Vorstellungen von Raum und Zeit seien sinnliche Anschauungen a priori von Gegenständen möglicher Erfahrung, scheint jedoch unvereinbar mit dem Sinn des Begriffs der Anschauung zu sein. Alle unsere empirischen Anschauungen von Gegenständen können nämlich in bestimmten Eigenschaften als durch Gegenstände verursacht erkannt werden. Jede "Empfindung" ist "die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden" (B 34), und alle Wahrnehmungen sind "mit Empfindung begleitete Vorstellungen" (B 147). Anschauungen a priori hingegen können nicht als durch Gegenstände verursacht erkannt werden, da sie deren Identifikation erst ermöglichen sollen. Es stellt sich also "die Frage: wie ist es möglich, etwas a priori anzuschauen? Anschauung ist eine Vorstellung, so wie sie unmittelbar von der Gegenwart des Gegenstandes abhängen würde. Daher scheint es unmöglich, a priori ursprünglich anzuschauen, weil die Anschauung alsdartn ohne einen weder vorher, noch jetzt gegenwärtigen Gegenstand, worauf sie sich bezöge, stattfinden müßte und also nicht Anschauung sein könnte" (Prol. § 8., 281/282). Obwohl die Vorstellungen von Raum und Zeit unmöglich als durch bestimmte Gegenstände verursacht erkannt werden können, ist die Behauptung, es handele sich bei ihnen um Anschauungen a priori, nach Kant mit der Erkenntnis, daß alle unsere Wahrnehmungen ihrem Empfindungsgehalt nach durch Gegenstände hervorgerufen werden, durch die Annahme einer empirisch nicht erkennbaren sinnlichen Dispositionen vereinbar: Da die Beschaffenheit unserer Empfindungserlebnisse nicht nur von der Beschaffenheit der uns affizierenden Gegenstände, sondern auch von der unserer Sinne selbst abhängt, ist es in Analogie hierzu zumindest denkbar, daß unsere reinen Anschauun-
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gen a priori auf nicht näher bestimmbaren Anlagen unserer selbst beruhen, auf Reizungen durch irgendwelche nicht näher bestimmbaren Dinge zu reagieren. So ist nach Kant die Anschauung a priori des Raumes "offenbar nicht anders" möglich, "als so fern sie bloß im Subjekte, als die formale Beschaffenheit desselben, von Objekten affiziert zu werden, und dadurch unmittelbare Vorstellung derselben d.i. Anschauung zu bekommen, ihren Sitz hat, also nur als Form des äußeren Sinnes überhaupt" (B41). Auf diese Weise kann man die Anschauungen a priori lediglich "verstehen" (vgl. B 42), nicht aber ihr Zustandekommen erklären, da weder die unterstellten Anlagen noch die angenommenen uns affizierenden Dinge als bestimmte Zustände bzw. Gegenstände erkannt werden können, "denn dergleichen Gegenstand würde weder im Räume, noch der Zeit... vorgestellt werden" können (B 522). Es kann also weder die Realität solcher Dinge behauptet werden, noch kann entschieden werden, ob es sich hierbei um ein Ding oder um eine Mehrzahl von Dingen handeln könnte, sondern sie müssen als undifferenzierbares "transzendentales Objekt" (vgl. B 523) gelten, das möglicherweise im Rahmen einer uns unvorstellbaren, nicht auf sinnlichem Erleben beruhenden Erfahrung bestimmt werden könnte. Auch das Bedingungsverhältnis, in dem diese Dinge zu unseren Vorstellungen von Raum und Zeit stehen mögen, kann nicht als zeitliches Kausalverhältnis vorgestellt werden (vgl. KU 195), sondern läßt sich nur begrifflich, nämlich so denken, daß die Realität irgendwelcher uns unbekannten Dinge aufgrund einer uns unbekannten Disposition unserer selbst eine hinreichende Bedingung für die Realität unseres Raum- und Zeiterlebens ist. Da sich aber wenigstens denken läßt, irgendwelche Dinge seien "vor aller Erfahrung an sich selbst" real, und da der Umfang der uns möglichen Erfahrung von den Anschauungsformen von Raum und Zeit bestimmt wird, können wir diesen Dingen als "transzendentale[m] Objekt" rein spekulativ "allen Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen zuschreiben", (vgl. B 522/523)
G. I. Die Bestätigung der Anschauung a priori durch die Erkenntnisse der Mathematik und der reinen Naturwissenschaft
In der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes nennt Kant die Geometrie (vgl. B 40) und in der transzendentalen Erörterung des Begriffs der Zeit die "allgemeine Bewegungslehre" (vgl. B 49) als reale Wissenschaften, die auf keiner empirischen Anschauung, sondern auf
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der Anschauung a priori vom Raum bzw. der Anschauung a priori der Zeit beruhen. Die Geometrie ist nach Kant eine Wissenschaft, in der der Raum vergegenständlicht, nämlich selbst "als Gegenstand vorgestellt" wird (vgl. B160 Anm.) und seine "Eigenschaften... synthetisch und doch a priori bestimmt" werden (B 40). In der Geometrie betrachtet man "das Allgemeine", nämlich den Begriffs des Raumes als "einer allgemeinen Vorstellung", "im Besonderen", nämlich durch die gedankliche Konstruktion besonderer räumlicher Gestalten, oder "gar im Einzelnen" (vgl. B 741/742), d.h. auch durch die gegenständliche Konstruktion einzelner Körper oder Figuren z.B. auf dem Zeichenbrett. Sowohl die gedankliche Konstruktion besonderer Gestalten "durch bloße Einbildung in der reinen ... Anschauung" als auch die gegenständliche Konstruktion von Körpern und Figuren "auf dem Papier in der empirischen Anschauung" ist nach Kant in den für die Konstruktion mathematischer Begriffe wesentlichen Eigenschaften "völlig a priori" (B 741), d.h. im Rahmen der "reinen Geometrie" (B 16) möglich, da man hierbei kein "Muster aus irgendeiner Erfahrung" verwendet, sondern sich der gegenständlichen Darstellung nur als Beispiel bedient (B 742). Zwar ist die "einzelne hingezeichnete Figur... empirisch", d.h. ein von anderen wohlunterscheidbarer Gegenstand der Erfahrung, aber sie ist nicht der eigentliche Gegenstand der Geometrie, denn sie dient lediglich dazu, einen "Begriff, unbeschadet seiner Allgemeinheit, auszudrücken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Konstruktion des Begriffs, welchem viele Bestimmungen, z.E. der Größe, der Seiten und der Winkel, ganz gleichgültig sind, gesehen, und also von diesen Verschiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht verändern, abstrahiert wird" (B 741/742). "Von der Existenz" von Gegenständen ist in der Mathematik "gar nicht die Frage" (vgl. B 747), sondern durch die Konstruktion z.B. eines einzelnen Dreiecks in der Geometrie werden die konkreten Gegenstände, die ihrer Gestalt nach unter den Begriff des Dreiecks fallen mögen, nur "allgemein bestimmt gedacht" (vgl. B 742). Unter der "allgemeinen Bewegungslehre" versteht Kant den "reinen Teil" (B18) einer Naturwissenschaft, nämlich die "reine Mechanik" (Prol. § 10., 283). Wie die reine Geometrie, so ist auch die reine Mechanik als der Teil dieser Wissenschaft bestimmt, in dem deren Grundbegriffe gedanklich in der reinen Anschauung oder auch exemplarisch in der empirischen Anschauung gebildet und dadurch wissenschaftliche Bestimmungen existierender Gegenstände ermöglicht werden. Der Inhalt dieses reinen Teils läßt sich nach Kant dadurch eingrenzen, daß man "von den empirischen Anschauungen der Körper und ihrer Veränderun-
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gen (Bewegung) alles Empirische, nämlich was zur Empfindung gehört, wegläßt", ohne jedoch von ihrer Körperlichkeit und Bewegung selbst abzusehen; hierbei "bleiben noch Raum und Zeit übrig, welche ... niemals weggelassen werden können", sondern "vor aller empirischen Anschauung, d.i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände, vorhergehen müssen" (Prol. § 10., 283). Nach Kant muß die "allgemeine Bewegungslehre" neben dem Begriff des Raumes auch den der Zeit verwenden, da der "Begriff der Veränderung und mit ihm der Begriff der Bewegung (als Veränderung des Ortes) nur durch und in der Zeitvorstellung möglich ist" (B 48). Mit den Hinweisen auf die Geometrie und die allgemeine Bewegungslehre soll nicht auf ganz neue Weise für die Apriorität und den Anschauungscharakter der Vorstellungen von Raum und Zeit argumentiert werden, sondern mit ihnen soll, ebenso wie mit der Erwähnung der Arithmetik an anderen Stellen (insb. in B 745 u. Prol. § 10., 283; vgl.: B15, B182, B 205, Prol. § 2., 268/269), nur jeweils ein "glänzendes Beispiel" (B 55; vgl.: B 4, B 17, B 740) zur Beglaubigung der metaphysischen Erörterungen angeführt werden. Der synthetische Charakter der "Erkenntnis", die in der Geometrie (vgl. B 40) bzw. in der allgemeinen Bewegungslehre (vgl. B 49) gewonnen wird, soll bestätigen, daß jede dieser Wissenschaften auf Anschauungen beruht; und der apodiktische Charakter der "geometrischen Sätze insgesamt" (B 41) bzw. der "Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit oder Axiomen von der Zeit überhaupt" (B 47) soll bestätigen, daß diese Sätze auf einer Anschauung a priori vom Raum bzw. von der Zeit beruhen. Daß einige Grundsätze der Geometrie bzw. die Grundsätze der allgemeinen Bewegungslehre synthetisch sind und daher überhaupt auf Anschauungen beruhen müssen, wird ausdrücklich erst in den Erörterungen der zweiten Auflage behauptet, (vgl. B 40/41 u. B 47) Der Grund für die nachträgliche Aufnahme dieser Behauptungen dürfte sein, daß der Hinweis auf die apodiktische Gewißheit dieser Grundsätze zur Begründung der These, sie beruhten auf Anschauungen a priori, nicht hinreicht. Auch alle analytischen Urteile, die rein logische "Zergliederungen der Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben", sind, liefern jeweils "eine wirkliche Erkenntnis a priori" (B 9/10), die apodiktisch gewiß ist (B 3; vgl. Prol. § 2., 267). Der Grund für das Fehlen der Hinweise auf die Synthetizität einiger Grundsätze der Geometrie und der Grundsätze der reinen Bewegungslehre in den metaphysischen Erörterungen der ersten Auflage dürfte sein, daß diese Hinweise den Charakter von Urteilen betreffen, der systematisch kein Gegenstand der 'Transzendentalen Ästhetik1, sondern
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der späteren 'Transzendentalen Logik' ist. Im Rahmen der 'Analytik der Begriffe', nämlich in der 'Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe', versucht Kant, einen Beweis dafür zu liefern, daß alle möglichen Erkenntnisurteile synthetische Urteile sein oder auf synthetischen Urteilen beruhen müssen: Schon um sich irgendwelche erlebten Qualitäten "als im Objekt verbunden vorstellen" (B130) zu können, d.h. um sie sich überhaupt als Qualitäten von Gegenständen oder Zuständen vorstellen zu können, muß man nach Kant die Vorstellungen des betreffenden Inhalts "eine zu der anderen hinzusetze[n]" und sich "der Synthesis derselben bewußt" sein (B 133). Seines Erachtens setzt "die Auflösung, Analysis,... doch jederzeit" eine "Synthesis" im Urteil voraus, "denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nur durch ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können" (B130). Die elementaren Begriffe der Form jeder möglichen "Synthesis", durch die man "allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken kann", sollen die "Kategorien" sein. (vgl. B106) In der transzendentalen Deduktion erklärt Kant ausdrücklich, daß man auch "in der Mathematik" nur durch eine kategoriale "Bestimmung" der reinen Anschauung vom Raum oder der Zeit "Erkenntnisse a priori von Gegenständen ... ihrer Form nach" bekommen kann (vgl. B 147). In den transzendentalen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit wird dieses Resultat der 'Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe' bereits in Anspruch genommen. In der transzendentalen Erörterung des Begriffs der Zeit setzt Kant voraus, daß man sich eine Bewegung nur als Eigenschaft eines Gegenstandes vorstellen kann, indem man bestimmte "Prädikate" miteinander verknüpft und sich diese Verknüpfung als gültige "Verbindung ... verständlich" macht (vgl. B 48). Da die hier in Frage kommenden Prädikate, nämlich "das Sein an einem Orte und das Nichtsein eben desselben Dinges an demselben Orte", einander aber rein logisch betrachtet kontradiktorisch entgegengesetzt sind (B 48), können sie nur unter einer weiteren, nicht rein begrifflichen Voraussetzung, nämlich aufgrund der Anschauung der Zeit, miteinander verbunden werden. "Nur in der Zeit können beide kontradiktorisch-entgegengesetzte Bestimmungen in einem Dinge, nämlich nacheinander, anzutreffen sein." (B 48/49)
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G. II. Die Sätze der Geometrie beruhen auf Anschauungen a priori Zur Erläuterung der Behauptung, daß in der Geometrie synthetische Urteile gebildet werden, die inhaltlich "über" ihren jeweiligen Subjektbegriff "hinausgehen" und auf Anschauungen beruhen, wird von Kant in der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes auf den fünften Abschnitt der Einleitung zur zweiten Auflage verwiesen (vgl. B 41). Dort weitet er seine Behauptung noch aus: "Einige wenige Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen, sind ... wirklich analytisch und beruhen auf dem Satz des Widerspruchs ..., z.B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d.i. das Ganze ist größer als sein Teil". (B 16717) Doch auch diese Sätze, "ob sie gleich nach bloßen Begriffen gelten, werden" nach Kant "in der Mathematik nur darum zugelassen, weil sie in der Anschauung können dargestellt werden", (vgl. B17) Kant begründet diese Behauptung mit dem Hinweis auf eine "Zweideutigkeit des Ausdrucks ... solcher apodiktischen Urteile" (B 17). Formal läßt sich die Apodiktizität von kategorischen Urteilen nur soweit bestimmen, daß man in ihnen "das Bejahen oder Verneinen ... als notwendig ansieht" (vgl. B100), d.h. daß wir "zu einem gegebenen Begriffe ein gewisses Prädikat hinzudenken ... sollen" (B 17). Zur Entscheidung über die analytische Wahrheit von Urteilen reicht dieser formale Begriff der Apodiktizität eines Urteils aber nicht hin, denn hier ist "die Frage ... nicht" lediglich, "was wir zu dem gegebenen Begriffe hinzudenken sollen, sondern was wir wirklich in ihm, obzwar nur dunkel, denken" (B 17). Im Rahmen der allgemeinen Logik selbst kann nicht behauptet werden, daß der Inhalt eines bestimmten Prädikats bereits "wirklich ... obzwar nur dunkel" (B17) im Subjektbegriff gedacht wird, denn um dies festzustellen oder überhaupt festzustellen, daß wirklich ein bestimmter Begriff gegeben ist, müßte ein besonderes Kriterium seines Inhalts verwendet werden. Im Rahmen der formalen Logik kann nur behauptet werden, daß, falls eine Vorstellung von irgendwelchen Dingen gegeben ist und man über diese Dinge ein widerspruchsfreies kategorisches Urteil fällen will, man hierbei zum Subjektbegriff "ein gewisses Prädikat hinzudenken" muß, und nur "diese Notwendigkeit haftet schon an den Begriffen" (vgl. B 17) in formaler Betrachtung. Wenn dem Grundsatz des zu vermeidenden Widerspruchs in bestimmten Fällen tatsächlich entsprochen wird und man einem Ding eine Eigenschaft zuspricht, die mit seinen Eigenschaften vereinbar ist, oder ihm eine Eigenschaft abspricht, die
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nicht zu seinen Eigenschaften zählt, so ist dies nur dadurch möglich, daß dem Urteilenden Vorstellungen von bestimmten Dingen gegeben sind, und "uns Menschen wenigstens" werden Vorstellungen von Gegenständen nur "vermittelst der Sinnlichkeit... gegeben, und sie... liefert uns Anschauungen" (B 33). Wenn "einige wenige Grundsätze" der Geometrie wie "z.B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d.i. das Ganze ist größer als sein Teil", auch "wirklich analytisch" sind, so sind sie es doch nur "vermittels einer Anschauung" (B17), da sie Bedingtingen der Erfüllung der Grundsätze der formalen Logik einschließen, nämlich "in der Anschauung ... dargestellt werden" müssen (vgl. B17). Zwar folgt aus dem Begriff einer räumlichen Größe 'a' analytisch, daß sie sich der Größe nach selbst gleich ist, 'a = a', aber der Begriff einer räumlichen Größe kann nur in der Anschauung gebildet werden. Auch aus dem Begriff einer Größe, die aus Teilen besteht, folgt analytisch, daß diese Größe größer als irgendeiner ihrer Teile ist, aber auch eine solche Größe ist nur in der Anschauung vorstellbar. Andere Grundsätze der Geometrie beruhen nach Kant nicht nur deshalb auf Anschauungen, weil sie ausschließlich in der Anschauung dargestellt werden können, sondern auch deshalb, weil sie ihrem Inhalt nach über den Inhalt ihres gegebenen Subjektbegriffs "hinausgehen" (B 41) und dieser neu hinzukommende Inhalt nur aus der Anschauung stammen kann. So ist seines Erachtens der "Grundsatz", daß "die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei,... ein synthetischer Satz", da der "Begriff vom Geraden ... nichts von Größe, sondern nur eine Qualität" enthält (B 16). Entsprechend dürfte nach Kant der im dritten Abschnitt der metaphysischen Erörterung des Begriffs des Raumes angeführte Grundsatz, "daß in einem Triangel zwei Seiten zusammen größer sind, als die dritte" (B 39), als synthetischer Satz zu verstehen sein, da in den "allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel" (B 39) unabhängig von der anschaulichen Konstruktion eines Dreiecks keine Bestimmung der relativen Größe seiner Seiten zueinander enthalten ist. Aus welchem Grunde Größenbestimmungen nach Kant nur in synthetischen Urteilen möglich sind, wird sich bei der Erläuterung seines Verständnisses arithmetischer Sätze zeigen.
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G. III. Die Sätze der Arithmetik beruhen auf der Anschauung a priori der Zeit. Nach Kant ist die arithmetische Gleichung "7 + 5 = 12" als Urteil betrachtet "ein einzelner Satz" (B 205), dessen Subjekt-"Begriff der Summe von 7 und 5 nichts weiter ent[hält], als die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige" (B15), aber kein "bloß analytischer Satz ..., der aus dem Begriff einer Summe von Sieben und Fünf nach dem Satz des Widerspruchs erfolg[t]" (B 15). Unter einem "Satz" versteht Kant ein Behauptungsurteil (vgl. Logik § 30. Anm. 3., 109) und zwar im Falle des arithmetischen Satzes '7 + 5 = 12' wie im Falle aller Sätze der reinen Mathematik eine apodiktische Behauptung, die uneingeschränkte Gültigkeit für die unter den Subjektbegriff fallenden Dinge beansprucht (vgl.: B 741; Prol. § 6., 280; Prol. § 10., 283). Ob ein Urteil ein allgemeines, ein besonderes oder ein einzelnes Urteil ist, hängt von seiner Form ab (Logik § 20., 102), "je nachdem das Subjekt im Urteile entweder ganz von der Notation des Prädikats ein- oder ausgeschlossen, oder davon zum Teil nur ein- zum Teil ausgeschlossen ist" (Logik § 21., 102). Als Satz ist die arithmetische Gleichung "7 + 5 = 12" jedoch nicht nur ein einzelner Satz über ein bestimmtes einzelnes Ding, sondern in ihr wird darüber hinaus behauptet, daß auch nur "eine einzige" Zahl (B 15) "der Zahl 12 gleich" sei (B 16). In einem einzelnen Urteil wie z.B. dem Urteil "Gajus ist sterblich" (vgl. Logik § 21. Anm. 1., 102) muß keineswegs behauptet werden, daß das unter den Subjektbegriff fallende Individuum auch das einzige Individuum mit der ihm zugeschriebenen Eigenschaft ist. Der Satz "7 + 5 = 12" jedoch ist eine "Zahlformel" (B 205), durch die behauptet wird, daß genau die Zahl, die ihrer Größe nach der Vereinigung der Größen von '7' und '5' gleich ist, die Zahl '12' ist (vgl. B 15). Hierdurch ist nicht ausgeschlossen, daß man die Größe dieser Zahl auch durch die Addition anderer Größen wie z.B. der Größen von '8' und '4' bilden könnte, doch jede bildbare Größe, die der Größe der Zahl '12' gleich ist, ist nach dieser Zahlformel mit der Größe identisch, die sich durch die Addition der Größen von '7' und '5' ergibt. In der formalen Logik kann die Form singulärer Urteile nach Kant nicht von der Form allgemeiner Urteile unterschieden werden, "denn in beiden gilt das Prädikat vom Subjekt ohne Ausnahme" (Logik § 21. Anm 1., 102), und unter Verzicht auf die Verwendung besonderer inhaltlicher Kriterien kann nicht ausgeschlossen werden, daß, auch wenn wir einen Begriff "unmittelbar auf Individuen anwenden [,]... in Ansehung desselben doch noch spezifische Unterschiede vorhanden [sind], die wir entweder nicht bemerken, oder die wir aus der Acht lassen" (Logik § 11.
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Anm., 97). Mit den Mitteln der formalen Logik allein kann der Umfang eines Begriffs also nicht eindeutig bestimmt und behauptet werden, daß er gleich groß wie der Umfang eines anderen, d.h. mit dessen Umfang der Größe nach identisch ist. Folglich kann der durch '=' bezeichnete Begriff der Gleichheit zweier Größen nach Kant kein rein logischer Begriff sein, sondern muß ebenso wie der durch'+' bezeichnete Begriff der Addition zu den mathematischen Begriffen der "Konstruktionen von Größen überhaupt" zählen (vgl. B 745). Um zu prüfen, ob es sich bei dem Satz '7 + 5 = 12' um einen analytischen Satz handelt, setzt Kant daher den arithmetischen Begriff der Gleichheit zweier Größen voraus und prüft, ob der Inhalt des Prädikats dieses Satzes, nämlich "die Zahl 12", aus dem Subjektbegriff in dessen durch den arithmetischen Begriff '=' näher bestimmten Sinn, nämlich aus "dem Begriff einer Summe = 7 + 5" (B16), durch logische Analyse "nach dem Satze des Widerspruchs" (B 15) gewonnen werden kann. Als logische Kopula dieses Satzes hat man dementsprechend ein prädikatives 'ist' zu ergänzen. Die Möglichkeit der Verwendung des arithmetischen Begriffs 'ist der Größe nach gleich' kann und muß nach Kant bei der logischen Analyse des Subjektbegriffs vorausgesetzt werden, da man schon vor der Bildung des Satzes '7 + 5 = 12' gewisse "Einheiten zusammennahm, um die Zahl 5" und die Zahl 'Sieben' "auszumachen" (vgl. B 15). Die Verwendung dieser Zahlen im Subjektbegriff schließt also bereits die Möglichkeit der Bestimmung von Größen und der Unterscheidung singulärer von allgemeinen Urteilen ein. Daß der Satz '7 + 5 = 12' unter diesen Voraussetzungen nicht nur als einzelner Satz aufgefaßt werden kann, in dem eine Behauptung über ein einzelnes Ding gemacht wird, sondern darüber hinaus als die Behauptung verstanden werden muß, daß genau die nach dem Subjektbegriff zu bildende Zahl als "einzige" Zahl (B15) "der Zahl 12 gleich sei" (B 16), folgt aus der Einschränkung der Arithmetik auf die Betrachtung reiner Größen. Jede einzelne Größe, die nur als Größe betrachtet wird und einer anderen Größe gleich ist, ist mit dieser Größe identisch, da man sie nicht als Größe des Umfangs eines Begriffs von derselben Größe des Umfangs eines anderen Begriffs unterscheidet. Es kann also nur genau eine "einzige" (B15) Zahl geben, die "der Zahl 12 gleich" ist (B16), "wiewohl der Gebrauch dieser Zahlen nachher allgemein ist" (B 205). Dennoch behauptet Kant, man könne den Subjektbegriff "noch so lange zergliedern" und werde "doch darin die Zwölf nicht antreffen" (B 15). Um die Zahl 'Zwölf zu erhalten, müsse man "über" die im Subjektbegriff enthaltenen "Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hilfe nimmt, die einem von beiden" der verwendeten Zahlbegriffe "korrespondiert, etwa seine fünf Finger oder... fünf Punkte, und so nach
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und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem Begriff der Sieben hinzutut" (B15). Durch den bloßen "Begriff einer Summe = 7 + 5" werde lediglich bestimmt, "daß 5 zu 7 hinzugetan werden sollten,... aber nicht, daß diese Surrune der Zahl 12 gleich sei" (B16). Wie bei der Erörterung der analytischen Grundsätze der Geometrie hebt Kant auch hier auf die Differenz von formaler Notwendigkeit und Wirklichkeit der Bildung eines Urteils bestimmter Form ab und behauptet, daß die Anschauung eine notwendige Bedingung dafür ist, dieses apodiktische Urteil zu bilden und "das Prädikat wirklich in der Vorstellung des Subjekts" zu denken (B 205; vgl. B17). Im Unterschied zur Erörterung der analytischen Grundsätze der Geometrie wird die Anschauung in diesem Fall jedoch nicht als Bedingung der Realmöglichkeit der Verwendung von Begriffen überhaupt in Anspruch genommen, sondern über die Vertrautheit mit den formalen Eigenschaften des Verfahrens der Addition hinaus wird die Realmöglichkeit der Bildung bestimmter Begriffe, nämlich des Begriffs 'Fünf' und des Begriffs 'Sieben', vorausgesetzt; und Kant behauptet, daß auch unter diesen Voraussetzungen die Anschauung eine notwendige Bedingung der Realmöglichkeit der Bildung eines bestimmten anderen Begriffs, nämlich der Bildung des Begriffs 'Zwölf aus den Begriffen 'Sieben' und 'Fünf, ist. Es ist also zu klären, inwiefern die Bedingungen der Bildung des Urteils '7 + 5 = 12' nach Kant über die Bedingungen der Bildung seines Subjektbegriffs "einer Summe = 7 + 5" (B 16) hinausgehen. Um die Grundsätze der formalen Logik bei der Bildung wahrer synthetischer oder analytischer Urteile befolgen zu können, müssen uns irgendwelche synthetisch zu verknüpfenden oder analytisch zu zergliedernden Vorstellungen von etwas gegeben sein; und nach Kant schließen schon diese Vorstellungen eine synthetische gedankliche Verknüpfung von Vorstellungen ein. Nach Kant ist es unser Denken, mittels dessen wir aus Vorstellungen, die uns zunächst nur in ihrer jeweiligen Sinnesqualität bewußt sind, Vorstellungen von etwas bilden und ihnen so einen "transzendentalen Inhalt" (B105), d.h. Bezug auf von ihnen als bloßen Bewußtseinsinhalten verschiedene Gegenstände oder Zustände verschaffen. Es ist eine zentrale, noch näher zu erläuternde These der 'Kritik der reinen Vernunft', daß "derselbe Verstand ... und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen... die logische Form eines Urteils zustande brachte,... auch vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt" bringt (B 105). In diesem Sinne enhält auch jede Zahl als Begriff einer Größe "die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung
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überhaupt" (vgl. B182). Die grundlegenden Formen unseres Denkens in seiner referenziellen Funktion sind nach Kant Gegenstand der 'transzendentalen Logik'. Ihre Aufgabe ist es, "die reine Synthesis der Vorstellungen", d.h. die elementaren Formen a priori von Urteilen in ihrer Verwendung bei der Verknüpfung von Vorstellungen, "auf Begriffe zu bringen" (B104) und so das Verständnis getroffener Verknüpfungen als gültiger Verbindungen zu ermöglichen. Die Begriffe der transzendentalen Logik, die Kategorien, sind Begriffe zweiter Stufe, durch deren Verwendung "als Prinzipien" (B 168) man sich der Notwendigkeit bewußt ist, bei der Bildung synthetischer Urteile die in den Kategorien erfaßten Formen einzuhalten. Die Verwendung der Kategorien gibt der "reinen Synthesis Einheit" und besteht "lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit". (B104) In diesem Sinne wird schon in dem von Kant analysierten "Begriff einer Summe = 7 + 5 gedacht..., daß 5 zu 7 hinzugetan werden sollten" (B 16), und diese Notwendigkeit geht in jedes Urteil mit diesem Begriff ab Subjektbegriff ein. Um die Kategorien in einem bestimmten Fall wirklich zu erfüllen und auf dieser Grundlage die Grundsätze der formalen Logik bei der Analyse der so gebildeten Vorstellung von etwas wirklich befolgen zu können, müssen die in den Kategorien erfaßten Urteilsformen auf eine zu verknüpfende Mannigfaltigkeit sinnlicher Erlebnisse angewandt werden, d.h. es muß den Kategorien jeweils ein anschauliches "Bild" verschafft werden (vgl. B180). So muß man sich auch, um die Zahl "Sieben" oder "die Zahl 5 auszumachen", jeweils eine durch diese Zahlen zu kennzeichnende Menge in einem anschaulichen "Bilde" vorstellen (vgl. B15/16) und kann die Größen dieser Zahlen nur anhand irgendwelcher Bilder zur Gesamtgröße von 'Zwölf addieren. Diese Bilder können z.B. Bilder von Teilen des bloßen Raumes, d.h. "reiner Gestalten im Räume" (vgl. B 180), oder a priori vorstellbarer Zeitpunkte sein. Im jeweils letzten Abschnitt der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit hat Kant behauptet, diese Begriffe müßten auf Anschauungen a priori beruhen, die Anschauungen potentiell unendlich vieler Teilräume bzw. Teilzeiten einschließen, da man sie sich als Begriffe denke, die "eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich" enthalten (B 40, vgl. B 48). Diese Bilder können aber auch Bilder konkreter möglicherweise existierender Gegenstände, d.h. "ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft" (B 181) sein. In einem Bilde der Zahl 'Fünf kann man sich also z.B. "fünf Punkte" im Raum oder auch "seine fünf Finger" einer Hand vorstellen, (vgl. B 15) Stellt man sich hierbei in der reinen Anschauung fünf beliebige Punkte im Raum vor, so verfügt man über ein reines Bild der Zahl 'Fünf'. Stellt man diese Zahl darüber
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hinaus "in concreto" dar (vgl. B 180), indem man sich die fünf Punkte z.B. "auch auf dem Papier in der empirischen Anschauung" (B 741) vorstellt, so verfügt man damit über ein empirisches Bild, wie man es auch von seinen fünf Fingern hat. Die Wahl des jeweiligen Bildes ist beliebig. Der Begriff der Fünf wird auch dann "völlig a priori" gebildet, wenn man ihn in einem empirischen Bilde darstellt (B 741), da die Verwendung genau dieses Bildes für seine Bildung nicht wesentlich ist: "Die einzelne hingezeichnete Figur ist empirisch und dient gleichwohl, den Begriff unbeschadet seiner Allgemeinheit auszudrücken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Konstruktion des Begriffs ... gesehen ... wird." (B 741 /742) Den logischen Funktionen der elementaren Urteilsformen entsprechend muß diese Konstruktion, von ihrer kategorialen Überformung abgesehen, in drei Teilschritte zerfallen. Zunächst wird in einem einzelnen kategorischen Urteil ein beliebiges einzelnes Ding als Ding einer unbestimmten Elementargröße gekennzeichnet. Weiter wird dieses kategorische Urteil als jeweiliger Vordersatz in mehreren hypothetischen Urteilen mit demselben Nachsatz über Dinge einer relativ größeren Größe verknüpft und so die Vorstellung einer aus gleichen Einzelteilen zusammengesetzten Größe gebildet. Schließlich wird in einem disjunktiven Urteil gefordert, daß die Vordersätze der hypothetischen Urteile mit diesem gemeinsamen Nachsatz vollständig erfaßt werden, und es wird bestimmt, daß jeder Teil der zusammengesetzten Größe streng alternativ einer der in den Vordersätzen gekennzeichneten Teile ist. Auf diese Weise werden alle miteinander verknüpften Teilgrößen als Gesamtheit voneinander verschiedener Teile einer Gesamtgröße vorgestellt, und diese Größe wird durch die Anzahl und Größe ihrer Teile bestimmt. Das Verfahren der Bestimmung einer Größe durch ihre Zusammensetzung aus Teilgrößen gilt nach Kant allgemein. Seines Erachtens ist es mit der Bestimmung jeder Größe, "auch der kleinsten Zeit", so "bewandt" und kann man sich "keine Linie" bestimmter Größe, "so klein sie auch sei, vorstellen, ohne sie in Gedanken zu ziehen" (B 203). Zwar können auch die jeweils miteinander verbundenen Teilgrößen neuerlich aus Teilen zusammengesetzt und so in ihrer Größe bestimmt werden, letztlich aber müssen bei jeder Größenbestimmung Vorstellungen irgendeiner elementaren Größe verwendet werden, die nur relativ zu den aus ihr zusammengesetzten Größen als Anteile derselben bestimmt werden kann. Die elementare Größe, die letztlich als Maßstab der Bemessung der komplexen Größe dienen muß, kann in diesem Verfahren nicht absolut bestimmt werden:
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"Weil es ... in der Beurteilung der Größe nicht bloß auf die Vielheit (Zahl), sondern auch auf die Größe der Einheit (des Maßes) ankommt, und die Größe dieser letzteren immer wiederum etwas Anderes als Maß bedarf, womit sie verglichen werden könne: so sehen wir, daß alle Größenbestimmung der Erscheinungen schlechterdings keinen absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern könne." (KU § 25., 248) "Allein, da die Größe des Maßes doch als bekannt angenommen werden muß, so würden, wenn diese nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maß sein müßte, mithin mathematisch geschätzt werden sollte, wir niemals ein erstes oder Grundmaß, mifnin auch keinen bestimmten Begriff von einer gegebenen Größe haben können. Also muß die Schätzung der Größe des Grundmaßes bloß darin bestehen, daß man sie in einer Anschauung unmittelbar fassen und durch Einbildungskraft zur Darstellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d.i. alle Großenschätzung der Gegenstände der Natur ist zuletzt ästhetisch (d.i. subjektiv und nicht objektiv bestimmt)." (KU § 26., 251) Jede Größe kann letztlich also nur relativ zu einer bloß subjektiv eingeschätzten elementaren Größe durch die Häufigkeit der korrekten Verknüpfung dieser elementaren Größe mit sich selbst bestimmt werden, nämlich in der "Vorstellung" der "Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" (B 182). Man muß also auch bei der Bildung des arithmetischen Satzes '7 + 5 = 12' die Anschauung schon insofern zu Hilfe nehmen, als man sich sowohl die Menge von 'Fünf' als auch die Menge von 'Sieben' als auch die Menge von 'Zwölf in einem anschaulichen Bild vorstellen muß. Dieses Erfordernis scheint jedoch noch nicht die Behauptung zu rechtfertigen, es handele sich bei diesem Satz um einen synthetischen Satz. Gesetzt den Fall, man wählt als Bild der Zahl 'Sieben' die Vorstellung sieben beliebiger Punkte in der reinen Anschauung und als Bild der Zahl 'Fünf' die Vorstellung fünf beliebiger Punkte, so scheint man damit über Vorstellungen zwölf beliebiger Punkte zu verfügen, anhand derer sich der Begriff 'Zwölf mit einem entsprechenden Bild dieser Menge ausschließlich unter Verwendung kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Urteile bilden ließe. Es scheint also durchaus möglich, das Prädikat 'ist Zwölf seinem Inhalt nach, d.h. die Zahl '12', aus dem "Begriff einer Summe = 7 + 5" (B 15) analytisch zu gewinnen. Darüber hinaus scheint die erforderliche Beliebigkeit der anschaulichen Qualitäten der bei der Bildung arithmetischer Begriffe jeweils zu wählenden Bilder der Behauptung Kants zu widersprechen, die Arithmetik bringe "ihre Zahlbegriffe durch sukzessive Hinzusetzung der Einheiten in der Zeit zustande" (Prol. § 10., 283; vgl. B182). Sofern in der Geometrie Begriffe räumlicher
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Größen gebildet werden, mag es nötig sein, hierbei Bilder von Teilräumen als Dingen elementarer räumlicher Größe zu verwenden, aber in der Arithmetik wird auch nach Kant von jeder Qualität der beurteilten Größen abgesehen und "bloß ihre Quantität" (B 748) auf Begriffe gebracht. Die Arithmetik ist nicht auf die Beurteilung zeitlicher Größen eingeschränkt wie die Geometrie auf die Bestimmung räumlicher Größen festgelegt ist. Der Grund für den synthetischen Charakter der Sätze der Arithmetik und ein weiterer Grund für den synthetischen Charakter der Sätze der Geometrie liegt darin, daß es nicht hinreicht, sich einer Verknüpfung von Vorstellungen bestimmter Größen in ihrer logischen Form bewußt zu sein, um die Kategorien wirklich auf diese Verknüpfung anzuwenden und die Vorstellung ihrer Gesamtgröße zu bilden, sondern es hierzu noch der Verwendung eines allgemeinen Kriteriums des realen Vollzugs dieser Verknüpfung bedarf. Der Sinn der berechtigten Behauptung, aus gegebenen Größen eine bestimmte neue Größe gebildet zu haben, kann nach Kant nur durch das Bewußtsein der kategorialen Korrektheit des Vollzugs der Verknüpfung der Vorstellungen von den jeweiligen Teilgrößen verdeutlicht werden. Die Kategorien reichen jedoch nicht hin, sich des realen Vollzugs einer Verknüpfung bewußt zu sein, da sie bloße Urteilsformen zum Inhalt haben und eine Unterscheidung möglicher Urteile von wirklichen Urteilen nicht erlauben. Sie sind als "reine Verstandesbegriffe in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen ganz ungleichartig" (B 176), so daß allein durch das Bewußtsein der Kategorien als "Prinzipien" der korrekten Verknüpfung von Vorstellungen (vgl. B 168) nicht beurteilt werden kann, ob die Kategorien bei der Verknüpfungen einer Gesamtheit gegebener Vorstellungen wirklich verwendet werden. Da die Wahl des jeweiligen Bildes einer Größe für deren Bestimmung unwesentlich ist, darf das Kriterium der Realität einer Verknüpfung von sinnlichen Vorstellungen zum Bild einer Größe nicht die Qualität des gewählten Bildes zum Inhalt haben, sondern es muß sich auf den Vollzug der gedanklichen Bildung von Vorstellungen von Größen überhaupt beziehen. Wie bereits erläutert wurde, behauptet Kant in den Schlüssen aus der Erörterung des Begriffs der Zeit, daß nur die Anschauungsform der Zeit die Form unseres "inneren Sinnes, d.i. des Anschauens unserer selbst" als erkennender Wesen "und unseres inneren Zustandes" ist (vgl. B 49). Wir können uns unsere einzelnen Vorstellungen und unser Urteilen nur als zeitliche Zustände bzw. als zeitliche Leistung vorstellen. Die Anschauungsform der Zeit "als die formale Bedingung der Mannigfaltigkeit des inneren Sinnes" ist "mithin" eine notwendige Bedingung
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des Bewußtseins "der Verknüpfung aller Vorstellungen", (vgl. B177) Die Urteilsformen, die unseren Vorstellungsverknüpfungen durch ihre kategoriale Bestimmung gegeben werden, müssen im Falle der wirklichen Bildung korrekter Urteile also bestimmten zeitlichen Formen des Urteilens entsprechen und in diesen zeitlichen Formen als erfüllt angesehen werden. Jede Vorstellung von einer solchen zeitlichen Form eines Aktes der Verknüpfung von Vorstellungen, die bei seiner kategorialen Bestimmung verwendet wird, nennt Kant das "Schema" der jeweiligen Kategorie und die Leistung der Verwendung solcher Schemata bei der Anwendung der Kategorien den "Schematismus des reinen Verstandes" (B 179). Jedes Schema ist "vom Bilde zu unterscheiden", da es in seiner Verwendung auf kein bestimmtes Bild eingeschränkt ist, sondern "die Vorstellung von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft [ist], einem Begriff sein Bild zu verschaffen" (B 179/180). Auch dem reinen Verstandesbegriff der Größe, der Kategorie der Quantität, ist bei seiner Verwendung ein solches Schema zuzuordnen, nämlich "die Vorstellung, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt" (B182). So schließt die gedankliche Bildung jeder Zahl, "die nun fünf oder hundert sein kann,... mehr die Vorstellung einer Methode [ein], einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z.E. tausend) in einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst" (B 179). Der "Satz", d.h. die mit dem Anspruch auf Wahrheit erhobene Behauptung (vgl. Logik § 30. Anm. 3., 109) '7 + 5 = 12' ist also ein synthetischer Satz, da man sich der Verknüpfung der Begriffe '7' und '5' zum Begriff der Summe '12' als "sukzessive[r] Addition" (vgl. B 182) bewußt sein muß, um sich ihrer als korrekter Verbindung bewußt sein zu können, und das Bewußtsein dieser Leistung im bloßen Begriff der auszuführenden "Vereinigung beider Zahlen in eine einzige" (B 15) nicht enthalten ist. Da dieses Bildungsverfahren für alle Zahlen gilt, ist es eine notwendige Bedingung der Addition von 'Fünf' und 'Sieben' zu 'Zwölf, daß man "vorher" gewisse "Einheiten... zusammennahm, um die Zahl 5" und die Zahl 'Sieben' "auszumachen" (vgl. B16). Man muß sich bei dieser Addition also bereits bestimmter sukzessiver Additionsleistungen bewußt sein. Die Addition von 'Fünf' und 'Sieben' enthält diese Leistungen jedoch nur als Teilleistungen und geht in ihren Voraussetzungen über sie hinaus. Um die Zahl 'Zwölf zu bilden, reicht es nicht hin, in einem bloßen Verknüpfungsakt die gewählten Bilder der Zahlen 'Fünf und 'Sieben' zu verbinden, sondern man muß sich der sukzessiven Verknüpfung von zwölf Einheiten zu einem Gesamtbild bewußt sein. Man muß also entweder im Anschluß an die Bildung der Zahl 'Fünf oder im
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Anschluß an die Bildung der Zahl 'Sieben' allmählich und im einzelnen sieben bzw. fünf weitere Einheiten zu den bereits addierten Einheiten hinzuaddieren. Nur indem man z.B. die Einheiten, die man "vorher zusammennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an [einem] ... Bilde nach und nach zur Zahl 7' hinzuaddiert, sieht man "die Zahl 12 entspringen" (B16). Jede Addition schließt also relativ zu den Vorstellungen ihrer Ausgangsgrößen und der zu vollziehenden arithmetischen Operation Vorstellungen neuer Teile der Zeit ein, da man jede der zu einer dieser Größen hinzuzuaddierende Einheit erneut aufnehmen und als in der Zeit korrekt zur gewählten Ausgangsgröße addiert auffassen muß. "Deutlicher" als am Beispiel des Satzes '7 + 5 = 12' wird der synthetische Charakter arithmetischer Sätze nach Kant, "wenn man etwas größere Zahlen nimmt", da es hier klar einleuchte, daß "wir, ohne die Anschauung zu Hilfe zu nehmen, vermittels der bloßen Zergliederung unserer Begriffe die Summe niemals finden könnten" (B 16). Einleuchtend wirkt angesichts der Addition größerer Zahlen zunächst Kants Behauptung des prozeduralen Charakters unserer Rechenleistungen. Zahlen, die wir nicht durch überschaubare Bilder einer geordneten Anzahl Dinge veranschaulichen können, können von uns nicht 'auf einen Blick' zu einer neuen Zahl vereinigt werden. Zugleich aber läßt die Betrachtung solcher Fälle Kants Behauptung zweifelhaft erscheinen, bei jeder Addition müsse man die "Einheiten", die man "vorher zusammennahm", um eine der zu addierenden Zahlen zu bilden, an einem "Bilde" nach und nach den Einheiten der anderen Zahl hinzufügen (vgl. B 15/ 16), und jede "Zahl" fasse die sukzessive Addition von "Einem zu Einem (gleichartigen)" zu einer Einheit zusammen (B182). Besonders plastisch hat diesbezügliche Zweifel J. Michael Young formuliert: "If asked for the sum of seventy-nine and eighty-six, we will not begin, by providing ourselves with a collection of seventy-nine fingers, dots, or whatever, and setting these alongside a distinct collection of eighty-six similar objects. Instead, we write down the numeral strings '79' and '86', one atop the other and properly aligned. We then add nine and six, recalling that their sum is fifteen, which is expressed by the numeral string 15'. We write down a '5', carry a T , and so on, finally coming to the conclusion, that the sum of these two numbers may be expressed as '165', and that the sum is therefore one hundred sixty-five." (Young 1982,22) Aber auch nach Kant muß nicht jede Rechnung unmittelbar anhand anschaulicher Bilder der zu verrechnenden Größen oder der Einheiten, aus denen sie sich zusammensetzen, ausgeführt werden, sondern Rechenoperationen können unbeschadet des synthetischen Charakters
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erkenntniserweiternder mathematischer Sätze auch anhand von Symbolen erfolgen. So wird nach Kant im Gegensatz zur "ostensiven" Konstruktion "der Gegenstände selbst" in der Geometrie in der Buchstabenrechnung mit dem Verfahren einer "symbolischen Konstruktion" gearbeitet (B 745). In dieser "charakteristischen Konstruktion" legt der Algebraiker "an den Zeichen die Begriffe, vornemlich von dem Verhältnisse der Größen, in der Anschauung" dar und sichert "alle Schlüsse vor Fehlern dadurch, daß jeder derselben vor Augen gestellt wird". (B 762) Hierbei wählt er zunächst "eine gewisse Bezeichnung aller Konstruktionen von Größen überhaupt (Zahlen, als der Addition, Subtraktion usw.), Ausziehung der Wurzel", bezeichnet dann "den allgemeinen Begriff der Größen nach den verschiedenen Verhältnissen derselben" durch verschiedene Buchstaben und stellt schließlich "alle Behandlung" durch die "die Größe erzeugt und verändert wird, nach gewissen allgemeinen Regeln in der Anschauung dar", d.h. "wo eine Größe durch eine andere dividiert werden soll, setzt [er] beider ihre Charaktere nach der bezeichneten Form der Division zusammen usw.". (vgl. B 745) Die Möglichkeit einer solchen symbolischen Konstuktion besteht nach Kant offenbar auch für die Arithmetik, denn seines Erachtens läßt sich jede "Zahl" nicht nur an "den Fingern" oder "den Korallen des Rechenbretts" veranschaulichen, sondern auch an "den Strichen und Punkten, die vor Augen gestellt werden" (vgl. B 299). Der Grund dafür, daß es sich auch bei den auf dem Wege der symbolischen Konstruktion gewonnenen erkenntniserweiternden mathematischen Sätzen um synthetische Sätze handelt, ist, daß die hierbei verwendeten Symbole stets in einem sukzessiven Verfahren anhand anschaulich gegebener Einheiten deutbar sein müssen. Denn "even though we... can reliably identify the activities we perform as proper executions of the activity of calculation, we may still be quite in the dark... how we can infer, from the fact that the outcome of the calculation is '165', that the sum in question is one hundred sixty-five" (Young 1982,25). Die "allgemeinen Regeln", nach denen Rechenoperationen symbolisch dargestellt werden, sind nämlich von den "Konstruktionen von Größen überhaupt" wie der Addition oder der Subtraktion verschieden (vgl. B 745), so daß es durchaus möglich ist, daß jemand ein Stück weit erfolgreich mit einem symbolischen Rechenverfahren arbeitet, ohne das ihm zugrunde liegende Prinzip verstanden zu haben (vgl. Young 1982, 27). "Kant's view is presumably that this procedure of ostensive construction and enumeration provides wnat we may call the primary ground for arithmetical judgments, and that calculation constitutes only a secondary or derivative ground, one we are justified in ap-
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pealing to only because we can satisfy ourselves that the results yielded by calculation necessarily coincide with those that would be ' lded by ostensive construction and enumeration." (Young 1982, Young vermutet, daß Kant dem Aufzählen diese privilegierte Rolle beim Verständnis mathematischer Oprerationen zuspricht, weil die Anzahl der Mitglieder einer Klasse nur durch deren allmähliche Aufzählung bestimmt werden kann: "The seveness,... and in general the how-many-ness of a collection, resides in the fact that it comprises distinct, particular objects, and the representation of such particular things, rather than merely of kinds of things, is always a matter of intiution. The representation of the how-many-ness of a collection may not necessarily involve enumeration, since intuition, so far as we can see, need not necessarily be temporal. For us, however, it is temporal, and successive enumeration is the only device we have for determination of howmany-ness." (Young 1982,40) Die Gründe aus denen Kant ein schrittweises zeitliches Operieren mit Anschauungen der zu verrechnenden Größen für grundlegend hält, sind bereits bei der Erläuerung des von ihm angeführten Beispiels der Addition '7 + 5 = 12' dargestellt worden. Der Sinn der berechtigten Behauptung, gegebene Größen zu einer eindeutig bestimmten Größe zusammengeführt zu haben, kann nach Kant nur durch das Bewußtseins der kategorial korrekten Verknüpfung irgendwelcher Anschauungen dieser Größen verdeutlicht werden; und die einzige Möglichkeit, sich der erfolgreichen Verwendung der diese Verknüpfung leitenden Kategorien der Quantität bewußt zu sein, besteht nach Kant darin, sich der erbrachten Verknüpfungsieistimg in einer diesen Kategorien entsprechenden zeitlichen Form, nämlich in der schematischen Form der "sukzessivefn] Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" bewußt zu sein (vgl. B 182). Zwar muß dem Urteilenden auch der korrekte Vollzug jedes analytischen Urteils als Vollzug bestimmter zeitlicher Form bewußt sein, doch in diesen Fällen ist man sich lediglich einer Verknüpfungsleistung einer zeitlichen Struktur bewußt, derer man sich schon bei der Bildung seines Subjektbegriffs bewußt war. Arithmetische Urteile haben nur dann synthetischen Charakter, wenn die Bedingungen der realen Bildung des Gesamturteiles über die Bedingungen der Bildung ihres Subjektbegriffs hinausgehen. So ist z.B. auch das Urteil ' 7 - 5 = 2' ein synthetisches Urteil, wenn die Leistung der Subtraktion nicht schon bei der Bildung der Zahlen '7' oder '5' erbracht wurde. Im Unterschied hierzu wäre der Satz
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'7 = 7' ein analytisches Urteil, da sich von jeder bestimmten Größe versteht, daß sie mit sich selbst identisch ist. Bei der Bildung der jeweiligen Größe selbst aber muß man sich einer Verknüpfungsleistung neuer zeitlicher Struktur bewußt sein. Die im Bewußtsein der korrekten Ausführung einer arithmetischen Operation bestimmte Größe wird nicht durch die Dauer der Ausführung dieser Operation bestimmt, sondern - wie gesagt - durch die "Vielheit" und Art der korrekten Verknüpfungen einer bloß subjektiv eingeschätzten Elementargröße als (Einheit des Maßes)" (vgl. KU § 25., 248). Arithmetische Behauptungen anderer sind jedem Erkennenden nur insofern verständlich, als er sie in der Zeit methodisch nachvollziehen und sich von der Korrektheit dieses Vollzugs überzeugen kann. Die von Person zu Person möglicherweise verschiedene subjektive Größeneinschätzung der jeweils zugrunde gelegten Elementargröße ist hierbei ohne Belang, da es für die Wahrheit von Größenbestimmungen nur auf die Korrektheit der Beurteilung der relativen Größenverhältnisse von komplexen Größen zu einer jeweiligen Elementargröße ankommt. Auch Begriffe räumlicher Größen muß man bei ihrer Bildung nach Kant "in der Anschauung darstellen, d.i. konstruieren" (vgl. B 748). Auch die erkenntniserweiternden Sätze der Geometrie sind also synthetische Urteile und zwar aus drei Gründen: Zum ersten muß die Vorstellung der räumlichen Qualität der betreffenden Größe, je nachdem, ob es sich bei ihr um eine lineare, flächige oder körperliche Größe handelt, mit dem Begriff der "bloße[n] Größe" (vgl. B 745), d.h. insbesondere mit der Vorstellung der Zeit als der Anschauungsform des inneren Sinnes, verknüpft werden. Denn die Vorstellung z.B. eines Dreiecks schließt die Vorstellung der Größenverhältnisse seiner Seiten oder Winkel zueinander ein, in den "allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel" (B 39) oder im bloßen "Begriff vom Geraden" aber ist "nichts von Größe, sondern nur eine Qualität" enthalten (B 16). Zum zweiten muß diese Konstruktion das Bewußtsein der zeitlich "sukzessive[n] Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" (B 182) einschließen, da man sie nur so als methodisch korrekte Konstruktion auffassen kann. Und zum dritten muß diese Addition im Falle der Geometrie als korrekte zeitliche Verbindung verschiedener Teile einer Linie, einer Räche oder eines Körpers zu einer räumlichen Gesamtgröße aufgefaßt werden, denn man kann sich "keine Linie, so klein sie auch sei, vorstellen, ohne sie in Gedanken zu ziehen, d.i. von einem Punkte alle Teile
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nach und nach zu erzeugen und dadurch allererst diese Anschauung zu verzeichnen" (B 203). Alle erkenntniserweiternden Sätze der Arithmetik und der Geometrie sind nach Kant also als synthetische Sätze zu verstehen, und die Realität dieser Wissenschaften bestätigt, daß wir über Anschauungen a priori des Raumes und der Zeit als potentiell unendlicher und unendlich teilbarer Größen verfügen.
G. IV. Die Naturwissenschaften beruhen auf Anschauungen a priori
Wenn Kants Analyse der erkenntniserweiternden Sätze der Geometrie und der Arithmetik zutrifft und die synthetische Bildung dieser Sätze eine notwendige Bedingung ihrer Behauptbarkeit ist, müssen auch die erkenntniserweiternden Sätze der Naturwissenschaften wie z.B. der "allgemeinen Bewegungslehre" (vgl. B 49) synthetischen Charakter haben. Als objektiv gültige Behauptungen müssen auch sie die Uberzeugung von ihrer korrekten gedanklichen Bildung in der Zeit einschließen, und als Sätze über existierende Gegenstände setzen sie eine Synthesis von Teil vorstellungen der Anschauungen von Raum und Zeit als Bedingung der Identifikation und Bemessung von Gegenständen oder Zuständen voraus. Daß es sich bei den Anschauungen von Raum und Zeit, die den synthetischen Sätzen der Mathematik bzw. den Grundsätzen der allgemeinen Bewegungslehre zugrundeliegen, um Anschauungen a priori handelt, soll durch die "apodiktischfe]" Gewißheit (B 41, vgl. B 4) und die "strenge Allgemeinheit" (B 47, vgl. B 4) dieser Sätze bzw. der "Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit" (B 47) bestätigt werden, denn "dergleichen Sätze ... können" nach Kant "nicht empirische oder Erfahrungsurteile sein, noch aus ihnen geschlossen werden" (vgl. B 41).
