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German Pages 386 [388] Year 2007
Christoph Binkelmann Theorie der praktischen Freiheit
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Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jens Halfwassen, Jürgen Mittelstraß, Dominik Perler
Band 82
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Theorie der praktischen Freiheit Fichte − Hegel von
Christoph Binkelmann
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020098-0 ISSN 0344-8142 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Wer die Naturnotwendigkeit fürchtet, der fürchtet seinen eigenen Schatten. Das Beispiel passt ganz. – Er werde durch seinen Schatten gehalten, dieser sei ihm im Wege, über ihn könne er nicht weg! Ja wenn dieser sich fortbewegen möchte und vor ihm hergehen; dann wolle er ihm wohl nach! Närrischer Mensch; der Schatten hat in sich keine Kraft und kein eigentümliches Prinzip; schreite du nur vorwärts, so schreitet er auch fort! [...] Die Natur hat in sich durchaus kein eigentümliches Prinzip, sondern sie ist bloß der sich selbst ergebende und auffallende Widerschein der absoluten Freiheit in einem Jeden. FICHTE
Vorwort Alles Nachdenken über Freiheit setzt lebendige Freiheit voraus. Der Nachdenkende bedarf anderer Menschen, die ihm diese Freiheit ermöglichen. Allen diesen gilt mein Dank. Alles Nachdenken über die praktische Philosophie von Fichte und Hegel kann nur in einem Umfeld lebendiger Forschung gedeihen. Das Denken, welches die vorliegende leicht überarbeitete Version meiner Heidelberger Dissertation von 2005 umfasst, reifte zur Zeit meiner Forschungsaufenthalte am philosophischen Seminar in Heidelberg, dem Centre de Recherche sur Hegel et l’idéalisme allemand in Poitiers und in Berlin. Für die Einführung in die dortige Idealismus-Forschung danke ich folgenden Personen: den beiden Gutachtern meiner Dissertation, Prof. Dr. Rüdiger Bubner (Heidelberg) sowie Prof. Dr. Jean-Louis Vieillard-Baron (Poitiers), Prof. Dr. Jens Halfwassen (Heidelberg), Prof. Dr. Jean-Christophe Goddard (Poitiers) und PD Dr. Christoph Asmuth (Berlin). Vor allem das von letzterem geleitete Internationale Forschungsnetzwerk Transzendentalphilosophie/Deutscher Idealismus an der Technischen Universität Berlin hat mir am Ende meiner Promotion eindrucksvoll gezeigt, wie eine große Gruppe internationaler Nachwuchsforscher gemeinsam, selbstbestimmt und sachbezogen die Idealismus-Forschung neu zu beleben vermögen. Jedem einzelnen der Mitglieder gebührt in fachlicher und menschlicher Hinsicht mein regester Dank. Damit das Nachdenken jedoch nicht in sich verharrt, muss es sich in einem Werk manifestieren – wie der Kuss im Wochenbett (F. Schlegel). Für die im gut idealistischen Sinne ideal-reale Förderung bedanke ich mich bei folgenden Einrichtungen: Diese Dissertation ist mit einer sechsmonatigen Unterstützung eines DAAD Doktorandenstipendiums im Rahmen des gemeinsamen Hochschulsonderprogramms III von Bund und Ländern entstanden. Sie wurde für die gesamte Dauer von der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Des Weiteren danke ich den Herausgebern der Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie“ für die Aufnahme meiner Dissertation, den Damen von De Gruyter für die professionelle und freundliche Betreuung bis zur Drucklegung.
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Vorwort
Doch letztlich sind es die „ganzheitlichen“ Begleiter der Entstehung dieser Arbeit, die Freunde und die Eltern, denen ich nicht zuletzt für die ständige Ermahnung danke, bei allem Nachdenken über Freiheit nicht das Leben zu vergessen. Ihnen persönlich zu danken, ist dies nicht der Ort. Ich hoffe, es ist längst geschehen. Berlin im Herbst 2007
Christoph Binkelmann
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................... V Einleitung............................................................................................................. 1
Erster Teil: Der Ursprung der praktischen Freiheit (J.G. Fichte) ................... 15 I.
Selbstbewusstsein und Freiheit..................................................... 15
1. 2. 3.
Zur Motivation und Idee des transzendentalen Idealismus ............... 15 Zur Methode des transzendentalen Idealismus.................................... 34 Zur Ausführung des transzendentalen Idealismus .............................. 41
II. Die Sittenlehre: Die inneren Bedingungen der Freiheit............ 50 1. 2. 3. 4.
Die Anfangsgründe des Praktischen: Das Streben und die Reflexion ............................................................... 50 Innere Reflexion des Strebens: Die Freiheit und das Sittengesetz.... 67 Die Möglichkeit der Verwirklichung des Strebens ............................... 81 Die Trieblehre und das Gewissen: Phänomenologie der Freiheit..... 88
III. Die Rechtslehre: Die äußeren Bedingungen der Freiheit ....... 107 1. 2. 3. 4.
Moral und Recht...................................................................................... 107 Arbeit an der Sinnenwelt........................................................................ 110 Aufforderung und Anerkennung.......................................................... 113 Das Recht und seine Anwendung......................................................... 124
IV. Staats- und Gesellschaftslehre: Verwirklichung der Freiheit .. 130 1. 2. 3. 4.
Übergang von der Rechtslehre: Die Remoralisierung des Rechts ... 130 Die Kultivierung der Sinnenwelt .......................................................... 133 Die moralische Anerkennungsgemeinschaft....................................... 136 Die kulturelle Aufgabe der Gesellschaft und des Staates ................. 139
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Inhalt
Zweiter Teil: Die Genese der praktischen Freiheit (G.W.F. Hegel) .............. 149 I.
Hegels Fichte-Kritik und die Anfänge seines Systems............ 149
II. Freiheit im enzyklopädischen System........................................ 181 1. 2.
Der Begriff der Freiheit ......................................................................... 181 Die Wirklichkeit der Freiheit ................................................................. 185
III. Die Grundlagen menschlicher Freiheit bei Hegel ................... 193 1. 2. 3.
Die negative Freiheit des endlichen Selbstbewusstseins. Phänomenologie...................................................................................... 193 Die natürliche Genese des Selbstbewusstseins................................... 227 Die Freiheit des subjektiven Geistes. Psychologie. ............................ 235 Die geistige Genese des praktischen Selbstbewusstseins.................. 259 Die Freiheit des objektiven Geistes. Das Recht. ................................ 265 Die sittliche Genese des moralischen Selbstbewusstseins ................ 317
Dritter Teil: Schlussbetrachtung........................................................................331 1. 2. 3.
Theorie der praktischen Freiheit: Die Frage nach dem Grund ....... 333 Ursprung oder Genese der praktischen Freiheit................................ 339 Kritische Würdigung............................................................................... 349
Literaturverzeichnis ......................................................................................... 359 Personenregister ............................................................................................... 367 Sachregister ....................................................................................................... 370
Einleitung Mensch-Sein ist das Andere seiner selbst Sein.1
Thema der Untersuchung ist die Theorie der praktischen Freiheit. Was ist darunter zu verstehen? Die Bezeichnung soll als Sammelbegriff für diejenigen Philosophiekonzeptionen gelten, welche die Überzeugung teilen, dass praktische Freiheit ein prinzipieller Bestandteil der Wirklichkeit ist. Gemeinsam ist ihnen zudem eine Reihe sich daran anschließender Bestimmungen, welche im Folgenden thetisch einleitend entwickelt und dargestellt werden. Ihre Herkunft verdankt eine derartige Theorie der philosophiegeschichtlichen Epoche des deutschen Idealismus. So dient auch die Ermittlung der Grundaspekte einer Theorie der praktischen Freiheit der Einleitung in die praktischen Philosophien zweier Denker des deutschen Idealismus, deren Vergleich diese Untersuchung unternehmen wird: Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Es ist nicht gut bestellt um die Freiheit im wissenschaftlichen Diskurs der Gegenwart, bedenkt man das erdrückende Gewicht naturwissenschaftlicher, insbesondere neurobiologischer Forschungsresultate und angesichts all dessen die zunehmende Bescheidenheit philosophischer Freiheitskonzepte. Diese Dominanz findet ihren Widerhall im alltäglichen Bewusstsein. Die Ohnmacht, die der Mensch in Anbetracht seiner natürlichen Determiniertheit wie auch seiner verschwindenden Rolle im sozialen Raum unter der Globalisierung verspürt, erinnert nur noch entfernt an die bekannte Mitte, „in der betäubt ein großer Wille steht“. Dennoch haben es bislang sämtliche wissenschaftliche wie gesellschaftliche Entwicklungen nicht vermocht, das Bewusstsein von Freiheit – und sei es auch nur im Modus ihrer Abwesenheit – gänzlich abzuschaffen. Lebensweltliche Grundlage einer Theorie der praktischen Freiheit ist die unmittelbare Evidenz, dass das eigene Handeln nicht durch kausale Ursachen determiniert sein muss, sondern aus einer freien Erwägung der Gründe, einer freien Entscheidung für einen Grund sowie _____________ 1
H. Plessner: Gesammelte Werke (GS). Hrsg. von G. Dux/O. Marquard/E. Ströker. Baden Baden 2003. Bd. V, S. 225.
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der freien Umsetzung der Handlung in der Welt erfolgen kann.2 Es ist augenscheinlich, dass sich eine Klärung der Möglichkeit von Freiheit mit vielen anschließenden Problematiken auseinanderzusetzen hat. Nicht nur ein philosophieinternes, gerade auch ein existentielles Interesse rankt sich um die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Geist, Leib und Seele, Determinismus und Freiheit, natürlicher Kausalität und logischem „Raum der Gründe“ (Rationalität).3 Auch wenn es häufig nicht den Anschein erweckt, ist die Kontinuität, welche die aktuelle Debatte bezüglich dieser Fragen zur Philosophietradition aufweist, unübersehbar. Gleichsam als Negativfolie einer Auseinandersetzung dient noch immer der vermeintlich ontologische Dualismus von René Descartes, der streng zwischen dem mechanistischen Raum der Körpersubstanzen (res extensa) und dem freiheitlichen Raum der Geistersubstanzen (res cogitans) unterscheidet. Spätestens seit Gilbert Ryle, vom dem die im Philosophiebetrieb so lange vorherrschende analytische Philosophie des Geistes einen entscheidenden Anstoß erhalten hat, gilt das „Gespenst in der Maschine“ als abschreckendes Musterbeispiel. Doch schon lange vor dem 20.Jh. hat unmittelbar in der Folgezeit von Descartes sein vielleicht nachhaltigster Kritiker, Baruch de Spinoza, den Substanzendualismus zugunsten einer einzigen Substanz verworfen: Ausdehnung und Denken sind nicht substantiell unterschiedene Bereiche, sondern Attribute von ein und derselben Substanz. Spinozas Monismus führt ferner zu einer weiteren Ablehnung Kartesischer Theorieteile. So verwirft er die Möglichkeit der Willensfreiheit, mithin den Vorrang des Willens vor dem Denken bei Descartes, und siedelt vielmehr in der Erkenntnis die höchste Tugend des Menschen an.4 In vielen Punkten findet Spinoza heutzutage Zustimmung zumeist von naturalistischer Seite.5 _____________ 2 3
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Diese Dreiteilung findet sich bei John Searle. Danach impliziert Freiheit das Bewusstsein einer (kausalen) Lücke zwischen diesen drei Aspekten (Searle 17). Das letzte Begriffspaar wird häufig in der Philosophie des Geistes benutzt. Der Raum der Gründe ist der lateinischen Wortbedeutung nach (rationes) auch als Rationalität zu bezeichnen. Einen Überblick zur Unterscheidung von Ursachen und Gründe gibt Beckermann. Zu Wille und Verstand bei Descartes vgl. Meditationes de prima philosophia (4. Meditation, 8ff.). Dagegen Spinoza: „Der Wille kann nicht eine freie Ursache genannt werden sondern nur eine notwendige.“ (Ethik, I, prop. 32) „Der Wille ist nur ein gewisser Modus des Denkens.“ Zum Primat der Erkenntnis als höchster Tugend vgl. Spinoza 283ff. So z.B. Davidsons (Davidson 2005) anomaler Monismus. Auch von neurowissenschaftlicher Seite scheint Spinozas Ablehnung der Willensfreiheit Zustimmung zu finden. So widmet A. Damasio der Theorie Spinozas ein ganzes Buch. Vgl. auch Roth: „Unser Wille erscheint uns frei, weil wir die Ursprünge der Motive, die ihn determinieren, nicht bewusst zurückverfolgen können. [...] Das Gefühl, jetzt etwas tun zu
Einleitung
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Einen weiteren gewichtigen Meilenstein in dieser Debatte setzte Immanuel Kant. Wollte man Kants Stellung angesichts der Vorgänger verorten,6 dann ließe sich eine Art Zwischenstellung konstruieren: Seiner Theorie zufolge entspringt die Unterscheidung in Naturdeterminismus und geistiger Freiheit keiner substantiellen Dualität wie bei Descartes, aber auch keiner monistischen Substanz à la Spinoza. Sie ergibt sich vielmehr aus einem dem Menschen eigenen (epistemischen) Perspektivismus, d.h. es handelt sich lediglich um unterschiedliche Perspektiven auf die Wirklichkeit, wobei jedoch am Primat der praktischen Freiheit festzuhalten ist:7 Ein höheres Interesse gebührt nicht dem von den Naturwissenschaften praktizierten kausalen Erklärungsmodell, das die Wirklichkeit aus der Perspektive der dritten Person betrachtet. Vielmehr bürgt der rationale Freiheitsstandpunkt der ersten Person, d.h. des menschlichen Subjekts, für die höchste Realität. Auf diese Weise rehabilitiert Kant den Stellenwert des Handlungsbewusstseins und der Willensfreiheit im Hinblick auf Spinoza, ohne dem Kartesischen Substanzendualismus anheim zu fallen. Kants Lösungsansatz hat nicht nur in der unmittelbaren Folgezeit des so genannten deutschen Idealismus für heftige Diskussionen gesorgt. Grund dafür ist, dass das Verhältnis von Kausalität und Freiheit bei Kant keine fundamentale und umfassende Aufhellung erfährt. Auch die Kritik der Urteilskraft, die eigentlich eine systematische Erklärung dieses Verhältnisses unternehmen soll, lässt viele zentrale Fragen offen. Zunächst fällt auf Grund der strikten Trennung von Objektivitäts- und Handlungsbewusstsein, der Perspektiven der dritten und ersten Person, schwer, die Möglichkeit eines Übergangs zu verstehen, d.h. wie Freiheit in den Naturdeterminismus einzugreifen vermag. Auf grundsätzlicherer Ebene stellt sich indes die Frage nach der Herkunft der perspektivischen Dualität. Die Spinozistische Substanz, die mitsamt ihrer Attribute die Unterscheidung von Denken und Ausdehnung erklären könnte, lehnt Kant vehement ab. Dieses Modell überschreitet nicht nur die zulässigen Grenzen des Wissens; es widerspricht zudem der menschlichen Freiheitsevidenz, dem Faktum der Vernunft. An diesem Faktum halten auch diejenigen Freiheitstheorien, die in dieser Abhandlung vorgestellt werden, fest – doch bleiben sie dabei _____________
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wollen, tritt auf, nachdem im Gehirn, genauer im limbischen System und den Basalganglien, die unbewusste Entscheidung darüber getroffen wurde, ob etwas jetzt und in einer bestimmten Weise getan werden soll“ (Roth 530f.). Vgl. dazu Ulrich Pothast (Pothast 203ff.). Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. 1. Teil, 2. Hauptstück, III. (AA V; AA bezieht sich auf Kant’s gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1910ff. Zu Kants Überordnung der intelligiblen Welt über die sinnliche Welt vgl. AA IV, 448ff.
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nicht stehen. Sie stellen vielmehr die Frage nach dem Grund der menschlichen Freiheit. Dabei wenden sie sich ebenso gegen ein dem menschlichen Bewusstsein äußeres Prinzip. Die Perspektive der dritten Person, die in naturalistischen Theorien den höheren Grad an Realität zugesprochen bekommt,8 kann nur einen äußerlichen Bestimmungsgrund angeben, welcher der Möglichkeit von Freiheit widerspricht. Es kann keine äußere Ursache für Freiheit geben, vielmehr muss Freiheit ihr eigenes Prinzip sein. Will man mithin die Unterscheidung der zwei Perspektiven bzw. von Natur und praktischer Freiheit erklären, dann kann dies nur aus einem freiheitsimmanenten Prinzip geschehen. Dies führte im deutschen Idealismus zu der Idee eines Systems der Freiheit. Um die Entstehung dieser Idee besser zu verstehen, sollen im Folgenden die zentralen Schwerpunkte der Theorie der praktischen Freiheit in Thesen angegeben werden, bevor auf die zu behandelnden Vertreter, Fichte und Hegel, eingegangen wird. Die Angabe der wesentlichen Charakteristika dieser Theorien der praktischen Freiheit verlangt ein Zweifaches: Neben einer Einführung des thematischen Gegenstandes stellt sich ebenso die Frage nach der Methode, der Behandlungsart des Themas. Am überzeugendsten erscheint die Angabe der Methode, wenn sich dieselbe unmittelbar aus der Eigenart des Gegenstandes ergibt. So wollen wir uns zunächst dem Gegenstand widmen: Was versteht man unter praktischer Freiheit? Prima facie fällt zumindest die Beantwortung der Frage nach dem Subjekt dieser Freiheit nicht schwer. Praktische Freiheit ist etwas, das dem Menschen zugesprochen wird. Das Praktische dieser Freiheit unterscheidet sie von anderen denkbaren Freiheitstypen wie z.B. die theoretische oder die ästhetische Freiheit.9 Dasjenige Vermögen, kraft dessen der Mensch zu praktischer Freiheit befähigt ist, nennt man Willen. Eine Theorie praktischer Freiheit kreist infolgedessen um die Problematik menschlicher Willensfreiheit. Der Begriff des Willens beinhaltet not_____________ 8
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So unterscheidet auch Searle zwischen einer objektiven Ontologie der dritten Person und einer subjektiven Ontologie der ersten Person (Searle 26f.). Die wahre Objektivität erfassen nur die vorwiegend kausalen Erklärungen des Beobachterstandpunktes, nicht die subjektiven Meinungen des Handlungsbewusstseins. Darunter sind die Freiheit des Denkens und die Freiheit künstlerischen Schaffens zu verstehen. Diese stehen nicht im Widerspruch mit einer Theorie der praktischen Freiheit. Im Gegenteil ist ihre Bestimmung so weit gefasst, dass darunter auch diejenigen Theorien zu rechnen sind, welche der praktischen Freiheit als Unterform eines anderen Freiheitstypus Wirklichkeit zusprechen. So gibt es zur Zeit des deutschen Idealismus auch Theorien der praktischen Freiheit unter dem Primat der theoretischen Freiheit (Hegel) sowie unter dem Primat der ästhetischen Freiheit (Novalis, Schlegel). Zu Schlegel vgl. Radrizzani v.a. 200f.
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wendigerweise – im Gegensatz etwa zu Wünschen – einen Bezug auf Handlungen. Ein Mensch will nur dann wirklich, wenn er bereit ist, diesen Willen durch Handlungen zu bekunden. Diejenigen menschlichen Handlungen werden frei genannt, zu denen sich der Mensch kraft des eigenen freien Willens entschlossen hat. Für frei ist der Wille seinerseits zu erklären, wenn er die Zwecke oder Gründe seiner Handlungen selbst bestimmt. Einer Theorie praktischer Freiheit obliegt es folglich, die Möglichkeit freier Selbstbestimmung zu explizieren. Dabei beinhalten die Begriffe der Selbstbestimmung wie der Freiheit zwei wesentliche Aspekte, nämlich einen negativen und einen positiven:10 Was den ersteren anbelangt, so lässt sich freie Selbstbestimmung als Freiheit von äußeren Bestimmtheiten oder allgemein: von äußerer Kausalität auffassen. Die Gründe, welche das Subjekt verfolgt, dürfen ihm nicht von außen aufgezwängt werden; dabei ist dieses Außen im weitesten Sinne zu verstehen: Selbst ein Subjekt, das sich seinen eigenen natürlichen Trieben verschreibt, erscheint in seinem Handeln als unfrei. Durch diese Charakterisierung der Freiheit gelangt man unmittelbar zum positiven Begriff freier Selbstbestimmung. Die freie Selbstbestimmtheit des Willens rührt im Gegensatz zur heteronomen Bestimmtheit durch Triebe, Leidenschaften oder äußere Autoritäten aus der Autonomie der eigenen Vernunft her. Mit der Vernunft erschließt sich dem Menschen ein Raum von Gründen, der ihm den Gebrauch der negativen Freiheit (von der Kausalität) ermöglicht, indem er positive Inhalte für den freien Willen bereitstellt, um dessen heteronome Bestimmtheit zu überwinden. Vernunft ist in diesem Sinne keineswegs ein raffiniertes evolutionäres Naturprodukt, womit der Mensch seine natürlichen Triebe effizienter zu befriedigen vermag. Vielmehr beherbergt diese praktische Vernunft des Menschen eigene Inhalte oder deutlicher: Normen für das Handeln. Eine über die Natürlichkeit herausragende Wertsetzung der praktischen Rationalität, die erst den Raum der Normativität erschließt, begründet die moralisch-sittliche Freiheit des Menschen. Praktische Freiheit ist somit die menschliche Fähigkeit zu freier Selbstbestimmung des Willens aus der moralisch-sittlichen Zwecksetzung der praktischen Vernunft. Abgesehen von der Klärung der Willensfreiheit im moralischen Subjekt stellt sich für eine Theorie der praktischen Freiheit die Frage nach der objektiven Wirklichkeit, die in verkürzter Form in der Determinismus-Freiheit-Debatte erörtert wird. Insbesondere Freiheitskritiker und -relativisten gehen davon aus, dass der kausal determinierte Wirk_____________ 10 Häufig genannter Gewährsmann für diese Unterscheidung ist Isaiah Berlin (Berlin 197ff.).
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lichkeitsbereich die wahrhafte Realität repräsentiert, dem gegenüber freie Selbstbestimmung – wenn überhaupt – nur die Rolle einer beschränkten Kontrollinstanz einnimmt. Damit ist die Position des Handlungsbewusstseins (erste Person) zugunsten der Beobachterposition (dritte Person) verlassen. Das Selbstverständnis der frei handelnden Person findet sich in einer derartigen Theorie nicht reflektiert. Eine Theorie der praktischen Freiheit vollzieht die Umkehr der Perspektivenhierarchie durch Einnahme eines idealistischen Standpunktes.11 Sie betont den Primat der freien Subjektivität als konstitutiven Elements der Wirklichkeit, indem sie – in strenger Opposition zu den anderen Ansätzen – eine Unterordnung der Kausalität unter die teleologische Rationalität vornimmt. Die Auseinandersetzung mit der kausal bestimmten Welt muss den Sinn dieser Umkehrung in zweifacher Hinsicht klären: Inwiefern kann Freiheit konstitutives Prinzip der (kausalen) Welt sein? Und in umgekehrter Problematik zu den Freiheitsrelativisten: Welchen Status hat dann die Welt angesichts der höchsten Realität der Freiheit? Einen besseren Zugang als die Opposition von Freiheit und Determinismus bietet das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit. Für gewöhnlich wird dieses Verhältnis kontradiktorisch verstanden: Frei handelt der Mensch, wenn er gerade nicht einer Notwendigkeit unterworfen ist. Notwendigkeit wird in der Bedeutung eines äußeren Zwanges verstanden, der den Menschen am Vollzug freier Selbstbestimmung hindert – egal, ob dieser Zwang nun von der Natur und ihren notwendigen Gesetzen, anderen Menschen oder einer transzendenten Autorität ausgeht. Unter diese äußere Notwendigkeit ist auch der gerade beschriebene kausale Determinismus zu zählen. Für die Freiheitskritiker und -relativisten beansprucht der Bereich äußerer Notwendigkeit die höchste Realität. Die Umkehr von diesem Ansatz vollzieht die Theorie der praktischen Freiheit mit dem Begriff einer inneren Notwendigkeit, der keineswegs in Opposition zur Freiheit steht, sondern sogar einer ihrer wesentlichen Bestandteile ist.12 Bestimmt sich der Mensch nur dann wahrhaft frei, wenn er sich den Inhalten seiner praktischen Vernunft _____________ 11 In diesem Sinne vertritt die Theorie der praktischen Freiheit einen Idealismus und setzt sich von anderen Theorien ab, die sie als Realismus (oder kritisch formuliert: als Dogmatismus) verwirft. 12 Dieser Zusammenhang von Freiheit und Notwendigkeit, der im deutschen Idealismus zentrale Bedeutung erlangt, geht zurück auf Spinoza: „Das Ding soll frei heißen, das nur kraft der Notwendigkeit seiner Natur existiert, und allein durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird; notwendig dagegen, oder besser gezwungen, das Ding, das von einem anderen bestimmt wird, auf gewisse und bestimmte Weise zu existieren und zu wirken.“ (Ethik. 7. Definition)
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verschreibt, dann handelt er so gemäß der Notwendigkeit seines eigenen Wesens, nämlich gemäß der Autonomie seiner Vernunft. Die innere Notwendigkeit ist gleichsam der Raum der Vernunftgründe, der durch Vernunftgesetze geregelt ist und so dem Subjekt die Möglichkeit gewährt, gemäß seiner eigenen inneren Vernunftnatur selbstbestimmt zu handeln. Dazu muss sich das Subjekt von der kausalen Determiniertheit abkehren. Denn frei ist der Wille nicht erst im Verfolgen seiner inneren Notwendigkeit. Soll Freiheit überhaupt möglich sein, dann muss selbst diese Abkehrbewegung von der äußeren Notwendigkeit aus der Freiheit erklärt werden können: Bereits die Entscheidung für die praktische Vernunft ist ein notwendig anzunehmender Bestandteil praktischer Freiheit. Man erkennt hinter diesen beiden Freiheitsaspekten die oben angeführte Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit.13 Aus den Ausführungen über den Gegenstand einer (idealistischen) Theorie der praktischen Freiheit lässt sich nun eine Annäherung an ihre eigene Funktion und Methode gewinnen. Dem gemäß obliegt ihr die Darstellung der inneren Notwendigkeit praktischer Vernunft sowie die Klärung der Frage, wie eine Entscheidung für die praktische Vernunft und die Realisierung dieser Freiheit angesichts der kausal determinierten Wirklichkeit möglich ist. Um die Möglichkeit zu erklären, die äußere Notwendigkeit der Wirklichkeit zugunsten der inneren Notwendigkeit praktischer Vernunft zu überwinden, bedarf es – wie schon erörtert – der Annahme einer prinzipiellen Priorität der Freiheit gegenüber der äußeren Wirklichkeit. Aus seiner Bestimmung zur praktischen Freiheit erhält der Mensch ein höheres Wirklichkeitsverständnis als dasjenige der äußeren Notwendigkeit. Wer die Welt nur in ihrer äußeren Notwendigkeit betrachtet, ist danach nicht zu ihrem wahren Kern vorgestoßen, weil er in sich selbst noch nicht seine freiheitliche Bestimmung entdeckt hat. Der Standpunkt der äußeren Notwendigkeit ist insofern Kennzeichen dafür, dass der Mensch die wahre Wirklichkeit der Freiheit nicht ergriffen oder realisiert hat. Der skizzierten Theorie zufolge ist Freiheit zum aufschließenden Prinzip der gesamten Wirklichkeit zu erheben. Wird auch noch die kausale Welt aus der Perspektive der rationalen Freiheit betrachtet und damit ihrer ontologischen Autarkie enthoben, dann wird erklärbar, wie sich freie Handlungen angesichts der äußeren Notwendigkeit realisieren können. Diese Theorie _____________ 13 Diese beiden Gestalten praktischer Freiheit – die Entscheidung für die praktische Vernunft und das dadurch ermöglichte Verfolgen der eigenen vernünftigen Gesetze – pflegt man spätestens seit Kant durch die Bezeichnung „Willkür“ und „Autonomie“ voneinander zu unterscheiden (Kritik der praktischen Vernunft. §8; Lehrsatz IV: AA V, 33).
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muss dann aber ebenso den Status der kausalen Welt explizieren können. Die Methode, welche es ermöglicht, die gesamte Wirklichkeit aus einem Prinzip darzustellen, ist das System. Soll das Unternehmen einer Theorie der praktischen Freiheit sinnvoll sein, dann muss sie sich in Gestalt eines Systems der Freiheit präsentieren. Dies hat sich aus unseren Überlegungen über die Priorität ihres Gegenstandes ergeben. Nun ist es auf den ersten Blick ein zumindest fragwürdiges Unterfangen, die praktische Freiheit in einem System einholen zu wollen. Denn schließlich scheint es Eigenart der Freiheit zu sein, dass sie sich nicht wie die objektiven Phänomene durch äußere Betrachtung in ein kausal notwendiges System fügen lässt. Betrachtet das System die Freiheit wie einen äußeren Gegenstand, den es in seinen notwendigen Komponenten darstellt, dann verfehlt es gezwungenermaßen die wesentliche Differenz der Freiheit von der äußeren Wirklichkeit. Freiheit sperrt sich ihrem Wesen nach der Festlegung durch ein System – so lautet wenigstens ein zunächst plausibler Einwand. Doch schon die Verwendung des Begriffs „Notwendigkeit“ verweist auf oben Dargelegtes: Ein System der Freiheit darf die systematische Notwendigkeit nicht im Sinne eines äußeren Korsetts, sondern muss sie als innere Vernunftnotwendigkeit, als den gesetzlich strukturierten Raum der Rationalität, verstehen. Es handelt sich um ein rationales System der Freiheit. Insofern gewinnt man einen Zugang zu diesem System nicht durch äußerliche Betrachtung, sondern durch freien Mit- und Nachvollzug der darin entfalteten Vernunft. Indes birgt die theoretische Darstellung der Freiheit weiterhin Schwierigkeiten in Bezug auf das praktische Handlungsbewusstsein: Dieses wird im System zwar nicht kausal erklärt. Die Überordnung der Freiheit impliziert gerade den Primat der Gründe vor den Ursachen zur Erfassung der wahren Realität. Ein System der Freiheit rückt indes eher in den Verdacht einer vollständigen Begründung der Freiheit. Aus der Freiheitsperspektive erscheint ein derartiges Unternehmen auf den ersten Blick als unhaltbar. Denn erst kraft der Freiheit gibt es überhaupt Gründe, mithin kann Freiheit nicht selbst noch begründet werden. Ihr Wesen besteht vielmehr in der Grundlosigkeit. Es ist klar, dass so betrachtet das System nicht mehr als umfassende Freiheitsbegründung aufgefasst werden kann. Soll die Idee eines Systems der Freiheit in sich sinnvoll sein, muss eben dieses Verhältnis von System und Freiheit, theoretisch darstellbarer Rationalität und praktizierter Selbstbestimmung (Theorie und Praxis), im System selbst thematisiert werden. Nicht nur der Gegenstand, sondern auch die Methode in ihrem Verhältnis zum Gegenstand müssen in einer Theorie der praktischen Frei-
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heit geklärt werden: Wie ist Freiheit im System darzustellen? Welches Verhältnis besteht zwischen Freiheit und System? Das philosophie-geschichtliche Aufkommen der Idee eines Systems der Freiheit im skizzierten Sinne ereignet sich zur Zeit des deutschen Idealismus.14 Diese Vorstellung entspringt dem scheinbar zufälligen Zusammentreffen zweier fundamentaler Umwälzungen. Die Französische Revolution markiert die erste einschneidende Zeitwende, die weit über die Grenzen Frankreichs hinaus zur Verbreitung der Freiheitseuphorie unter den Menschen beiträgt; das philosophische Denken dieser Zeit ist nicht ohne Rekurs auf dieses Ereignis zu verstehen.15 Des Weiteren ist es die Philosophie Kants, die mit ihrer „kopernikanischen Wende“ als Vorbild oder zumindest als Ausgangspunkt nahezu aller zeitgenössischen Philosophen dient. Die bei Kant für viele Denker zu nachlässig ausgeführte Systemidee sollte im Rückgriff auf die methodische Strenge von Spinoza zur Vollendung geführt werden.16 Eben diese Einflüsse bestimmen das Denken Johann Gottlieb Fichtes, eines der ersten bedeutenden Nachfolger Kants. 1792 tritt Fichte mit der Schrift Kritik der Offenbarung in die philosophische Öffentlichkeit. Seine ersten Schriften lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sich das philosophische Interesse Fichtes zunächst vor allem auf die Beschäftigung mit der im weitesten Sinne praktischen Philosophie – Ethik, Politik und Religion – richtet. Neben seinem Theologiestudium und der Begeisterung für die Französische Revolution, deren Einflüsse schon an den Titeln seiner ersten Schriften auffallen,17 ist es die Philosophie Kants, welche deutliche Spuren im Denken Fichtes hinterlässt. Sein eigentliches Hauptwerk, die 1794 verfasste Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, vereinigt die unterschiedlichen Intentionen, die Kantische Philosophie auf der Grundlage des Primats der praktischen Freiheit in eine systematische Form zu überführen.18 Im Gegensatz zu Spinoza, in dessen Philosophie auch Fichte den Verlust der Freiheit _____________ 14 Der Begriff „System der Freiheit“ taucht zum ersten Mal bei Kant auf (AA III, 529). 15 Zum Einfluss der Französischen Revolution auf das Denken Fichtes und Hegels siehe Buhr. 16 Diesen Zusammenhang erörtert Schurr anhand der Systeme der deutschen Idealisten Fichte, Schelling und Hegel. 17 Siehe dazu: Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1791/2; SW V), Zurückforderung der Denkfreiheit (1793; SW VI) und Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution (1793; SW VI). SW bezieht sich im Folgenden auf: J.G. Fichte: Sämmtliche Werke. Hrsg. von I.H. Fichte. Berlin 1965/65. 18 Vgl. Fichtes Briefe an Weisshuhn (August/September 1790) und Reinhold (1. März 1794): J.G. Fichtes Briefwechsel. (2 Bde.). Hrsg. von H. Schulz. Leipzig 1925. Bd. I, 123f.; 341. Fortan abgekürzt: Briefe.
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konstatiert, soll das System jedoch nicht die Möglichkeit der Freiheit vereiteln:19 Mein System ist das erste System der Freiheit; wie jene Nation von den äußeren Ketten den Menschen losreißt, reißt mein System ihn von den Fesseln der Dinge an sich, des äußeren Einflusses los, und stellt ihn in seinem ersten Grundsatze als selbstständiges Wesen hin (Briefe I, 449f.).
Schon früh nach dem Erscheinen der Wissenschaftslehre melden sich einige Philosophen und Literaten zu Wort, um ihren Einwänden gegen Fichtes Denken Ausdruck zu verleihen.20 Unter ihnen befindet sich auch der junge Schelling, der mit seinen ersten Schriften zunächst den Anschein erweckt, Fichtes Transzendentalphilosophie lediglich weiterzuführen; doch spätestens mit Schellings eigenständiger Konzeption einer Naturphilosophie trennen sich die Wege beider Denker.21 Der vielleicht nachhaltigste und einflussreichste Kritiker der Philosophie Fichtes ist G.W.F. Hegel. In Abhängigkeit vom Denken Schellings veröffentlicht er zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine erste philosophische Schrift unter dem Titel Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801).22 Unter der Wahrung des Fichteschen Grundgedankens eines Systems der Freiheit entwickelt Hegel darin seine eigene Systemvorstellung, welche die angeblichen Fehler und Einseitigkeiten Fichtes zu überwinden verspricht: „Jedes System ist ein System der Freiheit und der Notwendigkeit zugleich“ (II, 107).23 Der Einfluss des frühen Fichte auf die ersten philosophischen Entwürfe Hegels ist offensichtlich und wurde schon häufig in der Forschung behandelt.24 Zu seinem reifen Systemgedanken dringt Hegel jedoch erst später vor. So kann man in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften um 1817 den ersten umfassend unternommenen Versuch Hegels antreffen, ein die gesamte Wirklichkeit durchlaufendes System der Freiheit zur Darstellung zu bringen. Hegel behält seine anfängliche Kritik an Fichtes Philosophie- und Freiheitskonzeption zeit seines Lebens bei.25 Von Fichtes Spätphiloso_____________ 19 20 21 22
Zu Fichtes Kritik am „Dogmatismus“ Spinozas vgl. SW I, 100f.; 120ff. Dazu: M. Frank. Vgl. Schmied-Kowarzik. Fortan abgekürzt: Differenzschrift (II). Man beachte ebenso die folgenden frühen Schriften Hegels: Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie (1802; II); Über die wissenschaftliche Behandlung des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften (1803; II). Die römischen Ziffern I bis XX beziehen sich hier und im Folgenden auf G.W.F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe. Hrsg. von E. Moldenhauer/K. Michel. Frankfurt a.M. 1986. 23 Zu Hegels Verhältnis zur Französischen Revolution vgl. auch Ritter. 24 Vgl. u.a. Horstmann 1968; Siep 1979; Wildt; Heine; Zimmerli. 25 Dies wird v.a. deutlich in seiner Geschichte der Philosophie (XX, 387-419).
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phie, die Periode seines Denkens nach der Jahrhundertwende, nimmt er kaum mehr Notiz; er meint darin nur „populären Schriften [...] ohne philosophisches Denken“ zu begegnen (XX, 413). Doch wie groß ist der Einfluss der Frühphilosophie Fichtes auf die Spätphilosophie Hegels? Tatsache ist, dass in der Forschungsliteratur zwar häufig auf den Einfluss Fichtes aufmerksam gemacht, aber noch kein umfassender Vergleich angestellt wurde. Die vorliegende Untersuchung setzt sich zur Aufgabe, die Konzeptionen der praktischen Freiheit aus der Frühphilosophie Fichtes und der Spätphilosophie Hegels zu vergleichen. Sie ist geleitet von der These, dass der Einfluss Fichtes auf das gesamte reife System Hegels im Allgemeinen und auf die darin enthaltene praktische Philosophie im Besonderen von nicht zu unterschätzender Relevanz ist, und dass man Hegels praktische Philosophie sogar als eine Art Replik auf Fichtes Ausführungen verstehen kann. Zudem wird dieser Vergleich einen interessanten Einblick in die Entwicklung der Idee eines Systems der Freiheit, von ihren Anfängen bei Fichte bis zu ihrem vorläufigen Abschluss bei Hegel, bieten. Vor allem in den Schlussbetrachtungen dieser Untersuchung soll eine weitere These gestützt werden: Durch die Gegenüberstellung der Freiheitsund Systembegriffe Fichtes und Hegels gelangt man nicht nur zu einer größeren begrifflichen Konturierung ihres Gedankenguts. Vielmehr lassen sich darin zwei wesentliche Aspekte der praktischen Freiheit hervorheben, die in beiden Konzeptionen nur einseitig behandelt und nicht zum Ausgleich gebracht werden: Fichte insistiert auf der Grundlosigkeit der praktischen Freiheit; es gibt keinen höheren Wirklichkeitsgrund, der es erlaubte, Freiheit in einem System vollständig zu begründen. Fichte entwickelt eine Theorie vom Ursprung der praktischen Freiheit, die sich ohne übergeordneten Grund gleichsam durch einen diskontinuierlichen „Sprung“ vollzieht. Hegel hingegen liefert in seinem System eine absolute Begründung der Freiheit. Mehr noch: Erst im System als Darstellung der rationalen Genese von praktischer Freiheit verwirklicht sich deren eigentliche Bestimmung. Im Übergang von Fichte zu Hegel vollzieht sich eine Perspektivenverschiebung vom Ursprung der praktischen Freiheit zu ihrer Genese. Damit repräsentieren sie gewissermaßen die beiden möglichen Pole eines Systems der Freiheit. Ein weiteres Merkmal dieser Untersuchung soll in der größtmöglichen Unvoreingenommenheit gegenüber den Primärtexten bestehen. Leider erwecken viele der vergleichenden Schriften zu Fichte und Hegel den Eindruck eines zumindest unterschwellig geführten Lagerkampfes. Die lange unterdrückten Fichtianer rebellieren gegen die Großmacht der hegelianisierenden Fichte-Interpretation, indem sie ihrerseits Hegels Denken mit einer einseitigen oder gar ungerechten
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Kritik versehen.26 Im Gegenzug vereinfachen die Hegelianer ihre Fichte-Lektüre, indem sie die bereits von Hegel selbst vorgenommene Abwertung der Philosophie Fichtes repetieren.27 Gegen diese voreingenommene Herangehensweise wendet sich die vorliegende Schrift, indem sie versucht, sich ohne Vorurteil und ohne voreilige kritische Distanz auf die betreffenden Texte zur praktischen Philosophie Fichtes und Hegels einzulassen. Die oben skizzierte Konzeption des Systems, das nur im freien Mit- und Nachvollzug verstanden werden kann, motiviert dieses Vorgehen. Dazu müssen alle Aussagen im Kontext des jeweiligen Systemdenkens verstanden werden. Beide Untersuchungsteile über Fichte wie über Hegel heben damit an, die Grundidee ihrer Systeme auf immanente Weise darzustellen. Auf dieser Grundlage kann daraufhin die Entwicklung ihrer Konzeptionen praktischer Freiheit in Angriff genommen werden. Dies hat den Vorteil, dass man sich gleichsam ab ovo, ohne getrübten Blick, auf das Denken beider einzulassen hat. Schon allein aus diesem Grund verspricht der kraftaufwendige Umweg über die systematischen Voraussetzungen beider Denker lohnenswert zu sein. Des Weiteren macht sich in der systematischen Darstellungsweise das eigentliche Grundanliegen dieser Arbeit geltend.28 Wie aus dem Vorentwurf einer Theorie der praktischen Freiheit und den angeführten Aussagen Fichtes und Hegels ersichtlich wird, teilen beide Denker die Überzeugung, dass ausschließlich in einem System die Darstellung der auf dem Freiheitsprinzip gründenden Wirklichkeit zu erbringen ist. Infolgedessen gelingt ein Verständnis der praktischen Freiheit allein dann, wenn man ihren Stellenwert im Ganzen des Systems begreift. Aus dieser Einsicht ergeben sich für die Untersuchung drei wichtige Konsequenzen. Erstens kann nur insofern ein angemessenes Verständnis der praktischen Philosophie Fichtes und Hegels erzielt werden, als die einzelnen Systemteile über die praktische Freiheit, wie z.B. diejenigen über Moralität und Recht, in ihrer systematischen Vernetzung erkannt werden. Zweitens bedarf es der Einsicht, welche Position die praktische Freiheit im System einnimmt. Dies führt drittens zu einer Erörterung des Verhältnisses von praktischer Freiheit und System, dessen Klärung _____________ 26 So bei Girndt 1965; Lauth 1987; Baumanns 1972. Mit der Ausnahme Baumanns’ berufen sich die eben genannten Autoren vor allem auf die Spätphilosophie Fichtes, welche ihrer Meinung nach der Kritik Hegels entgeht (so auch Siep 1969). Vgl. auch K. Düsing 1974. 27 Kroner 409; Hartmann 297; Guéroult 261, Düsing 1976, 127ff. u.a. 28 Philosophie-historische Aspekte werden dabei selten und nur ergänzend zu der systematischen Darstellung in Betracht gezogen.
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sich bereits als wesentlicher Bestandteil einer Theorie der praktischen Freiheit erwiesen hat. In der Fichte-Forschung gibt es eine geringe Anzahl an Darstellungen, welche es unternehmen, in systematischer Gänze das Wesen der praktischen Freiheit bei Fichte zu schildern.29 Dies mag umso erstaunlicher sein, als Fichte selbst an vielen Stellen seiner Schriften auf diese Notwendigkeit aufmerksam macht.30 Doch auch bei Hegel bleibt eine systematische Darstellung der praktischen Freiheit ein Desiderat. Es wird zwar allgemein anerkannt, dass Hegels Lehre vom objektiven Geist, seine Rechtsphilosophie, den eigentlichen Ort seiner praktischen Philosophie markiert. So gibt es auch eine schier unüberschaubare Menge an Forschungsliteratur über diese Lehre. Aber welches Verhältnis dem gegenüber die in anderen Systemteilen erörterten Aspekte praktischer Freiheit einnehmen, bleibt weitestgehend unerörtert.31 Zum systematisch umfassenden Verständnis der praktischen Freiheit bei Hegel bedarf es der Rücksicht auf sämtliche Teile neben der Lehre vom objektiven Geist, in denen praktische Freiheit thematisiert wird. Die Betonung der Systematik in dieser Untersuchung betrifft schließlich den Vergleich selbst. Auch hier hat sich die Forschung bislang vorwiegend auf einen Vergleich einzelner gemeinsamer Zentralbegriffe der praktischen Philosophien Fichtes und Hegels verlegt, ohne den Vergleich auf ganze Systemteile und ihr Verhältnis zueinander auszudehnen.32 Diese Untersuchung verschreibt sich also einem systematischen Vergleich der Konzeptionen praktischer Freiheit beim frühen Fichte und dem späten Hegel. Dieser Vergleich soll in drei Teilen abgehandelt werden. In einem ersten Teil wird im Ausgang von den Systemansätzen Fichtes seine Idee praktischer Freiheit entwickelt. Das erste Kapitel dieses Teils (I.) schildert die Motivation und Methode seines transzendentalen Idealismus gefolgt von einer zusammenfassenden Darstellung der Ausführung. Im Anschluss daran werden die konkreten Bereiche _____________ 29 Darunter: Baumanns 1972; Jacobs. Sehr erfreuliche Ausnahmen sind auch die neuen Studien zu Fichtes (praktischer) Philosophie von De Pascale und Klotz. 30 SW I, 89 u.a. 31 Systematische Darstellungen zur Lehre vom objektiven Geist finden sich u.a. bei Fleischmann, Rosenfield, Peperzak (1991), Schnädelbach, Wood und Angehrn. Die subjektiven Bedingungen der Freiheit in ihrem Verhältnis zum objektiven Geist behandelt Peperzak (1991). Jedoch legt diese Abhandlung größeres Gewicht auf eine philologische Untersuchung des Texts. Bei Angehrn ist der Zusammenhang von Logik und Realphilosophie im Hinblick auf die Freiheit sehr gründlich untersucht; es fehlt hingegen eine detaillierte Darstellung des subjektiven Geistes. 32 Vor allem der Begriff der Anerkennung ist ein beliebtes Forschungsobjekt (Siep 1979; Wildt; Fischbach 1999; Williams; Römpp; E. Düsing u.a.). Eine umfassendere Perspektive findet sich bei L. Siep (Siep 1992).
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der praktischen Freiheit in ihrem systematischen Zusammenhang erörtert: die Ethik (II.), die Rechtslehre (III.) sowie die Gesellschafts- und Staatslehre (IV.). Im zweiten Teil widmen wir uns zunächst der Kritik Hegels an Fichte (I.), wie er sie ab dem Erscheinen seiner Differenzschrift vorgetragen hat. Dieses Kapitel soll nicht nur dazu dienen, in die allgemeine Stoßrichtung seiner Kritik einzuführen, sondern ebenso den Entwurf seines eigenen Systems sichtbar zu machen. Es wird daher nicht darauf eingegangen, inwiefern Hegels Kritik der Philosophie Fichtes gerecht wird; vielmehr sollen Hegels eigene Systemvoraussetzungen und auf ihrer Grundlage die Kritik an Fichte veranschaulicht werden. Darauf aufbauend wird im nächsten Kapitel (II.) in den allgemeinen Begriff der Freiheit bei Hegel sowie in deren systematischer Verwirklichung eingeführt. Die konkreten Bereiche der praktischen Freiheit bei Hegel werden im folgenden Kapitel (III.) dargestellt. Die zentralen Untersuchungsfelder sind die enzyklopädische „Phänomenologie“ (1.), die „Psychologie“ (2.) und die Lehre vom objektiven Geist (3.). Nach jedem dieser Unterkapitel stellt sich die Frage, auf welche Systemteile bei Fichte Hegel hierin Bezug nimmt und wie sich seine kritische Transformation dieser Teile ausnimmt. Während die ersten beiden Teile durch den Versuch gekennzeichnet sind, die Darstellung der praktischen Freiheit bei Fichte und Hegel unvoreingenommen, d.h. nicht von einem der Sache gegenüber äußeren Standpunkt, zu begreifen, soll schließlich im dritten Teil kritisch Position bezogen werden. Im Zuge dessen werden beide Konzeptionen durch Gegenüberstellung in ihrem Unterschied stärker konturiert; jede soll durch die andere Konzeption in ihrer Einseitigkeit erwiesen und kritisiert werden. Durch Aufzeigen dieser Einseitigkeit soll schließlich ein Weg für eine aktuelle Theorie der praktischen Freiheit gefunden und skizziert werden, der sich zwar an beiden Denkern orientiert, ohne aber ihren Einseitigkeiten anheim zu fallen.
Erster Teil: Der Ursprung der praktischen Freiheit (J.G. Fichte) Mein System ist vom Anfang bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit. (Briefe II, 206)
I. Selbstbewusstsein und Freiheit 1. Zur Motivation und Idee des transzendentalen Idealismus Noch vor dem eigentlichen Anfang des philosophischen Systems, gleichsam im Reflexionspurgatorium, das dem Eingang zur Philosophie vorgelagert ist, tritt in den Überlegungen J.G. Fichtes der Begriff der menschlichen Freiheit auf den Plan, als unumgängliche Bedingung zum Betreiben des philosophischen Geschäfts. Die Frage nach dem Grund der menschlichen Wirklichkeitserkenntnis bildet den Stein des Anstoßes zur philosophischen Reflexion.1 Während sowohl der im Alltagsleben befangene Mensch als auch der empirische Wissenschaftler im Erkennen einzelner Phänomene aufgehen, stellt der angehende Philosoph – auf der Suche nach deren Grund – ebendiese Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit in Frage. Als Ausgangspunkt dient ihm dabei die Erfahrungserkenntnis, wie sie im Bewusstsein des Menschen vorliegt: Wer eine Erfahrung macht, erhält eine notwendige Vorstellung von Dingen (Tatsachen), deren Notwendigkeit er gerade in ihrem Sein (im Bestehen der Tatsachen) begründet sieht. Der Mensch beansprucht, in Erfahrungserkenntnissen ein adäquates Bild der Wirklichkeit zu besitzen. Die Erfahrungsvorstellung verweist demnach auf zwei Elemente: Zum einen auf das Subjekt der Erfahrung, zum anderen auf die Tatsachen oder Dinge selbst, deren getreue Nachbildung die Erfahrung zu sein beansprucht. Die darin waltende Verhältnisstruktur formulierte der Philosoph Karl Leonhard Reinhold im Satz des Bewusstseins, in welchem er das höchste Prinzip der Philosophie zu erblicken meinte: „Im _____________ 1
Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Fichtes Vorgehen, wie es v.a. den beiden Einleitungen zum Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98) zu entnehmen ist. Vgl. SW I, 423ff.
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Bewusstsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen“.2 Mit diesem Satz prägte Reinhold eine Einsicht, wie sie jedes Subjekt im Zuge seiner alltäglichen Erfahrung gewinnen kann. Da die Philosophie jedoch den Grund aller Erfahrung aufzudecken hat, darf dieser seinerseits nicht wieder im Bereich der Erfahrung liegen, weil er als bestimmte Erfahrung nicht selbst Grund aller Erfahrungen sein kann. Der Reinholdsche Satz entpuppt sich in dieser Hinsicht als eine bloße Tatsache des Bewusstseins, die noch nicht das höchste Prinzip der Philosophie sein kann.3 Fichte sieht daher die Prinzipiensuche im Ausgang vom Satz des Bewusstseins vor die Aufgabe einer Abstraktion gestellt: Der Grund der Erfahrung muss entweder im reinen Subjekt, dem Ich, das nach Abstraktion von aller Dinglichkeit übrig bleibt, gesucht werden, oder im reinen Objekt (Nicht-Ich), dem Ding an sich, welches das Jenseits, im Sinne des Abstraktums, allen Bewusstseins darstellt. Allein mittels dieser Alternative von „Ich an sich“ und „Ding an sich“ gelangt der Philosoph zu Prinzipien, die jenseits des Erfahrungsbewusstseins liegen, und damit potentielle Gründe der Erfahrung abgeben können (SW I, 425f.). Das jeweilige Abstraktum liegt als solches nicht mehr im Bereich des Bewusstseins, insofern darin neben der Vorstellung selbst immer sowohl Subjekt als auch Objekt zusammen auftreten müssen. Der Vorhof des philosophischen Systems gründet folglich in der Freiheit der Reflexion als derjenigen Fähigkeit, welche ermöglicht, zu seinem alltäglichen, empirischen Bewusstsein mittels (absoluter) Abstraktion Distanz zu gewinnen, die erlaubt, zu dessen Grund vorzustoßen. In der Alternative von Ich an sich und Ding an sich sieht Fichte die Möglichkeit eines philosophischen Systems erschöpft: Während der Idealismus das Ich an sich zum Ausgangspunkt nimmt, vollzieht der von Fichte als Dogmatismus bezeichnete Realismus die Erklärung der Wirklichkeitserfahrung aus dem Ding an sich. Neben dieser Freiheit der Abstraktion bzw. der Reflexion wird dem Philosophen noch eine weitere Freiheit zugemutet: diejenige der Wahl des Systems. Die Wahl einer der genannten Positionen – des Idealismus oder des Dogmatismus – gründet sich Fichte zufolge auf einer Entscheidung des Philosophen, die wiederum Ausdruck einer individuellen Neigung oder eines Interesses ist. In diesem Zusammenhang muss denn auch der oft und gern zitierte Ausspruch Fichtes verstanden werden: _____________ 2 3
Reinhold 167. Zur Kritik Fichtes an Reinhold siehe u.a. seine Aenesidemus-Rezension (SW I, 3ff.). Des Weiteren findet sich eine detaillierte Analyse des Verhältnisses von Reinhold zu Fichte bei Stolzenberg 60ff. und Wildfeuer 23ff.
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Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat (SW I, 434).
Die Wahl des einen Extrems, Idealismus oder Dogmatismus, hat den Verlust der Selbstständigkeit der anderen Option zur Folge: Entweder geht das Ich wie im Dogmatismus in der absoluten Selbstständigkeit des Nicht-Ich unter und verkommt zu einem bloßen Epiphänomen der Dinge oder die Selbstständigkeit der Dinge geht in der absoluten Freiheit des Ich zu Grunde, so im Idealismus.4 Der Philosoph hat sich für oder gegen die menschliche Freiheit, mithin für oder gegen ein System der Freiheit zu entscheiden. Obzwar Fichte ausdrücklich betont, dass keine der beiden Theorien die andere durch Argumente zu widerlegen vermag und demnach ihre Wahl allein auf Neigung und Entscheidung des Philosophen beruht, hebt er das begründungstheoretische Defizit des Dogmatismus hervor, wodurch sich dieser von Anfang an als philosophisches System diskreditiere. Denn mit der Rückführung allen Seins und aller Erfahrung auf die Dinglichkeit muss es dem Dogmatiker notwendigerweise misslingen, das eigentümliche Sein des Bewusstseins zu erklären, das gerade von gänzlich anderer Natur ist als das dingliche Sein. Wir werden später noch weitere Gründe kennen lernen, die Fichte dazu bringen, den Dogmatismus als philosophische Richtung zu verwerfen. Seine Wahl gilt eindeutig dem Idealismus. Doch aus welchem Interesse entscheidet sich der Philosoph für den Idealismus und welcher Natur ist das Ich-Prinzip? Die konsequente Entscheidung für die Freiheit trifft der Philosoph Fichte zufolge aus dem Bewusstsein des Sittengesetzes als desjenigen Postulats, das die höchste Form menschlicher Freiheit, die absolute Freiheit, impliziert. Dies führt den Idealisten dazu, das Ich als ein „absolut Tätiges“ anzunehmen, dem der Glaube an die Selbstständigkeit der Dinge aufzuopfern ist. Zu diesem Zweck vollzieht er eine radikale Abstraktion von allem dinglich-objektiven Sein und gelangt so zum reinen Ich, dessen Wesen allein in der Tätigkeit bzw. im Handeln besteht.5 Die idealistische Philosophie wendet sich den vernunftnotwendigen Handlungen _____________ 4 5
Der Bezeichnung „Dogmatismus“ umfasst auf Grund dieser starren Opposition also auch Theorien, die der Freiheit nur eine relative Bedeutung zusprechen. Fichte macht keinen klaren Unterschied zwischen den Begriffen der Handlung und der Tätigkeit, obzwar es Stellen gibt, die dies nahe legen (z.B. GA IV, 2, 60f. GA bezieht sich hier und im Folgenden auf: J.G. Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von R. Lauth/H. Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1964ff.). Wir werden der Einfachheit halber daher beide Termini im Sinne Fichtes synonym gebrauchen und ggf. Unterschiede durch begriffliche Ergänzungen kenntlich machen.
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des Ich zu, deren Notwendigkeit eben darin besteht, Bedingungen der Möglichkeit des Ich selbst zu sein.6 In fundamentaler Opposition zu den Dingen gründet das Ich nicht in einem substantiellen Sein, aus dem heraus es sein Handeln vollzieht – dies käme der Erklärungsweise des Dogmatikers gleich. Vielmehr wird die dingliche Wirklichkeit durch die tätige Rationalität konstituiert. Sie resultiert demnach aus Handlungen, welche die Möglichkeit des Ich bedingen, wobei sich ihre Realität gerade der Notwendigkeit der Handlungen verdankt. Dadurch, dass dem Ich als höchstem Grund aller Erfahrung nichts gleichkommen kann und selbst das dingliche Sein von ihm durch bestimmte notwendige Handlungen begründet wird, kann man es ein absolutes Ich nennen. Indem das Ich allein nach seiner eigenen Wesensgesetzlichkeit handelt und ihm nichts Äußeres gegenübersteht, das es beschränken könnte, gebührt ihm das Prädikat der absoluten Freiheit. Ohne äußeren Zwang vollzieht sich das Ich in seinem eigenen Handeln und erweist sich darin als einzige freie Ursache sowohl seiner selbst als auch der gesamten Wirklichkeit. Im Falle des transzendentalen Idealismus ist somit die Entscheidung für dieses System zugleich die freie Entscheidung für die Freiheit des Ich. Damit wird klar, warum sich in der Vorüberlegung zur Philosophie Idealismus und Dogmatismus diametral gegenüberstehen. Der Dogmatiker wird niemals die Grundüberlegung des Idealisten mittragen und aus freier Entscheidung für die absolute Freiheit votieren, da er diese gerade leugnet bzw. höchstens in relativierter Gestalt zulässt. Ebenso wenig würde der Idealist sein Interesse für die Freiheit aufgeben, um das dogmatische System nachzuvollziehen. Im ursprünglichen Interessenkonflikt, der noch vor der Theorie anzusiedeln ist, liegt das Scheitern der Kommunikation zwischen beiden Vertretern begründet. Selbst der Idealist, also Fichte, muss sich bei aller Kritik am Dogmatismus eingestehen, dass diese selbst auf den Prämissen des Idealismus fußt und daher bereits einer bestimmten Entscheidung unterliegt, welche der Dogmatiker niemals teilen könnte.7 Bevor wir uns nun den Aufbau _____________ 6
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Die eigentlich (praktischen) freien Handlungen des Ich werden zwar später in ihrer Möglichkeit innerhalb des Idealismus erklärt, sind aber selbst insofern nicht Bestandteil des Systems, als sie frei vollzogen und daher nicht als notwendige Handlungen deduziert werden können. Sie sind dasjenige, was uns später hauptsächlich beschäftigen wird. „So sprechen also mehrere Argumente gegen den Dogmatismus: der Primat des Praktischen als sittliche Aufgabe und die theoretische Unzulänglichkeit dieser Position. Keine der beiden Argumentationen [...] kann freilich die Bedeutung einer immanenten Kritik beanspruchen, weder die charakterologisch-ethische noch die theoretischspekulative. Denn auch letztere Argumentationsweise setzt, um überhaupt erdacht und verstanden zu werden, das Bewusstsein der Freiheit, ja Wissen um die Selbst-
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des idealistischen Systems aus den notwendigen Handlungen des Ich vor Augen führen, soll der Begriff des Ich genauer bestimmt werden, um zu verdeutlichen, was es überhaupt heißt, dass das Ich handelt bzw. bloßes Handeln ist. Dieser Vorgang dient der Klärung des höchsten Prinzips der Fichteschen Philosophie. Im Vollzug einer Erfahrung unterscheidet der Mensch in seinem Bewusstsein zwischen der Vorstellung, dem Objekt, und sich selbst als dem Subjekt. Erst das Zusammentreffen dieser Elemente sowie der dazu notwendigen Erkenntniskräfte ergibt ein empirisches, konkretes Bewusstsein. Dennoch kann die idealistische Philosophie unter diesen Elementen hinsichtlich ihrer logischen Priorität eine Abstufung bzw. Implikation herstellen. Alles Sein, d.h. alle Objekte sind nur anlässlich einer Vorstellung des Bewusstseins möglich, wie dieses seinerseits nur möglich ist, wenn es sich selbst erfasst, Selbstbewusstsein oder Ich ist. Kurz: Ohne Selbstbewusstsein, kein Bewusstsein. Ohne Bewusstsein, kein Sein. Folglich: Ohne Selbstbewusstsein, kein Sein. Anhand dieser Formel wird deutlicher, mit welcher theoretischen Berechtigung der Idealist seine Position auf das Ich als Ausgangspunkt gründet. Da der Begriff des Selbstbewusstseins (Ich) somit als Angel- und Ausgangspunkt der idealistischen Philosophie hervortritt, mag es für ein genaues Verständnis dienlich sein, im Folgenden diese „idealistische Implikationskette“ genauer zu betrachten. Zur Kritik des Dogmatismus führt Fichte an, dass die Annahme eines Dinges an sich, jenseits des Bewusstseins, ein Widerspruch in sich ist, insofern sie vom Standpunkt des Bewusstseins aus getroffen wird. Ob diese Annahme mit der Realität übereinstimmt, kann auf Grund der Natur dieses Dinges nicht überprüft werden. Denn ein Ding, so wie es jenseits des Bewusstseins ist, kann augenscheinlich nicht erkannt werden. Wenn aber bereits die Erkenntnis dieses Dinges scheitert, dann kann erst recht kein philosophisches System darauf gegründet werden. Der Idealismus gelangt deshalb zu der Einsicht, dass es nur sinnvoll ist, über dasjenige Sein zu reden, welches auch im Bewusstsein vorkommen kann. Die in der Binnensphäre des Bewusstseins vorkommenden Dinge sind durch Vorstellungen vermittelt, die für den Idealismus aus Handlungen des Ich entstehen.8 Deshalb erweisen sich die Objekte aus dieser Sicht als aus Konstitutionsleistungen des Subjekts hervorgerufen. Die These, dass alles Sein nur Sein für ein _____________
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ständigkeit des Ich voraus.“ (Baumanns 1972, 71) Zur Thematik von Idealismus und Dogmatismus im Hinblick auf Schelling und Hegel vgl. Schurr. Zur Entwicklung dieser Thematik vom frühen zum späten Fichte s. Schüssler. Hier erkennt man den Primat der ersten Person (des Handlungsbewusstseins) vor einer „objektiven Ontologie der dritten Person“.
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Bewusstsein sei, erhält auf diesem Wege eine Zuspitzung dahingehend, dass alles Sein durch das Ich konstituiert sei. Nun ist aber die weitere Behauptung, dass Bewusstsein des Seins allein auf der Grundlage des Selbstbewusstseins möglich sei, weitaus schwerer nachzuvollziehen. Ihr soll daher eine längere Überlegung gewidmet sein. Obzwar bereits Kant in der „Transzendentalen Deduktion“ der Kritik der reinen Vernunft aufgezeigt hatte, dass die Möglichkeit von Selbstbewusstsein derjenigen von Bewusstsein dem logischen Range nach vorauszusetzen sei und die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an den man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muss, ja dieses Vermögen [...] der Verstand selbst9
sei, widmet sich erst Fichte eingehender dem Zusammenhang von Selbstbewusstsein und Bewusstsein, ausgedrückt im folgenden exemplarischen Sachverhalt: Indem du irgend eines Gegenstandes – es sei derselbe die gegenüberstehende Wand – dir bewusst bist, bist du dir [...] eigentlich deines Denkens dieser Wand bewusst, und nur inwiefern du dessen dir bewusst bist, ist ein Bewusstsein der Wand möglich. Aber um deines Denkens dir bewusst zu sein, musst du deiner selbst dir bewusst sein (SW I, 526).
In diesem Zitat finden sich drei verschiedene Bewusstseinszustände, die untereinander in ein Bedingungsverhältnis gesetzt werden: (i) Bewusstsein eines x (ii) Bewusstsein des Bewusstseins eines x (iii) Bewusstsein des Bewusstseins überhaupt: Selbstbewusstsein Die These besagt nun, dass (i) nicht möglich ohne (ii), (ii) aber nicht möglich ohne (iii) ist. Damit also ist (i) nicht möglich ohne (iii): Bewusstsein würde auf diese Weise immer Selbstbewusstsein voraussetzen.10
_____________ 9 AA III, 109. 10 Die Ersetzung des zitierten „Denkens einer Wand“ durch den Term „Bewusstsein eines x“ soll das gegebene Beispiel in den Gesamthorizont der Thematik zurückstellen. Dabei bleibt offen, ob das x gewollt (Zweck), angeschaut (wirkliches Objekt in der Welt) oder auch nur gedacht (eingebildetes Objekt) wird. Die Erörterung soll alle möglichen Bewusstseinsakte umfassen, da nur so die zu beweisende These der Implikation in ihrer ganzen Dimension zu greifen ist – ohne Einschränkung etwa auf die bloß theoretische Intentionalität des Menschen. Doch soll ebenso wenig die Mannigfaltigkeit der Bewusstseinsakte in bloßer Abstraktion vertilgt sein, was im Vorhinein gegen ein konkretes Verständnis der Philosophie Fichtes spräche. Als differente Bewusstseinsweisen werden sie vielmehr in ihrer Differenz bewusst, als Bewusstseinsweisen unterliegen sie dagegen der gleichen Struktur.
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(i) o (ii) Die Behauptung, dass ich, wenn ich eine Wand denke, mir eigentlich des Denkens dieser Wand oder gar meiner selbst bewusst bin, bereitet zunächst augenscheinlich Probleme, denn im Denken des Objekts verschwindet man in demselben, man denkt das Objekt, aber nicht, dass man selbst das denkende sei (GA IV, 2, 29).
Die obige Implikation könnte man nun – wie Fichte selbst an einigen Stellen (z.B. SW III, 21) – so erklären: Habe ich ein Bewusstsein eines Gegenstandes, so habe ich eigentlich (aus der Sicht des Transzendentalphilosophen) nur ein Bewusstsein der Vorstellung dieses Gegenstandes, als Bestimmung oder Modifikation meines Bewusstseins. Diese Gegenstandsvorstellung setzt voraus, dass ich das darin auftretende Objekt mir als Subjekt gegenüberstelle. Ich bin mir folglich immer schon meiner selbst bewusst: Ohne Selbstbewusstsein kein Bewusstsein.11 Diese vereinfachende Erklärung verdeckt jedoch den ganzen phänomenalen Gehalt der These, insofern sie auf einer Abstraktion von den jeweils konkreten Bewusstseinsakten wie Anschauen, Denken, Wollen u.a. beruht. Obzwar sie dennoch grundsätzlich treffend ist, verliert sie damit an Überzeugungskraft. In der praktischen Intentionalität des Menschen scheint dagegen der Übergang vom Bewusstsein eines Objektes – hier in Form des (bewussten) Wollens eines Zweckes – zum Selbstbewusstsein vollkommen unproblematisch zu sein: Bin ich mir eines Zweckes bewusst, dann bin ich mir zugleich darin des Wollens dieses Zweckes bewusst, sonst nähme ich den Zweck nicht als Zweck wahr. Zweck ist er nur, weil ich ihn (verwirklichen) will. Ohne dieses Wissen um mein Wollen könnte ich unter keinen Umständen zwei inhaltlich identische Vorstellungen, von denen ich erstere lediglich denke, d.h. mir einbilde, letztere aber verwirklichen will, unterscheiden, insofern beide in ihrem reinen Vorstellungsgehalt betrachtet keine differenten Merkmale aufweisen. Mein Wissen um eine Vorstellung als Zweck ist daher immer auch unmittel_____________ 11 Auf dieser abstrakten Ebene argumentiert auch die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794, wenn sie den ersten Grundsatz der Selbst-Setzung des Ich dem zweiten der Setzung des Nicht-Ich voranstellt, da ich mir erst dann einen Gegenstand als Gegenstand, d.h. als Nicht-Ich, entgegensetzen kann, wenn ich „zuvor“ mich selbst gesetzt habe. Die Möglichkeit, mir einer Sache bewusst zu werden, darin eine Distanz zu ihr aufzubauen, setzt notwendigerweise ein Wissen um mich selbst voraus, zu dem ich die Distanz herstelle, dem ich dieses Ob-jekt entgegenstelle. Für das Fichtesche Beispiel kann man sich daher die Implikationskette auch direkt ((i) o (iii)) klarmachen ohne Zwischenschaltung der Tätigkeit (ii): Bin ich mir einer Wand bewusst, dann weiß ich unmittelbar, dass ich nicht selbst diese Wand bin, sondern sie ein Gegenstand, eben nicht Ich ist. Das Bewusstsein eines Dinges (auch eines anderen Menschen) als Nicht-Ich setzt daher immer das Bewusstsein meiner selbst voraus.
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bar Wissen darum, dass sie sich auf mein Wollen bezieht. Selbstverständlich ist dieses Wissen unmittelbar, also implizit, so dass ich mir nicht noch dazu dieses Wissens von meinem Wollen bewusst bin. Aber mehr noch: Bin ich mir beim Vorstellen eines Zweckes zugleich meines Wollens bewusst, dann ebenso meiner selbst, denn sonst wüsste ich bei dieser Vorstellung nicht, dass ich sie will (sondern möglicherweise ein Anderer): Im Wollen eines Zweckes bin ich mir – unmittelbar – immer meiner selbst bewusst. Bereits bei dieser Erörterung des praktischen Selbst- und Objektbezuges des Menschen wird klar, auf welche Weise auch der theoretische verstanden werden kann. Denn denke ich mir lediglich eine Vorstellung, wie z.B. im Falle einer in praktischer Hinsicht gleichgültigen Einbildung, weiß ich ebenso unmittelbar in diesem Denken, dass ich sie nicht als Zweck meines Wollens denke. Erneut weiß ich unmittelbar um meine Beziehung zur Vorstellung, mithin um mein Denken als diejenige Tätigkeit, die den Vorstellungsgehalt hervorruft. Dieses Wissen lässt sich nun ohne weiteres auch auf die Unterscheidung von bloßem Denken oder Einbilden und sinnlicher Anschauung übertragen. Auch hier weiß ich angesichts einer Vorstellung – lasse ich Ausnahmefälle wie Krankheit oder Halluzination beiseite – unmittelbar um meine eigene Tätigkeit, weiß, ob das Vorgestellte mir von außen gegeben oder von mir selbst frei hervorgerufen ist.12 Genau dies besagt nun die These, demzufolge ich mir beim Denken der Wand „eigentlich“, d.h. implizit, meines Denkens der Wand bewusst bin. Ich weiß unmittelbar, ob ich gerade eine Vorstellung denke, wahrnehme oder will u.a. Ohne ein derartiges Wissen fehlte gleichsam das Band zwischen meinen Objekt-Vorstellungen und mir als dem Vorstellenden: Ich gliche dann einem „ruhende[n] Schauplatz“ (SW I, 465), einer bloßen Leinwand, auf der Vorstellungsbilder erscheinen, ohne dass ich mein Verhältnis zu ihnen erfahre, da am Vorstellungsgehalt allein nicht abzulesen ist, ob ich ihn als gedachten Zweck will oder als wirkliches Objekt anschaue oder ihn mir nur erdenke, ohne praktische, d.h. reale Implikationen zu intendieren. Dieses Wissen um das Verhältnis meiner selbst zu den Objekt-Vorstellungen kann jedoch seinerseits keine erneute Objekt-Vorstellung sein. Zum einen muss _____________ 12 „Dass ich sehe und fühle [...], weiß ich unmittelbar und schlechthin; ich weiß es, indem es ist, und dadurch, dass es ist, ohne Vermittelung und Durchgang durch einen anderen Sinn.“ (SW II, 200) D.h. ich sehe in einer sinnlichen Wahrnehmung nicht auch noch mein Sehen, ebenso wenig denke ich in meinem Denken noch einmal mein Denken: Das Bewusstsein der eigenen Tätigkeit ist unmittelbar in der Tätigkeit präsent, ohne dieses wäre die jeweilige Art von Bewusstsein nicht möglich. Dies ist ein Thema, das sich bereits bei Aristoteles findet (vgl. De Anima III, 2).
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dieses Wissen in actu der ersteren Objekt-Vorstellung vorliegen, zum anderen kann die Verbindung von Subjekt und Objekt nicht ihrerseits Objekt sein, ohne einen unendlichen Regress zu initiieren. Denn was verbände in diesem Falle erneut Subjekt und Objekt? (ii) o (iii) Der letzte Schritt fällt nun freilich nicht mehr schwer: Wenn ich bei einer Vorstellung immer schon um meine Tätigkeit weiß (mein Denken, Wahrnehmen, Wollen u.a.), dann weiß ich ebenso, dass ich derjenige bin, der hier tätig ist (denkt, wahrnimmt, will u.a.). Also: Bewusstsein setzt Selbstbewusstsein voraus. Wir haben die idealistische Implikationskette nicht nur deshalb so ausführlich dargestellt, weil sie anschaulich an die Hauptthese des Fichteschen Idealismus heranführt, sondern auch, weil sie mit einer wichtigen Konzeption innerhalb seiner Philosophie vertraut macht, die häufig missverstanden wird: die Konzeption der intellektuellen Anschauung.13 Eine Fehldeutung liegt aus dem Grunde nahe, weil zur Zeit Fichtes der Begriff der intellektuellen Anschauung Hochkonjunktur genoss und infolgedessen mannigfaltigen und häufig nicht zu vereinbarenden Bedeutungsschwankungen ausgesetzt war. Immanuel Kant beklagte sich bekanntermaßen in seiner Schrift Von einem neuerdings erhobenen Ton in der Philosophie (1796) über die zunehmend große Schar von Philosophen, welche unter Rückgriff auf diese Erkenntnisinstanz die Grenzen einer kritischen Philosophie überschritten, um im schwärmerischen Tonfall die alte, dogmatische Metaphysik wieder einzuführen. Kant zufolge handelt es sich bei der intellektuellen Anschauung um ein Denkvermögen, das sich auf unmittelbare Weise, ohne an Sinnlichkeitsbedingungen und an die Diskursivität des Denkens gebunden zu sein, die Gegenstände an sich vorstellt. Zwar ist es dem Menschen möglich, diese Erkenntnisinstanz problematisch zu denken, sie ist ihm jedoch nicht gegeben.14 Mag man auch Gott im übertragenen Sinn einen anschauenden Verstand zusprechen, so ist der Mensch darauf angewiesen, aus der sinnlichen Anschauung die Gegenstände seines Denkens aufzunehmen. Er erblickt die Dinge daher nicht, wie sie an sich sind, sondern wie sie in seinem Bewusstsein erscheinen. Sinnliche Anschauung und diskursives Denken erweisen sich als die einzigen menschlichen Mittel, um Erfahrung zu erlangen. _____________ 13 Zur intellektuellen Anschauung bei Fichte gibt es eine Unmenge an Publikationen. Um einige zu nennen: Vgl. Gram; Stolzenberg; Klotz 103ff.; Philonenko: „Die intellektuelle Anschauung bei Fichte“. In: Mues 91-107; Janke 14ff. 14 AA III, 364ff.
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Der Ursprung der praktischen Freiheit (J.G. Fichte)
Kurz vor dem Erscheinen der Kantischen Mahnschrift hatte sich Schelling des Begriffes der intellektuellen bzw. intellektualen Anschauung bedient, um in seiner Philosophie die Erkenntnis des Absoluten, des jenseits der Diskursivität und Sinnlichkeit liegenden Unbedingten, zu erklären.15 In der intellektuellen Anschauung gelangt der Mensch durch eine Art mystisch-kontemplativer Erfahrung, die Schelling mit dem Tod vergleicht und später „Ekstase“ nennen wird, ins Absolute und streift darin seine eigene Endlichkeit ab. Es handelt sich infolgedessen um eine Erfahrung jenseits des alltäglichen Bewusstseins und Lebens, worin sich dem Menschen nicht das Ding an sich, vielmehr das Unbedingte erschließt.16 Dies ist nun in aller Kürze die Situation, in der Fichte v.a. ab 1797/98 den Begriff der intellektuellen Anschauung einführt und zum zentralen Begriff seiner kritischen Philosophie erhebt.17 Im Gegensatz zur Kantischen Bestimmung der intellektuellen Anschauung als eines Einblicks in die Dinge an sich, die ein Unding [ist], das uns unter den Händen verschwindet, wenn man es denken will, und das überhaupt keines Namens wert ist (SW I, 472),
sieht Fichte in ihr ein Vermögen, das nicht auf ein Sein, sondern vielmehr auf ein Handeln geht; sie ist die „Anschauung der Selbsttätigkeit und Freiheit“ (ebd. 466). Kant selbst müsse darauf im Falle der reinen Apperzeption, also des reinen Selbstbewusstseins, und des Sittengesetzes zurückgreifen, die sonst durch kein anderes Erkenntnisvermögen (d.h. weder sinnliche Anschauung noch Verstandesbegriff oder Vernunftidee) zum Bewusstsein erhoben werden könnten. Damit behauptet Fichte, lediglich eine „Lücke“ im Kantischen System zu schließen, um dadurch den kritischen Idealismus zu vervollkommnen (ebd. 472). Wie gelangt er nun zu seinem Begriff der intellektuellen Anschauung und welche Funktion erfüllt diese in seinem System? Um diese Fragen beantworten zu können, erinnern wir uns kurz dessen, was wir hinsichtlich der Wahl der idealistischen Philosophie bereits ausgeführt hatten: Den Ausgangspunkt bildete das empirische Bewusstsein mit_____________ 15 Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795). Vgl. dazu Lauth 1967. 16 Die widersprüchlichen Bestimmungen der intellektualen Anschauung bei Schelling, zum einen Selbstbeschauung des Absoluten, zum anderen momentanes Erfassen des Absoluten durch den Menschen oder auch unerreichbares Ziel des Menschen zu sein, erwähnt Wieland: „Ob es sich also bei der intellektualen Anschauung um einen wirklichen Zustand handelt oder aber um ein unerreichbares, nur richtungsweisendes Leitziel, ist bei Schelling nicht eindeutig.“ (Wieland 1975, 250) 17 Auch schon zu Beginn seines philosophischen Denkens taucht dieser Begriff bei Fichte auf. In seinem ersten systematischen Hauptwerk, der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794, findet sich jedoch keine Erwähnung desselben.
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samt der phänomenalen Vielfalt (Subjekt, Objekt und Vorstellung). Um zum höchsten Punkt der Philosophie zu gelangen, nimmt nun der Idealist an diesem Material eine Abstraktion vor, die versucht, allein das reine Selbstbewusstsein oder Ich freizulegen und zu isolieren. Diese Grundstruktur findet Fichte bekanntlich in der Tathandlung oder dem Sich-Setzen (dem absoluten Ich), welche er als in sich zurückgehende Tätigkeit des Ich nun aber im gleichen Zuge mit der intellektuellen Anschauung identifiziert. Um die menschliche Erfahrung erklären zu können, muss nach Fichte ein Punkt aufgefunden werden, der selbst nicht mehr innerhalb der Erfahrung liegen kann und daher dem empirischen Bewusstsein gegenüber gewissermaßen transzendent bleibt. Dennoch bedarf jede Abstraktion einer konkreten Grundlage, von der aus die Isolation bestimmter Elemente vorgenommen werden kann. Daraus ist zu erschließen, dass auch die intellektuelle Anschauung als höchster Punkt des transzendentalen Idealismus eine Vorform im Konkreten aufweisen muss, deren Abstraktionsprodukt sie letztlich darstellt. Diese konkrete Gestalt bezeichnet Fichte als die wirkliche (konkrete) intellektuelle Anschauung im Gegensatz zu der Form der intellektuellen Anschauung (im Folgenden: formale intellektuelle Anschauung), wie sie der höchste Punkt bezeichnet (SW IV, 47). Während das Abstraktionsprodukt, die formale intellektuelle Anschauung, demnach dem empirischen Bewusstsein gegenüber transzendent ist, befindet sich die wirkliche intellektuelle Anschauung im Zusammenspiel mit sinnlicher Anschauung und diskursivem Verstand innerhalb der Region desselben; darin ermöglicht sie das „unmittelbare Bewusstsein; dass ich handle, und was ich handle“ (SW I, 463). In dieser Bestimmung geht die intellektuelle Anschauung nicht auf ein übersinnliches Sein – wie bei Schelling – im Vollzug einer Kontemplation, die jegliche Endlichkeit suspendiert, sondern auf ein freies Handeln des menschlichen Ich. Daher markiert sie auch keinen Ausnahmezustand, sondern erweist sich als eine permanente Erkenntnisweise, über die ich in jedem Moment verfüge (ebd.), so dass ich keinen Schritt tun [kann], weder Hand noch Fuß bewegen, ohne die intellektuelle Anschauung meines Selbstbewusstseins in diesen Handlungen; nur durch diese Anschauung weiß ich, dass ich es tue (ebd.).
