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German Pages 176 [156] Year 2013
Heiko Puls Funktionen der Freiheit
Kantstudien-Ergänzungshefte
im Auftrag der Kantgesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme
Band 174
Heiko Puls
Funktionen der Freiheit Die Kategorien der Freiheit in Kants „Kritik der praktischen Vernunft“
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-030874-7 e-ISBN 978-3-11-030883-9 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die hier vorgelegte Arbeit wurde im Wintersemester 2011/12 von der philosophischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen und für die nun erfolgende Veröffentlichung lediglich formal und stilistisch überarbeitet. Ich danke denen, die mich beim Verfassen meiner Dissertation gefördert und beraten haben. An erster Stelle Prof. Dr. Birgit Recki (Hamburg), die diese Arbeit nicht nur angeregt und sachlich begleitet, sondern durch die Bereitschaft wiederholt Gutachten für ein Stipendium zu verfassen, auch in sehr praktischer Weise unterstützt hat. Danken möchte ich ebenfalls herzlich dem Zweitgutachter dieser Arbeit, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Bartuschat (Hamburg). Zu Dank verpflichtet bin ich der Wissenschaftsförderung der Universität Hamburg, die mir drei Jahre ein Promotionsstipendium gewährt hat; ebenso meinen Eltern für ihre jahrelange Unterstützung meines Studiums.
Inhalt Vorwort
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Einleitung .
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6 Literaturbericht Die frühe Rezeption der Freiheitskategorien durch Kants Zeitgenossen (Rehberg-Rezension, Briefwechsel zwischen Schütz und Kant, Darstellungen bei Brastberger, Bendavid, Michaelis und 6 Mellin) Interpretationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts 9 11 Die Freiheitskategorien in der gegenwärtigen Kantforschung 21 Ausblick Der „ganz andere Gebrauch“ der Kategorien: die Kategorien der 23 Freiheit in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik 25 Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ in der KrV Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ und die Tafel der 26 Kategorien der Freiheit
Interpretation des zweiten Hauptstücks der Analytik der KpV und 36 Rekonstruktion der Tafel der Kategorien der Freiheit
Die Tafel der Kategorien der Freiheit als Ordnungsschema der 76 Willensbildung Die Bildung einer moralisch noch unbestimmten Handlungsabsicht durch praktische Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist weder 78 gut noch böse“ Die Bildung einer moralischen Handlungsabsicht durch praktische 79 Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist moralisch gut“ Die Bildung einer bösen Handlungsabsicht durch praktische 80 Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist böse“
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Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien in Kants 83 theoretischer und praktischer Philosophie Einheit, Funktion und Verstandesform: die „Tafel der Momente des Denkens“ in der KrV 85 Die metaphysische Deduktion der Kategorien – 89 ein Überblick
VIII
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Inhalt
Die Tafel der Kategorien der Freiheit und die Urteilstafel Die Quantität der Urteile in der KrV und die praktischen 93 Quantitätskategorien Die Qualität der Urteile in der KrV und die praktischen 94 Qualitätskategorien Die Relation der Urteile in der KrV und die praktischen 95 Relationskategorien Die Modalität der Urteile in der KrV und die praktischen 100 Modalitätskategorien
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Die Synthesis eines „Mannigfaltigen“ in theoretischer und praktischer 104 Perspektive: Kants Objektbegriff in der KrV und der KpV
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113 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“ Die Programmatik einer „Metaphysik der Sitten“ 113 Die Kategorien der Freiheit und die „Metaphysik der Sitten“ – 115 ein Überblick Die Bedeutung der Modalitätskategorien in der Einleitung zur Rechtslehre 119 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit in der Einleitung 125 zur Rechtslehre Die Kategorien der Freiheit und die Tugendlehre der MS 132
Schlussanmerkung
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Siglen
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142 Literaturverzeichnis 142 Primärliteratur Sekundärliteratur 142 Personenregister
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Einleitung Trotz der mehr als zwei Jahrhunderte andauernden Rezeptionsgeschichte der Werke Kants gibt es in diesen bis heute Textpassagen und Gedankengänge, die wenig erforscht sind. Die rezeptionsgeschichtliche Vernachlässigung der Kategorien der Freiheit im zweiten Hauptstück der Analytik der „Kritik der praktischen Vernunft“ stellt ein solches interpretatorisches Versäumnis dar. Während die Literatur zur Kategorienlehre der ersten Kritik mittlerweile unüberschaubare Ausmaße angenommen hat und die dazugehörige Tafel Gegenstand zahlloser Arbeiten geworden ist, liegt zu den Kategorien der Freiheit bis heute nur wenig Literatur vor.¹ Mag man darin innerhalb der Kantinterpretation zunächst allein das Symptom einer Priorisierung der theoretischen Philosophie vor der praktischen sehen, so ist eine solche Einschätzung auf den zweiten Blick nur bedingt aussagekräftig, denn auch in der Literatur zu Kants praktischer Philosophie ist die Frage nach der Funktion der Freiheitskategorien auf ein nur marginales Interesse gestoßen. Im Gegensatz zur Forschungslage zum kategorischen Imperativ oder zum Freiheitsbegriff kann man die Darstellungen zu Kants praktischer Kategorientafel leicht quantifizieren und daraufhin auch den Forschungsstand bewerten. Dieser darf als heterogen, wenn nicht sogar als unbefriedigend, bezeichnet werden: In Arbeiten zu Kants praktischer Philosophie lässt sich eine grundsätzliche Unsicherheit im
Zeitgleich mit dieser Arbeit ist die Dissertation von Stephan Zimmermann entstanden, die mittlerweile als Monografie vorliegt (Zimmermann 2011). Zimmermanns Studie widmet sich umfangreicher als alle anderen Arbeiten vor ihr dem Thema der praktischen Kategorien bei Kant. Wie der Verfasser hält auch Zimmermann die Lehre von den Kategorien der Freiheit für ein zentrales Thema von Kants praktischer Philosophie (vgl. Zimmermann (2011), 1 ff.) und versucht ebenfalls, den Ursprung dieser Kategorien aus der Urteilstafel der ersten Kritik verständlich zu machen. Ohne sich eigens auf die in der vorliegenden Arbeit aufgegriffene Rede von den „Funktionen der Freiheit“ zu beziehen, deutet auch Zimmermann praktische Kategorialität als einen Modus des Urteilens überhaupt (vgl. Zimmermann (2011), 73 ff.). Ein Unterschied zwischen seiner Arbeit und der vorliegenden besteht in der Betrachtungsperspektive. Zimmermann will den „‚Kategorien der Freiheit‘ lediglich in Kants kritischer Philosophie nachspüren“ (Zimmermann (2011), 11); hier soll hingegen versucht werden, die vernunftarchitektonische Stellung praktischer Kategorien bei Kant entwicklungsgeschichtlich zu analysieren: Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei einer frühen Reflexion, in der Kant die Kategorien der Moralität als Funktionen der Freiheit bestimmt, und verfolgt das Thema einer praktischen Kategorienlehre über dessen eigentliche Entfaltung in der zweiten Kritik hinaus bis in die „Metaphysik der Sitten“, in der sich Kant bei der Entfaltung von Rechts- und Tugendlehre eines kategorialen Leitfadens bedient. Eine Auseinandersetzung mit Zimmermanns Monografie kann in dieser Arbeit aus Kapazitätsgründen nur summarisch erfolgen.
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Einleitung
Hinblick auf die Frage, was praktische Kategorien bei Kant bedeuten, noch immer beobachten.² Dass kein Interpret es lange bei den Freiheitskategorien „ausgehalten hat“ (Recki (2001), 231), ist sicher den großen Verständnisproblemen geschuldet, die diese Tafel aufwirft. Dabei handelt es sich zum einen um die Schwierigkeit, Kants denkbar knapp gehaltene Erläuterungen zur Tafel überhaupt konsistent zu interpretieren, und zum anderen um das Problem, Kants praktische Kategorienlehre in seiner Moralphilosophie systematisch zu verorten: Soll die von Kant beanspruchte Notwendigkeit praktischer Kategorien nicht von vornherein als bloße Eskapade oder als Ausdruck eines „Systemzwanges“³ aufgefasst, sondern als ein grundlegender Bestandteil der praktischen Willensbestimmung einsichtig gemacht werden, hat man als Interpret das nicht unerhebliche Problem, die von Kant nur angedeutete Funktion der Kategorien der Freiheit zu rekonstruieren und aus dem Duktus der Vernunftkritik heraus verständlich zu machen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt daher weniger auf der Sicherung einer bestimmten Lesart⁴ oder der Abwägung spezieller Deutungsprobleme der Tafel. Vielmehr soll versucht werden, die Notwendigkeit der Kategorien der Freiheit innerhalb der praktischen Philosophie Kants nachzuvollziehen. Die grundlegende These dieser Arbeit lautet, dass Kant mit seiner Lehre von den Kategorien der Freiheit methodisch insofern an die Kategorienlehre der ersten Kritik anschließt, als der dort zugrunde gelegte Begriff der „Funktionen im Urteil“
Ein Beispiel für eine solche Unsicherheit und eine daraus erwachsende Verkennung der Bedeutung der Freiheitskategorien findet sich beispielsweise im Kommentar von Sala (2004), 149, der schreibt: „Die Begriffe des Guten und Bösen, die im vorigen Abschnitt als Modi der Kausalität der reinen praktischen Vernunft vorgestellt worden sind, werden […] ‚Kategorien der Freiheit‘ genannt“. Kant untersucht aber die Kategorien nur „in Ansehung“ des „Guten und Bösen“. Das „Gute“ und das „Böse“ sind keine Kategorien der Freiheit. Dieses Missverständnis deutet sich auch bei Pieper (2002) an. Dieser Vorwurf wurde das erste Mal erhoben von Adickes (1887), 143. Siehe hierzu auch Graband (2005), 52. Somit ist diese Arbeit keine „Kommentarische Interpretation“ im Sinne Schöneckers (vgl. Schönecker (1999), 15 ff.), d. h., ihr Thema ist nicht primär die Absicherung einer ganz bestimmten Lesart des Textes durch einen minutiösen Kommentar oder allein der Nachvollzug der Entwicklungsgeschichte einzelner Begriffe innerhalb der kantischen Vernunftkritik. Dem Verfasser liegt allein daran, einen wenig beachteten Aspekt dieser Philosophie zu exponieren und in seiner Stellung und systematischen Funktion deutlicher kenntlich zu machen. Wenn sie dabei einer bestimmten Methode folgt, dann der, die systemarchitektonischen Einzelbestandteile – in diesem Fall die Kategorien der Freiheit – vor dem Hintergrund der Annahme einer Konsistenz und entwicklungsgeschichtlichen Kontinuität der gesamten Vernunftkritik zu deuten: Die Kategorien der Freiheit sollen im Rahmen einer umfassenden Betrachtung der Philosophie Kants in den Blick genommen werden.
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eine analoge Verwendung im Bereich der praktischen Urteilsbildung findet. Wie Kant in einer diesbezüglich bislang unbeachteten Passage aus dem „Handschriftlichen Nachlass“ schreibt, hat man diese Kategorien als „Funktionen der Freiheit“⁵ aufzufassen. Man kann zeigen, dass sich sowohl die Struktur der Kategorien des Erkennens als auch des Handelns den allgemeinen Formungsmomenten des Urteilens überhaupt, d. h. der „Urteilstafel“ der ersten Kritik, verdanken. Unbegründet ist daher auch die These, in den Kategorien der Freiheit hätte man nur ein bloßes Derivat der Erkenntniskategorien zu sehen. Sie sind nicht das Resultat einer illegitimen Übertragung eines zentralen Themas der theoretischen Philosophie auf die praktische,⁶ sondern ergeben sich für Kant aus der Einsicht in die Funktion des Urteilens innerhalb der moralischen Selbstbestimmung. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf den von Kant nur in Reflexionen verwendeten Begriff einer „praktischen Apperzeption“. Dieser erlaubt Rückschlüsse auf den Kontext, in dem die Kategorien der Freiheit bei Kant stehen: Sie sind die „Elementarbegriffe“ praktischer Vernunft, d. h. diejenigen Grundbegriffe, die – analog der Apperzeption durch die kategoriale Synthesis in der KrV – praktisches Selbstbewusstsein ermöglichen. Sie garantieren die Einheit des praktischen Selbstbewusstseins und ermöglichen, dass von menschlichen Handlungen als Entäußerungen eines sich seiner praktisch-intentionalen Selbstidentität gewissen Subjekts gesprochen werden kann. Genau besehen hebt Kant die Problematik eines „übersinnlichen Gebrauchs“ der Kategorien bereits in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik explizit hervor und weist zudem an gleicher Stelle auf sein besonderes Bemühen hin, die Begrifflichkeiten der Tafel mit größter Sorgfalt auszuwählen, um „den Begriff nicht verfehlen zu lassen“ (KpV, V, 11). Über ihren Stellenwert in der KpV hinaus bleiben die Kategorien auch in Kants „Anwendungsschrift“, der 1797 erschienenen „Metaphysik der Sitten“, von Bedeutung. Kant bedient sich in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ bei seiner begrifflichen Entfaltung der möglichen Verpflichtungsverhältnisse einer freien Willkür sowie bei seiner Definition des Rechts eines kategorialen Leitfadens, der sich auf die Kategorien der zweiten Kritik
Der für Kants Kategorienlehre der ersten Kritik zentrale Begriff der „Funktion“ findet sich im Kontext der praktischen Philosophie nur im „Handschriftlichen Nachlass“. Dort werden die „Kategorien der Moralität“ durch den Hinweis erläutert, dass „Funktionen der Freiheit […] in allem Praktischen“ seien (Handschriftlicher Nachlass Moralphilosophie, XIX, 6854, 180). Diese Fundstücke nimmt die vorgelegte Interpretation zum Anlass, die Kategorien der „Moralität“ als Funktionen der Freiheit zu deuten. Schnell ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf bei der Hand, die Freiheitskategorien seien nur einem „Systemzwang“ Kants und nicht einer systematischen Notwendigkeit geschuldet. Paradigmatisch für eine solche Einschätzung ist die Interpretation von Adickes (1887), 144.
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Einleitung
stützt: Die Kategorien der Freiheit haben damit auch eine Funktion innerhalb von Kants angewandter Moralphilosophie. Da sich die praktischen Kategorien, anders als oftmals angenommen, über die Tafel in der Analytik hinaus also auch in anderen Texten Kants nachweisen lassen, besteht das Thema der vorliegenden Arbeit, ausgehend von einer gründlichen Analyse der Tafel der Freiheitskategorien, in der Bedeutung und Funktion von praktischer Kategorialität im Werk Immanuel Kants überhaupt. Neben der grundsätzlichen Unterschätzung des Status von praktischer Kategorialität ist in den bisherigen Interpretationen der Tafel ein weiteres Defizit auffällig: Das Problem der willensintrinsischen Generierung von praktischen Urteilen anhand der Kategorien der Freiheit wird nur im Ansatz in den Blick genommen. Zwar unternehmen zumindest einige Interpreten den Versuch einer Rekonstruktion der einzelnen Untertitel, jedoch wird dabei die Funktion dieser Kategorien als „Elementarbegriffe“⁷ der Willenskonstitution nie ausführlich zum Thema gemacht. Nimmt man die Einsicht ernst, dass man es bei Kants Tafel mit kategorialen Bestimmungen zu tun hat, die korrekter praktischer Urteilsbildung zugrunde liegen, so müsste eine befriedigende Darstellung der Tafel nicht nur die Kategorien als begriffliche Einzelmomente erläutern, sondern auch skizzieren,wie diese praktischen Elementarbegriffe in der Bildung eines praktischen Urteils zusammenwirken. Sowohl die Handlungen, die erfolgreich durch das Sittengesetz bestimmt sind, als auch „sittlich=gleichgültige“⁸ Handlungen können sich als
Kant selbst bezeichnet die Kategorien der Freiheit explizit als „praktische Elementarbegriffe“ (KpV, V, 184). Die Kategorien der Freiheit sind die „Elementarbegriffe“ der praktischen Vernunft, so wie die Kategorien der ersten Kritik „Elementarbegriffe des Verstandes“ (KrV, III, 95) sind. Gemäß Kants in der „Religionsschrift“ entfalteter rigoristischer Lehre gibt es keine „moralneutralen“ Handlungen, sondern jede Handlung und jeder Mensch als handelndes Subjekt ist entweder gut oder böse (vgl. REL, VI, 19 ff.). Zum „Rigorismus“ Kants vgl. Timmermann (2001), 58 – 82. In der MS spricht Kant jedoch von „sittlich gleichgültig[en]“ Handlungen (MS, VI 223), stellt die Möglichkeit solcher Handlungen später aber wieder in Frage (vgl. MS, VI, 409). Kants Bewusstsein der Problematik dieser Differenzierung, d. h. des Problems, im Anschluss an die Unterscheidung in einen moralischen und moralneutralen Freiheitsbegriff einen ebensolchen Handlungsbegriff zu entwickeln, spiegelt sich auch in seiner Bestimmung des „Praktischen“ wider, das er in „moralisch-praktisch“ und bloß „technisch-praktisch“ (KU, V, 7) unterteilt. An anderer Stelle differenziert er das Praktische im Allgemeinen (Genus proximum) vom „schlechthin oder absolut Praktische[n]“, nämlich dem „Praktischen“ als Resultat einer rein sittlichen Bestimmung (KrV, IV, 95). Im Folgenden wird angenommen, dass die Kategorien der Freiheit allen Handlungen zugrunde liegen, unabhängig davon, ob sie „absolut praktisch“ im zweiten Sinne der eben genannten Begriffsdifferenzierung sind. Im Anschluss an diese Unterscheidung wird im weiteren Verlauf aus darstellungspragmatischen Gründen von „Handlungen“ und von „genuin moralischen“ Handlungen gesprochen, ohne dass damit die Schwierigkeiten dieser Differenzierung nivelliert werden sollen.
Einleitung
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durch die Freiheitskategorien geformt verständlich machen lassen. Ein Gesichtspunkt der hier versuchten Interpretation soll daher – neben der Erläuterung der einzelnen Kategorien – auch auf der Skizze einer willensinternen Verwendungsweise derselben liegen. Die Tafel wird als ein Ordnungsschema der Willensbildung interpretiert, das der Herausbildung einer jeden Willensabsicht unabdingbar zugrunde liegt. Die Arbeit setzt im ersten Kapitel mit einem Literaturbericht in chronologischer Reihenfolge ein. Dieser soll einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand bieten. Das zweite Kapitel untersucht die „Vorrede“ der zweiten Kritik und versucht, den Nachweis zu erbringen, dass Kant bereits an dieser Stelle die Kategorien der Freiheit als einen tragenden Aspekt seiner systematischen Konzeption hervorhebt, die „Vorrede“ also eine Art Propädeutik der „Freiheitskategorien“ darstellt. Im dritten Kapitel erfolgt eine detaillierte Analyse des zweiten Hauptstücks der Analytik, wobei jede Kategorie ausführlich interpretiert wird. Im vierten Kapitel soll dann, im Rückgriff auf diese Rekonstruktion, die Funktionsweise der Tafel als ein Ordnungsschema der Willensbildung skizziert werden, indem einzelne praktische Urteile anhand der Kategorientafel der Freiheit (re‐)konstruiert werden. Im fünften Kapitel wird Kants Kategorienlehre der ersten Kritik in den Blick genommen und es wird untersucht, inwieweit eine Analogisierung mit den Freiheitskategorien aufschlussreich ist. Im Mittelpunkt steht dabei die Urteilstafel der ersten Kritik als Ausgangspunkt einer metaphysischen Deduktion beider Tafeln und der damit verbundene Begriff einer „Funktion im Urteil“. Im sechsten Kapitel wird die Bedeutung praktischer Kategorialität für die bei Kant nur angedeutete Theorie eines praktischen Selbstbewusstseins thematisiert. Das siebte Kapitel schließlich beleuchtet die Anwendung der Freiheitskategorien in den „Metaphysischen Anfangsgründen“ der Rechtslehre. Hier wird der Nachweis erbracht, dass die praktischen Kategorien über die zweite Kritik hinaus bei Kant eine weitere systematische Verwendung finden, in dem er sie der Rechtslehre zugrunde legt.
1 Literaturbericht¹ 1.1 Die frühe Rezeption der Freiheitskategorien durch Kants Zeitgenossen (Rehberg-Rezension, Briefwechsel zwischen Schütz und Kant, Darstellungen bei Brastberger, Bendavid, Michaelis und Mellin) Der rezeptionsgeschichtlich früheste Beitrag zu Kants Kategorien der Freiheit findet sich in der Rezension der zweiten Kritik durch August Wilhelm Rehberg in der A.L.Z. aus dem Jahr 1788.² Rehberg bezieht sich hier kritisch auf die praktischen Kategorien der Modalität, da der „Faden nach dem die[se] Kategorien […] laufen, […] nicht deutlich“ (Rehberg, A.L.Z., 1788, Spalte 347) sei. Er referiert zunächst die einzelnen Kategorien und schlägt dann eine Verbesserung der Tafel vor, indem er die erste Modalitätskategorie als „[d]as Erlaubte (was mit der Pflicht bestehen kann) und das Unerlaubte“ reformuliert, wobei er sich damit fast an Kants eigenen Wortlaut hält. Die zweite Kategorie möchte er als „[d]as Pflichtmäßige, oder Tugendhafte (das durch die Pflicht wirklich bestimmte) und dessen
Der hier vorgelegte Literaturbericht gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt stellt die Auseinandersetzung von Kants Zeitgenossen mit den Freiheitskategorien vor. Der zweite fasst die sporadische Rezeption des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammen, der dritte Abschnitt schließlich untersucht die Literatur, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute erschienen ist. Eine besondere Zäsur wird dabei in Lewis White Becks Kommentar (1974, zweite deutsche Auflage 1985) zur zweiten Kritik gesehen, auf dessen Erläuterung der Kategorien sich nahezu alle seitdem veröffentlichten Darstellungen stützen. Aus Gründen der Vollständigkeit soll an dieser Stelle auch auf Literatur verwiesen werden, die lediglich kursorisch auf die Freiheitskategorien Bezug nimmt. Bezugnahmen bzw. kurze Darstellungen finden sich bei: Bendavid (1796), 23 ff., Michaelis (1796), 195 ff., Kirchmann (1869), 34, Hägerström (1902), 276, Grape (1903), 151, Kleppel (1978), 101, Kaulbach (1978), 299, Langthaler (1991), 126, König (1994), 74, Reibenschuh (1997), 150, Dierksmeier (1998), 238, Baumanns (2000), 59, Malibabo (2000), 89, Bacin (2001), 135, Klemme (2003), XXXVII, Streichert (2003), 230, Fischer (2004), 314, Buchheim (2006), 199, Müller (2006), 175, Pöpperl (2007), 382, Brandt (2007), 364, und Moskopp (2009), 230 und Klemme (2013), 196. Bezeichnend für die rezeptionsgeschichtliche Vernachlässigung der Freiheitskategorien innerhalb der Kantforschung ist der Umstand, dass im Wiederabdruck der Rehberg-Rezension im Materialband zur zweiten Kritik von Rüdiger Bittner und Konrad Cramer (Bittner/Cramer 1975) gerade diejenigen Passagen getilgt wurden, in denen sich Rehberg kritisch mit Kants Freiheitskategorien auseinandersetzt. Im Zusammenhang mit der Interpretation der Freiheitskategorien ist Rehbergs Beitrag bisher nicht zur Kenntnis genommen worden, da sich die hierfür relevanten Passagen nur in der ungekürzten Version der Ausgabe der A.L.Z. sowie in Rehbergs „Sämtlichen Werken“, 60 – 84, finden. Eine ausführliche Interpretation der Rehberg-Rezension findet sich bei di Giovanni (2005), 126 ff.
1.1 Die frühe Rezeption der Freiheitskategorien durch Kants Zeitgenossen
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Gegenteil“ fassen, die dritte Kategorie der Modalität schließlich als „das Heilige (welches, in durchaus nothwendiger Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetze steht, weil es nichts als reiner Ausdruck desselben ist)“ (Rehberg, A.L.Z., 1788, Spalte 347). Die von Kant ebenfalls dem Obertitel der Modalität zugeordneten vollkommenen und unvollkommenen Pflichten ordnet Rehberg, da diese „eher zu den subjektiven und objektiven Bestimmungen“ gezählt werden müssten, den „Categorien der Quantität“ (Rehberg, A.L.Z., 1788, Spalte 347) zu. Ebenfalls kritisch ist Christian Gottfried Schützʼ Auseinandersetzung mit den Kategorien der Freiheit, die sich im Briefwechsel zwischen diesem und Kant aus dem Jahr 1788 findet (vgl. Briefwechsel 1788, X, 540 ff.). Im Brief Schützens vom 23. Juni 1788 bezieht dieser durch Verweis auf die Rezension Rehbergs gleichfalls zu Kants Kategorie der Modalität Stellung, ohne jedoch auf die anderen Kategorien Bezug zu nehmen oder sich zur Konzeption der Tafel als solcher zu äußern. Auffällig ist dabei, dass Schütz sich stark an der Kategorientafel der ersten Kritik orientiert, innerhalb deren Struktur er Kants Modalitätskategorie der praktischen Vernunft zu reformulieren versucht. Die erste Unterkategorie („Das Erlaubte und Unerlaubte“) möchte er terminologisch als „Möglichkeit des Gesetzes“ versus „Unmöglichkeit des Gesetzes“, d. h. in Form der „[E]rlaubte[n] Handlung[en]“ im Gegensatz zu den „[n]icht zu gebietenden Handlung[en]“ fassen. Das als zweite Kategorie angeführte Begriffspaar „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“ reformuliert er als „Dasein eines Gesetzes“ bzw. „Nichtdasein eines Gesetzes“ („Pflicht“ und „Nichtpflicht“). Für Kants dritten Untertitel der praktischen Modalitätskategorien („Vollkommene und Unvollkommene Pflicht“) schlägt Schütz die Differenzierung in „unnachlaßliche Pflichten“ und „verdienst[liche] Pflichten“ vor und wählt dafür den Obertitel „Notwendigkeit eines Gesetzes“ bzw. „Zufälligkeit eines Gesetzes“ (Briefwechsel 1788, X, 542). Wie schon Rehberg drückt auch Schütz Verwunderung darüber aus, dass sich Kant nicht enger an die Formulierung der Kategorientafel der KrV anlehnt. Dies wird vor allem daran deutlich, dass Schütz genau die dort verwendeten Begriffe in seine Darstellung einfließen lässt: Die von Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ eingeführten Titel des „Daseins“, der „Wirklichkeit“ und der „Notwendigkeit“ werden von Schütz in seinem an Kant adressierten Änderungsvorschlag explizit aufgenommen. Er erläutert seine terminologischen Änderungsvorschläge durch Beispiele. So müsse die Kategorie der „Möglichkeit eines Gesetzes“ (Briefwechsel 1788, X, 541) in einem so weiten Sinne aufgefasst werden, dass man darunter sowohl die durch ein Gesetz bestimmten Handlungen begreifen könne als auch diejenigen, die davon unberührt sind, d. h. die erlaubten Handlungen: „Ich muß es eben sowohl eine erlaubte Handlung nennen, dass ich Wein trinke, wozu mich keins verbindet, aber doch in gewissem Verstande, z. B. wenn der Wein Arzney wäre, eins ver-
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1 Literaturbericht
binden könnte“ (Briefwechsel 1788, X, 541). Wie auch ein Großteil der späteren Sekundärliteratur problematisiert Schütz Kants Erläuterungen in der Fußnote im Vorwort zur ersten Kritik, da diese einen moralisch noch unbestimmten Gebrauch der ersten Modalitätskategorie festlegen. Kants Beispiel eines Redners, dem es im Gegensatz zu einem Dichter „unerlaubt“ sei, „neue Worte oder Wortfügungen zu schmieden“, bezeichnet er als eine „metabasis eis allo genos“ (Briefwechsel 1788, X, 541), da er selbst eine moralisch gefärbte Bedeutung dieser Kategorie für richtig hält. Im Gegensatz zu Schützens kritischen Nachfragen und Überlegungen fällt die weitere Rezeption der Tafel durch Zeitgenossen Kants wenig engagiert aus. So finden sich in den ersten Jahren nach der Veröffentlichung der zweiten Kritik Kommentare und Darstellungen bei Brastberger (1792), Bendavid (1796), Michaelis (1796) und Mellin (1797), die aber – anders als Schütz – wenig Problematisierungsbedarf hinsichtlich einer konsistenten Darstellung der Freiheitskategorien sehen und den Text in großen Teilen bloß paraphrasieren. Brastberger, der Kants Tafel ausschließlich eine Funktion innerhalb der moralischen Willensbestimmung zugesteht, kritisiert zwar die angenommene Vorrangstellung der praktischen Kategorien aufgrund der von Kant behaupteten Unabhängigkeit der Anschauung als eine „willkürliche Abstraction oder Combination“ (Brastberger (1792), 117), sieht aber ansonsten keinen weiteren Erklärungsbedarf. Er bezeichnet die Tafel als „an sich klar, und zur systematischen Behandlung der Moral nicht unbrauchbar“; einen weiteren, „wesentliche[n] Gewinn“ (Brastberger (1792), 118) erwartet er von ihr aber nicht. Bendavid referiert in seinen „Vorlesungen über die Critik der practischen Vernunft“ in weiten Teilen Kants Überlegungen im zweiten Hauptstück (vgl. Bendavid (1796), 21 ff.) und sieht anders als Schütz keinen Problematisierungsbedarf hinsichtlich der praktischen Kategorien. Seine Darstellung ist aber trotzdem aufschlussreich, weil er zum einen den engen Zusammenhang der praktischen Kategorientafel mit der Urteilstafel hervorhebt (vgl. Bendavid (1796), 26), zum anderen, weil er versucht einzelne praktische Urteile durch die Kategorien der Freiheit geformt verständlich zu machen. Bendavid zeigt das anhand mehrerer praktischer Urteile, wie z. B. dem Urteil „[W]er seine Gesundheit erhalten will, der muß nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen […]“ (Bendavid (1796), 28), welches er durch die praktische Kategorientafel führt. Michaelis, der sich noch enger an den kantischen Wortlaut hält, hebt dessen Intention folgend den Status der Kategorien als „Elementarbegriffe“ hervor (vgl. Michaelis (1796), 196) und sieht deutlich, dass diese Kategorien „nicht bloß die reine praktische, empirisch-unbedingte, sondern auch die empirisch-bedingte Vernunft [betreffen]“ (Michaelis (1796), 197).
1.2 Interpretationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
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Die Erläuterungen Mellins zeichnen sich trotz weitgehender Paraphrase des kantischen Textes dadurch aus, dass der Verfasser sehr deutlich die Differenzierung zwischen der allgemein praktischen und der absolut moralisch bedingten Gebrauchsweise der Tafel hervorhebt. Er erkennt trotz der weitgehenden Analogisierung mit den theoretischen Kategorien, dass die Freiheitskategorien „jede mögliche Art der Willensbestimmung unter sich befassen“, sich also neben ihrer Anwendung auf die „moralische Willensbestimmung“ (Mellin (1797), 603) auch auf die moralisch noch unbestimmte Willensbildung beziehen lassen. Im Zuge dieser Einsicht widmet er sich auch einzelnen Untertiteln der Kategorien, z. B. der des „Erlaubten und Unerlaubten“ – ohne dadurch jedoch auf die systematische Konzeption der Tafel, ihre Funktionsweise oder die Verbindung der einzelnen Kategorien untereinander weiter einzugehen. Er beschließt seine Darstellung, ähnlich wie Brastberger, mit dem Hinweis auf den systematischen Wert der Tafel für Kants praktische Philosophie.
1.2 Interpretationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Nach der relativ lebhaften Rezeption der Freiheitskategorien durch Kants Zeitgenossen fällt die Anzahl der Darstellungen – und auch die bloß kursorische Beschäftigung mit der Tafel – bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein deutlich geringer aus. Schleiermacher (1834), 126 ff., bezieht sich in seinen „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre“ auf Kants praktische Kategorientafel, die er als ein „Verzeichnis“ versteht, welches rein logisch, „ohne auf den Gehalt“ des Sittlichen abzuzielen, dessen „Begriffe“ enthielte. In diesem Zusammenhang unterstellt er Kant Inkonsequenzen beim Aufbau der Tafel, da in ihr „bald unter einer Abtheilung vereinigt ist, was stattfinden kann in der Ethik, und was nicht; bald Theilungen gemacht sind, welche ethisch gar keine Bedeutung haben“ und damit „durch einander geworfen [werde], was getrennt sein sollte“ (Schleiermacher (1834), 126). Hier deutet sich der oft erhobene Vorwurf einer Vermengung der moralisch noch unbestimmten Kategorien mit den spezifisch moralischen an. Biedermann (1842), 247, hingegen unterstellt eine ausschließlich moralische Bedeutung der Kategorien. Die Idee der Freiheit stelle sich „unter verschiedenen Formen dar“ und erzeuge eine „Mehrheit sittlicher Ideen“; die Kategorien der Freiheit seien dann diese „sittlichen Ideen nach dem Muster des Verstandes“ (Biedermann (1842), 247). Die praktischen Kategorien sind in dieser rein moralischen Funktionsweise „die verschiedenen Formen, unter denen sich die Freiheit des Menschen entwickelt und offenbart“ (Biedermann (1842), 247). Den von Kant angesprochenen Aufstieg von bloß praktischen Prinzipien zu sittlichen Gesetzen
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1 Literaturbericht
sieht Biedermann in den Kategorien der Quantität bestätigt. Die anderen Obertitel werden in seiner Darstellung lediglich gestreift, aber nicht näher erläutert. Deutinger (1849), 75 ff., lehnt sich bei seinem Versuch, den Begriff der menschlichen Freiheit anhand einer Reihe von Kategorien systematisch durchsichtig zu machen, augenscheinlich an Kants praktische Kategorientafel an, ohne dies aber explizit hervorzuheben. Deutlich wird der Bezug auf Kants Tafel z. B. dadurch, dass Deutinger schreibt, die Kategorien seien „so viele als in dem Bewußtseyn überhaupt Verhältnisse sich finden, also im allgemeinen drei“ (Deutinger (1849), 75). Weiteren Aufschlusswert für Kants Tafel enthalten seine Darlegungen aber nicht. Schopenhauer (1859), 559, bezieht sich in „Die Welt als Wille und Vorstellung“ im Zusammenhang mit seiner Polemik gegen Kants Kategorientafel der KrV auch auf die Tafel der Freiheitskategorien, welche nach seiner Einschätzung noch „grellere Beispiele“ für die Fehlerhaftigkeit der kantischen Kategorienlehre zeige als die Tafel der ersten Kritik. Wenig günstig fällt auch die Einschätzung der Tafel durch Adickes (1887), 144, aus, welcher die Kategorien der Freiheit als Ausdruck eines „Systemzwangs“ Kants deutet, und die Ansicht vertritt, mit den meisten der von Kant in der Tafel eingeführten Begriffen hätte „die Freiheit gar nichts zu tun“ (Adickes (1887), 144). Die von Kant unterstellte leichte Nachvollziehbarkeit weist er ebenso zurück wie den behaupteten „Vorzug“ der praktischen Kategorien vor den theoretischen. Von Stillings Aufsatz „Über das Problem der Freiheit auf Grund von Kants Kategorienlehre“ (vgl. Stilling (1908), 518–534) würde man wegen des Titels eine Auseinandersetzung mit den Kategorien der Freiheit erwarten. Dieser Bezug liegt aber nur mittelbar vor, indem sich Stilling einer Behandlung des Freiheitsbegriffs auf kategorialer Grundlage allein vor dem Hintergrund der ersten Kritik annimmt. Hierzu schlägt er zunächst eine „verbesserte“ Version der Kategorientafel vor, da Kants eigene Tafel nicht „genügend ausgearbeitet“ und zudem auch noch „mit schweren Fehlern“ (Stilling (1908), 519) belastet sei. Stillings „verbesserte“ Version der Kategorientafel lehnt sich dabei an die Werke Albrecht Krauses an, erweitert die zwölf um vier weitere Kategorien und nimmt Änderungen innerhalb der Obertitel der „Quantität“ und der „Relation“ vor.³ Im Anschluss daran untersucht Stilling, welche „kategorialen Begriffe mit dem Begriff der Freiheit […] in Verbindung zu bringen seien“ (Stilling (1908), 526 f.) und kommt zu dem Ergebnis, dass zur „Bestimmung des Freiheitsbegriff[s]“ allein die Kategorien der Modalität Dem Moment der Quantität werden die Kategorien der „Wenigheit“ und der „Separation“ hinzugefügt. Das Moment der Relation wird noch grundlegender verändert, indem die hier aufweisbaren „Doppelkategorien“ (Substanz-Akzidenz/Ursache-Wirkung) komplett aufgelöst werden (vgl. Stilling (1908), 521 f.).
1.3 Die Freiheitskategorien in der gegenwärtigen Kantforschung
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übrig blieben, da nur in diesen der Bezug zur Freiheit herzustellen sei.⁴ Dass Stillings Aufsatz sich trotz des vielversprechenden Titels kurioserweise ausschließlich an Kants erste Kritik anlehnt, obwohl die hier angesprochene Problematik vor allem eine Untersuchung der zweiten Kritik hätte erwarten lassen, könnte man als einen Ansatz gelten lassen – nicht jedoch seine zahlreichen Fehleinschätzungen der kantischen Philosophie, die in der These kulminieren, dass „Freiheit einzig und allein in unserm Gefühl liege“ (Stilling (1908), 533). Als ein Paradebeispiel für eine „Nichtrezeption“ der Kategorien der zweiten Kritik ist dieser Aufsatz als Fußnote zur Rezeptionsgeschichte dennoch aufschlussreich.
1.3 Die Freiheitskategorien in der gegenwärtigen Kantforschung Es ist das Verdienst Becks, die Kategorien der Freiheit nach deren weitgehender Vernachlässigung im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder als Thema der Kantforschung in den Blick gerückt zu haben (vgl. Beck (1985), 134– 151). Innerhalb seines „Kommentars“ zur zweiten Kritik legt er nicht nur eine ausführliche Darstellung der Analytik vor, sondern versucht auch eine Interpretation jedes Obertitels, ohne sich dabei aber mit den einzelnen Kategorien genauer zu befassen. Bereits Kants Darstellung der Kategorien der Quantität sieht er mit Problemen behaftet, da Kant nicht deutlich mache, von „welcher Art des Guten“ (Beck (1985), 144) er hier spreche. Beck kommt zu dem Schluss, dass sich „die beiden ersten Arten auf das Wohl, die dritte hingegen auf das (moralisch) Gute“ (Beck (1985), 144) beziehe, stellt diese Differenzierung aber infrage, da „dies kein quantitativer Unterschied“ (Beck (1985), 144) sei. Wie später deutlich wird, übersieht er dabei, dass es an dieser Stelle lediglich um die Extension der Geltung geht, die jeweils in einer Maxime, einer Vorschrift oder einem Gesetz erhoben wird. Kants Feststellung, dass die Kategorien „in ihrer Ordnung,von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich bedingten, zu denen, die, sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (KpV, V, 66), bezieht er, wie auch viele spätere Interpreten (vgl. Bader 2009), auf einen Aufstieg innerhalb jeder Kategoriengruppe, wobei Kant ihn aber nur für die Kategorie der Quantität nachvollziehbar aufgezeigt hätte (vgl. Beck (1985), 146). Schon in den Kategorien der Qualität fehle dieser Übergang. Beck reformuliert diese zweite Kategorien-
Zur Begründung dieser These vgl. Stilling (1908), 527 f.
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1 Literaturbericht
gruppe in leicht modifizierter Weise und widmet sich kurz⁵ der Kategorie der „Regel der Ausnahmen“, die „man in Geboten [finde], die eine unvollkommene Pflicht ausdrücken“ (Beck (1985), 145). Die Kategorien der Relation bezeichnet er als „dunkel“ (Beck (1985), 145). Beck differenziert nicht zwischen Kants Begriff der „Persönlichkeit“ und der „Person“, setzt diese bei seinen Überlegungen zur Kategorie der „Persönlichkeit“ vielmehr gleich und deutet jene Kategorie als „Regel, daß alle Handlungen als Handlungen eines Subjekts zu beurteilen sind“ (Beck (1985), 145). Er interpretiert diese Kategorie als eine moralische, da in ihr das „Gute als Merkmal der Person“ (Beck (1985), 145) angesprochen sei. Eine Interpretation der zweiten und dritten Relationskategorie sieht er mit „erhebliche[n] Schwierigkeiten“ (Beck (1985), 146) verbunden, da der in diesen Kategorien angesprochene Begriff des Zustandes bei Kant sowohl eine strikt moralische Bedeutung habe als auch eine, die sich auf die physische Verfassung des Subjekts beziehe. Aus diesem Grunde schlägt Beck drei alternative Interpretationsmöglichkeiten vor, ohne dabei in Erwägung zu ziehen, dass sich hinter dieser mehrfachen Verwendungsmöglichkeit des Begriffs ein von Kant sachlich begründeter Perspektivismus versteckt, nämlich eine allgemein praktische und eine genuin moralische Verwendungsweise. Wie nahezu alle Interpreten schenkt Beck den Kategorien der Modalität die größte Aufmerksamkeit. Dabei sieht er ein Problem darin, dass Kant sich an dieser Stelle nicht an die in der Fußnote der Einleitung getroffene Differenzierung der Modalitätskategorien halte, d. h. dass sich die aus ihnen ableitbaren Imperative nicht in problematische, assertorische und apodiktische Imperative gliedern ließen. Die für eine solche Deutung notwendige, nicht absolut praktische Bedeutung des Begriffs der „Pflicht“ hält Beck für ausgeschlossen, ohne zu beachten, dass solch eine allgemeine, noch nicht auf den vollen Begriff der moralischen Autonomie festgelegte Bedeutung des Pflichtbegriffs bei Kant durchaus ihren Platz hat. Eine weitere Schwierigkeit sieht er darin, dass die dritte Kategorie der Modalität vermeintlich aus einer Unterteilung der zweiten Kategorie entsteht, d. h., dass der Begriff der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten aus dem in der zweiten Kategorie angesprochenen Begriff der Pflicht überhaupt abgeleitet wird (vgl. Beck (1985), 147 ff.). Ein noch größeres Rätsel schließlich vermutet Beck in der Formulierung Kants, dass die „Kategorien der Modalität den Übergang von prakti-
Beck (1985) handelt die gesamte Kategoriengruppe der Qualität auf einer halben Seite ab. Auch in späteren Darstellungen, so z. B. bei Bobzien (1988) und Graband (2005), findet sich diese Vernachlässigung der Qualitätskategorien, welche wahrscheinlich in den wenigen Fundstellen zum Begriff der „Regel des praktischen Begehens“ begründet ist. Im Kapitel über die „Grundsätze“ äußert sich Kant aber explizit zum Begriff der „praktische[n] Regel“ (vgl. KpV, 141), welche er in einer perspektivisch weiten Bedeutung benutzt.
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schen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur problematisch, einleiten […]“ (Beck (1985), 150). Dieses Problem ergibt sich dabei vor allem aus Becks Identifikation des hier angesprochenen „Übergangs“ mit Kants Feststellung, dass die Kategorien von sinnlich bedingten zu sinnlich unbedingten aufsteigen (vgl. Beck (1985), 150 f.). Pieper⁶ interpretiert die Kategorientafel anhand des Begriffs des Guten, welcher als Grundbegriff alle zwölf praktischen Kategorien als „Modifikationen des durch das Sittengesetz bestimmten Guten“ (Pieper (1973), 151) festlege. Dabei sieht sie deutlich – ohne allerdings jede Kategorie einzeln zu interpretieren –, dass die Tafel nicht nur „reine ethische Kategorien“ (Pieper (1973), 150) enthält, sondern eine allgemein praktische Lesart zulässt. Die vor allem von Beck thematisierte Frage nach einem Aufstieg von den sinnlich bedingten zu den sinnlich unbedingten Kategorien stellt sich für sie nicht, da sie die Möglichkeit einer doppelten Lesart der Tafel unterstellt (Pieper (1973), 151),welche sie auf Kants Differenzierung einer Kausalität als „Naturmöglichkeit“ und intelligibler Ursache stützt. Ihre Darstellung ist durch die Verwendung äquivoker Begriffe an manchen Stellen missverständlich. So bezeichnet sie z. B. den Begriff des Guten „als praktische Kategorie“ (Pieper (1973), 144) und erzeugt dadurch Verwirrung. Die Kategorien werden bei Kant nur in „Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (vgl. KpV,V, 66) erläutert; das Gute und das Böse sind nicht diese Kategorien selbst, wie es Pieper durch die „Verschleifung“ des Begriffs „Kategorie“ an manchen Stellen nahezulegen scheint. Kaulbach (1978), 292 ff., deutet die praktischen Kategorien in einleuchtender Weise und gemäß Kants expliziten Intentionen als diejenigen „Grundbegriffe […], von denen das handelnde Bewußtsein selbst Gebrauch macht, um sich in der praktischen Konstellation in ein Verhältnis zu den Mitpersonen und den Sachen zu setzen“ (Kaulbach (1978), 300) und versteht sie damit als praktisch elementare Begriffe. Aufschlussreich ist in diesem Kontext die Bestimmung des Zusammenhangs zwischen praktischer Kategorie und Handlung, welcher so gedeutet wird, dass der Gebrauch der praktischen Kategorie „nicht nur Vorstellung bleibt“, sondern „zum Beginn der Geschichte der Handlung [gehört]“ (Kaulbach (1978), 297). Kaulbachs Pointe besteht also darin, dass sich die Funktion der praktischen Kategorien vor allem auf eine willensinterne Konstitution des „Gegenstandes“ der
Pieper (1973), 132– 156. Von Pieper existiert ein späterer Beitrag zu den Freiheitskategorien in dem von Höffe herausgegebenen Kommentar zur Kritik der praktischen Vernunft (Höffe (Hg.) 2002). Pieper analysiert hier das zweite Hauptstück der Analytik und wendet sich auch den Freiheitskategorien erneut zu, wobei sie sich auf die Ergebnisse ihrer hier besprochenen Habilitationsschrift stützt, zu denen als neuer Gesichtspunkt die Deutung der Kategorien als „moralische Postulate resp. Imperative“ hinzutritt (Pieper (2002), 122).
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1 Literaturbericht
praktischen Vernunft bezieht. Das „Handeln“ wird nicht nur „von ‚außen‘ her als bloß erscheinender Prozeß beschrieben“, sondern vielmehr sei es hier so, dass der Handelnde „sich selbst die Rolle der Ur-sache bzw. des Ur-hebers überträgt, während er den Erfolg seines Handelns als ‚Wirkung‘ prädiziert“ (Kaulbach (1978), 297). Damit lasse „nicht erst der Übergang zur Ausführung der Handlung, sondern schon der anfängliche ‚Gebrauch‘ der Kausalperspektive im ‚Denken‘ […] eine handelnde Verwirklichung der Kausalität geschehen“ (Kaulbach (1978), 297). Die von Kant in der Analytik explizierten Begriffe des „Guten“ und des „Bösen“ deutet er folgerichtig als gebunden an eine „innere Bestimmung des Willens, nicht aber an das, was sich in der Ausführung ergibt“ (Kaulbach (1978), 299). Im Mittelpunkt von Bentons Aufsatz „Kant’s Categories of Practical Reason as Such“ (vgl. Benton (1980), 181– 201) steht die These, dass sich Kant mit den praktischen Kategorien dem Problem der Wirkmöglichkeit des intelligiblen Sittengesetzes in der empirischen Welt zuwende. Die Kategorien stellen für ihn keine rein moralischen Kategorien dar, sondern müssten so allgemein aufgefasst werden, dass jede Handlung durch sie begriffen werden könne. Sie stellten bestenfalls die Möglichkeit eines Übergangs von handlungstheoretischen Bestimmungen überhaupt zu einer genuin moralischen Anwendung dar. Allein die letzte Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten hätte man als eine solche absolut moralische Kategorie zu verstehen. Durch Rekurs auf die „Religionsschrift“ versucht Benton, einen nichtmoralischen Gebrauch des Sittengesetzes nachzuweisen, da das Sittengesetz für jede Willensentscheidung konstitutiv sei. Diese These sieht er in dem Hinweis begründet, dass das Sittengesetz auch in unmoralischen Handlungen als eine der Maxime der Selbstliebe untergeordnete Maxime vorhanden sei. Sänger (1982), 122 ff., untersucht vor allem die Bedeutung der Kategorien der Freiheit für die Metaphysik des Rechts. Die Funktion der Freiheitskategorien stellt sie in den Kontext der Frage, „welche prinzipientheoretischen Grundlagen […] die Kritik der praktischen Vernunft für die metaphysischen Anfangsgründe einer besonderen Metaphysik des Rechts zur Verfügung stellt“ (Sänger (1982), 122). Das „Ich begehre vernünftig“, das als Analogon des „Ich denke“ in der theoretischen Philosophie aufgefasst werden kann, ist nach Sänger ebenso durch Kategorien bestimmt wie die theoretische Gegenstandserkenntnis. Die Kategorien der Freiheit müssten in diesem Sinne als „Formen, in denen sich […] ‚Kausalität der reinen Vernunft‘ entfaltet“ verstanden werden. In ihrer darauf folgenden knappen Darstellung stützt sich Sänger vor allem auf die Interpretation Becks (vgl. Sänger (1982), 123). Nach Sänger kann die Tafel der praktischen Kategorien nicht in der gleichen Weise den „Metaphysischen Anfangsgründe[n] der Rechtslehre“ zugrunde liegen wie die theoretischen Kategorien den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“, da die Tafel der Freiheitskategorien bereits die
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„Anwendung des ‚Leitfadens‘“, nämlich die Anwendung der grundsätzlichen Kategorientafel der ersten Kritik auf das Feld der praktischen Vernunft, darstelle.⁷ Die Kategorientafel der zweiten Kritik müsse damit als eine von der „Grundtafel“ (Sänger (1982), 126) abgeleitete begriffen werden und die Funktion im Hinblick auf die Metaphysik des Rechts könne aus diesem Grunde nur eine mittelbare sein (vgl. Sänger (1982), 126 f.). Bobzien macht es sich in ihrem Aufsatz „Die Kategorien der Freiheit bei Kant“ (vgl. (Bobzien (1988), 193 – 220) zur Aufgabe, eine ganze Reihe anspruchsvoller Fragen zu beantworten. So versucht sie nicht nur, die „eigentliche Aufgabe“ (Bobzien (1988), 193) der Freiheitskategorien zu klären, sondern argumentiert auch dafür, dass diese als von „systematisch wesentliche[r] Bedeutung“ (Bobzien (1988), 193) zu betrachten seien. Der Schwerpunkt ihrer Darstellung liegt zum einen darin, nachzuweisen, dass die Kategorien eine Art „Bindeglied“ zwischen dem Sittengesetz und dem daraus abgeleiteten Begriff des moralisch Guten darstellen, zum anderen in der These, dass die praktischen Kategorien für Kant notwendig seien, um Handlungen in ihrem Erscheinungscharakter als gut oder böse zu beurteilen (vgl. Bobzien (1988), 198). In ähnlicher Weise wie durch die Kategorien der ersten Kritik die Möglichkeit geschaffen würde, eine Erkenntnis der theoretischen Vernunft als wahr oder falsch zu beurteilen, erlaubten es die Kategorien der KpV, eine „Handlung als Erscheinung unter die Geltungsdifferenz gut/ böse zu stellen“ (Bobzien (1988), 198). Ohne dies für jede Kategorie nachzuweisen, unterteilt Bobzin die Funktionen der Tafel in eine absolut praktische, d. h. genuin moralische Verwendungsweise und die „Nebenfunktion der Kategorien als theoretische oder technisch-praktische Begriffe“ (Bobzien (1988), 209). Ähnlich wie Benton folgt auch sie der Einschätzung, dass der Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit erst durch die Modalitätskategorien eingeleitet werde und nicht innerhalb jedes einzelnen Obertitels, wie es beispielsweise Beck unterstellt. Alle drei Kategorien der Modalität interpretiert Bobzien als moralische und ignoriert dabei Kants Erläuterungen in der Fußnote der Einleitung, die eine nicht absolut praktische Bedeutung der ersten beiden Kategorien der Modalität nahelegen. Wie sich ein moralisches Urteil gemäß den Kategorien der Freiheit bilden lässt, beantwortet Bobzien nicht, obwohl diese Frage sich in ihren Ausführungen andeutet. In seinem Aufsatz „Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe“ interpretiert Schönrich im Anschluss an Rohs Überlegungen zu einem handlungstheoretischen Programm der Transzendentalphilosophie die
Der Kategorientafel der ersten Kritik kommt nach Sänger eine grundlegende Funktion zu, da sie „methodischer Leitfaden jeder metaphysischen Untersuchung sei“ (Sänger (1982), 125).
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Freiheitskategorien als die praktischen Elementarbegriffe der Moralphilosophie Kants⁸, die in nuce die kantische Handlungstheorie enthielten (vgl. Schönrich (1986), 246 – 270). Obwohl seine Darstellung nicht den Aufbau der Kategorientafel verfolgt und auch nicht jeden einzelnen Titel sowie die jeweilige Kategorie interpretiert und in Beziehung zueinander setzt, zeichnet sich sein Ansatz dadurch aus, dass er deutlich Kants methodischen Perspektivismus in der Tafel der Freiheitskategorien aufzeigt. Dabei stellt Schönrich heraus, dass die Kategorien sich einerseits auf den Aspekt des Verhältnisses zwischen den Begehrungen und dem Willen beziehen, ihnen andererseits aber auch die Funktion zukommt, den Zusammenhang zwischen dem freien Willen und den Erscheinungen, die als Zeichen der Freiheit begriffen werden können, verständlich zu machen. Er schlägt die Differenzierung in einen Innen- und einen Außenaspekt des praktischen Kategoriengebrauchs vor und macht dabei den gebrauchsbedingten Doppelcharakter der Kategorien deutlich: Sie können abhängig von ihrer Anwendungsweise sowohl eine allgemein praktische als auch eine genuin moralische Funktion haben. In diesem Zusammenhang unterscheidet Schönrich zwischen den „Beschreibungsregeln“ (Kategorien der Quantität und Qualität), den „Zurechnungsregeln“ (Relationskategorien) und den „Selbstbestimmungsregeln“ (Modalitätskategorien). Kobusch untersucht die praktischen Kategorien hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung, beginnend bei Pufendorf über Kant bis hin zu Chalybäus (vgl. Kobusch (1990), 13 – 37). Seine These lautet hierbei, dass Pufendorf und Kant noch „in den Bahnen der aristotelischen Substanzontologie“ (Kobusch (1990), 13) verharrten, während erst die sogenannte „spekulative Ethik“ Chalybäusʼ zu einem spezifischen und eigenen Charakter von praktischer Kategorialität gelangt sei. Das besondere Verdienst seines Aufsatzes besteht in dem Nachweis, dass die Kategorien lediglich eine Willensabsicht konstituieren, d. h. den internen Prozess der Willensbildung betreffen. Er korrigiert damit die seit dem Erscheinen von Bobziens Aufsatz prominente These, dass die Freiheitskategorien Handlungen als Erscheinungen konstituieren. Der Begriff derjenigen „Wirklichkeit“, die von den Kategorien hervorgebracht werde, sei „nichts anderes als die Realität des Gewollten als Gewollten“ (Kobusch (1990), 24). Die Frage, wie „die Handlung in der Erscheinungswelt sichtbar wird“, gehört für Kobusch nicht zum Funktionsbereich dieser Kategorien. Siep (1992), 90 – 98, lehnt sich in seiner Darstellung stark an den einflussreichen Aufsatz Bobziens an, was er selbst explizit hervorhebt (vgl. Siep (1992), 94).