1. Reine und nicht-reine Sätze a priori Zur Erläuterung der Behauptung, apodiktisch gewiß wahre Sätze müßten Sätze a priori sein, wird in der 'Transzendentalen Erörterung des Begriffs vom Räume' auf den zweiten Teil der Einleitung zur zweiten Auflage verwiesen (vgl. B 41). Am Ende des ersten Teils der Einleitung hatte Kant in einer allgemeinen Klassifikation zunächst "empirische Er-
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kenntnisse ..., die nur a posteriori, d.i. durch Erfahrung, möglich sind", von "Erkenntnissen a priori" unterschieden, "die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden" und den empirischen Erkenntnissen "entgegengesetzt" sind (B 3); und "von den Erkenntnissen a priori" hatte er die Teilklasse der "rein[en]" Erkenntnisse a priori hervorgehoben, "denen gar nichts Empirisches beigemischt ist" (vgl. B 3). Dieser Klassifikation zufolge gibt es neben den 'reinen' also auch Erkenntnisse a priori, die nicht rein sind, d.h. die zwar "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig" sind, denen aber etwas "Empirisches beigemischt" ist (vgl. B 3). Zu Beginn des zweiten Teils behauptet Kant nun die Erforderlichkeit eines "Merkmalfs]..., woran wir sicher ein reines Erkenntnis von empirischen unterscheiden können" (B 3). Im weiteren Verlauf des zweiten Teils nennt Kant sogar zwei "sichere Kennzeichen", von denen "jedes für sich unfehlbar" sei; er bezeichnet diese "Kriterien" aber lediglich als "sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori" (B 4), so daß sich die Frage stellt, ob diese Kriterien - wie zu Beginn des zweiten Teils angekündigt - Kriterien für reine Erkenntnisse oder lediglich Kriterien für Erkentnisse a priori überhaupt sein sollen. Neben der Ankündigung zu Beginn des Abschnitts geht jedoch insbesondere aus dem ersten Kriterium sowie aus den von Kant als Beispiele angeführten Erkenntnissen hervor, daß es sich bei den genannten "beide[n] Kriterien" (B 4) um Kriterien für reine Erkenntnisse handeln soll. Das erste Kriterium formuliert Kant in den Sätzen: "Findet sich ... erstlich ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird, so ist er ein Urteil a priori; ist er überdem auch von keinem abgeleitet, als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist, so ist er schlechterdings a priori." (B 3) Da Kant im Anschluß hieran mit einem "Zweitens:" fortfahrt, geben diese beiden Sätze zusammen das erste der "beide[n] Kriterien" (B 4) an. Dieses Kriterium enthält also seinerseits zwei Teilkriterien, nämlich die bedingte und die unbedingte Notwendigkeit, von denen die erstere "ein Urteil a priori" und erst die letztere einen Satz, der "schlechterdings a priori" gültig ist, kennzeichnen soll. Bei diesen schlechterdings a priori gültigen Sätzen kann es sich aber nur um reine Sätze a priori handeln, denn der am Ende des ersten Teils der Einleitung gegebenen Klassifikation zufolge enthält die Klasse der Erkenntnisse a priori als besondere positiv zu charakterisierende Teilklasse nur die Klasse der reinen Erkenntnisse. Da der erste Teil des ersten Kriteriums kennzeichnend für Erkentnisse a priori im Unterschied zu empirischen Erkenntnissen sein soll, kennzeichnet das erste Kriterium insgesamt folglich - wie von Kant zu Beginn des zweiten Teils der
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Einleitung angekündigt - reine Erkenntnisse a priori im Unterschied zu empirischen Erkenntnissen. Das zweite Kriterium gibt Kant mit in dem Satz an: "Wird ... ein Urteil in strenger Allgemeinheit gedacht, d.i. so, daß gar keine Ausnahme als möglich verstattet wird, so ist es nicht von der Erfahrung abgeleitet, sondern schlechterdings a priori gültig." (B 4) Hier wird durch die Spezifikation der Urteile, für die dieses Kriterium kennzeichnend ist, als "schlechterdings a priori gültig", die zuvor getroffene Unterscheidung zwischen Urteilen a priori und Sätzen, die schlechterdings a priori sind, wieder aufgenommen, und so soll auch dieses Kriterium ein Kriterium für reine Erkenntnisse a priori sein. Daß Kant reine Erkenntnisse a priori hier als solche bezeichnet, die "schlechterdings a priori" gültig sind (vgl. B 3), ist durchaus damit vereinbar, daß er im letzten Absatz des ersten Teils der Einleitung von allen "Erkentnissen a priori" - also auch von den nicht-reinen - sagt, sie seien "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig" (B 2/3). Denn ein Satz kann seiner Form nach 'schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig' sein, ohne deshalb 'schlechterdings a priori' gültig zu sein, nämlich wenn er von einem Satz abgeleitet ist, der nicht "wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist" (vgl. B 3), und ihm so seiner Materie nach etwas Empirisches "beigemischt" (vgl. B 3) ist. Daß unter Sätzen, die "schlechterdings a priori" (B 3) gültig sind, reine Sätze a priori zu verstehen sind, geht schließlich auch daraus hervor, daß Kant im Anschluß an die Nennung der beiden Kriterien Sätze anführt, die Beispiele für "dergleichen notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori" (B 4) sein sollen. Sowohl die "Notwendigkeit" eines Satzes in Verbindung mit der Eigenschaft, "von keinem abgeleitet [zu sein], als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist" (B 3), als auch die "strenge Allgemeinheit" eines Satzes (B 4) weisen diesen Satz also als einen reinen Satz a priori aus. Hingegen ist ein Satz, der zwar "mit seiner Notwendigkeit gedacht" wird, aber von einem Satz "abgeleitet" ist, der nicht "wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist" (B 3), lediglich ein nicht-reiner Satz a priori. Daß jeder Satz a priori "zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird" (vgl. B 3), kann nicht heißen, daß man sich von jedem dieser Sätze denkt, er müsse im Rahmen jeder möglichen Erfahrung gebildet werden. Nach Kant sind "alle Sätze der Mathematik" reine Sätze a priori (vgl. B 4); es ist im Rahmen unserer Erfahrung aber weder nötig noch möglich, alle wahren mathematischen Sätze wirklich zu bilden. Kant behauptet vielmehr, daß jeder Satz, den man als einen Satz versteht, der nicht anders als in genau seiner Form korrekt gebildet werden kann, ein Satz a priori ist. Jeder Satz, der "mit dem Bewußtsein [seiner] Notwen-
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digkeit verbunden" ist, ist ein "apodiktisch[er]" Satz (vgl. B 41), d.h. ein Urteil, in dem man entweder "das Bejahen oder [das] Verneinen... als notwendig ansieht" (vgl. B 100). In diesem Sinne sind zunächst "alle analytische[n] Sätze Urteile a priori, wenngleich ihre Begriffe empirisch sind, z.B. Gold ist ein gelbes Metall" (vgl. Prol. § 2., 267). "Denn weil das Prädikat eines bejahenden analytischen Urteils schon vorher im Begriffe des Subjekts gedacht wird, so kann es von ihm ohne Widerspruch nicht verneint werden; ebenso wird sein Gegenteil in einem analytischen aber verneinenden Urteil notwendig von dem Subjekt verneint und zwar auch zufolge dem Satze des Widerspruchs." (Prol. § 2., 267) Da bei jeder Bildung eines analytischen Urteils ein bestimmter Begriff als gegeben vorausgesetzt wird, ist der Satz a priori vom zu vermeidenden Widerspruch das hinreichende Kriterium der Wahrheit analytischer Urteile (vgl. Prol. § 2., 267). Die Bedingungen der Anwendung dieses Grundsatzes können jedoch Begriffe sein, die keine notwendigen Bedingungen jeder möglichen Erfahrung, sondern nur einiger besonderer Erfahrungen sind. Ob ein wahres analytisches Urteil notwendig in bejahender oder verneinender Form zu bilden ist, hängt davon ab, welchen Inhalt sein Subjekt- und sein Prädikatbegriff haben. Ein solches Urteil kann also durchaus nur bedingt notwendig in bestimmter Form zu bilden sein, dann nämlich, wenn seinem Subjektbegriff der Teilinhalt, der den Inhalt des Prädikats ausmacht, auch fehlen könnte bzw. der Inhalt des Prädikats eines wahren verneinenden analytischen Urteils doch zum Inhalt des Subjektbegriffs zählen könnte. So ist das Urteil 'Körper sind schwer' nur unter der Voraussetzung ein Urteil a priori, daß man Körpern die Eigenschaft der Schwere bereits zugesprochen hat. (vgl. B 12) Dieses aber ist nur bedingt notwendig, da sich durchaus vorstellen läßt, daß Körper unabhängig von der Verwendung des Merkmals der Schwere identifiziert werden, und so der "Begriff eines Körpers überhaupt das Prädikat der Schwere gar nicht einschließ [t]" (B12). Alle analytisch wahren Urteile, bei denen die Notwendigkeit, sie in positiver oder negativer Form zu bilden, von der Voraussetzung eines Subjektbegriffs abhängt, der nicht seinerseits in einem notwendigen Satz gebildet wurde, sind nach Kant nicht "schlechterdings a priori" gültig, d.h. sie sind nicht-reine Sätze a priori (vgl. B 3). Aber auch synthetische Urteile können nicht-reine Sätze a priori sein, denn es ist möglich, daß auch die in ihnen vorgenommene Prädikation nur in bezug auf Gegenstände notwendig ist, die im Rahmen der
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Erfahrung gegeben sein können oder nicht. Solche Sätze stellt man auf, wenn man sich "mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist", beschäftigt, "doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird"; hierbei kann man "z.B. ... den empirischen Begriff einer Materie, oder eines denkenden Wesens zum Grunde [legen] und ... den Umfang der Erkenntnis [suchen], deren die Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist)" (Metaphysische Anfangsgründe, 470). Setzt man etwa den "empirischein] Begriff eines Körpers (als eines beweglichen Dinges im Raum)" voraus, so kann nach Kant "völlig a priori eingesehen werden", "daß dem Körper das ... Prädikat... der Bewegung nur durch äußere Ursache ... zukomme", (vgl. KU, 181) Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, in denen auf diese Weise "transzendentale Prinzipien auf... Gegenstände unserer Sinne angewandt werden" (Metaphysische Anfangsgründe, 470) und die somit nur einen "reinen Teil" haben, unterscheidet Kant als "angewandte Vernunfterkenntnis" von der "rein[en] ... Naturerkenntnis" (vgl. Metaphysische Anfangsgründe, 468/469). "Schlechterdings a priori", d.h. reine Sätze a priori, sind nach Kant nur solche notwendig in bejahender oder verneinender Form zu bildenden Sätze, die "auch von keinem abgeleitet [sind], als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist", (vgl. B 3) Ein solcher reiner Satz a priori soll z.B. der Satz sein, "daß ein Körper ausgedehnt sei". (B 11; vgl. B 35) Um festzustellen, ob ein Satz unbedingt notwendig korrekt in bejahender oder verneinender Form zu bilden ist, muß Kants Erklärungen zufolge überprüft werden, ob es sinnvoll möglich ist, ihn von einem bejahenden in ein verneinendes Urteil zu verwandeln oder umgekehrt, ohne vorauszusetzen, daß dem beurteilten Gegenstand die fragliche Eigenschaft zukommt oder nicht. Dies scheint bei dem Urteil 'Körper sind ausgedehnt1 zunächst ebensogut möglich zu sein wie bei dem Urteil 'Körper sind schwer'. Doch die Konsequenzen dieser Umwandlung sind in beiden Fällen grundsätzlich voneinander verschieden: Spricht man einem Körper die Eigenschaft der Schwere ab und versteht ihn nur als einen räumlich ausgedehnten Gegenstand, so verbleibt als Subjekt dieses Satzes doch noch der Begriff von einem Ding, das durch seine Gestalt und Lage von anderen unterschieden werden könnte. Spricht man einem Körper aber auch die Eigenschaft der räumlichen Ausdehnung ab, so verbleibt als Subjekt des Urteils lediglich der "Begriff ... eines Objekts überhaupt" (vgl. B 6), von dem nicht klar ist, ob und wie es von anderen unterschieden werden kann. Ein solcher Begriff ist zwar nicht völlig sinnlos, sondern kennzeichnet immer noch irgend-
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einen Träger irgendwelcher Eigenschaften, aber er ist kein Begriff eines Gegenstandes möglicher Erfahrung mehr (vgl. B 593/594). Die gleiche Konsequenz ergibt sich, wenn man den beurteilten Dingen die Eigenschaft der Körperlichkeit abspricht und sie z.B. nur als Dinge bestimmter Schwere auffaßt. Zwar wäre der Begriff solcher Dinge inhaltsreicher als der Begriff eines Objekts überhaupt, aber die Verwendimg des Merkmals der Schwere ist nicht hinreichend und nach Kant noch nicht einmal notwendig, um sich irgendwelche voneinander unterscheidbaren Gegenstände vorzustellen. Nach Kant sind also zunächst all diejenigen positiven kategorischen Urteile unbedingt notwendig bejahende, d.h. reine Urteile a priori, die bei jeder möglichen Erfahrung von Gegenständen gebildet werden müssen, d.h. gebildet werden müssen, um überhaupt irgendwelche realen Gegenstände identifizieren zu können. Doch diese Charakterisierung ist offenbar zu eng, um alle von Kant beanspruchten Fälle unbedingt notwendig wahrer reiner Urteile a priori zu erfassen, denn Kant bezeichnet "alle Sätze der Mathematik" als "dergleichen notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori" (vgl. B 4). Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß die Bildung eines bestimmten mathematischen Satzes oder gar die Bildung aller potentiell unendlich vielen mathematischen Sätze eine notwendige Bedingung der Identifikation irgendeines Gegenstandes der Erfahrung ist. Zwar ist keine Vorstellung einer besonderen Größe, Lage oder Gestalt eine notwendige Bedingung jeder möglichen Erfahrung, sehr wohl aber sind die Vorstellungen von Raum und Zeit nach Kant solche notwendigen Bedingungen, und sie ermöglichen aufgrund ihres potentiell unendlich mannigfaltigen Inhalts die Bildung potentiell unendlich vieler Begriffe von Größen oder räumlichen Gestalten oder Verhältnissen. Die Sätze der Arithmetik und der Geometrie sind reine Sätze a priori, weil in ihnen keine Behauptungen über existierende Gegenstände gemacht werden, sondern Inhalte von Begriffen vergegenständlicht werden (vgl. B160 Anm. u. B 745). Für die Bildung dieser Sätze sind die Kategorien der Quantität und die Anschauung a priori vom Raum oder von der Zeit nicht nur notwendige, sondern zugleich hinreichende Bedingungen. In der Mathematik "schaffen ... wir uns im Räume und der Zeit die Gegenstände selbst durch gleichförmige Synthesis..., indem wir sie bloß als Quanta betrachten". (B 751) Im "Räume eine Anschauung a priori zu bestimmen (Gestalt), die Zeit zu teilen (Dauer), oder bloß das Allgemeine der Synthesis von Einem und Demselben in der Zeit und dem Räume und die daraus entspringende Größe einer Anschauung überhaupt (Zahl) zu erken-
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nen, das ist ein Vernunftgeschäft durch Konstruktion der Begriffe und heißt mathematisch". (B 752) Nach Kant sind also all diejenigen kategorischen Sätze unbedingt notwendig wahre, d.h. reine Sätze a priori, deren Bildung entweder selbst eine notwendige Bedingung jeder möglichen Erfahrung ist oder die schon aufgrund der Bedingungen a priori jeder möglichen Erfahrung nur in entweder bejahender oder verneinender Form korrekt gebildet werden können oder die sich aus solchen Sätzen ableiten lassen (vgl. B 3). Auch wenn z.B. in dem "Satz der Geometrie,... daß ein Triangel drei Winkel habe", nur behauptet wird, daß "unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist (gegeben ist),... auch drei Winkel (in ihm) notwendigerweise da" sind, so ist dieser Satz dennoch "schlechthin notwendig" wahr (B 621/622), weil die Vorstellung eines Dreiecks im Rahmen jeder uns möglichen Erfahrung bildbar ist. Auf das "Dasein" eines Dreiecks, d.h. auf die Existenz eines Körpers mit einer dreieckigen Fläche, kann aus der "logische[n] Notwendigkeit" der positiven Form dieses Urteils "nach der Regel der Identität" nicht geschlossen werden, denn die hinreichenden Bedingungen der Bildung der Vorstellung einer dreieckigen Fläche sind lediglich notwendige Bedingungen objektiv gültiger Erkenntnisse, und begrifflich "den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch", (vgl. B 622)
2. Die Naturwissenschaften beruhen auf Grundsätzen a priori Mathematische Sätze sind reine Sätze a priori, da in ihnen keine Behauptungen über existierende Gegenstände aufgestellt werden, sondern rein a priori beschreibbare Eigenschaften möglicherweise existierender Gegenstände wie ihre Größe oder ihre Gestalt vergegenständlicht (vgl.: B 1 6 0 Anm., B 745) und so lediglich Behauptungen über "Erscheinungen ihrer bloßen Möglichkeit nach" (vgl. B 221) gemacht werden. "Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen apriori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können." (B 147) In den Naturwissenschaften hingegen werden nicht lediglich abstrakte Gegenstände wie Größen oder Gestalten konstruiert, sondern naturwissenschaftliche Sätze beanspruchen Gültigkeit für die Gegen-
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stände unserer Erfahrung selbst, und "wirklich" ist unseres Wissens nur, "was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (den Empfindungen) zusammenhängt" (B 266). Naturwissenschaftliche Behauptungen über existierende Gegenstände sind also nicht a priori möglich, denn das "Dasein der Erscheinungen kann a priori nicht erkannt werden" (B 221). In naturwissenschaftlichen Sätzen wird aber nicht nur die Existenz von Gegenständen behauptet, sondern in den Naturwissenschaften werden auch Behauptungen über den gesetzmäßigen Zusammenhang des Auftretens von Gegenständen oder Zuständengemacht, in denen offengelassen wird, ob die jeweils erwähnten Gegenstände oder Zustände existieren, und solche Behauptungen sind nach Kant sehr wohl a priori möglich. Die Existenz von Gegenständen wird nach Kant in kategorischen Urteilen behauptet; Behauptungen über den Zusammenhang des Auftretens von Gegenständen oder Zuständen hingegen haben die Form hypothetischer oder disjunktiver Urteile oder beruhen auf Urteilen dieser Formen. In hypothetischen oder disjunktiven Urteilen machen kategorische Urteile lediglich die "Materie" aus (Logik § 24. Anm., 105), und in ihnen wird nur die Art der Verknüpfung dieser Urteile, die "Konsequenz" (Logik § 25., 105; vgl. B 98) bzw. die "Disjunktion" (vgl. Logik § 28., 106), behauptet. Wie bei der Erörterung von Kants Auffassung der formalen Logik deutlich wurde, ist die Verwendung hypothetischer Urteile seines Erachtens schon eine notwendige logische Bedingung jeder Unterscheidung eines Gegenstandes von irgendwelchen anderen. Es ist also "vermittels der Logik die Form eines bedingten Urteils überhaupt, nämlich ein gegebenes Erkenntnis als Grund und das andere als Folge zu gebrauchen, a priori gegeben" (Prol. § 29., 312). Die Anwendungsbedingungen der Form hypothetischer Urteile, die es erlauben, a priori Behauptungen über Zusammenhänge zwischen möglicherweise existierenden Gegenständen aufzustellen, sind die Anschauungen a priori von Raum und Zeit. Diese Anschauungen haben einen potentiell unendlich mannigfaltigen Inhalt und erlauben es in Verbindung mit der a priori gegebenen Leistung der gedanklichen Verknüpfung von Vorstellungen und dem Bewußtsein a priori vom methodisch korrekten Vollzug solcher Verknüpfungen, sich a priori verschiedene zeitliche oder räumliche Größen oder Verhältnisse vorzustellen. Da wir uns in der Erfahrung "das Verhältnis im Dasein des Mannigfaltigen" nicht lediglich so vorstellen, wie es durch die Abfolge unserer Wahrnehmungen "in der Zeit zusammengestellt wird, sondern wie es objektiv in der Zeit ist,... die Zeit selbst aber nicht wahrgenommen werden kann: so kann die Bestimmung der Existenz der Objekte in der Zeit
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nur durch ihre Verbindung in der Zeit überhaupt, mithin nur durch a priori verknüpfende Begriffe geschehen". (B 219) Wie noch näher zu erläutern sein wird, können wir uns nach Kant schon unserer Anschauungen nur als Vorstellungen von etwas bewußt sein, indem wir uns ihrer in der Uberzeugung bewußt sind, daß die Verknüpfungen von Vorstellungen, durch die diese Anschauungen gebildet worden sind, in genau ihrer Form vorzunehmen sind. Erst durch die modale Einschätzung der bei der Bildung einer komplexen Vorstellung getroffenen Verknüpfung von Vorstellungen als formal notwendig korrekte Verknüpfung wird nach Kant aus dieser Vorstellung eine mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit auftretende Vorstellung einer Verbindung von Eigenschaften in einem existierenden Gegenstand, (vgl. B § 18., 139 f.) Daß eine Verknüpfung von Vorstellungen als notwendig aufgefaßt wird, heißt nicht, daß man der Überzeugung wäre, sie müßte in jedem Falle des Vorstellens von etwas vollzogen werden, oder daß "diese Vorstellungen ... in der empirischen Anschauung notwendig zueinander ... gehören", denn empirische Erkenntnisurteile sind "zufällig" (vgl. B 142). Der Gesichtspunkt, unter dem Verknüpfungen von Vorstellungen als ihrer Form nach notwendig korrekt aufgefaßt werden, ist deren methodische Vereinigung zu einem durchgängigen Bewußtsein ihrer Inhalte, denn Vorstellungen, derer sich der Erkennende inhaltlich nicht bewußt sein könnte, könnten von ihm nicht als Erkenntnisse beansprucht oder auch nur als Vorstellungen von etwas angesehen werden. In der "Einheit... der Apperzeption", d.h. der Einheit der gedanklichen Bildung eines durchgängigen Bewußtseins von Vorstellungsinhalten, der alle Vorstellungen von etwas genügen müssen, "was zu meinem (d.i. meinem einzigen) Erkenntnisse gehören soll, mithin ein Gegenstand für mich werden kann", muß alles "Mannigfaltige seinen Zeitverhältnissen nach vereinigt werden", (vgl. B 220) Die grundlegende Leistung des Verstandes bei der Gewinnung von Erkenntnissen ist nach Kant also "nicht, daß er die Vorstellungen der Gegenstände deutlich macht, sondern daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht", indem er eine "Zeitordnung auf die Erscheinungen und deren Dasein überträgt", (vgl. B 245) "Daß... etwas geschieht, ist eine Wahrnehmung, die zu einer möglichen Erfahrimg gehört..., wirklich" wird diese Erfahrung jedoch erst dadurch, daß "ich die Erscheinungen ihrer Stelle nach in der Zeit als bestimmt, mithin als ein Objekt ansehe, welches nach einer Regel im Zusammenhange der Wahrnehmungen jederzeit gefunden werden kann". (B 245) Jede Erfahrung ist also nur insofern "eine objektiv gültige Erkenntnis von Erscheinungen und ihrer Zeitfolge", als "die vorhergehende [Er-
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scheinung] mit der nachfolgenden nach der Regel hypothetischer Urteile verbunden werden kann". (Prol. § 29., 312) Das normative Prinzip der korrekten Bildung hypothetischer Urteile ist der 'Satz des zureichenden Grundes', (vgl. Logik Einl., 51) "Also ist der Satz vom zureichenden Grunde der Grund möglicher Erfahrung, nämlich der objektiven Erkenntnis der Erscheinungen in Ansehung des Verhältnisses derselben in Reihenfolge der Zeit." (B 246) Faßt man den Satz des zureichenden Grundes über seine logische Funktion hinaus als Prinzip der synthetischen Verknüpfung von Wahrnehmungen zu Erfahrungen von Gegenständen auf, d.h. versteht man ihn als das Prinzip, "nach welchem das Nachfolgende (was geschieht) durch etwas Vorhergehendes seinem Dasein nach notwendig und nach einer Regel in der Zeit bestimmt ist", so verwendet man den Satz vom zureichenden Grund als den "Grundsatz des Kausalverhältnisses in der Folge der Erscheinungen" (vgl. B 247). Obwohl dieser Grundsatz fordert, daß "das Dasein der Erscheinungen ... unter Regeln" zu bringen ist, und "das Dasein der Erscheinungen ... a priori nicht erkannt werden" kann (vgl. B 221), ist er ein Satz a priori (vgl. B 5), da in ihm lediglich behauptet wird, daß Wahrnehmungsurteile, die Erkenntnisse existierender Gegenständen ausmachen sollen, in hypothetischen Urteilen methodisch korrekt zu einer Erfahrung zeitlich bestimmter Ereignisse verbunden werden müssen. In jedem hypothetischen Urteil aber wird nur die Form der Verknüpfung zweier kategorischer Urteile und nicht auch die Wahrheit des jeweiligen Vordersatzes oder Nachsatzes behauptet. (Logik § 25. Anm. 2., 105; vgl. B 98) Die Notwendigkeit, in jeder möglichen Erfahrung hypothetische Urteile zu verwenden, kann also behauptet werden, ohne die Existenz in der Zeit aufeinanderfolgender Gegenstände oder Zustände mitzubehaupten. Der Grundsatz der Kausalität ist "eine Regel ..., nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst als empirische Anschauung überhaupt) entspringen soll", und gilt "von den Gegenständen (den Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ". (B 222/223) Jede "Naturwissenschaft" kann "synthetische Urteile a priori" also "als Prinzipien" enthalten, (vgl. B17) Als einen solchen bloß regulativen "Grundsatz der Synthesis möglicher empirischer Anschauungen" (B 750) muß auch die "allgemeine Bewegungslehre" den Grundsatz der Kausalität verwenden, denn jede Bewegung ist eine "Veränderung des Orts" (B 48), und der Begriff irgendwelcher zeitlich bestimmbaren Ver-
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änderungen kann nur durch die Vorstellung der Möglichkeit der Befolgung dieses Grundsatzes gebildet werden. Zumindest insoweit die reine Physik eine Wissenschaft der Gesetze der Bewegungen von Körpern ist, kann sie also als Beispiel der wirklichen Verwendung synthetischer Grundsätze a priori und damit zur Bestätigung der Behauptung dienen, wir verfügten mit den Vorstellungen von Raum und Zeit über Anschauungen a priori.
3. Die Zeitordnung und der kausale Zusammenhang der Erscheinungen Es mag jedoch zweifelhaft erscheinen, ob eine Verwendung von Kausalgesetzen ein geeignetes Mittel ist, das zeitliche Auftreten von Gegenständen oder Zuständen zu bestimmen, denn deren jeweilige kausale Rolle scheint sich gegenüber ihrem zeitlichen Auftreten ganz neutral zu verhalten. Das Auftreten eines Gegenstandes oder Zustandes kann nämlich auch dann Ursache bzw. Wirkung des Auftretens eines anderen sein, wenn der erstere zugleich mit dem letzteren auftritt. Es ist also zu prüfen, ob "der Satz von der Kausal Verknüpfung unter den Erscheinungen ... auch auf ihre Begleitung passe und Ursache und Wirkung zugleich sein könne" (vgl. B 247). Kant selbst nennt unter anderem folgendes Beispiel für diesen Fall: "Wenn ich eine Kugel, die auf einem ausgestopften Kissen liegt, und ein Grübchen darin drückt, als Ursache Detrachte, so ist sie mit der Wirkung zugleich." (B 248) Welche Ereignisse Kant mit diesem Beispiel als Ursache und Wirkung anführen will, geht deutlicher aus seiner Beschreibung hervor: "wenn ich die Kugel auf das Kissen lege, so folgt auf die vorige glatte Gestalt desselben das Grübchen" (B 248). Als Ursache ist dementsprechend das Einsinken der Kugel in das Kissen und als Wirkung die allmähliche Verformung des Kissens bis zum Auftreten seiner unbewegten ein Grübchen aufweisenden Gestalt zu verstehen; und zu klären ist, ob die Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse dem Grundsatz der Kausalität widerspricht. Nach Kant können nicht nur Prozesse, in denen das ursächliche Ereignis völlig gleichzeitig mit dem bewirkten abläuft, sondern kann der zeitliche Ablauf aller kausalen Prozesse diesen Grundsatz zweifelhaft erscheinen lassen, denn seines Erachtens muß man davon ausgehen, daß jede Wirkung zumindest "in dem Augenblick, da sie zu-
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erst entsteht", gleichzeitig mit ihrer Ursache auftritt, "weil, wenn [diese] einen Augenblick vorher aufgehört hätte zu sein, [jene] gar nicht entstanden wäre" (B 248). Kant behauptet, das gleichzeitige Vorliegen von Ursache und Wirkung sei mit dem Grundsatz der Kausalität vereinbar, da dieser sich nur "auf die Ordnung der Zeit und nicht auf den Ablauf derselben" beziehe und das erstere "Verhältnis bleibt, wenngleich keine Zeit verlaufen ist" (B 248). Wie seine weitere Verwendung des Beispiels von Kugel und Grübchen deutlich macht, hebt er mit der Unterscheidung von Zeitordung und Zeitablauf auf den Unterschied der Zeitrichtung zur Dauer von Prozessen ab. Zwar ist es möglich, daß eine Kugel als Ursache mit einem Grübchen als Wirkung zugleich auftritt, "hat aber das Kissen (ich weiß nicht woher) ein Grübchen, so folgt darauf nicht eine bleierne Kugel" (B 248). In Kausalgesetzen wird nach Kant behauptet, daß Ereignisse bestimmter Art unmöglich erst nach Ereignissen bestimmter anderer Art auftreten können; ob und in welchem zeitlichen Abstand eine Ursache auch vor ihrer Wirkung auftritt, bleibt hierbei aber ganz unbestimmt. "Die Zeit zwischen ... der Ursache, und deren unmittelbaren Wirkung, kann verschwindend (sie also zugleich) sein, aber das Verhältnis der einen zur anderen bleibt doch immer, der Zeit nach, bestimmbar." (B 248) Da die Gültigkeit aller besonderen Kausalgesetze, in denen bestimmte kausale Zusammenhänge behauptet werden, "jederzeit besondere Wahrnehmungen" voraussetzt (Prol. § 36., 320), können sie vom Grundsatz der Kausalität "nicht vollständig abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesamt unter [diesem] stehen" (B165). Sie verdanken ihm nur ihren Gesetzescharakter; in ihrem besonderen Inhalt jedoch besitzen sie objektive Gültigkeit nur im Rahmen der wirklichen Erfahrung. Die "Zeitfolge" von Ereignissen, d.h. die Nicht-Nachzeitigkeit der Ursache zur Wirkung, ist "das einzige empirische Kriterium der Wirkung in Beziehung auf die Kausalität", d.h. die Wirksamkeit, (vgl. Prol. § 53., 343) jeweils "der Ursache, die vorhergeht", (vgl. B 249) Jedes besondere Kausalgesetz kann angesichts neuer Wahrnehmungen revisionsbedürftig sein, und keines von ihnen erlaubt eine absolut sichere Prognose zukünftiger Ereignisse. Gegen eine Verwendung von Kausalgesetzen zur zeitlichen Lokalisierung von Ereignissen scheint auch zu sprechen, daß in Kausalaussagen oft das Auftreten mehrerer Gegenstände oder Zustände insgesamt als Ursache eines anderen Ereignisses angegeben wird. Solche
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Kausalaussagen müßten einer näheren Analyse unterzogen werden, um sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Kausalität hin zu prüfen. Falls die in ihrer Gesamtheit als Ursache angegebenen Ereignisse genau zur selben Zeit auftreten, könnten sie als Teile eines ursächlichen Ereignisses als zeitlich bestimmt angesehen werden. Die Gesamtursache wäre dann ein komplexer Zustand der Materie, der nur in einer Mehrzahl von Eigenschaften beschrieben wird. Falls die in ihrer Gesamtheit als Ursachen bezeichneten Ereignisse im einzelnen aber nacheinander auftreten, könnten ihre Stellen in der Zeit ihnen nach dem Grundsatz der Kausalität nur anhand ihrer kausalen Rollen relativ zueinander oder zu anderen Ereignissen zugewiesen werden. Es könnte dann unmöglich die Gesamtheit dieser Ereignisse die Ursache der betreffenden Wirkung sein, sondern unter ihnen müßte sich eines finden lassen, dessen Auftreten unter Voraussetzung aller anderen hinreicht, die Wirkung herbeizuführen. Daß Ursachenbeschreibungen häufig komplexer ausfallen und ganze Ereignisketten zum Inhalt haben, wäre nach Maßgabe des Grundsatzes der Kausalität so zu verstehen, daß sie auch solche Ursachen mitbeschreiben, die genau genommen Ursachen der eigentlichen, d.h. der unter bereits gegebenen Bedingungen für das Eintreten der Wirkung hinreichenden Ursache sind. Gegen die Funktion von Kausalgesetzen, zur zeitlichen Lokalisierung von Ereignissen zu dienen, scheint weiter die Tatsache zu sprechen, daß in einigen Kausalgesetzen lediglich Wahrscheinlichkeiten der Verbindung des Auftretens von Ereignissen behauptet werden, so daß die zeitliche Ordnung der in ihnen erwähnten Ereignisse anhand dieser Gesetze nicht eindeutig bestimmt werden kann. Dennoch erleben wir viele solcher Ereignisse als Ereignisse zu einer bestimmten Zeit und von bestimmter Dauer. Kant sieht in Wahrscheinlichkeitsaussagen keine Aussagen über die Abhängigkeit des Auftretens von Ereignissen, sondern Aussagen über den Grad unserer Gewißheit betreffs der Gültigkeit von Gesetzen oder kategorischen Urteilen. Die "Lehre von der Erkenntnis des Wahrscheinlichen" gehört "zur Lehre von der Gewißheit unseres Erkenntnisses", und die Wahrscheinlichkeit einer Erkenntnis im Unterschied zu ihrer Unwahrscheinlichkeit ist "als eine Annäherung zur Gewißheit anzusehen". (Logik Einl., 81) Gerade weil Ereignisse nur durch ihre Lokalisierung in der Zeit identifiziert werden können, d.h. jedes als real behauptbare Ereignis zu einer genau bestimmbaren Zeit stattfindet, können Wahrscheinlichkeitsaussagen nach Kant keine Aussagen über die Zusammenhänge zwischen Ereignissen, sondern nur Aussagen über die Gewißheit des Auftretens von Ereignissen sein.
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"Unter Wahrscheinlichkeit ist ein Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen zu verstehen, die aber zu den zureichenden ein größeres Verhältnis haben als die Gründe des Gegenteils." (Logik Einl., 81) Daß wir das Eintreten einiger Ereignisse nur für wahrscheinlich halten, muß der Gültigkeit des Grundsatzes der Kausalität nicht widersprechen. Es ließe sich behaupten, daß eine Ersetzung aller Wahrscheinlichkeitsaussagen durch strikte Kausalaussagen möglich wäre, wenn wir unsere Wahrnehmungen nur auf andere Weise miteinander verknüpfen würden. Es könnte z.B. sein, daß wir ein bestimmtes Ereignis, das bei einer korrekten Verknüpfung unserer Wahrnehmungen als Ursache eines anderen aufzufassen wäre, bisher zufällig stets erst nach seiner Wirkung wahrgenommen haben und es aufgrund dessen für eine Wirkung dieses letzteren Ereignisses gehalten haben und so über sein Eintreten nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen konnten. Eine weitere Möglichkeit, Wahrscheinlichkeitsaussagen zu strikten Kausalaussagen zu verschärfen, besteht darin, unbeobachtete Ereignisse anzunehmen, die unter den gegebenen Bedingungen jeweils hinreichende Ursachen für das Eintreten der Wirkung sind. "So erkennen wir das Dasein einer alle Körper durchdringenden magnetischen Materie aus der Wahrnehmung des gezogenen Eisenfeiligs, obzwar eine unmittelbare Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach der Beschaffenheit unserer Organe unmöglich ist." (B 273) Hypothesen über die kausale Verbindung unbeobachteter Sachverhalte mit beobachtbaren Ereignissen sind besonders dann von Interesse, wenn es nicht gelingt, ein beobachtetes Ereignis als Wirkung in seinem Auftreten aus beobachtbaren Ereignissen zu erklären. Hypothesen über die kausale Verbindung von wahrnehmbaren Ereignissen als Ursachen mit unbekannten Ereignissen als Wirkungen sind von geringerem Interesse, da man keinen Grund hat, im Vorhinein an der Beobachtbarkeit in Zukunft möglicherweise auftretender Ereignisse zu zweifeln. "Alles Fürwahrhalten in Hypothesen" bezieht sich "darauf, daß die Voraussetzung, als Grund, hinreichend ist, andere Erkenntnisse, als Folgen, daraus zu erklären." (Logik Einl., 84/85) Wissenschaftlich sinnvolle Hypothesen über unbeobachtete Ursachen müssen nach Kant drei Forderungen genügen: Das als Ursache angenommene Ereignis muß real möglich sein. "Wenn wir z.B. zu Erklärung der Erdbeben und Vulkane ein unterirdisches Feuer annehmen: so muß ein solches Feuer doch möglich sein, wenn auch eben nicht als ein flammender, doch als ein hitziger Körper. Aber zum Behuf gewisser anderer Erscheinungen die Erde
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zu einem Tier zu machen, in welchem die Zirkulation der inneren Säfte die Wärme bewirke, heißt eine bloße Erdichtung und keine Hypothese aufstellen. Denn Wirklichkeiten lassen sich wohl erdichten, nicht aber Möglichkeiten; diese müssen gewiß sein." (Logik Einl., 85) Darüber hinaus müssen "aus dem angenommenen Grunde die Folgen richtig herfließen" (Logik Einl., 85), d.h. das angenommene Ereignis muß unter den gegebenen Bedingungen und unter Verwendung des angenommenen Kausalgesetzes zur Erklärung der beobachteten Wirkung hinreichen. Schließlich sollten zur Erklärung von Ereignissen bestimmter Art jeweils Ereignisse nur einer bestimmten anderen Art angenommen werden, "denn je mehr Folgen" sich mit Hilfe "einer Hypothese ableiten lassen, u m so wahrscheinlicher ist sie, je weniger, desto unwahrscheinlicher" (Logik Einl., 85). "So reichte z.B. die Hypothese des Tycho de Brahe zur Erklärung vieler Erscheinungen rucht zu; er nahm daher zur Ergänzung neue Hypothesen an. Hfier ist nun schon zu erraten, daß die angenommene Hypothese der echte Grund nicht sein könne. Dagegen ist das Kopernikanische System eine Hypothese, aus der sich Alles, was daraus erklärt werden soll, soweit es uns bis jetzt vorgekommen ist, erklären läßt. Wir brauchen hier keine Hilrshypothesen". (Logik Einl., 85/86) Erfüllt eine Hypothese diese Forderungen, so kann ihre "Wahrscheinlichkeit ... doch wachsen und zu einem Analogon der Gewißheit sich erheben, wenn nämlich alle Folgen, die uns bis jetzt vorgekommen sind, aus dem vorausgesetzten Grunde sich erklären lassen", denn "in einem solchen Falle ist kein Grund da, warum wir nicht annehmen sollten, daß sich daraus alle möglichen Folgen werden erklären lassen." (Logik Einl., 85) "In der Naturkunde" gibt es "eine Unendlichkeit von Vermutungen, in Ansehung derer niemals Gewißheit erwartet werden kann, weil Naturerscheinungen Gegenstände sind, die uns unabhängig von unseren Begriffen gegeben werden". (B 508)
4. Der Grundsatz der Kausalität ist ein reiner Satz a priori Bei der Einstufung des Grundsatzes der Kausalität verwickelt sich Kant anscheinend in Widersprüche. So behauptet er am Ende des ersten Teils der Einleitung zur zweiten Auflage, es sei "z.B. der Satz: eine jede
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Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann" (B 3). Nur eine Druckseite später heißt es hingegen, "der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", sei "ein Beispiel" für "notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori" (B 4/5). Dieser anscheinende Widerspruch kann nicht auf einem Versehen Kants beruhen, denn Kant hat den Vorwurf eines solchen Widerspruchs in einer späteren Schrift ausdrücklich zurückgewiesen (vgl. Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie, 183 f.). Versucht man aber, diesen Widerspruch durch Bezugnahme auf Kants systematische Ausführungen auszuräumen, gewinnt man zunächst den Eindruck, daß er tief in der Systematik der 'Kritik der reinen Vernunft' verwurzelt ist. So sagt Kant schon im Zusammenhang des Beweises des 'Prinzips der Antizipationen der Wahrnehmung' ausdrücklich, daß "die Veränderlichkeit ... gewisse Bestimmungen der Erscheinungen trifft, welche die Erfahrung allein lehren kann" (B 213); und vom Grundsatz der Kausalität sagt er in der 'Allgemeinen Anmerkung zum System der Grundsätze' anscheinend in Ubereinstimmung mit seiner Aussage in B 3, er lasse sich "nur als Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung, mithin der Erkenntnis eines in der empirischen Anschauung gegebenen Objekts ... beweisen" (B 289). Nicht nur der Grundsatz der Kausalität, sondern alle Grundsätze, die "das Dasein einer Erscheinung überhaupt" betreffen, führen nach Kant "den Charakter einer Notwendigkeit a priori ... nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt bei sich" und besitzen keine "unmittelbare Evidenz", da die Bedingungen "des Daseins der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung an sich nur zufällig" gegeben sind (B199/200). "Da ist also weder an Axiome, noch an Antizipationen zu denken, sondern, wenn uns eine Wahrnehmung in einem Zeitverhältnisse gegen andere (obzwar unbestimmte) gegeben ist, so wird a priori nicnt gesagt werden können: welche andere und wie große Wahrnehmung, sondern, wie sie dem Dasein nach, in diesem modo der Zeit, mit jener notwendig verbunden sei." (B 222 = A 1 7 9 ) Andererseits sagt Kant, im Rahmen des Beweises des Grundsatzes der Kausalität werde gezeigt, "daß ungeachtet der Unabhängigkeit unserer reinen Verstandesbegriffe und Grundsätze von Erfahrung ... dennoch durch dieselbe[n] außer dem Felde der Erfahrung gar nichts gedacht werden könne" (Prol. § 34., 316). Trotz der Einschränkung seiner Gültigkeit auf das Feld der Erfahrung bezeichnet Kant den Grundsatz
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der Kausalität also in Übereinstimmung mit seiner Aussage in B 4 / 5 als reinen Grundsatz (vgl. B 295/296); und er weitet diese Charakterisierung auf alle Grundsätze aus, wenn er sagt, daß "die Grundsätze der Erfahrung ... ein Natursystem ausmachen, welches vor aller empirischen Naturerkenntnis vorhergeht, diese zuerst möglich macht und daher die ... reine Naturwissenschaft genannt werden kann" (Prol. § 23., 306). Es ist also die Frage, wie Kants Einstufung der Analogien der Erfahrung als reine Grundsätze a priori mit seiner Aussage vereinbar ist, die objektive Gültigkeit dieser Grundsätze hänge vom Gegebensein empirischer Anschauungen ab. Die Analogien der Erfahrung können nur dann rein a priori als bedingt gültige Grundsätze behauptet werden, wenn auch die Bedingungen ihrer Gültigkeit rein a priori formuliert werden können, d.h. wenn rein a priori die Annahme irgendwelcher empirischen Anschauungen gemacht werden kann, obwohl an allen "Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird" (B 208). Im dritten Hauptstück der Analytik der Grundsätze begründet Kant deren rein apriorischen Status damit, daß alle Erscheinungen der reinen Form a priori der Apperzeption, d.h. der Aufnahme von Vorstellungen in ein durchgängiges Bewußtsein (vgl. B 132), genügen müssen, um überhaupt Inhalt einer durchgängigen Erfahrung werden zu können: "Die Grundsätze des reinen Verstandes, sie mögen nun a priori konstitutiv sein (wie die mathematischen), oder bloß regulativ (wie die dynamischen), enthalten nichts als gleichsam nur das reine Schema zur möglichen Erfahrung; denn diese hat ihre Einheit nur von der synthetischen Einheit, welche der Verstand der Synthesis der Einbildungskraft in Beziehung auf die Apperzeption ursprünglich und von selbst erteilt, und auf welche die Erscheinungen, als data zu einem möglichen Erkenntnisse, schon a priori in Beziehung und Einstimmung stehen müssen." (B 295/296 = A 236/237) Da die Erfahrung ihre Einheit nur durch die Uberformung der Verknüpfungen der Einbildungskraft durch den Verstand erhält, muß alles was überhaupt zum Inhalt der Erfahrung werden kann, jedes 'datum zu einem möglichen Erkenntnisse', eine Form besitzen, in der es dieser synthetischen Einheit unterworfen werden kann; d.h. schon "die Synthesis der Apprehension" der Erscheinungen, "welche empirisch ist", muß "der Synthesis der Apperzeption, welche intellektuell und gänzlich a priori in der Kategorie enthalten ist, notwendig gemäß sein" (B 162 Anm.). Wenn Kant von den Analogien der Erfahrung einerseits sagt, daß sie nur unter Voraussetzung von empirischen Anschauungen gelten, und
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sie dennoch andererseits als rein bezeichnet, so setzt er hierbei empirische Anschauungen nur in der Form voraus, die sie als die Apprehension einer Erscheinung besitzen müssen. Ob wirklich irgendwelche empirischen Anschauungen gegeben sind, bleibt hierbei unausgemacht, und diese werden nur als Bestandteile "möglicher Erfahrung" (vgl. B 289, B 267, B 296, B 303, B 304/305, B 315) betrachtet. So kann die "objektive Realität" des Begriffs der Ursache nach Kant "zwar freilich unabhängig von der Erfahrung" erkannt werden, "aber doch nicht unabhängig von aller Beziehung auf die Form einer Erfahrung überhaupt und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstände empirisch können erkannt werden", (vgl. B 269) Die Form der Synthesis, die der Begriff der Ursache zum Inhalt hat, gehört zwar "zur Erfahrung", aber doch "als eine solche, auf der als Bedingung a priori Erfahrung überhaupt (die Form derselben) beruht", und somit ist dieser Begriff "ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehört, weil sein Objekt nur in dieser angetroffen werden kann", (vgl. B 267) Am Ende des Beweises des Grundsatzes der Kausalität geht Kant näher auf das Problem ein, wie "die Form einer jeden Veränderung ... (der Inhalt derselben, d.i. der Zustand, der verändert wird, mag sein, welcher er wolle), mithin die Sukzession der Zustände selbst... nach dem Gesetze der Kausalität und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden" kann, obwohl wir "a priori nicht den mindesten Begriff' davon haben, wie "überhaupt etwas verändert werden körine", d.h. "wie es möglich sei, daß auf einen Zustand in einem Zeitpunkte ein entgegengesetzter im anderen folgen könne" (vgl. B 252 = A 206/207). Im Anschluß an die Begründung des Gesetzes der Kontinuität aller Veränderungen behauptet Kant, "hieraus" erhelle "die Möglichkeit, ein Gesetz der Veränderungen ihrer Form nach a priori zu erkennen" (B 255 = A 210). Nach Kant ist der Satz von der Kontinuität aller Veränderungen und mit ihm der Begriff der Veränderung "völlig a priori" bildbar (vgl. B 254 = A 209), da man Zustände ganz unabhängig von einer qualitativen Unterscheidung gegebener Empfindungen schon rein formal, nämlich als "Grenzen der Zeit einer Veränderung" (B 253 = A 208), unterscheiden kann. Da Wahrnehmungen als bewußte empirische Anschauungen von etwas nach Kant nur durch die gedankliche Verknüpfung gegebener Vorstellungen möglich sind (vgl. B 160) und wir uns aller gegebenen Vorstellungen in der Anschauungsform der Zeit bewußt werden (B 49, vgl. B163), ist jeder "Fortschritt der Wahrnehmung", wie wir ihn bei der Wahrnehmung einer Veränderung machen, "nichts als eine Erweiterung der Bestimmung des inneren Sinnes, d.i. ein Fortgang in der Zeit" (B 255 = A 210):
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Jeder "Übergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, [ist] eine Bestimmung der Zeit durch die Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da jene immer und in allen ihren Teilen eine Größe ist, die Erzeugung einer Wahrnehmung als einer Größe durch alle Grade". (B 255 = A 210) Die bei der Apprehension einer Veränderung zu erzeugende Größe, ist die intensive Größe, die die Wahrnehmung des Endzustandes einer Veränderung relativ zur Wahrnehmung ihres Anfangszustandes besitzt. Denn "wenn eine Substanz aus einem Zustande a in einen anderen b übergeht, so ist... der zweite Zustand als Realität (in der Erscheinung) vom ersteren, darin diese nicht war, wie b vom Zero unterschieden" (B 253 = A 207); und "Realität... im reinen Verstandesbegriffe" ist "das, was einer Empfindung überhaupt korrespondiert" (B 182 = A 143). In "allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d.i. einen Grad" (B 207, vgl. A 166), der dem Grad der Intensität der korrespondierenden Empfindung entspricht (vgl. B 208). Ob es möglich ist, sich die Form der Apprehension einer Veränderung a priori vorzustellen, hängt also davon ab, ob man sich a priori der gradweisen Erzeugung der Größe der Intensität einer Empfindung bewußt sein kann. Dies ist, wie Kant im Beweis des Grundsatzes der Antizipationen der Wahrnehmung erklärt, durchaus möglich. Obwohl "die Qualität der Empfindung ... jederzeit bloß empirisch [gegeben] und ... a priori gar nicht vorgestellt werden" kann (B 217 = A 175), kann doch "die Eigenschaft" der Empfindungen, "daß sie einen Grad haben,... a priori erkannt" (B 218 = A 176) und damit die "Möglichkeit" eines "inneren Unterschieds" einer Empfindung "antizipier[t]" werden (B 217 = A 175). Denn im "inneren Sinn... kann das empirische Bewußtsein von 0" (B 217 = A 176), d.h. von seinem "Anfange, der reinen Anschauung", (vgl. B 208) "bis zu jedem größeren Grade erhöht werden" (B 217 = A 176). Das gegebene empirische Bewußtsein wird hierbei lediglich als "empir i s c h e ^ ] Bewußtsein überhaupt" vorgestellt, indem man von der "empirischen Qualität" der in ihm enthaltenen Empfindungen "abstrahiert" (vgl. B 217). Zwar ist es eine notwendige Bedingung der Antizipation der Form einer Wahrnehmung, daß uns Empfindungen gegeben sind, denn "das Empirische" ist "die Bedingung der Anwendung, oder des Gebrauchs des reinen intellektuellen Vermögens" (B 422 Anm.), aber diese Antizipation braucht kein Bewußtsein besonderer Empfindungsqualitäten, sondern nur das Bewußtsein der gedanklichen Leistung einzuschließen, die wir erbringen, wenn wir uns einer Empfindung in ihrer Intensität durch deren "kontinuierliche und gleichförmige
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Erzeugung" (vgl. B 183) bewußt werden. Wir können uns das Gegebensein einer Empfindung und damit die Realität von etwas also a priori einbilden, indem wir uns vorstellen, es sei "in einem Moment eine Synthesis der gleichförmigen Steigerung" (B 218) der Intensität einer Vorstellung bis zu einem beliebigen bestimmten Endgrad erforderlich, um sich dieser Vorstellung bewußt zu werden (vgl. B 218). Da Wahrnehmungen von Veränderungen aber Wahrnehmungen zeitlicher Prozesse sind, kann die Erzeugung der Intensität der Wahrnehmung des Endzustandes einer Veränderung keine bloß momentane Synthesis sein, sondern man muß sie sich als sukzessive Synthesis solcher momentanen Synthesen so denken, "daß, wie die Zeit vom Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b wächst, auch die Größe der Realität (b - a) durch alle kleineren Grade, die zwischen dem ersten und dem letzten enthalten sind, erzeugt wird", (vgl. B 253/254 = A 208) Ein Anwachsen der Zeit kann rein a priori vorgestellt werden, da die Vorstellung der Zeit eine "reine Anschauung" (B 35/36 = A 20) ist, die "ein Mannigfaltiges ent[hält]" und "mit der Bestimmung der Einheit dieses Mannigfaltigen in [ihr] a priori" (B160) als eine "fließende... Größ[e]" (B 211 = A 170) vorgestellt wird. Unsere Fähigkeit, uns a priori die Erzeugung der Größe der Intensität einer Empfindung unbestimmter Qualität vorzustellen, erlaubt es uns in Verbindung mit der Anschauung a priori der Zeit also, rein a priori Wahrnehmungen von Veränderungen ihrer Form nach zu antizipieren. "Wir antizipieren nur unsere eigene Apprehension, deren formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst beiwohnt, allerdings a priori muß erkannt werden können.' (B 255/256 = A 210) Zwar können wir durch die bloße Antizipation der Form der Apprehension einer Veränderung "niemals bestimmen, ob" das "Mannigfaltige, als Gegenstand der Erfahrung, zugleich sei, oder nacheinander folge", da unsere Apprehension selbst "jederzeit sukzessiv,... also immer wechselnd" ist (vgl. B 225), aber wir können uns nach Kant auf diese Weise eine Aufeinanderfolge beliebiger voneinander verschiedener Zustände irgendeines möglicherweise wahrnehmbaren Gegenstandes rein a priori einbilden. "Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des Empirischen überhaupt angesehen werden, und gehört zur Untersuchung der Mög-
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lichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transzendental ist." (B 401 = A 343) Da wir Ereignisse nicht ohne weiteres in der zeitlichen Ordnung wahrnehmen, in der sie objektiv ablaufen, und da die Zeit selbst nicht wahrgenommen werden kann, "kann die Bestimmung der Objekte in der Zeit... nur durch a priori verknüpfende Begriffe geschehen". (B 219) Unter den von Kant gemachten Voraussetzungen kann also rein a priori behauptet werden, daß aus möglichen Wahrnehmungen von Veränderungen nur durch eine kategoriale Uberformung der in diesen Wahrnehmungen vorgenommenen Verknüpfungen und durch eine kategorial korrekte Verknüpfung dieser Wahrnehmungen untereinander eine durchgängige Erkenntnis eines objektiven zeitlichen Geschehens, d.h. Erfahrung werden kann. Der Grundsatz der Kausalität kann aber "nur als Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung" und somit "nur von Objekten möglicher Erfahrung" bewiesen werden, (vgl. B 289) Davon, wie "überhaupt etwas verändert werden könne", d.h. wie es real "möglich sei, daß auf einen Zustand in einem Zeitpunkte ein entgegengesetzter im anderen folgen könne: davon haben wir a priori nicht den mindesten Begriff. (B 252 = A 206/207) Bezieht man den Begriff der Veränderung in dem Satz "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" (vgl. B 3) auf reale Veränderungen, so enthält er also nicht nur die allgemeine Form der Apprehension von Veränderungen, sondern schließt darüber hinaus die Anwendung der Kategorien von Ursache und Wirkung auf eine Verknüpfung gegebener Empfindungen ein und ist diesem Empfindungsgehalt nach "ein Begriff ..., der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann" (vgl. B 3). Dennoch handelt es sich bei diesem Satz noch um einen nicht-reinen Satz a priori. Nach dem Grundsatz der Kausalität versteht sich nämlich von jeder möglichen Veränderung, daß ihr objektiver Verlauf nur durch eine kategoriale Überformung ihrer Wahrnehmung erfahren werden kann, so daß man aus dem Begriff wirklich erfahrener Veränderungen durch rein logische Analyse den Begriff der Ursache gewinnen kann. Daß sein Subjektbegriff ein empirischer Begriff ist, tut dem apriorischen Charakter dieses Satzes keinen Abbruch, denn "alle analytische[n] Urteile ... sind ihrer Natur nach Erkenntnisse a priori, die Begriffe, die ihnen zur Materie dienen, mögen empirisch sein, oder nicht", da sie "gänzlich auf dem Satze des Widerspruchs" beruhen (Prol. § 2., 267); und der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist ein reiner Satz a priori (vgl. B 77). Folglich ist der Satz "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" (B 3) der in ihm vorgenommenen Prädikation nach ein von der Erfahrung
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unabhängiger Satz a priori (vgl. B 3). Da ihm aber - als Satz über alle real erfahrenen Veränderungen verstanden - in seinem Subjektbegriff etwas "Empirisches beigemischt" ist, handelt es sich bei ihm lediglich um einen nicht-reinen Satz a priori (vgl. B 3). Zwar ist es unter Voraussetzung des empirischen Begriffs real erfahrener Veränderungen "notwendig", sich diese als solche zu denken, die eine Ursache haben, so daß dieses Urteil ein Urteil a priori ist (vgl. B 3), aber diese Voraussetzung muß nicht im Rahmen jeder möglichen Erkenntnis gemacht werden, sondern der Begriff realer Veränderungen kann nur auf der Grundlage von Erfahrungsurteilen gebildet werden. Der wahre analytische Satz a priori "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" ist also von Sätzen "abgeleitet", die nicht auch "selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig" sind, und folglich ist er nicht "schlechterdings a priori" (vgl. B 3). Die Aussage Kants von B 3, der Satz "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" sei ein nicht reiner Satz a priori, widerspricht seiner Aussage von B 4 / 5 , der Satz, "daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", sei ein "reine[s] Urteil a priori", also nicht, da der erste Satz als analytischer Satz mit einem empirischen Subjektbegriff und der zweite als eine Formulierung des Grundsatzes der Kausalität zu verstehen ist und diese Sätze so verstanden den von Kant genannten Kriterien für nichtreine bzw. reine Erkenntnisse a priori genügen.
5. Kants Entgegnung auf den Vorwurf, sich bei der Einstufung des Grundsatzes der Kausalität zu widersprechen Ein Widerspruch zwischen seinen Aussagen in B 3 und B 4 / 5 ist Kant schon zu Lebzeiten vorgeworfen worden, und Kant hat die Gelegenheit der Veröffentlichung seiner Abhandlung 'Uber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie' 1788 für eine Entgegnung wahrgenommen: "Ich will bei dieser Gelegenheit nur noch mit Wenigem den Vorwurf entdeckter vorgeblicher Widersprüche in einem Werke von ziemlichem Umfange, ehe man es im Ganzen wohl gefaßt hat, berühren. Sie schwinden ipsgesammt von selbst, wenn man sie in der Verbindung mit dem Übrigen betrachtet. In der Leipz. gel. Zeitung 1787 No. 94 wird das, was in der Kritik etc. Auflage 1787 in der Einleitung S. 3 Z. 7 steht, mit dem, was bald darauf S. 5 Z. 1 und 2 angetroffen wird, als im geraden Widerspruche stehend angegeben; denn in der ersteren Stelle hatte ich gesagt: von den Erkenntnissen a priori heißen diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches bei-
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gemischt ist, und als ein Beispiel des Gegenteils den Satz angeführt: alles Veränderliche hat eine Ursache. Dagegen führe ich S. 5 eben diesen Satz zum Beispiel einer reinen Erkenntnis a priori, d.i. einer solchen, die von nichts Empirischem abhängig ist, an; - zweierlei Bedeutungen des Wortes rein, von denen ich aber im ganzen Werke es nur mit der letzteren zu tun habe. Freilich hätte ich den Mißverstand durch ein Beispiel der erstem Art Sätze verhüten können: Alles Zufällige hat eine Ursache. Denn hier ist gar nichts Empirisches beigemischt. Wer besinnt sich aber auf alle Veranlassungen zum Mißverstande?" (UberdenGebrauchteleologischer Prinzipien, 183 f.) Kant nimmt seine Behauptung von B 5, "der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", sei ein "reiner Grundsatz] a priori", an dieser Stelle nicht zurück, sondern gesteht lediglich ein, d a ß sich Mißverständnisse hätten vermeiden lassen, wenn er anstatt ein und denselben Satz als Beispiel sowohl für reine als auch für nicht reine Erkenntnisse anzuführen, als Beispiel für die ersteren den Satz "Alles Zufällige hat eine Ursache" gewählt hätte. Wenn Kant hier unter Vernachlässigung des Wortlautes der von ihm in der Einleitung zur zweiten Auflage angeführten Sätze davon spricht, denselben Satz in B 3 als Beispiel für nicht reine und in B 5 als Beispiel für reine Erkenntnisse a priori angeführt zu haben, aber zugleich behauptet, daß es ein Mißverständnis ist, hierin einen Widerspruch zu sehen, so verbleibt als einzige Möglichkeit für die Widerspruchsfreiheit der Aussagen Kants in B 3 und B 5, daß dieser Satz in ihnen jeweils einen anderen Sinn hat; und diese Konsequenz deckt sich mit dem Ergebnis der Interpretation dieser Aussagen im Zusammenhang der Systematik der 'Kritik der reinen Vernunft'. Im übrigen aber hat es den Anschein, als sei Kants Entgegenung kaum geeignet, den Vorwurf eines Widerspruchs zwischen seinen Aussagen auf B 3 und B 5 zu entkräften, da er sich nur erneut selbst zu widersprechen scheint. Schon die von ihm an diesen Stellen angeführten Sätze gibt Kant nicht wortgetreu wieder. Diese haben den Begriff der Veränderung zum Subjektbegriff. Kant behauptet jetzt aber, er habe den Satz "alles Veränderliche hat eine Ursache" als Beispiel genannt. Durch die Vertauschung des Begriffs der Veränderung mit dem Begriff des Veränderlichen scheinen die ursprünglich angeführten Sätze aber einen ganz anderen Sinn zu bekommen. Nach Kants "Berichtigung des Begriffs von Veränderung" in der 'Kritik der reinen Vernunft' ist unter einer Veränderung nämlich der jeweilige Endzustand eines Wechsels von Zuständen an einem sich im übrigen gleichbleibenden Gegenstand, unter dem, was verändert wird oder werden kann, hingegen dieser Gegenstand selbst zu verstehen.