Die intellektuelle Anschauung verstanden als wirkliche ist mit dem empirischen Bewusstsein demnach untrennbar verwoben, da sie das Handlungsbewusstsein in jedem Bewusstsein darstellt. Erst aus diesem Bewusstseinskomplex, in dem die konkrete intellektuelle Anschauung jederzeit nur zusammen mit sinnlicher Anschauung und Begriff anzutreffen ist, kann die philosophische Abstraktion die intellektuelle Anschauung isoliert herausstellen, wobei sie dann als solche nicht mehr im
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empirischen Bewusstsein vorkommen kann. Denn analog dazu, wie sinnliche Anschauung ohne Begriff noch kein wirkliches Bewusstsein hervorbringt, kann dies auch durch die intellektuelle Anschauung allein, wie sie nach der Abstraktion vorliegt, nicht geschehen. Fichte fügt im Vergleich zu Kant den für ein wirkliches Bewusstsein notwendigen Ingredienzien, sinnliche Anschauung und Begriff, eine weitere hinzu: die intellektuelle Anschauung. Erst alle Bestandteile zusammen ergeben ein wirkliches Bewusstsein. Ich kann mich nicht handelnd finden [d.h. ich kann nicht die intellektuelle Anschauung vollziehen; CB], ohne ein Objekt zu finden, auf welches ich handle, in einer sinnlichen Anschauung, welche begriffen wird; ohne ein Bild von dem, was ich hervorbringen will, zu entwerfen, welches gleichfalls begriffen wird. (ebd. 464)
Schematisch gesprochen kann man daher festhalten, dass für das Bestehen des empirischen Bewusstseins und seiner Elemente Subjekt, Objekt und Vorstellung das Ich dreier Erkenntnisinstanzen bedarf, nämlich der intellektuellen Anschauung zur Erkenntnis des Subjekts sowie der sinnlichen Anschauung und des Begriffs zur ObjektVorstellung. Die Loslösung der intellektuellen Anschauung aus diesem phänomenalen Konglomerat mittels der durch den Philosophen vorgenommenen Abstraktion führt ein Resultat mit sich, das als Abstraktum nicht im empirischen Bewusstsein vorkommt; nichtsdestotrotz muss letzteres mit seinen konkreten Inhalten zunächst den Ausgangspunkt des Unternehmens des transzendentalen Idealismus liefern. Ohne Konkreta keine Abstraktion. Die konkrete intellektuelle Anschauung Fichtescher Prägung, so wie sie „vermischt“ mit den anderen Bewusstseinsinhalten vorkommt, kann jeder Mensch zu jeder Zeit nachvollziehen; wenn man ihn auch nicht dazu zwingen kann, ist sie doch Bewusstsein der eigenen Freiheit im Handeln. Damit aber holt sie Fichte nach ihrer Erhebung zum höchsten Punkt der Philosophie durch Schelling wieder auf den Boden des Phänomenalen, ins empirische Bewusstsein zurück, ohne dabei Prinzip und Ausgangspunkt seiner Transzendentalphilosophie – die Tathandlung des Selbst-Setzens verstanden als die formale, abstrakte intellektuelle Anschauung – zu einer bloßen Tatsache des Bewusstseins zu machen und der eigenen Kritik an Reinhold zu erliegen. Zwar nimmt der Philosoph die intellektuelle Anschauung im Hinblick auf die zu leistende Abstraktion als Tatsache im Bewusstsein auf, doch schließt er abstrahierend von dieser Tatsache auf die Tathandlung.18 Diese kann auf Grund dessen, dass sie Be_____________
18 „Sonach findet der Philosoph diese intellektuelle Anschauung als Faktum des Bewusstseins; (für ihn ist es Tatsache; für das ursprüngliche Ich Tathandlung) nicht un-
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wusstsein überhaupt ermöglicht, offensichtlich als solche nicht im Bewusstsein vorkommen. Indes, die abstrakte Form der intellektuellen Anschauung findet sich gleichsam als Struktur oder allgemeines Wesen in allen konkreten Ausprägungen derselben wieder, die der Mensch erfahren kann und von denen es heißt, dass sie „in jedem Momente seines Bewusstseins vorkomme[n]“ (ebd. 463; vgl. SW IV, 47). Das absolute Ich ist demnach bloßes Abstraktionsprodukt, bloßer Gedanke des Philosophen.19 Doch was rechtfertigt diesen Gedanken als einen notwendigen und entreißt ihn somit der bloßen Willkür? Woraus ergibt sich die Abstraktionshinsicht des Philosophen, d.h. die Berechtigung, gerade diese Elemente zu bewahren und von den anderen Elementen abzusehen? Wir haben nun den Punkt erreicht, an dem wir die Ergebnisse der Untersuchung über die idealistische Implikationskette wieder aufnehmen und der Frage nachgehen müssen, inwiefern die soeben beschriebene Bestimmung der intellektuellen Anschauung dazu in Beziehung zu setzen ist. Denn die Einsicht in die idealistische Implikationskette rechtfertigt dadurch, dass sie Selbstbewusstsein als Bedingung der Möglichkeit jeglichen Bewusstseins und Seins erweist, die Isolation eben dieser notwendigen Momente des Selbstbewusstseins innerhalb des empirischen Bewusstseins. Dies dient der Absicht einer logisch-diskursiven Deduktion aus einem obersten Prinzip, von dem als unhintergehbarem Bestandteil allen Seins nicht weiter abstrahiert werden kann. Wenn nun erwiesen werden könnte, dass die so konzipierte intellektuelle Anschauung gerade die für (i) notwendig vorauszusetzenden Bewusstseinszustände (ii) und (iii) ermöglichte, dann implizierte jedwedes Sein und Bewusstsein auf diese Weise die intellektuelle Anschauung als notwendige Bedingung. Deshalb hätte sich eine Abstraktion, die zu den _____________
mittelbar, als isoliertes Faktum seines Bewusstseins, sondern indem er unterscheidet, was in dem gemeinen Bewusstsein vereinigt vorkommt, und das Ganze in seine Bestandteile auflöst.“ (SW I, 465) 19 Man darf folglich dem absoluten Ich als bloßer Abstraktion an sich auch keine transzendente Realität – wie in einer platonisierenden Lesart – zusprechen. Es stellt vielmehr die Herauslösung eines Momentes aus dem menschlichen Bewusstsein dar, das man wohl unmissverständlicher mit Peter Baumanns als die Absolutheit oder Unendlichkeit im Menschen zu bezeichnen hätte (Baumanns 1972, 50). Im Gegensatz dazu verleiht der zweite Grundsatz der Wissenschaftslehre dem Aspekt der Endlichkeit Ausdruck. Zudem zeigt sich hier deutlich die Differenz des Fichteschen und des (frühen) Schellingschen Ansatzpunktes. Während jener vom empirischen Bewusstsein her dieses übersteigt, lediglich um es erklären zu können, damit aber gerade durchgehend ihm verhaftet bleibt, distanziert sich dieser mit seinem Ausgang vom Absoluten mittels einer Begriffsanalyse des Unbedingten nahezu unwiderruflich vom empirischen Ich. Fichte ist der Philosoph des gemeinen Bewusstseins, nur wenn man dessen eingedenk bleibt, vermeidet man „schwärmerische“ Deutungsweisen bezüglich seines absoluten Ich (Guéroult 200f.). Zum frühen Schelling s. Sandkaulen.
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Grundlagen vorstoßen wollte, an der intellektuellen Anschauung zu orientieren. Wie kann nun – so müssen wir uns fragen – die intellektuelle Anschauung das Selbstbewusstsein ermöglichen? Bereits die ersten Vorüberlegungen über das Ich ergaben, dass es nicht eine Entität darstellt, die jenseits des Selbstbewusstseins existiert, sondern im Gegenteil damit in eins fällt, wie es im ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre anhand der Identität von Sich-Setzen und Ich am klarsten zum Ausdruck kommt. Dieses unsubstantielle Verständnis des Ich bestimmt sich weiter dahingehend, dass das Ich lediglich in seinem Handlungsvollzug angetroffen werden kann, womit sein Unterschied zum rein substantiellen Sein der anderen Dinge deutlich hervortritt. Schon hier wird klar, inwiefern die intellektuelle Anschauung mit dieser Art von Selbstbewusstsein in Zusammenhang gebracht werden kann, da sie in ihrer konkreten Gestalt, d.i. so, wie sie sich im empirischen Bewusstsein wiederfindet, gerade das unmittelbare Bewusstsein davon, dass ich handle und was ich handle, bereitstellt. Damit weist sie eine Doppelstruktur („dass“ und „was“) auf, die uns einen Schlüssel für ihr Verständnis darreicht. Sie ist in dieser Hinsicht einerseits das Wissen um mein Ich als eines aktual tätigen (dass ich handle), also nicht als einer Substanz in ihrer bloßen Potentialität zu Tätigkeiten. Da sich das Ich lediglich als Handelndes bewusst ist, es jedoch nicht ist außer vermöge des Selbstbewusstseins, ist es ausschließlich als ein Tätiges oder besser: als bloße Tätigkeit zu bestimmen. Das Ich existiert nicht an sich, um sich dann zu Handlungen zu entschließen, sondern es konstituiert sich rein durch seine Handlungen selbst, nämlich gerade durch diejenigen notwendigen Handlungen, welche die Möglichkeit des Selbstbewusstseins bedingen. Der Gedanke eines Ich als Substrates möglicher Handlungen stellt vielmehr eine begriffliche Kategorisierung dar, die man erst dann zu vollziehen vermag, wenn es in konkreten Handlungen bereits mittels intellektueller Anschauung zum Bewusstsein gekommen ist. Die begrifflich-substantielle Fixierung des Ich legitimiert sich durch die Einheitsperspektive, die im unmittelbaren Handlungsbewusstsein dadurch implizit vorhanden ist, dass die Handlungen als solche des Ich gewusst werden. Durch diese Kategorisierung könnte der Eindruck entstehen, das Ich sei als die Einheit hinter den Handlungen vorhanden, wohingegen das Ich vielmehr seine Einheit lediglich in und mit seinen Handlungen hervorbringt. Es ist – wie Kant betont – „Einheit der Handlungen“ (AA III, 121); beide Merkmale bedingen sich gegenseitig und setzen sich voraus: Keine Einheit ohne Handlungen, keine Handlungen ohne Einheit. Das Handeln des Ich setzt sein Sein, heißt eigentlich, das Sein
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des Ich besteht lediglich in dessen Handeln.20 Aber auch dieses Handeln und dessen Einheit können nicht etwa allein für sich bereits zum Ich führen ohne Bewusstsein. Sie müssen immer auch für das Ich sein, insofern ein Etwas (Sein), das nicht mit Bewusstsein begleitet werden kann, für das Ich nichts ist. Dem Handeln des Ich darf man daher das Bewusstsein nicht als bloß zufällige Begleiterscheinung beigesellen, vielmehr handelt das Ich nur, wenn es sich zugleich dieser Handlung als seiner bewusst ist, denn ohne Bewusstsein handelte nicht das Ich. Die Einheit der Handlungen wird gerade durch das Bewusstsein der Handlungen als Selbstbewusstsein konstituiert. Wie sich also das Bewusstsein seiner selbst nur als Bewusstsein der Einheit in seinem Handeln einzulösen vermag und ohne letzteres gar nicht denkbar ist, kann sein Handeln einzig und allein mit (Selbst-)Bewusstsein geschehen, ja ist nicht einmal zu denken ohne dieses. Bewusstsein und Handeln des Ich bestehen nur in einer Einheit miteinander, weshalb eine Analyse dieser in beide Elemente allein dann Berechtigung findet, wenn sie zugleich in ihrer notwendigen Interdependenz aufgezeigt werden. Die Einheit von Bewusstsein und Handeln, letztlich das Ich, drückt sich nur in beiden zugleich aus, muss sich aber auch darin ausdrücken, um zu sein, ebenso wie Bewusstsein und Handeln nur auf Grund dieser Einheit möglich sind. Das Ich zeigt sich demnach vielmehr als bewusstes, spontanes Handeln in einer Einheit, oder als Einheit der Handlungen für sich. Wenn man daher das Ich mit Fichte bestimmen wollte, so müsste man es die in den Handlungen immanente Einheit nennen. Diese Art von Selbstbewusstsein ermöglicht nun – wie hinreichend klar geworden sein dürfte – die intellektuelle Anschauung in ihrer Bestimmung als unmittelbares Bewusstsein, dass ich handle. Daran lässt sich auch plausibel machen, warum Fichte dieses Vermögen mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung versieht. Der Bestandteil der Anschauung deutet auf die Unmittelbarkeit des Bewusstseins in diesem Akt, Indiz des Ausbleibens einer Reflexion. Analog zur sinnlichen Anschauung geht er unmittelbar auf etwas, das jedoch in seinem Fall nicht von außen gegeben wird, sondern sich im Akt selbst erst konstituiert. Die Handlungen des Ich sind diejenigen Handlungen, die es im vollen Bewusstsein vollzieht, d.h. hervorbringt; daher „schafft“ es in diesem Fall zugleich dasjenige, was es einsieht und wenn es etwas nicht einsieht, dann hat es das Ich auch nicht geschaffen: „Es ist so, weil ich es so mache.“ (SW I, 460) Dieses im gleichen Moment mit dem Selbstbewusstsein durch Selbsttätigkeit hervorgebrachte Handeln _____________ 20 Vgl. z.B. SW III, 22: „Das Ich ist nicht etwas, das Vermögen hat, es ist überhaupt kein Vermögen, sondern es ist handelnd; es ist, was es handelt, und wenn es nicht handelt, so ist es nichts.“
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kennzeichnet das Intellektuelle21, und gerade nicht passiv Rezeptive, an diesem Akt. In der intellektuellen Anschauung fallen demnach Sein, oder richtiger: Handeln und Bewusstsein, Subjekt und Objekt, Denken und Gegenstand, aber auch theoretische und praktische Tätigkeit in eins, in die absolute Identität des Ich. Andererseits lässt sich die intellektuelle Anschauung nur dann in ihrer vollen konkreten Bedeutung verstehen, wenn man sie zugleich als das Wissen nicht bloß davon, dass ich handle, sondern auch, was ich handle, versteht. Darunter darf man freilich nicht den intentionalen Gehalt der Handlungen, wie z.B. einen Zweck, einen Gedanken oder eine sinnliche Anschauung, verstehen, da diese gerade nicht durch intellektuelle Anschauung, sondern durch Denken oder sinnliche Anschauung zu erfassen sind. Es handelt sich vielmehr um ein Wissen über die Beschaffenheit oder Art der eigenen Handlung, d.h. ob sie ein Denken, Wollen, Anschauen etc. ist. Zwar ist von diesen Konkretisierungen der Handlungsmöglichkeiten des Ich im Sich-Setzen als formaler intellektueller Anschauung abstrahiert, doch spielen sie im empirischen Bewusstsein eine wichtige Rolle. Das Wissen um die Art meines Handelns, um meine intentionale Beziehung zu den jeweiligen Vorstellungsobjekten, ermöglicht erst das Bewusstsein eben dieser Objekte. Da zudem das wirkliche Selbstbewusstsein nur in konkreten Situationen entstehen oder hervorgerufen werden kann, reicht ein allgemeines Bewusstsein des Handelns überhaupt nicht aus. Wenn die intellektuelle Anschauung Selbstbewusstsein ermöglichen soll, muss sie der Konkretheit Rechnung tragen. Die Notwendigkeit dieses Aspektes der intellektuellen Anschauung kann man sich daran klarmachen, dass Selbstbewusstsein als Bewusstsein der Einheit der Handlungen nur dann vollzogen werden kann, wenn zugleich die Mannigfaltigkeit der Handlungen in den Blick gerät, deren Einheit das Ich begründet. Die intellektuelle Anschauung muss demnach die Handlungen erkennen, um sie als Handlungen des Ich lesen zu können. Wir finden daher in der Definition der intellektuellen Anschauung die beiden Ermöglichungsbedingungen von Bewusstsein enthalten. Das Bewusstsein eines Etwas (i), das ich auch selbst sein kann, setzt das Bewusstsein dieses Bewusstseins (ii) voraus, damit ist aber gemeint das Bewusstsein um die Art dieses Bewusstseins, d.h. ob es ein Wollen, Denken, Anschauen u.a. ist. Hier ermöglicht die intellektuelle Anschauung das Wissen darum, was ich handle. Des Weiteren bedarf es für dieses Bewusstsein des Wissens um mich als den Handelnden, es _____________ 21 Schon Kant bezeichnet das Intellektuelle in einer Reflexion als dasjenige, „was zum Inhalt ein Handeln hat.“ (Reflexion Nr. 968. In: Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Hrsg. von B. Erdmann. Stuttgart-Bad Cannstatt 1992.)
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bedarf des Selbstbewusstseins (iii) als Wissen, dass ich handle. Die intellektuelle Anschauung erweist sich daher als die jedem Bewusstsein immer schon zu Grunde liegende Voraussetzung, die zum einen den Bezug des Ich auf seine Vorstellungen stiftet, zum anderen das implizite Selbstbewusstsein in jedem Welt- und Selbstverhältnis darstellt. Zurecht muss man deshalb in ihr das eigentliche Lebensprinzip des Menschen sehen. „In ihr ist die Quelle des Lebens, und ohne sie ist der Tod.“ (SW I, 463) Wir haben demnach das Ich als Prinzip des Idealismus genauer kennen gelernt als die Einheit der Handlungen für sich. Es ist dasjenige, das im bewussten Vollzug seiner Handlungen sich selbst wie auch die gesamte Realität konstituiert. Die Wahl zugunsten des Idealismus als desjenigen philosophischen Systems, das allein eine adäquate Erklärung der Wirklichkeitserfahrung liefern kann, führt nun jedoch zwei gravierende Schwierigkeiten mit sich: die Frage nach dem Ursprung des Selbstbewusstseins und das Problem des Realitätsstatus der apriorischnotwendigen Handlungen des Ich. Die Frage nach dem Ursprung des Selbstbewusstseins ist leicht zu stellen, weitaus schwerer fällt ihre Beantwortung innerhalb der Philosophie Fichtes. Denn die Lösung ist an keiner bestimmten Stelle seines Systems zu finden, vielmehr beansprucht das gesamte System, eine Lösung dieser Frage zu liefern. Verdeutlichen wir zunächst das Problem! Gemäß der Entscheidung für die idealistische Philosophie soll die gesamte Realität, also mithin auch das objektive Sein, aus Handlungen des Ich erklärt werden, die ihrerseits als Bedingungen der Möglichkeit des Selbstbewusstseins aufzufassen sind. Wenn nun jedoch alle Realität aus dem Ich entspringt, woraus entspringt dann dieses selbst? Insofern die Natur allein aus der Konstitutionsleistung des Ich hervorgeht, fällt diese augenscheinlich als kausales Explanans weg. Das Sein des Ich wird gerade der Kontinuität mit dem Sein der Dinge entrissen, indem behauptet wird, dass das Ich erst dann existiert, wenn es seiner selbst bewusst ist. Lediglich der Vollzug des wirklichen Selbstbewusstseins ist Grund des Ich, davor war es noch nicht. Damit wird jedoch gerade die Frage nach einer Vorgeschichte des Ich überhaupt der Sinnlosigkeit überführt. Man hört wohl die Frage aufwerfen: was war ich wohl, ehe ich zum Selbstbewusstsein kam? Die natürliche Antwort darauf ist: ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich. Das Ich ist nur insofern, inwiefern es sich seiner bewusst ist. (SW I, 97)
Fragt man nun nach der Beschaffenheit des Aktes der ursprünglichen Selbstbewusstwerdung, dann scheinen sich zwei notwendige Forderungen zu widersprechen, sofern man den Akt mit dem Subjekt-Objekt-
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Schema nachzuvollziehen unternimmt. Zum einen muss das Ich seiner selbst bewusst werden, demzufolge sowohl das Vollziehende als auch das Objekt dieses Vollzugs sein. Zum anderen soll das Ich – wie gezeigt – erst durch diesen Akt entstehen. Es kann demnach kein Subjekt-Ich und/oder Objekt-Ich vor der Identifikation beider im Selbstbewusstsein vorliegen, da sie beide sonst als Ich schon wirkliches Selbstbewusstsein sein müssten. Die Frage drängt sich daher auf, ob dieser ursprüngliche Bewusstseinsakt überhaupt im Rahmen des Subjekt-Objekt-Schemas erklärt werden kann, wie es ein reflexives Verständnis unweigerlich tun muss. In diesem Fall ist von einer Reflexion (Zurück-beugen) des Subjekt-Ich auf sich selbst als Objekt-Ich die Rede. Zwar bereitet es der Reflexionstheorie keine Schwierigkeiten, bei einem bereits bestehenden Selbstbewusstsein die jeweilige Aktualisierung desselben zu erklären; doch scheitert dieses Modell hinsichtlich der Ursprungssituation.22 Eben auf Grund dieser Ausnahmestellung der Ursprungssituation des Selbstbewusstseins, die augenscheinlich außerhalb der Reichweite der „alltäglichen“ Erklärungsversuche anzusiedeln ist, stellt dieselbe eine Herausforderung für jede Philosophie dar, die das menschliche Selbstbewusstsein zu ihrem Prinzip macht. Fichte zieht aus diesen Überlegungen schließlich die Konsequenz, dass das Selbstbewusstsein durch einen uranfänglichen präreflexiven Akt, eine Art von Ur-sprung im wahrsten Sinne des Wortes, der mit absoluter Freiheit vollzogen wird, entsteht. Diesen Akt bezeichnet er als die Tathandlung des Sich-Setzens. Die Ursprungssituation ist auf diese Weise durch eine Diskontinuität gekennzeichnet, die das Ich der Naturgesetzlichkeit entreißt und damit die Möglichkeit der Freiheit, die Absolutheit des Ich, erklärbar macht. Jedoch erschöpft auch die Tathandlung allein nicht den Ursprung, insofern sie als abstraktes Element oder Wesen des Ich gerade noch nicht dessen konkrete Entstehungsbedingungen liefert. Das reine Selbstbewusstsein ist zwar die Bedingung der Möglichkeit des wirklichen Ich, erklärt es aber noch nicht vollständig. Aus diesem Grund muss die Philosophie voranschreiten, um die weiteren Bedingungen deduktiv abzuleiten. Erst nach Durchlaufen des gesamten Systems, mitsamt seiner konkreten Folgerungen _____________ 22 Dieter Henrich stellt erstmals in seiner Schrift Fichtes ursprüngliche Einsicht heraus, dass sich dieses Problem als Angelpunkt der gesamten Fichteschen Philosophie betrachten lässt. Henrich zufolge verwirft Fichte die Reflexionstheorie als Methode zur Klärung der Ursprungssituation, kann jedoch in seiner Frühphase kein anderes überzeugendes Modell aufbieten. Infolgedessen schließt Henrich auf ein Scheitern des frühen Fichte. Er untersucht indes nicht dessen gesamtes System, sondern allein die Grundlagenschriften. Erst in Fichtes Spätphilosophie mit der Begründung des Ich in einem Absoluten, d.h. mit dem „Gedanken der unausdenkbaren Begründung des Selbstseins in einem ‚Absoluten‘“ (Henrich 1967, 37), sieht Henrich die Schwierigkeiten gelöst.
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u.a. über die Natürlichkeit und Moralität des Menschen verfügt man über alle Bedingungen, die vorliegen müssen, damit das Ich vollständig ins Dasein treten kann.23 Es liegt auf der Hand, dass diese Reihe von Handlungen nicht zeitlich-sukzessiv, schon gar nicht kausal, zu verstehen ist, an deren Ende das wirkliche Selbstbewusstsein stünde. Sonst könnten die Handlungen nicht dem Ich zugeschrieben werden. Das Ich, dessen logische Auflösung die Philosophie zu liefern hat, ist vielmehr „mit einem Schlag“ da. Alle notwendigen Handlungen zusammengenommen bezeichnen die „grund-legende“ Ursprungssituation des Ich. Die Bedingungen der Möglichkeit des Selbstbewusstseins sind die Bedingungen der Möglichkeit des Ursprungs des Selbstbewusstseins. Eine weitere Frage betrifft den Status der Handlungen des Ich, die Bedingungsmöglichkeiten, mithin Gründe des wirklichen Bewusstseins sind. Wie bereits angeführt können diese Gründe nicht selbst in der Erfahrung vorkommen, ohne ihren Status als Gründe der Erfahrung zu verlieren. Doch Handlungen, derer das Ich sich nicht in einer Erfahrung bewusst ist, können im strengen Sinne nicht Handlungen des Ich genannt werden. An der Tathandlung zeigt sich genau dieses Problem. Sie konstituiert oder ist vielmehr das reine Ich und liegt als solche nicht im menschlichen Bewusstsein. Dennoch soll sie gerade das Wesen des Ich, also des Selbstbewusstseins ausmachen. Wie kann man aber diese Tathandlung überhaupt Selbstbewusstsein nennen, wenn durch sie allein weder Selbstbewusstsein entsteht, noch sie selbst jemals im Leben des Menschen zum Bewusstsein kommt, sie mithin unbewusst geschieht? Anders ausgedrückt: Wie kann eine Handlung Handlung des Ich sein, wenn sie nicht auch für das Ich ist, obzwar das Ich doch allein im Für-sich-Sein seiner Handlungen besteht? Des Weiteren verlangt die idealistische Beschränkung allen Seins auf bewusstes Sein, d.h. auf Sein für ein Bewusstsein, dass auch die apriorischen Handlungen des Ich im Bewusstsein vorliegen müssen, weil ihnen sonst keine Realität zukommen kann. Sie fielen dann der gleichen Widersprüch_____________ 23 Eben diese konkreten Bedingungen hat Henrich nicht beachtet. Der Ursprung des Selbstbewusstseins beim frühen Fichte kann nur aus einem Zusammenspiel von intellektueller Anschauung und konkreter praktischer Wirksamkeit in der Sinnenwelt mit allen damit verbundenen Implikationen erklärt werden. Hinsichtlich der Frage, wie diese Lösung zu verstehen ist, vgl. Binkelmann 2001. Auch Ch. Klotz verweist auf die Notwendigkeit, zur Erklärung der Ich-Identität neben der intellektuellen Anschauung auf die Konstitution praktischer Identität zu rekurrieren. In Auseinandersetzung mit der Wissenschaftslehre nova methodo entwickelt er eine Vorstellung von Identität, welche dem Ich eine Art von praktischer Individualität verleiht, gegründet im „reinen Willen“. Mit vielen Passagen aus Fichtes praktischen Schriften ist diese emphatische Behandlung der Individualität m.E. nicht zu vereinbaren. Wir werden darauf noch zurückkommen (vgl. IV.).
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lichkeit wie das Ding an sich anheim. Man muss sich ernsthaft fragen, ob Fichte nicht doch mit der absoluten Selbst-Setzung des Ich sowie den weiteren unbewussten Handlungen die Immanenz des Bewusstseins transzendiert, um bei einem höheren Grund Zuflucht zu finden.24 Wie verschieden beide Probleme auch anfänglich erschienen, so resultieren sie doch aus ein und derselben idealistischen Überzeugung, nämlich derjenigen, die Immanenz des menschlichen Bewusstseins (den Raum der Gründe) weder im Leben verlassen zu können noch in der Philosophie verlassen zu dürfen. Diese Absolutsetzung der Immanenz, das Prinzip der absoluten Immanenz, kennzeichnet den subjektiven Idealismus des jungen Fichte. Alle Bemühungen Fichtes gelten diesem Prinzip und seiner Einhaltung. Bevor wir in Hegel den wohl überzeugendsten Kritiker dieser Absolutsetzung der Endlichkeit kennen lernen werden, wollen wir uns zunächst auf die Fichteschen Lösungsversuche einlassen, v.a. im Hinblick auf die zwei zentralen Fragen an seine Philosophie: die Ursprungsfrage und die Frage nach dem Status der apriorischen Handlungen des Ich. Während erstere nur im fortgeschrittenen Stadium der Fichteschen Systementwicklung, beurteilt werden kann, soll letzterer nun im Anschluss nachgegangen werden. Dazu muss man sich Fichtes Methodenüberlegungen zuwenden, worin er vor allem mit der Lehre von den zwei Standpunkten eine Lösung auf das Problem gibt, welcher Realitätsstatus den apriorischen Handlungen zukommt. 2. Zur Methode des transzendentalen Idealismus Mit der Lehre von den zwei Standpunkten des Bewusstseins legt Fichte das methodische Fundament seiner Transzendentalphilosophie, mittels derer das Projekt der Philosophie, die Suche nach den Gründen der Erfahrung sowie die systematisch-denknotwendige Darstellung dieser Gründe, ermöglicht werden soll. Das Eigentümliche seiner Philosophie sieht er fortan in der beflissentlich befolgten Bewahrung und Trennung dieser zwei „Reihen des Denkens“, deren Konfusion sich seine Vorgänger schuldig gemacht haben (SW I, 448f.).25 _____________ 24 Erneut stehen wir daher vor den Problemen, die auch schon die Ursprungsfrage aufgeworfen hatte und in denen Dieter Henrich den Grund erblickt haben wollte, weshalb Fichte in seiner Spätphilosophie zu einem Absoluten gelangen musste. 25 Zum Folgenden vgl. D. Breazeale: „The ‚Standpoint of Life’ and the ‚Standpoint of Philosophy’ in the Context of the Jena Wissenschaftslehre“. In: Mues 81-104.
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Der für uns bekanntere, weil gelebte Standpunkt ist derjenige des „gemeinen“ Menschen. Darunter hat man das konkrete menschliche Individuum zu verstehen, wie es im alltäglichen Weltbezug existiert, also gleichsam eingelassen in eine Lebenswelt. Es ist der Standpunkt des gemeinen Lebens und der Wissenschaft26 (Briefe II, 85) bzw. der Erfahrung (GA IV, 2, 25ff.). Auf diesem Standpunkt sind für das „gemeine reelle Bewusstsein“ „die Dinge[,] Menschen u.s.w. unabhängig von ihm vorhanden“. Zu diesen Dingen tritt das Ich durch sein Handeln, d.h. durch Erfahrung bzw. praktische Modifikation der Objekte oder durch Kommunikation mit anderen Menschen, in Beziehung. Fichte nennt ihn daher den „praktischen Reflexionsstandpunkt“ (Briefe I, 501f.). Wichtig für diese Position ist, dass dem Ich darin nicht die eigenen Konstitutionsleistungen der Wirklichkeit als solche in den Blick kommen; die Welt scheint unabhängig vom Ich vorhanden zu sein. Dies sei im Folgenden der Standpunkt des empirischen Bewusstseins oder kurz: der empirische Standpunkt genannt. Alles, was in der Reihe des Denkens dieses Ich liegt, findet sich als Tatsache oder Phänomen im empirischen Bewusstsein wieder. Auch der Philosoph steht als Mensch auf diesem Standpunkt und vor seinem eigentlichen philosophischen Geschäft sammelt er im Leben Erfahrungen von der Wirklichkeit, d.h. notwendige Vorstellungen vom Sein der Dinge. Er fühlt sich in seinem Denken dabei nicht frei, sondern genötigt. Die Notwendigkeit des Denkens bescheinigt darin gleichsam den Realitätsbezug: Wenn das Denken nicht umhin kann, etwas auf eine bestimmte Weise zu denken, dann deshalb, weil es wirklich so ist. Während dieser Standpunkt nun von jedem Menschen bezogen werden muss, obliegt es der freien Entscheidung, einem „Akt der Freiheit“, hinter die Empirie zurückzugehen, um nach ihrem Grund zu fragen. Mit dieser neuen Stufe der Reflexion verliert der Mensch die ursprüngliche Unmittelbarkeit und bezieht den Standpunkt des spekulativen oder transzendentalphilosophischen Bewusstseins, kurz: den transzendentalen Standpunkt, Standpunkt der Wissenschaftslehre.27 Insofern der Grund _____________ 26 Man bemerke hier: Der Standpunkt der Wissenschaft(en) befindet sich insofern im Gegensatz zu demjenigen der Wissenschaftslehre, als die Einzelwissenschaften die Wirklichkeit im ganzen als gegeben annehmen, um ihr zwecks wissenschaftlicher Forschung gewisse Teilbereiche zu entnehmen, wohingegen die Wissenschaftslehre sich mit der Konstitution der Wirklichkeit überhaupt befasst. Diese Unterscheidung geht schon auf Aristoteles zurück (Metaphysik IV, 1). 27 Vgl. GA IV, 2, 25ff.; SW I, 448f., Briefe I, 501f., ebd. II, 85f. Dieser Verlust der Unmittelbarkeit ist pathetisch, nahezu rousseauistisch ausgedrückt in dem bekannten Diktum Fichtes aus einem Brief an Jacobi: „Wir fingen an zu philosophieren aus Übermut und brachten uns dadurch um unsre Unschuld; wir erblickten unsere Nacktheit und philosophieren seitdem aus Not für unsere Erlösung.“ (Briefe I, 502)
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der Erfahrung nicht seinerseits in der Erfahrung vorkommen kann, eröffnet die Spekulation einen Bereich, der gleichsam im Rücken des empirischen Bewusstseins liegt und darin auch niemals als solcher auftreten kann. Mit der Entscheidung, nicht nur zu denken, sondern vielmehr das (notwendige) Denken zu denken, vollzieht der Philosoph, wie anfangs beschrieben, eine Abstraktion weg von der bloßen Realität hin zu ihrer Erklärung, um nicht nur zu wissen, sondern das Wissen zu wissen. Dies eröffnet die Wissenschaftslehre, als Lehre vom Wissen. Auf Grund der idealistischen Option soll das notwendige Denken, die Erfahrung, aus den notwendigen Handlungen des Ich erklärt werden. Diese Handlungen des Ich bei der Konstitution der Wirklichkeit, in die nur der Philosoph Einblick gewinnt, erhalten nun aber für sein Ich dadurch eine Art Realität, dass sie von einer Denknotwendigkeit begleitet sind. Das heißt: Will man den Grund der Erfahrung des Menschen herausstellen, muss man als Vernunftwesen genau diese Handlungen ansetzen – dies fordert die Vernunft selbst. In dieser Hinsicht bildet – wie schon für das empirische Bewusstsein – die Notwendigkeit, etwas so und nicht anders denken zu müssen, die Garantie der Realität. Dabei wird keineswegs behauptet, dass die einzelnen, angesetzten Handlungen sowie die Reihe selbst an sich bestehen, und vom Philosophen lediglich aufgenommen werden müssten. Die Gründe des Raumes der Gründe existieren nicht außerhalb, sondern im Raum der Gründe bzw. im Bewusstsein des Philosophen. Ihre Sukzessivität gilt nicht für das empirische Bewusstsein: „mit einem Schlage bin ich, und ist die Welt für mich“ (GA IV, 2, 26). Das Ich, verstanden als wirkliches Selbstbewusstsein, entspringt gleichsam in einem Moment und mittels einer unteilbaren Handlung der Bewusstwerdung; aber im System müssen wir, was eigentlich nur eins ist, als eine Reihe von Handlungen betrachten, weil wir nur auf diese Art sie denken können, weil wir nur Teile und zwar nur bestimmte auffassen können; ein Gedanke muss an den andren angeknüpft werden. (ebd.)
Demnach ergibt sich für den Philosophen, sobald er versucht, den Ursprung des Selbstbewusstseins hinsichtlich seiner Bedingungen zu hinterfragen, auf Grund der Vernunftgesetze, genauer: der diskursiven Reflexionsgesetze, eine Reihe zusammenhängender Handlungen des Ich. Den Übergang zwischen den einzelnen Handlungen liefert die Deduktion, der gemäß das zuerst Gedachte nicht möglich ist, ohne den folgenden Gedanken, der seinerseits nicht möglich ist, ohne einen weiteren, usw.28 Erst nach Durchlaufen des gesamten Systems ist die ur_____________ 28 In der Deduktion zeigt der Philosoph, „dass das zuerst als Grundsatz Aufgestellte, und unmittelbar im Bewusstsein Nachgewiesene nicht möglich ist, ohne dass zugleich noch etwas anderes geschehe, und dieses andere nicht, ohne dass zugleich etwas drittes geschehe; solange, bis die Bedingung
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sprünglich einzige Handlung der Selbstbewusstwerdung des Ich in ihre Elemente analysiert und ergibt als Ganzes das Wahre: die Erklärung des wirklichen Selbstbewusstseins. Die systematisch zusammenhängenden Handlungen besitzen folglich eine Realität nur für das philosophierende Ich, sie bestehen nicht an sich. Deshalb ist auch ihr Sein nur für ein Bewusstsein, nämlich für dasjenige des Philosophen. Diese Methode können wir uns bereits durch das über die intellektuelle Anschauung Gesagte veranschaulichen. Wie gesehen dient die intellektuelle Anschauung als das unmittelbare Handlungsbewusstsein, wie sie im empirischen Bewusstsein vorliegt, dem Philosophen zum Ausgangspunkt seiner Abstraktion. Er nimmt folglich etwas aus dem empirischen Standpunkt auf, um mittels Abstraktion zum transzendentalen Standpunkt zu gelangen. Resultat dieses Vorgangs ist die formale intellektuelle Anschauung oder das absolute Ich. Man darf nun die beiden Reihen und ihre Inhalte mit der ihnen eigentümlichen Realität freilich nicht verwechseln, so dass man das absolute Ich und dessen Vollzüge verwirft, da sie nicht in der Erfahrung des gemeinen Bewusstseins vorkommen, denn das heißt dasselbe sagen, was ein ungebildeter Wilder sagen würde, wenn er spräche: eure Kausalität, und eure Wechselwirkung haben keine Realität, denn man kann sie nicht essen. (SW III, 26)
Nichtsdestoweniger besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden Standpunkten. Denn die Philosophie nimmt Inhalte des empirischen Standpunkts auf, um zu deren Gründen vorzustoßen, hält mithin stets den Kontakt zu jenem Standpunkt und fordert gerade in ihrer Eigenart als Wissenschaftslehre, den empirischen Standpunkt deduktiv abzuleiten und insofern in seiner Rechtmäßigkeit zu bestätigen. Damit erhebt sie letztlich die Forderung, das Individuum mit seiner Welt und vor allem seinem Weltverständnis aus dem absoluten Ich zu deduzieren. Der empirische Standpunkt hat zwar für sich Bestand – ich kann leben, ohne zu philosophieren –, aber seine endgültige Erklärung bezieht er nur aus dem transzendentalen Standpunkt. Zudem verblieben die unbewussten Handlungen des Ich nur reine Hirngespinste des Philosophen, wenn ihnen nicht auch etwas im empirischen Bewusstsein entspräche, ohne jedoch damit zusammenzufallen. Der formalen intellektuellen Anschauung als Ausgangspunkt der Philosophie entspricht letztlich das konkrete Handlungsbewusstsein des Menschen, das sich im empirischen Bewusstsein finden lässt. Ohne diese Vorgabe des em_____________ des zuerst Aufgewiesenen vollständig erschöpft, und dasselbe, seiner Möglichkeit nach, völlig begreiflich ist. Sein Gang ist ein ununterbrochenes Fortschreiten vom Bedingten zur Bedingung; jede Bedingung wird wieder ein Bedingtes, und es ist ihre Bedingung aufzusuchen.“ (SW I, 446)
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pirischen Bewusstseins entbehrte der Philosoph jedweden Anhaltspunktes auf der Suche nach seinem ersten Grundsatz. Diesen Ausführungen kann man bereits eine Antwort auf die Frage nach dem Realitätsstatus der apriorischen Handlungen des Ich entnehmen. Zum einen muss festgehalten werden, dass die Handlungen nicht im strengen Sinne Handlungen des (betrachteten) Ich genannt werden können, insofern sie als solche allein dem Philosophen auf Grund seiner eigenen Reflexionsgesetze in Auseinandersetzung mit der einen Handlung der ursprünglichen Selbstbewusstwerdung des Ich entstehen. Damit fällt jedoch die Frage weg, wie unbewusste Handlungen dem Ich zugeschrieben werden können. Schließlich werden sie ihm gar nicht als solche zugeschrieben. Des Weiteren aber erhalten diese Handlungen dennoch eine Art Realität, nämlich für das philosophierende Bewusstsein. Sie gehören demnach nicht zum ominösen Bereich eines An-sich; vielmehr verbleiben sie innerhalb der Immanenz des Bewusstseins. Auch hinsichtlich des Ursprungs des Selbstbewusstseins, dessen Erklärung im Zentrum der gesamten Wissenschaftslehre steht, haben wir die anfänglichen Äußerungen bestätigt: Erst alle Handlungen in einem Moment zusammengenommen, d.h. das gesamte philosophische System, können den Ursprung des Selbstbewusstseins aufschließen. Wir wollen nun gleichsam als Zusammenfassung dieses und des vorhergehenden Kapitels den Grundgedanken und formalen Aufbau des Fichteschen Systems veranschaulichen, um dann im folgenden Kapitel dessen Ausführung selbst zu untersuchen. Die Idee und Vorgehensweise seiner Transzendentalphilosophie lässt sich als durch folgende Schritte motiviert betrachten: 1) Die Frage nach dem Grund der Erfahrung: Indem der Mensch sich durch einen „Akt der Freiheit“ entschließt, nicht allein in seinem Leben und den empirischen Wissenschaften befangen zu bleiben, sondern ihre Möglichkeit zu hinterfragen, treibt er gewissermaßen die WarumFrage, in der schon seit Aristoteles der Ausdruck des menschlichen Strebens nach Wissen gesehen wurde, auf die Spitze und betritt eine neue Reflexionsstufe. 2) Der Ausgang vom absoluten Ich und dessen notwendigen Handlungen: Sich auf sein Freiheitsgefühl, in Form des Bewusstseins des Sittengesetzes, berufend entscheidet sich der idealistische Philosoph dafür, den Grund der Erfahrung im Ich und dessen notwendigen Handlungen zu suchen. Ziel ist letztlich, den Ursprung des wirklichen Selbstbewusstseins zu erklären. Die Einsicht in die idealistische Implikationskette sowie die Notwendigkeit einer Abstraktion vom empirischen Standpunkt liefert
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ihm den Weg hin zum absoluten Ich als dem reinen Selbstbewusstsein, Prinzip des transzendentalen Standpunktes. 3) Die Forderung nach Systematik: Die Einheit der Vernunft bzw. des Selbstbewusstseins gebietet letztlich, auch das Wissen um den Grund in eine systematische Einheit zu bringen. Das Ergründen des Wissens muss in wissenschaftlicher Form geschehen, also in einer Wissenschaft vom Wissen oder in einer Wissenschaftslehre. 4) Die Forderung nach dem Ausgang von Grundsätzen: Aus der gleichen Forderung nach Wissenschaftlichkeit heraus, welche die Vernunft stellt, ergibt sich die Notwendigkeit, von einem absolut gewissen Grundsatz, eben der Selbst-Setzung des absoluten Ich, auszugehen. Auf Grund der Einsicht, dass Selbstbewusstsein nicht möglich ist ohne Objektbewusstsein, muss der erste Grundsatz um zwei weitere, die Thesis um die Antithesis und die Synthesis ergänzt werden. 5) Deduktives Verfahren unter Anwendung der Reflexionsgesetze: Die Vernunftforderung nach Wissenschaftlichkeit verlangt eine strenge Methode gemäß ihrer eigenen Gesetze. 6) Realität der Handlungen des Ich: Auf Grund der bisherigen Vorgaben entsteht im philosophischen Bewusstsein ein notwendiges System von Handlungen des Ich, denen jedes Vernunftwesen folgen muss, das diese Vorgaben erfüllt. Die Denknotwendigkeit dieser Handlungen ist ihre Realität. 7) Ableitung des empirischen Bewusstseins: Da gleichermaßen gewissen Phänomenen des empirischen Bewusstseins Realität zugesprochen wird, mithin ihnen Notwendigkeit zukommt, müssen auch diese in der Wissenschaftslehre aus (notwendigen) Handlungen des Ich erklärt werden. Nur so findet sie einen Abschluss in der 8) Darstellung des empirischen Bewusstseins in seiner Individualität: Die Philosophie begibt sich damit nicht selbst auf den empirischen Standpunkt, sondern stellt diesen aus ihrer Perspektive, mithin als abgeleitet, dar.29 Dabei muss sie auch auf die Bedingungen für das Zustandekommen der Individualität eingehen. Den Anspruch der Philosophie, die ursprünglich einzige Handlung der ersten Selbstbewusstwerdung _____________ 29 Man erkennt in diesem Schema den Ausgang vom Leben (Freiheitsglauben) im Übergang zur Philosophie, welche ihrerseits mit der vollständigen Darstellung des Lebens wieder an den Lebensvollzug verweist. Ähnlich hat Lauth das Verhältnis von Leben und Philosophie bei Fichte gesehen (Lauth 1965, 123). Lauth verfolgt dabei eine Tendenz, wonach er im göttlichen Lebensbegriff den wahren Ausgangspunkt der Philosophie Fichtes sieht. Dies geschieht allem Anschein nach erst in der Spätphilosophie Fichtes. Eine ähnliche Darstellung findet sich bei Schrader (ebd. 1972). Dagegen ist das Leben beim frühen Fichte gerade der praktische Freiheitsvollzug des Subjekts. Wir werden am Ende der Untersuchung noch einmal auf das Verhältnis von Leben und Philosophie bei Fichte eingehen (s. Dritter Teil, 1.).
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analytisch zu erfassen, erhebt allein das System als Ganzes, nicht jedoch einzelne Teildisziplinen. Dies ist im Groben das Programm der Wissenschaftslehre als Fichtes Konzeption der Transzendentalphilosophie. Daraus folgt mit der Theorie der zwei Standpunkte unmittelbar die Einteilung der Wissenschaftslehre in Grundlage und Anwendung; die Wissenschaftslehre in toto umfasst eine generelle und eine spezielle Wissenschaftslehre. Damit wird die Untersuchung der Konstitutionsleistungen des Ich bezüglich der Wirklichkeit je nach Abstraktheitsgrad der Untersuchungsgegenstände an zwei verschiedene Disziplinen delegiert. Alle Philosophie steht auf dem transzendentalen Standpunkt, vom dem aus sie beginnend mit den abstrakten Strukturen, d.h. Handlungen oder Begriffen des Ich, abstrahiert von jeglicher Individualität, zu einer Darstellung des gemeinen, individuellen Bewusstseins, d.h. des empirischen Standpunktes deduktiv herabsteigen muss. Auf diesem Weg ergibt sich dabei die Einteilung in die verschiedenen Regionen des empirischen Bewusstseins, die im Zuge der Darstellung desselben in den Aufgabenbereich der angewandten Wissenschaftslehre fallen. Sie zergliedert sich nach Fichte in Naturphilosophie, Sittenlehre, Naturrechtslehre und Religionsphilosophie.30 Die gesamte Wissenschaftslehre befindet sich demnach im Spannungsfeld zwischen Spekulation und Leben, ohne dabei jemals ihren spekulativen Standpunkt aufzugeben. Vom empirischen Standpunkt aus hingegen, der auch Standpunkt der Einzelwissenschaften ist, müssen eben diese Bereiche aus einer anderen Hinsichtnahme erscheinen: So wird z.B. der Bereich der Natur auch in der Physik nach seinen allgemeinen und besonderen, empirischen Gesetzen untersucht, wohingegen in der Naturphilosophie die allgemeinen Gesetze der Natur aus notwendigen Handlungen des Ich erklärt werden; analog in Bezug auf Moral, Recht und Religion. Die angewandte Wissenschaftslehre untersucht demnach die Konstitution derjenigen Wirklichkeitsbereiche durch das Ich, die auf dem empirischen Standpunkt dem Einzelwissenschaftler als gegebene Spezialgebiete erscheinen, wohingegen die Grundlage zur Wissenschaftslehre die Konstitutionsleistungen der Wirklichkeit im Allgemeinen hinterfragt. Aus den allgemeinen, abstrakten Handlungen des Ich sowie den dabei erzeugten Begriffen aus der Grundlage ergibt sich allein für sich noch nicht die Bestimmung, auf welche Weise sie im empirischen Bewusstsein zum Tragen kommen, d.h. ihre Applikation im individuellen _____________ 30 Zu dieser Einteilung vgl. Wissenschaftslehre nova methodo (GA IV, 2, 262ff.). Die Ausnahmestellung der Ästhetik kann hier nicht erörtert werden.
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Ich.31 Die Frage, welche die speziellen Wissenschaftslehren daher zu beantworten haben, lautet: In welcher konkreten Gestalt müssen die abstrakten Konstitutionsbedingungen von Selbstbewusstsein für das empirische Bewusstsein in Erscheinung treten? Erst wenn diese Frage beantwortet ist, kann die Philosophie sicher sein, sich nicht in bloßem Gedankenspiel zu bewegen, sondern die abstrakten Grundstrukturen des empirischen Bewusstseins beschrieben zu haben, die in anderer Form, nämlich in ihrer Konkretion im letzteren vorliegen. Erst in der Herleitung des wirklichen Bewusstseins konkretisieren sich die anfangs abstrakten Handlungsstrukturen. Der Ursprung des Selbstbewusstseins kann sich nur aus diesem konkreten Zusammenspiel mannigfaltiger Elemente ergeben, als ein komplexes Geschehen, das die Philosophie in ihrem ganzen systematischen Umfang zu erhellen hat. Wir werden im Folgenden zunächst die Ausführung der Wissenschaftslehre bis zum Übergang zur praktischen Philosophie skizzieren, worin die Frage nach der menschlichen Freiheit abschließend beantwortet wird. 3. Zur Ausführung des transzendentalen Idealismus Ähnlich wie Descartes in seinen Meditationes de prima philosophia durch einen methodischen Zweifel, nur noch radikaler, gelangt Fichte durch eine transzendental-idealistische Abstraktion zu seinem höchsten Prinzip. Beiden Philosophen gemeinsam ist die Ausklammerung dessen, was dem Zweifel oder der Abstraktion nicht standhält.32 Obzwar diese Abstraktion bei Fichte niemals explizit dargestellt ist, spricht er allenthalben in seinen Schriften zur Wissenschaftslehre, besonders klar jedoch in den Einleitungen zur Wissenschaftslehre von 1797/98, von dem ersten Grundsatz seiner Philosophie, dem Sich-Setzen des Ich, der Tathandlung bzw. der (formalen) intellektuellen Anschauung, als einem Resultat einer philosophischen Abstraktion oder auch eines Schlusses (SW I, 464; IV, 2 u.a.) aus den Phänomenen des empirischen Bewusst_____________ 31 In diesem Sinne vergleicht Widmann (Widmann 1982, 12) das Verhältnis von Grundlage und Anwendung der Wissenschaftslehre mit demjenigen von reiner Mathematik und Physik: Während erstere die Formel a=bc2 bereitstellt, könne erst in der Physik die Anwendung derselben aufgewiesen werden, hier in Einsteins e=mc2. 32 Die Beziehung beider wird dargestellt von Lauth: „Descartes’ und Fichtes Konzeption der Begründung des Wissens“. In: Lauth 1994, 1ff. Dabei orientiert sich Lauth jedoch vor allem an der Spätphilosophie Fichtes und deutet Descartes im Sinne eines Transzendentalphilosophen.
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seins.33 Daher empfiehlt es sich, bevor mit dem System im eigentlichen Sinne begonnen werden kann, diese Abstraktion anhand Fichtescher Textstellen nachzukonstruieren, um so zum richtigen Verständnis seines ersten Grundsatzes zu gelangen. Den Leitfaden dieses Vorgehens bietet die von uns herausgearbeitete idealistische Implikationskette. Die Rückführung des Seins auf Bewusstsein, wie die Rückführung des Bewusstseins auf Selbstbewusstsein motiviert den Aufstieg zum unhintergehbaren Grund allen Seins und Bewusstseins: das unmittelbare Wissen um das Bewusstsein als um eine Tätigkeit des Ich, die auf äußere Objekte oder auch auf das objektive Ich selbst gehen kann: das „sich Setzen als setzen (irgendein Objektives, welches auch ich selbst, als bloßes Objekt, sein kann)“ (SW I, 528), d.h. die intellektuelle Anschauung. Die Abstraktion sucht demnach die intellektuelle Anschauung als das eigentlich Ichhafte in jeglichem Bewusstsein zu isolieren und auf diese Weise zum Wesen des Ich vorzudringen. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt bei den Vorstellungen des äußeren Seienden für das Bewusstsein als demjenigen, was dem Ich am äußerlichsten, nicht zu seinem Wesen gehörig erscheint (i), dem eigentlichen Nicht-Ich. Der Anfang mit dem Äußersten ermöglicht, zum eigentlich Innersten, dem Wesenskern des Ich, vorzustoßen, nachdem der gesamte Umkreis des Bewusstseins ausgeschöpft ist. Nach dieser Ausklammerung der Welt im weitesten Sinne aus dem Bewusstsein bleibt demselben lediglich sein eigenes objektives Sein für sich vorhanden. An dieser Stelle war Descartes bei seinem methodischen Zweifel in den Meditationen stehen geblieben, da er hierin ein „fundamentum inconcussum“, eine nicht zu bezweifelnde Grundlage allen Wissens gefunden zu haben vermutete, deren Existenz nicht auf sinnvolle Weise geleugnet werden könne. Um leugnen zu können, müsse der Leugnende immer schon sein. Allein, verharrt der reflektierende Philosoph bei seinem eigenen Sein und bestätigt dieses in seiner Unbezweifelbarkeit, fällt er allzu leicht der Gefahr anheim, dieses zu substantialisieren, so in der res cogitans geschehen. Dabei verkennt er, dass auch dieses Sein lediglich für ein Bewusstsein ist, also auch noch davon abstrahiert, obzwar nicht karte_____________ 33 „Die intellektuelle Anschauung, welche der Transzendental-Philosoph jedem anmutet, der ihn verstehen soll, ist die bloße Form jener wirklichen intellektuellen Anschauung [im empirischen Bewusstsein; CB]; die bloße Anschauung der inneren absoluten Spontaneität, mit Abstraktion von der Bestimmtheit derselben. Ohne die wirkliche wäre die philosophische nicht möglich; denn es wird ursprünglich nicht abstrakt, sondern bestimmt gedacht.“ (SW IV, 47f.) Die Bedeutung der Abstraktion in diesem Punkt betont bereits Guéroult (Guéroult 200f.).
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sisch, d.h. methodisch, daran gezweifelt werden kann.34 Fichte vollzieht nun diesen Schritt, indem er in der radikalen Abstraktion von allem Sein auch das Sein des Bewusstseins für sich nicht verschont (ii). Doch was bleibt nach dieser radikalen Abstraktion letztlich noch übrig? Kann man hinsichtlich dieses leeren Bewusstseins überhaupt noch von einem Bewusstsein reden? An dieser Stelle tritt die intellektuelle Anschauung als unmittelbares Handlungsbewusstsein auf den Plan, indem sie gerade nicht das Objekt, sondern die auf ein Objekt gehende Tätigkeit des Ich, also den Bewusstseinsakt zu ergreifen erlaubt. Zwar ist von allem Sein abgesehen, aber dem Subjekte kommt, wenn von allem Sein desselben [ii] und für dasselbe [i] abstrahiert ist, nichts zu, denn ein Handeln; es ist insbesondere in Beziehung auf das Sein das Handelnde. (SW I, 457)
Von seinem Handeln kann nun aber nur insofern sinnvoll gesprochen werden, als sich das Ich seinerseits dieses Handelns als des seinigen bewusst ist. Dies ermöglicht ihm das unmittelbare Bewusstsein, dass es handelt und was es handelt, also die intellektuelle Anschauung. Zum Wesen des Ich gehört demnach nicht eigentlich sein bloßes Sein, schon gar nicht das Sein der äußeren Objekte, sondern nur seine eigene Tätigkeit, in der es zugleich unmittelbar bei sich, seiner selbst bewusst. Alles, von welchem ich abstrahieren, was ich wegdenken kann [...], ist nicht mein Ich, und ich setze es meinem Ich bloß dadurch entgegen, dass ich es betrachte als ein solches, das ich wegdenken kann. (SW I, 244)
Nun kann ich von meinem eigenen Sein (für mich) abstrahieren, also muss mein Wesen in etwas anderem liegen: in meiner Tätigkeit. Betrachten wir nun diese Tätigkeit und die Auswirkungen der Abstraktion darauf etwas genauer. Denn mit der Aussonderung vom bestimmten Sein wurde zugleich von bestimmten Bewusstseinsakten, also Tätigkeiten, abgesehen, die auf dieses Seiende gingen. Mit ersterem wurde also auch letzterem die Wesentlichkeit für das Ich abgesprochen. Nennt man mit Fichte diejenige Tätigkeit, die auf Objekte geht, „objektive Tätigkeit“ (SW I, 237f.), so sonderte der erste Schritt (i) davon alle Tätigkeiten aus, die auf bloß äußerliches Sein gingen, und hinterließ lediglich diejenige, welche auf das Ich selbst als Objekt ging. Da nun aber auch noch dieses Sein im Prozess der Abstraktion seine Auf_____________ 34 Selbstverständlich sind der kartesische Zweifel und die Fichtesche Abstraktion verschiedentlich motiviert; auch Fichte würde wohl keineswegs am Sein des Bewusstseins oder des Ich für sich zweifeln wollen. Dennoch kann er davon abstrahieren, um zum tieferen Wesenskern des Ich vorzustoßen. Aus der Sicht Fichtes, die im Unterschied zu Descartes eine transzendentalphilosophische ist, muss daher der zweifelnde Zugang zum Ich defizitär bleiben.
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lösung fand (ii), der Tätigkeit folglich jeglicher Objektbezug abgesprochen wurde, bleibt als Resultat der Abstraktion allein die „reine Tätigkeit“ erhalten. Was hat man nun unter dieser reinen Tätigkeit zu verstehen? Da ihr kein Objekt als äußere Schranke entgegensteht, definiert sie Fichte als unendlich und in sich zurückgehend: Die reine Tätigkeit des Ich allein, und das reine Ich allein ist unendlich. Die reine Tätigkeit aber ist diejenige, die gar kein Objekt hat, sondern in sich selbst zurückgeht. (ebd. 256)
Sie wird folglich mit dem reinen oder auch absoluten Ich identifiziert, das nichts anderes als das Setzen seines eigenen Seins als Tätig-Seins oder die absolute Selbsttätigkeit ist. Wie muss man sich nun das Verhältnis der intellektuellen Anschauung zu dieser Tätigkeit denken? Zum einen ergibt sich unmittelbar aus ihrer Definition, dass sie das unmittelbare Bewusstsein der reinen Tätigkeit als reiner Tätigkeit bereitstellt, das Bewusstsein, dass ich rein tätig bin. Mehr noch: Da das Ich in nichts anderem besteht als in reiner Tätigkeit, bin ich mir in dieser formalen intellektuellen Anschauung unmittelbar meines eigentümlichen Seins bewusst, also dass ich bin und was ich bin, nämlich reine Tätigkeit. Zum anderen könnte jedoch der Verdacht entstehen, es läge eine Differenz zwischen (formaler) intellektueller Anschauung und reiner Tätigkeit vor. Dies ist aber keineswegs der Fall, wie im Ausgang von beiden „Seiten“ gezeigt werden kann: Der intellektuellen Anschauung der reinen Tätigkeit steht kein Objektbewusstsein mehr gegenüber, insofern sich die Tätigkeit als rein und in sich zurückgehend erweist. Damit aber kann sie sich ebenso wenig die reine Tätigkeit gegenüberstellen, d.h. diese etwa als Objekt verstehen. Das wäre nur möglich, wenn an dieser Tätigkeit etwas „Objektives“, mithin von der intellektuellen Anschauung Verschiedenes zu finden wäre. Damit muss mit dem Fehlen des Objektiven der Unterschied wegfallen. Da das Entgegenstellen für das Ich ein Leiden bedeutete, im Sinne einer Einschränkung der Tätigkeit, ergibt sich für den höchsten Punkt der Fichteschen Philosophie: „Es ist kein Leiden da: Eine Handlung wird angeschaut, u. diese Handlung ist die Anschauung.“ (GA IV, 2, 144) Betrachtet man hingegen die reine Tätigkeit, folgt die gleiche Einheit. Denn unter Absehen von auf Objekte gehende Bewusstseinsakte gelangte die Abstraktion zu einem reinen Bewusstseinsakt, der aufgrund des Fehlens jedweder Objektbezüge in sich zurückgeht, damit aber zugleich reines Selbstbewusstsein, also (formale) intellektuelle Anschauung ist. Mit diesem Zusammenfallen beider Aspekte im höchsten Prinzip der Fichteschen Philosophie zeigt sich die absolute Einheit „vor“, d.h. unter Absehen von ihrer Zweiteilung in Theorie und Praxis, Subjekt
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und Objekt.35 Mag sie auch mit Mitteln diskursiven Denkens nur plausibel, aber nicht gänzlich einholbar sein, so erweist sich darin nicht ihre Untauglichkeit als Prinzip, sondern vielmehr die Eigenart der intellektuellen Anschauung als eigenständiger Erkenntnisinstanz. Die reflexivdiskursive Abstraktion nähert sich so einem Element des Bewusstseins, das letztlich nicht vollkommen mit ihren Mitteln zu fassen ist. Die absolute Identität im Selbstbewusstsein kann nicht weiter reflexiv beschrieben werden, ohne dadurch unmittelbar aus ihr herauszutreten. Aus diesem Grund kann sie als reine Tätigkeit auch nicht weiter bestimmt werden, sondern muss in ihrer Unbestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit festgehalten werden: Jenes ursprüngliche Setzen nun [...] ist NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen usf., sondern es ist die gesamte Tätigkeit des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewusstsein nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondre (u. lediglich insofern ein Bewusstsein bildende) Akte des Gemüts Bestimmbare, keineswegs aber ein Bestimmtes ist. (Briefe I, 478)
Die transzendentalphilosophische Abstraktion, die von allem Bestimmten ausgeht und davon absehend zum reinen Ich als dem gänzlich unbestimmten Bestimmbaren aufsteigt, kann nur dann richtig verstanden werden, wenn man in ihrem Ergebnis des Substrates der gesamten Wirklichkeit ansichtig wird. Alles Bestimmte, von dem abstrahiert wurde, erweist sich letztlich als Bestimmung dieses Bestimmbaren, der reinen Tätigkeit, die daher als höchstes Abstraktum allem Konkreten zu Grunde liegt. Es ist wahrscheinlich, insofern sich diese Tätigkeit als Resultat einer Abstraktion von den bestimmten objektiven Tätigkeiten und jeglichem bestimmten Sein ergeben hat, sie in allen diesen, gleichsam als Gattung in den Arten oder zumindest als allgemeinsten Begriff, wiederfinden zu können. Und in der Tat erinnert die Formulierung des Bestimmbaren, das erst durch die besonderen Tätigkeiten bestimmt wird, an die aristotelische Definition der Gattung als Materie, die durch die artspezifische Differenz als Form bestimmt wird, als die bloß be-
_____________ 35 In eben dieser Position der intellektuellen Anschauung vor der Unterscheidung in theoretischer und praktischer Intentionalität fasst Fichte die Grundbedingung von Intentionalität überhaupt zusammen. Der Primat des Praktischen, ausgedrückt im Ausgang vom Glauben an die menschliche Freiheit, bewirkt, dass sich das in diesem Glauben gewonnene höchste Prinzip im weiteren Verlauf vor allem im praktischen Selbstverhältnis des Menschen vollziehen wird. Insofern wird auch das theoretische Verhalten letztlich im praktischen fundiert. Für Versuche, die eher mit einer theoretischen Konzeption des Selbstverhältnisses sympathisieren, muss Fichtes Philosophie letztlich inkonsistent erscheinen. Vgl. Neuhouser 1990, 169f. und v.a. Hegel.
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stimmbare Möglichkeit gegenüber der bestimmten Wirklichkeit von Tätigkeit.36 Nun könnte man zwar einwenden, dass diese reine Tätigkeit gerade im Gegensatz zu den objektiven Tätigkeiten in sich zurückgeht, mithin diese Charakterisierung der Rückläufigkeit der Tätigkeit das Ergebnis der Abstraktion verfälsche, da das Abstraktum gerade nicht in den Konkreta vorkomme. Doch betont Fichte, dass selbst die objektive Tätigkeit, wie hier im Zitat die sinnliche Anschauung, vom Gesichtspunkte einer transzendentalen Philosophie [...] ein in sich selbst zurückgehendes Ich [ist], und die Welt nichts weiter sei, als das in seinen ursprünglichen Schranken angeschaute Ich. (SW III, 18)37
Damit erweisen sich sowohl das Objektbewusstsein (die objektiven Tätigkeiten) als auch die Welt als bestimmte (d.h. nicht reine) in sich zurückgehende Tätigkeit, als ein bestimmter Ausschnitt aus der Sphäre der unendlichen und unbestimmten in sich zurückgehenden Tätigkeit. So wird erst klar, zu welchem Punkt die Abstraktion vordringt. War für die Tradition das reine Sein der höchste Allgemeinbegriff, der allem bestimmten Seienden zugesprochen werden musste, ohne selbst bestimmt zu sein, ersetzt ihn Fichte durch den Begriff der reinen Tätigkeit: Alles ist Tätigkeit des Ich.38 Mit der reinen Tätigkeit geht Fichte auf die fundamentale Ermöglichungsbedingung von Selbstbewusstsein zurück, ausgedrückt in der Tathandlung als dem ersten Grundsatz: „Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein.“ (SW I, 98) Im Sich-Setzen, der ursprünglichen Thesis, kommt das reine Selbstbewusstsein bzw. Selbstverhältnis zum Ausdruck, das noch „vor“ allem Objektbewusstsein und überhaupt vor allem empirischen Bewusstsein sowohl die bloße ursprüngliche Einheit als auch die Absolutheit des Ich bezeichnet. Darin fallen zum einen Tat und Handlung, Subjekt und Objekt, Setzendes und Gesetztes in eins, zum anderen bewirkt das Ich ohne äußere Gründe oder Ursachen durch absolute Spontaneität sein eigenes Sein. _____________ 36 Zu dieser Parallele vgl. Stolzenberg 188ff. 37 GA IV, 2, 40: „Das Nicht-Ich ist also nichts anderes, als bloß eine andere Ansicht des Ich. Das Ich als Tätigkeit betrachtet gibt das Ich, das Ich in Ruhe betracht[et]. das Nicht-Ich.“ 38 An dieser Stelle tritt m. E. das in seiner Radikalität Neue an der Fichteschen Philosophie zum Vorschein, insofern er den für die Tradition allgemeinsten Begriff des reinen Seins selbst noch im Begriff einer reinen Tätigkeit des Ich auflöst und überhöht. Dieser Unterschied kennzeichnet die sogenannte „aktivistische“ Philosophie Fichtes gegenüber ontologischen Positionen, worunter auch die Aristotelische zu zählen ist, die mit ihrem Seinsbegriff demjenigen der Tätigkeit (als enérgeia) zwar sehr nahe kommt, aber darunter nicht Tätigkeiten des Ich versteht.
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Ich und Sich-Setzen sind dabei identische Begriffe. Das Wesen des Ich besteht ausschließlich darin, sich selbst zu setzen. Mit diesem reinen Selbstverhältnis konstituiert sich das Ich selbst als reines Für-sichSein. Dasjenige, dessen Sein (Wesen) bloß darin besteht, dass es sich selbst als seiend setzt, ist das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich setzt, ist es; und so wie es ist, setzt es sich; und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin, und notwendig. Was für sich selbst nicht ist, ist kein Ich. (ebd. 97)
Hinsichtlich der Ursprungssituation des menschlichen Selbstbewusstseins bedeutet dies, dass das Ich sich aus absoluter Freiheit heraus ohne äußeren Zwang vollziehen muss. Es kann aber seine ursprüngliche Freiheit nur auf diese Weise nutzen, dass es sich selbst setzt. Andere Tätigkeiten sind ihm zu Beginn verschlossen: Wenn das Ich handelt, dann ist dieses Handeln ein Sich-Setzen. Mit diesem reinen ist jedoch noch kein wirkliches Selbstbewusstsein erreicht, für das neben der Einheit immer auch die Bewusstseinstrennung bestehen muss, etwas, das nicht in der bloßen Identität des Ich aufgeht, somit auch nicht Ich ist. Deshalb „wird dem Ich schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich“ (ebd. 104). Es handelt sich bei dieser ursprünglichen Antithesis um den zweiten Grundsatz, weil er nicht vollständig aus dem ersten herzuleiten und daher zum Teil unbedingt ist. Ebenso wie wir im ersten Grundsatz das reine Selbstbewusstsein zum Ausdruck gebracht sahen, wird hier – so könnte man sagen – das reine Objektbewusstsein beschrieben. Das Ich setzt darin noch keine wirklichen Gegenstände, wie es zuvor noch kein wirkliches Ich gesetzt hatte, es eröffnet vielmehr die Möglichkeit von Objektivität. Nun darf man nicht vergessen, dass beide Handlungen, das Setzen wie das Entgegensetzen, vom Ich ausgehen, das Ich sich zum einen absolut setzt, zum anderen ein Nicht-Ich entgegensetzt. Damit widerspricht der zweite Grundsatz augenscheinlich der Absolutheit des Ich aus dem ersten Grundsatz. Um beide Grundsätze miteinander zu vereinbaren, bedarf es daher eines dritten Grundsatzes, wobei einerseits die Absolutheit des Ich, andererseits das Entgegensetzen eines Nicht-Ich (und damit die Endlichkeit des Ich) erhalten bleiben müssen. Weil zwar aus den vorherigen Grundsätzen abzuleiten ist, dass zu vereinen sei, aber nicht wie, letzteres also unbedingt, im Sinne von unbegründbar, bleibt, handelt es sich in diesem Fall um einen weiteren, einen dritten Grundsatz, die ursprüngliche Synthesis. Dies kann nun dadurch gelingen, dass „schlechthin das Ich sowohl als das Nicht-Ich teilbar gesetzt“ (ebd. 109) werden, d.h. es kann dem Nicht-Ich Realität verliehen werden, indem die Gesamtheit der Realität als quantifizierbar und somit als zwischen Ich und Nicht-Ich aufteilbar gesetzt wird. Alles, was dann
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dem Nicht-Ich zugeschrieben wird, wird dem Ich nicht zugeschrieben, d.h. entgegengesetzt und umgekehrt. Das absolute Ich wird dadurch bewahrt, dass es nicht mit demjenigen Ich, dem das Nicht-Ich entgegengesetzt wird, zusammenfällt. Auf welche Weise es weiterhin im Bewusstsein Bestand haben wird, zeigt sich endgültig im praktischen Teil der Wissenschaftslehre. Erst durch das gleichzeitige Setzen von Ich und Nicht-Ich aus dem dritten Grundsatz entsteht die Allheit der Realität innerhalb der Einheit des Bewusstseins (ebd. 109). Auch das unteilbare absolute Ich liegt in diesem Bewusstsein. So ist in diesem Bewusstsein [...] gesetzt das absolute Ich, als unteilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegensetzt wird, als teilbar. Mithin ist das Ich, insofern ihm ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird, selbst entgegengesetzt dem absoluten Ich. (ebd. 110).
Die anfängliche Identität bleibt gewahrt, indem sie sich ebenso auf die Differenz bezieht, durch welche Handlung jedoch auch in das Ich selbst, als teilbares, die Differenz Einzug findet und damit der reinen Identität entgegenzusetzen ist. All das findet in der Einheit des Bewusstseins statt. Diese ist nichts anderes als die Einheit der drei Grundsätze, die umfassend in der Dreiheit eines Grundsatzes formuliert werden kann: „Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares NichtIch entgegen.“ (ebd.)39 Da in dieser Prinzipientrinität diejenige Erkenntnis offenbar wird, über die hinaus keine Philosophie geht, bis zu der aber jede gründliche Philosophie zurückgehen soll (ebd.), ist mit ihr das Fundament der Wissenschaftslehre gelegt. Aus dieser Ursynthesis, in der die Bedingung der Möglichkeit der Bewusstseinseinheit liegt, lassen sich nun Lehrsätze gewinnen, die den wissenschaftlich-deduktiven Fortgang vorantreiben. Er besteht darin, auftretende Widersprüche, welche die anfängliche Identität zu vernichten drohen, in neuen Synthesen aufzulösen. Der Folgesatz ergibt sich demnach immer dadurch, dass ohne ihn die durch die Grundsätze aufgewiesene Grundstruktur des Bewusstseins, damit die ursprünglich synthetische Einheit des Bewusstseins, nicht möglich wäre. Er bezieht dementsprechend seine Gewissheit letztlich aus der höchsten Gewissheit der Grundsätze. Da das teilbare Ich nun wie das teilbare Nicht-Ich in der gleichen Sphäre der Realität liegen, besteht ein gegenseitiges Beschränkungs_____________ 39 Dieser Satz „soll die Einheit von Unendlichkeit und Endlichkeit, das Eigentümliche der menschlich-endlichen Vernunft zum Ausdruck bringen. Zusammen umreißen die Grundsätze den Wesensbegriff der endlichen Vernunft, und so bilden sie nur einen Grundsatz. Das eine Grundsätzliche – die endliche Vernunft – wird in jedem Grundsatz nach einer anderen Seite hin gedacht. Jeder Grundsatz er‚gänzt‘ sich durch die übrigen, und die übrigen ergänzen sich in ihm.“ (Baumanns 1972, 50)
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und daher Bestimmungsverhältnis, das in zwei Richtungen wirksam wird. Zum einen setzt das Ich sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich, zum anderen setzt das Ich das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich (ebd. 125f.), das erste Verhältnis begründet die theoretische40, das zweite die praktische Philosophie. Da, bevor das Ich auf etwas einwirken kann, dieses Etwas zuallererst für das Ich Wirklichkeit besitzen muss, wird der Ausgang vom Theoretischen gefordert, in dessen Rahmen erklärt werden soll, weshalb und auf welche Weise dem Nicht-Ich im Bewusstsein Realität zugestanden werden kann. Dennoch werden wir später sehen, dass die theoretische Philosophie nicht notwendigerweise der praktischen vorangehen muss, die entgegengesetzte Reihenfolge ist ebenso denkbar.41 Unter der Voraussetzung einer Wechselwirkung zwischen Ich und Nicht-Ich liefern die produktive Einbildungskraft und der Verstand die Grundstrukturen der Sinnenwelt. Diese kategorialen Bestimmungen erfolgen aus der Notwendigkeit, mit welcher sich das Ich seine Beschränktheit durch das Nicht-Ich ins Bewusstsein ruft und in die Form der konstituierten Wirklichkeit erhebt. Durch erkennende Aneignung des Nicht-Ich erhält das Ich seine Identität. Dabei bleibt innerhalb der theoretischen Philosophie ungeklärt, warum die ursprünglich reine Tätigkeit zur objektiven wird, warum sich das Ich einer Gegenständlichkeit gegenüber und damit beschränkt findet. Die Theorie fußt demnach auf dem Faktum der ursprünglichen Beschränktheit des Ich. Ihre Begründung findet diese Annahme nach Fichte im Rahmen der praktischen Philosophie, genauer: in der praktischen Tätigkeit des Strebens. Die gesamte praktische Philosophie hat nun die Aufgabe, dieses Streben sowie seine Bedingungen vollständig aufzuklären. Während die Sittenlehre sich mit den inneren Voraussetzungen des Strebens befasst (hier: II.), wendet sich die Rechtslehre den äußeren Bedingungen in der Sinnenwelt zu (III.). Nach einer vorläufigen Analyse des Begriffes des Strebens sollen die Grundlagen der Fichteschen Sittenlehre im folgenden Kapitel erörtert werden.
_____________ 40 Hinter diesem Lehrsatz der theoretischen Philosophie hat man wohl in nuce den Reinholdschen Satz des Bewusstseins zu vermuten. Dies erklärt, warum Fichte ihn zwar nicht als Grundsatz ansieht, aber dennoch als einen Satz, der aus Grundsätzen notwendig folgt. Vgl. SW I, 3ff. 41 Zu dieser Reihenfolge vgl. WL nova methodo (s.u. S. 50 Anm. 2).
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II. Die Sittenlehre: Die inneren Bedingungen der Freiheit 1. Die Anfangsgründe des Praktischen: Das Streben und die Reflexion Die Einführung der praktischen Philosophie1 im Rahmen von Fichtes System kann auf zweierlei Weise geschehen. Neben einem genetischdeduktiven, mithin direkten Weg besteht zudem die Möglichkeit eines apagogischen, indirekten Verfahrens (SW I, 271). Diese beiden Herangehensweisen an das Praktische, die Fichte hintereinander am Anfang des fünften Paragraphen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre aufnimmt, folgen aus dessen Stellung im System. Ausgehend von den drei Grundsätzen ergaben sich zwei Lehrsätze, mittels derer die Gebiete des Theoretischen und des Praktischen abgesteckt werden konnten. Anschließend an den ersten Lehrsatz: „das Ich setzt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich“ (SW I, 126) hatte Fichte im vierten Paragraphen seine theoretische Philosophie entwickelt. Der zweite Lehrsatz, wonach das Ich das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich setzt (ebd.), liefert die Grundlage für die praktische Philosophie, die ab dem fünften Paragraphen Thema der Schrift ist. Insofern sich nun beide Lehrsätze aus den gleichen Grundsätzen ergeben, besteht zwischen ihnen selbst bzw. den durch sie begründeten Disziplinen eine gewisse Unabhängigkeit. Zwar betont Fichte die Notwendigkeit, zunächst die Art der Realität des Nicht-Ich im Theoretischen zu untersuchen, bevor deren Einschränkung durch das Ich im Praktischen verstanden werden kann, doch lässt sich deswegen keineswegs die praktische der theoretischen Philosophie unterordnen.2 Ebenso wenig kann aus dem später resultierenden Primat des Praktischen auf eine absolute Unterordnung des Theoretischen geschlossen werden. Sowohl die theoretische als auch die praktische Philosophie ziehen ihre Erkenntnisse aus dem ihnen eigenen Lehrsatz. In diesem Sinne gibt es keinen streng deduktiven Übergang von der theoretischen zur praktischen Philosophie, vielmehr behalten beide Disziplinen eine relative Selbstständigkeit. Der unmittelbarste und aus dem Vorhergehenden einleuchtende Einstieg in die praktische Philosophie resultiert daher aus der Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Lehrsatz. _____________ 1 2
Zum Streben als Grundbegriff der praktischen Philosophie Fichtes: Janke 1970, 162ff.; Baumanns 1972, 127ff.; Weischedel 68ff. Vielmehr wird Fichte selbst daneben eine andere, neue Methode entwickeln, wonach im Ausgang vom Praktischen das Theoretische entwickelt werden kann. Diese zwei Methoden, die gleichermaßen möglich sind (Fichte widerruft keine der beiden!), deuten auf die relative Selbstständigkeit beider Disziplinen. Die neue Methode ist zu finden in der Wissenschaftslehre nova methodo (vgl. dazu GA IV, 2, 67).
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Nun kann man aber die Anfangsgründe des Praktischen auch auf eine andere Weise auffinden. Da die theoretische Philosophie bereits ausgeführt vorliegt, indem sie denjenigen Bereich der gesamten Realität, der ihren Untersuchungen zugänglich ist, vollständig erschlossen hat, kann von ihr aus gleichsam ex negativo erfasst werden, was noch aussteht. Das von der theoretischen Philosophie noch nicht Erklärte bliebe dann der praktischen Philosophie anheim gestellt, denn jenseits der beiden Lehrsätze und Disziplinen gibt es nach Fichte keine weiteren, unmittelbar aus den Grundsätzen folgenden Lehrsätze. Verdeutlichen wir uns dieses Verfahren: Die theoretische Philosophie gründet auf einem Lehrsatz, den sie in seiner Gültigkeit nicht mehr hinterfragen kann, da er ihre Grundlage und ihren Ausgangspunkt, ihr Axiom darstellt. Im Hinblick auf die Grundsätze der Wissenschaftslehre ergibt sich nun aus dem Gelten des Lehrsatzes ein Widerspruch, der die Einheit des Systems zu zerstören droht. Das Problem stellt sich folglich solange nicht, als man sich ausschließlich im Rahmen der theoretischen Philosophie bewegt. Erst ein Rückbezug ihrer Ausführungen auf die geltenden Grundsätze schafft den Widerspruch. Augenscheinlicher Grund dafür ist, dass die vom absoluten Ich aus geforderte Synthesis von Ich und Nicht-Ich im dritten Grundsatz von der theoretischen Philosophie nur einseitig angegangen und vollzogen wird. Ihr misslingt es daher notwendigerweise, die gesamte Realität in ihrer möglichen Synthesis zu beschreiben. Ihre Einseitigkeit provoziert einen Widerspruch, der in der Antithese zweier Forderungen besteht, die im bisherigen Verlauf des Systems aufgetreten sind. Während nach dem ersten Grundsatz das absolute Ich reine in sich zurückgehende, mithin unendliche Tätigkeit ist, der nichts außerhalb ihrer selbst entgegengesetzt ist, findet sich das theoretische Ich gemäß seines Lehrsatzes durch ein nicht in seiner Macht stehendes Nicht-Ich beschränkt. Die Intelligenz zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf Objekte gehende, also endliche Tätigkeiten hervorbringt. Insofern das Ich theoretisch ist, kann es somit nicht absolut; insofern es aber absolut ist, kann es nicht beschränkt sein. Obzwar beide Bestimmungen dasselbe Ich betreffen, droht dieser Widerspruch, das Ich in zwei Entitäten aufzuspalten.3 Die theoretische Philosophie rechnet im Vorhinein mit der Endlichkeit und Beschränktheit des Ich durch ein Nicht-Ich. Zu ihrem Fortgang genügt es, dass sie diesen Sachverhalt durch die Annahme eines Anstoßes erklärt, welcher der reinen Tätigkeit des Ich widerfährt. Statt die Unendlichkeit auszufüllen und in sich zurückzugehen, soll die _____________ 3
Dies hat nach Fichte Spinoza getan, indem er zwischen absoluter, göttlicher Substanz und dem Menschen als deren endlicher Modifikation unterschieden hat (SW I, 100f.).