Als einer der wenigen Interpreten nimmt Schönrich hier Kant beim Wort, der in der Analytik explizit schreibt, dass es sich bei den Kategorien der Freiheit um die „praktischen Elementarbegriffe“ handle.
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Er folgt der Autorin in der Einschätzung, dass es in der Tafel der praktischen Vernunft um die Frage gehe, mit „welchen Begriffen Ereignisse in der sinnlichen, erfahrbaren Welt als Handlungen, d. h. als Wirkungen der Freiheit, erfaßt werden können“ (Siep (1992), 94). Siep untersucht ausschließlich die Kategorie der Relation, da sich in dieser der für seine Untersuchung bestimmende Begriff der Person bzw. Persönlichkeit findet. Der Aufsatz von Haas, „Kants Kategorien der Freiheit“ (vgl. Haas (1997), 41– 76), der Kants Text stark „hegelianisiert“, schafft mehr Dunkelheit als Klarheit und ist in seinen eigentlichen Thesen schwer zu durchschauen. Eine detaillierte Interpretation der Kategorien sucht man hier trotz des Titels und des Umfangs vergebens. In ihrer „Ästhetik der Sitten“ unterstreicht Recki die eminente Rolle der Urteilskraft im moralischen Urteil (vgl. Recki (2001), 231– 242). Sie sieht deutlich, dass die Tafel jene Momente oder Kriterien enthält, die praktische Urteile überhaupt konstituieren. Durch einschlägige Textverweise belegt sie, dass die Urteilskraft an der internen Willenskonstitution durchgängig beteiligt ist – so bereits bei der Bildung der für eine Handlung grundlegenden Maxime (vgl. Recki (2001), 237 f.). Die Tafel der Kategorien der Freiheit deutet Recki als eine Tafel der Urteile, wobei sich der Begriff des Urteils in diesem Zusammenhang sowohl auf die internen Urteile der Vernunft, welche mit dem Begriff der Handlung angemessen beschrieben werden können, als auch auf die Entäußerung dieser Urteile als Handlungen in der Erscheinungswelt beziehen lässt. Die Kategorien finden ihre Anwendung nach Recki damit sowohl in Bezug auf die Handlungen im Subjekt, die man als „eine Art von Urteil“ (Recki, (2001), 239) begreifen kann, als auch, dadurch vermittelt, auf die hierdurch mögliche praktische Handlung des Subjekts. In der Tafel gehe es um „Urteile zum Handeln und über Handlungen“ (Recki, (2001), 2). Simons⁹ Darstellung in „Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache“ (vgl. Simon (2003), 144– 160) bietet weniger eine genaue Analyse oder gar eine Rekonstruktion der Freiheitskategorien; vielmehr liest der Verfasser die Analytik der praktischen Kritik vor dem Hintergrund seiner eigenen systematischen Ansätze.¹⁰ Ein Hauptaugenmerk richtet Simon dabei auf den von Kant behaupteten Vorzug
Es liegt auch ein früherer Aufsatz Simons zu den praktischen Kategorien vor: „Kategorien der Freiheit und der Natur. Zum Primat des Praktischen bei Kant“ (erschienen in dem von Dietmar Koch und Klaus Bort herausgegebenen Sammelband „Kategorie und Kategorialität“, Würzburg 1990), der im Wesentlichen die Einschätzungen aus der späteren Monografie Simons (2003) enthält. Ein Kuriosum seiner Darstellung liegt in dem Umstand, dass Simon keine Stellung zu der vorhandenen Sekundärliteratur nimmt.
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der praktischen Kategorien vor den theoretischen, den er darin begründet sieht, dass die praktischen Kategorien unmittelbare Bedeutung hätten, während die theoretischen Kategorien durch ihre Angewiesenheit auf Anschauung nur mittelbar Bedeutung erlangten. Er betont, dass es sich bei den Freiheitskategorien um „Formen der Willensbestimmung überhaupt“ (Simon (2003), 146) handele und bekräftigt damit die These, dass die Kategorien der Konstitution aller Handlungen zugrunde liegen. Die Erläuterung der einzelnen Kategorien selbst erfolgt nur schlaglichtartig und durch Rekurs auf die Kategorientafel der ersten Kritik (vgl. Simon (2003), 147 ff.). In der Interpretation der Modalitätskategorien deutet sich eine Einschätzung an, die auch in dieser Arbeit vertreten wird: Der Begriff der Pflicht bzw. Pflichtwidrigkeit hat in der zweiten Modalitätskategorie noch keine genuin moralische Bedeutung, sondern bezeichnet nur die Befolgung oder Nichtbefolgung einer „Regel“ (vgl. Simon (2003), 154). Der Kommentar zur zweiten Kritik von Sala (2004), 147 ff., schließt sich explizit der Interpretation Bobziens (1988) an, enthält darüber hinaus aber keine neuen Einsichten. Eine quantitativ umfängliche Darstellung der Kategorien legt Graband in ihrem Aufsatz „Das Vermögen der Freiheit: Kants Kategorien der praktischen Vernunft“ vor (vgl. Graband (2005), 41– 65). Graband rekurriert auf Kants Freiheitstheorie allgemein und, davon ausgehend, auf den Unterschied zwischen Willkürfreiheit und Freiheit als Autonomie, deren Verwechslung zum Vorwurf der Unmöglichkeit einer Zurechnung von moralisch bösen Handlungen geführt habe. Sie legt eine Interpretation jedes einzelnen Untertitels der vier Kategorien vor, indem sie versucht, terminologische Parallelstellen aus Kants Schriften zur praktischen Philosophie zu finden. Graband spricht sich gegen eine zu starke Parallelisierung der theoretischen Kategorien mit den praktischen aus und versucht, gegen die Vorrangstellung einzelner Kategorientitel, wie sie sich in den Darstellungen von Beck, Haas oder Simon fänden, zu argumentieren. Ein wichtiger Beitrag stammt von Stolzenberg, der sich als einer der wenigen Interpreten dem schwierigen Problem einer Deduktion der Freiheitskategorien zuwendet (vgl. Stolzenberg (2009), 415 – 424). Zwar legt er keine eigene detaillierte Rekonstruktion der Tafel vor. Jedoch zeichnet sich sein Beitrag vor allem dadurch aus, dass er die praktische Kategorientafel im Kontext der Vernunftkritik als eines Gesamtsystems behandelt und überzeugend deutlich macht, warum sich für Kant das Problem einer Deduktion der Kategorien der Freiheit nicht stellen kann: Die praktischen Kategorien werden nach Stolzenberg von Kant nicht in Form einer transzendentalen Deduktion gewonnen, weil aufgrund ihres Zusammenhangs mit dem apriorischen Sittengesetz, d. h. dem Faktum der Vernunft, ihre objektive Realität vor jedem Bezug auf Erscheinungen bereits gesichert ist (vgl. Stolzenberg (2009), 419 ff.). Neben dieser Parallelisierung bzw. Differenzierung zwischen der
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Kategoriendeduktion der ersten Kritik und einer möglichen Deduktion der Freiheitskategorien überzeugt der Aufsatz auch dadurch, dass er die Funktion der Kategorien innerhalb der von Kant nicht direkt ausbuchstabierten praktischen Apperzeption andeutet und die Kategorien der Freiheit damit im Zusammenhang mit dem Begriff eines praktischen Selbstbewusstseins thematisiert (vgl. Stolzenberg (2009), 422 f.). Bader stützt sich bei seiner Rekonstruktion der vier Obertitel und der unter ihnen subsumierten Kategorien fast ausschließlich auf Kants Äußerungen zu den Kategorien theoretischer Gegenstandserkenntnis in der KrV und den Prolegomena (vgl. Bader (2009), 799 – 820). Der Schlüssel zum Verständnis der praktischen Kategorien liege in der Einsicht, so Bader, dass die Kategorien eine synthetische Einheit bildeten, der zufolge die dritte Kategorie jedes Obertitels aus einer Kombination der beiden vorangegangenen gebildet werden müsste.¹¹ Des Weiteren müssten die ersten beiden Kategorien jedes Obertitels als moralisch unbestimmt und sensibel bedingt, die dritte Kategorie hingegen als sensibel unbedingt und nur durch das moralische Gesetz bestimmt gedacht werden (vgl. Bader (2009), 799 ff.). Kants Feststellung, dass die Kategorien sich von sinnlich bedingten zu den moralischen und sinnlich unbedingten Kategorien fortbewegen, deutet Bader als einen Aufstieg, der in jeder Kategoriengruppe und nicht nur anhand der Obertitel nachzuweisen sei (vgl. Bader (2009), 804 f.). Bader interpretiert einzeln jeden Obertitel und die darunter aufgezählten Kategorien, wobei sein Schwerpunkt auf den Kategorien der Modalität liegt. Dabei bemüht er sich, die einzelnen Kategorien vorab so zu interpretieren, dass sie seinen genannten Hypothesen entsprechen können. Wenig überzeugend gerät in diesem Zusammenhang die Analyse der dritten Kategorie der Qualität, da Bader diese durch eine elaborierte Interpretation als genuin „moralische Kategorie“ auszeichnen will: Die in dieser Kategorie thematisierte Ausnahme deutet er als eine Ausnahme von den praktisch-pragmatischen Regeln des Subjekts, mit denen dieses im Normalfall seinen Alltag bestreite. Das Sittengesetz wird damit zu einer Art Sonderfall der Handlungsbestimmung (vgl. Bader (2009), 809 ff.). Fragwürdig ist auch Baders vom Begriff der Moral im engeren Sinne unabhängige Interpretation der ersten Relationskategorie, da der Begriff der Persönlichkeit, den Kant innerhalb dieser Kategorie entfaltet, ausschließlich moralische Bedeutung hat (vgl. Bader (2009), 811 f.). Innerhalb der Modalitätskategorien deutet Bader allein die dritte Kategorie als eine moralisch bestimmte. Dies geschieht weniger um Kants Hinweis gerecht zu werden, dass die Kategorien der Modalität den Übergang von den praktischen Prinzipien überhaupt
Dieser Versuch ist nicht originär, findet er sich doch bereits in anderen Darstellungen, so z. B. bei Beck (1985).
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zu denen der Sittlichkeit einleiten, als vielmehr um jeweils die dritte Kategorie jedes Obertitels als moralische Kategorie qualifizieren zu können (vgl. Bader (2009), 814 f.). Eine Zäsur in der Forschung zu den Kategorien der Freiheit stellt die zeitgleich mit der vorliegenden Arbeit entstandene Dissertation von Zimmermann dar, die zwischenzeitlich als Monografie vorliegt. Zimmermann konzentriert seine Interpretation der praktischen Kategorienproblematik bei Kant in erster Linie auf die Analytik der KpV, d. h., er will der Bedeutung und Funktion der Kategorien der Freiheit „lediglich in Kants kritischer Philosophie nachspüren“ (Zimmermann (2011), 11). Seine sorgfältige Studie geht dabei aber trotzdem über die zweite Kritik hinaus, indem Zimmermann deren Kategorien aus der Urteilstafel der ersten Kritik verständlich zu machen versucht, womit er – trotz aller Interpretationsunterschiede im Detail –, denselben Ansatz verfolgt wie der Verfasser der vorliegenden Arbeit.¹² Der erste Teil von Zimmermanns Analyse nähert sich dem Thema unter dem Gesichtspunkt der kompositorischen Stellung der praktischen Kategorientafel zwischen der Analytik der Grundsätze im ersten Hauptstück und der Ästhetik der Triebfedern im dritten Hauptstück. Zimmermann gibt in diesem Zusammenhang eine gründliche Interpretation des zweiten Hauptstücks und der Beziehung zwischen den Begriffen des Guten und des Bösen und den Freiheitskategorien (vgl. Zimmermann (2011), 13 ff.), die in ihrer Sorgfältigkeit und ihrem Umfang deutlich über bisherige Überlegungen zu diesem Textabschnitt hinausgeht. Der zweite Teil von Zimmermanns Arbeit (vgl. Zimmermann (2011), 73 ff.) nähert sich den Kategorien der Freiheit anhand des Begriffs des Urteils. Ausgehend von der treffenden Feststellung, dass das obere Erkenntnisvermögen sowohl im theoretischen als auch praktischen Anwendungsbereich durch einen gemeinsamen Kern ausgezeichnet ist, nämlich „das Vermögen eines Subjekts, funktional geregelt zu urteilen“ (Zimmermann (2011), 10), macht Zimmermann einen möglichen Ursprung der Kategorien der Freiheit aus der Urteilstafel plausibel und bietet zudem eine denkbare Rekonstruktion der von Kant in diesem Kontext nicht selbst ausbuchstabierten metaphysischen Deduktion an (vgl. Zimmermann (2011), 73 ff.). Der dritte und letzte Teil seiner Arbeit (vgl. Zimmermann (2011), 196 ff.) wendet sich der Tafel der Kategorien der Freiheit selbst zu. Zimmermann hebt hier noch
Bei einem so wenig bearbeiteten Thema wie Kants Kategorien der Freiheit sollte man (auch als Autor!) bei dem nahezu zeitgleichen Erscheinen zweier Monografien, die dieselbe Stoßrichtung der Interpretation aufweisen (nämlich Kants praktische Kategorienlehre in ihrem Ursprung durchsichtig und in ihrer systematischen Notwendigkeit stark zu machen), nicht die Gefahr von Überschneidungen im Forschungsergebnis fürchten, sondern mögliche Übereinstimmungen als Fortschritt in der Sache, nämlich als Bestätigung eines bestimmten Befundes, positiv zur Kenntnis nehmen.
1.4 Ausblick
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einmal die starke Parallelität im Aufbau zwischen der Urteilstafel und der Tafel der Kategorien der Freiheit hervor, indem er auf die Gliederung in vier Quadranten und deren Aufteilung auf wiederum drei Stellen hinweist (vgl. Zimmermann (2011), 11, 196). Sorgfältiger noch als beispielsweise Graband (2005) versucht Zimmermann herauszuarbeiten, was mit dem jeweiligen Titel (Quantität, Qualität, Relation und Modalität) von Kant zum Ausdruck gebracht wird, und was der begriffliche Gehalt jedes dieser Momente ist.
1.4 Ausblick Der vorgelegte Literaturbericht lässt erkennen, dass die Rezeptionsgeschichte der Kategorien der Freiheit durch eine starke Heterogenität der Interpretationsansätze gekennzeichnet ist. Die Rezeption durch Kants Zeitgenossen bewegt sich größtenteils auf der Ebene der Paraphrase. Trotz einiger kritischer Hinweise, z. B. im Briefwechsel zwischen Kant und Schütz, findet sich nur bei Mellin eine Interpretation, in der Kants Vernunftkritik als Ganze den Bezugsrahmen der Interpretation bildet. Mit Ausnahme einiger eher abschätziger Seitenblicke (Schopenhauer, Schleiermacher, Biedermann, Deutinger, Adickes) sind die Kategorien der Freiheit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr ernsthaft in den Blick genommen worden. Erst durch die Interpretation Becks im Kommentar zur KpV hat sich seit Beginn der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts wieder eine zunehmende Beschäftigung mit diesem Theoriestück bemerkbar gemacht, ohne dass es der seitdem erschienenen Literatur gelungen wäre, die praktische Kategorienlehre aus dem Status einer bloßen Marginalie der praktischen Philosophie Kants zu befreien. Trotzdem skizziert die bisherige Forschungsliteratur wichtige Einsichten, die auch für die vorliegende Arbeit bedeutsam sind: Eine handlungstheoretische Grundlagenfunktion der Kategorien der Freiheit deutet sich bei Pieper (1973), Kaulbach (1978) und Bobzien (1988) an. Stolzenberg (2009) weist deutlicher als die Autoren früherer Darstellungen auf die Vorstellung einer möglichen praktischen Synthesis als funktionaler Rahmenbestimmung der Kategorien hin. Bei Graband (2005) findet sich zum ersten Mal der Versuch einer detaillierten Interpretation der einzelnen Kategorien. Autoren wie Schönrich (1986), Recki (2001) und Bader (2009) gelingen wertvolle Beobachtungen zu Kants Perspektivismus, zur Rolle des Urteils in der Moral und zur Analogie zwischen den praktischen und den theoretischen Kategorien. Trotz dieser Einsichten sieht der Verfasser der vorliegenden Analyse ein Desiderat vor allem in einem Plausibilisierungsbedarf der systematischen Notwendigkeit der Kategorien der Freiheit und in einem Konkretisierungsbedarf im Hinblick auf deren Anwendung und Funktion. Die Antwort auf die Frage, wie sich
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1 Literaturbericht
diese Kategorien systematisch folgerichtig aus Kants Philosophie ergeben, bleibt in der bisherigen Literatur ebenso unterbestimmt wie die genaue Verdeutlichung der Funktion der Freiheitskategorien anhand der Explikation von Beispielen praktischer Willensbildung und Urteile.¹³ Die vorliegende Interpretation unternimmt aus diesem Grunde den Versuch, die Kategorien der Freiheit in ihrem Ursprung und in ihrer Anwendung verständlich zu machen, d. h., sie legt ihr Augenmerk stärker als in bisherigen Darstellungen auf die transzendentale Begründung der Notwendigkeit praktischer Kategorien sowie auf deren systematische Funktion und Anwendung im praktischen Urteil.
Nach Ansicht des Verfassers ist dieses Desiderat in einigen Aspekten durch die Arbeit von Zimmermann (2011) erbracht worden.
2 Der „ganz andere Gebrauch“ der Kategorien: die Kategorien der Freiheit in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik Die „Vorrede“ zur „Kritik der praktischen Vernunft“ (KpV, V, 3 – 14) lässt nicht nur Rückschlüsse auf Kants grundsätzliche Verhältnisbestimmung zwischen praktischer und theoretischer Vernunft zu, sondern sie erhellt auch die Bedeutung der Kategorien der Freiheit für die gesamte praktische Philosophie Kants. Neben den Passagen aus KpV 56 – 57 und der „Typik“ (KpV, V, 67– 71) stellt sie neben dem „zweiten Hauptstück“ der Analytik (KpV, V, 57– 67), in dem die Kategorientafel eingeführt wird, den wichtigsten Textabschnitt zur praktischen Kategorienlehre der zweiten Kritik dar.¹ Nahezu alle Interpretationen, die sich mit der „Vorrede“ näher auseinandersetzen (vgl. Beck (1985), 29 ff., Eidam (2000), 271 ff., Sala (2004), 59 ff.), betonen zwar deren Aufschlusswert für die Einsicht in das Verhältnis zwischen theoretischer und praktischer Vernunft, berücksichtigen aber nicht hinreichend, dass Kant bereits an dieser Stelle die praktische Kategorienlehre und ihre Differenzen zu den Kategorien der ersten Kritik skizziert.² Kants Erörterung der Frage, wie „man dem übersinnlichen Gebrauch der Kategorien in der Spekulation objektive Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne“ (KpV, V, 5), wird in der Literatur häufig allein mit der These von der Vernunfterweiterung hin zum Übersinnlichen – durch die praktisch relevante Einsicht in das Faktum der Vernunft – identifiziert. Demzufolge würde der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ allein darin
Angesichts der Bedeutung, die Kant dem praktischen Kategoriengebrauch bereits in der „Vorrede“ einräumt, ist es erstaunlich, dass die Kategorien der Freiheit bis zum heutigen Tage in der Kantforschung vernachlässigt werden. Nicht nur enthält die „Vorrede“ bereits eine Skizze der Kategorienlehre der Analytik; Kant widmet ihr auch eine umfängliche Fußnote (vgl. KpV, 11). Allein Kobusch (1990), 21 f., stellt in seiner Interpretation deutlich heraus, dass Kant die Kategorien der Freiheit bereits in der „Vorrede“ zur KpV in das Zentrum seines systematischen Anliegens rückt: „Daß aber die Kategorienlehre trotz ihrer berüchtigten Kürze und Komprimiertheit einen zentralen Platz, ja das eigentliche Zentrum der Kritik der praktischen Vernunft einnimmt, kann nicht bezweifelt werden. Denn Kant bemerkt in der ‚Vorrede‘ ja selbst, daß es darum geht, das Rätsel aufzulösen, wie einerseits in der theoretischen Erkenntnis die objektive Realität der Kategorien im Falle des übersinnlichen Gebrauchs geleugnet und andererseits ‚in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft‘, also des Guten und Bösen, zugestanden werden können“. Auch die umfangreiche Studie von Zimmermann (2011) geht der Frage nicht nach, ob der von Kant in der Vorrede namhaft gemachte „übersinnliche Gebrauch“ der Kategorien sich nicht auf die Kategorien der Freiheit beziehen könnte.
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2 Der „ganz andere Gebrauch“ der Kategorien
bestehen, dass die Verstandeskategorie der Kausalität im Faktum der Vernunft praktische Relevanz und Rückversicherung erhält, und so eine Legitimation der anderen beiden Vernunftideen – Gott und die Unsterblichkeit der Seele – möglich wird.³ Dass die Beantwortung dieser Frage aber bereits mit der Funktion derjenigen Kategorien, die im zweiten Hauptstück der Analytik (KpV, V, 56 ff.) vorgestellt werden, zu tun hat, bleibt in diesem Zusammenhang oft unerwähnt.⁴ Im folgenden Abschnitt soll dafür argumentiert werden, dass eine Identifikation der in der „Vorrede“ genannten „Objekte der praktischen Vernunft“ mit den Vernunftideen den Gedanken des „übersinnlichen“ bzw. „praktischen“ Kategoriengebrauchs in der „Vorrede“ nur verkürzt wiedergibt und dass in diesem Textabschnitt bereits eine Art Propädeutik der Kategorien der Freiheit liegt.⁵
Eine solche Interpretation findet sich im Kommentar von Sala (2004), 64 f., der die Auflösung des von Kant konstatierten Rätsels darin sieht, dass wir die Kategorien „auch auf übersinnliche Objekte anwenden [können], näherhin auf das Objekt, das ‚in der notwendigen Willensbestimmung a priori [der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz] enthalten‘ ist, nämlich die Freiheit, oder auf Gegenstände, die mit dem Gegenstand derselben Willensbestimmung ‚unzertrennlich verbunden sind‘, nämlich Gott und die Unsterblichkeit der Seele als Bedingungen der Möglichkeit des vom moralischen Gesetz geforderten Gegenstandes des Willens – des höchsten Guts. Damit verschafft die praktische Vernunft diesen Objekten ‚Realität‘“. Beispielhaft hier die Interpretation von Beck (1985), 29 ff., der die in der „Vorrede“ angesprochenen „Kategorien“ mit den dort ebenfalls erwähnten Vernunftideen identifiziert: „Befreit von ihrer Verankerung in der Erfahrung werden die Kategorien zu Vernunftideen“ (Beck (1985), 34). Die These, dass die Kategorien als reine Urteils- und Denkmomente ohne Anschauung zu den Vernunftideen werden, ist zumindest dem Text der „Vorrede“ nicht zu entnehmen. Allerdings kommt es an dieser Stelle zu einer argumentativen Engführung bzw. Analogie: So wie die Vernunftidee der Freiheit praktisch den anderen Ideen dadurch Legitimation verschafft, dass wir uns ihrer durch die unmittelbare Einsicht in die Geltung des Sittengesetzes rückversichern können, erlaubt das gleiche Faktum der Vernunft den übersinnlichen Gebrauch der Kategorien, an den sich dann die Legitimation eines praktischen Gebrauchs aller anderen Kategorien anschließt. Eine Identifikation der unschematisierten Kategorien und der Ideen findet in der „Vorrede“ jedoch nicht statt. Für eine ähnliche Interpretation vgl. Eidam (2000), 275, Sala (2004), 64. Zur Differenz zwischen den Kategorien und den Vernunftideen siehe Dörflinger (2000), 214 f. und Wohlers (2000), 205. Kants Rede von einem „übersinnlichen Gebrauch der Kategorien“ im Vorwort gehört zu den notorisch vernachlässigten Passagen der zweiten Kritik. Interpretationen, die auf den „übersinnlichen Gebrauch“ Bezug nehmen, finden sich bei Mellin (1797), 258, 474 ff., Krug (1830), 93, Kobusch (1990), 1, Loock (1998), 47 und (2007), 68, Eidam (2000), 251 ff., Fischer (2004), Sala (2004), Prien (2006), 182.
2.1 Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ in der KrV
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2.1 Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ in der KrV Kants Hinweis auf das „Rätsel“, wie ein „übersinnlicher Gebrauch“ der Kategorien in Ansehung der Objekte der praktischen Vernunft möglich sei, wird verständlich, wenn man sich seine Bestimmung des Geltungsbereichs der Kategorien in der ersten Kritik vor Augen führt. Auf den ersten Blick wird in der „Kritik der reinen Vernunft“ die Anwendung der Kategorien ausschließlich auf den Bereich der sinnlichen Anschauung eingeschränkt. In KrV, A 669/B 707 heißt es, dass die „Begriffe von Realität, Substanz, Kausalität usw. auf etwas, das von der Sinnenwelt gänzlich unterschieden ist, nicht die mindeste Anwendung“ haben. Die reinen Verstandesbegriffe hätten ohne den Bezug auf die sinnliche Anschauung „keinen Sinn“ und seien bloß „Titel zu Begriffen, die man einräumen, dadurch man aber auch nichts verstehen kann“ (KrV, A 696/B 724). Diese und andere, ähnlich strikte Formulierungen sprechen dafür, dass sich Kant zur Zeit der Abfassung der ersten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ weder des Status der Kategorien als reiner Denkbegriffe noch der später in der zweiten Kritik entfalteten praktischen Anwendungsweise ausreichend systematisch versichert hatte. Es hat vielmehr den Anschein, dass er eine Erweiterung des Geltungsbereichs der Kategorien erst durch die Auseinandersetzung mit den Einwänden Pistoriusʼ nachträglich gewonnen hat⁶: Im Vorwort zur zweiten Auflage der ersten Kritik betont Kant dann auch eine mögliche Differenz im Kategoriengebrauch, die zwischen der reinen Denkbarkeit eines Sachverhaltes und der Erkenntnis desselben unterscheidet. Die unschematisierte Kategorie⁷, d. h. der bloße Gedanke von einem Objekt ohne Anschauung, kann demnach „übrigens noch immer seine wahren und nützlichen Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjekts haben“ (KrV, B 166)⁸. An etwas späterer Stelle heißt es, dass „die Kategorien im Denken durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben“ (KrV, B 166). Im Gegensatz zu der eingangs angeführten Restriktion der reinen Verstandesbegriffe auf die Gegenstandserkenntnis sprechen diese Abschnitte für eine noch näher zu bestimmende anschauungsunabhängige Funktion der Kategorien. Die Kategorien setzten in dieser Hinsicht, so Kant, „keine bestimmte Art der Anschauung voraus“, sondern seien nur „Denkformen“ für den „Begriff von einem
Für diesen Ansatz argumentiert Milz (2002), 233. Zum Begriff der „unschematisierten Kategorie“ vgl. Rosas (1996), 12, Kugelstadt (1998), 111, Willaschek (1998), 331 ff., Prien (2006), 186, Kuhne (2007), 34, Aportone (2009), 323. Adickes weist mit einer ausführlichen Stellensammlung darauf hin, dass sich die Differenzierung zwischen „Denken“ und „Erkennen“ bereits in der ersten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ findet (vgl. Adickes (1924), 63 – 65).
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Gegenstande der Anschauung überhaupt“, welcher „Art dieser auch sei, wenn es auch eine übersinnliche Anschauung wäre“ (XX, 272).⁹ In der „Vorrede“ der zweiten Kritik schließt Kant in der Sache an den letztgenannten Gedanken an, wenn er von dem „Rätsel“ spricht, aufgrund dessen man dem „übersinnlichen Gebrauche“ der Kategorien in spekulativer Perspektive zwar Realität absprechen müsse, ihnen aber in einer anderen Hinsicht wieder Realität zugestehen könne. In dieser Analogisierung und gleichzeitigen Abgrenzung zwischen dem übersinnlichen Kategoriengebrauch und dem Gebrauch der Erkenntniskategorien tritt die in der KrV angelegte Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Kompetenzbereiche der einen Vernunft hervor. Der Fokus lag dort aufgrund des selektiven Bestimmungsinteresses einer Explikation der theoretischen Vernunftleistungen allein auf der Kategorialität in epistemologischer Hinsicht. Die Lehre von der Sittlichkeit stand in der ersten Kritik zwar nicht im Mittelpunkt, behauptete aber schon Platz, den sie jedoch zunächst „leer“ lassen musste (KrV, B XXI). Wie es sich in Kants Rede von der vermeintlichen Rätselhaftigkeit des praktischen Kategoriengebrauchs unmissverständlich andeutet, gilt Gleiches auch für die nun in der KpV thematisierte praktische Verwendungsweise der Kategorien. Der in der zweiten Kritik geltend gemachte „übersinnliche Gebrauch“ derselben muss seinen Platz zunächst ebenso „leer“ lassen.
2.2 Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“ und die Tafel der Kategorien der Freiheit Für einen aufmerksamen Leser der drei Jahre zuvor publizierten GMS ist es nicht überraschend, dass Kant unmittelbar zu Beginn der „Vorrede“ der KpV mit seiner Theorie vom „Faktum der Vernunft“ einsetzt, die er dann in der zweiten Kritik erst zu entwickeln scheint. Schon im dritten Abschnitt der GMS diente Kant die Einsicht in den Stellenwert des Sittengesetzes als ratio cognoscendi der Freiheit als Argument für die Ausräumung des berühmten „Zirkelverdachts“. Dieser bestand in der Gefahr, die sittliche Verpflichtung aus der Idee der Freiheit bloß analytisch zu schlussfolgern und aus diesem moralischen Selbstverständnis wieder die Legitimität des Freiheitsgedankens abzuleiten.¹⁰ Dass Kant diese Theorie zumindest als nicht unbekannt voraussetzt, wird vor allem durch seinen Hinweis deutlich,
Zum bereits in der KrV nachweisbaren Widerstreit zwischen einem auf Sinnlichkeit beschränkten und einem übersinnlichen Gebrauch der Kategorien vgl. Willaschek (1998), 331 ff., Prien (2006), 182 ff. und Nachtsheim (2007), 146. Hierzu jüngst Puls (2011), 71– 98. Für eine entgegengesetzte Interpretation siehe Schönecker (1999), dessen Arbeit einen guten Überblick über die Forschungslage zu GMS III enthält.
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dass Vernunft, wenn sie „wirklich praktisch ist […] ihre und ihrer Begriffe Realität durch die Tat [beweiset], und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit es zu sein, […] vergeblich [ist]“ (KpV,V, 3). Im Bewusstsein, dass es sich bei diesem Ansatz um einen zwar noch weiter auszudeutenden, keineswegs aber gänzlich unbekannten Systembaustein handelt, möchte Kant daran „erinnern“, dass „die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei“ (KpV,V, 4). Dadurch, dass die „Realität“ der Freiheit durch ein apodiktisches Gesetz der Vernunft bewiesen ist, kann auch der Begriff der transzendentalen Freiheit, welcher gemäß der im Zusammenhang mit der Auflösung der dritten Antinomie gewonnenen Einsichten Kants lediglich den Status eines denkbaren Grenzbegriffs innehatte, als praktisch „bewiesen“ angesehen werden. „Freiheit“ steht in dieser Perspektive „nunmehr fest“ (KpV, V, 3). Kant rückt in diesem Zusammenhang erneut seine Kategorienlehre der ersten Kritik in den Mittelpunkt und thematisiert dabei das „Rätsel“, warum den Kategorien als anschauungsabhängigen Begriffen in der zweiten Kritik nun ein „übersinnlicher Gebrauch“ zugesprochen werden soll. Die Erkenntniskategorien konnten in der KrV aufgrund ihres notwendigen Bezugs auf die Anschauung nur auf Gegenstände der Sinne angewendet werden. Eine Anwendung auf „Übersinnliches“ erschien durch die epistemologische Abhängigkeit der Kategorien von einem sinnlichen Pendant grundsätzlich unmöglich. Im Kontext der praktischen Vernunft soll sich aber nun das Problem lösen lassen, wie man „dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Spekulation objektive Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne“ (KpV,V, 5). Dieser „übersinnliche“ oder „praktische[ ]“ (KpV,V, 5), dieser „ganz andere Gebrauch“ (KpV,V, 5) der Kategorien soll sich durch die in der zweiten Kritik zu leistende „vollständige[ ] Zergliederung“ (KpV,V, 5) der praktischen Vernunft verständlich machen lassen. Nahezu alle bisher vorliegenden Interpretationen der „Vorrede“ behandeln die zuletzt zitierten Passagen im Kontext der bereits angedeuteten Legitimation der Vernunftideen von Gott und der Unsterblichkeit der Seele durch die Einsicht in die praktische Realität der Idee der Freiheit anhand des Faktums der Vernunft. Das Unternehmen, die Kategorien im Hinblick auf einen „Übergange zu einem ganz anderen Gebrauche“ noch einmal neu aufzunehmen und hinsichtlich der Möglichkeit einer praktischen Bedeutung zu untersuchen, wäre dann schon allein dadurch eingelöst, dass die Vernunftidee der Freiheit durch die Einsicht in die Geltung des Sittengesetzes eine zumindest praktische Bestätigung erfährt. Betrachtet man allerdings alle relevanten Passagen der „Vorrede“ vor dem Hintergrund inhaltlich paralleler Abschnitte aus KpV 56 – 57 und Kants Erläuterungen zur Tafel der Kategorien der Freiheit, so ergibt sich ein Zusammenhang, der darauf hindeutet, dass Kant mit dem in der „Vorrede“ exponierten „übersinn-
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lichen“ Kategoriengebrauch bereits den systematischen Status und die Funktion der Freiheitskategorien eingeschlossen wissen will. Im folgenden Abschnitt sollen daher noch einmal die relevanten Abschnitte aus der „Vorrede“ in den Blick genommen werden. Der erste Hinweis auf den praktischen Gebrauch der Kategorien findet sich in KpV, V, 5. Dort heißt es, dass innerhalb der Analyse der praktischen Vernunftleistung auch das „Rätsel“ gelöst werden könne, wie man dem übersinnlichen Gebrauche der Kategorien in der Spekulation objektive Realität absprechen und ihnen doch in Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft diese Realität zugestehen könne (KpV, V, 5).
Unter „objektiver Realität“ versteht Kant das Korrespondieren eines Begriffs (Kategorie) mit der sinnlichen Anschauung.¹¹ Kategorien können demnach nicht auf „Übersinnliches“ angewandt werden, weil in diesem Fall das zur Erkenntnis notwendige sinnliche Pendant zum reinen Begriff, die Anschauung, nicht vorhanden ist. Dennoch soll ein übersinnlicher Gebrauch der Kategorien zumindest in „Ansehung der Objekte der reinen praktischen Vernunft“ möglich sein. Eine vollständige Zergliederung der praktischen Vernunft soll diesen zuvor „inkonsequent“ erscheinenden Kategoriengebrauch einsichtig machen. Der gesamte Kontext legt durch den parallelen Bezug auf die Vernunftideen von „Gott“ und der „Unsterblichkeit der Seele“ die Lesart nahe, dass die hier angesprochenen „Objekte der praktischen Vernunft“ allein in den „Ideen der Vernunft“ bestehen könnten. Ein Blick auf das zweite Hauptstück, „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, V, 57 ff.), verdeutlicht aber, dass Kant zumindest in der Analytik der KpV unter einem „Objekt der reinen praktischen Vernunft“ das Resultat eines Freiheitsaktes, nämlich eine Handlung, verstanden wissen will (vgl. Höffe (2002), 215). Da es Kant in der „Vorrede“ gerade um die Unterscheidung der Kompetenzbereiche der praktischen und der theoretischen Vernunft geht, ist es plausibel anzunehmen, dass Kant an dieser Stelle denselben Gedanken verfolgt wie im zweiten Hauptstück der Analytik bei seiner Einführung des Begriffs eines Objekts der praktischen Vernunft: So wie die Objekte der reinen theoretischen Vernunft in den durch Kategorie und Anschauung erkannten Gegenständen bestehen, hat man in den Handlungen die Objekte der reinen praktischen Vernunft zu sehen. Was der in der „Vorrede“ exponierte „ganz andere“, der praktische Gebrauch der Kategorien mit den dort beschriebenen „Objekten der reinen praktischen Vernunft“ zu tun haben könnte, wird durch die Einsicht in die Unterscheidung der Zur Bedeutung der „objektiven Realität“ bei Kant vgl. Prien (2006), 14 ff.
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angesprochenen Geltungsbereiche der Vernunft deutlich. Diejenige objektive Realität, die im Zusammenhang mit dem Bezug des reinen Verstandesbegriffs auf die Anschauung bestimmt wurde, kann an dieser Stelle nicht in Anspruch genommen werden. Kant zufolge wird die noch zu leistende „Zergliederung“ der praktischen Vernunft zeigen, dass die in der „Vorrede“ angesprochene „Realität“ auf „gar keine theoretische Bestimmung der Kategorien und Erweiterung des Erkenntnisses zum Übersinnlichen hinausgeh[t]“ (KpV, V, 5). Die in diesem Zusammenhang thematisierte Realität kann also nicht in der für die Erkenntnis wesensmäßigen Beziehung von Kategorie und Anschauung bestehen, sondern sie macht nur kenntlich, dass ihnen, d. h. den Kategorien, in praktischer Beziehung überall ein Objekt zukomme, weil sie entweder in der notwendigen Willensbestimmung a priori enthalten oder mit dem Gegenstande derselben unzertrennlich verbunden sind […] (KpV, V, 5).
Die grammatische Konstruktion des eben zitierten Satzes legt nahe, dass die Kategorien in der von Kant geltend gemachten praktischen Bedeutung in der Willensbestimmung enthalten oder mit dem „Gegenstande der praktischen Vernunft“ – nämlich dem Freiheitsakt in Form einer Handlung – unzertrennlich verbunden sind. Die Kategorien im praktischen Gebrauch haben somit eine andere „Realität“ als die Kategorien der ersten Kritik. Sie liegen Handlungen als den „Objekten der praktischen Vernunft“ zugrunde und sind damit in ihrer praktischen Verwendungsweise nicht „leer“, wie man es angesichts eines möglicherweise illegitimen Gebrauchs, nämlich der Anwendung von Kategorien auf Übersinnliches in Erkenntnisabsicht, vermuten müsste.Vielmehr sind sie – je nach der Betrachtungsperspektive – mit dem Prozess der Willensbestimmung unmittelbar verbunden. Ihre Objekte sind die menschlichen Handlungen zugrunde liegenden Absichten in der Welt der Erscheinungen. Auf diese Weise verschwindet die von Kant in den Raum gestellte „Inkonsequenz“ eines überschwänglichen oder „leeren“ Gebrauchs der Kategorien, da man so „einen anderen Gebrauch von jenen Begriffen macht, als spekulative Vernunft bedarf“ (KpV, V, 5 – 6). Während die Kategorien innerhalb der „Kritik der reinen Vernunft“ als Hervorbringungen der Spontaneität des Verstandes aufgefasst werden mussten, begreift Kant sie nun in perspektivischer¹² Verschiebung auf einen anderen Aspekt
Wenn in der vorliegenden Arbeit an mehreren Stellen von einem „Perspektivismus“ in Kants Darstellung die Rede ist, so darf dieser Ausdruck nicht mit dem erkenntnistheoretischen Perspektivismus verwechselt werden. Kants Philosophie lässt sich als eine „Philosophie des Perspektivismus“ deuten (vgl. Kaulbach (1990), 11 ff.), weil die Transzendentalphilosophie in grundsätzlicher Weise auf die Konstitution von Wirklichkeit durch subjektive Vermögensleis-
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der Vermögensleistung derselben Vernunft als Modi der Freiheit. Die praktische Vernunft verschafft jetzt für sich selbst und ohne mit der spekulativen Verabredung getroffen zu haben, einem übersinnlichen Gegenstande der Kategorie der Kausalität, nämlich der Freiheit, Realität […] (KpV, V, 6).
Der praktische Gebrauch der Kategorien und die damit „im praktischen behauptete Realität der auf Noumen angewandten Kategorien“, d. h. das Handlungswirksam-Werden der Kategorien als Modi einer causa noumenon, wird durch die faktische Einsicht in die praktische Realität der Freiheit legitimiert. Noch einmal: Es könnte hier der Eindruck entstehen, dass der übersinnliche Gebrauch der Kategorien vielleicht grundsätzlicher und weniger auf die Freiheitskategorien zugespitzt angelegt ist als in der vorgeschlagenen Interpretation behauptet. Das „Übersinnliche“ des Kategoriengebrauchs könnte allein in der Vorstellung einer Kausalität aus Freiheit und deren Legitimation durch das Faktum der Vernunft liegen. Der „übersinnliche“ Gebrauch der Kategorien wäre dann damit bereits erschöpfend ausbuchstabiert, dass der Verstandesbegriff der Kausalität in der faktischen Einsicht in die Geltung des Sittengesetzes Bestätigung findet und so eine zumindest praktische Bestätigung erhält.¹³
tungen verweist und damit als eine Theorie aufgefasst werden kann, die darauf abhebt, dass „die Wahrheit über unsere Welt von der Stellung abhängt, die wir dem Sein gegenüber einnehmen“ (Kaulbach (1990), 1). Die „Welt“ ist demzufolge nicht etwas ontologisch „Feststehendes“, sondern sie hängt davon ab, wie „wir diese Welt deuten, sie sehen und unter welchen Gesichtspunkten wir in ihr handeln“ (Kaulbach (1990), 1). Mit Ausdrücken wie „perspektivischer Gebrauch“ oder „Perspektivismus“ soll in der vorliegenden Arbeit nicht diese erkenntnistheoretische Ausrichtung gemeint sein, sondern ein methodisches Interpretament skizziert werden: Kants Begriffsverwendung ist an vielen Stellen durch ein sachaspektbezogenes Ausblenden/ Fokussieren bestimmter Dimensionen seiner Begriffe gekennzeichnet. Begriffe, die in einem bestimmten Kontext bereits eine genaue Definition erfahren haben, werden von Kant in anderen Kontexten oftmals in ganz anderer Art der Verwendung wieder aufgenommen. Ein Beispiel für eine perspektivische Begriffsverwendung stellt der Begriff „Deduktion“ dar, der in der KrV, der GMS und der KpV in unterschiedlichen Bedeutungen benutzt wird (vgl. Puls (2011), 80): Der Begriff „Deduktion“ wird von Kant einerseits als Bezeichnung für ein logisch strenges Beweisverfahren verwendet, andererseits aber auch als bloße „Rechtfertigung“ eines Geltungsanspruchs aufgefasst. Eidam (2000), 275, deutet das „Übersinnliche“ dieses „anderen“ Kategoriengebrauchs ohne Anbindung an die Kategorien der Freiheit im zweiten Hauptstück der KpV. Für Kant ergebe sich „aus der mit dem moralischen Gesetz ‚eingeleitete[n] objektive[n] Realität eines reinen Verstandesbegriffs im Feld des Übersinnlichen‘ (KpV A 99) auch für alle anderen Kategorien eine objektive Realität – d. h. ein realer Gebrauch der Verstandesbegriffe unabhängig von den Formen der Anschauung –, aber nur insofern sie in ‚nothwendiger Verbindung‘ mit dem morali-
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Gegen eine solche Interpretation spricht neben den bereits angeführten Hinweisen, dass Kant an einer späteren Stelle, am Ende des zweiten Hauptstücks des ersten Buchs der Analytik, seine leicht verkürzten Gedanken der „Vorrede“ ausführlicher fasst (vgl. KpV,V, 56 – 57) und dabei explizit eine durch die Faktizität der Freiheit legitimierte praktische Verwendungsweise aller Kategorien thematisiert. Die von Kant durch die Theorie vom „Faktum der Vernunft“ praktisch bewiesene Kategorie der Freiheit legitimiert demnach nicht nur die Vorstellung einer Kausalität aus Freiheit, sondern soll auch die „praktisch=anwendbare[ ]“ Realität der „anderen“ Kategorien begründen: Aber diese einmal eingeleitete objektive Realität eines reinen Verstandesbegriffs im Feld des Übersinnlichen giebt nunmehr allen übrigen Kategorien, obgleich immer nur so fern sie mit dem Bestimmungsgrunde des reinen Willens (dem moralischen Gesetze) in nothwendiger Verbindung stehen, auch objektive, nur keine andere als bloß praktisch=anwendbare Rea-
schen Gesetze als Bestimmungsgrund des reinen Willens [blieben]“ (Eidam (2000), 275). Erst durch das „moralische Gesetz als Erkenntnisgrund und der nur aus diesem erweisbaren, objektiven Realität der Freiheit (als ratio essendi) ist auch ‚für die theoretische Vorstellungsart‘ die Befugnis gegeben, ‚übersinnliche Wesen‘ ‚vorauszusetzen […]“ (Eidam (2000), 275). Eidam nähert sich damit der Interpretation von Sala (2004) an, auf die bereits an anderer Stelle eingegangen wurde. Der „übersinnliche“ Kategoriengebrauch läge damit nicht in der Funktion der Kategorien der Freiheit, sondern allein darin, dass die Kategorie der Kausalität in ihrer Anwendung auf „Übersinnliches“, nämlich die Freiheit, eine zumindest praktisch relevante Bestätigung im Faktum der Vernunft findet. Aus der Interpretation von Kobusch (1990) lässt sich eine Vermittlung zwischen der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Interpretation und den eben zitierten Darstellungen entnehmen. Kobusch (1990), 24, weist auf die Legitimation der Vernunftideen durch das Faktum der Vernunft hin, spricht aber gleichzeitig in Bezug auf die „Vorrede“ davon, dass den Kategorien der Freiheit objektive Realität zukäme, „insofern sie als zum Objekt, dem Gewollten als solchen zugehörig nachgewiesen werden können“ (Kobusch (1990), 25). In der Sache umfassen Kants Darlegungen in der „Vorrede“ diese beiden Gedanken, die sich zudem mit der auf den ersten Blick oszillierenden Bedeutung des „Objekts der praktischen Vernunft“ in Einklang bringen lassen. Der übersinnliche Gebrauch der Kategorien lässt sich auf zwei Ebenen verorten, die sachlich miteinander zusammenhängen: Ein Aspekt dieser gegenüber der ersten Kritik „ganz anderen“ Verwendungsweise der Kategorien liegt darin, dass die Kategorie der Kausalität im Faktum der Vernunft praktische Rückversicherung erhält, die Vernunftidee der Freiheit praktisch legitimiert werden kann und so die anderen Vernunftideen „Halt“ bekommen. Das Übersinnliche des Kategoriengebrauchs würde an dieser Stelle darin liegen, dass ausgehend von der Kausalitätskategorie durch diesen ein Brückenschlag zu den Objekten der praktischen Vernunft, d. h. den Vernunftideen als Bedingungen der Verwirklichung des höchsten Gutes, möglich wird. Die andere Bedeutung des „übersinnlichen“ Gebrauchs der Kategorien liegt darin, dass – ausgehend von der im Faktum der Vernunft praktisch erwiesenen Kategorie der Kausalität – auch die „übrigen Kategorien“ (vgl. KpV, V, 56 – 57) praktisch anwendbar werden. Sie können damit so gedacht werden, dass sie als Modi einer solchen Kausalität den Handlungen als „Objekten der reinen praktischen Vernunft“ zugrunde liegen.
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lität [….]. Wie wir denn auch in der Folge finden werden, daß sie immer nur auf Wesen als Intelligenzen, und an diesen auch nur auf das Verhältnis der Vernunft zum Willen, mithin immer nur aufs Praktische Beziehung haben […] (KpV, V, 56 – 57).
Die Kategorien in erkenntnistheoretischer Perspektive wurden „wie vorher alle Begriffe des reinen Verstandes im theoretischen Gebrauche […] ausschließungsweise den bloßen Erscheinungen gewidmet“ (KpV, V, 6), sollen jetzt aber im „Übergange zu einem ganz anderen Gebrauche betrachtet“ (KpV, V, 6) werden. Dadurch, dass einer der reinen Verstandesbegriffe „objektive Realität“ im Feld des Übersinnlichen hat, d. h., dass die Kategorie der Freiheit praktisch bewiesen ist, können auch alle anderen Verstandesbegriffe, insofern ihnen in der Willensbestimmung eine Funktion zukommt, praktische Realität erlangen. Diese praktisch anwendbare Realität kann in nichts anderem bestehen als in der Funktion, die Kant bereits in der „Vorrede“ skizziert hatte: Die Kategorien betreffen, weil sie „in der Willensbestimmung […] enthalten“ sind, nur „das Verhältnis der Vernunft zum Willen“ (KpV, V, 6). Dass die bereits in der „Vorrede“ zur KpV entworfene Theorie eines übersinnlichen Kategoriengebrauchs den später in der Analytik exponierten Gebrauch der Kategorien der Freiheit umfasst, kann man sich auf einer anderen Ebene abschließend auch noch einmal dadurch deutlich machen, dass sich Kants Erläuterungen zur Tafel der Kategorien der Freiheit im zweiten Hauptstück der Analytik nahtlos mit den Gedanken der „Vorrede“ und den Passagen am Ende des ersten Buchs der Analytik in Einklang bringen lassen. Die in der „Vorrede“ angesprochenen „Objekte der praktischen Vernunft“, in „Ansehung derer“ den Kategorien in praktischer Hinsicht „objektive Realität“ (vgl. KpV, V, 6) zugestanden werden konnte, expliziert Kant im ersten Satz des zweiten Hauptstücks „Von dem Begriffe des Gegenstandes einer reinen praktischen Vernunft“ (KpV, V, 57). Das Objekt der praktischen Vernunft besteht hiernach in einer „Wirkung durch Freiheit“ (KpV,V, 57), nämlich einer menschlichen Handlung, die wir als frei betrachten und die damit in einer zweiten Perspektive Träger der moralischen Bewertung als „gut“ oder „böse“ werden kann. Auch wenn Kant an einigen Stellen die Handlung als „Objekt“ der praktischen Vernunft bezeichnet, so bestehen diese Objekte eigentlich allein in den letztgenannten normativen Bewertungen: „Die alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft sind also die vom Guten und Bösen“ (KpV,V, 58). „Gut“ und „böse“ werden von Kant an dieser Stelle als „Modi einer einzigen Kategorie, nämlich der Kausalität“ (KpV, V, 65), begriffen und sind damit auf die in der „Vorrede“ eingeführte Kausalitätskategorie, welche durch die Einsicht in das „Faktum der Vernunft“ einen praktischen Gebrauch aller übrigen Kategorien ermöglichte, zu beziehen. Die praktische Vernunft bedient sich in diesem Fall offenbar – legitimiert durch die praktisch bewiesene Kategorie der Freiheit – der unschematisierten Kategorien. Das heißt, der praktische Kate-
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goriengebrauch ist, was Umfang und Struktur betrifft, „den Kategorien des Verstandes gemäß“ (KpV, V, 65). Wie in der „Vorrede“ dargelegt, ist dies „ein ganz anderer Gebrauch“ der Kategorien, denn diese werden hier nicht „in Absicht eines theoretischen Gebrauchs […], um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“ (KpV, V, 65) angewendet. Der in der „Vorrede“ angesprochene „übersinnliche“, „praktische[ ]“, dieser „ganz andere Gebrauch“ (KpV,V, 5) der Kategorien liegt darin, dass sie im willensintrinsischen Vorgang der Herausbildung einer Handlungsabsicht eine ordnende Funktion innehaben. Im praktischen Gebrauch werden die Kategorien als ein Ordnungsschema der Willensbildung auf das „Mannigfaltige der Begehrungen“ angewandt, um zu der „Einheit des Bewusstseins“ (KpV, V, 65) in praktischer Perspektive, nämlich einer einheitlichen Willensvorstellung, zu gelangen. Mit dieser Interpretation steht auch Kants Äußerung in der „Vorrede“ im Einklang, dass die Kategorien „in der notwendigen Willensbestimmung a priori enthalten“ (KpV, V, 5) seien. In praktischer Perspektive kommt ihnen daher „überall ein Objekt zu“ (KpV,V, 5), weil sie an dem Prozess der Willensbildung in grundlegender Weise beteiligt sind. Die Kategorien haben in diesem praktischen Gebrauch „nur auf das Verhältnis der Vernunft zum Willen, mithin immer nur aufs Praktische Beziehung“ (KpV, V, 56 – 57). Die Kategorien gehen, so macht Kant im Anschluss an die „Vorrede“ auch im zweiten Hauptstück deutlich, „auf die Bestimmung einer freien Willkür“ (KpV, V, 65). In der „Vorrede“ hebt Kant immer wieder hervor, dass bei der praktischen Verwendung der Kategorien von diesen ein „ganz anderer Gebrauch“ gemacht werde, da sie nicht auf eine sinnliche Anschauung in Raum und Zeit bezogen würden. Dieser Gedanke findet sich auch im zweiten Hauptstück. Den praktischen Kategorien wird in diesem Kontext sogar ein Vorzug gegenüber den Kategorien der Erkenntnis eingeräumt: Während „diese nur Gedankenformen seien, welche nur unbestimmt Objekte überhaupt durch allgemeine Begriffe bezeichnen“ (KpV, V, 65), seien die Kategorien in der praktischen Verwendung „Elementarbegriffe“ (KpV, V, 65) der praktischen Vernunft, die als Modi der Freiheit gedacht werden können. Damit seien sie zwar auf Anschauung bezogen, nicht aber auf diese angewiesen. Sie sind, wenn wir sie uns als handlungswirksame Modi eines intelligiblen Wesens denken, unabhängig von der Anschauung in Raum und Zeit, können aber doch auf Begehrungen angewandt werden. Der damit von Kant nur skizzierte Gebrauch der Kategorien lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Wie zumindest in der zweiten Auflage der ersten Kritik deutlich wird, sind die Kategorien auch als anschauungsunabhängige Begriffe des reinen Denkens nicht bedeutungslos, sondern können „noch immer […] [ihre] wahren und nützlichen Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjekts haben“ (KrV, III, 128.). Kategorien haben also auch unabhängig von ihrer Ange-
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2 Der „ganz andere Gebrauch“ der Kategorien
wiesenheit auf sinnliche Anschauung eine Funktion im Vernunftgebrauch des Subjektes, indem sie diese Dinge zwar nicht erkennen, aber doch zumindest denken lassen und damit einen gegenüber der ersten Bestimmung anderen, später noch zu differenzierenden Anwendungsbereich erhalten. Einer der Verstandesbegriffe der Kategorientafel der ersten Kritik, nämlich der Begriff der Kausalität, lässt sich auf die menschliche Freiheit als etwas „Übersinnliches“ anwenden, da das Subjekt diese durch die unmittelbare Evidenz des Sittengesetzes als ein Faktum erfährt. Damit ist gezeigt, dass die Anwendung der Kategorien auf „Übersinnliches“ in praktischer Hinsicht nicht ebenso „leer“ ist wie die Anwendung der Kategorien auf das Übersinnliche in erkenntnistheoretischer Perspektive. Vielmehr haben die Kategorien in dieser Perspektive eine andere Funktion. Alle „übrigen Kategorien“ erhalten dadurch zumindest „praktisch=anwendbare“ (KpV, V, 56) Realität. Das heißt, sie lassen ein Handlungssubjekt zwar nichts erkennen, haben aber doch praktische Realität,weil sie als Modi einer Kausalität aus Freiheit den „Objekten der praktischen Vernunft“, nämlich den Handlungen, in Form von einigenden Urteilsmomenten zugrunde liegen. Kant nimmt hier die Übertragung eines für die Erkenntnistheorie zentralen Systembausteins auf die praktische Philosophie vor. Damit zeigt sich auch, dass theoretische und praktische Vernunft nicht als zwei möglicherweise heterogene Vermögensleistungen voneinander zu trennen sind, sondern dass die im Kontext der reinen theoretischen Vernunftkritik thematisierten Funktionen der Vernunft auch in praktischer Perspektive wirksam bleiben. Die Vernunft wendet in der Willensbildung unschematisierte Kategorien in Analogie zum Vorgang der Gegenstandserkenntnis in praktischer Rücksicht an. An dieser Stelle geht es nicht um Erkenntnis, d. h. darum, dass Kategorien sinnliche Anschauungen schematisieren, sondern vielmehr darum, dass Begehrungen durch diese Ordnungsstruktur zu einer einheitlichen Handlungsabsicht gefügt werden können. Die Kategorien sollen in praktischer Hinsicht in Bezug auf Struktur und Umfang „den Kategorien des Verstandes gemäß“ angewendet werden, haben dabei aber die Aufgabe, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft […] [zu] unterwerfen“ (KpV, V, 65). Die Kategorien der Freiheit verbleiben damit angesichts des Fehlens der sinnlichen Anschauung nicht in einer „Leere“, sondern können aufgrund ihrer Beteiligung an der Willensbildung unmittelbare Realität erlangen. Anders als oftmals vermutet, ist das Problem einer praktischen Kategorienlehre für Kant in der zweiten Kritik ein zentrales Anliegen, das er bereits in der „Vorrede“ deutlich hervorhebt. Mit Blick auf die erste Kritik könnte man sogar – ohne den vorgestellten Interpretationsansatz überzustrapazieren – sagen, dass Kants praktische Kategorienlehre bereits in der Statusbestimmung der unsche-
2.2 Der „übersinnliche Gebrauch der Kategorien“
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matisierten Kategorien als Vernunftelemente, die noch „wahre[ ] und nützliche[ ] Folgen auf den Vernunftgebrauch des Subjekts haben“ (KrV, III, 128) könnten, angelegt ist. Der Freiheit kommt dabei funktional offenbar eine iterative Rolle zu. Dadurch, dass die Verstandeskategorie der Kausalität im Faktum der Vernunft eine unmittelbar praktische Bestätigung findet, sollen auch die übrigen Verstandeskategorien in ihrer rein willentlichen Verwendungsweise legitimiert werden. Die Kategorien müssen dann innerhalb dieses willensintrinsischen Vorgangs wiederum als Modi der Freiheit begriffen werden.