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"Veränderung ist eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren eben desselben Gegenstandes erfolgt. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, una nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen trifft, die aufhören oder auch anheben können, so können wir, in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck, sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören, und andere anheben." (B 230/231) Kant hält sich jedoch selbst nicht immer an diese Berichtigung sondern verwendet den Begriff des Veränderlichen auch in einem weiteren Sinn, in dem er die beim Wechsel ihrer Zustände beharrende Substanz in einem beliebigen bestimmten Ausgangszustand bedeutet: "Was verändert wird, dessen Gegenteil (seines Zustandes) ist zu einer anderen Zeit wirklich". (B 487/488) Die "Veränderlichkeit" betrifft aber genau genommen "nur gewisse Bestimmungen der Erscheinungen" (B 213), nämlich "dasjenige, was im Dasein einer Substanz wechseln kann, indessen daß die Substanz bleibt", also das, was nach Kants eigener "Berichtigung" besser als das "Wandelbare" zu bezeichnen ist (vgl. B 230 f.). Doch auch bei Korrektur dieser terminologischen Ungenauigkeit scheint der Satz 'Alles Veränderliche hat eine Ursache' seinem Sinn nach von den von Kant ursprünglich angeführten Sätzen verschieden zu sein, denn er bezieht sich auf Zustände, aus denen Gegenstände in einen anderen übergehen können; die ursprünglichen Sätze hingegen beziehen sich auf Zustände, in die Gegenstände unserer Erfahrung bzw. unserer Vorstellung nach aus einem anderen übergehen. Dieser Unterschied entspricht jedoch nur dem zwischen zwei perspektivisch verschiedenen Betrachtungsweisen derselben Beziehung, denn jeder Zustand, aus dem ein Gegenstand in einen anderen übergeht, kann nach Kant seinerseits als Zustand betrachtet werden, in den ein Gegenstand aus einem früheren übergegangen ist. "Da ... die Kausalität der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der vorige Zustand, wenn er jederzeit gewesen wäre, auch keine Wirkung, die allererst in der zeit entspringt, hervorgebracht hätte: so ist die Kausalität der Ursache dessen, was geschieht, oder entsteht, auch entstanden, und bedarf nach dem Verstandesgrundsatze selbst wiederum eine Ursache." (B 560) Daß der in B 5 angeführte Satz, "daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", sich von seiner Formulierung in der Entgegnung Kants
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"alles Veränderliche hat eine Ursache" über den Subjektbegriff hinaus durch den modalen Ausdruck 'müsse' unterscheidet, zieht nicht notwendig eine Verschiedenheit des Sinnes dieser Sätze nach sich, da auch der letztere Satz apodiktischen Charakter hat, wenn man ihn als Satz mit universellem Gültigkeitsanspruch versteht. Wenn nicht nur alles tatsächlich, sondern alles möglicherweise Veränderliche (oder genauer 'Wandelbare') eine Ursache hat, so muß alles Veränderliche eine Ursache haben. Entsprechend wird der Grundsatz der Kausalität von Kant in der 'Analytik der Grundsätze' ohne die Verwendung modaler Ausdrükke formuliert (vgl. B 232, A 189). Kant gibt in seiner Entgegenung aber nicht nur die von ihm in B 3 und B 5 angeführten Sätze nicht wortgetreu wieder, sondern er scheint die von ihm in B 3 gegebene Charakterisierung reiner Erkenntnisse a priori trotz seiner Versicherung, man mißverstehe ihn, wenn man zwischen seinen Aussagen in B 3 und B 5 einen Widerspruch sieht, revidieren zu wollen. Zunächst erwähnt er ganz richtig, daß er in B 3 gesagt hat, "von den Erkenntnissen a priori heißen diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist"; dann aber behauptet er überraschend, er habe in B 5 den Satz "alles Veränderliche hat eine Ursache" als Beispiel einer reinen Erkenntnis a priori, "d.i. einer solchen, die von nichts Empirischem abhängig ist", angeführt. Tatsächlich werden reine Erkenntnisse a priori von Kant in B 5 aber gar nicht als solche chrakterisiert, die "von nichts Empirischem abhängig" sind, sondern von dem Satz, "daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse" wird lediglich gesagt, daß er ein Beispiel "reiner Grundsätze a priori" sei; und auch in B 4 wird dieser Satz nur als Beispiel für "notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mithin reine Urteile a priori" bezeichnet. Als Erkenntnisse, die "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden", werden von Kant in B 2 / 3 vielmehr nicht nur die reinen, sondern alle "Erkenntniss[e] a priori" bezeichnet; und auch in B 2 heißt es, daß Erkenntnisse a priori im Unterschied zu empirischen solche sind, die "von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängig]" sind. Es stellt sich also die Frage, ob Kant in seiner Entgegnung mit der Erklärung, eine reine Erkenntnis a priori sei "ein[e] solch[e], die von nichts Empirischem abhängig ist", lediglich daran erinnern will, daß eben auch reine Erkenntnissse diese Eigenschaft besitzen, oder ob er behaupten will, daß reine Erkenntnisse als solche, d.h. im Unterschied zu nicht-reinen, von nichts Empirischem abhängig sind. Daß Kant letzteres beabsichtigt, geht aus seiner Erklärung im nächsten Satz hervor, er habe das Wort "rein" in B 3 und B 5 in "zweierlei Bedeutungen" verwendet, "von denen" er es aber in der ganzen 'Kritik der reinen Vernunft'
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"nur mit der letzteren zu tun habe". Wenn das Wort 'rein' nämlich die Bedeutung von 'von nichts Empirischem abhängig' hat, besitzen reine Erkenntnisse diese Eigenschaft nicht nur unter anderem, sondern es ist für reine Erkenntnisse charakteristisch, 'von nichts Empirischem abhängig' zu sein. Diese Behauptung aber scheint die Klassifikation von Erkenntnissen a priori, die Kant am Ende des ersten Teils der Einleitung in die zweite Auflage vornimmt, völlig umzuwerfen. Wenn reine Erkenntnisse als solche von nichts Empirischem anhängig sind, scheinen sie sich von nicht-reinen Erkenntnissen a priori nicht mehr zu unterscheiden, denn schon diese sind der von Kant in B 2 / 3 gegebenen Klassifikation zufolge "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig". Doch an der Unterscheidung reiner von nicht-reinen Erkenntnissen a priori will Kant offenbar festhalten, denn er nennt in seiner Entgegnung ein neues "Beispiel der ersteren Art Sätze", von dem er meint, daß es "Mißverstand" hätte "verhüten können"; und auch daran, daß reinen Erkenntnissen "gar nichts Empirisches beigemischt" ist (B 3), will Kant offenbar festhalten, denn er begründet die Wahl des neuen Beispiels damit, daß diesem "gar nichts Empirisches beigemischt" sei (vgl. Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 184). Diese scheinbaren Widersprüche zwischen der Aussage Kants, er verstehe unter reinen Erkenntnissen a priori in der 'Kritik der reinen Vernunft' solche, die "von nichts Empirischem abhängig" sind, (Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 184) und seiner Klassifikation der Erkenntnisse a priori in B 2 / 3 lassen sich auflösen, wenn man Kants Ausführungen zu dem "Merkmal" näher betrachtet, "woran wir sicher ein reines Erkenntnis von empirischen unterscheiden können" (B 3). Am Anfang des zweiten Teils der Einleitung zur zweiten Auflage der 'Kritik' erklärt Kant, daß "ein Satz, der zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird,... ein Urteil a priori" ist, und daß ein solcher Satz "schlechterdings a priori" ist, wenn "er überdem auch von keinem abgeleitet [ist], als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist" (B 3). Schon diese Erklärung scheint unvereinbar mit Kants klassifikatorischer Unterscheidung zu sein, Erkenntnisse a priori seien im Gegensatz zu empirischen solche, die "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig" sind (B 2/3), denn dieser Erklärung zufolge ist es durchaus möglich, daß ein Satz a priori von einem empirischen Urteil abgeleitet ist. So ist z.B. der Satz "Gold ist ein gelbes Metall" nach Kant ein Urteil a priori, obwohl seine "Begriffe empirisch sind", "weil das Prädikat" dieses "bejahenden analytischen Urteils schon vorher im Begriffe des Subjekts gedacht wird", (vgl. Prol. § 2., 267)
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Eine nährer Betrachtung der Klassifikation der Erkenntnisse a priori in B 3 zeigt aber, daß Kants Charakterisierung unterschiedslos aller Erkenntnisse a priori als solche, die "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden" (B 2/3), keineswegs jede Abhängigkeit apriorischer Erkenntnisse von empirischen Erkenntnissen ausschließt. Denn durch den Ausdruck 'schlechterdings' wird hier nicht der Grad der Unabhängigkeit der Erkenntnisse a priori, sondern der Umfang der Klasse der Erfahrungen quantifiziert, von denen Erkenntnisse a priori unabhängig sind. Kant unterscheidet Erkenntnisse a priori als solche, die "schlechterdings von aller Erfahrung" unabhängig sind, an dieser Stelle von Erkenntnissen, die lediglich "von dieser oder jener ... Erfahrung" unabhängig sind (vgl. B 2/3). Ihrer Klassifikation zufolge kann es also Erkenntnisse a priori geben, die 'schlechterdings von aller' Erfahrung unabhängig sind, ohne deshalb auch schon schlechterdings unabhängig von Erfahrung zu sein. Daß es solche Erkenntnisse a priori nach Kant tatsächlich gibt, zeigt das von ihm in B 3 angegebene erste Kriterium für reine Erkenntnisse a priori, denn ihm zufolge ist ein Satz a priori genau dann nicht "schlechterdings a priori" gültig, wenn er von einem Satz abgeleitet ist, der selbst kein in seiner Form "notwendiger Satz" ist. Da nach Kants Klassifikation in B 3 alle Erkenntnisse entweder a priori oder empirisch sind, können nicht-reine Erkentnisse a priori aus reinen Erkenntnissen nur durch eine Beimischung empirischer Erkenntnisse entstehen. Kants Behauptung in seiner Entgegnung, er habe das Wort 'rein' in der 'Kritik der reinen Vernunft' nur in der Bedeutung von 'von nichts Empirischem abhängig' verwendet, ist also mit seiner Erklärung in B 2 / 3, Erkenntnisse a priori seien im Unterschied zu empirischen "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig", systematisch vereinbar, da Kant an dieser Stelle nicht zwischen einer vollständigen und einer unvollständigen Unabhängigkeit reiner bzw. nicht reiner Erkenntnisse a priori von allem Empirischen unterscheidet, sondern lediglich ausschließt, daß eine Erkenntnis a priori nur von einigen empirischen Erkenntnissen unabhängig ist. Und seine Behauptung aus der Entgegnung wird durch das von ihm in B 3 angegebene erste Kriterium reiner Erkentnisse bestätigt, denn diesem Kriterium nach dürfen Sätze, die schlechterdings a priori gelten, nicht von empirischen Sätzen abgeleitet sein. Die Eigenschaft reiner Erkenntnisse, daß ihnen "gar nichts Empirisches beigemischt" ist (B 3), steht in keinem alternativen Verhältnis zu ihrer vollständigen Unabhängigkeit von allen empirischen Erkenntnissen, sondern ist eine Folge der letzteren, denn jeder Satz a priori, der "auch von keinem abgeleitet [ist], als der selbst wiederum als ein not-
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wendiger Satz gültig ist" (B 3), ist frei von jeder empirischen Beimischung. Die erstere Eigenschaft kann aber nur zur klassifikatorischen Unterscheidung reiner von nicht-reinen Erkenntnissen a priori und nicht auch als Merkmal reiner Erkenntnisse dienen, da diese allein anhand ihrer negativen Eigenschaft, keine empirischen Beimischungen aufzuweisen, nicht als Erkenntnisse a priori identifiziert werden können. Es lassen sich nämlich Urteile bilden, die frei von jeder empirischen Beimischung, aber unentscheidbar sind. (vgl. B 525 ff.) Nur in ihrer positive Eigenschaft, notwendig gültig und wenn, dann nur von solchen selbst unabgeleiteten Sätzen abgeleitet zu sein, für die dies ebenfalls gilt, können Sätze als reine Erkenntnisse a priori erkannt werden. Kant widerspricht sich also keineswegs, wenn er in seiner Entgegnung sagt, er verwende den Ausdruck 'rein' in der 'Kritik' durchgängig in der Bedeutung von 'von nichts Empirischem abhängig', und die Auswahl des von ihm hier vorgeschlagenen alternativen Beispiels für reine Sätze damit begründet, daß diesem "gar nichts Empirisches beigemischt" sei (vgl. Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 184). Diese Begründung scheint jedoch darauf hinzuweisen, daß Kant in dem von ihm ursprünglich als Beispiel angeführten Satz, den er als "alles Veränderliche hat eine Ursache" zitiert, jetzt einen Satz sieht, dem im Unterschied zu dem neuen Beispielsatz sehr wohl etwas Empirisches beigemischt ist, und damit seine Aussagen aus der Einleitung widerruft, dieser Satz sei ein Beispiel für "reine Urteile" (B 4), nämlich "reiner Grundsätze a priori" (B 5). Daß es nicht Kants Absicht sein kann, mit der Nennung des neuen Beispiels für reine Sätze in der Entgegenung seine Aussagen aus B 4 oder B 5 zu widerrufen, wurde bereits damit begründet, daß Kant in seiner Entgegenung ausdrücklich sagt, der Vorwurf eines Widerspruchs zwischen seinen Aussagen in B 3 und B 5 beruhe auf einem Mißverständnis. Wenn Kant in seiner Entgegnung davon spricht, er habe denselben Satz in B 3 als Beispiel für nicht reine und in B 5 als Beispiel für reine Erkenntnisse a priori angeführt, so kann er unter diesem Satz nur die in B 3 und B 5 unwesentlich verschiedene sprachliche Formulierung verstehen, und diese Formulierung muß an diesen beiden Stellen verschiedenen Sinn haben. Mit seinen Aussagen in B 3 und B 5 ist Kants Erklärung, in bezug auf die Beimischung von Empirischem bestehe ein Gegensatz zwischen dem neuen und dem alten Beispielsatz, nur vereinbar, wenn er den letzteren hier im Sinne des von ihm in B 3 als Beispiel für nicht-reine Sätze a priori genanten Satzes "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" versteht. Als neues Beispiel für reine Erkenntnisse a priori, das den aufgetretenen "Mißverstand" hätte "verhüten können", da ihm "gar nichts
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Empirisches beigemischt" ist, führt Kant in der Entgegenung den Satz "Alles Zufällige hat eine Ursache" an. Auf das Problem, die Gültigkeit des Satzes "alles zufällig Existierende hat eine Ursache" zu beweisen, geht Kant in der 'Allgemeinen Anmerkung zum System der Grundsätze' ein. Unter Hinweis auf den Beweis der zweiten Analogie erklärt Kant, daß dieser Satz nicht "aus bloßen reinen Verstandesbegriffen", sondern "nur von Objekten möglicher Erfahrung" und "nur als Prinzip der Möglichkeit ... der Erkenntnis eines in der empirischen Anschauung gegebenen Objekts" bewiesen werden konnte, nämlich nur in der Form "alles was geschieht (eine jede Begebenheit) setzt eine Ursache voraus", (vgl. B 289) In dieser Form ist dieser Satz eine verkürzte Formulierung des Grundsatzes der Kausalität nach A 189 "Alles was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt"; und dieser Grundsatz wird von Kant in B 232 in dem Satz "Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung" und in B 5 verkürzt in dem "Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse" formuliert. Der Satz "alles zufällig Existierende hat eine Ursache" kann nur im Sinne des Satzes, daß alle Veränderungen eine Ursache haben müssen, bewiesen werden, da "wir uns immer auf Veränderungen" beziehen müssen, "wenn wir Beispiele vom zufälligem Dasein geben" wollen (vgl. B 290). Denn "aus bloßen Kategorien" kann "kein synthetischer Satz gemacht werden" (B 289), sondern nur in bezug auf "mögliche Erfahrung" als "Dritte[s]" können "Begriffe, die gar keine logische (analytische) Verwandtschaft haben", synthetisch miteinander verknüpft werden (B 315; vgl. B 303, B 289, B 197, B 196). "Der vermeinte Grundsatz: alles Zufällige hat eine Ursache, tritt zwar ziemlich gravitätisch auf, als habe er seine eigene Würde in sich selbst. Allem frage ich: was versteht ihr unter Zufällig? und ihr antwortet, dessen Nichtsein möglich ist, so möchte ich gern wissen, woran ihr diese Möglichkeit des Nichtseins erkennen wollt, wenn ihr euch nicht in der Reihe der Erscheinungen eine Sukzession und in dieser ein Dasein, welches auf das Nichtsein folgt, (oder umgekehrt,) mithin einen Wechsel vorstellt; denn, daß aas Nichtsein eines Dinges sich selbst nicht widerspreche, ist eine lahme Berufung auf eine logische Bedingung, die zwar zum Begriffe notwendig, aber zur realen Möglichkeit bei weitem nicht hinreichend ist". (B 301/302) Will man die Einschränkung der Gültigkeit des Satzes 'Alles Zufällige hat eine Ursache' auf den Bereich möglicher Erfahrung in ihm selbst zum Ausdruck bringen, muß man seinen Subjektbegriff also durch den
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Begriff möglicher Veränderungen ersetzen. Trotz der Einschränkung seiner Gültigkeit auf den Bereich möglicher Erfahrung kann der Satz 'Alles Zufällige hat eine Ursache' "völlig a priori" behauptet werden, da man hierbei nicht die "Erfahrung selbst vorauszuschicken" braucht, sondern lediglich "die formalen Bedingungen, unter welchen in ihr überhaupt etwas als Gegenstand bestimmt wird" (vgl. B 272), nämlich die Form der "Synthesis ..., welche wir in der Apprehension einer Erscheinung ausüben" (vgl. B 271). Das "Dritt[e]", das "einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit" steht und so "einerseits intellektuell, andererseits sinnlich", aber dennoch "rein (ohne alles Empirische)" ist, ist nach Kant das "transzendentale Schema" der Kategorie (vgl. B 177); und "vermittelst" der "Regeln der synthetischen Einheit a priori", die "in diesem Dritten" enthalten sind, können wir "die Erfahrung" in ihrer Form "antizipieren" (B 264). Da die Schemate die "sinnlichen Bedingungen]" sind, unter denen die Kategorien "allein gebraucht werden" können und durch die man "a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen" (vgl. B 174/175), gehen die Schemate in die Subjektbegriffe der Grundsätze ein. Die Grundsätze sollen unter den "Bedingungen a priori" der Schemate als "synthetisch[e] Urteil[e]" a priori "aus reinen Verstandesbegriffen ... herfließen", (vgl. B 175) Das Enthaltensein der Schemate in den Subjektbegriffen der Grundsätze macht diese nicht zu analytischen Sätzen, da "das Schema ... an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft" ist (B 179); und es macht die Grundsätze nicht zu empirischen Sätzen, da jedes dieser Schemate seinerseits rein (vgl. B 177), nämlich "ein transzendentales Produkt" der "reinen Einbildungskraft" ist (B 181). So hat auch die Kategorie der Kausalität ein ihr entsprechendes Schema: "Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf, wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist." (B 183) Die "Form einer jeden Veränderung... (der Inhalt derselben, d.i. der Zustand, der verändert wird, mag sein, welcher er wolle), mithin die Sukzession der Zustände", kann "nach dem Gesetze der Kausalität und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden" (B 252), da wir die "Apprehension" eines Zustandes "antizipieren" können, dessen Dasein von dem eines anderen abhängt (vgl. B 256). Als verschieden werden die aufeinanderfolgenden Zustände hierbei nicht durch das Bewußtsein verschiedener Empfindungsqualitäten, sondern durch das Bewußtsein
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der Apprehension einer Erscheinung in verschiedenen Intensitätsgraden vorgestellt. In der Form des kontinuierlichen Übergangs von einem Grad der Intensität in einen anderen können Veränderungen a priori erkannt werden, da man "die Erzeugung einer Wahrnehmung als einer Größe durch alle Grade ... vortdem Zero bis zu ihrem bestimmten Grad" (B 255/256) und somit die "Möglichkeit des inneren Unterschiedes der Empfindung... antizipieren" kann, obwohl man " von ihrer empirischen Qualität abstrahiert" (vgl. B 217). Denn auch, "wenn der Zustand b sich von dem Zustande a nur der Größe nach unterschiede, so ist die Veränderung ein Entstehen von b - a, welches im vorigen Zustande nicht war, und in Ansehung dessen er = 0 ist" (B 253). Der Satz "Alles Zufällige hat eine Ursache" hat also aus denselben Gründen eine reine Erkenntnis a priori zum Inhalt wie der "Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", nur drückt der erstere im Gegensatz zum letzteren die Einschränkung seiner Gültigkeit auf mögliche Erfahrung nicht selbst aus. Daß sich der neue Beispielsatz nicht ausdrücklich auf möglicherweise wahrnehmbare Veränderungen bezieht, hat aber den Vorteil, daß man seinen Subjektbegriff nicht wie den Subjektbegriff des in B 5 angeführten Beispielsatzes mit dem Begriff empirisch beobachteter Veränderungen verwechseln kann und so das Mißverständnis nicht mehr auftreten kann, das zu dem Anschein eines Widerspruchs zwischen den Aussagen Kants in B 3 und B 5 führte.
H. Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung und der Schlüsse aus den Erörterungen des Begriffs des Raumes H. I. Vaihingers Einwand, die Anwendbarkeit der Geometrie auf Gegenstände der Erfahrung werde nicht nachgewiesen Nach Vaihinger haben die vier Absätze der transzendentalen Erörterung des Begriffe des Raumes folgende Aufgaben: "Der erste Absatz gibt eine vorläufige Übersicht über den Gang der Argumentation: 1) Nachweis wirklicher synth. Erkenntnisse a priori; 2) Erklärung ihrer Möglichkeit. Der zweite Absatz führt dieses Programm aus. In der Geometrie ist jene Wirklichkeit gegeben; sie ist eine Exposition der Eigenschaften der Raumvorstellung ..., und zwar sind ihre Sätze a) synthetisch und b) doch a priori. ... Diese beiden Eigentümlichkeiten müssen erklärt werden. Nach analytischer Methode verfahrend, frägt Kant: was muß die Raumvorstellung sein, wenn jene Sätze über die Raumvorstellung möglich sein sollen?" (Vaihinger 1892,266) "Der dritte Absatz... entwickelt... ein ganz neues Problem: wie kann denn eine solche vor den Objekten selbst vorhergehende Anschauung dem Gemüte beiwohnen, 'in welcher doch der Begriff der Letzteren a priori bestimmt werden kann"?... Das Neue ist die Bezugnahme auf Objekte." (Vaihinger 1892,268) "Der vierte Absatz weist - gewissermaßen triumphierend - darauf hin, daß die Möglichkeit der Geometrie als einer synthetischen Erkenntnis a priori einzig und allein durch die bisher vorgetragene Theorie der Raumvorstellung begreiflich gemacht sei." (Vaihinger 1892,273) Vaihingers Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung beruht im wesentlichen auf seiner Auffassung, in ihrem ersten Absatz werde der "Nachweis wirklicher synth. Erkenntnisse a priori" und die Erklärung der Möglichkeit derselben zu ihrer Aufgabe erklärt (vgl. Vaihinger 1892,266). Diese Auffassung ist unzutreffend. Aufgabe der transzendentalen Erörterung ist lediglich zu zeigen, daß der in der
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metaphysischen Erörterung erzielte Befund, dem Begriff des Raumes liege eine Anschauung a priori zugrunde, es erlaubt, diesen Begriff als einen solchen auszuweisen, durch dessen Verwendung "die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann" (B 40). Um diese Aufgabe zu erfüllen, muß gezeigt werden, daß "wirklich dergleichen Erkenntnisse aus dem gegebenen Begriffe herfließen" (B 40). Keinesfalls aber soll die transzendentale Erörterung des Begriffs des Raumes zeigen, daß diese Erkenntnisse selbst wirkliche Erkenntnisse sind. Als "wirklich" soll das logische Folgeverhältnis der Verwendung des Begriffs des Raumes zur Möglichkeit weiterer Erkenntnisse a priori erwiesen werden; durch dieses Folgeverhältnis soll aber lediglich die Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse a priori verständlich gemacht werden. Zwar verfährt Kant in der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes insofern analytisch, als er die Verwendung des Begriffs des Raumes in der Geometrie auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin untersucht, er verfährt aber nicht, wie Vaihinger meint (vgl. Vaihinger 1892, 265), in dem weitergehenden Sinne analytisch, in dem er in den 'Prolegomena' aus der Voraussetzung der Wirklichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse die Wirklichkeit der von ihm behaupteten Bedingungen ihrer Möglichkeit abzuleiten versucht (vgl. Prol. § 4., 274 f.). In der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes gelten die Erkenntnisse der Geometrie noch nicht als wirkliche, d.h. solche Erkenntnisse, die objektive Gültigkeit beanspruchen können, sondern der Nachweis hierfür, d.h. der Nachweis der Möglichkeit der Anwendung der Sätze der Geometrie auf die Gegenstände der Erfahrung, soll erst in der transzendentalen Deduktion der Kategorien geführt werden. "Durch Bestimmung" der Anschauungen von Raum und Zeit können wir "Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach ...; ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt doch dabei noch unausgemacht"; objektiv gültige Erkenntnisse gewinnen wir durch die Kategorien, "selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern..., als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können" (B 147); und diese Möglichkeit nachzuweisen, ist Aufgabe der transzendentalen Deduktion der Kategorien, "denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände" (B123). Im dritten Absatz der Erörterung ist zwar ausdrücklich davon die Rede, daß die Anschauung des Raumes "vor den Objekten selbst vorhergeht" (B
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41), auch hiermit wird aber nicht, wie Vaihinger mein, die Wirklichkeit (vgl. Vaihinger 1892,268), sondern nur die Möglichkeit der Bezugnahme mit der Vorstellung des Raumes aufgegebene Gegenstände vorausgesetzt. Dies wird darin deutlich, daß das Verhältnis der Bezugnahme hier nur insoweit thematisiert wird, als "der Begriff" von räumlichen Gegenständen "a priori bestimmt werden kann" (vgl. B 41). Daß unter die Begriffe räumlicher Dinge, die in der Geometrie a priori gebildet werden können, wirkliche Gegenstände fallen können, soll erst in der transzendentalen Deduktion der Kategorien bewiesen werden. Vaihingers Vorwurf, in der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes liege eine "Verwechslung ... des Problems der reinen Mathematik als solcher ... und ihrer Anwendung auf die empirischen Objekte" vor (vgl. Vaihinger 1892, 275), ist also unzutreffend, da Kant die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Sätze der Geometrie hier gar nicht beantworten will, sondern diese Sätze als synthetische und apodiktisch gewiß wahre Erkenntnisse von Gegenständen nur möglicher Erfahrung voraussetzt und zeigen will, daß ihre Möglichkeit die Möglichkeit der Anschauung a priori des Raumes einschließt. Abgesehen davon, daß Kant die synthetischen und zugleich apodiktischen geometrischen Sätze nicht als wirkliche, sondern nur als möglicherweise objektiv gültige Erkenntnisse voraussetzt, ist Vaihingers Interpretation der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes zutreffend: Aus der Synthetizität dieser Sätze wird darauf geschlossen, daß dem Begriff des Raumes eine Anschauung zugrunde liegt, und aus ihrer Apodiktizität wird daraufgeschlossen, daß diese Anschauung eine Anschauung a priori ist. (vgl. Vaihinger 1892,266 f.)
H. II. Trendelenburgs Kritik an dem Schluß auf die Ungültigkeit der Vorstellung des Raumes für Dinge an sich In die Geschichte der Kant-Interpretation ist der von Vaihinger ausführlich dokumentierte Streit zwischen Trendelenburg und Fischer um die Frage eingegangen, ob Kant aus den Befunden seiner Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit darauf schließen könne, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit objektive Gültigkeit nur für die für uns sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände oder Zustände besitzen. Diese von Trendelenburg kritisierten Schlüsse werden von Kant erstmals im Anschluß an die metaphysischen und transzendentalen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit gezogen und an verschiedenen Stellen wie-
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derholt (B 42 f. u. B 49 f.; vgl.: B 332; B 459; Prol. § 10., 283). In bezug auf den Raum lauten die von Kant gezogenen Konsequenzen: "a) Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältnis aufeinander vor, d.i. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden, b) Der Raum ist nichts anderes, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d.i. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist.... Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen, vom Raum, von ausgedehnten Wesen usw. reden. Gehen wir von der subjektiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauung bekommen können, so wie wir nämlich von den Gegenständen affiziert werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Räume gar nichts. Dieses Prädikat wird den Dingen nur insofern beigelegt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind." (B 42 f.) Trendelenburg greift nicht die Prämissen der von Kant gezogenen Schlüsse an, d.h. er bestreitet nicht, daß die Vorstellungen des Raumes und der Zeit Anschauungen a priori sind, sondern er bezweifelt die Korrektheit dieser Schlüsse. "Wenn wir nun den Argumenten zugeben, daß sie den Raum und die Zeit als subjektive Bedingungen dartun, die in uns dem Wahrnehmen und Erfahren vorangehen, so ist doch mit keinem Worte bewiesen, daß sie nicht zugleich auch objektive Formen sein können." (Trendelenburg 1867,225) "Die Kraft dieses Arguments (daß der Raum nur subjektiv sei, weil er a priori ist) bestreiten die logischen Untersuchungen, weil es eine Lücke enthält, denn die Möglichkeit, daß das apriori, im Geiste subjektiv, doch zugleich objektive Geltung habe, ist außer Acht gelassen". (Trendelenburg 1867,230) Gegen die Kritik Trendelenburgs ist von Fischer eingewandt worden, daß "die Unmöglichkeit der Mathematik folgen" würde, wenn "der Raum etwas Reales an sich" wäre (vgl. Fischer 1865,175): "Denn gesetzt er sei unabhängig von der Anschauung etwas an sich, so könnte dieser Raum uns nur durch Erfahrung gegeben, so müßte er ein Erfahrungsobjekt und die mathematischen Einsichten Erfahrungsurteile sein, die als solche weder allgemein, noch notwendig sein können." (Fischer 1865,175)
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
Diese Entgegnung Fischers wird von Vaihinger zu Recht mit dem Vorwurf einer petitio principii zurückgewiesen. In Fischers Folgerung, daß der Raum uns nur durch Erfahrung gegeben werden könne, wenn er etwas Reales an sich wäre, stecke "ja eben die bestrittene Voraussetzimg", denn auch, wenn die Vorstellung des Raumes "eine apriorische Anschauung ist", könne der Raum "trotzdem zugleich etwas Reales an sich sein", (vgl. Vaihinger 1892,293) Fischer müßte zunächst beweisen, daß sich die Apriorität der Anschauung und die transzendentale Realität des Raumes ausschließen, um aus seiner transzendentalen Realität auf die Empirizität der Vorstellung des Raumes schließen zu können. Vaihinger schließt sich der Kritik von Trendelenburg an. Seines Erachtens müßte Kant bei einem korrekten Schluß darauf, daß die Vorstellung des Raumes keine objektive Gültigkeit für die Dinge an sich besitzt, neben dem Befund der metaphysischen Erörterung, daß diese Vorstellung eine Anschauung a priori ist, den "Obersatz" in Anspruch nehmen "Alles, was a priori angeschaut werden kann, kann nicht den Dingen selbst als solchen angehören", (vgl. Vaihinger 1892,288) Dieser Obersatz muß aber nach Vaihinger Widerspruch herausfordern: "Wir wollen zugestehen, daß es unwahrscheinlich wäre, daß eine a priori angeschaute Bestimmung zugleich auch noch den Dingen selbst angehören würde, aber wir wollen wenigstens nicht eine Unwahrscheinlichkeit in eine Unmöglichkeit verwandelt sehen. Es werden aber Viele gerade das Gegenteil des im Obersatz Gesagten wahrscheinlich finden; sie werden sogar eine besondere Teleologie der Natur darin erblicken, daß die a priori angeschaute Bestimmung auch zugleich den Dingen selbst angehöre." (Vaihinger 1892, 289/290) Dieser Einwand soll und kann nicht die Behauptung Kants widerlegen, die subjektiven Vorstellungen von Raum und Zeit seien notwendige Bedingungen der Identifikation jedes unseres Wissens für uns erkennbaren Gegenstandes oder Zustandes. Man könnte dem Einwand also ohne größeren Schaden für die Theorie Kants nachgeben, darauf verzichten zu behaupten, Raum und Zeit seien keine Eigenschaften von oder Verhältnisse zwischen Dingen an sich, und sich auf die Behauptung beschränken: Die Dinge an sich können wir nicht erkennen, sondern uns nur als ganz unbestimmte Gründe unserer Vorstellungen von Raum und Zeit denken; wir können nicht behaupten, daß sie räumlich oder zeitlich sind, wir können aber ebensowenig behaupten, daß sie nicht räumlich oder zeitlich seien. An einigen Stellen begnügt sich Kant tatsächlich mit der negativen Feststellung, wir könnten nicht behaupten,
Trendelenburgs Kritik
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daß die Dinge an sich räumlich oder zeitlich seien. So heißt es in den Schlüssen aus den Erörterungen der Zeit: "Wir können nicht sagen: alle Dinge sind in der Zeit, weil bei dem Begriff der Dinge überhaupt von aller Art der Anschauung derselben abstrahiert wird, diese aber die eigentliche Bedingung ist, unter der die Zeit in die Vorstellung der Gegenstände gehört. (B 51 /52) In diesem negativen Sinne ist auch die Behauptung aus den 'Prolegomena' zu verstehen, aufgrund der Anschauungen von Raum und Zeit könnten "Gegenstände a priori erkannt werden..., aber nur, wie sie uns erscheinen" (vgl. Prol. § 10., 283); und in diesem Sinne kann die Aussage aus dem "Beschluß der transzendentalen Ästhetik" verstanden werden, die synthetischen Urteile a priori, die aufgrund der Anschauungen von Raum und Zeit möglich seien, könnten "nie weiter, als auf Gegenstände der Sinne reichen, und nur für Objekte möglicher Erfahrung gelten" (B 73). In vielen Fällen aber, insbesondere in den ersten Abschnitten der Schlüsse aus den Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit, macht Kant die weitergehenden positiven Aussagen, der Raum und die Zeit seien keine Eigenschaften von oder Verhältnisse zwischen Dingen an sich (vgl. B 42 f. bzw. B 49 f.). Der Sinn dieser Aussagen und der Grund, aus dem sich Kant zu ihnen berechtigt sieht, wird deutlich, wenn man eine zur Prämissenmenge dieser Schlüsse zählende These der transzendentalen Erörterung des Begriffs des Raumes berücksichtigt. Die transzendentale Erörterung hat unter anderem die Aufgabe, die Realmöglichkeit der Anschauung a priori des Raumes nachzuweisen. Diese Aufgabe stellt sich, da alle unsere empirischen Anschauungen Vorstellungen sind, "wie sie unmittelbar von der Gegenwart des Gegenstandes abhängen"; vor dem Hintergrund unserer empirischen Anschauungen scheint es also "unmöglich, a priori ursprünglich anzuschauen, weil die Anschauung ohne einen weder vorher, noch jetzt gegenwärtigen Gegenstand, worauf sie sich bezöge, stattfinden müßte und also nicht Anschauung sein könnte", (vgl. Prol. § 8., 281/282) Zur Lösung dieses Problems dient Kant die Unterscheidung von Erscheinungen und Dingen an sich. Wenn wir über Anschauungen a priori verfügen, so können wir diese nur so als Anschauungen verstehen, daß wir uns denken, sie entstünden in uns bei Reizung unserer Sinne. Da diese Anschauungen aber Anschauungen a priori sind, können wir sie nicht als durch die Gegenstände unserer Erfahrung verursacht erkennen, sondern es bleibt uns nur die Möglichkeit anzunehmen, sie würden in uns durch irgendwelche nicht wahrnehmbaren und unerkennbaren Dinge hervorgerufen.
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
Daß es sich bei den Anschauungen a priori um sinnliche Vorstellungen handelt, die Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis von Gegenständen sind, läßt sich nicht durch die Annahme verständlich machen, daß die Dinge, die diese Vorstellungen in uns hervorrufen mögen, eine bestimmte gemeinsame Eigenschaft besitzen, denn durch diese Annahme könnte die universelle Gültigkeit, die wir den Anschauungen a priori zusprechen, nicht erklärt werden. Selbst wenn all die Dinge, die bisher die Anschauungen von Raum und Zeit in uns hervorgerufen haben mögen, entsprechende gemeinsame Eigenschaften besäßen, so würde dies doch nicht verständlich machen, warum wir uns alle Dinge, die wir uns als wahrnehmbar vorstellen können, nur als Gegenstände in Raum und Zeit vorstellen können. Selbst wenn wir alle bisher aufgetretenen äußeren Gegenstände z.B. als Dinge mit bestimmten Grauwerten wahrgenommen haben, können wir von ihrer Eigenschaft, mehr oder weniger grau zu sein, absehen und sie uns dennoch als wohlunterscheidbare räumliche Gegenstände vorstellen. Die Umkehrung dieses Abstraktionsverhältnisses jedoch ist nicht möglich, da wir Gegenstände unmöglich allein anhand irgendwelcher Grauwerte unterscheiden können. Die einzige Alternative zu der Annahme, daß unsere Anschauungen von Raum und Zeit von Eigenschaften irgendwelcher uns affizierenden Dinge abhängen, ist aber die Annahme, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit in uns bei Affektion durch ganz beliebige Dinge aufgrund einer subjektiven Disposition entstehen. "Offenbar" ist eine Anschauung a priori des Raumes also "nicht anders" möglich "als so fern sie bloß im Subjekte, als die formale Beschaffenheit desselben, von Objekten affiziert zu werden, und dadurch unmittelbare Vorstellung derselben d.i. Anschauung zu bekommen, ihren Sitz hat, also nur als Form des äußeren Sinnes überhaupt", (vgl. B 41) Wenn wir in subjektiven Dispositionen aber notwendige Bedingungen der Anschauungen a priori sehen, müssen wir auch annehmen, daß man sich die als räumlich und zeitlich angeschauten Dinge unabhängig von diesen Dispositionen nicht in dieser Weise vorstellen würde. Entsprechendes gilt für Vorstellungen, die in uns von wahrnehmbaren Gegenständen hervorgerufen werden. So verstehen wir z.B. unter der Süße eine Eigenschaft, die bestimmte Gegenstände nur für uns und uns ähnliche Wesen haben, und man würde diesem Verständnis widersprechen, wenn man annähme, daß es an sich süße Gegenstände sind, die die Vorstellung der Süße in uns hervorrufen. Wie Gegenstände der Erfahrung objektiv z.B. nicht süß sind, da sie objektiv unabhängig von nur individuellen Dispositionen zu beschreiben sind (vgl. B 376 f.), müssen die Dinge an sich selbst als nicht räumlich betrachtet werden, da sie unabhängig von jeder subjektiven
Strawsons Einwand
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Disposition beschrieben werden müßten. Beim "Begriff der Dinge überhaupt [wird] von aller Art der Anschauung derselben abstrahiert" (B 51); und geht man "von der subjektiven Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauungen bekommen können,... so bedeutet die Vorstellung vom Räume gar nichts" (vgl. B 42). Daß die Dinge an sich selbst betrachtet nicht räumlich und nicht zeitlich sind, ist aber lediglich die einzig sinnvolle Annahme und keine Erkenntnis ihrer Beschaffenheit. Die Dinge an sich selbst sind für uns unerkennbar.
H. III. Strawsons Einwand der Sinnlosigkeit des Begriffs einer Affektion durch Dinge an sich
Nach Peter F. Strawson kann aus der von ihm im wesentlichen zugestandenen Notwendigkeit, bei der Identifikation von Gegenständen die Vorstellungen von Raum und Zeit zu verwenden, nicht die Konsequenz gezogen werden, daß diese Vorstellungen auf einer subjektiven Disposition beruhen und Vorstellungen bloßer Erscheinungen sein müssen, da diese Konsequenz seines Erachtens keinen nachvollziehbaren Sirtn besitzt: "The doctrine that we are aware of things only as they appear and not as they are in themselves because their appearances to us are the result of our constitution being affected by the objects, is a doctrine that we can understand just so long as the 'affecting' is thought of as something that occurs in space and time; but when it is added that we are to understand by space and time themselves nothing but a capacity or liability of ours to be affected in a certain way by objects not themselves in space and time, then we can no longer understand the doctrine, for we no longer know what 'affecting' means, or what we are to understand by 'ourselves'." (Strawson 1966,41) Nach Kant besitzt der Begriff der Kausalität und damit der Begriff der Affektion aber auch dann noch einen bestimmten Sirtn, wenn man von allen Bedingungen seiner realen Anwendung absieht. Zwar wird mit der Verwendung der Begriffe von Ursache und Wirkung im Rahmen unserer Erfahrung stets eine Behauptung über die Zeitordnung von Erscheinungen gemacht und ist "die Zeitfolge", nämlich die NichtNachzeitigkeit der Ursache zur Wirkung, "das einzige empirische Kriterium der Wirkung in Beziehung auf die Kausalität der Ursache" (vgl. B 249); dies zwingt nach Kant jedoch nicht dazu, sich Verursachungsverhältnisse grundsätzlich als Verhältnisse der Nicht-Nachzeitigkeit des Auftretens einer Ursache zum Auftreten ihrer Wirkung zu
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
denken. Vielmehr soll es sich bei den Kategorien um Begriffe der synthetischen Verknüpfung eines gegebenen Mannigfaltigen irgendeiner beliebigen Anschauungsform handeln, (vgl. B 145) "In der Kategorie" der Kausalität, nämlich, "wenn ich die Zeit weglasse, in der etwas auf etwas anderes nach einer Regel folgt", denke ich durch den Begriff der Ursache "nichts weiter ..., als daß es so etwas sei, woraus sich auf das Dasein eines anderen" Dinges als dem der Ursache "schließen läßt"; weil "dieses Schließenkönnen" aber "Bedingungen erfordert, von denen ich nichts weiß", so kann der bloße Begriff der Ursache als Moment der reinen Kategorie der Kausalität noch "gar keine Bestimmung haben, wie er auf irgendein Objekt passe", (vgl. B 301) Dementsprechend bedeutet nach Kant "das Wort Ursache, von dem Ubersinnlichen gebraucht, nur den Grund", (vgl. KU 195) Zwar können wir uns nach Abstraktion von allen Vorstellungsinhalten unserer Begriffe keine positiven Begriffe wohlunterscheidbarer Gegenstände mehr machen, aber diese Unmöglichkeit erlaubt es nicht auszuschließen, daß auch anhand einer uns unbekannten Mannigfaltigkeit von Vorstellungen Existenzbehauptungen aufgestellt werden könnten. Da wir uns Vorstellungen nur in der Anschauungsform der Zeit bewußt machen können, können wir uns, wenn wir von der Zeitlichkeit unseres Erlebens absehen, eine synthetische Verknüpfung von Vorstellungen inhaltlich nicht vorstellen, aber wir können sie uns doch formal, nämlich als eine prinzipiengeleitete Verknüpfung irgendwelcher einem denkenden Subjekt bewußten Vorstellungen denken. Hierbei stellen wir uns diese Vorstellungen nicht qualitativ vor, sondern denken sie uns nur als Inhalte eines Bewußtseins, dessen gedankliche Struktur im wesentlichen der Struktur unseres Bewußtseins von unseren Vorstellungen gleicht. Wir können uns also denken, aber auch nur denken, daß die Existenz irgendwelcher uns unbekannten Dinge aufgrund einer uns unbekannten Disposition unserer selbst eine hinreichende Bedingung der Realität unserer Vorstellung von Raum und Zeit ist.
H. TV. Friedmans Kritik an Kants Bindung der Geometrie und der Arithmetik an Anschauungen a priori Michael Friedman hält Kants These, die Arithmetik und die Geometrie beruhten auf den Anschauungen a priori von der Zeit bzw. von Raum und Zeit, für eine Notlösung. Kant habe annehmen müssen, daß sich die Idee einer unbegrenzten Iteration mathematischer Operationen nicht mit rein logischen Mitteln erfassen lasse, da es unmöglich sei, in
Friedmans Kritik
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der syllogistischen Logik z.B. den für die Mathematik grundlegenden Gedanken einer unbegrenzten Fortsetzbarkeit der Zahlenreihe auszudrücken, sondern hierfür eine Kombination von All- und Existenzquantoren erforderlich ist; für Kant habe die einzige Möglichkeit, sich eine solche unbegrenzte Iteration zu denken, darin bestanden, sie sich anschaulich als unbegrenzte zeitliche Wiederholung vorzustellen, und folglich habe er eine reine Anschauung der Zeit angenommen (vgl. Friedman 1990,234). Aus demselben Grunde diene nach Kant die Vorstellung a priori des Raumes der Bildung geometrischer Begriffe: 'Tor Kant logic is of course syllogistic logic or (a fragment of) what we call monadic logic.... Monadic concepts can, of course, have infinite extensions: an infinite number o f objects can happen to fall under any given monadic formula. But monadic concepts (unlike polyadic formulas) cannot force their extensions to be infinite: they do not (and cannot) contain an infinity in their very idea, as it were. Hence, since the idea of space does have this latter property, it cannot be a (monadic) concept." (Friedman 1985,466 f.; vgl. Friedman 1990, 236) So könne man einen Kreis als eine ebene Figur definieren, deren sämtliche Punkte von einem gemeinsamen Mittelpunkt gleichweit entfernt sind; die hierin eingeschlossene Existenzbehauptung, daß es für jeden Punkt und jede Linie einen Kreis mit diesem Punkt als Mittelpunkt und dieser Linie als Radius gibt, könne in der syllogistischen Logik aber nicht ausgedrückt werden, da dies die Verwendung miteinander kombinierter All- und Existenzquantoren voraussetzt, (vgl. Friedman 1990, 238) In Kants Geometrie gehen die Vorstellungen von Raum und Zeit nach Friedman mit seinem kinematischem Konzept der Erzeugung von Linien und Figuren durch die kontinuierliche Bewegung von Punkten ein. (vgl. Friedman 1985, 475) Daß dieses Konzept grundlegend für Kants Geometrieverständnis ist, mache seine Aussage deutlich: "Bewegung, als Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Aktus der sukzessiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbildungskraft, und gehört nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transzendentalphilosophie" (B 155 Anm.). (vgl. Friedman 1985, 482) In diesem Konzept vermenge Kant aber physikalische und mathematische Begriffe (vgl. Friedman 1985, 482), und dies mache es ihm unmöglich, zwischen reiner und angewandter Geometrie im heutigen Sinne zu unterscheiden: "Thus, the proposition that space is infinitely divisible is a priori, because its truth - the existence of an appropriate 'model' - is a
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
condition for its very possibility. One simply cannot separate the idea or representation of infinite divisibility from what we would now call a model or realization of that idea; and our notion of pure (or formal) geometry would have no meaning whatever for Kant. (In a monadic context a pure or uninterpreted geometry7 cannot be a geometry at all, for it cannot represent even the idea of an infinity o f points.)" (Friedman 1985,469) Den Einwand, daß Kant an der Aufstellung einer reinen Geometrie im modernen Sinne gar nicht interessiert gewesen ist, sondern mit seiner Fundierung der Geometrie auf die Anschauung a priori vielmehr habe ein Modell für ein logisch mögliches System der Geometrie aufstellen wollen, will Friedman nicht gelten lassen. Zum einen habe Kant gar keinen Begriff von logisch möglichen Strukturen gehabt, im Rahmen derer sowohl die Euklidische als auch eine nicht-Euklidische Geometrie möglich sind (vgl. Friedman 1985, 502/503), zum anderen betone Kant ausdrücklich, daß durch die Beteiligung der Vorstellungen von Raum und Zeit an mathematischen Konstruktionen oder Operationen noch völlig unausgemacht bleibe, "ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen" (vgl. B 147) (vgl. Friedman 1985, 504); und schließlich wäre unsere Anschauung nach Friedman ein völlig ungeeignetes Mittel zur Bewahrheitung formaler geometrischer Sätze, da unsere Fähigkeit zur Veranschaulichung von Figuren weder die Allgemeinheit noch die Präzision besitzt, die erforderlich sind, um die entsprechenden Unterscheidungen zu treffen (vgl. Friedman 1985,499). Nach Kant gehe die Vorstellung des Raumes vielmehr schon aus methodischen Gründen in die Geometrie ein, nämlich im Rahmen der Beweise geometrischer Sätze. Wir sollten es z.B. einem Dreieck nicht unmittelbar ansehen, daß zwei seiner Seiten zusammengenommen größer sind als die dritte, sondern die Anschauung a priori solle es uns erlauben, beim Beweis dieses Satzes seine Seiten zu verlängern, Punkte zu verbinden usw. (vgl. Friedman 1985, 500); und die reine Anschauung der Zeit diene nach Kant der schrittweisen Uberprüfung von Beweisen daraufhin, ob jede der verwendeten Regeln korrekt angewendet worden ist (vgl. Friedman 1985,502). An Friedmans Interpretation ist richtig, daß die Geometrie und die Arithmetik nach Kant von den Vorstellungen des Raumes oder der Zeit aus methodischen Gründen Gebrauch machen. Friedman ist jedoch nicht zuzustimmen, wenn er hieraus die Konsequenz zieht, Kant habe mit seiner Geometrie nicht zugleich auch ein Modell liefern, sondern Sätze einer reinen Geometrie im modernen Sinne formulieren wollen und zu diesem Zweck die Apriorität der Vorstellung des Raumes ange-
Friedmans Kritik
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norrunen (vgl. Friedman 1990,239). Kant ist eindeutig weniger an den Möglichkeiten der symbolischen Darstellung geometrischer Sätze, sondern vielmehr an den Bedingungen der Wahrheit der Sätze der Euklidischen Geometrie interessiert. Seine These, die Geometrie beruhe auf einer Anschauung a priori, soll "die Möglichkeit der Geometrie als einer synthetischen Erkenntnis a priori begreiflich" machen (B 41); und die These von der Apriorität der Vorstellung des Raumes soll nicht durch den erfahrungsunabhängigen Charakter der Geometrie, sondern in bezug auf die "Möglichkeit der Erscheinungen" bewiesen werden (vgl. B 39). Die Geometrie wird von Kant lediglich als ein "glänzendes Beispiel" für die Richtigkeit dieser These angeführt (vgl. B 55, B 4, B17, B 740). Zwar verfügte Kant nicht über die formalen Mittel, die es ihm erlaubt hätten, einen positiven formalen Begriff von logisch möglichen nicht Euklidischen Strukturen zu bilden, aber es schien ihm durchaus denkbar, daß es in anderen Welten uns unvorstellbare anders strukturierte Räume geben könnte. So behauptet er in den 'Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte' von 1747, daß das Gesetz der Einwirkung von Körpern aufeinander, nach dem der Raum "die Eigenschaft der dreifachen Dimension habe,... willkürlich sei, und daß Gott dafür ein anderes hätte wählen können", aus dem "eine Ausdehnung von anderen Eigenschaften und Abmessungen geflossen wäre"; und seines Erachtens wäre "eine Wissenschaft von allen diesen möglichen Raumarten ... unfehlbar die höchste Geometrie, die ein endlicher Verstand unternehmen könnte", obwohl wir bei uns "die Unmöglichkeit" bemerken müssen, "einen Raum von mehr als drei Abmessungen uns vorzustellen", (vgl. Gedanken, 24) Einen positiv vorstellbaren "Sinn und Bedeutung" aber soll unseren Begriffen nach Aussagen der 'Kritik der reinen Vernunft' nur "unsere sinnliche und empirische Anschauung" geben können (B 149). Nach Kant wählt unsere Anschauung also sehr wohl aus verschiedenen logisch möglichen Raumarten den uns einzig vorstellbaren und an den Gegenständen der Erfahrung wahrnehmbaren Raum aus und verschafft so - modern gesprochen - einer logisch möglichen Geometrie ein Modell. Daß Kant behauptet, mathematische Begriffe könnten nur insofern Erkenntnisse verschaffen, als man voraussetzt, daß sie "auf empirische Anschauungen angewandt werden können" (B 147), heißt keineswegs, wie Friedman meint, daß nach Kant nur die angewandte Geometrie einen Gegenstandsbereich hat (vgl. Friedman 1985,504). Kant besteht lediglich darauf, daß jede Disziplin, die als Wissenschaft, d.h. als methodisches Verfahren zum Erwerb von Erkenntnissen gelten können soll, der Willkürlichkeit entzogen sein muß; und der einzige Weg, dies sicherzu-
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
stellen, scheint ihm zu sein, von wissenschaftlichen Verfahren ihre Relevanz für die Gewinnung von Erfahrungen zu fordern. Die Euklidische Geometrie scheint ihm eine solche Relevanz zu besitzen, da seines Erachtens z.B. die "bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel konstruieren, mit derjenigen gänzlich einerlei ist, welche wir in der Appreherision einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen" (B 271). Ob eine bestimmte logisch mögliche und symbolisch repräsentierbare relationale Struktur eine geometrische Struktur a priori im Sinne Kants ist, hängt nach seiner Argumentation in der transzendentalen Ästhetik nicht davon ab, ob sie die einzig denkbare relationale Struktur ist, sondern davon, ob die Mittel, die man verwenden muß, um ihr ein Modell zu verschaffen, auch verwendet werden müßten, um jeden beliebigen uns vorstellbaren wohlunterscheidbaren Gegenstand wahrzunehmen. In der transzendentalen Ästhetik soll nicht gezeigt werden, welche Vorstellungsinhalte Begriffe haben können, "vermittels" derer wir uns, "es sei geradezu (direkte) oder im Umschweife (indirekte),... zuletzt auf Anschauungen... beziehen" (B 33), sondern diese Anschauungen selbst, d.h. die unseren Erkenntnissen zugrundeliegenden, sich "unmittelbar" auf Gegenstände beziehenden Vorstellungen (vgl. B 33), sollen in den Formen charakterisiert werden, in denen sie in allen möglichen Fällen auftreten. Friedman ist der Ansicht, Kants These von der Apriorität des Vorstellung des dreidimensionalen Raumes werde letztlich durch die Möglichkeit der Bildimg von Begriffen mehr als dreidimensionaler Riemannscher Räume und beliebiger relationaler geometrischer Strukturen widerlegt (vgl. Friedman 1985,505). Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn wir uns vorstellen könnten, daß ein so strukturierter Raum unser Erlebnis- und Erfahrungsraum ist. Die Vorstellung des Raumes ist nach Kant eine notwendige Bedingung jeder unseres Wissen möglichen Wahrnehmung und Erfahrung wohlunterscheidbarer Gegenstände; und mit dieser These Kants ist es durchaus vereinbar, daß in den modernen Wissenschaften zum Zwecke der Erklärung der Eigenschaften beobachtbarer Gegenstände abstrakte Gegenstände oder mehr als dreidimensionale Räume eingeführt werden.
Konrad Cramers Interpretation des Grundsatzes der Kausalität
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H. V. Konrad Cramers Interpretation des Grundsatzes der Kausalität als nicht-reiner Satz a priori Die im Rahmen der neueren Kantliteratur ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Problem des Status des Grundsatzes der Kausalität stellt die Arbeit von Konrad Cramer 'Nicht-reine synthetische Urteile a priori: ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants' von 1985 dar. Wie der Titel dieser Arbeit breits andeutet, versucht Cramer zu zeigen, daß es sich bei den "Analogien der Erfahrung", zu denen der Grundsatz der Kausalität gehört, um ein "System nicht-reiner synthetischer Urteile a priori" handelt (Cramer 1985, 316 ff.). Hierfür trägt Cramer sowohl exegetische als auch systematische Argumente vor. (vgl. Cramer 1985,15) Als Ausgangspunkt seiner Interpretation wählt Cramer "Kants negative Bestimmung des Begriffs "Erkenntnis a priori'" in der Einleitung zur zweiten Auflage der 'Kritik' (vgl. Cramer 1985,17), daß man unter Erkenntnissen a priori im Unterschied zu "empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung, haben", solche Erkenntnisse zu verstehen habe, die "von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängig]" sind (vgl. B 2). Cramer versteht diese Bestimmung dahingehend, daß es "ihr eigentlicher propositionaler Gehalt" sei, "daß eine Erkenntnis zwar dann, aber nicht nur dann eine Erkenntnis a priori ist, wenn sie von allen Eindrücken der Sinne unabhängig ist" (Cramer 1985, 24); Erkenntnisse a priori könnten durchaus "zwar von der Erfahrung, aber nicht von allen Eindrücken der Sinne unabhängig" sein ( vgl. Cramer 1985,25). Bestätigt sieht Cramer diese Interpretation durch die nur eine Seite später folgende Aussage Kants, daß "von den Erkenntnissen a priori ... diejenigen rein [heißen], denen gar nichts Empirisches beigemischt ist", und so "z.B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori, allein nicht rein [ist], weil Veränderung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann" (vgl. B 3): "Nimmt man diese Bemerkung beim Wort, so läßt Kant innerhalb der Klasse der Erkenntnisse a priori einen Unterschied zwischen reinen und nicht-reinen Erkenntnissen zu. 'Rein' ist nach dieser Bemerkung eine Erkenntnis a priori genau dann, wenn ihr 'gar nichts Empirisches beigemischt ist', 'rucht-rein' eine Erkenntnis a priori genau dann, wenn von ihr das kontradiktorische Gegenteil dieser Kennzeichnung gilt." (Cramer 1985,28)
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
In der Tat scheint die Aussage Kants, reinen Erkenntnissen sei "gar nichts Empirisches beigemischt" (B 3), Cramers Interpretation der Bestimmung der Erkenntnisse a priori aus B 2 zu bestätigen, denn das "Empirisch[e]" einer Erkenntnis besteht nach Kant in "dem Eindrucke der Sinne" (vgl. B 400), also genau in dem, wovon nach Cramers Interpretation nur reine Erkenntnisse unabhängig sind. Gegen Cramers Auffassung, eine Erkenntnis a priori sei "genau dann" nicht rein, wenn ihr etwas Empirisches beigemischt ist (Cramer 1985,28), scheint aber Kants Erklärung zu sprechen, der Satz 'eine jede Veränderung hat ihre Ursache' sei ein nicht-reiner Satz a priori, weil sein Subjektbegriff "nur aus der Erfahrung gezogen werden kann" (vgl. B 3). Denn dieser Erklärung zufolge hat die 'Beimischung' von Empirischem zu diesem Satz gerade die Form der Abhängigkeit dieses Satzes von der Erfahrung. Nicht-reine Erkenntnisse scheinen sich nach Kant also von reinen nicht, wie Cramer meint, dadurch zu unterscheiden, daß sie zwar von der Erfahrung, nicht aber von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sind (vgl. Cramer 1985, 26), sondern nicht-reine Erkenntnisse a priori scheinen sowohl von der Erfahrung abhängig sein als auch Beimischungen von Empirischem besitzen zu können. Zur Stützung seiner These beruft sich Cramer auf Kants unmittelbar auf diese Charakterisierung in B 2 folgende "Päzisierung" (Cramer 1985, 28), er verstehe im folgenden "unter Erkenntnissen a priori nicht solche ..., die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden", und diesen seien "empirische Erkenntnisse, oder solche, die nur a posteriori, d.i. durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt" (B 2/3). "Mit diesem Hinweis will Kant, wie die im Text unmittelbar vorhergehende Analyse des logischen Status der Prognose des Eintritts eines zukünftigen Ereignisses (des Einsturzes eines Hauses) zeigt, diejenigen Erkenntnisse aus dem Bereich der in der Kritik der reinen Vernunft zu diskutierenden ausschließen, die zwar nach Kants Theorie des Syllogismus als Konklusionen gültiger 'Vernunftschlüsse' mit wahren Prämissen wirklich Erkenntnisse a priori sind, aber auf solchen Prämissen beruhen, die ihrerseits keine Erkertntnisse a priori sind. Eine nicht-reine Erkenntnis a priori ist demnach nicht eine solche, die nur relativ auf andere Erkenntnisse, die selber keine Erkenntnisse a priori sind, nämlich als Konklusionen aus solchen Erkenntnissen als Erkenntnis a priori bezeichnet w e r d e n kann." (Cramer 1985,28) Kants Analyse der Prognose des Einsturzes eines Hauses, auf die sich Cramer hier bezieht, lautet:
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Man "pflegt wohl von mancher aus Erfahrungsquellen abgeleiteten Erkenntnis zu sagen, daß wir ihrer a priori fällig oder teilhaftig sind, weil wir sie nicht unmittelbar aus der Erfahrung, sondern aus einer allgemeinen Regel, die wir gleichwohl selbst doch aus der Erfahrung entlehnt haben, ableiten. So sagt man von jemand, der das Fundament seines Hauses untergrub: er konnte es a priori wissen, daß es einfallen würde, d.i. er durfte nicht auf die Erfahrung, daß es wirklich einfiele, warten. Allein gänzlich a priori konnte er dieses doch auch nicht wissen. Denn daß die Köiper schwer sind, und daher, wenn ihnen die Stütze entzogen wird, fallen, mußte ihm doch zuvor durch Erfahrung bekannt werden." (B 2) Kant schließt an dieser Stelle nicht, wie Cramer meint, alle Konsequenzen aus empirischen Prämissen, sondern nur solche aus dem Bereich der Erkenntnisse a priori aus, die aus empirischen Prämissen nur unter Zuhilfenahme empirischer Gesetze abgeleitet werden können. Denn nicht der empirische Charkter der Prämisse, daß jemand das Fundament seines Hauses untergrub, sondern der empirische Charakter der verwendeten Regel, daß Körper fallen, wenn ihnen die Stütze entzogen wird, ist nach Kant der Grund dafür, daß es sich bei der Konsequenz nicht um eine Erkenntnis a priori handelt. In bezug auf jede in einem Schluß verwendete Regel aber kann nach Kant zwischen ihrem Inhalt und ihrer Form unterschieden werden (vgl. Logik § 60., 121); und die Erkenntnis einer Konsequenz, bei deren Folgerung man eine empirische Regel als "gegebe[n]" voraussetzt (vgl. Logik § 56., 120) und nur deren nicht empirischen formalen Sinngehalt wie z.B. die Regel des modus ponens verwendet (vgl. Logik § 75., 129), ist nach Kant durchaus eine Erkenntnis a priori: "Der Vernunftschluß prämittiert eine allgemeine Regel und eine Subunter die Bedingung derselben. Man erkennt dadurch die Konklusion a priori nicht im Einzelnen, sondern als enthalten im Allgemeinen und als notwendig unter einer gewissen Bedingung." (Logik § 57. Anm., 120; vgl. B 378)
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Aus ähnlichen Gründen sind nach Kant auch "alle analytischefn] Urteile ... Erkenntnisse a priori, die Begriffe, die ihnen zur Materie dienen, mögen empirisch sein, oder nicht" (Prol. § 2., 267). Es "wäre ungereimt, ein analytisches Urteil auf Erfahrung zu gründen, weil ich aus meinem Begriff gar nicht herausgehen darf, um das Urteil abzufassen, und also kein Zeugnis der Erfahrung dazu nötig habe.... Denn ... ich ... habe ... alle Bedingungen zu meinem Urteile schon in dem Begriffe, aus welchem ich das Prädikat nach dem Gesetze des Widerspruchs nur herausziehen, und dadurch zu-
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gleich der Notwendigkeit des Urteils bewußt werden kann, welche mir Erfahrung nicht einmal lehren würde." (B 11/12) Zwar handelt es sich bei dem 'Herausziehen' des Merkmalsgehaltes des Prädikats eines analytischen Urteils aus seinem Subjektbegriff nicht um die Ableitung einer Konsequenz aus einem Ober- und Untersatz, d.h. nicht um einen Vernunftschluß, aber dieses 'Herausziehen' läßt sich in der Form eines unmittelbaren, d.h. eines 'Verstandesschlusses' (vgl. B 360) verdeutlichen, da die Teile des Merkmalsgehaltes eines komplexen Begriffs nach Kant nur in synthetischen Urteilen zu dessen Gesamtmerkmalsgehalt verbunden worden sein können: Da "der Verstand ... nichts auflösen" kann, wo er "vorher nichts verbunden hat..., weil es nur durch ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können" (B 130), "gründen sich" alle Begriffe "auf der Spontaneität des Denkens" (B 93). Bei der Bildung eines Begriffs "fange ich" also "von den Teilen an und gehe von diesen" durch eine "Synthesis ... zum Ganzen fort" (Logik Einl., 63); und diese "Verbindung koordinierter" oder "subordinierter Merkmale... zum Ganzen des Begriffs" (Logik Einl., 59), hat nach Kant die Form von Urteilen, da sich "alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen" lassen (B 94). Jede "Deutlichmachung" eines Begriffs in einem analytischen Urteil (vgl. Logik Einl., 64) kann also als unmittelbarer Schluß aus einem synthetischen Urteil dargestellt werden, und dieser Schluß ist a priori möglich, da das hierbei verwendete Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs (vgl. B 291) ein reiner Satz a priori ist (vgl. B 77). Daß sich nach Kant alle nicht-reinen Erkenntnisse a priori als Konsequenzen aus empirischen Prämissen darstellen lassen, geht aus dem von ihm eingangs des zweiten Teils der Einleitung zur zweiten Auflage angegebenen ersten "Merkmal" reiner Erkenntnisse (vgl. B 3) hervor. Dieses Merkmal besteht aus zwei Teilmerkmalen, von denen erst das zweite Erkenntnisse, die "schlechterdings a priori", d.h. - dem von Kant angegebenen Zweck des Merkmals nach - "rein[e]" Erkenntnisse a priori sind, von anderen Erkenntnissen a priori unterscheidet (vgl. B 3). Bei diesen anderen Erkenntnissen a priori kann es sich der von Kant am Ende des ersten Teils gegebenen Klassifikation zufolge nur um nicht-reine Erkenntnisse a priori handeln (vgl. B 3). Den angegebenen Teilmerkmalen nach gilt nun für jedes Urteil a priori, daß es "zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird", (vgl. B 3) Urteile, die "schlechterdings a priori" sind, sind aber im Unterschied zu den anderen Urteilen a priori "überdem auch von keinem abgeleitet, als ... [das] selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist". (B 3) Nicht-reine Urteile
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a priori werden also zugleich mit ihrer Notwendigkeit gedacht, sind aber von Urteilen abgeleitet, die selbst nicht als notwendiger Satz gültig sind. Bei Urteilen, die im Unterschied zu Urteilen a priori nicht als notwendiger Satz gültig sind, kann es sich der von Kant gegebenen Klassifikation zufolge nur um empirische Urteile handeln (vgl. B 2/3). Nicht-reine Erkenntnisse a priori sind also Urteile, die zwar mit ihrer Notwendigkeit gedacht werden, aber von empirischen Urteilen abgeleitet sind. Die Eigenschaft nicht-reiner Sätze a priori, aus empirischen Erkenntnissen abgeleitet zu sein, ist mit ihrer Eigenschaft, "zugleich mit [ihrer] Notwendigkeit gedacht" zu werden (vgl. B 3) vereinbar, da Sätze nach Kant nur in ihrer Form als notwendig aufgefaßt werden. "Die Modalität der Urteile" trägt "nichts zum Inhalte des Urteils" bei, sondern betrifft "nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt" (B 99/100). Bei der Charakterisierung eines analytischen Urteils oder eines Schlusses als notwendig werden sein Subjektbegriff bzw. seine Prämissen also als gegeben vorausgesetzt (vgl.: B 190; Logik § 57. Anm., 120), und deren Empirizität beeinträchtigt die Apriorität des Urteils bzw. des Schlusses nicht. Ein Widerspruch scheint aber auf den ersten Blick zwischen Kants Charakterisierung nicht-reiner Sätze a priori als ihrer Form nach notwendige Sätze, die von empirischen Sätzen abgeleitet sind, in B 3 und seiner Aussage in B 2 / 3 zu bestehen, er verstehe unter Erkenntnissen a priori solche, die "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden". Ein Widerspruch zwischen diesen Aussagen läge vor, wenn Kant mit dem Ausdruck 'schlechterdings' den Grad der Unabhängigkeit der Erkenntnisse a priori von der Erfahrung qualifizieren und behaupten würde, daß Erkenntnisse a priori völlig unabhängig von der Erfahrung sind. Kant erklärt jedoch, daß sich Erkenntnisse a priori durch ihre Eigenschaft, "schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig" zu sein, von solchen Erkenntnissen unterscheiden, die lediglich "von dieser oder jener ... Erfahrung unabhängig" sind (vgl. B 2/3). Kant qualifiziert mit dem Ausdruck 'schlechterdings' also nicht den Grad, sondern er qualifiziert den Umfang der Unabhängigkeit der Erkenntnisse a priori von der Erfahrung. Eine Unabhängigkeit von 'schlechterdings aller' Erfahrung kann aber durchaus auch in eingeschränktem Grade vorliegen, wie es nach Kant bei nicht-reinen Sätzen a priori der Fall ist, da diese nur unter Voraussetzung von Sätzen notwendig in genau ihrer Form zu bilden sind, die ihrerseits nicht notwendig gelten, sondern auf empirischen Anschauungen beruhen.