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Tätigkeit des Ich auf Grund eines unerklärlichen Anstoßes aufgehalten und in sich reflektiert werden. Daran schließen sich unmittelbar die Konstitutionsleistungen des Ich im Hinblick auf die Wirklichkeit an. Auf welche Weise nun dieser Anstoß zu denken sei, darf die theoretische Philosophie verständlicherweise nicht mehr interessieren, da dies jenseits ihrer Disziplin und Kompetenz liegt. Ihr genügt es, den Anstoß als Faktum zu postulieren. Dem Nicht-Ich muss letztlich deshalb Realität jenseits des Ich zugesprochen werden, weil ein Anstoß außerhalb des Ich dessen ursprüngliche Beschränktheit evoziert. Die dadurch ermöglichte theoretische Welterkenntnis ist dann nichts anderes als die Versinnlichung und Reflexion dieser ursprünglichen Schranke. Es leuchtet wohl ein, dass der Anstoß eine folgenschwere Annahme für die idealistische Philosophie impliziert oder zumindest implizieren könnte. Wenn nämlich dem Programm die Treue gehalten werden soll, die gesamte Realität aus Tätigkeiten des Ich zu erklären, dann scheint dem die Annahme einer Entität jenseits dieser Tätigkeiten eindeutig zu widersprechen. Das Ich ginge seiner Absolutheit verlustig, wenn ihm nicht nur etwas entgegengesetzt würde, sondern es sogar in einigen Hinsichten in seiner Existenz, nämlich als theoretisches Ich, davon abhängig wäre. Der Widerspruch zwischen absolutem und theoretischem Ich spitzt sich demnach in der Entgegensetzung von Ich und einem als Anstoß bezeichneten Nicht-Ich zu. Die absolute Immanenz des Selbstbewusstseins droht der Annahme eines absolut Äußeren Platz zu machen. Es stellt sich folglich die Frage, ob Fichte mit der Konzeption des Anstoßes nicht erneut dem von ihm so heftig kritisierten Ding an sich Einlass in seine Philosophie gewährt hat.4 Ohne uns an dieser Stelle auf eine ausführliche Untersuchung der Differenz des Kantischen Dinges an sich und des Fichteschen Anstoßes einzulassen, sei folgendes dazu angemerkt: Kant führt bekanntermaßen in der Kritik der reinen Vernunft das Ding an sich als diejenige Instanz ein, welche zu den Konstitutionsleistungen des Subjekts hinzu zu denken ist, um Erfahrungserkenntnis erklären zu können. Demnach kommen die Empfindungen als Materie der Vorstellungen im Gegensatz zu den Formen der Anschauung nicht durch eine produktive Leistung des Subjektes zustande, sondern machen gerade das genuin durch das Ding an sich Bewirkte, das schlechthin Empirische und vom Ich nur zu Rezipierende, aus. Schon sehr früh nach ihrem Erscheinen hat diese Konzeption für Aufregung und vor allem Ablehnung beim gelehrten Publikum gesorgt.5 Auch Fichte zufolge widerspricht die Ein_____________ 4 5
Vgl. Soller 1997. Man denke u.a. an die Kritik Jacobis. Wir haben oben bereits gesehen, dass für Fichte die Annahme eines Dinges an sich einer dogmatischen Blickrichtung entspringt.
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führung eines Dinges an sich als das die Empfindung Bewirkende der Einschränkung alles menschlichen Erkennens auf die Immanenz des Selbstbewusstseins und damit dem Projekt des transzendentalen Idealismus.6 Da das Ich für Fichte zudem bloße Tätigkeit ist, kann die Empfindung nicht länger der Rezeptivität des Ich beigemessen werden. Fichte bezieht folglich auch die Materie der Empfindung in die tätige Leistung des Ich, genauer: der produktiven Einbildungskraft mit ein. Alles im menschlichen Bewusstsein Vorkommende entspringt der eigenen Tätigkeit des Ich. Dennoch bedarf es weiterhin eines äußeren Anstoßes, um die Einbildungskraft gleichsam in Gang zu setzen, weil sie ohne diesen untätig bliebe. Neben der Tatsache, dass in dieser Konzeption der Anstoß eine weitaus geringere Funktion als das Ding an sich bei Kant erfüllt, zeigt sich ein bedeutender Unterschied bereits in der Benennung. Ein Ding an sich könnte man für eine an sich bestehende, obzwar unerkennbare Entität halten, kraft welcher sich dann „auch“ eine Affizierung der menschlichen Sinnlichkeit ereignet. Ein Anstoß dagegen ist nur zu denken als wesentlich bezogen auf ein anzustoßendes Ich. Ist es noch sinnvoll anzunehmen, dass es Dinge an sich ohne menschliches Bewusstsein gibt, so ist es sinnlos zu fragen, ob ein Anstoß ohne ein Anzustoßendes sein kann. Man könnte darauf nur antworten: Als Anstoß kann es ihn nicht geben. Was der Anstoß aber außer seiner Funktion als Anstoß noch sein könnte, entzieht sich jeder vernünftigen Antwort, will man nicht erneut ein Ding an sich dahinter ansetzen. Fichte beabsichtigt keineswegs, durch die Konzeption des Anstoßes zu erklären, wie das Ich bestimmt oder beschränkt werde, da dies in den Machtbereich der produktiven Einbildungskraft fällt, sondern allein, dass das Ich bestimmt und beschränkt wird.7 In diesem unverfügbaren „Dass“ kündigt sich das postulierte Faktum der theoretischen Philosophie an, das zugleich ihre Grenze markiert. _____________ 6
7
Nach Fichtes Dafürhalten entspricht eine derartig widersprüchliche Konzeption indes nicht dem Vorhaben Kants, sondern nur einer falschen Interpretation. Seine präzisere Behandlung dieses Problems zeigt auf, dass er die Kritik an Kant durch den neuen Begriff des Anstoßes abweisen will (SW I, 468). In seinen Schriften nach 1794 wird Fichte den Begriff des Anstoßes durch denjenigen der ursprünglichen Beschränktheit oder Gebundenheit (GA IV, 2, 68) des Ich ersetzen. So will er noch mehr der Gefahr entgehen, den Anstoß zu substantialisieren. Der Sachverhalt, dass das Sein des Anstoßes allein in seinem Anstoßsein liegt und somit nicht ohne ein Anzustoßendes denkbar wäre, wird noch deutlicher aus der Beschränktheit erklärt: Es liegt auf der Hand, dass die Beschränktheit des Ich nicht etwas außer dem Bewusstsein an sich Bestehendes sein kann, sondern ihr Sein nur Sein für ein Ich ist. Nach dem Beschränkenden darf man dann nicht mehr fragen.
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Doch auch diese Deutung des Anstoßes steht offensichtlich im Widerspruch zur Absolutheit des Ich. Das absolute Ich kann für sich selbst nicht zugleich beschränkt sein, ebenso wie das theoretische Ich nicht absolut sein kann, da es auf den Anstoß als Bedingung seiner Möglichkeit angewiesen ist. Dennoch ist die Notwendigkeit beider Aspekte des Ich durch die Deduktion bewiesen. Um demnach der Kontinuität, d.h. der Einheit des Ich, nicht verlustig zu gehen, bleibt nichts anderes übrig, als im Ich nach einem „Vereinigungsband“ (SW I, 257) zu suchen, wodurch es beide Seinsmöglichkeiten der Unendlichkeit und der Endlichkeit in seiner Einheit aufrechterhalten und aushalten kann. Im Ich nach etwas zu suchen, bedeutet aber, eine Tätigkeit des Ich ausfindig zu machen. Was hätte diese Tätigkeit zu leisten? Die Absolutheit des Ich duldet nicht, dass es als Intelligenz von einem nicht in ihm liegenden Anstoß abhängt. Zwar entwirft es das „Wie“ seiner Vorstellungen als Intelligenz, doch ihr „Dass“, d.h. die Tatsache, dass es überhaupt Vorstellungen hat, steht allem Anschein nach nicht in seiner Macht. Demnach müsste es eine Tätigkeit des Ich geben, die bewirkt, dass die Intelligenz überhaupt Vorstellungen hervorbringt. Nur wenn das absolute Ich zugleich Ursache von demjenigen am Nicht-Ich, das zuvor Anstoß genannt wurde, sein könnte, wäre es in seiner Einheit bewahrt. Das absolute Ich würde dann alles aus sich schaffen. Zur Lösung des Widerspruchs wird sonach eine Tätigkeit gefordert, die eine kausale Verursachung des Nicht-Ich im Sinne des Anstoßes erbringt, wodurch das Ich sich selbst zur Intelligenz macht. Das NichtIch wäre dann nur noch eine Wirkung des rein ursächlichen Ich. Dennoch vermag diese Lösung nicht zu befriedigen, obwohl sie zugleich in ihrer Notwendigkeit eingesehen ist. Das Nicht-Ich kann auf Grund seiner Natur, dem Ich vollkommen entgegengesetzt zu sein, nicht ausschließlich aus den Tätigkeiten des Ich herrühren, da es sonst selbst zum Ich würde. Die Unendlichkeit und die Endlichkeit des Ich dürfen nicht so vereint werden, dass erstere zur Ursache der letzteren wird, da die Endlichkeit des Ich etwas absolut Beharrendes und der Unendlichkeit Widerstrebendes ist. Der erste und der zweite Grundsatz verlangen gerade auf Grund ihres Prinzipiencharakters die absolute Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich, die nicht zugunsten eines einseitigen und alleinigen Prinzips aufgelöst werden darf.8 Das Ich darf das Nicht-Ich nicht kausal bewirken, sondern muss von ihm als einem Entgegenstehenden beschränkt werden. Ebenso scheint es widersprüchlich aus der Sicht des absoluten Ich, dass es das Nicht-Ich setzt, _____________ 8
Eben aus diesem Grunde ist auch eine Deduktion des zweiten aus dem ersten Grundsatz nicht möglich. Die Entgegensetzung des Nicht-Ich ist absolut unauflösbar im Ich.
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obzwar sein Wesen darin besteht, schlechthin und ausschließlich sein eigenes Sein zu setzen. Gefordert sind also sowohl die Möglichkeit als auch die Nicht-Möglichkeit der Kausalität des Ich auf das Nicht-Ich. Hierin zeigt sich erneut die oben dargelegte Antithese. Die Lösung der „Haupt-Antithese“ als Widerstreit zwischen absolutem und theoretischem Ich, reiner und objektiver Tätigkeit, fordert eine weitere Tätigkeit, die sowohl der Identität als auch der Differenz beider Momente Rechnung trägt. Den Einheitsbezug stellt in dieser Tätigkeit die Kausalität her: Die reine Tätigkeit soll mittels der gesuchten Tätigkeit Ursache der objektiven Tätigkeit sein. Andererseits müssen beide Tätigkeiten als die Aspekte der Unendlichkeit und Endlichkeit des Ich absolut entgegengesetzt bleiben. Es kann nicht sein, dass die objektive Tätigkeit zur bloßen Wirkung der reinen Tätigkeit wird, da beide nur in absoluter Entgegensetzung bestehen. Bevor die gesuchte Tätigkeit genauer bestimmt wird, lassen sich hinsichtlich ihrer postulierten Merkmale bereits folgende festhalten: Als Kausalität der reinen Tätigkeit stellt sie den Übergang von deren Unbestimmtheit zur Bestimmtheit der objektiven Tätigkeit dar. Ihre Funktion besteht darin, die Fremdbestimmung des Ich durch ein nicht in seiner Macht stehendes Nicht-Ich aufzuheben und in Selbstbestimmung umzuwandeln, ohne dadurch jedoch die Objektivität des Nicht-Ich, sein absolutes Entgegengesetztsein gänzlich aufzuheben. Wie im weiteren Verlauf zu sehen sein wird, ist dies Fichte zufolge bereits die Grundstruktur der praktischen Freiheit. Doch greifen wir nicht vor! Betrachten wir vielmehr anhand der gesuchten Tätigkeit diese Freiheit in ihrem Entstehen! Der von der theoretischen Philosophie angenommene Anstoß stellt insofern ein Problem für die Absolutheit des Ich dar, als er bewirkt, dass sich das Ich überhaupt erst Vorstellungen bildet. Wenn nun das „Dass“ der Vorstellungen aus obigen Gründen nicht allein dem Anstoß zugesprochen werden darf, dann vor allem deshalb, weil er sonst das Ich, dessen Wesen im bloßen Tätigsein besteht, zu etwas rein Passivem machte. Die gesuchte Tätigkeit muss sich daher ihrerseits als die Bedingung der Möglichkeit des Anstoßes erweisen. Dass ein Anstoß auf das Ich erfolgt und dass es sich somit Vorstellungen bildet, ergibt sich aus einer Tätigkeit des Ich, auf die der Anstoß erfolgt. Ohne diese Tätigkeit, kein Anstoß. Nur auf dieser Grundlage kann überhaupt von einem Anstoß auf das Ich, nämlich auf eine Tätigkeit, die Rede sein. Der Anstoß entspricht deshalb, wie bereits betont, nicht einem Ding an sich, das auf die Rezeptivität des Ich einwirkt und dadurch Empfindungen hervorruft, sondern er wirkt vielmehr auf die Tätigkeit des Ich ein. Vom „Sein“ des Anstoßes kann man nur sprechen, weil er durch
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die Tätigkeit des Ich für dasselbe ist. Noch deutlicher als zuvor erkennt man die Notwendigkeit, den Anstoß lediglich als solchen zu denken und nicht nach einem Sein jenseits seines Anstoßseins zu fragen. Da aus der Einwirkung eines Anstoßes auf eine Tätigkeit des Ich die objektive, also theoretische Tätigkeit hervorgerufen wird, kann die theoretische Philosophie das von ihr postulierte Faktum des Anstoßes nicht weiter erklären. Ihr Betätigungsfeld ergibt sich aus einer nicht-theoretischen Tätigkeit, die dem Vollzug der theoretischen Philosophie immer schon voraus liegt und niemals davon eingeholt werden kann. Eine weitere Charakterisierung der gesuchten Tätigkeit folgt aus ihrer Mittel- bzw. Vermittlerstellung. Insofern sie der Bezug zwischen der reinen, unendlichen und der objektiven, endlichen Tätigkeit ist, um auf diesem Wege die Identität des Ich zu garantieren oder vielmehr zu sein, muss sie Elemente beider Seiten in ihrer Einheit aufweisen. Während das absolute Ich dem theoretischen Ich absolut entgegengesetzt ist, ist die gesuchte Tätigkeit als Bezug ein Zweifaches, nämlich Bezug durch Entgegensetzung sowie Bezug durch Bezug. Das heißt, die gesuchte Tätigkeit bezieht die reine Tätigkeit auf die objektive, indem sie erstere der objektiven Tätigkeit entgegensetzt, und sie bezieht beide aufeinander, indem sie die reine Tätigkeit auf die objektive bezieht. Diese Unterscheidung, welche sich nicht in dieser Deutlichkeit im Fichteschen Text wiederfinden lässt, ergibt sich aus dem bereits Gesagten. Von der absoluten Tätigkeit kann kein direkter kausaler Übergang zur objektiven Tätigkeit bestehen, sonst hörten beide auf zu sein. Aus diesem Grunde wurde die gesuchte Tätigkeit angenommen, welche den notwendigen Bezug herstellt, ohne die Entgegensetzung aufzulösen. Dieser Bezug kann nur dann gelingen, wenn in ihm selbst zugleich die Entgegensetzung enthalten ist. Daher etabliert die gesuchte Tätigkeit den Bezug allein in dieser zweifachen Hinsicht. Fichte nennt nun die gesuchte Tätigkeit – rein in ihrer Rolle als bloßer Bezug, d.h. ohne Betrachtung ihrer zweifachen Form – ein unendliches Streben: die reine in sich selbst zurückgehende Tätigkeit des Ich ist in Beziehung auf ein mögliches Objekt ein Streben; und zwar [...] ein unendliches Streben. (SW I, 261)9
Mit dem Streben ist freilich eine Tätigkeit anderer Art beschrieben als die reine Tätigkeit, da diese durch den Bezug auf ein Objekt in ihrer absoluten Entgegensetzung gegen die objektive Tätigkeit als Nicht-IchSetzung aufgehoben wird. Ebenso wenig ist das Streben der reinen Tätigkeit schlechthin entgegenzusetzen, da sie zwar die Möglichkeit eines Anstoßes eröffnet, ohne selbst bereits durch den Anstoß wirklich _____________ 9
Zum Verhältnis von Streben und Subjektivität bei Fichte: J.-M. Vaysse: „Dynamique et subjectivité selon Fichte : effort, pulsion, aspiration“. In: Bienenstock 149-160.
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gehemmt zu sein; sie ist vielmehr ebenso unendlich wie die reine Tätigkeit, ja sie ist die reine Tätigkeit selbst „in Beziehung auf ein mögliches Objekt“ (ebd.).10 Das Streben als reiner Bezug der absoluten Tätigkeit auf die objektive genommen bietet in seiner abstrakten Form noch wenig Unterscheidungsmerkmale von der reinen Tätigkeit. Zur genaueren Bestimmung muss daher auf die zwei Hinsichten eingegangen werden, die beide das Streben angesichts des faktischen Anstoßes beschreiben. Wir betrachten zunächst die erste der beiden Hinsichten des Strebens, den Bezug durch Entgegensetzung. Inwiefern vollzieht sich im Streben diese Entgegensetzung? Die objektive Tätigkeit ist als Setzen eines Nicht-Ich oder eines Gegenstandes darauf angewiesen, dass auf das Streben ein Anstoß erfolgt. Aus diesem Grund ist sie ihrer Natur nach immer endlich und bestimmt. Dem Streben hingegen eignet in dieser Fassung eine Unendlichkeit, die es aus seiner Entgegensetzung zur objektiven Tätigkeit erhält und mit der reinen Tätigkeit gemein hat. Da aber im Gegensatz zum Streben als bloßer Bezug die ursprüngliche Hemmung durch den Anstoß bereits im Begriff des Strebens als Bezug durch Entgegensetzung aufgenommen ist, mithin der einschränkenden Realität des Nicht-Ich Rechnung getragen wird, kann die Unendlichkeit nunmehr lediglich im idealen Sinne aufrechterhalten werden. Angesichts der Wirklichkeit erscheint die Unendlichkeit des reinen Ich allein innerhalb der idealen Vorstellung derselben oder als Idee des absoluten Ich. Darin setzt sich das Streben die Vorstellung eines Zustandes zur Idee seiner Tätigkeit, worin die widerständige Realität des Nicht-Ich absolut in der Unendlichkeit des Ich negiert ist. Das Faktum des Anstoßes fordert die Unendlichkeit gleichsam heraus, sich in die Sphäre der Idealität zurückzuziehen und darin einen Endzweck zu konzipieren, der auf die absolute Aufhebung des Anstoßes im Ich abzielt. Hinter der Idee verbirgt sich – wie wir später noch deutlicher sehen werden – das Sittengesetz in Form der Umschreibung einer Situation, in der alle Heteronomie zugunsten der Autonomie des Ich beseitigt ist. Insofern das Streben die Unendlichkeit nur in der Idee erhält, zeigt sich das Moment der Endlichkeit durch die Gegenstellung zur Realität. Auf diese Weise wird das Streben deutlich von der reinen Tätigkeit, die sich jenseits einer Trennung von Idealem und Realem befindet oder vielmehr ihre prädisjunktive Einheit ist, unterscheidbar. _____________ 10 Diese schwer zu fassende Charakterisierung des unendlichen Strebens als bloßen Bezugs im Unterschied zur reinen, in sich ruhenden Tätigkeit des absoluten Ich meint Fichte, wenn er schreibt: Das absolute Ich „strebt (welches gleichfalls nur uneigentlich in Rücksicht auf eine künftige Beziehung gesagt wird), kraft seines Wesens sich in diesem Zustande [nämlich seiner Unendlichkeit; CB] zu behaupten. – Es tut sich in ihm eine Ungleichheit, und darum etwas Fremdartiges hervor.“ (SW I, 264f.; eigene Herv. CB)
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Nun darf das Streben aber nicht allein im Rückbezug auf die reine Tätigkeit gedeutet werden, sondern muss ebenso der Beziehung auf die objektive Tätigkeit gerecht werden. Dies entspringt ihrer Vermittlerrolle, mittels derer sie die Identität und Kontinuität des Ich in seinen beiden Aspekten der Unendlichkeit und Endlichkeit garantieren soll. Verlangt ist demnach der Bezug durch Bezug. In der objektiven Tätigkeit zeigt sich die Endlichkeit des Ich, während das Streben dem gegenüber unendlich ist. Wie sind nun beide Seiten in Beziehung zu setzen? Als Gegenteil der Entgegensetzung ist für Fichte das In-Beziehung-Setzen nichts anderes als ein Gleichsetzen. Eine faktische Gleichsetzung der beiden Seiten kann hier verständlicherweise nicht erfolgen. Dies widerspräche abgesehen von ihrer unterschiedlichen Natur auch der geforderten Entgegensetzung. Um nun aber überhaupt eine Beziehung und damit die Kontinuität des Ich herstellen zu können, muss sich die Gleichsetzung im Sinne einer Forderung vollziehen. Die reine und die objektive Tätigkeit sollen schlechthin gleich sein [...]; im Ich soll Alles gesetzt sein; das Ich soll schlechthin unabhängig, Alles aber soll von ihm abhängig sein. Also, es wird die Übereinstimmung des Objekts mit dem Ich gefordert; und das absolute Ich, gerade um seines absoluten Seins willen, ist es, welches sie fordert. (SW I, 260)
In Bezug auf die Endlichkeit des Ich erscheint die reine Tätigkeit demnach in Form eines kategorischen Imperativs, der angesichts der unleugbaren, aber auch für das Selbstbewusstsein notwendigen Tatsache des Nicht-Ich dessen Aufhebung im Ich fordert. Das absolute Ich, die reine Tätigkeit, die wir oben als Wesen des Ich herausgestellt haben, soll im Nicht-Ich „wieder“ hergestellt werden. Erneut wird augenscheinlich, dass das Streben keine unmittelbare Kausalität des absoluten auf das objektive Ich bzw. das Nicht-Ich stiftet, sondern lediglich darauf abzielt, danach strebt – als Streben nach Kausalität, die in diesem Falle zu einer Forderung wird. Damit gelingt die Beziehung der reinen auf die objektive Tätigkeit. Vergleichen wir kurz die zwei Bezugshinsichten des Strebens, um ihren Unterschied noch deutlicher herauszustellen. Zunächst gingen wir vom unendlichen Streben überhaupt aus, das als der Bezug der reinen auf die objektive Tätigkeit definiert, aber noch nicht eindeutig von der reinen Tätigkeit unterschieden wurde, außer durch seinen Bezug auf die Möglichkeit des Anstoßes. Die erste Bezugnahme ging nun gleichsam von der unendlichen Tätigkeit des Ich aus, welche in Bezug auf das Faktum des Anstoßes als unendliches Streben nach der Idee des absoluten Ich gedeutet wurde. Die Idealität der Vorstellung folgt eben aus der Hemmung durch den realen Anstoß. Erst auf dieser Grundla-
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ge kann die theoretische Tätigkeit mit der Konstitution der Erfahrungserkenntnis einsetzen. Im zweiten Falle hingegen ging man von der objektiven Tätigkeit aus und stellte in Form der kategorischen Forderung den Bezug zum absoluten Ich her: Das Objekt soll mit dem absoluten Ich übereinstimmen. Diese beiden Richtungen garantieren, dass das Streben in der Tat eine Vermittlung von reiner und objektiver Tätigkeit zu leisten vermag. Die objektive Tätigkeit wird über das Streben in Form des kategorischen Sollens auf das absolute Ich bezogen, wie auch die absolute, reine Tätigkeit durch das Streben, auf das der Anstoß ergehen kann, zur objektiven Tätigkeit hinübergeführt wird. Nun ergibt sich jedoch ein Problem, dessen Auflösung zu einer weiteren Klärung des Begriffes des Strebens beitragen und darüber hinaus auf die Grundaufgabe der Fichteschen Ethik, wenn nicht sogar seiner gesamten Philosophie führen wird. Aus der Auszeichnung des Strebens als derjenigen Tätigkeit des Ich, die seine Identität und damit sein Selbstbewusstsein letztlich garantiert, ergibt sich, dass das Ich im Bewusstsein seines Strebens sein eigentliches Selbstbewusstsein verwirklicht. Indes wurde bislang nirgends von einem Bewusstsein des Strebens gesprochen, sondern dieses vielmehr rein an sich genommen. Als Tätigkeit des Ich kann es aber nur bezeichnet werden, wenn es auch für das Ich ist. Nun kann das unendliche Streben (als bloßer Bezug) ebenso wenig wie die reine Tätigkeit für sich zum Bewusstsein kommen, da beide allein auf Abstraktionen beruhen, die anhand von Tatsachen im Bewusstsein vorgenommen wurden. Insofern die Abstraktionen über eine Grundlage im empirischen Bewusstsein verfügen, gilt es eben diese aufzuzeigen, um die Berechtigung des abstrakten Begriffes des unendlichen Strebens zu rechtfertigen. In diesem Sinne müssen die Ausführungen über das Streben noch durch eine Behandlung des Bewusstseins davon ergänzt werden. Bereits in der Rede vom Streben als dem Bezug zwischen absoluter, reiner und objektiver Tätigkeit trat eine gewisse Einseitigkeit hervor, insofern nicht darauf eingegangen wurde, wer den Bezug stiftet. Wer oder was bezieht die reine Tätigkeit, die dadurch zu einem unendlichen Streben wird, auf die objektive Tätigkeit? Der Bezug wird nach Fichte durch die Reflexion gestiftet, die zugleich das Bewusstsein des Strebens darstellt. Neben einem Bewusstsein der Idee des absoluten Ich sowie des kategorischen Imperativs, die doch wohl auch für das Ich sein müssen, kann man vorab mit Fichte bereits zwei weitere notwendige Formen des Bewusstseins im Streben bestimmen. Das unendliche Streben wurde als diejenige Tätigkeit angenommen, die vorausgesetzt werden muss, um eine Einwirkung des Anstoßes erklären zu können. Auf Grund des Anstoßes kann dann in der Folge die theoretische Tätigkeit des Ich
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einsetzen. Doch auf welche Weise wird sich das Ich des Anstoßes bewusst, wenn jegliche Erkenntnis erst auf dessen Grundlage einsetzt? Gibt es ein Bewusstsein vor der objektiven Erkenntnis? Es ist klar, dass die ganze Relativierung des Anstoßes als Anstoßes auf eine Tätigkeit des Ich ausschließlich dann Sinn ergibt, wenn der Anstoß auch auf irgendeine Weise für das Ich ist. Dieses Bewusstsein vor den theoretischen Akten, das sich angesichts des Anstoßes einstellt, bezeichnet Fichte als Gefühl. Im Gefühl erfährt das praktische, strebende Ich die Widerständigkeit des Anstoßes, ohne diese weiter bestimmen zu können. Dies wird dann in der dadurch ermöglichten Erkenntnis und deren Konstitution durch das Ich geschehen. Des Weiteren verlangt das Streben (v.a. im Bezug durch Bezug) den gleichsetzenden Bezug der reinen auf die objektive Tätigkeit. Angesichts einer objektiven Tätigkeit ergeht im kategorischen Sollen an das Ich die Forderung nach Überschreitung dieser durch den Anstoß gesetzten Grenzen. Im Bezug des Strebens auf das Objekt muss jenes aber selbst objektiv werden. Das unendliche Streben als bloßer Bezug bleibt für sich unbestimmt und für die Reflexion unzugänglich, es muss daher bestimmt werden: Das unbestimmte Streben überhaupt, [...] – welches außerhalb aller Bestimmbarkeit liegt – ist unendlich; aber als solches kommt es nicht zum Bewusstsein, noch kann es dazu kommen, weil Bewusstsein nur durch Reflexion, und Reflexion nur durch Bestimmung möglich ist. Sobald aber über dasselbe reflektiert wird, wird es notwendig endlich. (SW I, 269)
Die durch Reflexion bewirkte Endlichkeit des Strebens ist notwendige Bedingung der Möglichkeit des Bewusstseins davon. Die Bestimmtheit des Strebens ergibt sich aus der Bestimmtheit seines Objekts. Inwiefern ist nun aber das Streben objektiv? Es ist nicht objektiv in dem Sinne, dass sein Objekt im Bereich des Nicht-Ich liegt, da letzteres nur in seiner Widerständigkeit gegenüber der Tendenz des Strebens erfahren wird. Aus diesen Gründen kann das Objekt nur idealiter gedacht werden. Das Streben setzt sich angesichts der Welt Ideale als Vorstellungen von der Welt, wie sie sein soll. Mit dem Begriff des Ideals führt Fichte den Zweckbegriff ein als dasjenige, was sich das Ich in der Welt zu verwirklichen vornimmt. Das Ideal oder der Zweck sind Vorstellungen, die sich das Ich macht, um darin seines Strebens gewahr zu werden, das es allein in seiner unbestimmten Unendlichkeit niemals zu fassen vermag. Die Unendlichkeit bleibt dem Streben dennoch insofern, als seine Bestimmtheit und damit Endlichkeit keiner Fremdeinwirkung entspringt, sondern durch Selbstbestimmung hervorgebracht wird. Aus der Unbestimmtheit heraus entscheidet sich das Ich für einen endlichen Zweck, der nicht sein letzter und höchster Zweck ist. Je nach dem, wie seine Grenzen ausfallen, entwirft das Ich andere Zwe-
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cke bis in die Unendlichkeit, welche die Idee des absoluten Ich bezeichnet. Mit dem Gefühl und dem Zweck sind natürlich nur zwei Bewusstseins- oder Reflexionsweisen des Strebens in den Blick gekommen, die je für sich genommen defizitär sind, insofern ausschließlich durch sie das Phänomen des Strebens nicht in seiner Gesamtheit erfasst werden kann. Die Ethik Fichtes wird vor allem mittels der Trieblehre diese Lücke zwischen Gefühl und Zweck zu füllen versuchen, um das Bewusstsein des Strebens zu erklären, in welchem das Ich sein Selbstbewusstsein als Bewusstsein seiner unendlich-endlichen Natur verwirklicht.11 Um die Reflexion auf das Streben umfassender in den Blick zu bekommen, versuchen wir, ihre Position gegenüber den anderen Tätigkeiten des Ich zu bestimmen. Wir hatten bereits angedeutet, dass die Reflexion im Übergang von der reinen Tätigkeit über das Streben zur objektiven Tätigkeit die Funktion des Beziehenden übernimmt. Die Notwendigkeit wird klar, wenn man vom absoluten Ich ausgeht und sich die Frage stellt, warum dieses überhaupt aus sich herausgeht, um die Möglichkeit eines Anstoßes zu eröffnen. Mit dieser Frage ist der zweite Weg der praktischen Philosophie beschrieben, nämlich der deduktiv-genetische, der im Ausgang vom absoluten Ich das praktische Ich und seine Bestimmungen zu deduzieren sucht. Nach Fichte ergibt sich die Notwendigkeit des Praktischen aus folgender Überlegung: Das absolute Ich reicht allein nicht aus, um wirkliches Selbstbewusstsein zu erklären. Das Selbst-Setzen der Tathandlung, der wesentlichen Identität des Ich, kommt als Bedingung der Möglichkeit von Selbstbewusstsein seinerseits nicht zum Bewusstsein. Dennoch muss gerade diese Identität ebenso für das Ich werden, wenn es seiner selbst bewusst werden soll. Die absolute Identität des Ich, im ersten Prinzip nur an sich beschrieben, muss auch für das Ich sein: „es soll sich setzen, als durch sich gesetzt.“ (SW I, 274)12 Mit dieser Beziehung der reinen Tätigkeit auf das Bewusstsein des Ich kommt die Reflexion ins Spiel, die eben dies leisten soll. Wie auch schon die Tathandlung entspringt diese Reflexion der absoluten Freiheit. Das Ich wird seiner selbst bewusst, indem es frei auf die reine Tätigkeit reflektiert. Bewusstsein ermöglicht die Reflexion deshalb, weil sie sich das ursprünglich ungetrennte Subjekt-Objekt objektiv gegen_____________ 11 Siehe in diesem Teil: II.4. 12 Diese Unterscheidung von Sich-Setzen und Sich-Setzen als sich setzend hat schon Henrich betont. Als Zeichen der Reflexion liefert sie die notwendige Ergänzung zur intellektuellen Anschauung (Janke 1970, 14ff.). Später wird Fichte die Funktion der Reflexion explizit das „Als“ nennen, nämlich etwas als etwas zu reflektieren (GA II, 9, 238).
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überstellt. Mit der Reflexion erfolgt die Bewusstseinstrennung, die nötig ist, um Bewusstsein zu realisieren. Daher wird durch die Reflexion die absolute Einheit des ersten Prinzips verlassen, die gegenüber einer Fremdeinwirkung durch ein Nicht-Ich resistent war: Die Möglichkeit eines Anstoßes ist eröffnet. Durch die reflexive Gegenüberstellung der reinen Tätigkeit wird diese zugleich auf die Objektivität überhaupt bezogen und daher zu einem Streben. Die Reflexion bewirkt folglich den Übergang von der bloß für sich betrachteten reinen Tätigkeit zur für sich seienden Tätigkeit des Strebens, worin das ursprünglich unendliche Ich gleichsam verendlicht und damit erst dem Bewusstsein zugänglich wird. Die Unendlichkeit des absoluten Ich kann ausschließlich im bewussten Streben erfasst werden. Dazu muss sie jedoch auch erfasst werden, wenn wirkliches Selbstbewusstsein möglich sein soll. Ist sonach der Übergang vom absoluten Ich über die Reflexion zum Nicht-Ich vollständig deduziert, so dass auf Grund der bestimmenden und verendlichenden Reflexion das unendliche Ich notwendigerweise zu einem endlichen Nicht-Ich gelangen muss? Wird mit dieser Deutung nicht auch der Anstoß entbehrlich, insofern er in seiner Funktion, die Endlichkeit zu erklären, von der Reflexion abgelöst wird? Diese Fragen verlangen die Klärung des Verhältnisses von Reflexion, Streben und Anstoß. Nach der ersten Vorgehensweise innerhalb der praktischen Philosophie war es der Begriff des Strebens, der die Möglichkeit sowohl des Anstoßes als auch der Reflexion dargetan hatte. Mit dem Streben wurde eine Tätigkeit des Ich beschrieben, auf die ein Anstoß erfolgte, der seinerseits die Reflexion auf das nunmehr endliche Streben gewährleistete, wie im Sittengesetz, dem kategorischen Imperativ, aber auch im Gefühl und Zweck beschrieben. Hier nun im zweiten Durchgang scheint vielmehr die Reflexion den Ausgang aus dem absoluten Ich zu erlauben und es darin zum Streben zu machen, das einen Anstoß ermöglicht. Welches Bedingungsverhältnis besteht nun zwischen Streben und Reflexion? Ermöglicht die Reflexion das Streben und damit den Anstoß oder das Streben und der Anstoß die Reflexion? Insofern hinter dem Anstoß nichts anderes steht als die versinnbildlichte ursprüngliche Beschränktheit des Ich, stellt sich folgende Alternative: Man könnte hier noch weiter erklären wollen; entweder die Beschränktheit meiner als des Reflektierten, aus der notwendigen Beschränktheit meiner, als des Reflektierenden, so dass ich mir endlich würde, weil ich nur das Endliche denken kann; oder umgekehrt die Beschränktheit des Reflektierenden aus der Beschränktheit des Reflektierten, so dass ich nur das Endliche denken könnte, weil ich endlich bin. (SW I, 489)
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Markiert demnach das angestoßene Streben (das Reflektierte) die Endlichkeit des Ich, worauf sich die Reflexion beziehen kann, oder bewirkt die endliche Reflexion die Endlichkeit des Reflektierten, d.i. des angestoßenen Strebens? Fichte entscheidet sich weder für die eine noch für die andere Möglichkeit, da sein Anliegen gerade darin besteht, das Ich in der Einheit des Reflektierenden und des Reflektierten zu fassen. Reflexion ohne Streben und Anstoß ist ebenso wenig möglich wie Streben und Anstoß ohne Reflexion. Dies erscheint insofern einleuchtend, als der Anstoß nicht wäre – es versteht sich: für das Ich –, wenn das Ich nicht auf irgendeine Weise, nämlich durch das Gefühl, darauf reflektierte. Andererseits könnte das Ich nicht reflektieren, wenn es nicht schon endlich wäre. Die Reflexion ersetzt somit nicht den Anstoß, der zur Erklärung der menschlichen Beschränktheit notwendigerweise vorausgesetzt werden muss. Das absolute Ich verstanden als Gott ist zu keiner Reflexion fähig, sondern erfasst sich in der augenblicklichen Anschauung seiner selbst. Allein die Endlichkeit des Menschen zwingt diesen, mittels seines reflexiven, diskursiven Denkens zur Erkenntnis zu gelangen. Es folgt daraus die notwendige Interdependenz von Streben und Reflexion. Alle Reflexion gründet sich auf das Streben, und es ist keine möglich, wenn kein Streben ist. – Hinwiederum ist kein Streben für das Ich; also auch kein Streben des Ich, und überhaupt kein Ich, wenn keine Reflexion ist. Eins erfolgt notwendig aus dem andern, und beide stehen in Wechselwirkung. (SW I, 294)
Der Anstoß setzt zu seiner Möglichkeit daher ein Zweifaches voraus: Zum einen muss das Ich sich frei dazu entschließen, auf sich zu reflektieren, zum anderen muss es ein Streben geben, auf das der Anstoß erfolgen kann. An dieser Stelle erfährt infolgedessen auch das Problem des Anstoßes eine Klärung. Vorausgesetzt, um die Möglichkeit theoretischobjektiver Akte des Ich zu erklären, wird er dem Ich durch die Hemmung des praktischen Strebens in Form eines Gefühles bewusst. Die objektive Welterkenntnis oder Weltkonstitution stützt sich auf diesen gefühlsmäßigen Kontakt mit dem Nicht-Ich. Im Gefühl wird die eigentliche Realität der Welt erfahren, nämlich dasjenige an ihr, was im eigentlichen Sinne Nicht-Ich genannt zu werden verdient: der Anstoß. Die Realität erschließt sich demnach allein durch ihren Bezug auf die praktische Tätigkeit des Ich. Sobald das Ich nun versucht, diesen Anstoß zu denken, d.h. das Gefühl genauer zu bestimmen, begibt es sich in das Gefilde seiner eigenen Konstruktionen und verfehlt folglich die eigentliche Bedeutung des Anstoßes. Der theoretische Weltbezug gründet auf dem praktischen und erhält ausschließlich dadurch den Kon-
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takt zum Nicht-Ich. Insofern auch die Philosophie eine theoretische Erklärung der Wirklichkeit vornimmt, macht sie eine ähnliche Erfahrung. Auf Grund des Gefühls des empirischen Bewusstseins angesichts der Wirklichkeit gelangt der Philosoph zur Annahme eines Anstoßes. Doch sobald er diesen in seine Theorie aufgenommen hat, macht er ihn gleichsam zu einem Bestandteil der Vernunftimmanenz und verfehlt darin seine Bedeutung, das Jenseits jedweden Bewusstseins zu sein. Dennoch kann er ebenso wenig auf diese Annahme zur Erklärung des Bestehens von Selbstbewusstsein verzichten. Er bewegt sich somit in einem Zirkel, den er nicht verlassen kann. Das Nicht-Ich im Sinne des Anstoßes „ist nur da, inwiefern man es nicht hat, und es entflieht, sobald man es auffassen will.“ (SW I, 283) Bezogen auf die Philosophie bedeutet dies, dass sie als theoretisches Wirklichkeitsverständnis in ihrem Vollzug auf die Voraussetzung der praktischen Realitätserfahrung im Gefühl, somit auf den Standpunkt des Lebens, angewiesen ist und erst dadurch ihren Wahrheitsgehalt zugesprochen bekommt. Bereits der Anfang der Philosophie erwies sich als bestimmt durch den Glauben an das Sittengesetz und die freie Entscheidung zur Darstellung der Wirklichkeit aus dieser Perspektive. In der Ausführung über Streben und Reflexion wird dieser Ausgang für die Philosophie selbst thematisch. Nur auf der Grundlage des praktischen und letztlich moralischen Strebens gibt es Realität und als Darstellung dieser die Philosophie. Ohne diese Verwurzelung im Leben entbehrte der Idealismus Fichtes gleichsam der Quelle seiner Wahrheit.13 Fassen wir im Folgenden die Ergebnisse der Untersuchung über den Begriff des Strebens zusammen und beziehen sie auf das im vorherigen Kapitel über das Selbstbewusstsein Ausgeführte: Das Wesen des Menschen als Vernunftwesen besteht in dessen Selbstbewusstsein, das im Kern durch den Vollzug der (formalen) intellektuellen Anschauung konstituiert wird. Darin liegt das Handlungsbewusstsein in seiner Reinform vor als das unmittelbare Bewusstsein der reinen Tätigkeit. Im Ursprung des Ich muss demnach dieser Vollzug stattfinden, damit das Ich auf diesem Wege seine absolute Identität im Selbstbewusstsein hervorruft. Dennoch reicht die intellektuelle Anschauung nicht aus, um wirkliches Selbstbewusstsein zu erklären. Das unmittelbare Bewusstsein der intellektuellen Anschauung ist zwar notwendiger _____________ 13 Das Verhältnis von Philosophie und Leben bei Fichte werden wir am Ende dieser Arbeit erneut aufgreifen. Vgl. ebenso Lauth 1965 und Schrader 1972. Bei beiden Autoren besteht indes die Neigung, erst in der Spätphilosophie Fichtes – mit dem darin entfalteten göttlichen Leben – eine befriedigende Klärung dieses Verhältnisses anerkennen zu wollen.
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Bestandteil, aber noch nicht das Ganze des wirklichen Bewusstseins.14 Es reicht nicht aus, die absolute Identität zu vollziehen, sie muss auch zum wirklichen Bewusstsein kommen, um als Tätigkeit des Ich und damit als Selbstbewusstsein gelten zu können. Die bloße Anschauung des Ich verlangt zusätzlich das Denken des Ich. Aus diesem Grund erschließt sich die Notwendigkeit der Reflexion auf die reine Tätigkeit, die deren Für-sich-Sein ermöglicht. Mit der Reflexion kommt aber die Trennung in die unbegreifliche Einheit, die sich im Denken als die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt manifestiert. Dieser Bezug des absoluten Ich bzw. der reinen Tätigkeit auf Objektivität hat das Streben zur Folge. Der bewusste Vollzug der intellektuellen Anschauung als des unmittelbaren Bewusstseins der reinen, unbestimmten Tätigkeit von sich gelingt folglich lediglich im Rahmen eines Bewusstseins des Strebens, im Zuge dessen das Ich diese seine Unbestimmtheit erfährt. Die Unbestimmtheit, Kennzeichnen der intellektuellen Anschauung im Bewusstsein, zeitigt nun drei Formen ihres Auftretens, die voneinander unterschieden werden müssen und aus zwei verschiedenen Forderungen hervorgehen. Zum einen muss im Bewusstsein das absolute Ich durch die Reflexion absolut vom theoretischen Ich oder dessen Nicht-Ich unterschieden und diesem entgegengesetzt werden, wie es in den ersten beiden Grundsätzen der Wissenschaftslehre zum Ausdruck kommt (absolute Entgegensetzung). Hierin erschließt sich die absolute Freiheit, mit der sich das Ich setzt, die es auch in seiner absolut freien Reflexion auf sich nachvollzieht. Das Ich erscheint als unendlich frei hinsichtlich jeglicher Nötigung durch ein Nicht-Ich, es ist insofern von nichts abhängig als von sich selbst.15 Zum anderen darf die reine Tätigkeit nicht nur für sich und in absoluter Entgegensetzung vollzogen, sondern muss im gleichen Zuge auf die objektive Tätigkeit, auf das Nicht-Ich bezogen werden. Damit gelangt man zum Streben. Im Streben tritt die Unbestimmtheit und Unendlichkeit des Ich nunmehr in Form einer Idee auf: die Idee des absoluten Ich oder das Sittengesetz (Bezug durch Entgegensetzung). Diese beruht auf einer Vorstellung, wonach das NichtIch absolut in die Verfügungsgewalt des Ich übergegangen und darin negiert ist. Angesichts der konkreten Erfahrung des Nicht-Ich präsentiert sie sich als Forderung oder Imperativ (Bezug durch Bezug). Die Un_____________ 14 Zu Unterscheidung und Zusammenhang von unmittelbarem und wirklichem Bewusstsein vgl. Klotz 58ff. 15 Dieses denkende Bewusstsein der absoluten Entgegensetzung des Ich wird sich später in unseren Ausführungen als das Bewusstsein des Freiheitsvermögens erweisen (s.u. S. 80f.).
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endlichkeit wird zur unendlichen Forderung, die Unendlichkeit zu realisieren.16 Dennoch kann die Unendlichkeit nicht nur in Form einer abstrakten Vorstellung im Ich vorliegen, soll der Bezug auf die Objektivität gelingen. Als bloße Unbestimmtheit bliebe das Ich der Bestimmtheit der Objekte gegenüber machtlos und befände sich damit in unlösbarem Widerspruch auf Kosten seiner eigenen Identität. Deshalb muss die reine Tätigkeit zu einer Bestimmtheit übergehen, die freilich nicht vom Nicht-Ich herstammt, sondern vom Ich selbst hervorgebracht wird. Durch die Zweck- oder Idealsetzung bestimmt sich das Ich in der Absicht, nicht durch Beharren auf Unbestimmtheit, sondern mittels Selbstbestimmung die Fremdeinwirkung aufzuheben. Das Streben nach einem bestimmten Zweck, den das Ich in der Reflexion entwirft, nennt Fichte „Wollen“. Demnach kann das Streben ausschließlich im Wollen bewusst und wirksam gemacht werden, oder mehr noch: nur im Wollen kann das Selbstbewusstsein ursprünglich realisiert werden. Das Wollen kennzeichnet die begriffliche Selbstbestimmung des Ich. Fragen wir uns nun, wie Fichte das Problem in der Begrifflichkeit der Kausalität gelöst hat. Anfängliche Schwierigkeiten bereitete die gleichzeitige Forderung einer Kausalität und einer Nicht-Kausalität des Ich auf das Nicht-Ich; darin zeigte sich die Haupt-Antithese von Ich und Nicht-Ich. Das Streben vermeidet nun den Widerspruch, den eine direkte Kausalität auf das Nicht-Ich auslösen würde, indem es lediglich als Tendenz zur Verursachung des Nicht-Ich konzipiert ist, nämlich als unendliche Forderung. Das Streben ist nicht Kausalität, sondern Streben nach Kausalität. Insofern darin die Kausalität bewirkt werden soll, ist es Kausalität auf Kausalität oder Kausalität auf sich selbst. Das Streben vermag die Schwierigkeit dadurch zu lösen, dass es einerseits Kausalität ist, andererseits aber nicht unmittelbar auf das Nicht-Ich geht. Nehmen wir die vorläufigen Ergebnisse über den Zweckbegriff hinzu, dann erscheint in der Kausalität durch den Begriff das eigentliche Wesen des Menschen als Ich zu liegen, mittels derer er im bewussten Streben sein Sein verwirklicht. Eine Kausalität durch den Begriff ist aber nichts anderes als das Wollen. _____________ 16 Es ist wichtig, an dieser Stelle den Unterschied zwischen Idee bzw. Sittengesetz und kategorischem Imperativ zu betonen. Der Idee fehlt noch der konkrete Bezug auf die Objektivität und Endlichkeit des Ich, indem sie eine Vorstellung entwirft, wie das Ich jenseits der Beschränktheit durch den Anstoß zu sein hat. Sie kennzeichnet das Sittengesetz als Beschreibung eines intelligiblen Reiches des Ich, während der kategorische Imperativ eine Forderung an das endliche Ich richtet. Wir werden später auf diese Differenz zurückkommen.
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Wir befinden uns an einem Punkt, an dem die bisherigen Ergebnisse zugleich einen guten Überblick über das Projekt der Fichteschen Ethik bieten und klarmachen, warum diese den Kern seines philosophischen Gesamtprojekts bildet. Was ist die Aufgabe der Ethik? Nachdem im Streben der Grundzug der menschlichen Existenz gefunden, aber ebenso konstatiert wurde, dass Streben ohne ein Bewusstsein davon nicht dem Ich zugeschrieben werden kann, hat die Ethik – zumindest zu einem großen Teil – die Möglichkeit eines Bewusstseins des Strebens zu erklären. Ihre Frage lautet: Auf welche Weise wird sich das Ich seines ursprünglichen Strebens und im gleichen Zuge seines innersten Wesens bewusst? Insofern darin nach den Bedingungen wirklichen Selbstbewusstseins gefragt ist, hält die Ethik dem Gesamtprojekt der Wissenschaftslehre die Treue. Zwar wurden bereits zwei notwendige Bewusstseinsweisen des Strebens im Gefühl und im Zweck herausgestellt, die einerseits das passivste, andererseits das aktivste Moment in der Selbsterfahrung des Strebens darstellen. Doch bleibt noch die Frage nach dem Übergang von Gefühl zu Zweck sowie vom idealen Zweck zum realen Objekt zu lösen. Wie kann das Ich angesichts des Gefühls der Realität, des Anstoßes gegen sein ursprüngliches Streben, einen Zweck entwerfen? Wie verwirklicht es diesen in der Welt? Mit diesen zwei Fragen sind zum einen die Aufgaben der Ethik genauer beschrieben, indem sowohl den inneren als auch den äußeren Bedingungen des Strebens Rechnung getragen wird. Zum anderen verweist die zweite Frage auf die äußeren Bedingungen der Freiheit, die ebenso Thema der Rechtslehre und der Gesellschaftslehre Fichtes sein werden. 2. Innere Reflexion des Strebens: Die Freiheit und das Sittengesetz Zur Erklärung der Entstehung wirklichen Selbstbewusstseins reicht es nicht aus, allein auf die formale intellektuelle Anschauung der reinen Tätigkeit zurückzugreifen, diese muss vielmehr noch durch das reflektierte Streben des Ich ergänzt werden. Darin allein gelingt es dem Ich, sich im gleichen Zuge objektiv gegenüberzustellen (Reflexion) und mit sich, dem Subjekt, zu identifizieren. Im Entwerfen eines Zweckes erreicht die Reflexion des Strebens ihre „phänomenale“ Vervollkommnung. Das Ich verstanden als Tätigkeit findet sich als Wollen. Verdeutlichen wir uns, was damit gemeint ist. Die Aufgabe der Wissenschaftslehre besteht darin, die gesamte Realität aus Handlungen des Ich zu erklären, die als solche nicht im Bewusstsein des empirischen Ich vorliegen, sondern allein einer philosophischen Blickrichtung entspringen. Dennoch hängt das Gelingen der
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Philosophie gerade davon ab, dass den spekulativ angesetzten Handlungen des Ich etwas im Bewusstsein des empirischen Ich entspricht. Mögen auch die Tathandlung, die Nicht-Ich-Setzung und das Streben niemals als solche, nämlich als Abstrakta, im wirklichen Bewusstsein vorkommen, so muss letzteres sie dennoch – freilich auf eine andere Weise – in einer konkreten Erfahrung besitzen. Die gesamte Wissenschaftslehre beschreibt diesen Weg von der Abstraktion hin zur Konstruktion der Erfahrung, innerhalb derer die zuvor angesetzten Tätigkeiten schließlich ihre konkrete Bedeutung erhalten. So wird das absolute Ich nur im Streben und dieses nur im konkreten Wollen erfahren; folglich kommt das absolute Ich nur im Wollen zum Bewusstsein. Oder anders ausgedrückt: Selbstbewusstsein vollzieht sich – zumindest ursprünglich – nur im Wollen.17 Da das Wollen zum Großteil in der philosophischen Disziplin der Ethik untersucht wird, nimmt es daher nicht wunder, in der Ethik einen der wichtigsten Beiträge zur Klärung der Frage nach dem Ursprung des Selbstbewusstseins, dem zentralen Thema der Fichteschen Philosophie überhaupt, anzutreffen. Wie Kant zuvor in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, geht Fichte im ersten Paragraphen seines Systems der Sittenlehre von 1798 zunächst vom Begriff des Willens aus, um von dort zu den Begriffen der Freiheit und des Sittengesetzes aufzusteigen. Die Anfangsfrage lautet, wie das ursprüngliche Ich im Wollen seiner Absolutheit gewahr werden und damit sein Selbstbewusstsein begründen kann. Was bereits im Ausgang von der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre im Rahmens ihres praktischen Teils deutlich wurde, wiederholt Fichte zunächst noch einmal anhand des Wollens. Demnach kann sich das Ich allein im Wollen finden. Den Vorzug des Wollens gegenüber dem Denken zeigt Fichte durch ein Ausschlussverfahren: Einerseits kann sich das Ich nur in einer seiner Äußerungen, verstanden als Tätigkeiten, nicht jedoch als Substanz ursprünglich wahrnehmen. Da aber andererseits das Denken niemals ursprüngliches Objekt, sondern nur Subjekt des Selbstbewusstseins sein kann, bleibt allein das Wollen übrig. Das Denken _____________ 17 So auch in GA IV, 2, 46: Das Ich „muss daher als Subjekt-Objekt gedacht werden[.] Aber ein solches ideales Subjekt-Objekt erklärt wieder nichts, es muss noch etwas hinzukommen, welches in Beziehung auf dieses Subjekt bloß Objekt sei, dessen ich mir bewusst bin.“ Dieses ursprüngliche Objekt identifiziert Fichte schließlich mit dem realen Selbstanfangen, d.h. der Freiheit des Ich in der Sinnenwelt, wohingegen das „Subjekt-Objekt“ das ideale Selbstsetzen ist. Nur beide in ihrer Wechselwirkung erklären den Ursprung des Selbstbewusstseins: „Kein ideales Setzen ohne REALES Selbstanfangen, und umgekehrt; kein Selbstanschauen ohne Freiheit et V[ICE]. V[ERSA]. – ohne Selbstanschauung auch kein Bewusstsein.“
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ist ursprünglich und unmittelbar für sich gar nicht Objekt eines besonderen neuen Bewusstseins, sondern das Bewusstsein selbst. Nur inwiefern es auf ein anderes Objektives geht, und demselben entgegengesetzt wird, wird es in dieser Entgegensetzung selbst objektiv. Es ist sonach als ursprünglich objektive Äußerung jener Substanz [des Ich; CB] nur das letztere, das Wollen übrig; welches auch immer nur objektiv bleibt, nie selbst ein Denken, sondern immer nur die gedachte Äußerung der Selbsttätigkeit ist. – Kurz, die Äußerung, welche allein ich mir ursprünglich zuschreibe, ist das Wollen; nur unter der Bedingung, dass ich eines solchen mir bewusst werde, werde ich mir meiner selbst bewusst. (SW IV, 21; letzte Herv. vom Vf.; CB)
Seines Denkens vermag das Ich nur dann objektiv bewusst zu werden, wenn es aus einem vorgängigen Objektbezug heraus dem Objekt entgegengesetzt wird; damit jedoch setzt das Objektivwerden des Denkens immer schon Objektbewusstsein, also auch Selbstbewusstsein voraus und eignet sich nicht zur Klärung dessen Ursprungs als des ersten Momentes des Bestehens von Selbstbewusstsein. Das Wollen hingegen kann ursprünglich und wesentlich objektiv in actu angetroffen werden und muss es sogar, da es sonst kein bewusstes Wollen oder Wollen des Ich wäre. Das Wollen ist wesentlich für das Ich objektive Äußerung des Ich. Während Fichte in späteren Teilen seiner Sittenlehre erörtern wird, was zum Phänomen des Wollens noch hinzukommen muss, damit es seinerseits möglich ist, geht er zunächst den direkten Weg zur Deduktion des Sittengesetzes. Die Frage richtet sich daher nicht nach den weiteren Bedingungen, die eintreten müssen, damit sich das Ich als wollend erfassen kann, sondern nach demjenigen Aspekt im Wollen, der wesentlich zum Ich gehört. Gesucht wird danach, was übrig bleibt, nachdem von denjenigen Elementen des Wollens abstrahiert ist, welche man dem Nicht-Ich zuzuschreiben hat. Das rein Subjektive oder „Ichhafte“ im Wollen besteht nun nach Fichte in der Absolutheit oder vielmehr in der absoluten Tendenz zum Absoluten, einer Tendenz zur Selbsttätigkeit um der Selbsttätigkeit willen (SW IV, 28). Das Ich vermag sich das Wollen gerade deswegen zuzuschreiben, weil es sich dazu selbst bestimmt hat und dabei gerade nicht durch ein Nicht-Ich bestimmt worden ist. Es ist offensichtlich, dass Fichte damit den Begriff des unendlichen Strebens aus der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre wieder aufnimmt und auf diesem Wege die dort erzielten Erkenntnisse bestätigt.18 _____________ 18 Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass Fichte im System der Sittenlehre nicht explizit an den Begriff des Strebens anknüpft, sondern sich augenscheinlich einer anderen Terminologie bedient. Zwar taucht der Begriff des Strebens an vier Stellen dieses Werkes auf (SW IV, 26; 73; 122; 183), doch scheint er dort nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung zu besitzen. Dennoch legt die gleiche Charakterisierung des Begriffes
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Der erste Paragraph der Sittenlehre findet somit im unendlichen Streben dasjenige Element des Wollens, wodurch sich das Ich mit seiner Absolutheit vermitteln und in diesem Zuge Selbstbewusstsein verwirklichen kann. Da gerade im Ausgang des Phänomenalen der umgekehrte Weg zur Grundlage gegangen wird, können die Ergebnisse nicht überraschen, insofern bekanntlich im Streben der Bezug des absoluten Ich auf die Objektivität hergestellt wird, die hier vermittels des wollenden Ich präsent ist. Dabei ist bislang ausschließlich vom reinen Bezug die Rede, nicht jedoch vom Beziehenden, der Reflexion, und der daraus entstehenden Zweiheit des Bezugs im Sinne eines Bezugs durch Entgegensetzung und eines Bezugs durch Bezug. Das Fehlen der Reflexion ist Thema des zweiten Paragraphen der Sittenlehre. Darin wird festgestellt, dass in der bisherigen Behandlung der absoluten Tendenz im Wollen darauf verzichtet wurde zu beschreiben, auf welchem Wege das Ich selbst davon weiß. Insofern das Ich mittels Identifikation mit der Tendenz sein Selbstbewusstsein verwirklicht, ist klar, dass nicht nur der Philosoph, sondern gerade das behandelte Ich ein derartiges Bewusstsein besitzen muss. Das objektive Ich, d.h. das vorgefundene Ich verstanden als Streben, verlangt eine Ergänzung durch das subjektive Ich, welches die Intelligenz ist, die über die Vermögen der Anschauung und des Denkens verfügt. Um die Möglichkeit eines Selbstbewusstseins aufzuzeigen, weist Fichte beiden Instanzen, leider nicht immer differenziert genug, die ihnen zukommende Funktion zu. Indes wird sich sofort ergeben, dass der erste Versuch, das Bewusstsein des Strebens zu beschreiben, notwendigerweise scheitern wird, da man statt dessen ein Bewusstsein gänzlich anderer Art erhält. Die logische Analyse fördert zunächst das Bewusstsein der absoluten Entgegensetzung zum Nicht-Ich zutage, um im Anschluss das eigentliche Bewusstsein der Beziehung auf das Nicht-Ich im Streben zu thematisieren. Die bewusste Opposition zum Nicht-Ich zeigt auf, wie das Moment der reinen Tätigkeit selbst durch das empirische Ich erfasst wird. Das konkrete empirische Bewusstsein enthält neben der intellektuellen Anschauung auch das Denken der reinen Tätigkeit. Daher wird das Phänomen der reinen Tätigkeit auf eine andere Weise zu charakterisieren sein als im ersten Grundsatz der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. _____________
des Strebens und desjenigen der absoluten Tendenz nahe, beide miteinander zu identifizieren (vgl. Gurwitsch 91). Die permanenten terminologischen Modifikationen in den Schriften Fichtes dienen ihm stets als Mittel, einem hypostasierenden Denken Vorschub zu leisten, um den reinen Denkvollzug zu fördern. Dies ist in der bekannten Formel „Geist statt Buchstaben“ ein ständig wiederkehrendes Motiv (Vgl. J.G. Fichte: Über Geist und Buchstab in der Philosophie. SW VIII, 270ff.). Zu dieser Eigenart seines Denkens: Schlösser 31ff.
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Die intellektuelle Anschauung vollzieht sich im Rahmen des Strebens und keineswegs im luftleeren Raum der Transzendenz. Als das unmittelbare Handlungsbewusstsein, wie wir es oben dargestellt haben,19 richtet sie sich zwar auf Tätigkeiten des Ich, die sie als gegenüberstehende betrachtet, als hätten sie ein „von aller Anschauung unabhängiges Sein, und Bestehen“ (SW IV, 33). Anders als beim Vorliegen bloßer Objekte identifiziert sie sich mit diesen Tätigkeiten. Dasjenige an den Tätigkeiten, was dem Ich als Anschauendem gleich ist, hat die philosophische Abstraktion deutlich herausgestellt. Es ist die absolute Identität des Subjekts und des Objekts, die vorausgesetzt werden muss, um Selbstbewusstsein zu erklären. Sie entspricht der formalen intellektuellen Anschauung, welche auf sich selbst zurückgeht und deshalb die reine, unendliche in sich zurückgehende Tätigkeit oder das absolute Ich genannt wird. In der intellektuellen Anschauung konstituiert das Ich im Ausgang vom Streben sein eigentliches Wesen und Sein. Es wurde schon häufig darauf hingewiesen, dass damit noch kein wirkliches Selbstbewusstsein erreicht ist, solange nicht auch das reflexive Denken als zweite notwendige Erkenntnisinstanz ins Spiel gekommen ist. Erst die Reflexion erbringt das Für-sich-Sein des Ich in seiner Absolutheit. Für die Reflexion kann das Ich aber nur durch seine Entgegensetzung zu etwas, das es nicht ist, dem Nicht-Ich, begriffen werden. Das zum Selbstbewusstsein kommende Ich hat daher in einer ersten Reflexion auf sich selbst, d.h. auf seine intellektuelle Anschauung, diese dem Nicht-Ich absolut entgegenzusetzen. Was liegt nun in diesem ersten Begriff des Ich? Das betrachtete Ich bezieht hier gleichsam einen Standpunkt, wie er oben angesichts der Haupt-Antithese noch ohne Rücksicht auf das Bewusstsein des ursprünglichen Ich dargelegt wurde. Die absolute Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich gelingt nur, wenn zugleich dem absoluten Ich eine Kausalität auf das Nicht-Ich zugeschrieben wird. Insofern das Denken hier die Ich-Identität vollzieht, kann es sich nur um eine Kausalität durch den Begriff handeln. Wegen der absoluten Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich als gegenüberstehender Wirklichkeit kann damit nicht eine wirkliche Kausalität gemeint sein, sondern lediglich das Vermögen dazu. Man muss sich an dieser Stelle klarmachen, was eigentlich mit diesen Ausführungen erreicht ist. Es handelt sich hierbei um den konkreten Begriff der formalen intellektuellen Anschauung bei Fichte, also um das Phänomen der begriffenen intellektuellen Anschauung. War die intellektuelle Anschauung und ihre Beschreibung anlässlich des ersten _____________ 19 Vgl. v.a. S. 24ff.
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Grundsatzes der Wissenschaftslehre bloßes Abstraktionsprodukt des Philosophen, so erfährt man in der Ethik, auf welche Weise das empirische Ich ein Bewusstsein davon besitzt. Ausgehend von der intellektuellen Anschauung erschließt sich dem Ich seine reine Unbestimmtheit, insofern das „Intelligente, als solches [...] absolut sich selbst bestimmend, bloße reine Tätigkeit“ (SW IV, 38) ist. Durch den Begriff tritt die absolute Entgegensetzung auf den Plan. Gegenüber der Wirklichkeit des Nicht-Ich erscheint die reine Tätigkeit nunmehr als ein „leeres unbestimmtes Vermögen der Selbstständigkeit“ (ebd. 51), im Gegensatz alles Bestehens, und Gesetztseins [...]; sonach keiner Bestimmung durch seine etwaige Natur, und Wesen, keiner Tendenz, Triebes, Inklination, oder des etwas fähig. (ebd. 38)
An dieser Bestimmung erkennt man, dass das eigentliche Ziel, ein Bewusstsein des Strebens zu beschreiben, mit dem bislang Entwickelten verfehlt wurde. Das Ich ergreift sich in diesem Bewusstsein gerade nicht als ein Strebendes, die „Tatkraft“ wird keineswegs als Tendenz reflektiert, sondern ausschließlich als ein bloßes reines Vermögen, d.h. lediglich ein solcher Begriff, an welchen eine Wirklichkeit, als an ihren Grund, im Denken sich anknüpfen lässt; ohne das mindeste in ihm liegende Datum, was für eine Wirklichkeit dies sein werde. (ebd. 39)
Im reinen Vermögen der Freiheit begegnet demnach das Ich seiner ursprünglichen Unbestimmtheit angesichts der Wirklichkeit des NichtIch und vollzieht darin seine absolute Entgegensetzung gegenüber dieser. Wie in der oben beschriebenen Haupt-Antithese schreibt sich das Ich die Möglichkeit einer Kausalität auf das Nicht-Ich zu. Doch liegt im Verständnis dieser Freiheit als bloßes Vermögen auch das Ungenügen, keine Wirklichkeit zu besitzen. Das Verständnis der reinen Unbestimmtheit ermöglicht folglich noch kein wirkliches Selbstbewusstsein. Die absolute Entgegensetzung zum Nicht-Ich erweist sich als defizitär, weil in ihr noch nicht der Bezug des Ich auf das Nicht-Ich berücksichtigt ist. Dies leistet die Tätigkeit des Strebens im eigentlichen Sinne. Der Mangel des Begriffes des Ich als reines Vermögen ergibt sich allein schon daraus, dass für das Wollen ein Bewusstsein der absoluten Tendenz zu Beginn verlangt war, statt dessen jedoch etwas vollkommen Anderes in den Blick geraten ist. Der folgende, dritte Paragraph der Sittenlehre konstatiert wenn nicht das Scheitern, so doch die Mangelhaftigkeit des vorherigen Versuchs, ein Bewusstsein der absoluten Tendenz zu beschreiben. Der neue Ansatz geht daher zunächst nicht von der ursprünglichen Reflexion des Ich aus, die unmittelbar zur Auffassung des Ich als reinen Vermögens führt, sondern von einer transzendentalen Annahme: „Die gesetzte
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Tendenz äußert sich notwendig als Trieb, auf das ganze Ich.“ (ebd. 40) Es mag zunächst verwundern, dass das Streben, dem kurz zuvor in §1 (ebd. 29) jegliche Gemeinsamkeit mit einem Trieb abgesprochen wurde, nun allem Anschein nach damit gleich gesetzt wird. Ein Verweis auf die unterschiedlichen Kontexte beider Stellen dürfte das Problem lösen. Im ersten Paragraphen wurde mittels philosophischer Abstraktion das genuin Ichhafte am Wollen herausgestellt, indem gerade von jeglicher Objektivität abgesehen wurde. Auf diese Weise erhielt man die absolute Tendenz zum Absoluten, das schlechthin unendliche Streben noch „vor“ dem faktischen Anstoß (als bloßer Bezug), ebenso wie vor jeglicher Reflexion, die nur das angestoßene, mithin endliche Streben erfassen kann. Da es aber der Sittenlehre um die konkrete Situation des Wollens zu tun ist, in der sich das Ich findet, muss zugleich gezeigt werden, wie dem empirischen Ich das Streben bewusst wird. Es reicht nicht aus, das Streben durch Abstraktion herauszustellen, es muss auch durch das Ich gesetzt werden. Die gesetzte Tendenz aber äußert sich nach Fichte als Trieb.20 Während also im ersten Paragraphen vom Streben rein für sich die Rede war, geht es nun um das Setzen des Strebens durch die Reflexion. Da die Reflexion ihr Objekt jedoch immer verendlicht, bzw. nur auf endliche Objekte zu gehen vermag, erfasst sie das Streben in Form des Triebes, der sich als hinsichtlich eines Nicht-Ich oder Anstoßes beschränkt zeigt. Der Trieb fungiert im Gegensatz zum bloßen Streben als „reeller innerer Erklärungsgrund einer wirklichen Selbsttätigkeit“ (ebd. 40), als ein wirkliches Wollen, das sich immer nur angesichts der Beschränktheit durch ein Nicht-Ich vollzieht. Schon in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre heißt es: Das Streben wird überhaupt gesetzt, als Etwas, nach dem allgemeinen Gesetze der Reflexion; mithin nicht als Tätigkeit, als etwas, das in Bewegung, Agilität ist, sondern als etwas Fixiertes, Festgesetztes. Das Streben geht auf Kausalität aus; es muss daher, seinem Charakter nach, gesetzt werden, als Kausalität. Nun kann diese Kausalität nicht gesetzt werden, als gehend auf das Nicht-Ich; denn dann wäre gesetzt reale wirkende Tätigkeit, und kein Streben. Sie könnte daher nur in sich selbst zurückgehen; nur sich selbst produzieren. Ein sich selbst produzierendes Streben aber, das festgesetzt, bestimmt, etwas gewisses ist, nennt man einen Trieb. (SW I, 287)
In der Reflexion erscheint das Streben objektiv und daher mit den Merkmalen des Seins versehen, nämlich fixiert, bestimmt und festgesetzt. Dies folgt einerseits aus der verendlichenden und objektivieren_____________ 20 Was Fichte in der Grundlage aus der Perspektive des faktischen Anstoßes als Streben benannt hat, also in seiner Funktion als doppelsinniger Bezug, wird er in der Sittenlehre Trieb nennen.
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den Reflexion selbst, andererseits aus der Beschränktheit des Strebens durch den Anstoß: „Diese Tätigkeit ist eine zurückgehaltene Tätigkeit, und davon bekommt sie den Charakter des Seins“, weshalb der Trieb das „Sein der Tätigkeit“ genannt wird (GA IV, 2, 61). Diese Ergebnisse der transzendentalen Erörterung des Strebens nimmt Fichte stillschweigend auf, wenn er im dritten Paragraphen damit einsetzt, dass sich das Streben in Form eines Triebes äußert. Dennoch ist in dieser Sichtweise noch nicht geklärt, wie das ursprüngliche Bewusstsein durch diesen Trieb bestimmt ist oder – was das gleiche ist – wie es davon weiß. Doch bevor diese Frage beantwortet werden kann, muss zunächst einer weiteren Bestimmung des Triebes nachgegangen werden, nämlich derjenigen, dass er Trieb auf das ganze Ich sei. Man könnte darunter zunächst verstehen, dass, da ja bereits die Tendenz zum absoluten Ich, also zum Subjekt-Objekt drängte, der Trieb ebenso als gesetzte Tendenz auf das ganze Ich abzielt. Indes ist mit der Bezeichnung desjenigen, worauf der Trieb geht, keineswegs dessen Ziel oder Zweck gemeint, sondern dasjenige, das er bestimmt oder treibt. Um diesen Sachverhalt weiter verdeutlichen zu können, müssen wir noch einmal in aller gebotenen Kürze die Situation im Ausgang vom absoluten Ich schildern. Insofern die reine Tätigkeit auf Objektivität überhaupt bezogen wird, zeigt sie sich als unendliches Streben des absoluten Ich zu sich selbst. Zwar ist das absolute Ich in seiner reinen Immanenz und Ruhe der absoluten Selbst-Setzung verlassen, jedoch ist der Anstoß oder die Beschränktheit des Strebens, der eigentliche Unterschied zwischen beiden Tätigkeiten, noch nicht gesetzt. Die Betrachtung des Strebens vor jeglicher Beschränktheit und – was das gleiche bedeutet – Reflexion fördert noch kein eigentliches Unterscheidungsmerkmal zur reinen Tätigkeit zutage. Nur die latent vorhandene Möglichkeit eines Anstoßes unterscheidet ersteres von letzterer.21 In dieser Form des Strebens liegt daher noch keine wirkliche Subjekt-Objekt-Differenz vor, weshalb es ebenso unverständlich bleibt wie schon die reine in sich zurückgehende Tätigkeit. Dies meint Fichte in der Sittenlehre, wenn er von der absoluten Tendenz zum Absoluten handelt. Wir haben diesen Sachverhalt als den bloßen Bezug der absoluten Tätigkeit auf die Objektivität bezeichnet. Demnach hat das ganze Ich, das Subjekt-Objekt _____________ 21 Dies ist gemeint, wenn gesagt wird, dass die Möglichkeit der Objektivität überhaupt mit in Betracht gezogen wird, bevor von einer faktischen Objektivität gehandelt wird (vgl. S. 57 Anm. 10).
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in sich eine Tendenz zu absoluter Selbsttätigkeit, welche, wenn sie von der Substanz [vom Subjekt; CB] selbst abgesondert, und als Grund ihrer Tätigkeit gedacht wird, ein Trieb ist, der sie treibt. (SW IV, 42f.)
Sobald also nicht länger das Streben für sich betrachtet, sondern ebenso auf die Reflexion oder das Setzen des Strebens Bezug genommen wird, stellt sich die Trennung in Subjekt und Objekt, eben in Form von Reflexion und Streben ein. Im gerade angeführten Zitat wird dieser Sachverhalt als die Trennung und Entgegensetzung von Substanz und Tendenz beschrieben. Das Ich erfährt sein Streben in der objektiven Gegenüberstellung als etwas, das es treibt und bestimmt. Damit nun jedoch das Ich mittels der Reflexion in der Tendenz seiner eigenen Absolutheit gewahr werden kann, muss es im Trieb die aufgewiesenen Merkmale des ursprünglichen Strebens vorfinden. Der Trieb, als reflektiertes Streben, besitzt infolgedessen die Eigenart des absoluten Ich, in sich zurückgehende Tätigkeit des ganzen Ich zu sein. Er zeigt sich jedoch im Unterschied dazu als Streben, d.h. als Bemühen des ganzen Ich um die Restitution desselben. Anders als das Streben „vor“ der Bezugnahme auf die Reflexion befindet sich der Trieb im Bereich der Subjekt-Objekt-Trennung, indem er nichts anderes darstellt als das von der Reflexion objektivierte Streben. Dies impliziert, dass der Trieb auf das ganze Ich in der Reflexion sowohl als Trieb auf das subjektive als auch als Trieb auf das objektive Ich, d.h. als Bestimmung des subjektiven wie des objektiven Ich, entschlüsselt werden muss. Des Weiteren hat man noch zwischen einem subjektiven Trieb und einem objektiven Trieb auf das ganze Ich zu unterscheiden. Auf diese Weise erhalten wir aus dem ursprünglichen und unbegreiflichen einen Trieb auf das ganze Ich vier Momente, die nur zusammengenommen zur richtigen Auffassung des Strebens beitragen. Da Fichte an dieser Stelle beabsichtigt, eine Deduktion des Sittengesetzes und der praktischen Freiheit zu liefern, unterlässt er es zunächst, den Trieb auf das objektive Ich zu behandeln. Es wird sich später zeigen, dass mit dem objektiven Ich das konkrete, naturhafte Ich als „durch die Gesetze der sinnlichen Anschauung, und des diskursiven Denkens vollkommen bestimmtes Objekt“ (ebd. 129) gemeint ist. Für dieses Ich wird sich der Trieb in Form des Naturtriebes äußern. Von Interesse ist hier allein der Trieb auf das subjektive Ich, d.h. auf die Reflexion oder die Intelligenz. Mittels der Reflexion auf das gehemmte Streben, den Trieb, vollzieht das Ich sein Selbstbewusstsein. Dies ist aber nur möglich, wenn die Reflexion sich – wenigstens partiell – mit dem Trieb identifiziert, d.h. ihn als ihren Trieb ansieht. Von ihrem Trieb kann die Reflexion nur insofern sprechen, als sie von ihm bestimmt und sich dieser Bestimmung bewusst ist. Nun kann eine Bestimmung
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der Reflexion nur in Form eines Gedankens geschehen – und dies aus zwei Gründen: Erstens wird gefordert, dass die Reflexion ihre Bestimmung durch den Trieb setze. Da sie selbst aber reflexives Denken ist, kann sie die Bestimmung nur gedanklich erfassen. Zweitens muss sich die Reflexion mit ihrem Objekt identifizieren. Dies misslingt aber notwendigerweise, wenn der Trieb als etwas der Reflexion Äußerliches und Fremdes betrachtet wird. Die Reflexion erkennt ihre Bestimmung vielmehr als Selbstbestimmung, deshalb kann sie nicht den Trieb als solchen setzen, sondern nur seine Bestimmung als Gedanken, dessen Hervorbringung sie sich selbst zuschreibt. Man begegnet hier erneut der bereits beschriebenen Wechselwirkung von Reflexion und Streben,22 die sich in ihrem Resultat, dem bestimmten Gedanken, manifestiert. Ohne Streben hätte die Reflexion keinen Gegenstand, wäre also nicht möglich. Die Bestimmtheit des Gedankens ergibt sich demnach aus der Natur des Strebens. Ebenso wenig aber „zwingt“ das Streben die Reflexion wider ihre Freiheit zum Denken dieses Gedankens, sondern letztere muss sich selbst zum Denken entschließen. Wenn sie aber diesen Entschluss getroffen hat, ist der erste und ursprüngliche Gedanke derjenige, der sich aus der Reflexion auf das Streben ergibt. Auf Grund der absoluten Freiheit im Vollzug der Reflexion erscheint dieser Gedanke dem Ich als durch sich selbst hervorgebracht, als sein ureigenstes Denken und nur deshalb kann das reflektierende Ich sich damit identifizieren. Das Ich in statu nascendi weiß nichts davon, dass sein Gedanke durch einen Trieb bedingt ist, sondern fühlt sich beim Denken des Gedankens vollkommen frei. Hier klärt sich, warum Fichte am Anfang des Paragraphen davon gesprochen hatte, dass mit der Ansetzung des Triebes die Ebene des gemeinen Bewusstseins zugunsten der transzendentalen verlassen werde. Das ursprüngliche Ich erfährt diesen Trieb nicht als Trieb, sondern als selbst hervorgebrachten Gedanken. Dennoch erlangt der Trieb oder das Streben seine Berechtigung dahingehend, dass der Gedanke keineswegs willkürlich entworfen wird, sondern eine notwendige inhaltliche Bestimmtheit in sich trägt, die aus der Natur des Strebens resultiert. Es liegen folglich zwei Momente in diesem Gedanken, die seinen Vollzug charakterisieren und letztlich darauf hindeuten, dass es sich um das Bewusstsein des Triebes auf das subjektive Ich in seiner zweifachen Bestimmtheit als subjektiver und als objektiver Trieb handelt. Zum einen begegnet man der absoluten Spontaneität und Freiheit der Reflexion beim Denken dieses Gedankens. Es zeigt sich darin letztlich die reine Unbestimmtheit und Absolutheit des Ich, die dieses mittels _____________ 22 S. 63.
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intellektueller Anschauung als „Anschauung der inneren absoluten Spontaneität“ (ebd. 47) zu erfassen vermag. Im Denken dieser Anschauung, welches notwendig ist, um sie zum vollen Bewusstsein zu bringen, begreift das Ich sich als bloßes Vermögen der Freiheit, ohne inhaltliche Bestimmtheit, die ihm diktieren könnte, wozu es frei sei. Es handelt sich also um das Phänomen der Freiheit, wie es im zweiten Paragraphen beschrieben wurde. Es stellt nicht im eigentlichen Sinne ein Bewusstsein des Triebes dar, vielmehr ermöglicht es die Entgegensetzung des Ich und damit seine Freiheit auch noch gegenüber diesem Trieb. Die Reflexion bestimmt sich frei dazu, über das Streben zu reflektieren oder nicht. In diesem Moment der Reflexion auf das Streben, liegt dasjenige, was wir in Bezug auf die oben dargelegte Vierfachheit der Erscheinung des Triebes den subjektiven Trieb (auf das subjektive Ich) nennen können. Es wird darin nicht auf das eigentlich Triebhafte geblickt, das dem Ich gegenübersteht und es treibt, in welchem Fall sich eher ein objektives Verständnis anbietet. Vielmehr geht es um das subjektive Element in Entgegensetzung gegen die Objektivität überhaupt. Das ursprüngliche Ich glaubt dabei selbstständig den Gedanken hervorzubringen, also gerade diejenige Kausalität durch den Begriff darzustellen, die es sich als Freiheitsvermögen fortan zuschreiben wird. Doch da ebenso neben der bloßen Vermögensfreiheit noch ein Bewusstsein des Triebes vorliegen muss, um Selbstbewusstsein zu ermöglichen, darf nicht übersehen werden, dass der Gedanke wegen der Natur des Strebens eine notwendige inhaltliche Bestimmung besitzt. Zwar hat das Ich die Freiheit zu denken oder nicht, aber, sobald es denkt, denkt es notwendigerweise diesen bestimmten Gedanken. Hier zeigt sich das genuin Objektive am Phänomen des Triebes als objektive Bestimmung des subjektiven Ich. Was ist also der Inhalt dieses Gedankens? Es dürfte klar sein, dass die Reflexion auf das Streben bzw. den Trieb einen Gedanken hervorruft, der die Charakteristik des Strebens lediglich übertragen in das Medium des Gedankens besitzt, sonst wäre er nicht Reflexion auf den Trieb. Der Trieb im eigentlichen Sinne weist einen Bezug auf die Objektivität auf, insofern er letztlich nichts anderes als der Bezug der reinen Tätigkeit auf die Objektivität ist. Um nun eine Bestimmung des subjektiven Ich sein zu können, muss letzteres im Trieb seiner eigenen Absolutheit gewahr werden, die es im Bezug auf die Objektivität durch Entgegensetzung manifestiert; es zeigt sich der Bezug durch Entgegensetzung. Da das Ich jedoch angesichts der bestehenden Objektivität nicht de facto seine Absolutheit behaupten kann, erscheint der Trieb als eine Idee und zwar gemäß der Tendenz als diejenige des absoluten Ich, worin die absolute Selbsttätigkeit des Ich
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gedacht wird. Die Objektivität des Triebes führt zum Gedanken eines „absolute[n], unveränderliche[n] Bestehen[s]“ (ebd. 48), für das Denken ist dies nichts anderes als ein Gesetz. Die Triebnatur kommt dahingehend zur Geltung, dass in dem Gesetz kein faktischer Bestand dokumentiert wird, sondern vielmehr der ideale Zustand der absoluten Selbsttätigkeit des Ich. Der Bezug durch Entgegensetzung der reinen Tätigkeit auf die Objektivität erfasst das Streben im Gedanken des Sittengesetzes, der Vorstellung der absoluten Negation des Nicht-Ich. Auf diese Weise finden die Ausführungen aus der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre ihre Bestätigung, wonach der Bezug durch Entgegensetzung zur Idee des absoluten Ich führt.23 In Analogie zum vorherigen Kapitel sollen auch am Ende dieses Abschnittes die darin enthaltenen Ergebnisse zusammengefasst und auf das zuvor Abgehandelte bezogen werden. Genau betrachtet liefert Fichte in diesem Kapitel nichts Neues, was nicht auch schon zuvor in der Grundlage – freilich noch undifferenzierter – behandelt worden war. Die Differenzierung gewinnt man durch Analyse der Reflexion auf das Streben als wesentlichen Bestandteil von Selbstbewusstsein. Im vorangehenden Kapitel hatten wir festgehalten, dass das wirkliche Selbstbewusstsein allein durch die Reflexion auf das Streben nach absoluter Selbsttätigkeit zustande kommt. Die formale intellektuelle Anschauung als reine Tätigkeit vollzieht sich darin und wird zugleich begriffen durch absolute Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich mittels der Reflexion, woraus das reine Freiheitsvermögen, die absolute Unbestimmtheit gegenüber der Wirklichkeit des Nicht-Ich hervorgeht. Diese Position allein kann das Ich jedoch nicht beziehen, um so seine Absolutheit zu demonstrieren, insofern ihm gerade das Nicht-Ich entgegengesetzt ist und dadurch seine Absolutheit gefährdet. Anders gesagt: Die reine Unbestimmtheit leidet darunter, von etwas außerhalb ihrer beschränkt und damit bestimmt zu sein.24 Dies impliziert die Haupt-Antithese als den zu lösenden Widerspruch. Die Freiheit als reines Vermögen kann _____________ 23 Streben und Reflexion konkretisieren sich in der Zweiheit von Sittengesetz und Wahlfreiheit (Entscheidung), welche in Wechselwirkung die Einheit des absoluten Ich zum Austrag bringen. Die Trennung beider ergibt sich dabei eben aus der Reflexion oder deutlicher: aus der Endlichkeit des Menschen, der nicht automatisch sittlich handelt. Vgl. dazu Goubet: „L’impératif catégorique fichtéen comme tendance et décision“. In: Bienenstock 161-176. 24 Dies ist auch insofern einleuchtend, als die Reflexion versucht, die Unbestimmtheit zu begreifen, und in diesem Zuge für ihre „Verendlichung“ sorgt, indem sie diese dem Nicht-Ich gegenüberstellt. Die Tatsache, dass die reine Tätigkeit in der Reflexion nicht hinreichend begriffen werden kann, ruft die Notwendigkeit des anderen Freiheitstyps, nämlich der sittlichen Freiheit, auf den Plan.