3 Interpretation des zweiten Hauptstücks der Analytik der KpV und Rekonstruktion der Tafel der Kategorien der Freiheit Der Abschnitt „Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft“, der das zweite Hauptstück der Analytik der KpV bildet, stellt eine der schwierigsten Passagen der zweiten Kritik dar.Während sich das erste Hauptstück mit seiner Herleitung der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft durch eine klare Terminologie sowie luzide Beispiele und Anmerkungen auszeichnet, wirkt das zweite Hauptstück der Analytik schwierig und begrifflich opak. Es mutet ironisch an, dass Beck schreibt, die ersten Sätze der Analytik gehörten „zu den gradlinigsten Abschnitten der ganzen Kritik“ (Beck (1985), 125), dann aber in seinem Kommentar keinen dieser Sätze zitiert oder gar im Detail interpretiert. Das Ziel des zweiten Hauptstücks besteht im Auffinden und in der Erläuterung des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft und kulminiert in der Tafel der Kategorien der Freiheit, die analog zu der Kategorientafel der KrV Konstitutionsmomente von Objekten der Vernunft enthält. So wie die Erkenntniskategorien durch kategoriale Synthesis die Gegenstandserkenntnis in Form einer einheitlichen Objektvorstellung ermöglichen, liegen die Kategorien der Freiheit der Bildung einer Handlung als eines Objekts der praktischen Vernunft zugrunde. KpV, 57 – 58: Abschnitt 1 und 2 ¹ Die reine theoretische Vernunft findet ihre „Gegenstände“ in den durch Kategorien synthetisierten Anschauungen und gelangt dadurch zur Erkenntnis von in der Erfahrung gegebenen Objekten. Analog dazu führt Kant am Beginn des zweiten Hauptstücks den „Begriff[ ] eines Gegenstandes der praktischen Vernunft“ ein. Das hier noch näher zu spezifizierende „Objekt“, auf das dieser Begriff abzielt, soll dabei als Resultat „einer möglichen Wirkung durch Freiheit“ begreifbar werden. Ebenso wie die Synthesis den Gegenstand der theoretischen Erkenntnis schafft und nicht einfach vorfindet, hat man es bei dem hier angesprochenen Objekt als einer „Wirkung aus Freiheit“ mit einem hinsichtlich der Genese des erkannten Gegenstandes analogen Sachverhalt zu tun. Auch der zu Beginn der Analytik der KpV eingeführte Gegenstand ist Gegenstand von Erkenntnis, hier aber einer praktischen Erkenntnis:
In diesem Kapitel finden sich die Quellenangaben aus der KpV zu Beginn jedes neuen Abschnitts in der Überschrift und nicht hinter jedem einzelnen Zitat. Die Einteilung der Abschnitte folgt den Absätzen der Akademieausgabe.
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Ein Gegenstand der praktischen Erkenntnis als einer solchen, zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er, oder sein Gegenteil wirklich gemacht würde, und die Beurteilung, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei, oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Möglichkeit diejenige Handlung zu wollen, wodurch wenn wir das Vermögen dazu hätten […], ein gewisses Objekt wirklich werden würde.
Mit dem hier angesprochenen „Gegenstand der praktischen Vernunft“ kann nur das kurz zuvor eingeführte „Objekt[ ] als eine[ ] mögliche[ ] Wirkung aus Freiheit“ gemeint sein, denn unter dem „Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft“ will Kant genau dieses „Objekt“ verstanden wissen. Ohne dass in diesem Zusammenhang schon spezifiziert wird, was man genau unter diesem Objekt zu verstehen hat, geht Kant über zu der Frage nach der „Beurteilung, ob etwas einen Gegenstand der reinen praktischen Vernunft“ darstellt. Das Kriterium hierfür liegt für Kant dabei „nur“ in der „Unterscheidung der Möglichkeit diejenige Handlung zu wollen, wodurch wenn wir das Vermögen dazu hätten […], ein gewisses Objekt wirklich werden würde“. Erinnert man sich an Kants zu Beginn des zweiten Hauptstücks zunächst allgemein gehaltene Definition des „Gegenstandes“ als Objekt einer Freiheitswirkung, so könnte man den zuletzt zitierten Satz folgendermaßen reformulieren: Die Frage, ob es sich bei dem von Kant in den Raum gestellten „etwas“ um einen Gegenstand der reinen praktischen Vernunft handelt, entscheidet sich daran, ob wir die mögliche Handlung „wollen können“, die diesen Gegenstand oder dieses Objekt „wirklich“ macht. Setzt man also voraus, dass mit dem „gewisse[n] Objekt“ das „Objekt[ ] als eine[ ] mögliche[ ] Wirkung aus Freiheit“ gemeint ist, so ist damit Folgendes gesagt: Ob es sich bei einem „Gegenstand“ um einen solchen der reinen praktischen Vernunft handelt, d. h. um ein Objekt, welches kausal in dem positiven Begriff von Freiheit begründet ist, kann nur anhand der Frage entschieden werden, ob man die Handlung, die zu diesem Objekt führt, wollen dürfen kann. Offenbar macht Kant an dieser Stelle schon von dem positiven Gedanken der Freiheit als Autonomie Gebrauch:² Nur solche Objekte sind der reinen praktischen Vernunft entsprechend, bei denen wir die mit ihnen in Zusammenhang stehende Handlung wollen können dürfen, d. h. die intern in einer bestimmten Weise – nämlich als „gut“ – klassifiziert werden können. Auch in Hinblick auf den weiteren Verlauf des Textes des zweiten Hauptstücks ist Becks These fragwürdig, Kant würde an dieser Stelle nicht vom Begriff der Freiheit als Autonomie Gebrauch machen, sondern von einer bloßen „Wahlfreiheit“, also einer Variante von Willkürfreiheit (vgl. Beck (1985), 125 ff.). Kant spricht aber nicht nur an dieser Stelle, sondern auch im weiteren Verlauf des Textes nicht von Willkürfreiheit, sondern von dem Gegenstand oder Objekt der „reinen praktischen Vernunft“ und impliziert damit den Begriff von Freiheit als sittlicher Autonomie.
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Da es Kant hier in Parallelisierung und zugleich Abgrenzung von der Konstitution des Gegenstandes im Erkenntnisurteil um den Gegenstand der praktischen Vernunft geht, kann es sich bei diesem Objekt keinesfalls um ein gegenständliches Objekt der empirischen Welt handeln, sondern nur um ein solches, das eine genuin praktische Bedeutung hat. Das „Objekt“ der praktischen Vernunft, das bereits als Resultat einer Wirkung aus Freiheit spezifiziert wurde, kann nur im moralischen Wert oder Unwert des hervorgebrachten Sachverhaltes bzw. der diesem zugrunde liegenden Willenshandlung liegen. Es geht also bei dem in Frage stehenden Objekt nicht um einen durch das Subjekt hervorgebrachten Gegenstand (obgleich es darum in praktischen Handlungen immer auch gehen kann): Wenn das Objekt als der Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens angenommen wird, so muß die physische Möglichkeit desselben durch freien Gebrauch unserer Kräfte vor der Beurteilung, ob es ein Gegenstand der praktischen Vernunft sei oder nicht, vorangehen.
Ein solches Objekt ist hier gleichwohl nicht gemeint.Vielmehr geht es um das Gute oder das Böse in Bezug auf eine bestimmte Handlung. Auch wenn Kant bereits ausreichend spezifiziert hat, was unter dem Gegenstand oder Objekt der reinen praktischen Vernunft zu verstehen sei, sieht er sich genötigt, an dieser Stelle eine Reflexion einzuschieben, die den Zusammenhang zwischen Handlungen und dem Zweckbegriff in grundsätzlicher Weise thematisiert – nämlich im Hinblick auf die Frage, ob das Subjekt auch kann, was es soll. Die oben angesprochene „physische Möglichkeit“ spezifiziert Kant als „unser […] physische[s]“ Vermögen, womit deutlich wird, dass das Augenmerk hier nicht auf die Realmöglichkeit eines Objekts gerichtet ist, sondern allein die Frage nach der Möglichkeit des Subjekts, dieses hervorzubringen, im Blick steht. Wenn wir also das Objekt als Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens ansehen, so muss zunächst das Problem seiner durch uns möglichen (physischen) Realisierbarkeit gestellt werden. Kant wechselt an dieser Stelle vom rein abstrakt und funktional gehaltenen Begriff des Objekts zu einem als inhaltlich bestimmt gedachten,was auch in seiner Redeweise von einem „gewisse[n] Objekt“ zum Ausdruck kommt. Es handelt sich damit bei diesen Einschüben um einen Perspektivenwechsel hin zu einer allgemeinen Ebene: Wenn ein reales Objekt oder auch nur eine bereits feststehende Ansicht darüber, was das Gute als ein Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens sein könnte, als Zweck einer Willensbildung zugrunde liegt, dann stellt sich im Kontext einer solchen Annahme die Frage, ob dieses tatsächlich vom Subjekt realisiert werden kann:
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Dagegen, wenn das Gesetz a priori als der Bestimmungsgrund der Handlung, mithin diese als durch reine praktische Vernunft bestimmt, betrachtet werden kann, so ist das Urteil, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei oder nicht, von der Vergleichung mit unserem physischen Vermögen ganz unabhängig, und die Frage ist nur, ob wir eine Handlung, die auf die Existenz eines Objekts gerichtet ist, wollen dürfen, wenn dieses in unserer Gewalt wäre, mithin muß die moralische Möglichkeit der Handlung vorangehen; denn da ist nicht der Gegenstand, sondern das Gesetz des Willens der Bestimmungsgrund derselben.
Wenn die Beurteilung einer Handlung prospektiv weder auf ein bestimmtes Objekt noch auf einen konkreten Zweck zurückgeht, dann entfällt letztlich auch die Frage, ob die Generierung eines Sachverhalts dem Subjekt physisch möglich ist. Es bleibt in dieser argumentativen Reduktion allein die schon vorher aufgeworfene „Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu wollen“³ übrig, durch die ein „gewisses Objekt“ wirklich werden würde. Die Frage besteht dann allein darin, ob „wir eine Handlung, die auf die Existenz eines Objekts gerichtet ist, wollen dürfen“. Zu Beginn des zweiten, kurzen Absatzes löst Kant das Rätsel auf, was unter einem Objekt der praktischen Vernunft zu verstehen sei, indem er lapidar schreibt: Die alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft sind also die vom Guten und Bösen. Denn durch das erstere versteht man einen notwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweite des Verabscheuungsvermögens, beides aber nach einem Principi der Vernunft.
Die „Objekte“ oder „Gegenstände“ der praktischen Vernunft bestehen damit allein im hinsichtlich seiner Träger noch nicht näher differenzierten „Guten und Bösen“. Kant geht es an dieser Stelle um nichts Geringeres als um die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeiten dieser „Objekte“, welche allein durch die Frage eingeholt werden können, ob wir die ihnen zugrunde liegende Handlung wollen können, d. h., ob diese Handlungen auf einer verallgemeinerbaren Maxime beruhen. In diesen argumentativ aufwendigen und terminologisch komplexen Überlegungen wird zweierlei deutlich: Zum einen Kants Bemühen, jede Gefahr einer möglichen „Verdinglichung“ der hier genannten „Gegenstände“ zu vermeiden und sie rein funktional aus ihrem unbedingt-intelligiblen Ursprung zu deduzieren; zum anderen der Versuch, die praktischen Handlungen, unter denen man jene „Objekte“ praktischer Vernunft zu verstehen hat, perspektivisch auch in der
Vgl. hierzu Kants Überlegungen zur Maximenprüfung im Kontext unvollkommener Pflichten in der GMS (insbesondere GMS, IV, 419 ff.).
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ganzen Komplexität ihrer willensinternen Konstitution verständlich zu machen.⁴ Die Handlung als Objekt oder Gegenstand der praktischen Vernunft besteht sowohl in einer internen Handlung, d. h. einem Urteil des Subjekts und damit einer Handlungsabsicht, als auch in den daraufhin sich in der Erscheinungswelt möglicherweise realisierenden Handlungen. KpV, 58 – 59, Abschnitt 3 Als Gegenbeispiel zu einem solchen, dem Begriff des Guten vorgängigen Prinzip der sittlichen Urteilsbildung führt Kant im folgenden Abschnitt vor Augen, welche Konsequenzen die Annahme des wie auch immer definierten Guten als einem Bestimmungsgrund des Sittengesetzes hätte: Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen Existenz Lust verheißt und so die Kausalität des Subjekts zur Hervorbringung desselben, d. i. das Begehrungsvermögen bestimmt.
Nimmt man an, dass das Gute nicht im Resultat einer inhaltlich völlig unbestimmten und damit zugleich autonomen praktischen Urteilsbildung liegen soll, sondern ein bestimmter Begriff des Guten dem Handeln zugrunde liegt, dann bestände eine mögliche Spezifikation dieses Inhalts in etwas, „dessen Existenz Lust verheißt“⁵ und könnte damit anhand der Erfahrung dessen, was der Mensch mit Lust oder Unlust verbindet, geleistet werden. Damit „käme es lediglich auf die Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut oder böse ist“. Auch innerhalb der Perspektive einer philosophischen Verallgemeinerung, d. h. im Rahmen „der Beurteilung des Verhältnisses der Mittel zu Zwecken“ durch die Vernunft, bliebe dieses Prinzip dem Begriff des bloß „Angenehmen“ verhaftet. Selbst „der Philosoph, der sich genötigt glaubte, ein Gefühl der Lust seiner praktischen Beurteilung zum Grunde zu legen, [würde] gut nennen, was ein Mittel zum Ange-
Bei Beck deutet sich dieser Sachverhalt lediglich an, wenn er schreibt, dass der „Gegenstand“ der praktischen Vernunft „in einer hinreichend weiten Bedeutung genommen werden [muss], um zweierlei einzuschließen: durch Handlungen hervorgebrachte Sachverhalte und das Handeln selbst. ‚Gegenstand‘ ist mithin keineswegs lediglich ein innerweltliches, durch Handeln hervorgebrachtes Objekt“ (Beck (1985), 128). Trotz dieser Richtigstellung übersieht Beck in diesem Zusammenhang aber, dass bei Kant bereits die Willensabsicht, als Bedingung der Möglichkeit der „Gegenstände“ aufgefasst wird. Die Gegenstände der praktischen Vernunft sind die „vom Guten und Bösen“ als einem Werturteil des Willens und die Handlungen oder Sachverhalte sind damit eigentlich nur in abgeleiteter Weise Gegenstände der praktischen Vernunft. Vgl. hierzu Kants analoge Reflexion auf die vorgängige Lust bzw. vorgängige Reflexion im § 9 der „Kritik der Urteilskraft“ (KU, V, 216 ff.)
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nehmen, und Böses, was Ursache der Unannehmlichkeit“ ist.⁶ Eine „praktisch[e] Maxime“, die aus dem „Begriffe des Guten bloß als Mittel“ gebildet ist, würde immer nur „irgend wozu-Gutes zum Gegenstande des Willens“ enthalten können. Dieser Begriff des Guten würde „jederzeit bloß das Nützliche sein“. Das Gute wäre kein „unmittelbar Gutes“, sondern nur gut als ein „Mitte[l] zu etwas anderem“. Begreift man das Gute nicht als Resultat einer Urteilsleistung des Willens, die auf keinen anderen Bestimmungsgrund zurückgeht als auf das rein formale Sittengesetz, so wäre das Gute lediglich auf der Ebene eines sinnlich-pragmatischen Selbstverständnisses einzuordnen; es wäre das Angenehme, Nützliche und damit nur das hypothetisch „irgendwozu-Gute“. Umgekehrt lässt sich mit der Anwendung einer durch das Sittengesetz bestimmten Beurteilung des Willens das „unmittelbar Gut[e]“ ausfindig machen, welches aufgrund seiner inhaltlichen Unbedingtheit Autonomie beanspruchen kann. KpV, 59 – 61, Absatz 4 – 8 In den folgenden Abschnitten finden sich allgemeine Überlegungen zum Begriff des Guten, die Kant durch den Hinweis auf die „alte Formel der Schulen: nihilappetimus, nisisubrationeboni; nihilaversamur, nisisubrationemali […]“ illustriert. Diese Formel besagt, dass wir alles, was wir erstreben, im Hinblick auf ein damit unterstelltes Gutes vollziehen und alles vermeiden, was wir als schlecht oder böse einschätzen. Kant weist in diesem Zusammenhang auf eine Undifferenziertheit der lateinischen Sprache hin, in der „die Ausdrücke des boni und mali“ eines „doppelten Sinns fähig“ seien. In der deutschen Sprache hingegen existierten für „das, was die Lateiner mit einem einzigen Wort bonum benennen, […] zwei sehr verschiedene Ausdrücke“, nämlich für „bonum das Gute und das Wohl“ und für „malum das Böse und das Übel“. In diesem Sinne wären zwei Bedeutungsvarianten, die im Lateinischen verwischt würden, zu unterscheiden und damit auch zwei mögliche Beurteilungsgrundlagen: das „Gute und Böse“ oder nur ein bloß physisches „Übel, d. h. ‚unser Wohl und Weh‘“⁷. Die eingangs zitierte „alte Formel der Schulen“ könnte in diesem Sinne auf zwei verschiedenen Bedeutungsebenen interpretiert werden: „[W]ir begehren nichts, als in Rücksicht auf unser Wohl oder Weh […]“ oder: „[W]ir wollen, nach Anweisung der Vernunft, nichts, als nur so fern wir es für gut oder böse halten“. Das „Wohl oder Weh“ würde sich lediglich auf „unseren Zustand der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit“ beziehen lassen, während die zweite Bedeutung der Formel die von Kant bereits im Zusammenhang mit seiner Explikation des „Gegenstandes der praktischen Ver-
Die Reflexion, d. h. die Beurteilung anhand eines Gesetzes, muss vorhergehen. Zur Interpretation der Fußnote und der „Zweideutigkeit“ vgl. Sala (2004), 143.
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nunft“ favorisierte Einschätzung ausdrückt, dass das „Gute und Böse […] jederzeit [nur] eine Beziehung auf den Willen, so fern dieser durchs Vernunftgesetz bestimmt wird“, bedeuten. An dieser Stelle wird noch einmal die logische Priorität der „Gegenstände“ der praktischen Vernunft als Resultate eines rein willensinternen Vorgangs geltend gemacht und damit die Konzentration auf die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der angesprochenen Wertedifferenz erneut bekräftigt. Das „Gute oder Böse“ als „Gegenstand“ realisiert sich zwar als ein empirischer Effekt, insofern wir es den Handlungen in der Welt der Erscheinungen zuschreiben. Es bezieht sich streng genommen aber „nur [auf] die Handlungsart, die Maxime des Willens“ und damit auf „die handelnde Person selbst“. Kant beschließt diesen Abschnitt mit einem Beispiel, das die Differenz zwischen dem Übel und dem Bösen noch einmal prägnant deutlich macht: Dem Ausruf des Stoikers „Schmerz, du magst mich noch so foltern, ich werde doch nie gestehen, daß du etwas Böses […] seist!“ sei uneingeschränkt zuzustimmen, da „der Schmerz […] den Wert seiner Person nicht im mindesten [verringere], sondern nur den Wert seines Zustandes“. Das, was als ein moralisch geltungsdifferentes Resultat durch den Willen als „gut“ klassifiziert und daraufhin intentional bedeutsam wird, muss Kant zufolge „in jedes vernünftigen Menschen Urteil ein Gegenstand des Begehrungsvermögens“ sein. Mit dem Begehrungsvermögen ist an dieser Stelle das rationale Begehrungsvermögen, d. h. der menschliche Wille gemeint (Sala (2004), 142), welcher als vernünftiger Wille den Begriff des Guten konstituiert.Wie im Blick auf die Tafel der Kategorien der Freiheit später deutlich werden wird, bedarf es zu einer solchen Konstitution des Guten als eines Willensprodukts nicht nur des guten Willens – als einem schon moralisch bestimmten Strebevermögen –, sondern auch noch des „Sinn[s] zu dieser Beurteilung“ und damit eines weiteren Vermögens, nämlich der Urteilskraft. Dieser Abschnitt befasst sich abschließend mit der perspektivischen Bedeutung des „Übel[s]“, welches in einer bestimmten Hinsicht „doch jedermann zugleich für gut, bisweilen mittelbar, bisweilen gar für unmittelbar erklären muß“. Ein Patient, der eine Operation über sich ergehen lassen müsse, werde diese wahrscheinlich als „Übel“ einschätzen⁸, obwohl er sie „durch Vernunft“ für gut erklärt. Ebenso würde die Züchtigung desjenigen, der „friedliebende Leute gern neckt und beunruhigt“, von einem unparteiischen Zuschauer sicher als richtig
Sala sieht an dieser Stelle eine verfehlte Pointe Kants, da das hier angesprochene Übel „durch die Vernunft als ‚boniutile‘ erkannt“ würde, dies aber „nicht direkt die Kategorie des sittlich Guten als von Natur aus Vernünftigem und deshalb als ‚an sich gut‘“ beträfe (vgl. Sala (2004), 142).
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und gut beurteilt werden, obwohl der „Bestrafte“ sie selbst nur als „Übel“ empfinden kann. KpV, 61 – 62, Absatz 9 – 10 Entgegen einem oft kolportierten Vorurteil verfügt Kant schon in seinen grundlegenden Schriften zur Moral über die Einsicht in die von der Vernunft gebotene Notwendigkeit eines Glückseligkeitsstrebens des Menschen. Zwar kann dieses Streben nicht Grundlage der moralischen Selbstbestimmung sein; zum umfänglichen Begriff der menschlichen Vernunft gehört es für Kant aber ebenso wie die vernünftige Selbstbestimmung im Handeln. Auf unser physisches „Wohl und Weh“ kommt „in der Beurteilung unserer praktischen Vernunft gar sehr viel, und was unsere Natur als sinnliche Wesen betrifft alles“ an. Vernunft begreift sich als selbstreflexives Vermögen als sinnlich-vernünftig und hat damit „einen nicht abzulehnenden Auftrag, von Seiten der Sinnlichkeit, sich um das Interesse derselben zu bekümmern“. Allerdings hebt Kant deutlich hervor, dass „alles überhaupt darauf doch nicht an[kommt]“, d. h., er betont die Priorität dessen, was „Vernunft für sich selbst sagt“, in gewohnter Weise. In diesem Zusammenhang streicht er noch einmal den Urteilscharakter der praktischen Vernunft heraus, indem er betont, dass über das, was an sich gut oder böse ist, nur „reine, sinnlich gar nicht interessierte Vernunft […] allein urteilen kann“. In diesem Zusammenhang bekräftigt Kant seinen Formalismus in der Bestimmung der Bedingungen des sittlich Guten: Allein eine „Beurteilung des an sich Guten und Bösen“, die nicht auf „mögliche Objekte des Begehrungsvermögens“ gestützt ist, sondern bloß im rein formalen Sittengesetz begründet, ist „schlechterdings, in aller Absicht, gut, und die oberste Bedingung des Guten“. KpV, 62 – 64, Absatz 11 – 12 Der folgende Absatz fasst die unterschwellige Hauptthese des zweiten Abschnitts der Analytik als ein „Paradoxon“ auf, welches darin bestehe, dass der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze (dem er dem Anschein nach so gar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie es auch hier geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse.
Obgleich das Gute und Böse auf die Handlungen des Menschen in der Erscheinungswelt zu beziehen ist, hatte Kant deutlich gemacht, dass das hier „wirklich“ gewordene Gute oder Böse als Resultat streng genommen allein das Ergebnis eines Urteilsprozesses des Willens darstellt. Die Grundlage für die Bewertung einer Handlung als gut oder böse besteht in der Beurteilung einer Handlungsabsicht durch den vernünftigen Willen. Die Bildung einer Handlungsabsicht erfolgt in
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einem Prozess, an dem unterschiedliche Ordnungsmomente der praktischen Urteilskraft beteiligt sind: Aus „Begierden und Neigungen“, d. h. den „Begehrungen“, entspringen durch „Mitwirkung der Vernunft“ (GMS, IV, 427) Maximen, die dann durch weitere Kategorien „geformt“ und schließlich anhand des Sittengesetzes auf ihre moralische Tragfähigkeit hin überprüft werden. Die mögliche Klassifizierung als „gut“ kann dabei lediglich das letzte und dann normative Moment der komplexen Bildung einer Handlungsabsicht darstellen. Diese Bewertung darf sich nicht an inhaltlichen Kriterien orientieren, sondern nur an einem rein formalen Aspekt – ob nämlich die in der Handlungsabsicht ausgedrückte Maxime zu einem vernünftigen und allgemeinen Gesetz taugt. Kant bestärkt in diesem Zusammenhang nochmals die rein formalen Kriterien einer solchen Gesetzgebung des Willens und illustriert diese durch den wiederholten Hinweis auf das Gegenbeispiel zu einer solchen Bestimmung: Gesetzt, wir wollten nun vom Begriffe des Guten anfangen, um davon die Gesetze des Willens abzuleiten, so würde dieser Begriff von einem Gegenstande (als einem guten) zugleich diesen, als den einigen Bestimmungsgrund des Willens, angeben. Weil nun dieser Begriff kein praktisches Gesetz a priori zu seiner Richtschnur hatte: so könnte der Probierstein des Guten oder Bösen in nichts anders, als in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit unserem Gefühle der Lust oder Unlust gesetzt werden […].
Die Auffassung des Guten als eines Bestimmungsgrundes von Handlung im eben zitierten Sinne würde den von Kant favorisierten Formalismus zerstören. Es wäre hierdurch „geradezu die Möglichkeit praktischer Gesetze ausgeschlossen“, da der Bestimmungsgrund der Handlungen immer nur ein „empirische[r] Bestimmungsgrund“ wäre. Die abschließenden Passagen des zwölften Abschnitts illustrieren Kants These durch die Diskussion der Position der „Alten“, welche in ihren Untersuchungen „unverhohlen“ den Begriff eines höchsten Guts zugrunde gelegt hätten. KpV, 65 – 66, Absatz 12 Das von Kant eingeführte Begriffspaar des Guten und Bösen, mit dem im folgenden Abschnitt zur „Tafel der Freiheitskategorien“ übergeleitet wird, muss aufgrund der Autonomie des Sittengesetzes immer „nach demselben und durch dasselbe bestimmt“ werden, d. h., es ergibt sich erst aus der Anwendung des Sittengesetzes, was gut und was böse ist. Die Begriffe des Guten und Bösen als „Folgen der Willensbestimmung“ sind Modi einer einzigen Kategorie, nämlich der der Kausalität, so fern der Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes derselben besteht, welches, als Gesetz der Freiheit, die Vernunft sich selbst gibt und dadurch sich a priori als praktisch beweiset.
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Die Überlegungen, die hier vorgetragen werden, müssen somit offenbar auf Kants in der „Dritten Antinomie“ der KrV eingeführte Rede von der „Kausalität aus Freiheit“ bezogen werden. „Gut“ und „böse“ beziehen sich als Modi der Freiheit nicht auf Sachobjekte, sondern allein auf die „Objekte“ der praktischen Vernunft. Ihnen gehen nämlich bereits „die Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft“ als „gegeben voraus“ und sie setzen auf der Grundlage dieser Voraussetzung mit der kategorialen Bestimmung noch einmal neu ein. Sie hätten damit dem ersten Augenschein nach eine andere Funktion als die Kategorien in der ersten Kritik, welche sich auf die synthetische Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen beziehen. Gut und böse sind als Beurteilungskategorien von (möglichen) Handlungen Modi, d. h. mögliche Weisen der menschlichen Kausalität aus Freiheit. Eine Handlung findet stets in der empirischen Wirklichkeit statt und ist dabei zugleich der mögliche Gegenstand einer moralischen Bewertung, durch die sie in einer intelligiblen Perspektive steht. Die Handlung steht zum einen „unter einem Gesetze, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Freiheit ist“, und wird in diesem Sinne als Verhalten eines „intelligible[n] Wesen[s]“ betrachtet, zum anderen ist sie aber auch eine „Begebenheit in der Sinnenwelt“.⁹ Kant folgert aus diesem Umstand, dass die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien des Verstandes gemäß, aber nicht in Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur, um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden Vernunft, oder eines reinen Willen a priori zu unterwerfen, statt haben können.
Mit dem Ausdruck „die letztere“ kann in der vorliegenden grammatischen Konstruktion nur die „Sinnenwelt“ gemeint sein. Unklar bleibt an dieser Stelle aber zunächst, was Kant mit den „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ im Sinn hat. Es könnte sich dabei wieder um die schon bekannten Begriffe des Guten und Bösen handeln oder aber Kant verbindet mit diesem Ausdruck etwas davon noch zu Unterscheidendes. Kant zufolge können die „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ nur „statt haben“, wenn sie „gemäß“ den „Kategorien des Verstandes“ auf Handlungen, welche der Sinnenwelt zugeordnet werden müssen, bezogen werden. Anders als im Falle einer Gegenstandserkenntnis steht hier jedoch an der Stelle der „(sinnlichen) Anschauung“ das „Mannigfaltige der Begehrungen“, welches durch die angeführten „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ einer Synthesis
Vgl. hierzu den dritten Abschnitt der GMS (GMS, IV, 446 – 463).
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unterzogen werden soll. Diese Bestimmungen sollen „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden Vernunft […] unterwerfen“. Die „Begehrungen“ übernehmen durch ihren sinnlichen Charakter also die Rolle, die die „Anschauungen“ in der theoretischen Gegenstandserkenntnis innehaben. Die Sinnenwelt kommt dabei nicht als Inbegriff bloßer Phänomenalität in den Blick, sondern als Inbegriff der auf den Willen als Begehrungsvermögen wirkenden Sinnesreize. Folgt man dem bisherigen Argumentationsgang des Textes, so liegen zwei Deutungsmöglichkeiten nahe: Entweder sind es die Begriffe des Guten und Bösen, die als quasi „praktische Kategorien“ so an die Stelle der Verstandeskategorien treten wie die Begehrungen an die Stelle der Anschauungen – und die Bezeichnung „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ bildet ebendiesen Umstand ab; oder aber Kant führt mit diesem Ausdruck neue Begriffe in die Argumentation ein. Der Kategorientafel selbst kann man an dieser Stelle weitere Anhaltspunkte zur Entscheidung dieser Frage entnehmen. Sie ist überschrieben mit dem Titel: „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“. Anders als es die erste Interpretationshypothese nahelegt, werden die Begriffe des Guten und Bösen hier aber nicht als Kategorien verwendet, sondern die Tafel wird nur „in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ vorgestellt. Kant hatte in der bereits zitierten Bestimmung der beiden Begriffe erläutert, dass sich diese „nicht (etwa als Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewusstsein) auf Objekte, wie die reinen Verstandesbegriffe, oder Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft“ beziehen und damit die Vorstellung nahegelegt, es könnte sich bei den Kategorien der Freiheit genau um diese Begriffe des Guten und Bösen handeln, die sich dann eben nicht auf anschauliche Objekte, sondern in Differenz dazu auf die später eingeführten Begehrungen beziehen müssten. Die zitierte Passage legt diese Lesart durch die Wendung „wie die […] Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft“ tatsächlich nahe, da man hier den Versuch eines abgrenzenden Vergleichs vermuten könnte. Diese Interpretation wird aber sogleich wieder fraglich, weil Kant in den folgenden Passagen nicht diese Begriffe des Guten und Bösen auf das „Mannigfaltige der Begehrungen“ bezogen wissen will, sondern nur die noch nicht spezifizierten „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“. Dies erhellt auch daraus, dass im nächsten Satz zum ersten Mal explizit von den praktischen Kategorien die Rede ist („Diese Kategorien der Freiheit, denn so wollen wir sie, statt jener theoretischen Begriffe, als Kategorien der Natur benennen“, KV, V, 65). Anders als erwartet setzt Kant in seiner Erläuterung seltsamerweise bei der schon erfolgten Willensbestimmung und der daraus erwachsenen Möglichkeit der Klassifizierung einer menschlichen Handlung als freiem Kausalgeschehen – und damit beim möglichen Resultat – ein. Eine
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Beurteilung als „gut“ oder „böse“ vollzieht sich dabei, wie später deutlich werden wird, allein innerhalb der dritten Kategorie der Modalität. Kant erzeugt hier durch eine scheinbare Analogisierung der Begriffe des Guten und Bösen mit den theoretischen Kategorien, von denen er diese abgrenzen zu wollen scheint, die Gefahr eines Missverständnisses. Die Begriffe des Guten und Bösen ergeben sich erst als „Folgen der Willensbestimmung“, d. h. letztlich eben auch erst nach Anwendung der hiernach als „Bestimmungen einer praktischen Vernunft“ und später als Kategorien der Freiheit spezifizierten „Bestimmungen“ der praktischen Vernunft. Die Bezeichnung „das Gute und Böse“ bezieht sich nicht auf die in diesem Zusammenhang etwas missverständlich angeführten „Objekte theoretischer Gegenstandserkenntnis“ wie es die „Kategorien der theoretisch-gebrauchten Vernunft“ tun, aber eben auch nicht auf das, was Kant später als Pendant der sinnlichen Anschauung in der Gegenstandserkenntnis anführt, nämlich die „Mannigfaltigkeit der Begehrungen“. „Gut“ und „böse“ sind – anders als es der Text zunächst nahezulegen scheint – keine Beispiele für praktische Kategorien, sondern sie sind Modi einer Kausalität aus Freiheit, die erst unter dem Obertitel der Modalität relevant werden. Worin die Kategorien der Freiheit genau bestehen, lässt sich ganz eindeutig erst anhand der von Kant in der Tafel veranschaulichten kategorialen Bestimmungen nachvollziehen, d. h. in den Momenten der „Quantität“, „Qualität“, „Relation“ und „Modalität“ sowie ihrer jeweils drei Untertitel. Vergleichbar mit den Kategorien der theoretischen Vernunft, die durch Synthesis von Begriff und Anschauung Gegenstandserkenntnis ermöglichen, ordnen die Freiheitskategorien die Begehrungen, indem sie diese zu Maximen formen, sie damit urteilsförmig machen und innerhalb der dritten Modalitätskategorie am Sittengesetz ausrichten. Sie gehen damit „in ihrer Ordnung, von den moralisch noch unbestimmten, und sinnlich-bedingten, zu denen, die sinnlich-unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind“ fort. Für Kants Konzeption des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Vernunft ist der Umstand aufschlussreich, dass diesen Kategorien der Freiheit ein Vorzug vor den Kategorien der theoretischen Vernunft zugesprochen wird: Diese Kategorien der Freiheit […] haben einen augenscheinlichen Vorzug vor den letzteren [d. h. den Kategorien der theoretischen Vernunft, H. P.], daß, da diese nur Gedankenformen sind, welche nur unbestimmt Objekte überhaupt für jede uns mögliche Anschauung durch allgemeine Begriffe bezeichnen, diese hingegen […] als praktische Elementarbegriffe statt der Form der Anschauung, […] die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwärts, nämlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die Form eines reinen Willens in ihr, […] als gegeben zum Grunde liegen haben […].
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Die Kategorien der theoretischen Vernunft ermöglichen in Verbindung mit der sinnlichen Anschauung die Bestimmung und Beurteilung von Objekten und sind damit „Gedankenformen“, welche erst durch Bezug auf die der Sinnenwelt entlehnte Anschauung die ihnen gemäße Funktion ausüben können. Die Freiheitskategorien werden hingegen als „praktische Elementarbegriffe“ ausgezeichnet. Dass sie konstituierende Prinzip, die „Form eines reinen Willens“, liegt in der Vernunft („in ihr“) und nicht in der Sinnlichkeit – wie die Anschauungen in der Gegenstandserkenntnis. Für die Einschätzung ihres Status in der praktischen Philosophie Kants ist die Auszeichnung als „Elementarbegriffe“ insofern von tragender Bedeutung, als Kant mit dieser Bezeichnung noch einmal den hohen systematischen Stellenwert dieser Theorieelemente hervorhebt: Elementar sind diese Kategorien,weil die Bildung einer jeden Willensabsicht auf ihnen basiert. Sie bestimmen die freie Willkür, der keine Anschauung, völlig korrespondierend, gegeben werden kann, die aber welches bei keinen Begriffen des theoretischen Gebrauchs unseres Erkenntnisvermögens stattfindet, ein reines praktisches Gesetz a priori zum Grunde liegen hat […] dadurch es denn geschieht, daß […] die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen warten dürfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwürdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen, welches gar nicht die Sache theoretischer Begriffe ist.
Die Freiheitskategorien unterscheiden sich dadurch grundlegend von den theoretischen Kategorien, dass sie keiner Anschauung bedürfen, um praktische Erkenntnisse zu erlangen. Zwar kommen auch sie nicht ohne einen Bezug auf die Sinnenwelt aus, da ihre Anwendung auf Begehrungen zurückgeht, jedoch erscheint es legitim, dass Kant diesen Bezug hier perspektivisch ausblendet: Die durch die praktischen Kategorien generierten „Gegenstände“ (gute oder böse Handlungsabsichten) beruhen zwar mittelbar auch auf einem sinnlichen Bezug, jedoch stellt dieser anders als in der Gegenstandserkenntnis nicht das diese Erkenntnis wesentlich konstituierende Moment dar. Die dritte Kategorie der Modalität hat durch die hier sich vollziehende moralische Bestimmung Bezug auf das Faktum der Vernunft und damit ein a priorisches Bewusstsein des Sittengesetzes. Die damit geltend gemachten Einsichten verdanken sich einem unmittelbaren und nicht empirischen Bewusstsein. Die Kategorien der Freiheit dürfen nicht auf „Anschauungen warten“, weil sie die Willensgesinnung, auf die sie sich als Wirklichkeit beziehen, selbst hervorbringen. Der „Vorzug“ der Freiheitskategorien bezieht sich also allein auf die mögliche moralische Funktion der Kategorien, nicht jedoch auf diese Kategorien überhaupt, d. h. ihre allgemeine praktische Funktion. Die durch die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation geformte
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Willensgesinnung wird innerhalb der Modalitätskategorien auf das Sittengesetz bezogen und dadurch auf das Faktum der Vernunft, dem „die Form eines reinen Willens“ zugrunde liegt. Die zu diesem Zeitpunkt kategorial bestimmte Willensabsicht, auf die sich die dritte Kategorie der Modalität dann als eine moralische Kategorie bezieht, ist etwas bereits durch die Kategorien der Freiheit selbst Hervorgebrachtes und nur noch mittelbar durch einen Bezug auf die Sinnenwelt gekennzeichnet.¹⁰ Die hier wirkenden Gesetze sind selbstgegeben und die daraus erwachsende Erkenntnis des Guten und Bösen kann nur aus diesem internen Vollzug und nicht aufgrund bestimmter Anschauungen „Bedeutung“, d. h. Geltung, erlangen. Mit dieser Auszeichnung der praktischen Kategorien vor den theoretischen bekräftigt Kant nochmals eine Einschätzung, die er schon seit der ersten Kritik nicht müde wird, in unterschiedlichen Kontexten zu wiederholen, und die man in Erweiterung seiner eigenen terminologischen Entscheidung im Kontext des Lehrstücks vom höchsten Gut unter dem Schlagwort „Primat des Praktischen“ fassen kann. KpV, 66, Absatz 13, Die Tafel der Kategorien der Freiheit Quantität Subjektiv nach Maximen (Willensmeinungen des Individuums) Dass Kant seine Tafel nicht mit den Begehrungen beginnt, die er im Verlauf des Textes als das zu synthetisierende Mannigfaltige hervorhebt, ist darin begründet, dass man es bei jedem Untertitel schon mit einem diskursiven Moment zu tun hat, nämlich einem Urteil bzw. einem Handlungsaspekt, der mit einer praktischen Urteilsleistung in Zusammenhang steht. Die Begehrungen sind auf diese Weise immer schon von praktischen Vernunftvollzügen geformt. Das Moment der Quantität umfasst dabei mögliche praktische Urteilsformen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs in extensionaler Perspektive und bildet im Aufstieg von den Maximen über die objektiven Prinzipien bis hin zu den a priorischen Gesetzen die Maximenreflexion in der Willensbildung ab: Die Prüfung auf Gesetzestauglichkeit besteht in extensionaler Perspektive nämlich genau in der Frage, ob die als Erstes genannte subjektive Willensmeinung, d. h. die Maxime, eine Handlungsregel darstellt, die nur individuell und subjektiv für ein bestimmtes Individuum, als Vorschrift für mehrere Subjekte oder aber – aufgrund ihres verallgemeinerbaren
Eine unbegründete und „überschwängliche“ Bevorzugung der praktischen Kategorien ist Kant also an dieser Stelle nicht vorzuwerfen (vgl. Adickes (1887), 145). Zum „Vorzug“ der praktischen Kategorien vgl. Beck (1985), 141, Simon (2003), 145 f.
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Charakters – als Gesetz gilt. Den „Basischarakter“ der Maxime hinsichtlich der moralischen Reflexion hebt Kant selbst explizit in seiner Erläuterung des ersten Titels der Tafel hervor, wenn er schreibt, dass man durch die „Tafel und [die erste] […] Nummer derselben sogleich [wisse], wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen“. Der Begriff der Maxime, den Kant in der KpV auch als „Willensmeinung“ oder „praktische[n] Grunds[a]tz“ variiert, stellt dabei insofern eine schon relativ komplexe Urteilsleistung dar, als er „mehrere praktischen Regeln unter sich hat“ (KpV, V, 19). Anders als ein bloßes Meinen oder ein sich stets wandelnder Vorsatz stellt die Maxime eine Urteilsleistung dar, in der die ansonsten flüchtigen und rein subjektiven Grundlagen des Handelns schon zu einem temporär und situativ konstanten Grundsatz zusammengefasst sind. Dass sie in einer Tafel der korrekten Bildung praktischer Urteile an erster Stelle steht, ist in ihrer Qualität als basaler Urteilsleistung begründet: Jede Willensbildung und Handlung geht auf eine Maxime als intelligiblem Beginn der Handlungsgeschichte zurück. Eine Maxime muss dabei als ein zunächst nur allgemein praktisches Moment der Willensbildung betrachtet werden – noch nicht als ein absolut praktisches. Zwar kann sie einen absolut praktischen Gehalt haben, der sich in der Möglichkeit ihrer vernünftigen Verallgemeinerbarkeit zeigt; ihre Grundfunktion liegt aber auch jenen Handlungen zugrunde, die sich nicht zu einem Gesetz verallgemeinern lassen. So ist z. B. die Maxime denkbar, keine „Beleidigung ungerächet zu erdulden“, obwohl ein Subjekt in moralischer Reflexionsperspektive einsehen müsste, dass „dieses kein praktisches Gesetz, sondern nur seine Maxime“ darstellt. Eine Maxime, rein funktional betrachtet, hat noch keinen absolut praktischen, d. h. genuin moralischen Gehalt: „Maximen sind also zwar Grundsätze, aber nicht Imperativen“ (KpV, V, 35). Die erste Kategorie des Obertitels der „Quantität“ stellt innerhalb des kategorialen Ordnungsschemas der Willensbildung das erste ordnende Moment dar. Sie legt noch keine intersubjektiv gültigen Vorschriften oder gar Gesetze fest, sondern bezieht sich auf ein je einzelnes und zudem subjektives Moment, das sich aber durch seine Qualität, „mehrere Regeln unter sich [zu] verein[en]“, als Ausgangspunkt der kategorialen Generierung von Handlungsabsichten begreifen lässt.¹¹ Unabhängig von der Frage nach einer möglichen Verallgemeinerung zu
Beck, der sich an dieser Stelle nicht die Mühe macht, jede Kategorie einzeln zu interpretieren, schreibt: „Vermutlich beziehen sich die beiden ersten Arten auf das Wohl, die dritte eben auf das moralisch Gute. Aber dies ist kein quantitativer Unterschied“ (Beck (1985), 144). Er übersieht damit die grundlegende Funktion von Maximen für die Willensbildung überhaupt sowie die rein quantitative Bedeutung der Abstufung von Maxime, Vorschrift und Gesetz, welche
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dem extensional anspruchsvolleren zweiten oder dritten Moment der Kategorientafel, d. h. einer Vorschrift oder gar einem Gesetz, steht aber auch eine solche, zunächst nur subjektive Gültigkeit beanspruchende Willensmeinung als diskursives Moment für sich. In seinem moralisch noch unbestimmten, dennoch als transzendental frei zu begreifenden Charakter kann es weiter hinsichtlich seiner Quantität sowie seiner qualitativen, relationalen und modalen Momente weiter beurteilt werden. Selbst wenn an dieser Stelle noch nicht die Möglichkeit im Raum steht, gemäß einem hypothetischen oder kategorischen Imperativ zu handeln, grenzt das Subjekt sich durch die Bildung einer Maxime von den Begehrungen als dem Inbegriff bloßer Sinnesreize ab. Objektiv, nach Prinzipien (Vorschriften) Unter die Kategorie der objektiven Prinzipien oder auch Vorschriften fallen diejenigen Maximen, deren Geltungsbereich nicht mehr rein subjektiv ist, sondern die sich verallgemeinern lassen und objektive Geltung für sich beanspruchen können. Der interne Urteilsakt, der einer Maxime zugrunde liegt, muss zwecks Aufstellung eines Prinzip oder einer objektiven Vorschrift eine mögliche intersubjektive Geltung der Maxime reflektieren. Der Begriff der „Vorschrift“ wird von Kant in unterschiedlichen Kontexten und Bedeutungen verwendet. Er bezeichnet dabei in verschiedenen Zusammenhängen das, was man alltagssprachlich unter einer Vorschrift versteht, nämlich eine intersubjektiv gültige Regel. So benutzt Kant den Begriff der „Vorschrift“ im Kontext einzelner Wissenschaften (vgl. VIII, 289, XXI, 620), der Logik (vgl. II, 310), der Kunst (vgl. XV, 268), der Metaphysik (vgl.VII, 148) und der Mathematik (vgl.VI, 411). Eine spezifisch inhaltliche Bedeutungsvariante besteht in der Auffassung des Begriffs als Vorschrift des moralischen Gesetzes und des guten Willens (vgl. III, 546, IV, 439,V, 20,V, 132,V, 273,V, 447,V, 460,VI, 88,VI, 411,VII, 200). Sie wäre diesen und anderen Textstellen zufolge ein Ausdruck für den Geltungsanspruch des Sittengesetzes. Kant verwendet den Begriff aber neben dieser und der alltagssprachlichen Bedeutung noch in einem dritten Sinne: Eine Vorschrift zeigt im Kontext menschlicher Handlungen eine Anweisung in Form eines Imperativs an. Dabei ist zu beachten, daß jede andere Vorschrift, die sich auf Principien der bloßen Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissem Betracht allgemeine Vorschrift, so fern sie sich dem mindesten Theile, vielleicht nur einem Bewegungsgrunde nach auf empirische Gründe stützt, zwar eine praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heißen kann (GMS, IV, 389).
sich lediglich auf den Umfang der Geltung bezieht, nicht auf eine Differenzierung in das „Wohl“ und das „Gute“.
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Eine Vorschrift basiert auf der Struktur eines hypothetischen Imperativs. Sie legt fest, welche Mittel einzusetzen sind, damit ein Ziel erreicht werden kann. Im Gegensatz zum Sittengesetz haben Vorschriften trotz ihres prinzipiellen und objektiven Charakters einen eingeschränkteren Geltungsbereich. Sie erheben keinen unbedingten Anspruch, d. h., sie gelten nicht für alle vernünftigen Wesen und sie sind nicht rein vernünftig, sondern können empirisch-pragmatisch bestimmt sein: Die Imperativen selber aber, wenn sie bedingt sind, d. i. nicht den Willen schlechthin als Willen, sondern nur in Ansehung einer begehrten Wirkung bestimmen, d. i. hypothetische Imperativen sind, sind zwar praktische Vorschriften, aber keine Gesetze (KpV, V, 20).
Diesen Aspekt der sinnlichen Bedingtheit hebt Kant in seiner Erläuterung der Kategorie der Quantität hervor, wenn er schreibt, dass Vorschriften für „eine Gattung vernünftiger Wesen [gelten], so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen“ (KpV, V, 186). Diese Vorschriften sind nicht absolut praktisch, da sie rein pragmatischen Charakter haben:¹² Saget jemanden z. B., daß er in der Jugend arbeiten und sparen müsse, um im Alter nicht zu darben: so ist dieses eine richtige und zugleich wichtige praktische Vorschrift des Willens. Man sieht aber leicht, dass der Wille hier auf etwas anderes verwiesen werde, wovon man voraussetzt, dass er es begehre […] (KpV, V, 20).
Obwohl der Bestimmungsgrund der Vorschrift in der sinnlich-pragmatischen Natur des Menschen liegt, muss das Subjekt in diesem Zusammenhang trotzdem als frei gedacht werden. Die Vorschrift „ist jederzeit ein Produkt der Vernunft, weil sie Handlung, als Mittel zur Wirkung, als Absicht vorschreibt“ (KpV, V, 20). Eine Vorschrift ist hypothetisch, d. h., sie enthält nur „die Bedingungen der Kausalität des vernünftigen Wesens, als wirkender Ursache, bloß in Ansehung der Wirkung und Zulänglichkeit derselben“ (KpV, V, 20). Obwohl diesen Handlungen nicht der Begriff der Freiheit als Autonomie zugrunde liegt, hat das vernünftige Wesen „Kausalität“, und die Handlung ist trotz des möglichen Einflusses der Sinnlichkeit transzendental frei. Vorschriften als Modi der Kategorie der Quantität sind „Funktionen der Freiheit“ (vgl. XIX, 6854, 180), insofern sich das Subjekt noch stärker als in der frei gewählten Maxime (als subjektiver Willensmeinung) von den direkten Einflüssen
Im Kapitel von den „Grundsätzen“ (KpV, V, 19 ff.) benutzt und differenziert Kant an zahlreichen Stellen die Begriffe der Maxime, der Vorschrift und des Gesetzes, d. h., er wendet die in der Kategorientafel unter dem Moment der Quantität angeführten Kategorien auf die Bildung von Handlungen an. Schon von diesem Befund aus wird die These fraglich, die als praktische Kategorien spezifizierten Begriffe der Tafel fänden im Text keine Anwendung.