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Kant schließt Konklusionen aus empirischen Prämissen in der 'Kritik der reinen Vernunff also keineswegs, wie Cramer meint (vgl. Cramer 1985, 28), aus der Klasse der Erkenntnisse a priori aus. Vielmehr bezeichnet er den Vernunftschluß ausdrücklich als "Urteil... a priori" (vgl. B 378); und nach dem ersten von ihm in B 3 angegebenen Merkmal reiner Erkenntnisse ist es für nicht-reine Erkenntnisse a priori, d.h. insbesondere auch für alle analytischen Urteile mit einem empirischen Subjektbegriff (vgl.: B 11; B 190 f.; Prol § 2., 267), charakteristisch, zwar ihrer Form nach notwendig, aber ihrer Materie nach von empirischen Erkenntnissen abgeleitet zu sein. Wenn nicht-reinen Erkenntnissen a priori Empirisches und somit Eindrücke der Sinne (vgl. B 400) aber gerade auf dem Wege ihrer Abhängigkeit von der Erfahrung beigemischt sind, kann Kant mit seiner Bestimmung der Erkenntnisse a priori als solche, die "von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne" unabhängig sind, in B 2 nicht schon, wie Cramer meint, "auf einen Unterschied innerhalb des Bereichs der Erkenntnisse a priori aufmerksam ... machen" (vgl. Cramer 1985,24), sondern er bestimmt alle Erkenntnisse a priori durch die hier genannten Eigenschaften, ohne zwischen den Graden zu unterscheiden, in denen eine Erkenntnis unabhängig von der Erfahrung und von Sirineseindrücken sein kann. Gegen die Möglichkeit, Kants Bestimmung in B 2 auf alle Erkenntnisse a priori zu beziehen, argumentiert Cramer, indem er zwei Interpretationen, die man in dieser Absicht vertreten könnte, als unhaltbar erweist. Die zweite dieser Interpretationsmöglichkeiten ist die uninteressantere. Ihr zufolge stünden "die Ausdrücke 'von der Erfahrung unabhängig' und 'von allen Eindrücken der Sinne unabhängig'... im Verhältnis logischer Äquivalenz oder Bedeutungsgleichheit" und folglich der "Koextensivität", und dementsprechend wäre eine Erkenntnis a priori dieser Auffassung nach "genau dann von der Erfahrung unabhängig, wenn sie von allen Eindrücken der Sinne unabhängig ist". (Cramer 1985,23) Gegen diese Interpretationsmöglichkeit führt Cramer zu Recht an, daß man in ihrem Falle "mit dem von Kant wirklich verwendeten Konnektiv 'und selbst' gar nichts anfangen" könnte, sondern "eine ganz andere ..., nämlich eine sprachliche Wendung wie 'von der Erfahrung und das heißt von allen Eindrücken der Sinne unabhängig'", zu erwarten wäre (Cramer 1985,24). Systematisch wäre gegen diese Interpretation einzuwenden, daß nach Kant bloße Eindrücke der Sinne keine Erfahrungen sind, sondern es erst eine Leistung unserer "Verstandestätigkeit" ist, "den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten", (B 1) und die Ausdrücke
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'unabhängig von der Erfahrung' und 'unabhängig von Sinneseindrücken' folglich unmöglich denselben Sinn haben können. Die erste, von Cramer ebenfalls abgelehnte Interpretation geht davon aus, daß "die Konjunktion der Ausdrücke 'von der Erfahrung unabhängig' und 'von allen Eindrücken der Sinne unabhängig' keine tautologische Verknüpfung logisch äquivalenter oder auch nur koextensiver Ausdrücke ist", sondern Kant mit seiner Bestimmung in B 2 von jeder Erkenntnis a priori fordert, daß sie "nicht nur von der Erfahrung, sondern auch von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sein muß" (vgl. Cramer 1985,19). Zu Recht stellt Cramer fest, daß diese Interpretation "jedenfalls prima facie mit dem Textbestand von Kants negativer Erklärung ... gut zurecht zu kommen" scheint, da "das Konnektiv 'und selbst' ... für sie die Bedeutung von 'und darüber hinaus auch noch'" besitzt; sie könne zutreffen, wenn "es Erkenntnisse gibt, die zwar von der Erfahrung, aber nicht von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sind", (vgl. Cramer 1985,20) Darüber hinaus nimmt Cramer an, daß diese Interpretation Kants Bestimmung "als eine Nominaldefinition" auffaßt: "Sie versteht den Ausdruck 'von der Erfahrung unabhängig' als die Angabe des Gattungsmerkmals, in dem eine Erkenntnis a priori mit anderen Erkenntnissen übereinkommt, und den Ausdruck 'von allen Eindrücken der Sinne unabhängig' als Angabe des artbildenden Unterschieds.. Kraft dessen sich eine Erkenntnis a priori von denjenigen Erkenntnissen unterscheidet, die zwar von der Erfahrung, aber nicht von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sind." (Cramer 1985,20) Wie Cramer zutreffend feststellt besagt diese Interpretation damit, "der Sache nach, daß eine Erkenntnis genau dann eine Erkenntnis a priori ist, wenn sie von allen Eindrücken der Sinne unabhängig ist"; dies habe zur Folge, "daß der in Kants negativer Bestimmung ... auftretende Hinweis auf die Erfahrungsunabhängigkeit... der Sache nach überflüssig werden muß", und aus diesem Grund könne diese "Interpretation entgegen dem ersten Anschein mit dem Konnektiv 'und selbst' doch nicht den spezifizierenden Sinn verbinden", den sie ihm zu geben versucht. (vgl. Cramer 1985,22) Entgegen der Annahe Cramers scheint es jedoch zweifelhaft, ob mit der Interpretation des Ausdrucks 'und selbsf im Sinne von 'und darüber hinaus auch noch' die weitergehende Auffassung verbunden werden muß, dieser Ausdruck leite im Ramen einer Nominaldefinition die Angabe der spezifizierenden Differenz ein (vgl. Cramer 1985, 20). Da nach Kant alle Erfahrungen ihren empirischen Gehalt durch Sinnes-
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eindrücke erhalten (vgl. B 118), ist vielmehr zu vermuten, daß Erkenntnisse, die von der Erfahrung abhängig sind, eine besondere Teilklasse der Erkenntnisse bilden, die von Sinneseindrücken abhängig sind, so daß Kant in seiner Bestimmung in B 2 die Erkenntnisse a priori von einem zunehmend größeren Umfang von nicht-apriorischen Erkenntnissen ausnimmt. Diesen Sinn kann Kants Bestimmung freilich nur haben, wenn es nach Maßgabe der 'Kritik der reinen Vernunft' neben Erkenntnissen, die von der Erfahrung abhängen, auch noch solche gibt, die von Sinneseindrücken aber nicht von Erfahrungen abhängen. Cramer ist der Auffassung, daß diese Voraussetzung nicht erfüllt ist und der Ausdruck 'und selbst' dehalb gar nicht im Sinne von 'und darüber hinaus auch noch' verstanden werden kann. Es sei "nicht leicht zu sehen, auf welche Weise innerhalb des Bereichs derjenigen epistemischen Sachverhalte, die Kants Erkenntnistheorie als Erkenntnisse in sensu stricto zuläßt, solche identifiziert werden können, die zwar von der Erfahrung, aber nicht von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sind" (Cramer 1985, 20). Bei der Suche nach solchen epistemischen Sachverhalten könne man bestenfalls an Wahrnehmungen denken; diese seien aber "nach Kants eigenen Äußerungen über ihren epistemischen Status noch nicht zu derjenigen Erkenntnis verbunden, die Erfahrung heißt", (vgl. Cramer 1985,20; vgl. B 218/219, B 234) Deshalb könnten "'bloße Wahrnehmungen' noch nicht Erkenntnisse genannt werden" und fielen "als Kandidaten für Erkenntnisse, die zwar von der Erfahrung, aber nicht von allen Eindrücken der Sinne unabhängig sind, aus"; "andere Kandidaten" seien "aber für die in Frage stehende Interpretation nicht zur Hand", (vgl. Cramer 1985,21) Einen solchen anderen Kandidaten gibt es aber durchaus, und Kant stellt ihn in dem seiner negativen Bestimmung der Erkenntnisse a priori in B 2 unmittelbar vorhergehenden Absatz vor, wenn er die Vermutung ausspricht, es "könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetzes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt" (B1). Erfahrungen selbst sind nach Kant zwar von der Erfahrung, nicht aber von Eindrükken der Sinne unabhängig. Berücksichtigt man dies bei der Interpretation der negativen Bestimmung von Erkenntnissen a priori in B 2, so besagt diese, daß Erkenntnisse a priori weder von Erfahrungen abhängig, noch selbst Erfahrungen sind. Mit dieser negativen Bestimmung weist Kant also nicht bereits auf den Unterschied zwischen nicht-reinen und reinen Erkenntnissen a priori hin, sondern nicht-reine unterscheiden sich von reinen Erkenntnissen a priori vielmehr dadurch, daß sie zwar
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wie diese ihrer Form nach notwendig, aber ihrem Inhalt nach von empirischen Erkenntnissen abgeleitet sind und ihnen auf diese Weise etwas Empirisches beigemischt ist (vgl. B 3). Da Cramer nicht zwischen dem Umfang und dem Grad der Unabhängigkeit der Erkenntnisse a priori von empirischen Erkenntnissen unterscheidet, kommt er zu der unzutreffenden Auffassung, Kant schließe in der 'Kritik der reinen Vernunff Erkenntnisse, die von empirischen Erkenntnissen abgeleitet sind, aus dem Bereich der Erkenntnisse a priori aus (vgl. Cramer 1985,28). Dementsprechend versteht Cramer den von Kant in B 3 als Beispiel einer nicht-reinen Erkenntnis a priori angeführten Satz "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" nicht als einen analytischen Satz mit einem empirischen Subjektbegriff, sondern als einen synthetischen Satz, nämlich als "untechnische Formulierung des Prinzips der Kausalität" (Cramer 1985,31); und folglich interpretiert Cramer die Anführung dieses Satztes in B 3 dahingehend, daß "Kant in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft Anlaß genommen" habe, "die zweite Analogie als nicht-reines Urteil a priori zu kennzeichnen" (Cramer 1985,31). Mit dieser Interpretation droht Cramer jedoch, Kant einen direkten Widerspruch zu unterstellen, denn schon eine Druckseite nach der Anführung dieses Satzes als Beispiel nicht-reiner Erkenntnisse a priori sagt Kant, "der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", sei "ein Beispiel" für "reine Urteile a priori" (vgl. B 4 / 5 ) ; und im Unterschied zu Kants Aussage in B 3 ist in B 5 ausdrücklich davon die Rede, daß der hier angeführte Satz ein "Beispie[l] zum Beweise der Wirklichkeit reiner Grundsätze a priori in unserem Erkenntnisse" sei. Der Grundsatz der Kausalität wird von Kant also ausdrücklich als reines Urteil a priori bezeichnet. Cramer versucht diese Tatsache mit der von ihm angenommenen Einstufung des Grundsatzes der Kausalität als nicht-reiner Satz a priori in B 3 dadurch zu vereinbaren, daß er annimmt, bei der Bezeichnung des Grundsatzes der Kausalität als reiner Grundsatz in B 5 werde "die spezifizierende Ausdrucksverbindung (reines Urteil a priori = Urteil, das a priori und rein ist) als redundante Formulierung (reines Urteil a priori = Urteil, das rein, d.h. a priori ist) gebraucht", d.h. von Kant würden an dieser Stelle "die Ausdrücke 'rein' und 'a priori' ... als äquivalente Termini" verwendet (vgl. Cramer 1985,35). Doch ganz abgesehen davon, daß eine solche Verwendung des Ausdrucks 'rein' sehr unwahrscheinlich ist, da Kant mit ihr das Gegenteil der ihm von Cramer zugeschriebenen Auffassung ausdrücken würde, nämlich den (angeblich) nicht-reinen Grundsatz a priori als rein bezeichnen würde, geht aus
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dem Zusammenhang der Aussage Kants klar hervor, daß er eine solche Verwendung von dem Ausdruck "rein' nicht macht: Der Grundsatz der Kausalität wird von Kant in B 4 / 5 neben einer Reihe anderer Sätze als Beispiel für reine Urteile a priori angeführt, und diese Beispiele sollen illustrieren, was in dem vorhergehenden Absatz abstrakt ausgeführt worden ist. Zu Beginn des vorhergehenden Absatzes jedoch hatte Kant zwischen einem "Urteil a priori", das "zugleich mit seiner Notwendigkeit gedacht wird", und einem Satz unterschieden, der "auch von keinem abgeleitet [ist], als der selbst wiederum als ein notwendiger Satz gültig ist" und somit "schlechterdings a priori" gilt (vgl. B 3). Da die beiden von Kant hier genannten Kriterien zusammengenommen ein sicheres Merkmal "reine[r]" Erkenntnisse ausmachen sollen (vgl. B 3), kann Kant unter Erkenntnissen, die 'schlechterdings a priori' sind, nur reine Erkenntnisse verstehen; und da es im Bereich der Erkenntnisse a priori neben reinen Erkenntnissen nur noch nicht-reine Erkenntnisse gibt (vgl. B 3), sind unter Erkenntnissen, die nur dem ersten der beiden genannten Teilkriterien genügen, nicht-reine Erkenntnisse a priori zu verstehen. Kant bezeichnet den Grundsatz der Kausalität in B 4 / 5 also durchaus im Unterschied zu nicht-reinen Urteilen a priori als reines Urteil a priori und als reinen Grundsatz. Um die Unterstellung eines direkten Widerspruchs zwischen B 3 und B 4 / 5 zu vermeiden, muß die Bezeichnung des Satzes "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" als nicht-reiner Satz a priori in B 3 folglich als die Beurteilung eines anderen Satzes als des Grundsatzes der Kausalität verstanden werden. Da Cramer davon ausgeht, Kant habe in B 3 den Grundsatz der Kausalität als "nicht-reines Urteil a priori" eingestuft (vgl. Cramer 1985, 66), die von Kant dem Subjektbegriff des in B 3 angeführten Satzes zugesprochene Eigenschaft, "nur aus der Erfahrung gezogen werden" zu können, aber unvereinbar mit dem transzendentalen Charakter des Grundsatzes der Kausalität ist, Erfahrungen erst möglich zu machen (vgl. Cramer 1985,65 u. 186; vgl. B 765), versucht Cramer im Verlauf der Kapitel 3 bis 7 seiner Untersuchung zu zeigen, daß "nicht-reine synthetische Urteile" a priori entgegen der Aussage Kants in B 3 "keine Begriffe enthalten können, die 'nur aus der Erfahrung gezogen' werden können", und Kant dementsprechend mit der - wie Cramer annimmt - von ihm "in B 3 gegebenen Begründung für die Nicht-Reinheit des Kausalprinzips eine entscheidende systematische Pointe seiner nicht-empirischen Theorie der empirischen Erkenntnis verdirbt" (Cramer 1985,75). Das Problem, das Cramer durch diesen Nachweis zu lösen versucht, tritt jedoch nicht auf, wenn man den von Kant in B 3 als nicht-rein bezeichneten Satz gar nicht als einen synthetischen Satz a priori - und so-
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mit nicht als den Grundsatz der Kausalität -, sondern als einen analytischen Satz versteht. Denn die Subjektbegriffe analytischer Sätze können unbeschadet des apriorischen Status dieser Sätze 'aus der Erfahrung gezogen' worden sein, da analytische Sätze stets ihrer Form nach notwendig sind (vgl. Prol. § 2., 267). Für diese Interpretation spricht auch, daß die Analogien der Erfahrung und somit der Grundsatz der Kausalität von Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft' wiederholt als "Grundsätze des reinen Verstandes" (B 303; vgl. B 296, B 315) bezeichnet werden und er auch in der Einleitung zur zweiten Auflage noch sagt, daß überhaupt alle Erkenntnisse der Transzendentalphilosophie "völlig rein" zu sein haben (B 28, vgl. B 187). Cramer stützt seine These, der Grundsatz der Kausalität sei ein nicht-reiner Satz a priori, aber nicht nur auf Kants Aussage in B 3, der Satz "eine jede Veränderung hat ihre Ursache" sei ein nicht-reiner Satz a priori, sondern trägt insbesondere im neunten Kapitel seiner Arbeit 'Die Analogien der Erfahrung als ein System nicht-reiner synthetischer Urteile a priori' auch systematische Argumente für sie vor. Um den Grundsatz der Kausalität als einen Satz a priori verständlich zu machen, muß nach Cramer die Frage beantwortet werden, wie "es sich denken [läßt], daß ein Begriff seinem Inhalt nach a priori entspringt und gleichwohl in eben diesem Inhalt einen Bezug zu etwas aufweist, was sich nicht a priori, sondern nur a posteriori geben läßt" (vgl. Cramer 1985,198). Da dieser Bezug, wie Cramer zutreffend feststellt, "nicht der auf ein empirisches Objekt sein kann", müsse er "wenigstens ein Bezug auf empirische Anschauung sein" (Cramer 1985, 198). Dementsprechend erwägt Cramer, Kant könnte "meinen, daß es eine Auffassung der Materie der Sinnlichkeit gibt, die nur auf die formale Differenz der Materie von der Form der Sinnlichkeit abhebt und von der allerdings nur empirisch konstatierbaren Bestimmtheit der Differenz innerhalb der Materie der Sinnlichkeit absieht..., ohne davon abzusehen, daß diese Materie nur empirisch gegeben werden kann" (Cramer 1985,206). Daß Kant eine solche apriorische Auffassung des Empirischen tatsächlich für möglich hält, geht nach Cramer aus Kants Erklärung hervor: "Vermittelst des Begriffs der Ursache gehe ich wirklich aus dem empirischen Begriff? von einer Begebenheit (da etwas geschieht) heraus, aber nicht zu der Anschauung, die den Begriff der Ursache in concreto darstellt, sondern zu den Zeitbedingungen überhaupt, die in der Erfahrung dem Begriffe der Ursache gemäß gefunden werden möchten. Ich verfahre also bloß nach Begnffen, und kann nicht durch Konstruktion der Begriffe verfahren, weil der Begriff eine Re-
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gel der Synthesis der Wahrnehmungen ist, die keine reinen Anschauungen sind, und sich also a priori nicht geben lassen." (B 750 Anm.) Hieraus folgert Cramer zu Recht, daß es "in Kants System der synthetischen Urteile a priori solche Urteile [gibt], deren epistemische Funktion genau darin besteht, eine synthetische Einheit dessen, was nicht a priori gegeben werden kann, synthetisch und a priori auszusagen" (Cramer 1985,213). Es scheint Cramer aber "klar, daß ein derartiges Urteil gerade nicht unbezüglich auf und unabhängig von empirisch gegebenen Daten der Sinnlichkeit formuliert werden kann", denn "so nicht formulierbar zu sein", sei "für seinen propositionalen Gehalt auf Grund der in ihm auftretenden Begriffe konstitutiv" (Cramer 1985,213); und aus diesem Grunde sei Kants Einstufung der Analogien der Erfahrung als reine Sätze a priori der Sache nach unhaltbar: "Einem solchen Urteil ist..., mit Kant selber zu reden, eo ipso 'etwas Empirisches beigemischt', insofern in ihm auftretende Begriffe selber eine Synthesis der empirischen Anschauung bezeichnen. Wenn dies so ist, kann man der von Kant selber in A 14 und B 28 aufgestellten Forderung, daß die in der Transzendentalphilosophie zu thematisierenden Erkenntnisse 'völlig rein' zu sein haben, mithin in ihnen gar keine Begriffe auftreten dürfen, die 'irgend etwas Empirisches in sich enthalten', nicht folgen." (Cramer 1985, 213/214) Daß die Subjektbegriffe der Analogien der Erfahrung als nicht-reine Begriffe und somit die Analogien insgesamt als nicht-reine Sätze a priori gelten müssen, versucht Cramer durch den Nachweis der "Unerfüllbarkeit der Reinheitsforderung für die Schemata der Kategorien der Relation" zu beweisen (vgl. Cramer 1985,299). Da in den ersten beiden Analogien behauptet werde, "daß die Kategorien der Relation von Substanz und Akzidenz und Ursache und Wirkung die Bedingungen a priori der Identifizierbarkeit einer zeitlichen Folge von Erscheinungen als einer objektiven Folge sind", müßten "die sinnlichen Bedingungen für die Schematisierung der Relationskategorien in den propositionalen Gehalt der Analogien der Erfahrung Eingang finden" (vgl. Cramer 1985, 314); und da in diesen Grundsätzen "die Kategorien als deren Prädikate nicht in schematisierter Form, sondern gerade als ursprüngliche Begriffe von einer notwendigen Synthesis des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt" fungierten, müßten es "die Subjektbegriffe der Analogien sein, die ... die Bedingungen unserer Sinnlichkeit vorstellen, die für die Schematisierung der Kategorien... gefordert werden (vgl. Cramer 1985,314). Diese sinnlichen Bedingungen können aber nach Cramer im Falle der Analogien der Erfahrung entgegen der Auffassung Kants un-
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möglich "reine Bedingungen der Sinnlichkeit" (B 179; vgl. B 177) sein, (vgl. Cramer 1985,298) "Die für die dynamischen Kategorien vorgesehenen Schemata implizieren" nach Cramer nämlich "auf Grund der bloßen Bedeutung der für sie charakteristischen transzendentalen Zeitbestimmungen nicht nur, wie ohnehin selbstverständlich ist, eine Bezugnahme auf das 'reine' Mannigfaltige der Zeitform des inneren Sinnes, sondern auch eine Bezugnahme auf einen Minimalbestand an empirischen Anschauungen", der "nicht 'mit', sondern nur 'in' dieser Form vorgestellt werden kann" (Cramer 1985, 298); folglich könnten "die transzendentalen Zeitbestimmungen der Beharrlichkeit, der Folge und des Zugleichseins nicht als 'reine' Vorstellungen aufgefaßt werden" (Cramer 1985,300). "Bei der transzendentalen Zeitbestimmung der Folge handelt es sich nicht um das reine Nacheinander des Mannigfaltigen der Zeitform des inneren Sinns selber, sondern um dieBestimmung der zeitlichen Relation eines in dieser Form gegebenen, mithin auch von ihr selber unterschiedenen Mannigfaltigen der empirischen Anschauung als Aufeinanderfolge der diesem Mannigfaltigen korrespondierenden Bestimmungen an einem Objekt. Die Folge, von der hier allein die Rede sein soll, ist nicht die Sequenz von Zeitpunkten t und t2 als reines Nacheinander, sondern aas diesem Nacheinander korrespondierende Nacheinander empirisch gegebener Anschauungsmomente als ein objektives Nacheinander." (Cramer 1985, 300) Cramer ist darin zuzustimmen, daß die Gültigkeit der Analogien der Erfahrung von der Bedingung der empirischen Anschauung abhängt. Die Analogien können nur "als Grundsätze ... des empirischen Verstandesgebrauchs ... bewiesen werden". (B 223) "Der Beweis" jeder der Analogien zeigt nach Kant "nicht, daß der gegebene Begriff (z.B. von dem, was geschieht) geradezu auf einen anderen Begriff (den einer Ursache) führe; denn dergleichen Übergang wäre ein Sprung, der sich gar nicht verantworten ließe; sondern er zeigt, daß die Erfahrung selbst, mithin das Objekt der Erfahrung, ohne eine solche Verknüpfung unmöglich wäre" (B 811). Doch nach Kant kann die Abhängigkeit der Analogien der Erfahrung von der Bedingung der empirischen Anschauung behauptet werden, ohne damit auch schon die Erfülltheit dieser Bedingung und die Realität von Erfahrungen zu behaupten. Nur "von Objekten möglicher Erfahrung" (B 289) und nur "beziehungsweise auf mögliche Erfahrung" (B 315), d.h. "nur in Beziehung auf die allgemeinen Bedingungen einer möglichen Erfahrung", nämlich "die Art", wie wir
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Gegenstände "anschauen mögen" (B 303), können die Grundsätze bewiesen werden (vgl. B 197). Gegen die Möglichkeit, empirische Anschauungen rein a priori als solche verschiedener Zustände zu charakterisieren, argumentiert Cramer im zehnten Kapitel seiner Arbeit, indem er nachzuweisen versucht, daß der Subjektbegriff der ersten Analogie, der Begriff des bloßen Wechsels der Erscheinungen, unmöglich allein aufgrund reiner Bedingungen a priori gebildet werden kann: Nach "dem Argument für den zweiten mathematischen Grundsatz kann eine empirische Anschauung nur so zu Bewußtsein kommen, daß ihr eine nicht durch die Sinne selber präsentierte Bestimmtheit als intensive Größe zugeordnet wird. Die in der Kategorie der Qualität gedachte Funktion der synthetischen Einheit ist daher für alle Erscheinungen als empirische Anschauungen in Kraft gesetzt. Es ist aber ... klar, daß die in der Kategorie der Qualität gedachte Synthesisfunktion nicht mit derjenigen Synthesis identifiziert werden kann, die im Begriff des Wechsels der Erscheinungen gedacht werden muß. Denn die Funktion der Kategorie der Qualität, auf unsere empirische Anschauung angewandt, garantiert nur die intensive Großenbestimmtheit für alle Elemente der Klasse der empirischen Anschauung (distributiv). Diese Funktion ... bezieht sich als solche überhaupt nicht auf ein Mannigfaltiges von empirischen Anschauungen, sonaern auf die in numerisch einer empirischen Anschauung zu denkenden Einheit ihrer internen Mannigfaltigkeit. Hieraus folgt, daß das Bewußtesin von derjenigen synthetischen Einheit, die im Begriff des bloßen Wechsels der Erscheinungen gedacht werden muß, auch nicht durch 'Zusammensetzung der in den Kategorien der Quantität und Qualität zu denkenden Funktionen der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption begriffen werden kann. Wie immer eine solche Zusammensetzung beschaffen sein mag: sie führt von Seiten der Kategorie der Quantität nicht auf den Begriff des Wechsels der Erscheinungen und von seiten der Kategorie der Qualität nicht auf den Begriff des Wechsels der Erscheinungen." (Cramer 1985,330) Bis hierher ist der Argumentation Cramers zuzustimmen. Widersprochen muß Cramer allerdings werden, wenn er fortfährt, es bleibe "daher nur noch zu erwägen, ob dieser Begriff durch Zusammensetzung der einen oder der anderen oder der einen und der anderen Kategorie mit 'Modi der reinen Sinnlichkeit' entspringen kann"; als der einzige Zeitmodus, der hierfür in Betracht komme, biete sich der Zeitmodus der 'Folge' an; es sei aber "klar, daß der Begriff der Zeitfolge als der Begriff der Folge von etwas auf etwas anderes in der Zeit... seine einzig zur Verfügung stehende Interpretation gerade im Begriff des Wechsels der Erscheinungen selber hat"; und damit stelle sich "der
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Versuch, den Begriff des Wechsels der Erscheinungen" als einen Begriff "zu rekonstruieren, der durch Zusammensetzung der Kategorien der Quantität und/oder Qualität mit dem Zeitmodus der Folge entspringt, auch ganz unabhängig davon, daß dieser Zeitmodus kein Begriff der reinen Sinnlichkeit ist, als zirkulär heraus", (vgl. Cramer 1985,331) Gerade weil man "der Zeit selbst eine Folge nacheinander" nicht "beilegen" kann (B 226), sondern es eine "Wahrnehmung" ist, daß "etwas geschieht" (B 245), und "alle Erscheinungen der Zeitfolge insgesamt nur ... ein sukzessives Sein und Nichtsein der Bestimmungen der Substanz sind" (B 232), schließt die Verwendung des Begriffs der zeitlichen Folge die Verwendung des Begriffs des Wechsels der Erscheinungen bereits ein, und der Begriff des Wechsels der Erscheinungen kann nicht erst unter Verwendung des Begriffs der zeitlichen Folge gebildet werden. Um zu prüfen, ob der Begriff des Wechsels der Erscheinungen rein a priori gebildet werden kann, muß vielmehr untersucht werden, ob er und mit ihm der Begriff der zeitlichen Folge sich unter Verwendung insbesondere der Anschauung a priori der Zeit und des Schemas der Kategorie der Realität bilden lassen. Und gerade weil der Begriff der zeitlichen Folge seine einzig mögliche Interpretation in der Vorstellung des Wechsels der Erscheinungen hat, kann Cramer nicht voraussetzen, der Begriff der Folge müsse durch einen "Minimalbestand von Empfindungen" empirisch gegeben sein (vgl. Cramer 1985,300/301), sondern man muß den Status des Begriffs der Folge vielmehr umgekehrt vom Status des Begriffs des Wechsels der Erscheinungen abhängig machen und prüfen, ob der Begriff des Wechsels und mit ihm der Begriff der zeitlichen Folge nicht rein a priori gebildet werden können. Zwar garantiert "die Funktion der Kategorie der Qualität... nur die intensive Größenbestimmtheit für alle Elemente der Klasse der empirischen Anschauungen (distributiv)", und diese "Synthesisfunktion" kann "nicht mit derjenigen Synthesis identifiziert werden ..., die im Begriff des Wechsels der Erscheinungen gedacht werden muß" (vgl. Cramer 1985, 330), aber gerade weil die Funktion der Kategorie der Qualität "von der Voraussetzung, daß voneinander inhaltlich unterschiedene empirische Anschauungen in der Folge ihrer Apprehension wechseln, logisch unabhängig" ist (vgl. Cramer 1985,330), bietet sie in Verbindung mit der Anschauung der Zeit die Möglichkeit, eine beliebige qualitativ unbestimmte empirische Anschauung rein a priori, allein ihrer Form nach als solche zu antizipieren (vgl. B 218), und sich der sukzessiven gedanklichen Verknüpfung verschiedener Größenbestimmungen der Intensität einer empirischen Anschauung bewußt zu sein und sich so rein a priori die "Möglichkeit eines kontinuierlichen Fort-
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ganges des Existierenden zu dem Folgenden" vorzustellen (vgl. B 256). In einer solchen Vorstellung eines möglichen Wechsels der Erscheinungen werden diese Erscheinungen nicht, wie Cramer es für erforderlich hält, als Korrelate eines "konstatierbaren Minimalbestand [es] von Empfindungen" (vgl. Cramer 1985, 300), sondern als mögliche Korrelate zweierlei verschiedener Intensitätsgrade irgendeiner empirischen Anschauung gedacht. Kant entwickelt diesen Gedanken gegen Ende des Beweises des Grundsatzes der Kausalität auf den Seiten B 252-256 = A 207-211. Zunächst stellt Kant die These auf, daß "die Form einer jeden Veränderung, die Bedingung, unter welcher sie, als ein Entstehen eines anderen Zustandes, allein vorgehen kann, (der Inhalt derselben, d.i. der Zustand, der verändert wird, mag sein, welcher er wolle), mithin die Sukzession der Zustände selbst (das Geschehene)... nach dem Gesetze der Kausalität und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen" werden kann, obwohl wir "a priori nicht den mindesten Begriff" davon haben, wie "überhaupt etwas verändert werden könne", d.h. "wie es möglich sei, daß auf einen Zustand in einem Zeitpunkte ein entgegengesetzter im anderen folgen könne" (vgl. B 252). Dann begründet er diese These; und am Ende des vorletzten Absatzes des Beweises zieht Kant die gegebene Begründung in dem Resümee zusammen, "die Möglichkeit, ein Gesetz der Veränderungen ihrer Form nach a priori zu erkennen" erhelle nun daraus, daß wir "nur unsere eigene Apprehension [antizipieren], deren formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst beiwohnt, allerdings a priori muß erkannt werden können" (vgl. B 255/256). Im ersten Schritt der Begründung erklärt Kant, daß immer, wenn "eine Substanz aus einem Zustande a in einen anderen b übergeht", sowohl "der Zeitpunkt des zweiten vom Zeitpunkte des ersten Zustandes unterschieden" ist und der zweite auf den ersten folgt als auch "der zweite Zustand als Realität (in der Erscheinung) vom ersteren, darin diese nicht war, wie b von Zero unterschieden" ist (B 253). Hieraus folgert er, daß "wenn der Zustand b sich auch von dem Zustande a nur der Größe nach unterschiede, ... die Veränderung ein Entstehen von b - a [ist], welches im vorigen Zustande nicht war, und in Ansehung dessen er = 0 ist" (B 253). Die Größe der Realität eines Zustandes ist schon nach Maßgabe des zweiten 'mathematischen' Grundsatzes "In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d.i. einen Grad" (B 207) rein a priori vorstellbar, da wir von der Qualität unserer Empfindungen völlig absehen und uns dennoch eine allmähliche "Synthesis der Größenerzeugung" des Bewußtseins "einer Empfindung, von ihrem Anfange, der reinen Anschauung = 0, an,
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bis zu einer beliebigen Größe derselben" denken können (vgl. B 208). Allein unter dieser Voraussetzung ist allerdings noch nicht klar, wie es möglich sein soll, sich die Aufeinanderfolge zweier Zustände und nicht lediglich einen Zustand einmal als in einem und ein andermal als in einem anderen Maße real vorzustellen. Im zweiten Schritt der Begründung analysiert Kant die Beziehung zwischen den angenommenen Zuständen a unb b. Offenbar unter Voraussetzung des Befundes, daß "Augenblicke ... nur Grenzen, d.i. bloße Stellen [der] ... Einschränkung" der Zeit sind (B 211), behauptet Kant, daß "zwischen zwei Augenblicken... immer eine Zeit" ist (B 253); und unter Voraussetzung des Befundes, daß alle Erscheinungen ihrer Realität nach kontinuierliche Größen sind (vgl. B 212) behauptet er, daß "zwischen zwei Zuständen" in zwei Augenblicken "immer ein Unterschied [ist], der eine Größe hat" (B 253). Hieraus leitet Kant zunächst die zeitliche Dauer und Gerichtetheit jedes Ubergangs ab: "Also geschieht jeder Ubergang aus einem Zustande in den anderen in einer Zeit, die zwischen zwei Augenblicken enthalten ist, deren der erste den Zustand bestimmt, aus welchem das Ding herausgeht, der zweite den, in welchen es gelangt." (B 253) Angesichts der zeitlichen Eigenschaften des Ubergangs eines Dinges von einem Zustand in einen anderen bestimmt Kant diese Zustände selbst als Grenzen und die Veränderung selbst als zeitlichen Vorgang mit diesen Grenzen: "Beide [Zustände] also sind Grenzen der Zeit einer Veränderung, mithin des Zwischenzustandes zwischen beiden Zuständen, und gehören als solche mit zu der ganzen Veränderung." (B 253) Daraus, daß der Vorgang der Veränderung sich über die ganze Zeit zwischen seinem Anfangs- und seinem Endzustand erstreckt, folgert Kant dann - offenbar unter Rückgriff auf die Bestimmung der Erscheinungen in ihrer Dauer als extensive und in ihrer Realität als intensive Größen (vgl. B 203 u. B 208) -, daß es sich bei allen Veränderungen um kontinuierliche Prozesse handelt: "Nun hat jede Veränderung eine Ursache, welche in der ganzen Zeit, in welcher jene vorgeht, ihre Kausalität beweist. Also bringt diese Ursache ihre Veränderung nicht plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke) hervor, sondern in einer Zeit, so, daß, wie die Zeit vom Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b wächst, auch die Größe der Realität (b - a) durch alle kleineren Grade, die zwischen dem ersten und letzten enthalten sind, erzeugt wird." (B 253/254)
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
Erkennt man die von Kant im Verlauf dieser Argumentation gemachten Voraussetzungen an, so kann sie verständlich machen, wie es möglich sein soll, sich empirische Zustände rein a priori ihrer Form nach als verschieden vorzustellen. Da die Zeit rein a priori als teilbare Größe (vgl. B 47) mit Augenblicken als Grenzen ihrer Teile (vgl. B 211) vorgestellt wird und die "Synthesis der Größenerzeugung" des Bewußtseins der Intensität "einer Empfindung" a priori antizipiert werden kann (vgl. B 208), können wir uns eine allmähliche Steigerung des Bewußtseins der Intensität einer Empfindung denken, deren Ausgangsgröße der Größe der Realität eines und deren Endgröße der Größe der Realität eines anderen Zustandes eines Gegenstandes entspricht. Bedingung der Möglichkeit dieser reinen Vorstellung a priori ist neben der Anschauung a priori der Zeit insbesondere das Schema der Kategorie der "Realität als der Quantität von Etwas, so fern es die Zeit erfüllt", nämlich die "kontinuierliche und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Gard hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von der Negation bis zur Größe derselben allmählich aufsteigt" (B 183). Am Ende des zweiten Schrittes der Begründung dafür, daß die "Form einer jeden Veränderung ... a priori erwogen werden" kann (B 252) stellt Kant nun das "Gesetz der Kontinuität aller Veränderung" auf (vgl. B 254); und im dritten Schritt nimmt er zu dessen Begründung ausdrücklich auf die Bestimmung der Zeit als kontinuierlicher extensiver (vgl. B 211) und der Realität der Erscheinungen als kontinuierlicher intensiver Größen (vgl. B 212) Bezug: "Es ist kein Unterschied des Realen in der Erscheinung, so wie kein Unterschied in der Größe der Zeiten, der kleinste, und so erwächst der neue Zustand der Realität von dem ersten an, darin diese nicht war, durch alle unendlichen Grade derselben, deren Unterschiede voneinander insgesamt kleiner sind, als der zwischen 0 und a." (B 254) Im vierten Schritt betont Kant, daß es einer besonderen Prüfung bedürfe, "wie ein solcher Satz" wie das Gesetz der Kontinuität aller Veränderung "völlig a priori möglich sei", da er "unsere Erkenntnis der Natur ... zu erweitern scheint" (B 254). Unter Voraussetzung lediglich der Fähigkeit zu urteilen, der Anschauung der Zeit sowie des Schemas der Kategorie der Realität kann lediglich gezeigt werden, daß die Vorstellung der Kontinuität von Veränderungen unabhängig von empirischen Anschauungen bildbar ist. Daß das Prinzip der Kontinuität aller Veränderungen ein reiner Satz a priori, d.h. "völlig a priori" (vgl. B 254)
Konrad Cramers Interpretation des Grundsatzes der Kausalität
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behauptbar ist (vgl. Logik § 30. Anm. 3., 109) und a priori als Gesetz für alle mögliche Erfahrung gilt, ist damit noch nicht bewiesen. Hierfür greift Kant im fünften Schritt auf die These zurück, über die er in der transzendentalen Deduktion die Gültigkeit der Kategorien zu bweisen versucht, nämlich darauf, daß uns Vorstellungen - also auch Empfindungen - nur dann zeitlich durchgängig bewußt sein können, wenn wir sie zumindest unbewußt durch ihre systematische gedankliche Verknüpfung in einen zeitlichen Zusammenhang bringen (vgl. B 131 ff., B 264). Wie die Anschauung der "Zeit die sinnliche Bedingung a priori... der Möglichkeit eines kontinuierlichen Fortganges des Existierenden zu dem Folgenden" ist, so ist nach Kant "die Einheit der Apperzeption die Bedingung a priori der Möglichkeit einer kontinuierlichen Bestimmung aller Stellen für die Erscheinungen in dieser Zeit durch die Reihe von Ursachen und Wirkungen", (vgl. B 256) Müssen wir gegebene Vorstellungen nämlich systematisch miteinander verknüpften, um uns ihrer bewußt sein zu können, so ist die allmähliche Synthesis der Größenerzeugung des Bewußtseins der Intensität einer Empfindung und ihre systematisierende Uberformung insbesondere durch die Kategorie der Kausalität eine notwendige Bedingung dafür, anhand irgendwelcher gegebenen Empfindungen überhaupt uns bewußte Erfahrungen von Veränderungen machen zu können: "Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses, und jeder Fortschritt der Wahrnehmung ist nichts, als eine Erweiterung der Bestimmung des inneren Sinnes, d.i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstände mögen sein, welche sie wollen, Erscheinungen, oder reine Anschauungen. Dieser Fortgang in der Zeit bestimmt alles, und ist an sich selbst durch nichts weiter bestimmt: d.i. die Teile desselben sind nur in der Zeit, und durch die Synthesis derselben, sie aber nicht vor ihr gegeben. Um deswillen ist ein jeder Übergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, eine Bestimmung der Zeit durch die Erzeugung dieser Wahrnehmung, und da jene, immer und in allen ihren Teilen, eine Größe ist, die Erzeugung einer Wahrnehmung als einer Größe durch alle Grade, deren keiner der kleinste ist, von dem Zero an, bis zu ihrem bestimmten Grad. Hieraus erhellt nun die Möglichkeit, ein Gesetz der Veränderungen, ihrer Form nach, a priori zu erkennen. Wir antizipieren nur unsere eigene Apprehension, deren formale Bedingung, da sie uns vor aller gegebenen Erscheinung selbst beiwohnt, allerdings a priori muß erkannt werden können." (B 255/256) Eine Analyse der Beweise, die Kant für die Gültigkeit der Analogien der Erfahrung zu führen versucht, will Cramer in seiner Arbeit nicht liefern. (vgl. Cramer 1985,356) Eine nähere Betrachtung des 'Beweises' des
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Zur Interpretation und Kritik der transzendentalen Erörterung
Grundsatzes der Kausalität kann aber verständlich machen, warum die Analogien der Erfahrung nach Kant als reine Grundsätze a priori und nicht lediglich, wie Cramer meint, als nicht-reine Sätze a priori gelten können (vgl. Cramer 1985, 287 ff.). Ein Unterschied zweier möglicher Zustände läßt sich nach Kant nämlich ganz unabhängig von einer qualitativen Unterscheidung gegebener Empfindungen durch das Bewußtsein des "inneren Unterschiedes" der Intensität irgendeiner Empfindung (vgl. B 217) und dessen allmählicher synthetischer Erzeugung (vgl. B 183, B 255/256) vorstellen; und dies erlaubt es uns, die "Sukzession der Zustände" (vgl. B 252) und somit "die Erfahrung" ihrer Form nach a priori zu "antizipieren" (vgl. B 264). Obwohl eine "Analogie der Erfahrung ... nur eine Regel" ist, "nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung selbst, als empirische Anschauung überhaupt) entspringen soll" (B 222), ist der Grundsatz der Kausalität also ein reiner Satz a priori (vgl.: B 3/4; B 28; B 295/296; Prol. § 23,306; Prol. § 34,316). "Denn innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis des Empirischen überhaupt angesehen werden, und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transzendental ist." (B 401 = A 343)
J. Die Bezugnahme auf Gegenstände durch die prinzipiengeleitete Verknüpfung von Vorstellungen Mit der Argumentation für die Notwendigkeit, Gegenstände möglicher Erfahrung anhand subjektiv bewußter Empfindungen in den Anschauungsformen von Raum und Zeit zu unterscheiden, ist noch nicht geklärt, auf welche Weise es möglich sein mag, mit subjektiv bewußten Vorstellungen überhaupt Bezug auf Gegenstände zu nehmen und Empfindungen als durch Gegenstände verursacht zu erkennen. Will man bei der Rechtfertigung von Erkenntnissen nicht den Zirkelschluß begehen, durch die Voraussetzung der Existenz von Gegenständen die Möglichkeit einer Erkenntnis derselben und damit die Möglichkeit der Verwendung des Kriteriums der Wahrheit bereits vorauszusetzen, müssen sich Erkenntnisse von Gegenständen allein aufgrund des kriterienlosen Bewußtseins von Inhalten oder Formen eigener Vorstellungen rechtfertigen lassen. Wenn unser sinnliches Erleben von Gegenständen und eigenen Zuständen mit den Anschauungsformen und unseren jeweiligen Empfindungen vollständig beschrieben ist, müssen alle weiteren Teilleistungen unseres Erkennens von unserem sinnlichen Erleben grundsätzlich verschieden sein und sich unter Abstraktion von demselben angeben lassen. Sie dürfen "nicht zur Anschauung und zur Sinnlichkeit... gehören", und sie müssen "reine und nicht empirische" Vorstellungen sein, d.h. sie dürfen nicht durch Erfahrung erworben werden; sie müssen sich als grundlegende Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis, d.h. als "elementar" erweisen lassen, und sie müssen sich "vollständig" bestimmen lassen (vgl. B 89), um bei der Rechtfertigung unserer Urteile in Verbindung mit den Anschauungen a priori von Raum und Zeit als allgemeine und in Verbindung mit besonderen Empfindungen als im Einzelfall hinreichende Bedingungen von Erkenntnissen existierender Gegenstände oder realer Zustände gelten zu können. Die Analyse unseres Erkennens auf die Leistung hin, mit sinnlichen Vorstellungen auf Gegenstände oder eigene Zustände Bezug zu nehmen, vollzieht Kant in vier Schritten. Die ersten drei Schritte machen die drei 'Abschnitte' des 'Transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
reinen Verstandesbegriffe' aus und führen zu einer Hypothese, wie Kant meint, der einzig möglichen Hypothese, über den Charakter der Bezugnahme auf Gegenstände oder eigene Zustände. Im vierten Schritt, in der 'Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe', versucht Kant einen Beweis für die Gültigkeit dieser Hypothese zu führen, ohne objektiv gültige Erkenntnisse bereits vorauszusetzen, nämlich zu zeigen, daß die Möglichkeit genau des von ihm vorgeschlagenen Verfahrens der Bezugnahme schon eine notwendige Bedingung eines durchgängigen subjektiven Bewußtseins von Vorstellungsinhalten ist. Wenn die Leistung der Bezugnahme auf Gegenstände oder Zustände auch von unserem sinnlichen Erleben verschieden sein muß, so kann man sie doch nur mit Rücksicht auf dieses Erleben bestimmen, da man sie anders nicht als Teilleistung unseres Erkennens von Gegenständen betrachten würde; d.h. man muß das Verfahren der Bezugnahme in seinem möglichen "Gebrauch" bestimmen, und dies unternimmt Kant im ersten Abschnitt des 'Transzendentalen Leitfadens', nämlich in dem Abschnitt 'Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt'. Der "Gebrauch" des Verfahrens der Bezugnahme beruht ausweislich der Argumentation der transzendentalen Ästhetik auf der "Bedingung: daß uns Gegenstände in der Anschauung gegeben seien, worauf... [es] angewandt werden" kann. (vgl. B 87) Nun gibt es "außer der Anschauung" nach Kant aber "keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe" (vgl. B 92/93). "Da keine Vorstellung unmittelbar", d.h. ohne bereits eine Vorstellung von einem Gegenstand vorauszusetzen, "auf den Gegenstand geht, als bloß die" in ihrem Bezug zunächst unklare "Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgendeine andere Vorstellung von demselben (sie sei Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen" (vgl. B 93); und da man von Begriffen "keinen anderen Gebrauch machen" kann, als daß man "dadurch urteilt" (vgl. B 93), ist jeder zur Erkenntnis von gegebenen Gegenständen verwendbare Begriff "das Prädikat zu einem möglichen Urteile" (vgl. B 94). Die Funktionen, in denen wir Begriffe bei der Bezugnahme auf Gegenstände verwenden, "können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann", (vgl. B 94) Das "Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken,)" muß also auch als das "gemeinschaftlichte] Prinzip" (vgl. B 106) oder, wie Kant auch sagt, als der "Leitfaden" (vgl. B 91, B 95, B 102) der Entdeckung der Formen der bezugnehmenden Verwendung von Vorstellungen dienen, durch die man "allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken kann" (vgl. B 106).