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für sich nicht aufrechterhalten werden, sondern muss durch eine andere Art der Freiheit ergänzt werden. Damit wird der eigentliche Bezug von absolutem und objektivem Ich, oder schlechthin von Ich und Nicht-Ich hergestellt: Es folgt das Streben als dieser Bezug. Mittels des Strebens hält das Ich die Spannung zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit aus, indem es sich als unendliche Tendenz zum Unendlichen versteht. In der Verwirklichung des Strebens erfüllt das Ich deshalb seine Freiheit, die nicht aus der Missachtung des Nicht-Ich entspringt, sondern dieses vielmehr ernst nimmt. Die erste Reflexion auf das Streben manifestiert dieses in Form des Sittengesetzes, Ausdruck eines idealen Zustandes, worin die absolute Unbestimmtheit des Freiheitsvermögens durch absolute Negation des Nicht-Ich verwirklicht ist. Die ursprüngliche Unbestimmtheit des Ich fordert angesichts des Nicht-Ich diesen Gedanken des Sittengesetzes. Dennoch ist das Gesetz kein Zwang, den die Bedrohung des Nicht-Ich dem Ich auferlegt. Das Ich muss das Sittengesetz nicht denken, sondern es entschließt sich frei dazu. Die Reflexion auf das Streben geschieht aus freiem Entschluss. Sobald sie erfolgt, muss sie jedoch notwendigerweise das Sittengesetz zu ihrem Inhalt haben. Aus diesem Grund bewahrt das Freiheitsvermögen seine Freiheit nur dann, wenn es sich zum Sittengesetz entschließt. Alles andere bedeutet einen falschen Freiheitsgebrauch, der in die Unfreiheit und – wie hervorzuheben ist – nicht zum ursprünglichen Selbstbewusstsein führt! Für den Ursprung des Ich ergibt sich demnach eine Situation, in der Freiheit und Notwendigkeit unzertrennlich in Wechselwirkung begriffen sind. Die Autonomie, die das Sittengesetz ermöglicht, erscheint erst dann vollständig, wenn sich das Ich dieses Gesetz spontan gibt, ebenso wie das Ich nur dann frei ist, wenn es sich zu diesem Gesetz entschließt. Das Bewusstsein der Freiheit in diesen beiden Formen stellt die Bedingung des Selbstbewusstseins dar. Es gibt kein Ich, das sich nicht beider Formen bediente. Mittels dieser Unterscheidung zweier Freiheitsformen entgeht Fichte einem Problem, dem die Kantische Moralphilosophie ausgesetzt ist. Kant leitet in der Kritik der praktischen Vernunft die Freiheit aus dem Bewusstsein des Sittengesetzes ab, insofern letzteres zum Erkenntnisgrund (ratio cognoscendi) der ersten wird, wohingegen im eigentlichen Sinn für Kant die Freiheit den Seinsgrund (ratio essendi) des Bewusstseins des Sittengesetzes darstellt.25 Im Vergleich dazu enthalten frühere Ausführungen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vielmehr die Behauptung, dass das Bewusstsein der Freiheit überhaupt erst das Sit_____________ 25 AA V, 4 Anm.
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tengesetz ermöglicht.26 Demgegenüber betont Fichte die Gleichursprünglichkeit beider Bewusstseins- und Freiheitsformen. Das Phänomen der Freiheit verstanden als Vermögen erhält allein durch das Sittengesetz seine Wahrheit, wie das Sittengesetz allein auf der Grundlage des Vermögens überhaupt eine Gestalt der Freiheit, nämlich die Autonomie des Ich sein kann. Ansonsten wäre es nur ein dem Ich von außen auferlegter Zwang. Ebenso klärt sich ein weiteres Problem der Kantischen Freiheitstheorie. Es handelt sich um das Problem der Beziehung von Freiheit als Willkür und Autonomie. Die Frage lautet, ob der Mensch allein dann frei zu nennen ist, wenn er dem Sittengesetz gemäß handelt, oder ob er zudem über die Freiheit verfügt, sich für oder gegen das Sittengesetz zu entscheiden. Während in der Kantischen Religionsschrift die letztere Möglichkeit offen gehalten wird, um die Zurechnungsfähigkeit des Menschen auch für das Böse zu betonen, legen andere Stellen nahe, dass der Mensch allein unter dem Sittengesetz frei ist.27 Im letzteren Fall aber könnte es keine freie Entscheidung für das Böse geben. Wie auch immer es um das Problem bei Kant bestellt sein mag, so ergibt sich für Fichte diese Schwierigkeit schon deshalb nicht, weil er zwei Arten von Freiheit voraussetzt, wobei erstere als Freiheit zur Reflexion auf das Streben, also auf das Sittengesetz schon eine Form der Freiheit darstellt. In diesem Vermögen gründet die Freiheit des Menschen, sich das Sittengesetz zu geben oder nicht, also letztlich die Freiheit zu reflektieren oder dies zu unterlassen.28 Mit Freiheitsvermögen und Sittengesetz sind der Freiheit bereits zwei wichtige Komponenten zugewiesen worden: die reine Unbestimmtheit sowie der Übergang von dieser zur Bestimmtheit, zu einem wirklichen Wollen.29 Wie nun das wirkliche Wollen konkret in der Welt _____________ 26 AA IV, 447f. 27 So AA VI, 226f. Zu dieser Problematik vgl. Baumanns 2000, 79-88. Baumanns versucht darin, allen möglichen Angaben Kants, die auf eine Lösung dieses Problems hindeuten könnten, nachzugehen. Dennoch konstatiert er letztlich die Aporie, deren Wurzel in der dunklen Unterscheidung von noumenalem und phänomenalem Charakter des Ich zu finden sind (ebd. 84). Da Fichte diese Dualität des Ich bei Kant in seinem System von Grund auf überwinden will, ist klar, warum er auch für das Folgeproblem kein Verständnis hat. Zum Verhältnis von Wahlfreiheit und Sittengesetz bei Fichte siehe auch Klotz 139ff. 28 Hier zeichnet sich schon die Lösung für das Problem des Bösen bei Fichte ab. Derjenige der die Reflexion auf das Streben nicht vollzieht, ist böse zu nennen. Das Böse ist die Trägheit der Reflexion (s.u. S. 106f.). 29 Im Sinne einer Analogie von Leben und Philosophie waren uns beide Formen auch schon am Anfang des philosophischen Unternehmens begegnet. Demnach schafft der Philosoph durch die Freiheit der Reflexion die nötige Distanz zur Wirklichkeit, um – bei der Wahl des Idealismus – die Freiheit des Sittengesetzes zum Grund seiner Philo-
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zu vollziehen ist, bleibt noch erklärungsbedürftig. Des Weiteren bedarf der Bezug durch Bezug der reinen Tätigkeit auf die Objektivität noch der Klärung. Während die erste Frage uns im folgenden Kapitel beschäftigen soll, wird die zweite im Anschluss daran zu Fichtes eigentlicher Trieblehre führen. 3. Die Möglichkeit der Verwirklichung des Strebens Nachdem im ersten Teil des Systems der Sittenlehre im Ausgang vom Wollen als der ursprünglichen Situation der Bewusstwerdung des Ich der direkte Weg zum Prinzip der Sittlichkeit eingeschlagen wurde, wird nun die Frage nach dessen Anwendbarkeit in der Sinnenwelt gestellt. Damit verfolgt Fichte den im Besonderen für die Spezialdisziplinen der Wissenschaftslehre üblichen Dreischritt: Deduktion des jeweiligen Prinzips, Deduktion seiner Applikabilität und Applikation. Die Frage der Anwendbarkeit betrifft sowohl das Wollen als auch die daraus folgende Handlung: Wie kann das Ich das Sittengesetz überhaupt wollen und wie kann es das sittliche Wollen in der Sinnenwelt zur Ausführung bringen? Die Antworten auf diese Fragen werden sich im Sinne der Deduktion als Möglichkeitsbedingungen des Selbstbewusstseins erweisen. Im Hintergrund dieser Ausführungen steht die bereits gewonnene Erkenntnis, dass sich das Ich ursprünglich im Akt des Wollens konstituiert, weshalb lediglich auf der Grundlage aller dazu erforderlichen Bedingungen der Ursprung des wirklichen Selbstbewusstseins erfolgt. Man darf die Bedeutung der Frage nach der Applikabilität des Sittengesetzes in der Sinnenwelt keineswegs unterschätzen, insofern dahinter erneut die Bemühung Fichtes zum Vorschein kommt, Fehler oder Einseitigkeiten der Kantischen Philosophie zu beseitigen. Wie bereits in der Ersetzung des Dinges an sich durch den Anstoß, der Passivität oder Rezeptivität des Ich zugunsten dessen gehemmter Tätigkeit, versucht Fichte auch in der Ethik den Kantischen Dualismus in der Einheitsperspektive des Selbstbewusstseins aufzulösen – überzeugt, damit dem Geist des Kantischen Projekts die Treue zu halten. Diesen Weg wird Fichte vor allem mittels seiner Trieblehre einschlagen, worin er Einsichten sowohl der alten deutschen Schulmetaphysik als auch seines unmittelbaren Vorgängers Reinhold aufnimmt und transzendentalphilosophisch umdeutet.30 _____________ sophie anzunehmen. Darauf sowie auf die Frage nach dem Verhältnis von Leben und Philosophie soll in der Schlussbetrachtung dieser Abhandlung eingegangen werden. 30 Dieser geschichtliche Hintergrund ist in einem von Myriam Bienenstock herausgegebenen Sammelband erforscht worden. Die Vorreiterrolle Reinholds, die noch ur-
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Auf welche Weise zeigt sich nun bei Kant der Dualismus der Sittlichkeit? Bereits in der Kritik der reinen Vernunft hatte Kant im Begriff der transzendentalen Freiheit die bloße Möglichkeit erschlossen, dass ein Wesen den Fängen der allumfassenden Naturdetermination, der es im phänomenalen Bereich unterworfen bleibt, zugleich enthoben sein kann, insofern es an der intelligiblen Welt partizipiert. Während in der Sinnenwelt jede Ursache nur als Wirkung einer anderen Ursache zu deuten ist, vermag die transzendentale Freiheit ursprünglich eine Kausalitätskette in der Sinnenwelt anzustoßen, ohne ihrerseits durch eine fremde Ursache determiniert zu sein. Mittels dieser Unterscheidung von phänomenalem und intelligiblem bzw. noumenalem Charakter ein und desselben Wesens eröffnet sich bereits im Theoretischen die problematische Idee einer Freiheit von jeglicher Naturdetermination. Der Beweis, dass dem Menschen eine derartige Freiheit zuzusprechen sei, wird schließlich im Rahmen der praktischen Philosophie erbracht. Im Bewusstsein des Sittengesetzes, dem „Faktum der reinen Vernunft“, erfährt der Mensch nach Kant seine ursprüngliche Berufung zur Freiheit und darin die Möglichkeit, durch Befolgung des Sittengesetzes um seiner selbst willen sich dem mechanistischen Walten der Natur zu entwinden. Dennoch bleibt dieses Prinzip, gerade auf Grund seiner Entgegensetzung zur Sinnenwelt, hinsichtlich welcher der Mensch allein zu einer (inhaltlichen) Erkenntnis gelangen kann, bloß formal und in Bezug auf seine Anwendung problematisch. Denn entgegen einer Bestimmtheit des menschlichen Handelns durch Naturtriebe oder Glückseligkeitsmaximen, also Handlungsgesetzen, die der Mensch aus Interesse an seiner eigenen Glückseligkeit annimmt, fordert die moralische Freiheit, dass jede Handlung aus Achtung vor dem Gesetz begangen wird. Insofern sich das Handeln des Menschen aber in der Sinnenwelt vollzieht, ist er selbst ein Teil davon und muss nach den dort geltenden Gesetzen der Kausalität bestimmt sein. Jedes Handeln folgt demnach unweigerlich empirischen Triebfedern, die letztlich der Glückseligkeit unterstehen. Wenn daher jedes Handeln als Bestandteil der Sinnenwelt auf Glückseligkeit zielt, stellt sich die Frage, wie überhaupt noch ein Handeln aus moralischer Gesinnung möglich sein kann. Wenn zudem niemand, nicht einmal der Handelnde selbst wirklich erkennen kann, ob eine moralische Handlung vorliegt, sondern jede Erkenntnis lediglich dazu gelangen kann, das Bestehen sinnlicher _____________
sprünglicher als die Überlegungen von Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung anzusetzen ist, hat Claudio Cesa in einem Aufsatz aufgezeigt (Cesa 1993). Darin findet sich auch eine Abhandlung dieses Begriffes in Fichtes früheren Schriften vor dem System der Sittenlehre. Zur Bedeutung der Trieblehre in Fichtes System der Sittenlehre vgl. Gurwitsch 91ff.; 234ff.; Jacobs; Soller 1984, 40ff.
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Antriebe zu konstatieren – denn jede Erkenntnis erfasst ausschließlich den sinnlichen Charakter des Menschen –, dann spitzt sich das Problem der Anwendbarkeit des Sittengesetzes zu. In dieser hier freilich sehr skizzenhaft und stark konturierend geschilderten Gegenüberstellung von Sittengesetz und wirklichem Handeln erhält der Dualismus von Geist und Natur, Freiheit und Glückseligkeit bei Kant seine volle Deutlichkeit. Doch wenn Freiheit nicht allein im Inneren des Menschen verbleiben soll, sondern gemäß ihres eigenen Wesens nach Verwirklichung drängt, muss schon im Rahmen der Ethik aufgezeigt werden, wie sich dieser Übergang von Freiheit zur Natur vollziehen kann.31 Nun hat Kant – nicht in seinen genuin ethischen Schriften – an zwei prominenten Stellen versucht, diesen Dualismus abzumildern: zum einen in der Kritik der Urteilskraft, zum anderen mit seiner „dunklen“ Lehre vom noumenalen und phänomenalen Charakter des Ich und deren Beziehung.32 Ohne uns an dieser Stelle mit der Auseinandersetzung und Bewertung dieser Lösungsversuche beschäftigen zu können, genügt es, die Stoßrichtung der Fichteschen Modifikation zu verdeutlichen. Für Fichte muss die Anwendbarkeit des Sittengesetzes in der Sinnenwelt bereits im Rahmen der Ethik in ihrer Möglichkeit eingesehen werden, da es zu deren Aufgabe zählt, die Möglichkeit des Bewusstseins des praktischen Strebens aufzuzeigen, um so letztlich die Einheit des Selbstbewusstseins zu garantieren. Dies gelingt dadurch, dass sowohl das absolute als auch das theoretische Ich bzw. das davon erfasste Nicht-Ich im Lichte der praktischen Freiheit des Ich gedeutet werden. In Bezug auf letzteres folgt daraus, dass bereits die Objekte der theoretischen Welterkenntnis als Schranken praktischer Tätigkeiten aufzufassen sind,33 die durch die Freiheit des Ich zu überwinden sind und vom Ich auch de facto überwunden werden können, sonst wäre die Absolutheit des Ich in seiner Endlichkeit nicht aufrechtzuerhalten – das Ich zerfiele in zwei Entitäten. Das notwendige Bewusstsein des Strebens schließt die Erkenntnis der freien Tätigkeit des Ich in der Sinnenwelt mit ein, da sich das Ich nur auf diese Weise im wirklichen, freien Wollen objektiv werden kann.34 Der Kantische Dualismus von Freiheit und Natur kann _____________ 31 Der Vorwurf Max Schelers und anderer, Kant habe allein eine Gesinnungsethik entwickelt, der es nicht um die Ausführung der Handlungen und ihren Erfolg in der Sinnenwelt gehe, behält daher trotz seiner so nicht haltbaren Radikalität Recht, insofern er das Fehlen einer Behandlung der Verwirklichung der Freiheit im Rahmen der Kantischen Ethik moniert. 32 Letzteres findet sich in der Kantischen Religionsschrift sowie bereits rudimentär in der Kritik der reinen Vernunft. Dazu: Baumanns 2000, 33. 33 „Die Freiheit ist unser Vehiculum für die Erkenntnis der Objekte.“ (SW IV, 78) 34 Konkret wird dieser Beweis in §6 der Sittenlehre erbracht (s. S. 86f.).
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infolgedessen nicht in seiner Radikalität als absolute Trennung bestehen bleiben, sondern muss vielmehr aus einer gemeinschaftlichen Wurzel deduziert werden. Dies ermöglicht die Konzeption des Strebens, worin sowohl die unendliche, freiheitliche Natur des Menschen als auch seine Endlichkeit erfasst werden können. Haben wir oben bereits die Deduktion des Sittengesetzes aus dieser Wurzel verfolgt, so wird im Folgenden zu sehen sein, wie Fichte daraus ebenso dessen Anwendbarkeit erklärt. Den Ausgangspunkt für die Betrachtungen über die Anwendbarkeit des Sittengesetzes bildet das Bewusstsein des Wollens als die ursprüngliche Verwirklichung des Selbstbewusstseins. Der Vollzug der intellektuellen Anschauung als unmittelbares Bewusstsein der reinen Unbestimmtheit des Ich wird im Begriff des Freiheitsvermögens zum denkenden Bewusstsein gebracht. Darin erschließt sich dem Menschen seine eigene Natur, durch ein Vermögen der Begriffskausalität seine Freiheit gegenüber dem Nicht-Ich durchsetzen zu können. Im Bewusstsein der absoluten Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich allein für sich genommen, wie es im Begriff des Vermögens dokumentiert ist, kann der Mensch jedoch nicht zum Selbstbewusstsein kommen. Während im ersten Teil des Systems der Sittenlehre deshalb das eigentliche Bewusstsein des Strebens zur Ergänzung gefordert wurde, betrachtet Fichte nun im zweiten Teil zunächst die unmittelbaren Folgen aus dem Vermögensbewusstsein, um auf diese Weise im Ausgang von der absoluten Entgegensetzung zum Bezug des Ich auf das Nicht-Ich zu gelangen. Als erste Konsequenz ergibt sich: Das Vernunftwesen kann sich kein Vermögen zuschreiben, ohne zugleich etwas außer sich zu denken, worauf dasselbe gerichtet sei. (SW IV, 75)
Den Beweis dieses Satzes erbringen zwei weitere, unmittelbarere Folgerungen der Deduktion: 1. Das Vernunftwesen kann sich kein Vermögen der Freiheit zuschreiben, ohne mehrere wirkliche, und bestimmte Handlungen, als durch seine Freiheit möglich, zu denken. [...] 2. Das Vernunftwesen kann keine Handlung, als wirklich denken, ohne etwas außer sich anzunehmen, worauf diese Handlung gehe. (ebd. 78, 80)
Das Bewusstsein des Freiheitsvermögens kraft der absoluten Entgegensetzung zum Nicht-Ich impliziert zugleich ein Bewusstsein des Nicht-Ich (des „etwas außer sich“), sonst wäre die bewusste Entgegensetzung nicht möglich. Nun muss zunächst das Vermögensbewusstsein selbst konkretisiert, d.h. weiter bestimmt werden. Das Ich in statu nascendi erfasst dieses Vermögen – als die Möglichkeit, durch Begriffe eine Kausalität auf das Nicht-Ich auszuüben – nicht allein in seiner bloßen Abstraktheit, sondern ebenso bestimmt für die Reflexion. Es erkennt
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darin die Möglichkeit, mehrere bestimmte Zweckbegriffe oder Handlungen in der Welt zu realisieren. Dennoch bleibt es gegenüber diesen Möglichkeiten dahingehend absolut unbestimmt, dass es sich die Fähigkeit zuspricht, unter den möglichen Handlungen absolut frei wählen zu können. Betrachtet man nun diese bestimmten Handlungsmöglichkeiten, so ergibt sich aus ihrer Bestimmtheit zugleich der Bezug auf das objektive Sein. Die bestimmten Handlungen sind im Hinblick auf das Nicht-Ich konzipiert, in dessen Rahmen sie als Modifikationen der Wirklichkeit vollzogen werden sollen. Ihre Bestimmtheit entspringt mithin der Bestimmtheit der Wirklichkeit. Die konkreten Vorstellungen, die das Ich in seiner „schwebenden“ Einbildungskraft entwirft, können nur dann als Ursachen einer Wirklichkeit verstanden werden, wenn zugleich die Wirklichkeit als „ins Unendliche modifizierbarer Stoff“ (ebd. 82) gesetzt wird. Die Bestimmtheit der Handlungen ergibt sich gleichsam aus der Bestimmtheit, in der dieser Stoff auftritt, die aber gerade durch das Ich verändert werden soll. Wenn man nun davon absieht, welche Bestimmtheit den Handlungen jeweils zukommt, sondern allein auf das Faktum der Bestimmtheit überhaupt blickt, dann zeigt sich die Wirklichkeit als bloßer Stoff für das Freiheitsvermögen des Menschen, der auch unter seiner möglichen ständigen Modifikation durch das freie Ich subsistiert. Auf diese Weise versteht das ursprüngliche Selbstbewusstsein die Welt im Lichte seiner Freiheit. Ebenso wenig kann das Vernunftwesen sich ein Vermögen der Freiheit zuschreiben, ohne eine wirkliche Ausübung dieses Vermögens, oder ein wirkliches freies Wollen, in sich zu finden. (ebd.; eigene Herv. CB)
Das Ich findet sich, wie bereits im ersten Paragraphen bewiesen, nur als ein wollendes. Im Bewusstsein des Vermögens jedoch will das Ich nicht, sondern steht gleichsam vor verschiedenen Möglichkeiten zu wollen. Daher kann es darin allein nicht zum Selbstbewusstsein kommen, sondern muss ebenso in sich ein wirkliches Wollen finden. In diesem Wollen ist aus der Menge der möglichen Zweckbegriffe ein Zweck für das Handeln ausgewählt. Dennoch ist in diesem Wollen keineswegs das Bewusstsein des Vermögens beseitigt, sondern das Wollen wird nur dann richtig, nämlich als ein freies verstanden, wenn es als aus dem Vermögen hervorgegangen gedeutet wird. Aus dem freien Denken verschiedener möglicher Handlungen hat sich das Ich für eine bestimmte Handlung entschieden. Dieses bestimmte Wollen erfasst das Ich mittels intellektueller Anschauung in sich (ebd. 86). Auf diese Weise bestätigen sich unsere Ausführungen über die intellektuelle Anschauung. Im bestimmten Wollen vollzieht das Ich in seiner Ursprungssituation die konkrete Anschauung seiner Selbsttätigkeit, deren Kern, die formale Anschauung, im Sinne des Vermögensbewusstseins präsent ist.
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Das Ich kann sich ein Wollen nur deshalb in der konkreten Anschauung zuschreiben, weil es zugleich darin weiß, dass es sich dazu frei entschieden hat, indem es selbst seine ursprüngliche Unbestimmtheit zu einer Bestimmtheit des Wollens überführt hat. In dieser Selbstbestimmung konstituiert das Ich sein Wesen, d.h. sein Selbstbewusstsein mittels intellektueller Anschauung. Die folgenden Paragraphen im System der Sittenlehre wenden sich nun auf direkte Weise der Sinnenwelt zu. Dies geschieht zunächst durch die Behauptung, dass das Ich seines Wollens nicht bewusst werden kann, wenn es nicht zugleich seiner Wirksamkeit in der Sinnenwelt gewahr wird, die eben aus diesem Wollen hervorgeht (§6). Das Wollen muss für das ursprüngliche Ich demnach zugleich außerhalb seiner selbst sinnlich angeschaut werden können. Der Beweis dieses Satzes ist auf Grund seiner Kürze nur schwer verständlich. Es empfiehlt sich daher, ihn im Rückgriff auf bereits Erörtertes zu verdeutlichen, was Fichte an dieser Stelle leider nur andeutungsweise tut.35 Die reine Tätigkeit des Ich ist für sich selbst absolut unbestimmt und kann aus sich selbst nicht zu einer Bestimmtheit finden. Da jedoch Bestimmtheit der reinen Tätigkeit notwendig ist, damit das Ich sich in der Reflexion erfassen kann, bedarf es einer Beschränkung oder eines Anstoßes. Durch die Beschränktheit kann die ursprünglich reine Tätigkeit für die Reflexion im Begriff eines Freiheitsvermögens dem Nicht-Ich entgegengesetzt und damit gedacht werden. Wie wir gesehen haben, darf dieses Vermögen nicht allein abstrakt als Möglichkeit zur Begriffskausalität, sondern muss als Vermögen zu mehreren bestimmten Handlungen verstanden werden. Deren Bestimmtheit ergibt sich aus der Bestimmtheit des Nicht-Ich, d.h. die Mannigfaltigkeit der Handlungsmöglichkeiten verdankt das Ich der Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit. Damit erstere Mannigfaltigkeit nun auch – wie gefordert – für das Ich ist, hat es ebenso die Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich zu erfassen. Dem Nicht-Ich als seiner ursprünglichen Beschränktheit begegnet das Ich – was wir weiter unten noch ausführlicher darlegen werden – zunächst im Gefühl.36 Indes bedarf es zu einer bewussten Entgegensetzung des NichtIch sowie der Erkenntnis seiner Mannigfaltigkeit noch der sinnlichen Anschauung und des Denkens, da lediglich dadurch eine objektive Erkenntnis möglich wird. Im Gefühl fühlt sich das Ich in erster Linie selbst und vermag nicht das Bewusstsein eines Äußeren zu erwerben. Die sinnliche Anschauung hingegen versinnbildlicht die Hemmung der _____________ 35 Die folgenden Ausführungen ergeben sich nicht allein einer Interpretation des sechsten Paragraphen der Sittenlehre, sondern ziehen ebenso den ersten Paragraphen der Naturrechtsschrift Fichtes hinzu, die später ausführlicher behandelt werden sollen (III.). 36 Gemeint ist das Sehnen (vgl. S. 93f.).
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Tätigkeit des Ich in einer sinnlichen Mannigfaltigkeit. Sie ist von dieser Warte aus betrachtet nichts anderes als das deutliche Bewusstsein der Hemmung der Tätigkeiten bzw. der Schranken des Ich. Im bestimmten Wollen (§5) besitzt das Ich die Vorstellung, über diese Schranken hinaus zu sein, insofern der gewollte Zweckbegriff eine Wirklichkeit idealiter vorstellt, wie sie für das Ich beschaffen sein soll. Es liegt im Phänomen des Wollens aber nicht allein das Bewusstsein der Hemmung seiner Tätigkeit (sinnliche Anschauung) sowie das imaginäre Bewusstsein, darüber hinaus zu sein (ideale Vorstellung des Zweckes), sondern ebenso ein Bewusstsein der gehemmten Tätigkeit selbst. Mit letzterer kann nichts anderes gemeint sein, als ein Bewusstsein der freien Tätigkeit in der Sinnenwelt; dies fordert gleichsam die Stellung dieser Tätigkeit zwischen idealem Zweckentwerfen und sinnlicher Anschauung. Die Tätigkeit ist einerseits frei, indem sie einen selbst entworfenen Zweck verfolgt, andererseits gehemmt, insofern sie gegen den Widerstand der sinnlich wahrgenommenen Objekte angeht. Diese drei Bewusstseinsweisen sind lediglich verschiedene Hinsichten auf dieselbe gehemmte Tätigkeit, die zum deutlichen Bewusstsein des Ich notwendig sind: Das Bewusstsein der Hemmung, dasjenige, im idealen Sinne darüber hinaus zu sein sowie dasjenige der im strengen Sinne gehemmten Tätigkeit selbst erklären erst zusammengenommen das Phänomen des Wollens.37 Der anschließende Paragraph beweist, dass das Verfolgen eines Zweckbegriffes für das Ich in den meisten Fällen nur dadurch möglich ist, dass es zunächst die Mittel dafür in der Sinnenwelt hervorbringt. Während man auf den ersten Blick annehmen könnte, es handle sich hierbei um eine nebensächliche Ergänzung der Fichteschen Handlungstheorie, erschließt sich einem genaueren Blick, worum es eigentlich geht: um die Deduktion der Zeit als notwendige Komponente im menschlichen Handeln. Die freie Wirksamkeit in der Sinnenwelt vollzieht sich in mehreren sukzessiven Schritten und bringt dadurch für das Ich die Zeitlichkeit hervor. Der 8. Paragraph dringt nun noch weiter in die Bestimmung der Sinnenwelt ein und eröffnet die eigentliche Trieblehre. Den Ausgangspunkt dafür erbringt die Antithese der praktischen Philosophie überhaupt. Diese Bezeichnung rechtfertigt sich dadurch, dass sich aus dieser Antinomie sowohl in der Sittenlehre als _____________ 37 „[D]ie Tätigkeit in der Weltanschauung ist selbst jene freie Tätigkeit im Zustande der Gebundenheit; und umgekehrt, die freie Tätigkeit ist die in der Weltanschauung beschäftigte, wenn die Gebundenheit wegfällt.“ (SW III, 19) Oben hatten wir bereits in Auseinandersetzung mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung festgestellt, dass alles Tätigkeit des Ich sei und auch das Nicht-Ich nur eine Betrachtungsweise des Ich darstellt, nämlich diejenige, die auf die Schranken des Ich achtet (S. 46).
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auch in der Rechtslehre die wesentlichen praktischen Folgerungen ergeben. Es ist die Antinomie von Erkennen und Wollen. Während in der Naturrechtslehre eine objektive Lösung dieser Antinomie durch Einführung der Intersubjektivität geliefert wird, versucht Fichte in der Ethik eine subjektive Lösung im Innern des Menschen zu finden. Nur beide Lösungen zusammen werden die Antithese erfolgreich lösen. 4. Die Trieblehre und das Gewissen: Phänomenologie der Freiheit Bevor wir mit Fichte die Lösung der Antithese der praktischen Philosophie in Angriff nehmen und auf diesem Wege mit seinen Erörterungen über den Naturtrieb gleichsam in die Niederungen des menschlichen Trieblebens absteigen, ist es hilfreich, im Anschluss an den Begriff des Strebens und im Vorgriff auf die noch folgenden Ausführungen das Schema der Fichteschen Trieblehre kurz zu skizzieren. Eine Präzisierung dieses Schemas wird sich dann im Verlaufe der Deduktion ergeben. Bereits in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre hatte sich im Begriff des Strebens diejenige notwendige Tätigkeit des Ich gezeigt, mittels derer es seine zwei Aspekte der Unendlichkeit im absoluten Ich und der Endlichkeit im theoretischen Ich „erträgt“, ohne dabei seiner Identität verlustig zu gehen. Mittels des unendlichen Strebens stellt der Mensch den Bezug seiner beiden Aspekte her im Sinne einer absoluten Tendenz zum Absoluten. Da nun jedoch eine Tätigkeit nur dann dem Ich zugeschrieben werden kann, wenn es sich zugleich derselben bewusst ist, wurde in einem zweiten Schritt das Bewusstsein oder genauer: die Reflexion des Strebens gefordert. Das gesetzte Streben ist nun dasjenige, was Fichte einen Trieb nennt. Die aus der Reflexion hervorgehenden mannigfaltigen Ansichten des Strebens konstituieren die Fichtesche Trieblehre und vervollständigen im Rahmen der Ethik das Projekt der Wissenschaftslehre. Dabei werden die Reflexionsansichten des Strebens als eine Stufenfolge zunehmender Reflexion gedeutet, die zusammengenommen das vollständig reflektierte Streben ergeben.38 _____________ 38 Weniger prosaisch formuliert stellt sich das Verhältnis von Streben und Reflexion wie folgt dar: „Es ist in mir ein Trieb zu absoluter, unabhängiger Selbsttätigkeit. Nichts ist mir unausstehlicher, als nur an einem anderen, für ein anderes, und durch ein anderes zu sein: ich will für und durch mich selbst etwas sein und werden. Diesen Trieb fühle ich, so wie ich nur mich selbst wahrnehme; er ist unzertrennlich vereinigt mit dem Bewusstsein meiner selbst. Ich mache mir das Gefühl desselben durch das Denken deutlich, und setze gleichsam dem an sich blinden Trieb Augen ein, durch den Begriff. Ich soll, zufolge dieses Triebes, als ein schlechthin selbstständiges Wesen handeln; so fasse und übersetze ich jenen Trieb.“ (SW II, 249)
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Die unmittelbare Setzung des Strebens äußert sich zunächst in einem Trieb auf das ganze Ich oder im Urtrieb.39 Im Gegensatz zum reinen unendlichen Streben, das allein die Möglichkeit eines Anstoßes eröffnet, wird im Begriff des Urtriebes der ursprünglichen faktischen Beschränktheit des Ich Rechnung getragen als „absolute Schranken des Urtriebes“ (ebd. 99); es ist letztlich die Faktizität überhaupt des menschlichen Subjekts. Dennoch kommt der Urtrieb selbst für die Reflexion nicht zum deutlichen Bewusstsein, da diese allein in den Kategorien der Subjekt-Objekt-Trennung zu erfassen vermag, der Urtrieb sich jedoch als Trieb des ganzen Ich auf sich selbst erwiesen hat. Er ist vielmehr der durch die Reflexion unmittelbar gesetzte und daher ihr selbst nicht zum Bewusstsein kommende Grundzug des strebenden, praktischen Ich, der gleichsam prädisjunktiv die Reflexion leitet, ohne von ihr eingeholt werden zu können.40 Der Reflexion obliegt die Aufgabe, dieses Einheitsmoment in einem „postdisjunktiven“ Moment synthetisch wiederherzustellen. Dafür muss sie den ursprünglichen Trieb allererst im Sinne der Subjekt-Objekt-Trennung in seine vier Bestandteile zergliedern als subjektiver bzw. objektiver Trieb auf das subjektive Ich und als subjektiver bzw. objektiver Trieb auf das objektive Ich. Die erste zweifache Bestimmung des Triebes durch die Reflexion haben wir bereits innerhalb der ersten drei Paragraphen der Sittenlehre verfolgt. Der subjektive Trieb auf das subjektive Ich zeigt sich als das Freiheitsvermögen oder die absolute Entgegensetzung des Ich gegen das Nicht-Ich, während der objektive Trieb auf das subjektive Ich den Bezug durch Entgegensetzung repräsentiert und das Sittengesetz hervorbringt. Den dahinter stehenden Trieb wird Fichte im Folgenden den reinen Trieb nennen. Die Bestimmung des objektiven Ich hingegen steht noch aus. Sie wird folgende zwei Momente erbringen: Der objektive Trieb auf das objektive Ich zeigt sich im Naturtrieb. Der subjektive Trieb auf dasselbe Ich kommt im Gefühl (Sehnen), in der Begierde und im Entschluss zum Bewusstsein. Neben dieser Vierteilung des Urtriebes wird nun noch deren postdisjunktive Einheit verlangt, da lediglich auf diese Weise die Einheit des Ich in ihrem Fortbestand gesichert ist.41 Ebenso folgt aus der oben analysierten Funktion des Strebens, dass noch der Bezug durch Bezug, d.h. die endgültige Zusammenführung von absolutem und theore_____________ 39 Vgl. dazu, was wir oben bereits darüber ausgeführt haben (S. 69ff.). 40 Vgl. zur Bezeichnung dieses Triebes als prä- bzw. vordisjunktiv: Gurwitsch 92. 41 Auf diese Weise ergibt sich eine Fünffachheit der Synthesis durch die Reflexion – eine Struktur, die Fichte in späteren Ausführungen zur Wissenschaftslehre zu einem wesentlichen Bestandteil seines Systems machen wird (vgl. u.a. GA IV, 2, 190f.; 234; 238; SW X, 121; 313f.). Zur Fünffachheit s. Widmann 1977, 12ff.
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tischem Ich, aussteht. Diese synthetische Einheit darf nun freilich nicht im Sinne einer faktischen Zusammenführung verstanden werden, sondern vielmehr als eine Aufgabe, ein Sollen, das an den Menschen ergeht. Der letzte Trieb ist ein aus reinem und natürlichem Trieb gemischter Trieb oder der sittliche Trieb. Da auch er der Reflexion zum Bewusstsein kommen muss, zerteilt er sich in eine subjektive und objektive Komponente: das Gewissen und den kategorischen Imperativ. Vom achten Paragraphen der Sittenlehre an entwickelt Fichte gleichsam in Form einer Phänomenologie der Freiheit die verschiedenen Ansichten oder Bewusstseinsweisen des Strebens, wobei im Sinne der Deduktion hierbei an keine zeitliche Sukzession zu denken ist. Vielmehr werden alle notwendigen Bestandteile, die das Bewusstsein des Strebens und damit in letzter Linie das Selbstbewusstsein begründen, ihrer logischen Ordnung nach angeführt. Zur Übersicht über die daraus abgeleitete Trieblehre mag folgendes Schema dienen:
absolute Tendenz zum Absoluten Unendliches Streben gesetzt durch Reflexion Urtrieb Reflexionstrennung Bestimmung des subjektiven Ich subj. Best. Freiheitsvermögen
Bestimmung des objektiven Ich
obj. Best. reiner Trieb, Idee, Sittengesetz
subj. Best. Sehnen, Begierde, Entschluss formale Freiheit
obj. Best. Naturtrieb
Sittlicher Trieb materiale Freiheit Gewissen (subjektive Ansicht)
Kategorischer Imperativ (objektive Ansicht)
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Nach diesem allgemeinen Überblick über Fichtes Trieblehre wollen wir wieder den Faden der Deduktion aufnehmen. Die Deduktion hatte ergeben, dass das Ich sich nicht im Wollen ursprünglich finden könne, wenn es nicht zugleich seiner Wirksamkeit in der Sinnenwelt gewahr werde. Diese Sinnenwelt ihrerseits muss im Sinne eines subsistierenden Stoffes gedeutet werden, der sich dem Handeln als das zu Modifizierende zeigt. Eine weitere Bestimmung der Sinnenwelt und damit im gleichen Zuge des Ich erfolgt nun dadurch, dass das Ich nicht nur sich selbst, sondern auch den Objekten eine „gewisse“ Wirksamkeit zuzuschreiben hat (§8). Zum Beweis dieses Satzes rekurriert Fichte auf eine Antithese, die sich im bisherigen Verlauf unvermerkt eingeschlichen hat. Danach wird zum einen gefordert, dass der Mensch in dem Moment, in dem er zum Selbstbewusstsein kommt, seiner Wirksamkeit, d.h. seines Wollens in der Sinnenwelt gewahr wird. Erst durch diese angesichts der Wirklichkeit des Nicht-Ich gehemmten Tätigkeit kann das Ich zum Erkennen der Objektivität, welche gerade das Beschränkende seiner Tätigkeit ausmacht, kommen. Nun kann sich das freie Ich diese Wirksamkeit jedoch nur dann zuschreiben, wenn es sie als Wirkung aus dem vorhergehenden Entwerfen und Erkennen eines Zweckbegriffes deutet. Man sieht, auf welche Weise die Deduktion der Zeit aus §7 nun zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Erklärung des Ursprunges des Selbstbewusstseins führt. Soll sich das Ich ursprünglich in seiner realen Wirksamkeit finden, dann kann es nicht zuvor schon beim Entwerfen eines Zweckbegriffes existiert haben. Dennoch versteht es seine Wirksamkeit nur dann als freie Tätigkeit in der Sinnenwelt, wenn es diese Erkenntnis des Zweckes voraus-setzt. Damit setzt es sich selbst aber voraus, was nur möglich wäre, wenn es vor dem Entwerfen eines Zweckes bereits seiner selbst bewusst gewesen wäre, also eine andere freie Wirksamkeit gesetzt hätte, für die es erneut einen Zweck davor hätte erkennen müssen usw. Die Lösung der Antithese von Wollen und Erkennen liegt aus transzendentaler Sicht auf der Hand. Der Ursprung des Selbstbewusstseins kann nicht im zeitlichen Sinne verstanden werden, da die Zeit selbst erst mit dem Selbstbewusstsein konstituiert wird. Daher muss die Konstitution vielmehr in einem Moment geschehen, in dem alle durch die Philosophie deduzierten Elemente gegenwärtig sind. Insofern aus dieser Perspektive der Zweck nicht im zeitlichen Sinne dem Wollen vorangeht, steht die Philosophie in der Pflicht zu erklären, wie es möglich ist, dass sowohl die Wirksamkeit oder das Wollen in der Sinnenwelt als auch das Erkennen des Zweckes für das entstehende Ich in einem einzigen Moment erfolgen. Gesucht wird eine Synthese von
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Wollen und Erkennen, die im Moment des Ursprungs vorliegen muss.42 Zu diesem Zwecke schließt Fichte an die Ausführungen über die Reflexion auf den Urtrieb an, welche bislang lediglich der Bestimmung des subjektiven Ich durch diesen Trieb gegolten hatten.43 Die Bestimmung des subjektiven, mithin intelligenten Ich durch den Trieb verdeutlicht, auf welche Weise der Urtrieb trotz seiner ursprünglichen Schranken durch den Anstoß über diesen idealiter hinaus ist, indem das subjektive Ich verstanden als freie Intelligenz mittels des Vermögens zur Begriffskausalität und des Sittengesetzes die Kausalität des Triebes durch Entwerfen von Zwecken aufzunehmen und anschließend im Bereich des Nicht-Ich umzusetzen vermag. Wie bestimmt nun dieser Trieb das objektive Ich, d.h. das Ich, wie es in der Sinnenwelt für Anschauung und Denken zugänglich ist: das Ich als Naturwesen? Neben der aktiven Seite des Triebes durch seinen Einfluss auf das subjektive Ich kommt ihm ebenso eine passive Seite zu, die darin besteht, dass er keine reale Kausalität auf das Nicht-Ich ausübt, sondern vielmehr von diesem gehemmt und beschränkt wird. Dies erfährt nun das objektive Ich im Gefühl.44 Das Gefühl stellt bei Fichte diejenige Bewusstseinsweise des Triebes dar, die auf dessen Endlichkeit und Begrenztheit geht und damit den eigentlichen Kontakt zur Wirklichkeit etabliert. Dennoch ist mit dem Gefühl noch kein Bewusstsein der Wirklichkeit erreicht, da es sich noch ausschließlich in der Binnensphäre des Subjekts und seiner Triebe bewegt: Fühlendes und Gefühltes sind dasselbe Ich. Im Gegensatz zu sinnlicher Anschauung und Denken, die den Eindruck hervorrufen, dass das von ihnen Erfasste auch jenseits ihrer Erfassung besteht, kann man hinsichtlich des Gefühls nicht von einer derartigen Entgegensetzung ausgehen. Das Gefühlte existiert allein im Gefühl und wäre ohne dieses nicht. So zeigt sich im Gefühl eine „primitive“ Einheit von Subjekt und Objekt. Was fühlt nun dieses Gefühl? Da es ein Bewusstsein _____________ 42 „[D]er erste Moment alles Bewusstseins [besteht] in einer absoluten Synthesis der Entwerfung des Zweckbegriffs, und der Wahrnehmung eines Wollens dieses Zwecks“. Das ursprüngliche Ich denkt darin notwendigerweise den Zweck „als [zuvor] entworfen, mit Freiheit, um das Wollen selbst als frei finden zu können“ (ebd. 102). Aus transzendentaler Sicht ergibt sich jedoch, dass alle Setzungen durch das Ich ursprünglich in einem einzigen Moment stattfinden müssen. Wie beide Ansichten zu vereinbaren sind, ist eine zentrale Frage für die Philosophie Fichtes. 43 Vgl. §§1-3 der Sittenlehre. 44 Vgl. SW I, 297: „Der Trieb sollte gefühlt werden, als Trieb, d.i. als etwas, das nicht Kausalität hat. Inwiefern er aber wenigstens zu einer Produktion seines Objekts durch ideale Tätigkeit treibt, hat er allerdings Kausalität, und wird insofern nicht gefühlt, als ein Trieb.“ Sondern als Freiheitsvermögen und Sittengesetz.
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von der Beschränktheit des Ich hinsichtlich seines Triebes ermöglicht, erschließt das Gefühl die Bedürftigkeit des Ich. Ohne weitere Bestimmung, wessen das Ich bedarf, konstatiert das Gefühl allein die Tatsache des Bedürfnisses. Insofern ist das Gefühl hinsichtlich dessen, was den Gegenstand des Mangels darstellt, blind und bedarf der Ergänzung durch Anschauung und Verstand. Es ist in diesem abstrakten Sinne ein bloßes Sehnen, „eine unbestimmte (durch keinen Objektsbegriff bestimmte) Empfindung eines Bedürfnisses“ (SW IV, 105).45 Das Sehnen beschreibt das erste unmittelbare, noch undeutliche Bewusstsein der Triebnatur des Ich oder des Strebens. Mittels dieses praktischen Gefühls etabliert das Ich seinen Bezug auf das Nicht-Ich, ohne dieses bereits selbst als das Entgegengesetzte zum Bewusstsein bringen zu können. Es weiß darin sowohl um seine Beschränktheit als auch um seine Tendenz, darüber hinausgehen zu wollen. Daher muss im Sehnen gleichsam die erste rudimentäre Vorform des Bewusstseins der menschlichen Freiheit gesehen werden, die den Menschen über alle anderen Naturwesen hinwegsetzt (ebd. 123). Zugleich liegt in diesem Gefühl eine Lösung der oben angezeigten Antithese von Wollen und Erkennen, indem es eine ursprüngliche, noch undeutliche Erkenntnis der Zwecke des Ich gewährt, die nicht vom Trieb oder vom Wollen getrennt werden kann. Das Gefühlte, der Trieb als Vorform des Wollens, besitzt keine Unabhängigkeit vom Fühlenden oder Gefühl, sondern besteht nur in der Einheit mit diesem, weshalb auch das Subjekt im Gefühl sich nicht vom Trieb unterscheiden kann, sondern sich als unmittelbar eins mit dem Trieb fühlt. Weil das Sehnen die erste, unmittelbare Stufe der Reflexion auf den Urtrieb darstellt, vollzieht das Ich noch keine deutliche Trennung von Subjekt und Objekt, Erkennen und Wollen. Auf Grund dieser unmittelbaren Einheit mit dem Trieb im Gefühl des Sehnens übernimmt das subjektive Ich dessen Zwecke als seine eigenen und kann die Tätigkeit des Triebes in der Sinnenwelt als die Ausführung seines eigenen Zweckes deuten, obzwar es aus transzendentaler Sicht augenscheinlich ist, dass das Ich nicht in einem vorherigen Moment diesen Zweck entworfen hat. Die gesuchte erste Handlung des Ich in seiner Ursprungssituation erweist sich demnach als die Befriedigung des ursprünglichen Triebes, der unmittelbar im _____________ 45 „Eine solche Bestimmung im Ich aber nennt man ein Sehnen; einen Trieb nach etwas völlig unbekanntem, das sich bloß durch ein Bedürfnis, durch ein Missbehagen, durch eine Leere offenbart, die Ausfüllung sucht, und nicht andeutet, woher?“ (SW I, 302f.) In der Grundlage unterscheidet Fichte zwei Arten von Gefühlen, das Gefühl der Beschränkung des Triebes und das Sehnen, das über diese Beschränkung hinaus will. In der Sittenlehre hingegen scheint er beide Momente im Sehnen zusammen zu denken. Über den Begriff des Sehnens in der Grundlage s. W. Hogrebe: „Sehnsucht und Erkenntnis“. In: Hogrebe 1995, 50-67.
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Sehnen gefühlt wird und dem Ich darin „als frei entworfener Zweckbegriff“ erscheint (ebd. 105). Nun muss man freilich an dieser Stelle anmerken, dass sich mit dem Sehnen allein noch keine Erkenntnis eines Zweckbegriffes im Sinne einer objektiven Bestimmtheit, die in der Sinnenwelt realisiert werden soll, einstellt. Daher reicht das Sehnen und der ursprüngliche Trieb nicht aus, die Entstehung des Selbstbewusstseins im Wollen zu erklären. Die noch undeutliche Erkenntnis der Zwecke des Ich muss durch Einbildungskraft und Denken zu einer deutlichen Erkenntnis überführt werden. Dieser Mangel des Sehnens darf nicht verwundern, da bislang die Reflexion auf das Streben einseitig erbracht ist. In diesem Sinne kann auch nicht davon die Rede sein, dass der Trieb dem Ich einen Zweckbegriff gibt. Triebe sind vielmehr Tendenzen oder Kräfte ohne genaues objektives Bewusstsein dessen, wonach sie treiben. Sie bedürfen immer der Leitung durch das Ich, das zuallererst die Vorstellung eines Zweckes, freilich im Hinblick auf die Triebe, entwirft. Indes stellt das Sehnen eine notwendige Bedingung für das Selbstbewusstsein dar, weil es die unmittelbare Identifikation des Ich mit seinem Trieb garantiert und das Entwerfen eines Zweckes nicht der bloßen Willkür anheim stellt. Der erste entworfene Zweck muss infolgedessen auf die Befriedigung dieses Triebes abzielen und ermöglicht so die Einheit des Ich in Wollen und Erkennen. Nun wurde bislang nahezu ausschließlich auf die subjektive Seite, also auf das Bewusstsein des Triebes, geachtet, und noch nicht erörtert, auf welche Weise sich der Urtrieb in dieser Reflexion äußert. Zwar kennzeichnet der Urtrieb das einheitliche Wesen des Ich, doch wird er im Sehnen lediglich im Sinne der Bestimmung des objektiven Ich, also des beschränkten Naturwesens aufgefasst. Deshalb erscheint er in dieser Reflexion nicht als solcher, sondern als Naturtrieb: Erblicke ich mich, als durch die Gesetze der sinnlichen Anschauung und des diskursiven Denkens vollkommen bestimmtes Objekt, so wird das, was in der Tat mein einziger Trieb [d.h. der Urtrieb; CB] ist, mir zum Naturtriebe, weil ich in dieser Ansicht selbst Natur bin. (ebd. 129)
Mit dem Sehnen und dem dazugehörenden Naturtrieb fügt sich das Ich in den Bereich des Nicht-Ich ein und behält diese Zugehörigkeit auch beim Entwerfen eines Zweckes bei, da dieser der Erfüllung des Naturtriebes verschrieben bleibt. Nun ergeben sich daraus nicht nur Folgen für das Selbstverständnis des Ich, sondern ebenso für sein Naturverständnis überhaupt bzw. die Naturkonstitution durch das Ich.46 _____________ 46 Die folgenden Ausführungen über die Natur zeigen, wie Fichte Kantische Überlegungen aus der Kritik der Urteilskraft im Rahmen der Ethik und aus ihrer Freiheitsper-
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Im Sehnen begegnet das Ich seiner Naturzugehörigkeit auf Grund seines Naturtriebes. Da dieser Trieb nur als gehemmt wahrgenommen werden kann, muss das Ich ebenso diese Hemmung bzw. den Grund dieser Hemmung denken. Die Hemmung seines Naturtriebes deutet das Ich nun im Sinne einer Gegenwirkung von anderen, fremden Naturtrieben. Der Bezug auf die Natur gelingt dem Ich dadurch, dass es diese entwirft als ein „organisches Ganzes“ (ebd. 113) von Naturtrieben. In diesem Sinne gehört das Ich mit seinem Naturtrieb gänzlich zur Natur und dem dort waltenden organischen Zusammenspiel der Triebe. Dem Ich erscheinen auf dem Standpunkt des gemeinen Bewusstseins die eigenen Naturtriebe als nicht durch sich selbst hervorgerufen, sondern als „Produkt der Natur“ (ebd. 124). Da das Ich jedoch seine eigene Natur nicht allein durch den Bezug, sondern auch in Entgegensetzung zur restlichen Natur, nämlich als Gegenwirkung, zu deuten hat, muss es im gleichen Zuge seinen eigenen Organismus aus der gesamten Natur herausnehmen und dieser entgegensetzen. So erwirbt das Ich ein Bewusstsein seines eigenen Leibes, der einerseits – nach bekannter Unterscheidung: qua Körper – Bestandteil der gesamten Natur, andererseits ihr in dem Maße entgegengesetzt ist, in dem er dem unmittelbaren Machtbereich des Subjekts untersteht. Hier ist das eigentliche Deduktionsziel des §8 der Sittenlehre erreicht. Das Nicht-Ich ist weiter dahingehend bestimmt, dass ihm die gleiche Wirksamkeit in der Sinnenwelt wie dem Ich, nämlich mittels Naturtriebe zugeschrieben wird. Mit dem Naturtrieb erhält die Freiheit des Ich eine erste Vorform, weil sich bereits so etwas wie Selbstbestimmung47 zeigt, die freilich noch nicht zur wahren Freiheit fortgeschritten ist, da ihr noch die Leitung durch den Begriff fehlt. Nur wenn es Fichte zu zeigen gelingt, wie die Freiheit die Naturtriebe gleichsam in ihre Regie zu nehmen und in moralische Zwecke zu transformieren vermag, ist die Applikabilität des Sittengesetzes bewiesen. Im Ausgang vom Sehnen und dem Naturtrieb entwickelt Fichte im Folgenden seine Phänomenologie der Freiheit als aufeinander aufbauende Stufen der Bewusstwerdung des ursprünglichen Strebens und damit der Konstitution von Selbstbewusstsein. Nach Durchlaufen dieser Stufen erhalten wir das oben schematisch dargestellte Modell der _____________ spektive aufnimmt. Auf diese Weise kommt er der Forderung nach, die Anwendbarkeit der Freiheit in der Sinnenwelt zu einem ethischen Problem zu machen (s. S. 82ff.). 47 „Selbstbestimmung ist der Begriff, vermittels dessen ein Trieb sich denken lässt.“ (SW IV, 110)
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Fichteschen Trieblehre.48 Über allen phänomenalen Freiheitsformen befindet sich der Grund- und Urtrieb des Menschen, der noch undifferenzierte einheitliche Trieb, in dem die „Übereinstimmung des ursprünglichen, in der bloßen Idee bestimmten, mit dem wirklichen Ich“ (ebd. 142) begründet liegt und aus dem sich alle weiteren Triebe durch verschiedene Reflexionshinsichten ergeben. Die Stufen lassen sich in vier Schritten wie folgt darstellen: 1. „Das Sehnen ist [...] die ursprüngliche, völlig unabhängige Äußerung des im Ich liegenden Strebens“ (SW I, 304), worin der Urtrieb als Naturtrieb reflektiert wird. In diesem „Gefühl eines Bedürfnisses, das man selbst nicht kennt“, hat das Ich ein noch undeutliches Bewusstsein seines Triebes, der angesichts der Natur zum einen gehemmt ist, zum anderen über die Beschränkung hinausdrängt. Da bereits hier die Reflexion zum Tragen kommt, stellt sich eine Vorform der Freiheit ein, die dem Tier nicht zugesprochen werden kann, das völlig dem Walten des Naturtriebes in ihm unterworfen ist. Dennoch ändert das Sehnen nicht die ursprüngliche Tendenz des Naturtriebes, es geht auf nichts anderes, als das, was im Naturtriebe liegt, auf ein materielles Verhältnis der Außenwelt zu meinem Leibe. (SW IV, 144)
Die Naturtriebe werden im Sehnen empfunden und ihre Befriedigung bereitet Lust. Während beim Tier aber die (versuchte) Befriedigung eines Triebes bestimmt erfolgt, sobald die äußeren Bedingungen dafür eintreten, ermöglicht dieses erste Bewusstsein dem Menschen bereits eine Distanz gegenüber seiner Naturgebundenheit. Mit dem Sehnen wird auf Grund der objektiven Unbestimmtheit des Bedürfnisses ein idealer Möglichkeitsspielraum eröffnet, worin das Ich im Anschluss durch freie Zweckentwürfe seine Triebkräfte zur Verwirklichung führen kann. Ebenso kann es aber auch diese Triebe durch Umlenken der Aufmerksamkeit ignorieren. Es zeigt sich bereits hier, dass die Triebe für die Menschen nur Impulse sind, die es ihm anheim stellen, ob er sie befriedigt oder nicht, und auf welche Weise er sie befriedigt. 2. Zur Verwirklichung der menschlichen Freiheit als Handeln nach einem Zweck bedarf es des Bewusstseins, wonach man strebt. Dies liegt im Sehnen noch nicht vor. Die zweite Reflexion richtet sich daher auf das Sehnen, um dieses selbst zum Bewusstsein zu bringen. Mit dieser erneuten freien Reflexion wird das Sehnen bestimmt; dies kann aber nur dadurch geschehen, dass ihm ein bestimmtes Objekt beigemessen wird, wodurch es von anderen Arten des Sehnens unterscheid_____________ 48 Das Folgende enthält eine Zusammenfassung der Aussagen der §§9-16 der Sittenlehre, die hier des besseren Überblicks halber nicht in ihrer eigentlichen Reihenfolge, sondern auf die Trieblehre hin interpretiert werden sollen.
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bar wird. So entsteht erst eine Mannigfaltigkeit der Naturtriebe für das Ich. „Aber ein durch seinen Gegenstand bestimmtes Sehnen heißt ein Begehren.“ (ebd. 127) Die Mannigfaltigkeit der Begierden des Ich konstituiert so das „niedere Begehrungsvermögen“. Von einem Vermögen kann deshalb die Rede sein, weil mit der erneuten freien Reflexion das Ich die Möglichkeit in seine Gewalt bekommt, auf gewisse Begierden zu reflektieren oder nicht.49 Das Ich erhält infolgedessen eine „Möglichkeit des Wählens“ (ebd. 180) zwischen der Befriedigung einzelner Naturtriebe oder Begierden. Da aber der begehrte Zweck nicht vom Ich selbst entworfen wird, sondern durch die über das Sehnen vermittelten Naturtriebe bestimmt ist, verfolgt auch die Begierde noch natürliche Zwecke, deren Ziel die Befriedigung der Naturtriebe oder schlechthin die Lust, den Genuss darstellt. Die Inhalte der Wahl unterliegen demnach immer noch der Natur, nur dass durch die Wahl einzelne Triebe zugunsten anderer bewusst ausgeblendet werden können und sich daher die Befriedigung der Triebe nicht wie bei Tieren von außen aufdrängt, sondern in der Macht des Menschen steht. Dadurch wird es dem Menschen möglich, die Triebe von einem allgemeinvernünftigen Standpunkt aus zu betrachten, d.h. sich einem Wahlkriterium zu verschreiben, das, wenn auch den gleichen Zielen wie die Natur untertan, dennoch ein erstes Anzeichen der Vernunft andeutet: die „Maxime der eigenen Glückseligkeit“ (ebd. 181). Nach diesem Kriterium vermag die menschliche Freiheit ihre Wahl der Begierden zu orientieren, sie steht gleichsam zwischen Natur und Geist. Diese Freiheit des niederen Begehrungsvermögens nennt Fichte die formale Freiheit (ebd. 135). Sie besteht schlechthin in der formalen Kraft des Bewusstseins bzw. der Reflexion, durch bewusste Hinwendung zu einzelnen Naturtrieben den Entschluss oder die Wahl zu fassen, die Zwecke dieser Triebe in die Wirklichkeit umzusetzen. Ihre Wahl richtet die Reflexion zwar noch nach der Lustsuche aus. Sie unterwirft diese aber bereits einer Allgemeinheit, welche, ohne etwas anderes zu tun als die Natur selbst, doch ein vollkommen neues, naturfremdes Element einführt: die Glückseligkeit. Insofern die Zwecke aber noch nicht diejenigen sind, die das Ich in Freiheit entworfen hat, also die Materie von außen an es herantritt, ist die Freiheit lediglich formal. 3. Der Mangel der bloß formalen Freiheit besteht zum einen darin, dass das Ich, insofern es aus dieser Freiheit heraus handelt, derselben noch nicht bewusst ist, und infolgedessen zwar frei für einen äußeren Betrachter, aber nicht für sich selbst erscheint (ebd. 136). Zum anderen _____________ 49 „Man kann unordentliche Begierden gar wohl unterdrücken, dadurch, dass man nicht auf sie reflektiert, sie ignoriert, sich mit etwas anderem beschäftigt“ (SW IV, 127).
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– und dies hängt mit dem ersten Aspekt unmittelbar zusammen – folgt das Ich weiterhin seinen Naturtrieben und entwirft keine eigenen bestimmten Zwecke seiner Freiheit, auch wenn es die Naturzwecke im Lichte seiner Glückseligkeit versteht. Der Grund für diesen Mangel liegt im Unvermögen der Reflexion auf das Sehnen, ihrer selbst gewahr zu werden. Deshalb wird eine erneute Reflexion gefordert, welche die formale Freiheit zum Bewusstsein bringt und den Naturtrieben entgegensetzt. Diese dritte Reflexion auf die Reflexion oder genauer: auf das Reflektierende der zweiten Stufe kann nur gelingen, indem von den Naturtrieben als dem Unwesentlichen abgesehen wird. Da von dem Reflektierten, dem Naturtriebe, abstrahiert wird, so enthält sie [die dritte Reflexion; CB] nichts, als die reine absolute Tätigkeit, welche in der ersten [in unserer Zählung: in der zweiten; CB] Reflexion vorkam; und diese allein ist das eigentliche wahre Ich. (ebd. 140)
Aus dieser abstraktiv-reflexiven Entgegensetzung des Ich gegen die Naturtriebe und damit gegen das Nicht-Ich überhaupt resultiert das reine Ich der intellektuellen Anschauung in Form eines Gedankens. Erinnern wir uns an das oben bereits Erörterte, so verwundert es nicht, dass damit das reine Freiheitsvermögen des Ich gemeint ist, seine absolute Unbestimmtheit angesichts des Nicht-Ich. Dies leuchtet umso mehr ein, als auf der vorherigen Stufe bereits von der Wahlfreiheit gegenüber bestimmten Handlungen bzw. Naturtrieben die Rede war, die aber erst jetzt zum vollen Bewusstsein des Ich kommt. Mit dieser Hinwendung der Reflexion auf das subjektive Ich entsteht nun nicht nur ein Bewusstsein des unbestimmten Freiheitsvermögens im Sinne der absoluten Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich, sondern zugleich das Bewusstsein einer Kraft, die das Ich befähigt, den Ansprüchen des Naturtriebes nicht zu entsprechen. Ansonsten wäre das Ich nicht in der Lage, gegen die Wirklichkeit des Nicht-Ich seine eigene Wirklichkeit zu behaupten, sondern verbliebe mit seinem Vermögen allein in einer bloßen Möglichkeit, der gegenüber die Naturtriebe weiterhin das Feld der Wirklichkeit dominierten. Die absolute Entgegensetzung muss vom Bezug durch Entgegensetzung begleitet werden. Dies erfolgt durch das Bewusstsein des Urtriebes, das diesen nicht im Sinne des Naturtriebes, sondern als eine diesem entgegengesetzte Tendenz deutet. Insofern es sich um eine Tendenz des reinen Ich handelt, nennt Fichte diesen Trieb den reinen Trieb. Er ist ein „Trieb der Freiheit um der Freiheit willen“ (ebd. 139) und erscheint als „absolutes Fordern“ (ebd. 145) oder als Sittengesetz. Er widersetzt sich der materialen Vorgabe der Zwecke durch den Naturtrieb und fordert vielmehr, die Zwecke aus sich selbst zu entnehmen. In seiner Forderung begründet dieser Trieb deshalb die materiale Freiheit. Es muss dennoch fest-
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gehalten werden, dass es auf dieser Stufe allein bei der Forderung nach materialer Freiheit bleibt. Entgegen dem natürlichen Genussstreben, das auch dann befriedigt wird, wenn sich das angestrebte Objekt zufällig und ohne Tätigkeit des Subjekts in der Sinnenwelt einstellt, tritt nun „ein Trieb zur Tätigkeit, um der Tätigkeit willen“ (ebd. 144) auf den Plan, der nur dann befriedigt ist, wenn das Ich zum Erreichen seiner selbst gesetzten Zwecke aktiv wird. Der Naturtrieb bestimmt das Ich nicht zur Tätigkeit, sondern zum Genuss, wofür es von der günstigen Konstellation der Wirklichkeit abhängt. Der reine Trieb hingegen fordert die aktive Umgestaltung der Wirklichkeit. Er begründet damit das höhere Begehrungsvermögen des Menschen, worin das Ich nicht wie im Falle der Naturtriebe von etwas letztlich nicht in seiner Macht liegendem Fremden getrieben wird, sondern sich gleichsam selbst treibt (ebd. 145). 4. Die schroffe Entgegensetzung von Naturtrieb und reinem Trieb auf der vorherigen Stufe, wodurch sich das Ich notwendigerweise vom Nicht-Ich absetzt, droht allein für sich genommen einen positiven Bezug auf das Nicht-Ich zu zerstören. Das Streben, das in erster Linie zur Herstellung dieses Bezugs konstituiert ist, kann folglich nicht ausschließlich in dieser Dualität begriffen werden, da es nicht nur durch Hervorhebung der Unbestimmtheit des Ich gegenüber dem Nicht-Ich die Freiheit durchzusetzen vermag. Anders ausgedrückt: Die durch das Streben herzustellende Einheit von absolutem und theoretischem Ich kann nicht durch Rückzug auf das absolute Ich in seiner bloßen Möglichkeit erfolgen, da ebenso auch der Bezug durch Bezug auf das theoretische Ich geleistet werden muss, worin das Streben die Fremdbestimmung durch das Nicht-Ich zugunsten der Selbstbestimmung aufhebt. Wenn Freiheit letztlich im Bewusstsein des Überganges von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit besteht (ebd. 137), dann muss ebenso die Möglichkeit einer Bestimmtheit des Ich aufgefunden werden, die aus seiner Freiheit und Unbestimmtheit entspringt. Gefordert ist letztlich eine Wirksamkeit des Ich in der Sinnenwelt, worin es das im reinen Trieb erfahrene Sittengesetz in die Tat umsetzt und somit appliziert. Soll sich das Subjekt ursprünglich in einem realen Wirken in der Sinnenwelt finden und auf diese Weise Selbstbewusstsein konstituieren, dann muss dies mittels einer Handlung geschehen, die moralische Zwecke zugunsten der Selbsttätigkeit des Ich verfolgt. Jede Handlung in der Sinnenwelt aber befriedigt – wie gesehen – Zwecke der Naturtriebe, sie ist ein Handeln des mit einem Leib ausgestatten natürlichen Ich. Nun erhält der reine Trieb seine Bestimmung gerade durch Entgegensetzung und Verleugnung des Naturtriebes, so dass
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zufolge desselben bloß nicht geschehe, was der Naturtrieb fordert, sonach [...] aus ihm bloß und lediglich eine Unterlassung, aber gar keine positive Handlung erfolgen könne, außer der inneren Handlung, der Selbstbestimmung. (ebd. 147)
Eine Theorie, die auf dieser Stufe stehen bleibt, sieht sich den Vorwürfen ausgesetzt, die man der Kantischen Ethik gegenüber vorbringen kann. Der Dualismus von Natur und Geist scheint unüberwindlich. Nach Fichte muss er aber überwunden werden, wenn Selbstbewusstsein möglich sein soll. Der letzte Schritt in der Fichteschen Phänomenologie der Freiheit besteht folglich in der Forderung nach einer Synthese von Naturtrieb und reinem Trieb. Da beide sich auf der letzten Stufe durch ihre Differenz bestimmt haben, muss nach Fichte ein weiterer Trieb eingeführt werden, der die Einheit beider garantiert: der sittliche Trieb, der ein aus Naturtrieb und reinem Trieb gemischter Trieb ist. Er erhält nicht zuletzt daher seine Berechtigung, weil sowohl Naturtrieb als auch reiner Trieb aus einer gemeinsamen Wurzel, dem Urtrieb, herkommen und nur verschiedene Weisen darstellen, das eine Ich der Reflexion zugänglich zu machen. Damit die ursprüngliche Wirksamkeit des Ich in der Sinnenwelt demnach möglich ist, fordert der sittliche Trieb eine Handlung, die beiden entgegengesetzten Trieben entspricht und so den Urtrieb in der Welt realisiert. Wie ist dies möglich? Klar ist, dass in dieser Frage das Scheitern oder Gelingen der ganzen Fichteschen Ethik, wenn nicht sogar seiner ganzen Philosophie begründet liegt.50 Jedes Handeln in der Sinnenwelt verfolgt Zwecke der Naturtriebe und befördert deren Befriedigung. Dennoch darf das Ich diese Zwecke nicht bloß aufnehmen, sonst gereichte es nur zur formalen, nicht aber zur materialen Freiheit. Die geforderten sittlichen Zwecke kommen nun nicht umhin, ihre Materie den Naturzwecken zu entnehmen, denen sie nicht nur ihre Form der Freiheit (das Bewusstsein) aufprägen, sondern die sie in eine gänzlich andere Materie transformieren. Dem reinen Trieb tragen diese neuen Zwecke insofern Rechnung, als sie seine Forderung nach absoluter Unbestimmtheit zu ihrem Endzweck, dem unendlich anzustrebenden, aber niemals zu erreichenden Ziel bestimmen. Die sittlichen Zwecke „liegen in einer Reihe, durch deren Fortsetzung ins Unendliche das Ich absolut unabhängig würde.“ (ebd. _____________ 50 Dies ist nach Gurwitsch die „Schicksalsfrage der Sittlichkeit“, welche seiner Meinung nach beim frühen Fichte in ihrer ganzen Tragik bestehen bleibt, da die Zusammenführung von Freiheit und Natur im sittlichen Trieb scheitert (Gurwitsch 250ff.). Dies geschieht deshalb, weil Fichte nicht dem Kantischen Formalismus entkomme. Richtig gesehen hat Gurwitsch, dass die Vereinbarung von Natur und Freiheit im sittlichen Trieb bei Fichte den Versuch darstellt, zu einer materialen Ethik vorzustoßen.
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153f.) Wie haben nun diese Zwecke im Einzelnen auszusehen? Die Naturtriebe setzen zu einem gegebenen Zeitpunkt mehrere Zwecke – nennen wir sie mit Fichte A, B und C. Der sittliche Trieb fordert nun zum Beispiel, dass die Zwecke A und C vollkommen fallengelassen werden, weil sie mit der Selbsttätigkeit des Ich unvereinbar sind. Und selbst der Naturzweck B soll nicht als ganzer verfolgt werden, sondern nur ein Teil von ihm. Dieser Teil ist von dem Naturtrieb – als solcher bloß für sich – nicht gefordert, daher stellt er vielmehr einen vollkommen neuen Zweck dar, der aus der Einwirkung des sittlichen Triebes resultiert. Durch Ausführung dieses Zweckes verändert das Ich zugleich die zukünftige Beschaffenheit seiner Naturtriebe (D, E, F), mit denen es ebenso zu verfahren hat wie im ersten Schritt. Alle Handlungen des Ich sollen auf diese Weise zur absoluten Unabhängigkeit des Ich von seinen Naturtrieben und damit dem Nicht-Ich führen, wie es der reine Trieb vorsieht. Die Materie des sittlichen Triebes kann daher sowohl als Materie des Naturtriebes als auch als Materie des sittlichen Ich selbst verstanden werden.51 Wir wollen diese Lösung durch den sittlichen Trieb und seine Zwecke noch weiter veranschaulichen, indem wir Präzisierungen einführen, die nicht explizit im Text Fichtes vorkommen, aber zu einem besseren Verständnis beitragen können. Zu sagen, dass der Naturtrieb Zwecke verfolge, ist genau genommen missverständlich, insofern er nicht wie das begriffliche Denken eine konkrete Vorstellung seiner Befriedigung vermittelt. Hat dies Fichte für den Begriff des Sehnens herausgestellt, so gilt es immer noch für die Begierde, also die höhere Bewusstseinsform des Naturtriebes. Hierin erfährt das Ich zwar genauer, wonach es ihm gelüstet (also ob Essen, Trinken, Ruhe, Geschlechtsakt u.a.), aber es hat noch keine deutliche objektive Vorstellung, wie es diese Triebe zu befriedigen vermag. Und genau in diese Unbestimmtheitszone der Naturtriebe kann der sittliche Trieb eingreifen, sich gleichsam einen „Teil“ herausnehmen, indem er zwar die Naturtriebe befriedigt, aber die Objektwahl seinen sittlichen Absichten unterstellt. Damit werden sowohl Absichten der Naturtriebe als auch des sittlichen Triebes verfolgt, ohne dass die Materie lediglich natürlicher Art wäre. Des Weiteren impliziert diese Lösung des Widerspruches von Natur und Geist _____________ 51 Einen ähnlichen Übergang von bloßen Naturzwecken zu Vernunftzwecken hat Volker Gerhardt mit seiner Unterscheidung von Motiven und Gründen des menschlichen Handelns vertreten. Während Motive zur Deskription einer Handlung im Rahmen der Kausalität dienen, übernimmt das Subjekt diese Motive in seinem bewussten Handeln und macht sie sich zu Gründen. Dadurch nimmt das Individuum seine Handlungen in die eigene Hand und orientiert sie an seinem Selbstverständnis. Vgl. das Kapitel „Motiv und Grund“ in Gerhardt 192ff.
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zugleich eine Zusammenführung von Moral und Glückseligkeit, insofern jeder sittliche Zweck – auf Dauer – der Erfüllung einer natürlichen Begierde dient. In der Ethik Fichtes müssen daher Tugend und Glückseligkeit nicht – wie bei Kant – durch das Postulat einer höheren Instanz, nämlich Gott, zusammengeführt werden, sondern sie sind gar nicht getrennt: Jede moralische Handlung befördert zugleich die Glückseligkeit. Die Einheit von Natur und Freiheit hat sich auf diesem Wege mittels der Trieblehre in ihrer rationalen Genesis ergeben. Sie liefert zugleich die genetische Erklärung des Kantischen Faktums der Vernunft, des Bewusstseins des kategorischen Imperativs.52 Es steht aber noch aus, über die Bewusstseinsweise des sittlichen Triebes zu reden. Das Subjekt auf dieser vierten Reflexion des Urtriebes erfährt den sittlichen Trieb, da es als Subjekt die Intelligenz darstellt, im Medium des Begriffs, wie im Falle des Sittengesetzes anlässlich des reinen Triebes, aber zudem, insofern es zugleich als objektives Ich seinen Naturtrieben unterliegt, als ein „absolutes Sollen“. Der Gegenstand seiner Erfahrung ist der kategorische Imperativ, der das Ich in einer konkreten Situation zu denjenigen Handlungen auffordert, die der absoluten Selbstständigkeit des Ich zuträglich sind: die durch seine Pflicht geforderten Handlungen.53 Die Erfahrung gründet sich wegen des „gemischten“ Wesens des Ich sowohl auf die im reinen Trieb aufgezeigte intellektuelle Anschauung seines reinen Ich als auch auf den vom Naturwesen gefühlten Zwang, der es von der bloßen Befolgung seiner Naturtriebe abzuhalten sucht. Die Erkenntnisinstanz, die diese beiden Aspekte in einem umfasst, nennt Fichte das Gewissen. Das Gewissen ist zum einen ein Gefühlsvermögen (ebd. 147), zum anderen stellt es „das unmittelbare Bewusstsein unseres reinen ursprünglichen Ich“ (ebd. 174) dar. In diesem Sinne zeigt sich darin – wie in der Doppeldeutigkeit von conscientia deutlich – das wahre Wesen des Menschen: sein Selbstbewusstsein, das er in einer konkreten Situation bei der Befolgung seines Gewissens durch eine Handlung in der Sinnenwelt vollzieht. Wie bereits in unserer Erörterung der intellektuellen Anschauung des Ich herausgestellt wurde, präsentiert sich dieses wirkliche Selbstbewusstsein des Ich auf zweifache Weise, nämlich „dass ich soll und was ich soll“ (SW V, 183). Dies wird durch die Erkenntnis ermöglicht, „dass ich handle und was ich handle“, also durch die konkrete intellektuelle Anschauung meiner selbst. Der kategorische Imperativ, als die objektive Forderung des Gewissens, lautet demnach nach Fichte: _____________ 52 Vgl. Vaysse: „Dynamique et subjectivité selon Fichte“. In: Bienenstock 159. 53 Im Gegensatz dazu ist das Sittengesetz eben nicht im Hinblick auf konkrete Situationen zu verstehen, sondern als die gedankliche Vorstellung eines rein geistigen Reiches.
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„Handle stets nach bester Überzeugung von deiner Pflicht; oder: handle nach deinem Gewissen.“ (SW IV, 156) Insofern im Gewissen die intellektuelle Anschauung des Ich präsent ist, muss man es in seiner Qualität von allen anderen bloß empirischen Gefühlen unterscheiden. Im Gegensatz zu diesen gilt: „Das Gewissen irrt nie, und kann nicht irren“ (ebd. 174), es äußert sich unmittelbar als höchstes Prinzip des Menschen und kann daher nicht von einer anderen Instanz her kritisiert werden, da es selbst alles andere erst ermöglicht. Wer dies dennoch tut, transzendiert die absolute Immanenz des Selbstbewusstseins und verfällt einem Dogmatismus.54 Mit dem Gewissen kommt die Bewusstwerdung des Strebens zum Abschluss und ermöglicht so das ursprüngliche Selbstbewusstsein des Ich angesichts der Wirklichkeit des Nicht-Ich. Dieses wird seinerseits lediglich aus dem Standpunkt des Gewissens gedeutet, d.h. die Wirklichkeit erscheint im Lichte des Gewissens und erhält von daher ihre Bestimmtheit, nämlich als das „Materiale meiner Pflicht“.55 Es gibt also keine Wirklichkeitserkenntnis, „die nicht wenigstens mittelbar auf unsere Pflichten sich bezöge“ (ebd. 170). Ebenso lassen sich alle praktischen Handlungen des Ich auf das Sittengesetz beziehen (ebd. 156). Damit steht man unvermeidlich vor der totalen Moralisierung der Wirklichkeit. Jede Handlung sowie jede Erkenntnis (auch der kausalen Welt) müssen sich auf das Sittengesetz beziehen lassen und sich dem Dienste der Befreiung des Ich vom Nicht-Ich unterordnen lassen (vgl. ebd. 177). Andererseits schließt sich damit der Begründungsgang der Philosophie Fichtes, die vom Glauben an die Freiheit in freier Entscheidung anhob, um in der freien Reflexion auf den sittlichen Trieb im Gewissen diese moralische Freiheit zu deduzieren. Nachdem Fichte mit dem Gewissen den höchsten Punkt seiner Ethik und seiner ganzen Philosophie überhaupt erreicht hat, worin das Selbstbewusstsein die höchste Konkretisierung erfährt, widmet er sich dem Problem des Bösen und im Anschluss daran der genaueren Bestimmung der Pflichten des Menschen, d.h. der Anwendung des Sit_____________ 54 Das schließt nicht aus, dass die Menschen sich irren können, ob eine Handlung wirklich dem Anspruch des Gewissens entspricht oder nicht. Auch können die Menschen untereinander hinsichtlich Gewissensfragen uneinig sein. Um die notwendige Einheit der Menschen in Gewissensfragen herzustellen, fordert Fichte in seiner Gesellschaftslehre eine moralische Anerkennungsgemeinschaft: die Kirche (s.u. S. 139f.). 55 „Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist das eigentliche Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist.“ (SW V, 185)
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tengesetzes. Hinter dem Phänomen des Bösen56 sieht er die natürliche Trägheit des Menschen, frei auf den Gebrauch seiner Reflexion zu verzichten und daher nicht bis zum vollen Bewusstsein seiner moralischen Bestimmung vorzustoßen. Der böse Mensch vollzieht demnach nicht alle oben beschriebenen Stufen der Phänomenologie der Freiheit, sondern bleibt auf einer niederen Stufe stehen. Sofern der Mensch aber als selbstbewusstes Wesen bereits die gesamte Stufenleiter hat durchlaufen müssen, verschuldet er in der bösen Handlung einen Rückfall hinter sein bereits erreichtes Wissen, d.h. eine Verdrängung seiner moralischen Bestimmung, die im Laufe des Lebens immer wieder durch Reflexion zum Bewusstsein gebracht werden muss. Ansonsten verliert das Gewissen an Einfluss auf den Menschen. Statt einer Beschäftigung mit dem Problem des Bösen bei Fichte sollen noch einmal im Überblick die Ausführungen der Fichteschen Ethik zusammengefasst werden. Dabei soll ein weiteres zentrales Problem im Denken Fichtes aufgewiesen werden. Oben wurden bereits die Probleme des Ursprungs des Selbstbewusstseins sowie des Bewusstseinsstatus der apriorischen Tätigkeiten dargestellt. Die Rückführung dieser Probleme auf ihren widersprüchlichen Grund wird Hegel leisten. Im Ausgang von der Haupt-Antithese des absoluten und theoretischen Ich bzw. von Ich und Nicht-Ich gelangte Fichte zum Begriff des Strebens, der die (praktische) Wurzel des menschlichen Wesens darstellt und erlaubt, die Grundopposition von Unendlichkeit und Endlichkeit in der Identität eines Selbstbewusstseins zu umfassen. Die notwendige Reflexion auf dieses Streben ermöglicht dem Menschen die Konstitution seines reinen Ich angesichts der Wirklichkeit des Nicht-Ich. Während das Ich im theoretischen Weltverhalten innerhalb der Grenzen seiner ursprünglichen Beschränktheit durch einen nicht in seiner Macht stehenden Anstoß verbleibt, eröffnet ihm das praktische Streben die Möglichkeit, durch kausalen Einfluss auf das Nicht-Ich die ursprüngliche Fremdbestimmtheit in Selbstbestimmung zu transformieren und auf diesem Wege seine Unbestimmtheit durch etwas außerhalb seiner selbst (wieder)herzustellen. Die reine Tätigkeit des absoluten Ich wird im Streben in eine unendliche Aufgabe übersetzt, das Nicht-Ich im Ich vollkommen zu assimilieren und dadurch die Äußerlichkeit des Anstoßes in der absoluten Immanenz des Ich aufzuheben. Daher vollzieht sich die ursprüngliche absolute Freiheit des Ich allein im Rahmen der praktischen Freiheit als des bewussten Überganges von der Unbestimmtheit zur selbst entworfenen Bestimmtheit. Dennoch _____________ 56 Dazu vgl. Claude Piché: „Le mal radical chez Fichte“. In: Goddard 101-134; M. Ivaldo.