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der Sinnlichkeit emanzipiert, da Begehrungen nicht nur zu einer subjektiven Regel, sondern zu einem hypothetisch geltenden Imperativ verallgemeinert werden. In der Bildung einer Handlungsabsicht fallen all jene intrinsischen Urteile der Willensbildung unter die Kategorie der objektiven Vorschriften, die Geltung für vernünftige Wesen beanspruchen, insofern diese in gewissen Neigungen und einer damit verbundenen Einsicht der Zweck-Mittel-Relationen übereinstimmen. A priori objektive wie auch subjektive Prinzipien der Freiheit (Gesetze) Als drittes Moment der Willensbildung in quantitativer Perspektive gelangt Kant zum Begriff des „Gesetzes“. Im Gegensatz zu einer rein subjektiven Willensmeinung oder einer objektiven Vorschrift, welche lediglich auf Willkürfreiheit basieren, muss man einem Gesetz, das auf „Prinzipien der Freiheit“ beruht und „für alle [Subjekte], unangesehen ihrer Neigungen gilt“ (KpV,V, 67), die positive Freiheit als Autonomie zuschreiben. Wie Kant mehrfach hervorhebt, sind alle praktischen Kategorien auf Freiheit zurückzuführen, d. h. alle Kategorien sind als Modi von Freiheit aufzufassen. Im Falle der dritten Kategorie des Obertitels der „Quantität“ gelangt die Freiheit in Form von „a priori objektive[n] sowohl als subjektive[n] Prinzipien“ zu ihrer positiven Bestimmung, da der Begriff des Gesetzes „Allheit“ beanspruchen kann. Nicht nur einzelne oder eine Gruppe von Subjekten stehen unter dessen Geltungsanspruch, sondern alle vernünftigen Wesen überhaupt. Eine „objektive [Notwendigkeit] aus Gründen a priori“ bestimmt den Willen „noch ehe ich frage, ob ich gar das zu einer begehrten Wirkung erforderliche Vermögen habe“ (KpV, V, 20). Die Allgemeingültigkeit als höchste Stufe der quantitativen Bestimmung innerhalb der Willensbildung durch Kategorien koinzidiert hier mit einem a priori objektiven Prinzip der Freiheit, nämlich Freiheit als sittlicher Autonomie, der absolut praktischen Selbstbestimmung. Der Begriff eines a priori objektiven Prinzips der Freiheit bezieht sich auf die Bestimmung von Maximen durch das moralische Gesetz, die damit als vernünftig verallgemeinerbar gedacht werden müssen. Keinesfalls bezieht Kant sich durch seinen Begriff der „a priori objektive [n] sowohl als subjektiven Prinzipien der Freiheit“ auf die in den beiden vorangegangenen Kategorien thematisierten subjektiven Maximen und objektiven Prinzipien, was durch die Verwendung der jeweils gleichen Adjektive naheliegend erscheinen könnte.¹³ Der schon erläuterte Begriff des objektiven Prinzips der Bader (2009), 10, schreibt in seinen Erläuterungen zur dritten Kategorie des Obertitels der Quantität: „When we combine subjective and objective rules, we get laws which hold objectively for every subject“. Hierbei lässt er sich von dem Umstand leiten, dass die dritte der theoretischen Kategorien von Kant als eine Synthese der ersten beiden verstanden wird. Unabhängig von der
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Freiheit stellt vielmehr eine notwendige Bedingung dafür dar, dass eine Handlung als gute Handlung vorgestellt werden kann – ein Tun, das von allen vernünftigen Wesen als sittlich gut eingesehen werden muss. Jenes von Kant in der dritten Kategorie als „subjektive[s] Prinzip […]“ bezeichnete Moment stellt die hinreichende Bedingung dar: dass nämlich ein Subjekt nicht nur „pflichtgemäß“ handelt, sondern auch dem Anspruch, aus Pflicht zu handeln, gerecht wird. Das hier angeführte subjektive Prinzip ist die Achtung gegenüber dem Sittengesetz. Der intersubjektive Geltungsanspruch des kategorischen Imperativs wird „objektiv [durch] das Gesetz und subjektiv [durch] reine Achtung für dieses praktische Gesetz“ (GMS, IV, 400) bestimmt. Zur allgemeinen Verbindlichkeit des Sittengesetzes gehört nicht nur ein pflichtgemäßes Handeln, sondern vielmehr ein Handeln aus Pflicht. Die Handlung muss nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv gut sein, d. h. durch Achtung für das moralische Gesetz bestimmt. Trotz dieses Bezugs auf absolut praktische Aspekte der Willensbildung stellt auch die dritte Kategorie der Quantität noch keine genuin moralische Kategorie dar, da das moralische Gesetz hier nur perspektivisch hinsichtlich seines quantitativen Charakters, nämlich der Extension seiner Geltung, betrachtet wird, nicht jedoch in Bezug auf seinen nötigenden Charakters als kategorischer Imperativ.¹⁴ Erst die „Kategorien der Modalität [werden] den Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ (KpV, V, 67) einleiten. Qualität¹⁵ Praktische Regeln des Begehens (praeceptivae) In Kants Urteilstafel der ersten Kritik besteht der zweite Untertitel der Qualität im Begriff des bejahenden Urteils. Ein Beispiel für ein solches Urteil ist der Satz: „Der
Frage, ob dieser Zusammenhang aus der theoretischen Philosophie überhaupt auf die praktische übertragen werden kann, ist nicht nachvollziehbar, wie sich durch „Kombination“ von subjektiven Maximen und solchen, die eine hypothetische Zweck-Mittel-Relation enthalten, Maximen ergeben sollen, die dem Anspruch des Sittengesetzes entsprechen. Vgl. dazu Benton (1980), 187, Bobzien (1988), 211. Eine hierzu konträre Einschätzung vertritt Bader (2009), 10. Bei den Kategorien der Qualität handelt es sich um diejenigen Elemente der Kategorientafel, zu denen ein Großteil der Interpreten den geringsten Zugang gefunden hat. Graband (2005) widmet ihnen aufgrund mangelnder terminologischer Parallelstellen in anderen Werken Kants gerade eine Drittelseite, Beck (1985) handelt sie in wenigen Sätzen ab und Bader (2009) versteigt sich zu einer abwegigen Darstellung, indem er in einer recht aufwendigen Interpretation die dritte Kategorie der Qualität als genuin „moralische Kategorie“ dadurch auszeichnen will, dass er die hier thematisierte „Ausnahme“ als eine Ausnahme von den praktisch-pragmatischen Regeln des Subjekts deutet, mit denen dieses hauptsächlich zu tun habe. Das Sittengesetz als
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Baum ist grün“. Dieser Satz drückt bezüglich des Subjektes Baum einen positiven Inhalt aus, nämlich, dass er „grün“ ist. In der zweiten Kategorie des Obertitels der „Qualität“ in der ersten Kritik ist dieses Urteil in den Begriff der „Realität“ umgeformt worden und bezeichnet hier einen möglichen ontologischen Status des durch die Synthese des Mannigfaltigen generierten „Gegenstandes“. In der Tafel der Kategorien der Freiheit bildet schließlich die „[p]raktische Regel des Begehens“ die erste Kategorie des Obertitels „Qualität“. Der Ausdruck „praktische Regeln des Begehens“ mutet auf den ersten Blick so an, als müsste er unter dem Titel „Quantität“ subsumiert werden, da Kant hier Maximen, Vorschriften und Gesetze hinsichtlich des Umfanges ihrer Geltung vorgestellt hatte. Man könnte in diesem Sinne fragen, ob nicht auch eine Maxime eine Art Regel sei. Trotz dieser scheinbaren Ähnlichkeit des Begriffs der „Regel“ mit den als Kategorien der Quantität klassifizierten Begriffen wird ersterer hier im Hinblick auf einen gänzlich anderen Kontext verwendet, nämlich als ein rein qualitatives Moment der Urteilsbildung des Willens. Den Begriff des „Praktischen“ verwendet Kant in Bezug auf das Handeln sowohl in genuin moralischen Kontexten als auch im Zusammenhang mit bloß hypothetisch-pragmatisch orientierten Handlungen. Er lässt sich somit auf beide Bereiche anwenden. Eine Untersuchung des Begriffs der Regel überhaupt ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich, da Kant ihn selbst in gleichen Gegenstandsbereichen seiner Philosophie in unterschiedlichen Bedeutungen benutzt. Auch die lateinische Erläuterung „praeceptivae“, die man mit dem Begriff „Gebot“ übersetzen kann, trägt wenig Spezifisches zu einer möglichen Bedeutung der ersten Kategorie der Qualität bei, da auch dieser Begriff im genuin moralischen Handlungskontext ebenso Gebrauch findet wie im moralisch unbestimmten. Führt man einmal das Gedankenexperiment durch, diesem mehrdeutigen Befund eine systematische Absicht zuzuschreiben, ergibt sich eine einleuchtende Bedeutung der unspezifisch gehaltenen Kategorie der „[p]raktischen Regeln des Begehens“: Ähnlich wie man in der Urteilstafel und in der Kategorientafel der ersten Kritik unter dem ersten Moment der Qualität das „bejahende“ Urteil und die Kategorie der Realität findet, drückt die opak gehaltene praktische Regel des Begehens allgemein den positiven Aspekt des „Tuns“ in Kontrast zum „Unterlassen“ aus. Sowohl der Begriff des Praktischen, der Regel, als auch der des Gebots ist durchlässig für eine perspektivische Bedeutung, sodass mit der Regel des Begehens der Vollzug einer Handlung nach einer Regel überhaupt, sei diese nun moralisch oder moralisch noch unbestimmt, bezeichnet ist. Es kann sich bei dem durch diese Kategorie Ausgedrückten also um persönliche
anspruchsvollstes Prinzip der Handlung wird damit zu einer Art „Sonderfall“ der Handlungsbestimmung.
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Regeln, um pragmatisch-hypothetische oder gar moralische Gebote handeln. Auch diese Kategorie lässt sich dabei, wie die vorangestellten Kategorien der Qualität, als Modus von Freiheit auffassen, da jegliches Handeln gemäß einer Regel, sei diese nun moralisch oder nicht, als in transzendentaler Freiheit gegründet begriffen werden muss. Praktische Regeln des Unterlassens (prohibitivae) Angesichts der weiten und perspektivischen Bedeutung der Kategorie der praktischen Regeln des Unterlassens darf hinsichtlich der zweiten Kategorie der Qualität dieselbe Funktion unterstellt werden: Auch die Kategorie „Praktische Regeln des Unterlassens“ ist nicht auf die Generierung bzw. Nichtgenerierung von Handlungen nach rein moralischen Regeln beschränkt, sondern bezieht sich ebenfalls auf das gesamte Spektrum von Willensurteilen und daraus resultierenden Handlungen. Gelegentlich taucht bei Kant das Begriffspaar des „Thuns oder Unterlassens“ auf, was sowohl in Bezug auf die moralische Pflicht als auch im rein rechtlichen Kontext auftritt (vgl. XIX, 213, XIX, 253, XXIII, 220, XXIII, 298). Zeigt die erste Kategorie der Qualität das noch näher zu spezifizierende Faktum einer Willensbildung und damit das mögliche Begehen überhaupt an, drückt die zweite Kategorie einen Nichtvollzug aus. Dies kann der Nichtvollzug einer Handlung sein, die rein pragmatisch durch eine bestimmte Regel nicht geboten ist, weil sie beispielsweise rein technisch dem gewünschten Ziel zuwiderläuft oder aber, weil sie moralisch verboten ist. Selbst das Böse kann als etwas gedacht werden, das gemäß einer praktischen Regel im relativen Sinn nicht geboten oder sogar im moralischen verboten ist: „Gutes thun und Böses unterlassen […] ist beydes moralisch gut, also in der moralität ganz einerley; wir könen uns also die Unterlassungen des gegentheils wie Handlungen ansehn“ (XIX, 252). Eine Willensbildung, die durch die Momente der ersten Kategoriengruppe beispielsweise schon so weit quantitativ spezifiziert ist, dass die daraus entstehende Handlung z. B. einem intersubjektiven Gesetzescharakter folgt, wird dann durch die Kategoriengruppe des zweiten Obertitels auch unter einem qualitativen Ordnungsmoment bestimmbar, indem sie als eine Handlungsabsicht beurteilt wird, die formal einer „praktischen Regel des Begehens“ – in diesem Fall dem kategorischen Imperativ – folgt. Gleiches gilt dann auch für die „praktischen Regeln des Unterlassens“. Sowohl die Handlungsabsichten des Willens, die einer technisch-pragmatischen Regel widersprächen, als auch diejenigen, welche dem kategorischen Imperativ als einer apodiktisch geltenden, praktischen Regel zuwiderliefen, sind in der Perspektive ihres Unterlassens als transzendental freie Vollzüge zu denken.
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Praktische Regeln der Ausnahmen (exceptivae) In der dritten Kategorie der Qualität steht ein Aspekt der Willenskonstitution im Mittelpunkt, der später als letztes Moment der Modalität für den von Kant angekündigten Übergang von den bloß praktischen Prinzipien zu denen der Sittlichkeit relevant werden wird und hier unter den praktischen Regeln der Ausnahmen behandelt wird. Hält man sich an die aus den beiden vorangegangenen Kategorien der Qualität bereits bekannte weite Bedeutung sowohl des Praktischen als auch der Regel, so hat man unter dieser Kategorie die willentliche Konstitution einer solchen Handlung zu verstehen, die gemäß der Regel, die Ausnahme einer anderen praktischen Regel zuzulassen, vollzogen wird. Dies wäre im Bereich der pragmatischen Regeln beispielsweise eine solche, die innerhalb eines eingeübten und durch praktische Regeln bestimmten Handlungsablaufs diejenigen Fälle reguliert, in denen – durch bestimmte Umstände bedingt – eine Ausnahme von der sonstigen Regel gemacht werden muss. So wäre der Einsatz von staatlicher Gewalt auf einer zunächst friedlichen Demonstration eine Ausnahmeregelung, die für den beteiligten Polizisten aufgrund der Umstände – beispielsweise einer akuten Bedrohung seines Lebens – notwendig werden könnte, während die praktische Regel normalerweise festlegt, keine Gewalt anzuwenden. Dieses Beispiel wäre auf viele Bereiche, in denen technisch-pragmatische Handlungen im Mittelpunkt stehen, übertragbar. Könnte man mit einigen verstreuten Zitaten, vornehmlich aus dem frühen Werk Kants, noch dafür argumentieren, dass es zwar den Fall der praktischen Ausnahme von den Regeln gäbe, da „keine regel ohne exception“ sei, nicht jedoch von den (moralischen) Gesetzen (vgl. XVIII, 128), so darf man seit den reifen Schriften zur Moralphilosophie, spätestens aber seit der „Metaphysik der Sitten“, davon ausgehen, dass Kant auch im Bereich des aus reiner praktischer Vernunft Begriffenen Regeln der praktischen Vernunft, besser gesagt: genuin moralische Ausnahmen gelten lässt. In der Anwendungsschrift zur Moral aus dem Jahr 1798 hebt Kant die „weite Verbindlichkeit“ (MS, VI, 390) der Tugendpflichten hervor, indem er von einem „Spielraum“ (vgl. MS VI, 390, 411, 446) bei der Anwendung sittlicher Maximen auf Handlungen ausgeht: [D]enn wenn das Gesetz nur die Maxime der Handlungen, nicht die Handlungen selbst gebieten kann, so ists ein Zeichen, daß es der Befolgung (Observanz) einen Spielraum (latitudo) für die freie Willkür überlasse, d. i. nicht bestimmt angeben könne, wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle (MS VI, 390).
Das, was das Sittengesetz in einem ersten Zugriff abstrakt kategorisch gebietet, muss im Hinblick auf die tatsächliche Handlung als konkretem Einzelfall durch die praktische Urteilskraft im Rahmen eines Spielraums reflektiert werden, d. h.,
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die spezifische Anwendung der Maxime auf die Handlung ergibt sich durch eine Reflexion der Urteilskraft. Denkbar sind damit auch solche Fälle, bei denen eine dem Sittengesetz entsprechende Maxime, beispielsweise sich selbst nicht das Leben zu nehmen, durch Anwendung auf eine einzelne Handlung bzw. Handlungsabsicht differenziert bzw. korrigiert werden muss, da sich innerhalb des Spielraums, über den die „praktische Urteilskraft“ als Ermessensbereich verfügt, Überlegungen ergeben, die eine Ausnahme statthaft erscheinen lassen. Kant selbst spricht an einigen Stellen explizit von solchem „Raum zu Außnahmen (latitudinem)“ (MS, VI, 233). Die praktischen Regeln der Ausnahmen erlauben damit neben der aufgezeigten allgemein praktischen Bedeutung im praktisch-pragmatischen Kontext auch eine genuin moralische Verwendungsweise: Sie beziehen sich auf den der Urteilskraft überlassenen moralischen Ermessensspielraum innerhalb der Tugendpflichten und umfassen damit das gesamte Spektrum menschlichen Handelns. In ihrer noch unbestimmten und moralischen Bedeutung bilden die hier geltend gemachten Regeln jeweils einen möglichen Aspekt der Willenskonstitution ab. Der Wille qualifiziert die Handlungsabsicht unter dem Aspekt eines Regelvollzugs, indem er reflektiert bzw. beurteilt, ob dieselbe positiv unter einer Regel des Begehens, des Unterlassens oder gar unter einer Regel der Ausnahme steht. Damit findet auch in dieser Kategorie noch kein „Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ statt – wie man es aufgrund der perspektivischen und damit auch moralischen Verwendungsmöglichkeit der Kategorie dem ersten Augenschein nach hätte annehmen können. Die Relation Auf die Persönlichkeit Der Begriff der „Persönlichkeit“ ist in den unterschiedlichen Kontexten, in denen er in Kants Werk Verwendung findet, von konstanter inhaltlicher Bedeutung. Er drückt den Status des Menschen als intelligiblem Selbstgesetzgeber aus. Wie durch eine Betrachtung der zweiten Kategorie später noch deutlich gemacht werden kann, muss der Begriff der Persönlichkeit von dem der „Person“ abgegrenzt werden¹⁶: Persönlichkeit geht nicht in der bloßen Fähigkeit der Selbstbestimmung und Zurechnungsfähigkeit auf, wie der Begriff der Person, sondern bestimmt den Menschen als ein Wesen, das sich selbst sittliche Handlungsgesetze auferlegt und dabei auch auf die Idee der sittlichen Verfasstheit der Menschheit
Vgl. hierzu Graband (2005), 57 ff.
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überhaupt reflektiert, d. h. in der moralischen Selbstbestimmung Bezug nimmt auf ein „Reich der Zwecke“. Der Mensch ist in diesem Begriff angesprochen als eine „Intelligenz“, die in ihrer „Persönlichkeit in welcher das moralische Gesetz […] [besteht] ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart“ (KpV,V, 162). Der Begriff der Person bezeichnet den Menschen als ein erst noch von der Persönlichkeit zu bestimmendes Wesen: Die „freye Willkür der Person steht selbst unter der Idee ihrer Persönlichkeit, wonach sie in Handlungen die auf sie selbst gehen durch sich selbst genöthigt wird“ (XXIII, 319). Diese Selbstgesetzgebung bringt Kant an anderer Stelle auf den Punkt, wenn er schreibt, der „categorische Imperativ [sei] das Subjekt der Persönlichkeit“ (XXI, 99). Der Mensch bezieht also bei der Bildung eines Willens die im Entstehen begriffene bzw. zu beurteilende Maxime auf das Bewusstsein des moralischen Gesetzes, d. h. das Faktum der Vernunft. Hierin eingeschlossen ist auch der im dritten Moment der Quantität angesprochene „subjektive Aspekt“, nämlich das Gefühl der Achtung vor dem Sittengesetz: Die Anlage für die Persönlichkeit ist die Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür. […] Die Idee des moralischen Gesetzes allein mit der davon unzertrennlichen Achtung kann man nicht füglich eine Anlage für die Persönlichkeit nennen; sie ist die Persönlichkeit selbst (die Idee der Menschheit ganz intelectuell betrachtet (REL, VI, 27 f.).
Die Konstitution des Willens wird anhand der Kategorie „Auf die Persönlichkeit“ auf ein außerhalb der Maxime liegendes Moment bezogen, nämlich auf den Status des Menschen als Wesen einer Selbstgesetzgebung. Eine Deutung des ersten Moments der praktischen Kategorie der Relation „Auf die Persönlichkeit“ erhärtet somit im Hinblick auf Kants Begriff von Selbsttätigkeit und Autonomie die These, dass wir es an dieser Stelle mit dem Aspekt der faktischen Selbstbestimmung des Subjekts zu tun haben. Diese resultiert in einem selbst gegebenen Imperativ, welcher kategorisch gilt.Wieder könnte man an dieser Stelle Kants eigene Bestimmung infrage stellen, dass der „Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ erst mit der Modalitätskategorie eingeleitet werde, da der „Inhalt“ dieser Kategorie doch ein „moralischer“ zu sein scheint. In diesem Fall zeigt die hier vorgestellte Relationskategorie aber nur rein formal den möglichen Bezug der bis zu diesem Punkt gebildeten Willensabsicht auf den Begriff der Persönlichkeit an. In diesem relationalen Verhältnis geht es nicht per se um die moralische Bestimmung der zu bildenden Maxime, d. h., die hier eingenommene Perspektive ist nicht durch die Option der Bestimmung oder Nichtbestimmung durch das moralische Gesetz bestimmt, sondern zeigt nur allgemein diese Perspektive als eine mögliche an: Betrachtet
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man die Willensbildung unter einem relationalen Gesichtspunkt, so ergibt sich eine mögliche Relation zwischen dem Willen in seiner Qualität als empirischintelligibel und der rein intelligiblen Verfassung der Persönlichkeit. Genauso wie im dritten Moment der Quantität das Prinzip eines a priori objektiven wie auch subjektiven Prinzips der Freiheit rein quantitativ betrachtet wurde, steht bei der praktischen Kategorie, welche „[a]uf die Persönlichkeit“ geht, allein die mögliche Bestimmung eines relationalen Moments im Mittelpunkt. Es geht dabei nicht um die Frage, ob dieses Moment nur praktisch oder absolut praktisch ist. Erst im Pflichtbegriff der dritten Kategorie der Modalität wird eine apodiktische Bestimmung durch das Sittengesetz thematisch. Auf den Zustand der Person Wie bereits in der Interpretation der ersten Relationskategorie hervorgehoben wurde, hängt zwar der Begriff der Person mit dem der Persönlichkeit zusammen, geht aber nicht in diesem auf. Zwar existieren bei Kant Passagen, die eine Äquivalenz dieser Begriffe nahelegen, jedoch drückt „Person“ streng genommen nur den Status des Menschen als eines mit Selbstbewusstsein ausgestatteten Wesens aus: Daß der Mensch in der Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person […] (Anthr., VII, 127).
Wie schon im Zusammenhang mit der vorangegangenen Kategorie der Relation herausgearbeitet wurde, bezeichnet der Begriff der Person damit das Subjekt im Status von Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, ohne dass dies schon eine moralisch autonome Selbstgesetzgebung einschließt. Die „Person“ bezeichnet ein Wesen, das potentiell Träger von „Persönlichkeit“ sein kann und spricht damit den empirisch-intelligiblen Doppelcharakter desselben an: Es ist nichts anders als die Persönlichkeit, d. i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört (KpV, V, 87).
Der Ausdruck „Zustand der Person“ bezieht sich damit auf die Verfassung des Menschen als eines empirisch bedingten, dennoch transzendental freien Wesens, welchem aufgrund seines empirischen Charakters potentiell die Eigenschaft, Persönlichkeit zu sein, zukommt. Auch dieser Kategorie muss damit eine ent-
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sprechend weite Bedeutung¹⁷ zugestanden werden. Dies kongruiert mit der Verwendungsweise des Begriffs vom „Zustand“ des Subjekts oder der Person, welcher sich bei Kant sowohl auf die empirische Verfassung, d. h. das Glück oder Unglück (vgl. V, 12, V, 60, VIII, 282), als auch auf die intelligible, d. h. die moralische, Verfassung bezieht (vgl.V, 84,VI, 42,VI, 57,VI, 184). Hierbei ist sowohl die intrinsische Relation im Subjekt, d. h. ein möglicher Effekt der Willensbildung auf den eigenen Zustand, eingeschlossen als auch die Relation auf den Zustand einer anderen Person in ihrem empirischen Charakter und in ihrer Potenz als Persönlichkeit angedeutet. Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen Trägt man Kants Personen- bzw. Persönlichkeitsbegriff systematisch Rechnung, so ergibt sich daraus für die dritte Kategorie der Relation ein allgemein praktischer sowie ein absolut praktischer Blickwinkel. Während die Kategorie „Auf den Zustand der Person“ den Aspekt eines Selbstverhältnisses anzeigt, indem hier das Subjekt der Willensbildung – der Mensch als transzendental freies, aber dennoch empirisch bedingtes Wesen – hinsichtlich des Zustandes betrachtet wird, der sich aus der Relation zwischen ebendiesem Person-Sein und dem Gehalt der Willensabsicht ergibt, so thematisiert die hier in den Blick genommene Kategorie das relationale Verhältnis zwischen unterschiedlichen Personen in ihrem physischen Zustand und im Hinblick auf ihre potentielle Persönlichkeit, d. h. auch auf einen „moralischen Zustand“ hin. Eine Person bezieht die mögliche Wirkung, die eine Handlung auf den physischen Zustand eines Menschen haben kann, in die Bildung ihrer Handlungsabsichten ein. Der jeweilige Zustand der einen Person steht damit in „Wechselwirkung“ zu dem Zustand der anderen. Diese gegenseitige Beeinflussung der Willensbildung kann praktischen oder absolut praktischen Charakter haben. Ein Mensch kann beispielsweise seine bereits gefasste Handlungsabsicht revidieren, weil der physische Zustand einer anderen Person ihm dazu Anlass gibt, ohne dass es sich hierbei schon um eine moralische Entscheidung handeln muss. Da die „Person“ – aus intelligibler Perspektive betrachtet – das Potential, Persönlichkeit zu sein, beinhaltet, muss sich die hier angesprochene „Wechselwirkung“ auch auf die Wechselwirkung dieser Potentialität, nämlich auf das Verhältnis zwischen Persönlichkeiten beziehen lassen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Betrachtung des Begriffs „Wechselwirkung“, der bei Kant im Kontext der Beck (1985), 146, ist an dieser Stelle Kants Intention nahe, indem er feststellt, dass der Begriff des Zustandes mehrere Bedeutungsvarianten zulässt. Anstatt dies aber als Element dieser Kategorie stark zu machen, sieht er darin ein erhebliches Interpretationsproblem und schlägt drei alternative Deutungsvarianten vor. Vgl. auch Graband (2005), 59.
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theoretischen (vgl. KrV, III, 181) und der praktischen Philosophie (vgl. MS,VI, 312), vor allem aber in der Rechtsphilosophie (vgl. MS,VI, 352) auftritt und den er häufig zu dem Begriff der „Gemeinschaft“ synonym setzt (vgl. KrV, IV, 66). Im Kontext seiner Reflexionen zur Rechtsphilosophie spricht Kant sogar explizit von der „Categorie der Gemeinschaft in der Wechselwirkung“ (XXIII, 238). Die Struktur dieser Kategorie der Gemeinschaft, die durch eine „Wechselwirkung“ ihrer Mitglieder ausgezeichnet ist, kann damit auch der dritten Relationskategorie der Freiheit unterstellt werden, da Kant hier die wechselseitigen Wirkungen von Personen in ihrer Personalität hervorhebt. Diese Interpretation erhärtet sich zudem durch den Umstand, dass auch die dritte Kategorie der Relation der KrV den Begriff der Gemeinschaft enthält, welche durch die dann folgende Klammer als „Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden“ erläutert wird. Obwohl sich Kant in diesem Zusammenhang auf einen Akt der Erkenntnis bezieht, ist sowohl die Kongruenz der Begriffe als auch die hier schon praktisch gefärbte Terminologie aufschlussreich. Mit gutem Grund darf man daher annehmen, dass die praktische Kategorie der „[w]echselseitig[en] [Wirkung] einer Person auf den Zustand der anderen“ das Wechselverhältnis von Personen in ihrer potentiellen Persönlichkeit, d. h. als Zwecke in einer moralischen Gemeinschaft, einem „Reich der Zwecke“ (GMS, IV, 438), ausdrückt. Dieser Ausdruck aus der GMS kann den Aspekt einer wechselseitigen Bedingung von Personen, d. h. die moralische Wechselwirkung, verdeutlichen: Nun ist auf solche Weise eine Welt vernünftiger Wesen (mundus intelligibilis) ein Reich der Zwecke und zwar durch die eigene Gesetzgebung aller Personen als Glieder. Demnach muß ein jedes vernünftiges Wesen so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reich der Zwecke wäre (GMS, IV, 438).
Der Wille des Subjekts, der sich ein allgemeines Gesetz selbst auferlegt, tritt dabei nicht nur in ein Selbstverhältnis, indem er dies als Person auf seinen eigenen empirischen Charakter bezieht, sondern wird hierdurch auch in eine Relation zu anderen Personen in ihrer Persönlichkeit gerückt. Die Willensbildung wird „unter dem Gesichtspunkte, sich selbst und seine Handlungen zu beurteilen“, auf einen diesem Vorgang „anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke“ (GMS, IV, 433) verwiesen. Im Hinblick auf die Willensbildung drückt die dritte Kategorie der Relation zweierlei aus. Zum einen gibt sie ganz allgemein eine mögliche Wirkung von Personen auf die Willensbildung anderer Personen an, zum anderen bezeichnet sie ein relationales Moment, das Effekt der sittlichen Autonomie ist, nämlich den Gedanken, Glied einer Gemeinschaft von sich selbst bestimmenden Wesen und damit von Selbstzwecken zu sein.
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Modalität Das Erlaubte und Unerlaubte Betrachtet man Kants Erläuterungen zur Kategorie der Modalität in der Fußnote der „Vorrede“, so meint man darin auf den ersten Blick eine Interpretationshilfe zu sehen. Auf den zweiten Blick enthalten aber auch diese Erklärungen nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten. Zunächst überrascht Kants Parallelisierung der Kategorie „Das Erlaubte und Unerlaubte“ mit der Kategorie „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“. Dies wirkt auf den ersten Blick vor allem deshalb verwirrend, weil Pflicht ja nicht das Erlaubte, sondern das Gesollte bezeichnet. Kant selbst gibt zu einer solchen Identifizierung auch an anderen Stellen seiner reifen Moralphilosophie Anlass. So schreibt er z. B. in der GMS: „Die Handlung, die mit der Autonomie des Willens zusammen bestehen kann, ist erlaubt; die nicht damit stimmen kann ist unerlaubt“ (GMS, IV, 433). Und in der „Metaphysik der Sitten“ hebt er den Unterschied zwischen Handlungen, die „erlaubt oder unerlaubt, d. h. moralisch möglich oder unmöglich“ (GMS, IV, 433) sind, hervor. Unabhängig von der Auswertung dieser Textbefunde stellt das „Erlaubte und Unerlaubte“ in der „Vorrede“ – und dann auch in der Kategorientafel – eine moralische Kategorie dar, kongruiert aber offensichtlich nicht mit dem genuin moralischen Pflichtbegriff. In der angesprochenen Fußnote macht Kant dann auch explizit deutlich, dass die Kategorie des „Erlaubten und Unerlaubten“ in der Tafel der praktischen Kategorien nicht mit dem strengen Pflichtbegriff reiner Sittlichkeit verwechselt werden darf: [I]n der Tafel der Kategorien der praktischen Vernunft, [hat] in dem Titel der Modalität, das Erlaubte und Unerlaubte (praktisch-objektiv Mögliche und Unmögliche) mit der nächstfolgenden Kategorie der Pflicht und des Pflichtwidrigen im gemeinen Sprachgebrauche beinahe einerlei Sinn; hier aber soll das erstere dasjenige bedeuten, was mit einer bloß möglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist (wie etwa alle Probleme der Geometrie und Mechanik), das zweite, was in solcher Beziehung auf ein überhaupt in der Vernunft wirklich liegendes Gesetz steht. […] So ist es z. B. einem Redner, als solchem, unerlaubt, neue Worte oder Wortfügungen zu schmieden; dem Dichter ist es in gewissen Maße erlaubt; in keinem von beiden wird hier an Pflicht gedacht. Denn wer sich um den Ruf eines Redners bringen will, dem kann es niemand wehren. Es ist hier nur um den Unterschied der Imperativen, unter problematischem, assertorischem und apodiktischem Bestimmungsgrunde, zu tun (KpV, V, 11).
So problematisch sich diese Passage für die Interpretation der zweiten Kategorie der Modalität ausnehmen wird, so hilfreich ist sie für ein Verständnis des ersten Moments: Das Erlaubte und das Unerlaubte sind keine moralischen Bestimmungen, sondern nur das, was „mit einer bloß möglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist“. Dass es einem Redner nicht erlaubt ist, neue
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Worte zu bilden, stellt lediglich eine Vorschrift dar, die individuell für diesen Berufsstand gilt. Sie ist damit eine willkürliche und in keinem pragmatischen oder moralischen Sinne zwingende Setzung: Wer sich nicht um seinen Ruf als Redner bringen will, der sollte sich an diese berufsspezifische Regel halten. Hier wird aber nicht „an Pflicht gedacht“. Wir haben es an dieser Stelle nur mit einem „problematischen“ Imperativ zu tun, d. h. einem solchen, der bloß eine Möglichkeit ausdrückt, jedoch keine Wirklichkeit oder Notwendigkeit enthält.¹⁸ Die Pflicht und das Pflichtwidrige Folgt man Kants in der bereits zitierten Fußnote getroffenen Differenzierung in problematische, assertorische und apodiktische Imperative, so hätte man es bei der zweiten Kategorie der Modalität mit einem Moment zu tun, das einen assertorischen Bestimmungsgrund enthält.¹⁹ Im Gegensatz zum problematischen Imperativ, bei dem die in diesem enthaltene Absicht bloß möglich ist, ist sie bei einem
Wie Bader in seinem Aufsatz mit Bezug auf die Metaphysiknachschrift von Pölitz zu Recht hervorhebt (Bader (2009), 815) haben wir es an dieser Stelle mit einer „Necessitatio problematica“ zu tun. Zum Begriff des problematischen Urteils im Verhältnis zum assertorischen und apodiktischen vgl. XVI, 637, IX, 108, VIII, 193, V, 397. In der GMS findet sich ein Abgleich der hier vorgenommenen Einteilungen mit dem hypothetischen und kategorischen Imperativ: „Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen die praktische Nothwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objectiv=nothwendig vorstellte. Weil jedes praktische Gesetz eine mögliche Handlung als gut und darum für ein durch Vernunft praktisch bestimmbares Subject als nothwendig vorstellt, so sind alle Imperativen Formeln der Bestimmung der Handlung, die nach dem Princip eines in irgend einer Art guten Willens nothwendig ist. Wenn nun die Handlung bloß wozu anders als Mittel gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch; wird sie als an sich gut vorgestellt, mithin als nothwendig in einem an sich der Vernunft gemäßen Willen, als Princip desselben, so ist er kategorisch. Der Imperativ sagt also, welche durch mich mögliche Handlung gut wäre, und stellt die praktische Regel in Verhältniß auf einen Willen vor, der darum nicht sofort eine Handlung thut, weil sie gut ist, theils weil das Subject nicht immer weiß, daß sie gut sei, theils weil, wenn es dieses auch wüßte, die Maximen desselben doch den objectiven Principien einer praktischen Vernunft zuwider sein könnten. Der hypothetische Imperativ sagt also nur, daß die Handlung zu irgend einer möglichen oder wirklichen Absicht gut sei. Im erstern Falle ist er ein problematisch=, im zweiten ein assertorisch=praktisches Princip. Der kategorische Imperativ, der die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d. i. auch ohne irgend einen andern Zweck, für sich als objectiv nothwendig erklärt, gilt als ein apodiktisch=praktisches Princip“ (GMS, IV, 414– 415). Zur Diskussion der Verhältnisbestimmung zwischen problematischem, assertorischem und apodiktischem Imperativ vor der Unterscheidung zwischen hypothetischem und kategorischem Imperativ vgl. Patzig (1994), 222 ff.
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assertorischen Imperativ wirklich. Beck konstatiert an dieser Stelle ein unauflösbares Interpretationsproblem: Wenn man in Bezug auf die zweite Modalitätskategorie von einem assertorischen Imperativ ausgeht, hat der Begriff der Pflicht bzw. Pflichtwidrigkeit hier eher die Bedeutung eines Sachzwanges oder einer institutionellen Auflage, was der engeren Bedeutung des Pflichtbegriffs bei Kant entgegenstände (vgl. Beck (1985), 147 f.). Des Weiteren macht Beck geltend, dass die Formulierung in der bereits zitierten Fußnote, nämlich der Begriff von Pflicht und Pflichtwidrigkeit, sich auf ein „überhaupt in der Vernunft liegendes Gesetz“ beziehe, womit das Sittengesetz als ein Gesetz der Vernunft gemeint sei. Betrachtet man Kants Verwendung des Begriffs der Pflicht in den verschiedenen Schriften zur Moralphilosophie, so scheint die „Beweislast“ in der Tat „erdrückend“: Der Pflichtbegriff bezieht sich nahezu durchgängig auf moralische Verbindlichkeit, geht aber anscheinend in dieser Bedeutung nicht auf: Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit, und es kann einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können (MS, VI, 222).
Obwohl der Begriff der Pflicht dem ersten Eindruck nach bei Kant nur einen moralischen Bedeutungsinhalt hat, machen diese und andere Textpassagen deutlich, dass er in mehreren Bedeutungsvarianten verwendet wird. Die in der zweiten Kategorie der Modalität angesprochene Pflicht bzw. Pflichtwidrigkeit lässt sich auf die Handlung, „zu der jemand verbunden ist“, beziehen, ja sie „ist die Materie der Verbindlichkeit“. Angesprochen sind damit alle Lebensbereiche, in denen Menschen aufgrund ihrer Stellung oder der Umstände unter einer Nötigung stehen, die ihnen etwas nicht nur möglicherweise, sondern wirklich gebietet. Man könnte sagen, dass in der Kategorie der (allgemein praktischen) Pflichten (und ihres Gegenteils) schon eine Struktur enthalten ist, die trotz grundsätzlicher Differenz auch für moralische Pflichten gilt: Auch die wirkliche, aber nicht genuin moralische Verpflichtung enthält ein normatives Moment – dass wir nämlich etwas (je Spezifisches unter den gegebenen Umständen) wirklich sollen, ohne dass dabei schon an den vollen Begriff von Normativität, die Freiheit als Autonomie, gedacht werden müsste. Diese allgemein praktische Bedeutung des Pflichtbegriffs deckt sich genau besehen auch mit der Formulierung Kants, welche Beck zur Stützung der These, wir hätten es an dieser Stelle schon mit genuin moralischen Pflichten zu tun, heranzieht. Kant schreibt nämlich, dass wir es bei dem Begriffspaar Pflicht und Pflichtwidriges mit etwas zu tun haben, „was in solcher Beziehung auf ein überhaupt in der Vernunft wirklich liegendes Gesetz steht“. Er bezieht sich hier
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zurück auf den problematischen Status des Imperativs, der in dem oben erwähnten Beispiel dem Verhalten eines Redners zugrunde liegen kann. Kants Formulierung „in solcher Beziehung“ zeigt die Relativität des Bezugs an, die für das Erlaubte und Unerlaubte ebenso gilt wie für die „Pflicht und das Pflichtwidrige“: Dass es einem Redner nicht erlaubt ist, neue Worte zu erfinden, stellt eine eher willkürliche Regelung dar, die berufsspezifisch Geltung haben mag, aber nicht als eine moralische Pflicht bezeichnet werden kann. Der Imperativ, der das Verhalten des Redners regelt, ist damit lediglich problematisch, nicht jedoch assertorisch oder apodiktisch, da noch nicht einmal sicher ist, ob der Redner die Realitäten seines Berufsstandes tatsächlich anerkennt. Die Pflicht dieses Redners beispielsweise, seinen rechtsstaatlichen Verpflichtungen nachzukommen, ist hingegen Pflicht im Sinne der zweiten Kategorie der Moralität,²⁰ also Rechtspflicht. Sie ist nicht nur möglich, sondern steht in Beziehung zu einem in der „Vernunft wirklich liegende[n] Gesetz“. Der Begriff der Pflicht ist dabei, wie schon angesprochen, nicht auf die Rechtspflichten beschränkt, sondern kann in allen Wirklichkeitsbereichen in Anschlag gebracht werden, in denen Menschen spezifisch und quasi prämoralisch unter einem begründbaren Sollen stehen. Diese Kategorie ist damit nicht nur ein weiteres Beispiel für Kants begrifflichen Perspektivismus, sondern macht auch die Aussage verständlich, dass die „Kategorien der Modalität den Übergang von den praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ einleiten. Diesen „Übergang“ sehen nahezu alle Interpreten allein im moralischen Status der dritten Kategorie. Man kann ihn aber auch auf die beiden vorangegangenen Kategorien der Modalität ausweiten. Genau genommen spricht Kant auch nicht davon, dass der Übergang innerhalb der Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten stattfindet, sondern innerhalb der praktischen Modalitätskategorien überhaupt: Auch wenn erst die Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten genuin moralische Bestimmungen enthält, kann dieser Übergang dennoch in einem bestimmten Aspekt der beiden Modalitätskategorien begründet und bereits für ebendiese geltend gemacht werden. Sie bilden die Schnittstelle, an der das Handlungssubjekt mit Sollensansprüchen überhaupt konfrontiert wird, die dann über ihren problematischen und wirklichen Charakter schließlich im apodiktischen Anspruch des Sittengesetzes ihre höchste Ausprägung finden. Dieser „Übergang“ ist „problematisch“, weil trotz der didaktischen Qualität dieses Aufstiegs – in der Verbindlichkeit eines Sollensanspruchs von bloß problematischen Imperativen zu solchen assertorischen
Sie ist in anderer Perspektive auch wieder moralische Plicht, denn dem Recht zu gehorchen, ist Pflicht.
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Charakters – der absolut notwendige Charakter eines apodiktischen Gesetzes erst mit der faktischen Einsicht in die Nötigung durch das Sittengesetz tatsächlich einsichtig gemacht werden kann. Vollkommene und unvollkommene Pflichten In der ausführlich zitierten Fußnote der „Vorrede“ gesteht Kant der zweiten Modalitätskategorie der Pflicht und des Pflichtwidrigen lediglich einen Imperativ assertorischen Charakters, d. h. keine absolute Notwendigkeit, zu. An dieser Stelle vollzieht sich – wie schon in der Kategorie des Erlaubten und Unerlaubten – der mögliche Übergang zu einem apodiktischen Sollensanspruch, indem das Subjekt durch den problematischen und wirklichen Charakter der in diesen Kategorien thematisch werdenden Imperative auf die Struktur von Normativität überhaupt verwiesen wird. Der Pflichtbegriff wurde in der zweiten Kategorie in seiner weiten Verwendungsmöglichkeit angesprochen, indem Pflicht an dieser Stelle „als die Materie der Verbindlichkeit“ in den Blick geriet, zu der „wir auf verschiedene Art […] verbunden werden können“ (MS, VI, 222). Unabhängig von der Diskussion, inwieweit damit das Sittengesetz schon für diese Kategorie relevant ist, kommt der volle Begriff von Freiheit als sittlicher Autonomie zumindest in der letzten Kategorie der Tafel zum Tragen. Hält man sich wieder an Kants Erläuterungen in der Fußnote, so darf man mit Recht annehmen, dass die Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten es mit „Imperativen […] apodiktische[n] Bestimmungsgrunde[s] zu thun“ (KpV, V, 11) hat, d. h. mit einem Pflichtbegriff, der nicht mehr perspektivisch weit benutzt wird und der als eine „Materie der Verbindlichkeit“ überhaupt interpretiert werden kann. Der von Kant exponierte Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit erfolgt bzw. vollendet sich innerhalb der dritten Modalitätskategorie (vgl. oben). Der hier zu thematisierende Anspruch des Sollens ist apodiktisch, unabhängig davon, ob es sich um Rechtspflichten oder Tugendpflichten handelt. In dieser Kategorie kehren Aspekte wieder, die bereits unter einem ganz anderen Blickwinkel in den Kategorien der Quantität und der Qualität von Bedeutung waren: Zum einen der umfängliche Begriff von moralischer Pflicht in der Differenz seiner subjektiven und objektiven Bedingungen aus der dritten Quantitätskategorie, zum anderen der Begriff der Ausnahme, welcher in der dritten Kategorie der Qualität im Mittelpunkt stand und nur für die Tugendpflichten gilt. In der dritten Kategorie der Quantität hatte Kant das Sittengesetz hinsichtlich der Extension seiner Geltung thematisch gemacht und dabei zwischen einem subjektiven und einem objektiven Aspekt dieser Geltung unterschieden. Zum moralischen Handeln gehört nicht nur pflichtgemäßes Handeln, sondern ein Handeln aus Pflicht. Die Handlung muss nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv gut sein, d. h. durch Achtung für das
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moralische Gesetz bestimmt. Diese vollständige und umfängliche Charakterisierung muss auch für den Begriff der Pflicht als einem absoluten Sollensanspruch, wie ihn die dritte Modalitätskategorie enthält, geltend gemacht werden. Die unter der dritten Kategorie der Qualität eingeführten praktischen Regeln der Ausnahmen, welche sich in diesem Zusammenhang auf moralisch unbestimmte und auf moralische Handlungen gleichermaßen beziehen ließen, macht Kant in der Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten im Hinblick auf das Moment der Modalität wieder zum Thema. Während die Rechtspflichten als vollkommene Pflichten keine Ausnahmen zulassen, ist mit der Anwendung der moralischen Pflichten ein Ermessensspielraum verbunden, der für den je spezifischen Einzelfall von der praktischen Urteilskraft auszuloten ist und der damit trotz seines apodiktischen Charakters Platz für Ausnahmen kennt.²¹ Obwohl bereits unter jedem Obertitel („Quantität“, „Qualität“, „Relation“) Kategorien eingeführt werden, die unter ihrem jeweiligen Gesichtspunkt moralische Aspekte der Willenskonstitution berühren, geht es erst in der dritten Kategorie der Modalität um die tatsächliche und apodiktische Bestimmung durch das Sittengesetz. Anders formuliert: Erst in der modalen Betrachtungsperspektive in Bezug auf die Willensbildung wird der bestimmende Charakter des Sittengesetzes zum Thema. KpV, 67, Absatz 14 – 15 Kant betont in dem Absatz, der seiner Kategorientafel folgt, dass die Freiheit in dieser Tafel in einer bestimmten Perspektive „als eine Art von Kausalität […] in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt betrachtet werde“ und sich daher „auf die Kategorien ihrer Naturmöglichkeit beziehe“, während die Tafel doch so allgemein konzipiert sei – d. h. jede Kategorie „so allgemein genommen werde“ –, dass wir die hier angesprochene Freiheit „als eine Art von Kausalität“ auch so betrachten können, als wäre sie – im Gegensatz zur ersten möglichen Perspektive – eine transzendentale Freiheit als „Eigenschaft eines intelligiblen Wesens“. Auf den ersten Blick könnte man an dieser Stelle lediglich einen erneuten Verweis auf Kants perspektivische Gebrauchsweise der Tafel sehen, indem fast alle Kategorien sowohl eine sittlich noch unbestimmte als auch eine genuin moralische Bedeutung haben. Genau besehen hat man es hier aber mit einer weiteren Perspektive auf den Freiheitsbegriff zu tun, die an unterschiedlichen Stellen in Kants Werk auftaucht. Der Begriff der Freiheit als einer „Naturmöglichkeit“ oder „Naturursache“ und die Formulierung, dass Freiheit „durch Erfahrung“ (KrV, A 802/B 830) aufweisbar sei, hat manche Interpreten zu der Einschätzung geführt, schon in der KrV ließen sich Passagen
Vgl. hierzu die bereits erfolgte Interpretation der dritten Kategorie der Qualität.
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unterschiedlichen entwicklungsgeschichtlichen Reifegrades erkennen, da Kant im Kanon der KrV Gebrauch von einem vorkritischen, d. h. empirisch gefärbten Begriff von Freiheit mache. Diese Annahme des Vorhandenseins zweier miteinander unvereinbarer Freiheitsbegriffe ist in der Literatur unter dem Begriff der „Patchwork-Theorie“²² zusammengefasst worden. An dieser Stelle kann ein allgemeiner Blick auf Kants Verwendungsweise des Begriffs „praktisch“ für weitere Klärung sorgen. Eine treffende Bestimmung dieses Ausdrucks findet sich bereits in der KrV: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist“ (KrV, A 800/B 828). Der Begriff des Praktischen umfasst dieser Definition zufolge alles, was als ein Resultat von Freiheit angesehen werden kann. Praktisch wäre dadurch jede Handlung, unabhängig von der Frage nach ihrer moralischen Qualität. Dass man recht daran tut, sowohl die in dieser Bestimmung genannte Freiheit als auch den Begriff des Praktischen in dieser beidseitig umfassendsten Bedeutung anzunehmen, bestätigt sich durch ähnliche Fundstellen in anderen Texten. Kant spricht in einem vergleichbaren Kontext vom Praktischen nach seinem Naturbegriff und vom Praktischem nach dem Freiheitsbegriff: Der Wille als Begehrungsvermögen ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und alles, was als durch einen Willen möglich (oder notwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder -notwendig); zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Notwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern, wie bei der leblosen Materie, durch Mechanism und bei Tieren durch Instinkt) zur Kausalität bestimmt wird. Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Kausalität des Willens die Regel gibt, ein Naturbegriff oder ein Freiheitsbegriff sei (KU, XII).
Der transzendental freie Wille kann sich entweder nach einem Naturbegriff bestimmen lassen oder nach einem Freiheitsbegriff, d. h. von einem bloß „technischpraktisch[en]“ Prinzip oder eben von einem „moralisch-praktisch[en]“. Das man darin keine Konzession an die des Öfteren geäußerte Möglichkeit eines inkongruenten Freiheitsbegriffs zu sehen hat, wird an dieser und anderen Textpassagen unzweideutig klar: Der „Kausalität des Willens“ kann zwar auch ein nicht genuin moralischer Bestimmungsgrund die „Regel“ geben; dennoch lässt Kant keinen Zweifel daran, dass beide Bestimmungsgründe einen freien Willen bestimmen. Selbst dann, wenn die Willensbestimmung auf einer bloß pragmatischen Regel und die Handlungsabsicht auf einer rein hypothetischen Bestimmung beruht,
Siehe hierzu Gunkel (1989), 94, und Gueroult (1963), 436. Für eine konträre Einschätzung siehe Funke (1981), 207– 221. Eine gute Zusammenfassung und Übersicht findet man bei Schönecker (2005), der eine „gemäßigte“ Patchwork-Theorie vertritt (vgl. Schönecker (2005), 173). Hierzu entgegengesetzt ist die Darstellung von Bojanowski (2006), 192 ff.
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handelt der Mensch trotzdem frei im umfassenden Sinne dieses Begriffs. Die Kunst der Experimente, die Haus- und Staatswirtschaft, die Vorschriften der Diätetik, die Glückseligkeitslehre gehören nicht zur praktischen Philosophie, sondern nur die moralisch-praktischen Vorschriften, die sich gänzlich auf den Freiheitsbegriff gründen, als Gesetze, welche auf einem „übersinnlichen Prinzip“ beruhen (vgl. KU,V, 173). Unabhängig von der Frage nach der Sinnhaftigkeit und den Problemen einer solchen graduellen Abstufung der Freiheit wird der dahinterstehende Gedanke hier noch einmal prägnant vor Augen geführt: Zwar geht nur eine genuin moralische Willensbestimmung auf den positiven Begriff von Freiheit als Autonomie zurück, dennoch müssen auch jene Handlungen, die nicht „gänzlich“ auf diesem positiven Freiheitsbegriff beruhen, als transzendental freie Handlungen verstanden werden. Der Begriff des Praktischen ist bei Kant also genauso angelegt, wie die Kategorien der Freiheit, die umfassend für alle Handlungen bedeutsam sind und nicht nur für rein sittliche Handlungen: Der einige unbedingte und letzte Zweck (Endzweck), worauf aller praktische Gebrauch unserer Erkenntnis zuletzt sich beziehen muß, ist die Sittlichkeit, die wir um deswillen auch das schlechthin oder absolut Praktische nennen. Und derjenige Teil der Philosophie, der die Moralität zum Gegenstande hat, würde demnach praktische Philosophie kat’ exochên heißen müssen, obgleich jede andere philosophische Wissenschaft immer auch ihren praktischen Teil haben, d. h. von den aufgestellten Theorien eine Anweisung zum praktischen Gebrauche derselben für die Realisierung gewisser Zwecke enthalten kann (Logik, IX, 87).
Vor diesem Hintergrund wird die weite Bestimmung der Kategorien der Freiheit nachvollziehbar. Sie können einmal gedacht werden im Hinblick auf die „Naturmöglichkeit“ der Willensbestimmung innerhalb der Sinnenwelt, d. h. im Hinblick auf eine nicht absolut praktische Bestimmung des transzendental freien Willens, oder aber so, dass der „Bestimmungsgrund“ auch „außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligiblen Wesens angenommen werden kann“ (KpV, V, 67).²³ Eine zweite Interpretationsmöglichkeit dieses Abschnitts könnte in der folgenden Deutung liegen: Für das unter hypothetischen Imperativen und reinen Sollensgesetzen stehende Subjekt stellt die Frage nach der transzendentalen Freiheit kein Handlungsproblem dar, sondern sie ergibt sich erst auf der Metaebene der philosophischen Explikation. Dort aber hat und behält sie ihren Sinn auch dann, wenn für die Geltungsansprüche des moralischen Bewusstseins der Freiheitsbegriff normativ geschärft werden muss. Hier wie dort hat man in dieser Differenzierung keine Restbestände vorkritischer Theorien oder etwa eine Gradation ontologischen Zuschnitts zu sehen, sondern Reflexionsperspektiven des Subjekts. Die Kategorien werden von Kant „so allgemein genommen“, dass damit nicht nur die Wirkung von transzendentaler Freiheit in der empirischen Erscheinungswelt thematisiert werden kann, sondern auch die Perspektive einer unmittelbaren Selbstevidenz von Freiheit, die für das Subjekt der empirischen Welt hand-
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KpV 67 – 91: Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft Der Abschnitt „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ verdeutlicht noch einmal, dass Kants Kategorien der Freiheit zwar Urteilsmomente darstellen, die jeder Handlung zugrunde liegen, dass er diese Kategorien im zweiten Hauptstück aber im Hinblick auf eine absolut praktische Funktion in den Blick nimmt. Schon an der Bezeichnung der Kategorientafel als „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ (KpV, V, 66) lässt sich ablesen, dass für Kant deren Funktion innerhalb der genuin moralischen Selbstbestimmung im Fokus der Darstellung steht. Die Tafel der praktischen Kategorien wird im zweiten Hauptstück vorgestellt in „Ansehung“ der Beurteilung einer Handlungsabsicht bzw. Handlung als gut oder böse, weil für Kant das Bestimmungsinteresse hier perspektivisch im Aspekt einer moralischen Bewertung liegt. Obwohl eigentlich alle vier Kategoriengruppen als Formungsaspekte einer Handlung – als eines von einem bloßen Ereignis klar abgrenzbaren „Objekts der praktischen Vernunft“ – mittelbar an dieser moralischen Selbstbestimmung beteiligt sind, da diese überhaupt erst die Bildung einer moralisch zu evaluierenden Handlungsabsicht ermöglichen, kennt Kant aber noch eine im engeren Sinne moralische Funktion der Kategorien. Die durch die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation bereits geformte Handlungsabsicht wird durch die vierte Kategoriengruppe, die praktischen Modalitätskategorien, auf einen möglichen moralischen Wert hin überprüft. Erst an dieser Stelle wird ein eventueller normativer Gehalt der Handlungsmaxime durch die Kategorien des Erlaubten und Unerlaubten, der Pflicht und des Pflichtwidrigen und der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten (KpV,V, 66) bestimmt. Kant umreißt die methodischen Probleme einer solchen moralischen Prüfung und Beurteilung des eigenen Willens im Abschnitt „Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ und kommt
lungspraktisch vor aller Reflexion auf transzendentale Freiheit liegt, eingeschlossen wird: Die Bildung einer Handlungsabsicht anhand der Kategorien und deren Umsetzung in die empirische Wirklichkeit sind Leistungen, denen wir transzendentale Freiheit zugrunde legen müssen. Im praktischen Selbstverständnis des Handelnden könnte diese Freiheit „als eine Art von Kausalität“ aber auch ein natural nicht unbedingtes Vermögen sein, d. h. handlungspraktisch ist die Frage nach dem metaphysischen Charakter dieses Vermögens irrelevant. Auch wenn der Tafel der Kategorien der Freiheit im Kontext des praktischen Selbstverständnisses transzendentale Freiheit zugrunde gelegt werden muss, berührt die kategoriale Formung einer Willensabsicht nicht das philosophische Problem der Möglichkeit einer Kausalität aus Freiheit. Die Tafel setzt transzendentale Freiheit in dieser auf das philosophische Begründungsproblem von Freiheit zugespitzten Betrachtungsweise zwar voraus, die Kategorien behalten aber auch dann ihre Funktion, wenn unreflektiert bleibt, welche Kausalität der durch sie geformten Willensabsichten zugrunde liegt.