Die elementaren Formen von Urteilen über anschaulich gegebene Gegenstände
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J. 1. Die elementaren Formen von Urteilen über anschaulich gegebene Gegenstände Wenn das Denken als eine von unserem sinnlichen Anschauen verschiedene Teilleistung unseres Erkennens ausgewiesen werden soll, muß bei der näheren Analyse der Funktionen von Begriffen in Urteilen von jeder Bestimmung des sinnlichen Charakters unserer Erkenntnisse von Gegenständen abgesehen werden. Da unser sinnliches Anschauen aber eine notwendige Bedingung unseres Erkennens von Gegenständen oder eigenen Zuständen ist, muß damit auch von der Realität der Verwendung von Begriffen abgesehen werden, und es läßt sich nur noch untersuchen, unter welchen über das sinnliche Anschauen hinausgehenden Bedingungen eine solche Verwendung möglich wäre. In diesem Sinne abstrahiert nach Kant die "allgemeine [und] reine Logik" (B 77) oder, wie er auch sagt, "formale Logik" (B 170) von "allem Inhalt der Verstandeserkenntnis und der Verschiedenheit ihrer Gegenstände" (vgl. B 78) und behandelt Begriffe nur "in Ansehung des Formalen ihres Gebrauchs" (vgl. B 77). "Da die allgemeine Logik von allem Inhalte des Erkenntnisses durch Begriffe, oder von aller Materie des Denkens abstrahiert: so kann sie den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d.h. nur subjektivisch erwägen; nicht wie er durch ein Merkmal ein Objekt bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objekte kann bezogen werden". (Logik § 5 . Aran. l . , 9 4 ) In der formalen Logik enthält man sich nach Kant jeder Behauptung über die Realmöglichkeit der Verwendung von Begriffen und behauptet nur, daß, falls man über Vorstellungen von irgendwelchen Dingen verfügen sollte, man diese Dinge nur auf bestimmte Weise begrifflich kennzeichnen und voneinander unterscheiden könnte. Allein mit den Mitteln der formalen Logik kann man aber nicht feststellen, wie aus sinnlich gegebenen Vorstellungen Erfahrungen von Gegenständen werden. "Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmals schon gesagt worden, von allem Inhalt der Erkenntnis und erwartet, daß ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht." (B 102, vgl. Reil. 2132.) Kant stützt sich auf die "schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker", um "eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunktionen, die aber in Ansehung alles Objekts unbestimmt [sind], darzustellen", (vgl. Prol. § 39., 323/324) Die Wiedergabe und
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
Kommentierung dieser Tafel erfolgt im zweiten Abschnitt des 'Leitfadens' 'Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen'. Isoliert betrachtet läßt sich von jedem Urteil über irgendein Ding seiner logischen Form nach nur sagen, daß in ihm diesem Ding eine Eigenschaft entweder widerspruchsfrei oder widerspruchsvoll zu- oder abgesprochen wird. Es lassen sich dementsprechend formal wahre und formal falsche "bejahende" und "verneinende" kategorische Urteile unterscheiden, in denen Subjekt und Prädikat entweder im Verhältnis der "Einstimmung" oder des "Widerstreits" zueinander stehen (vgl. B 318). Ist ein kategorisches Urteil im Sinne des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch formal wahr, ist sichergestellt, daß es zur unterscheidenden Kennzeichnung dieser Dinge dienen könnte. Durch den "Satz des Widerspruchs" ist die "innere Möglichkeit eines Erkenntnisses ... bestimmt". (Logik Ein!., 52/53) Allein durch seine Befolgung kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß das vorgestellte Ding oder die vorgestellte Klasse von Dingen lediglich in solchen Eigenschaften gekennzeichnet werden, die diese Klasse oder dieses Ding mit einigen oder allen anderen gemeinsam haben. Noch kann ein Begriff relativ zu anderen, d.h. in seinem "äußeren Gebrauch ..., sofern wir durch Merkmale ein Ding mit anderen nach den Regeln der Identität oder Diversität vergleichen" (Logik Einl., 85), formal falsch verwendet werden. Ein Ding kann nämlich nur dann von anderen unterschieden werden, wenn man es einerseits formal richtig mit diesen anderen Dingen vergleicht und ihm andererseits formal richtig eine Eigenschaft zuschreibt, die ihm nicht gemeinsam mit diesen anderen Dingen zukommt. Das Verhältnis der Kennzeichnung einer Art zur Kennzeichnung ihrer Gattung wird, wie bereits bei der Erörterung von Kants Konzept der formalen Logik erläutert wurde, durch hypothetische Urteile bestimmt und das Verhältnis aller Kennzeichnungen der Arten einer Gattung zueinander durch disjunktive Urteile. Durch diese, den kategorischen Urteilen formal übergeordneten Urteile können potentiell unendlich viele Begriffe einander so unter- und beigeordnet werden, daß man von allen Dingen einer Art sagen kann, sie gehörten einer bestimmten Gattung an, von jedem Ding einer Gattung sagen kann, es gehöre zu einer dieser untergeordneten Art, und von jedem Ding einer Art sagen kann, es gehöre nicht zu einer der anderen, dieser beigeordneten Arten. Der "Satz des zureichenden Grundes" als das allgemeine Prinzip der formalen Richtigkeit hypothetischer Urteile ist das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit oder der Rationabilität" kategorischer Urteile (vgl. Logik Ein]., 51 /52), und auf ihm beruht ihre "logische Wirklichkeit" (vgl. Logik Ein]., 53). Das Prinzip, nach dem man sich
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denkt, alle möglichen hinreichenden Gründe einer Folge zu erfassen, ist der "Satz des ausschließenden Dritten (principium exclusii medii inter dua contradictoria), worauf sich die (logische) Notwendigkeit eines Erkenntnisses gründet - daß notwendig so und nicht anders geurteilt werden müsse, d.i. daß das Gegenteil falsch sei - für apodiktische Urteile" (vgl. Logik Ein!., 53). "Nach dem Principium der Ausschließung jedes Dritten (exclusi tertii) ist die Sphäre eines Begriffs relativ auf eine andere entweder einschließend oder ausschließend" (Logik § 22. Anm. 2., 104), je nachdem, ob man durch seine Anwendung einen Gattungsbegriff und einen Artbegriff oder zwei Artbegriffe in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt. Abhängig davon, ob man ein kategorisches Urteil nur nach dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch als intern formal richtig gebildet ansieht oder es auch nach dem Satz vom zureichenden Grund als relativ zu anderen formal richtig gebildet ansieht oder es auch nach dem Satz vom auszuschließenden Dritten als im Rahmen aller möglichen unterscheidenden Kennzeichnungen formal richtig gebildet ansieht, ist dieses kategorische Urteil nur möglicherweise, ist es wirklich oder ist es letztlich notwendig so wie es gebildet wurde allgemein formal richtig zu bilden. Die Modalität der Urteile geht "den Wert der Kopula", d.h. des "Bejahens" oder "Verneinens" in einem kategorischen Urteil (vgl. Logik § 24., 105), "in Beziehung auf das Denken überhaupt" an (B 100); und in einem apodiktischen Satz denkt man sich ein Urteil durch die logischen Grundsätze als "Gesetze des Verstandes selbst bestimmt" (B 101). Kant hält die zeitgenössische Logik für "nicht ganz von Mängeln [frei]" (vgl. Prol. § 39., 323), da sie sich seines Erachtens über den elementaren Charakter der Formen hypothetischer und disjunktiver Urteile nicht im Klaren war: "Die kategorischen Urteile machen zwar die Materie der übrigen Urteile aus, aber darum muß man doch nicht, wie mehrere Logiker, ;lauben, daß die hypothetischen sowohl als die disjunktiven Urteie weiter nichts als verschiedene Einkleidungen der kategorischen seien und sich daher insgesamt auf die letzteren zurückfuhren ließen." (Logik § 24. Anm., 105)
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Aus den Bestimmungen eines intern formal korrekten kategorischen Urteils folgt nicht, daß dieses Urteil wirklich bei der Unterscheidung von Dingen relativ zueinander verwendet werden könnte; und wenn man z.B. die Form disjunktiver Urteile unter Voraussetzung der Wahrheit bzw. Falschheit kategorischer und hypothetischer Urteile definieren würde, so wären die Begriffe dieser Urteile nach Kant doch nicht die
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
alleinigen Voraussetzungen dieser Definition, "denn die Verbindung der ersteren und zweiten, um den dritten Begriff hervorzubringen, erfordert einen besonderen Aktus des Verstandes, der nicht mit dem einerlei ist, der im ersten und zweiten ausgeübt wird" (B 111). Zur Bildung eines disjunktiven Urteils ist es nach Kant nämlich erforderlich, sich ein kategorisches Urteil als Nachsatz hypothetischer Urteile für jeden möglichen Fall seiner Wahrheit streng alternativ mit genau einem wahren Vordersatz hypothetisch verknüpft zu denken (vgl. Logik § 29. Anm., 107/108); und Urteile dieser Form sind seines Erachtens notwendige Bedingungen der begrifflichen Kennzeichnung von Dingen, da man unabhängig von ihrer Verwendung Gegenstände nicht in der Überzeugung kennzeichnen könnte, sie in jedem möglichen Falle ihres Gegebenseins durch die gewählten Merkmale voneinander unterscheiden zu können (vgl. Logik Einl., 53). Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch und der Identität, der Satz vom zureichenden Grund und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind nach Kant die alleinigen Grundsätze der formalen Logik, weil nur sie als absolut allgemeingültige Kriterien der formalen Korrektheit von Urteilen in Frage kommen. Da in der allgemeinen Logik keine besonderen Kriterien der Inhalte kategorischer Urteile verwendet werden können, kann die Realmöglichkeit eines bestimmten Urteils oder mehrerer verschiedener Urteile in der allgemeinen Logik nicht vorausgesetzt werden, und sie kann nicht davon ausgehen, daß es real möglich ist, irgendeinem Ding mehrere verschiedene Eigenschaften zuzuschreiben oder mehrere bestimmte Dinge zu unterscheiden. In der formalen Logik können also kontingent partikuläre Urteile und Urteile über Relationen zwischen verschiedenen Dingen ihrer Form nach nicht erfaßt werden, (vgl. Logik § 21. Anm. 1. u. 5., 102 f.) Aufgrund des Befundes, daß die allgemeine Logik eine rein formale Wissenschaft sein muß, die von jedem bestimmten Vorstellungsinhalt und damit von der Existenz der beurteilten Dinge absieht, läßt Kant zunächst zehn Funktionen von Begriffen in Urteilen als logisch elementar gelten. Dies sind die in der 'Tafel' des zweiten Abschnittes des 'Leitfadens' verzeichneten "Funktionen] des Denkens" (vgl. B 95) mit Ausnahme der Form des "einzelnen" und des "unendlichen" Urteils. Sie alle werden, wie bereits erläutert wurde, durch die drei Grundsätze der formalen Logik bestimmt, und jedes Erkenntnisurteil muß unter jedem dieser zehn Gesichtspunkte intern oder im Verhältnis zu anderen formal korrekt sein. Zwar kann ein kategorisches Urteil nur entweder allgemein oder besonders sein, aber eine rein "rationale" Form haben nach Kant nur
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solche partikulären kategorischen Urteile, deren "Subjekt ein weiterer Begriff... als das Prädikat" ist (vgl. Logik § 21. Anm. 5., 103), so daß sie sich durch Umkehrung, d.h. durch Vertauschung der Begriffsinhalte von Subjekt und Prädikat, in formal wahre allgemeine Urteile umformen lassen. In seiner rationalen Form wird der "äußere Gebrauch" von Begriffen in kategorischen Urteilen bei der "Vergleichung" und Unterscheidung von Gegenständen (vgl. Logik Einl., 58) durch den Satz vom zureichenden Grund als dem "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit oder der Rationabilität" kategorischer Urteile bestimmt (Logik Einl., 51/52). Eine rein rationale Form besitzt ein partikuläres Urteil also, wenn sein Prädikatbegriff seinem Subjektbegriff formal so subordiniert ist, daß bei einer Verwendung dieser Begriffe als Prädikate unbestimmten Umfangs in kategorischen Urteilen mit demselben Subjektbegriff die widerspruchsfreie Verwendung des ursprünglichen Prädikats allgemein eine hinreichende Bedingung für die Widerspruchsfreiheit der prädikativen Verwendung des ursprünglichen Subjektbegriffs ist. Ebenfalls kann ein kategorisches Urteil nur entweder bejahend oder verneinend sein, aber die in einem bejahenden kategorischen Urteil gekennzeichneten Dinge können nur dann sicher durch genau das in diesem Urteil verwendete Merkmal von anderen unterschieden werden, wenn dieses Urteil in jedem möglichen Falle seiner Widerspruchsfreiheit im Rahmen der Analyse gegebener Vorstellungen von Gegenständen eine hinreichende Bedingung für das Zutreffen des Gattungsmerkmals auf die in ihm gekennzeichneten Dinge ist, d.h. wenn es in jedem Falle seiner Widerspruchsfreiheit streng alternativ zu allen möglichen anderen Gründen als hinreichender Grund der Wahrheit seiner Folge in Frage kommt. Rein formal lassen sich diese streng alternativen Gründe derselben Folge nur durch die "Dichotomie" eines beliebigen bejahenden kategorischen Urteils und seiner Negation bestimmen (vgl. Logik § 113. Anm. 2., 147), und daß in einer solchen Alternative alle möglichen Gründe einer Folge erfaßt werden, wird in disjunktiven Urteilen behauptet (vgl. Logik § 29., 107), in denen von jedem der angenommenen Gründe einer Folge vorausgesetzt wird, "daß da, wo viele Folgen wahr sind, die übrigen auch alle wahr sein mögen" (vgl. Logik Einl., 52). Unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung unserer objektiv gültigen Erkenntnisse nimmt Kant zwei weitere Funktionen, nämlich die des "einzelnen" und des "unendlichen" Urteils, in die Urteilstafel auf. (vgl. B 95) Betrachtet man das Denken in Urteilen als diejenige Erkenntnisleistung, die den Bezug unserer Vorstellungen auf Gegenstände ermög-
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licht, kann man sich nicht darauf beschränken, Verwendungen von Begriffen in ihren Verhältnissen zueinander zu untersuchen, sondern man muß darüber hinaus berücksichtigen, welchen Beitrag jede der Funktionen von Begriffen in Urteilen im Rahmen der Bezugnahme auf die angeschauten Gegenstände insgesamt liefert, d.h. "was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn" verschaffen (vgl. B 97). Die Erörterung der Verwendung von Begriffen als derjenigen Teilleistung unseres Erkennens, die uns die Bezugnahme auf die angeschauten Dinge insgesamt ermöglicht, kann im Rahmen der allgemeinen formalen Logik nicht angestellt werden, da diese Erörterung die Möglichkeit der Bestimmung der Gesamtheit unserer Anschauungen von Gegenständen voraussetzt und zur Bestimmung dieser Anschauungen ein inhaltliches Kriterium verwendet werden muß. Kant will dementsprechend in der Tafel der zwölf Funktionen von Begriffen in Urteilen keine Ergänzung der allgemeinen Logik vornehmen, sondern beansprucht sie als Tafel einer "transzendentalen Logik" (vgl. B 97). In dieser transzendentalen Logik wird "nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahiertt]" (vgl. B 80), sondern vorausgesetzt, "daß das Mannigfaltige für die Anschauung ... gegeben sein müsse; wie aber, bleibt hier unbestimmt", (vgl. B145) Die transzendentale Logik "betrachtet das Urteil auch nach dem Werte oder Inhalt... und was diese[s] in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn verschafft", (vgl. B 97) Eine qualitative Charakterisierung der uns möglichen Vorstellungen von Gegenständen oder Zuständen kann aber auch in der transzendentalen Logik selbst nicht vorgenommen werden, da sie keine formale Bestimmung der gedanklichen Verwendung unserer Vorstellungen wäre. Diese qualitative Charakterisierung soll in der transzendentalen Ästhetik geleistet worden sein, in der Kant behauptet, die Vorstellungen von Raum und Zeit seien die Formen aller unserer Anschauungen von Gegenständen oder eigenen Zuständen. Das "Mannigfaltig[e] der Sinnlichkeit", das "die transzendentale Logik ... a priori vor sich liegen" hat, bietet ihr "die transzendentale Ästhetik" dar, nämlich mit den Vorstellungen von Raum und Zeit, die "ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori" enthalten, (vgl. B 102) In bezug auf den Gebrauch von Begriffen zur Kennzeichnung anschaulich gegebener einzelner Gegenstände weist die Urteilstafel der formalen Logik zwei Mängel auf. Sie erlaubt es nicht, zwischen der Beurteilung einer besonderen Art von Dingen einerseits und der Beurteilung eines einzelnen Dinges andererseits zu unterscheiden; und sie wird nicht der Notwendigkeit gerecht, Dinge, die man von Dingen bestimmter Art dadurch unterscheidet, daß man ihnen die Eigenschaft
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dieser Dinge abspricht, in irgendeiner anderen Eigenschaft bestimmen zu können. Unter "transzendentale[m]" Gesichtspunkt (vgl. B 97), d.h. unter dem Gesichtspunkt der Bezugnahme mit Begriffen auf bestimmte gegebene Gegenstände, ist auch die Verwendung von 'einzelnen' und 'unendlichen' Urteilen eine notwendige Bedingungen jeder begrifflichen Kennzeichnung von Gegenständen. Zwar sagen "die Logiker ... mit Recht, daß man beim Gebrauch der Urteile in Vernunftschlüssen die einzelnen Urteile gleich den allgemeinen behandeln könne" (vgl. B 96), "denn bei beiden gilt das Prädikat vom Subjekt ohne Ausnahme" (Logik § 21. Anm. 1., 102); vergleicht man die Umfänge der Prädikate beider Arten von Urteilen jedoch in ihrem Anteil an der Gesamtheit der angeschauten Gegenstände, so verhält sich der Umfang des einzelnen Urteils zum dem des allgemeinen wie die "Einheit zur Unendlichkeit", und diese Urteile erweisen sich als voneinander "wesentlich unterschieden" (vgl. B 96). Ebenso körinen 'unendliche' Urteile, in denen Begriffe mit negativem Merkmalsgehalt wie z.B. das Prädikat 'ist unsterblich' verwendet werden, als solche in der formalen Logik nicht berücksichtigt werden, da dies die Möglichkeit der inhaltlichen Bestimmung des negierten Merkmals voraussetzen würde: "Da nun die Logik bloß mit der Form des Urteils, nicht mit den Begriffen ihrem Inhalte nach, es zu tun hat: so ist die Unterscheidung der unendlichen von den negativen Urteilen nicht zu dieser Wissenschaft gehörig" (Logik § 22. Anm. 2., 104), sondern positive unendliche Urteile werden "in der allgemeinen Logik... mit Recht" den bejahenden und negative unendliche Urteile den verneinenden kategorischen Urteilen "beigezählt" (vgl.: B 97; Logik § 22. Anm. 2., 104). Spricht man einem gegebenen Gegenstand aber eine negative Eigenschaft zu, um einen bestimmten anderen Gegenstand von ihm zu unterscheiden, muß man ihn darüber hinaus durch irgendeines von unendlich vielen möglichen positiven Merkmalen bestimmen können. Unter dem Gesichtspunkt der Bezugnahme mit Begriffen auf eine Gesamtmenge verschiedener angeschauter Gegenstände sind "unendliche Urteile ... in Ansehung des logischen Umfangs ... wirklich bloß beschränkend" (B 98), da sie nur angeben, zu welcher Klasse ein bestimmter Gegenstand nicht gehört. Wenn 'einzelne' und 'unendliche' kategorische Urteile aber nur unter Voraussetzung der Realmöglichkeit irgendwelcher Anschauungen von Gegenständen von allgemeinen bzw. negativen Urteilen unterschieden werden können, und wenn sie bei jeder Bezugnahme mit Begriffen auf Einzeldinge verwendet werden müssen, sind sie unter transzendentalem Gesichtspunkt ihrer Form nach elementar.
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Neben den somit gewonnenen zwölf Funktionen von Begriffen in Urteilen kann es nach Kant keine weiteren elementaren transzendentallogischen Funktionen der Bezugnahme mit Begriffen auf irgendwelche angeschauten Gegenstände geben, denn mit jeder Unterscheidung von Begriffen ihrem besonderen Inhalt nach verlöre die transzendentale Logik ihre Allgemeingültigkeit für Urteile über beliebige anschaulich gegebene Gegenstände, da kein besonderer Inhalt eines Begriffs zugleich allgemeines Kriterium der Verwendung von Begriffen zur Bezugnahme auf irgendwelche gegebenen Gegenstände sein kann. So können nach Kant auch in der transzendentalen Logik kontingent partikuläre Urteile und Urteile über Relationen zwischen Gegenständen ihrer Form nach nicht erfaßt werden, da hierbei Begriffe besonderer Gegenstände inhaltlich voneinander unterschieden werden müßten.
]. II. Die Verknüpfung von Vorstellungen nach Prinzipien als das Vorstellen von existierenden Gegenständen
Noch aber ist eine wesentliche Bedingung der Bezugnahme auf Gegenstände unaufgeklärt. Da sowohl die allgemeine als auch die transzendentale Logik von jedem besonderen Anschauungsgehalt der Begriffe absieht, mußte bei der Rekonstruktion der Funktionen von Begriffen in Urteilen die Annahme gemacht werden, daß, wer Begriffe verwendet, bereits über irgendwelche Anschauungen von Gegenständen verfügt. Diese Voraussetzung wird jedoch durch die Befunde der transzendentalen Ästhetik nicht abgedeckt. Die transzendentale Ästhetik bietet der transzendentalen Logik zwar "ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori" dar (vgl. B 102), sie kann jedoch nicht erläutern, welche sinnlichen Vorstellungen Anschauungen gegebener Gegenstände sind, denn "das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauimg gegeben werden, die bloß sinnlich, d.i. nichts als Empfänglichkeit ist, und die Form dieser Anschauung kann a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes, als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird" (B 129). Wenn sich auf der Grundlage unserer empirischen Anschauungen durch deren Komparation, eine Reflexion auf die gedankliche Struktur des Bewußtseins von ihnen und durch Abstraktion von ihren Unterschieden Begriffe von bestimmten Gegenständen bilden lassen (vgl. Logik § 6., 94 f.), müssen unsere empirischen Anschauungen bereits Vorstellungen von bestimmten Gegenständen sein, denn es können "kei-
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ne Begriffe dem Inhalte nach analytisch entspringen" (vgl. B103). Wenn unser sinnliches Erleben und unser Denken aber die alleinigen elementaren Teilleistungen unseres Erkennens sind und die Analyse der transzendentalen Ästhetik nicht unvollständig ist, muß es unser Denken sein, das aus der Mannigfalti gkeit unserer sinnlichen Vorstellungen Anschauungen von bestimmten Gegenständen macht. Das Denken kann im Rahmen unseres Erkennens also nicht nur in der bisher betrachteten analysierenden Funktion auftreten, sondern es muß darüber hinaus diejenige Leistung sein, die es ermöglicht, daß "dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen" (vgl. B 102). Diese gedankliche Leistung nennt Kant "Synthesis". (vgl. B 102) Im dritten Abschnitt des 'Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe' unterscheidet Kant zwei Stufen synthetisierenden Denkens, die "Synthesis ... der Einbildungskraft" und die des "Verstande[s]", von denen die letztere ihre Prinzipien in "reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien" habe und objektiv gültige Erkenntnisse ermögliche, (vgl. B 102 f.) "Das erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist aas zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reiner Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zum Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem Verstände." (B 104) Kants These, aus der Mannigfaltigkeit unserer sinnlichen Vorstellungen würden erst dadurch Vorstellungen von Gegenständen, daß wir sie denkend miteinander zu Vorstellungskomplexen verknüpfen, wirkt unter Voraussetzung der Befunde der transzendentalen Ästhetik nahezu zwingend: Wenn wir uns zur Rechtfertigung unserer Erfahrungen von Gegenständen zirkelfrei nicht auf existierende Gegenstände als ihre Ursachen berufen können, und wenn unser sinnliches Erleben als solches nur qualitativ, nicht aber als eine Erfahrung von Gegenständen zu charakterisieren ist, und wenn als einzige weitere erkenntniseinschlägige Leistung nur unser Denken in Frage kommt, verbleibt zur Rechtfertigung unserer Erkenntnisse nur die Berufung auf eine eigene Leistung, Vorstellungen denkend zu komplexen Vorstellungen von Gegenständen zu verknüpfen, mit der wir unmittelbar vertraut sind. Es scheint also ganz einleuchtend, daß bei allen unseren Erkenntnissen "die Auflösung, Analysis, die ihr Gegenteil zu sein scheint,... doch jederzeit
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[eine Synthesis] voraussetze; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nur durch ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können" (B 130). Doch ist zunächst nicht klar, wie durch die Annahme einer solchen Synthesis der Anspruch von Urteilen auf objektive Gültigkeit gerechtfertigt werden könnte. Soweit bisher zu sehen ist, könnten wir uns durch unser verknüpfendes Denken nur in komplexe Erlebniszustände versetzen oder unsere unzusammenhängenden Erlebnisse zu einem auf bestimmte Weise ablaufenden subjektiven Erleben verbinden. Wie es zu verstehen ist, daß wir uns mit sinnlichen Vorstellungen auf von diesen verschiedene Gegenstände oder auf sie selbst als bestimmte eigene Zustände beziehen, scheint dadurch nicht erläutert werden zu können. Es scheint nicht möglich zu behaupten, einer synthetisch gebildeten Vorstellung korrespondiere ein Gegenstand, der auch unabhängig davon existiert, aktuell vorgestellt oder beurteilt zu werden. In ihrer bisher betrachteten Funktion ist die Synthesis als "Synthesis überhaupt... die bloße Wirkimg der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele,... der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind" (B 103). Diese Synthesis überhaupt ist nach Kant keine reine Denkleistung, sondern "eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben" (vgl. B 151); und sie muß dieser Anwendungsbedingung wegen teils auch als sinnliche Vorstellung gelten (vgl. B151). Vorstellungen von existierenden Gegenständen oder bestimmten eigenen Zuständen werden nach Kant aus unseren komplexen Vorstellungen erst durch eine modale Einstufung der Art ihrer synthetischen Bildung, nämlich wenn man diese als notwendig, d.h. als durch Prinzipien der synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen bestimmt ansieht. "Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tue, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhaltnisse unserer Vorstellungen notwendig ist, ihnen objektive Bedeutung erteilt wird." (B 242/243 = A 197) Wie man nach Kant ein kategorisches Urteil in formallogischer Betrachtung dadurch als formal notwendig wahr, d.h. als für alle möglichen Fälle der unterscheidenden Kennzeichnung seines Gegenstandes korrekt gebildet ausweist, daß man es als durch die "Gesetze des Verstandes selbst bestimmt" ansieht (vgl. B 101), kann seines Erachtens
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auch die gedankliche Verknüpfung von Vorstellungen dadurch als notwendig korrekt ausgezeichnet werden, daß man sie in ihrer Form als durch die transzendentallogischen Prinzipien bestimmt ansieht. Als elementare Formen, denen alle wahren Urteile über angeschaute Gegenstände intern oder in ihrem Verhältnis zueinander genügen müssen, kommen nach Kant nur die zwölf Urteilsformen in Frage. Nur sie kommen also auch als elementare Formen der synthetisierenden Verknüpfung von Vorstellungen zu Anschauungen von Gegenständen in Frage. "Die Form der Urteile (in einen Begriff von der Synthesis der Anschauungen verwandelt) ... [bringt die] Kategorien hervor, welche allen Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten." (B 378) "Dienen aber" die allgemeinen Formen von Urteilen über gegebene Gegenstände "als Begriffe, so sind sie Begriffe von der notwendigen Vereinigung [der Vorstellungen] in einem Bewußtsein, mithin Prinzipien objektiv gültiger Urteile". (Prol. § 22., 305; vgl. B 168) "Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a riori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten ann." (B 105)
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Eine Anschauung eines existierenden Gegenstandes liegt nach Kant im Unterschied zu einer bloßen Vorstellung also nur dann vor, wenn man eine Verknüpfung gegebener Vorstellungen als nach den Kategorien als "Prinzipien" (vgl. B 168) dieser Verknüpfung notwendig korrekt gebildet ansieht. Nicht objektiv gültige Vorstellungen von nur vermeintlich existierenden Gegenstände ergeben sich dann, wenn man sich einer synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen zwar bewußt ist, sie aber nicht nach den Kategorien für alle möglichen Fälle der Verknüpfung solcher Vorstellungen als korrekt gebildet ansieht. Ist man sich einer Verknüpfung von Vorstellungen in der Einbildung mehr oder weniger deutlich nur als Verknüpfung willkürlich gewählter Form bewußt, so erbringt man lediglich die Leistung, sich "einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen" (vgl. B 151). Die dementsprechenden Urteile über vermeintlich existierende Gegenstände, die zur Behauptung der Existenz dieser Gegenstände nicht hinreichen, nennt Kant bloße "Wahrnehmungsurteile"; sie "bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt" (Prol. § 18., 298); sie
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vermitteln aber auch nur ein "Bewußtsein meines Zustandes ... ohne Beziehung auf den Gegenstand" (vgl. Prol. § 20., 300). Nach Kant deckt sich der Unterschied von bloß subjektiv gültigen Vorstellungen oder Meinungen zu objektiv gültigen Anschauungen oder Erkenntnissen mit dem Unterschied einer nur in beliebiger Form bewußten Verknüpfung von Vorstellungen zu einer in Rücksicht auf alle ihre möglichen FäUe als formal notwendig korrekt aufgefaßten synthetischen Bildung von Vorstellungen bzw. Urteilen. Die Uberzeugung, es existiere ein bestimmter Gegenstand, ist unter Rechtfertigungsgesichtspunkten mit der Überzeugung identisch, gewisse gegebene Vorstellungen in allen möglichen Fällen ihres Gegebenseins und relativ zu allen anderen in einer bestimmten Form verknüpfen zu müssen; und die berechtigte Überzeugung, ein bestimmtes Urteil sei wahr, ist mit der korrekten Überzeugung von der Korrektheit der Überzeugung identisch, gegebene Vorstellungen gewissen Inhalts allgemein in bestimmter Form verknüpfen zu müssen. Nur durch die Kategorien als "Begriffe der Synthesis" kann man nach Kant überhaupt "etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d.i. ein Objekt derselben denken", (vgl. B106) "Man sieht bald, daß, weil Ubereinstimmung der Erkenntnis mit dem Objekt Wahrheit ist, hier nur nach den formalen Bedingungen der empirischen Wahrheit gefragt werden kann, und Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben könne vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen notwendig macht. Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt." (B 236 = A 191) Eine beanspruchte Erkenntnis stimmt also mit ihrem Gegenstand überein, wenn sie ein auf korrekte Weise kohärentes Erleben, d.h. ein unter Befolgung der Kategorien als Prinzipien in Urteilen synthetisiertes Erleben ist. So wird "der Unterschied ... zwischen Wahrheit und Traum ... nicht durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, die auf Gegenstände bezogen werden, ausgemacht, denn die sind in beiden einerlei, sondern durch die Verknüpfung derselben nach den Regeln, welche den Zusammenhang der Vorstellungen in dem Begriffe eines Objekts bestimmen, und wiefern sie in einer Erfahrung beisammen stehen können oder nicht" (Prol. § 13. Anm. III., 290). Die gedanklichen Verhältnisse, in denen unsere Traumvorstellungen zu allen unseren anderen Vorstellungen stehen, wenn sie nicht ausdrücklich als Traumvorstellungen ver-
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standen werden, genügen den Kategorien nicht, und Träume können daher nicht als Erkenntnisleistungen gelten. Die Kohärenz der Vorstellungen eines Erkenntnissubjekts zu den Vorstellungen eines anderen läßt sich nur mittelbar anhand der Vorstellungen und Gedanken desjenigen, der diese Kohärenz beurteilt, und nur als besondere Form der Kohärenz seiner Vorstellungen verstehen. Da sich jeder Erkennende seines Erlebens und Denkens mehr oder weniger deutlich bewußt sein muß, um einen Gegenstand erkennen zu können, kann er diese Leistungen, und damit Erkenntnisleistungen überhaupt, nicht als Gegenstände oder Leistungen von Gegenständen erkennen, sondern sie anderen nur in Analogie zu seinem eigenen Bewußtsein zuschreiben: Da "ich von einem denkenden Wesen durch keine äußere Erfahrung, sondern bloß durch das Selbstbewußtsein die mindeste Vorstellung haben" kann, "sind dergleichen Gegenstände nichts weiter, als die Übertragung dieses meines Bewußtseins auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende Wesen vorgestellt werden" (B 405). Ob es sich bei irgendwelchen Gegenständen um Körper erkennender Subjekte handelt, hängt also davon ab, ob es mir aufgrund meines Bewußtseins von meinen eigenen Erkenntnisleistungen und aufgrund ihrer gegenständlichen Erscheinung zwingend erscheint, in ihnen im Unterschied zu anderen Gegenständen Körper von Wesen mit entsprechenden mentalen Leistungen zu sehen. Rechne ich aber mit anderen erkennenden Wesen, muß ich die ihnen zuerkannten Erkenntnisse als von mir anerkannte Erkenntnisse in mein Bewußtsein aufnehmen und sie mit meinen ursprünglichen kohärent in einem "Bewußtsein überhaupt" verknüpfen (vgl. Prol. § 20., 300), denn es "sind ... objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann) Wechselbegriffe" (Prol. §19., 298).
J. III. Das Bewußtsein der reinen Synthesis a priori als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung
Wenn die modale Bestimmung der Synthesis von Vorstellungen durch die Kategorien im Unterschied zur Synthesis gegebener Vorstellungen in der Einbildung eine reine Denkleistung sein soll, muß es möglich sein, sich ohne jede Rücksicht auf bestimmte sinnlich gegebene Vorstellungen Begriffe der Verknüpfung von Vorstellungen zu machen. Bei der Bestimmung unserer gedanklichen Bezugnahme auf Gegenstände kann jedoch nicht ganz davon abgesehen werden, "daß das
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Mannigfaltige für die Anschauung noch vor der Synthesis des Verstandes und unabhängig von ihr gegeben sein müsse" (vgl. B145), denn die Kategorien "sind nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d.i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen" (B 145); und daher "verlangt" der Verstand, daß ihm "zuerst... etwas gegeben sei (wenigstens im Begriffe), um es auf gewisse Art bestimmen zu können" (vgl. B 322/323). Es bleibt also zu klären, wie es möglich sein soll, sich unter Abstraktion von der allgemeinen Qualität unserer Anschauungen zu denken, daß ein Subjekt irgendwelche voneinander verschiedenen Vorstellungen miteinander verknüpft. Kant wird an späterer Stelle, nämlich in der 'transzendentalen Deduktion' der Kategorien, dafür argumentieren, daß uns die Inhalte unserer Vorstellungen erst durch deren gedankliche Verknüpfung insgesamt bewußt werden. Unsere Empfindungen sind nicht nur dadurch bestimmt, Affektionszustände zu sein, sondern auch dadurch, uns selbst inhaltlich bewußt sein zu können; und die Möglichkeit eines deutlichen Bewußtseins von unserem kategorialen Denken soll eine notwendige Bedingung unseres durchgängigen Bewußtseins von gegebenen Vorstellungsinhalten sein. Jeder bewußt Erlebende muß sich nach Kant in dem rein gedanklichen Selbstbewußtsein "Ich denke" der Leistung zu denken als eigener Leistung bewußt sein können, da anders keines seiner sinnlichen Erlebnisse etwas "für" ihn sein könnte, (vgl. B 131/132) Daß man sinnliche Erlebnisse hat, die man sich gar nicht bewußtmachen kann, läßt sich nach Kant ebensowenig behaupten, wie sich behaupten läßt, es existierten Gegenstände, die sich nicht erkennen lassen. Zwar kann das Selbstbewußtsein zu denken nicht auftreten, ohne von irgendwelchen Empfindungen begleitet zu sein, denn "ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, würde der Aktus, Ich denke,... nicht stattfinden" (vgl. B 422 Anm.); doch, so argumentiert Kant in der transzendentalen Deduktion, muß ich mir der Leistung, Vorstellungen zu verknüpfen, auch unabhängig von den jeweils verknüpften Vorstellungen bewußt sein können, da ich mir meiner Vorstellungen üherhaupt nur dadurch insgesamt bewußt sein kann, daß ich mir mehr oder weniger klar "der Synthesis derselben bewußt bin" (vgl. B 133). Nach Kant können alle uns inhaltlich bewußten Vorstellungen also auch dadurch gekennzeichnet werden, von uns als denkenden Wesen auf bestimmte Weise zu einem bewußten Erleben verknüpft worden zu sein. Die Bestimmung der Synthesisleistung als Leistung der Bildung eines durchgängigen Bewußtseins von Vorstellungsinhalten ermöglicht
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es somit, eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen "im Begriffe" vorauszusetzen (vgl. B 322/323), nämlich als eine synthetisierte Mannigfaltigkeit, die "für die Anschauung" gegeben ist (vgl. B 145), "sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht" (vgl. B 148), und es dabei ganz "unbestimmt" zu lassen, welcher Qualität ihre Inhalte sein mögen (vgl. B 145). Die gedankliche Synthesisleistung unseres Verstandes kann also rein begrifflich charakterisiert werden, da die Voraussetzung, es seien uns verschiedene miteinander zu verknüpfende Vorstellungen gegeben, sich ohne Rücksicht auf die Qualität der Inhalte dieser Vorstellungen in Form der Annahme machen läßt, daß wir sie uns in bestimmter gedanklicher Form bewußtmachen würden. Aufgrund der bloßen Leistung, sich die Synthesis qualitativ unbestimmter Vorstellungen rein begrifflich bestimmt zu denken, sind jedoch keine Erkenntnisse bestimmter existierender Gegenstände möglich, denn solange unserer einzelnen Vorstellungen uns nicht in ihren besonderen Qualitäten bewußt sind, kann man sich ihre Synthesis ganz beliebig denken. "Durch eine reine Kategorie nun, in welcher von aller Bedingung der sinnlichen Anschauung, als der einzigen, die uns möglich ist, abstrahiert wird, wird ... kein Objekt bestimmt, sondern nur das Denken eines Objekts überhaupt, nach verschiedenen modis, ausgedrückt." (B 304; vgl. B 150) "Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d.i. sich auf einen Gegenstand beziehen und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden können. Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber duren dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt." (B 194/195) Ohne Rücksicht auf die Qualität unserer Vorstellungen könnte man sich Dinge nur beliebig in Gattung-Art-Individuum-Verhältnissen einander unter- und beigeordnet denken. Gegenstände des reinen Denkens könnten nicht als rein numerisch voneinander verschieden angesehen werden, wie z.B. Wassertropfen es sein mögen (vgl. B 319); und durch bloße Begriffe könnte man nicht behaupten, daß Gegenstände beharrlich als Substanzen existieren oder zwischen ihnen Kräfteverhältnisse wie das von Ursache und Wirkung (vgl. B 315) oder das der Wechselwirkung, "da sie... einander ihre Folgen aufheben" (vgl. B 320), bestehen Daß Kant dennoch in der Tafel der Kategorien z.B. unter dem Titel der Relationskategorien die modi "Substanz und Akzidenz", "Ursache und Wirkung" und "Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden" unterscheidet, begründet er damit, "daß wir sogar keine ein-
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zige derselben real definieren, d.i. die Möglichkeit ihres Objekts verständlich machen können, ohne uns sofort zu Bedingungen der Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen herabzulassen, als auf welche, als ihre einzigen Gegenstände, sie folglich eingeschränkt sein müssen, weil, wenn man diese Bedingung wegnimmt, alle Bedeutung, d.i. Beziehung aufs Objekt, wegfällt, und man durch kein Beispiel sich selbst faßlich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding gemeint sei" (B 300). "Den Begriff der Größe überhaupt kann niemand erklären, als etwa so: daß sie die Bestimmung eines Dinges sei, dadurch, wie vielmal Eines in ihm gesetzt ist, gedacht werden kann. Allein dieses Wievielmal gründet sich auf sukzessive Wiederholung, mithin auf die Zeit unadie Synthesis (des Gleichartigen) in derselben. Realität kann man im Gegensatze mit der Negation nur alsdann erklären, wenn man sich eine Zeit (als den Inbegriff von allem Sein) gedenkt, die entweder womit erfüllt, oder leer ist. Lasse ich die Beharrlichkeit (welche ein Dasein zu aller Zeit ist) weg, so bleibt mir zum Begriffe der Substanz nichts übrig, als die logische Vorstellung vom Subjekt, welche ich dadurch zu realisieren vermeine, daß ich mir Etwas vorstelle, welches bloß als Subjekt (ohne wovon ein Prädikat zu sein) stattfinden kann. Aber nicht allein, daß ich gar keine Bedingungen weiß, unter welchen denn dieser logische Vorzug irgendeinem Dinge eigen sein werde: so ist auch gar nichts weiter daraus zu machen, und nicht die mindeste Folgerung zu ziehen, weil dadurch gar kein Objekt des Gebrauchs dieses Begriffs bestimmt wird, und man also gar nicht weiß, ob dieser überall irgend etwas bedeutet. Vom Begriffe der Ursache würde ich (wenn ich die Zeit weglasse, in der etwas auf etwas anderes nach einer Regel folgt,) in der reinen Kategorie nichts weiter finden, als daß es so etwas sei, woraus sich auf aas Dasein eines anderen schließen läßt, und ... weil dieses Schliessenkönnen doch bald Bedingungen erfordert, von denen ich nichts weiß, so würde der Begriff gar keine Bestimmung haben, wie er auf irgendein Objekt passe. ...Was den Begriff der Gemeinschaft betrifft, so ist leicht zu ermessen: daß, da die reinen Kategorien der Substanz sowohl, als Kausalität, keine das Objekt bestimmende Erklärung zulassen, die wechselseitige Kausalität in der Beziehung der Substanzen aufeinander (commercium) ebensowenig derselben fähig sei. Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit hat noch niemand anders als durch offenbare Tautologie erklären können, wenn man ihre Definition lediglich aus dem reinen Verstände schöpfen wollte. Denn das Blendwerk, die logische Möglichkeit des Begriffs (da er sich selbst nicht widerspricht) der transzendentalen Möglichkeit der Dinge (da dem Begnff ein Gegenstand korrespondiert) zu unterschieben, kann nur Unversuchte hintergehen und zufrieden stellen." (A 242 ff. = B 300 ff.)
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Kant stellt die Kategorien also als Begriffe der Synthesis von Vorstellungen in der Anschauungsform der Zeit vor, um sie damit "real" zu definieren, (vgl. B 300) Eine Realdefinition macht im Unterschied zu einer Nominaldefinition "nicht bloß einen Begriff, sondern zugleich die objektive Realität desselben deutlich" und ihn "zur Anwendung brauchbar". (vgl. A 242 Anm.) Bei der Realdefinition der Kategorien müssen die zu verknüpfenden Vorstellungen also durch ein allgemeines qualitatives Merkmal ausgewiesen werden. Hierzu taugt aber nur die Anschauungsform der Zeit als Formen der Wahrnehmung aller eigenen Vorstellungen. Beschränkt man sich auf eine bloße Nominaldefinition der Kategorien, so ist "gar nichts weiter zu tun..., als die logische Funktion in Urteilen, als die Bedingung der Möglichkeit der Sachen selbst anzusehen" ohne zugleich deutlich zu machen, "wie sie... objektive Gültigkeit haben können", (vgl. A 242) Doch allein durch das Bewußtsein der kategorial zu überformenden Synthesis als einer solchen, die Vorstellungen der Form des inneren Sinnes betrifft, ist diese Synthesis noch nicht eindeutig bestimmbar und sind folglich noch keine Erkenntnisse existierender Gegenstände möglich. Ohrte Rücksicht auf die uns erst im Verlauf unserer Erfahrung gegebenen Vorstellungen können unsere Vorstellungen von Eigenschaften oder Teilen des Raumes oder der Zeit nämlich willkürlich zu Vorstellungen von Dingen beliebiger räumlicher oder zeitlicher Struktur oder Ordnung verknüpft werden. Nur zum Zweck der Integration gegebener Empfindungen in ein durchgängiges Bewußtsein können bestimmte Verknüpfungen des Mannigfaltigen der Anschauungen a priori von Raum und Zeit als notwendig korrekt gebildet ausgezeichnet werden. Erst "den Empfindungen... korrespondiert [das Reale,]... dessen Begriff ... ein Sein enthält"; und der Begriff der Realität bedeutet "nichts als die Synthesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt", (vgl. B 217) Die Gegenstände der Geometrie, die nach Kant in der reinen Anschauung willkürlich konstruiert werden (vgl. B 757), sind wegen dieser Möglichkeit ihrer willkürlichen Konstruktion keine existierenden Gegenstände, sondern die Kategorien verschaffen "selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können" (B 147). In ihrem Empfindungsgehalt selbst können unsere Anschauungen von Gegenständen oder Zuständen jedoch keine objektive Gültigkeit beanspruchen, da sie in diesen Qualitäten der Forderung nach intersubjektiver Gültigkeit nicht genügen. Empfindungen können nämlich bei
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Identifikation desselben Gegenstandes "bei verschiedenen Menschen verschieden sein", (vgl. B 45) Die "Empfindungen der Farben, Töne und Wärme ... [lassen] an sich kein Objekt... erkennen" (B 44), und diese Qualitäten gelten "mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloß als Veränderungen unseres Subjekts" (vgl. B 45). So machen "z.B. Körper im Lichte als Farbe, im Schalle als Töne, oder im Salze als Säuern usw. ... keine für jedermann gültige Vorstellung in der empirischen Anschauung" aus, sondern gelten "bloß subjektiv", (vgl. Preisschrift, 268/269) Zwar gehört zum Inhalt jeder Vorstellung eines bestimmten existierenden Gegenstandes oder Zustandes notwendig irgendeine besondere Empfindungsqualität wie z.B. eine Farbe oder eine Temperatur, Empfindungen sind aber von Erkenntniswert nur insofern wir uns "durch" sie (vgl. B 34) auf Gegenstände in ihrer raumzeitlichen Beschaffenheit beziehen. Objektive Gültigkeit können unsere Anschauungen oder Begriffe nur in der kategorial korrekten Ordnung derjenigen Inhalte haben, die zum potentiell unendlich mannigfaltigen Inhalt der Anschauungen a priori von Raum und Zeit zählen. Unsere äußeren Anschauungen enthalten "nichts als bloße Verhältnisse ... der Örter in einer Anschauung (Ausdehnung), Veränderungen der Orter (Bewegung) und Gesetze, nach denen diese Veränderung bestimmt wird (bewegende Kräfte)", (vgl. B 66/67)
/. IV. Die Kategorien als Elemente des allgemeinen Kriteriums der Wahrheit von Erkenntnissen gegebener Gegenstände Schon eine kurze Reflexion auf den Sinn der "Namenerklärung" oder auch "bloßen Worterklärung" (vgl. Logik Einl., 50) "der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei", (B 82; vgl. B 236, B 670, B 848) zeigt, daß ein allgemeines und zugleich hinreichendes Kriterium der Wahrheit unmöglich angegeben werden kann. "Denn als ein allgemeines, für alle Objekte überhaupt gültiges" Kriterium "müßte es von allem Unterschied derselben völlig abtrahieren", als ein hinreichendes Kriterium müßte es aber zugleich "eben auf diesen Unterschied gehen, um bestimmen zu können, ob ein Erkenntnis gerade mit demjenigen Objekte, worauf es bezogen wird,... übereinstimme" (Logik Einl., 50/51; vgl. B 83). Da ein allgemeines und hinreichendes Kriterium der Wahrheit nicht angegeben werden kann, kann die Namenerklärung der Wahrheit nicht vollständig zu einer allgemeingültigen "Realdefinition" verschärft werden, in der "ein klares
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Merkmal" angegeben wird, "daran der Gegenstand (definitum)", d.h. in diesem Fall die Wahrheit einer beanspruchten Erkenntnis, "jederzeit sicher erkannt werden kann" (vgl. A 241 Anm.). Doch für einen Teil des Definiens der Nominaldefinition der Wahrheit, nämlich für die Möglichkeit der Bezugnahme mit gegebenen Vorstellungen auf existierende Gegenstände oder reale Zustände überhaupt, bietet Kant ein klares Kriterium an. Mit seiner Transzendentalphilosophie will Kant erklären, "daß und wie" wir uns überhaupt "auf Gegenstände beziehen können" (vgl. B 80/81); und das "sichere Kriterium" in aller möglichen Erfahrung "Wahrheit von Schein zu unterscheiden", sollen die Anschauungsformen von "Raum und Zeit... in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen" abgeben (vgl. Prol. Anh., 375). Das allgemeine Kriterium, durch das die Namenerklärung der Wahrheit als sachlich berechtigt erwiesen werden kann, kann sich nach Kant auf Erkenntnisse nur als mentale Leistungen beziehen. Da ich "das Objekt nur mit meinem Erkenntnise vergleichen [kann], dadurch, daß ich es erkenne", ist es "schlechthin und für jeden Menschen unmöglich", eine beanspruchte Erkenntnis durch einen unmittelbaren Vergleich mit bestimmten Gegenständen auf ihre Wahrheit hin zu überprüfen, (vgl. Logik Einl., 50) Um bei der näheren Erläuterung des Begriffs der Wahrheit zirkelfrei zu verfahren, dürfen hierbei aber keine Erkenntnisse von Gegenständen oder Zuständen vorausgesetzt werden. Die einzige Möglichkeit, ein allgemeines Kriterium der Wahrheit aufzustellen, scheint also darin zu bestehen, Eigenschaften aller wahren Erkenntnisse als subjektiv bewußter Leistungen zu entdecken, die diese als Erkenntnisse irgendwelcher existierenden Gegenstände oder realen Zustände ausweisen. Kants Transzendentalphilosophie stellt eine mentalistische Form der Kohärenztheorie der Wahrheit dar. Zwar gibt Kant mit den Anschauungsformen und den Kategorien ein seines Erachtens universelles Fundament jeder menschenmöglichen Erkenntnis an, bei diesen Bedingungen a priori soll es sich aber nicht im grundlegungstheoretischen Sinne (vgl. Dancy 1985, 55) um basale Erkenntnisse handeln, aus denen alle möglichen weiteren Erkenntnisse sich logisch ableiten lassen, sondern durch diese Bedingungen soll nur das allgemeine Verfahren charakterisiert werden, durch das wir "den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände verarbeiten, die Erfahrung heißt" (vgl. B 1). In dem mehr oder weniger deutlichen Bewußtsein, anhand gegebener Empfindungen kategorial korrekte und korrekt zusammenhängende Urteile über räumliche Gegenstände oder zeitliche Zustände zu bilden, bin ich mir der in diesen Urteilen jeweils getroffenen Ver-
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knüpfungen des Mannigfaltigen a priori von Raum und Zeit als gültiger Verbindungen von Eigenschaften von Gegenständen oder Zuständen bestimmter räumlicher oder zeitlicher Struktur oder Ordnung bewußt, die ich angesichts der gegebenen Vorstellungen auch unabhängig vom aktuellen Vollzug der jeweiligen Urteile in genau ihrer Form vorzunehmen hätte; und diese Uberzeugung von der kategorialen Korrektheit einer synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen ist nach Kant mit dem Wissen von der Existenz bestimmter Gegenstände oder der Realität bestimmter Zustände identisch. Das "Objekt" einer Erkenntnis ist seines Erachtens nichts anderes, als das, "in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung" kategorial korrekt "vereinigt ist" (vgl. B 137). Zu einem allgemeinen und zugleich hinreichenden Kriterium kann auch das transzendentalphilosophische Kriterium der Wahrheit nicht verschärft werden, da die besonderen Bedingungen, die es erlauben würden, unsere Erkenntnisse auf ihre Ubereinstimmung mit bestimmten Gegenständen hin zu überprüfen, unmöglich durch ein allgemeines Merkmal angegeben werden können. Durch die kategoriale "Bestimmung" synthetischer Verknüpfungen allein von Vorstellungen des potentiell unendlichen Mannigfaltigen von Raum und Zeit "können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen ... ihrer Form nach" bekommen; "ob es Dinge" aber auch nur "geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt... dabei... unausgemacht", (vgl. B147) Erst zum Zweck der Integration gegebener Empfindungen in ein durchgängiges Bewußtsein können synthetische Verknüpfungen von Vorstellungen von Eigenschaften oder Teilen der Zeit oder des Raumes als in genau ihrer Form kategorial korrekt ausgezeichnet werden. "In Ansehung" des Daseins der Erscheinungen, "welches niemals anders auf bestimmte Art, als empirisch gegeben werden kann, können wir nichts a priori haben, als unbestimmte Begriffe der Synthesis möglicher Empfindungen, sofern sie zur Einheit der Apperzeption (in einer möglichen Erfahrung) gehören". (B 751) Als Kriterium der Wahrheit können die Kategorien in Verbindung mit den Anschauungsformen also nur "durch Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung", gelten (vgl. B 765). Obwohl unsere Empfindungen, durch die uns jeder unseres Wissens existirende Gegenstand oder reale Zustand gegeben werden muß (vgl. B 182), in ihren besonderen Qualitäten nicht a priori antizipiert werden können (vgl. B 208), können wir uns doch a priori potentiell unendlich viele möglicherweise erfahrbare Gegenstände oder Zustände einbilden, da den Qualitäten unserer Empfindungen keine objektive Gültigkeit
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zukommt (vgl. B 45) und sich die Möglichkeit des Gegebenseins irgendeiner Empfindung a priori denken läßt, "weil die Eigenschaft" unserer Empfindungen, "daß sie einen Grad haben,... a priori erkannt werden" kann (vgl. B 218). So können wir nach Kant z.B. durch die Vorstellung des allmählichen Anwachsens der Intensität irgendeiner Empfindung antizipieren, daß bei einem Ubergang eines Dinges "aus einem Zustande = a in einen anderen = b" die "Größe der Realität" des Zustandes, in den es übergeht, in dem Maße zunimmt, in dem "die Zeit vom Anfangsaugenblicke" bis zur Vollendung des Übergangs "wächst" (vgl. B 253 f.), und auf diese Weise "die Form einer jeden Veränderung ... (der Inhalt derselben, d.i. der Zustand, der verändert wird, mag sein, welcher er wolle), mithin die Sukzession der Zustände selbst... [,] nach dem Gesetze der Kausalität und den Bedingungen der Zeit a priori" erkennen (vgl. B 252). Dementsprechend ist "der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache haben müsse", ein reines Urteil a priori (B 4/5). Davon aber, daß es wirklich irgendeine Ursache geben kann, "welche den Zustand der Dinge verändere, d.i. sie zum Gegenteil eines gewissen gegebenen Zustandes bestimme,... gibt uns der Verstand a priori gar keine Eröffnung" (B 213), sondern der Begriff realer Veränderungen kann "nur aus der Erfahrug gezogen werden"; und so ist "der Satz: eine jede" bestimmte gegebene "Veränderung hat ihre Ursache", ein nicht-reiner Satz a priori (vgl. B 3), nämlich - wie bereits erläutert wurde - ein wahrer analytischer Satz mit einem seinem Empfindungsgehalt nach empirischen Subjektbegriff. Nach Kants Kriterium der Wahrheit können Urteile über die zukünftige Existenz von Gegenständen oder Realität von Zuständen unmöglich objektive Gültigkeit, sondern lediglich subjektive Wahrscheinlichkeit für den Urteilenden besitzen, und keine Erkenntnis eines bestimmten existirenden Gegenstandes oder realen Zustandes kann als ewige Wahrheit ausgezeichnet werden. Denn nach diesem Kriterium ist die Wahrheit empirischer Erkenntnisse lediglich davon unabhängig, durch welches Individuum ihr Gegenstand erkannt wird, nicht jedoch davon, daß überhaupt ein Subjekt eine Erfahrung von diesem Gegenstand macht oder gemacht hat; und neu gegebene Empfindungen können die kategoriengeleitete Bildung neuer Urteile über existierende Gegenstände oder die Revision ehemaliger Erkenntnisurteile erforderlich machen. Urteile über die Existenz von Gegenständen, die man selbst nicht wahrgenommen hat, können nur dann als gerechtfertigt gelten, wenn man selbst Erfahrungen gemacht hat, die auf Erfahrungen der fraglichen Gegenstände durch andere schließen lassen (vgl. B 405), und wenn sich diese Erfahrungen kategorial korrekt mit den eigenen zu einer Erkenntnis
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von Gegenständen oder Zuständen in genau einem Raum und einer Zeit vereinigen lassen, denn "objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit (für jedermann)" sind "Wechselbegriffe" (Prol. § 19., 298). Russell hat gegen die Kohärenztheorie der Wahrheit eingewandt, daß sie nicht sicherstellen könne, daß es nur genau eine Gesamtheit kohärenter Meinungen gibt; mit unseren bisherigen Meinungen könnten vielmehr verschiedene einander ausschließende Meinungen zu verschiedenen Gesamtheiten kohärent verbunden werden, und daher werde die Kohärenztheorie der Alternativlosigkeit wahrer Meinungen nicht gerecht (vgl. Russell 1912,113): "It may be that, with sufficient imagination, a novelist might invent a past for the world that would perfectly fit on to what we know, and yet be quite different from the real past." (Russell 1912,191) Auf diesen Einwand kann zur Verteidigung der Theorie Kants zunächst entgegnet werden, daß die Vorstellungen oder Urteile, deren kohärente Verknüpfung untereinander mit einer Erfahrung existierender Gegenstände oder realer Zustände identisch sein soll, nicht beliebiger Art sein können, sondern alle Erfahrungen nach Kant aufgegebenen Empfindungen beruhen (vgl. B 147 f.). Damit ist Russells Einwand jedoch noch nicht vollständig zurückgewiesen. "For nothing in the appeal to the need to order the data of experience can make it the case that there need to be one most systematic ordering." (Dancy 1985,114) Nach Kant wird "der Unterschied... zwischen Wahrheit und Traum" aber "nicht durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, die auf Gegenstände bezogen werden, ausgemacht, denn die sind in beiden einerlei, sondern durch die Verknüpfung derselben nach den Regeln, welche den Zusammenhang der Vorstellungen in dem Begriffe eines Objekts bestimmen, und wiefern sie in einer Erfahrung beisammen stehen können oder nicht" (Prol. § 13., 290). Kant entzieht die synthetische Verknüpfung der uns gegebenen Empfindungen dadurch der Beliebigkeit, daß er von ihr fordert, sie müsse eine uns zeitlich durchgängig bewußte Erfahrung ermöglichen. Da wir uns unserer Vorstellungen - wie noch näher zu erläutern sein wird - nach Kant nur durch deren gedankliche Strukturierung und Verknüpfung untereinander durchgängig bewußt machen können (vgl. B 131 /132) und "die Form ... des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes" die Zeit ist (B 49), können wir uns der Gesamtheit der uns gegebenen Vorstellungen nicht in einem Augenblick, sondern nur allmählich bewußt werden, und "alles, was im inne-
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ren Sinne ist,... fließt" beständig (B 291). Wir müssen im Verlauf der Bildung unseres durchgängigen Bewußtseins unserer Vorstellungen also zu der Überzeugung kommen, daß uns unsere Empfindungen in einer zeitlichen Reihenfolge gegeben werden. Zwar wissen wir nicht, in welcher Ordnung uns unsere Empfindungen unabhängig von der Form des Anschauens unserer selbst gegeben sein mögen; aufgrund dieser Anschauungsform ist die "Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinungen" aber "jederzeit sukzessiv" (B 234), und wir müssen unsere Empfindungen in irgendeiner uns zufällig erscheinenden zeitlichen Reihenfolge (vgl. B 219) in unser Bewußtsein aufnehmen. Die Form der kohärenten Verknüpfung gegebener Empfindungen muß also so gewählt werden, daß sie angesichts der Reihenfolge, in der diese in das Bewußtsein aufgenommen werden, d.h. angesichts des "Verhältnnis[ses] des mannigfaltigen empirischen Bewußtseins in der Zeit" (B 220), ein durchgängiges Bewußtsein von diesen Empfindungen ermöglicht. Zwar kann aus der Wiederkehr bestimmter Verknüpfungen bei der allmählichen Apprehension der Empfindungen nicht geschlossen werden, daß diese Verknüpfungen notwendig sind, aber als kategorial, d.h. als ihrer Form nach notwendig korrekt gebildet, können nur Urteile gelten, die als allgemeine Regeln der von uns bei der Apprehension vorgenommenen Verknüpfungen gegebener Empfindungen fungieren können. Immer wenn "die Apprehension" der Erscheinungen "nach einer Rege!" erfolgt, die "die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen... notwendig" macht, und ich "dadurch... berechtigt" bin, "von der Erscheinung... zu sagen", daß in ihr "eine Folge anzutreffen sei", so "bedeutet" dies "so viel..., als daß ich die Apprehension nicht anders anstellen könne, als gerade in dieser Folge", und ich muß auch "von meiner Apprehension berechtigt sein zu sagen", daß in ihr "eine Folge anzutreffen sei", (vgl. B 238) Sehe ich z.B. "ein Schiff den Strom hinabtreiben", so halte ich es für "unmöglich, daß in der Apprehension dieser Erscheinung das Schiff zuerst unterhalb, nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden sollte", (vgl. B 237) Bei der "Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses" (B 235) hingegen, kann "meine Wahrnehmung ... von der Spitze desselben anfangen und beim Boden endigen, aber auch von unten anfangen und oben endigen, imgleichen auch" von "rechts oder links das Mannigfaltige der empirischen Anschauung apprehendieren" (B 237/238), und so kann ich von dem "Mannigfaltige[n] dieses Hauses selbst" nicht sagen, daß es "sukzessiv sei" (B 235), sondern ich muß von den Teilen dieses Hauses als Dingen, deren Wahrnehmungen "wechselseitig" aufein-
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ander folgen können, sagen, daß sie "zugleich" existieren (vgl. B 256/ 257). Zwar ist es durchaus denkbar, daß wir die uns gegebenen Empfindungen in ganz anderer Reihenfolge ins Bewußtsein aufgenommen haben könnten und deshalb ganz andere Regeln ihrer notwendigen Verknüpfung, d.h. ganz andere Urteile über Gegenstände oder Zustände hätten aufstellen müssen; doch wenn wir die Reihenfolge, in der wir unsere Empfindungen apprehendiert haben, außer Acht lassen und unsere erinnerten Vorstellungen auf ganz neue Weise miteinander zu einem durchgängigen Bewußtsein verknüpfen würden, so würden wir damit die Kontinuität unserer Erfahrung unterbrechen. Wir könnten genau genommen nicht behaupten, in der Vergangenheit Vorstellungen gehabt zu haben, derer wir uns jetzt erinnern, sondern wir müßten ganz von neuem mit dem Erwerb von Erfahrung beginnen. Ein solcher Neuanfang in der Erfahrung ist uns aber auf methodisch korrekte Weise nach Kant nicht möglich, denn "verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit" (B 47). Eine völlig neue Verknüpfung gegebener Empfindungen würde also die von Kant an eine kohärente Erfahrung existierender Gegenstände oder realer Zustände gestellten Bedingungen verletzen. Das Auftreten neuer Empfindungen kann zum Zwecke ihrer Integration in das durchgängige Bewußtsein allerdings die Aufstellung neuer allgemeiner Prinzipien der Verknüpfung unserer Vorstellungen, d.h. die Bildung neuer Urteile über existierende Gegenstände oder reale Zustände und eine Revision ehemaliger Erfahrungen erforderlich machen; und eine solche Neuinterpretation der Apprehension unserer Empfindungen scheint nach Kant unter anderem dadurch erfolgen zu können, daß wir ehemalige vermeintliche Wahrnehmungen als bloße subjektive Eindrücke, d.h. als Täuschungen, Einbildungen oder Träume erkennen. "Denn Wahrheit oder Schein sind nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, sondern im Urteile über denselben, sofern er gedacht wird. Mann kann also zwar richtig sagen: daß die Sinne nicht irren, aber nicht darum, weil sie jederzeit richtig urteilen, sondern weil sie gar nicht urteilen. Daher sind Wahrheit sowohl als Irrtum, mithin auch der Schein, als die Verleitung zum letzteren, nur im Urteile ... anzutreffen. In einem Erkenntnis, das mit den Verstandesgesetzen durchgängig zusammenstimmt, ist kein Irrtum." (B 350) Einer partiellen Revision scheint unsere Erfahrung aber stets zu unterliegen; und wenn der Einwand, eine Kohärenztheorie der Wahrheit könne nicht sicherstellen, daß nur genau eine Gesamtheit kohärenter
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Meinungen möglich ist, davon ausgeht, daß es für alle Zeiten nur eine solche Gesamtheit geben könne, weil alle wahren Sätze ewig gelten, "the right defence against ... [this] objection is offence" (vgl. Dancy 1985,115).