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bleibt das Ich hinsichtlich der Konstitution seines Selbstbewusstseins auf seine Endlichkeit bzw. den Anstoß insofern angewiesen, als lediglich in diesem Rahmen wirkliches Selbstbewusstsein möglich ist, da die notwendige Reflexion auf das absolute Ich dieses nur unter der Voraussetzung der Endlichkeit erfassen kann. Obzwar das Ich vom Anstoß abhängig ist, rechnet es diesen nicht zu seinem Wesen, der reinen, unendlichen Ichheit; deshalb strebt das Ich nach der Aufhebung seiner eigenen Bedingungen. Das letzte, freilich niemals zu erreichende Ziel seines Strebens besteht in der Auslöschung des wirklichen Selbstbewusstseins durch das Ich selbst. Kurz, der Vollzug des Selbstbewusstseins, des reinen Wesens des Ich, verlangt die Aufhebung des Selbstbewusstseins und damit dessen Nicht-Vollzug.57 Die notwendige Reflexion auf das unendliche Streben erbringt eine weitere Konkretisierung, indem aus ihr die verschiedenen endlichen Ansichten des Strebens im Sinne des menschlichen Urtriebes entspringen. Im reinen Freiheitsvermögen erfährt das Ich seine ursprüngliche Unbestimmtheit und absolute Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich in der Möglichkeit, durch Begriffe eine Kausalität auf das Nicht-Ich auszuüben. Dahinter steht letztlich die Fähigkeit des Ich zur Reflexion und vor allem zur Abstraktion von allen Bestimmtheiten durch das NichtIch zum Erfassen der reinen Unbestimmtheit des Ich. Angesichts mehrerer möglicher Handlungen wird sich dieses Vermögen als Wahlfreiheit erhalten. Doch erst mit dem reinen Trieb kommt der eigentliche Bezug von Ich und Nicht-Ich zum Bewusstsein. In der Idee des absoluten Ich ist alles Nicht-Ich in den Machtbereich des Ich überführt. Diesem gegenüber bezeichnen die Naturtriebe die notwendige Gebundenheit des Ich an das Nicht-Ich und seine begrenzende Wirkung. Sie betreffen denjenigen Aspekt am Ich, wodurch es, im Wirken der Natur einbegriffen, der organischen Bestimmtheit der Natur unterliegt. Doch ebenso ermöglichen die Naturtriebe, dass das Ich kraft seines Leibes, der organischen Gesamtheit seiner Naturtriebe, handelnd in die Umwelt einzugreifen und dabei seine Eigenständigkeit ihr gegenüber zu behaupten vermag. Aus der Perspektive des reinen Triebes jedoch scheint der Naturtrieb dem Bereich des Nicht-Ich zuzurechnen zu sein, weil er weiterhin dessen Bestimmtheit unterliegt. Weit davon entfernt eine falsche Auffassung des Ich zu liefern, stellt der reine Trieb viel_____________ 57 „Die Erfüllung des Strebens nach uneingeschränktem Setzen seiner selbst würde die Aufhebung jeder Entgegensetzung, des Objekts überhaupt, bedeuten. Da mit der Aufhebung der bewusstseinskonstitutiven Differenz Bewusstsein nicht Bewusstsein wäre, bleibt die Erfüllung des Strebens unerreichbares Ideal“ (Schurr 76).
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mehr das notwendige Bewusstsein des Ich dar, kraft der Entgegensetzung zum Nicht-Ich die Unendlichkeit seines Strebens zu besitzen.58 Erst mit dem sittlichen Trieb kommt der eigentliche Bezug (durch Bezug) des Strebens auf das Nicht-Ich zum Bewusstsein und wird die Definition der Freiheit als des bewussten Überganges von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit eingelöst. Die „Radikalität“ des reinen Triebs und dessen Sittengesetzes mildert dieser Trieb, indem er die Forderung nach Unbestimmtheit des Ich in eine Zeitreihe auflöst. Danach hat das Ich angesichts der Wirklichkeit im nun zeitlich verstandenen unendlichen Streben an deren Assimilation zu arbeiten. Auf diese Weise wird die Forderung des reinen Triebes beibehalten, ohne durch dessen schroffe Entgegensetzung gegen den Naturtrieb das Ich zur Handlungsunfähigkeit zu verdammen. An das empirische Ich ergeht in einer konkreten Situation die Forderung des kategorischen Imperativs in Form seines Gewissens, diejenigen Handlungen zu vollführen, die es auf dem Weg zu seiner absoluten Selbstständigkeit vorantreiben. Dabei greift der sittliche Trieb auf die Naturtriebe des Ich zurück, um sie zur exekutiven Instanz seiner moralischen, dem reinen Trieb verpflichteten Ziele zu gebrauchen. Der menschliche Leib muss so die moralischen Zwecke in die Sinnenwelt übersetzen, zur gleichen Zeit erfüllt jede Handlung die Befriedigung der Naturtriebe und sichert die Glückseligkeit des Menschen. Im sittlichen Trieb oder genauer im Gewissen wird das Bewusstsein des Strebens oder schlechthin des Ich vervollkommnet, indem es bestimmte Handlungszwecke dem Ich zum Bewusstsein bringt, die es in freier Selbstbestimmung durch sein Freiheitsvermögen wählen kann, um auf diesem Wege den bewussten Übergang von seiner Unbestimmtheit zur Bestimmtheit zu vollziehen. Das letzte Ziel alles Handelns ist die Herstellung der Unbestimmtheit durch das Nicht-Ich und infolgedessen die Auslöschung der Naturtriebe, da diese die Angewiesenheit des Ich auf das Nicht-Ich erhalten. Wir begegnen nunmehr auf einer konkreteren Ebene dem gleichen Problem, das bereits die generelle Untersuchung des Begriffes des Strebens ergeben hatte.59 Obwohl das Ich in seinen wirklichen Handlungen auf seine Naturtriebe angewiesen bleibt, ist es dennoch getrieben, _____________ 58 Der reine Trieb kommt als solcher, d.h. als bloße Negation des Naturtriebes nicht zum Bewusstsein, sondern ist vielmehr „bloßer transzendentaler Erklärungsgrund von etwas im Bewusstsein“ (SW IV, 152), nämlich dem Sittengesetz. 59 Dies ist auch die zentrale Stelle, welche die Lager der Fichte-Interpreten spaltet. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die im reinen Trieb die wahre Natur des Menschen nach Fichte begründet sehen und daher auf Grund dessen radikaler Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich das Scheitern der Möglichkeit einer konkreten Ethik für die Frühphilosophie Fichtes konstatieren (Gurwitsch, Jacobs, aber in erster Linie Hegel), während das andere Lager die Synthese für gelungen ansieht (Soller 1984).
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diese Bedingungen seines Handelns aufzuheben. Die Frage drängt sich daher auf, ob der sittliche Trieb wirklich eine befriedigende Synthese von reinem Trieb und Naturtrieb darstellt, oder ob er nicht vielmehr den Widerspruch in seiner Radikalität aufrechterhält: entweder den Forderungen des reinen Triebes zugunsten des Naturtriebes zu entsagen, und infolgedessen nicht die wahre Natur des Ich zum Ausdruck zu bringen, oder ihnen zwar nachzukommen, aber dies nur durch Verzicht auf wirkliche Handlungen in der Sinnenwelt. Wenn das eigentliche Wesen des Ich im reinen Trieb besteht, dann muss der sittliche Trieb für seine eigene Aufhebung sorgen, obwohl er den Vollzug des reinen Triebs erst ermöglicht. Der Vollzug des reinen Triebs fordert die Aufhebung des sittlichen Triebes und damit die Aufhebung seines eigenen Vollzugs. Ähnlich wie Kant scheint auch Fichte die ursprüngliche dualistische Entgegensetzung von Freiheit und Natur, Ich und Nicht-Ich (Anstoß), nicht in einer Synthese überwinden zu können. Da wir mit Hegel den wohl mächtigsten Kritiker Fichtes im zweiten Teil unserer Arbeit kennen lernen werden, wollen wir die Kritik sowie die Untersuchung ihrer Berechtigung auf später verschieben.
III. Die Rechtslehre: Die äußeren Bedingungen der Freiheit 1. Moral und Recht Im Jahre 1796, dem Jahr des Erscheinens der Fichteschen Schrift mit dem Titel Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, stand eine eindeutige Lösung des Problems des Rechts aus transzendentalphilosophischer Perspektive noch aus. Grund dafür war, dass Kant selbst bislang zwar in seinen Beiträgen zur praktischen Philosophie einige wenige Andeutungen zum richtigen Verständnis des Rechtsbegriffs, aber noch keine systematische Bearbeitung dieses Problems dem Publikum vorgelegt hatte. Dies sollte erst ein Jahr später, nämlich im Jahre 1797, mit der Publikation seiner Metaphysik der Sitten geschehen. Der Intention Fichtes, den Kantischen Ausführungen vorzugreifen, waren bereits vor ihm einige Kantianer nachgegangen. Vor allem C.C.E. Schmid und G. Hufeland hatten dabei den Versuch unternommen, im Ausgang von der Kantischen Ethik den Rechtsbegriff aus dem Gelten des Sittengesetzes abzuleiten.1 _____________ 1
Beide beziehen sich zur Herleitung des Rechts auf den Begriff des Erlaubnisgesetzes. Danach gibt es gewisse moralisch indifferente Handlungen, deren Ausübung aus der Sicht des Sittengesetzes erlaubt, aber nicht geboten ist. Auf diese Weise folgt das Erlaubnisgesetz aus dem Sittengesetz. Jede Beeinträchtigung meiner erlaubten Handlun-
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Unter Berufung auf Aussagen Kants in seiner Schrift Zum ewigen Frieden postuliert Fichte hingegen die Trennung von Moral und Recht.2 Dies ergibt sich ihm aus einer Überlegung über die Natur des Rechts. Zum einen kann aus der universalen Gültigkeit des Sittengesetzes und des darin implizierten Sollens, die sich über die gesamte Wirklichkeit erstrecken, nicht die relative Gültigkeit der Rechtsgesetze abgeleitet werden. Ihre Relativität zeigt sich darin, dass das Recht immer auch einen Bereich mit einschließt, in dem Handlungen lediglich erlaubt, nicht aber gefordert sind. Zum anderen kann man das Funktionieren des Rechts nicht auf die Moral, also letztlich auf die Gesinnung der Vernunftwesen gründen, weil jenes vielmehr allein die äußeren Handlungen in der von allen Menschen geteilten Sinnenwelt regelt, nicht aber bestimmte Gesinnungen beim Verfolgen von Handlungen zu fordern hat. Dies widerspräche im übrigen der moralischen Forderung, wonach jeder Handelnde diese Gesinnung selbst zu wollen und hervorzubringen hat. Nun stellt sich besonders für uns, die wir im vorherigen Teil die Ausführungen über die Fichtesche Ethik nachvollzogen haben, die Frage, inwiefern nach der totalen Moralisierung der Wirklichkeit überhaupt noch ein eigenständiger Bereich für das Recht übrig bleiben kann. Zumal der Verlauf der Deduktion bereits in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre mit dem Streben nach der Idee des absoluten Ich oder dem Sittengesetz das Fundament der gesamten praktischen Philosophie gelegt hatte, so dass alles Weitere doch wohl daraus abzuleiten sei. Soll der Rechtsbegriff demnach deduziert werden, dann muss es im Ausgang vom Sittengesetz geschehen. Wird er aber aus dem Sittengesetz abgeleitet, erhält er dadurch keine eigenständige Existenz außerhalb der Moral, sondern wird vielmehr lediglich zu einer Anwendung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt, also seinerseits Unterkapitel der Ethik.3 Fichtes Lösung dieses Widerspruches wird in der Unterscheidung zweier Perspektiven bestehen, wonach einerseits das Recht in seiner Selbstständigkeit für sich betrachtet werden kann, es _____________
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gen durch Eingriff anderer Menschen ist daher vom Sittengesetz strengstens verboten und zieht bei Vergehen den Rechtszwang nach sich. Zur Rechtsbegründung bei den Kantianern, Fichte und Kant: W. Kersting: „Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral“. In: Merle 21-37; Verweyen 94. Fichte bezieht sich auf die Stelle über die Erlaubnisgesetze (vgl. AA VIII, 347f.), aber denkt wohl auch an diejenige Stelle in derselben Schrift, wonach das Problem der Staatserrichtung „selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflösbar“ ist (ebd. 366). Vgl. Fichte: „Auf dem Gebiete des Naturrechts hat der gute Wille nichts zu tun. Das Recht muss sich erzwingen lassen, wenn auch kein Mensch einen guten Willen hätte“ (SW III, 54). Nämlich des dritten Teils der Ethik. Dieser beschäftigt sich gerade mit der Anwendung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt (siehe II.3./4).
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andererseits aber ebenso im Rahmen der Anwendung des Sittengesetzes behandelt wird. Wenden wir uns zunächst der formalen Kennzeichnung dieser beiden Perspektiven zu. Die eigentliche Perspektive der Rechtsphilosophie betrachtet das menschliche Handeln unter Abstraktion vom Sittengesetz. Die Wirksamkeit des Vernunftwesens in der Sinnenwelt wird dabei nicht im Lichte seiner materialen, also moralischen Freiheit interpretiert, sondern lediglich als Ausdruck seiner formalen Freiheit. Diese Unterscheidung aus der Sittenlehre erlaubt es, den Menschen als ein Wesen einzuschätzen, das über eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich verschiedener möglicher Handlungen verfügt, ohne ihn dabei zugleich im moralischen Sinne beurteilen zu müssen. Auf Grund der von der Deduktion noch abzuleitenden Tatsache, dass mehrere Menschen in die gleiche Sphäre durch Handlungen eingreifen, übernimmt das Recht die Aufgabe, diese Handlungen lediglich so zu koordinieren, dass die formale Freiheit der Menschen keinen Schaden leidet. Durch Absehen von der Moral bezieht die Rechtslehre den Standpunkt eines äußeren Betrachters, für den die Gesinnungen der Handelnden unzugänglich bleiben. Aus diesem Grunde beschränkt sie sich auf die sichtbaren Handlungen. Die zweite Perspektive ist nun diejenige der Ethik, die den Standpunkt eines inneren Betrachters einnimmt. Da sie im strengen Sinne die Kontinuität zur Deduktion der Wissenschaftslehre wahrt, führt sie die Herleitung des Rechts „aus einem höheren Prinzip“ (SW IV, 219), nämlich dem Sittengesetz selbst. Auf diese Weise erhält alles, was bereits im Rahmen der Rechtslehre deduziert wurde, gleichsam eine moralische Sanktionierung, insofern es sich als Möglichkeitsbedingung der materialen Freiheit herausstellt. Das Recht wird so zu einem Teil der Anwendung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt, zu einem Vehikel der Inhaltsbestimmung der Moral; es verliert seine Eigenständigkeit.4 _____________ 4
Verweyen hat richtig erkannt, dass Fichtes Betonung der Selbstständigkeit des Rechts gegenüber der Moral aus seinem Bemühen entspringt, damit „eine illegitime Beschränkung der Ethik selbst“ zu verhindern (Verweyen 142). Wenn sich die rechtliche Perspektive nicht in Fragen der Moral einzumischen hat, dann deshalb, weil die Moralität nicht von außen erzwungen werden darf, sondern vom Subjekt selbst zu vollziehen ist. Dies kennzeichnet gerade die Universalität der Moral. „Das Sittengesetz der Vernunft geht die bürgerliche Gesetzgebung gar nichts an, es ist ohne sie völlig vollendet, und die letztere tut etwas Überflüssiges und Schädliches, wenn sie ihm eine neue Sanktion geben will“ (SW VI, 83). So steht hinter der Trennung von Recht und Moral bereits die auf dem ersten Blick paradox anmutende Absicht, die Universalität der Moral über das Recht zu behaupten (s. VI.1.). In diesem Sinne scheint es absolut gegen den Geist der Fichteschen Philosophie, wenn versucht wird, gerade in der Rechtsphilosophie die Kerndisziplin der Wissenschaftslehre zu sehen. Dies ist die These von Renaut, auf die wir noch zurückkommen werden (Renaut 1986).
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Mittels dieser Unterscheidung zweier Perspektiven wird Fichte die (relative) Selbstständigkeit der Rechtslehre begründen. Sie wird sich auch noch auf die im nächsten Teil zu behandelnde Gesellschafts- und Staatslehre auswirken, worin letztlich die Reintegration der rechtlichen Sphäre in die Moral vollzogen wird. Die Trennung von Recht und Moral hat nur relative Gültigkeit – ebenso wie die Gegenüberstellung von absolutem und theoretischem Ich, deren Einheit das moralisch strebende Ich ist.5 Nach der Interpretation der Fichteschen Rechtslehre in diesem Kapitel obliegt es dem folgenden Kapitel, die höhere, moralische Perspektive anzunehmen, um auf diesem Wege zu zeigen, wie die totale Moralisierung der Wirklichkeit bei Fichte auch auf die Rechtssphäre übergreift und schließlich deren Aufhebung fordern wird. 2. Arbeit an der Sinnenwelt Der erste Paragraph der Rechtslehre setzt bei einer in der Sittenlehre bewiesenen Aussage über die freien Handlungen des Ich in der Sinnenwelt ein und eröffnet damit die eigentliche Sphäre des Rechts. Danach kann das Ich sein Selbstbewusstsein ursprünglich nicht verwirklichen, wenn es nicht zugleich seines freien praktischen Handelns in der Welt gewahr wird (SW III, 17). Die freie Wirksamkeit wird als ein sinnlich wahrnehmbares Handeln nach selbst entworfenen Zweckbegriffen definiert. Dabei wird nun jedoch vollständig davon abgesehen, dass diese Begriffe im Ursprung des Ich immer bereits einer Aufforderung des Gewissens zu entsprechen haben, daher im materialen Sinne eine eindeutig moralische Färbung tragen. Fichte entwickelt im folgenden Paragraphen weitere notwendige Bedingungen für ein richtiges Verständnis der Wirksamkeit, die vor allem die Objekterkenntnis betreffen. Dies entspricht §7 der Sittenlehre, _____________ 5
Insofern scheint die Trennung von Recht und Moral eine Analogie in der Unterscheidung von theoretischer und praktischer Philosophie aufzuweisen. Die theoretische Philosophie muss vom Sittengesetz abstrahieren, indem sie die Wirklichkeitskonstitution allein durch die Intelligenz beschreibt. In dieser „Außenperspektive“ wird davon abgesehen, dass jede Erkenntnis oder Konstitution der Realität immer schon auf praktischen Trieben oder Interessen des Ich beruht. Die praktische Philosophie erklärt hingegen die (formal) gleiche Konstitution im Ausgang von der praktischen Natur des Menschen und damit aus universellerer Perspektive. Auf diese Weise ist der Primat des Praktischen gegenüber dem Theoretischen, wie auch der Moral gegenüber dem Recht gesichert. Vgl. dagegen F. Fischbach, der eine Wechselbestimmung von Theorie und Praxis bei Fichte zu finden meint („Théorie et pratique dans la première Doctrine de la science de Fichte“. In: Goddard 47-76). Auch Neuhouser bereitet die Unterordnung des Theoretischen unter das Praktische Probleme (Neuhouser 1990, 169f.).
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in dem – wie bereits angedeutet – die Zeit als notwendige Handlungskategorie deduziert wird. Da wir diesen Schritt noch nicht in aller Deutlichkeit analysiert haben, wollen wir es an dieser Stelle nachholen. Oben6 anlässlich der Parallelstelle in der Sittenlehre wurde herausgestellt, dass zugleich mit dem Bewusstsein der freien Wirksamkeit, als der gehemmten Tätigkeit, zwei weitere Bewusstseinsformen notwendigerweise einhergehen müssen: das Bewusstsein des freien Zweckentwerfens, des idealen Hinausseins über die Hemmung, sowie das Bewusstsein der Hemmung selbst: die begriffene sinnliche Anschauung. Letztere deutet das Ich als Entgegensetzung zu seinem freien Handeln. Beide Sphären, Freiheit und objektives Sein, erhalten kraft dieser Entgegensetzung ihre eigentliche Bestimmtheit mittels sich gegenseitig negierender Attribute: Der absoluten Freiheit im Umgang mit Zweckbegriffen als „ins Unendliche bestimmbar“ steht die fixierte und unabänderliche Bestimmtheit des Nicht-Ich oder der Welt entgegen, der Flüssigkeit des Handelns die Solidität des Seins. Da jedoch beide Sphären zugleich aufeinander zu beziehen sind, insofern Entgegensetzung immer auch Beziehung beinhaltet (vgl. SW III, 19f.), muss die absolute Freiheit des Ich einerseits bestimmt sein – um nicht in bloßer Möglichkeit zu verharren, sondern sich zu verwirklichen. Andererseits muss die Sinnenwelt bestimmbar und zwar selbst „ins Unendliche bestimmbar“ sein, da sich sonst ebenso die Freiheit als machtlos und nicht realisierbar, mithin als bloßer Trug erwiese. Mit absoluter Freiheit entwirft das Ich einen Begriff von seiner Wirksamkeit, d.h. einen Zweckbegriff, und bestimmt sich damit selbst, könnte aber zufolge dieser Freiheit unendlich viele andere Begriffe „unter den gleichen Umständen“ entwerfen. Doch der Vollzug von Freiheit liegt erst im Bestreben, eine Modifikation der Objekte hervorzurufen, solange bis die Objekte dem konzipierten Zweckbegriff entsprechen. Fordert ein einzelner Zweck bereits eine gewisse Bestimmbarkeit der Objekte, damit er überhaupt als Zweck sein kann, so folgt aus der unendlichen idealen Möglichkeit von Zwecken die reale unendliche Modifikabilität auf Seiten der Objekte, ohne welche beide Seiten unvereinbar und sogar in Widerspruch miteinander stünden. Dennoch können die Objekte nicht bloß bestimmbar für die absolute Freiheit des Ich sein. Denn es ist die unabänderliche Bestimmtheit, die aus ihrer notwendigen Entgegensetzung zum Ich folgt. Das bestimmte Objekt ist wesentlich das der Wirksamkeit entgegenstehende, sie hemmende. Verlöre es diese Eigenart, wäre es kein Objekt mehr, das als bestimmtes Sein angeschaut werden könnte, mithin wäre es _____________ 6
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nicht mehr für das Ich – und somit überhaupt nicht. Stehen sich aber Freiheit und Objekt gegenüber, wobei das Objekt nur das die freie Wirksamkeit „vernichtend[e]“ ist, dann kann es zwar in seiner Bestimmtheit vorgestellt werden, die Wirksamkeit aber nichts bewirken. Mithin könnte das Objekt mit dem Zugrundegehen der Wirksamkeit ebenfalls nicht mehr vorgestellt werden, da es ohne das Gehemmte nicht mehr als Hemmendes, d.h. Bestimmtes, erfahrbar wäre. Den Widerspruch beider Seiten löst Fichte mit der Konstitution der Zeit durch das Ich, die letztlich eine Vereinbarung der Unbestimmtheit der Freiheit und der Bestimmtheit der Objekte ermöglicht und ihrerseits durch „ein Schweben der Einbildungskraft“ zwischen beiden Aspekten hervorgerufen wird. So kann die Wirksamkeit sukzessiv auf die Dinge wirken, wobei die Widerständigkeit derselben graduell und negativ reziprok mit der Durchsetzungskraft der Wirksamkeit korreliert. Dagegen widersprächen sich die Forderungen von Freiheit und Sein außerhalb der Zeit. In der Sinnenwelt übt die Wirksamkeit eine sich zeitlich erstreckende Kausalität aus, die permanent auf das Objekt einwirkt, ohne dass es in dieser ständigen Veränderung aufhörte, dasselbe zu bleiben. Das Objekt kann aus Sicht der Wirksamkeit sowohl bestimmt als auch bestimmbar sein, indem das Subjekt zwischen Materie und Form oder Substrat (Substanz) und Akzidenz unterscheidet.7 Die Wirksamkeit wird lediglich auf die Form der Dinge sukzessiv ausgeübt, vermag aber nicht, den zu Grunde liegenden Stoff zu verändern. Die Materie „kann weder vermehrt, noch vermindert werden“ (ebd. 29). Hinsichtlich der Form ist demnach der Gegenstand veränderlich, hinsichtlich der Materie bleibt er gleich, hierin besteht seine Substantialität. Mit der in der Zeit geschehenden Einwirkung auf das Objekt bei gleichzeitiger Vorstellung desselben erlangt dieses ebenso wie die Wirksamkeit eine Ausdehnung in der Zeit, eine Kontinuität in Gestalt eines Substrates, das trotz sich ändernder Akzidenzien beharrt. Durch das Setzen seiner freien Wirksamkeit setzt das Ich demnach notwendigerweise die Zeit bzw. sich in die Zeit und bestimmt die Sinnenwelt in Bezug auf sein Handeln durch die Kategorien der Kausalität und Substantialität.
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Damit sind mit der Zeit die Kategorien der Kausalität und Substanz als notwendige Bedingung der Möglichkeit von Selbstbewusstsein erwiesen, also aus dem ursprünglichen praktischen Weltverhältnis des Menschen deduziert. Die noch verbleibende relationale Kategorie der Wechselwirkung findet ihre Deduktion im Begriff der gegenseitigen Anerkennung (vgl. dazu Fichtes Brief an Reinhold vom 29.8.1795; Briefe I, 495ff.).
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3. Aufforderung und Anerkennung Durch die Zeit scheint zwar zunächst das Ich in seinem Doppelcharakter als vorstellendes und wollendes Wesen in einer Einheit möglich zu sein, doch gerade diese Zeit produziert nun einen weiteren folgenschweren Widerspruch, der als Zirkel oder unendlicher Regress aufbricht. Weil sich dahinter erneut die bereits oben beschriebene HauptAntithese der praktischen Philosophie verbirgt, ist es sinnvoll, sich noch einmal deren Lösung im Rahmen der Sittenlehre zu verdeutlichen. Der Widerspruch entstand dort auf Grund der Entgegensetzung von Erkennen und Wollen; unter Ersterem wurde dabei genauer das Erkennen des Zwecks verstanden. Insofern für den Ursprung des Selbstbewusstseins keine Zweckerkenntnis vor dem Wollen des Ich stattfinden kann, ebenso wenig als das Wollen vor der Zweckerkenntnis, wurde eine Synthese beider Elemente in einem Moment gefordert. Auf diese Weise gelangten wir zum Begriff des Sehnens, als des unmittelbaren Bewusstseins des Naturtriebes. Darin befindet sich das Ich in unmittelbarer Einheit mit seinem Trieb, es kann daher dessen „Zwecke“ zugleich als seine eigenen erkennen und auf Grund seiner Triebnatur auch wollen. Dennoch ist mit dieser „subjektiven“ Synthese die Antithese noch nicht gelöst. Denn es lässt sich ebenso in Bezug auf den Zweck fragen, wie er ohne eine vorherige Erkenntnis der wirklichen Objekte zustande kommen kann. Die Naturtriebe geben keine objektiven Zwecke, sondern sind für sich betrachtet eine blinde Tendenz. Ein objektiver Zweck bedarf wesentlich der Welterkenntnis. Doch das anschauende Ich ist nach Obigem nur möglich durch das wollende Ich, das bereits über objektive Zwecke verfügen muss. Durch diese „objektive“ Blickrichtung tut sich erneut die Antithese von Wollen (Zweck) und Erkennen (Objekt) auf, die nun im dritten Paragraphen der Rechtslehre behandelt wird. Mit dem Setzen seiner eigenen freien Wirksamkeit entsteht dem Ich (ebd. §§1-2) zugleich das Entgegengesetzte dieser Wirksamkeit: die Sinnenwelt. Es kann nur insofern Objekte erkennen, als einem gesetzten Wollen widerstanden wird. Anders gesagt: Das Ich setzt sein Wollen als bestimmt oder begrenzt und damit zugleich das Begrenzende. Mit der Bestimmtheit der Wirksamkeit geht ein bestimmter Zweck einher. Denn jedes Wollen ist allein hinsichtlich seiner Materie, des Zwecks, bestimmt; ohne diesen bestimmten Zweck verlöre das Wollen die eigene Bestimmtheit. Das freie Entwerfen eines bestimmten Zweckbegriffs setzt nun aber seinerseits voraus, dass das Ich zuvor die Objekte in der Sinnenwelt wahrgenommen und begriffen hat. Ein Zweckbegriff ist stets aus davor wahrgenommenen Objekten gebildet,
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weil er als eine gewollte Modifikation von Objekten immer schon die Anschauung eben dieser Objekte voraussetzt. Die bezweckte Wirksamkeit ändert dann die Form dieser Objekte, weil deren alte Form dem Ich nicht wünschenswert und ihm widerstrebend erscheint. Wenn nun aber die Anschauung der Objekte in der Sinnenwelt zeitlich vor dem Entwerfen eines Zweckbegriffes zu geschehen hat, muss das Ich bereits zu diesem früheren Zeitpunkt sein Selbstbewusstsein realisiert haben, also eine freie Wirksamkeit gesetzt und damit einen bestimmten Zweck verfolgt haben. Dieser Zweck kann jedoch nicht identisch mit dem erst auf Grund der folgenden Objektwahrnehmung zu entwerfenden Zweck sein. Jener frühere Zweck fußt nun auf der gleichen Voraussetzung einer zeitlich vorgängigen Objektwahrnehmung. Deshalb gilt, dass das Ich, will es sich ursprünglich setzen, immer schon gewesen sein muss. Es will seinen Anfang setzen, muss sich jedoch eine unendliche Vergangenheit zusprechen. Nicht zuletzt die Faktizität des Selbstbewusstseins verlangt nach einer Lösung des Problems, die nach dem Gesagten nicht darin bestehen kann, nur eines der beiden menschlichen Vermögen, Wollen oder Erkennen, bzw. Wirksamkeit oder Objekt an den Anfang zu stellen. Die Antithese ist aber nur so zu heben, dass angenommen werde, die Wirksamkeit des Subjekts sei mit dem Objekte in einem und ebendemselben Momente synthetisch vereinigt; die Wirksamkeit des Subjekts sei selbst das wahrgenommene und begriffene Objekt, das Objekt sei kein anderes, als diese Wirksamkeit des Subjekts, und so seien beide dasselbe. (SW III, 32)
Jedem vernünftigen, selbstbewussten Wesen muss notwendigerweise eine derartige Synthese von Erkennen und Wollen zukommen, da es sich ansonsten nicht seiner selbst bewusst werden könnte. Doch wie haben wir uns eine derartige Synthese vorzustellen? Die geforderte Synthese verlangt eine Analyse. Durch das gesuchte X, in dem Wollen und Erkennen, Wirksamkeit und Objekt, vereinigt sind, muss einerseits wegen dessen Objektivität die freie Tätigkeit des Ich als gehemmt gesetzt werden, andererseits hingegen als absolut frei, da hierin die notwendige Bedingung dafür liegt, dass das Ich sich selbst (als frei) setzt. Würde das Ich lediglich so bestimmt wie durch gewöhnliche Objekte in der Sinnenwelt, dann käme es niemals auf den Begriff seiner Freiheit, den es allein durch eigene Ausübung freier Wirksamkeit aus seiner Selbstbestimmung heraus zu gewinnen vermag, d.h. insofern es nicht fremdbestimmt ist.8 Es reicht daher ebenso wenig aus, freie Wirksam_____________ 8
Darin unterscheidet sich Fichte nach eigenen Angaben von dem von ihm verurteilten „Formularphilosophen“, dass er die Möglichkeit, einen Begriff zu fassen, erst aus seiner tatsächlichen Realisierung entspringen lässt. So vermag das Ich von Wirksamkeit
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keit bei einem anderen Vernunftwesen objektiv anzutreffen, da das Ich diese nicht einmal verstehen könnte, hätte es nicht selbst schon seine Freiheit ausgeübt und dadurch einen Begriff von ihr gewonnen. Einen geeigneten Ausweg aus jenem Widerspruch von objektiver Bestimmtheit und freier Unbestimmtheit findet Fichte schließlich in der „Bestimmtheit des Subjekts zur Selbstbestimmung“, einer Aufforderung durch ein anderes Vernunftwesen an das Ich. Deren Auszeichnung besteht darin, erfassbar in der Reflexion zu sein (Bestimmtheit), ohne dadurch jedwede Freiheit aufzuheben (Selbstbestimmung). Soll sich das Ich setzen, so kann es dies nur, wenn es einen „äußeren Anstoß“9 erfahren hat und als solchen annimmt, der ihm zwar alle Freiheit in der Wahl der Wirksamkeit lässt. Doch andererseits bestimmt der Anstoß das Ich dahingehend, dass er ihm eine Sphäre möglicher Handlungen zuschreibt, d.h. ihm einen Handlungsraum offen lässt und dabei auffordert, daraus eine Wahl zu treffen. Die Bestimmtheit in der Aufforderung geht nicht so weit, auch noch einen bestimmten Zweck für das aufgeforderte Ich festzulegen. Vielmehr beschränkt sich der Auffordernde selbst angesichts einer bestimmten Sphäre möglicher Zwecke, innerhalb derer nur das aufgeforderte Ich zu entscheiden berechtigt ist. Mit der Bestimmtheit der Sphäre wird das Ich zugleich aufgefordert, sich selbst zu beschränken und nicht über diese Sphäre hinaus seine Freiheit auszudehnen. So werden dem Ich mögliche Zwecke seines Wollens objektiv gegeben, ohne dass es zuvor die zu modifizierenden sinnlichen Objekte hat wahrnehmen müssen.10 Des Weiteren hat es _____________ überhaupt nur zu reden, wenn es eine bestimmte Wirksamkeit bereits ausgeübt hat (SW III, 31). 9 Renaut sieht in der Aufforderung die Konkretisierung des Begriffes „Anstoß“ aus der Grundlage. Weil Selbstbewusstsein nur durch den Anstoß, dieser aber durch Intersubjektivität möglich ist, zieht er den Schluss, dass die Rechtsphilosophie Fichtes zentrale Disziplin in der Klärung der Konstitution von Selbstbewusstsein ist und zudem den Übergang von theoretischer zu praktischer Philosophie leistet (Renaut 1986, 169). Diese Meinung haben wir bereits oben kritisiert (s. S. 109 Anm. 4; ebenso E. Düsing 251). Des Weiteren scheint die Gleichsetzung von Anstoß und Aufforderung nicht überzeugend, da im ersteren die ursprüngliche Beschränkung des Ich durch das Nicht-Ich angesetzt wird, während die Aufforderung von einem anderen Ich ausgeht. Das schlechthin Beschränkende für das Ich sind aber nicht andere Vernunftwesen, sondern ist seine Endlichkeit, die nicht weiter deduziert werden kann. Zudem wird sich zeigen, dass die Abstraktion des Rechts vom Moralischen nicht die vollständige Loslösung des ersteren von einer Begründung durch die Moral ist, sondern ein methodischer Schachzug, der innerhalb der Sittenlehre – wie noch zu zeigen sein wird – relativiert wird (vgl. Renaut 1992). Eine kritische Auseinandersetzung zum Verhältnis von Anstoß und Aufforderung findet sich bei Williams (Williams 57ff.) 10 Was ist damit gemeint, einen Zweck zu bekommen, ohne das zu modifizierende Objekt zuvor erkannt zu haben? Dies lässt sich in der Erziehung verdeutlichen. Darin werden dem Kind von seinen Eltern oder Lehrern Zweckbegriffe vermittelt, welche eine wünschenswerte formale Ordnung der Wirklichkeit beinhalten. Vor der Erkennt-
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nicht die Zwecke anderer zu erfüllen, sondern entscheidet durch eigene Wahl aus einer gegebenen Menge, welchen Zweck es verfolgen will. Auf Grund der bestimmten Sphäre, aus der nur das jeweilige Ich wählen darf, grenzt es sich letztlich als Individuum von anderen Individuen ab, die ebenfalls andere bestimmte Handlungssphären ihr eigen nennen.11 „Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären“ (GA IV, 2, 178), weil es, um sein Selbstbewusstsein zu setzen, die Aufforderung durch ein anderes Vernunftwesen notwendig annehmen muss. Nur falls das Ich die Aufforderung, d.h. ihre Intention (die Aufforderung als solche) versteht, kann es sich setzen. Es ist jedoch augenscheinlich, dass im anderen Falle, wenn das Ich dieselbe nicht verstünde, keine Aufforderung geschähe – für das Ich. Man hat daher in der Aufforderung und deren Begreifen einen notwendigen Zusammenhang zu sehen. Die Aufforderung eröffnet dem Ich die Möglichkeit freier Wirksamkeit, indem sie es zum Handeln aufruft und seine Reaktion oder Antwort in die Zukunft zu setzen scheint. Im Falle eines Begreifens der Aufforderung kann das Ich, oder muss es vielmehr, den Begriff seiner freien Wirksamkeit realisieren, egal, ob es dazu aus der Sphäre durch absolute Freiheit eine Handlung auswählt, oder sich frei zum Nicht-Handeln, das auch eine Art Handeln bedeutet, entschließt. Vor dem bewussten Hintergrund der Aufforderung erscheinen dem Ich beide Reaktionen als frei gewählt. Dieser notwendige Zusammenhang von Begriff (Begreifen) und Realisierung ermöglicht letztlich erst Selbstbewusstsein, da ein reiner Begriff der freien Wirksamkeit dem Ich unverständlich bleiben müsste und sich das Ich erst mit einer gesetzten bestimmten freien Tätigkeit zu konstituieren vermag (ebd. §1). Die Aufforderung und deren Verwirklichung durch das aufgeforderte Ich müssen infolgedessen aus transzendentaler Sicht, die einer apriorischen Analyse des Ursprungs des Selbstbewusstseins verschrieben ist, in einem ungeteilten Moment geschehen, zumal die Zeit erst mit einem bestimmten gesetzten Wollen, einer bestimmten Wirksamkeit in der Sinnenwelt, konstituiert wird. Deshalb sei an dieser Stelle betont, _____________ nis dieser Zwecke war der von ihnen anvisierte Wirklichkeitsbereich für das Kind noch gar nicht existent. So wird ihm mit den Zwecken zugleich die objektive Sphäre eröffnet, welche durch Handlung in die wünschenswerte „Form“ gebracht werden muss. 11 Im Rückblick auf die Sittenlehre sowie im Vorgriff auf die weiteren Ausführungen des Naturrechts kann man festhalten, dass die Sphäre der möglichen Handlungen des Ich zumindest dessen Naturtriebe beinhalten muss, die durch die Aufforderung dem Ich gleichsam objektiv gegeben und daher in seine Verfügbarkeit gestellt werden. Das Ich lernt so seinen eigenen Leib kennen. Eine weitere Bestimmung und Beschränkung dieser Sphäre folgt später.
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dass der „Vorgang“ der Aufforderung und des Handelns des aufgeforderten Ich nicht in eine Zeitreihe gesetzt werden kann und darf. Das Ich versteht bei seinem Ursprung nicht zuerst die Aufforderung zu einer freien Wirksamkeit und setzt später eine beliebige Wirksamkeit aus der vorgegebenen Sphäre.12 Denn dies führte zu der im Fichteschen System unhaltbaren Annahme, dass das Ich den Begriff seiner geforderten Wirksamkeit noch vor aller eigenen bestimmten, also realisierten Wirksamkeit fassen könnte. Diese Möglichkeit schließt Fichte mehrmals ausdrücklich aus: Das Ich hat keine Objekterkenntnis, bevor es nicht seine Wirksamkeit in der Sinnenwelt setzt.13 Vielmehr muss das Ich im Setzen seiner freien Wirksamkeit, die es auch immer schon als eine bestimmte Handlung in der Sinnenwelt mit dem zu modifizierenden Objekt wahrnimmt, eine zuvor geschehene Aufforderung ansetzen oder besser: voraussetzen, auf Grund derer es erst hat handeln können. Sobald sich das Ich mit der Konstitution in der Zeit befindet, glaubt es, dass diese Aufforderung zeitlich vor seiner Wirksamkeit stattgefunden habe, obwohl transzendentalphilosophisch die Einheit beider in einem Moment eingesehen wird. Dieses für die Erklärung des Ich notwendige ursprüngliche Geschehen befindet sich immer schon im Rücken des Ich, d.h. kann nicht als eine geschehene Erscheinung, die das Ich zunächst und vor allem hatte, angesehen werden, da es sonst hierfür bereits bei Selbstbewusstsein hätte sein müssen. Vielmehr wird es als Erklärung der Erscheinung des bestimmten Wollens angesetzt, weil das Ich nur dadurch dieses Wollen als frei gewähltes deuten, dadurch aber erst seine freie Wirksamkeit, also sich setzen kann. Das Setzen der eigenen Freiheit kann nur gelingen, wenn das Ich zugleich damit einen äußeren Grund setzt, der zum Teil diese Freiheit zu verantworten hat. Weil sie Bedingung der Möglichkeit von Selbstbewusstsein ist, hat sich die Annahme eines Aufgefordertseins als notwendiges Faktum im Bewusstsein des entstehenden Ich erwiesen. _____________ 12 Vielmehr gilt im Gegenteil vom Ich, dass „die Erkenntnis von der es anhebt Aufforderung zur freien Tätigkeit [ist], Kenntnis davon dass uns ein Zweck gegeben wird, an diese schließt sich in demselben Momente ein Wollen an.“ (GA IV, 2, 178; eigene Herv. CB) 13 Diese Kritik äußert Baumanns an der Fichteschen Deduktion der Intersubjektivität (Baumanns 1972, 183f.). Das Subjekt müsse danach, um die Aufforderung überhaupt anschauen und verstehen zu können, bereits bei Selbstbewusstsein gewesen sein. Dieses Problem ist unumgänglich, wenn man die Aufforderung und deren Verstehen durch das aufgeforderte Ich in einem Zeitpunkt vor dem Setzen der eigenen freien Wirksamkeit ansiedelt. Daher bleibt die einzige Möglichkeit, diesen Schritt nicht zu gehen, um den Intersubjektivitätsbeweis davor zu bewahren, eine „Demonstration zum Todtlachen“ zu sein – die von Baumanns an dieser Stelle zitierte Auffassung Schopenhauers. Auch Honneth markiert das gleiche Problem („Die transzendentale Notwendigkeit von Intersubjektivität“. In: Merle 77f.).
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Der Grund des Widerspruchs von Wollen und Vorstellen liegt für das empirische Ich darin, dass die ursprünglich zu findende in sich zurückgehende Tätigkeit, auf Grund derer es sich setzt, ihm wegen der Natur seiner Reflexion als bestimmtes Wollen erscheint. Zugleich „zerfällt“ diese Tätigkeit in unterschiedliche Aspekte, die eine durch Erfahrung erzeugte Mannigfaltigkeit darstellen: mein Bewusstsein geht nicht aus von Wollen, Zweckbegriff und Wahrnehmung eines Objekts, sondern es geht von allen aus, ist alles, in der Erfahrung erst trenne ich es. (GA IV, 2, 188)
Will das Ich sich bzw. seine Freiheit erfahren, dann befindet es sich unweigerlich im Machtbereich der Bewusstseinstrennung, auf deren Grundlage allein wirkliches Selbstbewusstsein möglich ist.14 Vorstellen und Wollen, sowie Sinnenwelt und Ich, lassen sich dann lediglich in einer Zeitfolge vereinbaren, da ansonsten beide Seiten sich gegenseitig aufhöben und kein Selbstbewusstsein möglich wäre (ebd. §2). Sofern daher das Ich auf sich selbst reflektiert – und darin besteht die unumgängliche Bedingung seines Seins –, denkt es sich in die Zeit hinein, ohne wirklich in der Zeit zu sein (GA IV, 2, 195ff.).15 Die Ausführungen in der Naturrechtsschrift, insbesondere ab §3, decken lediglich diese immer schon, wenn auch implizit, geschehene not_____________ 14 Insofern kann Fichte die Freiheit als „die sinnliche Vorstellung der Selbsttätigkeit“ (SW IV, 10) bezeichnen, darin erscheint sich das Ich und verwirklicht so erst Selbstbewusstsein. 15 „Ein erster Moment des Bewusstseins der daf[ür] erkannt wird kann nicht sein; denn alles ist immer ein Stück.“ (GA IV, 2, 188f.; eigene Herv. CB) Dementsprechend hebt Zaczyk zwar zurecht hervor, dass das Ich beim Denken seines Anfangs auf Grund der Zeitlichkeit seines Denkens in Erklärungsnot gerät: „Der einmal vollzogene Schluss ‚Ich‘ ist für das Selbstbewusstsein nicht mehr so in seine Momente auflösbar, dass es sie sich ursprünglich neu aneignen könnte, so, dass es eines dieser Momente für den Anfang nimmt“ (Zaczyk 19). Doch versäumt er, dieses Problem in den Bezug zur Genesis des Selbstbewusstseins zu stellen. Bei folgender Formulierung: „Fragt ein entwickeltes Selbstbewusstsein auf die Möglichkeit seiner Entstehung zurück, so muss es notwendig auf einen Punkt kommen, an dem fremde Vernunft ihm aufgeholfen hat.“ (ebd. 10f.; eigene Herv. CB) besteht die Gefahr, den notwendigen Schluss auf ein anderes Vernunftwesen allein für ein bereits existentes Ich zu fordern, das sich dazu entschlossen hat, nach seinem Ursprung zu fragen, dies aber ebenso auch hätte unterlassen können, ohne dabei sein Selbstbewusstsein zu verlieren. Demgegenüber muss eingesehen werden, dass das Ich in statu nascendi zur notwendigen Annahme mindestens eines anderen Menschen gezwungen ist, da es sonst nicht sein Selbstbewusstsein realisieren könnte. „Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären“ (GA IV, 2, 178), bedeutet daher, dass ein entstehendes, nicht ein bereits entstandenes Selbstbewusstsein bei der notwendigen Reflexion auf sein Ich, getrieben von Reflexionsgesetzen und der Zeitlichkeit seines Denkens, auf die Annahme einer Bedingung zurückgreifen muss, die es nicht selbstmächtig aus sich erklären kann. Würde es diese Annahme nicht machen, könnte es sich nicht erklären, und damit im Vorhinein nicht seine Einheit konstituieren, d.h. sich setzen.
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wendige Folgerung im Denken des entstehenden Ich auf. Wenn von der Wirksamkeit auf Objekte die Rede ist, befindet sich das Denken in Zeitverhältnissen; daraus entspringt letztlich der Zirkel bei der Erklärung der Genese des Selbstbewusstseins und das ist der Grund, weshalb Fichte vor dem Aufzeigen des Zirkels die Zeit deduziert hat. Damit das Ich dennoch die Einheit seines Selbstbewusstseins konstituieren kann, bedarf es im einzigen Momente seines Entstehens der Aufforderung. Diese Einsicht des Transzendentalphilosophen in den Ursprung des Selbstbewusstseins bleibt dem empirischen Ich jedoch verborgen, da es – einmal in den Zeitkategorien seines Denkens befangen – nicht mehr seinen unzeitlichen Übergang in die Zeit nachzuvollziehen vermag. Ihm erscheint infolgedessen sein Ursprung im Sinne einer zeitlichen Entwicklung. Deshalb muss es die Aufforderung – ebenso wie der empirische Wissenschaftler – als einen in der Zeit sich vollziehenden Vorgang der Erziehung durch ein anderes Vernunftwesen deuten.16 Die Ausführungen über das Naturrecht scheinen – wie im übrigen alle Anwendungsbereiche der Wissenschaftslehre – eine Art Zwittergestalt zwischen transzendentalem und empirischem Standpunkt zu sein. Zum einen steht nicht in Frage, wie die Sache an sich, von dem transzendentalen Gesichtspunkt aus, sein möge, [...] sondern nur, wie sie dem zu untersuchenden Subjekte vorkommen müsse. (SW III, 33).
Damit holt sie die oben bereits angeführte Forderung ein zu zeigen, wie die transzendental-apriorischen Handlungen des Ich in ihrem konkreten tatsächlichen Bestehen für das empirische Bewusstsein präsent sind. Die zeitliche Erfahrungsdimension dieses Subjekts muss jedoch zum anderen aus transzendentalphilosophischen Gründen auf ihre außerzeitliche, apriorische Dimension zurückgeführt werden: Die ursprünglichen Handlungen des Ich geschehen insofern in einem einzigen Moment. Hier treten erneut die Probleme des Ursprungs von Selbstbewusstsein sowie der zwei unterschiedenen Standpunkte auf.17 _____________ 16 „Die Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt. Alle Individuen müssen zu Menschen erzogen werden, außerdem würden sie nicht Menschen.“ (SW III, 39) 17 Der Standpunkt der Wissenschaftslehre ist an dieser Stelle schwer zu verstehen. Er lässt sich zunächst auf die Verstehensweise des empirischen ursprünglichen Ich ein und schließt auf Grund sich ergebender Widersprüche auf notwendige Bedingungen des Ursprungs, die als solche aber nicht zum Bewusstsein des empirischen Ich gelangen. Zu diesem Oszillieren zwischen dem transzendentalen und dem empirischen Standpunkt vgl. Siep 1992, 41ff. Zu den zwei Standpunkten s.o. I.2. Zu ihrer Kritik vgl. das Kapitel zu Hegels Fichte-Kritik (Zweiter Teil, I.).
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Es schließen sich Folgerungen an, mit denen das Ich das Phänomen der Aufforderung notwendigerweise auf Grund gewisser Vernunftgesetze verbindet, diese geschehen nicht in einer zeitlichen Aufeinanderfolge, sondern zugleich mit dem Selbst-Setzen: Das Ich ordnet dieser seiner Bestimmtheit zur freien Selbstbestimmung einen konkreten äußeren Grund zu, der wie es selbst ein vernünftiges, freies Wesen, dem das Vermögen der Begriffsbildung innewohnt, zu sein hat. Von Bedeutung ist an dieser Stelle, dass das Ich das andere Vernunftwesen nicht rein hypothetisch, gleichsam als Erklärungsversuch des Phänomens der Aufforderung einführt, sondern sich dazu gezwungen fühlt, somit zur Bedingung von Selbstbewusstsein das notwendige Setzen mindestens eines vernünftigen Wesens außer dem Ich erwiesen ist. Inwiefern unterscheidet sich die Aufforderung von anderen objektiven Erscheinungen, die nicht auf eine vernünftige Ursache zurückgeführt werden können? Es erweist sich, dass die Wirkung nur dann überhaupt als Aufforderung verstanden werden kann, wenn man ihr einen vernünftigen Zweck unterstellt, der allein von einem anderen Vernunftwesen hat entworfen werden können. Dieser Zweck besteht genauer im Hervorrufen einer Erkenntnis im aufgeforderten Wesen, nämlich der Erkenntnis seiner eigenen Freiheit. Die Aufforderung kann gar nicht anders verstanden werden als unter dieser Voraussetzung. Während natürliche Objekte zwar ebenso gedeutet werden können, dass sie oder die Natur im Allgemeinen darin dem Menschen „eine Lehre erteilen“, besitzen sie daneben immer auch eine andere, ihre eigentliche Natur. Die Aufforderung hat hingegen ausschließlich die Funktion, eine Erkenntnis im Ich hervorzurufen. Die Möglichkeit, wie ein Mensch in diesem Sinne auf einen anderen einzuwirken vermag, klärt Fichte in einem langen komplizierten Paragraphen.18 Interessant daran ist vor allem der Rekurs auf die sprachliche Natur der Aufforderung. In diesem Fall kann die Aufforderung nur verstanden werden, wenn das aufgeforderte Ich im Vernehmen der Töne (seiner äußeren Bestimmtheit) Vernunft und damit ein anderes Ich als deren Urheber annimmt. In Analogie zu §8 der Sittenlehre, worin das Ich eine Weiterbestimmung des Objekts im Ausgang vom Begreifen seiner eigenen Wirksamkeit vornimmt, entwickelt der folgende Paragraph des Naturrechts (§4), welche sonstigen Attribute das Ich dem mit ihm in Kontakt stehenden Vernunftwesen zuweisen muss. Die Deduktion, an deren Ende der Rechtsbegriff stehen wird, vollzieht sich mittels dreier Schritte. Zunächst folgt die gegenseitige Anerkennung beider im Prozess der _____________ 18 Vgl. dazu §6. Siehe auch G. Zöller: „Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts“. In: Merle 97-111.
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Aufforderung verwickelten Vernunftwesen, dann wird die gegenseitige Anerkennung in die Zukunft, d.h. auf alle möglichen Fälle der Interaktion zwischen beiden projiziert, und schließlich wird dieses Verständnis auf alle anderen möglichen Individuen, die mit dem Ich in Kontakt treten können, ausgedehnt. Der erste Schritt bezieht sich daher noch ausschließlich auf die reelle Ausgangssituation der Aufforderung im Ursprung des Selbstbewusstseins, während die beiden folgenden eine gedankliche Verallgemeinerung im Hinblick auf die Zukunft bedeuten. Im Begreifen der Aufforderung liegt zuallererst, dass das aufgeforderte Ich sich eine Sphäre möglicher Zwecke für seine Freiheitsausübung zugewiesen sieht, über die nur es allein das Verfügungsrecht beanspruchen darf. Da es diese Sphäre im Rahmen der Aufforderung zu setzen hat, muss es im gleichen Zuge ein anderes Vernunftwesen als Urheber der Aufforderung setzen, dem es ebenso eine (andere) Sphäre möglicher Handlungen eingesteht. Auf diese Weise fasst das Ich sich und das andere Ich als Vernunftwesen und unterscheidet beide zugleich qua Individuen durch die Zuweisung unterschiedlicher Sphären. Das aufgeforderte Ich erkennt zudem, dass das andere Ich nur deshalb eine Aufforderung hat vollziehen können, weil es im Rahmen seiner eigenen Sphäre verblieben war und keine Handlung begangen hatte, welche die Freiheit des aufgeforderten Ich beeinträchtigt oder gar vernichtet hätte. Es fühlt sich daher von dem anderen Ich anerkannt, weil dieses nur durch die freilich noch problematische Anerkennung des Adressaten seiner Aufforderung als Vernunftwesen diese Handlung hat vollziehen können. Ebenso weiß es aber vom problematischen Charakter seines Anerkanntwordenseins. Nur dadurch, dass es der Aufforderung durch eine vernünftige Handlung entspricht, bringt es das andere Ich zu einer kategorischen Anerkennung. Zur selben Zeit dokumentiert das aufgeforderte Ich seine Anerkennung und legt sich kategorisch darauf fest, das andere Ich anzuerkennen, indem es nicht in dessen Freiheitssphäre eingreift. Diese eben beschriebene kategorische Anerkennung zwischen zwei Vernunftwesen liegt im Ursprung des einen, nämlich des aufgeforderten Ich immer schon vor, insofern – wie bereits mehrfach betont – das Ich nur durch das Setzen einer freien Wirksamkeit zum Selbstbewusstsein kommt, darin aber auch der Aufforderung entsprochen hat. Dennoch bietet die Analyse der Anerkennung in ihrem hypothetischen Grund, worin das einseitige Anerkannt-Werden des Ich isoliert herausgestellt worden ist, ein Modell für die folgenden Anerkennungsverhältnisse desselben Ich. Es muss nunmehr freilich nicht mehr ursprünglich aufgefordert werden, da es sein Selbstbewusstsein bereits konstituiert hat. Doch bleiben wir noch kurz bei der Ursprungssituation! Darin
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etabliert das Ich seine Individualität durch Abgrenzung gegenüber derjenigen des anderen Ich. Es versteht sich aber zugleich als ein allgemeines Vernunftwesen, indem es mit dem anderen eine Vernunftgemeinschaft eingeht: Beide sind Ich, d.h. beide verfügen über eine Freiheitssphäre. Die Individualität erweist sich als keine rein natürliche Bestimmung des Menschen, sondern als ein gesellschaftlich hervorgebrachtes Selbstverständnis des Ich, insofern es sich von anderen Individuen abgrenzt und diese in ihrer individuellen Freiheit anerkennt. Es erfasst sich als Individuum, indem es sich zugleich in seiner Allgemeinheit als Vernunftwesen setzt; dies verschafft ihm das Selbstverständnis als Person.19 Die Anerkennung stellt sich als symmetrisches, reziprokes Verhältnis zweier Menschen dar, das sich lediglich dadurch erhält, dass sich die Gegenseitigkeit im Handeln beider Seiten ausdrückt. Durch das Handeln aufeinander entsteht ein „Verhältnis der Wechselwirkung durch Intelligenz und Freiheit“ (SW III, 44), worin jede vernünftige, die andere Freiheit bewahrende Handlung eine entsprechende Gegenhandlung erwartet. Jede Anerkennung, sei sie noch hypothetisch oder bereits kategorisch, beinhaltet eine Aufforderung an das andere Ich zu einer freien Handlung, die vernünftig ist, d.h. eine Möglichkeit aus dessen eigener Sphäre verwirklicht. Durch die Kategorizität der Anerkennung in der Ursprungssituation folgt nun mit der bereits angesprochenen Erwartungshaltung der Übergang zu allen künftigen Interaktionen von beiden Vernunftwesen. Indem sie sich als Vernunftwesen füreinander erwiesen haben, rechnen sie damit, dass sich der jeweils Andere auch in seinem künftigen Handeln nach der ursprünglichen Anerkennung richte. Dazu verpflichtet ihn eine theoretische Konsequenz, dem ursprünglichen Erkennen des anderen Vernunftwesens in der Anerkennung weiterhin im Handeln Folge zu leisten. Sobald eines der beiden Subjekte dieser Einsicht zuwider handelt, kann sich das in seiner Freiheit verletzte Vernunftwesen auf die einmal vollzogene Anerkennung als ein geltendes Vernunftgesetz berufen. Die Untat des Anderen zeigt, dass dieser nicht ein reines Vernunftwesen ist, sondern entgegen seiner vernünftigen Einsichten dem Anderen in sich, seiner bloßen Sinnlichkeit, gefolgt ist. Die kategorische Anerkennung erfährt so einen Vertrauensbruch und offenbart die Zufälligkeit oder Fragilität der vernünftigen Interaktion. Der Andere kann _____________ 19 SW III, 56. „Der Begriff der Individualität ist [...] ein Wechselbegriff, d.i. ein solcher, der nur in Beziehung auf ein anderes Denken gedacht werden kann, und durch dasselbe, und zwar durch das gleiche Denken, der Form nach bedingt ist.“ (SW III, 47) Man sieht hier, wie in einem Akt der Anerkennung zugleich Individualität als auch Allgemeinheit der Vernunft impliziert sind. Diese Personalität entsteht im intersubjektiven Rechtsverhältnis.
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nicht länger als reines Vernunftwesen anerkannt werden, sondern zerfällt in die Bestandteile von Vernunft und Sinnlichkeit, deren Übereinstimmung in der Einheit der Vernunft wenn nicht fraglich, so doch unsicher bleibt. Die ständig drohende Möglichkeit des Unrechts wird später zur Forderung der Institutionalisierung des Rechtsverhältnisses führen. In der „vorinstitutionellen“ Ausgangssituation erhält das in seiner Freiheit beeinträchtigte Ich das Recht, den Anderen solange als bloßes Sinnenwesen zu betrachten und zu behandeln, bis dieser durch erneute Anerkennung des Anderen zu seiner Vernünftigkeit im Handeln zurückfindet. So schlägt die Symmetrie in eine Hierarchie um, worin sich das eine Ich zum Richter über das andere Ich erhebt. Das gleiche Anerkennungsverhältnis kann nun der Mensch im Fortgang seines Lebens mit anderen Menschen aufbauen, die durch ihr Handeln mit ihm in Kontakt treten. Die Deduktion vermag an dieser Stelle zwar nicht darzutun, dass der Mensch notwendigerweise noch andere Vernunftwesen vorfindet, da zur Konstitution seines Selbstbewusstseins ein einziges Vernunftwesen ausreicht. Dennoch kann sie folgern, dass, sobald im Blickfeld von dessen sinnlicher Anschauung weitere Wesen auftreten, die der Mensch auf Grund ihres Handelns auf ihn, d.h. auf Grund ihrer Aufforderung zum freien Handeln, als Vernunftwesen identifizieren muss, eine erneute Anerkennung nach dem obigen Modell einsetzt. Dass es sich wirklich um andere Vernunftwesen und nicht etwa um das gleiche ursprünglich auffordernde handelt, erkennt das Ich durch sinnliche Anschauung: Wenn keine sinnlich wahrnehmbare Kontinuität zwischen dem ersten und dem zweiten äußeren Vernunftwesen besteht, muss es dem letzteren eine neue eigene Identität und Freiheitssphäre zuschreiben. Da es nun auch seine eigene Freiheit in Bezug auf dieses Ich einzuschränken hat, folgt eine weitere Bestimmung seiner Individualität und Freiheit. Die Übertragung des ursprünglichen Anerkennungsverhältnisses auf alle weiteren möglichen Fälle und Individuen ergibt nun den Rechtsbegriff: Ich muss das freie Wesen außer mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d.h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken. (ebd. 52)
Die Notwendigkeit, dieses Recht zu befolgen, diktiert die theoretische Konsequenz der Anerkennung, die eine Vorschrift für den Freiheitsgebrauch des Ich darstellt – ein Zuwiderhandeln bleibt stets möglich. An dieser Stelle wird der hypothetische Charakter des Rechts deutlich. Da nicht dargetan werden kann, dass der Mensch für sein Selbstbewusstsein mit mehreren Vernunftwesen zusammenleben muss, kann in der Rechtslehre nicht gefordert werden, dass jedes Vernunftwesen in einer Gesellschaft leben müsse. Die Einhaltung des Rechtsverhältnisses ist
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zwar als notwendige Bedingung der gesellschaftlichen Interaktion dargetan, jedoch folgt daraus nicht, dass der Mensch verpflichtet ist, in der Gesellschaft und ihren Gesetzen zu verbleiben. Sowohl die zukünftige Interaktion auf der Grundlage der Anerkennung mit dem ursprünglich auffordernden Vernunftwesen als auch mit anderen Vernunftwesen bleibt allein der theoretischen Konsequenz des Menschen anheim gestellt. Das Rechtsverhältnis ist lediglich in hypothetischer Form deduziert: „Wenn eine Gemeinschaft freier Wesen, als solcher, möglich sein soll, so muss das Rechtsgesetz gelten.“ (ebd. 89) 4. Das Recht und seine Anwendung Nachdem im vorherigen Kapitel die Deduktion des Rechtsbegriffs im Rahmen der Fichteschen Rechtslehre verfolgt wurde, kann nun zu dessen Anwendbarkeit und Anwendung übergegangen werden. Davor ist es angebracht, drei wesentliche Momente der rechtlichen Anerkennung in der Interaktion von Vernunftwesen herauszustellen, zumal alle noch folgenden Schritte lediglich Konkretisierungen dieses Modells darstellen. Als erstes wesentliches Moment hat sich die gegenseitige kategorische Anerkennung erwiesen. Hierin übernehmen die Vernunftwesen in ihrem Handeln die Einsicht in die Vernünftigkeit des Gegenübers, indem sie im Rahmen ihrer eigenen Freiheitssphäre verbleiben und somit die Grenzen ihrer Freiheit durch ihre Beschränkung angesichts der Möglichkeit der Freiheit des Anderen anerkennen. Allein auf diese Weise konstituiert sich die gegenseitige Anerkennung. Das zweite Moment stellt die Möglichkeit eines Rechtsbruches dar und das daraus herrührende Misstrauen gegenüber den Handlungen des Anderen. Die wirklich erfahrene, oder zumindest ständig im Hintergrund lauernde Möglichkeit, dass der Andere die Vereinbarungen der Anerkennung bricht, kennzeichnet diese Stufe. Das letzte, dritte Moment besteht im Wissen, dass allen Vernunftwesen als solchen die Einsicht in den Rechtsbegriff sowie dessen Befolgung im Handeln gleichermaßen zukommt. Solange sie ihrer bloßen Vernunft folgen, also theoretisch konsequent agieren, erhält das Recht universelle Gültigkeit und drückt den gemeinsamen Willen aller Vernunftwesen aus. Wir werden im Folgenden sehen, wie alle drei Momente appliziert werden. Dafür wenden wir uns zunächst dem ersten Moment zu. Was passiert in der gegenseitigen Anerkennung? Ohne die bisherigen Ergebnisse wiederholen zu wollen, sollen nur die für das Folgende wichtigen Aspekte hervorgehoben werden. In der Zuweisung verschiedener individueller Freiheitssphären wird den jeweils betroffenen Ver-
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nunftwesen die Fähigkeit formaler Freiheit zugemutet sowie die Verpflichtung, beim Handeln in der eigenen Sphäre zu verbleiben. Unter Absehen von moralischen Bewertungen werden allein diejenigen Handlungen in der Sinnenwelt betrachtet, die als aus freier Wahl hervorgegangene Zweckverwirklichungen der Individuen gedeutet werden. Aus der Sittenlehre weiß man bereits, dass die in der Sinnenwelt möglichen Handlungen allesamt Befriedigungen von Naturtrieben darstellen, die gleichsam im menschlichen Leib inkarniert sind. Auch die moralischen Zwecke können nur zu ihrer Ausführung in der Welt kommen, wenn sie sich hinsichtlich ihrer Materie an die Naturtriebe halten. Sobald das Ich in der Aufforderung eine Freiheitssphäre zugesprochen bekommt, setzt es seinen Leib „als Umfang aller möglichen freien Handlungen der [hier: seiner] Person“ (ebd. 59). Dadurch tritt das Ich aus dem Bereich des allgemeinen Ich heraus und individualisiert sich in einem bestimmten Leib, welcher der Macht seiner formellen Freiheit untersteht; diese empirische Entität nennt Fichte Person. Jede bestimmte Wirksamkeit findet ihren Ausdruck in einer bestimmten Konstellation des Leibes, die mithin auch sichtbar für andere Vernunftwesen ist. Freilich muss noch hinzugefügt werden, dass dem Ich mit seinem Leib zugleich die Beschränkung bestimmter Naturtriebe gegeben ist, nämlich derjenigen, die eine Gefährdung für die Freiheit des anderen Vernunftwesens darstellen. So begreift sich die Person zugleich als Rechtsperson.20 Auch aus der Perspektive des anderen Vernunftwesens stellt der Leib in Form eines menschlichen Körpers ein Indiz für die Möglichkeit der formalen Freiheit dar. Im Gegensatz zum Tier ist der menschliche Körper insofern Zeichen von Freiheit, als er die Möglichkeit unendlicher Bestimmbarkeit durch den Willen zum Ausdruck bringt. Während das Tier in seinen Bewegungen durch die Natur festgelegt ist, kann der Mensch seinen Leib unendlich bewegen und bestimmen, d.h. die Artikulation seiner Glieder beinhaltet eine unendliche Variabilität (vgl. Gestik, Mimik). Durch diese sinnliche Darstellung der menschlichen Freiheit kann ein Vernunftwesen sofort sehen, ob sein Gegenüber überhaupt als Adressat einer Aufforderung in Frage kommt. Die Anwendbarkeit des Rechtsbegriffes fußt so auf der leiblichen Erscheinungsform des Menschen. In der Bewahrung der Freiheitssphäre des Anderen liegt infolgedessen die Verpflichtung, den anderen Leib nicht als bloßes Objekt zu _____________ 20 In der ursprünglichen Aufforderung erhält das Ich folglich nicht allein die Sphäre derjenigen Handlungen, die das Rechtsverhältnis einhalten, sondern zugleich die Sphäre aller möglichen Handlungen, d.h. seinen Leib. Nur so kann eine dem Recht gemäße Handlung frei vollzogen werden, wenn das Ich auch von den möglichen ungerechten Handlungen weiß.
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behandeln, das man handelnd zu modifizieren vermag, sondern als den Leib eines anderen Menschen, der allein über seinen Leib verfügen darf. Hieraus entspringen gleichsam die Urrechte der Person, als das „absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein. (Schlechthin nie Bewirktes.)“ (ebd. 112) So wird der Eigenständigkeit des leiblichen Menschen Rechnung getragen, indem dessen Leib als Mittel zur Verwirklichung selbst gesetzter Zwecke betrachtet wird, gleichsam als äußere Bedingung des freien Tätigkeitsvollzugs. Neben der Selbsterhaltung des Leibes als wesentlicher Voraussetzung dieses Rechts gibt es noch eine weitere Möglichkeitsbedingung der freien Handlungen in der Sinnenwelt. Alle zweckgerichteten Handlungen resultieren aus einer Erkenntnis der sinnlichen Objekte. Sobald diese allerdings einer vom Ich nicht vorauszusehenden Veränderung unterliegen, ist dessen Handeln in der Sinnenwelt zum Scheitern verurteilt. Zwar ändern sich die Objekte gemäß gewisser Naturgesetze, doch diese sind der Erkenntnis zugänglich, weshalb im Handeln darauf Rücksicht genommen werden kann und muss. Die einzige Veränderung, die das Ich nicht vorauszusehen vermag, resultiert aus dem freien Eingriff eines anderen Vernunftwesens. Demnach fordert das Vernunftwesen, dass zur Verwirklichung seines Handelns die Objekte nicht der Modifikation anderer Vernunftwesen unterliegen. Insofern nun jedoch auch andere Vernunftwesen den gleichen Anspruch auf die Persistenz der Dinge erheben, wird eine quantitative Einteilung des gesamten Objektbereiches erforderlich, wonach jedem Individuum ein gewisser Anteil an Objekten zugesprochen wird, den nur es selbst modifizieren darf, alle anderen Objekte aber werden ihm abgesprochen. Die betreffenden Objekte, die als „mittelbare“ Mittel das unmittelbare Mittel des Leibes in der Verwirklichung menschlicher Freiheit ergänzen, ergeben das Eigentum; auch dieses wird eingeführt im Hinblick auf den freien Tätigkeitsvollzug.21 Auf diese Weise ergibt sich der Begriff des Eigentums- oder Zivilrechts. Die Konkretisierung dieses Rechts muss gemäß der formalen Freiheit der Personen auf eine gegenseitige Übereinkunft gegründet werden: den Eigentumsvertrag. Hierin setzen die zusammenkommenden Individuen den weiteren Bereich ihrer Freiheitssphäre, die Eigentumszuteilung, vertraglich fest. So erhält man die erste Konkretisierung des Rechtsverhältnisses: gegenseitige Anerkennung, Urrechte und Eigentumsvertrag. Anlässlich eines begangenen Unrechts erfährt das Ich die Zufälligkeit der Einhaltung des Rechtsverhältnisses. Die andere Person mani_____________ 21 Fichte bestimmt Eigentum „im weitesten Sinn des Wortes, inwiefern es nämlich nicht etwa nur den Besitz liegender Gründe, oder dgl., sondern Rechte auf freie Handlung in der Sinnenwelt überhaupt bezeichnet.“ (SW III, 195)
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festiert sich als eine fragile Synthese aus Vernunft und Sinnlichkeit, die jederzeit durch freie Entscheidung zugunsten der Sinnlichkeit geschieden werden kann. Zwar gilt der menschliche Leib als Indiz für Vernünftigkeit und jedes Vernunftwesen ist durch die Gesetze seines Denkens gebunden, hinter diesem Leib Vernunft anzunehmen, doch kann selbst nach der gegenseitigen Anerkennung von beiden Seiten aus ein Rechtsbruch geschehen. In diesem Falle verliert das Unrecht ausübende Wesen jedes Recht auf Anerkennung, mithin sein Recht auf eine eigene Freiheitssphäre, derer sich die anderen Personen enthalten. Es wird behandelt, wie es gehandelt hat, nämlich als ein bloßes Sinnenwesen. Das Vernunftwesen, dem ein Unrecht zugefügt wurde, erhält infolgedessen eine übergeordnete Position. Da die Symmetrie der Anerkennung aufgehoben ist, erlangt es das Recht, Richter über das andere Wesen zu sein, oder das Zwangsrecht über dieses. Solange das andere Wesen nicht wieder die einmal geschehene Anerkennung in seinem Handeln befolgt und statt dessen die Verletzung der Urrechte des Anderen aufrechterhält, muss es durch Zwang an weiteren Vergehen gehindert werden. Um nun ebenso zu verhindern, dass durch ständige Zwangsausübung die Freiheit des anderen Vernunftwesens völlig vernichtet wird – was ebenso ein Unrecht wäre –, müssen sich die Vernunftwesen gemeinsam einer dritten Gewalt unterwerfen, welche den Zwang auf gerechte Weise ausübt. Beide müssen also ihre physische Macht, und ihr Rechtsurteil, d.i. alle ihre Rechte jenem Dritten unbedingt unterwerfen. (ebd. 101)
Zur Garantie einer gerechten Zwangsgewalt bedarf es der Sicherheit, dass jede unrechte Tat bestraft wird und jede Bestrafung zurecht erfolgt. Mehr noch: Wenn Unrecht jederzeit mit Strafe zu rechnen hat, dann dürfte dies schon im Vorhinein ein Schutz vor Unrecht sein. Das Zaubermittel zur Lösung dieses Problems heißt mechanische Notwendigkeit: Wenn demnach eine mit mechanischer Notwendigkeit wirkende Veranstaltung getroffen werden könnte, durch welche aus jeder rechtswidrigen Handlung das Gegenteil ihres Zwecks erfolgte, so würde durch eine solche Veranstaltung der Wille genötigt, nur das Rechtmäßige zu wollen; durch diese Anstalt würde, nach verlorener Treue und Glauben, die Sicherheit wiederhergestellt, und der gute Wille für die äußre Realisation des Rechts entbehrlich gemacht, indem der böse und nach fremden Sachen begierige Wille, gerade durch seine eigene unrechtmäßige Begier, zu dem gleichen Zwecke geleitet würde. Eine Veranstaltung, wie die beschriebene, heißt ein Zwangsgesetz. (ebd. 142)
Die Anwendung des allgemeinen Rechtsbegriffs auf die Einzelfälle mit mechanischer Notwendigkeit verlangt die Einführung positiver Geset-
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ze,22 die eine empirische Schematisierung des Rechtsverhältnisses und so den mechanischen Übergang von diesem zur Rechtssprechung ermöglichen. In den positiven Gesetzen muss die im Eigentumsvertrag ausgehandelten Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens niedergeschrieben werden; sie sollen gleichsam den gemeinsamen Willen der rechtlichen Personen ausdrücken. Die dritte Instanz, das Gericht, spricht recht, indem sie das Rechtsverhältnis durch Anwendung der jeweils verletzten positiven Rechte in einer konkreten Situation durchsetzt. Im Idealfall geschieht dies nach mechanischer Notwendigkeit, d.h. ohne die Freiheit des Richters bei der Auslegung der Rechte, damit ohne die Freiheit, ein ungerechtes Urteil zu sprechen. Ebenso liegt dieser Auffassung das Ziel zu Grunde, jede unrechte Tat zu entdecken und zu bestrafen, was letztlich die permanente Überwachung durch eine Polizeigewalt nötig machen wird (166). Auf der Vertragsebene bedeutet dies, dass sich die Individuen zum Schutze ihrer Freiheitssphäre, also mithin von Leib, Eigentum und des damit verbundenen Vertrags, zusammenschließen in der Gesinnung, nicht nur das Eigentum der anderen anzuerkennen, sondern es vor Übergriffen anderer zu schützen. Dem Eigentumsvertrag schließt sich infolgedessen ein Schutzvertrag an, worin jeder Person die positive Sicherung ihres Besitzes und ihrer Freiheit gegenüber fremden Übergriffen gewährleistet wird. Das mit dem Recht zur Exekution der gefällten Urteile beauftragte Gericht erhält so seine vertragliche Legitimation aus dem Zusammenschluss mehrerer Personen zum Ziele ihrer Eigentumssicherung. Die zweite Konkretisierung des Rechts enthält folgende Momente: Möglichkeit des Rechtsbruches, Zwangsrecht und Schutzvertrag. Als letztes Moment der rechtlichen Anerkennung haben wir ihre theoretische Konsequenz bezeichnet, worin der allgemeine Wille aller Vernunftwesen zum Ausdruck kommt, das Rechtsverhältnis zum Erhalt ihrer Freiheit gemeinsam einzugehen und zu bewahren. Diesem allgemeinen Willen liegt die „gegenseitige Sicherheit“ aller zu Grunde, die alle Privatwillen insofern vereinigt, als die Sicherheit jeder einzelnen freien Person zum allgemeinen Ziele gesetzt ist. Aus diesem Zusammenschluss der Privatwillen resultiert das Staatsrecht, insofern, wie bereits anlässlich des Zwangsrechtes deutlich wurde, zur Sicherung der Freiheit alle Macht einem „neutralen“ Dritten übertragen werden muss, _____________ 22 „Das positive Gesetz schwebt in der Mitte, zwischen dem Rechtsgesetze, und dem Rechtsurteil.“ (ebd. 103) Fichte glaubt wirklich, dass es möglich sei, aus dem allgemeinen Rechtsgesetz die positiven Gesetze herzuleiten, damit es allen Bürgern möglich sei, im Gesetz die vernünftigen Konsequenzen aus der Anerkennung zu sehen (ebd. §8).
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der über die Einhaltung der Freiheitssphären wacht. Dieser Dritte ist nun der Staat in seiner Zweiteilung von legislativer und judikativ-exekutiver Macht.23 Dadurch werden zum einen die positiven Gesetze als empirische Schematisierungen des ursprünglichen Rechtsverhältnisses, zum anderen das Gericht als Instanz der Rechtssprechung und Rechtsausführung gefordert. Zur Überwachung der Staatsgewalt, die niemals vor Rechtsmissbrauch gefeit ist, insofern sie selbst aus freien Personen zusammengesetzt ist, bedient sich Fichte zweier Mittel: Zum einen muss – wie gesagt – die Rechtsanwendung nach mechanischer Notwendigkeit verlaufen, so dass der menschliche Missbrauch im Vorhinein ausgeschlossen werden kann. Zum anderen fordert Fichte zur Aufsicht und Beurteilung der richterlichen Gewalt ein sogenanntes Ephorat24 – eine Institution, die mit einer „absolut prohibitiven Gewalt“ ausgestattet jederzeit die Möglichkeit besitzt, Rechtsgänge, die ihr ungerecht und wider den Geist der Freiheit scheinen, aufzuheben. Mit dieser negativen Gegengewalt benennt Fichte eine Institution, welche die Drohung eines Rechtsmissbrauchs so gering wie möglich zu halten hat. Die Trennung der Staatsgewalt in legislative, judikativ-exekutive und ephoratische hat sich nach Fichte aus den Überlegungen der Anwendbarkeit des Rechts in der Sinnenwelt a priori ergeben. Alle weiteren Bestimmungen, die empirischen Faktoren Rechnung tragen, sowie die Bestimmung der Staatsform unterliegen allein politischen Entscheidungen und können daher nicht a priori bestimmt werden.25 Das Zusammentreten der Individuen unter einer gemeinsamen Konstitution kann nun wie alle Möglichkeitsbedingungen des Rechts nicht erzwungen werden, sondern muss dem freien Willen der Einzelnen anheim gestellt werden. Daher fordert Fichte auch hier einen Vertrag der Individuen, die zum negativen und positiven Schutze ihrer Freiheit und ihres Eigentums bereits die vorherigen Verträge eingegangen sind. Im Vereinigungsvertrag werden der Eigentums- und der Schutzvertrag in Kraft gesetzt, indem sich neben der Einrichtung einer Konstitution und eines allgemein anerkannten Gerichts die Rechtspersonen zu einem organischen Ganzen zusammenschließen, in dessen Rahmen jeder seinen Beitrag zu leisten zusichert. Der im Schutzvertrag zum Ausdruck gebrachte Wille jedes Einzelnen, das Eigentum der Anderen _____________ 23 Fichte lehnt folglich eine Dreiteilung der Staatsgewalten ab, da er der exekutiven Gewalt keinen eigenen Willen gegenüber der richterlichen Instanz zuspricht. Dahinter steht letztlich sein Vertrauen in die mechanische Notwendigkeit der Rechtssprechung. Mit der ephoratischen Gewalt scheint er aber doch wieder eine Dreiteilung einzuführen. 24 Zum Ephorat: I. Maus: „Die Verfassung und ihre Garantie: das Ephorat“. In: Merle 146ff. 25 Zur Bedeutung des Politischen bei Fichte vgl. Renaut 1986, 115ff.
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zu schützen, wird hier konkretisiert. Im organischen Körper übernimmt jeder Bürger als Teil des Ganzen eine Funktion, d.h. letztlich einen bestimmten Stand, dessen Ausübung zum Erhalt des Ganzen beiträgt, wie auch jeder Bürger der Beiträge der anderen Bürger bedarf, um als Teil des Ganzen bestehen zu können (SW III, 208). In der Rechtslehre liefert die gemeinsame Sicherheit das Motiv zum Zusammenschluss der Individuen zu einem künstlichen Organismus, in dem jeder seinen Stand übernimmt. Der Vertrag begründet die (bürgerliche) Gesellschaft und liefert zudem das Fundament für die im Staatsrecht beschriebene Schaffung der Staatsgewalt, deren Funktion letztlich dem Erhalt dieser Gesellschaft verschrieben ist. Letzteres garantiert der den Vereinigungsvertrag sichernde Unterwerfungsvertrag unter eine Staatsgewalt. Aus der Unterscheidung von Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrag erfolgt die Konstitution der Gesellschaft und des Staats als unterschiedlicher Bereiche der Rechtssicherung.26 Wir haben nunmehr eine weitere Konkretisierung des Rechts erhalten: allgemeiner Rechtswille, Staatsrecht sowie Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrag.