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in diesem Zusammenhang deutlicher als an jeder anderen Stelle seines Werks auf die Rolle einer praktischen Urteilskraft²⁴ zu sprechen: Ob nun eine uns in der Sinnlichkeit mögliche Handlung der Fall sei, der unter der Regel stehe, oder nicht, dazu gehört praktische Urtheilskraft, wodurch dasjenige, was in der Regel allgemein (in abstracto) gesagt wurde, auf eine Handlung in concreto angewandt wird.Weil aber eine praktische Regel der reinen Vernunft erstlich, als praktisch, die Existenz eines Objects betrifft und zweitens, als praktische Regel der reinen Vernunft, Nothwendigkeit in Ansehung des Daseins der Handlung bei sich führt, mithin praktisches Gesetz ist und zwar nicht Naturgesetz durch empirische Bestimmungsgründe, sondern ein Gesetz der Freiheit, nach welchem der Wille unabhängig von allem Empirischen (blos durch die Vorstellung eines Gesetzes überhaupt und dessen Form) bestimmbar sein soll, alle vorkommende Fälle zu möglichen Handlungen aber nur empirisch, d. i. zur Erfahrung und Natur gehörig, sein können: so scheint es widersinnisch, in der Sinnenwelt einen Fall antreffen zu wollen, der, da er immer so fern nur unter dem Naturgesetze steht, doch die Anwendung eines Gesetzes der Freiheit auf sich verstatte, und auf welchen die übersinnliche Idee des sittlich Guten, das darin in concreto dargestellt werden soll, angewandt werden könne (KpV, V, 67– 68).
Offenbar geht es Kant an dieser Stelle um das Problem der Subsumtion der Begehrungen bzw. Handlungsabsichten unter moralische Grundsätze. Die Frage besteht darin, wie die reine praktische Urteilskraft eine Handlung der Erscheinungswelt unter das intelligible Sittengesetz subsumieren kann. Kant entwirft diese spezielle Problematik der praktischen Subsumtion in Anlehnung an das Problem der Subsumtion von Anschauung unter die Erkenntniskategorien, ohne dabei die unterschiedlichen Schwierigkeiten, die mit dem Erkenntnisvorgang und einer praktischen Beurteilung verbunden sind, zu verwischen. Ein kurzer Blick auf Kants Lehre vom Schematismus in der ersten Kritik kann für seine in der KpV skizzierte Lehre von der „Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ aufschlussreich sein. Im ersten „Hauptstück“ der „Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft“ (vgl. KrV, A 98/B 176) weist Kant darauf hin, dass zum „Gebrauch eines Begriffs noch eine Funktion der Urteilskraft“ (KrV, A 247/B 304) gehöre, die eine Subsumtion eines Gegenstandes der Anschauung unter einen allgemeinen Begriff erlaube. Fehle diese „Bedingung der Urteilskraft“ so falle „alle Subsumption weg; denn es […] [werde] nichts gegeben, was unter den Begriff subsumiert werden könne“ (KrV, A 247/B 304). Zur Erkenntnis eines Gegenstandes gehört diesen Überlegungen zufolge neben den Anschauungen und den Begriffen noch ein Drittes, nämlich der Eine ausgezeichnete Übersicht über die Aufgabe der Urteilskraft in der KrV und deren Funktion in der KpV und KU findet sich bei Bartuschat (1972), 23 ff., 54 ff., 92 ff. Zum Begriff der praktischen Urteilskraft bei Kant vgl. auch Höffe (1990), 537– 563, Thurnherr (2001), 76 – 92, und Recki (2001), 247 f., 279 f.
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Schematismus, der zwischen diesen beiden Voraussetzungen von Erkenntnis vermitteln muss und damit erst Erkenntnis möglich macht. Kant bringt die Notwendigkeit dieser Funktion des Schematismus in dem berühmten Satz auf den Punkt: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (KrV, B 75). Das Schema als ein „Drittes“, das „einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht“ (KrV, A 138/B 177), soll diese Vermittlung sicherstellen. Ein Schema als „vermittelnde Vorstellung“ muss „einerseits intelektuell, andererseits sinnlich sein“ und stellt damit eine funktionale Struktur dar, die sinnlich und bildhaft sowie zugleich diskursiv und kognitiv ist (vgl. Pieper (2002), 126 f.). Das Schema ist ein „Produkt der Einbildungskraft“ (KrV, A 140/ B 179) mit dem diese über ein „allgemein[es] Verfahren“ (KrV, A 140/B 179) verfügt, „einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (KrV, A 140/B 179), d. h. sich einen Begriff anschaulich zu machen.²⁵ Ohne nun im Detail die Lehre vom Schematismus weiter zu erörtern,²⁶ reicht die bisher vorgelegte Skizze zumindest dazu aus, Kants Lehre von der „Typik der reinen praktischen Urteilskraft“ näher zu bestimmen, da Kant sich in seiner Analogisierung und Abgrenzung zwischen dem Schematismus und der Typik eindeutig auf diese Lehre bezieht.²⁷ Im Bereich der moralischen Bewertung einer Handlungsabsicht durch die Urteilskraft liegt insofern ein analoges Problem vor, als auch hier zwischen zwei heterogenen „Erkenntniselementen“ bzw. „Gegenstandsbereichen“ eine Vermittlung hergestellt werden muss. Das sittlich Gute als etwas, „für das in keiner sinnlichen Anschauung etwas Correspondierendes gefunden werden kann“ (KpV, V, 68) und das dennoch auf menschliche Handlungen in der Erscheinungswelt bezogen werden soll, verwehrt
Dieses Schema besteht für Kant in der transzendentalen Zeitbestimmung als einem Produkt der Einbildungskraft (vgl. KrV, III, 143 f.). Für eine ausführliche Darstellung des Schematismus in der KrV siehe Kaulbach (1982), 145 f., Loock (2007), 111 ff., Fricke (1990), 114 f., Baumanns (1997), 540 f. Kant weist explizit darauf hin, dass sich die Anwendung der bestimmenden Urteilskraft in der Gegenstandserkenntnis und die reine praktische Urteilskraft mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen: „Also ist die Urteilskraft der reinen praktischen Vernunft eben denselben Schwierigkeiten unterworfen, als die der reinen theoretischen“ (KpV, A 120). Das „Problem“, das sich bei beiden Formen der Urteilskraft ergibt, liegt darin, dass sowohl die reine praktische als auch die theoretische Urteilskraft zwei jeweils heterogene „Gegenstandsbereiche“ aufeinander beziehen müssen. Die Problematik des Bezugs zwischen intelligiblem Sittengesetz und empirischer Handlung lässt sich mit der Schwierigkeit vergleichen, reine Begriffe auf Anschauungen zu beziehen. Da jedoch aufgrund des nicht anschaulichen Charakters des Sittengesetzes ein Schematismus der Einbildungskraft als Vermittlungsprinzip ausscheidet, sieht sich Kant gezwungen, seine Lehre von der Typik zu entwerfen, welche als ein analoges „Verfahren“ Handlungen unter das Sittengesetz zu subsumieren legitimieren soll.
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sich aufgrund seines rein intelligiblen Status einer Schematisierung. Daher schlägt Kant ein dem Schematismus ähnliches Verfahren vor: Die Typisierung, mit der ein Bezug zwischen der letztlich als empirisch zu klassifizierenden Handlungsabsicht als dem Besonderen und dem intelligiblen Sittengesetz als dem Allgemeinen durch den Akt einer „analogischen Reflexion“ dennoch möglich werden soll. Die Frage ist also, welches Schema sich als Typus des Sittengesetzes für eine solche Analogie anbietet, d. h. welche mögliche Gesetzmäßigkeit beider Gegenstandsbereiche für eine Analogiebildung sinnvoll erscheint: Folglich hat das Sittengesetz kein anderes die Anwendung desselben auf Gegenstände der Natur vermittelndes Erkenntnißvermögen, als den Verstand (nicht die Einbildungskraft), welcher einer Idee der Vernunft nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz, aber doch ein solches, das an Gegenständen der Sinne in concreto dargestellt werden kann, mithin ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Behuf der Urteilskraft unterlegen kann, und dieses können wir daher den Typus des Sittengesetzes nennen (KpV, V, 69).
Das Naturgesetz als eine „Idee der Vernunft“ soll auf die praktische Beurteilung von Handlungen der Sinnenwelt „nur seiner Form nach“ angewandt werden, d. h., Handlungsabsichten und Handlungen sollen so beurteilt werden als folgten sie einer vergleichbaren Gesetzmäßigkeit, nämlich der Gesetzmäßigkeit des Kausalgesetzes und dessen empirischer Anwendung. Eine mögliche Vermittlung zwischen dem sittlich Guten und der empirischen Handlung liegt damit im Begriff der „Form der Gesetzmäßigkeit“ überhaupt. Die strenge Geltung des Kausalgesetzes kann als Typus der Geltung des Sittengesetzes aufgefasst werden, was mit der Strenge und Allgemeinheit, nach der „selbst der gemeinste Verstand“ dem Sittengesetz gemäß urteilt, koinzidiert.²⁸ Die Regel der praktischen Urteilskraft ist damit die folgende: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Theil wärest, geschehen sollte, die du wohl als durch deinen Willen möglich ansehen könntest. Nach dieser Regel beurtheilt in der That jedermann Handlungen, ob sie sittlich gut oder böse sind (KpV, V, 69).
Eine solche Orientierung an der Gesetzmäßigkeit der Geltung der Naturgesetze darf nicht als der „Bestimmungsgrund“ sittlichen Handelns aufgefasst werden,
Bartuschat (1972), 69, konstatiert hier zu Recht, dass die „praktische Urteilskraft […] dabei insofern in der Ebene des schon geltenden Sittengesetzes [operiert], als sie eine Vorentscheidung über das, was überhaupt nur als Fall auftreten kann, hinnimmt, bevor sie selber einsetzt“, da es nämlich „bei der moralischen Handlung, die Fall des Gesetzes sein soll können, allein auf die Gesinnung ankommt, die ihren Bestimmungsgrund nur im Sittengesetz haben kann“.
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kann aber einen „Typus der Beurteilung“ darstellen. Eine sittliche Beurteilung, die nicht wenigstens an der „Form eines Naturgesetzes überhaupt die Probe hält“, ist sittlich „unmöglich“ (KpV V, 70). Vor dem Hintergrund der Annahme, dass die Kategorien der Modalität „Modifikationen“ des Sittengesetzes sind,²⁹ d. h. dass die Kategorien des „Erlaubten und Unerlaubten“, der „Pflicht und des Pflichtwidrigen“ sowie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten absolut praktische Bewertungsmaßstäbe enthalten, wird nachvollziehbar, warum Kant an dieser Stelle die Lehre von der Typik notwendig wird: Die Beurteilung einer mittels der Kategorien der Quantität, Qualität und Relation geformten Willensabsicht durch das Sittengesetz bzw. dessen Modifikationen, d. h. die Prüfung durch die Modalitätskategorien, machen einen nochmaligen Rekurs auf das Problem der moralischen Prüfung von Maximen notwendig. Kant variiert an dieser Stelle seinen bereits bekannten Gedanken der Maximenprüfung, die in der vernünftigen Verallgemeinerbarkeit der Maxime zu einem moralischen Handlungsgesetz besteht. Die Lehre von der Typik gehört insofern zu der Lehre von den Kategorien der Freiheit, als Kant hier einen Aspekt der kategorialen Formung einer Willensabsicht – die Prüfung des moralischen Werts einer Maxime – in modifizierter Form nochmals zum Thema macht.³⁰ Die Maxime einer Handlungsabsicht³¹ oder einer bereits erfolgten Handlung muss durch die Kategorien der Modalität auf ihre möglichen normativen Implikationen hin überprüft werden, d. h., die Maxime wird dahingehend beurteilt, ob ihr Gehalt etwas Erlaubtes oder Unerlaubtes, eine Pflicht oder etwas Pflichtwidriges bzw. eine vollkommene oder unvollkommene Pflicht darstellt.
Zu dem Gedanken, dass die Kategorien der Freiheit als Modi des Sittengesetzes aufgefasst werden müssen, siehe Pieper (2002), 127. Piepers Überlegungen müssen allerdings dahingehend korrigiert werden, dass zwar alle Kategorien – zumindest in „Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ – im Dienste der Bildung von moralisch immer schon in irgendeiner Weise geltungsdifferenten Handlungsabsichten stehen, jedoch eine moralische Evaluierung erst anhand der vierten Kategoriengruppe stattfindet. Die Modalitätskategorien kann man daher zu Recht als Modi des Sittengesetzes bezeichnen, da ihre Funktion explizit in der Bestimmung des normativen Werts einer Handlung besteht. Die anderen Kategorien dienen nur dieser möglichen Bewertung, sind aber selbst keine Modifikationen des Sittengesetzes. Hier stellt sich die Frage, ob Kant mit der Lehre von der Typik in der Sache seinen seit der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ bekannten Gedanken der sittlichen Maximenprüfung durch das Kriterium der vernünftigen Verallgemeinerbarkeit einer Maxime bloß wiederholt bzw. an dieser Stelle variiert oder ob dieser Gedanke durch das hier benannte „Prüfungsverfahren“ auch inhaltlich modifiziert wird (vgl. dazu Höffe (1977), 364 f.). Bartuschat (1972) zufolge bezieht sich das in der Typik entworfene „Prüfungsverfahren“ lediglich auf die moralische Beurteilung bereits erfolgter Handlungen in der Erscheinungswelt. Die „praktische Urteilskraft“ hat seiner Einschätzung nach eine „gegenüber dem Handlungsvollzug […] [nur] nachträgliche Funktion“ (Bartuschat (1972), 68).
4 Die Tafel der Kategorien der Freiheit als Ordnungsschema der Willensbildung In der vorangegangenen Interpretation ist die Tafel der Kategorien der Freiheit mehrfach als ein „Ordnungsschema“ der Willensbildung bezeichnet worden. Dieser Ausdruck ließ sich begründen anhand eines Vergleichs von Kants Konzeption der Objekte theoretischer und praktischer Vernunft: So wie die Kategorien der KrV durch Synthesis ein zunächst noch unstrukturiertes Mannigfaltiges ordnen und dem Subjekt dadurch erlauben, zu der Erkenntnis von Objekten zu gelangen, leisten auch die Kategorien der Freiheit eine Strukturierung der Begehrungen hin zu Objekten der praktischen Vernunft. Erst durch eine solche, der kategorialen Synthesis analoge Vereinheitlichung der ephemeren Reize und Begehrungen gelangt der Wille zu begrifflich und moralisch distinkten Handlungsabsichten bzw. Handlungen. Die Tafel der Freiheitskategorien ist ein Ordnungsschema, weil sie Urteilsmomente enthält, nach denen Wille und Urteilskraft ein korrektes praktisches Urteil bilden müssen. Die Tafel selbst legt dabei durch ihren Aufbau einen Aufstieg nahe – beginnend mit der Quantitätskategorie über das Moment der Qualität und Relation bis hin zur Modalitätskategorie. Es drängt sich dadurch schnell die Frage auf, ob diese Anordnung der Kategorien auch eine tatsächliche Abfolge der Willensbildung darstellen soll. Damit wäre behauptet, dass die Bildung einer Handlungsabsicht tatsächlich zunächst die Kategorien der Quantität, der Qualität und der Relation „durchlaufen“ müsste, bis sie schließlich in der Modalitätskategorie das Ziel einer moralischen Bestimmung erreicht. Kant selbst scheint eine solche Abfolge nahezulegen, indem er schreibt, dass die Tafel anzeige, „wovon man in praktischen Erwägungen anfangen müsse“, nämlich von den Maximen, die jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen, gelten und endlich dem Gesetze, welches für alle, unangesehen ihrer Neigungen gilt […] (KpV, 186).
Der Ausdruck „praktische Erwägung“ kann auch in diesem Falle sowohl auf die Perspektive der Willensbildung, d. h. einer Handlungskonstruktion, als auch auf die nachträgliche Beurteilung bereits erfolgter Handlungen bezogen werden. Die zu einer Maxime zusammengefassten praktischen Grundsätze würden demnach innerhalb des extensionalen Aspekts der Willensbildung daraufhin überprüft werden, ob es sich um bloß subjektive Willensmeinungen handelt, um objektive Vorschriften, deren Geltungsumfang für vernunftbegabte Wesen gilt (insofern diese in bestimmten Neigungen und Ansichten übereinkommen), oder gar um
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solche Regeln, die in vollem Umfang für alle vernünftigen Wesen als Gesetze zu gelten. Die zunächst subjektiv in eine Maxime aufgenommene Lebensregel: „Ich handle niemals in betrügerischer Absicht“, könnte in Anbetracht einer konkreten Handlungssituation durch ihren Aufstieg innerhalb der Kategorie der Quantität als ein a priori sowohl subjektiv als auch objektiv geltendes Gesetz qualifiziert werden. Die aus diesem internen Prozess möglicherweise erfolgende Handlung muss in „Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ als eine gute Willensgesinnung oder Handlung beurteilt werden. Dadurch wäre die Willensbildung bereits hier abgeschlossen und eine moralische Klassifizierung erreicht.Wie hat man sich dann aber die weitere kategoriale Formung durch die noch folgenden Begriffe der Tafel vorzustellen? Wird jene durch die Kategorie der Quantität und ihre drei Untertitel bereits als moralisch „qualifizierte“ Handlungsabsicht dann in gleicher Weise noch auf die Kategorien der Qualität und der Relation bezogen? Und welche Funktion kann vor diesem Hintergrund dann noch die Kategorie der Modalität erfüllen, die allererst den „Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit […] einleiten“ (KpV, V, 67) soll? Die Vorstellung eines Aufstiegs von den Begehrungen über subjektive Maximen bis hin zu einem moralischen Gesetz ist im Hinblick auf die faktische Willensbildung einleuchtend. Es sind die „Begierden und Neigungen“, aus denen „durch Mitwirkung der Vernunft“ (GMS, IV, 427) die Maximen entspringen. Die Bildung einer Maxime durch Vernunft bzw. Urteilskraft steht am Anfang jeder Bildung einer Willensabsicht. Die Maxime vereint mehrere praktische Lebensregeln in einer übergeordneten Regel, welche dann als Maxime bezeichnet werden kann. Sie repräsentiert dadurch, dass hier Begehrungen in einem ersten Zugriff überhaupt geordnet und strukturiert werden, die Basis der Willensbildung und erscheint damit auch zu Recht zu Beginn der Tafel. Deutlich muss man sich jedoch vor Augen halten, dass Kant mit dieser Tafel der praktischen Kategorien – ebenso wie mit seiner Urteilstafel und der Kategorientafel der ersten Kritik – lediglich die notwendigen Aspekte der Urteils- bzw. Konstitutionsmomente von auf diesen Urteilen aufbauenden Gegenstands- bzw. Willensgenerierungen in systematisierter Weise darstellt. Auch die Tafel der Kategorien der Freiheit ist damit eine Tafel, die in ihrer Gesamtheit als ein Ordnungsschema der Urteilsbildung bezeichnet werden kann, indem sie die Gesichtspunkte enthält, unter denen der Wille eine Handlungsabsicht konstituiert. Zwar kann man die Bildung einer Handlungsabsicht dem Aufbau der Tafel entsprechend konstruieren, jedoch ist damit nicht behauptet, dass jede Willensbildung der dort angegebenen Abfolge der einzelnen Kategorien folgt. Die Richtung des Aufbaus der Tafel lässt sich auch etwa auf die Bildung eines moralischen Urteils übertragen, d. h., das Subjekt folgt in der Bildung eines solchen Urteils und der abschließenden Beurteilung als gut
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oder böse tatsächlich einer Abfolge, die man als Aufstieg von subjektiven Maximen zu objektiven Gesetzen bezeichnen kann. Eine Kongruenz der Abfolge der Kategorien der Urteilstafel mit den Momenten einer faktischen Willensbildung wird man also allgemein für den Aufstieg von Begehrungen bzw. daraus geformten Maximen hin zu einer moralischen Bestimmung nachweisen können, nicht jedoch beispielsweise den Einsatz der Kategorien der Qualität vor denen der Relation. Sowohl das Moment der Qualität als auch das der Relation gehören als Gesichtspunkte der Willensbildung zur Konstitution jeder Handlungsabsicht. Dennoch kann man sicher nicht sagen, dass der Wille diese Absicht zuerst unter dem Gesichtspunkt der Qualität beurteilt und dann die Kategorien der Relation relevant werden. So wie die drei (bzw. fünf) Formeln des kategorischen Imperativs verschiedene Aspekte derselben Moralität der Handlung deklinieren, gewähren die Kategorien der Freiheit die Prüfung einer Handlung unter allen relevanten Aspekten, so dass auch die prima facie bereits vollständig bestimmte Maxime dann noch weiter reflektiert werden kann. Die Bildung von möglichen Handlungsabsichten anhand der praktischen Kategorien soll im folgenden Kapitel an drei Beispielen erläutert werden.¹
4.1 Die Bildung einer moralisch noch unbestimmten Handlungsabsicht durch praktische Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist weder gut noch böse“ Um bei einem Beispiel Kants zu bleiben, könnte man sich zunächst einen Redner vorstellen, der sich entscheiden muss, ob er in dem bald anstehenden Vortrag neue, das Publikum vielleicht verwirrende Wortschöpfungen einfügt oder nicht. Im folgenden Beispiel soll versucht werden, eine mögliche Willensbildung des Redners anhand der praktischen Kategorien zu konstruieren. Der Quantität nach wird das Vermögen, sich selbst überhaupt Verhaltensregeln zu bilden, im vorliegenden Beispiel objektiv nach Prinzipien bestimmt. Der Redner nimmt in seine Maxime berufsspezifische Vorschriften (zweite Quantitätskategorie) auf, wodurch sich dieses Moment quantitativ von dem der bloß subjektiven Maxime unterscheidet: Die Maxime wird objektiv nach bestimmten Prinzipien bestimmt, nämlich den berufsinternen Vorschriften, welche nicht nur individuell für diesen
Es sollte also deutlich geworden sein, dass die Tafel durch die einzelnen Kategorien – jeweils im Hinblick auf eine bestimmte Perspektive – der Sache nach dasselbe in den Blick nimmt. So kann beispielsweise die Bestimmung durch ein sittliches und allgemeingültiges Gesetz sowohl rein ihrer Extension nach betrachtet (Kategorie der Quantität) werden oder aber hinsichtlich des eigentlichen Moments der apodiktischen Bestimmung (Kategorie der Modalität).
4.2 Die Bildung einer moralischen Handlungsabsicht durch praktische Kategorien
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Redner, sondern für alle Redner überhaupt gelten. Der Qualität nach betrachtet formt sich sein Handeln damit gemäß einer praktischen Regel des Begehens (erste Qualitätskategorie), d. h., die sich bildende Handlungsabsicht folgt einer praktischen Regel, nämlich derjenigen, neue Wortschöpfungen in der Ausführung seines Berufs zu vermeiden. Der Relation nach kann die Maxime beispielsweise durch den Gedanken bestimmt werden, dass der Redner durch dieses regelkonforme Verhalten einen positiven Effekt erzielt, der das Selbstverhältnis betrifft: Zum einen bleibt er dem Berufskodex treu und erhält sich damit ein positives Selbstbild, was einen positiven Effekt auf seinen eigenen Zustand als Person (zweite Kategorie der Relation) hat; zum anderen hat dieses Verhalten auch auf andere Personen eine Wirkung, die ebenfalls durch ein mögliches Verhalten dieser Personen auf ihn zurückfällt, also eine wechselseitige Beeinflussung enthält (dritte Kategorie der Relation). Obwohl die Handlungsabsicht, im geplanten Vortrag keine neuen und für das Publikum unverständlichen Wortschöpfungen einzuführen, keinen moralischen Inhalt hat und daher beispielsweise auch nicht durch die erste Relationskategorie („Auf die Persönlichkeit“) geformt ist, stellt sich dem Redner im Hinblick auf die Modalität dieser Handlungsabsicht die Frage nach dem normativen Charakter in einem weiten Sinne. Seine geplante Handlungsabsicht ist regelkonform oder legal, sie vermeidet etwas Unerlaubtes und stellt damit etwas Erlaubtes dar (erste Kategorie der Modalität). Die Frage nach dem moralischen Pflichtcharakter der Handlung bzw. Handlungsabsicht stellt sich also nicht; sie ist abschließend als weder gut noch böse zu beurteilen, da ihre Konstituierung mit der ersten Modalitätskategorie endet.
4.2 Die Bildung einer moralischen Handlungsabsicht durch praktische Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist moralisch gut“ Auch moralisch relevante Handlungen, also jene, die unter die dritte Kategorie der Modalität fallen und letztlich als sittlich gut beurteilt werden, lassen sich in gleicher Weise mithilfe der Kategorien der Tafel bilden. Als Beispiel soll hier eine existenzielle Ausnahmesituation angenommen werden. Ein Spaziergänger sieht in einem See einen um sich schlagenden Mann, der zu ertrinken scheint und um Hilfe ruft. Die Handlung, den Ertrinkenden durch einen Sprung ins Wasser zu retten, resultiert aus der Bildung folgender Handlungsabsicht: Der Quantität nach wird die Entscheidung, ins Wasser zu springen, durch die dritte Quantitätskategorie bestimmt, d. h., der Spaziergänger nimmt ein a priorisches, sowohl subjektiv als auch objektiv gültiges Prinzip in seine Maxime auf, welches, da es für alle ver-
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nünftigen Menschen gelten würde, als Gesetz (dritte Kategorie der Quantität) bezeichnet werden kann. Die rein subjektive Maxime der Selbstliebe ordnet er dabei derjenigen des Sittengesetzes unter. Ist seine Handlungsabsicht dabei nicht nur pflichtgemäß, sondern erfolgt auch aus dem subjektiven Moment der Achtung vor dem Sittengesetz, erfüllt der Spaziergänger beide in dieser Kategorie angesprochenen Kriterien. Unter dem Gesichtspunkt der Qualität folgt er damit einer Regel des Begehens (erste Kategorie der Qualität), nämlich dem positiven Vollzug eines Gebots, welches innerhalb der ersten Kategoriengruppe der Quantität schon hinsichtlich seines extensionalen Geltungsanspruchs thematisiert wurde. Die Kategorie der Relation bringt die Perspektive ein, die auf ein Selbstverhältnis Bezug nimmt: Der Spaziergänger bezieht sich in dieser empirischen Handlungssituation als Person auf seinen Charakter als Persönlichkeit (erste Kategorie der Relation). Diese Relation zwischen der empirischen Person und der intelligiblen Persönlichkeit führt dann noch einmal auf das bereits in der dritten Kategorie der Quantität angesprochene Moment eines autonomen, allgemeingültigen Verhaltensgesetzes. Die Absicht, trotz eventueller Gefährdung der eigenen Gesundheit den Ertrinkenden zu retten, bezieht sich nicht nur auf den empirischen Zustand des Ertrinkenden als Person, sondern dieser würde dabei auch als Selbstzweck in einem Reich der Zwecke in den Blick gelangen, zu dem sowohl der Retter als auch der Gerettete dann gleichermaßen gehören. Der Modalität nach betrachtet stellt die Handlungsabsicht eine unvollkommene Pflicht (dritte Kategorie der Modalität) dar. Sie ist als moralische Pflicht trotz eines gewissen Spielraums apodiktisch geboten und sittlich gut. In „Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ muss die hier gebildete Handlungsabsicht des Spaziergängers als sittlich gut beurteilt werden.
4.3 Die Bildung einer bösen Handlungsabsicht durch praktische Kategorien. Das Urteil: „Diese Handlung ist böse“ Auch die Bildung einer Handlungsabsicht, welche durch die dritte Kategorie der Modalität als böse beurteilt werden muss, lässt sich durch die Momente der Tafel konstruieren, obwohl sich hier offenbleibende Fragen ergeben. Folgende Situation soll dafür als Beispiel dienen: Eine Person vertraut einem Freund vor einer schweren Operation eine große Menge Geld an, also ein Depositum. Er möchte verhindern, dass dieses Geld bei einem Missglücken der Operation in die Hände der Verwandtschaft gerät, die es auf sein Erbe abgesehen hat. Er überlebt, verliert aber sein Gedächtnis. Der Freund, dem er das Geld anvertraut hat, gerät derweilen in Geldnot und nutzt diese Situation aus: Er behält das Depositum für sich und erinnert den jetzt gedächtnislosen Kranken auch nicht daran.
4.3 Die Bildung einer bösen Handlungsabsicht durch praktische Kategorien
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In der Maxime dieses Freundes ist sowohl diejenige der Selbstliebe enthalten als auch diejenige des moralischen Gesetzes. Im vorliegenden Fall kehrt er das Verhältnis der Maximen um und lässt sich der Quantität nach rein subjektiv von einer Maxime (erste Kategorie der Quantität) bestimmen, welche extensional weder für eine bestimmte Gruppe von Individuen Geltung hat, noch ein Gesetz darstellt, nämlich von der Maxime der Selbstliebe. Qualitativ betrachtet handelt er hier rein formal entgegen der Regel, ein solches Verhalten zu unterlassen. Ihm ist bewusst, dass hier eine praktische Regel des Unterlassens (zweite Kategorie der Qualität) greifen sollte, die an dieser Stelle aufgrund ihrer perspektivischen Deutungsmöglichkeit als Forderung des Moralgesetzes interpretiert werden kann. Anders als im vorangegangenen Fall ist das Verhalten hier nicht regelkonform, sondern richtet sich gegen die Regel des Unterlassens, nimmt aber gleichwohl in der Willensbildung auf diese Bezug. Auch das Moment der Relation ist hier durch eine „Verkehrung“ bestimmt. Durch die Subordination der Maxime der Sittlichkeit unter die der Selbstliebe wird auch das mögliche Verhältnis zwischen dem Status des Betrügers als Person und seiner Persönlichkeit (erste Kategorie der Relation) negiert: In der Willensbildung findet diese Reflexion ebenso wenig statt wie der Bezug auf den Zustand der Person.Weder verwirklicht sich der Betrüger in diesem Zusammenhang als ein unter moralischen Gesetzen stehendes Wesen, noch behandelt er die dieses Verhalten real tangierende Person im Hinblick auf ihre potentielle Persönlichkeit als Zweck an sich selbst. Sowohl die mögliche Relation im Hinblick auf ein moralisches Selbstverhältnis als auch der Bezug auf die beteiligte andere Person als Träger von Persönlichkeit werden hier negiert, d. h. ins Negative verkehrt. Die Handlungsabsicht steht im Kontrast zum moralischen Gesetz, die Maxime ist nicht verallgemeinerbar und kann nur als böse beurteilt werden. Die Konstruktion der Bildung einer Willensabsicht gerät an dieser Stelle in ein Deutungsproblem, denn es ist schwer auszumachen, welche Rolle die Kategorie der Modalität an dieser Stelle spielt, die inhaltlich nichts zur Willensbildung beiträgt, sondern deren normative Momente nur auf den Inhalt der bisher gebildeten Handlungsabsicht bezogen werden. Zwei Erklärungen wären an dieser Stelle möglich: Man könnte argumentieren, dass im Begriff der moralischen Pflicht, der in der dritten Kategorie der Modalität enthalten ist, auch deren Gegenteil gedacht werden kann, d. h., dass die bisher durch die anderen Kategorien gebildete Handlungsabsicht strukturell auf eine implizit enthaltene Negation dieses Moments bezogen werden kann. Die dritte Kategorie der Modalität enthält nämlich nicht den Begriff des der sittlichen Pflicht Entgegengesetzten, sondern nur den Begriff der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten und damit – anders als die zweite Modalitätskategorie – nicht das Gegenteil einer erlaubten oder pflichtmäßigen Handlung. Die zweite Kategorie der Modalität bezog sich lediglich auf einen noch nicht genuin moralisch spezifizierten Begriff der Pflicht,
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4 Die Tafel der Kategorien der Freiheit als Ordnungsschema der Willensbildung
d. h., auch durch diese Kategorie lässt sich das Gegenteil des sittlichen Handelns – entgegen dem ersten Anschein – nicht kategorial darstellen. Eine andere Interpretationsmöglichkeit bestände in folgender Deutung: Eine böse Willensgesinnung, d. h. eine Handlungsabsicht, die nur als böse beurteilt werden kann, ist eben gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie überhaupt nicht auf die normativen Kategorien der Modalität bezogen werden kann. Während selbst die noch nicht durch den vollen Begriff von Freiheit als Autonomie bestimmte Handlung durch den Bezug auf ein normatives Moment, nämlich eine der Modalitätskategorien, geformt gedacht werden muss, zeichnet sich eine böse Handlungsabsicht gerade negativ dadurch aus, dass sie potentiell überhaupt jeder normativen Formung entgegensteht. Auch wenn die Handlungsabsicht des Redners, keine neuen Worte in seine Reden einzufügen und dadurch das Publikum nicht zu verwirren, überhaupt keinen Bezug auf das Sittengesetz hat, so hat sie aber doch mittelbar mit moralischen Strukturen zu tun, indem diese Absicht wenigstens überhaupt normativ geprägt ist. Die böse Handlungsabsicht bzw. Handlung ist genau dadurch böse, dass ihr diese Struktur von Reflexivität überhaupt fehlt, sie kann nur negativ als das Gegenteil von etwas Eigentlichem und damit als ein defizitärer Modus des Guten gedacht werden. Zwar kann ihre Generierung unter quantitativen, qualitativen und relationalen Gesichtspunkten nachvollzogen werden, jedoch auch hier nur durch quasi „negative Vorzeichen“. Deutlich wird dies z. B. in den Relationskategorien, in denen die Negation der dort thematisch gemachten möglichen Relationen angenommen werden muss. Handlungsabsichten, welche als böse klassifiziert werden, sind damit ebenso wie die bösen Handlungen, die Kant in der Religionsschrift in den Mittelpunkt rückt, auch hinsichtlich ihrer Bildung durch die Kategorien der Freiheit nur als ein defizitärer Modus denkbar: Ihnen fehlen die oben aufgezeigten Bezüge und Reflexionsmomente, die zum vollständigen Begriff von Handlung überhaupt gehören, was in der Tafel durch das Fehlen einer Pflichtwidrigkeit im genuin moralischen Sinne deutlich wird.
5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien in Kants theoretischer und praktischer Philosophie Das vorliegende Kapitel versucht, den Ursprung der Tafel der Kategorien der Freiheit im zweiten Hauptstück der Analytik der KpV zu bestimmen. Hierbei soll dafür argumentiert werden, dass sich diese Kategorien ebenso wie die Erkenntniskategorien der ersten Kritik einer Ableitung aus der logischen Struktur der Urteilsformen verdanken, die Kant in der Urteilstafel der KrV anführt. Es wird gezeigt, wie die logische Struktur jeder einzelnen Kategorie der Freiheit – analog den Erkenntniskategorien – auf einem „Urteil“ der Tafel der ersten Kritik beruht. Die in der KpV entworfene, scheinbar unvermittelt eingeführte praktische Kategorienlehre ergibt sich konsequenter als vielfach angenommen aus Kants Konzeption der Vernunftkritik: Sie stellt die Transformation der logischen Urteilslehre in einem Formungsaspekt der Willensbildung dar. Kants praktische Kategorienlehre bleibt nicht nur missverstanden, wenn sie als Resultat der willkürlichen Übertragung eines zentralen Theoriestücks der Erkenntnistheorie auf die praktische Philosophie aufgefasst wird, sondern sie bleibt auch unterbestimmt, wenn man ihr einen bloß metaphorischen Gebrauch zumisst. Zwar entfällt für Kant in der zweiten Kritik aufgrund der Theorie vom Faktum der Vernunft eine transzendentale Deduktion der Kategorien der Freiheit wie sie für die Kategorien des Verstandes notwendig wird. Dennoch vollzieht Kant auch eine metaphysische Deduktion der Kategorien der Freiheit aus der Urteilstafel. Auch die logische Struktur der praktischen Kategorien beruht auf den logischen Momenten des Denkens überhaupt. Dass man darin keine illegitime Übertragung des theoretischen Urteils auf den Bereich der praktischen Philosophie zu sehen hat, lässt sich daran verdeutlichen, dass der Begriff des Urteils nicht nur zentral für die theoretische Philosophie ist, sondern auch in der praktischen Willensbestimmung vorausgesetzt wird. Obwohl für Kant der gute Wille in perspektivischer Konzentration im Zentrum der praktischen Philosophie steht, bleibt das handelnde Subjekt in seiner Selbstbestimmung angewiesen auf die grundsätzliche Funktion der logischen Urteilsfunktionen, die in allen menschlichen Wirklichkeitsbereichen gleichermaßen vorausgesetzt werden müssen. Der komplexe Vorgang der praktischen Willensbestimmung, so lehren es uns vor allem Kants Schriften zur angewandten Moralphilosophie, geht nicht in einem quasi monokausalen Effekt des guten Willens auf, sondern der Verstand und die Urteilskraft spielen auch hier eine tragende Rolle. Diejenige Funktion der Einigung, die das Urteil in der Erkenntnis von Gegenständen hat, muss in grundsätzlicher
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
Weise auch für den Bereich des Praktischen geltend gemacht werden, da es auch hier auf allen Ebenen um Urteile geht.¹ Der möglichen Bedeutung der Urteilstafel und der in ihr enthaltenen „logischen Momente“ für die Kategorientafel der zweiten Kritik kann man sich vor der Betrachtung der Analytik der KpV durch den Blick auf eine Fußnote in der dritten Kritik in einem ersten Zugriff annähern. Obwohl Kant hier nicht im eigentlichen Sinne eine Kategorientafel des Geschmacks vorlegt, entfaltet er die vier Momente des Geschmacks in so starkem Maße anhand der Urteilstafel der ersten Kritik, dass einige Interpreten an dieser Stelle eine dritte Kategorientafel Kants² vermuten. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Tafel systematisch überzeugt oder ob sie eher metaphorisch aufgefasst werden muss, ist der Umstand aufschlussreich, dass Kant sich bei seinen ästhetischen Kategorien an der Urteilstafel der ersten Kritik orientiert. Die „Momente, worauf die […] Urteilskraft in ihrer Reflexion Acht hat, habe ich, nach Anleitung der logischen Funktionen zu urteilen, aufgesucht (denn im Geschmacksurteile ist immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten)“ (KU, V, 2003), so fasst Kant zusammen. In diesem Verweis auf die für Kant selbstverständliche und irreduzible Angewiesenheit auch der ästhetischen Urteilskraft auf die Urteilsfunktionen der Tafel der ersten Kritik kann man einen ersten Hinweis darauf sehen, dass sich auch Kants praktische Kategorien der Urteilstafel der ersten Kritik verdanken könnten. Oder als Arbeitshypothese zunächst vorsichtiger formuliert: Auch für den Bereich der praktischen Philosophie, d. h. der Willensbildung, darf angenommen werden, dass die „logischen Funk-
Der Verstand kann in der ersten Kritik als ein Handeln nach synthetischen Funktionen interpretiert werden, d. h., er urteilt und erreicht durch die damit verbundene prädikative Synthesis eine Verbindung, die grundlegend ist, um überhaupt einen Sachverhalt (wie beispielsweise „alle Körper sind teilbar“) zu denken. Die Funktionen des Verstandes können nach Kant dadurch „gefunden werden“, dass man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann“ (A 69). Aus den möglichen synthetischen Einheiten aller möglichen Urteile lassen sich die Verstandesfunktionen, d. h. die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien, ableiten. Die Kategorientafel sowie die Urteilstafel müssen also als isomorph aufgefasst werden. Die Frage, inwieweit die kantische Urteilstheorie der ersten Kritik der Formung des ästhetischen Urteils zugrunde liegt, ist wenig erforscht, wird in den Interpretationen, die sich diesem Kontext zuwenden, aber zumeist ablehnend beurteilt. Den Tenor späterer Interpreten hat Bolzano in seiner Schrift „Über den Begriff des Schönen“ (1843) festgelegt, indem er die kategoriale Anordnung in der „Analytik des Schönen“ einem bloßen „Systembedürfnis“ Kants zuschreibt. Ähnlich ablehnend haben sich später Interpreten wie Kulenkampff (1978), 12 ff., oder Riedel (1996), 511, geäußert. Simon hingegen sieht in Kants kategorialer Anordnung der Analytik eine „dritte Version der Kategorientafel“ (Simon (1998), 256) und Häfliger weist in seiner Monografie „Vom Gewicht des Schönen in Kants Theorie der Urteile“ (2002) überzeugend den Einfluss der Urteilstafel auf die Formung des ästhetischen Urteils in der KU nach (vgl. Häfliger (2002), v. a. 34 ff.).
5.1 Einheit, Funktion und Verstandesform
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tionen zu urteilen“ eine nicht unerhebliche Rolle spielen und dass auch im praktischen Urteil – so wie es Kant für die ästhetische Urteilskraft explizit geltend macht – immer noch eine Beziehung auf den Verstand enthalten ist. In diesem Sinne hat man in den Kategorien der Freiheit das Resultat einer systematischen Kontinuität im Denken Kants zu sehen: Die möglichen logischen Funktionen jeden Denkens überhaupt, die als methodische Basis der gesamten Vernunftkritik in der ersten Kritik in Form einer Tafel dargelegt werden und denen sich die Kategorien der Gegenstandserkenntnis verdanken, müssen auch Eingang in die Kategorien der praktischen Philosophie finden. Die zu differenzierenden Leistungen der Vernunft dürfen nicht als funktional voneinander geschiedene oder gar heterogene Tätigkeiten angesehen, sondern müssen als Modi derselben selbsttätigen Instanz aufgefasst werden.
5.1 Einheit, Funktion und Verstandesform: die „Tafel der Momente des Denkens“ in der KrV Gemessen an der Literatur zur Kategorienlehre der ersten Kritik fällt der Umfang der Forschung zur Urteilstafel³ bescheidener aus. Neben der klassischen Arbeit von Reich (1932) liegen bis zum heutigen Tage in Form von Monografien nur die Arbeiten von Brandt (1991) und Wolff (1995) vor. Dass der Tafel gerade in der neueren Literatur mit Misstrauen begegnet wird, liegt sicher vor allem daran, dass einige Interpreten sie im Horizont der modernen Logik und Urteilstheorie betrachten. Auch mag der von Kant erhobene Vollständigkeitsanspruch zusätzlich irritiert haben. Hinzu kommt, dass die Forschung zur Entwicklungsgeschichte der Tafel Zweifel an dem von Kant behaupteten systematischen Ursprung der Kategorien aus der Urteilstafel hat aufkommen lassen. Anders als die Kategorientafel lässt sich die Urteilstafel nicht in ihrer Entstehung rekonstruieren, sondern begegnet im Jahr 1777 als ein scheinbar kurzfristig entwickeltes Theorieelement.⁴ Die Tafel wirkt trotz ihrer Erklärungsbedürftigkeit für den heutigen Leser – in dessen Augen sie sicher zu unvermittelt eingeführt wird – weniger problematisch, wenn man sich, wie es Tonelli in seinen entwicklungsgeschichtlichen Studien vorschlägt, vor Augen führt, innerhalb welch subjektiver Ermessensspielräume die Diskussion um die Einteilung der Urteilsarten von Kants Zeitgenossen geführt
Einen guten Überblick über die Forschungslage gibt Brandt (1991), 9 ff. Nach Tonelli (1966), 147 ff., entsteht die Tafel im Zusammenhang der Entdeckung eines Parallelismus zu den Kategorien relativ unvermittelt, was jedoch nicht die These unmöglich mache, dass die im Entstehen begriffene Tafel wiederum einen Einfluss auf die Kategorienlehre gehabt haben könnte.
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
wurde.⁵ Zu diesen Indizien, die für einen bescheideneren Anspruch der Tafel sprechen, kommt hinzu, dass die inzwischen geläufige Bezeichnung „Urteilstafel“ oftmals zu einer fragwürdigen Deutung der Tafel führt. In einem Großteil der Literatur wird die „Tafel der Momente des Denkens“ als „Urteilstafel“ bezeichnet, obwohl Kant selbst an keiner Stelle explizit diesen Ausdruck verwendet. Lediglich in den „Prolegomena“ spricht er in einer Passage von einer „logische[n] Tafel der Urteile“ (IV, 302). In der „Kritik der reinen Vernunft“ bezeichnet Kant sie hingegen wiederholt als „Tafel der logischen Funktionen“ (KrV, B 111/112,vgl. KrV, A 299/300, B 356) oder eben als „vollständige […] Tafel der Momente des Denkens“ (KrV, A 71/72, B 96/97). Bei der Tafel handelt es sich, wie die beiden letztgenannten Bezeichnungen nahelegen, nicht um eine vollständige Exponierung aller Urteilsarten, sondern es geht Kant um die in ihnen enthaltenen Verstandeshandlungen, d. h. darum, was „zum Urteilen überhaupt gehört, und die verschiedenen Momente des Verstandes in denselben“, nämlich um die angesprochene „logische Funktion“ im Urteil. Im ersten Abschnitt des „Transzendentalen Leitfadens der Entdeckung aller Verstandesbegriffe“, der den Titel „Von dem logischen Verstandesgebrauch überhaupt“ trägt, bestimmt Kant diese „logische Funktion“ als „Einheit der Handlung,verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ (KrV, A 67/68, B 92/93). Bei der im Urteil vorliegenden Funktion muss es sich somit um ein Moment der Einigung handeln. Im Urteil „alle Körper sind teilbar“ (vgl. A 95, B 129 Anm.) wird der Begriff des Körpers mit dem der Teilbarkeit verknüpft, d. h., durch den Begriff der Teilbarkeit wird der Begriff des Körpers in einer über sein reines „Körpersein“ hinausgehenden Vorstellung gedacht und damit eine komplexere Einheit als die bloße Vorstellung von „Körperlichkeit“ gestiftet. Alle Urteile sind in diesem Sinne Funktionen der Einheit unter unsern Vorstellungen, da nämlich statt einer unmittelbaren Vorstellung, eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und viel mögliche Erkenntnisse dadurch zusammengezogen werden (KrV, A 69/B 94).
Die hier wirksamen Verstandeshandlungen und die damit verbundenen Einigungsfunktionen lassen sich nach Kant „auffinden“, wenn man die „Funktionen
Tonelli (1966), 158, schreibt, dass das Problem der Einteilung der Urteilsarten „ein neutrales Terrain von sekundärer Bedeutung“ gewesen sei, innerhalb dessen „jede Stellungnahme im allgemeinen keine ausgesprochen polemische Bedeutung hatte“.
5.1 Einheit, Funktion und Verstandesform
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der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann“ (KrV, A 70/B 95)⁶. Die Funktion des Verstandes, die dadurch eine Einheit stiftet, dass sie eine Vereinigung von mehreren Vorstellungen zu einer übergreifenden Vorstellung leistet, muss man sich offenbar als eine Form des Handelns vorstellen. Der Verstand vollzieht diese Handlungen, indem er urteilt und auf diese Weise funktional Einheit in Form einer bestimmten Vorstellung stiftet, die aus verschiedenen Einzelvorstellungen besteht. Diese möglichen Verstandeshandlungen, die qua Urteil des Verstandes vorgenommen werden, stellt Kant in seiner Tafel der „logischen Momente des Denkens“ oder der Tafel der „logischen Funktionen“ dar. Die Erläuterungen zu der darauf im zweiten Abschnitt „Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen“ (KrV, A 70/B 95) vorgestellten Tafel fallen dabei relativ knapp aus: Wenn wir von allem Inhalte eines Urteils überhaupt abstrahiren und nur auf die bloße Verstandesform darin Acht geben, so finden wir, dass die Funktion des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente unter sich enthält (KrV, A 70/B 95).
Nach dieser kurzen Erläuterung folgt Kants „Tafel“, die ihrer Anleitung gemäß unter den Obertiteln der „Quantität“, „Qualität“, „Relation“ und „Modalität“ jeweils drei Untertitel umfasst. Der Gesichtspunkt der Quantität umfasst allgemeine, besondere und einzelne Urteile, der Aspekt der Qualität bejahende, verneinende und unendliche, der Begriff der Relation kategorische, hypothetische und disjunktive Urteile und der Gesichtspunkt der Modalität schließlich problematische, assertorische und apodiktische Urteile. Um nun die angesprochenen Handlungen des Verstandes greifbar zu machen, d. h. die logischen Funktionen, die in solchen und ähnlichen Urteilen ausgeführt werden, müssen wir „von allem Inhalte […] überhaupt abstrahiren“. Die Bedeutung der Beschreibung: die „Handlungen wodurch“ der Verstand die „logische Form eines Urteils zustande[bringt]“ (KrV, A 80/B 106) lässt sich durch die Betrachtung eines Satzes wie „Schnee ist kalt“ exemplifizieren. Wenn jemand seine Hände eine Zeit lang in Schnee legt, wird er dieses Urteil fällen. Er ordnet dabei Brandt (1990), 48 f., rekonstruiert diesen Gedankengang Kants in Rekurs auf eine briefliche Mitteilung von Schulthess folgendermaßen: 1. Alle Urteile sind Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen. 2. Alle Handlungen sind zurückführbar auf Urteile. 3. (Def.) Alle Funktionen (sc. des Verstandes) sind Einheiten der Handlung. 4. Alle Einheiten der Handlung sind Handlungen des Verstandes. 5. Alle Funktionen der Einheit sind Funktionen des Verstandes. 6. (aus 1 und 5) Alle Urteile sind Funktionen des Verstandes. 7. (aus 2– 4) Alle Einheiten der Handlung sind rückführbar auf Urteile. 8. Alle Funktionen sind rückführbar auf Urteile. Vgl. hierzu auch Wolff (1995), 19 – 32.
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
den Begriff „Schnee“ dem der Kälte über. Er bringt auf diese Weise zwei Vorstellungen, nämlich die des Schnees und die der Kälte, in einen Zusammenhang und formt damit eine einheitliche Vorstellung und das Urteil: „Schnee ist kalt“. Er fällt damit in quantitativer Perspektive (1. Moment der Urteilstafel) ein allgemeines Urteil, indem er die Eigenart von Schnee überhaupt anspricht. In der Perspektive der Qualität bejaht er einen Sachverhalt. Die Feststellung, dass Schnee kalt ist, stellt einen positiven Sachverhalt dar. Dem Schnee wird Kälte nicht ab-, sondern zugesprochen (2. Moment der Urteilstafel). Im Hinblick auf das Moment der Relation hat der Urteilende ein „kategorisches Urteil“ gefällt. Dem Schnee wird die Kälte nicht hypothetisch zugesprochen, sondern bedingungslos. Er ist kalt, ohne dass eine weitere Bedingung vorher hätte erfüllt sein müssen (3. Moment der Urteilstafel). Dass der Schnee kalt ist, ist ein Urteil, das auf die Wirklichkeit Anspruch erhebt und damit nicht nur eine Möglichkeit thematisiert. Es ist damit nicht problematisch, sondern apodiktisch. Mit dem Urteil „Schnee ist kalt“ wird ontologisch ein eindeutiger Geltungsanspruch erhoben (4. Moment der Urteilstafel). Genau in dieser Verknüpfung und Einheitsbildung durch das Urteil hat man die „logischen Funktionen“⁷ zu sehen. Wir müssen auf die jeweilige „Verstandesform“ im Urteil achthaben, d. h., wir müssen uns vergegenwärtigen, ob es sich bei dem Urteil wie im Beispielfall um ein allgemeines, bejahendes, kategorisches und assertorisches Urteil handelt.⁸ Mit diesen vier Handlungen ist zum einen der im Urteil ausgedrückte Sachverhalt erschöpfend in den Blick genommen, zum anderen wird durch das Moment der Modalität das Verhältnis zwischen dem Urteilssubjekt und dem im Urteil Behaupteten thematisch. Es ist entschieden, ob ein Begriff in vollem Umfang für ein Prädikat gilt, ob er überhaupt unter einem umfassenderen Begriff aufgenommen werden soll oder nicht, ob die Einordnung der einen Vorstellung unter die umfassendere bedingungslos sein soll, und ob der Urteilende den damit angesprochenen Sachverhalt nur als Möglichkeit, als Wirklichkeit oder gar als Notwendigkeit ansieht. Ein Urteil wird auf diese Weise auf alle seine möglichen Aspekte hin geprüft. Die Gesichtspunkte einer quantitativen, qualitativen, relationalen und modalen Betrachtungsweise sowie die diesen Aspekten jeweils zugeordneten Untertitel erlauben eine vollständige Klassifizierung des Urteils. Im Vollzug eines Urteils gemäß diesen Grundkon-
Dass es sich bei Kants Urteilstafel um eine inhaltlich völlig unbestimmte und damit auf rein formale Strukturelemente abzielende Tafel handelt, hat Wagner wiederholt hervorgehoben. Die Urteilstafel enthält nach Wagner zwar „apriorische, aber völlig formale, nur allein den ‚Verstand‘, d. h. allein die Seite des Denkens, und auch diesen (bzw. diese) ausschließlich unter Absehung von jeglichem Inhalt, den der ‚Verstand‘ (das Denken) haben mag […]“, betreffende Elemente (Wagner (2008), 11). Zum Begriff der „logischen Örter“, der sogenannten „attendenda“, vgl. Brandt (1990), 59.