/. V. Reichs Idee eines Beweises der Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel und ihre Kritik durch Krüger Den bekanntesten Versuch, Kants Anspruch auf Vollständigkeit seiner Urteils- und Kategorientafel zu rechtfertigen, stellt nach wie vor die erstmals 1932 und in überarbeiteter Fassung 1948 erschienene Arbeit von Klaus Reich 'Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel' dar. In dieser Arbeit stellt Reich die These auf, daß Kant vor der Wiedergabe der Urteils- und Kategorientafel in der 'Kritik der reinen Vernunft' lediglich die "Idee des 'Leitfadens der Entdeckung der Kategorien"' entwerfe (vgl. Reich 1948,13). Diese Idee habe "ihren (gedrängtesten) Ausdruck im § 10. in dem der Tafel der Kategorien vorhergehenden Abschnitte gefunden" (vgl. Reich 1948,13): "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgem e i n ausgedrückt, d e r reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann." (B 104/105) "Daß diese Idee zu Rechte besteht und nicht ein bloßes Hirngespinst sei", werde aber erst "in dem auf... den 'Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe' folgenden zweiten [Hauptstück]: der 'Deduktion der reinen Verstandesbegriffe' bewiesen", (vgl. Reich 1948,26) Folglich sei m a n zur Beantwortung der Frage nach einem Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel "verpflichtet", das zu "betrachten", was in der transzendentalen Deduktion "als 'den Grund der Möglichkeit des Verstandes überhaupt [in seinem logischen und realen Gebrauch [Ergänzung von Reich]] enthaltend' (§ 15.) angeführt ist" (vgl. Reich 1948, 26); und so müsse man die Funktionen von Begriffen in Urteilen durch
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eine Analyse dessen, "daß ich mir meiner als denkend bewußt bin", zu entdecken versuchen (vgl. Reich 1948,28). Daß Kant selber "diese Bewerkstelligung ..., die doch erst die Vollständigkeit der vor Augen gestellten Momente beweist, in der Kritik der reinen Vernunft nicht vor[führt]", liege daran, daß er den Beweis der Vollständigkeit der Urteil- und Kategorientafel einer zukünftigen Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie vorbehalten habe: "Nicht zwar die Kritik der reinen Vernunft - sie kann sich mit dem 'vor Augen stellen' begnügen - , aber die Transzendentalphilosophie setzt... voraus (B 134 Anm.): daß man zuerst 'die ganze Logik', d.h. die ausführliche Analysis der Momente des Denkens, 'an den höchsten Punkt, die ursprünglich-synthetische Einheit des Selbstbewußtseins, geheftet' hat: 'nach ihr' kann man dann allererst die Transzendentalphilosophie ausführen." (Reich 1948,93) Dieser Interpretationsansatz Reichs ist von Lorenz Krüger in seinem Aufsatz 'Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen?' von 1968 kritisiert worden. Zwar könne "kein Zweifel darüber bestehen, daß Kant das Erkenntnisvermögen des Menschen gänzlich ausmessen wollte", denn die 'Kritik der reinen Vernunft' solle '"den ganzen Umriß [der Wissenschaft], sowohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben' verzeichnen (B XXII/XXIII)", und der "Plan zu diesem Umriß" solle '"architektonisch, d.i. aus Prinzipien' entworfen sein, 'mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen' (A 1 3 / B 27)" (vgl. Krüger 1968,333); aber die "Reichsche Behauptung,... daß Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel zwar gefordert, ihre Erörterung jedoch in der Kritik zurückgestellt habe, um sie später auszuführenden Lehrstücken der Transzendentalphilosophie aufzubehalten", könne nicht akzeptiert werden; die Erwartung eines Vollständigkeitsbeweises müsse vielmehr "an die Kritik der reinen Vernunft gerichtet werden" (vgl. Krüger 1968,336). Krüger begründet seine Gegenposition zunächst mit dem Hinweis darauf, daß sich Kant in seinen späteren "Lehrstücken der Transzendentalphilosophie ... tatsächlich ... nirgends mehr mit der Diskussion so grundlegender Voraussetzungen wie der Urteilstafel" beschäftige und Reichs These in dem von diesem "zitierten Textstück B 27 f. nicht nur keine Stütze" finde, sondern "dadurch geradezu widerlegt" werde, (vgl. Krüger 1968,336) Reich beruft sich bei seiner Erklärung für das Fehlen eines Vollständigkeitsbeweises auf eine Textpassage aus der Einleitung der 'Kritik' (vgl. Reich 1948, 93). Aus dieser Textstelle geht im Gegensatz zur Auffassung Reichs aber hervor, daß sich Kant in der "Kritik" lediglich
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einer "ausführlichen Analysis" der elementaren "wie auch der vollständigen Rezension der daraus abgeleiteten" Begriffe a priori enthalten will, weil die "Vollständigkeit" einer solchen "Zergliederung sowohl, als ... Ableitung aus den künftig zu liefernden Begriffen a priori" bei der Ausarbeitung der "Transzendental-Philosophie" gerade dann "leicht zu ergänzen" sei, wenn diese Begriffe "nur allererst als ausführliche Prinzipien der Synthesis da sind, und in Ansehung dieser wesentlichen Absicht nichts ermangelt" (vgl. A 13/14 = B 27/28). Nicht der Vollständigkeitsbeweis der Tafeln der elementaren Begriffe a priori, sondern deren nähere Analyse auf ihre "Momente" (vgl. Prol. § 22., 305), d.h. funktionalen Aspekte hin und die Gewinnung weiterer Begriffe a priori, insbesondere der "Prädikabilien", aus den Kategorien, "es sei durch Verknüpfung unter einander, oder mit der reinen Form der Erscheinung (Raum und Zeit), oder mit ihrer Materie, sofern sie noch nicht empirisch bestimmt ist (Gegenstand der Empfindung überhaupt)" (vgl. Prol. § 39., 324), wird der späteren Ausarbeitung der Transzendentalphilosophie vorbehalten. Man hat einen Beweis der Vollständigkeit der Urteils- und Kategorientafel also eher im Rahmen der Grundlegung der Transzendentalphilosophie in der 'Kritik der reinen Vernunft' als in ihrer Ausarbeitung zu erwarten. Daß ein solcher Beweis in der 'Kritik' nicht ausgeführt wird, sondern Kant hier lediglich beansprucht, die Funktionen von Begriffen in Urteilen "vollständig dar[zu]zustellen" (vgl. B 94), muß aber nicht gegen die Möglichkeit eines solchen Beweises und auch noch nicht gegen die Vermutung Reichs sprechen, die elementaren Urteilsformen seien durch eine Analyse des Selbstbewußtseins zu denken zu bestimmen. In der 'Kritik der reinen Vernunft' finden sich allerdings einander anscheinend widersprechende Aussagen über die Möglichkeit eines Beweises der Vollständigkeit der Urteils- und Kategorientafel. Zunächst behauptet Kant, die Kategorientafel sei "systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken,) erzeugt", so daß man einsehen könne, "warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstände beiwohnen" (vgl. B106/107). (vgl. Krüger 1968,337/338) Daß man unter der hier beanspruchten Erzeugung der Kategorien ihre Ableitung aus einem obersten Prinzip zu verstehen hat, scheint aus einer Passage der 'Prolegomena' hervorzugehen, in der es heißt, daß man "allererst ein System" der Kategorien gewonnen habe, wenn man sie "aus einem Prinzip a priori ableiten" kann (vgl. Prol. § 39., 322). (vgl. Krüger 1968,338) Und für die These Reichs, daß unter diesem Prinzip a priori bzw. unter dem Vermögen zu urteilen das Selbstbewußtsein zu
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denken zu verstehen ist, scheinen die von Reich betonten Aussagen Kants zu sprechen, die systematische "Einheit" der Kategorien müsse "in demjenigen" gesucht werden, "was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauche enthält" (vgl. B131), und somit sei "die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß" (vgl. B 133 Anm.). An einer späteren, von Reich nicht zitierten, aber von Krüger betonten Stelle behauptet Kant hingegen, "von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittels der Kategorien und gerade nur durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zustande zu bringen", lasse sich "ebensowenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind" (vgl. B145/146). (vgl. Krüger 1968,336) Krüger sieht mit diesen Aussagen Kants das "Paradoxon" gegeben, "daß Kant zur Absicht seines kritischen Unternehmens einen Vollständigkeitsbeweis bezüglich der Verstandesfunktionen für unerläßlich und doch zugleich unmöglich erklärt" (Krüger 1968,337). Dieses Paradoxon versucht Krüger im Sinne folgender Thesen aufzulösen: "(1) Kant wollte für die Vollständigkeit seiner Urteilstafel keinen von einem Prinzip aus schrittweise fortschreitenden Beweis im Sinne Reichs (oder auch Hegels) geben; denn er glaubte, daß ein solcher unmöglich sei. (2) Kant war jedoch davon überzeugt, daß in einem anderen, bescheideneren Sinne ein 'Beweis' möglich sei, und daß er in der 'Kritik' diesen Beweis tatsächlich geliefert habe." (Krüger 1968, 337) Uber die letztgenannte Passage der transzendentalen Deduktion in B 145/146 hinaus führt Krüger zur Stützung seiner ersten These eine systematische Überlegung an: Eine aus einem obersten Prinzip nach Schlußregeln fortschreitende Ableitung der Urteilsformen "möchte zwar ihren 'höchsten Punkt' in Gestalt der 'synthetischen Einheit der Apperzeption' (B 133 n.) besitzen, aber sie könnte doch nicht formuliert werden, wenn nicht schon die Urteilsformen zur Verfügung stünden". (Krüger 1968,341) Daß auch Kant es aus einer solchen Überlegung heraus für unmöglich hält, einen Grund dafür anzugeben, "warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben" (vgl. B146), sieht Krüger unter anderem durch die Aussage Kants in den 'Prolegomena' bestätigt, die Frage, "wie ... diese eigentümliche Eigenschaft... unseres Verstandes und der ihm und allem Denken zum Grunde liegen-
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den notwendigen Apperzeption möglich sei", nämlich die Eigenschaft, "alle ... Vorstellungen der Sinnlichkeit auf ein Bewußtsein" zu beziehen und ein Denken "durch Regeln" zu sein, lasse sich "nicht weiter auflösen und beantworten, weil wir ihrer zu aller Beantwortung und zu allem Denken der Gegenstände immer wieder nötig haben" (vgl. Prol. § 36., 318). (vgl. Krüger 1968,341) Die von Kant hier genannten und von Krüger aufgenommenen Gründe sprechen in der Tat gegen die Möglichkeit, die Urteilsformen oder Kategorien durch Ableitung aus einem obersten Prinzip zu gewinnen. Da es sich bei den Urteilsformen um elementare Formen und bei den Kategorien um entsprechende elementare Begriffe handeln soll, die bei jeder intern oder relativ zu anderen korrekten Bildung eines wahren Urteils verwendet werden müssen, müßte man bei dieser Ableitung bereits die Begriffe der Formen kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Urteile verwenden. Die Urteilsformen würden also schon in die Bildung der Prämissen eingehen, aus denen man sie ableiten wollte, und jede solche Ableitung müßte - als Ableitung der Urteilsformen - zirkulär ausfallen. Dieses systematische Bedenken muß auch gegen die von Reich vorgeschlagene Ableitung der Urteilsformen aus dem Selbstbewußtsein zu denken erhoben werden. Zwar mag es unter der Voraussetzung, daß das Selbstbewußtsein zu denken als das Bewußtsein einer prinzipiengeleiteten Verwendung der Urteilsformen bei der Verknüpfung von Vorstellungen zu verstehen ist, möglich sein, durch eine Analyse dieses Bewußtseins nachzuweisen, daß es eine Verwendung der Urteilsformen einschließt; aber diese Voraussetzung würde eine solche Ableitung der Urteilsformen zirkulär werden lassen. Die transzendentale Deduktion, von der Kant verlangt, daß sie "den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischem Gebrauche" zu entdecken habe (vgl. B131), hat dementsprechend auch gar nicht die Aufgabe, die Kategorien und damit die Urteilsformen als Begriffe bzw. Formen von Urteilen bestimmter Gestalt abzuleiten, sondern sie soll die "Befugnis ihres Gebrauchs" im Rahmen unserer an sinnliche Vorstellungen gebundenen endlichen Erfahrung beweisen (vgl. B 117). Durch den Nachweis, daß schon unser durchgängiges Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte eine mehr oder weniger bewußte Verwendung der Kategorien einschließt, sollen diese Begriffe einer bis dahin nur angenommenen synthetisierenden Verwendung der Urteilsformen "als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung" (B 168) erwiesen werden. Als notwendiges Mittel jeder vorstellbaren Bezugnahme auf existierende Gegenstände gelten die Kategorien schon vor ihrer transzen-
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dentalen Deduktion: "Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, die doch darin miteinander übereinkommen, daß sie beiderseits völlig a priori sich auf Gegenstände beziehen, nämlich die Begriffe des Raumes und der Zeit als Formen der Sinnlichkeit und die Kategorien als Begriffe des Verstandes." (B 118) Die Aufstellung der Kategorien soll bereits in ihrer "metaphysischen Deduktion" dadurch geleistet worden sein, daß "ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan" worden ist (vgl. B 159). Diese metaphysische Deduktion ist in ihrem letzten Teilschritt auch durchaus als deduktive Ableitung zu verstehen. Sie erfolgt allerdings nicht aus einem obersten Prinzip, sondern hat neben der Urteilstafel einen weiteren Gesichtspunkt zur Prämisse. Kant will die Kategorien aus der Urteilstafel dadurch gewonnen haben, daß er die in der letzteren genannten "Funktionen zu urteilen auf Objekte überhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung [bezog], Urteile als objektiv gültig zu bestimmen"; und er meint schon hierbei, "außer Zweifel" sein zu können, "daß gerade nur diese und ihrer nur so viel, nicht mehr noch weniger, unser ganzes Erkenntnis der Dinge aus bloßem Verstände ausmachen können" (Prol. § 39., 324), da der Verstand seines Erachtens durch die in der Urteilstafel genannten "Funktionen völlig erschöpft und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen" ist (B 105). Die Frage nach der Vollständigkeit der Kategorien- und Urteilstafel ist also eine Frage nach einer Begründung der Aufstellung der Urteilstafel im Rahmen der metaphysischen Deduktion der Kategorien, denn schon eine metaphysische Erörterung soll "dasjenige" enthalten, "was den Begriff, als a priori gegeben, darstellt" (vgl. B 38). Deutlich wird das entsprechende Vorgehen in den metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit. Hier soll durch eine Analyse unserer vorläufig vorausgesetzten Erkenntnisse von Gegenständen und eigenen Zuständen und die Reflexion auf die Möglichkeit dieser Erkenntnisse gezeigt werden, daß diese Begriffe nicht erst aufgrund von Erfahrungen gewonnen werden können, sondern jeder möglichen Erkenntnis von Gegenständen oder Zuständen a priori zugrunde liegen und ihrem Inhalt nach die Anschauung a priori des Raumes bzw. der Zeit voraussetzen. Gerade der Vergleich mit den metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit legt aber die Frage nahe, "wo denn in Analogie zu Kants Vorgehen in der Ästhetik wenigstens die 'Erörterung' der Urteilstafel, wenn nicht ihre Ableitung zu finden sei", (vgl. Krüger 1968,341) Krüger bietet für das Fehlen einer solchen Erörterung eine einleuchtende Erklärung an: Die metaphysische Erörterung der Begriffe von Raum und Zeit sei Kant ungleich dringender erschienen als
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die der Urteilsformen, weil die "Theoreme" der transzendentalen Ästhetik von ihm "gegen allgemein verbreitete entgegenstehende Lehrmeinungen durchgesetzt werden" mußten; eine vergleichbare Aufgabe habe für Kant in bezug auf die Logik nicht bestanden, da "die in ihr zu behandelnden Formen ... zugestandenermaßen a priori und solche des Denkens" seien, (vgl. Krüger 1968,341) Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, welche Möglichkeit Kant für die Rechtfertigung seines Anspruches auf Vollständigkeit der Urteilstafel gesehen haben mag. Krüger zieht aus der Aufgabenstellung einer metaphysischen Erörterung für die Beantwortung dieser Frage die Konsequenz, daß das von Reich als Beweisgrund der Ableitung angesehene reine Selbstbewußtsein zu denken (vgl. Reich 1948, 28 ff.) nicht als Prämisse einer Ableitung, sondern als Kriterium der Bestimmung der elementaren Urteilsformen zu betrachten sei. Unter dem Gesichtspunkt des Selbstbewußtseins zu denken als dem "obersten Kriterium des Denkens" würden die Urteilsformen daraufhin beurteilt, "ob sie Formen sind, die dem Verstände zu seinem Zweck, Einheit unter unseren Vorstellungen herzustellen, verhelfen". (vgl. Krüger 1968,342) "Der 'höchste Punkt', an den auch die ganze Logik zu heften ist, ist zur Systematik und Vollständigkeit freilich unerläßlich. Er hat nur eine andere Funktion als die eines Axioms oder Prinzips, aus dem Beweise geführt werden könnten. Als die 'Idee des Ganzen' spielt er vielmehr die Rolle eines Entscheidumskriteriunis für die Frage, welche Formen des Denkens für das Denken als solches charakteristisch und überdies irreduzibel sind." (Krüger 1968,342) Eine solche Verwendung der These vom Selbstbewußtsein a priori zu denken wäre bei der Aufstellung der Urteilstafel unter einer bestimmten Voraussetzung möglich. Vorausgesetzt, es ist klar, daß man unter allen wahrheitsvalenten Urteilen Produkte prinzipiengeleiteter Leistungen eines denkenden Subjekts zu verstehen hat, könnte der Gesichtspunkt eines Selbstbewußtseins dieses Subjekts dazu dienen, unter den Urteilsformen diejenigen zu entdecken, deren Einhaltung die systematische Einheit dieses wahrheitsvalenten Denkens gewährleistet. Auch gegen diese Interpretation ist jedoch einzuwenden, daß sie die Voraussetzung, es handele sich beim erkennenden Urteilen um ein prinzipiengeleitetes Denken, nicht begründet, und daß Kant die Vollständigkeit der Urteilstafel vor der Aufstellung der Kategorientafel und vor der Identifikation des prinzipiengeleiteten synthetisierenden Denkens mit dem Selbstbewußtsein zu denken in Anspruch nimmt (vgl. B 118). Nicht das Selbstbewußtsein zu denken ist die 'Idee des Ganzen', nach der Kant die Urteils- und Kategorientafel aufstellt, sondern "zum
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voraus" der Aufstellung der Urteils- und Kategorientafel entwickelt Kant die "Idee" einer in Entsprechung zur allgemeinen formalen Logik gedachten "transzendentale[n] Logik", die es im Unterschied zur ersteren "mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft... lediglich ... sofern" zu tun hat, als man sich "auf Gegenstände a priori" bezieht, und die somit "nicht wie die allgemeine Logik auf die empirischen sowohl als reinen Vernunfterkenntnisse ohne Unterschied" geht (vgl. B 81 /82). Nach dieser bis zum Gelingen der transzendentalen Deduktion bloßen "Idee" einer transzendentalen Logik sollen die Begriffe der Transzendentalphilosophie "unter sich zusammenhängen"; und der in dieser Idee gedachte systematische "Zusammenhang... gibt eine Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann", (vgl. B 92) Diese Idee ist auch schon leitend für die Aufstellung der Urteilstafel, da auch diese schon eine Tafel der transzendentalen Logik ist. Kant will in der 'Kritik der reinen Vernunft' keinesfalls, wie Krüger annimmt, "ohne Ausnahme von allen Funktionen der Urteilstafel behaupten ..., daß sie als formallogisch verschieden anzusehen seien" (Krüger 1968,349), sondern von den Formen des 'einzelnen' und des 'unendlichen' Urteils sagt Kant ausdrücklich, daß sie nur "in einer transzendentalen Logik" besonders berücksichtigt werden müssen, da nur hier Urteile auch daraufhin betrachtet werden, was sie "in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn" verschaffen (vgl. B 96 f.). Zu diesem Zweck wird von Kant bei der "Unterscheidung unendlicher Urteile als einer logischen Form" von anderen, entgegen der Auffassung Krügers, sehr wohl eine "Mannigfaltigkeit irgendeiner Anschauung überhaupt... vorausgesetzt" (vgl. Krüger 1968, 348) und somit der "Gesichtspunkt der bloßen Form (in der Bedeutung des Wortes, in der die allgemeine Logik 'formal' ist)" (Krüger 1968,347) verlassen. Abgesehen davon, daß die Kategorien unter Verwendung der Anschauungsform der Zeit bereits "real" definiert werden (vgl. B 300), wird in der transzendentalen Logik im Unterschied zur formalen Logik angenommen, daß sie irgendein "Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen" hat (vgl. B 102), "unbestimmt" bleibt nur, "wie" dieses Mannigfaltige "gegeben sein müsse" (vgl. B145). Eine Charakterisierung von Urteilen als solche, in denen irgendwelche Einzeldinge beurteilt werden, oder in der Eigenschaft, "beschränkend in Ansehung des Inhalts der Erkenntnis überhaupt" zu sein (vgl. B 98), setzt nämlich die Möglichkeit voraus, Gegenstände anhand irgendwelcher inhaltlichen Merkmale voneinander zu unterscheiden. Da in der allgemeinen Logik aber von allem besonderen Inhalt der Begriffe abstrahiert werden muß
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(vgl. B 78), kann in ihr nur die "Dichotomie" jeweils zweier gleichgestellter Arten einer Gattung berücksichtigt werden, denn nur bei dieser "Einteilung" können die Glieder schon "durch kontradiktorische Entgegensetzung ... voneinander getrennt" werden (vgl. Logik § 111. Anm., 147). Eine "Polytomie" mehrerer Arten oder Gegenstände hingegen kann in der allgemeinen formalen "Logik nicht gelehrt werden", da sie eine "Erkenntnis des Gegenstandes" voraussetzt, (vgl. Logik § 113. Anm. 2., 147) Die Aufnahme der Formen des einzelnen und des unendlichen Urteils in die Urteilstafel wird von Kant also unter transzendentallogischem Gesichtspunkt, nämlich durch die Voraussetzung der Möglichkeit der Anwendung der allgemeinen Urteilsformen auf ein gegebenes Mannigfaltiges irgendeiner Anschauung überhaupt gerechtfertigt. Der Leitfaden der Aufnahme der verbleibenden zehn Funktionen von Begriffen in Urteilen in die Urteilstafel ist die Idee einer absolut allgemeingültigen, rein formalen Logik selbst, denn die Idee der transzendentalen Logik wird von Kant ausgehend vom Konzept der allgemeinen Logik entwickelt: "Die allgemeine Logik abstrahiert... von allem Inhalt der Erkenntnis, d.i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt, und betrachtet nur die logische Form im Verhältnis der Erkenntnisse aufeinander, d.i. die Form des Denkens überhaupt. Weil es nun aber sowohl reine, als empirische Anschauungen gibt..., so könnte auch wohl ein Unterschied zwischen reinem und empirischem Denken der Gegenstande angetroffen werden. In diesem Falle würde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahierte". (B 79/80) Die allgemeine Logik wird hierbei bereits als eine Wissenschaft in Anspruch genommen, die die Aufgabe hat, "die Benutzung und Verknüpfung" unserer Erkenntnisse "in einem zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen ... zu prüfen" (vgl. B 85). Die Charakterisierung logischer Zusammenhänge als des systematischen Zusammenhangs von Begriffen und Urteilen in einer Einheit ergibt sich ganz unabhängig von der Verwendung des Kriteriums des Selbstbewußtseins zu denken aus dem Allgemeingültigkeitsanspruch der Wissenschaft der formalen Logik. Da "das menschliche Erkennen ... von Seiten des Verstandes diskursiv [ist], d.h.... durch Vorstellungen [geschieht], die das, was mehreren Dingen gemeinsam ist, zum Erkenntnisgrunde machen, mithin durch Merkmale als solche" (vgl. Logik Einl., 58), ist es "das Geschäft der Logik ..., klare Begriffe deutlich zu machen" (vgl. Logik Einl., 63). Diese Aufgabe erfüllt die formale Logik dadurch, daß
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sie die Mittel zu einer systematischen Koordination und Subordination von Begriffen zur Verfügung stellt. "Ein vollständig oder komplett deutlicher Begriff kann es ... sein, entweder in Ansehung der Totalität seiner koordinierten oder in Rücksicht auf die Totalität seiner subordinierten Merkmale." (Logik Einl.,
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Bei der logischen Subordination von Begriffen "müssen wir zuletzt" zu einem "Genus kommen, das nicht wieder Species sein kann", "weil es doch am Ende einen höchsten Begriff ... geben muß, von dem sich als solchem nichts weiter abstrahieren läßt, ohne daß der ganze Begriff verschwindet". (Logik § 11. Anm., 97) "Der höchste Begriff, von dem man eine Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche und Unmögliche. Da aber alle Einteilung einen eingeteilten Begriff voraussetzt, so muß noch ein höherer angegeben werden, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande überhaupt (problematisch^enommen und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sei)." Das Verfahren, das die formale Logik für eine systematische Koordination von Begriffen und ihre Subordination unter einen obersten Begriff zur Verfügung zu stellen, besteht in der prinzipiengeleiteten Bildung korrekter kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Urteile; und die Prinzipien der Bildung solcher Urteile sind der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, der Satz vom zureichenden Grund und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Der Satz vom zureichenden Grund ist in Ergänzung durch den Satz vom ausgeschlossenen Dritten das "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" aller kategorischen Urteile (vgl. Logik Einl., 51/52 u. 53), die unter diesem Gesichtspunkt die "Materie" hypothetischer und disjunktiver Urteile ausmachen (vgl. Logik §§ 25. u. 28., 105 f.). Auch die Möglichkeit einer Rechtfertigung der vollständigen Bestimmung aller im Rahmen der formalen Logik zu berücksichtigen Urteilsformen ergibt sich aus dem Allgemeingültigkeitsanspruch dieser Wissenschaft. In ihr können nur solche Urteilsformen berücksichtigt werden, die bei jeder denkbaren Verwendung eines Begriffs zur Kennzeichnung irgendwelcher Dinge und ihrer Unterscheidung voneinander verwendet werden müßten; und es müssen alle und nur die Urteilsformen bestimmt werden, die im Sinne dieser Verwendung von Merkmalen elementar sind. Da man von jedem bestimmten Inhalt eines Begriffs absehen und sich denken kann, er habe irgendeinen anderen,
Reichs Idee eines Beweises der Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel
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müssen in der formalen Logik alle Urteilsformen unberücksichtigt bleiben, deren Bildung eine Bestimmung oder Unterscheidung von Begriffsinhalten voraussetzt. Dieser Notwendigkeit fallen zunächst alle Urteilsformen zum Opfer, deren Bildung insbesondere die Anschauungsformen von Raum und Zeit voraussetzt, da wir selbst von diesen im Rahmen unserer Erkenntnis von Gegenständen allgemeinverbindlichen Formen absehen und uns denken können, daß irgendwelche anderen Wesen Anschauungen irgendeiner uns unbekannten Form besitzen mögen. Funktionen, in denen Begriffe in Urteilen insofern verwendet werden können, als diese räumliche oder zeitliche Größen oder Verhältnisse zum Inhalt haben, kommen also nicht als Gegenstände der formalen Logik in Frage. Darüber hinaus muß im Rahmen der formalen Logik von allen Funktionen solcher Begriffe in Urteilen abgesehen werden, deren Verwendung die Möglichkeit der Unterscheidung auch nur irgendwelcher Inhalte beliebiger Anschauungsform voraussetzt. Damit scheiden aus der formallogischen Betrachtung alle Begriffe aus, die irgendwelche Größen von oder Relationen zwischen Gegenständen zum Inhalt haben, da diese sich nur unter Voraussetzung der Möglichkeit der Unterscheidung irgendwelcher Gegenstände oder Zuständen bilden lassen. Nach Kant verbleiben für eine Urteilstafel der allgemeinen Logik nur die Formen bejahender und verneinender kategorischer sowie die Formen hypothetischer und disjunktiver Urteile. Letztere beide Formen können berücksichtigt werden, obgleich kategorische Urteile ihre "Materie" ausmachen, da in ihnen nur die Art der Verknüpfung dieser Urteile, nicht aber auch deren Wahrheit behauptet wird (vgl. Logik §§ 25. u. 28., 105 f.). Eine Charakterisierung hypothetischer und disjunktiver Urteile setzt die bloß problematische Annahme der Wahrheit oder Falschheit irgendwelcher kategorischen Urteile voraus, und diese Annahme erfordert keine inhaltliche Bestimmung oder Unterscheidung der in solchen Urteilen möglicherweise verwendeten Begriffe. Da die formale Logik sich bei der Unterscheidung kategorischer Urteile nur der Annahme ihrer Wahrheit bzw. Falschheit bedienen kann, kann sie nur die Form dichotomer disjunktiver Urteile berücksichtigen, (vgl. Logik § 113. Anm. 1. u. 2., 147) Kontingent partikuläre Urteie enziehen sich einer formallogischen Betrachtung, da das formale "Kriterium der äußerlichen logischen Wahrheit" kategorischer Urteile in bezug auf die korrekte Subordination der in ihnen verwendeten Begriffe der Satz vom zureichenden Grund ist (vgl. Logik Einl., 51/52) und dementsprechend "von den besonderen Urteilen ... zu merken [ist], daß, wenn sie durch die Vernunft sollen können eingesehen werden und also
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
eine rationale, nicht bloß intellektuale (abstrahierte) Form haben: so muß das Subjekt ein weiterer Begriff... als das Prädikat sein" (vgl. Logik § 21. Anm. 5,103). 'Einzelne' Urteile können in der formalen Logik als solche nicht berücksichtigt werden, da "in Ansehung" jedes inhaltlich unbestimmten Begriffs beliebig viele "spezifische Unterschiede vorhanden sein" können, so daß es unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Logik "einen niedrigsten Begriff... oder eine niedrigste Art... in der Reihe der Arten und Gattungen nicht [gibt], weil ein solcher sich unmöglich bestimmen läßt". (Logik § 11. Anm., 97; vgl. B 683/684) 'Unendliche' Urteile können in der formalen Logik als solche nicht berücksichtigt werden, weil man bei ihrer Charakterisierung voraussetzen muß, es sei möglich, die negativ gekennzeichneten Dinge durch irgendein von dem negierten Merkmal inhaltlich verschiedenes positives Merkmal zu kennzeichnen. Da die allgemeine Logik es aber "bloß mit der Form des Urteils, nicht mit den Begriffen ihrem Inhalt nach... zu tun hat: so ist die Unterscheidung der unendlichen von den negativen" bzw. von den bejahenden kategorischen "Urteilen nicht zu dieser Wissenschaft gehörig", (vgl. Logik § 22. Anm. 2., 104 u. B 97) Der Anspruch Kants auf die Vollständigkeit seiner Urteilstafel fußt also in seiner Uberzeugung von der Vollständigkeit der Bestimmung der bei jeder denkbaren unterscheidenden Kennzeichnung von Dingen zu verwendenden elementaren Funktionen von Begriffen in Urteilen durch die formale Logik. Bei der Suche nach diesen elementaren Funktionen kann es die Logik nach Kant nicht nur zu einer vollständigen Bestimmung bringen, sondern "scheint" sie ihm "schon von den ältesten Zeiten her", nämlich "seit dem Aristoteles ... allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein" (vgl. B VIII). Zwar ist Kant der Uberzeugung, erst durch die Entdeckung der Anschauungsformen und die Ausgrenzung aller Begriffe, die auf ihnen beruhen, auf die wirklich elementaren Urteilsformen und Kategorien gestoßen zu sein (vgl. Prol. § 39., 323), seines Erachtens ist die allgemeine Logik aber eine eigenständige, von der Transzendentalphilosophie verschiedene Wissenschaft (vgl.: B VIII; B 76; Logik Einl., 13,15,19); und Kant setzt die "schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker" bei der Aufstellung seiner Urteils- und Kategorientafel voraus (vgl. Prol. § 39., 323). Dafür, daß Kant die Aufgabe einer metaphysischen Erörterung der in der Urteilstafel genannten Urteilsformen mit Ausnahme der von ihm gelieferten Begründung für die Aufnahme der Formen 'einzelner' und 'unendlicher' Urteile als durch die allgemeine Logik erfüllt ansah, spricht auch seine Charakterisierung ihrer Methode. Dieser Methode
Reichs Idee eines Beweises der Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel
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nach genügt die allgemeine Logik nämlich seinen Anforderungen an eine metaphysische Erörterung, d.h. sie enthält "dasjenige", was Begriffe im Verhältnis zu unseren Erkenntnissen "als a priori gegeben darstellt" (vgl. B 38). Die formale Logik ist nach Kant "eine Wissenschaft der notwendigen und allgemeinen Regeln des Denkens"; diese können zwar "zuerst nur durch Beobachtung... [des] natürlichen Gebrauchs [unseres Verstandes] gefunden werden" (vgl. Logik Einl., 17), doch bleibt die Logik bei diesen Beobachtungen nicht stehen und gewinnt ihre Prinzipien nicht durch bloße "Beobachtungen über unseren Verstand", d.h. nicht "aus der Psychologie" (vgl. Logik Einl., 14), sondern im wesentlichen ist die Logik eine "Analytik" (vgl. Logik Ein!., 16). Die Grundsätze der Logik werden "von dem objektiven ... und möglichen Gebrauch des Verstandes ... abstrahiert", nicht aber von "dem subjektiven und wirklichen ... deriviert"; sie sind Gesetze "der richtigen Erkenntnis überhaupt in Ansehung möglicher Erkenntnis" und "keine empirische principie" aus der "Psychologie". (Refl. 1603.) Die elementaren Funktionen von Begriffen in Urteilen werden von Kant also nicht aus einem obersten Prinzip abgeleitet, sondern durch eine Analyse unserer Verwendung von Begriffen auf diejenigen allgemeinen Formen hin entdeckt, die elementare Bedingungen jeder denkbaren Möglichkeit einer Gewinnung von Erkenntnissen durch eine Verwendung von Begriffen sind. Die Frage, ob wir nicht auch ganz andere als die uns denkbaren Urteilsformen verwenden könnten und daher möglicherweise ganz andere Funktionen von Begriffen in Urteilen als elementar auszuzeichnen wären, ist eine unbeantwortbare, rein spekulative Frage, da wir uns von solchen Urteilsformen nur den negativen Begriff machen können, eben andere als die uns denkbaren zu sein. Da der Nachweis der von Kant beanspruchten Vollständigkeit seiner Urteils- und Kategorientafel im wesenlichen mit den Mitteln der Aufstellung der formalen Logik, d.h. auf dem Wege der Analyse zu erbringen ist, läßt sich allerdings "von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes ..., nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zustande zu bringen, ... ebensowenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind" (vgl. B 145/146). Wie läßt sich diese Begründung der Vollständigkeit der Urteilstafel aber mit den anscheinend ganz entgegengesetzten Aussagen Kants vereinbaren, man habe "allererst ein System" der Kategorien gewonnen, wenn man sie "aus einem Prinzip a priori ableiten und alles auf solche
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
Weise in einem Erkenntnis vereinigen kann" (vgl. Prol. § 39., 322), und man müsse die systematische "Einheit" der Kategorien "in demjenigen" suchen, "was selbst den Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauche, enthält" (vgl. B 131), und somit sei "die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß" (vgl. B 133 Anm.)? In der Tat versteht Kant unter der transzendentalen Deduktion der Kategorien eine Ableitung, nämlich ihre "objektive Deduktion" im Unterschied zu einer bloß "subjektive[n] Ableitung" (vgl. B193). Nur soll in der transzendentalen Deduktion nicht - wie Reich annimmt - erst der "Leitfaden" der Entdeckung der Urteilsformen und Kategorien ausgearbeitet werden (vgl. Reich 1948,26), sondern es soll "die Befugnis... [des] Gebrauchs" der Kategorien (B 117) "als Prinzipien ... der Erfahrung" (B 168) nachgewiesen werden. Die transzendentale Deduktion setzt eine Bestimmung des wahrheitsvalenten systematischen Denkens a priori nach dem Leitfaden der Idee der transzendentalen Logik bereits voraus (vgl. B 118) und wäre als eine Ableitung der Urteilsformen als bestimmter Funktionen von Begriffen in Urteilen zirkulär. Unter dem Gesichtspunkt ihrer transzendentalen Aufgabe jedoch, zu erkennen zu geben, "daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden oder möglich sind ... (d.i. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori)" (vgl. B 80), ist sie als Ableitung zirkelfrei. Denn auch wenn der Begriff eines kategoriengeleiteten Denkens bereits zur Charakterisierung des Selbstbewußtseins zu denken verwendet werden muß, könnte durch die Voraussetzung der realen Möglichkeit eines durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte und den Nachweis, daß dieses Bewußtsein die Möglichkeit des Selbstbewußtseins zu denken einschließt, doch die Realmöglichkeit der Verwendung der bis dahin nur begrifflich entworfenen Kategorien nachgewiesen werden. In Analogie zu Kants ontologischer Unterscheidung des kategorischen Imperativs und der moralischen Willensfreiheit des Menschen in der 'Kritik der praktischen Vernunft' (vgl. KpV, 5 Anm.) könnte man die Idee der transzendentalen Logik als die 'ratio cognescendi' der transzendentalen Apperzeption und das Selbstbewußtsein zu denken als die 'ratio essendi' der transzendentalen Logik betrachten. Aus unserem Selbstbewußtsein zu denken können die Kategorien oder Urteilsformen zwar nicht zirkelfrei abgeleitet werden; wenn aber gezeigt werden kann, daß die Realmöglichkeit des Selbstbewußtseins zu denken eine not-
Prauss' Interpretation von Kants Auffassung des Wahrheitsproblems
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wendige Bedingung unseres real möglichen durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte ist, so kann hierdurch die Aufstellung der Kategorien in dem Sinne bestätigt werden, daß wir einen Realgrund dafür angeben können, "daß gerade so viel, nicht mehr, nicht weniger ... [unsere] Erkertntnisart ausmachen könne", und wir können somit die sachliche "Notwendigkeit" ihrer "Einteilung" einsehen, "welches ein Begreifen ist" (vgl. Prol. § 39., 322). Unser Begreifen ist nach Kant aber von einem deduktiven Begründen oder Ableiten verschieden: "Nichts kann mehr begriffen werden, als was der Mathematiker demonstriert, z.B. daß alle Linien im Cirkel proportional sind. Und doch begreift er nicht: wie es zugehe, daß eine so einfache Figur diese Eigenschaften habe. Das Feld des Verstehens oder des Verstandes ist daher überhaupt weit größer als das Feld des Begreifens oder der Vernunft". (Logik Einl., 65)
}. VI. Prauss' Interpretation von Kants Auffassung des Wahrheitsproblems
Die einzige Arbeit aus der modernen Kantliteratur, die sich Kants Stellungnahme zum Problem der Aufstellung eines Kriteriums der Wahrheit zum Hauptgegenstand gemacht hat, ist der erstmals 1969 erschienene und 1973 in überarbeiteter Fassung neu veröffentlichte Aufsatz von Gerold Prauss 'Zum Wahrheitsproblem bei Kant'. Prauss unterzieht hier die einschlägigen Aussagen Kants aus dem dritten Teil der Einleitung in die transzendentale Logik einer näheren Analyse, um zu klären, in welchem Sinne Kant die Frage 'Was ist Wahrheit?' als "ungereimt" zurückweist (vgl. B 82) und in welchem Sinne er sie trotz dieser Zurückweisung durch die Aufstellung einer transzendentalen Logik als "Logik der Wahrheit" (vgl. B 86) zu beantworten versucht, (vgl. Prauss 1973, 74) Ganz richtig stellt Prauss unter Hinweis auf entsprechende Passagen der 'Kritik der reinen Vernunft' (hier u. a. B 236, B 296, B 670, B 848/849) zunächst fest, daß sich die Aussage Kants "Die Namenerklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt und vorausgesetzt" (B 82) nicht auf die 'Kritik' selbst bezieht, sondern die Erklärung der Wahrheit als der Ubereinstimmung eines Urteils mit dem in ihm beurteilten Gegenstand "sogar ihr eigentliches Thema bildet", (vgl. Prauss 1973, 74) Unter Hinweis auf eine Passage aus der Einleitung der von Jäsche zusammengestellten 'Logik' Kants faßt Prauss diese Aussage mit Recht in
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
dem Sinne auf, "daß Kant hier kurz auf eine historisch überlieferte Situation Bezug nimmt, in der 'man', gemeint sind hier sicherlich die Skeptiker, den Logikern die Wahrheitsfrage stellte, um sie damit 'in die Enge zu treiben'" (Prauss 1973,74; vgl. Logik Einl., 50). Vor dem Hintergrund dieser Situation interpretiert Prauss nun auch die von Kant in bezug auf die Frage nach dem Kriterium der Wahrheit erwähnte Möglichkeit, daß eine "Frage an sich ungereimt ist und unnötige Antworten verlangt" (B 82). Diese Formulierung sei nicht im Sinne von '"die Frage an sich ist ungereimt' zu lesen, was darin soviel heißt wie 'die Frage als solche ist ungereimt'", da Kant selbst diese Frage ja zu beantworten versuche (vgl. Prauss 1973, 75), sondern die "Frage 'Was ist Wahrheit?', die durchaus nicht als solche ungereimt, sondern als eine transzendentale Frage Thema der transzendentalen Logik ist", werde "nach Kant zu einer ungereimten Frage dadurch, daß man sie dem formalen Logiker stellt" (vgl. Prauss 1973, 76). Bei dieser Interpretation vernachlässigt Prauss jedoch die von Kant vorgenommene Spezifikation dieser Frage und wird dadurch im weiteren Verlauf seines Aufsatzes zu einer unangemessenen Unterscheidung von Kants formaler und transzendentaler Logik veranlaßt. Zwar kann Kant die Frage 'Was ist Wahrheit?' nicht in jedem möglichen Sinne als 'ungereimt' zurückweisen, da er sie in einem bestimmten Sinne mit seiner transzendentalen Ästhetik und transzendentalen Logik selbst zu beantworten versucht; in dem pauschalen Sinn aber, in dem diese Frage nach Kant hier gemeint ist, ist sie seines Erachtens durchaus schon als Frage "ungereimt" und zählt ganz unabhängig von ihrem Adressaten zu dem, wovon man schon seinem Sinne nach einsehen kann, daß man es "vernünftigerweise" nicht "fragen solle" (vgl. B 82). Wenn man diese Frage in ihrer undifferenzierten Form stellt, so "verlangt" man nach Kant nämlich "zu wissen, welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei" (B 82), und diese Frage ist schon als solche "ungereimt", da ein allgemeines und sicheres, d.h. "ein hinreichendes und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich", d.h. weder in der formalen Logik noch in der Transzendentalphilosophie "angegeben werden" kann (vgl. B 83). Das Ansinnen, ein solches Kriterium der Wahrheit zu liefern, ist "in sich selbst widersprechend", da dieses Kriterium als allgemeines "von allen Erkenntnissen ohne Unterschied ihrer Gegenstände gültig" sein müßte, als hinreichendes aber zugleich "gerade diesen Inhalt" betreffen müßte, (vgl. B 83) Da Prauss nicht sieht, daß Kant die Frage "Was ist Wahrheit?" als Frage nach einem allgemeinen und zugleich hinreichenden Kriterium
Prauss' Interpretation von Kants Auffassung des Wahrheitsproblems
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der Wahrheit für "ungereimt" erklärt (vgl. B 82), meint er, nach Kant dürfe diese Frage in keinem möglichen Sinne an einen Vertreter der formalen Logik, sondern nur an einen Transzendentalphilosophen gestellt werden. Seines Erachtens kommt es Kant darauf an, "die Wahrheitsfrage ganz aus dem Bereich der formalen Logik herauszunehmen" (vgl. Prauss 1973, 78), da diese Frage "im Rahmen der formalen Logik ungereimt" werde (vgl. Prauss 1973, 76). Diese Interpretation ist unzutreffend. (vgl. Wagner 1977, 73) Zwar ist nach Kant jedes logisch widerspruchsvolle Urteil "falsch, wenn es sich aber nicht widerspricht, nicht allemal wahr" (Logik Einl., 51; vgl. Prauss 1973, 77); hieraus folgt jedoch nicht, wie Prauss meint, daß eine Nennung von "formallogischen Regeln" als "Antwort auf die Frage 'Was ist Wahrheit?'... niemals auftreten" kann (vgl. Prauss 1973,77). Vielmehr behauptet Kant ausdrücklich, daß "die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft" nach dem "bloß logische[n] Kriterium der Wahrheit... die conditio sine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahrheit" ist (B 84; vgl. Logik Einl., 51). Selbstverständlich liefert die formale Logik mit ihren Kriterien der "formale[n] Wahrheit" (vgl. Logik Einl., 51) kein allgemeines und hinreichendes Kriterium der objektiven Wahrheit, und nach Kant reichen ihre Kriterien im Unterschied zu den Kriterien der transzendentalen Logik noch nicht einmal hin, Urteile, die sich überhaupt auf Gegenstände beziehen können, von denen zu unterscheiden, für die dies nicht gilt (vgl. B 87); aber sobald man die Frage 'Was ist Wahrheit?' nicht mehr als Frage nach einem allgemeinen und hinreichenden Kriterium versteht, kann und muß die Nennung formallogischer Prinzipien nach Kant zur Teilbeantwortung dieser Frage dienen (vgl. Wagner 1977, 73). Zur näheren Erläuterung seiner Interpretation, die formale Logik sei nach Kant nicht in der Lage, einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach einem Kriterium der Wahrheit zu liefern, trifft Prauss eine Unterscheidung zwischen formaler und transzendentaler Logik, die in Widerspruch zu den diesbezüglichen Aussagen Kants steht. Die Hauptthese seines Aufsatzes ist, daß Kant "eine ganz besondere Wahrheit meint", wenn er in der transzendentalen Logik eine Logik sieht, bei deren Verletzung ein Urteil '"alle Wahrheit'... verliert"; der Ausdruck "alle Wahrheit" bedeute hier nämlich "soviel wie 'alle Wahrheitsdifferenz'" (vgl. Prauss 1973,83 f.): "Was den Kriterien der formalen Logik widerspricht, ist, wenn auch nicht wahr oder konsistent, so doch immerhin falsch, und das heißt: immerhin wahrheits different; was hingegen der transzendentalen Logik widerspricht, ist nicht einmal dies, nicht einmal falsch, weil über-
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
haupt nicht wahrheitsdifferent, hat also von vornherein keinerlei Möglichkeit, wahr oder falsch zu sein." (Prauss 1973, 84) Dieser Interpretation zufolge wäre es die Aufgabe der formalen Logik, unter den transzendentallogisch wahren, d.h. wahrheitsfähigen Urteilen erst in einem zweiten Schritt wahre kategorische, hypothetische und disjunktive Urteile von falschen zu unterscheiden. Auch formallogisch falsche Urteile müßten nach dieser Interpretation also schon Urteile über Gegenstände möglicher Erfahrung sein. Diese Implikation der Auffassung von Prauss steht jedoch in Widerspruch zu der Aussage Kants, die formale Logik abstrahiere "von allem Inhalt der Erkenntnis, d.i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt", und betrachte "nur die logische Form im Verhältnisse der Erkenntnisse auf einander, d.i. die Form des Denkens überhaupt" (vgl. B 79). Da die formale Logik vom Bezug von Urteilen auf gegebene Gegenstände absieht, können auch transzendentallogisch unbestimmte oder falsche Urteile formallogisch korrekt gebildet sein. So "bedürfen" nach Kant z.B. unsere "Wahrnehmungsurteile ... keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt", (vgl. Prol. § 18., 298) Zwar sind auch formallogisch wahre Urteile schon Urteile, in denen Bezug auf irgendwelche Dinge genommen wird, aber die formale Logik betrachtet unsere Urteile nicht in der Eigenschaft, die diese besitzen müssen, um Bezug auf gegebene Gegenstände haben zu können, sondern nach ihren Maßstäben kann ich mir "denken..., was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d.i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist, ob ich zwar dafür nicht stehen kann, ob im Inbegriffe aller Möglichkeiten diesem auch ein Objekt korrespondiere oder nicht" (vgl. B XXVI Anm.). Sowohl die Prinzipien der formalen als auch die Prinzipien der transzendentalen Logik sind also Kriterien der Wahrheitsfähigkeit von Urteilen, wobei die Prinzipien der transzendentalen Logik aber ein engeres Kriterium abgeben sollen als es die Prinzipien der formalen Logik darstellen. Durch Anwendung der Prinzipien der formalen Logik wird nach Kant festgestellt, in welchen Urteilen überhaupt irgendwelche Dinge in ihren Eigenschaften bestimmt oder voneinander unterschieden werden könnten. Erst durch Anwendung der transzendentalen Logik werden unter den formallogisch korrekten Urteilen diejenigen ausgezeichnet, die uns angesichts der notwendigen sinnlichen Bedingungen unserer Erkenntnisse von Gegenständen wirklich zur Bestimmung von Gegenständen dienen könnten, d.h. denen wenigstens "im Inbegriffe aller Möglichkeiten ... ein Objekt" korrespondiert (vgl. B XXVI Anm.).
Heckmanns Kritik am Wahrheitsverständnis Kants
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Urteile, die der transzendentalen Logik nicht genügen, verlieren lediglich in dem Sinne "alle Beziehung auf irgendein Objekt, mithin alle Wahrheit" (B 87), daß ein Bezug dieser Urteile auf Gegenstände zwar nicht undenkbar, aber unseres Wissens unmöglich feststellbar ist. Hinreichend zur Bestimmung der Klasse der wirklich wahren Urteile kann auch die transzendentale Logik nicht sein, da der Begriff eines allgemeinen und zugleich hinreichenden Kriteriums der Wahrheit in sich widerspruchsvoll ist.
/. VII. Heckmanns Kritik am Wahrheitsverständnis Kants
Heinz-Dieter Heckmann trägt in seiner "systematisch-kritischen Untersuchung" philosophischer Wahrheitstheorien "Was ist Wahrheit?" von 1981 einige allgemeine Einwände gegen Kants Ansatz zur Beantwortung dieser Frage vor. Kant sei einer "korrespondenztheoretischen Insinuation erlegen", da er "dem korrespondenztheoretischen Paradigma insofern noch verhaftet" bleibe, "als ... er die Korrespondenzformel zum Ausgangspunkt nimmt: Wahrheit soll sein eine adäquate Beziehung des erkennenden Subjekts zum erkannten Objekt, nur eben nicht mehr in 'objektivistischer', 'scholastischer' Manier, sondern als transzendentale Synthesis des Objekts durch das Subjekt"; die "ontologisch-metaphysische und die transzendentalphilosophische Adäquationstheorie" hätten jedoch noch den "Berührungspunkt, daß sie Wahrheit als Relation auffassen, die eine als Objekt-Objekt-Beziehung, die andere als Subjekt-Objekt-Beziehung"; beides sei jedoch "in wahrheitstheoretischer Hinsicht inadäquat, denn Wahrheit" sei "keine Beziehung (ausgedrückt etwa durch die dyadischen Prädikate '... stimmt überein mit...' oder'... wird konstituiert durch ...'), sondern eine Eigenschaft, die durch einen monadischen Prädikator ('... ist wahr') bezeichnet wird", und "diese Einsicht" finde "in beiden Ansätzen keine Berücksichtigung", (vgl. Heckmann 1981,44) Dieser Einwand Heckmanns greift nicht, da es geradezu die Hauptthese der Erkenntnistheorie Kants ist, daß das zweistellige Prädikat"... stimmt mit seinem Gegenstand ... überein' in jedem Einzelfall durch das einstellige Prädikat"... ist unter den gegebenen Umständen kategorial korrekt gebildet' ersetzt werden kann. Ob die Zuschreibung der nicht natürlichen Eigenschaft der Wahrheit unter Verwendung eines einstelligen oder eines zweistelligen Prädikators zu formulieren ist, hängt davon ab, ob das Kriterium der Wahrheit des betreffenden Urteils oder
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Die Bezugnahme auf Gegenstände
Ausdrucks bei dieser Zuschreibung vollständig angegegeben wird oder nicht. Entsprechendes gilt auch für andere normative Eigenschaftszuschreibungen. Beurteilt man z.B. eine bestimmte Handlung als geboten oder einen bestimmten Vorwurf als berechtigt, so spricht man der betreffenden Handlung bzw. dem betreffenden Vorwurf diese Eigenschaft stets vor dem Hintergrund bestimmter Umstände zu. Betrachtet man die Angabe aller dieser Umstände im Einzelfall als zum Prädikat des Gebotenseins bzw. der Berechtigung gehörig, kann man diese Urteile durchaus unter Verwendung eines einstelligen Prädikators formulieren. Will man den Sinn der Ausdrücke 'ist geboten' oder 'ist berechtigt' hingegen allgemein angeben, muß man neben der Möglichkeit einer Verschiedenheit z.B. der gebotenen Handlungen oder der berechtigten Vorwürfe auch mit der Möglichkeit einer Verschiedenheit der Umstände rechnen, die diese geboten bzw. berechtigt erscheinen lassen. Bei der Angabe des allgemeinen Sinnes solcher Ausdrücke muß man also sowohl eine Variable für den beurteilten Gegenstand als auch für die betreffenden Umstände verwenden und sie mit Hilfe eines zweistelligen Prädikators formulieren. Sieht man in der Wahrheit "eine Eigenschaft, die durch einen monadischen Prädikator ... bezeichnet wird" (vgl. Heckmann 1981,44), setzt man voraus, daß sich die Umstände dieser Eigenschaftszuschreibung vollständig angeben lassen. Will man den Sinn solcher Eigenschaftszuschreibungen hingegen allgemein angeben, muß man einen zweistelligen Prädikator verwenden und z.B. sagen, daß jedes Urteil wahr ist, das mit seinem Gegenstand übereinstimmt. Kant geht zunächst von der Nominaldefinition der Wahrheit als der Übereinstimmung eines Urteils mit seinem Gegenstand aus und sucht nach dem allgemeinen Kriterium der Wahrheit, das bei jeder Unterscheidung objektiv wahrer von falschen Urteilen verwendet wird (vgl. B 82 f.; Prol. Anh., 375). Er beansprucht jedoch nicht, ein allgemeines und zugleich hinreichendes Kriterium der Wahrheit angeben zu können, sondern die von ihm genannten Bedingungen a priori sollen lediglich notwendige Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis eines existierenden Gegenstandes oder realen Zustandes sein (vgl. B 196 f., B XXVI Anm.). Auch das von ihm angegebene Kriterium der Wahrheit müßte in formaler Notation also eine Variable für bestimmte Umstände, nämlich für gegebene Empfindungen enthalten (vgl. B 147), die dem Erkennenden bewußt sind, ohne daß er durch Kriterien auf sie Bezug nimmt. Nähme man die Beschreibung solcher Empfindungserlebnisse aber in das besondere Kriterium der Wahrheit eines bestimmten Urteils auf, so könnte dieses Kriterium durchaus als komplexes einstelliges Prädikat formuliert werden. Das Bewußtsein, gegebene Empfindungen kate-
Heckmanns Kritik am Wahrheitsverständnis Kants
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gorial korrekt in bestimmter Form in Urteilen über räumliche Gegenstände oder zeitliche Zustände verknüpfen zu müssen, ist nach Kant mit der Erkenntnis dieser Gegenstände bzw. Zustände identisch. Seines Erachtens "ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht" (B 137). Kant ist korrespondenztheoretischen Einflüssen also keineswegs einfach "erlegen" (vgl. Heckmann 1981,44), sondern er versucht unsere Uberzeugung, unseren Erkenntnisurteilen korrespondierten existierende Gegenstände, als das Bewußtsein verständlich zu machen, gegebene Vorstellungen in bestimmter Forn kohärent miteinander verknüpfen zu müssen;; und in der transzendentalen Deduktion der Kategorien versucht er darüber hinaus, das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein solcher methodisch geleiteter Verknüpfungsleistungen als notwendige Bedingung unseres durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte zu erweisen.
K. Die transzendentale Deduktion der Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien K. I. Die Aufgabe der transzendentale
Deduktion
Die transzendentale Logik soll unsere Anschauungen dadurch als Vorstellungen von Gegenständen oder Zuständen verständlich machen, daß sie "die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe" bringt (B 105), die es als Metabegriffe der elementaren Formen aller korrekten synthetischen Verknüpfungen von Vorstellungen erlauben, solche Verknüpfungen als formal notwendig korrekt gebildet aufzufassen. Werden Vorstellungen vom Bewußtsein der notwendigen formalen Korrektheit ihrer Verknüpfung begleitet, so gehen die zunächst nur sinnlich erlebten oder im einzelnen inhaltlich bewußten Vorstellungen in diesem Bewußtsein "aus sich selbst heraus" (vgl. B 242), da sie nicht mehr nur Fälle sinnlichen Erlebens sind, sondern man sich darüber hinaus denkt, angesichts ihres Gegebenseins in synthetischen Urteilen Vorstellungen von bestimmten Gegenständen bilden zu müssen. Das "Objekt" einer Erkenntnis ist nach Kant nichts anderes als "das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung" kategorial korrekt "vereinigt ist", (vgl. B137) Ob wir bestimmte existierende Gegenstände erkennen können, hängt - wie im vorigen Kapitel dieser Arbeit erläutert wurde - davon ab, daß uns Empfindungen gegeben sind, die es ermöglichen, zum Zwecke ihrer Integration in ein durchgängiges Bewußtsein bestimmte synthetische Verknüpfungen von Teil Vorstellungen des a priori gegebenen Mannigfaltigen von Raum und Zeit als notwendig korrekt gebildet aufzufassen. Die Verwendung der Kategorien bei der Verknüpfung gegebener Empfindungen in den Anschauungsformen von Raum und Zeit ist also mit dem Anschauen bestimmter Gegenstände oder Zustände identisch; und die Verwendung der Kategorien bei der Bildung von Urteilen über empirisch gegebene räumliche oder zeitliche Gegenstände oder Zustände ist mit einer Erkenntnis dieser Gegenstände oder Zustände identisch. Erfahrungsurteile sind in dem Sinne Erkenntnisse von existierenden Gegenständen oder realen Zuständen, daß wir der Uberzeugung sind, bei ihrem Vollzug jeweils ein bestimmtes Prinzip
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ihrer kategorialen Korrektheit zu befolgen, das auch unabhängig von seiner Befolgung für alle möglichen Fälle der Verknüpfung der jeweils gegebenen Empfindungen normativ gilt. Noch aber scheint Kants Versuch, durch die Aufstellung einer transzendentalen Logik eine zirkelfreie Erläuterung des Begriffs der Wahrheit zu liefern, unvollständig oder gar zum Scheitern verurteilt zu sein. Wenn es auch möglich sein mag, sich die Qualitäten gegebener Vorstellungen durch deren kategoriale Verknüpfung "als im Objekt verbunden vor[zu]stellen" (vgl. B130), so gewährleistet allein das Gegebensein von Empfindungen doch nicht, daß die Anwendungsbedingungen der Kategorien erfüllt sind. Die kategoriale Bestimmung synthetischer Verknüpfungen von Vorstellungen setzt nämlich die "Einheit" der "Synthesis" des "Mannigfaltigen" der gegebenen Vorstellungen voraus (vgl. B 130), da synthetische Verknüpfungen jeweils bestimmter gebenener Vorstellungen nur im Rahmen genau einer Synthesis aller Vorstellungen als in genau ihrer Form allgemein korrekt ausgezeichnet werden können. Es ist aber durchaus denkbar, daß jeweils nur ein bestimmter Teil von nur einzeln bewußten Vorstellungen gedanklich miteinander verknüpft werden kann, ohne auch mit anderen Vorstellungen verknüpft werden zu können, so daß gar nicht entschieden werden könnte, ob eine bestimmte Verknüpfung von Vorstellungen in allen möglichen Fällen der Verknüpfung solcher Vorstellungen in genau ihrer Form kategorial korrekt ist. Daß "Gegenstände der sinnlichen Anschauung den im Gemüt a priori liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit gemäß sein müssen, ist daraus klar, weil sie sonst nicht Gegenstände für uns sein würden; daß sie aber auch überdem den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einheit des Denkens bedarf, gemäß sein müssen, davon ist die Schlußfolge nicht so leicht einzusehen. Denn es könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände, und alles so in Verwirrung läge, daß z.B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Handgäbe, und also dem Begriff der Ursache und Wirkung entspräche, so daß dieser Begriff also ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung wäre." (B122/123) Solange nicht vorausgesetzt werden kann, daß überhaupt irgendwelche gegebenen Vorstellungen synthetisch miteinander verknüpft werden können, ist zweifelhaft, ob überhaupt irgendwelche Anschauungen von Gegenständen und auf ihrer Grundlage objektiv gültigen Erkenntnisurteile gebildet werden können; und solange die bildbaren einzelnen synthetischen Verknüpfungen nicht auch untereinander ver-
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knüpft werden können, könnten sie noch nicht einmal Vorstellungen von Zuständen verschiedener Welten ausmachen, da diese Welten durch diese nur jeweils einzeln bewußten Vorstellungen nicht voneinander unterschieden werden könnten. Wenn die Verwendung der Kategorien zur Bildung von Vorstellungen eindeutig bestimmbarer Gegenstände oder Zustände die Möglichkeit einer Einheit aller synthetischen Verknüpfungen von Vorstellungen voraussetzt, muß zum Nachweis der Anwendbarkeit der transzendentalen Logik ein Grund für eine Einheit aller synthetischen Verknüpfungen von Vorstellungen gefunden werden, die "noch höher" liegt als die durch die Verwendung der Kategorien erst zu bildende Einheit der Verbindung von Eigenschaften eines angeschauten Gegenstandes (vgl. B 131). Und da schon die Entscheidbarkeit der Widerspruchsfreiheit eines Urteils im Sinne der formalen Logik von der Möglichkeit abhängt, eindeutig zu entscheiden, welche Vorstellungsinhalte zum Inhalt seines Subjektbegriffs zählen, setzt schon die Anwendbarkeit der Grundsätze der formalen Logik die kategoriale Korrektheit der synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen zur Vorstellung des jeweiligen Gesamtinhaltes eines Subjektbegriffs voraus. Der gesuchte Grund der Einheit aller synthetischen Vorstellungsverknüpfungen muß also zugleich als der "Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauche" gelten (vgl. B 131). Aber selbst wenn alle gegebenen Vorstellungen sich aus einem bestimmten Grund synthetisch miteinander verknüpfen lassen sollten und die Verwendung der Kategorien somit die Bildung von Vorstellungen eindeutig bestimmbarer Gegenstände ermöglichen würde, bliebe noch die Frage, ob uns die synthetisierende Verknüpfung von Vorstellungen und die kategoriale Auszeichnung solcher Verknüpfungen als formal notwendig korrekter Verknüpfungen nicht lediglich die Illusion der Existenz von Gegenständen oder der Realität von Zuständen verschafft. Hat man nämlich einmal den Standpunkt einer formalen Betrachtung unserer Verknüpfungen von Vorstellungen eingenommen und von deren Qualität abstrahiert, kann man sich denken, daß auch andere als die uns gegebenen Vorstellungen synthetisch miteinander verknüpft werden könnten und irgendwelche anderen Wesen möglicherweise zu Erkenntnissen ganz anderer Gegenstände gelangen als wir. Obwohl wir uns solche alternativen Erkenntnisse in keinem ihrer Inhalte positiv vorstellen, sondern uns nur denken können, daß sie von unseren Erkenntnissen verschieden wären, macht doch schon diese bloß spekulative Möglichkeit die objektive Gültigkeit der Vorstellungen von Raum und
Die Aufgabe der transzendentale Deduktion
Zeit und damit die der uns real möglichen synthetischen Urteile zweifelhaft. Da die Kategorien es uns erlauben, "von Gegenständen nicht durch Prädikate der Anschauung und der Sinnlichkeit, sondern des reinen Denkens a priori [zu] reden" und uns auf irgendwelche Dinge "ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit allgemein [zu] beziehen", erregen sie "wegen der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht". (B 120) Sollte man nicht aus demselben Grunde, aus dem man den Empfindungsqualitäten objektive Gültigkeit abgesprochen hat, nämlich wegen ihrer mangelnden intersubjektiven Gültigkeit, auch allen unseren Verknüpfungen des Mannigfaltigen der Anschauungen von Raum und Zeit ihre objektive Gültigkeit absprechen und sich darauf beschränken zu behaupten, unser sinnliches Erleben sei lediglich ein Indiz dafür, daß irgendwelche Dinge existieren, wir könnten diese Dinge aber keineswegs bestimmend erkennen, da sie in allen ihren Eigenschaften durch unser sinnliches Erleben zugleich völlig entstellt würden? Wenn die transzendentale Logik zu Recht als eine Logik der Wahrheit gelten soll, d.h. wenn sie die Realmöglichkeit der Bezugnahme auf bestimmte uns gegebene Gegenstände verständlich machen soll, bleibt also nachzuweisen, daß von den Kategorien ein auf die Verknüpfungen der uns gegebenen Vorstellungen eingeschränkter Gebrauch gemacht werden kann, obwohl die Kategorien Begriffe der notwendigen, d.h. der absolut allgemeinen formalen Korrektheit synthetischer Verknüpfungen von Vorstellungen sind. Anderenfalls lassen sich keine transzendentallogischen Grundsätze, d.h. keine Prinzipien des korrekten Gebrauchs der Kategorien im Rahmen unserer Erfahrung aufstellen, und die transzendentale Logik läßt sich nicht zu einer Theorie der real möglichen Bezugnahme auf Gegenstände ausbauen. Solange keine Begründung für die Anwendbarkeit der Kategorien auf Verknüpfungen der uns gegebenen Vorstellungen geliefert wird, d.h. solange nicht nachgewiesen wird, daß sich alle unsere möglichen Vorstellungen synthetisch zu genau einer Einheit verknüpfen lassen, ist die Aufstellung der transzendentalen Logik als Logik der Bezugnahme auf gegebene Gegenstände noch nicht abgeschlossen, und es muß evtl. ganz auf die objektive Gültigkeit unserer Erkenntnisse verzichtet werden. Die Begründung für die "Befugnis" der Verwendung der Kategorien im Rahmen unserer endlichen Erfahrung nennt Kant in Anlehnung an die Sprache der "Rechtslehrer" (vgl. B 116) die "Deduktion ... der Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauchs" aus einem bestimmten "Rechtsgrund" (vgl. B 117). Da diese Deduktion mit zu der "Erkenntnis" gehört, "daß und wie gewisse Vorstellungen... a priori angewandt werden" (vgl. B 80), d.h. "zur Erkenntnis" der "Möglichkeit" zählt, "wie
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Die transzendentale Deduktion
sie sich ... a priori auf Gegenstände der Erfahrung beziehen können" (vgl. B 81), ist diese Deduktion selbst eine "transzendentale Deduktion" (B 117). Wenn Kant die Rechtfertigung der Möglichkeit einer Verwendung der Kategorien im Rahmen unserer Erfahrung als 'Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" bezeichnet, nimmt er damit also kein besonderes Verfahren der Deduktion in Anspruch, sondern durch die nähere Bestimmung dieser Deduktion als 'transzendental' wird ihr Zweck angegeben, zu erklären, "wie sich" die Kategorien als "Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können" (vgl. B 117). Ihrer Form nach ist die transzendentale Deduktion eine "Ableitung" (vgl. B 393), nämlich eine Ableitung der Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien aus einem bestimmten "Rechtsgrund" (vgl. B117). Als Bestandteil der "Analytik der Begriffe" (vgl. B 116) hat die "Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" darüber hinaus den Charakter einer Analyse, nämlich der "Zergliederung des Verstand es Vermögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen" (vgl. B 90).