IV. Staats- und Gesellschaftslehre: Verwirklichung der Freiheit 1. Übergang von der Rechtslehre: Die Remoralisierung des Rechts Die Rechtslehre Fichtes bezieht ihre relative Eigenständigkeit durch Abstraktion vom genuin ethischen Standpunkt. Die Sittenlehre begründet die Möglichkeit dieses Schrittes, indem sie neben der moralischen die sinnliche Natur des Menschen als generelle Bedingung der Möglichkeit seines Selbstbewusstseins erweist. Der Mensch ist nicht allein reiner Tätigkeitsvollzug, sondern muss immer auch mittels seines Leibes und seiner Naturtriebe in den Bereich des Nicht-Ich eingegliedert sein, um darin überhaupt tätig sein zu können. Indes unterscheidet er sich ebenso von bloßen Naturobjekten, insofern seine Handlungen in der Sinnenwelt nicht ausschließlich durch die Naturtriebe bestimmt und somit vorhersehbar sind, sondern einer Wahlfreiheit oder formellen Freiheit unterstehen, die ihm erlaubt, sich frei der Befriedigung einzelner Triebe zu verschreiben. Die Ethik entwickelt diese Freiheit als notwendiges Komplement der materialen, also originär moralischen Freiheit. Formale Freiheit ermöglicht als Freiheitsvermögen die freie Übernahme des Sittengesetzes zur Bestimmung der menschlichen Handlungen und _____________ 26 Zur Unterscheidung von Gesellschaft und Staat bei Fichte: s. SW VII, 38ff. Vgl. auch Schrader 1976, 21ff.
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damit die Autonomie, d.h. die Selbstgesetzgebung des Ich, indem sich das Ich in freier Wahl das Sittengesetz gibt. Von diesem Standpunkt aus scheinen die Bemühungen der Rechtslehre zum Erhalt der formalen Freiheit auch moralisch gerechtfertigt. Dennoch ergibt sich aus der Blickrichtung der Rechtslehre sowohl ein immanentes als auch ein moralisches Problem. Der Gebrauch formaler Freiheit ohne Sittengesetz stellt für die Rechtspersonen eine permanente Bedrohung ihrer eigenen Freiheit durch diejenige der anderen Individuen dar. Zwar verschreibt sich ein Individuum durch kategorische Anerkennung der anderen Personen dem Rechtsverhältnis, doch bleibt ihm stets die Möglichkeit, kraft derselben Freiheit, durch die es das Recht konstituiert, ebenso das Unrecht zu ergreifen. Die Instabilität und Unberechenbarkeit der formalen Freiheit aller Rechtspersonen schafft eine Situation allgemeinen Misstrauens, der allgemeinen Angst vor den Handlungen der anderen Individuen. Aus diesem Misstrauen folgert die Rechtslehre alles Weitere. So muss letztlich der Staat als neutraler Dritter die Rechtssicherung übernehmen, indem er selbst mit absoluter mechanischer Notwendigkeit die Befolgung der Gesetze bewacht und in der Sinnenwelt durchsetzt. Auch diese mechanische Notwendigkeit ergibt sich aus dem allgemeinen Misstrauen, das sich in diesem Fall auf die Vertreter der Staatsgewalt ausdehnt: Um diese an möglichen Rechtsbrüchen zu hindern, muss man auf die nahezu automatische Herrschaft der Gesetze und des Rechts zurückgreifen. Sollte es dennoch zum Unrecht durch die Staatsgewalt kommen, obliegt dem Ephorat als kritisch-negativer Gegengewalt ein Eingriff in das Geschehen. Damit dem Auge des Staates kein Unrecht der Bürger entgeht, fordert Fichte des Weiteren eine strenge polizeiliche Überwachung aller ihrer Handlungen in der Sinnenwelt, die sich von genauer Aufenthaltsbestimmung der Bürger bis hin zu Pässen zur ständigen Identifizierung erstreckt (SW III, 295). Der Schutz der formalen Freiheit aller Bürger führt innerhalb von Fichtes Rechtslehre letztlich dahin, alle diejenigen Handlungsmöglichkeiten aus der formalen Freiheit des Einzelnen durch Gesetze und Überwachung zu vereiteln, welche die formale Freiheit der Anderen beeinträchtigen. Doch welchen Wert besitzt eine derartige Einrichtung, welche die formale Freiheit unter dem Vorwand, sie zu sichern, in ihrer Ausübung beschränkt? Die gegenseitige Anerkennung sowie das daraus resultierende Rechtsverhältnis beziehen dadurch ihre Legitimation, dass die jeweiligen Vernunftwesen selbst, d.h. aus eigener Freiheit, ihre formale Freiheit zugunsten derjenigen der anderen beschränken. Ist letzteres nicht mehr möglich, so auch ersteres. Innerhalb der Rechtslehre ergibt sich folgender Widerspruch: Die ursprüngliche Aufgabe des
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Rechts besteht in der Sicherung der formalen Freiheit Aller. Da diese sich permanent durch die formale Freiheit der Einzelnen bedroht findet, wird im Recht die Aufhebung der formalen Freiheit der Einzelnen zugunsten der formellen Freiheit Aller ins Werk gesetzt. Doch nach der Beseitigung der formalen Freiheit der Einzelnen kann es auch keine formale Freiheit Aller mehr geben. Aus moralischer Sicht besteht das Verdienst der formalen Freiheit darin, dass sie, obwohl sie ebenso unmoralische wie auch unrechtliche Handlungen ergreifen kann, sich davor bewahrt, um sich dem Sittengesetz zu verschreiben. Eine Einschränkung dieser Freiheit gefährdet infolgedessen die ursprüngliche Unbestimmtheit des Menschen hinsichtlich seiner Handlungen, worin gerade dessen reines Wesen angesetzt wurde. Die amoralische Natur von Recht und Staat im Rahmen der Rechtslehre entlässt antimoralische Konsequenzen, deren Unhaltbarkeit innerhalb der Fichteschen Philosophie, die sich dem Primat des Sittengesetzes verschreibt und darin letztlich ihr lebensweltliches Fundament ansetzt, augenscheinlich ist.1 Die Abstraktion von der Moral führt mithin zu deren Destruktion und damit zur Destruktion dessen, was sie eigentlich mit begründen wollte, nämlich die Möglichkeit des Selbstbewusstseins, das sich – wie hinreichend bewiesen – allein im moralischen Handeln realisieren kann.2 Gleichsam als erneute Erscheinung des ewigen Widerspruches zwischen Ich und Nicht-Ich muss die Entgegensetzung von Moral und Recht durch eine Synthese gelöst werden. Es dürfte zufolge dieser Analogie keineswegs überraschen, dass die Lösung letztlich in der Aufhebung des Rechts in der Moral bestehen wird. Alles dasjenige, was im Rahmen der Rechtslehre deduziert wurde, muss im Folgenden als Mittel zur Schaffung eines moralischen Zustandes angesehen werden. Die unendliche Annäherung an diesen Zustand fordert, die Mittel selbst überflüssig zu machen. Mit der Deutung der in der Rechtslehre deduzierten Elemente als Mittel zu einem moralischen Zweck erfolgt eine neue _____________ 1
2
Wenn in einem Staat nach dem Fichteschen Modell jedes Unrecht sofort bestraft wird und sich somit für die Beförderung des Eigennutzes nicht eignet, dann wird damit den Bürgern die Möglichkeit genommen, allein aus moralischer Überzeugung die Gesetze zu befolgen, weil jedes Unrecht sowieso sinnlos ist. Man hat in der Sekundärliteratur zur Rechtslehre Fichtes häufig eine Inkonsequenz beklagt, insofern anfänglich die individuelle Freiheit zum Prinzip gesetzt wird (§§1-7), also eindeutig liberalistische Prämissen angenommen werden. Im weiteren Verlauf wird diese Freiheit nach dem Muster Hobbes’ zugunsten der allgemeinen Sicherheit oder der natürlichen Selbsterhaltung nahezu vernichtet. M.E. folgt dies aber nicht aus einer Inkonsequenz, vielmehr stellt es die konsequente Ausführung einer Rechtslehre dar, die durch Abstraktion von der Ethik ihre Eigenständigkeit bezieht (Vgl. Siep 1992, 35f.; Williams 64).
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Sanktionierung und inhaltliche Bestimmung des Rechts, die wir im Folgenden nachskizzieren wollen. Analog der Dreiteilung des vorherigen Kapitels entnehmen wir den Ausführungen Fichtes eine dreistufige Remoralisierung des Rechts: Die Arbeit oder Wirksamkeit in der Sinnenwelt empfängt in der Kultur ihre moralische Bestimmung; Aufforderung und wechselseitige Anerkennung der Vernunftwesen werden in einer moralischen Anerkennungsgemeinschaft konkretisiert. Die verschiedenen Rechte und Verträge schließlich erfahren in dem moralisch organisierten Ganzen der Gesellschaft und dem Staat mit moralischer Mission eine neue Bestimmung. 2. Die Kultivierung der Sinnenwelt Wir haben die freie Wirksamkeit des Ich in der Sinnenwelt, die für den Ursprung und Vollzug von Selbstbewusstsein notwendig ist, bereits unter zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet. Während die Rechtslehre darin lediglich den Ausdruck der formalen Freiheit des Ich hervorgehoben hatte, mittels dessen es sein Vermögen der Wahl unter verschiedenen Handlungsmöglichkeiten verwirklicht, hatte die Sittenlehre diejenigen Handlungen ausgezeichnet, die unter Befolgung des sittlichen Triebes der absoluten Selbstständigkeit des Ich entgegenarbeiten. Demnach verschreiben sich alle diejenigen Wirksamkeiten des Ich in der Sinnenwelt dem Sittengesetz, die in einer unendlichen Reihe liegen, deren Endziel die vollständige Befreiung des Ich vom Nicht-Ich darstellt. Zwar hat Fichte diese abstrakte Aufgabe im Gewissen als derjenigen Instanz weiter bestimmt, welche dem Ich in einer Handlungssituation die jeweiligen konkreten moralisch geforderten Wirksamkeiten zum Bewusstsein bringt, doch steht eine genauere Veranschaulichung dieser Arbeit an der Sinnenwelt bislang noch aus. Im §18 der Sittenlehre findet sich eine der seltenen Formulierungen, die den Weg in diese Richtung weisen: „Die Welt muss mir werden, was mir mein Leib ist.“ (SW IV, 229) Offensichtlich ist damit gemeint, dass das Ich das gleiche Verhältnis, welches es aus moralischer Hinsicht seinem Leib gegenüber einnehmen soll, in unendlicher Annäherung mit der Welt etablieren muss. Der Leib bzw. die Naturtriebe, deren organisches Ganzes der Leib sinnbildlich zum Ausdruck bringt, dienen dem Ich zur Verwirklichung seiner moralischen Absichten. Der Leib stellt gleichsam das Mittel für die Verwirklichung des moralischen Endzwecks dar. Jedes Wollen des Ich findet seine unmittelbare Erscheinung in einer bestimmten Artikulation des Leibes, womit auf die Objekte solange eingewirkt wird, bis sie dem moralischen Zweck angemessen sind. Die
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Widerständigkeit des eigenen Leibes gegenüber den moralischen Zielen gründet in seiner Zugehörigkeit zur Welt des Nicht-Ich (seiner Körperlichkeit), deren Gesetzen er zum Teil unterliegt und die das Ich mit der Gefahr der Fremdbestimmung und Passivität bedroht. Angenommen nun, die Welt wäre mir zu meinem Leib geworden, dann drückte sich jede Willensbestimmung unmittelbar in derselben gleichsam als Artikulation aus. Damit wäre aber bereits das Ziel meines Wollens erreicht, da es nichts außerhalb der Welt gibt, worin der Wille verwirklicht sein soll, sondern seine Verwirklichung gerade in der Welt stattfinden muss. Jedes Wollen wäre unmittelbar von seiner Realisierung begleitet, die Welt wäre so, wie ich sie will. Aus diesem Zustand folgt daher zugleich die absolute Glückseligkeit des Ich. Da im Gegensatz zur empirischen Situation meines wirklichen Leibes in dieser Vorstellung des Endzweckes kein Jenseits meines neuen Leibes, nämlich der Welt, mehr existiert, wäre ich vor aller Fremdbestimmung auf ewig bewahrt. Mein eigener Leib, egal, ob darunter mein wirklicher empirischer Leib oder die Welt verstanden wird, hätte gar nicht mehr die Möglichkeit der Widerständigkeit. Diesem Ziel hat sich das Ich in einem unendlichen Progress anzunähern, der die Welt dahingehend bearbeitet, dass sie zu einem „unmittelbaren Mittel“ des moralischen Tätigkeitsvollzuges wird. Damit das moralische Wollen des Ich zu seiner Verwirklichung in der Sinnenwelt gelangen kann, bedarf es neben dem bloßen Wollen noch einer zweifachen Geschicklichkeit im Umgang mit der Sinnenwelt. Zum einen muss das Ich die Fähigkeit erwerben, über seine eigenen Naturtriebe und Neigungen, also über seinen eigenen Leib, zu herrschen und sich nicht durch deren Zwecke bestimmen zu lassen, sondern sie vielmehr nach ihrer Unterwerfung dienstbar zu machen. Die zweite Form der Geschicklichkeit betrifft die objektive Sinnenwelt selbst. Will das Ich seine Zwecke in der Welt verwirklichen, muss es die Fähigkeit besitzen, im Umgang mit den Objekten die gewünschte Modifikation auch wirklich zu erzielen. Dazu reicht das bloße Wollen nicht aus; es bedarf des Weiteren einer gewissen Technik. Die Erwerbung dieser zweifachen Dominanz über die Sinnenwelt nennt Fichte Kultur.3 Innerhalb der Kultur werden nicht allein die moralischen Absichten ausgebildet, sondern ebenso die Mittel ihrer Realisierung in die Macht des Subjektes gebracht. Sowohl der eigene Leib als auch die Welt, die _____________ 3
Zum Begriff der Kultur bei Fichte: Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (SW VI, 298ff.) sowie Beiträge zur Berichtung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution (ebd., v.a. 1. und 3. Kapitel). Eine vortreffliche Interpretation dieses Begriffes in Gegenüberstellung zur Kantischen und Hegelschen Konzeption findet sich bei F. Fischbach (Fischbach 1999, 20ff.).
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aus moralischer Sicht zum Leib werden soll, müssen letztlich der freien Verfügbarkeit des Ich unterworfen und somit zu reinen Mitteln des höchsten Endzweckes werden. Die Kultur ist das letzte und höchste Mittel für den Endzweck des Menschen, die völlige Übereinstimmung mit sich selbst, – wenn der Mensch als vernünftig sinnliches Wesen; – sie ist selbst letzter Zweck, wenn er als bloß sinnliches Wesen betrachtet wird. Die Sinnlichkeit soll kultiviert werden; das ist das höchste und letzte, was sich mit ihr vornehmen lässt. (SW VI, 298f.)
Die Fortschritte der Kultur ermöglichen ein technisch-praktisches Wissen im Umgang mit der Welt, das aber keineswegs einen Selbstzweck darstellt, sondern seinerseits der moralischen Aufgabe dienen muss. Insofern der Mensch nicht bloß reines Ich ist, verfügt er über unzählige körperliche, aber auch geistige Fertigkeiten, welche die Kultur auszubilden hat. Ihr Gebiet erstreckt sich im Ganzen auf alle diejenigen Fähigkeiten des Menschen, die empfänglich für Bildung, also „bildsam“ sind; darunter fällt aber alles bis auf das reine Ich. Kultur ist nichts anderes als Bildung des Menschen zur Selbstständigkeit, dem Endziel der Moral. Als letzter und höchster Zweck der Sinnenwelt liefert die Kultur zudem eine Art Schema, das ermöglicht, alle Errungenschaften in der Sinnenwelt, die durch menschliches Handeln zustande gekommen sind, zu beurteilen. Nichts in der Sinnenwelt, nichts von unserem Treiben, Tun oder Leiden, als Erscheinung betrachtet, hat einen Wert, als insofern es auf Kultur wirkt. (ebd. 86)
Auf diese Weise sehen wir bereits, wie das Recht und seine Institutionen durch den universellen moralischen Blick der Kultur erneut zur Geltung und Beurteilung kommen: Sie müssen sich hinsichtlich ihres Beitrages zur Beförderung der Kultur und damit der menschlichen Freiheit verantworten. Bevor wir in den folgenden Kapiteln mit der Gesellschaft den idealen Ort des kulturellen Fortschritts kennen lernen und dadurch zugleich das Projekt der Kultur genauer bestimmen werden, sei zunächst die freiheitlich-individuelle Seite an derselben hervorgehoben. Zwar ist die Kultur nach Fichte ein geschichtlicher Prozess, der als ganzer nicht in der Macht der einzelnen Individuen steht. Doch wird ebenso wenig der Mensch hinter seinem Rücken oder gar gegen seinen Willen kultiviert: „niemand wird kultiviert, sondern jeder hat sich selbst, zu kultivieren“ (ebd. 90). Die Kultur stellt insofern einen höchst individuellen Vorgang dar, als jedes Individuum allein durch freie Selbsttätigkeit diejenige Geschicklichkeit zu gewinnen vermag, die seine moralischen Zwecke zur Ausführung bringen kann. Da die zu kultivierenden Kräfte in jedem einzelnen Menschen liegen und die Kultur letztlich im morali-
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schen Sinne auf die Selbsttätigkeit der einzelnen Menschen abzielt, muss sich jeder Mensch die Kultur selbst aneignen, zu seiner eigenen Kultur machen. Wer die Kultur nur passiv aufzunehmen sucht, verfehlt ihr Wesen. Wie nach Fichte jeder Mensch nur dann denkt, wenn er die Gedanken selbstständig in sich hervorbringt, so als wäre er der erste denkende Mensch, ist ein kultivierter Mensch nur derjenige, der sich selbst kultiviert.4 Aus diesem Grund ist die Kulturgeschichte der Menschheit kein Vorgang, den man der Natur oder einer entpersonalisierten Vernunft zuzuschreiben hat. Sie ist die Errungenschaft des Menschen, der ihre Resultate selbst zu verantworten hat.5 3. Die moralische Anerkennungsgemeinschaft Im bloß rechtlichen Aufforderungs- und Anerkennungsverhältnis der Individuen wird allein der „richtige“ Gebrauch der formellen Freiheit gefordert, welcher dieselbe Freiheit bei anderen Individuen nicht beeinträchtigt. Das Ich bedarf ursprünglich des Bewusstseins der Wahlfreiheit und damit der Aufforderung, um sein Selbstbewusstsein konstituieren zu können. In dieser Situation erfährt es seinen eigenen Leib als die Sphäre der möglichen Handlungen, um daraus eine Wirksamkeit auszuwählen, die dem Rechtsverhältnis nicht abträglich ist. Obwohl dieses Geschehen aus transzendentaler Sicht mit einem Schlag bzw. in einem Moment sich zu vollziehen hat, kann man es auch empirisch in der Zeit als den Vorgang der Erziehung zur formalen Freiheit betrachten. Ebenso aber bedarf das Ich einer Erziehung zur materialen Freiheit, da es nur darin, d.h. im Verfolgen moralischer Zwecke, seines eigentlichen Wesens gewahr wird. Hatte die Rechtslehre von diesem Aspekt abstrahiert, so ist klar, dass wir nun in der Aufforderung und Anerkennung, um sie als ganzes Phänomen zu verstehen, die Moralität wieder einzuführen haben. Denn lediglich eine Aufforderung, die dem Ich seine moralische Natur vor Augen führt, kann leisten, was sie verspricht, nämlich diesem Ich zum Selbstbewusstsein als Bewusstsein seiner wahren Natur zu verhelfen. Die Brücke zwischen Recht und Moral schlägt wieder einmal die Kultur. _____________ 4 5
Man kann daher sagen, dass nach Fichte jeder Mensch die gesamte Kulturgeschichte und ihre Errungenschaften in seiner eigenen Person frei nachzuvollziehen und in seine Verantwortung zu nehmen hat. Mit dieser Konzeption der Verantwortung vor der Geschichte setzt sich Fichte eindeutig von Kants Ausführungen über den von der Natur hervorgebrachten Fortschritt der Menschheit ab – ebenso von der Hegelschen „List der Vernunft“; vgl. dazu Fischbach 1999. Eine andere Gestalt nimmt die Geschichtskonzeption hingegen beim späten Fichte an. Vgl. Binkelmann 2008.
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Als eine Aufgabe der Kultur wurde im vorherigen Kapitel die Beherrschung des eigenen Leibes erwähnt, dessen Naturtriebe vor dem Erwachen der menschlichen Vernunft noch ausschließlich dem Walten der Natur oder auch anderer Vernunftwesen unterliegen. Sie müssen zuallererst von der eigenen Vernunft unterworfen werden, bevor sie der Ausführung moralischer Zwecke dienen können. Der Vollzug des moralischen Wesens des Menschen verlangt infolgedessen das Bewusstsein der Naturtriebe bzw. des eigenen Leibes bei gleichzeitigem Wissen um die Superiorität des (reinen) Ich über die bloß sinnliche Natur. Erst so kann im Gewissen als Bewusstsein des sittlichen Triebes die Synthese von reinem Trieb und Naturtrieb hergestellt werden. Wir betrachten nun diesen Vorgang der moralischen Aufforderung, die nichts anderes als den moralischen Aspekt des Phänomens der Aufforderung darstellt. Um sich selbst objektiv, d.h. als Naturwesen, vorzufinden, bedarf das Ich neben einer bloßen Reflexion auf seine Naturtriebe zugleich einer Reflexion auf diese Reflexion, da es sich allein auf diese Weise bewusst die Naturtriebe entgegensetzen und mit sich, dem Reflektierenden, identifizieren kann, ohne dabei die Entgegensetzung aufzuheben. In der zweiten Reflexion erfasst sich das Ich als das „Freitätige“ gegenüber seinen Naturtrieben, was nach bisheriger Erörterung nur durch eine Aufforderung des Ich zu freier Tätigkeit möglich ist. Da das Ich auf dieses Bewusstsein angewiesen ist, um sein Gewissen, als bewusste Synthese von Naturtrieb und reinem Trieb, realisieren zu können, erhält die Aufforderung eine moralische Sanktionierung. Das Ich setzt sich angesichts seiner Naturtriebe als das Selbsttätige und absolut Freie. Die Bewahrung der Freiheit des auffordernden Ich stellt somit insofern eine moralische Pflicht dar, als das Ich nicht die Bedingungen seines eigenen Seins vernichten darf. Des Weiteren muss die einmal gewonnene Anerkennung des anderen Vernunftwesens beibehalten werden, weil der moralische Endzweck die Herstellung der absoluten Identität fordert: Das Ich soll seinen Einsichten konform handeln, d.h. sich damit identifizieren. War in der Rechtslehre demnach die theoretische Konsequenz allein in ihrer hypothetischen Natur aufgestellt, so wird sie vom Standpunkt der Moral kategorisch gefordert. Die zugewiesene Freiheitssphäre, worin alle diejenigen Handlungen ausgeschlossen sind, welche die Freiheit des anderen Vernunftwesens gefährden könnten, beinhaltet folglich auch eine Beschränkung der Selbsttätigkeit des aufgeforderten Ich und damit „eine nähere materiale Bestimmung der Moralität“ (SW IV, 222). Moralisch können nur diejenigen Handlungen genannt werden, die der Freiheit anderer Individuen Rechnung tragen.
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Wie kommt das Ich nun zu seinen moralischen Zwecken? Eine erste Antwort besteht darin, dass das Ich das Bewusstsein seines eigenen Leibes und seiner Freiheit zu vereinbaren vermag, indem es sein Verständnis des Leibes auf die Welt ausdehnt und sich so die Anforderungen des Sittengesetzes in oben bereits zitierter Fassung aneignet: „Die Welt muss mir werden, was mir mein Leib ist.“ (ebd. 229) Moralische Handlungen sind demnach diejenigen, die erlauben, die Sphäre des eigenen Leibes auf die gesamte Welt auszudehnen. Die objektive Ansicht, die das Ich von seinem Leib hat, muss mit der objektiven Ansicht der Welt zur Deckung kommen. Auf diese Weise hat das Ich bereits im Bewusstsein seines eigenen Leibes, das aus der Aufforderung entspringt, ein Schema für das Entwerfen seiner moralischen Zwecke. Die zweite Antwort ergibt sich nun aus der Auseinandersetzung mit einem Problem, dessen Lösung helfen wird, die moralische Anerkennung weiter zu bestimmen. Im Ursprung findet sich das Ich einerseits als Individuum, dessen Beschränktheit sich unter anderem durch die Freiheitssphären der anderen ergibt. Andererseits entdeckt es zugleich die Aufgabe, sein ursprüngliches Wesen, die absolute Selbsttätigkeit und Unbeschränktheit zu verwirklichen. Die Vermutung liegt daher nahe, in der Beschränkung durch andere Vernunftwesen eine Beeinträchtigung seiner eigenen (moralischen) Freiheit zu sehen. Dennoch darf das Ich diese Grenze nicht überschreiten, da es sonst der moralischen Anerkennung zuwiderhandelte. Angewiesen auf seine Individualität kann es dennoch diese nicht akzeptieren. Die Lösung dieses Problems folgt nun aus der Einsicht, dass die anderen Vernunftwesen als solche nicht dem Bereich des Nicht-Ich zuzurechnen, sondern ebenso Ich sind. Ihre Individualität ist wie diejenige des aufgeforderten Ich nur zufällig und der Empirie verschuldet. Die wahre Natur Aller ist vielmehr das reine Ich, worin von den individuellen Unterschieden unter den Vernunftwesen abgesehen ist. Die Aufgabe der absoluten Selbstständigkeit des Ich wird nicht dadurch erfüllt, dass ein einzelnes Individuum für sich dieselbe erwirbt, sondern stellt ein Projekt für die gesamte Menschheit dar. Ob ich als diese bestimmte Person daran arbeite oder eine andere Person, erscheint aus dieser Perspektive belanglos: Ich will Sittlichkeit überhaupt; in oder außer mir, dies ist ganz gleichgültig. [...] Mein Zweck ist erreicht, wenn der andere sittlich handelt. (ebd. 232f.)
Die moralische Anerkennung ist der Zusammenschluss der Individuen zu einer moralischen Gemeinschaft, in der jeder versuchen muss, in seinem Handeln die Zufälligkeit seiner Individualität abzustreifen sowie die anderen Personen dazu zu bringen, mit der ihrigen dasselbe zu tun. Die Beschränkung meiner Freiheit durch andere Vernunftwesen ist
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dann keine, wenn die Anderen am gleichen Projekt wie ich beteiligt sind, nämlich der Aufhebung der Individualität und Schaffung eines einzigen Ich. Nur inwiefern die anderen dies nicht tun, kann man von einer Beschränkung reden. Wie entsteht aber eine derartige Übereinstimmung aller Vernunftwesen? Klar ist, dass man die anderen nicht zwingen kann, moralisch zu handeln. Die einzige Möglichkeit besteht folglich darin, sie von der moralischen Aufgabe zu überzeugen. Bereits bevor der Mensch zum Selbstbewusstsein kommt, muss er zur Moral erzogen werden, indem ihm moralische Zwecke für sein Handeln gegeben werden – so vollzieht sich die moralische Aufforderung im Ursprung des Selbstbewusstseins. Hat er einmal sein Ich durch freie Wahl moralischer Zwecke konstituiert, tritt er in eine Gemeinschaft, deren Aufgabe es ist, Einstimmigkeit hinsichtlich aller moralischen Ziele herzustellen, um sich so gemeinsam einem Zustand anzunähern, in dem alle Vernunftwesen auf gleiche Weise, mithin gerade nicht durch ihre Individualität bestimmt, handeln. Gemeinsam ist dieser moralischen Vereinigung der Glaube an die Moralität oder an das reine Ich, für dessen Darstellung in der Sinnenwelt die Individuen Sorge tragen. Aus diesem Grunde nennt Fichte ein derartiges ethisches Gemeinwesen Kirche.6 „Jeder soll Mitglied der Kirche sein“ (ebd. 237), d.h. die Einheit aller Individuen im Glauben an das gemeinsame moralische Projekt befördern; dies ergibt sich unmittelbar aus der Forderung des Sittengesetzes. In dieser sonderbaren Religion vereinen sich die zukünftigen Götter: Jeder wird Gott, so weit er es sein darf, d.h. mit Schonung der Freiheit aller Individuen. Jeder wird gerade dadurch, dass seine ganze Individualität verschwindet, und vernichtet wird, reine Darstellung des Sittengesetzes in der Sinnenwelt; eigentliches reines Ich, durch freie Wahl, und Selbstbestimmung. (ebd. 257)
4. Die kulturelle Aufgabe der Gesellschaft und des Staates In der gerade beschriebenen moralischen Anerkennungsgemeinschaft wird eine wichtige Teilaufgabe der Kultur erfüllt. Der Mensch erlangt darin eine Ausbildung seines Gewissens als Einheit von Natur- und reinem Trieb, mithin die Fähigkeit, über seinen eigenen Leib bzw. seine Naturtriebe als Mittel zum Zweck der Steigerung seiner moralischen _____________ 6
Diese Auffassung wird Fichte noch im selben Jahr in große Schwierigkeiten bringen. Gemeint ist der berühmte Atheismusstreit, der Fichte zur Aufgabe seiner Professur in Jena und zum Beginn eines unsteten Lebens in Berlin zwingen wird. Vgl. dazu Kodalle/Ohst.
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Selbsttätigkeit zu verfügen. Eine weitere Aufgabe der Kultur ist nun die Erwerbung der Geschicklichkeit im Umgang mit der Sinnenwelt, deren Bearbeitung darauf abzielt, sie zum Leib des Ich, worunter – wie gerade gesehen – die gesamte moralische Gemeinschaft der Individuen zu verstehen ist, zu machen. Bereits in der Rechtslehre wurde die Notwendigkeit deduziert, dass sich alle Personen zum Schutz von Recht und Eigentum zu einem organischen Ganzen zusammenschließen müssen, in dem jeder als Teil vom Ganzen abhängt und dieses seinerseits mitträgt (Vereinigungsvertrag). Im Rahmen der Kulturlehre erhält die Rede vom organischen Ganzen der Individuen eine moralische Sanktionierung und Konkretisierung. Den Kern dieses organischen Ganzen oder der Gesellschaft liefert die moralische Anerkennungsgemeinschaft, worin sich die Individuen in Hinsicht ihres gemeinsamen Zieles zu einer moralischen Person vereinigen. Im Gegensatz zur Rechtslehre, in deren Rahmen die Vereinigung durch den Erhalt der individuellen Freiheit eines Jeden motiviert ist, erfolgt die moralische Vereinigung aus dem Wissen um die gleichen Zwecke und die Zufälligkeit der Individualität. Nicht zur Sicherung der Individualität muss der Zusammenschluss geschehen, sondern vielmehr, um sie gemeinsam zur Auflösung zu bringen. Die ideale Moralgemeinschaft soll sich im Verlaufe der Kultur durch Aufhebung der empirischen Individualität und Schaffung der absoluten Selbsttätigkeit des reinen Ich realisieren. Dazu bedarf es eines weiteren Betätigungsfeldes der Kultur. Den Ausgangspunkt für diese zweite zentrale Aufgabe der Kultur bietet nun eine Betrachtung der empirischen Bedingungen im Hinblick auf den Endzweck der Menschheit. Jeder Mensch untersteht, bis er zum Selbstbewusstsein kommt, den Gesetzen der Natur sowie dem ungehinderten Einfluss der Gesellschaft, in der er aufwächst. Im Zeitpunkt seines Ursprunges findet sich daher das Ich auf mannigfaltige Weise bestimmt. Seine vorgefundene Individualität besteht darin, dass seine Anlagen und Triebe unterschiedlich ausgeprägt sind, ihm so die Geschicklichkeit zur Ausführung gewisser Zwecke eher zukommt als diejenige zu anderen Zwecken. Dennoch fordert das Sittengesetz die vollständige und gleichförmige Ausbildung aller Anlagen (SW VI, 318), d.h. ihre vollständige Kultivierung bei jedem Individuum. In Umkehrung der These von Rousseau über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen behauptet Fichte, dass die Gesellschaft die Mängel und Ungerechtigkeiten der Natur im Projekt der Kultur auszugleichen und letztlich zu beseitigen hat – zum „letzten Zwecke der Gesellschaft: der völligen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.“ (ebd. 315) Auf welche Weise vollzieht sich nun dieser Prozess? Im zweiten Teil dieses Abschnittes (IV.2.) wurde die individuelle Seite des
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Kulturprozesses hervorgehoben, wonach jedes Individuum mit der Ausbildung seiner Geschicklichkeit im Umgang mit der Sinnenwelt beauftragt ist: Jeder muss sich selbst, d.h. diejenigen seiner Fähigkeiten kultivieren, die als Mittel moralischer Zwecke dienen. Dieser Forderung stellt aber die eigene Individualität allem Anschein nach ein Hindernis in den Weg, da sie auf Grund natürlicher und gesellschaftlicher Vorbestimmung nicht zum Erreichen aller Zwecke gleichermaßen befähigt. Dennoch hat das Individuum nicht das Recht, sich lediglich der Ausbildung einzelner Anlagen zu verschreiben, gefordert ist vielmehr seine Universalbildung. Das Ziel der moralischen Anerkennungsgemeinschaft kann infolgedessen wegen des individualistischen Aspekts der Kultur nicht lauten, dass jedes Individuum einen bestimmten Anteil seiner Anlagen ausbildet, während es den Rest den übrigen Individuen überlässt. Denn auf diese Weise prägt es seine Individualität nur weiter aus und arbeitet nicht an deren Beseitigung. Wenn sich das Individuum hingegen der Bearbeitung der gesamten Natur zuwendet, folgt auf Grund seiner Individualität, dass es in bestimmten Bereichen nur mühsam vorankommt. Dies ergibt freilich keinen Widerspruch, sondern verdeutlicht lediglich, dass die Aufgabe der Kultivierung unendlich schwerer wird, sobald sich das Individuum allein unmittelbar mit der Natur auseinandersetzen muss. Die Gesellschaft bietet aus technisch-praktischer Sicht eine bessere Bedingung für die Kultur.7 Ihre Einteilung in verschiedene Stände, deren Zusammenwirken dem Erhalt des Ganzen dient, erweist sich als geeignet, zwischen der natürlichen Verschiedenheit und dem gemeinsamen moralischen Ziel der Menschen zu vermitteln. Unter der hypothetischen Voraussetzung der Ständegesellschaft lassen sich Forderungen aus dem Sittengesetz ableiten. Des Weiteren kann gezeigt werden, dass diese Einteilung keine neue Ungleichheit unter den Menschen einführt, sondern im Gegenteil dem kulturellen Gesamtprojekt der Menschheit Rechnung trägt. Hat das Individuum durch die Natur unmittelbar eine stiefmütterliche Ausbildung gewisser Anlagen erfahren, dann kann es im Rahmen der Gesellschaft erwarten, dass eben diese Anlagen durch den jeweiligen Stand, der sich der Ausbildung dieser Anlagen verschrieben hat, mittelbar ausgebildet werden. Die Kultivierung dieser Anlagen erwirbt das Individuum dann nicht mehr in Aus_____________ 7
Dass das Ich in einer Gesellschaft lebt, ist – wie gesehen – aus transzendentaler Sicht zufällig, da zum Entstehen des Selbstbewusstseins nur ein weiteres Individuum, aber keine ganze Gesellschaft vorausgesetzt wurde. Ebenso vermag das Ich alleine für seine eigene Kultivierung zu sorgen. Es ist lediglich ein empirisches Argument, dass die Gesellschaft ein besseres Mittel für die Kultur darstellt. Aus diesem Grund fordert dann auch das Sittengesetz den Zusammenschluss zur Gesellschaft.
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einandersetzung mit der Natur, sondern indem es die Ausbildung durch die Hilfe anderer Individuen empfängt. Auf diese Weise bearbeitet es nicht mehr unmittelbar die Natur zu seinen moralischen Zwecken; es erhält vielmehr die Mittel von der Gesellschaft bzw. dem jeweiligen Stand. Die Frage drängt sich auf, ob damit nicht die Selbsttätigkeit beschränkt wird. Dazu lassen sich zwei Bemerkungen anführen: Erstens ergibt sich aus der moralischen Anerkennungsgemeinschaft die Einsicht, dass die Bearbeitung der Natur zum Mittel moralischer Zwecke nicht gleichermaßen von jedem Individuum, sondern von der Gesellschaft als ganzer geleistet werden muss. Sobald ein Anderer die Natur auf diese Weise bearbeitet und mir Mittel überlässt, die ich sonst alleine hätte verfertigen müssen, ist der Zweck der Kultur erfüllt. Zweitens ist das Individuum, das durch andere eine Ausbildung gewisser Fertigkeiten erhält, keineswegs bloß passiv. Es muss eigenständig die moralischen Zwecke in der Wirklichkeit realisieren, für die es allein die Mittel anheim gestellt bekommt.8 Dadurch soll jedem Individuum in der Gesellschaft ermöglicht werden, alle Anlagen gleichermaßen zu verwirklichen und so der Aufhebung seiner natürlichen Individualität entgegenzuarbeiten. Das Wissen des Individuums, dass es seine Ausbildung zu einem großen Teil aus den Händen der Gesellschaft empfangen hat, nötigt es nun – man könnte hier von einer dritten, der kulturellen Anerkennung sprechen – ebenso einen Stand zu ergreifen. Denn lediglich durch die freie Anteilnahme aller Mitglieder einer Gesellschaft erhält sich das Ständesystem und damit die ideale kulturelle Fortentwicklung aufrecht. Indes muss diese Art der Anerkennung von der freien Wahl eines Standes begleitet sein. Es kann keinem Individuum durch die Gesellschaft vorgeschrieben werden, welcher Stand ihm zukommt. Freilich ist das Individuum nicht absolut frei bei dieser Wahl; es hat vielmehr zu überlegen, durch welche Arbeit es der Gesellschaft am meisten nützen könnte – auch im Hinblick auf seine natürlichen Fähigkeiten.9 Die ideale Einteilung der Stände nach Fichte sei hier der Vollständigkeit halber angeführt. Neben den natürlichen Ständen familiärer Art (Ehegatten/Eltern, Kind) nennt Fichte die niederen Volksklassen, die sich um den physischen Erhalt der Gesellschaftsmitglieder kümmern, die Staatsbeamten, die ästhetischen Künstler, die moralischen Volkslehrer, deren Funktion im Rahmen der oben beschriebenen moralischen _____________ 8 9
Zum Beispiel muss man Nahrung nicht selbst mühsam jagen oder bearbeiten; für andere Bereiche gibt es technische Hilfsmittel u.a. So darf man den Stand nicht auf Grund einer (irrationalen) Neigung wählen, da dies dem Sittengesetz widerspräche (SW IV, 273).
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Anerkennungsgemeinschaft, also der Kirche, anzusiedeln ist, und die Gelehrten (vgl. SW IV, 345ff.). Die Delegation des Zwangs- und Schutzrechtes an einen neutralen Dritten, den Staat, ergab sich für die Rechtslehre auf der Grundlage eines allgemeinen Misstrauens gegenüber der Freiheit der anderen, daraus folgten die Staatsrechte, der Vereinigungs- sowie der Unterwerfungsvertrag. Die moralisch-kulturelle Aufgabe der Menschheit liefert nun eine weitere, höhere Begründung des Staates: „Es ist absolute Gewissenspflicht, sich mit anderen zu einem Staate zu vereinigen.“ (ebd. 238) Zur für die Ausführung des kulturellen Projekts notwendigen Sicherung des Eigentums und der Rechte der Individuen, wodurch sie in ihrer jeweiligen Freiheitssphäre zum Wohl der Gesellschaft über ihr Eigentum ungestört verfügen können, bedarf es einer Staatsgewalt. Im Staat, in seiner Zweiteilung in legislative und judikativ-exekutive Gewalt, erhält der allgemeine Wille aller Gesellschaftsmitglieder seinen institutionellen Ausdruck. Dieser Wille bezieht seine Einheit und seinen Inhalt nicht mehr allein aus dem Verlangen nach Schutz vor Unrecht – wie in der Rechtslehre –, sondern aus dem gemeinsamen moralischen Zweck der Individuen sowie dessen kultureller Verwirklichung. Der Staat muss durch Zustimmung aller Gesellschaftsmitglieder begründet werden (ebd. 239). Insofern er aus dieser Sicht allein zur Sicherung der Gesellschaft im rechtlichen, moralischen und kulturellen Sinne besteht, kann und muss er, sobald er nicht mehr den allgemeinen Willen ausdrückt, verändert werden. Dies darf jedoch nicht durch einzelne Individuen geschehen, die auf Grund ihrer Privatüberzeugung agieren und daher ebenso den allgemeinen Willen verfehlen, sondern lediglich durch die gemeinsame Einsicht aller Mitglieder. Der Staat ist das notwendige Mittel, um den allgemeinen Willen zu realisieren. Sollte er diesen nur mangelhaft darstellen, wie es im so genannten Notstaat10 der Fall ist, dann muss sich der Bürger solange unterwerfen, bis die gesamte Gesellschaft den wahren allgemeinen Willen entdeckt hat und so in der Lage ist, vom Not- zum Vernunftstaat überzugehen. Der Notstaat bietet den Vorteil, dass darin die Individuen bereits zu einem Ganzen vereinigt sind, auch wenn noch nicht der wahre gemeinsame Wille die Substanz dieses Staates bildet. Die Gesellschaft, die den Notstaat als äußeren Zwang empfindet, weil er nicht Ausdruck des allgemeinen Willens ist, erhält durch ihre Vereinigung die Grundlage, von der aus sie sich dem allgemeinen Willen anzunähern vermag. Doch wer erkennt den allgemeinen Willen der Gesellschaft sowie dessen ideale Institutionalisierung? In der Rechtslehre forderte Fichte die _____________ 10 Zum Notstaat bei Fichte s. SW IV, 238.
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Einrichtung eines Ephorats, dem es obliegt, mittels prohibitiver Maßnahmen in das rechtliche Geschehen einzugreifen, sobald die Staatsgewalt ihrer einzigen Aufgabe, der Rechtssicherung, nicht mehr nachkommt. Auch im Rahmen der Gesellschaft weist Fichte einem Stand die Aufgabe zu, den allgemeinen Willen der Individuen herauszufinden, um ggf. das Bewusstsein der Bürger angesichts einer ungerechten Regierung zu wecken: den Gelehrtenstand. Der Gelehrte verfügt nach Fichte über ein dreifaches Wissen, das ihn zum idealen Interpreten des allgemeinen Willens und seiner optimalen Institutionalisierung macht: Er ist der Verwalter und Vermittler eines philosophischen, eines philosophisch-historischen und eines rein historischen Wissens (SW VI, 327). Im ersten erkennt er die moralischen Vernunftzwecke des Menschen. Sein Vorgehen ist die transzendentale, mithin apriorische Deduktion, die wir zum Teil im System der Sittenlehre nach verfolgt haben. Doch reicht die „Schau“ der reinen Vernunftzwecke für den Gelehrten nicht aus, vielmehr muss er in die „Höhle des Lebens“ hinabsteigen, um den anderen Menschen den Weg zu ihrer Vervollkommnung aufzuzeigen. Dies geschieht im philosophisch-historischen Wissen, worin die Mittel zur Verwirklichung der moralischen Zwecke erkannt werden sollen, indem die Kultur des Menschen in groben Linien nachgezeichnet und (in die Zukunft) als gradueller Progress zur Perfektion entworfen wird. Die Beschäftigung mit den Mitteln, dem modifizierten NichtIch, macht diese Untersuchung empirisch; ihr Bezug auf die Zwecke jedoch apriorisch. In einem letzten Schritt muss der Gelehrte den jeweiligen Stand der Kultivierung zu seiner Zeit erörtern, um daraufhin Mittel für die Mittel ersinnen zu können. Die Frage, die er sich stellen muss, lautet: Welche Mittel können unter den gegenwärtigen Umständen ergriffen werden, um die Kultur voranzutreiben? Da die Kultur ihrerseits die Bereitstellung von Mitteln für die letzten Vernunftzwecke leistet, fragt man hier nach den Mitteln für die Mittel. Daher ist die Untersuchung rein empirisch oder, wie Fichte sagt, historisch. In diesen drei Bereichen hat sich jeder Gelehrte auszukennen, obzwar er sich im gesamten Gebiet des menschlichen Wissens spezialisieren darf.11 Seine Aufgabe ist demnach, einen Wissensbereich herauszunehmen, in dem er alle drei Arten des Wissens praktiziert. Mit dieser Bestimmung des Gelehrten ist sein Bezug auf den gesellschaftlichen Alltag eindeutig festgelegt: _____________ 11 SW VI, 327. Dies ist nur möglich, weil sich für Fichte alle Wissenschaften auf die Kultur und damit die Moral beziehen, also wegen der totalen Moralisierung der Wirklichkeit; keine Wissenschaft ist davon ausgeschlossen.
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Es ist die oberste Aufsicht über den wirklichen Fortgang des Menschengeschlechtes im allgemeinen, und die stete Beförderung dieses Fortganges. (SW VI, 328)
Der Gelehrte verstößt gegen seine gesellschaftliche Funktion, mitunter gegen das Prinzip der kulturellen Anerkennung, wenn er sich in den Höhen der Spekulation verliert. Vielmehr soll er die Einheit von bios theoretikos und bios praktikos darstellen. Er ist der Erzieher und Lehrer der Menschheit und muss ebenso die Forschung vorantreiben. Des Weiteren hat er in seiner eigenen Person den Stand des Fortschrittes der Kultur widerzuspiegeln: Also der Gelehrte in der letzten Rücksicht betrachtet, soll der sittlich beste Mensch seines Zeitalters sein; er soll die höchste Stufe der bis auf ihn möglichen sittlichen Ausbildung in sich darstellen. (ebd. 333)
Der Gelehrte ist jedoch in seiner Forschung verpflichtet, seine Ergebnisse dem gelehrten Publikum vorzutragen, um der Gefahr zu entgehen, bloßen Meinungen zu unterliegen. Der gesamte Gelehrtenstand stellt die notwendige Öffentlichkeit dar, in der alle wissenschaftlichen Forschungen diskutiert und kritisiert werden können, damit man sich gemeinsam der Wahrheit anzunähern vermag. In seiner Wahrheitssuche darf dieser Stand nicht von einer äußeren Macht aufgehalten oder geleitet werden, der „Staat und die Kirche muss die Gelehrten dulden“ (SW IV, 251). Es soll allein die Überzeugungskraft der besseren Argumente gelten: Die gelehrte Republik ist eine absolute Demokratie, oder noch bestimmter, es gilt da nichts, als das Recht des geistig Stärkeren. Jeder tut, was er kann, und hat Recht, wenn er Recht behält. Es gibt hier keinen anderen Richter, als die Zeit und den Fortgang der Kultur. (ebd.)
Letztes Ziel des Bestrebens aller Gelehrten muss neben der Auffindung des allgemeinen Willens und den Realisierungsmöglichkeiten zugleich dessen Verbreitung unter den Mitgliedern der Gesellschaft sein. Diese sollen dazu erzogen werden, den allgemeinen Willen, dessen Einheit sie in der moralischen Anerkennungsgemeinschaft gewahr werden, als ihren eigenen zu übernehmen und zu verfolgen. Der Gelehrte sorgt demnach für die Auflösung der Individualität im Willen und Handeln der Gesellschaftsmitglieder. Der absolute Endzweck der moralisch-kulturellen Gemeinschaft besteht nach Fichte in der Auflösung sämtlicher Einrichtungen, welche als Mittel zum Fortschritt noch dienlich waren. Wenn alle Menschen eines Staates in Fragen des Gewissens übereinstimmen, fällt so manches weg: Es fällt [...] weg die Unterscheidung zwischen einem gelehrten und ungelehrten Publikum. Es fällt weg Kirche und Staat. Alle haben die gleichen Überzeugungen, und die Überzeugung eines jeden ist die Überzeugung Aller. Es
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fällt weg der Staat, als gesetzgebende und zwingende Macht. Der Wille eines jeden ist wirklich allgemeines Gesetz, weil alle anderen dasselbe wollen: und es bedarf keines Zwanges, weil jeder schon von sich selbst will, was er soll (ebd. 253).
Die in der Naturrechtsschrift noch vorliegende Äußerlichkeit des Staates gegenüber den Bürgern soll durch Moralität verinnerlicht und als Zweck eines jeden Einzelnen erkannt werden. Erst dann ist der Widerspruch zwischen Recht und Moral gelöst, wenn das Recht durch Moral überflüssig wird. Oder anders ausgedrückt: Wenn jeder Gesetzgeber wird, also die Autonomie vollkommen ist, bedarf es keines institutionalisierten Gesetzgebers mehr. Mit diesem Ideal, das freilich nur ins Unendliche angestrebt, aber niemals wirklich erreicht werden kann, schildert Fichte den utopischen Endzustand, worin die gesamte Gesellschaft zu einer einzigen Person geworden ist, deren Handeln nur einem Zweck verschrieben ist: der Darstellung des absoluten, reinen Ich in der Sinnenwelt. Wir haben in allen Kapiteln über die praktische Philosophie Fichtes ein Grundproblem festgestellt, das allenthalben auf unterschiedliche Weise erneut erscheint. Bevor wir dieses Problem nun ebenso in seiner Gesellschaftslehre aufzeigen, soll es seiner generellen Struktur nach beschreiben werden. Die gesamte Philosophie Fichtes gründet auf der Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich bzw. dem dahinter stehenden Anstoß. Im Rahmen der praktischen Philosophie wird diese absolute Entgegensetzung durch Synthese relativiert. Das Streben, die synthetisierende Tätigkeit, löst die Entgegensetzung dadurch auf, dass das Nicht-Ich in unendlicher praktischer Tätigkeit dem Ich einverleibt werden soll. Das Ziel, die Auflösung des Nicht-Ich, bedeutet nun aber zugleich die Vernichtung des Strebens sowie die Vernichtung des Ich selbst, das zu seinem Vollzug auf das Streben und damit das Nicht-Ich angewiesen ist. Ebenso zeigte sich in der Sittenlehre die Entgegensetzung von reinem Trieb und Naturtrieb, deren Vereinbarung im sittlichen Trieb durch die sukzessive Beseitigung des Naturtriebes gelingen sollte. Mit dem Naturtrieb wird im gleichen Zuge aber auch der Vollzug des sittlichen und damit des reinen Triebes vernichtet. Die Rechtslehre vermittelte zwischen der formalen Freiheit Aller und derjenigen der Einzelnen durch die Beseitigung der letzteren in der mechanischen Notwendigkeit des Rechts. Dadurch wird aber mit der formalen Freiheit der Einzelnen zugleich der Vollzug der formalen Freiheit Aller unmöglich gemacht. Wir haben demnach immer eine Opposition von A und B, deren Synthese C die Auflösung von B in A intendiert, damit aber zugleich der Auflösung ihrer selbst und von A entgegenarbeitet.
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In der Gesellschafts- und Staatslehre zeigt sich dieses Problem in der Entgegensetzung von Moral und Recht. Die erstere fordert die Einheit aller Vernunftwesen in einer einzigen Entität, dem reinen Ich (A), worin die allgemeine Vernunft zum Ausdruck gebracht ist. Dem gegenüber befindet sich die Individualität der Vernunftwesen (B), Sphäre des Rechts. Zu ihrer Synthese rekurriert Fichte auf eine Gesellschaft (C), die sich dem kulturellen Projekt der Beseitigung der Individualität zugunsten der absoluten Einheit der Gesellschaft verschrieben hat. Diese Gesellschaft wird dargestellt als ein organisches Ganzes, in dem jedes Individuum eine bestimmte Funktion (Stand) auswählt, um den moralischen Endzweck im Projekt der Kultur zu realisieren. Für eine konsequente Auslegung dieses Progresses müsste nun die Beseitigung der Individualität zugleich die unterschiedlichen Funktionen der Individuen in der Gesellschaft betreffen, d.h. einer Abschaffung der Ständegesellschaft Vorschub leisten.12 Damit wird aber zugleich das organische Ganze der Gesellschaft, so die Kultur und mittelbar die Moral in ihrem Vollzug vernichtet. Es soll uns hier genügen, auf dieses Problem, das gleich einem roten Faden die gesamte Philosophie Fichtes durchzieht, aufgezeigt zu haben. Die Kritik überlassen wir im folgenden Kapitel Hegel sowie dem letzten Teil der Arbeit, der mittels einer durch die Hegelschen Ausführungen geläuterten Kritik Position beziehen wird.
_____________ 12 Man findet diese Konsequenz nicht innerhalb der Fichteschen Schriften. Im Gegenteil, er scheint die Stände selbst in seiner idealen Gesellschaft weiter aufrechterhalten zu wollen (vgl. SW IV, 253). Wenn er aber behauptet, dass in der idealen Gesellschaft die Unterscheidung von gelehrtem und ungelehrtem Publikum wegfällt (ebd.), also alle Menschen Gelehrte sein sollen, dann findet sich kein überzeugender Grund, weshalb nicht vorherige Mitglieder eines anderen Standes ihr Betätigungsfeld ebenso im Gelehrtenstand sehen. Die Aufhebung der Individualität bedeutet letztlich die Aufhebung der unterschiedlichen Ausprägung der Geschicklichkeiten, die zur Einteilung der Gesellschaft in Stände geführt hat.
Zweiter Teil: Die Genese der praktischen Freiheit (G.W.F. Hegel) Dass die Welt ein Produkt der Freiheit der Intelligenz ist, ist das bestimmt ausgesprochene Prinzip des Idealismus, und wenn der Fichtesche Idealismus dies Prinzip nicht zu einem System konstruiert hat, so wird sich der Grund davon in dem Charakter finden, in welchem die Freiheit in diesem System auftritt. (II, 65f.)1 Der freie und wahrhafte Gedanke ist in sich konkret, und so ist er Idee, und in seiner ganzen Allgemeinheit die Idee oder das Absolute. Die Wissenschaft desselben ist wesentlich System, weil das Wahre konkret nur als sich in sich entfaltend und in Einheit zusammennehmend und -haltend, d.i. als Totalität ist und nur durch Unterscheidung und Bestimmung seiner Unterschiede die Notwendigkeit derselben und die Freiheit des Ganzen sein kann. (VIII, 59)
I. Hegels Fichte-Kritik und die Anfänge seines Systems Vor einer detaillierten Analyse von Hegels Konzeption der praktischen Freiheit soll an dieser Stelle die kritische Stoßrichtung verdeutlicht werden, mittels derer sich Hegel von Fichte in seinem Systemgedanken absetzt. Wie die oben angefügten Zitate nahe legen, teilt auch Hegel die idealistische Einsicht, dass sämtliche Wirklichkeitsbereiche aus der Perspektive des Freiheitsprinzips erklärt und so erst als Totalität aufgefasst werden können. Der idealistischen Philosophie obliegt die Darstellung des Systems der Freiheit, an dessen Ende die Freiheit in ihrer Ganzheit, nämlich als Idee, verstanden wird. Aus diesem Grund, d.h. weil die Idee der Freiheit erst mit dem Abschluss des Systems vollständig erfasst wird, sind die Ausführungen über Hegels Fichte-Kritik im folgenden Kapitel lediglich provisorischer Natur. Hegels Kritik speist sich aus seiner eigenen Konzeption von Freiheit und System, die erst später in dieser Arbeit entfaltet wird. Es lässt sich daher an dieser Stelle die Äußerlichkeit der Kritik gegenüber ihrem Gegenstand nicht ganz beseitigen, da Hegel den Fichteschen _____________ 1
Zur Stellenangabe: Die römische Ziffer bezieht sich auf den Band der Werkausgabe; anschließend folgt die Seitenzahl oder – wenn gekennzeichnet – der jeweilige Paragraph. Mit der Kennzeichnung „Z.“ sind die durch Mitschriften erhaltenen Zusätze der Paragraphen, mit „B.“ Hegels eigenhändige Bemerkungen gemeint.
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Ansatz aus der Perspektive einer bestimmten Philosophiekonzeption beurteilt, die nicht diejenige Fichtes ist. Diese Frontstellung verbleibt solange ein bloßes Versichern der Überlegenheit des eigenen Systems, bis es selbst zur Darstellung gebracht ist.2 Hegels eigentliche Kritik an Fichte wird erst im Durchgang durch sein System vollständig begründet; dies leuchtet umso mehr ein, als bei Hegel – wie wir später sehen werden – die eigene Systemdarstellung und die Kritik fremder Konzeptionen stets zusammengehören. Das folgende Kapitel befindet sich gleichsam auf dem Weg zu Hegels eigenem System und der darin explizierten Idee der Freiheit. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem im ursprünglichen Wortsinn. Der Beginn mit Hegels Kritik soll vorwiegend dazu dienen in sein System einzuführen. Darunter ist an dieser Stelle das System des reifen Hegel gemeint, das er ab dem Erscheinen seiner Wissenschaft der Logik um 1812 bis zu seinem Tode 1831 vertreten hat.3 Hegels Auseinandersetzung mit der Philosophie Fichtes beginnt jedoch um einiges früher. Um auf diese Betrachtungen zurückgreifen zu können, muss vorausgesetzt werden, dass sich zumindest die wesentlichen Grundpfeiler des Hegelschen Systems, aus welchen die Kritik erfolgt, beim späten Hegel nicht geändert haben. Auch in diesem Fall liegt ein Vorgriff vor, der erst nach Darstellung von Hegels eigener Philosophie eingeholt werden kann. Plausibel wird dieser Vorgriff jedoch durch verdienstvolle Forschungsarbeiten, welche die Kontinuität zentraler Grundeinsichten in Hegels Denken herausgestellt haben4 Unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit des folgenden Kapitels folgt der methodische Ansatz: Es soll die Kritik an Fichte aus Hegels eigenen Ansätzen entwickelt werden, ohne dass zugleich überprüft wird, inwiefern diese Kritik der Philosophie Fichtes bis ins letzte Detail gerecht wird. Auch noch die daran anschließende Beschäftigung mit Hegels eigener Freiheitskonzeption bedient sich dieser Methode, sobald sie sich der konkreten Kritik Hegels an Fichtes praktischer Freiheit widmet. Schließlich kann erst nach Durchlaufen von Hegels eigenem Denken dessen Idee der Freiheit angemessen aufgefasst und kritisiert werden. Eine kritische Betrachtung der Fichte-Kritik soll erst im letzten Teil dieser Untersuchung angestellt werden.5 _____________ 2 3
4 5
Über das Versichern vgl. III, 71f. Dabei soll nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass Hegel auch in dieser Phase Korrekturen, wenn nicht sogar gravierende Änderungen an seinem System vorgenommen hat. Wir werden gelegentlich Abweichungen aufzeigen, ohne uns aber auf eine genauere Untersuchung dieser Problematik einzulassen. Zu verweisen sei hier v.a. auf K. Düsing 1976. Die folgenden Ausführungen werden Hegels Kritik an Fichte und in diesem Zuge auch seine eigentümliche Interpretation dieses Denkens nachvollziehen. Diese unkri-
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Die Auswahl derjenigen Textpassagen im Œuvre Hegels, die sich im kritischen Geist auf die Philosophie Fichtes beziehen, fällt umfassender aus, wenn auch Hegels Aussagen über Kant hinzugezogen werden. Hegel reiht beide Denker in die Strömung der „kritischen Philosophie“ (VIII, 112ff.), der „Transzendentalphilosophie“ (II, 49f.) oder auch des (subjektiven bzw. psychologischen) Idealismus (ebd. 103/312) ein. Inwiefern darf man jedoch Aussagen Hegels über Kant ebenso auf Fichte beziehen? Einen Weg bahnt zunächst folgender Ausspruch aus Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: Fichtesche Philosophie ist Vollendung der Kantischen Philosophie [...]; sie geht über den Grundinhalt derselben nicht hinaus (XX, 387f.).
Dies entspricht offensichtlich dem Selbstverständnis Fichtes, dass er lediglich die Grundlagen oder Prinzipien zur Philosophie Kants geliefert und sie damit in eine systematische Form überführt habe, ohne ihren Gehalt oder Geist zu ändern. Diese Form besteht genauer betrachtet in der konsequent durchgeführten deduktiven Methode, worin Hegel das „tiefste Verdienst“ (VIII, 116) Fichtes ansetzt. Es können daher alle Aussagen Hegels über die Transzendentalphilosophie auf Fichte bezogen werden, auch wenn im jeweiligen Kontext Kant der Adressat Hegels ist. Insofern für Hegel die systematische Entfaltung zum Wesen der Freiheit qua Wirklichkeitsprinzip gehört, der thematische Inhalt mithin nicht von der Form zu trennen ist, fällt es sogar leichter, Hegels Kritik direkt auf Fichte zu beziehen, da dessen Philosophie ein deutlicheres Methodenbewusstsein aufweist. Hegel bestimmt den Standpunkt der Fichteschen Transzendentalphilosophie „als das künstliche Bewusstsein, als das Bewusstsein über das Bewusstsein“ (XX, 393). Die Künstlichkeit dieser Position hatte bereits Fichte selbst betont.6 Demnach zeichne sich die Philosophie dadurch aus, dass sie zugunsten einer Reflexion über das Leben ihrerseits keinen Standpunkt des Lebens einnehme, sondern allein daraus entstehe, dass das empirische Bewusstsein und seine Erfahrung überstiegen werde, um nach deren Grund zu fragen. Die Künstlichkeit liegt folglich in der Abwendung oder gar Entgegensetzung vom Leben. Aus diesem Grund kann das reine Bewusstsein der Philosophie mit_____________
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tisch anmutende Vorgehensweise geschieht aus zwei Gründen. Erstens soll nicht durch ständigen Rückverweis auf Fichtes eigenes Verständnis die Darstellung zusätzlich kompliziert werden. Die aus der Position Fichtes konstruierte Kritik an Hegels Kritik wird daher auf den letzten Teil der Arbeit verschoben. Zweitens soll gerade gezeigt werden, wie Hegels Kritik von seinem eigenen Standpunkt aus plausibel wirken muss. Damit soll die Unterscheidung der Perspektiven beider Denker vorbereitet werden, welche ebenso im letzten Teil weiter konkretisiert wird. Vgl. Erster Teil, I.2.
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samt der daraus deduzierten Tätigkeiten als solches nicht im empirischen Bewusstsein aufgewiesen werden. Hegel zufolge unternimmt die Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes mit der Bestimmung des philosophischen Standpunktes als Bewusstsein des Bewusstseins den Versuch, die Fehler der traditionellen, realistisch orientierten Metaphysik zu umgehen. Diese hatte in einfacher Reflexion auf ihren Gegenstand, darunter prominenterweise die Seele, die Welt und Gott, die allgemeinen Bestimmungen desselben ausmachen wollen, ohne auf die Reflexion selbst zu reflektieren, d.h. ohne das eigene Erkennen zuvor einer Kritik unterzogen zu haben. Sie fasst daher die „Denkbestimmungen als Grundbestimmungen der Dinge“ (VIII, 94), weil sie der eigenen Denktätigkeit im Erkennen nicht bewusst wird. Mittels der kritischen Vorarbeit der Untersuchung des Erkenntnisvermögens als eines Instruments zum Erfassen der Wahrheit will die Transzendentalphilosophie hingegen erst den Boden für das metaphysische Geschäft bereiten (ebd. 114).7 Sie ist daher von Anfang an Erkenntniskritik, Erkennen des Erkennens bzw. Reflexion der Reflexion. Indes verwickelt sich Hegel zufolge die Transzendentalphilosophie bei diesem Vorgehen in einen folgenschweren Zirkel. Dieser besteht darin, vor dem Erkennen das Erkennen untersuchen und so erkennen zu wollen, damit „schwimmen zu lernen, ehe [... man] sich ins Wasser wage.“ (ebd. 54) Die Untersuchung der Denkformen des Erkenntnisvermögens hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts besitzt nach Hegel zwar den Vorteil, dass das Denken überhaupt zum primären Gegenstand der Philosophie bestimmt wird, doch versäumt die Transzendentalphilosophie im gleichen Zuge, Konsequenzen daraus zu ziehen, dass ihre Untersuchung der Denkformen bereits Denken ist.8 Auf einer höheren Stufe unterliegt sie daher dem gleichen Versäumnis wie schon die traditionelle Metaphysik. Indem sie ihr eigenes Erkennen mit dessen Denkformen unhinterfragt voraussetzt, um damit das Erkennen als ihren Gegenstand zu untersuchen, schreibt sie ihre Denkbestimmungen ihrem Gegenstand als Grundbestimmungen zu. Die Transzendentalphilosophie bewegt sich daher für Hegel in einem vitiösen Zirkel: Da sie, ohne zu denken, nicht ihres Gegenstandes, des Denkens, habhaft zu werden vermag, leitet sie ausschließlich diejenigen Denkkategorien ab, die sie in ihrem Vollzug immer schon voraussetzt. Sie schafft es nicht, hinter _____________ 7 8
Zum Verhältnis der vorkantischen Metaphysik zur Transzendentalphilosophie nach Hegel vgl. Günther 137ff. VIII, 113f. Diese Einsicht müsste die Transzendentalphilosophie zu einem unendlichen Regress führen, da nun auch noch das Erkennen des Erkennens untersucht, d.h. erkannt werden müsste, usw.
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diese faktische Voraussetzung, kurz: die Faktizität der Reflexion, zurückzugelangen, um die Reflexion abzuleiten.9 Der intendierte Fortschritt, den der Idealismus gegenüber dem Realismus der traditionellen Metaphysik erbringen sollte, wird durch Hegels Ausführungen in seiner Tragweite deutlich eingeschränkt. Bereits in Hegels erster veröffentlichten Schrift mit dem Titel Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie von 1801 wendet sich der Autor gegen die Alternative von Idealismus und Realismus (Dogmatismus) bzw. Ich an sich und Ding an sich, wie sie Fichte, aber auch der frühe Schelling aufgestellt haben.10 Zurecht beansprucht die Philosophie nach Hegel, die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit aus einem absoluten Prinzip abzuleiten.11 Insofern daraus sowohl Subjekt wie Objekt erklärt werden sollen, teilt auch Hegel die Fichtesche Forderung, das absolute Prinzip in Gestalt einer Subjekt-Objekt-Identität zu denken. Sein Vorwurf gegenüber Fichte wie auch dem realistischen Dogmatismus der traditionellen Metaphysik ergibt sich hingegen aus der unterstellten Einseitigkeit ihrer Prinzipien. Wie der Realismus lediglich zu einem objektiven Subjekt-Objekt, so gelangt der Idealismus Fichtes zu einem subjektiven Subjekt-Objekt; beide sind damit Dogmatismen. Wenn in einem System [...] ein Bedingtes, nur in der Entgegensetzung bestehendes zum Absoluten erhoben hat, so wird es als System Dogmatismus (II, 47).
Einen ersten Grund zur Bestätigung seiner These glaubt Hegel der Abstraktionsleistung ablesen zu können, mittels derer Fichte zu seinem absoluten Prinzip gelangt. Dieser habe bei der Suche nach einem Prinzip von etwas unmittelbar Gewissem und Bekanntem ausgehen wollen und sei dabei – ähnlich wie Descartes – auf das Ich gestoßen (V, 76; XX, 391f.). Das Ich zeichnet sich dadurch aus, dass jeder Mensch damit bekannt, weil seiner selbst gewiss ist. Dazu bedarf er nicht einer Vermittlung, sondern weiß es unmittelbar.12 Im Gegensatz dazu ist dingliches Sein über das Bewusstsein vermittelt. Indes darf man nicht beim empirischen, einzelnen Ich stehen bleiben, wenn man zu einem _____________ 9
Fichte war sich dessen bewusst, dass die Transzendentalphilosophie in einem unumgänglichen Zirkel befangen ist, da sie Denkformen voraussetzen müsse, um Denkformen zu deduzieren. Aus diesem Grund bewege sich die Darstellung der Wissenschaftslehre immer im Gefilde bloßer Wahrscheinlichkeit; ein voraussetzungsloser Beweis ihrer Richtigkeit kann nicht erbracht werden. Vgl. Über den Begriff der Wissenschaftslehre, §7 (SW I, 70ff.). Dazu: Hiltscher 153ff. 10 Vgl. Schellings Briefe über Dogmatismus und Kritizismus. 11 „Es ist Bedürfnis der Philosophie, eine lebendige Idee zu enthalten. Die Welt ist eine Blume, die aus einem Samenkorn ewig hervorgeht.“ (XX, 390) 12 Dies ist eine „empirische Gewissheit und Wahrheit [...], indem ja doch jeder weiß, dass er weiß“ (II, 400).
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Prinzip gelangen will, das die gesamte Erscheinung aus sich abzuleiten verspricht. Statt dessen muss das reine Selbstbewusstsein, die formale Struktur, die in jedem konkreten Ich vorliegt, als Prinzip herausgelöst werden. Doch auf Grund dieser Maßnahme sei – so Hegel – der ursprüngliche Vorteil, mit etwas unmittelbar Gewissem und Bekanntem zu beginnen, wieder verspielt. Denn wessen man unmittelbar gewiss ist, das ist gerade das konkrete Ich. Statt dessen erhält man ein bloßes Abstraktum, die von aller lebendigen Konkretheit entleerte Form. Um den Verlust der unmittelbaren Gewissheit zu verdeutlichen, beschreibt Hegel die Vermittlung, die für den Übergang vom einzelnen Ich zum reinen, abstrakten Ich-Prinzip nötig ist. Die Tatsache der Vermittlung beweist, dass das Prinzip kein unmittelbar Gewusstes sein kann. Gemäß Hegels Darstellung führt der Weg zum reinen Ich bei Fichte über die Abstraktion aus dem empirischen Bewusstsein, das sich durch die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt bestimmt zeigt. Ziel dieses Vorgehens ist das Auffinden einer absoluten Identität, aus welcher die Differenz zu erklären ist.13 Einen Anknüpfungspunkt findet Fichte im Wissen, insofern darin auch im empirischen Bewusstsein ein Zusammenfallen von Subjekt und Objekt vorliegt. Das Wissen ruht auf einem Wahrheitsanspruch, wonach Subjekt und Objekt, Denken und Sein, koinzidieren. Die Herauslösung dieses Moments aus dem empirischen Bewusstsein führt nun geradewegs zur absoluten ursprünglichen Identität von Subjekt und Objekt, dem reinen Wissen, welches Fichte mit dem reinen Selbstbewusstsein – von Hegel auch einfach als reines Bewusstsein bezeichnet – gleichsetzt. Indes entsteht dem Philosophen durch diese Abstraktionsvermittlung ein reines Bewusstsein, das als solches nicht im empirischen Bewusstsein vorkommt, weil in letzterem die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt niemals restlos überwunden werden kann. Das aufgefundene Prinzip widerspricht somit der Forderung nach unmittelbarer Gewissheit und Bekanntheit, das reine Bewusstsein kann im empirischen nicht mehr und nicht weniger nachgewiesen werden als das Ding-an-sich des Dogmatikers. (II, 61)
Die Entgegensetzung von rein-formalem und empirisch-konkretem Bewusstsein, die durch die Abstraktion verursacht wird, muss nun mittels der Deduktion des letzteren aus dem ersteren aufgehoben werden, damit sich der Anspruch des reinen Bewusstseins, die umfassende Identität im empirischen Bewusstsein zu sein, erfüllt. Doch für Hegel hat sich bereits ein folgenschweres Problem eingeschlichen: Das reine Wissen ist nichts anderes als die Einheit von Denken und Sein, dessen _____________ 13 Vgl. II, 52ff.; V, 76f.; XX, 390ff.
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Bezeichnung als Ich, für welches Denken, Selbst-Setzen, zugleich Sein ist, nahe liegt. Dennoch darf dieses Ich nicht mit dem subjektiven Ich des empirischen Bewusstseins verwechselt werden, da dieses gerade nicht in Einheit, sondern in Entgegensetzung zum Objekt besteht. Die ursprüngliche Identität muss sowohl Subjekt als auch Objekt umgreifen. Daher erscheint es aber zumindest als fragwürdig, warum diese Identität „Ich“ genannt wird.14 Erweist sich das Prinzip Fichtes als ein bloß subjektives Subjekt-Objekt, das nicht die gesamte Objektivität, mithin auch das empirische Bewusstsein, in sich enthält, dann scheitert im gleichen Zuge das reine Bewusstsein als wahrhaft absolutes Einheitsprinzip der Philosophie. Der subjektive Idealismus ist ein Dogmatismus. Im Gegensatz zum „naiven“ Realismus der traditionellen Metaphysik betont die Transzendentalphilosophie – in Hegels Augen zu Recht – die konstitutive Leistung der Reflexion im Erkennen der Wahrheit. Das empirische Bewusstsein dagegen ebenso wie die vorkantische Philosophie lässt die Wahrheit im objektiven Sein begründet sein. Dies führt Fichte darauf zurück, dass die Reflexion im Akt der Konstitution ihrer selbst nicht als solcher bewusst wird. Folglich kann das empirische Bewusstsein auf der Grundlage faktischen Reflektierens nicht zur absoluten Einheit mit dem Objekt gelangen. Denn wenn sich Bewusstsein auf der Grundlage der Reflexion vollzieht, unterliegt es dem Faktum der Trennung von Subjekt und Objekt. Es erkennt nicht, dass es die wesentliche Operation der Reflexion ausmacht, diese Trennung überhaupt hervorzubringen. Solange die Reflexion nicht in ihrem wahren Vollzug verstanden wird, bleibt ihre Herkunft aus der absoluten Identität verborgen, und die Nicht-Identität von Subjekt und Objekt behält ihre unhintergehbare Gültigkeit. Die philosophische Reflexion der Reflexion hat dieses Versäumnis des empirischen Bewusstseins und somit der einfachen Reflexion aufzuheben, indem sie dasjenige Selbstverständnis der Reflexion liefert, das die einfache Reflexion notwendigerweise auf Grund ihrer Selbstvergessenheit nicht einzulösen vermag. _____________ 14 „Was ferner die subjektive Bestimmtheit des Ich überhaupt betrifft, so benimmt wohl das reine Wissen dem Ich seine beschränkte Bedeutung, an einem Objekte seinen unüberwindlichen Gegensatz zu haben. Aus diesem Grunde wäre es aber wenigstens überflüssig, noch diese subjektive Haltung und Bestimmung des reinen Wesens als Ich beizubehalten.“ (V, 77) Hegels Vorschlag wird darin bestehen, nicht mit dem Ich, sondern dem reinen Wissen, der reinen Einheit von Denken und Sein, anzufangen, die erst im Zuge ihrer Verwirklichung die Subjektivität konstituiert. Ähnlich wird auch der späte Fichte die Einheit im reinen Wissen suchen (Vgl. die Wissenschaftslehre von 18042: SW X, 106f.). Dass Fichte mit diesem neuen Ansatz die Probleme seiner frühen Philosophie überwinde und damit auch der Hegelschen Kritik entgehe, hat Ludwig Siep zu zeigen versucht (Siep 1969).
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Nun deutet Fichte jedoch die doppelte Reflexion als bloße Potenzierung des empirischen Bewusstseins, also auf der Grundlage der unhintergehbaren Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, indem er sie als Bewusstsein des Bewusstseins konzipiert. Er bedenkt dabei in Hegels Augen nicht, dass auf diesem Wege die Faktizität der Reflexion, konkret: die Entgegensetzung, erneut nicht erklärt, sondern selbstvergessen vorausgesetzt wird. Die Herkunft der Reflexion aus der absoluten Identität bleibt verstellt und unergründbar. Die so gedeutete Reflexion ist von ihrer Herkunft isoliert und unterliegt daher dem Selbstverständnis des empirischen Bewusstseins. Die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt im empirischen Bewusstsein perpetuiert die Transzendentalphilosophie Fichtes in der neuen Entgegensetzung von reinem und empirischem Bewusstsein. Jedoch erkennt sie es zugleich als ihre Aufgabe, die Einheit beider aus den konstitutiven Tätigkeiten des Ich zu Stande zu bringen. Es soll das empirische aus dem reinen Bewusstsein hergeleitet werden, indem die Deduktion diejenigen Reflexionsakte herausstellt, welche die absolute Identität in der Totalität der Wirklichkeit etablieren. Erst das gesamte System dieser Tätigkeiten beschreibt den Gegenstand der Philosophie. Doch wie kann die absolute Identität auf der Grundlage der absoluten Differenz konstituiert werden? Vollzieht sich die philosophische Reflexion als Bewusstsein, dann setzt sie die Differenz voraus, ohne sich selbst als Vorgang der Differenzierung und damit die ursprüngliche Identität erkennen zu können. Wie das empirische Bewusstsein auf Grund der unhinterfragten Faktizität der Reflexion zu keiner Einheit mit dem Objekt gelangt, so scheint auch die philosophische Position am Einholen ihres Objekts, des empirischen Bewusstseins, scheitern zu müssen. Es ist also die Deduktion, wodurch die absolute Identität im philosophischen System konstruiert werden soll. Auf dem Wege ständig neu einsetzender Synthesen entgegengesetzter Reflexionstätigkeiten bewegt sie sich fort bis zum Zusammenschluss aller Tätigkeiten in einem Ganzen, worin reines und empirisches Bewusstsein ihrer absoluten Identität zugeführt werden sollen. Doch Problem und Movens der Deduktion zugleich ist ihr Beruhen auf dem Bewusstseinsstandpunkt. Im Ausgang vom Ich erfolgen subjektive Tätigkeiten, die niemals die absolute Subjekt-Objekt-Identität zum Ausdruck bringen können. Setzungen der isolierten Reflexion sind endlich, mithin nicht absolut, sondern durch etwas beschränkt, das in einem weiteren Reflexionsschritt in eine neue Synthese aufgenommen werden muss.
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[I]m geschehenen Setzen und Bestimmen selbst liegt ein Nicht-Setzen und ein Unbestimmtes, also immer wieder die Aufgabe selbst, zu setzen und zu bestimmen. (II, 27)
Das Deduzieren ist ein Fortgang von Bestimmtheiten zu anderen, die nicht in die Einheit zurückkehren, oder durch eine Reihe von Endlichkeiten, die das Absolute nicht an ihnen haben. (XX, 411)
Mit anderen Worten: Jeder subjektiven Reflexionstätigkeit steht ein nicht einholbares Objekt gegenüber, wie für das empirische Bewusstsein mit dem Subjekt zugleich ein Objekt in Entgegensetzung vorliegt. Wie schon das absolute Ich-Prinzip, so erfassen auch die deduktiven Reflexionsschritte nur den formalen Aspekt, nicht die inhaltliche Konkretheit des lebendigen Bewusstseins. Zudem wird sich die Reflexion innerhalb der Philosophie Fichtes nicht vollkommen selbsttransparent, weil sie sich als subjektive Tätigkeit versteht, deshalb die Subjekt-ObjektTrennung schlechthin voraussetzt und nicht als eigene Operation durchschauen kann. Um Hegels Kritik an Fichte angemessen aufzufassen, lassen sich in einem ersten Schritt zwei scheinbar streng voneinander zu unterscheidende Stoßrichtungen herausstellen. Der zweite und zentrale Schritt wird dann in der Einsicht bestehen, dass für Hegel die radikale Unterscheidung dieser Aspekte letztlich das eigentlich zu Kritisierende darstellt. In der Bestimmung der Philosophie als künstliches Bewusstsein empirischen Bewusstseins unterscheidet Fichte zwischen einem rein wissenschaftlichen und einem lebensweltlichen Standpunkt. Unmittelbarer Ausdruck dieser Trennung sind das abstrakt-allgemeine IchPrinzip sowie alle daraus abzuleitenden apriorischen Tätigkeiten, die als solche niemals auf dem lebensweltlichen Standpunkt zum Bewusstsein gelangen. Philosophieimmanent erhebt Hegel den Einwand, dass diese Konzeption ihren Gegenstand, das empirische Bewusstsein, niemals auf befriedigende Weise darzustellen vermag. Zwar ist es Aufgabe und Ziel der Deduktion, im Ausgang vom reinen das empirische Bewusstsein gänzlich explikativ zu erschöpfen, mithin es als ganzes darzustellen. Doch schon die Deutung dieser Tätigkeiten als subjektiver Vollzüge verhindert, dass der Gegenstand in der Einheit der Philosophie vollständig um- und begriffen werden kann. Dem formalen Deduktionsprozess bleibt stets ein uneinholbares Objektives, letztlich die materielle Konkretheit des empirischen Bewusstseins, äußerlich. Die vorausgesetzte Differenz von Philosophie und Leben macht auch die Einheit der Philosophie unmöglich, sie bleibt permanent unabgeschlossen. Für Hegel scheitert Fichtes Philosophie damit an ihrem
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eigenen Anspruch; die unendlich fortfahrende Deduktion stellt ein unabschließbares Streben nach den Abschluss des Systems dar. Es zeigt sich noch ein weiterer Mangel hinsichtlich der Deduktion auf Grund des Bewusstseinsstandpunktes. Der transzendentale Idealismus insistiert darauf, dass die Erkenntnis allein durch die subjektiven Leistungen des Bewusstseins ermöglicht wird. Zwar erfasst letzteres auf diese Weise nicht die Dinge an sich, aber doch ihre Erscheinung im Bewusstsein. Angewandt auf die philosophische Reflexion, die sich ebenfalls als ein Bewusstsein versteht, bedeutet dies, dass auch sie nicht das wahre Wesen des empirischen Ich in seinem Anundfürsichsein, sondern lediglich dessen Erscheinung zu fassen vermag. Ihre Betrachtung richtet sich infolgedessen nicht auf den Gegenstand, das Ich und seine Denkformen, an und für sich, sondern so, wie er für das künstliche Bewusstsein erscheint, mithin äußerlich in seinem Sein für ein Anderes, für die philosophischen Denkformen. Auch Fichte hat dies deutlich eingesehen, wenn er die Diskursivität der Reflexionstätigkeiten in der Philosophie vom wahren Ursprung des Ich abgrenzt. Für dieses gilt: „mit einem Schlage bin ich, und ist die Welt für mich“ (GA IV, 2, 26). Der Momentcharakter des Ich an sich in seinem Ursprung unterläuft gerade die Diskursivität der Deduktion. In dieser Hinsicht erfasst der Philosoph nicht das wahre Ich, sondern lediglich dessen Erscheinung für das Bewusstsein des Philosophen. Die Mannigfaltigkeit der Tätigkeiten wird zwar durch die Deduktion zu einer Einheit geführt – dies ist nach Hegel das große Verdienst Fichtes –, doch wird diese vermittelte Einheit selbst noch von der wahren unmittelbaren Einheit des Ich unterschieden. Das Ich an sich bleibt demnach gänzlich unbestimmt und für die Philosophie unerkennbar – genauso wie das Ding an sich.15 Hinter dieser Kritik Hegels steht der Einwand an einem Denken, welches das Ich als ursprünglich entstanden, d.h. ohne apriorische Vorgeschichte, auffasst. Dadurch trennt sich die Philosophie von der Möglichkeit, Selbstbewusstsein an und für sich erklären zu können. Mit der Faktizität der Reflexion setzt eine derartige Philosophie das faktische Selbstbewusstsein voraus, das sie genetisch nicht zu durchdringen vermag.16 _____________ 15 Dass die Unerkennbarkeit des Dinges an sich sowie des Ich an sich denselben Grundmangel des subjektiven Idealismus in dualistischer Form darstellt, hat Hegel in der Wissenschaft der Logik deutlich gemacht. Danach ist das Ich nichts anderes als ein Ding an sich. Vgl. V, 135f. 16 Hegels Philosophie der Freiheit steht deshalb im Folgenden unter den Titel: „Die Genese der praktischen Freiheit“ im Gegensatz zur kritisierten Konzeption des Ursprungs der praktischen Freiheit.