5.2 Die metaphysische Deduktion der Kategorien – ein Überblick
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stanten des Denkens, im Quantifizieren, im Ab- und Zusprechen, im Bejahen und Verneinen und in der Bestimmung der Seinsgeltung hat man die von Kant angesprochenen Handlungen des Verstandes, die logischen Funktionen, die jedem Urteil zugrunde liegen, zu verorten. Im Urteil wird auf unterschiedliche Weise eine Vereinigung vollzogen, indem beispielsweise verschiedene Vorstellungen zusammengeführt werden und so eine umfassendere zustande kommt. Alle Urteile sind in diesem Sinne Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen.
5.2 Die metaphysische Deduktion der Kategorien – ein Überblick Die Tafel der Momente des Denkens und die in dieser enthaltenen „logischen Funktionen“⁹ bilden nach Kants eigener Einschätzung die Grundlage seiner „metaphysischen Deduktion“ der Kategorien. Kant verwendet den Begriff der „metaphysischen Deduktion“ in der KrV an nur einer Stelle und dort auch nur retrospektiv: In der metaphysischen Deduktion wurde der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihr völliges Zusammentreffen mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens dargetan, in der transzendentalen aber die Möglichkeit derselben als Erkenntnisse a priori als Gegenstände einer Anschauung überhaupt […] dargestellt (KrV, B 159).
Als ein erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass Kant bei seiner Kategoriendeduktion von zwei Teilschritten ausgeht: Die „metaphysische Deduktion“ besteht darin, zu zeigen, wie sich die reinen Verstandesbegriffe auffinden lassen, und die transzendentale Deduktion muss zeigen, wie sich diese reinen Begriffe des Verstandes als Grundlage der objektiven Konstitution aller Gegenstände begreifen lassen. Im Rahmen der „metaphysischen Deduktion“ spielt dabei für Kant die Urteilstafel die tragende Rolle. In ihr liegt der „Leitfaden“ der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe. Die Überlegungen, die Kant im Zusammenhang mit der Einführung und Explikation der logischen Funktionen im Urteil vorstellt, bilden das von ihm als „metaphysische Deduktion“ bezeichnete Unternehmen. In einem ersten Schritt hatte Kant dazu nachgewiesen, dass der Verstand im Urteil eine Synthesis des Mannigfaltigen vollzieht und damit die Einheit einer Vorstellung
Es ist aufgrund von Kants wenigen Äußerungen zur metaphysischen Deduktion nicht unumstritten, was er mit diesem Ausdruck genau im Sinn hatte und was das „metaphysische“ dieser Deduktion ausmachen könnte. Für eine Diskussion möglicher Klärungsansätze siehe Wolff (1995), 115 ff.
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
ermöglicht. In der Prädikation „alle Körper sind teilbar“ werden der Begriff des Körpers und der der Teilbarkeit zu der höheren Vorstellung der Teilbarkeit aller Körper verknüpft. Der Verstand wurde in diesem Zusammenhang als das Vermögen, zu urteilen ausgezeichnet. Kant ging es dabei nicht um eine erschöpfende Darstellung aller denkbaren Urteile, sondern um die „logische Funktion“, die in solchen Urteilen enthalten ist, nämlich die „bloße Verstandesform“. Anhand der inhaltsfreien Betrachtung der Funktionen im Urteil überhaupt, d. h. durch den Blick auf die reine Verknüpfung der Begriffe, gelangt Kant zu reinen Verstandesbegriffen. Diese bloße Verstandesform ist nicht der Erfahrung entlehnt, gleichwohl aber auf diese anwendbar. Die Zuordnung der einzelnen Urteilsformen zu jeweils einer Kategorie unternimmt Kant im letzten Schritt der metaphysischen Deduktion. Da bekanntlich „[d]ieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urtheile Einheit giebt“ auch „der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit [gibt]“ und sich daher genauso viele reine Verstandesbegriffe auffinden lassen, wie es „logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab“ (KrV, A 80/B 106), geht Kant von einer Entsprechung von jeweiliger Urteilsform und Kategorie aus.¹⁰ Unabhängig von einer detaillierten Diskussion der Frage, ob diese Ableitung jeder einzelnen Kategorie aus der ihr zugrunde liegenden Urteilsform überzeugt, muss festgehalten werden, dass Kant von einer solchen Entsprechung ausgeht und dass sich die Kategorien aus der „Tafel aller Momente des Denkens“ ableiten lassen.
5.3 Die Tafel der Kategorien der Freiheit und die Urteilstafel In der Literatur zur Kategorienlehre der „Kritik der praktischen Vernunft“ ist immer wieder der Vorwurf geltend gemacht worden, Kant habe sich aus „Systemzwang“ (Adickes (1887), 143) oder einer „Liebe zum System“ (Graband (2005), 52) dazu verleiten lassen, auch im Bereich der praktischen Philosophie eine Kategorientafel Die von Kant beanspruchte Stimmigkeit der Zuordnung der jeweiligen Urteilsform zu der daraus sich ergebenden Kategorie ist an vielen Stellen problematisch, enthält die Kategorientafel doch Kategorien, die sich nicht ohne Weiteres aus der „Tafel der Momente des Denkens“ ergeben. Brandt (1991), 75 f., Longuenesse (1993), 280, und Höffe (2003), 91, etwa weisen zu Recht darauf hin, dass innerhalb der Entsprechung von Urteilsmomenten und Quantitätskategorien eine Umkehrung vorgenommen werden müsste: Dem einzelnen Urteil müsste die Kategorie der „Einheit“ und dem allgemeinen Urteil diejenige der „Allheit“ entsprechen. Höffe problematisiert darüber hinaus die Entsprechung von hypothetischem Urteil und Kausalitätskategorie, weil das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung nicht bloß hypothetisch, sondern auch assertorisch formuliert werden könne.
5.3 Die Tafel der Kategorien der Freiheit und die Urteilstafel
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zu entwerfen, die letztlich nicht systematisch gerechtfertigt sei, sondern vielmehr jene aus der Erkenntnistheorie bekannte Kategorialität auf den ihr sachfremden Gegenstand der Moralphilosophie anwende. In diesem Zusammenhang hat man den Versuch unternommen, den Einfluss der Kategorien der ersten Kritik auf die Kategorien der Freiheit nachzuweisen bzw. mögliche Überschneidungspunkte in den Blick zu nehmen (vgl. Graband (2005), Bader (2009)). Dabei nehmen die Versuche einer möglichen Parallelisierung nur die beiden Kategorientafeln selbst in den Blick¹¹ und kritisieren, dass Kant für die Kategorien der ersten Kritik eine metaphysische und transzendentale Deduktion der Kategorien geleistet habe, während die Kategorien der Freiheit quasi ohne Fundament und unvorbereitet im zweiten Hauptstück der Analytik eingeführt würden. Hat man sich einmal durch die zahlreichen verstreuten Bemerkungen und die Lektüre der angewandten Schriften zur Moralphilosophie der Rolle des Urteils in Kants praktischer Philosophie angemessen versichert, erscheint es Erfolg versprechend, der Frage nachzugehen, ob nicht auch der Ursprung der Kategorien der Freiheit in Kants Urteilstafel liegen könnte. Nimmt man dabei die Einsicht ernst, dass bereits der gesamte Prozess der Willenskonstitution als ein Urteilsprozess begriffen werden muss (vgl. Recki (2001), 236), so fragt es sich, ob sich nicht auch die logische Struktur von Kants Kategorien der Freiheit einer metaphysischen Deduktion aus der Urteilstafel verdankt.¹² Dass diejenigen Einheitshandlungen des Verstandes in der prädikativen Synthesis des Urteils funktional auch der anschauungsbezogenen Synthesis in der Erkenntnis zugrunde liegen, mag plausibel und damit auch die Ableitung der Erkenntniskategorien aus der Urteilstafel verständlich erscheinen. Was jedoch jene Einheitsstiftung in der Urteilsprädikation mit der Herausbildung einer einheitlichen Willensabsicht aus Begehrungen zu tun haben könnte, ist nicht in demselben Maße einsichtig. Nimmt man aber Kants Hinweis ernst, dass die Kategorien das „Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft […] unterwerfen“ (KpV, 65) sollen, und bezieht daraufhin seine Äußerung in den Reflexionen mit ein, dass es sich bei den Für einen solchen Versuch siehe Bader (2009). Brandt (1991), 1 scheint eine solche Interpretation anzudeuten, wenn er in der Einleitung seiner einflussreichen Monografie über die Urteilstafel schreibt, dass „in ihr […] alle Kritik, Transzendentalphilosophie und Metaphysik (der Sitten und der Natur) ihr Fundament“ habe. Wenn es „einen Fels […], auf dem das Lehrgebäude der Kantischen Philosophie erbaut ist“, gäbe, dann sei es „die Urteilstafel“. Dem „Vorgehen der Kritik von 1781“ folge die „gesamte theoretische, aber auch die praktische Philosophie Kants“. An „der Urteilstafel als der Grundlage aller Systematik“ habe Kant „nie gezweifelt“. Auch Zimmermann argumentiert für die Möglichkeit einer Deduktion der Tafel der Freiheitskategorien aus der Urteilstafel (vgl. Zimmermann (2011), 73 ff.). Siehe hierzu auch Klemme (2013), 196.
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
„Kategorien der Moralität“ um „Funktionen der Freiheit“ (XIX, 6854, 180) handele, so ist die folgende Verhältnisbestimmung zwischen theoretischer und praktischer Kategorialität anzunehmen: Die Kategorien der Freiheit sind ebenso wie die Kategorien der ersten Kritik „Ordnungsfunktionen“. Während die Kategorien der ersten Kritik „verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen […] ordnen“, so ordnen die Kategorien der Freiheit durch eine ähnliche Funktion das „Mannigfaltige der Begehrungen“ zu einer einheitlichen Willensabsicht.¹³ Sowohl in der Ordnung des Erkenntnismaterials und der Vereinheitlichung unterschiedlicher Vorstellungen zu einer objektiven Gegenstandserkenntnis als auch in der Vereinheitlichung der Begehrungen geht es darum, eine jeweils höhere Einheit der Vorstellung bzw. Begehrung zu stiften. Die Freiheitskategorien leisten diese Einheitsstiftung, indem sie unter den ihnen eigenen Gesichtspunkten eine Willensabsicht unter allen möglichen Aspekten reflektieren und damit Einheit ermöglichen; die Kategorien der ersten Kritik, indem sie ein Objekt in der Erkenntnis konstituieren. Dabei tritt im Praktischen an die Stelle derjenigen Vorstellungseinheit, die anhand der Verbindung von Satzsubjekt und Prädikat durch die Formalisierung „Alle S sind P“ gestiftet wird, die normative Einheit einer Handlungsabsicht, indem die Moralität der Maxime praktisch unter quantitativen, qualitativen, relationalen und modalen Gesichtspunkten, die sich in drei Untertitel ausdifferenzieren, betrachtet wird. In der moralischen Beurteilung, d. h. im Quantifizieren des praktischen Geltungsumfanges einer in der Maxime enthaltenen Normativität (Praktische Kategorien der Quantität), im Ab- und Zusprechen einer sie fundierenden Regel (Praktische Kategorien der Qualität), in der Reflexion auf außer ihr liegende Begriffe des moralischen Selbstverständnisses (Praktische Kategorien der Relation) und in der Bestimmung des normativen Geltungscharakters (Praktische Kategorien der Modalität) hat man die von Kant angesprochenen „Funktionen“ zu sehen. Sie konstituieren strukturanalog zu der Bestimmung des Funktionsbegriffs in der Gegenstandserkenntnis an dieser Stelle kein gegenständliches Objekt, sondern ein Objekt der praktischen Vernunft¹⁴ – und damit eine einheitliche und praktisch vollständig reflektierte Handlungsabsicht. Ein Indiz dafür, dass Kant seine Urteilstheorie der ersten Kritik auch als Grundlage für seine zwei weiteren Kritiken aufgefasst hat, deutet sich in der dritten Kritik an. Dort heißt es, dass Kant die vier Momente, anhand derer sich das ästhetische Geschmacksurteil konstituiert, nach „Anleitung der logischen Funk Zum Aspekt der Einheitsbildung durch die „Kategorien der Freiheit“, d. h. ihrer Aufgabe, das „Mannigfaltige der Begehrungen“ zu einer einheitlichen Willensabsicht zu ordnen, vgl. Recki (2001), 234– 242 und Graband (2005), 47 f. Zum Begriff des „Objekts der praktischen Vernunft“ siehe Pieper (2002), 115 ff.
5.4 Die Quantität der Urteile in der KrV und die praktischen Quantitätskategorien
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tionen zu urteilen, aufgesucht“ habe und dass im Geschmacksurteil immer noch „eine Beziehung auf den Verstand enthalten“ (KU,V, 203) sei. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Transformation der kantischen Urteilstafel im Bereich des ästhetischen Urteils zu überzeugen vermag,wird daran trotzdem deutlich, dass die in der „Kritik der reinen Vernunft“ entfalteten Urteilsmomente – zumindest Kants eigener Intention zufolge – auch der formalen Struktur der ästhetischen Urteilslehre in der „Kritik der Urteilskraft“ zugrunde liegen. Ein ähnlicher Einfluss der Urteilstafel ist auch im Falle der Kategorienlehre der praktischen Philosophie anzunehmen: Zum einen folgt die Tafel der Kategorien der Freiheit exakter als die in der KU exponierten Momente des Geschmacksurteils dem Aufbau der Urteilstafel der ersten Kritik, zum anderen ist deutlich geworden, dass Kant den Vorgang der Willensbestimmung in starkem Maße analog dem Vorgang der Gegenstandserkenntnis konstruiert.¹⁵ In der Willensbildung und der sich daraus konstituierenden praktischen Handlung geht es zwar um etwas von der Gegenstandserkenntnis gänzlich zu Unterscheidendes. Trotzdem muss auch die auf Begehrungen beruhende „praktische Erkenntnis“ Formungsmomenten des Denkens folgen. Diese Formungsmomente des Denkens sind nichts anderes als die von Kant in der Urteilstafel benannten Momente des Urteilens überhaupt und die mit ihnen verbundenen logischen Funktionen, auf die jedes Urteil, unabhängig von seinem Gegenstandsbereich, unabdingbar zurückzuführen ist.
5.4 Die Quantität der Urteile in der KrV und die praktischen Quantitätskategorien Unter dem Moment der Quantität geht es in der Urteilstafel um die Frage, ob die Prädikation („Alle S sind P“) auf alle Satzsubjekte zu beziehen ist oder nur auf bestimmte. Es geht also darum, ob in einem Urteil bewertet wird, ob jeder Schnee kalt ist oder nur eine bestimmte Art von Schnee. In der moralischen Beurteilung durch praktische Kategorien steht unter dem Gesichtspunkt der Quantität ein logisch analoger Vorgang im Fokus. Dabei tritt an die Stelle der Prädikation „Alle S sind P“ das Problem des Geltungsbereiches eines praktischen Urteils in extensionaler Perspektive. Es geht also darum, ob die Willensabsicht nur eine je personenspezifische Willensmeinung, eine Vorschrift oder sogar ein Gesetz impliziert und damit um die Frage, ob Normativität in einem zunächst rein strukturellen Recki (2001), 236, schreibt treffend, dass Kant die Bestimmung des Willens „weitgehend nach dem Modell der logischen [Urteile]“ konzipiere, und zieht daraus die einsichtige Konsequenz, dass die „Handlung“ selbst dadurch als „eine besondere Art zu urteilen“ begriffen werden müsse (vgl. Recki (2001), 236).
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
Sinne für nur ein Subjekt (Maxime), für eine Gruppe von Subjekten (Vorschrift) oder gar für alle Subjekte (Gesetz) Geltung hat. Anders als im logischen Urteil, das beispielsweise den Begriff des Schnees der „Kälte“ subsumiert und zu fragen hat, ob diese Subsumption für jede Art von Schnee gilt, tritt unter dem Gesichtspunkt der praktischen Beurteilung das Problem in den Mittelpunkt, ob ein bestimmter Imperativ für ein Handlungssubjekt oder für alle Handlungssubjekte gilt. Die logische Grundstruktur der unter dem Obertitel der Quantität abgehandelten Untertitel bleibt aber auch bei deren Anwendung innerhalb der praktischen Beurteilung erhalten, indem sie auf ein moralreflexives Moment übertragen wird: Die Frage, ob in einem Urteil die Notation vollständig oder nur teilweise unter ein bestimmtes Prädikat fällt, wandelt sich zu der Frage, ob der zu reflektierende Gehalt der Maxime („P“) nur subjektiv für ein bestimmtes Individuum, für eine Gruppe von Individuen oder gar für alle Individuen Geltung hat.
5.5 Die Qualität der Urteile in der KrV und die praktischen Qualitätskategorien Wie in der für das Moment der Quantität angedeuteten Transformation der logischen Urteilslehre in den Bereich des Praktischen oben deutlich wurde, geht es in der Tafel der Kategorien der Freiheit nicht um eine Prädikation oder einen zu betrachtenden Sachgehalt, sondern um die Bewertungen von Handlungsabsichten unter allen denkbaren Gesichtspunkten. Unter dem Gesichtspunkt der Qualität wird aus diesem Grunde auch nicht eine Bejahung oder Verneinung im Urteil zum Thema. Vielmehr geht es darum, die bereits unter dem Obertitel der Quantität angesprochene Moralität einer Handlungsabsicht unter dem Aspekt einer ihr möglicherweise zugrunde liegenden Regel zu betrachten. Die beiden ersten Untertitel des Moments der Qualität der Kategorientafel der zweiten Kritik bestehen analog zur Struktur von Bejahung und Verneinung in einer „praktischen Regel des Begehens“ und einer „praktischen Regel des Unterlassens“. Das logische Moment des Bejahens oder Verneinens wird also transformiert in die Qualität einer Handlungsregel: Ob diese Regel nämlich positiv den Vollzug einer Handlung anweist oder vorschreibt, eine Handlung zu unterlassen – d. h. sie moralisch negiert. Die Kategorie der praktischen Regeln der Ausnahmen müsste sich dem „unendlichen Urteil“ der Urteilstafel verdanken – wie in der Kategorientafel der ersten Kritik die Kategorie der „Limitation“. Eine solche Übertragung auch auf den Bereich der praktischen Beurteilung wird einsichtig, wenn man sich noch einmal das eigentümliche Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat im unendlichen Urteil vor Augen führt:
5.6 Die Relation der Urteile in der KrV und die praktischen Relationskategorien
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Das unendliche Urteil zeigt nicht bloß an, daß ein Subjekt unter der Sphäre eines Prädikats nicht enthalten sei, sondern daß es außer der Sphäre desselben in der unendlichen Sphäre irgendwo liege […] (Logik, IX, 104).
Als Beispiel nennt Kant den Satz: „Die Seele ist nicht sterblich“. Dieser setzt das Prädikat in eine nicht weiter bestimmte Sphäre. Was die Seele genau ist, bleibt in diesem Satz unbestimmt. Dabei ist dieses Urteil weder bejahend noch verneinend. Die Seele wird nicht in dem bestimmt, was sie selbst ist, sie wird nur bestimmt als etwas, das übrig bleibt, wenn man die Sterblichkeit abzieht. Dem Satzsubjekt „Seele“ wird also alles „Sterbliche“ abgesprochen und es wird damit als etwas Nichtsterbliches verstanden, das selbst aber unbestimmt bleibt. Das Satzsubjekt liegt damit nicht nur nicht in der Sphäre des Prädikats, sondern in einer „prädikativ unendlichen“ Sphäre. Die Kategorie der praktischen Regeln der Ausnahmen verdankt sich einer strukturellen Analogie mit der eben angeführten prädikativen Bestimmung im logischen Aussagesatz: Die moralische Urteilskraft kennt innerhalb der Tugendpflichten einen praktischen Ermessensspielraum, der die strenge Ausrichtung der Maxime am Sittengesetz durch die Reflexion auf mögliche moralische Ausnahmen erweitert. Dadurch wird das Urteil des Subjekts in eine Sphäre der immer neu zu bestimmenden und damit moralisch zunächst unbestimmten praktischen Bewertung gerückt. Ähnlich wie das Prädikat im unendlichen Urteil der Urteilstafel in eine nicht näher bestimmte Sphäre gesetzt wird, thematisiert die Kategorie der praktischen Regeln der Ausnahmen den Vorgang der praktischen Beurteilung im Hinblick auf einen moralisch zunächst nicht weiter eingegrenzten, d. h. „unendlichen“ Ermessensspielraum der Urteilskraft. Die Moralität einer Maxime wird durch die dritte Kategorie der Qualität hinsichtlich eines normativ relevanten Regelvollzugs betrachtet. Dabei geht es aber gerade darum, dass die Qualität hier nur durch eine selbst nicht genau festgelegte Sphäre definiert wird, die Bestimmung einer moralischen Handlungsregel nicht bejaht oder verneint wird, sondern die Qualität an dieser Stelle offen und damit unbestimmt bleibt.
5.6 Die Relation der Urteile in der KrV und die praktischen Relationskategorien Das erste Moment der Relation in der Urteilstafel besteht in einem kategorischen Urteil der Form „S ist P“. Das Kategorische eines solchen Urteils besteht darin, dass die Prädikation als eine Behauptung ausgesprochen wird, die im Gegensatz zum hypothetischen Urteil voraussetzungslos gilt. Die Relation zwischen „S“ und „P“ muss im kategorischen Urteil als unbedingt aufgefasst werden. Diese logische
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
Grundstruktur liegt dem ersten Moment der praktischen Relationskategorien („Auf die Persönlichkeit“) in der Form zugrunde, dass hier die Relation zwischen dem Handlungssubjekt und dem es bestimmenden Handlungsgesetz als eine kategorische gedacht wird. Der Begriff der Persönlichkeit drückt das Potential des Menschen aus, intelligibler Gesetzgeber zu sein. In der praktischen Relationskategorie „Auf die Persönlichkeit“ geht es relational betrachtet um eine kategorische Bestimmung in der möglichen Selbstgesetzgebung des Subjekts. Die Relation ist eine selbstreflexive: Im Fokus steht das Moment der Selbstgesetzgebung, d. h. eine Relation, die eine subjektintrinsische ist und die im Falle einer Selbstgesetzgebung anhand des kategorischen Imperativs eine Gesetzgebung kategorischen Charakters darstellt. Der kategorische Imperativ gilt dem Subjekt aufgrund seines Rückhalts und Ursprungs im Faktum der Vernunft bedingungslos. Analog zum kategorischen Urteil der Form „S ist P“ muss auch die sich im kategorischen Imperativ aussprechende Reflexionsstruktur als eine unbedingte begriffen werden: Wie im bedingungslosen „Ist“-Sagen des kategorischen Aussagesatzes ist auch die Relation zwischen dem kategorischen Sollensanspruch und dem Handlungssubjekt als eine bedingungslose Relation aufzufassen. Die Ableitung der zweiten praktischen Relationskategorie aus dem „hypothetischen Urteil“ mag auf den ersten Blick nicht in demselben Maße einleuchten wie die Ableitung der Kategorie „Auf die Persönlichkeit“ aus dem kategorischen Urteil. So wie sich die erste praktische Relationskategorie („Auf die Persönlichkeit“) der Analogie zwischen der logischen Bedingungslosigkeit des kategorischen Urteils und der unbedingten Geltung der Relation zwischen Sittengesetz und Handlungssubjekt verdankt, beruht auch die Kategorie „Auf den Zustand der Person“ auf einem Urteil der Urteilstafel, nämlich dem „hypothetischen Urteil“. Den Begriff der „Person“ setzt Kant an zahlreichen Stellen in Kontrast zum Begriff der „Persönlichkeit“. Dieser thematisiert den Menschen im Hinblick auf seinen Status als intelligibler Selbstgesetzgeber und den damit verbundenen kategorischen Imperativ. „Person“ hingegen ist bei Kant derjenige Begriff, der den Menschen im Hinblick auf seinen phänomenalen Charakter in den Blick nimmt. Die Person „als zur Sinnenwelt gehörig“ muss als „ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen“ (KpV, V, 87) gedacht werden. Der Begriff der Person thematisiert den Menschen als ein transzendental freies und Zwecke setzendes Wesen, impliziert aber nicht, dass es bei den damit verbundenen Imperativen und den Relationen zwischen dem Handlungsgesetz und ebendiesem Menschen um ein unbedingtes Handeln gehen muss. Während die Persönlichkeit eine bedingungslose Relation enthält, nämlich den Aspekt der unbedingten Geltung des selbstgegebenen kategorischen Imperativs in einem nicht rein vernünftigen Selbstverständnis, wird in der Kategorie „Auf den Zustand der Person“ eine mögliche Relation in Bezug auf den Menschen als Zwecke setzendes Wesen der Erscheinungswelt Thema: Das
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Konzept der Person legt das Augenmerk auf die möglichen bedingten Relationen innerhalb der normativen Selbstbestimmung und damit auf die Relationen in hypothetischen Imperativen. Allerdings handelt es sich dabei, wie die Analyse der zweiten praktischen Relationskategorie deutlich macht, um eine perspektivische Bestimmung, da der Begriff der Person auch die potentielle Möglichkeit beinhaltet, sich dem Sittengesetz gemäß zu bestimmen. Das Konzept der Person erlaubt es, das Handlungssubjekt als „zur Sinnenwelt gehörig“ zu betrachten, ohne zu übersehen, dass es „zugleich zur intelligiblen Welt gehört“ (KpV, V, 87). Die Kategorie „Auf den Zustand der Person“ verdankt sich in der Form ihrer perspektivischen Zuspitzung auf den phänomenalen Charakter des Menschen und die damit verbundenen bedingten Relationen in der Selbstbestimmung dem „hypothetischen Urteil“. Das dritte Moment der Relation in der Urteilstafel besteht in einem disjunktiven Urteil, d. h. einem Urteil der Form „S ist entweder P oder nicht P“. Das disjunktive Urteil ist nach Kant durch eine „gewisse Gemeinschaft der Erkenntnisse“ ausgezeichnet, die dadurch entsteht, dass „sie sich wechselseitig einander ausschließen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntniß bestimmen, indem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkenntniß ausmachen“ (KrV, A 62/B 89). Der Satz „Die Welt ist aus purem Zufall da oder aufgrund einer inneren Notwendigkeit“ enthält zwei mögliche, entgegengesetzte Bestimmungen der Ursachen für das Vorhandensein der Welt, die als Ganzes genommen die gesamte mögliche Sphäre einer Bestimmung der Weltursache benennen und somit in einem gemeinschaftlichen Verhältnis zueinander stehen. Kant weist darauf hin, dass die Ableitung der dritten Relationskategorie aus dem disjunktiven Urteil „nicht so in die Augen fallend sei“ (KrV, B 112) wie die Ableitung der anderen Kategorien aus den Urteilsformen. Die dritte Relationskategorie in der Tafel besteht in der Kategorie der Gemeinschaft. Das disjunktive Urteil liegt der damit verbundenen Objektkonstitution in folgender Weise zugrunde: Dasselbe Verfahren des Verstandes, wenn er sich die Sphäre eines eingetheileten Begriffs vorstellt, beobachtet er auch, wenn er ein Ding als theilbar denkt; und wie die Glieder der Eintheilung im ersteren einander ausschließen und doch in einer Sphäre verbunden sind, so stellt er sich die Theile des letzteren als solche, deren Existenz (als Substanzen) jedem auch ausschließlich von dem übrigen zukommt, doch als in einem Ganzen verbunden vor (B 112– 113).
Die objektive Gegenstandserkenntnis folgt der logischen Grundstruktur eines disjunktiven Urteils, indem sich die möglichen ontologischen Einteilungen eines Dinges zwar faktisch ausschließen, dennoch aber die gesamte Sphäre dessen, was ontologisch möglich ist, angeben und damit in ihrem Charakter des Aggregats
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
gemeinschaftlich die gesamte Sphäre des Möglichen ausmachen. Die Bestimmung der Farbe eines Gegenstandes als „weiß“ schließt das „Schwarzsein“ aus und ebenso umgekehrt das „Weißsein“ die Bestimmung eines Dinges als „schwarz“. Das „Weißsein“ verdankt sich dabei der Negation des „Schwarzseins“ und umgekehrt. Dass diese Ableitung weniger „in die Augen fallend sei“ (KrV, B 112) als die Ableitung der anderen Kategorien aus Urteilsformen, gilt auch für den Nachweis, dass die dritte praktische Relationskategorie („Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen“) sich strukturell dem disjunktiven Urteil verdankt. Die dritte Relationskategorie der Tafel der Kategorien der Freiheit thematisiert die Bildung einer Willensabsicht im Hinblick auf deren Relation zu den möglichen Willensabsichten anderer. Wie in der Analyse dieser Kategorie deutlich wird, stehen der Begriff der Person und der Persönlichkeit in einem engen Verhältnis zueinander bzw. bezeichnen unterschiedliche Aspekte des einen Subjekts: „Person“ umfasst den empirischen Charakter des Handlungssubjekts, während der Begriff „Persönlichkeit“ auf die Perspektive der noumenalen Auffassung desselben als eines rein vernünftigen und intelligiblen Selbstgesetzgebers abhebt. In derjenigen praktischen Kategorie, die eine wechselseitige Relation der einen Person auf den Zustand der anderen thematisiert, ist der Mensch also auch als ein moralisches Wesen angesprochen, das seine Maxime auf die möglichen Handlungsmaximen anderer beziehen muss. Der Begriff der „Wechselseitigkeit“ oder „Wechselwirkung“ spielt für Kant sowohl in der theoretischen Philosophie als auch in der Rechtsphilosophie eine entscheidende Rolle und ist auch in der dritten Relationskategorie enthalten, die das Moment einer wechselseitigen Beeinflussung der potentiellen Handlungsabsichten von Subjekten thematisiert. In der wechselseitigen Reflexion einer „Person auf den Zustand der anderen“ hat man in der anspruchsvolleren, auf den Aspekt der Persönlichkeit abhebenden Bedeutung eine Reflexion der eigenen Freiheit auf die eines anderen Handlungssubjekts zu sehen. Besonders in der Rechtsphilosophie wird diese Reflexion der eigenen Handlungsintention unter dem Gesichtspunkt des relationalen Bezugs auf diejenige anderer Handlungssubjekte deutlich: Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand, mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen (MS, VI, 231).
Hiermit ist der Aspekt der menschlichen Freiheit angesprochen, d. h. im Mittelpunkt steht ein apriorisches Bestimmungsmoment. Das Handlungssubjekt wird unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeit betrachtet. Wie im Zusammenhang
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mit der Untersuchung der dritten praktischen Relationskategorie deutlich wird, handelt es sich bei dem in obigem Zitat angesprochenen „Zustand“ um das Freiheitsvermögen jedes Einzelnen, das in einer Gemeinschaft als vereinigt gedacht werden muss. Das Handlungssubjekt wird in der intelligiblen Bedeutung der dritten praktischen Relationskategorie hinsichtlich seiner Persönlichkeit und seiner Zugehörigkeit zu einer „Gemeinschaft“ vorgestellt, die man als ein vernünftiges Reich der Zwecke denken kann. Personen als Persönlichkeiten müssen in der gegenseitigen Ermöglichung und Beschränkung von Freiheitsakten als eine Gemeinschaft aufgefasst werden, in der jedes Subjekt durch die Ausübung seiner ihm als einziges Recht angeborenen Freiheit Einfluss auf den „Zustand“ des anderen nimmt, d. h. auf dessen Freiheit. Der dritte Untertitel „Wechselseitig eine Person auf den Zustand der anderen“ betrachtet die zu reflektierende Willensabsicht unter dem relationalen Moment, ob diese mit der Freiheit eines anderen Subjekts zusammen bestehen kann. Das disjunktive Urteil war dadurch bestimmt, dass die Prädikation einen bestimmten Sachverhalt entweder bejaht oder verneint. Das Urteil der Form „S ist entweder P oder nicht P“ war durch eine „gewisse Gemeinschaft der Erkenntnisse“ ausgezeichnet,weil die prädikativen Bestimmungen zwar „wechselseitig einander ausschließen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntniß bestimmen, indem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkenntniß ausmachen“ (KrV, A 74/B 99). Der Satz „S ist entweder P oder nicht P“ enthält zwei mögliche, entgegengesetzte prädikative Bestimmungen, die als Ganzes genommen die gesamte mögliche Sphäre einer Bestimmung darstellen und somit in einem „gemeinschaftlichen“ Verhältnis stehen, obwohl sie sich im Aussagesatz gegenseitig ausschließen. Ein analoger Sachverhalt liegt nun in der praktischen Reflexion anhand der dritten praktischen Relationskategorie vor. Hier tritt an die Stelle der Prädikation wieder der moralische Gehalt einer Maxime. Das Subjekt muss reflektieren, ob die Handlung, die es beabsichtigt, mit dem Zustand der Freiheit eines anderen Subjekts vereinbar ist. Dem Subjekt ist es möglich, seine Handlungen entweder nach eigennützigen Gesichtspunkten auszurichten oder aber so, dass diese mit der Freiheit anderer Handlungssubjekte in Einklang gebracht werden können. Die Bestimmung einer Handlungsabsicht durch Selbstliebe und ein Handeln, das dem Sittengesetz folgt, stehen so als ein Aggregat zusammen wie die Prädikation „S ist P“ und „S ist nicht P“. Ein Handeln nach der Maxime der Selbstliebe und ein Handeln gemäß dem Sittengesetz schließen sich zwar faktisch aus, d. h. das Subjekt kann sich nur durch eine dieser Möglichkeiten der Handlungsbestimmung leiten lassen, trotzdem zeigen sie aber die gesamte Sphäre der möglichen Handlungsbestimmungen an. Indem das Subjekt willensintrinsisch, d. h. durch eigene Reflexion dieses relationalen Moments, seine eigene Absicht auf die Freiheit
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anderer Subjekte bezieht und damit die gesamte Sphäre potentieller Bestimmungen überdenkt, kann diese binnenrelationale Reflexionsverfasstheit auch auf die begriffliche Definition der dann in realen Handlungen miteinander befassten Subjekte bezogen werden: Der Handelnde ist dadurch Glied einer moralischen Gemeinschaft, dass er seine Maximen nicht einseitig an der Maxime der Selbstliebe ausrichtet, sondern am ihr entgegengesetzten Sittengesetz. Die Reflexion der gesamten Sphäre möglicher Willensbestimmungen, die in einem logischen Sinne dann als Form der Gemeinschaft bezeichnet werden kann, wird übertragen auf ein mögliches Verhältnis im Umgang der in Form von Handlungen miteinander befassten Subjekte.
5.7 Die Modalität der Urteile in der KrV und die praktischen Modalitätskategorien Am deutlichsten wird der Zusammenhang zwischen der Urteilstafel der ersten Kritik und der Tafel der Kategorien der Freiheit an den praktischen Modalitätskategorien. Die erste Modalitätskategorie („Das Erlaubte und das Unerlaubte“) beruht auf der logischen Struktur des problematischen Urteils. Einem „Redner“ ist es „unerlaubt, neue Worte oder Wortfügungen zu schmieden“ (KpV,V, 11), während es einem „Dichter“ in einem „gewissen Maße erlaubt“ (KpV,V, 11) sei. Jedoch wird hier nicht „an Pflicht gedacht“ (KpV, V,11). Die Kategorie „Das Erlaubte und das Unerlaubte“ reflektiert die Willensabsicht nicht unter dem Gesichtspunkt einer Ausrichtung am Sittengesetz und damit an einem apodiktischen Imperativ, sondern nur unter dem Gesichtspunkt eines problematischen Imperativs, einer „bloß möglichen praktischen Vorschrift“ (KpV, V, 11). Deutlich hebt Kant in diesem Zusammenhang hervor, dass es ihm an dieser Stelle um den „Unterschied der Imperative, unter problematischem, assertorischem und apodiktischem Bestimmungsgrunde, zu tun“ (KpV,V, 11) sei. Er folgt damit einmal mehr der Struktur der Urteilstafel, die unter dem Moment der Modalität ebenfalls problematische, assertorische und apodiktische Urteile aufführt. Die erste praktische Modalitätskategorie¹⁶ verdankt sich strukturell der unter dem ersten Moment der Modalität thematisierten Prädikation im Urteil der Form „S könnte P sein“. Dass es einem
Wie Bader (2009), 818, in seinem Aufsatz in Bezug auf die Metaphysiknachschrift Pölitzʼ zu Recht hervorhebt, haben wir es an dieser Stelle mit einer „Necessitatio problematica“ zu tun. Zum Begriff des problematischen Urteils im Verhältnis zum assertorischen und apodiktischen vgl. XVI, 637, IX, 108, VIII, 193, V, 397. Zur Diskussion der Verhältnisbestimmung zwischen problematischem, assertorischen und apodiktischem Imperativ vor der Unterscheidung zwischen hypothetischem und kategorischem Imperativ vgl. Patzig (1994), 222 ff.
5.7 Die Modalität der Urteile in der KrV und die praktischen Modalitätskategorien
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Redner nicht erlaubt ist, neue Worte zu erfinden, stellt eine relativ beliebige berufsspezifische Regel dar. Ein Redner kann zwar diese möglichen normativen Beschränkungen seiner Berufsausübung anerkennen, muss es aber nicht. Die Geltung des hier angesprochenen Imperativs ist also nur möglich, nicht jedoch wirklich oder gar notwendig. In der Urteilstafel findet sich als zweites Urteilsmoment das assertorische Urteil. In diesem wird ein Sachverhalt festgestellt, d. h. es wird ein solcher ohne jeden Zusatz behauptet („S ist P“). In der Tafel der Kategorien der Freiheit befindet sich an der entsprechenden Stelle die Kategorie „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“. Die hier angesprochene Pflicht ist dabei nicht mit der vom Sittengesetz ausgehenden moralischen Pflicht zu identifizieren, sondern bezeichnet laut der bereits zitierten Fußnote (vgl. KpV,V, 11) der „Vorrede“ eher einen Sachzwang bzw. eine institutionelle Auflage: Der Imperativ, auf dem die erlaubte bzw. unerlaubte Handlung beruht, ist ein bloß problematischer; derjenige, welcher der an dieser Stelle thematisch gemachten Form der Verpflichtung zugrunde liegen soll, ist ein assertorischer. Der erste beinhaltet eine bloß „mögliche praktische Vorschrift“, wohingegen der zweite „in solcher Beziehung auf ein in der Vernunft überhaupt wirklich liegendes Gesetz“ (KpV, V, 11) verweist. Wer sich nicht um den Ruf eines guten Redners bringen will, der sollte das Publikum verwirrende Wortspiele vermeiden. Der darin angelegte Imperativ ist aber nur problematisch, weil er eine bloße „Anratung“, d. h. eine relativ unverbindliche berufsspezifische Auflage enthält. In der zweiten praktischen Modalitätskategorie hingegen thematisiert Kant einen höheren Grad an Verpflichtung, welche einen Imperativ assertorischen Charakters voraussetzt und die er als ein „wirklich“ in der „Vernunft liegendes Gesetz“ (KpV, V, 11) bezeichnet. Dies können – um bei dem vorliegenden Beispiel zu bleiben – berufsspezifische Auflagen sein, die zur Ausübung eines Berufes wirklich unumgänglich sind, wie beispielsweise die Pflicht eines Redners, sich überhaupt ein Mindestmaß an rhetorischen Fähigkeiten anzueignen. Die damit thematisierten Pflichten müssen noch keine moralischen Verpflichtungen sein, sie gehen aber zurück auf Imperative, die etwas nicht nur möglicherweise, sondern wirklich gebieten. Unabhängig von der moralischen Qualität des Imperativs „Du bist als Redner verpflichtet, dir ein Mindestmaß an rhetorischen Fähigkeiten anzueignen“ ist an dieser Stelle eine wirkliche Verpflichtung enthalten, die bei Nichtbefolgung mit hoher Wahrscheinlichkeit Sanktionen zur Folge hätte. Die institutionelle Auflage für den Redner, möglichst deutlich zu sprechen, stellt bloß einen Rat mit relativ schwachem Forderungscharakter dar. Ein Redner mit nicht vorhandenen rhetorischen Fähigkeiten würde vermutlich keine Aufträge mehr erhalten, ein Redner mit einer zeitweise undeutlichen Wortwahl hingegen wäre vielleicht bei einigen Auftraggebern weniger geschätzt, hätte sich dadurch aber nicht der sicheren Arbeitslosigkeit ausgesetzt.
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5 Urteil und Funktion: Einheitsstiftung durch Kategorien
Die Differenz zwischen der ersten und der zweiten praktischen Modalitätskategorie markiert den Unterschied zwischen problematischem und assertorischem „Bestimmungsgrunde“. So wie im Urteil „S ist P“ (assertorisches Urteil) ein Sachverhalt unhinterfragt festgestellt wird, enthält der in der zweiten praktischen Modalitätskategorie enthaltene Imperativ ein Handlungsgesetz, das in einem je spezifischen Kontext nicht nur möglicherweise, sondern wirklich gilt. Die dritte praktische Modalitätskategorie schließlich beruht auf dem dritten Urteil der Urteilstafel, nämlich dem apodiktischen. Wie die mehrfach zitierte Fußnote der „Vorrede“ deutlich macht, beruht die Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten auf einem apodiktischen Imperativ. Die ersten beiden praktischen Modalitätskategorien reflektieren eine Willensabsicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen und einer wirklich geltenden normativen Verpflichtung, die das Subjekt quasi prämoralisch unter einen Sollensanspruch stellt, der noch keine genuin moralische Verpflichtung darstellt. Die Anforderungen an den Redner, sein Publikum nicht durch unverständliche Wortschöpfungen zu verwirren und die institutionell strengere Forderung, sich die Grundlagen der Rhetorik anzueignen, konfrontieren ein Handlungssubjekt mit Sollensansprüchen überhaupt, die ihre letzte Steigerung in einem apodiktischen Urteil erfahren. Dieser apodiktische Anspruch ist verknüpft mit den vollkommenen und unvollkommenen Pflichten, d. h. den Rechts- und Tugendpflichten. Charakteristisch für diese Pflichten und die ihnen zugrunde liegenden Imperative ist ein notwendiger Geltungsanspruch: Sie gelten nicht möglicherweise oder nur institutionell bestimmt, sondern mit einer absoluten Notwendigkeit. So wie die Prädikation „S muss P sein“ eine notwendige Bestimmung ausdrückt, thematisiert auch die dritte praktische Modalitätskategorie einen nicht nur möglichen oder wirklichen, sondern notwendigen normativen Anspruch. Auch wenn die Ableitung jeder einzelnen Freiheitskategorie aus einem spezifischen Urteil der Urteilstafel im Detail ebenso erklärungsbedürftig bleibt wie die metaphysische Deduktion der Kategorien in der KrV, so ist doch unübersehbar, dass sich jede praktische Kategorie auf die logische Struktur eines bestimmten Urteils der Urteilstafel zurückführen lässt. Unabhängig von der Frage, ob diese Transformation der Urteilslehre in einen Urteilsaspekt praktischer Willensbildung systematisch zu überzeugen vermag, bleibt festzuhalten, dass Kant die logische Form der praktischen Kategorien aus den Urteilen der Urteilstafel ableitet. Er vollzieht – um in seinen eigenen Begriffen zu sprechen – auch innerhalb seiner praktischen Kategorienlehre eine metaphysische Deduktion. Während die Kategorien der ersten Kritik durch die der Satzprädikation analoge Einheitsstiftung in der Synthesis verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen ordnen und so eine objektive Gegenstandserkenntnis ermöglichen, formen die praktischen Kategorien anhand ebenderselben logischen
5.7 Die Modalität der Urteile in der KrV und die praktischen Modalitätskategorien
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Ordnungsstruktur das „Mannigfaltige der Begehrungen“ zu einer einheitlichen Handlungsabsicht. In beiden Fällen geht es darum, eine jeweils höhere Einheit, entweder der Vorstellung oder der Begehrung bzw. der Willensabsicht, zu erreichen. In der Tafel der Freiheitskategorien finden sich analog zu der Bestimmung der Kategorien der KrV als einigende Urteilsfunktionen diejenigen Reflexionsmomente, welche eine solche Ordnung und Einheitsbildung im Praktischen leisten. So wie ein logisches Urteil – und dann auch die objektive Gegenstandserkenntnis – durch jeweils ein Moment der Quantität, Qualität, Relation und Modalität bestimmt ist, und damit durch diese Einheitsbildung ein vollständig bestimmtes Urteil bzw. ein vollständig bestimmtes Objekt vorliegt, wird auch eine Maxime und deren mögliche Moralität unter allen relevanten Gesichtspunkten des Denkens reflektiert und so zu einer normativen Einheit gebracht. Jedes praktische Urteil beruht auf den Kategorien der Freiheit, deren logische Struktur sich dieser in der „vollständigen Tafel der Momente des Denkens“ angelegten Momente verdankt. Kant schließt daher zu Recht, dass die „Funktionen der Freiheit“ (XIX, 6854, 180) in allem „Praktischen“ enthalten sind.
6 Die Synthesis eines „Mannigfaltigen“ in theoretischer und praktischer Perspektive: Kants Objektbegriff in der KrV und der KpV Laut Kants Erläuterungen zur Tafel der Kategorien der Freiheit sollen die praktischen Kategorien das „Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft […] unter [werfen]“ (KpV, V, 65). Dass die Aufgabe der Kategorien der Freiheit innerhalb der Willensbildung darin besteht, Begehrungen zu Maximen zu formen, um diese dann auf ihren moralischen Wert hin zu prüfen, wird in der bisherigen Literatur zwar hervorgehoben, dabei aber selten auf die Bedeutung dieser Kategorien in Kants Theorie des praktischen Selbstbewusstseins abgehoben.¹ Im folgenden Kapitel soll eine mögliche, grundlegende Aufgabe der Kategorien der Freiheit innerhalb der kantischen Konzeption eines praktischen Selbstbewusstseins skizziert werden, welche aber nur „unter der Hand“ deutlich wird: Diese Kategorien ermöglichen die Einheit des praktischen Selbstbewusstseins² und erlauben, dass von Handlungen als Entäußerungen eines sich seiner praktischen Selbstidentität gewissen Subjekts gesprochen werden kann.
Bei Beck (1985), Bobzien (1988) und Pieper (2002) wird dieser Gedanke nur kurz gestreift. Ausnahmen bilden Kaulbach (1978) und Stolzenberg (2009), die beide ansatzweise auf den Gedanken einer praktischen Apperzeption und der möglichen Bedeutung der Kategorien der Freiheit für Kants Theorie eines praktischen Selbstbewusstseins eingehen. Eine Auseinandersetzung mit Kants nur skizzenhafter Theorie des praktischen Selbstbewusstseins deutet sich nur bei wenigen Interpreten an (vgl. Stolzenberg (1988, 2009), Loock (2007)). Stolzenberg schreibt in diesem Zusammenhang: „Ist es nämlich der Fall, daß ein unbedingtes Gesetz bloß das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft ist, dann müßte das Bewußtsein des moralischen Gesetzes doch auch als ein Selbstverhältnis der reinen praktischen Vernunft beschrieben werden können“ (Stolzenberg (1988), 186). Streichert (2003), 58, sieht die Annahme einer solchen praktischen Selbstbewusstseinstheorie mit Problemen behaftet, da das „reflexive Verhältnis von moralischem Gesetz und Vernunft als Selbstbewußtsein zu interpretieren […] auf verschiedene Schwierigkeiten [stößt]“, nämlich „zum einen auf die prinzipielle Schwierigkeit, der sich auch die theoretische Vernunft nicht entziehen konnte, aus der reinen Reflexivität Selbstbewußtsein nicht begründen zu können. Zum anderen müßte gezeigt werden, worin der Unterschied eines Selbtsbewußtseins der theoretischen und eines der praktischen Vernunft begründet sei“. Der Frage nach der Konsistenz dieser bei Kant nur skizzenhaften Theorie eines praktischen Selbstbewusstseins soll in dieser Arbeit nicht nachgegangen werden. Allein die Frage, ob nicht die Kategorien der Freiheit in dieser Theorie eines praktischen Selbstbewusstseins eine wichtige Funktion innehaben, steht zur Diskussion.
6 Die Synthesis eines „Mannigfaltigen“
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Der Bedeutung der Kategorien der Freiheit als Funktionsbegriffe einer praktischen Apperzeption³ kann man sich durch einen Vergleich der Analytik der KrV mit derjenigen der KpV annähern. Betrachtet man Kants Darlegungen im zweiten Hauptstück der KpV (vgl. KpV, V, 57 ff.) vor dem Hintergrund der erkenntnistheoretischen Grundbegriffe, wird einmal mehr deutlich, wie stark er auch die Willensbestimmung in Analogie zum Vorgang der Erkenntnis verständlich zu machen sucht. Kant verwendet im zweiten Hauptstück der Analytik der zweiten Kritik zentrale Termini seiner Kategoriendeduktion der KrV. Auch hier stehen „Objekte“ (KpV,V, 58), ein zu synthetisierendes „Mannigfaltige[s]“ (KpV,V, 65) und die Funktion der „Kategorien“ (KpV, V, 65) im Mittelpunkt. Dass es Kant auch bei seiner Klassifikation der Handlung als eines „Objekts der praktischen Vernunft“ um das Aufzeigen der dieses ermöglichenden Bedingungen im transzendentalen Subjekt geht, lässt sich durch einen Vergleich mit dem Gegenstands- bzw. Objektbegriff der ersten Kritik verdeutlichen.⁴ Kants Überlegungen zum Objektbegriff finden sich innerhalb seiner Erkenntnistheorie vor allem in der transzendentalen Analytik der KrV (KrV, A 56/B 84). Ein Objekt ist für Kant in der KrV dasjenige, „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist“ (KrV, B 137). Geleistet wird diese Verbindung durch die Verstandeshandlung der „Synthesis“ (vgl. KrV, III, 107 ff, § 15 „Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt“)⁵. In der ersten Kritik wird diese dem Objekt zugrunde liegende Synthesis durch die Kategorien als Funktionsbegriffe der Apperzeption⁶ vollzogen: Ein Mannigfaltiges, das in einer Anschauung, die ich die meinige nenne, enthalten ist, wird durch die Synthesis des Verstandes als zur notwendigen Einheit des Selbstbewußtseins gehörig vorgestellt, und dies geschieht durch die Kategorien (KrV, III, 115).
Der Begriff einer „praktischen Apperzeption“ findet sich bei Kant nur in den „Reflexionen“ (z. B. „Handschriftlicher Nachlass: Moralphilosophie“, XIX, R 6860, 6861) und ist daher auch nur von wenigen Interpreten aufgegriffen worden (vgl. Kaulbach (1978), 162 ff., Pieper (2002), 120, im Ansatz bei Stolzenberg (2009), 142 ff.). Die nun folgenden Darlegungen zu Kants Analytik in der ersten Kritik können nur eine unvollständige Skizze darstellen und dienen allein dem Zweck, die Analytik der zweiten Kritik verständlicher zu machen. Ein sehr guter Überblick über den Begriff des Objekts in Kants theoretischer Philosophie findet sich bei Hinsch (1986), 52 ff., dessen Darstellung ich in einigen Aspekten folge. Siehe auch Kuhne (2007), 72 ff. Zum Begriff der Synthesis bei Kant vgl. Hoppe (1983). Zur Auffassung der Kategorien als Funktionsbegriffe siehe Streichert (2003), 5, und Loock (2007), 58. Schulthess (1981), 259 f., macht überzeugend geltend, dass die „leitenden Bestimmungen der transzendentalen Analytik, Kategorie, Synthesis und Einheit […] vom Grundbegriff der Funktion her interpretiert werden [können]“ (Hervorh. v. Schulthess).
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6 Die Synthesis eines „Mannigfaltigen“
Der Begriff des „Selbstbewusstseins“ oder der „Apperzeption“⁷ kommt in Kants Kategoriendeduktion eine zentrale Bedeutung zu. Die Apperzeption bildet die Grundlage dafür, dass der Verstand durch Synthesis aus Wahrnehmungsgehalten Vorstellungen bilden kann, die als „Objekte“ bezeichnet werden können: Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird (KrV, B 139).
Menschliche Erfahrung ist in diesem Sinne auf die Funktionen der begrifflichen Synthesis angewiesen. Erst diese ermöglichen überhaupt, dass ein dem Erkenntnissubjekt in der Wahrnehmung zunächst unverbundenes und ungeordnetes Mannigfaltiges im Bewusstsein zu einer einheitlichen Vorstellung gebracht werden kann (vgl. hierzu nochmals KrV, B 129 – 131). Die Verbindung dieses Mannigfaltigen der Wahrnehmung zu einer objektiven Vorstellung muss dabei als ein Spontaneitätsakt des erkennenden Subjekts aufgefasst werden. Kant hebt hervor, dass wir uns nichts, als im Objekt verbunden, vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die Verbindung die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekt selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist (KrV, B 130).
Diese Verbindung von Elementen eines zunächst in seinen Einzelaspekten unverbundenen Mannigfaltigen zu einem einheitlichen Gegenstand oder Objekt geschieht durch Begriffe, die funktional ermöglichen, dass verschiedene Wahrnehmungen auf ein identisches Objekt bezogen werden können und dadurch eine einheitliche Erkenntnis erlauben. Ein Objekt besteht für Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ somit in einem für das Subjekt einheitlich aufzufassenden Komplex von Erfahrungsdaten, die durch erkennbare „Verstandesregeln“ (vgl. KrV, B XVII, A 67/B 92, A 91/B 124) miteinander verbunden sind. Das Objekt unterscheidet sich dadurch von einem bloß flüchtigen Wahrnehmungszustand sinnlichen bzw. subjektiven Charakters, dass es klassifiziert und in einen Kontext mit anderen Wahrnehmungen gebracht werden kann (vgl. hierzu Hinsch (1986), 2 f. u. 60). Die Begriffe, die eine solche Objektvorstellung ermöglichen, fasst Kant als „Funktionen“:
An mehreren Stellen identifiziert Kant den Begriff „Apperzeption“ mit Selbstbewusstsein (vgl. z. B. KrV, B 68). Zum Begriff der Apperzeption bei Kant und dessen begriffsgeschichtlicher Entwicklung vgl. Wunderlich (2005). Eine Studie zu den Implikationen und Problemen von Kants Begriff der Apperzeption und des Selbstbewusstseins bietet Cramer (2003), 57– 93.