K. II. Der erste Schritt der Deduktion
Da in der transzendentalen Deduktion die Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien nachgewiesen werden soll, uns eindeutig bestimmbare existierende Gegenstände aber nur durch Empfindungen, d.h. in der sinnlichen Erfahrung gegeben werden, muß die Verwendung der Kategorien in der transzendentalen Deduktion aus einem solchen Rechtsgrund abgeleitet werden, der insbesondere als Bedingung der Möglichkeit sinnlicher Erfahrung ausgewiesen werden kann. "Die transzendentale Deduktion aller Begriffe a priori" hat als "Principium, worauf die ganze Nachforschung gerichtet werden muß,... daß sie als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung erkannt werden müssen" (B126), denn "ohne diese ursprüngliche Beziehung auf mögliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstände der Erkenntnis vorkommen, würde die Beziehung derselben auf irgendein Objekt gar nicht begriffen werden können" (B 127). Die Teilleistung jeder möglichen Erkenntnis, aus der die Möglichkeit der Verwendung der Kategorien abgeleitet werden soll, ist das durchgängige subjektive Bewußtsein der Inhalte gegebener Vorstellungen. Jede Verwendung von Vorstellungen im Rahmen einer Erfahrung schließt nach Kant das gedankliche Bewußtsein von ihren Inhalten ein.
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"Wenn ich mich in Gedanken zum Tier mache" (Brief an Herz vom 26.5. 1789,52), d.h. wenn ich davon absehe, daß mir meine Vorstellungen von Gegenständen oder Zuständen bei deren Erkenntnis insgesamt inhaltlich bewußt sind (vgl. Logik Einl., 65), so sind meine Vorstellungen "für mich, als erkennendes Wesen, schlechterdings nichts ..., wobei sie ... als Vorstellungen, die nach einem empirischen Gesetze der Assoziation verbunden wären und so auch auf Gefühl und Begehrungsvermögen Einfluß haben würden, in mir, meines Daseins unbewußt,... immerhin ihr Spiel regelmäßig treiben können, ohne daß ich dadurch in mindesten etwas, auch nicht einmal diesen meinen Zustand, erkennete" (Brief an Herz vom 26. 5.1789, 52). Versucht man aber näher zu erläutern, was es heißt, sich gegebener Vorstellungen insgesamt inhaltlich bewußt zu sein, zeigt sich, daß das sinnliche Erleben zur Bildung eines solchen Bewußtseins nicht hinreicht. "Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann" nämlich "in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich, d.i. nichts als Empfänglichkeit ist, und die Form dieser Anschauung kann a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes, als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird", (vgl. B 129) Das Bewußtsein sinnlicher Erlebnisse kann nach Kant nicht ausschließlich als sinnliches Erleben verstanden werden, da es eine Einstellung zu diesen Erlebnissen einschließt. Im Rahmen eines sukzessiven sinnlichen Erlebens können wir die Inhalte gegebener Vorstellungen zwar in Verbindung miteinander erleben, aber wir können uns der erlebten Vorstellungsinhalte allein auf diese Weise nicht als im zeitlichen Erleben miteinander verbundener Inhalte bewußt sein, denn die Vorstellung von einer "Verbindung... eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein" (B 129/130). Außer unserem sinnlichen Erleben enthalten unsere Erfahrungen nach Kant aber als weitere fundamentale Teilleistung nur noch die Leistung des Denkens, (vgl. B 74) Folglich kann die in unserem Bewußtsein gegebener Vorstellungen enthaltene Einstellung zu unseren sinnlichen Erlebnissen nur eine gedankliche Leistung sein, und wir können uns unserer Vorstellungen nur als in bestimmter gedanklicher Form verknüpfter Vorstellungen bewußt sein. Da unser sinnliches Erleben als solches keine gedankliche Struktur hat, uns aber nur in gedanklicher Form bewußt werden und zur Erfahrung von Gegenständen oder Zuständen dienen kann, muß es sich bei der unser Bewußtsein gegebener Vorstellungen ermöglichenden gedanklichen Leistung um einen "Aktus der Spontaneität" unseres Verstandes (vgl. B 129/130) handeln.
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Mit dem Befund, daß das Bewußtsein gegebener Vorstellungen eine gedankliche Form haben muß, ist jedoch noch nicht erläutert, in welchem Sinne eine Verknüpfung von Vorstellungen genau ein Bewußtsein vom Gesamtinhalt dieser Vorstellungen ausmachen kann. Jedes Bewußtsein "eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen" muß nämlich eine bei allem Wechsel dieses Mannigfaltigen "durchgängige Identität" besitzen (B 133), und dieses durchgängig identische Bewußtsein kann nicht lediglich als die Leistung verstanden werden, daß man jeweils eine gegebene Vorstellung mit einer nächsten verknüpft, denn auf diese Weise "mag" man sich "jedes" der Teile des gegebenen mannigfaltigen Inhalts nur "besonders ... bewußt sein" (vgl. Brief an Herz vom 26. 5.1789,50). Wenn Vorstellungen uns nur durch ihre gedankliche Verknüpfung inhaltlich bewußt werden können, muß das bei allem Wechsel der gegebenen Inhalte durchgängige Bewußtsein eine alle einzelnen Verknüpfungen umfassende gedankliche Struktur besitzen. Eine solche Struktur kann unser Bewußtsein nach Kant nur haben, wenn die einzelnen Verknüpfungen gegebener Vorstellungen insgesamt das Produkt unserer uns mehr oder weniger deutlich bewußten Leistung sind, überhaupt zu denken. Nur das Bewußtsein der Leistung des Denkens überhaupt als methodisch erbrachter Leistung kann "in allem Bewußtsein ein und dasselbe" sein und "von keiner" Vorstellung "weiter begleitet werden" (vgl. B 132). Die "durchgängige Identität" des Bewußtseins gegebener Vorstellungen ist nach Kant nur dadurch möglich, "daß ich eine zu der anderen hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin" (vgl. B133). Zwar können wir uns der Inhalte gegebener Vorstellungen oder des Vollzugs von Urteilen bewußt sein, ohne uns unseres Denkens klar bewußt zu sein, aber es muß uns im Rahmen unserer Erfahrung stets möglich sein, uns unseres Denkens klar bewußt zu sein, denn sonst könnten uns unsere Vorstellungen nicht in einem durchgängigen Bewußtsein insgesamt bewußt sein und uns nicht zur Erkenntnis von Gegenständen oder Zuständen dienen. "Das: Ich denke, muß" also in jeder möglichen Erkenntnis "alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein", (vgl. B 131/132) Die Vermutung, man könnte Vorstellungen haben, derer man sich gar nicht bewußt sein könnte, ist eine rein spekulative Vermutung, da man mangels eines Bewußtseins dieser Vorstellungen ihren vermeintlichen Besitz niemals als eigenen Zustand erkennen könnte (vgl. Brief an Herz vom 26.5.1789,52). Nach menschlichem Ermessen
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'wenigstens' sind alle Vorstellungen, die 'für mich nichts sein' können, also 'unmöglich'. Kant sieht in dem Hauptteil des angeführten Satzes "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können" den obersten "Grundsatz" aller menschlichen Erkenntnis, der "zwar selbst... ein analytischer Satz" ist, "aber doch eine Synthesis des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwendig" erklärt, "ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann", (vgl. B 135/136) Dieser Grundsatz ist ein allgemeiner Satz über 'meine Vorstellungen'; und er ist ein analytischer Satz, da unter 'meinen' Vorstellungen die mir durchgängig bewußten Vorstellungen zu verstehen sind, die bereits "insgesamt zu einem Selbstbewußtsein" gehören (vgl. B132). Der Inhalt seines Prädikats 'Das: Ich denke... begleiten', nämlich das Selbstbewußtsein des Urteilenden 'Ich denke', wird also "schon... [,] obgleich verworren", (vgl. B 11) in seinem Subjektbegriff 'meine Vorstellungen' gedacht; und durch das Prädikat wird nur näher erläutert, was es heißt, ein durchgängiges Bewußtsein eigener Vorstellungen zu haben. Wird von meinem durchgängigen Bewußtsein meiner Vorstellungen hingegen abgesehen und werden diese Vorstellungen nur als mir sinnlich gegebene oder mir nur einzeln bewußte Vorstellungen betrachtet, so wird dieser Grundsatz zu einem synthetischen Satz, da solche Vorstellungen von mir erst noch durch ihre methodische Verknüpfung in ein durchgängigfes Bewußtsein "gebracht werden müssen" (vgl. B 135/136). Wären mir gegebene Vorstellungen nur einzeln bewußt, so hätte ich von ihnen nur ein "empirische[s] Bewußtsein", das "an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts" ist (vgl. B 138). 'Für mich' als ihr identisches Subjekt wären diese unzusammenhängenden Fälle von Bewußtsein dann aber 'nichts', (vgl. B 131/132) Unter diesem Gesichtspunkt sagt Kant, in der ersten Auflage der 'Kritik': "Der synthetische Satz: daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt." (A 117 Anm.) Da uns aber - auch nach Maßgabe dieses synthetischen Grundsatzes - alle Vorstellungen, anhand derer wir überhaupt Behauptungsurteile aufstellen können, insgesamt bewußt sei müssen, müssen wir auch von den in diesem synthetischen Grundsatz nur als einzeln 'empirisch' bewußt betrachteten Vorstellungen bereits ein durchgängiges Bewußtsein haben, von dessen umfassender gedanklicher Struktur wir nur absehen.
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Die transzendentale Deduktion
Auch Vorstellungen, von denen wir uns denken, sie seien uns nur einzeln bewußt, müssen folglich 'in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden' sein. Dem obersten Grundsatz unseres Denkens kann neben seinem synthetischen Sinn also nicht nur jederzeit ein analytischer Sinn gegeben werden, sondern er kann in seinem synthetischen Sinn sogar erst durch ein Absehen von unserem durchgängigen Bewußtsein aller seiner Vorstellungsinhalte gebildet werden. Der analytische Sinn scheint also der grundlegende Sinn dieses Grundsatzes zu sein; und aus diesem Grund dürfte Kant ihn in der zweiten Auflage unmittelbar als analytischen Satz, nämlich mit dem Subjektbegriff 'meine Vorstellungen', formuliert haben. Dieser Grundsatz ist der "oberste Grundsatz" unseres Verstandes, da "die Einheit des Bewußtseins dasjenige" ist, "was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand... ausmacht", (vgl. B136 f.) Wenn Vorstellungen uns nur durch ihre methodische Verknüpfung durchgängig inhaltlich bewußt werden können und das in diese methodische Verknüpfungsleistung eingeschlossene mehr oder weniger klare Selbstbewußtsein zu denken als das Bewußtsein zu verdeutlichen ist, die Kategorien als Prinzipien der korrekten Bildung synthetischer Urteile zu verwenden, garantiert das durchgängige subjektive Bewußtsein wechselnder Vorstellungsinhalte nämlich die Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien, d.h. der Bezugnahme mit gegebenen Vorstellungen auf real existierende Gegenstände oder Zustände. Kant nennt die Einheit des Selbstbewußtseins zu denken daher auch "die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen", (vgl. B 132)
K. III. Das Selbstbewußtsein a priori und die empirische
Selbsterkenntnis
Da das durchgängige Bewußtsein gegebener Vorstellungen eine Erkenntnis von Gegenständen oder Zuständen erst ermöglicht, kann dieses Bewußtsein und können die in dieses Bewußtsein eingeschlossenen Leistungen keinem bestimmten erkennbaren Gegenstand zugeschrieben werden. Nach Kant "liegt" es zwar "schon im Begriffe des Denkens", daß "das Ich der Apperzeption... in jedem Denken ein Singular sei, der nicht in eine Vielheit der Subjekte aufgelöst werden kann", und daß "Ich, der ich denke, im Denken immer als Subjekt und als Etwas, was nicht bloß wie Prädikat dem Denken anhängend betrachtet werden kann, gelten müsse" (vgl. B 407); auch das Urteil "Ich denke" ist seines
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Erachtens "folglich ein analytischer Satz" (vgl. B 407). Weil dieses "Bewußtsein an sich" aber "nicht sowohl eine Vorstellung ist", in der man "ein besonderes Objekt unterscheidet, sondern eine Form derselben überhaupt, sofern sie Erkenntnis genannt werden soll", kann man von dem "transzendentale[n] Subjekt der Gedanken ... = X,... abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben", sondern es "nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind", erkennen, (vgl. B 404) Solange das Selbstbewußtsein zu denken keinerlei sinnliche Qualitäten zum Inhalt hat und in dem bloßen Gedanken besteht, irgendwelche kategorial korrekten synthetischen Urteile zu bilden, muß der "Satz: Ich denke, ... problematisch genommen" werden, d.h. offengelassen werden, ob ich als "das Subjekt desselben ... nun existieren [mag] oder nicht" (B 405), da dem Urteilenden kein Kriterium zur Verfügung steht, anhand dessen er die Realität einer bestimmten gedanklichen Leistung feststellen könnte. Zwar würde "der Aktus: Ich denke,... ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt,... nicht stattfinden" (B 422 Anm.), doch in dem bloß gedanklichen Selbstbewußtsein 'Ich denke' hat man kein Bewußtsein von einem solchen Stoff. Durch dieses Selbstbewußtsein ist "das Dasein" meiner selbst als des Urteilenden zwar "schon gegeben", nicht aber erkannt, denn "ich stelle mir nur die Spontaneität meines Denkens, d.i. des Bestimmens, vor, und mein Dasein bleibt immer nur sinnlich, d.i. als das Dasein einer Erscheinung, bestimmbar", (vgl. B 157 Anm.) In "der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt" kann ich mir zwar denken, "daß ich bin", nicht aber erkennen, daß ich als bestimmtes Einzelding existiere. (vgl. B 157) Wenn der Satz "Ich denke ... soviel sagt, als: ich existiere denkend, ist nicht bloß logische Funktion", d.h. ist nicht nur das Bewußtsein meines kategorial korrekten Denkens in ihm enthalten, sondern "auch Rezeptivität der Anschauung", (vgl. B 429/430) Um über das Bewußtsein, "daß ich bin" (vgl. B 157), hinaus zu der Erkenntnis zu kommen, welches Ding ich bin, muß ich mir zumindest eines zeitlich eindeutig bestimmbaren Zustandes meiner selbst als denkenden Wesens, d.h. des Vollzugs eines bestimmten Gedankens oder einer Vorstellung bestimmter gedanklicher Struktur bewußt sein. Nur ein Bewußtsein, in dem auch "die Art, wie ich das mannigfaltige zu demselben Gehörige in mir setzen soll,... gegeben" ist, ist eine Selbsterkenntnis (B 157 Anm.); und diese "Bestimmung meines Daseins kann nur... nach der besonderen Art, wie das Mannigfaltige, das ich verbinde, in der inneren Anschauung gegeben wird, geschehen" (B158). Auf besondere Art kann uns das Mannigfaltige der inneren Anschauung aber nur durch Empfindungen gegeben
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Die transzendentale Deduktion
werden. Folglich kann ich mir "meiner ... bestimmten Existenz" nicht "außer der Erfahrung und den empirischen Bedingungen derselben bewußt werden", und ich darf mein bloß gedankliches Selbstbewußtsein "Ich denke" nicht mit "dem vermeinten Bewußtsein einer abgesonderten möglichen Existenz meines denkenden Selbst" verwechseln, (vgl. B 426/427)
K. IV. Der zweite Schritt der Deduktion
Mit der Argumentation dafür, daß uns Vorstellungen nur durch ihre prinzipiengeleitete Verknüpfung durchgängig inhaltlich bewußt werden können, ist noch nicht der Nachweis erbracht, daß es sich bei den hierbei verwendeten Prinzipien um die Kategorien handeln kann. Der Möglichkeit einer Verwendung der Kategorien bei der Verknüpfung der uns gegebenen Vorstellungen scheint nämlich die Endlichkeit unserer Erfahrung entgegenzustehen. Bei den Kategorien soll es sich um Begriffe handeln, durch deren Verwendung synthetische Urteile als im Rahmen aller überhaupt bildbaren synthetischen Urteile in genau ihrer Form notwendig korrekt gebildet ausgezeichnet werden. Da wir im Rahmen unserer Erfahrung aber nur eine endliche Zahl synthetischer Urteile bilden können, scheinen wir gar keinen sinngemäßen Gebrauch von den Kategorien machen zu können. Die Vorstellungen von Raum und Zeit, die aufgrund ihres potentiell unendlich mannigfaltigen Inhalts die Bildung unendlich vieler synthetischer Urteile ermöglichen würden, reichen in Verbindung mit den Kategorien zur Bildung synthetischer Urteile über eindeutig bestimmbare Gegenstände nicht hin, da sie a priori gegeben sind und die Vorstellungen besonderer ihrer Inhalte willkürlich zu Vorstellungen von Dingen beliebiger Gestalt oder Größe synthetisiert werden können (vgl. B 757). Durch eine kategoriale "Bestimmung" der Anschauungen a priori von Raum und Zeit "können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach ...; ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt doch dabei noch unausgemacht". (B147) Erst das Bewußtsein gegebener Empfindungen bietet die Möglichkeit, zum Zwecke ihrer Integration in ein durchgängiges Bewußtsein eine Art der Synthesis von Vorstellungen des Mannigfaltigen a priori von Raum und Zeit einer anderen Art vorzuziehen. "Dinge im Raum und der Zeit" werden uns nur durch "Wahrnehmungen (mit Empfindung begleitete Vorstellungen)...,
Der zweite Schritt der Deduktion
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mithin durch empirische Vorstellung" gegeben. (B 147) Die transzendentale Deduktion muß also noch zeigen, "daß die Einheit" unserer empirischen Anschauung "keine andere sei, als welche die Kategorie ... dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt vorschreibt". (vgl. B 145) Die Möglichkeit der Verwendung der Kategorien im Rahmen unserer Erfahrung beruht darauf, daß unsere Erfahrung auch auf Seiten des sinnlichen Erlebens, nämlich in den Anschauungsformen von Raum und Zeit, universell allgemeingültige Bedingungen a priori ihrer Möglichkeit hat. Weil unserer Erfahrung "eine gewisse Form der sinnlichen Anschauung a priori zum Grunde liegt", können wir uns eine "synthetische Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori denken", und diese Einheit ist eine "Bedingung", die "alle Gegenstände unserer (der menschlichen) Anschauung notwendigerweise" erfüllen "müssen", (vgl. B 150) Aufgrund der Anschauung a priori erhalten die Kategorien nach Kant "objektive Realität, d.i. Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung gegeben werden können, aber nur als Erscheinungen..., denn nur von diesen sind wir der Anschauung a priori fähig", (vgl. B 150/151) Die Vorstellungen von "Raum und Zeit sind" nach Kant "nicht bloß ... Formen der sinnlichen Anschauung, sondern Anschauungen selbst"; sie werden nämlich "mit der Bestimmung der Einheit" des potentiell unendlichen "Mannigfaltigen in ihnen a priori vorgestellt", (vgl. B 160) Im jeweils vorletzten Abschnitt der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit wurde die These, diesen Begriffen lägen Anschauungen a priori zugrunde, gerade damit begründet, daß "man sich nur einen einigen Raum vorstellen" kann und man, "wenn man von vielen Räumen redet,... darunter nur Teile eines und desselben alleinigen Raumes" versteht (vgl. B 39) bzw. "verschiedene Zeiten ... nur Teile eben derselben Zeit" sind (vgl. B 47). Zwar kann die "Verbindung ... eines Mannigfaltigen überhaupt... niemals durch Sinne in uns kommen und ... also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein" (vgl. B 129/130), sondern auch die "Einheit" der "Anschauungen" von "Raum und Zeit" setzt "eine Synthesis, die nicht den Sinnen angehört", voraus (vgl. B 160 Anm.), (vgl. Wagner 1980,356 ff.) aber die Vorstellungen des potentiell unendlichen Mannigfaltigen von Raum und Zeit bringen es mit sich, daß sie nur zur Anschauung genau eines Raumes bzw. genau einer Zeit verbunden werden können. "Also ist selbst schon Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen außer uns oder in uns, mithin auch eine Verbindung, der alles, was im Raum oder der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll, gemäß sein muß,
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a priori als Bedingung der Synthesis aller Apprehension", d.h. der Aufnahme der Inhalte empirisch gegebener Vorstellungen in das Bewußtsein, "schon mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben". (vgl. B 160/161) Folglich können wir schon im Rahmen unserer Erfahrung, nämlich in Rücksicht auf die Form aller uns möglichen Erfahrung, eine Verwendung von den Kategorien als Begriffen der universell allgemein korrekten synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen machen. Da Gegenstände oder Zustände von uns nur in den Anschauungsformen von Raum und Zeit identifiziert werden können und da das Mannigfaltige in Raum und Zeit nur durch eine Verwendung der Kategorien zur Gesamtheit des uns bewußten Mannigfaltigen in dem einen Raum und der einen Zeit verknüpft worden sein kann, kann sogar behauptet werden, daß wir der Natur als der Gesamtheit aller für uns erkennbaren Gegenstände oder Zustände eine kategoriale Struktur geben, "also der Natur gleichsam das Gesetz [vorschreiben] und sie" ihrer Form nach "möglich ... machen" (vgl. B 159).
K. V. Die Grenzen der
Skepsis
Wenn aus unserem durchgängigen Bewußtsein verschiedener gegebener Vorstellungsinhalte die Realmöglichkeit der Verwendung der Kategorien abgeleitet werden kann, so hat dies Konsequenzen für die Berechtigung einer Skepsis in bezug auf die Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnisse. Versteht man unter einer solchen Skepsis den Glauben an die Unmöglichkeit objektiv gültiger Erkenntnisse, so ist ein solcher "Skeptizismus" lediglich die Haltung einer "kunstmäßigen ... Unwissenheit" (vgl. B 451), die genaugenommen in sich widersprüchlich ist. Denn auch, wer an die Unmöglichkeit von Erkenntnissen glaubt, muß sich gewisser Vorstellungsinhalte insgesamt bewußt sein. Jedes solche Bewußtsein schließt nach Kant aber das mehr oder weniger klare Selbstbewußtsein zu denken ein, und dieses Selbstbewußtsein ist seines Erachtens mit einer Verwendung der Kategorien identisch. Jeder, der ein durchgängiges Bewußtsein von einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungsinhalten haben kann, ist also wenigstens in der Lage, auch Erkenntnisse von existierenden Gegenständen zu haben. Andererseits kann eine solche skeptische Haltung ein bloßer Zweifel an der objektiven Gültigkeit unserer Erkenntnisse sein, der durch problematische Erwägungen von Einwänden oder alternativen Ansichten gestützt wird. Eine solche skeptische "Methode, einem Streite der Be-
Guyers Interpretationen und Kritik der transzendentalen Deduktion
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hauptungen zuzusehen, oder vielmehr ihn selbst zu veranlassen, nicht um endlich zum Vorteile des einen oder des anderen Teils zu entscheiden, sondern um zu untersuchen, ob der Gegenstand desselben nicht ein bloßes Blendwerk sei" (vgl. B 451), wird durch die Transzendentalphilosophie als sinnvolles Verfahren ausgewiesen. Da es sich bei den Vorstellungen von Raum und Zeit um subjektive Anschauungen handelt, können wir keine Erkenntnisse von Gegenständen in deren erfahrungsunabhängiger Beschaffenheit gewinnen; und da Urteile über existierende Gegenstände von uns nur im Rahmen unserer sinnlichen Erfahrung als notwendig korrekt gebildet ausgezeichnet werden können, sind uns absolut notwendig wahre Erkenntnisse von existierenden Gegenständen unmöglich. Unter Rechtfertigungsgesichtspunkten müssen alle unsere Erkenntnisse von Gegenständen vielmehr als korrekturfähige Erkenntnisse bestimmter Erscheinungen von irgendwelchen Dingen gelten, die uns in ihrer erfahrungsunabhängigen Beschaffenheit unbekannt bleiben müssen. Skeptische Einwände können also berechtigt gegen den "Dogmatiker", d.h. gegen denjenigen "gerichtet" werden, der mit rein begrifflichen Mitteln Behauptungen über reale Gegenstände aufstellen zu können meint (vgl. B 791, B 764). Zwar eröffnet die transzendentale Deduktion die Möglichkeit, allgemeine Grundsätze der wirklichen Verwendung der Kategorien aufzustellen, aber objektive Gültigkeit besitzen diese Grundsätze "immer nur indirekt durch Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung" (B 765). Aus den allgemeinen Grundsätzen unserer Erfahrung können besondere naturwissenschaftliche Gesetze "nicht vollständig abgeleitet werden", weil letztere nur "empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen" können. (B165) Der "große Nutzen", auf "skeptische Art" zu argumentieren, liegt darin, daß man dadurch "eines großen dogmatischen Wustes ... überhoben sein kann" (B 513/514); aber zur bestimmenden Unterscheidung "dessen, was wir wissen", von dem, "was wir dagegen gar nicht wissen können", macht ein bloß skeptisches Argumentieren "gar nichts aus" (B 791). Zum Zwecke einer solchen Unterscheidung muß man "an dessen Statt eine nüchterne Kritik ... setzen" (vgl. B 514), d.h. Erkenntnisse auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin untersuchen (vgl. B 512). K.V1. Guyers Interpretationen und Kritik der transzendentalen Deduktion
Die im Rahmen der jüngsten Kantliteratur ausführlichste Auseinandersetzung mit Kants Versuch einer transzendentalen Deduktion der Kategorien ist die 1987 erschienene Arbeit 'Kant and the Claims of
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Knowledge' von Paul Guyer. Durch häufige Rückgriffe auf von Kant nicht selbst veröffentlichte Schriften und Kants Reflexionen, versucht Guyer nachzuweisen, daß Kant verschiedene Strategien einer Deduktion der Kategorien verfolgt hat und auch in der zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunff noch zwei Hauptstrategien miteinander konkurrieren und teilweise ineinander verwoben sind. Nach Guyer ist die "transcendental deduction as a proof that certain concepts are the conditions of the possibility of experience ... obviously ambiguous, wavering between, on the one hand, a conception which assumes that we have knowledge of objects and merely determines the necessary conditions thereof and one, on the other, which shows instead that knowledge of objects, which requires the employment of certain categories, is itself a necessary condition of some form of self-consciousness". (vgl. Guyer 1987,81) Eine kurze systematische Darstellung der von ihm diagnostizierten Hauptstrategien gibt Guyer im letzten Kapitel seines Buches. Die erste Strategie geht nach Guyer aus von der "initial supposition that we are entitled to claim empirical knowledge of the relations, primarily temporal, of certain states of affairs - wether these are states represented as objective or representations as such", sodann werde in einem Zwischenschritt argumentiert, daß die Zeit selbst und somit auch zeitliche Relationen nicht unmittelbar wahrgenommen werden können und uns daher die Begriffe und Grundsätze des Verstandes Erkenntnisse zeitlicher Relationen ermöglichen müssen; aus diesen Prämissen werde auf ein System bestimmter Begriffe und Grundsätze des Verstandes geschlossen, die a priori gegeben sein müssen "at least in the sense of not themselves being derivable by straightforward induction or abstraction" von empirischen Urteilen über Zeitverhältnisse zwischen Gegenständen oder Vorstellungen, (vgl. Guyer 1987,418) Bei der zweiten Strategie, d.h. dem Versuch, eine Erkenntnis von Gegenständen und damit eine Verwendung der Kategorien als notwendige Bedingungendes Selbstbewußtseins des Erkennenden zu erweisen, wird ein solches Selbstbewußtsein nach Guyer als "knowledge of a universal and necessary truth" vorausgesetzt, sodann in einem Zwischenschritt darauf hingewiesen, daß solche notwendigen Wahrheiten nicht durch Erfahrung gerechtfertigt werden können, sondern eine Basis a priori haben müssen, und aus diesen Prämissen werde geschlossen, daß "a particular form of intuition, concept, or principle of judgement" die "only possible condition" ist, unter der ein solches Selbstbewußtsein möglich ist. (vgl. Guyer 1987,418)
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Die zweite dieser Strategien, den Versuch einer Deduktion der Kategorien auf der Basis des Selbstbewußtseins des Erkennenden als einer notwendig wahren Erkenntnis, sieht Guyer insbesondere in der transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft7 verwirklicht. Die erste Strategie liegt seines Erachtens insbesondere in der 'Analytik der Grundsätze' der zweiten Auflage vor. Guyer schätzt nur diese erste Strategie, d.h. den Versuch einer Deduktion der Kategorien auf der Basis empirischer Erkenntnisse von Gegenständen oder Zuständen, als erfolgversprechend ein: " T h e interpretation of the Critique of Pure Reason to be defended in
this book holds that the distinction between the 'Analytic of Concepts' and the 'Analytic of Principles' - that is, an initial defence of pure categories of the understandig, followed by a further argument for them in their 'schematized or temporally significant form - is artificial, and that the only part of even the Analytic of Principles' which is really compelling is the theory of time-deterrrunation outlined in the 'Analogies of Experience' as supplemented by the 'Refutation of Idealism'. (Guyer 1987,27) Diese Hauptthese seiner Arbeit versucht Guyer durch die Rekonstruktion und Prüfung von vier Varianten einer transzendentalen Deduktion der Kategorien zu begründen. In seiner Unterscheidung dieser vier Varianten sieht Guyer eine Differenzierung der von Dieter Henrich in 'Identität und Objektivität' getroffenen Unterscheidung einer Deduktion der Kategorien aus der Identität des Selbstbewußtseins einerseits und aus dem Objektivitätsanspruch von Erkenntnisurteilen andererseits (Guyer 1987, 86; vgl. Henrich 1976,31 ff. u. 94 ff.). Drei dieser Varianten ergeben sich aus der diagnostizierten zweiten Hauptstrategie durch nähere Charakterisierungen der im Rahmen dieser Strategie vorausgesetzten empirischen Erkenntnis. Bei ihr kann es sich nach Guyer entweder um eine empirische Erkenntnis von Gegenständen oder um eine empirische Selbsterkenntnis eigener Vorstellungszustände handeln, und die vorausgesetzten empirischen Erkenntnisse von Gegenständen werden seines Erachtens von Kant einerseits als Erkenntnisse beschrieben, die synthetische Erkenntnisse a priori einschließen und damit die Erkenntnis a priori der Kategorien implizieren, und sie werden nach Guyer andererseits als Erkenntnisse beschrieben, die schon selbst als bloße empirische Erkenntnisse eine Erkenntis a priori der Kategorien einschließen. Je nachdem, welche Art empirischer Erkenntnis bzw. ob man eine Selbsterkenntnis a priori als den von Kant gewählten Ausgangspunkt
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der Deduktion ansieht, ist man nach Guyer mit einer der vier folgenden Varianten der Deduktion konfrontiert: "IA: Judgements about empirical objects are possible, and these actually contain some synthetic a priori knowledge which implies the furter a priori knowledge of the categories, or IB: Judgements about empirical objects are possible, and although these do not themselves assert any claims to a priori knowledge, they do presuppose a priori knowledge of the categories. Alternatively, experience may oe understood merely subjectively that is equated with the possibility (cf. B131-2) of apperception as a form of mere self-consciousness, rather than consciousness of objects other than the self. In the case, Kant's remaining ambivalence about the kind of premise requisite for a transcendental >roof yields these two possible forms of argument: I A: Tne possibility of apperception as itself a kind of synthetic a priori knowledge implies a prion "knowledge of the objective validity of the categories that is, a priori knowledge of their application to objects regarded as distinct from the self, and IIB: The possibility of apperception even as a form of merely empirical knowledge of the self nevertheless implies a priori knowledge of the application of the categories to objects regarded as existing independently of the self." (Guyer 1987,85/86)
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1. Interpretation IA: Deduktion aus Erkentnissen a priori als Bedingungen empirischer Erkenntnisse von Gegenständen Der Versuch einer Deduktion der Kategorien im Sinne der Variante IA wird von Guyer mit der Begründung abgelehnt, daß es Kant bei der Wahl dieses Verfahrens nicht gelinge, "to establish a genuine connection between premise and conclusion at all", (vgl. Guyer 1987, 92) Selbst wenn unsere empirischen Erkenntnisse von Gegenständen die Erkenntnisse a priori der Geometrie und der reinen Naturwissenschaft implizieren sollten, scheint es Guyer fraglich, ob diese Erkenntnisse a priori "require any ä priori rules other than those of geometry and the corresponding mathematics of time themselves", und "of course there is no mention of substance, causation, or interaction in these" (vgl. Guyer 1987, 93). Die nähere Begründung, die Kant nach Guyer für eine Verwendung der Kategorien bei Erkenntnissen a priori und damit bei empirischen Erkenntnissen gibt, scheint diesem nur unter Voraussetzungen sinnvoll,
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die die gesamte Deduktion im Sinne der Variante IA zirkulär werden lassen. Nach Guyer versucht Kant, die Notwendigkeit der Verwendung der Kategorien bei diesem Verfahren letztlich mit der Behauptung zu begründen, daß "die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt... niemals durch Sinne in uns kommen [kann] und ... also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein" kann, da sie "ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft" ist (B 129/130). (vgl. Guyer 1987,109) Als Begründung der Notwendigkeit einer Verwendung der Kategorien scheint Guyer diese Behauptung aber unzureichend, da sie die Frage offenlasse "why should a subsequent reproduction" aller gegebenen mannigfaltigen Vorstellungen "in a single, complex representation not suffice for a representation of their combination? Whence arises the requirement that some additional concept of unity is required which must precede such an act of synthetic reproduction and make it possible?" (vgl. Guyer 1987,109) Kants These "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte" (B131/132) scheint Guyer zwar zu implizieren, "that one cannot synthesize a manifold of representations unless one can severally recognize its members as one's own" (vgl. Guyer 1987, 115); aber auch hiermit wird seines Erachtens keine Begründung dafür geliefert, daß die Verwendung der Kategorien "[is] required if several representations are to belong to consciousness of a single self" (vgl. Guyer 1987,116). Der Zusammenhang der Selbstzuschreibung von Vorstellungen und der Verwendung der Kategorien werde von Kant nur durch eine willkürliche Identifikation von Bedingungen der ersteren mit der letzteren hergestellt: "Kant first defines the faculty of understanding, which has thus far simply been conceived as the faculty of combination, as the 'faculty of knowledge', where knowledge 'consists in the determinate relation of given representations to an objecf and an 'object is that in the concept of which the manifold of a given intuition is united' (B 137)." (Guyer 1987,117) Hierdurch aber werde der gesamte Versuch einer Deduktion der Kategorien "circular", da Kant "sets out to derive the conditions for knowledge of objects from the conditions for self-consciousness, but instead just identifies the latter with the former." (vgl. Guyer 1987,117/ 118) Besonders deutlich werde dies bei der Einführung der Unterscheidung zwischen der "objektiven" und der "subjektiven Einheit des Bewußtseins" im § 18 der transzendentalen Deduktion der zweiten Aufla-
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ge. Nach Guyer ist Kant hier "identifying the 'transcendental' or 'objective unity of consciousness' not with the inescapable recognition of one's posession of one's own representations - which is present in what he here calls the subjective unity of consciousnes ... - but instead with that unity 'through which all of the manifold given in an intuition is united in the concept of an objecf (B139). But this just equates the transcendental unity of apperception with the knowledge of objects by fiat, instead of demonstrating a synthetic connection between them", (vgl. Guyer 1987,118) Damit sieht Guyer den von ihm diagnostizierten Versuch einer Deduktion vom Typ IA, d.h. einer Ableitung der Kategorien aus den in unsere empirischen Erkenntnisse nach Kant eingeschlossenen Erkenntnissen a priori, als gescheitert an.
2. Interpretation IB: Deduktion aus empirischen Erkenntnissen von Gegenständen Den Versuch einer Deduktion vom Typ IB, d.h. den Versuch nachzuweisen, daß die Verwendung der Kategorien eine unmittelbar notwendige Bedingung unserer empirischen Erkenntnisse von Gegenständen ist, sieht Guyer insbesondere in der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' verwirklicht. Bei dem Versuch einer Deduktion im Sinne der Strategie IB geht Kant nach Guyer von der "ultimately vital premise" aus, daß "since all knowledge requires, indeed in one sense consists in, a combination of a manifold of representations which, as has been pointed out at A 99, are always temporally diverse and thus successive, it is a necessary condition for knowledge of an object that one's present representation of the object, which is not in itself a manifold, be able to bring about 'a transition of the mind' to an actual manifold", (vgl. Guyer 1987,121) Aus dieser sachlich zutreffenden Feststellung ziehe Kant jedoch eine "hasty conclusion" (vgl. Guy er 1987,122). Aus ihr könne nur gefolgert werden, daß keine Reproduktion gegebener Vorstellungen möglich ist, "if experience is an incoherent stream of unrepeated juxtapositions"; Kant behaupte aber, "that 'there must therefore be something which, as the a priori ground of a necessary synthetic unity of appearances, makes their reproduction possible', namely a priori principles which ground the 'transcendental synthesis of imagination' (A 101)". (vgl. Guyer 1987, 122) Die Voraussetzung einer solchen notwendigen synthetischen Einheit wäre nach Guyer berechtigt, "only if it were also in fact necessary
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that such reproduction takes place"; die Notwendigkeit einer Reproduktion gegebener Vorstellungen werde von Kant aber nur "in the strictly relative or conditional sense" begründet, "that it must take place if empirical knowledge is to be had", und so scheitere Kants Versuch einer Ableitung der Kategorien als notwendiger Bedingungen empirischer Erkenntnisse "on the very distinction between conditional and absolute necessity", (vgl. Guyer 1987,122) "Kant can infer that reproducibility is a condition of the possibility of knowledge of objects but not that necessary reproducibility, and therefore a priori principles from which such a necessity would flow, is such a condition." (Guyer 1987,124) Einen weiteren Versuch Kants, die Kategorien im Sinne des Verfahrens IB als notwendige Bedingungen empirischer Erkenntnisse zu erweisen, ist nach Guyer in der 'Metaphysik Volckmann' dokumentiert; auch er wird von Guyer aber als erfolglos beurteilt, da auch hier "the link between determinacy and objectivity ... opaque" bleibe (vgl. Guyer 1987,127).
3. Kritik an den Interpretationen IA und IB Guyer sieht die wesentliche Prämisse der von ihm diagnostizierten ersten beiden Varianten der transzendentalen Deduktion darin, daß "judgements about empirical objects are possible" (vgl. Guyer 1987,85). Damit aber verkennt er die Aufgabe der transzendentalen Deduktion, und es wird ihm unmöglich, ihre argumentative Struktur zu erfassen. Die erkenntnistheoretische Frage "quid facti" (vgl. B 116) zu beantworten, d.h. durch eine Analyse der von uns beanspruchten Erkenntnisse von Gegenständen festzustellen, welche Grundbegriffe a priori wir im Rahmen dieser Erkenntnisse verwenden müßten, ist Aufgabe der metaphysischen Deduktion der Kategorien bzw. der metaphysischen Erörterungen der Begriffe von Raum und Zeit. Die metaphysische Deduktion der Kategorien wird von Kant in der 'Kritik der reinen Vernunft' nicht vollständig ausgeführt, sondern er geht bei der Aufstellung der Kategorien von der "schon fertige[n], obgleich noch nicht ganz von Mängeln freiefn] Arbeit der Logiker" aus (vgl. Prol. § 39., 323), erweitert die Reihe der elementaren formallogischen Begriffe der Funktionen von Begriffen in Urteilen zu einer transzendentallogischen Tafel der Funktionen von Begriffen in Urteilen über anschaulich gegebene Gegenstände
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und behauptet, durch die so gewonnenen Begriffen brächten wir "vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in [unsere] Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt" (vgl. B 105). Im Gegensatz zur metaphysischen Deduktion soll die transzendentale Deduktion der Kategorien aber die Frage "quid juris" beantworten (vgl. B 116), d.h. klären, ob die bereits als notwendige Bedingungen der von uns beanspruchten Erkenntnisse ausgewiesenen Kategorien zu Recht als von uns verwendete Begriffe gelten können oder unsere vermeintlichen Erkenntnisse nicht vielmehr bloße Illusionen sind. Eine "transzendentale Deduktion" ist eine "Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können", d.h. auf Gegenstände, "die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen" (vgl. B 117 = A 85). Die transzendentale Deduktion der Kategorien muß die Möglichkeit der Bezugnahme mit Begriffen auf Gegenstände also zur Disposition stellen und kann nicht, wie Guyer meint, davon ausgehen, daß "judgements about empirical objects are possible" (vgl. Guyer 1987, 85). Die transzendentale Deduktion kann von dem Phänomen der Erfahrung nur als subjektivem Phänomen ausgehen und muß durch seine Analyse zeigen, daß unsere Erfahrung als Erfahrung existierender Gegenstände ausfallen kann. Unsere Erfahrung wird von Kant nicht, wie Guyer meint, von vornherein "equated with knowledge of objects given by perception" (vgl. Guy er 1987,85). Schon in der ersten Auflage der 'Kritik' behauptet Kant, eine transzendentale Deduktion der Kategorien sei nur möglich, weil "unser Erkenntnis mit nichts als Erscheinungen zu tun hat, deren Möglichkeit in uns selbst liegt, deren Verknüpfung und Einheit (in der Vorstellung eines Gegenstandes) bloß in uns angetroffen wird, mithin vor aller Erfahrung vorhergehen und diese der Form nach auch allererst möglich machen muß" (vgl. A 130). "Die Möglichkeit..., ja sogar die Notwendigkeit [der] Kategorien beruht" schon nach der ersten Auflage "auf der Beziehung, welche die gesamte Sinnlichkeit und mit ihr auch alle mögliche Erscheinungen auf die ursprüngliche Apperzeption haben, in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d.i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß" (vgl. A 111/112); und den Bedingungen der Einheit des Selbstbewußtseins müssen alle unsere Vorstellungen von Gegenständen genügen, da "alle Anschauungen... für uns nichts [sind] und ... uns nicht im mindesten etwas an[gehen], wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können" (A 116; vgl. B 131/132). Die "mere reproduction of several representations originally apprehended successively" ist nicht, wie Guyer meint, "sufficient to constitute
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them as a collection" (vgl. Guyer 1987,116), weil wir gegebene Vorstellungen in der Einbildung nur reproduzieren können, indem wir sie uns bewußt machen, d.h. so miteinander gedanklich verknüpfen, daß wir ein durchgängiges Bewußtsein von ihnen gewinnen. Ihrem Inhalt nach "reproduzibel", so daß wir diesen nicht "aus den Gedanken verlieren" (vgl. A 102), sind uns nur solche Vorstellungen, die in ihrer gedanklichen Struktur den Bedingungen des "Bewußtsein[s] der Identität seiner selbst, [welches] zugleich ein Bewußtsein einer ... notwendigen Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen" ist, genügen (vgl. A108). Der "innere Sinn" enthält nämlich als die "bloße Form der Anschauung ... ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben ... noch gar keine bestimmte Anschauung", sondern diese ist "nur durch das Bewußtsein der Bestimmung" des inneren Sinnes "durch ... [den] Einfluß des Verstandes ... möglich". (B 154) Nach Kant ist es nicht erst, wie Guyer meint, die "knowledge ... that any particular succession of [subjective states] has occurred", die es nötig macht, "to determine the sequence of one impression upon another" (vgl. Guyer 1987,171 /172), sondern "the manifold of subjective states occurs" überhaupt nur in unserem Bewußtsein "or is given successively" (vgl. Guyer 1987,171) nur insofern, als dieses Mannigfaltige gedanklich zu dem Gesamtinhalt eines durchgängigen Bewußtseins verknüpft wird. Als "meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden" (B 132/133). "Alles empirische Bewußtsein" jemandes, der Erkenntnisse auch nur beansprucht, hat also "eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besonderen Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein... unserer selbst", (vgl. A 117 Aran.) "Dieses Bewußtsein kann" hierbei "oft nur schwach sein, so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Aktus selbst, d.i. unmittelbar mit der Erzeugung der Vorstellung verknüpfen", (vgl. A103/104) Zum Nachweis der Realmöglichkeit objektiv gültiger Erkenntnisse von Gegenständen unter Verwendung der Kategorien kommt es erst durch die Verdeutlichung des durchgängigen Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte. Ist man sich irgendwelcher gegebenen Vorstellungen nicht nur jeweils einzeln, sondern insgesamt bewußt, so hat man diese Vorstellungen nicht nur in bestimmter zeitlicher Abfolge, sondern man erlebt die gegebenen Vorstellungsinhalte selbst in Verbindung miteinander. Die Vorstellung einer "Verbindung... eines Mannigfaltigen... kann" aber "niemals durch Sinne in uns kommen", da diese uns nur zu der "Empfänglichkeit" befähigen, durch Gegenstände "affiziert" zu
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werden (vgl. B 129), aber nicht die Möglichkeit einer durchgängigen Einstellung zu den wechselnden sinnlichen Vorstellungen bieten. Auch die Anschauungsformen von Raum und Zeit können "a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird", (vgl. B 129) Da die einzige erkenntniseinschlägige Fähigkeit neben unserem sinnlichen Erleben unsere Fähigkeit zu denken ist, können wir uns der Inhalte unserer Vorstellungen offenbar nur so als bestimmter Inhalte unseres Erlebens insgesamt bewußt sein, daß wir uns ihrer als gedanklich verbundener Inhalte bewußt sind. So "stelle ich mir" schon, wenn ich mir z.B. "rot überhaupt denke,... dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgendworan angetroffen, oder mit anderen Vorstellungen verbunden sein kann", (vgl. B 133 Anm.) Wenn unser Denken uns zu einem durchgängigen Bewußtsein der von uns erlebten Vorstellungsinhalte verhelfen soll, muß es als die systematische gedankliche Verknüpfung der gegebenen Inhalte zu einer geschlossenen Gesamtheit der uns bewußten Inhalte ausfallen. Eine solche systematische Ordnung zeigen unsere gedanklichen Leistungen aber nicht von sich aus, sondern wir können Begriffe durchaus mißbrauchen (vgl. Logik Einl., 53/54). Eine systematische Ordnung besitzt unser Denken erst, wenn es nach Regeln erfolgt; und wir können uns gewisser erlebter Vorstellungsinhalte nur dadurch als bestimmter Teile unseres Erlebens bewußt sein, daß wir uns der Regeln der systematischen Verknüpfung der Vorstellungen dieses Inhalts mehr oder weniger deutlich als Prinzipien unseres Denkens bewußt sind. Die "durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich". (B 133) Die "Vorstellung, daß alle Gegenstände, womit wir uns beschäftigen können, insgesamt in mir, d.i. Bestimmungen meines identischen Selbst sind", drückt nach Kant "eine durchgängige Einheit derselben in einer und derselben Apperzeption als notwendig aus", (vgl. A 129) Nun hat aber die ganz getrennt von dieser Analyse der transzendentalen Deduktion angestellte metaphysische Deduktion der Kategorien gezeigt, daß wir genau solche Begriffe der notwendigen Korrektheit synthetischer Verknüpfungen gegebener Vorstellungen verwenden müßten, um durch unser Anschauen und Denken zu Erkenntnissen existierender Gegenstände zu kommen. Die Kategorien sind "nichts anderes als eben diese Funktionen zu urteilen, sofern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist (§ 10.)". (vgl. B 143) Nach Kant zeigt die Analyse des mit unserer Erfahrung als rein
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subjektivem Phänomen verknüpften durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte in der transzendentalen Deduktion also, daß eine notwendige Bedingung dieses Bewußtseins, nämlich seine synthetische gedankliche Bildung nach Prinzipien, mit der Verwendung der Kategorien als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnissen existierender Gegenstände identisch ist. Kant setzt die transzendentale Apperzeption also keineswegs, wie Guyer meint, "by fiat" mit Bedingungen der Erkenntnis von Gegenständen gleich (vgl. Guyer 1987,118), sondern er versucht durch die getrennten Analysen der metaphysischen und der transzendentalen Deduktion der Kategorien zu zeigen, daß jedes durchgängige Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte schon als solches an genau die Bedingungen gebunden ist, die objektiv gültige Erkenntnisse von Gegenständen möglich machen. Auch Guyers Vorwurf, Kant vernachlässige eine "distinction between conditional and absolute necessity" (vgl. Guyer 1987,122), wenn er in A 101 behauptet, daß die Reproduktion der Erscheinungen bei ihrer Erkenntnis nur durch einen "Grund a priori einer notwendigen synthetischen Einheit derselben" möglich sei (vgl. Guyer 1987,122), läßt sich damit zurückweisen, daß nach Kant die Identität eines durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungen nur durch deren kategorial korrekte synthetische Verknüpfung sichergestellt werden kann. An der von Guyer zitierten Stelle, die lediglich eine heuristische Vorüberlegung zur transzendentalen Deduktion ist, nämlich dazu bestimmt ist, "den Leser mehr vorzubereiten als zu unterrichten" (A 98), setzt Kant eine regelhafte "empirische Synthesis der Reproduktion" (A 101) von Vorstellungen nur vorläufig voraus. Kant geht von der Beobachtung aus, daß jede Reproduktion bestimmter Vorstellungen im Rahmen der Erfahrung "nach einer beständigen Regel" (A 100) erfolgt und nicht beliebig vorgenommen werden kann. Dieser Befund soll lediglich vermuten lassen, daß "die Erscheinungen schon von selbst" jeweils einer "gewisse[n] Regel... unterworfen sind" und es einen "Grund a priori einer notwendigen synthetischen Einheit derselben" gibt (vgl. A 101). Angegeben wird der "Grund dieser Verknüpfung" von Vorstellungen im Rahmen der Erfahrung erst damit, daß "alle Anschauungen ... für uns nichts [sind] und ... uns nicht im mindesten etwas an[gehen], wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können", und wir uns daher "a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können", mehr oder weniger klar bewußt sein müssen (vgl. A116, B131 /132). Die Regelhaftigkeit jeder Reproduktion empirisch gegebener Vorstellungen im Rahmen unserer Erfahrung soll erst dadurch "begreiflich" gemacht
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werden, daß "alle mögliche Erscheinungen als Vorstellungen zu dem ganzen möglichen Selbstbewußtsein" gehören (A 113). Nur weil "diese Identität notwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen der Erscheinungen ... hinein kommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apprehension) durchgängig gemäß sein muß"; alle im Rahmen unserer Erfahrung auftretenden Vorstellungen stehen also schon in einer "transzendentalen Affinität" zueinander, "woraus die empirische die bloße Folge ist", (vgl. A113/114) Die Notwendigkeit der synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen in der transzendentalen Apperzeption wird von Kant also weder durch die Regelhaftigkeit der Reproduktion bestimmter gegebener Erscheinungen begründet, "denn die reproduktive [Synthesis] beruht auf Bedingungen der Erfahrung" (A118), noch wird sie von ihm als absolute Notwendigkeit hingestellt, sondern er versucht, sie mit der ihrerseits nur behaupteten Tatsache zu begründen, daß uns Vorstellungen, mit denen wir einen Erkenntnisanspruch verbinden, insgesamt bewußt sind. Dieser Beweisgang der transzendentalen Deduktion soll durch die von Kant gegebenen Hinweise auf die Arithmetik, die Geometrie und die reine Naturwissenschaft keineswegs ersetzt werden, sondern hierdurch soll lediglich jeweils ein "glänzendes Beispiel" (B 55; vgl. B 4, B17, B 740) zur vorläufigen Bestätigung der Befunde der metaphysischen Erörterungen angeführt werden. Daß die Sätze dieser Wissenschaften zu Recht als apodiktisch gewiß wahr gelten, kann erst durch den Nachweis gezeigt werden, daß die Verwendung der Begriffe, die die Bildung dieser Sätze a priori erlauben, eine notwendige Bedingung jeder uns real möglichen Erfahrung von existierenden Gegenständen ist. Wäre die Anwendung der Kategorien auf die reinen Anschauungsformen, wie sie nach Kant "in der Mathematik" stattfindet, nicht nachweislich auch eine Bedingung der "Möglichkeit empirischer Erkenntnis", d.h. der "Erfahrung", so könnte es sein, daß uns mathematische Begriffe gar keine "Erkenntnis ... verschaffen" (vgl. B147), sondern ihre Verwendimg die "Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst" wäre (vgl. B 196). Daß die Verwendung der Kategorien in der Mathematik und dem reinen Teil der Naturwissenschaften nicht deutlich zutage tritt und in diesen Wissenschaften gar keine Rolle zu spielen scheint (vgl. Guy er 1987, 93), liegt daran, daß in ihnen der Raum bzw. bestimmte Größen bereits "als Gegenstand" vorausgesetzt werden; schon jede Anschauung eines solchen abstrakten Gegenstandes aber "enthält mehr als die bloße Form der Anschauung, nämlich [die] Zusammenfassung des Mannigfaltigen, nach der Form der Sinnlichkeit gegebenen, in eine anschauliche
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Vorstellung", die nach Kant erst die "Einheit der Vorstellung" gewährleistet (vgl. B 160 Anm.). Die dynamischen Kategorien werden in der Mathematik nicht verwendet, da in den mathematischen Wissenschaften keine zu bestimmten Zeiten existierenden Einzeldinge, sondern genaugenommen lediglich verschiedene Eigenschaften möglicherweise erkennbarer Gegenstände bestimmt werden. Dennoch ist die Möglichkeit der Verwendung auch dieser Kategorien eine Bedingung a priori jeder möglichen Erkenntnis, da die mathematischen Wissenschaften nur als Wissenschaften gelten können, weil die Möglichkeit ihrer Anwendung bei der empirischen Erkenntnis existierender Gegenstände besteht und hierbei von den dynamischen Kategorien Gebrauch gemacht werden muß (vgl. B 147).