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Auf der Ebene des Lebens findet sich nun ein analoges Problem. Fichtes Philosophie versteht den Menschen im Wesentlichen als Bewusstsein, das sich aus der Entgegensetzung zum Nicht-Ich bestimmt, aber ebenso die Einheit mit dem Objekt zum Ziel hat. Wenn das Bewusstsein zu seinem Vollzug die Differenz vom Objekt voraussetzt, dann kann die Einheit beider lediglich in Form einer uneinlösbaren Forderung erhoben werden. Das unendliche Streben im Praktischen unterliegt letztlich der gleichen widersprüchlichen Struktur wie die Philosophie als solche. Zwar rechnet es Fichte unter die wesentliche Bestimmung des Menschen, strebend sein Selbstbewusstsein zu realisieren, doch einerseits vermag er es wegen der vorausgesetzten Differenz nicht, andererseits gründet nach der Fichteschen Konzeption die Differenz im menschlichen Wesen qua Bewusstsein und darf mithin gar nicht in der Einheit aufgelöst werden. Allgemein betrachtet bewegt sich das Denken Fichtes im Widerspruch zwischen Einheit und Selbstständigkeit von Subjekt und Objekt. Es ist dies die widersprüchliche Bestimmung, die wir oben in sämtlichen Systemteilen seiner Philosophie aufgezeigt haben.17 Sie unterliegt letztlich dem „Prinzip der NichtIdentität“ (II, 71), das aus dem unhintergehbaren Faktum der Reflexionstrennung resultiert. Die Parallelität von lebensweltlicher und wissenschaftlicher Problematik sowie ihre innigste Verbundenheit schildert Hegel bereits in der Differenzschrift. Ähnlich wie Fichte verdeutlicht er vor dem eigentlichen philosophischen Geschäft den Übergang zur Philosophie im Ausgang vom menschlichen Leben, welcher motiviert wird durch ein allgemeines Bedürfnis nach Philosophie (ebd. 20ff.). Den Grund für dieses Bedürfnis entnimmt Hegel aus dem Umkreis der geschichtlichen Situiertheit des Menschen.18 Demnach gebe es Zeiten, in denen das Leben des Menschen in feste Gegensätze zerrissen sei, der Mensch aber dennoch oder gerade deswegen ein Sehnen nach der scheinbar verlorenen Einheit empfinde. Ausdruck dieser Situation ist die menschliche Entfremdung von der objektiven Wirklichkeit als ganzer bedingt durch Bildung. Diese befähigt den Menschen dazu, sich seines analytischen, endlichen Verstandes zu bedienen. Mittels dieser Erkenntniskraft zerpflückt der Mensch die Wirklichkeit in eine endlose Mannigfaltigkeit von Spezialkenntnissen, die niemals die Einheit der Wirklichkeit zu vermitteln vermögen (ebd. 16). Die durch Bildung übermittelten _____________ 17 S. 146f. 18 Zur Neuerung, welche Hegel mit dieser geschichtlichen Betrachtung auch im Unterschied zum ahistorischen Denken Fichtes einführt, vgl. Zimmerli 26ff. Einen allerdings recht kurzen Kommentar zur Differenzschrift liefert auch Siep (Siep 2000, 32ff.); ebenso Kondylis 619-645.
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Kenntnisse entbehren der Einfügung in ein System, das die Wirklichkeit als ein auch den Menschen übergreifendes Ganzes zu verstehen erlaubt. Es gehört zur inneren Konsequenz der Bildung, dass der Mensch letztlich einer Wirklichkeit gegenübersteht, die ihm im Lichte chaotischer, d.h. unzusammenhängender Einzelkenntnisse erscheint. Die höchste Ausdifferenzierung erreicht diese Tendenz Hegel zufolge in seiner eigenen Zeit durch die radikale Entzweiung von Vernunft und Sinnlichkeit oder „für den allgemeinen Begriff, von absoluter Subjektivität und absoluter Objektivität“ (ebd. 21). Hat der Mensch in früheren Zeiten noch auf das Heilmittel der Religion zurückgreifen können, um sein Einheitsstreben zu befriedigen, so verwehrt die Höhe der Bildung in Hegels eigener Epoche eine derartige Lösung (ebd. 23). Es bleibt allein die Philosophie. „Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie“ (ebd. 20). Im Medium der Vernunft soll sie den Beschränkungen des endlichen Verstandes sowie der Verselbstständigung der Gegensätze trotzen und die Einheit realisieren. Die Vernunft erfüllt darin ihren einzigen Zweck: „Solche festgewordenen Gegensätze aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft.“ (ebd. 21) Hinter dem Identitätsstreben des Menschen steht für Hegel das Verlangen nach Freiheit. Erst wenn der Mensch der Einheit der Wirklichkeit im Lichte der Vernunft gewahr zu werden vermag, kann er seine eigene Stellung darin bestimmen, um daran sein Handeln zu orientieren. In der absoluten Vernunftidentität, deren Darstellung der Philosophie obliegt, gibt es kein Äußeres mehr, d.h. keinen Bereich, der nicht in der Einheit aufgehoben wäre. Während demnach im Zustand der Entzweiung des Lebens die unvereinbaren Gegensätze sich gegenseitig beschränken, so dass für jede Seite die jeweils andere ein absolut Äußeres darstellt, ist in der Vernunfteinheit alles eins, nämlich Vernunft.19 Das menschliche Subjekt findet auf diese Weise in der objektiven Wirklichkeit nichts Fremdes mehr vor, sondern sich selbst, es ist im Anderen bei sich. Qua seiner Vernunft vermag der Mensch an dieser Freiheit zu partizipieren.20 Doch die aktuelle Situation entbehrt nach Hegel dieser Freiheit. Die Verselbstständigung der Gegensätze, mithin ihre scheinbar absolute Unvereinbarkeit in einer übergreifenden Einheit, erfährt im „westlichen Norden“ (ebd. 22) der Welt ihre Zuspitzung – als Anzeichen der fortgeschrittenen Bildung. Das Europa Hegels, im Zentrum davon Deutschland, befindet sich in einer Situati_____________ 19 „[A]ber eine Freiheit, für welche etwas wahrhaft Äußeres, Fremdes wäre, ist keine Freiheit; ihr Wesen und ihre formelle Definition ist gerade, dass nichts absolut Äußeres ist.“ (II, 476) 20 Vgl. XII, 30ff.
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on höchster Zerrissenheit, die nur noch die Philosophie zu überwinden vermag. Auch Fichte stellt Hegel als deutschen Denker unter diese Aufgabe. Doch erst Schelling und Hegel selbst können nach Hegels Ermessen beanspruchen, die Lösung zu erbringen. Die geschichtlich bedingte lebensweltliche Situation des Menschen führt Hegel in der Differenzschrift zum metaphysischen Konstruktionsprinzip der Philosophie.21 Danach müsse man, wenn die Überwindung der Entzweiung überhaupt ein sinnvolles Bestreben, mithin das Faktum der Reflexion zu übersteigen sein soll, von einer ursprünglichen absoluten Identität ausgehen, kurz als das Absolute bezeichnet. Angesichts dieser Identität kann die folgende Entzweiung kein äußeres Geschehen darstellen, vielmehr umfasst das Absolute auch die Differenz, da es für das Absolute kein Äußeres geben kann. Dies kennzeichnet Hegel dadurch, dass in der ursprünglichen absoluten Identität an sich die Differenz schon vorliegt; sie ist die unmittelbare Identität ihrer selbst und der Differenz. Nun ist angesichts der faktischen Entzweiung der Unterschied gerade nicht unmittelbar identisch, sondern durch Entgegensetzung zur Identität bestimmt. Diese Entzweiung ist folglich nur dann in das Absolute zurückzuführen, wenn das Setzen des bestimmten Unterschieds in die Immanenz der absoluten Identität als deren eigene Setzung verlegt werden kann. Damit das Absolute als solches aufgefasst werden kann, bedarf es der Entwicklung dieser Differenz aus der Identität. Dies soll möglich sein, ohne aus der Immanenz des Absoluten herauszugehen, also ohne seine Dignität als Absolutes zu verletzen. Das notwendige Setzen der Differenz im Absoluten nennt Hegel dessen Erscheinung, welche nach dem bisher Erörterten nicht außerhalb des Absoluten, sondern vielmehr in ihm stattfindet (ebd. 25). Die Trennung vollzieht sich im Absoluten durch Reflexion, womit es sich in seiner geschichtlichen Erscheinung manifestiert. Dadurch, dass das _____________ 21 Hegels frühe Metaphysik des Absoluten und seiner Erscheinung in der Differenzschrift ist stark von Schelling beeinflusst. Da beide Denker zu dieser Phase ihre eigenen Systeme in Auseinandersetzung mit der sogenannten „Reflexionsphilosophie“ Kants und Fichtes gewinnen, nimmt es nicht wunder, dass sie sich immer noch in ihrem Fahrwasser bewegen. Am deutlichsten wird dies hinsichtlich Hegels Konzeption einer transzendentalen Anschauung, die zur Reflexion hinzugenommen werden muss, um das absolute Wissen zu ermöglichen. Das Verhältnis von Anschauung und Reflexion (wie auch dasjenige des Absoluten zur Erscheinung) bleibt in seiner Funktion ungeklärt. Aus diesem Grund wird der späte Hegel einsehen, dass das Absolute nicht mittels dieser Kategorien, sondern allein in begrifflicher Selbstentfaltung in seiner Wahrheit erfasst werden kann. Zur Kritik an Hegels Ansatz in der Differenzschrift vgl. H. Girndt (Girndt 1965, 22ff.); Lauth 1987. Die Entwicklung der Hegelschen Dialektik von einer auf Anschauung gründenden Methode bis zum „Verschwinden der Anschauung“ in der Methode ist dargestellt bei Baum.
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Absolute seine Erscheinung, die Identität die Differenz setzt, muss es sich zugleich davon unterscheiden, denn die „Erscheinung ist nicht die Identität“ (ebd. 48). Diese Unterscheidung gehört nun bereits dem Bereich der Reflexionserscheinung an, insofern das Absolute nicht mehr als die ursprüngliche, allumfassende Identität begriffen wird, sondern lediglich in seiner Differenz von der Differenz. Das Absolute „depotenziert“ sich selbst zur Erscheinung, es ist ein Unterschiedenes und befindet sich somit im Bereich der Differenz, der Erscheinung. Die Reflexion sorgt so für die Verselbstständigung der Gegensätze des Absoluten als Erscheinung, d.h. des Absoluten der Reflexion, und der als Erscheinung gesetzten Differenz. Die beiden Gegensätze beziehen ihre Definition jeweils durch Negation des Anderen. Die Reflexionsidentität bestimmt sich dadurch, dass sie nicht Differenz ist, die Differenz dadurch, dass sie nicht Identität ist. Jede Seite besteht somit nur, sofern sie die andere Seite negiert und dafür ihr Bestehen voraussetzt. Die Gegensätze konstituieren sich durch jeweilige Abstraktion von ihrem Gegenteil, Identität und Differenz sind formale, abstrakte Bestimmungen. Auf dieser Stufe waltet die „isolierte Reflexion“, die als endlicher Verstand den Bezug auf die umfassende Identität verloren hat, indem sie die Erscheinung vom Absoluten trennt, damit aber auch das Absolute verendlicht und beschränkt. Dieser Schritt vollzieht sich in der Bildung des Menschen: „In der Bildung hat sich das, was Erscheinung des Absoluten ist, vom Absoluten isoliert und als ein Selbstständiges fixiert.“ (ebd. 20) Damit verfolgt die Reflexion jedoch die Logik des Absoluten, es handelt sich somit um kein menschliches Vergehen im Abfall von der absoluten Identität, sondern um die notwendige Entfaltung des Absoluten in seiner Erscheinung, denn die notwendige Entzweiung ist ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität [der absoluten Identität; CB] ist in der höchsten Lebendigkeit nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich. (ebd. 21f.)
Das Absolute kann nur dann sein, was es ist, folglich als Absolutes sein, wenn es sich aus der höchsten Reflexionstrennung, die sich zu Hegels Zeit in der radikalen Entgegensetzung von Subjekt und Objekt manifestiert, wiederfindet. Daraus folgt zudem, dass das Absolute in seiner wahren Form als Subjekt-Objekt-Identität aufzufassen ist (ebd. 10). Auf welche Weise vermag sich das Absolute also wieder aus der Trennung in seiner allumfassenden Identität herzustellen? Nach Hegel muss dafür die isolierte Reflexion in ihrer Macht eingeschränkt werden, da auf ihrer Grundlage keine absolute Identität möglich ist. Dies ge-
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schieht – wie bereits bekannt – in der Philosophie. Mittels einer Reflexion der Reflexion hat sie die Einseitigkeiten der einfachen Reflexion aufzuheben, wodurch der Verstand zur Vernunft, dem eigentlichen Medium der Philosophie, wird (ebd. 28ff.). Indes widersetzt sich die isolierte Reflexion der wahren Wiederherstellung der Identität, indem sie sich selbst den „Schein der Vernunft“ (ebd. 21) gibt. Dadurch, dass sie eine Seite ihrer Gegensätze, die im Rahmen der Erscheinung auftreten, zum Absoluten ernennt, erweckt sie den Eindruck, als bringe auch sie die absolute Identität zum Ausdruck und bedürfe somit keiner weiteren Erhebung zum Absoluten.22 Im Gegensatz dazu darf die Philosophie nicht die Fehler oder Einseitigkeiten der isolierten Reflexion begehen, sondern muss danach trachten, alle endlichen Einsichten bzw. Kenntnisse der Reflexion in ein systematisches Ganzes des Wissens zu bringen, worin die Einsichten und Kenntnisse zugleich ihr Bestehen in Bezug auf das Absolute bzw. die absolute Wahrheit haben. Im System vollzieht die Philosophie somit die Wiederherstellung der absoluten Identität angesichts der Erscheinung, welche sie dadurch als Erscheinung des Absoluten auffasst. Die absolute Entgegensetzung von Subjekt und Objekt wird zurückgenommen in eine nur relative Entgegensetzung dieser Momente im Absoluten. Letztlich zielt die Philosophie auf eine konkrete Identität, welche die Subjekt-Objekt-Trennung nicht nur an sich unmittelbar enthält – wie die ursprüngliche Identität –, sondern in ihrer Einheit für sich gesetzt hat. Damit findet die „Selbstkonstruktion des Absoluten“, die eine „Entwicklung oder Selbstkonstruktion der Identität zur Totalität“ (ebd. 111) darstellt, ihren Abschluss. Das Absolute muss sich also in der Erscheinung selbst setzen, d.h. diese nicht vernichten, sondern zur Identität konstruieren. (ebd. 48)
Es erfasst sich in der Philosophie, es wird darin für sich, was es an sich ist, nämlich die Identität von Subjekt und Objekt bzw. die „Identität der Identität und der Nichtidentität“ (ebd. 96). Das Bedürfnis nach Einheit, das der Mensch angesichts der Entzweiung verspürt, erhält in der Philosophie seine Befriedigung. Die mannigfaltigen Kenntnisse werden darin zu einem System vereinigt, das die Wirklichkeit als Ganzes, nämlich als Wirklichkeit des Absoluten, zu verstehen erlaubt. Mittels der Zurücknahme der Trennung des Absoluten und seiner Erscheinung durch Überführung der Erscheinung in das Absolute garantiert die Philosophie damit die Wiederherstellung der absoluten Freiheit. Das Absolute steht nicht länger der _____________ 22 Den abstrakten Glauben der Verstandesaufklärung an ein „être suprême“ deutet Hegel als diesen Versuch des endlichen Verstandes, das Absolute zu denken. Auf Grund seiner Abstraktheit handelt es sich aber gerade nicht um das wahre Absolute, sondern nur um seine endliche Erscheinung (vgl. III, 434; II, 31).
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Erscheinung gegenüber und wird dadurch beschränkt, sondern ist vielmehr die gesamte Wirklichkeit der Vernunft. In seinem Anderen, der Erscheinung, ist es also bei sich selbst. Als „Teil“ dieser Wirklichkeit, d.h. durch seine Vernunft, gelangt der Mensch zur eigenen Freiheit im Absoluten.23 Innerhalb der Philosophie erfährt zudem das Bedürfnis selbst seine Rechtfertigung, insofern die höchste Trennung notwendige Zwischenstufe in der Entfaltung des Absoluten ist. Sein lebensweltlich motiviertes Bedürfnis nach Philosophie versteht der Mensch zugleich als Bedürfnis der Philosophie.24 Es handelt sich um keine äußere Voraussetzung zum Betreiben des philosophischen Geschäfts, die als empirische Tatsache die Immanenz der Wissenschaft zu zerstören drohte. Vielmehr erfasst der Mensch erst in der Philosophie die eigentliche Bedeutung seines Bedürfnisses, indem er es auf die geschichtliche Erscheinung des Absoluten auf dem Wege zur Wiederherstellung der absoluten Identität bezieht. Es lässt sich bereits an dieser Stelle auf einen wesentlichen Unterschied in den Philosophiekonzeptionen Fichtes und Hegels aufmerksam machen, die eine anders gelagerte Verhältnisbestimmung zwischen Leben und Philosophie, damit aber auch von Freiheit und Identität betrifft. Zum einen besteht für Hegel im Gegensatz zur radikalen Entgegensetzung bei Fichte eine Kontinuität von Leben und Philosophie in dem Sinne, dass das Leben erst in der systematischen Philosophie, in der Selbsterfassung der Vernunft als Erscheinung des Absoluten, zur Befriedigung seines Identitätsbedürfnisses gelangt. Leben und Philosophie, dies ist der zweite wichtige Aspekt, stehen von Vornherein unter dem Zeichen der Identität; es ist sogar das einzige Vernunftinteresse. Auch wenn Hegel die Freiheit in enger Verbindung mit der Identität, damit ebenso der Philosophie und dem Leben ansiedelt, bleibt der Vorrang der Identität vor der Freiheit geltend. Dies leuchtet bereits dadurch ein, dass Hegel die Freiheit mittels der absoluten Identität definiert: Im Anderen bei sich zu sein bedeutet danach, dass die absolute Identität ihren Unterschied in sich selbst im Zuge ihrer Selbstbestimmung beinhaltet. Bei Fichte hingegen steht die Philosophie von Anfang bis Ende unter dem Primat der praktischen Freiheit, auch wenn sie sich in der Identität zu verwirklichen sucht.25 Während hier _____________ 23 Die interessante Frage ist freilich, was man sich unter der Teilhabe des Menschen an der absoluten Freiheit vorzustellen hat. Dies wird Thema unserer Ausführungen zur praktischen Freiheit sein. 24 Treffend geschildert ist dieser Zusammenhang bei F. Heine (Heine 8ff). 25 Man vergleiche folgende Bemerkungen. Hegel: „Solche festgewordenen Gegensätze aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft.“ (II, 21). Fichte: „Ihr [der Vernunft; CB] Interesse ist der Glaube an Selbstständigkeit und Freiheit, aus diesem folgt [!] das Interesse für Einheit und Zusammenhang“ (GA IV, 2, 23).
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die Identität Attribut der Freiheit und damit grundsätzlich praktisch motiviert ist, vertauschen sich die Rollen bei Hegel: Freiheit wird Attribut der Identität. Der Ausgangspunkt ist nicht die Freiheit in der Differenz, welche in unendlicher Annäherung durch praktisches Handeln nach Identität strebt, sondern die ursprüngliche Identität soll durch Freiheit aus der Differenz wiederhergestellt werden; dies gelingt vollständig erst im rein theoretischen Gefilde der Philosophie. Aus diesem Grunde liegt bei Fichte auch keine Kontinuität von Leben und Philosophie im Hegelschen Sinne vor. Die Philosophie stillt kein Bedürfnis des Lebens, sondern läutert es höchstens, damit es sich anschließend als Freiheit im Leben selbst realisiere. Ein dritter Aspekt wird sich im Folgenden darin zeigen, dass es Hegel mittels seiner metaphysischen Theorie unternimmt, auch die Fichtesche Philosophie in sein System zu integrieren, indem er sie als eine Suche nach der verlorenen Identität darstellen wird. Doch die Suche ist zum Scheitern verurteilt, weil sie mit Mitteln der isolierten Reflexion lediglich die Entzweiung bis zum Gegensatz von absoluter Subjektivität und absoluter Objektivität weitertreiben wird. Da die Philosophie nach Hegel den Zusammenhang des Absoluten mit seiner Erscheinung und Entzweiung aufzuweisen hat, umfasst sie in dieser Darstellung ebenso die Verstandesreflexion sowie ihre Funktion der Entzweiung als untergeordnete Stufe im Systemganzen. Aus unserer vorherigen Auseinandersetzung mit Fichte wissen wir, dass sein System damit seiner ursprünglichen Intention nach verfälscht wird; es verkommt zu einer defizitären Gestalt der Identitätsphilosophie.26 Den subjektiven Idealismus Fichtes wie auch den Realismus entlarvt Hegel als Dogmatismus, weil sie ein Moment der Erscheinung, die absolute Subjektivität oder Objektivität, zum Absoluten erheben und damit eine abstrakte anstelle der wahren umfassenden Identität festhalten. Beide bewegen sich daher in Wahrheit im Bereich der Erscheinung, somit auf der Grundlage einer vorausgesetzten und nicht weiter zu genetisierenden Faktizität. Kern dieser Faktizität ist das Faktum der Reflexion als Grund der Trennung in Subjekt und Objekt. _____________ 26 Unter dem Einfluss Hegels steht immer noch ein Großteil der Fichte-Interpreten, die Fichte zu sehr im Sinne eines Identitätsphilosophen verstanden haben und verstehen. Indem der Begriff der Identität demjenigen der praktischen Freiheit vorgeordnet wird, verwandelt sich der Primat des Praktischen in einen Primat des Theoretischen. Von der praktischen Grundlage befreit zeigt sich dann die logische Insuffizienz dieses Systems. Wenn Fichte als Grundsatzphilosoph mit der Intention einer absoluten Geschlossenheit des Systems gedeutet wird, dann ist es leicht, sein Unternehmen als gescheitert anzusehen. Zur Kritik an Hegels Kritik vgl. das abschließende Kapitel dieser Arbeit. Zur Fichte-Kritik im Gefolge Hegels vgl. u.a. Kroner 409; Hartmann 297; Guéroult 261.
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Deren Hervorgehen in der Immanenz des Absoluten kann im Dogmatismus nicht weiter erklärt werden, weshalb sie vom Absoluten isoliert ist. So zeigt sich die Einseitigkeit von Idealismus und Realismus auch noch in der Deutung der Reflexion selbst. Wenn einer der Gegensätze zum Absoluten erkoren wird, muss auch die Reflexion in dessen Machtbereich gestellt werden – im Sinne einer bloß subjektiven Tätigkeit (Bewusstsein) oder eines rein objektiven Geschehens. Doch als subjektiv bzw. objektiv unterliegen sie ja schon der Trennung, müssten also auf eine ursprünglichere Trennung verweisen, die dann aber nicht mehr von ihnen ausgehen kann. Reflexion ist Hegel zufolge weder eine subjektive Tätigkeit noch ein objektives Geschehen, sondern die beides hervorbringende Bewegung der Entzweiung des Absoluten qua Erscheinung.27 Dies zu erkennen, ist indes nur möglich, wenn das Faktum der Reflexion aus der absoluten Identität geklärt und damit die in der Faktizität als solcher implizierte Voraussetzung im philosophischen Begründungsgang eingeholt wird.28 Idealismus wie Realismus sind zu Recht geprägt durch den Versuch, die Erscheinung im Absoluten aufgehen zu lassen, indem sie das Hervorgehen der Erscheinung aus dem bloßen Produzieren des Absoluten erklären. Die Seite der Endlichkeit scheint im Absoluten aufgehoben oder – wie Hegel sagt – als ideelles Moment ohne eigenständige Realität außerhalb des Absoluten aufgefasst zu sein.29 Die einseitigen Deutungen des Absoluten im Dogmatismus verfehlen indes die absolute Identität. Das absolute Subjekt des Idealismus kann auf Grund seiner absoluten Entgegensetzung das Objekt letztlich nicht aus sich erklären, es bleibt ein ebenso absolutes Objekt zurück; gleichermaßen steht dem Realismus ein unerklärliches absolutes Subjekt gegenüber. Diesen Sachverhalt findet Hegel dadurch belegt, dass, während der Realismus niemals zu einer Erklärung des Selbstbewusstseins als reiner Tätigkeit vorzudringen vermag, der Idealismus letztlich an einer vernünftigen Deutung des Seins scheitert. Die Identität, die zwischen Selbstbewusstsein und Sein mittels der isolierten Reflexion zustande gebracht werden kann, ist nur relativ, da die absolute Differenz zur Grundlage auch noch der Identität gemacht wird. Das „Prinzip der Nichtidentität“ (ebd. 71) kennzeichnet den Dogmatismus. _____________ 27 Dadurch, dass der Status der Reflexion weder einseitig im subjektiven noch im objektiven Sinne bestimmt wird, entgeht Hegel den Regressen der Reflexionstheorie – wie sie Dieter Henrich mit Bezug auf Fichte geschildert hat. Vgl. S. 32 Anm. 22. 28 Vgl. dazu Bubner 1980, 70ff. 29 Insofern kann Hegel auch behaupten: „Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus.[...] Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung.“ (V, 172)
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Wie lässt sich nun vor diesem Hintergrund Fichtes Wahl des Idealismus und damit der Ausgang vom Ich deuten? Um die im empirischen Bewusstsein bestehende Reflexionstrennung von Subjekt und Objekt auf ihre Einheit zurückzuführen, geht Fichte von der Tatsache aus, dass sich die Trennung im Bewusstsein selbst vollzieht, folglich das Selbstbewusstsein als die beide Momente zusammenhaltende Instanz zum Prinzip ernannt werden muss. Die idealistische Implikationskette hatte zu diesem Zwecke die Erkenntnis des logischen Primats des Selbstbewusstseins vor dem Objektbewusstsein und dem Sein hervorgehoben.30 So gelangt Fichte zum absoluten Ich als derjenigen Identität, aus der heraus die Trennung, damit ebenso Bewusstsein wie Sein, zu resultieren hat. Auf den ersten Blick könnte es so scheinen, als habe Fichte im Ich das spekulative Prinzip der absoluten Identität ergriffen, wie es seine Bezeichnung als Subjekt-Objekt-Identität nahe legt. Dem gemäß zeigt auch Hegel auf, dass das Ich = Ich als Prinzip eindeutig dem spekulativen Muster folgt, indem es wahre Einsichten in das Wesen der Philosophie sowie des Absoluten im Verhältnis zu seiner Erscheinung beinhaltet. Die ursprüngliche „Identität des Ich = Ich ist keine reine Identität, d.h. keine durch Abstraktion der Reflexion entstandene“ (ebd. 55). Sie umfasst sowohl die Einheit als auch die Zweiheit, da in diesem Ausdruck das Ich einerseits in der Relation des Ich auf das Ich besteht, andererseits dafür eine Differenz hinsichtlich der Relata auftritt, die aber im gleichen Zuge aufgehoben wird. Die beiden Ich sind beide Ich, also wesentlich ununterschieden. Da zudem die Identitätsrelation selbst die Relata und damit der Unterschied ist, gilt, dass das Unterschiedene unmittelbar dasselbe ist und das Identische ebenso unterschieden ist; das ist der Unterschied, der keiner ist (XX, 395).
Anders gesagt: es ist der reine Unterschied, der noch kein real Unterschiedenes liefert, also noch kein bestimmter Unterschied ist. Wie die absolute Identität vor der Erscheinung enthält das Ich an sich die Differenz in sich. Um als Ganzes für sich und damit vollkommenes Selbstbewusstsein zu werden, muss, was das Ich = Ich ist, damit aber auch der Unterschied gesetzt und als Setzung des Ich = Ich begriffen werden. Mit dem Setzen des Unterschieds erhalten das Objektbewusstsein und somit das Nicht-Ich ihre Berechtigung. Auch das sich in der Trennung befindende empirische Bewusstsein mit seinem Glauben an das selbstständige Bestehen der Welt soll im absoluten Ich begründet werden, insofern jedwedes unterschiedene Sein nur Sein für das Ich, also in der Immanenz des Ich aufgehoben ist. Selbst im Falle des gegenständlichen Seins verharrt das Ich in sich _____________ 30 Oben S. 19ff.
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selbst, „in seinem Unterscheiden muss es in sich reflektiert bleiben, in gleicher Absolutheit.“ (ebd. 390) Die deduktive Herleitung der realen Entgegensetzung im empirischen Bewusstsein und zuvörderst der Erscheinung muss im des Absoluten geschehen, will man weiterhin der spekulativen Idee verpflichtet bleiben. Dazu bedarf es der Realisierung der ursprünglichen absoluten Identität des Ich in der Erscheinung als empirisches Bewusstsein, worin sich das Absolute in seiner Unendlichkeit wiederherstellt, indem es die Erscheinung zur absoluten Totalität konstruiert. Der Unterschied, der bereits in der ursprünglichen Identität an sich vorhanden ist, muss dafür von ihr gesetzt und zur Einheit geführt werden. Damit wird dem absoluten Ich für sich, was es immer schon an sich war: die Einheit seiner selbst und des Unterschiedes. Das reine Selbstbewusstsein setzt für sich qua Bewusstsein die Differenz, die an sich bereits in ihm enthalten ist, weshalb die Deduktion des empirischen Bewusstseins nichts anderes darstellt als die Realisierung des absoluten Ich selbst. Hegel findet in den drei Grundsätzen aus der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre sowie der Deduktion als Methodenprinzip das von ihm geforderte spekulative Verhältnis wieder. In diesem Sinne führt es Hegel als Verdienst Fichtes auf, dass er im Gegensatz zu Kant zum spekulativen Prinzip, zur „absoluten Form“ (ebd. 388), vorgedrungen sei (II, 9f.). Das deduktive System Fichtes unternimmt es, mit der Realisierung der Identität von Subjekt und Objekt die gesamte Erscheinungswelt, empirisches Ich wie dessen objektive Wirklichkeit, unter die absolute Identität aufzunehmen und darin als Erscheinung des Absoluten zu deuten. Der Vollzug des Systems ist diesem Anspruch nach der Vollzug des Absoluten selbst, das sich mittels seiner Tätigkeiten in die Erscheinung setzt, infolgedessen sein Absolutsein negiert, um durch die Negation der Erscheinung in sich zurückzukehren. Das spekulative Prinzip erweist sich als Negation der Negation oder als „absolute Negativität“. Ihr Vollzugsorgan ist die Reflexion der Reflexion. Die Deduktion stiftet dabei die Einheit der Tätigkeiten, die aus dem absoluten Prinzip folgen. Mehr noch: Die deduktive Methode ist der Setzungsvollzug des Absoluten in der Erscheinung, den das Absolute als eigene Setzung zu begreifen hat, um für sich zu sein.31 Soweit scheint Fichte dem spekulativen Modell Hegels zu folgen. „Aber“ – und mit diesem Aber pflegt Hegel stets zuvor gelobte Philosophen ihres schon sicher geglaubten Verdienstes zu berauben – _____________ 31 In diesem Sinne deutet Hegel die wahrhaft spekulative Methode, die Dialektik, im Schlussteil seiner Logik als absolute Subjektivität (VI, 548ff.). Dazu: Schäfer 219ff.; De Vos 52ff.
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dies Prinzip hat er dann ebenso einseitig auf eine Seite gestellt: es ist von Haus aus subjektiv, mit einem Gegensatz behaftet; und die Realisierung desselben [also die Deduktion; CB] ist ein Fortlaufen an der Endlichkeit, ein aufs Vorhergehende Zurücksehen (XX, 388f.).
Anstatt die Bewegung vom absoluten Prinzip zu dessen Erscheinung darzustellen, hat Fichte in Hegels Augen das anfängliche Absolute nicht in seiner umfassenden Tragweite gedacht, sondern als der absolut „nicht realisierte Begriff“, die abstrakte Form, verendlicht. Die Absolutheit dieses Begriffs besteht gerade in seinem Nichtrealisiertsein; dem steht die Realität als bloße Erscheinung entgegen. Die absolute Entgegensetzung von Absolutem und Erscheinung gehört der isolierten Reflexion an, der spekulative Standpunkt ist verlassen. Diese Charakterisierung des Fichteschen Absoluten als eines subjektiven SubjektObjekts, dem eine ebenso absolute Objektivität gegenübersteht, erweist seine Philosophie als Dogmatismus. Inwiefern scheitert Fichte daran, das spekulative Grundmodell in seiner Philosophie zu realisieren? Sein Scheitern gründet – wie wir wissen – in seiner Methode, in dem Versuch, des ursprünglich spekulativen Verhältnisses des Absoluten und seiner Erscheinung mittels der isolierten Reflexion in der Gestalt des Bewusstseins des Bewusstseins habhaft zu werden. Diese trennt die ursprünglich dynamische Bewegung in statische Grundsätze, deren Beziehung zueinander widersprüchlich ist.32 „Fichte analysiert Ich in drei Grundsätze, aus welchen die ganze Wissenschaft entwickelt werden soll.“ (ebd. 394) Das ursprünglich eine spekulative Prinzip soll aus seinen isolierten Teilstücken rekonstruiert werden. Fraglich ist, ob man mittels der Teile wieder zum Ganzen zurückfinden wird, sind doch die isolierten Teile nicht dasjenige, was sie als Teile des Ganzen sind. Doch bereits der erste Grundsatz scheint dem zu widersprechen, indem er beansprucht, das Absolute selbst auszudrücken, also nicht mit einem Teil, sondern mit der Ganzheit als solcher anzuheben. Er unternimmt, das Absolute in der Formel „Ich = Ich“ bzw. der Selbstsetzung des Ich festzuhalten. Den Weg, welchen die Reflexion zur Auffassung des ersten, absoluten Grundsatzes einschlägt, hat Hegel als Vermittlungsgang der Abstraktion zum reinen Bewusstsein dargestellt. Anstatt zu etwas unmittelbar Gewissem im empirischen Bewusstsein zu gelangen, erhält man mit dem reinen Ich eine bloße Abstraktion, die als solche nicht im empirischen Bewusstsein vorkommt. Diese Identität ist gerade unter Absehen von der Differenz, das reine unter Absehen vom empirischen Bewusstsein ge_____________ 32 Zu Hegels Kritik an der Grundsatzphilosophie vgl. Schurr 175ff. Kondylis 637ff.
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wonnen, sie stehen zueinander im Verhältnis der absoluten Entgegensetzung; jedes ist nur, was das andere nicht ist.33 Augenscheinlich ist mit dem ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre nicht die absolute Identität ausgedrückt, sondern nur ihre depotenzierte Erscheinung – nicht die Ganzheit, sondern nur ein Teil. In der Forderung, sich zum ersten Grundsatz unmittelbar zu erheben, also ohne die Vermittlung der Abstraktion, hat Fichte das absolute Ich als intellektuelle Anschauung bestimmt. Die Berufung auf diese Erkenntnisinstanz scheint zu suggerieren, dass sie unmittelbar im empirischen Bewusstsein vollzogen werden kann, obzwar klar geworden sein dürfte, dass dahin nur auf dem langen Weg der Abstraktionsvermittlung zu gelangen ist. Die intellektuelle Anschauung erweist sich daher als ebenso leer wie ein bloßer Begriff, ohne Realität im empirischen Bewusstsein.34 In der Bestimmung des Absoluten als intellektueller Anschauung liegt nach Hegel zugleich die Verschleierung der Tatsache der Abstraktion, dass das Absolute nur durch abstrakte Negation der Differenz gewonnen werde. Auf diesem Wege wird „jene negative Seite selbst als das absolut Positive gesetzt“ (II, 394), also die ursprünglich negative Bestimmtheit des Absoluten bleibt verborgen. Die Erscheinung kann nicht als Erscheinung des Absoluten erfasst werden, weil ihre Negativität mit dessen scheinbar reiner Positivität unvereinbar bleibt. Da aus dem reinen Selbstbewusstsein das empirische Bewusstsein noch nicht deduziert werden kann, insofern jenes gerade in absoluter Entgegensetzung zu diesem gewonnen wird, bedarf es eines weiteren Grundsatzes, der Entgegensetzung des Nicht-Ich. Die abstrakte Identität des ersten Grundsatzes, welche die isolierte Reflexion im Gegensatz zur Differenz versteht, hat in sich allen Inhalt und jegliche Bestimmtheit vernichtet. Nun liegt im empirischen Bewusstsein aber gerade keine reine Identität, sondern vielmehr die bestimmte Entgegensetzung eines objektiven Vorstellungsinhaltes zum empirischen Ich vor. Zur Ergänzung der reinen Identität wird alles dasjenige, was in der vorherigen Abstraktion vernichtet wurde, zusammengenommen und im ebenso abstrakten zweiten Grundsatz ausgesprochen. Das Minus der Abstraktion wird in ein Plus der Entgegensetzung verwandelt (ebd. 400). Beide Grundsätze stehen in keinem eigentlich deduktiven Verhält_____________ 33 Vgl. II, 59. 34 Wir sehen, dass Hegel nicht den konkreten, genuin praktischen Sinn der intellektuellen Anschauung Fichtes anerkannt hat, sondern nur ihre abstrakte, formelle Variante. Trotz der Berechtigung seiner Kritik entgeht ihm deshalb die unüberwindbare praktische Grundlage der Philosophie Fichtes. Wie sich dies auf das Verhältnis beider Konzeptionen auswirkt, wird im dritten Teil dieser Arbeit dargelegt.
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nis zueinander, müsste doch ansonsten der zweite Grundsatz auf irgendeine Weise im ersten bereits enthalten sein, was aber ihrer Entgegensetzung widerspräche.35 Dass die Entgegensetzung geschehe, mithin ihre Form – wie Fichte sagt –, folgt nicht aus dem absoluten Ich. „Die Form der Entgegensetzung kann nicht aus dem ersten Satz abgeleitet werden, obgleich dieses doch gefordert war.“ (ebd. 396) Im Gegensatz zu Fichtes eigenem Verständnis unterstellt Hegel, dass Fichte eigentlich eine Deduktion des zweiten aus dem ersten Grundsatz beabsichtigt hat. Offensichtlich schreibt er Fichte den spekulativen Gedanken zu, die Erscheinung als Setzung des Absoluten darzustellen, wobei die Erscheinung im Absoluten selbst geschieht, also von ihm abgeleitet werden kann und muss. Durch die isolierte Reflexion ist dieser Bezug aber bereits unterlaufen. Mit dem zweiten Grundsatz kommt Inhalt und Unterschied in das Ich: „Ich setze dem Ich ein Nicht-Ich entgegen“ (XX, 396). Hegel verwendet in seiner Kritik dafür die Formel „Ich nicht = Ich“.36 Insofern die bloße Form der Handlung, das Entgegensetzen als solches, betrachtet wird, scheint die Handlung unbedingt, nicht aus der ersten Handlung des Ich abzuleiten zu sein. Im Ich der abstrakten Identität liegt für die isolierte Reflexion kein Grund des Überganges zur Differenz, ist er doch vielmehr selbst dem Entgegensetzen entgegengesetzt. Dennoch befolgt Fichte nach Hegel einen spekulativen Aspekt, wenn er den Inhalt des zweiten Satzes als vom ersten Grundsatz bedingt ausweist. In diesem Sinne könnte man doch eine Art partieller Deduktion vermuten. Der zweite Grundsatz ist nicht schlechthin unbedingt – wie allem Anschein nach der erste –, sondern seinem Gehalt nach zeigt sich die Bedingtheit darin, dass das Nicht-Ich auf der Grundlage der Identität gesetzt wird, d.h. das Nicht-Ich wird durch und in das Ich gesetzt – wie von der Erscheinung spekulativ gefordert war. Auf welche Weise der Inhalt der Entgegensetzung verstanden wird, ergibt sich aus dem Ich selbst, in dessen Identität der inhaltliche Unterschied auf_____________ 35 „[S]o wie ein leerer Geldbeutel ein Beutel ist, in Beziehung auf welchen das Geld allerdings schon, aber mit dem Zeichen minus gesetzt ist und das Geld aus demselben unmittelbar deduziert werden kann, weil es in seinem Mangel unmittelbar gesetzt ist.“ (II, 400) 36 Hegel sieht die Entgegensetzung in der Formel „A nicht= A“ bzw. „Ich nicht= Ich“ ausgedrückt, weil das Ich in der Setzung des Nicht-Ich nicht sich selbst setzt, also sich von sich als selbstsetzend unterscheidet: „Ich setzt sich als nicht gesetzt“ (II, 63). Bei Fichte selbst hingegen steht die Formel „Ich nicht= Nicht-Ich“. Man kann hierin das Bemühen Hegels vermuten, grundsätzlich von der Identität und ihrer Selbstunterscheidung auszugehen, um nicht im Vorhinein einem Dualismus von Ich und NichtIch anheim zu fallen. Damit teilt er eben nicht die Grundlage der Nicht-Identität und muss die Philosophie Fichtes aus spekulativer Sicht (um)deuten.
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genommen wird. Damit könnte man vermuten, dass das Verhältnis des Absoluten zu seiner Erscheinung, dem Nicht-Ich, welches durch den Formaspekt der ersten beiden Grundsätze vernichtet zu werden droht, wieder in die spekulative Bahn zurückgelenkt wird. Dennoch bleibt das absolut Negative des Nicht-Ich in formeller Bedeutung bestehen: Dass das absolute Ich aus seiner reinen Immanenz der Selbstsetzung dazu übergehe, sich ein Nicht-Ich entgegenzusetzen, liegt nicht in derjenigen Bestimmung, die der erste Grundsatz vom Ich liefert. Erneut mischt sich das Faktum der Reflexionstrennung als unhinterfragte Grundlage in den philosophischen Diskurs. Der Widerspruch von formaler Unbedingtheit und materialer Bedingtheit, von absoluter Entgegensetzung des Nicht-Ich zum absoluten Ich und seiner Setzung im Ich, verlangt nun eine auflösende Synthese in einem dritten Grundsatz. Dieser folgt insofern dem spekulativen Modell, als er die Selbstsetzung und Entgegensetzung als relative, mithin „ideelle Faktoren“ (II, 58) im absoluten Ich aufzuheben sucht. Das Absolute soll sowohl seine reflexive Erscheinung als endliches Ich wie auch die entgegengesetzte Erscheinung des Nicht-Ich in der absoluten Identität umfassen. Der dritte Grundsatz ermöglicht eine Synthese, indem Ich und Nicht-Ich in der umfassenden Sphäre der Realität als teilbare, sich gegenseitig einschränkende Gegenpositionen gedeutet werden. Indes tritt hier ein erneuter Widerspruch auf. Denn die gesamte Sphäre der Realität, in der teilbares Ich und Nicht-Ich vorkommen, fällt keineswegs mit der Identität des absoluten Ich zusammen. Entspricht die Sphäre dem empirischen Bewusstsein, in welchem sich empirisches Ich und Objekt gegenseitig beschränken, so bleibt das absolute Ich diesem weiterhin entgegengesetzt; das reine Bewusstsein Ich = Ich und das empirische Ich = Ich + Nicht-Ich mit allen Formen, worin sich dieses konstruiert, bleiben sich entgegengesetzt. (II, 58)
Im empirischen Bewusstsein ist die „ganze Sphäre, die ich vor mir habe, [...] nicht Eines, sondern Zwei.“ (XX, 397) Der Widerspruch von Ich und Nicht-Ich gemäß der beiden ersten Grundsätze erhält eine neue Gestalt als Widerspruch des Ich selbst in seiner zweifachen Form als reines und als empirisches Bewusstsein. Die absolute Identität könnte nur dann umfassend sein, wenn sie die gesamte Sphäre in sich enthielte, worin sich das teilbare Ich und NichtIch gegenüberstehen. Aber gerade auf Grund der Teilbarkeit der Sphäre, ihrer notwendigen Zweiheit, kann sie nicht in das absolute Ich des ersten Grundsatzes, die bloß abstrakte Identität, fallen. Darin zeigt sich nun die Unbedingtheit des dritten Grundsatzes in materialer Hinsicht, insofern dieser Grundsatz mit der Teilbarkeit eine Inhaltsbestimmung
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vornimmt, die aus den vorherigen Grundsätzen nicht abgeleitet werden kann. Daher vermag Fichte auch mit dem dritten Grundsatz nicht, den Dualismus zu überwinden. Die Mangelhaftigkeit der Grundsatzphilosophie Fichtes offenbart sich Hegel zufolge bereits einer allgemeinen Analyse des Versuchs, das spekulative Verhältnis in Grundsätzen auszudrücken.37 Denn die ursprüngliche Identität von Subjekt und Objekt, das spekulative Prinzip überhaupt, welches nach Hegel bestimmend war für Fichtes gesamtes Vorhaben, kann von der Reflexion nicht ohne Widerspruch in einem einzelnen Satz fixiert werden, da es für die isolierte Reflexion antinomisch strukturiert ist. Das Ich = Ich verstanden als spekulatives Prinzip enthält in sich sowohl Identität als auch Entgegensetzung in ihrer Einheit. Sollte die Reflexion es dennoch in einem Grundsatz auszudrücken versuchen, dann nur dadurch, dass sie einen einzelnen Aspekt am Absoluten mittels Abstraktion herausgreift und fixiert. Wir erhalten auf diesem Weg den ersten Grundsatz Fichtes, der die absolute Identität in ihre abstrakte Erscheinung verlegt: Ich = Ich wird verstanden als Ausdruck der reinen Identität. Um nun dennoch beiden Aspekten des Absoluten Rechnung zu tragen, muss der zweite Aspekt, die Differenz, in einem weiteren Satz festgehalten werden. Beide Sätze widersprechen sich, indem sie durch gegenseitigen Ausschluss des jeweils anderen gewonnen wurden, mithin bedingen sie sich gegenseitig. Genauer: Der erste Satz verdankt sich der Abstraktion von der Differenz und kommt infolgedessen ohne diese nicht zustande; er ist deshalb durch die Differenz bedingt, weil er ihre Negation ist.38 Hegel zeigt also, dass auch der erste Grundsatz nicht schlechthin unbedingt, sondern zum Teil ebenso bedingt ist. Darin glaubt er sogar die Unbedingtheit des zweiten Satzes zu erkennen. Gerade dadurch, dass ein Satz den anderen bedingt, ist er unbedingt, d.i. das unbedingte Bedingende.39 Die Unbedingtheit des zweiten Satzes besteht darin, dass er die Differenz außerhalb der Identität zum Ausdruck bringt, die im ersten Grundsatz mittels Abstraktion ausgeschlossen wurde. Die Differenz ist das schlechthin Negative der abstrakten Identität; von der Form bzw. dem „Dass“ der Entgegensetzung gilt, „das Negative darin ist etwas Absolutes.“ (ebd. 396) Ebenso ist der zweite Satz durch die notwendige Beziehung auf das Ich bedingt. Differenz oder Entgegensetzung _____________ 37 Zu Hegels Kritik am Versuch, das Absolute in einem Satz auszudrücken und sein Lösungsweg mit der Konzeption des „spekulativen Satzes“ vgl. Bubner: „Strukturprobleme dialektischer Logik“. In: Bubner 1980, 22ff. 38 Das reine Bewusstsein „ist bedingt durch Abstraktion von dem empirischen“ (II, 57). 39 Vgl. II, 38: „Dieser zweite Satz ist so unbedingt als der erste und insofern Bedingung des ersten, so wie der erste Bedingung des zweiten Satzes ist.“ (eigene Herv. CB)
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sind nur möglich auf der Grundlage der Identität bzw. Selbstsetzung, was davon zeugt, dass für und durch das Ich selbst die Differenz gesetzt wird. Das Ich setzt in sich das Nicht-Ich. Formell macht Hegel diese Bedingtheit an der generellen Satzstruktur aus. Weil auch der zweite Satz eine Identitätsbeziehung von Subjekt und Prädikat vornimmt, auch wenn sie zugleich verneint wird: Ich nicht = Ich, und zudem das Subjekt der Tätigkeit, das Ich, vorausgesetzt werden muss, zeigt sich die Differenz von der Identität bedingt. Der erste Grundsatz beweist gerade dadurch seine eigene Unbedingtheit. Es wird deutlich, dass jeder Satz den Mangel des anderen ausgleicht, indem er den anderen Teilaspekt zum Ganzen der absoluten Erscheinung ergänzt. Die reine Identität partizipiert nur dann vollständig an der Absolutheit, wenn sie als Erscheinung des Absoluten verstanden wird. Zu diesem Verständnis bedarf es aber gerade der Differenz et vice versa. Insofern nun aber gerade die abstrakte Identität im ersten Grundsatz zum Absoluten erklärt wird, damit die übergreifende Einheit vor der Trennung verloren geht, kann auch eine Synthese unter absoluter Geltung der ersten beiden Sätze nicht gelingen. Aus diesem Grund müssten die ersten beiden Sätze in ihrem Absolutheitsanspruch verneint und zu bloß relativen Momenten im Absoluten überführt werden. Der erste und der zweite Grundsatz erwiesen sich hinsichtlich ihrer Unbedingtheit als unwahr; nur innerhalb der Synthese erhalten sie ihre Bedeutung als relative Identität und relative Differenz. Doch diesen spekulativen Schritt scheint Fichte nicht zu vollziehen; er perpetuiert die absolute Entgegensetzung vielmehr anlässlich des dritten Grundsatzes in Form des reinen und empirischen Bewusstseins. Zwar kann im letzteren eine partielle Synthese von Ich und Nicht-Ich konstituiert werden, doch behält die Entgegensetzung weiterhin Bestand. Auch der dritte Grundsatz fixiert seine Aussage in Entgegensetzung zu den vorherigen Sätzen, er ist insofern unbedingt. Seine Unbedingtheit in materialer Hinsicht besteht darin, dass er die „unendliche objektive Sphäre“ des Ich, die Totalität der Realität, einführt und als teilbar setzt. Mit dem Auftreten des Begriffs der teilbaren Realität vollzieht er eine Bestimmung der vorherigen Grundsätze, d.h. Ich und Nicht-Ich erhalten auf diesem Wege Realität, zuvor kam in beiden nur „ein bloßer Gedanke ohne alle Realität“ (II, 59) zum Ausdruck. Vor der Synthese bestand das Problem, dass weder dem Ich noch dem Nicht-Ich Realität verliehen werden konnte, denn es galt, wie eins eintritt, ist das andere vernichtet; aber da dieses eine bloß unter dem Prädikate des Gegenteils vom anderen eintreten kann, mithin mit seinem Begriff der Begriff des anderen zugleich eintritt und es vernichtet, kann selbst dieses eine nicht eintreten. Mithin ist gar nichts vorhanden (ebd.).
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Im dritten Grundsatz erkennt Hegel das wahre spekulative Verhältnis, worin Ich-Setzung und Entgegensetzung als bloße Momente in der Synthese vorliegen, nicht aber in absoluter Geltung. Dennoch ist auch der dritte Satz durch die vorherigen in formaler Hinsicht bedingt. Infolgedessen behalten die beiden ersten Grundsätze ihre Absolutheit. Die absolute Entgegensetzung des Nicht-Ich gilt auch für die gesamte Sphäre der Totalität, die wesentlich durch die gegenseitige Beschränkung von teilbarem Ich und Nicht-Ich bestimmt ist. Sollte eines der beiden Elemente gänzlich wegfallen, verlöre auch das andere Element seine Bestimmtheit, mithin müsste die Synthese im dritten Grundsatz scheitern. Die Geltung der Differenz bleibt absolut. Das absolute Ich bezieht seine Unbedingtheit aus der Forderung der Synthese, dass im Ich die gesamte Realität liegen soll. Da aber die Totalität der Realität durch eine Zweiheit charakterisiert ist, bleibt es – vorerst – bei der bloßen Forderung: Reines und empirisches Bewusstsein kommen nicht zur Identität, weil die Differenz des zweiten Grundsatzes absolute Geltung behält. Die Synthese ist durch das absolute Bestehen des Gegensatzes bedingt. Die Identität, die in ihr dargestellt werden soll, kann nur relativ und partiell sein. Mit dieser Kritik an der Grundsatzphilosophie Fichtes hat Hegel allem Anschein nach die Widersprüchlichkeit dieses Modells bewiesen. Kein Grundsatz ist im wahren Sinne des Wortes als absolut zu bezeichnen. Jeder bedingt die anderen und ist durch die anderen bedingt. Das zirkuläre Bedingungsverhältnis der Grundsätze offenbart, dass es sich nicht um Grundsätze, d.h. um Sätze, deren Wahrheit unabhängig vom Ganzen besteht, handeln kann. Es ist klar, dass sie nicht als Grundlage eines absolut geschlossenen Systems dienen können.40 Nichtsdestoweniger wendet sich Hegel nun dem weiteren Verlauf der Fichteschen Ausführungen zu, nämlich der theoretischen und praktischen Philosophie, und damit dem eigentlichen Feld der Deduktion. Sein Beweisziel wird weiterhin sein zu zeigen, dass die absolute Entgegensetzung von reinem und empirischem Bewusstsein trotz verstärkter Syntheseanstrengungen Gültigkeit behält, weshalb das absolute Ich niemals in seine objektive Erscheinung zu gelangen vermag, das empirische Ich aber nicht aus der gefühlten Zerrissenheit angesichts der Welt befreit wird, die es zur Philosophie geführt hat. Dass das Ich sich nicht objektiv wird (ebd. 56), ist die Formel, welche beide Sachverhalte _____________ 40 Hegel setzt also voraus, dass Fichte eine Grundsatzphilosophie zur Darstellung der absoluten Identität intendierte; er hält diese Philosophie folglich an sein eigenes spekulatives Modell. Was ihm und allen anderen Interpreten in seinem Gefolge entgeht, ist die praktische, eben nicht gänzlich theoretisch zu begründende Wurzel der Fichteschen Philosophie (s. Dritter Teil dieser Arbeit).
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zum Ausdruck bringt. Weder vermag das absolute Ich eine objektive Totalität zu umfassen, noch das empirische Ich im Objekt etwas Anderes zu finden, als ein Entgegengesetztes. Die deduktive Zusammenführung des reinen und des empirischen Bewusstseins auf der Grundlage des dritten Grundsatzes muss zunächst im Bereich der theoretischen Philosophie vollzogen werden. Darin setzt sich das Ich als beschränkt durch das Nicht-Ich. Die Deduktion erbringt eine „Mannigfaltigkeit von Tätigkeiten [...], welche der Mannigfaltigkeit des empirischen Bewusstseins gleich ist“ (ebd. 64). Während dem empirischen Ich die Beschränkung, die es vom Nicht-Ich erfährt, als gegebenes Sein erscheint, erkennt der transzendentale Idealist, dass die gesamte Wirklichkeit durch die konstitutive Leistung der Tätigkeiten des Ich, also durch Selbstbestimmung, hervorgebracht wird. Diese Tätigkeiten implizieren die Kategorien. Das Ich setzt sich selbst als beschränkt, damit setzt es seine eigene Beschränkung in Form einer objektiven Wirklichkeit durch seine Tätigkeiten. Diese Tätigkeiten werden nun auch dem empirischen Bewusstsein unterstellt – allerdings mit der Beschränkung, dass sich dieses seiner eigenen Leistung nicht bewusst wird und daher seine Konstitutionsprodukte als entgegengesetztes Sein versteht. Die objektive Welt soll sich durch die Philosophie als ein bloßes „Akzidens der Intelligenz“ erweisen, erzeugt durch deren Selbstbestimmung. Die Substantialität ist diejenige Kategorie, welche die theoretische Philosophie in ihrem Streben nach Identität am angemessensten beschreibt (ebd. 63). Während das Ich in absoluter Selbstständigkeit besteht, kommt dem Nicht-Ich nur insofern Sein zu, als es vom Ich gesetzt wird. Die Beschränktheit bzw. Bestimmtheit des Ich wird durch die philosophische Betrachtung in das Ich selbst verlegt als Produkt seiner Tätigkeiten. Dennoch reicht – wie wir im Fichte-Teil unserer Arbeit gesehen haben – das absolute Ich zur Erklärung der theoretischen Tätigkeiten nicht aus. Zwar werden die theoretischen Tätigkeiten des Ich als Selbstsetzung seiner Beschränktheit gedeutet und somit im absoluten Ich verortet, doch bleibt das Warum der Selbstbestimmung letztlich ungeklärt. Damit stößt die theoretische Philosophie Fichtes an ihre Grenzen. Sie kann das schlechthin Beschränkende nicht im Ich auffinden und lässt es als unendlichen Anstoß ohne weitere Begründung stehen. In der Konzeption des Anstoßes zeigt sich die Bedingtheit des reinen vom empirischen Bewusstsein und dessen Entgegengesetztsein zu einem Nicht-Ich, also das Faktum der Reflexionstrennung in Reflexion und Gegenstand. Die Deduktion der theoretischen Kategorien vollzieht sich auf der Grundlage dieses Mangels des absoluten Ich, das seine inhaltliche Bestimmtheit nicht aus sich selbst zu erbringen ver-
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mag, sondern auf eine absolute Entgegensetzung und damit Fremdbestimmung angewiesen ist. Jede deduzierte Tätigkeit setzt zwar das Nicht-Ich als Selbstsetzung des Ich in Form einer kategorialen Bestimmtheit, doch bleibt das Nicht-Ich als ursprüngliche Beschränktheit stets ein Äußeres. Dies treibt Fichte zu weiteren Deduktionsschritten, die jedoch niemals den ursprünglichen Mangel auszugleichen vermögen. Alle Bestimmtheit, die das Ich in sich setzt, gründet auf einer unerklärlichen Beschränktheit, die durch die deduzierten Bestimmtheiten nicht eingeholt werden kann; es folgt eine unendliche Deduktion von Endlichkeiten.41 Letztlich beharrt der Anstoß als die von den formalen Reflexionstätigkeiten niemals einzuholende Konkretheit des Lebens bzw. des empirischen Bewusstseins, die doch Gegenstand der Darstellung der Philosophie sein sollte.42 Wie sich das absolute Ich in den theoretischen Tätigkeiten niemals objektiv realisieren kann, da die gesetzten Bestimmtheiten auf einer Fremdbestimmtheit gründen, so zeigt sich das gleiche Problem in der Bewusstlosigkeit der Tätigkeiten des Ich für das empirische Bewusstsein. Weil es sich nicht in seiner Konstitution der Wirklichkeit erfassen kann, sondern die Objekte als gegebenes Sein deutet, kann für das empirische Bewusstsein die Entgegensetzung nicht mittels der bewusstlosen theoretischen Tätigkeiten aufgelöst werden. Weder die absolute Selbstbegründung des Systems noch das Bedürfnis nach Einheit, weder wissenschaftliches noch lebensweltliches Streben, werden in Fichtes theoretischer Philosophie befriedigt. Die letzte spekulative Hoffnung könnte man in Fichtes praktische Philosophie setzen. Die Objektivierung des Ich geschieht in diesem Fall durch bewusste, mithin freie Tätigkeiten, womit „Ich sich selbst in das Objekt metamorphosiere“ (ebd. 67). Mit dem praktischen Handeln hat die Deduktion endgültig das empirische Bewusstsein erreicht, das angesichts der es beschränkenden Wirklichkeit mit vollem Bewusstsein einheitsstiftende Tätigkeiten zu vollziehen vermag. Die dominante Kategorie im Praktischen ist die Kausalität, mittels derer das Ich auf das Nicht-Ich einwirkt. Im Gegensatz zum Theoretischen scheint hier eine _____________ 41 Das „System, das vom Sich-selbst-Setzen ausgeht, führt die Intelligenz zu ihrer bedingten Bedingung in ein Endloses von Endlichkeiten fort, ohne sie in ihnen und aus ihnen wiederherzustellen.“ (II, 67) Dies hatten wir bereits in der Erörterung der Deduktion als Methode der Transzendentalphilosophie herausgestellt (erster Teil I.2.). 42 Dieser Anstoß verstanden als lebendige Konkretheit und dessen Undarstellbarkeit in Fichtes Philosophie sind es, die Hegel in allen angewandten Philosophieteilen auf abgewandelte Weise immer wieder zum Formalismusvorwurf verleiten. Anders gesagt: Fichtes Entgegensetzung von Philosophie und Leben birgt schon die Unterscheidung von philosophischer Form und lebendigem Inhalt in sich, die auch im weiteren Verlauf seiner Philosophie nicht mehr überwunden werden kann.
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Synthese von Ich und Nicht-Ich möglich, insofern das empirische Bewusstsein danach strebt, das absolute Ich im Nicht-Ich wiederherzustellen und sich daher selbst als Erscheinung des Absoluten aufzuheben. Das absolute Ich tritt im empirischen Bewusstsein in Form einer Idee auf. Zudem gilt das Bemühen der Aufhebung der Widerständigkeit des Nicht-Ich gegen das Ich, also genau desjenigen Elementes am Nicht-Ich, das im Theoretischen als unhintergehbare Voraussetzung eines Anstoßes gedacht wurde. Sollte es gelingen, den Anstoß in die absolute Immanenz des Ich zu überführen, wäre das spekulative Verhältnis wiederhergestellt. Das absolute Ich wäre Urheber der gesamten Wirklichkeit. Dennoch bleibt es bei dieser bloßen Forderung, da auch die Kausalität allein auf der Grundlage eines äußerlichen Anstoßes wirksam wird. Die Freiheit des Ich besteht darin, die objektive Welt zu vernichten, um überall, wo Nicht-Ich ist, Ich zu setzen und damit der absoluten Selbstbestimmung des Ich entgegenzuarbeiten. Die freien Tätigkeiten sind subjektiv und bedürfen zu ihrem Vollzug einer Objektivität, jedoch werden sie niemals selbst objektiv, da dies ihrer Natur als subjektiven Tätigkeiten widerspräche. Objektiv ist gerade das NichtIch, das vernichtet werden soll. Die Freiheit dieser praktischen Tätigkeiten ist nur negativ, sie vermag es nicht, die Objektivität des NichtIch, seine Widerständigkeit gegen das Ich, vollkommen aufzulösen, „weil diese Freiheit nur ist, indem sie negiert, und nur negieren kann, solange das ist, was sie negiert.“ (ebd. 424) Wie schon im Theoretischen, so weist Hegel auch im Praktischen Fichte einen Formalismus nach: Die negative und damit formale Freiheit findet niemals einen konkreten Gegenstand ihres Vollzugs, deshalb muss sie an der Konkretheit des Lebens vorbeigehen. Ebenso wie nach Hegel das Absolute der Philosophie Fichtes auf Grund der Abstraktion nur den abstrakt-negativen Aspekt umfasst, zeigt sich die praktische Freiheit ausschließlich in ihrer negativen Dimension in Entgegensetzung zum Nicht-Ich. Das Kausalitätsverhältnis im Begriff der Freiheit deutet ebenso auf die Voraussetzung eines Anstoßes, ohne den jedes praktische Verhalten unmöglich wäre. Die Ursache bedarf stets eines selbstständigen Substrats, auf das sie einwirken kann, ohne es als Substrat zu ändern;43 der Anstoß bleibt als unerreichbares Jenseits bestehen. In diesem Sinne erweist Hegel – wie bereits das Substantialitätsverhältnis im Theoretischen – die Kausalität als mangelhafte Kategorie zur Beschreibung der freien Selbstbestim_____________ 43 Dies hatte Fichte in seiner praktischen Philosophie mittels der Unterscheidung von Form und Materie der Gegenstände, auf die das Vernunftwesen einwirkt, angedeutet. Zwar kann ich die Form der Dinge ändern, ihre Materialität bleibt aber dennoch bestehen (s.o. S. 112). Zur Kausalität bei Hegel s. VI, 222ff.
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mung des Ich. Im kausalen Einwirken auf die Welt verharrt das empirische Ich in der Abhängigkeit eines unverfügbaren Grundes. Fichte entwirft ausschließlich eine Philosophie der negativen Freiheit, wodurch der Mensch nicht in seinem Anderen bei sich zu sein vermag. Die Philosophie verweist das empirische Bewusstsein letztlich auf die praktische Sphäre, worin Einheit niemals zu erreichen ist; das lebensweltliche Bedürfnis nach Einheit wird auf diesem Weg nicht befriedigt. Der existentielle Mangel dieser Konzeption zeigt sich ebenso auf rein wissenschaftlicher Seite: Im Begriff des Strebens sieht Hegel das endgültige Verlassen des spekulativen zugunsten des Reflexionsstandpunktes (ebd. 69), da der letztmögliche Versuch einer Synthese scheitert. Der Begriff bzw. die Formalität des absoluten Ich am Anfang des Systems realisiert sich nicht in dessen Endpunkt, die Philosophie greift somit an der materialen Objektivität vorbei. Die Idee des absoluten Ich stellt lediglich die unendliche Forderung nach Realisierung dar und ist somit ebenso formal.44 Anders gesagt: Das „Ich = Ich“ geht im „Ich soll Ich sein“ nicht in sich zurück. Die gesamte Sphäre der objektiven Wirklichkeit und damit auch zentrale Aspekte des empirischen Bewusstseins werden nicht in die Immanenz des philosophischen Standpunktes eingeholt. Fichtes Philosophie bleibt eine Abstraktion vom Leben und daher vom Leben abhängig. Das niemals in dieser Philosophie einholbare Leben vereitelt die absolute Selbstbegründung des Systems. Ob auf dem lebensweltlichen oder philosophischen Standpunkt, ebenso wie im Verhältnis beider zueinander, verharrt die Philosophie Fichtes in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis, das nicht in Richtung einer absoluten Identität überschritten werden kann. „Über die Wechselwirkung des gegenseitigen Bedingens kann die Reflexion nicht hinaus.“ (ebd. 77). Die höchste erreichbare Wahrheit dieses Systems ist die Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich, die niemals beide in einer umfassenden Synthese aufgehoben werden können.45 Trotz des _____________ 44 Der Idee-Begriff bei Hegel wird dagegen die Einheit von Form und Materie, Begriff und Dasein umfassen. 45 II, 96. Die Wechselwirkung ist nach Hegels Wissenschaft der Logik die höchste Kategorie, zu welcher sich die einfache Reflexion aufzuschwingen vermag. Ein letzter Schritt zur Überwindung dieser Stufe wird in das spekulative Verhältnis des Begriffes führen. Vgl. VI, 237. Der Mangel dieser Kategorie liegt darin begründet, dass für die Wechselwirkung die Substantialität und damit Selbstständigkeit der beiden Seiten angenommen wird, obwohl andererseits ihre Einheit in der Wechselwirkung gedacht wird: Jedes ist nur das, was es ist, durch die Einwirkung des anderen. Es ist die höchste Form des Widerspruchs von Einheit und Selbstständigkeit der beiden Momente. Auch die phänomenologische Anerkennung ruht auf der Wechselwirkung und befindet sich damit noch vor dem Eingang in die Sphäre des umfassenden Geistes. Den Übergang von
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deduktiven oder praktischen Strebens nach Einheit beharrt die Selbstständigkeit von Subjekt und Objekt. Die Wahrheit ist der Widerspruch bzw. der Gegensatz von Einheit und Gegensatz im Ich, „dieser Gegensatz der Antinomie ist das Fixierte, das Absolute“ (ebd. 70). Hegel beurteilt das System Fichtes anhand des Maßstabes seiner eigenen Theorie des Absoluten und weist es als eine für sich gesehen defizitäre Vorstufe auf dem Weg zur Darstellung der absoluten Identität aus. Der Standpunkt der isolierten Verstandesreflexion, der dem subjektiven Idealismus eignet, findet erst in der spekulativen Ansicht der Vernunft seine Überbietung, worin die selbstständigen Gegensätze in ihre Einheit aufgehoben und somit zugleich in ihrer Selbstständigkeit und Unbedingtheit negiert sind. Die Wissenschaftslehre Fichtes bringt es demnach lediglich bis zur Antinomie der Gegensätze, ohne aus dem Widerspruch heraus- und zu einer neuen Einheit hinzufinden. Grundlage dieser Kritik ist jedoch die Voraussetzung der absoluten theoretischen Selbsttransparenz in der Entwicklung der Identität zur Totalität. Hegels Fichte-Kritik zeichnet sich weniger durch einen immanenten als durch einen integrativen Charakter aus.46 Die Umsetzung dieses Projektes einer umfassenden systematischen Darstellung des Absoluten, als dessen Weges zur absoluten Freiheit, ist Hegel wohl in keiner anderen Schrift so überzeugend gelungen wie in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Darin wird der gesamte Umkreis der Wirklichkeit philosophisch durchdrungen, als Selbstkonstruktion des Absoluten von der Identität zur Totalität erwiesen. Die Enzyklopädie übernimmt mithin die Aufgabe, den Menschen aus der Mannigfaltigkeit seiner unverbundenen Kenntnisse, welche ihm versagen, die Wirklichkeit als Einheit aufzufassen, zu einem systematischen Wissen zu überführen, also sein Bedürfnis nach Einheit zu stillen. Anhand einer vorgängigen Analyse des Begriffes der Freiheit und seiner Funktion im gesamten System Hegels wollen wir im folgenden Kapitel zunächst in die Grundstrukturen seines Gedankengebäudes eindringen, um auf diesem Wege zu ermitteln, welche Kapitel der Enzyklopädie _____________
der Wesens- zur Begriffslogik aus der Perspektive von Freiheit und Notwendigkeit schildert Angehrn (Angehrn 56ff.), ebenso bei Lakebrink 357ff. 46 Es wird häufig in der Sekundärliteratur hervorgehoben, dass Hegels Kritik an philosophischen Systemen immanenter Natur wäre, also nicht von einem äußeren Standpunkt aus geschehe. Dies ist nur zum Teil richtig. Hinsichtlich des integrativen Modells von Hegel kann es keinen äußeren Standpunkt im strengen Sinne mehr geben. Dennoch übersteigt er ebenso das Selbstverständnis früherer Philosophen, wenn er seine Theorie der absoluten Identität zum Maßstab der Bewertung nimmt. Diese Kritik an der Hegelschen Philosophie erhebt auch Jürgen Habermas: „Hegel [unterstellt] von Anbeginn eine Erkenntnis des Absoluten als gegeben [...], deren Möglichkeit doch auch erst recht nach Maßstäben einer radikalisierten Erkenntniskritik noch zu erweisen wäre.“ (Habermas 18; vgl. auch 20, 35) Ebenso Baumanns 1972, 34.
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sich für eine Erörterung der Grundlagen der praktischen Freiheit des Menschen anbieten. Schließlich soll auch die Frage nach dem Verhältnis von praktischer Freiheit und Philosophie, als absoluter Freiheit, schärfer in den Blick geraten. Wenn der Philosophie die Aufgabe der Darstellung absoluter Freiheit obliegt und dies im Element des Denkens geschieht, und wenn zudem dadurch das Bedürfnis der Menschen nach Einheit und Freiheit in der Philosophie gestillt werden soll, stellt sich die Frage, welche Rolle gegenüber dem Denken noch das menschliche Handeln zu spielen hat.
II. Freiheit im enzyklopädischen System frei bin ich, wenn ich bei mir selbst bin (XII, 30)
1. Der Begriff der Freiheit Im vorherigen Kapitel haben wir bereits eine Ahnung davon erhalten, welche Dimension dem Begriff der Freiheit in Hegels gesamtem System zukommt. Ist es doch zentrales Anliegen der Philosophie, den Vollzug der Freiheit des Absoluten in der höchstmöglichen Transparenz der Selbstkonstruktion zu gewährleisten. Im Folgenden wird es Aufgabe sein, das nötige terminologische Rüstzeug für den mühsamen Weg zu einem konkreten Verständnis der Freiheit bei Hegel zu erwerben. Auf Grund der zentralen Bedeutung erfährt der Freiheitsbegriff seine Exposition und Explikation mittels einer Vielzahl anderer Begriffe, deren Verhältnis zueinander gerade wegen ihrer Vielzahl nicht leicht zu fassen ist. Wir werden daher – noch vor einer Untersuchung des Freiheitsbegriffs in concreto – versuchen, den allgemeinen Zusammenhang der zentralen Begriffe im Kontext der Freiheit grundrissartig herauszuarbeiten. Ziel ist eine Annäherung an den Begriff der Freiheit; im darauf folgenden Kapitel soll die Frage gestellt werden, auf welche Weise sich dieser Begriff realisiert. In Absetzung gegen den Fichteschen Begriff der Freiheit – einer in Hegels Augen endlichen Freiheit, welche es nicht vermag, das absolut Äußere in Gestalt des Anstoßes in die Immanenz des Ich zu überführen, obwohl sie es soll – definiert Hegel die Freiheit als ein „Im-Anderenbei-sich-Sein“. Denn eine Freiheit, für welche etwas wahrhaft Äußeres, Fremdes wäre, ist keine Freiheit; ihr Wesen und ihre formelle Definition ist gerade, dass nichts absolut Äußeres ist. (II, 476)
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Freiheit ist abstrakt das Verhalten zu einem Gegenständlichen als nicht zu einem Fremden, sie erscheint in Form der Versöhnung (XVII, 203); frei bin ich, wenn ich bei mir selbst bin (XII, 30).
Diese Bestimmung des Bei-sich-Seins offenbart die Freiheit als ein Selbstverhältnis. In seiner absoluten Gestalt ist dieses Selbstverhältnis als absolute Freiheit über alles Äußere erhaben (II, 478), es schließt sich zur Identität mit sich zusammen, der gegenüber kein äußeres Fremdes mehr Bestand hat. Es ist daher Totalität. Vollkommen oder absolut ist dasjenige Selbstverhältnis, das sich als Selbstverhältnis zu sich als solchem verhält. Indes darf man dieses Verhältnis nicht ausschließlich im Sinne einer bloßen Tautologie, eines schlichten Gleichsetzens oder einer Position des Gleichen, deuten, da man sonst dem Fehler anheim fiele, eine abstrakte Identität zum Absoluten zu erheben, der gegenüber die Differenz ein Äußeres und Beschränkendes wäre – der Grundfehler aller dogmatischen, mithin auch der Fichteschen Philosophie. Freiheit heißt, im Anderen bei sich zu sein, sich in seinem Negativen zu reflektieren, sie hat das Moment der Trennung in sich (XVII, 257). Hegel denkt sie daher im Sinne einer absoluten Negativität. Danach ist sie dasjenige Selbstverhältnis, welches sich auf sich als auf sein Negatives, d.h. Anderes, bezieht und sich infolgedessen von sich unterscheidet, um durch Negation dieses Negativen bei sich selbst zu sein.1 Ist im ersten Schritt die Freiheit durch ihr Negatives beschränkt und bestimmt, so erweist sie diese Bestimmtheit im zweiten Schritt als eigene, aus ihrer Negativität selbst gesetzte Bestimmtheit. Der Prozess der absoluten Negativität kennzeichnet die Selbstbestimmungsstruktur der Freiheit. Selbstverhältnis bedeutet auf Grund der Konzeption der absoluten Negativität, die nicht abstrakte, sondern bestimmte Negationen generiert, zugleich Selbstbestimmung. Die noch unbestimmte Identität setzt die bestimmte Differenz, um darin ihre selbst bestimmte, immanente Differenzierung zu erfassen und sich im Zuge dessen zur konkreten Totalität zu erheben. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass Hegel Freiheit mit Selbstbewusstsein bzw. Subjektivität identifiziert, die sich durch ein derartiges Selbstverhältnis oder Bei-sich-Sein auszeichnet (XII, 30). Der Begriff des absoluten Selbstverhältnisses realisiert sich nur aus dem Bewusstsein, dass das Andere nichts endgültig Unterschiedenes, sondern gera_____________ 1
Das „Negative des Negativen [...] ist [...] das innerste, objektivste Moment des Lebens und Geistes, wodurch ein [...] Freies ist.“ (VI, 563). Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs der Negativität bei Hegel s. Henrich 1974, 245ff.
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de das Selbstverhältnis ist. Die Subjektivität gilt mithin als Boden des Freiheitsbegriff (VII, 303). Im vorherigen Kapitel wurde aufgezeigt, dass Hegel im Ich = Ich weitaus mehr als eine bloße Tautologie sieht. Es ist das spekulative Prinzip, welches in seiner konkreten Bedeutung den Schlüssel zum Wirklichkeitsverständnis liefert. Das Selbstbewusstsein scheint dem gegenständlichen Bewusstsein insofern entgegengesetzt zu sein, als in letzterem die Vorstellung dominiert, dass das gegenständliche Sein vom Ich unterschieden sei. Doch wahres Selbstbewusstsein vermag auf der Grundlage dieser Differenz zu sich selbst zu finden, indem es das gegenständliche Sein als sich selbst erkennt. Darin realisiert es erst sein eigenes Wesen als absolutes Selbstverhältnis. Das Andere des Bewusstseins hat sich im Zuge dessen zum Ich zu wandeln, wie auch das Ich dafür ins Andere überzugehen hat. Da das Selbstbewusstsein nichts anderes als Freiheit ist, findet es am Ende seines Prozesses im Gegenstand seine Freiheit. Den Endzweck der Welt versteht Hegel deshalb als das „Bewusstsein des Geistes von seiner Freiheit und ebendamit Wirklichkeit der Freiheit“ (XII, 31); die Idee der Freiheit ist nur als Bewusstsein der Freiheit möglich (ebd. 540). Im Wesen der Freiheit als absolutem Selbstverhältnis liegt begründet, dass der Prozess ihrer Verwirklichung zugleich ihre absolute Selbstdurchdringung bedeutet. Beide Termini finden sich im Begriff der Selbstmanifestation vereinigt. Doch auf welche Weise kommt die Selbstbewusstwerdung der Freiheit zustande? Wie kann die Entgegensetzung von abstraktem Selbstbewusstsein und Bewusstsein in der Einheit des konkreten Selbstbewusstseins aufgehoben werden? Die Metamorphose beider entgegengesetzter Momente ineinander leistet nach Hegel das Denken. „Denken gibt dem Selbstbewusstsein das absolute Verhältnis der Freiheit“ (XIV, 151). Darin gelingt es dem Selbstbewusstsein, als reines Denken seiner selbst, im gedachten Gegenstand bei sich selbst zu sein. Im Denken bin ich frei, weil ich nicht in einem Anderen bin, sondern schlechthin bei mir selbst bleibe und der Gegenstand, der mir das Wesen ist, in ungetrennter Einheit mein Fürmichsein ist; und meine Bewegung in Begriffen ist eine Bewegung in mir selbst (III, 156).
Wie das Selbstbewusstsein nicht nur im reinen Denken seiner selbst, vielmehr im bestimmten Denken tätig und damit wirklich ist, so erfasst man die Wirklichkeit des Gegenstandes, seine wesentliche Bestimmung, nur im Denken. Selbstbewusstsein und Bewusstsein erhalten über das Denken ihre Einheit. Der Übergang zur Freiheit ist der Übergang des Selbstbewusstseins zur Allgemeinheit des Denkens (IV, 121). Deshalb sieht Hegel im Begriff, als Grundelement des Denkens, die manifestierte oder gesetzte Identität (VI, 251) ausgedrückt. Aus der
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Allgemeinheit begrifflichen Denkens lassen sich nach Hegel alle Denkbestimmungen ableiten, ohne dabei das Denken selbst verlassen zu müssen. Die Denkbestimmungen konstituieren vielmehr das in sich konkrete Denken. Die objektive Wirklichkeit wie auch das menschliche Subjekt unterliegen den Bestimmungen des Begriffs, weshalb der Mensch in der durch begriffliche Notwendigkeit bestimmten Wirklichkeit die Manifestation seines eigenen Denkens erfassen kann. Die Manifestation der Notwendigkeit in diesem Sinne nennt Hegel daher Freiheit: Im Anderen, der objektiven Wirklichkeit, ist das denkende Subjekt bei sich. Die Ableitung aller Bestimmungen aus der Selbstdifferenzierung des Begriffs ergibt und umfasst die Totalität der Wirklichkeit; der Begriff ist das Freie, ist Totalität (VIII, 307). Auf Grund dieser herausragenden Stellung des Begriffs lässt sich in seinem Elemente die Selbstbestimmungsstruktur oder einfach: die Freiheit am adäquatesten erklären. Denn Freiheit ist die Wahrheit der Notwendigkeit und die Verhältnisweise des Begriffs (VI, 246). Die Momente des Begriffs sind nach Hegel Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Dahinter verbirgt sich das spekulative Verhältnis: Der reine Begriff gilt als das schlechthin Allgemeine, welches die ursprüngliche Identität aller seiner an sich seienden Bestimmtheiten ausmacht. Die Bestimmung des Allgemeinen geschieht durch Abstraktion von den jeweiligen Besonderheiten. Damit tritt es als die eine Seite des Verhältnisses, als abstraktes Allgemeines, dem Besonderen gegenüber. Es selbst erhält seine Bestimmung durch abstrakte Negation von der Besonderheit und ist damit selbst ein besonderes Allgemeines neben der Besonderheit. In diesem Vorgang der Besonderung stellt sich das ursprüngliche Allgemeine auf eine Seite. Die Wiederherstellung des umfassenden Allgemeinen geschieht in der Einzelheit, dem „Prinzip der Individualität und Persönlichkeit“ (ebd. 297), worin Allgemeinheit und Bestimmtheit zur bestimmten Allgemeinheit bzw. der bestimmten Bestimmtheit verbunden werden und sich das Allgemeine als konkrete Allgemeinheit oder absolute Negativität setzt. In einem konkreten Denkakt, der sich mit voller Klarheit im selbstbewussten Denken einer Person vollzieht, werden die besonderen Gedanken als immanente Besonderungen, mithin als konkrete Selbstbestimmung des Allgemeinen erfasst, das in der Person zu sich kommt. Das Allgemeine ist daher die freie Macht; es ist es selbst und greift über sein Anderes über; aber nicht als ein Gewaltsames, sondern das vielmehr in demselben ruhig und bei sich selbst ist [...], denn es ist ein Verhalten seiner zu dem Unterschiedenen nur als zu sich selbst; in demselben ist es zu sich selbst zurückgekehrt (ebd. 277).