6 Die Synthesis eines „Mannigfaltigen“
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Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen (KrV, B 93).
In der metaphysischen Deduktion der Kategorien bestand Kants Ziel vor allem darin, diese Begriffe oder Kategorien – als Funktionsbegriffe⁸ der transzendentalen Apperzeption – aus der Urteilstafel abzuleiten (vgl. Kapitel 5.1 dieser Arbeit). Er ging dabei von einer Entsprechung der Einheit im Urteil und der Einheit in der Anschauung eines Objekts aus. Alle möglichen Formen der Einheitsvorstellungen von Objekten ließen sich aus der Urteilstafel entnehmen. Die zwölf Formbestimmungen des Urteils liegen als Kategorien den möglichen Einheitshandlungen in der Erkenntnis von Objekten zugrunde: Dieselbe Funktion,welche verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt (KrV, B 104).
Es gibt Indizien, die für die Annahme sprechen, dass diese Kategorien als Funktionsbegriffe der Synthesis für Kants Begriff des Selbstbewusstseins eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Neben der bereits zitierten Passage aus der KrV, in der Kant davon spricht, dass die Einheit des Selbstbewusstseins „durch die Kategorien“ ermöglicht werde, deuten auch andere Textstellen darauf hin, dass die Einheit der Apperzeption und damit die Einheit des Selbstbewusstseins von der Anwendung der Kategorien abhängt.⁹ Auf die Möglichkeit, dass die Kategorien als Modi der Einheit von Bewusstseinsinhalten eine notwendige Bedingung der Funktion des Selbstbewusstseins darstellen, hat Henrich in seinen Untersuchungen zur Kategoriendeduktion bei Kant überzeugend hingewiesen (vgl. Henrich (1973), 90 – 101 f.). Nach Henrich bilden die Kategorien und ihre Anwendung eine Voraussetzung für die Möglichkeit der transzendentalen Apperzeption und damit für die Einheit des Selbstbewusstseins. Nach Henrich versucht Kant hier nicht „analytische Implikationen im Begriff des Selbstbewußtseins zu entwickeln“; vielmehr gehe es darum, „Voraussetzungen für die Möglichkeit des Fungierens eines Selbstbewußtseins an[zugeben]“ (Henrich (1973), 101 f.). Damit gelange Kant „zu Bedingungen, die nicht durch die Struktur des Selbstbewußtseins
Zur Bedeutung der Kategorien als Funktionsbegriffe siehe Schulthess (1981), 290 ff. Vgl. Refl. CXII, AA 23, 35: „Bisher hatte man geglaubt, daß man durch Categorien schon wirklich etwas erkennete; jetzt sehen wir ein, daß sie nur Gedankenformen sind, das Mannigfaltige der Anschauungen zur synthetischen Einheit der Apperception zu bringen“. Vgl. auch A 156/B 195. Zum Verhältnis zwischen Kategoriengebrauch und Apperzeption siehe Wunderlich (2005), 182 ff., dessen Arbeit ich den Hinweis auf das eben gebrachte Zitat verdanke.
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allein schon gegeben sind, die aber, und zwar kraft seiner Struktur, vorausgesetzt werden müssen, damit ein Selbstbewußtsein wirklich werden kann“ (Henrich (1973), 101 f.). Folgt man Henrichs Interpretation, so liegt in der kategorialen Synthesis, die zur Einheit einer Objektvorstellung führt, auch eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit, dass sich das transzendentale Subjekt als erkennendes Wesen seiner eigenen Identität bewusst werden kann. Die Apperzeption als Bewusstsein der Selbstidentität kann sich demzufolge nur durch den Synthesisvollzug „beweisen“ (KrV, A 112). Die Einheit des Bewusstseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte,wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet […], denn das Gemüt konnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht (KrV, A 108).
Das „Ich denke“, das alle Erkenntnis begleiten muss, d. h. das Bewusstsein einer vor dem Hintergrund unterschiedlicher Bewusstseinsinhalte konstanten Selbstidentität, kommt erst durch die Synthesis des Mannigfaltigen mithilfe von Kategorien zustande. Die von den Kategorien bestimmte Verbindung eines Mannigfaltigen und das Wissen um diese Einheitsstiftung sind Bedingung der Möglichkeit eines Bewusstseins der Selbstidentität des Subjekts: Die Objekterkenntnis und das Bewusstsein der subjektiven Selbstidentität stehen in einer Art Analogieverhältnis bzw. bezeichnen perspektivisch dieselbe Sache.¹⁰ Dieser skizzenhafte Seitenblick auf Kants Theorie des Selbstbewusstseins, die implizit in seiner Kategoriendeduktion der ersten Kritik enthalten ist, kann die Konzeption und Funktion der praktischen Kategorienlehre im zweiten Hauptstück der Analytik der zweiten Kritik erhellen, denn Kant entwirft hier in Analogie zu seinen Überlegungen in der ersten Kritik die Umrisse einer Theorie der Konstitution praktischer Objekte. Wie oben bereits hervorgehoben wurde, spricht Kant zu Beginn des zweiten Hauptstücks von den Handlungen als „Objekten“ der praktischen Vernunft (vgl. KpV, V, 57 ff.). Im zweiten Hauptstück der Analytik der zweiten Kritik, kurz vor der Einführung der Kategorientafel, bezeichnet Kant die menschlichen Handlungen wiederholt als „Objekte“ oder „Gegenstände“ der praktischen Vernunft. Die
Indizien hierfür finden sich auch im sogenannten „Duisburgʼschen Nachlass“, der Vorarbeiten für Kants transzendentale Deduktion enthält. Vgl. hierzu ausführlich Hinsch (1986), 64 ff.
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Handlung wird hier begriffen als „Objekt[ ] […] einer möglichen Wirkung durch Freiheit“ (KpV, V, 57), das dann als gut oder böse bewertet werden kann. Menschliche Handlungen in ihrer normativen Differenz sind die „Objekte“ der praktischen Vernunft. Eine Analogisierung der Voraussetzungen von Kants theoretischem Objektbegriff mit denjenigen des „Objekts der praktischen Vernunft“ kann hier aufschlussreich sein, weil sich dadurch die mögliche Funktion der Kategorien der Freiheit genauer bestimmen lässt. Auch für die menschliche Handlungsabsicht als Produkt eines Willens muss nämlich – dies legt der Duktus von Kants Überlegungen im zweiten Hauptstück der Analytik der KpV nahe – geltend gemacht werden, dass ihre Entstehung einer ähnlichen Regelhaftigkeit bedarf wie das „Objekt“ in erkenntnistheoretischer Perspektive. Wie stark Kant die im zweiten Hauptstück der Analytik vorgetragenen Überlegungen mit seiner in der ersten Kritik entworfenen Theorie der Gegenstandserkenntnis parallelisiert, wird auch dadurch deutlich, dass er explizit hervorhebt, dass man es auch im Praktischen mit einer Art von Erkenntnis zu tun hat: Die menschliche Handlung als Wirkung einer Kausalität aus Freiheit, also das moralisch geltungsdifferente „Objekt“ der praktischen Vernunft, ist Resultat einer „praktischen Erkenntniß“ (KpV, V, 57). Diejenigen Einheit stiftenden Urteilsmomente, die vorausgesetzt werden müssen, damit überhaupt von Handlungen – und nicht von bloßen Reaktionen und Handlungsreflexen – gesprochen werden kann (und die darüber hinaus der abschließenden moralischen Bewertung einer Handlungsabsicht als gut oder böse¹¹ zugrunde liegen), veranschaulicht Kant strukturanalog zu den kategorialen Einheitshandlungen des Erkennens in seiner Kategorientafel der Freiheit.¹²
Kants rigoristische These, dass jede Willensabsicht und Handlung per se moralisch geltungsdifferent, d. h. entweder gut oder böse ist, zeigt sich auch in dieser Nahaufnahme transzendentaler Funktionsbedingungen der Willenskonstitution. Nicht eigentlich die Willensabsicht und die daraus resultierende Handlung, sondern streng genommen allein die mit einer Handlung schon immer untrennbar verbundenen normativen Zuschreibungen sind die „Gegenstände“ der praktischen Vernunft: „Die alleinigen Objekte einer praktischen Vernunft sind also die vom Guten und Bösen“ (KpV, V, 58). Durch diese auf den ersten Blick seltsam partitiv wirkende Redeweise wird ein Perspektivismus kenntlich gemacht, der Kants gesamten Gedankengang im zweiten Hauptstück der Analytik bestimmt und sich auch in der Tafel der Freiheitskategorien widerspiegelt: Alle Kategorien, die an der praktischen Erkenntnis beteiligt sind, sind trotz ihres teilweise moralisch unbestimmten Status moralische Kategorien, weil sie im Dienste der Möglichkeit einer Beurteilung der Handlungsabsicht bzw. Handlung als gut oder böse stehen. Streng genommen sind aber erst die abschließenden Beurteilungen einer Handlungsabsicht durch die „Begriffe des Guten und Bösen“, die Kant als „Folgen der Willensbestimmung“ definiert, genuin moralische Begriffe. Dabei liegen diese normativen Bewertungen der Willensbildung nicht etwa selbst zugrunde, sondern ergeben sich aus dieser.
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Die Kategorien der Freiheit beziehen sich nicht als „Bestimmungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in einem Bewußtsein“ auf Objekte sinnlicher Anschauung, sondern auf das „Mannigfaltige der Begehrungen“ (KpV, V, 65). Offenbar geht Kant in Analogie zu seinem „Sinnesatomismus“ der ersten Kritik auch im Kontext der Selbstbestimmung im Handeln davon aus, dass ein Subjekt ein zunächst noch diffuses praktisches „Erkenntnismaterial“ – nämlich in diesem Fall die unvermittelt nebeneinander stehenden Triebe, Interessen und Neigungen, d. h. die „Begehrungen“ –, zwecks Vereinheitlichung zu einer Handlungsabsicht und normativer Bewertung ähnlichen Urteilsmomenten unterwerfen muss, wie es für die zunächst unverbundenen sinnlichen Anschauungseindrücke durch die Kategorien der ersten Kritik notwendig ist. Während die kategoriale Synthesis in der KrV das „Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen“ (KpV,V, 65) hatte, steht im Kontext der Willensbildung ein analoger Sachverhalt im Mittelpunkt, nämlich die Notwendigkeit, das „Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins seiner im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft […] a priori zu unterwerfen“ (KpV, V, 65, Hervorh. v. Vf.). Hiermit wird jener Grundgedanke der Transzendentalphilosophie, welcher im Zusammenhang mit Kants Kategoriendeduktion in der ersten Kritik ausführlich erörtert wurde, auch für den Bereich praktischer Objektkonstitution geltend gemacht: Der kategorialen Synthesis wird jetzt im Kontext der Willensbildung eine funktionale Parallelität zugesprochen. Die Einheit der Apperzeption ist in der KrV auf den Vollzug regelgeleiteter, d. h. kategorialer Synthesis angewiesen. Das Bewusstsein der Selbstidentität wird Kants Theorie des Selbstbewusstseins aus der ersten Kritik zufolge erst möglich durch den Vollzug einer kategorial geleiteten Synthesis. Das „Ich denke“, das alle Vorstellungen des Subjekts begleiten muss (vgl. KrV, B 131 f.), ist begründet in einem durch diesen Vollzug erzeugten Bewusstsein seiner Identität. Die von den Kategorien geregelte Verbindung eines Mannigfaltigen und das Wissen um diese Einheitsstiftung wurde als Bedingung der Möglichkeit eines sich seiner Selbstidentität gewissen Bewusstseins ausgewiesen. Ein ähnlicher Gedanke ist auch innerhalb von Kants Theorie eines praktischen Selbstbewusstseins anzunehmen, da er die Analytik der KpV terminologisch und argumentativ stark an die Analytik der KrV anlehnt. Das heißt, es darf unterstellt
Die Tafel der Kategorien der Freiheit kann als ein Ordnungsschema der Willensbildung verstanden werden, dessen einzelne Reflexionsmomente alle in dem Sinne perspektivisch als moralische Kategorien bewertet werden müssen, dass sie zwecks der Formung einer innerhalb von Kants rigoristischer Lehre immer als entweder gut oder böse zu klassifizierenden Handlungsabsicht bzw. Handlung Anwendung finden. Vgl. hierzu Kapitel 4 dieser Arbeit.
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werden, dass auch die Bildung eines Objekts der praktischen Vernunft, also einer moralisch geltungsdifferenten Handlungsabsicht, für Kant auf einem regelgeleiteten Prozess beruht, der mit der Gegenstandserkenntnis darin übereinkommt, dass jeweils ein zunächst noch heterogenes und unstrukturiertes Mannigfaltiges zur Einheit einer Objektvorstellung gebracht werden muss. So wie im theoretischen Teil der Vernunftkritik eine Pointe der Verhältnisbestimmung zwischen kategorialer Synthesis und dem Selbstbewusstsein darin lag, dass sich das Subjekt durch die Einheitsstiftung in der Synthesis seiner Selbstidentität versichern konnte, ist es plausibel, auch der Bildung einer Handlungsabsicht durch die praktischen Kategorien solch eine grundlegende Bedeutung für das praktische Selbstbewusstsein zuzugestehen. Auch die Willensabsicht ist Produkt einer Synthesis, durch die das transzendentale Subjekt zur Apperzeption, d. h. in diesem Fall zum Bewusstsein seiner selbst als eines einheitlichen und selbstidentischen praktischen Ichs gelangt. Alle Handlungen des Subjekts müssen in diesem Sinne von dem „Ich begehre“ begleitet werden können, in dem sich das Selbstbewusstsein genuin praktischer Intentionalität ausspricht.¹³ Dass eine solche Analogisierung zwischen theoretischer und praktischer Kategorialität keine interpretatorische Überspitzung darstellt, sondern die dadurch gewonnenen Einsichten die Annahme eines Begriffs von „praktischer Apperzeption“¹⁴ in Kants praktischer Philosophie sinnvoll erscheinen lassen, ergibt
Der Gedanke, dass das „Ich begehre“ analog zum „Ich denke“ aufgefasst werden muss, ist auch ein leitender Grundgedanke in den Interpretationen von Pieper (2002) und Stolzenberg (2009). Einer der wenigen Autoren, die den Begriff der Apperzeption auch in der praktischen Philosophie Kants angemessen in den Blick nehmen, ist Kaulbach (1978), 162 ff. Er interpretiert den Begriff der praktischen Apperzeption dabei zwar nicht explizit im Kontext von Kants praktischer Kategorienlehre, hebt aber auch in seiner Deutung auf den Aspekt der praktischen Vereinheitlichung von Begehrungen und deren Umsetzung in Handlungsabsichten ab. Das „eigentliche Selbst“, die „praktische[ ] Ich-Vernunft“ leiste eine Synthesis der „zunächst fremden Naturtriebe“ und bringe diese damit zur Einheit mit sich selbst: Die „Kraft der Entscheidung, welche in diese Identität einfließt, obwohl sie von den zunächst vernunftfremden Gefühlen geliefert wird, wird jetzt in die Identität des Ich und seines Handelns eingebracht. Der Handelnde, der sich auf diese Weise zur Identität zusammenhält, vermag es, auch seine Handlungen als kontinuierlichen, einigen Vollzug auszuführen und sie zu der seinigen zu machen. […] Es ist wesentlich, daß das praktische Subjekt im Selbstverständnis des freien Selbst-standes handelt: das Bewußtsein seiner selbst als praktische Apperzeption ist zugleich Selbst-‚schätzung‘ und schließt den Anspruch der Würde ein“ (Kaulbach (1978), 168). Der Gedanke einer praktischen Apperzeption könnte damit zwei Aspekte umfassen: Zum einen wird darin die grundlegende Erfordernis einer genuin praktischen Selbstidentität thematisch, d. h., es wird deutlich, dass praktische Vernunft nicht auf die in der ersten Kritik behandelte Selbstidentität des erkennenden Ichs zu reduzieren ist, zum anderen zeigt sich in dem Begriff praktischer Apperzeption die in der
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sich nicht nur als naheliegende Schlussfolgerung aus den eben vorgetragenen Überlegungen. Es finden sich auch verstreute Hinweise im „Handschriftlichen Nachlass: Moralphilosophie“ (XIX), die auf eine solche Konzeption schließen lassen. Hier heißt es: „Die apperception seiner selbst als eines intellectuellen wesens, was tätig ist, ist freyheit“, und kurz darauf schließt Kant an diesen Gedanken an, wenn er schreibt, dass „die apperzeption […] der selbstthätigkeit […] die persohn [sei], deren „werth“ auf der „mit sich selbst nach ursprünglichen regeln einstimigen freyheit“ (Handschriftlicher Nachlass: Moralphilosophie, XIX, R 6860, 661) beruhe. Die Auffassung von Freiheit als intelligibler Quelle jeder moralischen Selbstbestimmung eines vernünftigen Subjekts verlangt die praktische Selbstidentität desselben: „Die Unabhängigkeit der Freiheit von der Sinnlichkeit setzt eine Abhängigkeit derselben von der allgemeinen Bedingung, mit sich selbst zu stimmen voraus“ (Handschriftlicher Nachlass: Moralphilosophie, XIX, R 6850). Von der Selbsttätigkeit einer Person kann im Praktischen nämlich erst dann sinnvoll gesprochen werden, wenn vom Willen als Entäußerung eines identischen Handlungssubjekts ausgegangen werden kann. Die „persohn“, deren „werth“ sich auf die „mit sich selbst nach ursprünglichen regeln einstimmigen freyheit“ gründet, besteht in der eben genannten „Apperzeption […] der [praktischen] selbstthätigkeit“ (s. o.). Genau durch diese praktische Apperzeption gelangt das Subjekt zum „Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft“ (KpV, V, 52). Dass Kant eine solche, genuin praktische Form der transzendentalen Apperzeption herausstellt, spricht dafür, dass das Ich in der Perspektive der praktischen Vernunft – trotz der funktionalen Beteiligung des Denkens an der Willenskonstitution – nicht auf denjenigen Begriff des Ich, der in der transzendentalen Apperzeption im Kontext der Gegenstandserkenntnis im Mittelpunkt steht, reduziert werden darf.
Analytik beschriebene Aufgabe der Freiheitskategorien, Begehrungen maximenförmig zu machen. Begehrungen sollen in Kaulbachs Deutung als irreduzible Bestandteile des menschlichen Selbstverständnisses nicht unterdrückt oder verdrängt, sondern mit der Vernünftigkeit des Subjekts synthetisiert werden: Das „praktische Subjekt nimmt die Triebsphäre in die Schule seiner Vernunft und macht sich dadurch von der Natur frei, indem es auch sein Triebsystem nach der Maßgabe von Vernunft und Freiheit produziert. Es stellt dadurch in Freiheit die freie Identität des „Ich will“ her, es wird Selbstschöpfer. Diese praktische Identität ist Übereinstimmung des Selbst mit sich, sofern seine freie Vernünftigkeit auch die der Vernunft zunächst fremde Natur durchdringt“ (Kaulbach (1978), 168). Die logische Notwendigkeit einer praktischen Selbstidentität und damit die Einheit des praktischen Subjektbewusstseins korreliert im Begriff der praktischen Apperzeption mit der Notwendigkeit einer anderen Einheitsforderung der Vernunft, nämlich der Vereinigung von Sinnlichkeit und Vernunft in der Entstehung der Willensabsicht eines Handlungssubjekts.
7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“ 7.1 Die Programmatik einer „Metaphysik der Sitten“ Kants 1797 erschienenes Werk „Die Metaphysik der Sitten“ kann man mit gutem Recht als „Anwendungsschrift“ seiner vorher entwickelten moralischen Grundlegungsschriften charakterisieren (vgl. Recki (2001), 311, Schmidt (2007), 28).¹ Dabei ist für die Einsicht in die systematische Verbindung der MS mit diesen Schriften ein Blick auf die langwierige Entstehungsgeschichte der MS aufschlussreich. Der immer wieder „aufgeschobene Plan“ (Beck (1985), 18) Kants², eine „Metaphysik der Sitten“ zu schreiben, führt vor allem durch die Entstehung der zweiten Kritik zur Veränderung der inhaltlichen Schwerpunkte innerhalb dieses Projekts, die dem später unter diesem Titel veröffentlichten Werk eine andere Funktion zukommen lassen als ursprünglich intendiert.³ Beck hat gezeigt, dass wesentliche Ziele des von Kant in Briefen der Siebzigerjahre als „Metaphysik der Sitten“ bezeichneten Projektes⁴ in der GMS und der zweiten Kritik erreicht werden (vgl. Beck (1985), 22 ff.) und in der dann veröffentlichten „Metaphysik der Sitten“ nicht mehr, wie von Kant ursprünglich geplant, die a apriorische Grundlegung der Moral im Mittelpunkt steht, sondern die „Anwendung“ dieser bereits in den beiden anderen Schriften entwickelten Theoriegrundlagen auf den Menschen als ein sinnlich-vernünftiges Wesen der Erscheinungswelt .⁵ Kant weist auf dieses
Das vorliegende Kapitel kann weder eine angemessene Darstellung der MS in ihrer Gesamtkonzeption darstellen, noch soll Kants Rechtsphilosophie als solche einer exakten Analyse unterzogen werden. Zu Entstehungsgeschichte, Aufbau und Absicht der MS vgl. die Gesamtdarstellungen von König (1994), Malibabo (2000) und Römpp (2006). Zur Rechtsphilosophie sei hier vor allem auf die Arbeiten von Kaulbach (1982), Sänger (1982), Kersting (1984), Kühl (1984), Brocker (1987) und Friedrich (2004) verwiesen. Für dezidiert kritische Einschätzungen der Rechtslehre siehe Deggau (1983) und Ritter (1971). Vgl. auch Klemme (2003), IX, Bittner (1989), 13 – 39, Malibabo (2000), 19 ff. Eine gute Übersicht über die Entstehungsgeschichte der MS gibt auch Schmidt (2007), 19 ff. Man kann Friedrich (2004), 20, zustimmen, dass Kants ursprüngliche Pläne, eine „Metaphysik der Sitten“ vorzulegen, mit dem 1797 erschienenen Werk „nur den Namen gemeinsam [haben]“. Kant schreibt im Briefwechsel mit Herder am 31. Dezember 1765: „ […] ich arbeite jetzt an einer Metaphysik der Sitten wo ich mir einbilde die augenscheinlichen und fruchtbaren Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können wonach die zwar sehr gangbare aber mehrenteils doch fruchtlose Bemühungen in dieser Art der Erkenntnis eingerichtet werden müssen wenn sie einmal Nutzen schaffen sollen. Ich hoffe in diesem Jahre damit fertig zu werden“ (X, 74). Die Rezeptionsgeschichte der MS als Ganzer ist wenig erfreulich. Schopenhauer legt mit einem frühen Verdikt den Tenor späterer Interpreten fest: „Nur aus Kants Altersschwäche ist mir
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Verhältnis zwischen seinen Grundlegungsschriften und der Anwendungsschrift in der „Vorrede“ zur MS selbst hin, wenn er einleitend hervorhebt, dass auf „die Kritik der praktischen Vernunft […] das System, die Metaphysik der Sitten folgen“ (MS, VI, 205) sollte. Die oben getroffene Einschätzung der MS als Anwendungsschrift der reinen Moralphilosophie auf die Anthropologie wird von Kant explizit bestätigt: […] wir werden oft die besondere Natur des Menschen, die durch Erfahrung erkannt wird, zum Gegenstande nehmen müssen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Prinzipien zu zeigen, ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit der letzteren etwas benommen noch ihr Ursprung a priori dadurch zweifelhaft gemacht wird. – Das will so viel sagen, als: eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt werden (MS, VI, 205).
Das, was in seiner „Reinigkeit“ und in seinem „Ursprung a priori“ von Kant in der GMS und der KpV einsichtig gemacht wurde, nämlich die „moralischen Prinzipien“, d. h. das in der rein vernünftigen Einsicht begründete Sittengesetz, kann nicht auf eine Anthropologie reduziert werden. Es ist aber möglich und für Kant auch geboten, die Ergebnisse, die sich durch die methodische Fokussierung auf den Menschen als autonomes Vernunftwesen ergeben, auch auf dessen Charakter als Erscheinung zu beziehen. Eine solche „Anwendung“ kann man in Kants Rechtslehre sehen, da hier das „Recht“ zwar im Sittengesetz begründet bleibt, jedoch ein Verhältnis zwischen Handlungssubjekten in der Welt der Erscheinungen thematisiert und damit eine „Folgerung[ ] aus den allgemeinen moralischen Prinzipien“ darstellt.
seine ganze Rechtslehre als eine sonderliche Verflechtung einander herbeiziehender Irrtümer […] erklärlich“ (Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Bd. 2, 1977, 419). Auch Brocker schätzt den Text in seinem Rekurs auf die Rezeptionsgeschichte als „merkwürdig verwirrt[ ]“ und die Textgestalt als „apokryph[ ]“ ein (Brocker (1987), 9). Kersting beschreibt den Text als „verwittert[ ]“ (Kersting (1984), VII) und Beck meint, dass zentrale Abschnitte der Rechtslehre „so dunkel“ seien, dass man kaum ausmachen könne, „ob sie wirklich konsistent sind oder nicht“ (Beck (1974), 290). Nichtsdestotrotz liegen mittlerweile eine Handvoll lohnende und auch konstruktive Darstellungen vor (siehe die in der ersten Fußnote dieses Kapitels genannte Literatur).
7.2 Die Kategorien der Freiheit und die „Metaphysik der Sitten“ – ein Überblick
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7.2 Die Kategorien der Freiheit und die „Metaphysik der Sitten“ – ein Überblick In Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit wurde die Interpretation der Tafel der Kategorien der Freiheit als ein Ordnungsschema der Willensbildung vorgeschlagen. Dieser Darstellung zufolge enthält die Tafel diejenigen grundlegenden und unhintergehbaren Urteilsmomente der praktischen Willensbildung, deren Wirken vorausgesetzt werden muss, damit ein Urteilssubjekt zu „Objekten der praktischen Vernunft“, d. h. zu von bloßen „Ereignissen“ abgrenzbaren und eindeutig klassifizierbaren Handlungsabsichten, gelangen kann. Schon in der Tafel wird die Freiheit „in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt“ (vgl. KpV, V, 67) vorgestellt, kann nach Kants Einschätzung aber auch so allgemein betrachtet werden, dass sie als Freiheit eines rein intelligiblen Wesens gedacht werden kann. Durch die Möglichkeit einer praktischen und absolut praktischen Verwendungsweise der Tafel hat diese einen umfassenden Anwendungsbereich: Jede Handlung muss sich durch die Tafel der Freiheitskategorien (re‐)konstruieren lassen. Laut Kants Erläuterungen zur Funktionsweise der Tafel „gehen“ die in dieser genannten Kategorien auf die „Bestimmung der freien Willkür“ (vgl. KpV,V, 65) und beziehen sich damit auch explizit auf den empirischen Charakter dieser Handlungswirklichkeit. Die Kategorien der Freiheit haben dadurch eine Affinität zur Programmatik einer „Metaphysik der Sitten“, dass die MS als eine „Kritik der reinen Freiheit“ (Römpp (2006), 47) jene unter dem begründungstheoretischen Primat reiner praktischer Vernunft gewonnenen Einsichten auf den Menschen in der empirisch-noumenalen Komplexität anwendet und damit auch die in der Analytik der zweiten Kritik thematisierte „Freiheit der Willkür“ (MS, VI, 216)⁶ einbezieht.
Neben der Verwendung des Willkürbegriffs lässt sich eine Nähe zwischen der Tafel und der Einleitung zur Rechtslehre der MS auch durch den Begriff der menschlichen „Begehrung“ knüpfen, der in beiden Texten für eine Einsicht in die Argumentationsperspektive von tragender Bedeutung ist. Eine grundlegende Aufgabe der Freiheitskategorien bestand in der Analytik der KpV darin, „das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit einer […] praktischen Vernunft zu unterwerfen“ (KpV, V, 65). Damit zeigt sich hier ein Ansatz beim menschlichen Begehrungsvermögen, das Kant in der Einleitung zur Rechtslehre als die subjektive Bedingung des Lebens überhaupt näher in den Blick rückt. Dieses wird zwar in streng transzendentalphilosophischer Perspektive ausschließlich hinsichtlich seiner Triebfedern a priori bestimmt, muss im Rahmen einer angewandten Moralphilosophie aber auch in seinem empirisch-anthropologischen Gehalt in den Blick genommen werden. Hier wie dort bildet es die Basis des Handelns überhaupt, da empirisch erst durch ein Objekt des Begehrens eine Handlung konstituiert werden kann.
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
Die Tafel der Kategorien der Freiheit wird für den Untersuchungsgegenstand der MS aus zwei Gründen zur begrifflichen Grundlage ihrer Prinzipien: Zum einen sind die in der Tafel getroffenen kategorialen „Bestimmungen“ des Praktischen so grundsätzlich, dass Kant methodisch berechtigt ist, die mit ihnen verbundenen subjektintrinsischen Urteilsmomente der Willensbildung auf jegliche praktische Reflexion zu übertragen, und zum anderen ist ein weiter Geltungsbereich auch schon inhaltlich dadurch angedeutet, dass die praktischen Kategorien nicht nur für die rein moralische Evaluierung einer Handlung Bedeutung haben, sondern für die gesamte Sphäre einer möglichen Handlungsbestimmung. In der gleichen Weise, wie ein praktisch reflektierendes Subjekt beispielsweise durch die praktischen Relationskategorien eine aus Begehrungen geformte Maxime beurteilt, d. h. hinsichtlich der in ihr enthaltenen grundsätzlichen relationalen Bestimmungen befragt, muss auch der Transzendentalphilosoph denjenigen Wirklichkeitsbereich, der die möglichen Relationen zwischen einzelnen Handlungssubjekten in der Erscheinungswelt im Begriff des Rechts fasst, kategorial durchsichtig machen. Schon ein oberflächlicher Blick in die Einleitung der MS nährt die Vermutung, dass die Kategorien der Freiheit hier von Kant tatsächlich als kategorialer Leitfaden vorausgesetzt und bei seiner Erläuterung des Rechtsbegriffs in Anspruch genommen werden. Im „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten“ (MS, VI, 221 ff.) findet sich der Sache nach eine Aufzählung nahezu aller Kategorien der Tafel. An dieser Stelle lassen sich der Begriff der Maxime (1. Quantitätskategorie), der Allgemeinheit eines praktischen Gesetzes (3. Quantitätskategorie), der „praktischen Regel“ (1. Qualitätskategorie), der Persönlichkeit (1. Relationskategorie), der Person (2. bzw. 3. Relationskategorie), des Erlaubten und Unerlaubten (1. Modalitätskategorie) sowie der Begriff der Pflicht bzw. des Pflichtwidrigen (2. bzw. 3. Modalitätskategorie) herauslesen. Dass man hierin trotz der in diesem Zusammenhang zunächst noch nicht spezifizierten Argumentationsabsicht keinen bloßen Zufallsbefund zu sehen hat, sondern die praktischen Kategorien Kants Konzeption der Rechts- und Tugendlehre in vielleicht sogar elementarer Weise zugrunde liegen, kann durch die Betrachtung des Rechts- und Willkürbegriffs in Kants Rechtslehre einsichtig gemacht werden. Ein Vergleich mit Kants theoretischer Philosophie ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Kant selbst legt eine systematische Grundlegungsfunktion der Kategorien der Freiheit für die Konstitution der Rechtslehre durch seine vernunftarchitektonischen Überlegungen selbst implizit nahe, indem er nämlich die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ mit den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“ im Hinblick auf deren kategoriale Fundierung in der KpV bzw. der KrV analogisiert:
7.2 Die Kategorien der Freiheit und die „Metaphysik der Sitten“ – ein Überblick
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Auf die Kritik der praktischen Vernunft sollte das System, die Metaphysik der Sitten, folgen, welches in metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und in eben solche für die Tugendlehre zerfällt (als ein Gegenstück der schon gelieferten metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft) […] (MS, VI, 205).⁷
So wie die metaphysischen „Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ als ein besonderer Teil der Metaphysik auf einem allgemeinen Teil fußen, der sich mit der Möglichkeit eines Begriffs von Natur überhaupt befasst, ist auch die „Metaphysik der Sitten“ als eine Anwendungsschrift ermöglicht durch einen allgemeinen und rein a apriorischen Teil, nämlich die Grundlegung des Sittengesetzes in der zweiten Kritik. Da die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ als ein besonderer Teil der metaphysischen Untersuchung auf den Kategorien der ersten Kritik beruhen⁸, wäre zu erwarten, dass auch die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ nach einem solchen kategorialen Leitfaden konstruiert sind, d. h., dass sie sich auf Kategorien als grundsätzliche Begründung ihres Gegenstandsbereichs zurückführen lassen. Diese Frage wird in der bisherigen Forschungsliteratur nur gestreift, da in der Regel davon ausgegangen wird, dass die praktische Kategorienlehre kein ernst zu nehmendes Theorieelement für eine solche Grundlegungsfunktion darstellt.⁹
In den Vorarbeiten zur MS (VI, 205) schreibt Kant: „Auf die Kritik der praktischen Vernunft folgt die Metaphysik der Sitten so wie auf die Kritik der reinen theoretischen Vernunft die Metaphysik der körperlichen Natur u. die Metaphysik der denkenden Natur so hier auf die Metaphysik der Sitten die Rechtslehre u. Tugendlehre.“ Zu diesem Zusammenhang vgl. Bartuschat (1987), 31 f., Küsters (1988), 8 f., Malibabo (2000), 17 f. Auf die Bedeutung der theoretischen Kategorien für die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ weist Kant im Vorwort derselben hin (IV, 473 f.): „Das Schema […] zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems, es sei der Natur überhaupt, oder der körperlichen Natur insbesondere, ist die Tafel der Kategorien. Denn mehr gibt es nicht reine Verstandesbegriffe, die die Natur der Dinge betreffen können. Unter vier Klassen derselben, die der Größe, der Qualität, der Relation und endlich der Modalität, müssen sich auch alle Bestimmungen des allgemeinen Begriffs einer Materie überhaupt, mithin auch alles, was von ihr a priori gedacht, was in der mathematischen Construction dargestellt, oder in der Erfahrung als bestimmter Gegenstand derselben gegeben werden mag, bringen lassen. Mehr ist hier nicht zu tun, zu entdecken oder hinzusetzen, sondern allenfalls, wo in der Deutlichkeit oder Gründlichkeit gefehlt sein möchte es besser zu machen“. Am ausführlichsten äußern sich zu diesem Zusammenhang Sänger (1982), 122 ff., und Beck (1985), 280. Kursorische Erwähnung findet das Thema bei Lisser (1922), 14, Kaulbach (1982), 75, Kühl (1984), 145, Brocker (1987), 123, Bobzien (1988), 219 f., Kobusch (1990), 30, und Müller (2006), 175, wobei sich bis auf Kaulbach und Kühl alle Autoren gegen eine Verwendung der Freiheitskategorien in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ aussprechen bzw. diese infrage stellen. Sänger kommt in ihrer Arbeit zu dem Schluss, dass der Rechtslehre ausschließlich die Kategorien der ersten Kritik zugrunde liegen, da die Tafel der zweiten Kritik
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
Im folgenden Abschnitt soll dafür argumentiert werden, dass die Kategorien der Freiheit den „Metaphysischen Anfangsgründen“ in der MS zugrunde liegen: Kant bestimmt in der Einleitung zur MS sowohl den Begriff der Pflicht, auf dem Rechtslehre und Tugendlehre gleichermaßen aufbauen, als auch den Begriff des Rechts kategorial und greift dabei auf die Relations- und Modalitätskategorien der zweiten Kritik zurück. Dass er dieses Vorgehen nicht eigens kommentiert oder gar erörtert, kann man darin begründet sehen, dass die Kategorien als „praktische Elementarbegriffe“¹⁰ allgemeine und grundsätzliche Urteilsmaßstäbe im Praktischen darstellen, die Kant berechtigt ist, aus einem Urteilsverhältnis im Subjekt heraus auch auf die relationalen Implikationen des Rechtsbegriffs und die modale Abstufung des dort verhandelten Begriffs der Pflicht anzuwenden.¹¹ In beiden
schon „eine ‚Anwendung‘ der ‚Grundtafel‘“ sei (Sänger (1982), 126); ihr könne nicht „die gleiche Leitfadenfunktion für metaphysische Untersuchungen zu[gesprochen] werden, da sie bereits die Anwendung des ‚Leitfadens‘ demonstriere“ (Sänger (1982), 126). Aus dieser Parallelisierung ergäben sich „doch gerade die Interpretationsschwierigkeiten und Missverständnisse in der Literatur zur Rechtswissenschaft“ (Sänger (1982), 76). Ähnlich ablehnend bereits Lisser (1922), 14 f., der hervorhebt, dass die Rechtslehre eher den innerweltlichen Strukturen der Naturlehre verwandt sei als dem Untersuchungsgegenstand der praktischen Philosophie. Dass Kant die Kategorien der zweiten Kritik ohne expliziten Hinweis in der MS als „praktische Elementarbegriffe“ (KpV, V, 65) durchgehend voraussetzt, wird auch daran deutlich, dass er neben der unübersehbaren Anwendung der Relations- und Modalitätskategorien auch von den weiteren Freiheitskategorien Gebrauch macht. Er wendet auf engstem Raum mehrmals unterschiedliche Kategorien der Freiheit an. So kann man in der „Verwunderung über ein Vermögen unserer Vernunft durch die bloße Idee der Qualifikation einer Maxime zur Allgemeinheit eines praktischen Gesetzes“ (MS, VI, 225) das Vokabular der Kategorientafel der praktischen Vernunft erkennen, d. h. die Anwendung der ersten und dritten Kategorie der Quantität. Auch die zunächst von der eigentlichen Begründung des Rechtsbegriffs unabhängige Differenzierung zwischen dem Begriff der Person und der „moralische[n] Persönlichkeit“ wurde in den Freiheitskategorien unter dem Obertitel der Relation zugrunde gelegt. Der Begriff einer „praktischen Regel“ (MS, VI, 222) beruht auf der „[p]raktische[n] Regel[ ] des Begehens“ (KpV, V, 66) der ersten Kategorie der Qualität. Es ist schwer einsichtig, warum die Rechts- und Tugendlehre als Elemente des praktischen Selbstverständnisses auf Momente genuin theoretischer Wirklichkeitskonstitution zurückzuführen sein sollen und nicht auf jene Kategorien, auf denen nach Kant jede praktische Handlungswirklichkeit beruht, nämlich die Kategorien der Freiheit als „praktische Elementarbegriffe“. Man kann darin eine starke Orientierung der Interpreten am theoretischen Vernunftparadigma sehen: So wie für viele Autoren Kants Philosophie wesensmäßig in einer Erkenntnistheorie und damit in der Kritik theoretischer Vernunft aufgeht, wird dann auch eine praktische Kategorienlehre nur als Derivat der theoretischen oder gar als Ausdruck eines Systemzwanges gelesen. Den Versuch meiner Arbeit, einen näheren Einfluss der Kategorien der Freiheit auf Kants Rechts- und Tugendlehre plausibel zu machen, kann man als unmittelbare Replik auf die Interpretation von Sänger (1982, insbesondere 122– 128 und 157– 196) lesen. Sänger will ebenfalls dem Einfluss einer kategorialen Systematik in der Einleitung zur Rechtslehre nachspüren, sieht diesen Ein-
7.3 Die Bedeutung der Modalitätskategorien in der Einleitung zur Rechtslehre
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Fällen sprechen Indizien dafür, dass der dabei vorausgesetzte Freiheitsbegriff auf denjenigen der sittlichen Autonomie transzendental rückbezogen bleibt. Für eine Konstanz im Durchhalten der transzendentalen Methode in den Anwendungsschriften zur Moral kann also auch von den Freiheitskategorien ausgehend argumentiert werden.
7.3 Die Bedeutung der Modalitätskategorien in der Einleitung zur Rechtslehre Im Mittelpunkt der Einleitung zur Rechtslehre steht der Begriff der Willkür, der auch in den Grundlegungsschriften zur Moral der Sache nach präludiert,¹² aber erst in der MS seinen systematischen Stellenwert zugesprochen bekommt und ausführlich expliziert wird. Deutlicher als in den vorangegangenen Schriften exponiert Kant die Willkür hier als einen Aspekt des Willens, dessen Begriff dadurch zwar nicht modifiziert, aber doch entscheidend differenziert wird: Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, der auf nichts anderes, als bloß aufs Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht […] (MS, VI, 226).
Im Mittelpunkt der Betrachtung steht damit nicht die Fähigkeit des Menschen, sich selbst ein rein vernünftiges Handlungsgesetz aufzuerlegen, sondern der Aspekt einer potentiellen Wahlfreiheit des Handlungssubjekts, die zwar auf transzendentaler Freiheit beruht, jedoch nicht mit der positiven Freiheit als Autonomie verwechselt werden darf. Die Willkürfreiheit kann als „sinnliche[ ] Willkür“ nur über einen negativen Begriff der Freiheit verfügen, nämlich „durch keine sinnliche[n] Bestimmungsgründe zum Handeln genötigt zu werden“ (MS, VI, 226). Dem Akt der genuin moralischen Selbstbestimmung hingegen liegt ein positiver Frei-
fluss aber allein in einer möglichen Funktion der „Grundtafel“ (Sänger (1982), 126), d. h. der Kategorientafel der ersten Kritik, begründet. Ich folge ihrer Interpretation, die eine kategoriale Systematik in den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre annimmt, meine aber zeigen zu können, dass an dieser Stelle die Kategorien der Freiheit Grundlage dieser Systematik sind. Köhl (1990), 56 f., weist überzeugend nach, dass die Differenz zwischen „Wille und Willkür“ bei Kant schon in der „Grundlegung zur Metaphysik“ deutlich erkennbar ist. Zur Problematik der Abgrenzung zwischen „Wille“ und „Willkür“ siehe auch Timmermann (2003), 146 f. und Brandt (2010), 77 f.
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heitsbegriff zugrunde: Der Wille als das positive Vermögen bestimmt die Willkür, welche frei ist, dieser Bestimmung zu folgen oder nicht. Im Zentrum der Einleitung zur MS steht aus diesem Grunde explizit der Begriff menschlicher Willkür sowie die mit diesem Begriff verbundenen Möglichkeiten von Verpflichtungsverhältnissen überhaupt. Während Kant in den Grundlegungsschriften zur Moral in erster Linie auf die Befähigung zu einer moralischen Selbstverpflichtung abzielt und damit sein Augenmerk auf die Freiheit als Autonomie legt, steht in der MS der Begriff des Menschen als eines verpflichteten Wesens im Vordergrund.¹³ Der in der zweiten Kritik entworfenen Tafel der Kategorien der Freiheit kommt in der MS die Funktion zu, diese möglichen Verpflichtungsverhältnisse kategorial zu bestimmen. Dies vollzieht Kant in der Einleitung zur Rechtslehre anhand der Kategorien praktischer Modalität, indem diese die Momente der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit im Begriff der „Pflicht überhaupt“ bestimmen und zugleich inhaltlich differenzieren. Die praktischen Modalitätskategorien leisten damit eine kategoriale Grundlegung „der Lehre von den Pflichten de[s] Mensch[en] nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens“ (MS, IV, 239). Sie vollziehen dies im Hinblick auf seinen Doppelcharakter als Ding an sich und Erscheinung, indem sie auch „auf die Willkür“ und damit auf die phänomenale Wahlfreiheit des Menschen „gehen“. Die Notwendigkeit der Betrachtung des Begriffs der Pflicht überhaupt und die Explikation der daraus erwachsenden Verpflichtungsverhältnisse anhand eines kategorialen Leitfadens, der mit demjenigen der Gegenstandserkenntnis vergleichbar ist, wird von Kant eher beiläufig in einer Fußnote zur Einleitung in die Rechtslehre angesprochen. Dort heißt es in Analogisierung von theoretischer und praktischer Vernunftkritik, dass „die Lehrer der Ontologie“ bei dem Begriff von „einem Gegenstande überhaupt“ einsetzten, während in praktischer Hinsicht der „Akt der freien Willkür überhaupt“ (MS, IV, 218) den Grundbegriff der Untersuchung bilde. Dass dieses Projekt eines komplexeren Freiheitsbegriffs bedarf, wird an der sonst für Kant unüblichen Rede von den Freiheitsgesetzen (MS, IV, 217, 218, 247, 249, 253, 271, 315, 317, 375) deutlich: Aufgrund der beschriebenen Differenzierungen der Betrachtungsperspektiven, nach denen der Mensch als ein ver-
Schon angesichts der systematischen Konzeption der MS wird die These fragwürdig, nach der Kant den Begriff der Willkür allein aufgrund eines Versäumnisses seiner vorhergehenden Theorie des freien Willens entwickelt habe (vgl. Prauss (1983)). Die Willenstheorie der Grundlegungsschriften wird durch den Begriff der freien Willkür weder korrigiert noch modifiziert, sondern hinsichtlich eines Gesichtspunktes erweitert, der in der GMS und der KpV weniger im Mittelpunkt stand: der Mensch als empirisches, gleichwohl aber doch seiner eigenen Vernunft verpflichtetes Wesen.
7.3 Die Bedeutung der Modalitätskategorien in der Einleitung zur Rechtslehre
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pflichtetes Wesen gesehen wird, ergeben sich auch unterschiedliche Grade, d. h. Modi der Freiheit und ihrer Gesetzlichkeit.¹⁴ Im vierten Abschnitt der Einleitung in die Rechtslehre („Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten“, MS, VI, 221 ff.) nimmt sich Kant einer Definition des Begriffs der Plicht an, indem er diesen in Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand der MS, nämlich die „freie Willkür“, kategorial entfaltet und sich dabei an die Modalitätskategorien der Tafel der zweiten Kritik hält: 1.) Das Erlaubte und Unerlaubte, 2.) Die Pflicht und das Pflichtwidrige, 3.) Die Pflicht als sittliche Pflicht (vollkommene und unvollkommene Pflichten). Zu Beginn seiner Überlegungen in Abschnitt IV stellt Kant dazu noch einmal den Freiheitsbegriff in den Mittelpunkt, wie er aus den Ergebnissen der dritten Antinomie und der Faktumstheorie der zweiten Kritik resultiert: Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff […], welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntnis ausmacht […], im praktischen Gebrauche aber […] seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die, als Gesetze eine Kausalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt), die Willkür bestimmen und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben. (MS, VI, 221, Hervorh. v. Vf.)
Dies impliziert eine grundsätzliche Differenzierung von Kants Argumentation, nämlich die Unterteilung in Rechtspflichten und Tugendpflichten, deren Begründungen in einem engen Verhältnis zueinander stehen. Obwohl es sich sowohl bei den Tugendpflichten als auch bei den Rechtspflichten um Pflichten handelt, unterscheiden sich diese aber durch ihre jeweilige Gesetzgebung und den dahinterstehenden Freiheitsbegriff: „Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze, ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben, die Legalität (Gesetzmäßigkeit); diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben“ (MS, VI, 219). Auch eine Handlung, die man aus einer Außenperspektive zunächst als „moralisch“ qualifizieren würde, könnte sich als eine Handlung erweisen, die bloß „gesetzmäßig“ ist, d. h., die dem Gesetz und seiner Verpflichtung folgt, ohne dabei aber diese selbst als Triebfeder zu haben. Alle Pflichten gehören „bloß darum, weil die Pflichten sind, mit zur Ethik; aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten […]“ (MS, VI, 219). Die rechtlichen Pflichten gehören in diesem Sinne nur in einem weiten Sinne zur Ethik, da nur den Tugendpflichten das Sittengesetz selbst als Triebfeder zugrunde liegt: „Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetz verbindet“ (MS, VI, 220). Offen bleibt innerhalb dieser Differenzierung die Frage, wie die einzelnen Pflichtbegriffe trotz ihrer unterschiedlichen „Gesetzgebung“ als zusammenhängend gedacht werden können und auf welchen Freiheitsbegriff sich die jeweilige Gesetzgebung bezieht.
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Diesen „unbedingte[n] praktische[n] Gesetze[n]“ liegt der „positive[ ] Begriff[ ] der Freiheit“ (MS,V, 221) zugrunde. Die Willkür ist dem „reinen Willen nicht von selbst angemessen, sondern oft widerstrebend“ und das Sittengesetz, der reine Wille, stellt „kategorische (unbedingte) Imperative“ (MS, VI, 221) für die Willkür auf. Dieser Begriff der moralischen Verpflichtung aus der zweiten Kritik bildet die Folie für die Gradation und Differenzierung der Verpflichtungsverhältnisse, die schon in der Tafel der Kategorien der Freiheit von Bedeutung sind und die auch in der Einleitung zur Rechtslehre zur Anwendung gelangen. In Abschnitt IV wendet sich Kant zunächst den Imperativen zu, auf denen die „erlaubt[en] oder unerlaubt[en]“ (MS,VI, 221) Handlungen basieren. Im Gegensatz zu einem unbedingten Gesetz liegt dem Erlaubten und Unerlaubten nur ein technischer Imperativ, ja eigentlich sogar nur eine „Kunst-Vorschrift[ ]“ (MS, VI, 221) zugrunde. Das Erlaubte und Unerlaubte sowie der sie betreffende Imperativ beziehen sich auf einen ersten schwachen Grad von Verpflichtung überhaupt. Hieraus können sich Handlungen ergeben, die zwar auf einer der Pflicht ähnlichen Struktur und damit auch einer gewissen Normativität beruhen, die aber keinerlei moralische Dignität besitzen: Eine Handlung, die weder geboten noch verboten ist, ist bloß erlaubt, weil es in Ansehung ihrer gar kein die Freiheit […] einschränkendes Gesetz und also auch keine Pflicht gibt. Eine solche Handlung heißt sittlich-gleichgültig […] (MS, VI, 223, Hervorh. v. Vf.).
Kant wendet an dieser Stelle die erste Modalitätskategorie seiner Kategorientafel der Freiheit an. Bei der Analyse dieser Kategorie (vgl. Kapitel 5 dieser Arbeit) wurde deutlich, dass das Erlaubte und Unerlaubte keine genuin moralischen Bestimmungen enthält, sondern dass dieses Kategorienpaar nur das bestimmt, was „mit einer bloß möglichen praktischen Vorschrift in Einstimmung oder Widerstreit ist“ (KpV, V, 11). Dass es einem Redner unerlaubt ist, in seinem Vortrag neue, das Publikum vielleicht verwirrende Wortschöpfungen zu bilden, stellt nur eine individuell für seinen Berufsstand geltende Vorschrift dar und keine pragmatisch oder moralisch zwingende Verpflichtung. Wie Kant in der Fußnote der „Vorrede“ der KpV schreibt, wird in diesem Falle nicht „an Pflicht gedacht“ (KpV, V, 11). Das Erlaubte und Unerlaubte bzw. das mit diesem Begriffspaar verbundene Verpflichtungsverhältnis drückt einen Akt der freien Willkür aus, der hinsichtlich des ihn bestimmenden Imperativs bloß möglich, jedoch nicht wirklich oder gar notwendig ist. Obwohl auch die berufsspezifischen Vorschriften des Redners eine normative Prägung aufweisen, da auch die ihnen zugehörige Maxime zumindest verallgemeinerbar sein muss, so wäre eine daraus resultierende Handlung dennoch „sittlich-gleichgültig“. Kant hat somit in der Einleitung zur Rechtslehre einen ersten schwachen Vorbegriff von Pflicht kategorial bestimmt, nämlich anhand
7.3 Die Bedeutung der Modalitätskategorien in der Einleitung zur Rechtslehre
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einer seiner Kategorien der Freiheit aus der zweiten Kritik. Die „Freiheit der Willkür“ als eigentlicher Gegenstand der MS hat eine erste Differenzierung gegenüber dem vollen Begriff der Freiheit als Autonomie erfahren: Die Kategorie des Erlaubten und Unerlaubten ermöglicht eine erste Annäherung an den Pflichtbegriff. Das Erlaubte und Unerlaubte bezieht sich auf ein moralunabhängiges Verpflichtungsverhältnis, das man aber als prämoralisch bezeichnen kann, indem es sich der Struktur von Normativität überhaupt verdankt, aber nicht moralisch in der engeren Bedeutung dieses Begriffs ist. Der „freien Willkür“ kann ein erster schwacher Grad von Freiheit – sich nämlich überhaupt von einer Art Imperativ, wenn auch nur von einem problematischen, bestimmen zu lassen – zugeschrieben werden. Trotz des Umstandes, dass auch das Erlaubte und Unerlaubte in einem gemäßigten Sinne gesollt bzw. nicht gesollt wird und man in diesem Zusammenhang bereits von einer Art Pflicht, dieses zu tun und jenes zu unterlassen, sprechen kann, muss dieser Begriff von demjenigen der Pflicht – selbst in der noch nicht genuin moralischen Bedeutung des Wortes – unterschieden werden. Zum Begriff der Pflicht gehört nämlich eine wirkliche Verpflichtung der freien Willkür und nicht nur der mögliche Zwang durch eine bloß institutionelle Auflage, die eine relativ gleichgültige „Gepflogenheit“ fasst. Von Pflicht im strengen Sinne des Wortes und damit verbundenen Geboten oder Verboten lässt sich erst sprechen, wenn jemand nicht nur möglicherweise, sondern tatsächlich zu etwas „verbunden“ ist. Die „Pflicht“, so leitet Kant zur nächsten Steigerung innerhalb der möglichen Verpflichtungsmodi der freien Willkür über, „ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit, und es kann einerlei Pflicht […] sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können“ (MS,VI, 222, Hervorh.v.Vf.). Kant wendet an dieser Stelle offenbar denjenigen Begriff der Pflicht an, der die zweite Kategorie praktischer Modalität ausmacht: den Begriff der Pflicht als eines wirklich in der Vernunft liegenden, gleichwohl aber noch nicht genuin moralischen Gesetzes (2. Kategorie der Modalität: die Pflicht und das Pflichtwidrige). Erst im Kontext einer tatsächlichen Verbundenheit der freien Willkür kann auch von dem Imperativ als „eine[r] praktische[n] Regel“ gesprochen werden, die die „an sich zufällige Handlung notwendig [macht]“ (MS, VI, 222). Das Subjekt wird dabei als „zur Übereinstimmung mit dieser Regel genötigt (nezessiert)“ (MS, VI, 222) vorgestellt, unabhängig zunächst davon, was genau „Materie der Verbindlichkeit“ ist. Denkbar wären in diesem Zusammenhang beispielsweise Pflichten, die institutionell mit einem Beruf unabdingbar verbunden sind. Materie der Verbindlichkeit könnten beispielsweise die speziellen Pflichten eines Berufstandes sein, d. h. diejenigen unabänderlichen Nötigungen, denen die diese Berufe ausübenden Handlungssubjekte unausweichlich unterliegen. Ein Imperativ, auf dem ein solches Ver-
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pflichtungsverhältnis aufbaut, könnte z. B. im Falle eines Redners heißen: „Du bist verpflichtet, dir als Redner zumindest überdurchschnittliche rhetorische Fähigkeiten anzueignen.“ Der Imperativ wäre in diesem Sinne eine „Regel“, die eine Handlung allererst „notwendig macht“, indem er zum Berufsethos des Redners gehört, d. h. einer bestimmten „Materie“ verpflichtet ist. Die Pflicht des Redners, keine verwirrenden Wortschöpfungen in seine Reden einfließen zu lassen, wäre – verglichen mit der Pflicht, sich als Redner überhaupt rhetorische Fähigkeiten anzueignen – eine weniger strenge. Ein Redner, der zeitweilig undeutlich spricht, wäre angesichts der Anforderungen seines Berufs noch tolerabel, ein solcher, der gar keine rhetorischen Fähigkeiten besitzt, könnte seinen Beruf mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr ausüben. Eine Steigerung zu diesen wirklich bestehenden und Nötigung ausübenden Imperativen (als Gegensatz zu bloßen Gepflogenheiten) bildet schließlich der „kategorische (unbedingte) Imperativ“. Er ist der Imperativ, der nicht etwa mittelbar, durch die Vorstellung eines Zwecks, der durch Handlung erreicht werden könne, sondern der durch die bloße Vorstellung dieser Handlung selbst (ihrer Form), also unmittelbar als objektiv notwendig denkt und notwendig macht […] (MS, VI, 222).