4. Darstellung und Kritik der Interpretation IIA: Deduktion aus einer Selbsterkenntnis a priori Die dritte von Guyer diagnostizierte Variante "IIA: The possibility of apperception as itself a kind of synthetic a priori knowledge implies a priori knowledge of the objective validity of the categories, that is, a priori knowledge of their application to objects regarded as distinct from the s e l f (Guyer 1987,85) kommt der Argumentation Kants relativ nahe; auch sie wird von Guyer aber abgelehnt. Wie schon gegen die ersten beiden von Guyer erwogenen Varianten, ist auch gegen diese dritte Interpretation einzuwenden, daß sie die wesentliche Prämisse der Deduktion unzutreffenderweise in der Voraussetzung einer Erkenntnis, nämlich in "our a priori knowledge of the necessary unity or identity of the self throughout all of our experiences" sieht (vgl. Guyer 1987,181). Nach Kant kann man von der "einfache[n] und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere[n] Vorstellung: Ich... nicht einmal sagen..., daß sie ein Begriff sei, sondern" sie ist "ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet"; und in diesem Bewußtsein wird "nichts weiter als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = X, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird" (B 404). Die "Identität des Subjekts, deren ich mir in allen seinen Vorstellungen bewußt werden kann, betrifft nicht die Anschauung desselben, dadurch es als Objekt gegeben ist, kann also auch nicht die Identität der Person bedeuten, wodurch das Bewußtsein der Identität seiner eigenen Substanz als denkendes Wesen in allem Wechsel der Zustande verstanden wird". (B 408)
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Auch wenn das klare Selbstbewußtsein zu denken das inhaltliche Bewußtsein von einer gegebenen Mannigfaltigkeit von Vorstellungen begleitet, so soll damit nicht in jedem Falle eine Erkenntnis eines selbst, sondern eine Erkenntnis jeweils des Gegenstandes oder der Gegenstände vorliegen, auf den bzw. die man die jeweils gegebenen Vorstellungen gerade in diesem Bewußtsein bezieht. Würde mit jedem einem selbst bewußten Urteil eine Selbsterkenntnis des Urteilenden vorliegen, müßte sich jedes unserer Erkenntnisurteile über von uns selbst verschiedene Dinge sowohl auf diese als auch auf uns selbst beziehen, und das Verhältnis der Bezugnahme könnte nicht erst durch eine Analyse unseres durchgängigen Bewußtseins von Vorstellungen verdeutlicht werden. Die grundlegende Prämisse der transzendentalen Deduktion aber ist sowohl in der ersten als auch in der zweiten Auflage nicht die These, daß alle unsere Vorstellungen von unserem Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können, sondern die Behauptung, daß alle unsere Vorstellungen, insbesondere diejenigen, die wir im Rahmen einer Erfahrung verwenden könnten, "wenigstens für mich" etwas sind (vgl. B132) bzw. uns etwas "an[gehen]", d.h. "ins Bewußtsein aufgenommen werden können" (vgl. A 116). Aus diesem bei jeder auch nur beanspruchten Erkenntnis vorliegenden Bewußtsein soll die Realmöglichkeit eines deutlichen Selbstbewußtsein zu denken und damit die Realmöglichkeit objektiv gültiger Erkenntnisse erst abgeleitet werden, indem nachgewiesen wird, daß dieses Bewußtsein als solches nicht rein sinnlich-rezeptiver, sondern nur gedanklicher Natur sein kann und als durchgängiges Bewußtsein desselben Subjekts nur durch die prinzipiengeleitete gedankliche Leistung dieses Subjekts zustande kommen kann, d.h. "eine Synthesis der Vorstellungen [enthält] und ... nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich" ist (vgl. B133). Wenn aber jedes durchgängige Bewußtsein gegebener Vorstellungen nur durch das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein der prinzipiengeleiteten Verknüpfung dieser Vorstellungen möglich ist und die elementaren Prinzipien solcher Verknüpfungen die Kategorien sind, so schließt jedes solche Bewußtsein eine mehr oder weniger deutlich bewußte Verwendung der Kategorien ein. Unter Berufung auf Kants Erklärung: "nur dadurch, daß ich das Mannigfaltige [der Vorstellungen] in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselben insgesamt meine Vorstellungen" (B134; vgl. Guyer 1987,136), behauptet Guyer, der Sache nach beruhe der Versuch der Deduktion aus der transzendentalen Apperzeption in der ersten und der zweiten Auflage auf der "premise (which Kant clearly shares with Hume) that there is no impression of selfhood in any single representaron"; wenn dies so sei, "only some form of connection among
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several representations could possibly suffice to ground self-consciousness of them" (Guyer 1987,137). Das begriffliche Verhältnis des Selbstbewußtseins jemandes, der sich gewisser Vorstellungen als eigener Vorstellungen bewußt ist, zu diesen seinen Vorstellungen werde von Kant in der ersten und zweiten Auflage allerdings ganz verschieden, nämlich zum einen als synthetisches und zum anderen als analytisches Verhältnis aufgefaßt. Der Behauptung Kants aus der zweiten Auflage, der "Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption ist... ein analytischer Satz" (B 135), stellt Guyer die Behauptung aus der ersten Auflage gegenüber "Der synthetische Satz: daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt" (A 117, Anm.). (vgl. Guyer 1987,134) Wenn der Grundsatz der transzendentalen Apperzeption aber "were interpreted as a merely analytical proposition, as Kant indeed suggests in... (B135), then it would merely express a conditional necessity that if self-consciousness is to occur, then there had better be some connection discerned or created among the several representations. It would not imply that a unified self-consciousness... must be possible", und "it would not directly imply even that if self-consciousness of some particular mental states is possible there is a particular form of synthesis performed upon them", (vgl. Guyer 1987,137) Als analytischer Satz verstanden drücke der Grundsatz nur aus "what might be called in current terminology the de dicto necessity that if I call several representations 'one and all my representations', then I must 'apprehend them as constituting one intuition' (B 135)", und damit liefere dieser Grundsatz lediglich "an explication ... of what it means to call them 'mine'" (vgl. Guyer 1987,140). Einige der von Kant gebotenen Formulierungen des Grundsatzes der transzendentalen Apperzeption wie z.B. der von Guyer betrachtete Satz, "daß alle meine Vorstellungen in irgendeiner gegebenen Anschauung unter der Bedingung stehen müssen, unter der ich sie allein als meine Vorstellungen zu dem identischen Selbst rechnen... kann" (B138; vgl. Guyer 1987,140), scheinen tatsächlich als analytische Urteile in dem von Guyer angegebenen Sinn verstanden werden zu können. Kants Begriff des Verhältnisses der Analytizität ist jedoch weiter als der von Guyer verwendete Begriff. Kant bezieht diesen Begriff nicht nur auf den Sinn sprachlicher Ausdrücke oder Sätze, sondern auf den Sinn von Urteilen überhaupt, ganz gleich ob diese auch einen "Ausdruck durch Worte" finden (vgl. Logik § 30. Anm. 3., 109). Das Verhältnis der Analytizität kann nach Kant zwischen Begriffen als Teilen kategorischer Urteile bestehen, und wahre bejahende analytische Urteile sind solche, die "durch
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das Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Teilbegriffe zerfallen, die in selbigem schon (obgleich verworren) gedacht waren" (B 11). Analytische Urteile, in deren Subjektbegriff ihr Prädikatbegriff bereits deutlich gedacht wurde, sind tautologische Urteile. (Logik § 37., 111) Kant kann den Grundsatz der transzendentalen Apperzeption also nicht nur unter der Voraussetzung als "analytische[n] Satz" bezeichnen, daß ich die "mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen insgesamt" ausdrücklich "meine Vorstellungen nenne" (vgl. B 135), sondern schon unter der Voraussetzung, daß "meine Vorstellungen... für mich" etwas sind (vgl. B132), dies heißt nämlich, daß das Bewußtsein von ihrem Gesamtinhalt ein "Bewußtsein [der] Einheit" ihrer "Synthesis" einschließt, das "oft nur schwach sein [kann], so daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Aktus selbst, d.i. unmittelbar, mit der Erzeugung der Vorstellung verknüpfen" (vgl. A 103/104). Wäre der Grundsatz der transzendentalen Apperzeption als analytischer Satz im Sinne von Guyer, d.h. als der Satz zu verstehen, "that if I call several representations mine I must see them as representations of a single self" (Guyer 1987,140), so könnte aus ihm als Prämisse weder die Notwendigkeit eines Aktes a priori noch die Notwendigkeit bestimmter Prinzipien a priori der Verknüpfung von Vorstellungen abgeleitet werden. Lediglich auf solche Vorstellungen bezogen, die man ausdrücklich als seine eigenen Vorstellungen bezeichnet, würde dieser Satz tatsächlich "not imply that I can know a priori that I synthesize them, a fortiori that I synthesize them according to certain rules" (Guyer 1987, 140). Denn wäre die Möglichkeit des Selbstbewußtseins einer synthetischen Verknüpfung von Vorstellungen lediglich eine notwendige Bedingung dafür, bestimmte Vorstellungen als eigene Vorstellungen bezeichnen zu können, so könnten die Bedingungen dieser synthetischen Verknüpfung bestenfalls als notwendige Bedingungen empirischer Selbsterkenntnisse, keineswegs aber als Bedingungen a priori aller möglichen Erkenntnisse gelten. Da der Grundsatz der transzendentalen Apperzeption nicht in dem von Guyer vermuteten analytischen Sinn als Prämisse einer Deduktion der Kategorien dienen kann, erwägt Guyer noch eine andere Interpretation dieses Satzes, nämlich, ihn als den "synthetic claim" zu verstehen, "asserting the de re necessity that, whatever representation I have, I can call them mine and thus ascribe them to myself as representations of a single self" (vgl. Guyer 1987,140). Die "a priori certainty of this synthetic proposition would" nach Guyer durchaus "require a priori knowledge of any synthesis of [my representations]"; seines Erachtens
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"it must be recognized, however, that this assertion of a priori knowledge of the identity of the self in all its representations is profoundly questionable", (vgl. Guyer 1987,140) Am deutlichsten werde für die These, die Möglichkeit des Selbstbewußtseins zu denken sei eine notwendige Bedingung aller unserer Vorstellungen überhaupt, in folgenden Passagen der ersten Auflage argumentiert (vgl. Guyer 1987,140/ 141): "Alle Anschauungen sind für uns nichts und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können, sie mögen nun direkt oder indirekt darauf einfließen" (A 116); und "ohne das Verhältnis zu einem wenigstens möglichen Bewußtsein würde Erscheinung für uns niemals ein Gegenstand der Erkenntnis werden können und also für uns nichts sein" (A 120). In der zweiten Auflage werde die Behauptung der Möglichkeit des Selbstbewußtseins a priori unmittelbar mit einem entsprechenden Argument begründet (vgl. Guyer 1987,141): "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstelung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein." (B 131/132)
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Diese Aussagen Kants scheinen Guyer im wesentlichen zu besagen, "that unless I am conscious of the occurrence of a representation, I have no basis to suppose that it even exists, yet to be conscious of a representation is just to ascribe it to an identical self along with all other representations of which one is also conscious. A nonconscious representation is a contradiction, or at least something which could never be known to exist", (vgl. Guyer 1987,141) Guyer hält diese Argumentation Kants aber für nur scheinbar plausibel. Dieser Schein werde durch eine "fatal ambiguity in the claim" der zweiten Auflage erweckt (vgl. Guyer 1987,141): "It could mean either that I cannot actually have a representation without being aware of it, or else just that \ cannot be aware of any representation without recognizing its connection to my identical self. The latter claim, however, would not follow from tne former, unless Kant simply equates consciousness with cognition". (Guyer 1987,141) Nach Guyer mag es sogar "well be true, that a representation can exist only as a modification of consciousness or change in mental state,
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but this does not itself imply that I must be able to recognize every modification of my consciousness as such or selfcouscionsly ascribe it to myself as mine ..., there is no reason why I cannot be in a representational state which I yet cannot say I am in", (vgl. Guyer 1987,141) Vielmehr könne man sich leicht Umstände denken, in denen "only another person's report about my utterances or other outward behaviour could convince me that I must have had a mental state which I did not in fact recognize as such or ascribe to myself"; so seien z.B. "hypnotic trances" oder "talking during sleep" für jeden außer vielleicht einem überzeugten Behavioristen sichere Indizien für "nonself-conscious representations". (vgl. Guyer 1987,141) Guyer wendet gegen die Prämisse der transzendentalen Deduktion also ein, daß man durchaus Vorstellungen haben könne, die man sich nicht selbst zuschreiben kann. Unklar ist jedoch, ob Guyer darüber hinaus behaupten will, daß man Vorstellungen haben kann, derer man sich nicht bewußt werden kann. Zunächst erklärt er, daß "it may well be true that a representation can exist only as a modification of consciousness or change in mental state", dann aber führt er als Beispiele für Situationen, in denen man sich seine Vorstellungen nicht selbst zuschreiben kann, solche Situationen an, in denen man sich seiner Vorstellungen nicht einmal bewußt gewesen sein dürfte (vgl. Guyer 1987,141). Geht man zunächst einmal davon aus, daß uns alle unsere Vorstellungen bewußt werden können, so ist für den synthetischen bzw. analytischen Charakter des Grundsatzes der transzendentalen Apperzeption entscheidend, ob sein Subjektbegriff sich lediglich auf "alles verschiedene empirische Bewußtsein" (vgl. A 117 Anm.) bezieht, in dem man sich jeder der gegebenen Vorstellungen nur "besonders ... bewußt" ist (vgl. Brief an Herz vom 26. 5.1789, 50), oder ob er sich bereits auf "meine" mir insgesamt bewußten Vorstellungen bezieht (vgl. B 131/ 132). Ein "analytischer Satz" ist dieser Grundsatz unter der Voraussetzung, daß die mir bewußten Vorstellungsinhalte bestimmte Teile "des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen" sind und die betreffenden Vorstellungen somit insgesamt "eine ausmachen", (vgl. B 135) Ein synthetischer Satz ist der Grundsatz der transzendentalen Apperzeption unter der Voraussetzung, daß irgendwelche Vorstellungen als bloße sinnliche Affektionen gegeben sind oder sie mir nur jeweils einzeln bewußt sind und das Bewußtsein von ihren Inhalten somit in voneinander "verschiedene", sachlich unzusammenhängende Fälle von Bewußtsein zerfällt (vgl. A 117 Anm.), denn zwischen dem Begriff nur sinnlich gegebener Vorstellungen oder dem Begriff irgendwelcher Fälle eines Bewußtseins gegebener Vorstellungen einerseits und dem Begriff
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der prinzipiengeleiteten Verknüpfung von Vorstellungen andererseits besteht kein Analytizitätsverhältnis. Vielmehr ist es durchaus denkbar, daß sich irgendwelche Wesen ihrer Vorstellungen gar nicht oder nur jeweils einzeln bewußt sind, ohne sich auch ihrer Leistung zu denken bewußt sein zu können. So mögen sich z.B. die Tiere (vgl. Logik Einl., 64/ 65) nur "jeder einzelnen Vorstellung", die sie haben, bewußt sein (vgl. Brief an Herz von 26.5.1789,52). Um aber auch nur den Anspruch stellen zu können, einen bestimmten Gegenstand zu erkennen, muß nach Kant unter allen Vorstellungen, mit denen man einen solchen Anspruch verbindet, eine "Identität des Bewußtseins" bestehen (vgl. B 133). Ein vom Selbstbewußtsein zu denken begleitetes durchgängiges Bewußtsein der Inhalte gegebener Vorstellungen besteht zwar noch nicht in der ausdrücklichen Selbstzuschreibung dieser Vorstellungen, letztere stellt nach Kant aber lediglich eine nähere Verdeutlichung des ersteren dar. Wenn ich mir z.B. der Qualität der Röte bewußt bin, d.h. "wenn ich mir rot überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgendworan angetroffen ... [werden] kann" (B 133 Anm.). Wird dieses Bewußtsein nun von dem klaren Selbstbewußtsein zu denken begleitet, so kann es etwa als das Urteil ausfallen 'Ich denke, daß etwas rot ist'. Dadurch, daß ein Urteil von dem Selbstbewußtsein zu denken begleitet wird, wird aus diesem Urteil zwar noch kein Urteil über einen eigenen Vorstellungszustand, sondern es kann sich durchaus auf räumliche Gegenstände beziehen wie z.B. das Urteil 'Ich denke, daß dieser kugelförmige Gegenstand rot ist'; nach Kant drückt der "Gedanke: diese in der Anschauung gegebenen Vorstellungen gehören mir insgesamt zu", aber lediglich eine "analytische Einheit der Apperzeption" aus, die "nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich" ist (vgl. B 133/134). Zumindest unter der Voraussetzung, daß mir alle Vorstellungen, die ich habe, auch bewußt sein können, kann ich mir nach Kant alle meine Vorstellungen auch selbst zuschreiben, denn in jeder solchen Selbstzuschreibung mache ich lediglich einen Vorstellungszustand zum Gegenstand der Beurteilung, von dem ich schon vorher ein mehr oder weniger deutliches Bewußtsein hatte. Guyer scheint aber weniger einen analytischen Zusammenhang zwischen dem durchgängigen Bewußtsein und der Möglichkeit der Selbstzuschreibung gegebener Vorstellungen zu bestreiten, als vielmehr die Allgemeingültigkeit der Behauptung Kants, das "Ich denke" müsse "alle meine Vorstellungen" überhaupt "begleiten körinen" (vgl. B131). Er hält es durchaus für zutreffend, daß "representational states, of which I am not actually conscious might be 'nothing to me'", er glaubt aber, daß
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"this concession does not help Kant's argument", weil "it does not imply that there is an absolute or de re necessity that any possible representation, regardless of its empirical content, be synthesized. It therefore does not imply the existence of an a priori synthesis, which is the premise for Kant's inference of the a priori validity of the categories", (vgl. Guyer 1987,142) Es ist jedoch nicht einzusehen, warum durch eine Einschränkung der Notwendigkeit einer synthetischen Bildung unserer Vorstellungen auf die unserem Bewußtsein zugänglichen Vorstellungen die Erfolgsaussichten der transzendentalen Deduktion geschmälert werden sollten. Die transzendentale Deduktion soll nachweisen, daß das Bewußtsein einer Gesamtheit von Vorstellungsinhalten eine Verwendung der Kategorien impliziert. Von allen unseren Erfahrungen wird man aber ohne weiteres bereit sein zu behaupten, daß sie uns entweder bewußt sind oder von uns wenigstens nur insofern als Erfahrungen verstanden werden können, als wir sie uns bewußt machen können. Wenn - wie Guyer anzunehmen scheint - die These Kants sachlich berechtigt ist, "that representations of which we are not aware (in at least some fashion) are not available for ordinary epistemological purposes" (Guyer 1987,142; vgl. A 116, B 136/137), und wenn es Kant gelungen sein sollte zu zeigen, daß die mehr oder weniger deutlich bewußte synthetische Verknüpfung von Vorstellungen nach Prinzipien eine notwendige Bedingung des durchgängigen Bewußtseins von ihren Inhalten ist, könnte Kant durchaus beanspruchen "the existence of an a priori synthesis" (vgl. Guyer 1987,142), d.h. einer Synthesis nachgewiesen zu haben, die eine notwendige Bedingung aller uns real möglichen Erkenntnisse von Gegenständen oder Zuständen ist, wenngleich wir Vorstellungen haben mögen, derer wir uns nicht bewußt werden können und die von uns daher nicht synthetisch gebildet werden müssen. Ob unser Selbstbewußtsein zu denken darüber hinaus alle Vorstellungen begleiten können muß, die wir überhaupt haben, hängt davon ab, ob wir Vorstellungen haben können, die wir uns nicht bewußt machen können. Wenn man die Beantwortung dieser Frage nicht der Spekulation überlassen will, so hängt sie wiederum davon ab, ob die Existenz von Vorstellungen eines bestimmten Subjekts behauptet werden kann, die man sich nicht oder die sich zumindest das betreffende Subjekt selbst nicht bewußt machen kann. Die erste dieser Möglichkeiten scheint von vornherein auszuscheiden. Vorstellungen, die sich niemand bewußt machen könnte, könnten unmöglich zum Gegenstand von Erkenntnisurteilen, d.h. von Urteilen gemacht werden, die ihrerseits als wahr beurteilt werden können. Guyers Einwand gegen die Behauptung Kants, das "Ich denke" müsse "alle meine Vorstellungen begleiten kön-
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nen" (B131), hebt vielmehr auf den zweiten Fall ab. Er behauptet, es sei möglich, daß "only another persons report about my utterrances or other outward behaviour could convince me that I must have had a mental State, which I did not in fact recognize as such or ascribe to myself". (vgl. Guyer 1987,141) Dieser Einwand scheint zunächst durchaus berechtigt. Kant scheint nicht lediglich zu fordern, daß es möglich sein müsse, sich jede Vorstellung, die man hat, entweder bei ihrem Auftreten oder auch nachträglich bewußt zu machen, sondern er scheint zu behaupten, das Selbstbewußtsein zu denken müsse jede eigene Vorstellung in dem Sinne "begleiten können" (B131), daß es zugleich mit dieser Vorstellung auftreten kann. Dies aber ist unter bestimmten Umständen, so z.B. in den von Guyer genannten Fällen hypnotischer Zustände oder während des Schlafes (vgl. Guyer 1987,141), nicht möglich. Es gibt durchaus Fälle, in denen wir uns unserer Vorstellungen nicht bewußt sind, und in solchen Fällen besteht nicht die Möglichkeit, sich durch eine Reflexion auf dieses Bewußtsein dessen gedanklicher Natur und somit der eigenen Leistung zu denken bewußt zu werden. Kants These, das "Ich denke" müsse "alle meine Vorstellungen begleiten können" (vgl. B 131), kann also nicht als die Behauptung der Realmöglichkeit einer solchen 'Begleitung', sondern nur als die Behauptung verstanden werden, es müsse sich von jeder meiner Vorstellungen zumindest denken lassen, daß sie von meinem Selbstbewußtsein zu denken begleitet wird; und tatsächlich behauptet Kant, es komme "nicht einmal" auf die "Wirklichkeit" des Selbstbewußtseins zu denken an, "sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses" beruhe "notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem" bloßen "Vermögen" (vgl. A 117 Anm.). In diesem Sinne läßt sich die These Kants durchaus mit dem Hinweis darauf begründen, daß meine Vorstellungen anderenfalls "für mich nichts sein" würden (vgl. B132). Daraus, daß meine Vorstellungen nur dann etwas für mich sind, wenn sie mir bewußt sind, d.h. wenn sie von dem Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können, folgt nämlich, daß "alle meine Vorstellungen" (B131), d.h. alle Vorstellungen, die ich - meines Wissens - habe oder gehabt habe, grundsätzlich vom "Ich denke" begleitet werden können: Daraus, daß meine Vorstellungen nur dann etwas für mich sind, wenn sie mir bewußt sind, folgt zunächst, daß mir jede meiner Erkenntnisse bewußt ist, denn alle meine Erkenntnisse müssen als Vorstellungen gelten, die etwas für mich sind. Da mein Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte nur insofern als durchgängiges Bewußtsein dieser verschiedenen Inhalte ausfallen kann, als die betreffenden Vorstellungen von mir mehr oder weniger bewußt
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gedanklich zu einer Einheit verknüpft werden, kann folglich jede meiner Erkenntnisse als eine von mir synthetisch gebildete Erkenntnis verdeutlicht, d.h. von dem klaren Selbstbewußtsein "Ich denke" begleitet werden. "Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt, (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem andern zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können)." (A 116) Wenn ich also erkenne, daß und welche Vorstellung ich habe oder z.B. im Traum gehabt habe, muß wenigstens diese Erkenntnis selbst von meinem klaren Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können. Hiermit aber ist sichergestellt, daß zumindest alle diejenigen Vorstellungen, von denen ich weiß, daß ich sie habe oder gehabt habe, grundsätzlich von meinem Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können, denn in jeder Erkenntnis meiner Vorstellungen muß ich diese Vorstellungen reproduzieren und sie nach Prinzipien zur Gesamtheit meines Bewußtseins verknüpfen. Von allen Vorstellungen, von denen ich wissen kann, daß ich sie habe, läßt sich also wenigstens denken, daß sie von meinem Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden, da die Möglichkeit ihrer Erkenntnis garantiert, daß sie grundsätzlich synthetisch zu einer Einheit verknüpft werden können, auch wenn ich mir dieser Vorstellungen ursprünglich, z.B. während ich im Schlafe sprach, nicht bewußt gewesen bin. Dieser Zusammenhang zwischen dem Besitz einer Vorstellung und der Möglichkeit, diese mit dem Selbstbewußtsein zu denken zu begleiten, läßt sich jedoch nur für erkennbare Vorstellungen behaupten. Gelingt es mir nicht, eine Vorstellung, die ich allem Anschein nach gehabt haben muß, weil ich z.B. im Schlafe sprach, zu reproduzieren, so läßt sich von dieser Vorstellung auch nicht denken, daß sie mit anderen meiner Vorstellungen in meinem durchgängigen Bewußtsein verknüpft werden kann. Bin ich also lediglich der Uberzeugung, zu einer bestimmten Zeit irgendeine Vorstellung gehabt zu haben, ohne diese Vorstellung reproduzieren zu können, so läßt sich von der vermuteten Vorstellung nicht behaupten, sie könne wenigstens grundsätzlich vom 'Ich denke' begleitet werden. Allerdings widerlegt diese Möglichkeit nicht Kants These, alle meine Vorstellungen müßten von meinem Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können, denn von einer Vorstellung, die gar nicht bewußt erlebt und daher nicht als bestimmte Vorstel-
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lung erkannt werden kann, kann bezweifelt werden, ob sie überhaupt existiert oder existiert hat und zu meinen Vorstellungen zählt. Die Überzeugung, ich müsse irgendeine Vorstellung gehabt haben, weil ich mich auf bestimmte Weise verhalten habe, ist lediglich eine sinnvolle Vermutung im Sinne der Hypothese, daß als Ursache dieses Verhaltens Vorstellungen meiner Person in Frage kommen. Durch eine solche Hypothese allein kann jedoch keine Existenzbehauptung über meine Vorstellungen gerechtfertigt werden, so oft sie sich auch in anderen Fällen bestätigt haben mag. Dies gilt auch für den Fall, daß ich Vorstellungen, die mir zunächst nicht bewußt waren, aufgrund von Zuschreibungen oder Berichten über meine Person erkenne, die andere in bezug auf mich abgeben. Durch "another person's report about my utterances or other outward behaviour" (vgl. Guyer 1987,141) kann ich nur dann zur Erkenntnis eigener Vorstellungen gebracht werden, wenn es mir gelingt, die vermutete Vorstellung bewußt zu reproduzieren. Solange mir dies nicht möglich ist, müssen alle Annahmen, ich hätte mich z.B. unter Hypnose oder während ich im Schlaf sprach, in irgendeinem Vorstellungszustand befunden, bloße Vermutungen bleiben, da nur ich selbst meine Vorstellungen wahrnehmen, d.h. sie mir "mit Bewußtsein... vorstellen" kann (vgl. Logik Einl., 64). "Kant's claim - that representations of which we are not aware (in at least some fashion) are not available for ordinary epistemological purposes" ist also durchaus nicht, wie Guyer meint, "too weak", Kants These zu stützen, daß alle meine Vorstellungen vom Selbstbewußtsein zu denken begleitet werden können, (vgl. Guyer 1987,142) Auch unsere zunächst unbewußten Vorstellungen müssen grundsätzlich vom 'Ich denke' begleitet werden können, da unsere Vorstellungen nach Kant ebenso als Erscheinungen gelten müssen wie die von uns selbst verschiedenen Gegenstände. Sogar in der Selbstwahrnehmung stellen wir uns "nur wie wir uns erscheinen ... dem Bewußtsein" dar (B 153), da "der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung enthält", sondern Anschauungen bestimmter eigener Zustände nur durch den "synthetische[n] Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn" möglich sind (vgl. B154). Andere Menschen kann ich mir nur durch "Übertragung" meines Selbstbewußtseins "als denkende Wesen" vorstellen, und berechtigt sind solche Übertragungen dann, wenn sie "Bedingungen ausmachen, unter welchen wir" uns die betreffenden Wesen "allein denken" können, (vgl. B 405) Zu einer sicheren Erkenntnis der Vorstellungen oder des Bewußtseins anderer können wir nach Kant aber unabhängig von einer Bestätigung diesbezüglicher
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Vermutungen durch den betreffenden Vorstellenden nicht kommen. Ob von einem Menschen z.B. eine bestimmte Handlung "mit Bewußtsein" vollzogen wurde, kann man nach Kant "durch Erfahrung" mit Sicherheit nur "an sich selbst" feststellen (vgl. Religion, 20); und nach Kant muß es als eine berechtigte aber nicht zu bestätigende Annahme gelten, daß Tiere Vorstellungen haben, die "nach empirischen Gesetzen der Assoziation verbunden" sind und auf ihr "Gefühl und Begehrungsvermögen Einfluß haben" (vgl. Brief an Herz vom 26. 5.1789,52). Da Guyer den Erscheinungscharakter unserer Vorstellungen nicht hinreichend berücksichtigt, sieht er keine Möglichkeit für Kant, die "de re necessity" zu beweisen, "that all of my representations must be capable of being ascribed to my identical s e l f , und daher hält er es für eine ganz andere Möglichkeit, "our a priori certainty of the numerical identity of the self in all its possible representations" dadurch nachzuweisen, daß man sie als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnissen ausweist (vgl. Guyer 1987,144 f.). Was die 'Kritik der reinen Vernunft' selbst angeht, so wird die Möglichkeit einer solchen Begründung der Notwendigkeit des Selbstbewußtseins nach Guyer insbesondere in den Behauptungen der Deduktion der zweiten Auflage angedeutet, daß die "Identität der Apperzeption... allem meinem bestimmten Denken" vorhergehen muß (B 134) und meine Vorstellung von der Einheit des Mannigfaltigen jede besondere Verbindung dieses Mannigfaltigen "allererst möglich" macht (B130/131). (vgl. Guyer 1987,144/145) Guyer versteht diese Aussagen Kants als Andeutungen folgender Beweisstrategie: "For any empirical intuition to be recognized as even a candidate for the empirical knowledge of some determinate object, it must already be regarded as subsumed under the unity of apperception or as an intuition experienced by the same self which has a variety of other intuitions: Selfconsciousness of representations is a condition even of 'possible cognition' or their use for any possible empirical knowledge. ... I must at least know that I posess the different representations the empirically objective content of which I propose to investigate." (Guyer 1987,145) Unter dieser Voraussetzung müsse "the unity of my apperception of all representations which figure in my empirical knowledge... be certain a priori, even if there is no de re necessity that all states of consciousness also be self-conscious" (vgl. Guyer 1987,146). Doch auch auf diesem Wege gelingt es Kant nach Guyer nicht, eine Prämisse der transzendentalen Deduktion zu begründen, die stark genug wäre, aus der Apperzeption auf eine Synthesis a priori und damit auf Kategorien a
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priori zu schließen, und zwar "because Kant has failed to establish that I must in fact know - a fortiori, be certain - that I have really had all of a putative series of representations through some period of my continued existence in order to investigate their possible empirical significance" (vgl. Guyer 1987,146). Um meine Vorstellungen auf ihre empirische Gültigkeit hin prüfen zu können, müsse es "obviously seem to me that I have had certain representations or made the observations that I am investigating", hierzu sei es aber lediglich nötig, daß "some psychological reproduction of the manifold - or as Kant would say, 'empirical synthesis of reproduction' (A 101) or 'subjective and empirical association' (A 121) - must take place", (vgl. Guyer 1987,146). Solange Kant die Möglichkeit nicht a priori ausschließen könne, daß die Überprüfung meiner Vorstellungen auf ihre empirische Gültigkeit hin gerade zur Zurückweisung meiner anfänglichen Meinung führt, bestimmte Vorstellungen gehabt zu haben, könne er nicht beweisen, "that a priori certainty of apperception, as opposed to mere empirical reproduction, is a necessary condition of empirical knowledge, thus that transcendental apperception as he actually understands it (at e. g. A 106, A 113, and A 116) exists", (vgl. Guyer 1987,146 f.) Es sei nämlich durchaus möglich, daß man z.B. bestimmten Aufzeichnungen aus seinem Notizbuch nur dann einen bestimmten Sinn abgewinnen könne, wenn, "I admit that one of my notes describes an observation, I never could have made, thus a representation I never could have had", (vgl. Guyer 1987,147) Zwar sehe Kant im Gegensatz zu Hume klar, daß der Besitz von Vorstellungen "by a single self can be represented only by some kind of relation among the several representations which are ascribed to such a self, thus a combination or synthesis of representations", aber es gelinge Kant nicht zu zeigen, "that there must be something a priori about this synthesis", (vgl. Guyer 1987,147) Für das gestellte Problem sieht Guyer keine Lösung, da er nicht hinreichend zwischen dem Bewußtsein und der empirischen Erkenntnis eigener Vorstellungen bzw. zwischen Bedingungen eines empirischen Bewußtseins und Bedingungen a priori jeder möglichen Erkenntnis unterscheidet. Kant fordert nicht, daß ich im Rahmen jeder Erfahrung auch ein Wissen von meinen Vorstellungen besitzen muß, d.h. "that I must in fact know ... that I have really had all of a putative series of representations through some period of my continued existence" (vgl. Guyer 1987,146), sondern Kant behauptet lediglich, daß wir ein durchgängiges Bewußtsein von allen Vorstellungen haben müssen, die wir im Rahmen unserer Erfahrung verwenden, "weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem anderen zu einem Bewußtsein gehö-
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ren" (vgl. A 116). Dieses Bewußtsein braucht aber keineswegs als die Erkenntnis aller meiner Vorstellungen auszufallen, sondern liegt in allen kategorial korrekt gebildeten und miteinander verbundenen Erkenntnisurteilen über irgendwelche Gegenstände oder Zustände vor. Uber das empirische Bewußtsein gegebener Vorstellungsinhalte macht Kant in der ersten und zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' zwei einander anscheinend widersprechende Aussagen. In der zweiten Auflage heißt es: "das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts" (B 133). In der ersten Auflage hingegen behauptet Kant, "alles empirische Bewußtsein hat... eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besonderen Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst als die ursprüngliche Apperzeption"; und er betont sogar, der "synthetische Satz: das alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse", sei "der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt" (vgl. A117 Anm.). Der scheinbare Widerspruch zwischen diesen Aussagen läßt sich lösen, wenn man den Sinn der Formulierung der zweiten Auflage verdeutlicht, unser empirisches Bewußtsein sei "an sich" zerstreut und ohne Beziehung auf unser identisches Subjekt. An sich, also in seinem empirisch gegebenen Inhalt betrachtet, ist jedes empirische Bewußtsein lediglich ein Bewußtsein dieser oder jener voneinander verschiedenen gegebenen Inhalte und daher so zerstreut wie diese Inhalte zahlreich sind. Unter diesem rein inhaltlichen Gesichtspunkt kann man noch nicht einmal von genau einem empirischen Bewußtsein sprechen, sondern nur davon, daß ich "jede Vorstellung" (vgl. B 133) in dem Sinne mit Bewußtsein begleite, daß ich mir "jedes" Vorstellungsinhalts "besonders" bewußt bin (vgl. Brief an Herz vom 26. 5.1789,50). Eine bloße "psychological reproduction of the manifold - or, as Kant would say, 'empirical synthesis of reproduction' (A 101) or 'subjective and empirical... association' (A 121)" (vgl. Guyer 1987, 146) könnte also bestenfalls hinreichen, sich gegebener Vorstellungsinhalte einzeln oder zufällig jeweils einiger Inhalte bewußt zu sein, aber sie würde nicht hinreichen, verständlich zu machen, daß wir uns aller im Rahmen einer Erkenntnis verwendeten Vorstellungen inhaltlich bewußt sind oder wenigstens bewußt werden können. Da es nach Kant aber "schlechthin notwendig [ist], daß in meinem Erkenntnisse alles Bewußtsein zu einem Bewußtsein (meiner selbst) gehöre", hat "alles empirische Bewußtsein... eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein
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meiner selbst als die ursprüngliche Apperzeption", (vgl. A 117 Anm.) Die "a priori certainty of the numerical identity of the seif" soll nicht, wie Guyer meint, eine Bedingung dafür sein, "any empirical synthesis" durchführen zu können (vgl. Guyer 1987,147), sondern sie soll eine notwendige Bedingung des voll ausgebildeten durchgängigen Bewußtseins gegebener Vorstellungsinhalte und damit jeder möglichen Erkenntnis von Gegenständen oder Zuständen sein. Wenn ich im Verlauf meiner Erfahrung zu der Erkenntnis gelange, daß meine ursprüngliche Ansicht zurückzuweisen ist, "that I did indeed ever have all representations I initially ascribe to myself" (Guyer 1987, 147), so bin ich der Uberzeugung, daß ich den sinnlichen Erlebnissen, die ich zu einer bestimmten Zeit hatte, einen anderen Sinn und möglicherweise auch einen anderen Bezug zu geben habe, als ich es ehemals tat, um sie in Verbindung mit anderen in einem Bewußtsein zu vereinigen. Die Erkenntnis, bestimmte Vorstellungen nicht gehabt zu haben, kann über die Einsicht in die Notwendigkeit einer neuen gedanklichen Ordnung unserer Vorstellungen nicht hinausgehen, da schon unsere bloß vorläufigen Meinungen und unsere Irrtümer die Verwendung bewußter Vorstellungen einschließen. Eine Revision meiner Urteile kann erforderlich sein, weil ich mir gewisse Vorstellungen in einer bloßen empirischen, d.h. nur an ihnen selbst orientierten eingeschränkten Synthesis bewußt gemacht habe, ohne sie in mein durchgängiges Bewußtsein integriert zu haben. Eine neue gedankliche Strukturierung meiner Vorstellungen kann aber auch dadurch nötig werden, daß mir neue Vorstellungen gegeben werden, die ich nur dadurch mit den mir bisher bewußten in einem Bewußtsein vereinigen kann, daß ich letztere in neuer Form miteinander verknüpfe. Wird die Revision der vorläufigen bzw. bisherigen gedanklichen Strukturierung meiner sinnlichen Erlebnisse von dem Bewußtsein der kategorialen Korrektheit der neu getroffenen Strukturierung begleitet, so fällt sie im ersten Falle als die Verschärfung oder Korrektur eines bloß vorläufigen Wahrnehmungsurteils zu einem Erkenntnisurteil und im zweiten Falle als die Korrektur bisher für gültig gehaltener Erkenntnisse zu neuen Erkenntnissen aus. "Wahrnehmungsurteile ... bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt" (Prol. § 18., 298); und "Erfahrungsurteile" erhalten "ihre objektive Gültigkeit nicht von der unmittelbaren Erkenntnis (denn diese ist unmöglich)", sondern dadurch, daß "durch den Verstandesbegriff die Verknüpfung der Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit... gegeben sind, als allgemeingültig bestimmt wird" (Prol. § 19., 298/299).
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Kant gibt also sehr wohl eine Antwort auf die von Guyer gestellte Frage, "why should the mere empirical reproduction of a manifold of representations be insufficient to allow me to recognize that they all belong to me?" (Guyer 1987,147/148). Die empirische Reproduktion reicht zu einer solchen Selbsterkenntnis nicht hin, da sie die Durchgängigkeit meines Bewußtseins beim Wechsel der mir gegebenen Vorstellungsinhalte nicht gewährleistet, mir aber alle im Rahmen dieser Selbsterkenntnis von mir verwendeten Vorstellungsinhalte insgesamt bewußt sein müssen. Daß wir uns nach Kant "a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören körinen, bewußt" sind (vgl. A 116), heißt nicht, wie Guyer meint, "that I must know independently of the occurrence and content of any particular representation that I shall be conscious of my identity with respect to them" (vgl. Guyer 1987,140), sondern im Selbstbewußtsein zu denken sind wir uns der Leistung, "das Mannigfaltige der Anschauung zu verbinden, d.i. unter eine Apperzeption ... zu bringen", lediglich "ohne Sinnlichkeit bewußt" (vgl. B153), d.h. ohne uns auch der gegebenen Bedingungen der Anwendung der Kategorien bewußt zu sein, denn "ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, würde der Aktus: Ich denke, doch nicht stattfinden" (B 422 Anm.). Die Kategorien "sind nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d.i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen". (B 145)
5. Darstellung und Kritik der Interpretation IIB: Deduktion aus der empirischen Selbsterkenntnis Die einzig verbleibende Alternative zu den von ihm bisher erörterten Strategien einer transzendentalen Deduktion sieht Guyer darin zu zeigen, "that there is some condition for even merely empirical or a posteriori ascriptions of representations to a continuing or identical self which requires the use of certain rules" (Guyer 1987,148). Die Prämisse einer solchen Deduktion könnte nach Guyer in der "temporality of consciousness" gefunden werden (vgl. Guyer 1987,148), denn obwohl "the successive occurrence of intuitions ultimately provides all the material for a manifold of intuition, it cannot itself provide the recognition of a manifold, and a fortiori knowledge of the possession of this
Guyers Interpretationen und Kritik der transzendentalen Deduktion
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by an identical self" (Guyer 1987,148/149). "My representation of a manifold of representation" sei nämlich "not itself a manifold of representations but rather a single representation which must be interpreted or judged to represent a diversity or manifold of representations", und auf dieser Grundlage könne man nun argumentieren, "that I can provide such an interpretation only by the use of a rule from which I can deduce that, given its content, a present representation can be understood only as the representation of a sequence of previous representations". (vgl. Guyer 1987, 148) Da wir uns bei der Selbstzuschreibung von Vorstellungen aber auch irren können und Vorstellungen als Vorstellungen von Vorstellungen interpretieren können, die wir tatsächlich nie gehabt haben, können nach Guyer keine Begriffe a priori Bedingungen der Möglichkeit der Selbstzuschreibung von Vorstellungen sein, sondern "the same consideration which would finally show why rules are necessary for the recognition of the unity even of mere self-consciousness would also undercut Kant's assumption of the a priori certainty of the transcendental unity of apperception", (vgl. Guy er 1987,149) Bei einer solchen Argumentation hätte Kant nach Guyer "ground to claim only that when empirical judgements of apperception can in fact be justified, certain rules must be employed", (vgl. Guyer 1987,154) Eine solche Argumentation werde von Kant in der transzendentalen Deduktion zwar nicht ausgeführt, in der zweiten Auflage fänden sich aber einige Hinweise auf ihre Möglichkeit, nämlich in den Aussagen Kants, "die Bestimmung meines Daseins" könne "nur der Form des inneren Sinnes gemäß ... geschehen" (vgl. B 157/158); "der innere Sinn" enthalte "die bloße Form der Anschauung, aber ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte Anschauung ..., welche nur durch das Bewußtsein der Bestimmung desselben durch die transzendentale Handlung der Einbildungskraft (synthetischer Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn)... möglich" sei (vgl. B 154); und wir müßten "die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle innere Wahrnehmungen immer von dem hernehmen ..., was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen, folglich die Bestimmungen des inneren Sinnes gerade auf dieselbe Art als Erscheinungen in der Zeit ordnen ..., wie wir die der äußeren Sinne im Räume ordnen" (vgl. B 156). (vgl. Guyer 1987,151) Diese Aussagen Kants könnten nach Guyer in folgendem Sinn als Ansatz einer transzendentalen Deduktion der Kategorien verstanden werden:
300
Die transzendentale Deduktion
"To make determinate judgements about the temporal succession of subjective states at all, wnich is presupposed even by empirical knowledge that my continuing self actually has a mani fold of representations, I must link those representations in some way to objects in space which are capable ofooth continued existence and yet determinate changes. Only thus can I determine that my present state actually represents a 'sequence of one impression upon another'. Yet to make such connections requires precisely that I make judgements about the continued existence of objects regarded as distinct from mere modifications of inner sense and judge the changes of such objects. What can this be but to apply the concepts of inherence and subsistence to things regarded as objects in a strong sense and to apply to such objects the further dynamic categories of causality and dependence and perhaps even reciprocity of action? Thus, making the temporal judgements presupposed by any self-knowledge requires the use of the categories, and it is at least necessary that if I make the former, then I must use the latter." (Guyer 1987,152) Guyer gibt jedoch zu bedenken, daß "although the second editiontext of the deduction asserts such connections, it hardly argues them" (Guyer 1987,152). Erst bei der Aufstellung der Analogien der Erfahrung und insbesondere in der 'Widerlegung des Idealismus' werde diese Argumentation wirklich ausgeführt (vgl. Guyer 1987,150); und da Guyer diese Argumentation mit Einschränkungen für erfolgversprechend hält, nämlich glaubt, daß Kant auf dieser Basis "will have ground to claim only that when empirical judgements of apperception can in fact be justified, certain rules must be employed" (vgl. Guyer 1987,154), wendet er sich im weiteren Verlauf seiner Arbeit insbesondere diesen Teilen der 'Kritik der reinen Vernunff zu. In der transzendentalen Deduktion hingegen erwähne Kant den Zusammenhang zwischen Erkenntnissen eigener Zustände und Erkenntnissen räumlicher Gegenstände "for an explicit purpose quite different from the basic task of deducing the objective validity of the categories, namely to prove that the temporal knowledge of subjective states, since it depends on knowledge of objects in space, must be, like the latter, knowledge of mere appearances rather than of things in themselves", (vgl. Guyer 1987,152) Hiermit gibt Guyer den Zweck der Erwähnung des Zusammenhanges von Erkenntnissen räumlicher Gegenstände und Erkenntnissen eigener Zustände in der transzendentalen Deduktion zutreffend wieder. Sie soll als Argument dafür dienen, daß wir auch "uns selbst nur so anschauen, wie wir innerlich von uns selbst affiziert werden" (vgl. B156); und hiermit soll die eingangs des § 24 aufgestellte Behauptung gestützt werden, daß "alle Gegenstände unserer (der menschlichen) Anschau-
Guyers Interpretationen und Kritik der transzendentalen Deduktion
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ung", d.h. nicht nur die räumlichen Gegenstände, sondern auch unsere eigenen Zustände, "notwendigerweise" der "synthetische[n] Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung" genügen (vgl. B 150). Es ist jedoch zu bezweifeln, ob eine nähere Begründung dafür, daß die Erkenntnis eigener Zustände eine Bezugnahme auf räumliche Gegenstände voraussetzt, wie Kant sie in der 'Widerlegung des Idealismus' zu geben versucht, von ihm als eigenständiger Weg einer transzendentalen Deduktion der Kategorien in Betracht gezogen worden wäre. Durch den Nachweis, daß die zeitliche Ordnung der eigenen Vorstellungszustände nur durch ihre kategoriale Bestimmung relativ zur Dauer der Existenz räumlicher Gegenstände erkannt werden kann, würde nicht bewiesen, daß mein ganz unabhängig von einer Gewinnung empirischer Selbsterkenntnisse auf räumliche Gegenstände nur durch eine Verwendung der Kategorien Bezug nehmen kann und die Kategorien notwendige Bedingungen jeder möglichen Erfahrung sind. Da sich durchaus Erfahrungen denken lassen, die ausschließlich Erfahrungen räumlicher Gegenstände sind und nur das Bewußtsein der Inhalte eigener Vorstellungen, nicht aber auch Erkenntnisse der zeitlichen Abfolge eigener Vorstellungszustände einschließen, könnte durch einen solchen Nachweis nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei den Kategorien lediglich um Bedingungen nur einiger Erfahrungen handelt. Noch weniger aber könnte durch eine solche Argumentation die eigentliche Aufgabe der transzendentalen Deduktion erfüllt werden, nämlich unabhängig von der Voraussetzung der Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnisse bewiesen werden, daß wir im Rahmen unserer endlichen Erfahrung als bloß subjektiver Leistung die Kategorien wirklich verwenden und somit wirklich zu objektiv gültigen Erkenntnissen real existierender Gegenstände oder Zustände kommen können.
Bibliographie 1. Quellen a) Kant Die "Kritik der reinen Vernunft" wird zitiert nach der von Raymund Schmidt besorgten Ausgabe in der Philosophischen Bibliothek Meiner, Bd. 73a, durchgesehener Nachdruck Hamburg 1976. Die erste Auflage von 1781 wird hierbei wie üblich als "A" und die zweite Auflage als "B" zitiert. Alle weiteren Schriften, Aufzeichnungen und Briefe Kants werden zitiert nach: Kants gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910 ff.; ab Bd. XXIII hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1955 ff.; ab Bd. XXIX hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1980 ff. (= "AA"). Kants Reflexionen werden ohne Angabe der Band- und Seitenzahlen der Akademieausgabe nach der von Adickes vorgenommenen Numerierung zitiert. Die Orthographie der Texte Kants aus der Akademieausgabe wurde vorsichtig modernisiert. Die Hervorhebungen in Kants Werken, in den anderen Quellen und in der verwendeten Literatur werden nur in den eingerückten Zitaten ganzer Sätze oder Passagen wiedergegeben. Für Kants Schriften und Vorlesungsmitschriften werden bei der Zitation folgende Abkürzungen verwendet: Gedanken
=
Gedanken von der wahren Schätzving der lebendigen Kräfte und Beurteilung der Beweise, deren sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen (1746, AA Bd. I)
Von dem ersten = Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Grunde Gegenden im Räume (1768, A A Bd. II)
Bibliographie
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Prol.
= Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik,die als Wissenschaft wird auftrete können (1783, AA Bd. IV)
Anfangsgründe
= Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786, AA Bd. IV)
KpV
= Kritik der praktischen Vernunft (1788, AA Bd. V)
Uber den Gebrauch = Uber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788, AA Bd. VIII) KU
= Kritik der Urteilskraft (1790, AA Bd. V)
Religion
: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793, AA Bd. VI)
Logik
= Immanuel Kant's Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. Hrsg. von G.B. Jäsche (1800, AA Bd. IX)
Preisschrift
= Immanuel Kant über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolff's Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804, AA Bd. XX)
Logik Philippi
= Logik Philippi (1772, AA Bd. XXIV,1)
Logik Pölitz
= Logik Pölitz (1789, AA Bd. XXIV,2)
Logik Busolt
= Logik Busolt (1790, AA Bd. XXIV,2)
Logik DohnaWundlacken Wiener Logik
= Logik Dohna-Wundlacken (1792, AA Bd. XXIV,2) = Wiener Logik (o. J., AA Bd. XXIV,2)
304
Bibliographie
b) Historische Quellen außer den Schriften Kants Fischer, Kuno (1865): System der Logik und der Metaphysik. 2. Aufl. Heidelberg 1865 Frege, Gottlob (1884): Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logischmathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Nachdruck der Ausgabe Breslau 1884, Darmstadt u. Hildesheim 1961 Frege, Gottlob (1892): Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung; hrsg. von G. Patzig, 4. Aufl. Göttingen 1975, S. 40 - 65; zuerst veröffentlicht in: Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik, NF 100 (1892), S. 25 - 50 Frege, Gottlob (1893): Grundgesetze der Arithmetik, begrifflich abgeleitet. Bd. I. Nachdruck der Ausgabe Jena 1893, Hildesheim 1966 Frege, Gottlob (1918): Der Gedanke. Eine logische Untersuchung. In: Logische Untersuchungen; hrsg. von G. Patzig, Göttingen 1966, S. 30 - 53; zuerst veröffentlicht in: Beitr. zur Philos. des deutschen Idealismus 1(1918-1919),S. 5 8 - 7 7 Leibniz, Gottfried W. (1715-1716): Leibniz' fünftes Schreiben der Streitschriften zwischen Leibniz und Clarke. In: G. W. Leibniz: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie; übersetzt von A. Buchenau, hrsg. von E. Cassirer, 3. Aufl. Hamburg 1966 (Philosophische Bibliothek Meiner Bd. 107) Bd.1,165 - 214. Im Original in: Die philosophischen Schriften von G. W. Leibniz; hrsg. von C. I. Gerhardt, Bd. VII, Berlin 1890, Nachdruck Hildesheim 1965 Russell, Bertrand (1912): The Problems of Philosophy. (Home University Library of Modern Knowledge, hrsg. von H. Fisher u. a.) London, New York, Toronto 1912 Schopenhauer, Arthur (1818): Die Welt als Wille und Vorstellung. Bd. I, hrsg. von W. v. Löhneysen, 2. Aufl. Darmstadt 1968; zuerst veröffentlicht Wiesbaden 1818 Trendelenburg, Friedrich A. (1867): Historische Beiträge zur Philosophie. Bd. 3, Berlin 1867
Bibliographie
305
2. Literatur Hier ist nur die in dieser Arbeit verwendete und ausdrücklich erwähnte Literatur angeführt. Als umfassende Zusammenstellung neuerer Literatur zur theoretischen Philosophie Kants sei auf die Bibliographie von Axel Wüstehube verwiesen. Baumanns, Peter (1981): Anschauung, Raum und Zeit bei Kant. In: Beiträge zur Kritik der reinen Vernunft 1781 - 1981; hrsg. von I. Heidemann und W. Ritzel, Berlin, New York 1981, S. 69 - 125 Cramer, Konrad (1985): Nicht-reine synthetische Urteile a priori: ein Problem der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants. Heidelberg 1985 Dancy, Jonathan (1985): An Introduction to Contemporary Epistemology. Oxford 1985 Ebbinghaus, Julius (1973): Kants Lehre von der Anschauung a priori. In: Kant, zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln; hrsg. von G. Prauss, Köln 1973, S. 44 - 61; in ursprünglicher Fassung erschienen in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie, Bd. 10 (1944), S. 169 - 1 8 6 Friedman, Michael (1985): Kant's Theory of Geometry. Philosophical Review 94 (1985), S. 455 - 506 Friedman, Michael (1990): Kant on Concepts and Intuitions in the Mathematical Sciences. Synthese 84 (1990), S. 213 - 257 Guyer, Paul (1987): Kant and the Claims of Knowledge. Cambgridge 1987 Heckmann, Heinz D. (1981): Was ist Wahrheit?: eine systematischkritische Untersuchung philosophischer Wahrheitsmodelle. Heidelberg 1981 Henrich, Dieter (1976): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophischhistorische Klasse; Jg. 1976, Abh. 1. Heidelberg 1976 Hossenfelder, Malte (1978): Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale Deduktion. Berlin, New York 1978.
306
Bibliographie
Krüger, Lorenz (1968): Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? In: Kant-Studien, Bd. 59 (1968), S. 333 - 356 Paton, Herbert J. (1951): Kanfs Metaphysic of Experience. A Commentary on the First Half of the "Kritik der reinen Vernunft'. Bd. 1, London, New York, 2. Aufl. 1951,1. Aufl. 1936 Patt, Walter (1988): Kants Raum- und Zeitargumente unter besonderer Rücksicht auf den Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke. In: Kant: Analysen - Probleme - Kritik; hrsg. von H. Oberer und G. Seel, Würzburg 1988, S. 27 - 38 Patzig, Günther (1976): Immanuel Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? In: Grundprobleme der großen Philosophen, Philosophie der Neuzeit II; hrsg. von J. Speck, Göttingen 1976, S. 9 - 70 Prauss, Gerold (1973): Zum Wahrheitsproblem bei Kant. In: Kant, zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln; hrsg. von G. Prauss, Köln 1973, S. 73 - 89; ursprünglich erschienen in: Kant-Studien, Bd. 60 (1969), S. 166 - 1 8 2 Reich, Klaus (1948): Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Berlin, 2. Aufl. 1948,1. Aufl. 1932 Stegmüller, Wolfgang (1968): Gedanken über eine mögliche rationale Rekonstruktion von Kants Metaphysik der Erfahrung, Teil II: Die logische Struktur des progressiven Argumentes. Ratio, Bd. 10 (1968), S. 1 - 31 Strawson, Peter F. (1976): The Bounds of Sense. An Essay on Kant's Critique of Pure Reason. London, 4. Aufl. 1976,1. Aufl. 1966 Stuhlmann-Laeisz, Rainer (1975): Kants Logik: Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß. (Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 9) Berlin 1975 Vaihinger, Hans (1892): Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Bd. 2. Stuttgart, Berlin, Leipzig 1892, 2. Aufl. 1922
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Wagner, Hans (1977): Zu Kants Auffassung bezüglich des Verhältnisses zwischen Formal- und Transzendentallogik. Kant - Studien 68 (1977), S. 71 - 76 Wagner, Hans (1980): Der Argumentationsgang in Kants Deduktion der Kategorien. Kant - Studien 71 (1980), S. 352 - 366 v. Weizsäcker, Carl F. (1974): Die Einheit der Natur. München 1974, zuerst erschienen München 1971 Wüstehube, Axel (1988): Bibliographie: Neuere Literatur zur theoretischen Philosophie Kants (1976 -1986). In: Kants transzendentale Deduktion und die Möglichkeit von Transzendentalphilosophie, hrsg. vom Forum für Philosophie (Bad Homburg), Frankfurt/Main 1988,S.303-320 Young, J. Michael (1982): Kant on the Construction of Arithmetical Concepts. Kant - Studien 73 (1982), S. 17 - 46
308
Stellenregister zu Kants Schriften
Stellenregister zu Kants Schriften Hier sind nicht sämtliche Belegstellen, sondern nur die auf den angegebenen Seiten dieser Arbeit näher untersuchten Stellen aus den Schriften Kants verzeichnet. Sie sind in der verwendeten Zitierweise in alphabetischer und numerischer Reihenfolge angeführt. Stellen aus der ersten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' sind nur angeführt, wenn ihr Text von dem der zweiten abweicht. A A 98 A 101 A 102 A 103 A 108 A 111 A 113 A 116 A 117
281 281, 279 279, 279 278 282 278, 279, 296, A 117 Anm. A 118 282 A 120 287 A 121 295, A 129 280 A 130 278 A 381 89 A 382 90
295, 296 286
281, 287, 292 285, 288, 291, 297 265 296
B BXXVI 254 B XXXIX Anm. 89 B 2 171, 173, 192-193, 196-198 B 3 148, 149,151, 162,167, 169,171, 173, 175, 192, 194,196, 199-200 B 4 148-149, 162, 168, 175, 199-200 B 5 169, 170, 171, 175, 199 B 10 54 B 11 13
B B B B B B B B B B B
11 15 16 17 27 33 34 35 36 37 38
B 39 B 40 B B B B B B B B B B B B B B B
41 42 44 45 46 47 48 49 50 51 55 56 78 81 82
54 136, 137, 138, 143 133-138, 143 133, 134 238, 239 64, 105 64, 66 66 66 68, 106 68, 69, 72, 74-77, 81, 108, 110, 114, 118 82, 85, 94-96, 115-116, 121-122 97-98, 106, 126-127, 129, 131, 179 147, 179, 184, 189 181, 183 73, 230 73, 230 72, 74, 81, 82, 85, 112 74, 94, 95, 96, 131, 147 97, 98, 125, 126, 132 127, 129 67 183 131,189 78 39,101 244 8, 230, 251, 252
Stellenregister zu Kants Schriften
B 83 B 84 B 86 B 87 B 89 B 92 B 93 B 94 B 95 B 96 B 97 B 98 B 99 B 101 B102 B 102 B 103 B104 B 105 B106 B116 B117 B 118 B 120 B 122 B124 B 125 B 126 B 129 B 130 B 131 B 132 B133 B 133 B134 B135 B 136 B 137 B 138 B145
62, 230, 252 253 251 253 53, 58 212, 244 212 10, 100, 212, 239 216, 217 219, 244 218 219 50 54, 58 218, 221 53 222 221, 237 223 224, 239 261, 278 241, 250, 261 242 261 259 64 64 262 263 259, 294 240-241, 250, 260, 264, 287, 289, 291 264 240, 250, 280, 296 264 284, 294 265, 285, 288 266 232 285 226-227, 249, 269
B 146 B147 B 150 B 151 B 154 B156 B157 B 158 B159 B 160 B 177 B 179 B 180 B 182 B 183 B 190 B 191 B 192 B 193 B 194 B 195 B 199 B 205 B 207 B 217 B 218 B 222 B 224 B 225 B 231 B 234 B 235 B 237 B 238 B 246 B247 B 248 B 249 B252 B 253 B 254
309
240 189, 229, 232, 269 269 222 299 299-300 267, 299 267 242, 270 269 176 142, 203 139 140, 142 176 12 51 13 14 227 84 162 135 65 165 165 162, 210 88 87, 90 91 235 236 235 235 156 156-157 157, 158 158 164, 176, 206, 208, 233 164, 166, 177, 206, 207 208
310 B 255 164, 166, 209 B 256 209 B 264 176 B 267 164 B 269 164 B 271 190 B 272 176 B 273 160 B 275 86, 1B 7, 88 B 276 86 B 279 47 B 289 162, 175 B 292 91 B 295 163 B 300 228 B 301 186 B 319/320 80 B 322 226, 227 B 346 246 B 349 83 B 350 236 B 360 38 B 401 167, 210 B 404 267, 283 B 405 102, 267 B 407 266, 267 B 408 283 B 422 267 B 426 268 B 429 267 B 451 270 B 457 78 B 458 Anm. 79 B 459 78 B 513 271 B 514 271 B 622 153 B 741 130, 139 B 742 130 B 745 136, 144 B 750 202
Stellenregister zu Kants Schriften
B 752 153 B 758 69 B 791 271 B 876 101 Brief an Beck vom 3.7.1792,347 13 Brief an Herz vom 26.5.1789,50 264, 288 Brief an Herz vom 26.5.1789,52 263, 264, 289
G Gedanken, 24
189
K
KU 195 186 KU § 25., 248 KU § 26., 251
L
140 140
Logik §3. Anm. 1., 92 70 Logik § 4. Anm., 93 70 Logik § 5. Anm. 1., 94 11,42,71 Logik §6., 94 71 Logik §11. Anm., 97 26 Logik §21 .,102 15 Logik §21. Anm. 1., 102 16 Logik § 21. Anm. 5., 103 22, 24 Logik § 22., 103 15 Logik §22. Anm. 2., 104 29 Logik § 23. Anm. 2., 104 15 Logik §24., 105 13 Logik § 24. Anm., 105 215 Logik § 25., 105 19 Logik §26., 106 17, 19 Logik §29., 107 28 Logik § 29. Anm., 107 22 Logik § 29. u. Anm., 107 57 Logik §36., 111 51 Logik § 36. Anm. 1., 111 14 Logik §37., 111 14 Logik §37. Anm. 1., 111 20
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Stellenregister zu Kants Schriften
Logik § 60. Anm. 2., 122 36 Logik § 75. Anm. 2., 129 36 Logik §110., 146 23 Logik §113., 147 23 Logik Busolt, 627 45 Logik Busolt, 629 45 Logik Einl., 14 10, 101, 249 Logik Einl., 16 249 Logik Einl., 50 8, 63, 230, 231 Logik Einl., 51 9, 16, 17, 25, 62 Logik Einl., 52 12, 18, 19, 21, 27,55 Logik Einl., 53 12, 25, 28, 29, 55 Logik Einl., 63 70 Logik Einl., 66 32, 35 Logik Einl., 84 160 Logik Einl., 85 22, 28, 161
M
Metaphysische Anfangsgründe, 470 151 Prol. § 2., 267 150 Prol. § 8., 281 128, 183 Prol. § 10., 283 140 Prol. § 13., 285 79 Prol. § 13., 286 79, 80 Prol. § 13. Anm. III., 290 224 Prol. § 18., 298 223 Prol. § 19., 298 225 Prol. § 29., 312 154, 156 Prol. § 34., 316 162 Prol. § 39., 322 250 Prol. § 39., 323 213, 248 Prol. § 39., 324 242 Prol. Anh., 375 62, 63, 231
R
ReH. 1603 Refl. 2130 Reil. 2132
249 61 60
Refl. 2174 Refl. 2174 Refl. 2176 Refl. 2178 Refl. 2179 Refl. 2185 Refl. 2473 Refl. 2474 Refl. 2479 Refl. 3197 Refl. 3201 Refl. 3263 Refl. 3264 Refl. 3265 Religion, 20
41 45 43 41, 51 48 50 34 34 35 37 45 37 36 36 294
U
Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 183 f. 169 Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien, 184 172, 174
V
Von dem ersten Grunde, 378 Von dem ersten Grunde, 383
W
Wiener Logik, 905 Wiener Logik, 934
72 26
79 79
w DE
G
Walter de Gruyter Berlin • New York
KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE
GREGOR BÜCHEL
Geometrie und Philosophie Zum Verhältnis beider Vernunft Wissenschaften im Fortgang von der Kritik der reinen Vernunft zum Opus postumum Groß-Oktav. XVI, 425 Seiten. 1987. Ganzleinen DM 160,ISBN 3 11 011284 1 (Band 121)
GIOVANNI SALA
Kant und die Frage nach Gott Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants Groß-Oktav. XVIII, 470 Seiten. 1989. Ganzleinen DM 154,ISBN 3 11 012330 4 (Band 122)
P . H . VAN DER GULDEN
Albert Görlands systematische Philosophie Groß-Oktav. X, 375 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 148,ISBN 3 11 012155 7 (Band 123) Preiaänderungea vorbehalten
w DE G
Walter de Gruyter Berlin • New York
KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE
REINER WIMMER
Kants kritische Religionsphilosophie Groß-Oktav. VIII, 286 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 120,ISBN 3 11 011681 2 (Band 124) RUDOLF LANGTHALER
Kants Ethik als "System der Zwecke" Perspektiven einer modifizierten Idee der "moralischen Teleologie" und Ethikotheologie Groß-Oktav. XIV, 428 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 168,ISBN 3 11 012620 6 (Band 125) JOACHIM PETER
Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft Eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant Groß-Oktav. XIII, 277 Seiten. 1992. Ganzleinen DM 118,ISBN 3 11 013375 X (Band 126) Preisänderungen vorbehalten