Während „alle anderen Imperative […] insgesamt bedingt“ (MS, VI, 222) sind, indem die aus ihnen folgende Pflicht in einer bestimmten „Materie der Verbindlichkeit“ besteht, ist der kategorische Imperativ in dem Sinne unbedingt, dass diese „Verbindlichkeit“ allein im Sittengesetz liegt, welches die sinnliche Willkür zu seiner Durchsetzung nötigt. Dieser moralische Pflichtbegriff, vor dem die anderen möglichen Verpflichtungsverhältnisse der freien Willkür als eigentlicher Untersuchungsgegenstand der MS entfaltet werden, bildet ähnlich wie in der praktischen Kategorientafel auch im Abschnitt IV der Einleitung in die Rechtslehre den Endpunkt der Einteilung möglicher Verpflichtungsverhältnisse. Ihm liegen apodiktisch geltende Imperative zugrunde. Dass auch Kants dritte Kategorie praktischer Modalität in der Einleitung zur Rechtslehre Anwendung findet, wird daran deutlich, dass Kant die Rechtslehre und die Tugendlehre hinsichtlich ihrer Modalität in gleicher Weise einordnet wie in der Tafel der Kategorien der Freiheit, nämlich als Pflichten, die auf einem apodiktischen Imperativ fußen. Die dritte Kategorie des vierten Obertitels („Der Modalität“) lautete in der zweiten Kritik: „Vollkommene und Unvollkommene Pflichten“ (KpV, V, 66). Als vollkommene Pflichten konnten die Rechtspflichten gelten, da ihre Gültigkeit keine Ausnahme gestattete. Tugendpflichten hingegen erlauben aufgrund eines Handlungsspielraums der praktischen Urteilskraft Ausnahmen und können daher als unvollkommene Pflichten bezeichnet werden. Trotzdem wurde deutlich, dass beide Arten von Pflichten nicht nur möglicherweise, sondern apodiktisch gelten. Auch
7.4 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit
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in der Einleitung zur Rechtslehre bestimmt Kant das Verhältnis zwischen Rechtsund Tugendpflichten auf diese Weise. Sie werden nicht hinsichtlich einer Abstufung des Verpflichtungsgrades, sondern nur im Hinblick auf eine zu differenzierende Gesetzgebung unterschieden: Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch ihre verschiedene Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetz verbindet (MS, VI, 220).
Unabhängig von der Frage, wie das Verhältnis zwischen den rechtlichen und moralischen Pflichten der freien Willkür spezifiziert werden muss, darf als ein vorläufiges Ergebnis festgehalten werden, dass Kant beide Formen der Pflicht in der zweiten Kritik innerhalb derselben Kategorie denkt und dann folgerichtig auch in der MS aus dem gleichen Grad der Verpflichtung entfaltet.¹⁵ Die grundlegende Differenz in der Gesetzgebung von Rechts- und Tugendlehre, die Kant durch die Unterscheidung hinsichtlich der Verbindung der Triebfeder mit dem Gesetz verortet, fasst er an gleicher Stelle durch den Begriff der „äußeren“ und „inneren“ Gesetzgebung. Während für die Tugendpflichten nur eine innere Gesetzgebung denkbar ist, weil sie „ein innerer Akt des Gemüts ist“, ist für die Rechtspflichten „eine äußere Gesetzgebung möglich“ (MS, VI, 239). Die Rechtspflichten können damit einer äußeren Gesetzgebung unterworfen werden, die Tugendpflichten nicht, weil „sie auf einen Zweck gehen, der (oder den zu haben) zugleich Pflicht ist“ (MS, VI, 239). Dieser Zweck, den keine äußere Gesetzgebung bewirken kann, besteht dabei im Sittengesetz selbst als dem angesprochenen inneren Gemütsakt.
7.4 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit in der Einleitung zur Rechtslehre Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, dass Kant seine Definition des Rechts auf den Relationskategorien der zweiten Kritik aufbaut und dass sich auch von dieser Ableitung des Rechtsbegriffs aus der Kategorientafel der zweiten Kritik
Auch Rechtspflichten müssen damit in einem weiteren Sinne als „ethisch“ betrachtet werden. Kant selbst differenziert moralische Pflichten und Rechtspflichten auch in „direkt-ethische“ und „indirekt-ethische“: „So gibt es also zwar viele direkt-ethische Pflichten, aber die innere Gesetzgebung macht auch die übrigen, alle und insgesamt, zu indirekt ethischen“ (MS, IV, 326).
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Rückschlüsse auf seinen Freiheitsbegriff ziehen lassen. D. h., auch der Rechtsbegriff bleibt in der transzendental-praktischen Freiheit begründet.¹⁶ Diese Vermutung legt bereits der fundierende Begriff der Rechtslehre nahe, welcher in der ersten Kategorie der praktischen Relation besteht, nämlich der Begriff der Persönlichkeit. Gemäß der kantischen Differenzierung zwischen äußeren Pflichten als Rechtspflichten und inneren Pflichten als Pflichten einer moralischen Gesetzgebung definiert Kant das Recht in einem ersten Zugriff als ein Verhältnis zwischen Personen in der empirischen Erscheinungswelt. Der Begriff des Rechts und die mit ihm verbundenen Verpflichtungsverhältnisse betreffen
Die Frage, ob die Rechts- und die Tugendlehre auf demselben Freiheitsbegriff aufbauen, ist in der Literatur umstritten. Nicht wenige Interpreten versuchen, Kants Rechtslehre als ein von der transzendentalen Begründung der Moral unabhängiges Unternehmen herauszustellen. Dies verwundert, da Kant in der Einleitung zur Rechtslehre explizit auf die methodische Grundlegungsfunktion der Moral für die Rechtsphilosophie hinweist: „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralischen Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann“ (MS, VI, 239). Das Recht bleibt bei Kant auf die Moral rückbezogen. Nur aus der Einsicht in die eigene Freiheit und dem daraus erwachsenden Bewusst-sein der Geltung eines unbedingten Imperativs und damit eines absoluten Pflichtbegriffs kann der Begriff einer Verpflichtung anderer abgeleitet werden. Eine Betrachtung der Kategorientafel der zweiten Kritik bestätigt diese These, da Kant rechtliche und moralische Pflichten in der dritten Modalitätskategorie aufgrund des gleichen Freiheitsbegriffs vereint. Vollkommene Pflichten als Rechtspflichten und unvollkommene Pflichten als Tugendpflichten werden kategorial identisch verortet und von Kant dann folgerichtig in der Einleitung zur Rechtslehre als zusammengehörig entfaltet. Einen guten Überblick über die verschiedenen Positionen zu Kants Rechtslehre gibt Kühl (1984), 39 – 110. Ein Großteil selbst der „Klassiker“ unter den Kantinterpretationen spricht sich gegen eine Interpretation der kantischen Rechtslehre als Fortführung des transzendentalphilosophischen Programms aus. So z. B. Reich (1936), 18, Geismann (1974), 3, 56, und Ebbinghaus (1968), 114 f., die alle argumentieren, dass die Rechtslehre von den Grundlegungsschriften zur Moral unabhängig sei. Ebbinghaus beispielsweise ist der Auffassung, dass der Begriff einer „inneren Freiheit“ nur für die Tugendlehre bedeutsam sei, da nur diese voraussetze, dass das Sittengesetz Triebfeder des Handelns sein könne. Ein rechtlich autonomer Wille dürfe nicht mit dem „allgemeine[n] Menschenwille[n]“ (Ebbinghaus (1973), 332) identifiziert werden, welcher für die Begründung der Rechtslehre als Prinzip einer Vereinigung der äußerlichen Willkürakte unter eine Gesetzgebung notwendig sei. Der Wille eines Einzelnen aber, der sich Selbstgesetzgebung im Hinblick auf die Bestimmung der Freiheit aller anderen Handlungssubjekte zuschreibe, müsse vor diesem Hintergrund geradezu als ein rechtswidriger Wille aufgefasst werden. Anders als Reich (1936), Geismann (1974) und Ebbinghaus (1968) sehen Autoren wie Kaulbach (1982), Bartuschat (1987) und Kühl (1984) eine Fortführung der transzendentalen Methode auch in der Rechtsphilosophie Kants, welche sich in moralischer Autonomie gründe.
7.4 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit
127
nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können (MS, VI, 230).
Dieses Aufeinandertreffen, d. h. der mögliche Einfluss der Handlung einer Person auf die einer anderen in der empirischen Welt, wird durch die Rechtslehre als „Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist“ (MS,VI, 229), geregelt. In modaler Perspektive konnten die in der Einleitung zur MS entworfenen Verpflichtungsmöglichkeiten der freien Willkür anhand der Kategorien der Freiheit nachvollzogen werden. Dabei ließ sich eine kategoriale Bestimmung des Begriffs der Pflicht überhaupt im Ausgang von einem bloß möglichen über einen wirklichen bis hin zum apodiktisch notwendigen Charakter von Verpflichtung nachweisen. Die freie Willkür als eigentlicher Untersuchungsgegenstand der MS wurde auf diese Weise in ihrem Doppelcharakter als naturunabhängiges, gleichzeitig aber dem Begriff einer Verpflichtung, d. h. der Nötigung durch ein positives, dem Vernunftgesetz zu unterwerfendes Vermögen, kategorial durchsichtig gemacht. Auch Kants Definition des Rechts in der Einleitung zur MS lässt sich in ähnlicher Weise unter Rückgriff auf die Kategorien der zweiten Kritik rekonstruieren. Der Gegenstand des Rechts wurde hier als das „praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere“ (MS, VI, 230) bestimmt und bezog sich damit auf eine äußere Gesetzgebung. Man darf daher davon ausgehen, dass dieser Begriff der Person im Mittelpunkt der kantischen Rechtsdefinition steht, da er das Subjekt eines „praktische[n] Verhältnis[ses]“ in der Erscheinungswelt darstellt. Im Hinblick auf seine kategoriale Bestimmung des Rechtsbegriffs muss Kant jedoch zunächst beim Begriff der Persönlichkeit ansetzen, da der Begriff der Person als Ausdruck der transzendental freien, jedoch nicht immer schon von selbst moralischen Willkür auf ebendiesen rückbezogen bleibt. Schon im „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten“ findet sich der Hinweis auf die Definition des Personenbegriffs. Die Person wird in der Einleitung zur MS im Gegensatz zur bloßen Sache definiert als „dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“ (MS,VI, 223) und wird damit als transzendental frei begriffen. In Abgrenzung dazu wird die Persönlichkeit vorgestellt als „die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“ (MS, VI, 223) und damit die positive Gesetzgebung der Freiheit als Autonomie gefasst. In grundsätzlicher Perspektive bleibt aber der Personenbegriff begründet in dem der Persönlichkeit, welcher allein die Spontaneität und Intelligibilität des Subjekts rechtfertigen kann.¹⁷ Ohne den Begriff der
Vgl. hierzu nochmals „Handschriftlicher Nachlass: Vorarbeiten und Nachträge“, XXIII, 319. Hier weist Kant darauf hin, dass die „freie Willkür […] der Person selbst unter der Idee ihrer
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
Persönlichkeit als noumenaler Entität ist der Begriff der Person als Bezeichnung für ein zurechnungsfähiges, aber sich in seinem vollen Potential noch nicht von selbst entfaltendes Wesen undenkbar. Das Subjekt kann als Person gedacht werden, d. h. als ein erst noch zu verpflichtendes und dabei der Zurechnung fähiges Wesen, ist aber durch das der Person wesensmäßige Potential der moralischen Selbstbestimmung grundsätzlich als Persönlichkeit zu bestimmen. Diese umfasst mit den Worten der zweiten Kritik die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört (KpV, V, 87).
Dass der Begriff der Persönlichkeit trotz dem Fokus auf der Willkür und damit auf dem Handlungssubjekt „als zur Sinnenwelt gehörig[em]“ Wesen dennoch a apriorische Grundlage und damit auch Ausgangspunkt im Hinblick auf eine kategoriale Bestimmung bleibt, hebt Kant selbst hervor, wenn er geltend macht, dass in der „Lehre von den Pflichten“ das Handlungssubjekt in der Perspektive der „Eigenschaft seines Freiheitsvermögens“ lediglich als nach […] von physischen Bestimmungen unabhängige[ ] Persönlichkeit (homo noumenon), vorgestellt werden kann und soll, zum Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subjekt, dem Menschen (homo phaenomenon) […] (MS, VI, 239, Hervorh. v. Vf.).
Der Begriff der Persönlichkeit ist damit kategorial und geltungslogisch demjenigen der Person vorgeordnet. Die genannte Differenz zwischen der Person und der Persönlichkeit bildet auch einen wichtigen Unterschied in Kants Relationskategorien der zweiten Kritik: Auch hier setzt er unter dem Gesichtspunkt der Relation beim Begriff der Persönlichkeit ein („Auf die Persönlichkeit“, vgl. KpV, V, 66). Eine grundsätzliche Funktion der Relationskategorien überhaupt wird von Kant schon in § 25 der „Prolegomena“ hervorgehoben: Alle Erscheinungen müssen demnach unter die Relationskategorien subsumiert werden (vgl. Sänger (1982), 178) und zwar zunächst unter den Substanzbegriff, welcher „aller Bestimmung des Daseins als ein Begriff vom Dinge selbst zum Grunde liegt“ (PROL, IV, 306). Die erste Kategorie praktischer Relation kann in Analogie zur Kategorie der Subsistenz/Inhärenz gesetzt werden (vgl. Beck (1985), 145). So wie der Substanzbegriff
Persönlichkeit [steht], wonach sie in Handlungen die auf sie selbst gehen durch sich selbst genötigt wird“.
7.4 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit
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grundlegend für die theoretische Erkenntnis ist, ist auch der Begriff der Persönlichkeit grundlegend für die praktische Philosophie, die kategorial auf dem Begriff eines Wesens beruht, das nicht nur der Zurechnung fähig, sondern auch zur autonomen Gesetzgebung in Form eines vernünftigen Handlungsgesetzes in der Lage ist. Ohne die Möglichkeit, das Handlungssubjekt als Persönlichkeit und damit als ein Wesen, das mit „Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür“ (RGV,VI, 27 f.) ausgestattet ist, zu denken, wäre der Begriff der Person auf seinen empirischen Gehalt reduzierbar und Recht und Ethik wären dem Angriff durch den moralischen Reduktionismus ausgeliefert. Folgerichtig bleibt der Begriff der Person daher auch in der MS – einer Anwendungsschrift, die ihr Augenmerk vorrangig auf das reine praktische Vernunftgesetz im Menschen als einem Wesen der Erscheinungswelt legt –, im Begriff der Persönlichkeit fundiert. Dass das Recht und der mit diesem verknüpfte Freiheitsbegriff nur transzendental und im Absehen von allem Empirischen begründet werden können, wird in Kants strikter Ablehnung einer empirischen Rechtslehre deutlich, die wie „der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel“ ein Kopf sei, der, so polemisiert Kant, „schön sein mag, nur schade! Daß er kein Gehirn hat“ (MS,VI, 230). Die „Handlungen als Facta“, auf die sich nach Kant der Begriff des Rechts bezieht, werden nur betrachtet im Hinblick auf die Form […] im Verhältnis der beidseitigen Willkür, sofern sie als bloß frei betrachtet wird, und ob dadurch die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse (MS, VI, 230).
In diesem wechselseitigen Verhältnis kommt es nicht auf die Materie der Willkür an, sondern nur auf den Gesichtspunkt der Form, nämlich darauf, ob meine Freiheit, die sich mit der des anderen nach einem allgemeinen Gesetz vereinigen lassen können muss, behindert wird: Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand, mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen (MS, VI, 231, Hervorh. v. Vf.).
Kant wendet an dieser Stelle die zweite Kategorie praktischer Relation an („Auf den Zustand der Person“). Das Handlungssubjekt wird in diesem Zitat angesprochen als Person, d. h., gemeint ist der in der empirischen Welt handelnde Mensch in seiner Zurechnungsfähigkeit und mit seinem Potential, Persönlichkeit zu sein, wobei seine Willkür in den „Facta“ auf die Willkür eines anderen Menschen trifft.
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
Der Begriff „Zustand“ hat in der Tafel der Kategorien der Freiheit eine weit gefasste Bedeutung, indem er sowohl auf den empirischen Zustand des Glücks oder Unglücks als auch auf den moralischen Zustand, d. h. die moralische Verfassung des Menschen, bezogen werden kann. In obigem Zitat aus der Einleitung zur MS kann es nicht um eine empirische Verfassung des Menschen, also um den Zustand des Glücks oder Unglücks, sondern nur um ein apriorisches Bestimmungsmoment und damit um die zweite Bedeutung der zweiten Relationskategorie gehen. In § B „Was ist Recht“ (MS, VI, 229) bestand Kants Argumentationsabsicht nämlich gerade darin, das Recht ausschließlich auf die Form im Verhältnis der beiderseitigen Willkür, unabhängig von jeder Materie zu gründen. Nicht nur die Handlung, sondern „überhaupt mein Zustand“ muss mit der Freiheit anderer nach einem allgemeinen Gesetz bestehen können. Es stellt sich somit die Frage nach einer nicht empirischen und zunächst im Hinblick auf das einzelne Handlungssubjekt und dessen Willkür zu bestimmenden Verfassung, nämlich nach dem Zustand einer Person überhaupt. Dieser Zustand besteht nach einer späteren Textstelle in der MS in einer moralischen Verfassung des Menschen, die aus seinem intelligiblen Selbst „abgeleitet (erworben oder zugezogen) ihm selbst zugerechnet werden kann und zum moralischen Zustande gehören mag“ (MS, VI, 441), nämlich im Vermögen der Freiheit selbst als einem dem Menschen faktisch gegebenen Zustand. Derjenige, der diesen „Zustand“ der Person, nach allgemeinen Gesetzen frei zu handeln, hindert, handelt unrecht. Die moralische Verfassung, die Kant durch Anwendung der zweiten Relationskategorie der Freiheit als Zustand jeder Person überhaupt bestimmen will, liegt im einzigen „angeborne[n] Recht“ des Menschen: Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit zustehende Recht (MS, VI, 237).
Kant hat damit nach Entfaltung des Begriffs der Persönlichkeit, der jeder moralischen und rechtlichen Reflexion als Grundlage dient, das Recht durch die Anwendung der zweiten Kategorie der Relation weiter spezifiziert. Dem Menschen als Person muss „kraft seiner Menschheit“ immer schon das Recht zugestanden werden, nicht durch Willkür anderer und die daraus entstehenden Handlungen in der Freiheit der eigenen Willkürentfaltung genötigt oder behindert zu werden, insofern diese Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz mit der Freiheit anderer Handlungssubjekte als vereinbar gedacht werden kann. Hierin präludiert schon das dritte Bestimmungsmoment des Rechts als Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann (MS,VI, 230).
7.4 Die Bedeutung der Relationskategorien der Freiheit
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Der Begriff des Rechts bezieht sich damit auf ein „wechselseitige[s] Verhältnis der Willkür“ (MS,VI, 230), das danach befragt werden muss, ob es ein ausgeglichenes, in einem allgemeinen Handlungsgesetz verallgemeinerbares Verhältnis darstellt. Die Möglichkeit eines Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Akten der Willkür wird in der Tafel der Kategorien der Freiheit durch die dritte Relationskategorie grundlegend bestimmt und zwar wechselseitig, d. h. im Hinblick auf den Einfluss „einer Person auf den Zustand einer anderen“ (KpV, V, 66). Der Begriff der Wechselseitigkeit bzw.Wechselwirkung findet sich sowohl in der theoretischen als auch in der praktischen Philosophie Kants und wird schließlich auch auf die Rechtsphilosophie angewandt. Bereits in der theoretischen Philosophie findet er seine Anwendung¹⁸ und lässt sich implizit auch in der Kategorientafel der zweiten Kritik nachweisen. Dort wird eine Relation zwischen der Willkür der Handlungssubjekte thematisch, d. h., die Interaktion von Personen wird hinsichtlich ihrer wechselseitigen Wirkung auf den Zustand der einzelnen Akteure dieser Gemeinschaft in den Blick genommen. Kant fasst diese Kategorie dabei in einer grundsätzlichen Bedeutung und erlaubt dadurch sowohl eine Anwendung auf das reale Verhältnis einer wechselseitigen Beeinflussung von Personen durch die sie empirisch tangierenden Handlungen als auch eine Deutung in transzendentaler bzw. noumenaler Perspektive: Wie durch die Differenzierung zwischen den Begriffen der Person und der Persönlichkeit deutlich geworden ist, bleibt der Personenbegriff trotz seines empirischen Bedeutungsinhalts auf denjenigen der Persönlichkeit in Form einer transzendentalen Ermöglichung desselben rückbezogen. Die dritte Relationskategorie der Freiheit oszilliert damit zwischen der Bedeutung eines faktischen Einflusses des empirischen Zustandes einer Person auf die andere und der Vorstellung einer intelligiblen Relation. Das Handlungssubjekt wird in dieser zweiten Bedeutung vorgestellt hinsichtlich seiner Persönlichkeit und einer „Gemeinschaft“, die man als ein vernünftiges Reich der Zwecke denken kann. Personen, die sich gegenseitig in ihren Willkürakten unterstützen und beschränken, lassen sich durch den Begriff der Gemeinschaft fassen. In dieser Gemeinschaft nimmt jedes Rechtssubjekt durch die Ausübung seiner ihm als einziges Recht angeborenen Freiheit Einfluss auf den Zustand, d. h. auf dasselbe Recht einer anderen Person, nämlich auf deren Freiheit. Damit schließt Kant seine Definition des Rechtsbegriffs ab, die der Kategorientafel der zweiten Kritik folgt. Gemäß der ersten Relationskategorie hat er dabei den Begriff der Persönlichkeit als Grundlage jeder sinnvollen moralischen oder rechtsphilosophischen Vgl. in diesem Zusammenhang die dritte Kategorie der Relation in der KrV, die den Begriff der Gemeinschaft enthält und sich hier auf die Substanzen bezieht. Siehe auch B 256, wo Kant darauf hinweist, dass „[alle] Substanzen, sofern sie im Raume als zu gleich wahrgenommen werden können, […] in durchgängiger Wechselwirkung [sind]“.
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
Reflexion festgelegt. Die Persönlichkeit bildet als intelligible Substanz den Ausgangspunkt dieser Bestimmung, die durch eine Perspektivierung auf den Zustand der Person anhand der zweiten Kategorie der Relation ein Freiheitspotential deutlich herausstellt, das innerhalb einer innerweltlichen Sphäre durch den wechselseitigen Bezug zwischen den Handlungssubjekten gekennzeichnet ist und als durch äußere Gesetzgebung geregelt gedacht werden kann. Mit der Erörterung dieses wechselseitigen Verhältnisses der Willkür und einem daraus ableitbaren wechselseitigen Zwang innerhalb der rechtlichen Gemeinschaft folgt Kant der dritten Kategorie praktischer Modalität.
7.5 Die Kategorien der Freiheit und die Tugendlehre der MS Nachdem die Bedeutung der praktischen Kategorien für die Grundlegung einer Rechtslehre als einer Anwendung der praktischen Philosophie auf den Menschen und seine äußeren Willkürakte deutlich wurde, stellt sich die Frage, ob den Kategorien der Freiheit hinsichtlich der Konstitution der Tugendlehre eine ähnliche Funktion zukommt. Der Einfluss der Kategorien der Freiheit auf die Tugendlehre, wie Kant sie in der MS entwirft, zeigt sich durch die Bedeutung der dritten Kategorie der Qualität und der dritten Modalitätskategorie, die für Kant hinsichtlich des Moments einer Differenzierung innerhalb der praktischen Urteilskraft eine besondere Rolle spielt. Der Begriff der Tugendlehre ergibt sich dabei für Kant aus der in der Einleitung zur Rechtslehre getroffenen Differenzierung zwischen einer äußeren und einer inneren Gesetzgebung. Die Tugendlehre bezieht sich „auf einen Teil der Sittenlehre, nämlich auf die Lehre von den Pflichten, die nicht unter äußeren Gesetzen stehen“ (MS, VI, 379). Der kategorial entfaltete Begriff der Pflicht überhaupt wird jetzt im Hinblick auf eine innere Gesetzgebung betrachtet, nämlich als „ein Selbstzwang“ (MS, VI, 379). Der moralische Imperativ wird von Kant hinsichtlich seiner Modalität als kategorisch bestimmt und zugleich auf die systematische Grundausrichtung der MS bezogen, indem nicht der Aspekt der Selbstbestimmung, sondern der der Verpflichtung in den Vordergrund rückt: Adressat ist der „Mensch[ ] als vernünftige[s] Naturwesen“ (MS, VI, 379). Verstärkt wird diese Perspektive durch den Umstand, dass Kant den Begriff des „Zwecks“ für den Geltungsbereich der Moralität im Kontrast zum Recht heranzieht: Die Rechtslehre hatte es bloß mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit […], d. h. mit dem Recht zu tun. Die Ethik dagegen gibt noch eine Materie (einen Gegenstand der freien Willkür), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objektiv-notwendiger Zweck, d. i. für den Menschen als Pflicht vorgestellt wird, an die Hand (MS, VI, 380).
7.5 Die Kategorien der Freiheit und die Tugendlehre der MS
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Während die Grundlegung der Moral von Zwecken und Interessen absehen musste, um eine apriorische und empirisch nicht verunreinigte Begründung derselben zu ermöglichen, fasst Kant das Sittengesetz an dieser Stelle sogar mit einem Begriff, der konstitutiv für das Handlungssubjekt als jenes „vernünftige Naturwesen“ ist, nämlich mit dem des Zwecks¹⁹, welcher hier in seiner Konkurrenz zur „Materie der Willkür“, den zu Zwecken geformten „sinnlichen Neigungen“ (MS, VI, 380), betrachtet wird. In diesem Sinne ist „sich selbst einen Zweck zu setzen, der zugleich Pflicht ist, kein Widerspruch“ (MS, VI, 381), da dieser Selbstzwang ein freier ist. Die GMS und die KpV lassen sich in Kants Terminologie als reine „Sittenlehren“ fassen, d. h., in beiden steht die Selbstgesetzgebung reiner praktischer Vernunft im Mittelpunkt, die zunächst weitgehend unabhängig vom empirischen Charakter des Menschen bestimmt wird. In anwendungsbezogener Hinsicht transformiert diese Sittenlehre sich zu einer Tugendlehre und kann damit als eine „Autokratie“ (MS, VI, 383) gefasst werden.²⁰ Bereits die Tafel der zweiten Kritik exponiert den Begriff der praktischen Regeln der Ausnahmen und später unter dem Gesichtspunkt der Modalität die Kategorie der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten, welche in der Tugendlehre der MS einen „Spielraum“ (MS, VI, 426, 433, 446, 390, 393) in der moralischen Beurteilung eröffnen und so den häufig geäußerten Vorwurf des Rigorismus der kantischen Ethik entkräften. Dieser moralische und immer wieder individuell zu ermessende Spielraum praktischer Urteilskraft gilt für die Tugendpflichten als unvollkommene Pflichten. Zwar gelten auch die Tugendpflichten apodiktisch; trotzdem kann das Sittengesetz bei seiner Anwendung auf den Einzelfall differenziert Anwendung finden, da
Dass laut Kant in der Moralität von Zwecken und Interessen abgesehen werden muss, heißt nicht, dass der Zweck dort keine Rolle spielt; alles Handeln als Selbstbestimmung ist immer auch Zwecksetzung – es liegt eben nur das Kriterium der Moralität des Handelns nicht in der Rücksicht auf materiale Zwecke. Nach Römpp (2006), 6, gewinnt der Begriff des Zwecks in der Tugendlehre der MS eine grundlegende Bedeutung. In der MS ginge es nicht „um die im Inneren des moralischen Bewusstseins bleibende Bestimmung moralkonformer Maximenprüfung, von deren Eingang in die Motivationsstruktur des Handelnden nicht einmal dieser selbst Gewißheit erlangen kann“ (Römpp (2006), 17). Das Gemeinsame von Recht- und Tugendlehre sei vielmehr die „Äußerlichkeit“ der „darin direkt oder indirekt moralisch ausgezeichneten Dimension“, es gehe an dieser Stelle „um die Moralität von Handlungen und Unterlassungen statt von Gesinnungen“. Die Tugenden „werden als Pflichten bezeichnet, obwohl sie durch Zwecksetzungen bestimmt sind und die Innerlichkeit des reinen Wollens überschreiten“ (Römpp (2006), 17). Die Gesamtdarstellung von König (1994) rückt den Begriff der Autokratie an zahlreichen Stellen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung (vgl. König (1994), 128 ff.).
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7 Die Kategorien der Freiheit in der „Metaphysik der Sitten“
das Gesetz nur die Maxime der Handlungen, nicht die Handlung selbst, gebieten kann. So ist’s ein Zeichen, daß es der Befolgung (Observanz) einen Spielraum (Latitudo) für die freie Willkür überlasse, d. i. nicht bestimmt angeben könne, wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle (MS, VI, 390).
Auch Elemente der Tugendlehre als dem zweiten Teil der MS können damit auf die Tafel der Kategorien der Freiheit rückbezogen werden. Die praktischen Regeln der Ausnahmen (3. Kategorie der Qualität) und der Begriff einer „[u]nvollkommene[n] Pflicht[ ]“ (KpV, V, 66) fundieren bereits in der zweiten Kritik die Modi einer differenzierten Anwendung des Sittengesetzes und leisten damit einen Beitrag zu der in der MS entfalteten Problematik einer Vermittlung des empirischen und noumenalen Begriffs des Menschen. Kant wendet die Kategorien der Freiheit in den Einleitungen zur Rechts- und zur Tugendlehre im Hinblick auf die gleiche Perspektive, nämlich die kategoriale Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes der MS, die freie Willkür, an. Die Kategorien der Freiheit liegen beiden metaphysischen Gegenstandsbereichen gleichermaßen zugrunde. Ihre in der KpV begründete Funktion wird in der MS erweitert: Kant nimmt an ihnen Maß, um die „metaphysischen Anfangsgründe“ der Rechts- und Tugendlehre zu beleuchten, indem er diese kategorial durchsichtig macht. Begründet ist dieses Vorgehen in einer transzendentalphilosophisch gerechtfertigten Übertragung subjektintrinsischer Vollzüge auf das Recht und seine Bedingungen: In der gleichen Weise, wie ein praktisch reflektierendes Subjekt durch die praktischen Kategorien eine aus Begehrungen geformte Maxime beurteilt, d. h. hinsichtlich der in ihr enthaltenen quantitativen, qualitativen, relationalen und modalen Bestimmungen befragt, muss auch der Transzendentalphilosoph denjenigen Wirklichkeitsbereich, der die Verhältnisbestimmung zwischen einzelnen Handlungssubjekten in der Erscheinungswelt im Begriff des Rechts fasst, kategorial erkennbar werden lassen. Kant wendet die Kategorien der Freiheit in beiden Teilen der MS daher selbstverständlich an, ohne sie an diesen Stellen noch einmal eigens zu exponieren oder zu extemporieren. Und er wendet sie perspektivisch hinsichtlich ihrer jeweiligen Leistungsfunktion an: In der Rechtslehre fokussieren sie die verschiedenen Modi einer Verpflichtung des Handlungssubjekts und leisten die Grundlegung des Rechtsbegriffs, indem sie dessen begriffliche Voraussetzungen anhand der Konzepte der Persönlichkeit, des Zustandes einer Person und des wechselseitigen Einflusses der einen Person auf den Freiheitszustand einer anderen bestimmen. Die hierdurch gewonnenen kategorialen Bestimmungen – z. B. diejenigen der Pflicht durch die Modalitätskategorien der Freiheit – gelten prima facie auch für die Tugendlehre und werden aus diesem Grund in deren Einleitung
7.5 Die Kategorien der Freiheit und die Tugendlehre der MS
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auch nicht mehr eigens wiederholt. Kant wendet hier diejenigen Kategorien der Freiheit, die ihm an dieser Stelle der Argumentation notwendig werden, beispielhaft auf einen bestimmten Betrachtungsaspekt der praktischen Urteilskraft an: Die Kategorien der praktischen Ausnahmen bzw. der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten fundieren in der Tugendlehre einen Ermessensspielraum in der sittlichen Beurteilung von Handlungsmaximen.
8 Schlussanmerkung Trotz einiger erhellender Einzelbeobachtungen in der Literatur zur Tafel der Kategorien der Freiheit ist deren Bedeutung für ein Verständnis der Willensbildung in Kants praktischer Philosophie bisher unterschätzt und nicht ausreichend spezifiziert worden.¹ Dass Kant eine für seine Theorie der Willensbildung grundlegende Funktion mit diesen Kategorien verbindet, wird in der Literatur zwar angedeutet, aber nicht ausführlich zum Thema gemacht. Bereits Kants Hinweis in der „Vorrede“ zur zweiten Kritik, dass der „ganz andere“ Gebrauch der Kategorien – als in der Willensbildung enthaltene Elemente der praktischen Willensbildung – im Mittelpunkt seines systematischen Anliegens steht, ist bestenfalls ansatzweise zur Kenntnis genommen und nur unzureichend bei der systematischen Rekonstruktion der Freiheitskategorien geltend gemacht worden. Die Kategorien der Freiheit sind im Sinne der Bestimmungen der „Vorrede“ der KpV zufolge – die „Elementarbegriffe“ (vgl. KpV, V, 65) der praktischen Vernunft, d. h. diejenigen Urteilsmomente, auf die jede einheitliche Willensbildung und somit jede Handlungskonstitution zurückgeht: Die Tafel der Kategorien der Freiheit lässt sich in diesem Sinne als ein Ordnungsschema der Willensbildung rekonstruieren, das allen Handlungen als Formungsmomenten zugrunde liegt. Ein Blick auf diese Kategorien trägt dabei auch zu einem Verständnis der einheitlichen Konzeption der Vernunft und ihrer Kritik bei: Wenn Kant in der „Grundlegung“ und auch in der „Kritik der praktischen Vernunft“ feststellt, dass praktische Vernunft in nichts anderem bestehe als in einem guten Willen, so hat man darin eine lediglich für die Abgrenzung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft notwendige perspektivische Zuspitzung zu sehen. Die Leistungen praktischer Vernunft – dies legt schon der Subtext der „Grundlegung“ nahe – sind ohne das Vermögen der Urteilskraft und damit ohne Vernunftleistungen, die im Kontext einer Kritik der reinen Vernunft begründet worden sind, nicht angemessen zu exponieren. Die Handlung als Objekt der praktischen Vernunft ist nicht als Resultat der monokausalen Wirkmächtigkeit eines guten Willens zu verstehen, sondern muss als Ergebnis eines Zusammenspiels verschiedener Leistungen vernünftiger Subjektivität begriffen werden. In den Kontext dieser bei Kant vielleicht nur auf den zweiten Blick erkennbaren Verschränkung der Leistungen der einen Vernunft gehört seine Lehre von den Kategorien der Freiheit. Dass die Einführung von praktischen Kategorien nicht dem oft unterstellten Systemzwang, sondern einer systematischen Notwendigkeit geschuldet ist, ließ sich vor allem
Eine Ausnahme bildet, wie in der Einleitung und im Literaturbericht erwähnt, die Dissertation von Zimmermann (2011).
8 Schlussanmerkung
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durch den Nachweis der Ableitung auch der praktischen Kategorien aus Kants Urteilstafel der ersten Kritik einsichtig machen. Vernunft ist für Kant unabhängig von der Ausdifferenzierung in ihre unterschiedlichen Gegenstandsbereiche „urteilsförmig“ verfasst. Der transzendentale Aktivismus entäußert sich auf allen Ebenen in Form von Urteilen, was Kant durch die Leistungsanalyse der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft in seinen drei Kritiken je gegenstandsspezifisch thematisch macht. Erkenntnisurteile, praktische und ästhetische Urteile verdanken ihre Grundstruktur der Tafel der ersten Kritik, welche die verschiedenen Modi des Urteilens vorstellt. Trotz aller gegenstandsspezifischen Unterschiede kommen Urteile aller Bereiche darin überein, dass sie gemäß quantitativen, qualitativen, relationalen und modalen Gesichtspunkten gefällt werden. Obwohl dieser Gedanke wenig spezifisch anmutet, wird dadurch dennoch Kants Bemühen erklärbar, neben seiner Tafel der Erkenntniskategorien auch eine Kategorientafel der praktischen Vernunft vorzulegen und für den Bereich der ästhetischen Beurteilung zumindest zu skizzieren. Die Kategorien der Freiheit ergeben sich also nicht aus einer Übertragung der Erkenntniskategorien auf diese völlig fremden Gegenstandsbereiche, sondern ihre Urteilsstruktur verdankt sich – wie auch die Kategorien der Erkenntnis – der Tafel aller Momente des Denkens überhaupt. Auch im praktischen Urteil ist immer noch ein Bezug auf den Verstand enthalten. Praktische Vernunft bewegt sich innerhalb ihrer spezifischen Kategorienlehre somit auch innerhalb der „Momente des Denkens überhaupt“, gebraucht diese Urteilsformen aber in einem nur ihr eigenen Kontext und führt schließlich zu der Einführung der praktischen Urteilskraft. So wie man in der praktischen Vernunft nicht eine bloße Wiederkehr der theoretischen Vernunft im „neuen Gewand“ zu sehen hat, sondern diese durch spezifische Leistungen von Vernunft im theoretischen Gebrauch abgegrenzt werden kann, gelangt auch das Urteilen überhaupt im praktischen Bereich zu einer spezifischen Funktion. Kant hebt dies in seiner „Vorrede“ zur zweiten Kritik explizit hervor: Kategorien als praktische Urteilshandlungen haben in dieser Hinsicht eine „ganz andere“ Anwendung als in der ersten Kritik. Dabei muss Kant gar nicht die Gefahr, das Spezifikum einer praktischen Kategorienlehre zu verfehlen, zum Thema machen, denn er setzt selbstverständlich voraus, dass auch das Urteil in der Sphäre des Praktischen eine nicht zu unterschätzende Funktion behält. So wie die Vernunft in der ersten Kritik immer schon über ihren Kompetenzbereich hinaus denkt und das dabei Gedachte in die Klammer eines methodischen Bescheidenheitsvorbehaltes setzt, geht sie in der zweiten Kritik selbstverständlich zurück auf die in der ersten Schrift exponierten Vernunftleistungen. Das spezifisch Praktische der Kategorien der Freiheit gerät Kant dabei nicht aus dem Blick: Auch wenn deren Funktion einer Einheitsstiftung mit den Erkenntniskategorien analogisiert werden kann, macht die Tafel der Kategorien der
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8 Schlussanmerkung
Freiheit dennoch deutlich, dass allein der Wille, d. h. ein Bewusstsein moralischer Gesetze, Ausgangspunkt der Entfaltung der praktischen Kategorienlehre ist. Die Kategorien der Freiheit werden den Kategorien des Verstandes „gemäß“ angewendet und stellen damit auch eine Leistung theoretischer Vernunft dar, haben aber allein die Aufgabe, Begehrungen zu vereinheitlichen, um sie der „Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens“ (KpV,V, 65) zu unterwerfen. Die praktischen Kategorien stehen trotz ihrer irreduziblen Verwiesenheit auf das Urteil als Leistung theoretischer Vernunft und trotz des Umstandes, dass sie für die praktische Vernunft überhaupt gelten, allein im Dienst der reinen praktischen Vernunft. Sie haben es – wie durch Kants Lehre von der Typik im Anschluss an die praktische Kategorienlehre deutlich wird – mit dem Problem der Subsumption von Handlungen der Sinnenwelt unter das intelligible Sittengesetz zu tun. Der systematische Status der Kategorien der Freiheit als Ordnungsmomente, die zwischen dem rein intelligiblen Willen und der Vereinheitlichung von Begehrungen sowie einer Entäußerung der dadurch gewonnenen willensintrinsischen Resultate in Form von empirischen Handlungen stehen, spiegelt sich in ihrer Stellung innerhalb der Analytik wider: Die Tafel der Kategorien der Freiheit folgt auf Kants Theorie vom Faktum der Vernunft im ersten Hauptstück und mündet in seine Lehre von den Triebfedern der praktischen Vernunft. Sie ist damit zwischen dem reinen Willen als intelligiblem Substrat der praktischen Vernunft und dem Ende des von ihm ausgehenden Prozesses, nämlich der Ausführung der Handlung selbst, verortet. Die Kategorien der Freiheit stehen damit also in zweifacher Weise für die Einheit der Vernunft: Durch sie wird zum einen das enge Zusammenspiel zwischen theoretischen und praktischen Vernunftleistungen deutlich, indem das Urteil als ein Bestandteil der Willensbestimmung ausgezeichnet wird. Zum anderen markieren sie funktional den Übergang zwischen der reinen Willenskonstitution und einem Bezug auf eine noch hinzukommende Handlungsmotivation, nämlich die Triebfedern, die die Verwirklichung des Urteils in der Welt der Erscheinungen garantieren sollen. Die Tafel der Kategorien der Freiheit ordnet die Begehrungen und leistet dadurch Verdeutlichung und Einheitsbildung in der Willensabsicht, indem sie Maximen einer Stufenfolge von Reflexionsperspektiven unterwirft: Sie gewährt die Prüfung einer Handlung unter allen relevanten Aspekten des Denkens, so dass die prima facie schon moralisch bestimmte Maxime dann noch weiter reflektiert werden kann. Vergleichbar ist dies vielleicht mit Kants fünf Formeln des kategorischen Imperativs, die es erlauben, verschiedene Aspekte derselben Moralität einer Handlung zu deklinieren. Kant bezeichnet die praktischen Kategorien zu Recht als „Funktionen der Freiheit“ (XIX, 6854, 180), da alle Kategorien der Tafel Urteilsmodi sind, die der Handlung als einer Kausalität aus Freiheit zugrunde
8 Schlussanmerkung
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liegen. Dass die Funktion der Kategorien auch in der Nahaufnahme transzendentaler Funktionen plausibel bleibt, ließ sich durch die Rekonstruktion der Funktion der Freiheitskategorien an konkreten Beispielen der Willensbildung verständlich machen. Es konnte gezeigt werden, wie die Freiheitskategorien als „praktische Elementarbegriffe“ in der Bildung eines Willens als eine Art Urteil zusammenwirken. Sowohl die Bildungen spezifisch moralischer als auch sittlichgleichgültiger Handlungen bzw. Handlungsabsichten ließen sich als Einheitsprodukte der Freiheitskategorien erklären. Entsprechend kann jede Handlung – ihre Zugänglichkeit für das Verstehen einmal unterstellt – zum Gegenstand einer beurteilenden Rekonstruktion gemacht werden. Eine systematische Affinität zwischen der Tafel und dem Problem der Anwendung des aus reiner sittlicher Einsicht Begriffenen findet sich auch auf einer vernunftarchitektonischen Ebene bestätigt: Die Kategorien der Freiheit stehen als grundsätzliche, praktische Urteilsmomente im Mittelpunkt der Einleitung zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechts- und Tugendlehre der „Metaphysik der Sitten“. So wie die Kategorien der ersten Kritik den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zugrunde liegen, dienen Kant die Kategorien der Freiheit in der MS dazu, ihren Untersuchungsgegenstand, nämlich die Modi der Willkür, kategorial zu bestimmen. Als Modi von Freiheit liegen sie in der Rechtslehre den unterschiedlichen Gradationen des Pflichtbegriffs ebenso zugrunde wie der Definition und Explikation des Rechtsbegriffs. Die dritte Kategorie der Modalität schließlich stiftet die Grundbegrifflichkeit für das in der MS zentrale Begriffspaar der vollkommenen und unvollkommenen Pflichten, mit dem Kant eine in ihrer systematischen Bedeutung nicht zu unterschätzende Differenzierung seiner Ethik erstmals umfänglich in den Mittelpunkt stellt und die einen Ermessensspielraum in der sittlichen Beurteilung von Handlungsmaximen durch die Urteilskraft eröffnet. Angesichts dieser Befunde und der daraus erwachsenen Einsicht in die grundlegende Funktion der Kategorien der Freiheit muss rätselhaft bleiben, dass Kant sich bis auf die wenigen Passagen in der Analytik nie weiter explikativ zu seiner praktischen Kategorientafel geäußert hat. Zwar lassen sich neben der KpV auch in anderen zentralen Schriften zur praktischen Philosophie Indizien für die systematische Bedeutung dieser Lehre finden, dennoch ist der Gedanke einer praktischen Kategorienlehre bis auf die Überlegungen in der Analytik der KpV an keiner Stelle systematisch konsequent durchgeführt worden und gibt daher das mehrfach geschilderte Rekonstruktionsproblem auf. Trotz aller bisher vorgelegten Evidenzen für die Bedeutung der Freiheitskategorien könnte man daher im Versuch, die nur flüchtig ausgearbeitete Kategorienlehre zu einem zentralen Bestandteil von Kants praktischer Philosophie zu erklären, eine „Überinterpretation“ dieses Themas bei Kant sehen. Gegen die
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8 Schlussanmerkung
Möglichkeit dieser Geringschätzung der praktischen Kategorien lässt sich einwenden, dass Kant auch andere, zweifelsohne tragende Bausteine seiner Vernunftkritik in den Augen seiner Interpreten nur mangelhaft erläutert und durchsichtig gemacht hat. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Urteilstafel der ersten Kritik und die sich daran anschließende Kategoriendeduktion. Auch für die Lehre der Kategorien der Freiheit muss vor dem Hintergrund der Einsicht in diese Eigenart der Darstellungsökonomie eine hermeneutisch ähnlich wohlwollende Interpretation geltend gemacht werden: Da Kant auch andere, grundsätzliche Theoreme seiner Vernunftkritik nur skizziert hat und sich deren systematischer Status und Geltungsumfang nur durch ein eigenständiges Mit- und Durchdenken der Vernunftkritik als Ganzer angemessen erschließt, darf man auch annehmen, dass der Explikationsbedarf der praktischen Kategorienlehre nicht in einem möglicherweise systematisch bloß marginalen Status liegt oder sich in der Annahme einer systemarchitektonischen Eskapade erschöpft. Die Kategorien der Freiheit gehören Kants eigener Intention nach zu den grundlegenden Begriffen seiner praktischen Philosophie und müssen daher in ihrer hier skizzierten Funktion ernst genommen werden. Sie erlauben Einblick in die transzendentalen Voraussetzungen von Kants praktischer Philosophie und ihren umfassenden Freiheitsbegriff. Sie sind, wie Kant selbst sagt, „Elementarbegriffe“, da sich in ihnen eine transzendental grundsätzliche Urteilsstruktur der Vernunft zeigt, die Kants Konzeption der sich selbst kritisierenden Vernunft in maßgeblicher Weise prägt und je gegenstandsspezifisch in den drei Kritiken zutage tritt. Trotzdem wäre es übertrieben, daraufhin anzunehmen, Kants praktische Philosophie als Ganze bliebe ohne die Einsicht in die Funktion dieser Elementarbegriffe unverständlich. Die Einsicht in die kategoriale Formung von Handlungen ist zwar eine der notwendigen transzendentalphilosophischen Voraussetzungen dafür, dass von Handlungen als „Objekten“ der praktischen Vernunft gesprochen werden kann. Man kann deshalb aber nicht behaupten, dass die gesamte Moralphilosophie, die Kant um diesen systematischen Nucleus herum entwirft – die Theorie der autonomen Selbstgesetzgebung eines nicht rein vernünftigen Wesens –, unverständlich bliebe oder nun in ganz anderer Weise aufgefasst werden müsste. Die hier vorgeschlagene Interpretation der Lehre von den Kategorien der Freiheit ermöglicht ein tiefergehendes Verständnis von Kants praktischer Philosophie, deren Voraussetzungen und systematischen Details. Wir haben aber in Anbetracht des Einblicks in die Funktion der Kategorien der Freiheit als Modi einer auch im Praktischen apperzeptiv strukturierten Vernunft keinen Grund, unsere bisherige Auffassung dieser Philosophie in irgendeiner Weise zu verändern. Kant bleibt auch angesichts der Einsichten in diesen Aspekt seiner Analyse der Leistungen vernünftiger Subjektivität ganz der Alte.
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Akademie-Ausgabe Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Kritik der praktischen Vernunft Kritik der reinen Vernunft Kritik der Urteilskraft Die Metaphysik der Sitten Prolegomena Die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft
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Personenregister Adickes, Erich 2 f., 10, 21, 25, 49, 90 Aportone, Anselmo 25 Bacin, Stefano 2 Bader, Ralf M. 11, 19 – 21, 53 f., 64, 91, 100 Bartuschat, Wolfgang V. 72, 74 f., 117, 126 Baumanns, Peter 2, 73 Beck, Lewis White 2, 11 – 15, 18 f., 21, 23 f., 36 f., 40, 49 f., 54, 61, 65, 104, 113 f., 117, 128 Bendavid, Lazarus 2, 8 Benton, Robert J. 14 f., 54 Biedermann, Karl 2 f., 21 Bittner, Rüdiger 2, 113 Bobzien, Susanne 22, 15 f., 18, 21, 54, 104, 117 Bojanowski, Jürgen 29 Bolzano, Bernhard 24 Bort, Klaus 27 Brandt, Reinhard 2, 85, 87 f., 90 f., 119 Brastberger, Gebhard Ulrich 2 f. Brocker, Manfred 213 f., 117 Buchheim, Thomas 2 Chalybäus, Heinrich Moritz 26 Cramer, Konrad 2, 106 Deggau, Hans-Georg 213 Deutinger, Martin 20, 21 Di Giovanni, George 2 Dierksmeier, Claus 2 Dörflinger, Bernd 24 Ebbinghaus, Julius 226 Eidam, Heinz 23 f., 30 f.
Grape, Johannes 2 Gueroult, Martial 29 Gunkel, Andreas 29 Haas, Bruno 27 f. Häfliger, Gregor 24 Hägerström, Axel 2 Henrich, Dieter 207 f. Herder, Johann Gottfried 213 Hinsch, Wilfried 205 f., 108 Höffe, Otfried 23, 28, 72, 75, 90 Hoppe, Hansgeorg 205 Kaulbach, Friedrich 2, 13 f., 21, 29 f., 73, 104 f., 111 – 113, 117, 126 Kersting, Wolfgang 213 f. Kirchmann, Julius Hermann von 2 Klemme, Heiner F. 6, 91, 113 Kleppel, Erich 2 Kobusch, Theo 26, 23 f., 31, 117 Koch, Dietmar 27 Köhl, Harald 219 König, Peter 2, 113, 133 Krug, Traugott 24 Kühl, Kristian 213, 117, 126 Küsters, Gerd Walter 217 Kugelstadt, Manfred 25 Kuhne, Manfred 25, 105 Kulenkampff, Jens 24 Langthaler, Rudolf 2 Lisser, Kurt 217 f. Longuenesse, Beatrice 20 Loock, Reinhard 24, 73, 104 f.
Fischer, Norbert 2, 24 Fricke, Christel 23 Friedrich, Rainer 213 Funke, Gerhard 29
Malibabo, Balimbanga 2, 113, 117 Mellin, Georg Samuel Albert 2 f., 21, 24 Michaelis, Christian Friedrich 2, 8 Milz, Bernhard 25 Moskopp, Werner 2 Müller, Christian 2, 117
Geismann, Georg 226 Graband, Claudia 2, 12, 18, 21, 54, 58, 61, 90 – 92
Nachtsheim, Stephan 26
148
Personenregister
Patzig, Günther 24, 100 Phädrus (Gaius Iulius Phädrus) 129 Pieper, Annemarie 2, 13, 21, 73, 75, 92, 104 f., 111 Pistorius, Hermann Andreas 25 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 24, 100 Pöpperl, Christian 2 Prauss, Gerold 220 Prien, Bernd 24 – 26, 28 Pufendorf, Samuel von 26 Puls, Heiko 26, 30
Schleiermacher, Friedrich 2, 21 Schönecker, Dieter 2, 26, 69 Schönrich, Gerhard 25 f., 21 Schopenhauer, Arthur 20, 21, 113 f. Schütz, Christian Gottfried 2 f., 21 Schulthess, Peter 27, 105, 107 Siep, Ludwig 26 f. Simon, Josef 27 f., 49, 84 Stilling, J. 10 f. Stolzenberg, Jürgen 28 f., 21, 104 f., 111 Streichert, Till 2, 104 f.
Recki, Birgit V. 2, 17, 21, 72, 91 – 93, 113 Rehberg, August Wilhelm 2 f. Reibenschuh, Gernot 2 Reich, Klaus 25, 126 Riedel, Manfred 24 Ritter, Christian 213 Rohs, Peter 25 Römpp, Georg 213, 115, 133 Rosas, Alejandro 25
Thurnherr, Urs 22 Timmermann, Jens 2, 119 Tonelli, Giorgio 25 f.
Sala, Giovanni B. 2, 18, 23 f., 31, 41 f. Sänger, Marion 24 f., 113, 117 – 119, 128
Wagner, Hans 28 Willaschek, Marcus 25 f. Wohlers, Christian 24 Wolff, Michael 25, 87, 89 Wood, Allen 23 Wunderlich, Falk 206 f. Zimmermann, Stephan 2, 20 – 23, 91, 136