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2. Die Wirklichkeit der Freiheit Fragt man nach demjenigen Ort, an welchem die absolute Freiheit zu ihrer Verwirklichung kommt, könnte man mit Blick auf die Differenzschrift die Philosophie selbst nennen. Hegel weist in der Tat nach dem Schwinden der religiösen Kräfte der Philosophie die Aufgabe zu, die Entzweiung und Zerrissenheit im Leben des Menschen vollständig zu überwinden (II, 20ff.). Indes ist diese Antwort einseitig, wenn darin behauptet wird, die absolute Freiheit stelle sich ausschließlich und voraussetzungslos in der Philosophie ein. Denn schon der Gegenstand der spekulativen Philosophie, die (Selbst-)Erscheinung des Absoluten in der Welt, verdeutlicht, dass ebenso die gesamte Wirklichkeit Spuren dieser Manifestation an sich aufweisen muss und das Leben nicht schlechthin in Entgegensetzung zur Philosophie stehen darf. Aufgabe der Philosophie ist vielmehr, die gesamte Lebenswirklichkeit und die isolierten Kenntnisse von ihr auf ihre absolute Bedeutung und Wahrheit hin zu verstehen, um darin die Verwirklichung der absoluten Identität oder Freiheit zu erfassen, welche in der Philosophie selbst ihr Projekt der Selbstbewusstwerdung zum Abschluss bringt. Auch das konkrete Leben weist somit Verwirklichungsgrade der absoluten Freiheit auf. Die praktische Freiheit im Leben des Menschen spielt in dieser dialektischen Dynamik eine wichtige Rolle, wenn sie auch nicht hinreicht, das Absolute befriedigend zu seiner Selbstmanifestation zu bringen. Um den Stellenwert der praktischen Freiheit hinsichtlich der Freiheit des Absoluten, also der Philosophie selbst, im Vorhinein zu skizzieren – eine endgültig Klärung ist erst am Ende dieser Untersuchung zu erwarten –, empfiehlt sich zunächst eine Betrachtung des Aufbaus von Hegels philosophischem System. Es ist die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, welche den Gang der Selbstmanifestation des Absoluten zur Darstellung bringt. Sie unterteilt sich in eine Wissenschaft der Logik, eine Naturphilosophie sowie eine Philosophie des Geistes; die beiden letzteren pflegt man unter dem Namen der Realphilosophie zusammenzufassen. Sollte wirklich in der Philosophie die Darstellung der absoluten Freiheit zum Abschluss kommen, müssen sich an ihrem Aufbau die im vorherigen Kapitel genannten Bestimmungen der Freiheit aufweisen lassen. Dies gilt es im Folgenden zu verdeutlichen. In der Wissenschaft der Logik hat man es mit der eigentlichen Darstellung der Hegelschen Metaphysik in Gestalt einer rein spekulativen Philosophie zu tun (V, 16). Aus Hegels Kritik an der Transzendentalphilosophie wurde deutlich, dass Hegel eine Darstellung des
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Denkens, wie es für den Philosophen erscheint, verwirft. Er fordert vielmehr eine kritische Darstellung der Denkformen an und für sich oder ein „Entwickeln des Denkens aus sich selbst“ (VIII, 58), in dem die einseitige idealistische oder realistische Verlegung des Interesses auf subjektives Denken bzw. Sein zugunsten eines einheitlichen Blickpunktes verschwindet. Dieser resultiert aus der Überwindung der Bewusstseinstrennung und Hinwendung zum absoluten Standpunkt.2 Das Denken steht dem gemäß nicht länger einem unerkennbaren Sein an sich gegenüber, wie es Hegel bei Fichte in der absoluten Trennung von Ich und Nicht-Ich bzw. Anstoß dokumentiert sieht. Während Fichte die Bewusstseinstrennung absolut setzt, entzieht Hegel dem Ich den Status als absoluten Grundsatz und lässt es vielmehr erst aus der selbstbezüglichen Struktur des Denkens hervorgehen. Selbstbewusstsein ergibt sich anlässlich der wissenschaftlichen Entwicklung der Denkformen, gleichsam als Resultat der Selbstmanifestation des Denkens. Auch darin bleibt die Einheit von Denken und Sein gewahrt. Die reine Wissenschaft setzt somit die Befreiung von dem Gegensatze des Bewusstseins voraus. Sie enthält den Gedanken, insofern er ebensosehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie ebensosehr der reine Gedanke ist. Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewusstsein und hat die Gestalt des Selbsts, dass das an und für sich Seiende gewusster Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich Seiende ist. (ebd. 43).
Das Denken, welches sich zunächst noch nicht in seinen Kategorien manifestiert findet, durchläuft eine Bewusstwerdung hin zur Selbstreferentialität. Am Ende entdeckt es in seinen Bestimmungen, den Kategorien, nicht mehr ein bloß Anderes, sondern sich selbst. Deutlich wird dies in der Einteilung der Logik, die mit der Erörterung von Kategorien des Seins anhebt, um über Wesenskategorien letztlich zum Begriff selbst als Kategorie zu gelangen. Im Resultat, der absoluten Subjektivität bzw. der absoluten Idee, fällt Denken und Gegenstand für das Denken zusammen, es ist im Anderen bei sich und damit absolut frei. So lässt sich der Unterschied zwischen Fichte und Hegel prägnant auf die Formel bringen, dass bei jenem das Selbstbewusstsein als absolut erster Grundsatz das Denken hervorgehen lässt, bei diesem das Denken das Selbstbewusstsein – als reines Denken seiner selbst – hervorbringt.3 Die methodisch zusammenhängenden Denkformen repräsentieren die Selbstkonstruktion bzw. -bestimmung der Identität zur Totalität der _____________ 2
3
Diesen Übergang soll u.a. die Phänomenologie des Geistes von 1807 als wissenschaftliche Hinführung zur Wissenschaft leisten. Vgl. Pöggeler 170ff.; Claesges 1981; Marx. Zum Anfangsproblem von Hegels Philosophie vgl. Wieland1989; Fulda sowie eine Zusammenfassung der wichtigsten Interpretationsansätze bei Hiltscher 261ff. Vgl. Günther 130ff.
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Wirklichkeit – wie es Hegel bereits in der Differenzschrift skizziert hatte. Das Absolute zeigt sich darin in seiner Bewegung der Erscheinung und Selbstmanifestation. Die Form der wissenschaftlichen Darstellung dieses Verhältnisses ist bekanntlich das System: Die Wissenschaft [...des Absoluten] ist wesentlich System, weil das Wahre konkret nur als sich in sich entfaltend und in Einheit zusammennehmend und haltend, d.i. als Totalität ist und nur durch Unterscheidung und Bestimmung seiner Unterschiede die Notwendigkeit derselben und die Freiheit des Ganzen sein kann (VIII, 59).
Indes beinhaltet die Logik diese Konstruktion allein im Element des reinen Denkens, sie schildert das Wesen des Absoluten und seiner Erscheinung, wie es sich im „Reich der reinen Gedanken“ kundtut, ohne dabei auf seine ebenso notwendige Existenz in Raum und Zeit einzugehen. Die Logik ist „die Darstellung Gottes [...], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“ (V, 44) Erst die Realphilosophie wird diese bewusste Beschränkung der Logik zurücknehmen, um in einer Natur- und Geistphilosophie das Absolute in der konkreten Fülle seiner Existenz einsichtig zu machen.4 Anhand dieser Charakterisierung lässt sich einsehen, auf welche Weise die Hegelsche Logik mehrere Disziplinen der traditionellen Philosophie in ihrem Begriff zu vereinigen beansprucht. In Bezug auf die Realphilosophie fällt der Logik eine begründende Funktion zu, indem sie das „ewige Wesen“ des Absoluten rein für sich als Prinzip des Realen herausstellt. In Form einer Theologie übernimmt die gesamte Logik infolgedessen diejenige Aufgabe, welche bei Fichte lediglich der erste Grundsatz zu leisten suchte: die Aufstellung einer Definition des Absoluten an sich.5 Andererseits liegt in der logischen Darstellung des Absoluten nicht allein eine abstrakte Formulierung desselben, sondern ebenso seine allgemeine Erscheinungs- und Manifestationsstruktur.6 Die allgemeinen Strukturen des Absoluten sind zugleich die Denkformen an und für sich, sie begründen eine spekulative Logik, deren Darstellung mit einer Erkenntniskritik einhergeht. Durch die Einheit von _____________ 4 5
6
Es kann an dieser Stelle nicht im gebührenden Umfang auf das Verhältnis von Logik und Realphilosophie bei Hegel eingegangen werden. Vgl. dazu v.a. Puntel 61ff; Hösle 1988, 60ff. In diesem Sinne ersetzt Hegel die unmittelbare intellektuelle Anschauung Fichtes durch ein System begrifflicher Vermittlungen. Damit trennt er sich zudem auch von seiner Konzeption einer transzendentalen Anschauung, also – wenn man so will – vom Rest einer Reflexionsphilosophie, wie er sie noch in der Differenzschrift vertreten hatte. Die Konzeption einer Logik als Metaphysik ist in der Tat der entscheidende Schritt zu Hegels reifer Philosophie. Vgl. K. Düsing 1976 und S. 161 Anm. 21. Damit löst Hegel auch in der Logik den Anspruch ein, das Absolute nicht abstrakt – jenseits seiner Erscheinung, sondern vielmehr als Einheit seiner und seiner Erscheinung zu fassen – wie es sich bereits in der Differenzschrift ergeben hatte.
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Denken und Sein enthält die Logik zugleich die allgemeinen Seinsstrukturen der Wirklichkeit, die sich im Realen allenthalben aufzeigen lassen müssen: Die Logik ist Ontologie. Aus diesen Gründen hat man die Hegelsche Logik häufiger als eine (transzendentale) Onto-Theologik bezeichnet.7 Am Ende der Logik steht die absolute Subjektivität, mithin die absolute Idee, welche mit ihrer Entäußerung die Realphilosophie einläutet, in der sie sich frei in ihre Existenz in Raum und Zeit entlässt, um sich im Stufengang der Natur und des Geistes für sich zu manifestieren. Wir haben gesehen, dass in dieser Deutung die Logik qua Theologie das „ewige Wesen Gottes“ zur Darstellung bringt, welches schließlich zur Schöpfung der Natur und des endlichen Geistes, den Themen der Realphilosophie, vorstößt. Mit Rückblick auf die Differenzschrift erkennt man darin das Projekt wieder, aus der Perspektive der unmittelbaren Subjekt-Objekt-Identität, welche Gegenstand der Logik war, nun in einer Naturphilosophie das objektive, in der Transzendentalphilosophie bzw. Geistphilosophie das subjektive Subjekt-Objekt zur Darstellung zu bringen.8 Die gesamte Philosophie dient der Darstellung des absoluten Subjekt-Objekts, insofern sie die Konstruktion der ursprünglichen Identität über die Differenz zur konkreten absoluten Totalität beinhaltet. In diesem Sinne beschreibt die Logik die ursprüngliche Identität vor der oben beschriebenen Trennung in Subjekt und Objekt im reinen Element ihrer selbst, dem Denken. In dieser Identität ist zugleich an sich die Differenz enthalten, was bedeutet, dass das ewige Wesen Gottes in seinem Vollzug innerlich schon die Strukturen seiner Manifestation (Offenbarung) trägt, welche aber noch nicht in Form der Weltschöpfung aus ihm entlassen sind, damit die Differenz als wirkliche auch für das Absolute und so dasselbe für sich wird. Innerhalb der Logik kommt es nicht zur wirklichen Trennung von Subjekt und Objekt, weil diese Kategorien erst mit dem Beginn der Realphilosophie ihre unterschiedene Anwendung finden. Sie hat dem gemäß die immanente Erscheinungstrennung in Identität und Differenz des Absoluten zum Gegenstand, ohne bereits zu den getrennten Bereichen von Subjekt und Objekt zu gelangen. _____________ 7 8
„Transzendental“ zur Bezeichnung des erkenntniskritischen Aspekts – so bei Hösle 1988, 62. Dahinter steht die von Schelling herrührende Unterscheidung von Transzendental- und Naturphilosophie als je für sich einseitige, aber sich ergänzende Perspektiven auf das Absolute; ebenso wie die Unterscheidung von dogmatischem Realismus und Idealismus, deren spekulative Einheit Hegel intendiert.
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Auf Grund der fehlenden Trennung von Denken und Sein vermag die Logik mit den allgemeinen Denkstrukturen die allgemeinen Seinsbestimmungen der Wirklichkeit in einem zu umfassen. Verendlicht bzw. relativiert wird die Logik durch ihre Entgegensetzung zur Sphäre des Realen. Danach ist das Absolute die zu Grunde liegende Allgemeinheit abstrahiert vom Besonderen, oder bildlich: das Wesen Gottes vor der Schöpfung der Welt. In dieser Beziehung der Logik auf die Realphilosophie wird aus der unmittelbaren Allgemeinheit der Logik ein abstraktes und damit besonderes Allgemeines. Die notwendige Entgegensetzung des Absoluten und seiner Erscheinung macht auch das Absolute selbst zu einer bloß abstrakten Identität, welche an der Erscheinung ihre Äußerlichkeit und Beschränktheit besitzt. Die Logik ist insofern „nur“ Theologie, noch keine Beschreibung der konkreten Realität von Natur und Geist. Das ehemals allumfassende Allgemeine, welches in der Logik im Sinne einer Erkenntnis- und Seinslehre zur Darstellung kommt, stellt sich auf eine Seite. Als abstrakte Identität scheint die Logik daher eine bloß „formelle Wissenschaft“ zu sein – ein ebenso besonderes Allgemeines, das ausschließlich durch abstrakte Negation der gegenüberstehenden Besonderheit zustande kommt. Das Besondere gegenüber dem besonderen Allgemeinen kennzeichnet die Naturphilosophie, die Entäußerung, in welche gleichsam als Bereich absoluter Objektivität die absolute Subjektivität der Idee übergeht. Um die Bestimmtheit, welche die absolute Idee angesichts der Natur erfährt, in Selbstbestimmung zu transformieren, bedarf es des sich durchsetzenden Denkens in der Natur, worin das Absolute im Anderen sein Selbstbewusstsein konstituiert. Der Punkt, auf welchem dieses Ziel erreicht wird, stellt zugleich den Übergang in die Einzelheit, die Philosophie des Geistes, dar. Der selbstbewusste Geist ist die „konkreteste, entwickeltste Form“ der Verwirklichung der Idee. Er gilt demzufolge als „Abbild der ewigen Idee“ (X, 9), insofern deren Manifestation in der Realität im menschlichen Geist geschieht. Sein Auftreten innerhalb des Hegelschen Systems erfolgt keineswegs unmittelbar, vielmehr erscheint er als deduktives bzw. dialektisches Resultat der Entwicklungen der Logik sowie der Naturphilosophie. Auf diese Weise wird die Kritik an Fichtes Lehre vom Ursprung des Selbstbewusstseins, das über keine logische wie natürliche Vorgeschichte verfügt, zum Anlass, die rationale Gewordenheit bzw. Genesis des menschlichen Selbstbewusstseins mit in die Philosophiekonzeption aufzunehmen. Wie sich anlässlich der Darstellung des Geistes immer wieder zeigen wird, bilden denn auch absolute Idee wie Natur seine Voraussetzungen. Die philosophische Dialektik in der Geistphilosophie Hegels schildert die logisch-natürliche Genese des Geistes, an
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deren Ende sich der Geist als Einheit von logischer Idee und Natur, somit als Aufhebung ihrer Äußerlichkeit, offenbaren wird. In seinen anfänglichen Formen zeugt er auf Grund der Entgegensetzung gegen das logische Denken einerseits und die Natur andererseits von seiner Endlichkeit, sind beide doch zunächst noch nicht eingeholte Voraussetzungen seines Auftretens. Seine Entwicklung wird darin bestehen, diese Voraussetzungen zugleich als die seinigen zu setzen. Dadurch wird dem Geist offenbar, dass er selbst es war, der sich beide vorausgesetzt hat.9 Der Geist manifestiert darin sein Wesen, die Wahrheit und vor allem der Grund der Idee und der Natur zu sein, somit dasjenige, wodurch diese erst ihr Bestehen haben. Er ist das Erste, das schon am Anfang der Logik und Naturphilosophie als die schöpferische Seele beider implizit anwesend war: Der Geist bringt sich selber aus den Voraussetzungen, die er sich macht, aus der logischen Idee und der äußeren Natur hervor und ist die Wahrheit sowohl jener als dieser, d.h. die wahre Gestalt des nur in sich und des nur außer sich seienden Geistes (ebd. 24f.).
Die so vom Geist selbst vollbrachte Überwindung seiner Äußerlichkeit gegenüber Denken und Natur impliziert auch die Überwindung der Äußerlichkeit von logischer Idee und Natur selbst, insofern sich der Geist als die absolute Identität und Totalität zur Manifestation bringt. Im absoluten Geist verschwindet jedwede Äußerlichkeit zugunsten des absoluten Beisichseins des Geistes, seiner absoluten Idealität. Aus diesem Grund ergibt sich als Wesen des Geistes die Freiheit, oder formell ausgedrückt: „die absolute Negativität des Begriffes als Identität mit sich“ (ebd. 25). Alle Bestimmungen erweisen sich letztlich als vom Geist gesetzte, der mittels dieser Selbstbestimmung oder Selbstdifferenzierung sein eigenes Wesen manifestiert und darin für sich wird. Durch die Überwindung der bloßen Subjektivität der absoluten Idee und der Objektivität der Natur ergreift er sich als die Einheit beider.10 Sein Wesen besteht dabei in nichts anderem als in der Selbstmanifestation. Der Inhalt, den er offenbart, ist er selbst und er selbst ist nur _____________ 9
Den Wendepunkt von gegebenen Voraussetzungen zur Einsicht in seine Voraussetzungen vollzieht der Geist nach Hegel in der Weltgeschichte – im Übergang vom objektiven zum absoluten Geist; darin streift er seine Endlichkeit ab (X, 23). Bezeichnenderweise sind es bereits in der Differenzschrift vor allem historische Beobachtungen, die den Übergang zur Identitätsphilosophie motivieren. 10 Bereits die Bezeichnung der absoluten Idee als absoluter Subjektivität deutet den Übergang in die Natur, den noch nicht eingeholten Bereich des Objektiven, an. An und für sich kann der Unterschied von Subjekt und Objekt in der Logik nicht aufrecht erhalten werden, weil sie deren prädisjunktive Einheit darstellt. Lediglich in Bezug auf die Realphilosophie kann man hinsichtlich der Logik von der bloß in sich seienden, mithin subjektiven Gestalt des Absoluten reden.
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dieses Offenbaren, denn „seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst.“ (ebd. 27) Mit der Philosophie des Geistes erreicht das Hegelsche System seine Vollendung. Konnte man bereits die Logik als den Versuch werten, Definitionen des Absoluten zu erbringen, so findet erst im Begriff des Geistes das Absolute seinen wahrhaften Ausdruck. „Das Absolute ist der Geist; dies ist die höchste Definition des Absoluten.“ (ebd. 29) Doch auch der Geist liegt zu Beginn seiner Entfaltung noch in unmittelbarer Gestalt vor, weshalb sich seine Vollendung über mehrere Stufen zu vollziehen hat. Mit dem Geist geschieht die Aufhebung der Äußerlichkeit der absoluten Idee in die Einheit derselben, insofern sich in der Natur ein Wesen erhebt, welches die Subjektivität der absoluten Idee hervorzubringen vermag: der Mensch. Die Anthropologie schildert dieses Hervorgehen des Menschen durch Überwindung der Natur. In der Phänomenologie des Geistes konstituiert der Mensch sein endliches Selbstbewusstsein und gelangt auf diese Weise zu seiner Freiheit gegenüber der Natur. Diese Freiheit verwirklicht er subjektiv im Denken und im Willen in der Psychologie, objektiv bzw. im Bereich der Wirklichkeit im objektiven Geist. Alle diese Ebenen sind gekennzeichnet durch das Bestreben, die absolute Einheit von Subjekt und Objekt für den Geist selbst zu verwirklichen; ihre Prozessualität besteht in der zunehmenden Durchsichtigkeit und Verwirklichung, welche mit der Zunahme an Komplexität im Verhältnis von Subjekt und Objekt einhergehen. Indes erlangt der Mensch in diesen Bereichen nicht die wahre Freiheit und kommt deshalb zu keiner vollendeten Versöhnung mit der Wirklichkeit. Die absolute, mithin unendliche Freiheit übersteigt notwendigerweise den Bereich der endlichen Freiheit und offenbart sich dem Menschen im absoluten Geist. Erst in den Gebieten der Kunst, Religion und schließlich der Philosophie vermag der Mensch in seiner Einzelheit zugleich die konkrete Allgemeinheit als Totalität des Absoluten zu erkennen, welche sich in ihm zur Selbstmanifestation bringt. Im absoluten Geist gewinnt der Mensch ein Wissen, dass seine Freiheit im „Wissen und Wollen Gottes“ besteht (XVI, 218), dass nur in Gott Freiheit ist (XI, 388). Dieses Wissen um die absolute Selbstbestimmung erwirbt er in voller Selbsttransparenz in der Philosophie. Am Ende der Enzyklopädie stellt sich daher als Gegenstand der Philosophie diese selbst ein, da sie in ihrer absoluten Selbstreflexion erkennen kann, dass es ihre Funktion ist, die absolute Freiheit im reinen Denken für sich zu offenbaren. Das Bewusstsein der absoluten Freiheit erfüllt sich, sobald das Denken nur bei sich ist, im Gegenstand nichts anderes findet als sich selbst. Schildert die Philosophie die Selbstbewusstwerdung der Freiheit des Absoluten, so sind am Ende der Enzyklopädie der Ge-
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genstand und das Denken desselben nicht voneinander zu unterscheiden.11 Die Philosophie verhält sich letztlich als Selbstbewusstsein des Absoluten zu sich, ihrem Gegenstand, dem Selbstbewusstsein des Absoluten. Aus diesem Grunde nennt Hegel die Philosophie das „selbstbewusste Denken“ (X, §572) oder die „sich denkende Idee“ (ebd. §574), worin sich die absolute Identität aus ihrer Entzweiung heraus zur Totalität gestaltet und darin erfasst hat. So gelangt die Enzyklopädie wieder zum Logischen „mit der Bedeutung, dass es die im konkreten Inhalt als in seiner Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit ist.“ (ebd.) Die Subjekt-Objekt-Identität, welche in der Logik als ursprüngliche Identität zur Darstellung kam, hat sich am Ende als die konkrete Allgemeinheit hergestellt und ihre ursprüngliche Form mit konkretem Inhalt gefüllt, wodurch sie ihren anfänglichen Anspruch, die absolute Totalität zu enthalten, bewahrheitet bzw. bewährt hat. So schließt die Enzyklopädie ihren Kreis mit einer Begründung der Voraussetzung der Logik im Gang der philosophischen Wissenschaften. Die Bewegung mündet am Ende nicht auf tautologische Weise in ihren Anfang. Den konkreten Inhalt, welchen die absolute Idee im Verlaufe der realphilosophischen Entwicklungen erhalten hat, erkennt die Philosophie als notwendige Bedingung ihrer Wahrheit an, wodurch sie sich zur systematischen Totalität hat konstruieren können. Das philosophische System als Ganzes ist die ihrer selbst bewusste Wahrheit und absolute Freiheit. Das „begreifende Erkennen“, die Form, erkennt im Inhalt der Wirklichkeit sich selbst. Für die Philosophie gilt: Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozess vollendet und sich fertig gemacht hat [...]; die Eule der Minerva [d.h. die Philosophie] beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug (VII, 28).
Vor der Selbsterfassung des Absoluten im theoretischen Element der Philosophie steht die Verwirklichung praktischer Freiheit. Bevor die Philosophie im absoluten Geist über die Stufen der Kunst und Religion zu sich findet, treten in der Philosophie des Geistes der subjektive und objektive Geist in Erscheinung. Wie sich im Folgenden zeigen wird, dominiert in beiden Bereichen die praktische Freiheit.12 Sie kann daher _____________ 11 Die Unterscheidung von Darstellungsebene und Ebene des Dargestellten innerhalb der Realphilosophie ergibt sich aus der Trennung von Subjekt und Objekt. Doch schon für die Logik gilt, dass der Gegenstand, die jeweiligen Kategorien, erst in der Begriffslogik die explizite Gestalt des Denkens annimmt. 12 Bereits in der Differenzschrift hat Hegel die Einteilung in eine Naturphilosophie und eine Transzendentalphilosophie getroffen. In letzterer, welche in der Enzyklopädie nun unter dem Titel einer Philosophie des Geistes vorkommt, überwiegt nach Hegel der Anteil des Praktischen gegenüber der vorwiegend theoretischen Naturphilosophie, obzwar in beiden Disziplinen auch die Gegenseite vorkommt (II, 109).
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mit Recht als die letzte Stufe vor der Verwirklichung der absoluten Freiheit gelten. Im Folgenden soll das Wesen der praktischen Freiheit nach Hegel ergründet werden, wozu wir uns auf die betreffenden Teile der Philosophie des Geistes beziehen. Wir beginnen die folgende Untersuchung mit dem Kapitel „Selbstbewusstsein“ der enzyklopädischen Phänomenologie, genauer: aus der Philosophie des subjektiven Geistes. In diesem Abschnitt schildert Hegel die Entstehung des endlichen Selbstbewusstseins und seinen Übergang in die Allgemeinheit seiner Freiheit. Im darauf folgenden Kapitel werden mit dem praktischen Geist der Psychologie die Grundlagen des menschlichen Willens, seiner inneren freien Selbstbestimmung erörtert. Die Philosophie des objektiven Geistes stellt das Dasein dieses freien Willens in der Rechtssphäre dar. Im abschließenden Teil dieser Arbeit werden wir uns erneut der Frage zuwenden, welche Bedeutung der praktischen Freiheit im Hinblick auf die absolute Freiheit, d.h. auf das philosophische System, zukommt.
III. Die Grundlagen menschlicher Freiheit bei Hegel 1. Die negative Freiheit des endlichen Selbstbewusstseins. Phänomenologie. Der Mensch als Ort der Verwirklichung der absoluten Freiheit hat seine Voraussetzung nicht nur in den Denkbestimmungen der Logik, sondern ebenso in der Natur. Im Zuge der Erringung seiner Freiheit bedarf er daher der ständigen Auseinandersetzung mit seinen natürlichen Bedingungen, welche letztlich ihrer Eigenart, bloß äußere Bestimmtheiten zu sein, enthoben werden müssen, um die absolute Selbstbestimmung des Geistes zu ermöglichen. Solange dieser Weg noch unvollendet ist, ist der Mensch wegen seiner äußeren Natürlichkeit stets durch Heteronomie geprägt und hinsichtlich seiner Freiheit bedroht; darin besteht die Endlichkeit seiner Freiheit. Dennoch ist der Mensch ebenso der notwendige Weg aus der Endlichkeit, da ohne ihn das Absolute in bloßer Abstraktheit verharren müsste: Der Mensch widersetzt sich der Natur, um sie zu überwinden und das absolute Denken zu verwirklichen. Während die Bedeutung der Natur für die Selbstverwirklichung der Freiheit im Kapitel über die Naturphilosophie in der Enzyklopädie erörtert wird, hebt die Überwindung der Natur durch den geistigen Menschen mit der „Anthropologie“, dem ersten Abschnitt der Geistphilosophie, an. Dabei steht zu Beginn die unmittelbare Naturbestimmtheit
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des Menschen, seine einfache Einheit mit der Natur als Zeichen seiner Äußerlichkeit gegenüber dem logischen Denken bzw. der Idee. Die „Anthropologie“ schildert den Anfang eines Weges der Er-Innerung der Natur im Sinne einer Verinnerlichung ihrer Äußerlichkeit in die Idealität des Geistes. Die Sphäre des natürlichen, mithin äußerlichen Seins wird durch die anthropologische Gestalt des Geistes, die Seele, in die geistige Innerlichkeit zurückgeführt, wodurch sie ihren Charakter äußerer Bestimmtheit verliert.1 Dies geschieht dadurch, dass sich die Seele ihr Äußerliches, ihren Leib, zum Zeichen bzw. Ausdruck ihrer selbst umbildet – ein Vorgang, den Hegel vor allem in der Gewohnheit und dem konkreten Selbstgefühl der Seele (X, 197) sieht. Der durch die Natur bestimmte Leib nimmt im gewohnheitsmäßigen Verhalten einen seelisch-ideellen Ausdruck an, er wird gleichsam verinnerlicht. Indes geschieht die Verinnerlichung durch die Seele ohne Bewusstsein. So mag zwar die Gewohnheit für den Philosophen die Form einer Selbstbestimmung darstellen, nicht aber für die Seele. Ein wesentlicher Aspekt der Freiheit ist damit noch nicht erfüllt. Der notwendige Übergang der Seele zum Bewusstsein geschieht dadurch, dass die Seele für sich selbst die Idealität wird. Sie wird also von ihrer bloß unmittelbaren ideellen Identität zur „reinen ideellen Identität mit sich“ (ebd. 199), zum für sich seienden Allgemeinen erhoben wird. Das Bewusstsein ist Thema des Kapitels zur „Phänomenologie des Geistes“ der Enzyklopädie.2 Dieses Kapitel beinhaltet drei Teile: Das Bewusstsein als solches, das Selbstbewusstsein und die Vernunft. In den einleitenden Ausführungen (§§413-417) handelt Hegel von der allgemeinen Struktur des Bewusstseins, seiner anfänglichen Gestalt, dem es bestimmenden Widerspruch sowie dem damit einhergehenden Ziel: die Aufhebung des Widerspruchs in der Vernunft. Den logischen Ort des Bewusstseins bestimmt Hegel wie folgt: „Das Bewusstsein macht die Stufe der Reflexion oder des Verhältnisses des Geistes, seiner als Erscheinung, aus.“ (§413) Dabei dürfte es zunächst nicht schwer fallen, das Bewusstsein als ein Verhältnis zu verstehen, nämlich ein solches, in welchem Subjekt und Objekt voneinander geschieden und im Wissen zugleich vereint werden.3 Bewusstsein ist das Verhalten zu sich als dem Wissenden und zum die Wahrheit seines Wissens ausmachenden Ob_____________ 1 2 3
Ein ausführlicher Kommentar des anthropologischen Prozesses sowie der gesamten Geistphilosophie Hegels findet sich bei Fetscher (v.a. Fetscher 33-94). Zum Verhältnis der Phänomenologie des Geistes von 1807 und des gleichnamigen Kapitels aus der Enzyklopädie gibt Claesges einen guten Überblick über den Stand der Forschung („Zum Problem der enzyklopädischen Phänomenologie“. In: Eley 185-202). So war das Bewusstsein schon im Satz des Bewusstseins von Reinhold bestimmt (s.o. S. 15f.).
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jekt.4 Das Bewusstsein vollzieht sich mithin auf der Grundlage der Trennung oder Unterscheidung von Subjekt und Objekt, welches in der Differenzschrift als wesentlicher Grundzug der Reflexion herausgestellt wurde, nämlich die Entzweiung des ursprünglich einen Absoluten in seiner Erscheinung. Der Weg des Bewusstseins in der „Phänomenologie“ stellt daher die notwendige Aufhebung des Verstandesdenkens in der absoluten Vernunft, d.h. die Rückbindung der erscheinenden Differenz an die absolute Identität, dar. Das Bewusstsein hat sich zunächst als Resultat der dialektischen Fortbestimmung der Seele erwiesen, insofern es die Gestalt der für sich seienden ideellen Identität annimmt. Diese bewusste Selbstbeziehung bringt es mit sich, dass die leibliche Bestimmtheit, das „Naturleben der Seele“, welches in der Gewohnheit noch in innigster Einheit mit der geistigen Seele vorlag, nun im Bewusstsein von demselben ausgeschlossen wird. Das schlechthin Reale wird – dem rein idealen Bewusstsein entgegengesetzt – zum Gegenstand, indem es im Bewusstsein durch das Bewusstsein als das ihm Äußere gesetzt ist. Zugleich ist dies nur möglich, weil das Bewusstsein neben seiner intentionalen Beziehung auf den Gegenstand in sich reflektiert ist; es ist die „unendliche Beziehung des Geistes auf sich, aber als subjektive, als Gewissheit seiner selbst“ (ebd.) oder: es ist Ich. Die im Bewusstsein begründete Intentionalität ist Hegel zufolge nur möglich, indem im selben Vollzug das Bewusstsein sich erfasst, weil es nur so den Gegenstand von sich unterscheiden und entgegensetzen, mithin als Gegen-stand auffassen kann.5 Die ursprüngliche Einheit von Seele und Leib erfährt ihre Trennung in bewusstes Subjekt und mannigfaltiges Objekt, Ich und alles dasjenige, was nicht Ich ist. Hegels Bestimmung des Bewusstseins als subjektive Gewissheit oder Ich darf nun nicht dazu verleiten, es ausschließlich als eine Seite des Verhältnisses zu deuten. Bewusstsein ist nicht nur eine Seite des Verhältnisses; als dieses Verhältnis ist es vielmehr „an sich die Identität in dem Anderssein“ oder die „absolute Negativität“, da der Gegenstand nur im Setzen des Ich in die Existenz tritt, nur in der Immanenz des Bewusstseins als solcher besteht. Mit anderen Worten: An der Vorstellung, die das Bewusstsein ist, unterscheidet es sich selbst von dem in der Vorstellung liegenden Gegenstand, indem es sich in diesem Vor_____________ 4
5
Vgl. dazu die Bestimmung des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes von 1807: „Denn das Bewusstsein ist einerseits Bewusstsein des Gegenstandes, andererseits Bewusstsein seiner selbst; Bewusstsein dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewusstsein seines Wissens davon“ (III, 77). Diese Überzeugung teilt Hegel mit Fichte (vgl. Cramer: „Bewusstsein und Selbstbewusstsein“. In: Henrich 1979, 217f.).
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stellungsverhältnis als die eine Seite in subjektiver Gewissheit und zugleich den Gegenstand als die andere Seite setzt. Das Bewusstsein schreibt sich lediglich die formale Komponente der Vorstellung zu, nämlich dass es Vorstellungen hat, während es die inhaltliche Komponente, die Art und Weise der Vorstellung, als die darin liegende Wahrheit dem äußeren Gegenstand zuweist. Die Form der Vorstellung ist der bewusste Ausdruck der Seinigkeit der Vorstellungen für das Ich (§416).6 In seinem Anderen, dem Vorstellungsinhalt qua Gegenstand, ist das Bewusstsein zwar an sich, nicht aber für sich bei sich. Seine Freiheit kann daher zu Recht abstrakt genannt werden, weil es einerseits nicht in der inhaltlichen Bestimmtheit des Bewusstseins, sondern nur in dessen Form bei sich ist und andererseits – dies folgt unmittelbar aus dem ersten Punkt – der Geist nur ein defizitäres Verständnis seines eigenen Tuns besitzt. Er begreift sich eben nicht, wie er an sich als übergreifendes Verhältnis ist, sondern nur, wie er in seiner Beziehung auf den Gegenstand, nämlich als subjektive Vorstellungsform, erscheint. Die Metapher des Lichts, welche Hegel zur Erklärung des Ich hinzuzieht, mag dies verdeutlichen: Ich ist es selbst und greift über das Objekt als ein an sich aufgehobenes über, ist eine Seite des Verhältnisses und das ganze Verhältnis; – das Licht, das sich und noch anderes manifestiert (X, 199).7
Das Licht ist an sich absolute Klarheit und alles, was klar ist, erscheint im Lichte, wie auch das Licht nur dadurch in seiner Klarheit erscheint, dass es sich am Anderen seiner selbst, dem Dunklen, manifestiert. Die Manifestation des Lichtes am Dunklen unterscheidet sich indes davon, was das Licht an sich ohne Beziehung auf sein Anderes ist. In dieser Hinsicht kann man von seiner bloßen Erscheinung reden. Ein weiteres Problem stellt das Dunkle, also der Gegenstand, dar. Das Dunkle ist nur im und durch das Licht manifest als dasjenige, was es im Gegensatz zum Licht ist. Nur im Licht wird es offenbar als nicht Licht. In dieser Deutung tritt der Widerspruch des Bewusstseins deutlich zutage: Seinem Tun gemäß stellt der Geist die Identität von Subjekt und Objekt dar, weil er als Verhältnis die beiden Momente erst aus sich generiert. Das Bewusstsein als diese Tätigkeit erfasst sich nur in der subjektiven Gewissheit und stellt sich den Inhalt folgerichtig als einen selbstständigen Gegenstand gegenüber. Darin bestehen beide Seiten, _____________ 6
7
Hier übernimmt Hegel allem Anschein nach das Theorem Kants, wonach das „Ich denke“ alle meine Vorstellungen begleiten können muss (AA III, 108); jedoch in der verschärften Version Fichtes, dass in jedem Bewusstsein ein Selbstbezug vorhanden ist und nicht nur möglich sein muss. Interessanterweise verwendet Fichte selbst erst in seiner späteren Denkphase die Metapher des Lichts zur Bezeichnung des höchsten Wissen.
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Ich wie Nicht-Ich, unabhängig von der jeweils anderen. Der Gegenstand erscheint dem Bewusstsein als unmittelbar gegeben, nicht aber als in der Vorstellung gesetzt.8 Das Bewusstsein ist daher, wie das Verhältnis überhaupt, der Widerspruch der Selbstständigkeit beider Seiten und ihrer Identität, in welcher sie aufgehoben sind. (§414)
Der Geist hat sich im Bewusstsein noch nicht als solcher erfasst, insofern sein eigenes Tun seinem Selbstverständnis widerspricht. Infolgedessen verhält sich das Ich noch nicht zu sich als zu einem Verhältnis, sondern als zu einem Moment in diesem Verhältnis. Die Schilderung des Selbstverständnisses als des übergreifenden Verhältnisses erfolgt im anschließenden Kapitel über Selbstbewusstsein. Solange sich das Ich noch nicht als übergreifendes Verhältnis versteht, hat es kein Bewusstsein des Widerspruches von Tun und Sagen, von Verhältnis und Moment. Damit einher geht die Übertragung der Tätigkeiten des Geistes an das Objekt. Da sich das Ich allein im Sinne der „formellen Identität“ seiner Vorstellungen begreift, ist die durch den Widerspruch hervorgerufene dialektische „Fortbestimmung des Bewusstseins“ für das Ich durch die Veränderung des Gegenstandes motiviert (§415). Da das Bewusstsein nicht seine eigene Tätigkeit des Verhältnisses beinhaltet, beruht es auf der realistischen Prämisse der Gegebenheit der Gegenstände. Gegenüber den Gegenständen glaubt das Bewusstsein allein die Funktion des theoretisch-repräsentativen Vorstellens zu erfüllen. Das Versunkensein des Bewusstseins im Objekt, die Selbstvergessenheit seiner eigenen Tätigkeit, liegt der gesamten Stufenfolge bis zum Übergang ins Selbstbewusstsein zu Grunde. Sie ist daher eine Beschreibung der theoretischen Bezugnahme des Ich, seiner Weisen, den Gegenstand in seiner Wahrheit zu erfassen. Für das Ich stellt das Objekt das im Erkennen zu erstrebende Wahre dar. Erst mit dem Selbstbewusstsein werden sich dem Ich seine eigenen Tätigkeiten im Umgang mit dem Objekt erschließen; das Subjekt ist darin wesentlich praktisch und gründet auf der idealistischen Prämisse, wonach das Wahre aus der schöpferisch-ideellen Tätigkeit des Ich hervorgehen soll. Das Ziel der phänomenologischen Entwicklungen besteht in der Auflösung des Widerspruches der Einheit und Selbstständigkeit von Subjekt und Objekt zugunsten ihrer bewussten Vernunfteinheit. Zu _____________ 8
Vgl. §414 Z.: Das Bewusstsein „weiß noch nicht, dass der Gegenstand an sich mit dem Geiste identisch und nur durch eine Selbstteilung des Geistes zu scheinbar vollkommener Unabhängigkeit entlassen ist.“ Gebunden an das Faktum der Reflexion, der Trennung in Subjekt und Objekt, verharrt der Geist in seiner bloßen Erscheinung, ohne Einsicht in den Bezug beider Momente sowie ihrer Trennung auf das Absolute qua Geist.
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diesem Zweck bedarf es letztlich der gegenseitigen Überführung beider Seiten ineinander. Das Objekt muss ins Subjekt überführt, d.h. idealisiert werden, indem letztlich die inhaltliche Bestimmtheit und nicht nur die formale Vorstellungsbeziehung als das „Seinige“ des Ich erkannt wird. Ebenso muss sich das Subjekt objektivieren, also seine eigene Tätigkeit im Gegenständlichen realisieren, um im Anderen bei sich zu sein. Diese gegenläufigen Bewegungen bezeichnen formell gesprochen die unterschiedliche Ausrichtung der Kapitel über Bewusstsein (Objekt wird Subjekt) und Selbstbewusstsein (Subjekt wird Objekt), obzwar sich – gleichsam in sekundärer, für das Subjekt nicht thematischer Rücksicht – in beiden Kapiteln auch die entgegengesetzte Richtung aufweisen lässt. Am Ende des Weges erfasst sich der Geist als dasjenige, was er an sich von Anbeginn war: als diejenige Tätigkeit, aus welcher sowohl Subjekt wie Objekt, Selbstbewusstsein und Bewusstsein, hervorgehen. Damit ist er aber die Subjekt-Objekt-Identität oder Vernunft. Gemäß der Fragestellung unserer Arbeit, welche die praktische Freiheit in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt, wollen wir Hegels Ausführungen über das theoretische Verhalten des Bewusstseins im Folgenden nur in groben Zügen darstellen, um uns alsbald dem Übergang zum Selbstbewusstsein zu widmen. Sinnliches Bewusstsein, Wahrnehmung und Verstand sind die Etappen, welche das Bewusstsein zu durchschreiten hat, um zum Selbstbewusstsein als solchem zu gelangen. Der Fortschritt im formalen wie inhaltlichen Sinne gründet in der Subjektivierung oder Idealisierung des Objekts, welches das Ich als einen äußeren Vorgang ohne Vermittlung durch eigene Tätigkeit vorzufinden meint. Zugleich mit dieser Entwicklung erfolgt – obzwar nicht thematisch für das Subjekt – die Objektivierung des Subjekts. Die Art und Weise, wie das Bewusstsein sich als Form seiner Vorstellungen auffasst, ändert sich mit der Modifikation des Gegenstandes: Das Ich versteht sich als unmittelbares Bewusstsein, als das Wahrnehmende und schließlich als Verstand; es gelangt mithin von einer Selbstauffassung als einzelnes zu sich als allgemeines Bewusstsein, in welchem die subjektive Einzelheit keinen wesentlichen Bestandteil der Gegenstandserfahrung mehr ausmacht. Ausgangspunkt ist die Einzelheit von Ich und Gegenstand. Im sinnlichen Bewusstsein erhält der Mensch in einer nicht verallgemeinerbaren Situation einen unmittelbaren Eindruck von einem einzelnen, konkreten Sachverhalt. Da noch keine Abstraktionsleistung am Gegenstand des Bewusstseins vorliegt, wird die ganze gegenständliche Inhaltsfülle rein rezeptiv aufgenommen. Doch diese scheinbar rein rezeptive Aufnahme entpuppt sich selbst als abstrakte Vorstellungsweise, welche am
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Objekt allein den allgemeinsten Aspekt, seine abstrakte Einzelheit oder Diesheit, erkennt.9 Erst in der Wahrnehmung wird Einzelheit und abstrakte Allgemeinheit am Gegenstand bewusst gesetzt. Dies geschieht in Form der Unterscheidung von einzelnen Dingen und allgemeinen Eigenschaften, deren noch nicht begrifflich strukturierte „Vermischung“ das ganze Phänomen beschreibt. Die unmittelbare Gewissheit des Gegenstandes wird zum vermittelten (Erfahrungs-)Wissen (§420), welches das allgemeine Wesen der sinnlichen Dinge zu ergründen sucht. Das Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit gelangt von bloßer Vermischung zur verständigen Form im Verstand, dem gesetzlichen Denken.10 Dabei wird die sinnliche Mannigfaltigkeit unter die Einheit eines allgemeinen Gesetzes gebracht. Das Sinnliche wird als bloße Erscheinung eines darin waltenden Gesetzes verstanden, als äußerer Ausdruck eines ideellen, weil nur gedanklich zu fassenden Inneren. Das „Reich der Gesetze der Erscheinungen“ (§422) ist dem Anspruch nach der setzende Grund der Wirklichkeit, welche in dieser Hinsicht nur noch als Fall eines Gesetzes Beachtung erlangt: Die Einzelheit besteht durch die in ihm offenbarte Allgemeinheit. So manifestiert sich zumindest andeutungsweise die Einheit von Subjekt und Objekt, von ideellem Inneren und realem Äußeren im Gegenstand des Bewusstseins. Doch auch die Beziehung des Ich darauf erfährt einen konstruktiven Wandel, denn an sich sind das Innere der Dinge, die Gesetze, und das Ich als Inneres des Bewusstseins nicht voneinander zu unterscheiden. Derselbe Verstand, welcher die Gesetze durch das subjektive Denken entdeckt, herrscht objektiv in der Welt der Gesetze (X, 211 Z.). Zudem sind die Gesetze dem Bewusstsein nicht unmittelbar gegeben, sondern durch dessen eigene Tätigkeit vermittelt. Gesetze „gibt“ es nur, insofern sie ein Bewusstsein zur Erklärung des Sinnlichen aufstellt, ebenso wie das Ich nur dann zu den wahren Gesetzen der Welt gelangt, wenn es auf allgemeine, objektive Weise denkt. Die subjektive Gewissheit im Verstand, das Ich, wird somit ebenso wie sein Objekt zur Allgemeinheit des Denkens in einem einzelnen Denkvollzug. Die Einheit des Ich mit dem Allgemeinen der sinnlichen Dinge ist an sich durch „das Schauen des Innern in das Innere vorhanden“ (III, 135). Die Identität von subjektivem Inneren und objektivem Äußeren im Gegenstand umfasst somit auch die Beziehung von subjektivem Verstand und Objekt, so dass an sich zwischen beiden Momenten ein Unterschied besteht, der keiner ist: _____________ 9
Zur sinnlichen Gewissheit in der Phänomenologie des Geistes von 1807: Wieland: „Hegels Dialektik der sinnlichen Gewissheit“. In: Fulda 1976, 67-82. 10 Sehr anschaulich erläutert von Gadamer („Die verkehrte Welt“. In: Fulda 1976, 106130).
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In dieser Formbestimmung überhaupt ist an sich das Bewusstsein, welches als solches die Selbstständigkeit des Subjekts und Objekts gegeneinander enthält, verschwunden; Ich hat als urteilend einen Gegenstand, der nicht von ihm unterschieden ist, – sich selbst; – Selbstbewusstsein (X, §423).
Indes fehlt dem Bewusstsein noch die Einsicht in die Identität und dies aus zwei Gründen. Zum einen gehört es zum Wesen des Bewusstseins, die Wahrheit im Objekt zu suchen und nicht in sich selbst. Das Innere der Erscheinung ist daher noch nicht als das eigene Innere verstanden, sondern vielmehr als „Innerlichmachung“ durch das Objekt, d.h. als ein objektiver Sachverhalt (ebd. 204 Z.). Das Ich erkennt sich nicht im Inneren der Gesetze als den „der Welt selber innewohnenden Verstand“ (ebd. 211 Z.), weil für es auch noch das Gesetz ein zwar allgemeines, ihm gegenüber jedoch äußeres Sein ist. Diesen Mangel kann nur das Bewusstsein seiner eigenen Tätigkeit, seines eigenen Verhaltens, beseitigen, mithin indem das Ich feststellt, dass die Reflexion-insich im Objekt zugleich seine eigene Tätigkeit ist. Zum anderen zeigt sich die Äußerlichkeit des Gegenstandes an diesem selbst. Vom mannigfaltigen Inhalt der Erscheinung wird durch den Verstand auf die gesetzliche Form, vom einzelnen Ereignis auf das allgemeine Gesetz, geschlossen, ohne dass dabei die gesamte Wirklichkeit in ihrer Kontingenz aus den Gesetzen ableitbar wird. Der Gegenstand des Bewusstseins präsentiert sich folglich noch nicht in der dem Ich angemessenen Form der Selbstbestimmung, welche – wie bereits angedeutet – den Prozess von der ursprünglichen Allgemeinheit und Identität über die Mannigfaltigkeit bzw. Differenz hin zur konkreten Einheit aufweist. Der Verstand entdeckt zwar die Gesetze, weiß jedoch nicht aus den Gesetzen die äußere Erscheinung abzuleiten, d.h. das Verhältnis dialektisch zu begreifen (ebd. 211 Z.). Die Gesetze bieten sich ihm als ein totes, feststehendes Sein hinter der Erscheinung dar, als abstrakte Identität.11 Die Gegenstandsauffassung korreliert mit der Selbstauffas_____________ 11 Einige Ausführungen Hegels legen zumindest nahe, dem Bewusstsein einen weiteren Gegenstand zuzusprechen, worin die Mängel der vorherigen Stufen überwunden sind, insofern sich das Ich in seinem neuen Gegenstand eine Einsicht in die lebendige, d.h. tätige Subjekt-Objekt-Identität verschaffen kann; gemeint ist das Leben. Hösle plädiert dafür, das Leben als eine notwendige letzte Stufe des Bewusstseins zu betrachten, weil nur so der Übergang zum Selbstbewusstsein an Plausibilität gewinnt (Hösle 1988, 368f.). Dafür gibt es in der Enzyklopädie nur in den nicht von Hegel selbst aufgeschriebenen Zusätzen Gründe. So heißt es dort über das Lebendige: „An der Betrachtung desselben zündet sich das Selbstbewusstsein an, denn in dem Lebendigen schlägt das Objekt in das Subjektive um, – da entdeckt das Bewusstsein sich selber als das Wesentliche des Gegenstandes, reflektiert sich aus dem Gegenstande in sich selbst, wird sich selber gegenständlich“ (§418 Z., eig. Herv. CB; vgl. ebenso §423 Z.). Indes fehlen in der Enzyklopädie jegliche Hinweise für eine derartige Annahme; auch in der Phänomenologie des Geistes von 1807 erscheint das Leben erst im Kapitel über das
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sung des Bewusstseins, das sich angesichts der gegenständlichen Realität der Gesetze ebenso nur als abstrakte Identität oder Form und damit die Gesetze nicht als eigene Setzungen versteht. Bereits bei der Behandlung des phänomenologischen Bewusstseins wurde für den Leser deutlich, dass dieses dasjenige übergreifende Reflexionsverhältnis ist, aus welchem Subjekt wie Objekt hervorgehen. Die aus dem Widerspruch von Tun und Sagen des Bewusstseins resultierende Fortbestimmung des Gegenstandes führte zu einer Konstellation, in der an sich der Unterschied von Subjekt und Objekt fortfiel, so dass das Bewusstsein in seinem Gegenstand einer Strukturbestimmtheit begegnet, die seiner eigenen gemäß ist. Im Kapitel über das Selbstbewusstsein soll nun beschrieben werden, wie sich das Bewusstsein selbst als übergreifendes Verhältnis thematisch wird. Im Unterschied zum bloß formalen Selbstbezug, der anlässlich einer Objekterkenntnis auch schon auf der vorherigen Stufe vorlag, soll nun der Selbstbezug an die Position des inhaltlichen Gegenstandes als objektivierte, mithin bewusste Tätigkeit des Ich, rücken. Das Bewusstsein des Bewusstseins besitzt eine Gestalt, in welcher die subjektive Gewissheit (Ich) sich selbst als Gegenstand und somit zur Wahrheit hat:12 „Die Wahrheit des Bewusstseins ist das Selbstbewusstsein [...]. Der Ausdruck vom Selbstbewusstsein ist Ich = Ich“ (X, §424).13 Das Selbstbewusstsein als Bewusstsein des Bewusstseins besitzt nicht nur im Gegenstand seine Wahrheit, es weiß um diesen Gegenstand als um sich selbst, als eigene Tätigkeit. Der wesentliche Aspekt des Selbstbewusstseins besteht mithin in der bewussten Identifizierung _____________
Selbstbewusstsein. Folglich ist die Annahme Hösles abzulehnen; denn, dass ein Gegenstand auf zwei grundsätzlich differenten Stufen auftritt, also trotz Veränderung des subjektiven Verhaltens beharrt, kann wegen der Interdependenz von Subjekt und Objekt unmöglich der Fall sein. Vielmehr wird sich dieser Gegenstand erst im Rahmen des Vollzugs von Selbstbewusstsein einstellen und also auf dessen Grundlage zum Bewusstsein kommen. Wir werden darauf im Folgenden zurückkommen. 12 III, 137: „[D]ie Gewissheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewusstsein ist sich selbst das Wahre.“ 13 Zum Übergang vom Bewusstsein ins Selbstbewusstsein sei noch einmal auf den Aufsatz von K. Cramer verwiesen („Bewusstsein und Selbstbewusstsein“. In: Henrich 1979, 215-225), der jedoch daran krankt, dass er der Bestimmung von Selbstbewusstsein „nicht die Struktur des ‚Praktischen‘ einblasen“ will und sich allein theoretischen Erwägungen hingibt. Die Überlegungen scheinen sich so in einem luftleeren Raum zu bewegen, weil sie einer Verortung in den natürlich-praktischen Kontext des Subjekts entbehren. Dagegen hat Siep anhand des Prinzips der Anerkennung gezeigt, wie bereits in Hegels Jenenser Philosophie die praktische Bedeutung für die Konstitution von Selbstbewusstsein wesentlich ist. In der Phänomenologie des Geistes von 1807 hält er dieser Einsicht die Treue (Siep 1979, 203ff.). Es wäre m.E. unbegründet, diese Kontinuität praktischer Motive hinsichtlich der Genese von Selbstbewusstsein im Phänomenologiekapitel der Enzyklopädie unterlaufen zu wollen.
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von Subjekt und Objekt, in der sich mit sich selbst identifizierenden subjektiven Gewissheit. In dieser Hinsicht scheint das Selbstbewusstsein auch den Widerspruch des Bewusstseins aufgehoben zu haben. Der Widerspruch, das ganze Verhältnis und eine Seite desselben zu sein, welche dem Gegenstand gegenübersteht, verliert seine Kraft, wenn das ganze Verhältnis und der Gegenstand für das Bewusstsein selbst nicht mehr zu unterscheiden sind. Das Selbstbewusstsein verhält sich in seinem Anderen zu sich selbst. Das noch unbewusste Einheitsmoment des bloßen Bewusstseins, das ganze Verhältnis zu sein, hat sich nun zum bewussten Selbstverhältnis gewandelt, worin das Bewusstsein in seinem Bezug auf einen äußeren Gegenstand aufgehoben und nunmehr in sich reflektiert ist. Durch das Selbstbewusstsein scheint man mit dem „Reich der Wahrheit“ (III, 138) als Identität von Subjekt und Objekt, zugleich das Reich der Freiheit betreten zu haben. Nun ist jedoch die Konzeption des Selbstbewusstseins als Sonderfall des Bewusstseins, worin statt eines Fremd- ein Selbstbezug stattfindet, bereits von Fichte in ihrer Fehlerhaftigkeit ausgewiesen.14 Auch Hegel erkennt diesen Mangel, verortet ihn aber im Anfangsstadium der logisch-natürlichen Genese von Selbstbewusstsein. Danach ist es die Eigenart von Bewusstsein, den intentionalen Inhalt als einen äußeren Gegenstand abzusetzen, der unabhängig vom Bewusstseinsakt existiert. Dies soll gerade für den scheinbaren Spezialfall des Bewusstseins vom Bewusstsein nicht gelten; damit verlöre aber auch die Rede vom Selbstbewusstsein ihren Sinn. Betrachtet man die anfängliche Gestalt des Selbstbewusstseins, dann fällt auf, dass darin eine Identifizierung der subjektiven Gewissheit im Bewusstsein (Ich) geschieht, so dass Form und intentionaler Gehalt zusammenfallen (Ich = Ich). Der eigentliche Aspekt, womit sich das Bewusstsein identifiziert, ist die Form am Bewusstsein in zweiter Position, während der eigentliche Inhalt desselben als unwesentlich negiert wird. Dieser Inhalt ist aber gerade der notwendige Fremdbezug des zweiten Bewusstseins, der ebenso ermöglicht, dass das erste Bewusstsein als solches, nämlich als Bezug auf ein von ihm Unterschiedenes bestehen kann. Indem es diesen Gegenstand negiert, negiert es zugleich sich als Selbstbewusstsein, um in der tautologischen Gestalt des Ich = Ich der Unterschied zu sein, der keiner ist. Die formale Identität des Selbstbewusstseins unterscheidet sich somit vom Bewusstsein, weil es gerade keinen bestimmten Unterschied mehr in sich trägt, sondern sich durch abstrakte Negation des Unterschieds konstituiert. Für seinen Vollzug muss es das Bewusstsein mit seinem _____________ 14 Die Rede ist vom sogenannten reflexionstheoretischen Modell des Selbstbewusstseins (vgl. S. 32 Anm. 22); auch bei Cramer (vgl. vorherige Anm.).
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konkreten Gegenstand voraussetzen. Ohne gegenständliches Bewusstsein kann sich Selbstbewusstsein nicht realisieren. Demzufolge liegt es im Wesen des letzteren, zugleich Bewusstsein zu sein. Das Selbstbewusstsein zerfällt auf diese Weise in den Unterschied der formalen Identität qua Ich = Ich und des bestimmten Unterschieds des gegenständlichen Bewusstseins.15 Diesem Bewusstsein gegenüber ist die Freiheit des Selbstbewusstseins abstrakt und formal. Sie ist reine Idealität ohne Realität (§424) und damit nicht Bewusstsein, das im Sinne einer äußeren Voraussetzung dem Vollzug vorangeht und ihn von außen beschränkt. Die Aufhebung des Bewusstseinswiderspruches geschieht im Selbstbewusstsein auf die Weise, dass nun ein erneuter, aber höherer Widerspruch auftritt, nämlich derjenige von Selbstbewusstsein und Bewusstsein. Einerseits stellt das Selbstbewusstsein den Geist in seiner umfassenden Einheit dar. Indem es Bewusstsein nicht eines äußeren Gegenstandes, sondern seiner selbst, also Bewusstsein des Bewusstseins ist, beinhaltet es zugleich das Bewusstsein. Andererseits vollzieht es allein insofern seine Identität, als es die Gegenständlichkeit des Bewusstseins negiert, sich also demselben entgegensetzt und ihm gegenüber nur die tautologische Gestalt des Ich = Ich, des Unterschieds, der keiner ist, annimmt. Es ist in dieser Hinsicht das abstrakte und formale Selbstbewusstsein, abstrahiert vom objektiven und inhaltlichen Bezug des Bewusstseins. Dem gegenüber befindet sich weiterhin das objektive Bewusstsein selbst und mit ihm „die ganze Ausbreitung der sinnlichen Welt“ (ebd.), weil ansonsten der Vollzug von Selbstbewusstsein unmöglich wäre. Das Selbstbewusstsein impliziert das Wissen um die Nichtigkeit der objektiven Sphäre, es deutet sie als bloße Erscheinung, deren Wahrheit und Wesen ihre Negation im Selbstbewusstsein darstellt. Erneut tritt hier der Widerspruch auf, einerseits das umgreifende Moment und zugleich nur eine Seite des Verhältnisses zu sein; das Subjekt-Objekt begreift sich im abstrakten Selbstbewusstsein nur als subjektives, dem das Objekt noch entgegengesetzt ist. Der Unterschied zum Widerspruch des Bewusstseins liegt nun im expliziten Wissen des Ich = Ich um diesen Widerspruch, um den „Widerspruch seiner als Selbstbewusstseins und seiner als Bewusstseins“ (X, 213; eig. Herv. CB). Der für das Bewusstsein äußerliche Widerspruch, den es als eine Veränderung des Objekts wahrnimmt, ist nun ins Selbstbewusstsein erhoben. Es ist für das Ich = Ich als umgreifende Identität selbst, dass es _____________ 15 „Das unmittelbare Selbstbewusstsein hat noch nicht das Ich = Ich, sondern nur das Ich zum Gegenstande“. (X, 213 Z) Der anfängliche Mangel des Subjekts ist „sein Zerfallen in ein unterschiedsloses Ich = Ich und in ein auf ein äußerliches Objekt bezogenes Ich“ (ebd. 217 Z).
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einerseits abstraktes Ich = Ich, andererseits gegenstandsbezogenes Ich ist; in seiner Einheit findet sich das Selbstbewusstsein gespalten in zwei widersprüchliche Momente. Es erfährt diesen Widerspruch als einen inneren, d.h. unter dem Anspruch der Identität, der Auflösung des Widerspruchs durch eigene (praktische) Tätigkeit. Weil es noch kein deutliches Bewusstsein seiner übergreifenden Identität besitzt, empfindet es den Anspruch in seiner unmittelbaren Gestalt in Form eines innerlichen, noch nicht gedanklich bewussten, vielmehr gefühlten „Triebes“, aus seiner Zerrissenheit in abstraktes Selbstbewusstsein und Bewusstsein zur Einheit beider zu gelangen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch das Telos der Verwirklichung von Selbstbewusstsein. Das verwirklichte Ich = Ich hat seine sich im Widerstreit befindlichen Momente, das abstrakte Selbstbewusstsein und das gegenständliche Bewusstsein zur Einheit zu überführen, um dasjenige zu setzen, was es an sich ist, – d.i. dem abstrakten Wissen von sich Inhalt und Objektivität zu geben und umgekehrt sich von seiner Sinnlichkeit zu befreien, die gegebene Objektivität aufzuheben und mit sich identisch zu setzen (§425).
Wie beim Bewusstsein als solchem fallen hier die Bewegungen der Subjektivierung des Objekts und der Objektivierung des Subjekts im einheitlichen Sinne einer gedanklichen Verallgemeinerung beider zusammen – mit dem Unterschied, dass nun die zweite Richtung die Vorherrschaft übertragen bekommt. Das Subjekt erfasst es als Aufgabe seiner eigenen Tätigkeit, die Identifizierung mit dem Objekt hervorzubringen, selbst Grund des Gegenstandes seines Bewusstseins zu werden. Nur so kann das Bewusstsein die Äußerlichkeit seines Gegenstandes aufheben, indem es darin das eigene Produkt des Ich, also sich selbst, wiedererkennt. Als Unterschied, der keiner ist, muss das abstrakte Selbstbewusstsein den wirklichen Unterschied noch als ein äußeres Sein verstehen. Am Ende der Entwicklung hingegen soll der Unterschied und damit das Bewusstsein in die Immanenz des Selbstbewusstseins als konkret-allgemeiner Totalität aufgenommen werden. Die mannigfaltige Welt wie das einzelne Ich erscheinen dann als Momente des allgemeinen Selbstbewusstseins bzw. der Vernunft. Bevor wir den Vollzug des Selbstbewusstseins genauer betrachten werden, erscheint es sinnvoll, einen Blick auf den Gegenstand des im anfänglichen Selbstbewusstsein befindlichen Bewusstseins zu werfen. Im Gegensatz zum Verstand, dem das äußere Sein der Gesetze als das Wesentliche gilt, ist für das Selbstbewusstsein alles äußere Sein an sich nichtig. Die Wahrheit des objektiven Seins besteht in dessen vollständiger Auflösung in der selbstbewussten Subjekt-Objekt-Identität. Derje-
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nige Gegenstand, welcher für das Selbstbewusstsein ein Nichtiges darstellt und an sich mit ihm identisch ist, ist das Lebendige. Denn das Leben weist eine dem Selbstbewusstsein analoge Strukturbestimmtheit auf: Es ist im Gegensatz zum Gesetz des Verstandes dasjenige Innere, das nicht ein abstrakt Inneres bleibt, sondern ganz in seine Äußerung eingeht [...durch] den Prozess selber des Setzens und des Aufhebens der unterschiedenen Bestimmungen (X, 212 Z.).
Bereits der junge Hegel hatte zu seiner Frankfurter Zeit das Leben auf eine Weise bestimmt, welche dem Selbstbewusstsein strukturell entspricht.16 Es ist dasjenige Verhältnis, das sich in seinem Anderen nur zu sich selbst verhält, oder die Identität der Identität und der Differenz. Ebenso wie das Leben selbst, als die allgemeine Sphäre des Lebendigen, kommt auch dem einzelnen Lebendigen ein Selbstverhältnis zu, woran das Selbstbewusstsein als solches sich zu „entzünden“ (X, 212 Z.), d.h. zur Selbstmanifestation zu gelangen vermag. Wir werden nun die „Bestimmung des Lebens“ anführen, wie sie Hegel sowohl in der Phänomenologie des Geistes von 1807 als auch in der Begriffslogik entwickelt hat, um im Anschluss daran zu zeigen, auf welche Weise sich das Selbstbewusstsein als bewusstes Leben in Analogie dazu gestaltet.17 Bestand zwischen dem Reich der Gesetze und Erscheinungswelt noch eine unerklärliche Differenz, so ist das Leben für Hegel die Einheit des Inneren und Äußeren, oder besser: eine innere Einheit, welche die äußere Mannigfaltigkeit vollständig durchdringt. Etwas ist allein dann lebendig, wenn es in der objektiven Welt tätig ist, ohne vollstän_____________ 16 Vgl. dazu den Aufsatz von H.-G. Gadamer („Hegels Dialektik des Selbstbewusstseins“. In: Fulda 1976, 217-242). Im sogenannten „Systemfragment von 1800“ skizziert Hegel seine Konzeption des Lebens. Im Mittelpunkt steht dabei das unendliche Leben, der Geist. Im Gegensatz zu den starren Gesetzen der Wirklichkeit, welche zum Bereich des Verstandes gehörig die Mannigfaltigkeit nicht zufriedenstellend zur Identität führen, vermag die Vernunft die Einheit in den Unterschieden im unendlichen Leben zu erfassen. Der Übergang von der Gesetzmäßigkeit zum Geist erinnert dabei stark an den Übergang vom alttestamentarischen zum christlichen Denken. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Hegel oftmals das Aufkommen des Selbstbewusstseins mit dem Christentum verbindet (s. X, 302). 17 Die „Bestimmung des Lebens“ findet sich in Hegels Werk von 1807, jedoch nicht im Haupttext der Enzyklopädie. Einige Anmerkungen über diesen Gegenstand lassen sich jedoch ihren Zusätzen entnehmen. Einen Grund für diese Auslassung findet man in der speziellen Perspektive der Phänomenologie als solcher. Die Darstellung der Bestimmung des Lebens ist eine Anmerkung des Philosophen, nicht theoretischer Gegenstand des behandelten Bewusstseins selbst. Dessen Konfrontation mit dem Leben geschieht vielmehr auf praktische Weise. Das Leben als theoretischer Gegenstand wird erst in der Philosophie begriffen. Daher erfährt es seine Behandlung in der Logik wie auch in der Naturphilosophie (vgl. S. 200 Anm. 11). Auf den Unterschied von natürlichem und logischem Leben kann hier nicht eingegangen werden. Zu dieser Frage sowie zur logischen Strukturbestimmung des Lebens vgl. den Aufsatz von Greene.
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dig als Bestandteil dieser Welt aufzugehen; es besitzt ein inneres Prinzip, das aber seinerseits nur ist, wenn es sich entäußert. Mittels der Kategorie des Lebens hatte Hegel in der Logik den Bereich der absoluten Idee beschritten, der anfänglich noch unmittelbaren SubjektObjekt-Identität, welche als Begriff (Inneres) zugleich realisiert (entäußert) und deren Realisation nur Manifestation des Begriffs ist. In der Behauptung, das Leben mache die Wahrheit der gesamten Wirklichkeit, mithin das Absolute aus, gründet der Anspruch, in diesem Begriff einen einheitlichen substantiellen Selbstzweck gefunden zu haben, welcher der gesamten Welt Einheit und Sinn verleiht. Alles Geschehen und nicht-lebendige Sein lässt sich dem Vollzug des Lebens unterordnen, welches als die „absolute Allgemeinheit“ und „allgegenwärtige Seele“ den gesamten Bereich der Objektivität durchzieht und erklärbar macht (VI, 472). Das Leben ist wesentlich Manifestation seiner selbst oder „das Bestehen und die immanente Substanz seiner Objektivität“ (ebd. 473). Eine erste Objektivität erhält das Leben im einzelnen Lebendigen, dem Exemplar. Ohne Lebendiges ist kein Leben. Das Lebendige trägt die Eigenschaften des Lebens in sich: Wie das Leben ist es sich sein eigener Zweck, dies manifestiert sich in der zweckmäßigen Anordnung seiner verschiedenen Glieder und Teile, welche in ihrer Gesamtheit im Prozess des lebendigen Individuums zur Erhaltung und Reproduktion des Organismus beitragen, mithin Mittel zum Zweck des Ganzen sind. Die äußere Körperlichkeit kann nur als Bestimmung des inneren, organischen Lebensprinzips ausreichend erklärt werden. Folglich drückt sich im Leib des Lebendigen ein Selbstverhältnis und eine freilich noch niedrige Form von Selbstbestimmung aus (ebd. 475). Zur Selbsterhaltung des Organismus bedarf das Lebendige der Auseinandersetzung mit seinem Anderen, der „unorganischen Natur“ (X, 375), d.h. dem Leblosen. Ein weiteres Verhalten, der eigentliche Lebensprozess (VI, 475) findet daher zwischen dem lebendigen Individuum und der ihm gegenüberstehenden fremden Objektivität statt. Wie das Leben im allgemeinen Sinne der leblosen Objektivität bedarf, um sich darin zu verwirklichen und zu entfalten, so setzt das einzelne Lebendige als solches eine Welt voraus und drückt in seinem Verhalten zugleich die Gewissheit aus, an und für sich mit ihr identisch zu sein. Das einzelne Lebendige verhält sich als negative Einheit gegenüber seiner eigenen unorganischen Umwelt, seinem speziell ihm zugeordneten Anderen.18 Die unmittelbare Identität seiner und seiner Umwelt _____________ 18 Die Beschaffenheit der Umwelt eines Lebewesens korreliert mit dessen spezifischer Organisation. Folglich untersteht sie an sich bereits dem Lebendigen. Für dasselbe je-
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zeigt sich im Selbstgefühl und der subjektiven „Gewissheit von der an sich seienden Nichtigkeit des ihm gegenüberstehenden Andersseins“ (ebd. 480). Hegel deutet den Trieb als dasjenige Verhalten des Lebendigen, diesen Widerspruch aufzulösen, nämlich einerseits als Leben die an und für sich seiende Totalität zu sein, andererseits einer äußeren Objektivität gegenüberzustehen. Diesen Vorgang sieht Hegel in der Assimilation des Objektes durch das Lebendige bescheinigt. Durch negative Aneignung der Objektivität – so im Aufzehren objektiver Dinge – erhält sich das Lebendige als Selbstverhältnis. Doch der Lebensvollzug der assimilierenden Negation kann ohne Voraussetzung der Objektivität nicht stattfinden. Diese uneinholbare Voraussetzung findet ihren Ausdruck in der unendlichen, nur mit dem Tod endenden Aufgabe der Assimilation. Identität und Totalität des Lebens gelten nur relativ. Die wahrhafte Identität und Allgemeinheit, das absolute Selbstverhältnis des Lebens stellt sich nach Hegel erst im Gattungsprozess ein. Im Gegensatz zum bisherigen Standpunkt, wonach ein Individuum einer fremden Objektivität gegenübersteht und diese durch Vernichtung zu überwinden sucht, wird nun ein anderes, nicht-zerstörerisches Verhalten zur Objektivität beschrieben. Dafür hat letztere eine Wandlung ihrer Gestalt zu vollziehen. Im Objekt begegnet dem Lebendigen nicht länger die fremde unorganische Natur, sondern selbst ein Lebendiges. Dies führt somit zur „Verdopplung des Individuums“. Ebenso geht es dem Lebendigen nicht länger um seine einzelne Existenz, sondern um sein Allgemeines, nämlich seine Gattung, sobald es in der Objektivität einem anderen Lebendigen seiner Gattung gegenübertritt und darin sich selbst erkennt. Das Erkennen des Gattungsgenossen muss dabei im biblischen Sinne des Wortes verstanden werden. Im Vollzug der Begattung findet das Lebendige im Objekt kein reines Anderssein, sondern sich selbst qua Gattung. Auf dieser Stufe ereignet sich für das Lebendige ein Voraussetzen einer Objektivität, welche mit ihm identisch ist, und ein Verhalten des Lebendigen zu sich selbst als einem anderen Lebendigen (ebd. 484).19
Das absolute Selbstverhältnis des Lebens gelangt in der gattungsspezifischen Fortpflanzung zu seiner Wahrheit. Darin stellt sich das einzelne Lebendige in den Dienst des Allgemeinen und erhält es durch Zeugung eines weiteren Individuums seiner Gattung. Dennoch verfügen die beiden beteiligten Individuen über kein explizites Bewusstsein ihrer _____________ doch besteht die Aufgabe ihrer Aneignung zum Beweis ihrer Nichtigkeit und zur Beförderung des höchsten Lebenszwecks. 19 Wieder der junge Hegel war es, der in der Liebe dasjenige Verhältnis gesehen hatte, in dem ein Lebendiges ein anderes Lebendiges, somit das Leben sich selbst fühlt (I, 246).
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Gattungsallgemeinheit; diese handelt gleichsam instinktiv hinter ihrem Rücken. Mit der Zeugung hat das einzelne Lebendige die Pflicht an seiner Gattung erfüllt und damit zugleich seine eigene Nichtigkeit qua Individuum bestätigt. Sein Tod ist die äußerste Konsequenz der Fortpflanzung und die Macht des Allgemeinen, die zum Untergang des Einzelnen führt. Aus diesem Grund findet das Leben in seinen Exemplaren keine objektiv bestehende Manifestation. Die Allgemeinheit zeigt sich nicht in der Einzelheit per se, sondern als dasjenige, was über Erzeugung und Vernichtung des Einzelnen herrscht. Dieses unendliche Scheitern der Objektivierung vermag nur der Geist zu überwinden: In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes (ebd. 486).20
Im Gegensatz zu den natürlichen Gattungen vermag der Geist die Momente der Einzelheit und Allgemeinheit zur bestehenden Einheit zu bringen. Das einzelne geistige Individuum weiß um seine Allgemeinheit, welche nicht die Vernichtung seiner Einzelheit, sondern vielmehr deren Erhalt im gleichen Bewusstsein bedeutet. Die geistige Gattung ist das menschliche Selbstbewusstsein, worin der Mensch, indem er zu sich „ich“ sagt, zugleich seine Einzelheit und seine Allgemeinheit zum Ausdruck bringt. „Ich“ bezeichnet mich als Individuum unterschieden von allem Anderen, aber auch das allgemeine Wesen, das allen anderen Menschen gleichermaßen zukommt. „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.“ (III, 145). Die Einsicht, dass der Geist die Wahrheit des Lebens repräsentiert, bildet zunächst die Grundlage einer Analogie in der Entwicklung von Selbstbewusstsein und Leben, welche im Folgenden offensichtlich wird.21 Der Geist wird konkret im Verhalten des Selbstbewusstseins gegenüber seinem Bewusstseinsgegenstand, dem Lebendigen, womit es seine Wahrheit über das Bewusstsein und dessen Gegenstand, das natürliche Leben, demonstriert. Die bewusstlose Auflösung des Lebendigen im allgemeinen Lebensprozess stellt für den Einzelnen eine Unfreiheit dar, die nur dadurch zu überwinden ist, dass der Einzelne qua geistige Existenz das Leben selbsttätig vernichtet.22 Damit widersetzt er sich der allgemeinen Lebensdynamik und entwindet sich seiner Ein_____________ 20 Auch diese Aussage kann man im Lichte christlicher Theologie deuten (vgl. S. 205 Anm. 16). Der Tod Jesus Christi dient als notwendige Stufe in der Ankunft des heiligen Geistes. Vgl. dazu Vieillard-Baron 1999, 248ff. 21 Der Gedanke einer Analogie liegt der Aussage Hegels zu Grunde, wonach das reine Ich „die Entfaltung erhalten [wird], welche wir an dem Leben gesehen haben.“ (III, 143) 22 „[D]ie Dialektik, welche seine Natur [die Natur des Lebens bzw. des Lebendigen; CB] ist, sich aufzuheben, existiert hier als jene Tätigkeit des Ich.“ (X, 216)
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heit mit dem Leben. Die Subjekt-Objekt-Identität erfährt im tätigen Geist ihre „Diremtion“ bzw. ihr „Urteil“ in die selbstbewusste Einheit, „für welche die unendliche Einheit der Unterschiede ist“ sowie in das Leben; dies „ist nur diese Einheit selbst, so dass sie nicht zugleich für sich selbst ist“ (ebd. 139). Seinen Anspruch, die wahre Subjekt-ObjektIdentität zu sein, verwirklicht das Selbstbewusstsein auf der ersten Stufe durch die Tätigkeit der Begierde, die im Unterschied zum tierischen Assimilationstrieb bereits als erste Form des Geistes verstanden werden muss. Es handelt sich dabei um das oben angesprochene Streben nach Identität von Selbstbewusstsein und Bewusstsein, das noch auf der Grundlage eines rein formalen Selbstbewusstseins geschieht. Unter Wiederaufnahme der oben dargelegten Struktur des unmittelbaren Selbstbewusstseins sowie seines Gegenstandes, des Lebens, können wir jetzt zu einem konkreteren Verständnis der Begierde vorstoßen. Seiner anfänglichen Gestalt nach ist das Selbstbewusstsein ein einzelnes, das seinen impliziten, d.h. an sich seienden Anspruch auf Allgemeinheit zwar in sich trägt, aber noch nicht realisiert hat. Seine Einzelheit besteht mithin darin, dass es bloß abstrakte Identität ist, der sich der wirkliche Unterschied in Gestalt eines äußeren, unmittelbar auftretenden Bewusstseinsgegenstandes einstellt. Am einzelnen Lebendigen entzündet sich die Begierde, weil das Selbstbewusstsein als an sich seiende Identität angesichts des Gegenstandes von dessen Nichtigkeit überzeugt ist.23 So strebt das Subjekt der Aufzehrung des Lebendigen, seiner Rückführung in die eigene Immanenz entgegen, um so den Anspruch auf Allgemeinheit zu erfüllen. Im begehrten Objekt erblickt es nicht wie in theoretischer Einstellung ein äußerlich Existierendes, sondern ebenso sich selbst im Modus der Negation; es ist dasjenige, wessen es ermangelt.24 Die Leere seiner tautologischen Urform konkretisiert sich an einzelnen Gegenständen gleichsam als objektive Versinnlichung dessen, was eigentlich zu ihm gehört, aber de facto noch außer ihm besteht. Wie bei jedem Mangelgefühl kann auch das Ich nur deshalb Mangel und das Objekt empfinden, weil es vom begehrenden Anspruch auf absolute Fülle getrieben ist. In diesem Sinne ist die Be_____________ 23 Im Gegensatz zum theoretischen Betrachten eines Dinges, wie es auf den vorherigen Stufen beschrieben wurde, wird sich nun das Subjekt selbst thematisch und erfährt den Gegenstand erst als solchen, nämlich als widerstrebendes Nicht-Ich: „Du coup, il verra qu’en plus de la chose, il y a encore sa contemplation, qu’il y a encore lui, qui n’est pas cette chose. Et la chose lui apparaît comme un ‚objet‘ (Gegen-stand), comme une réalité extérieure, qui n’est pas en lui, qui n’est pas lui, mais un non-Moi“ (Kojève 165). 24 Vgl. §427 Z.: „Das letztere [das Subjekt] schaut in dem ersteren [dem Objekt] seinen eigenen Mangel, seine eigene Einseitigkeit an, sieht im Objekt etwas zu seinem eigenen Wesen Gehöriges und dennoch ihm Fehlendes.“
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gierde das treibende Moment, mit welchem das Ich aus seiner bloßen Einzelheit und Beschränktheit in die objektive Wirklichkeit zur Allgemeinheit drängt. Dieser Vollzug bringt die Subjekt-Objekt-Identität in zweierlei Richtung hervor. Zum einen überwindet das Ich seine bloße Subjektivität und wird für sich Identität, indem es im Aufzehren des Gegenstandes sich selbst in seiner Tätigkeit gegenständlich wird. Zum anderen wird das Objekt durch denselben Akt in das Subjekt überführt. In der Befriedigung seiner Begierde überwindet das Selbstbewusstsein seine Einzelheit und empfindet ein „Selbstgefühl“ seiner Allgemeinheit (§429). Wie das Lebendige mittels der Assimilation seines Anderen, des Unorganischen, unbewusst die Dominanz des Lebens befördert, so stellt auch das begehrende Selbstbewusstsein seine geistige Einheit durch Aufzehren seines Anderen, des Lebendigen, her – mit dem Unterschied, dass seine Einheit eine bewusste ist. Hegel betrachtet den Erfolg der Begierde nach seiner äußeren und inneren Perspektive, welche zusammengenommen die notwendige Weiterentwicklung anzeigen (§§428f.). Die äußere Seite nimmt das begehrende Selbstbewusstsein als in sich verbleibenden Vollzug im äußeren Vergleich mit dem Anspruch auf Allgemeinheit.25 Der Gegenstand, von welchem die Begierde erfüllt ist, ist ein einzelnes Lebendiges. Dadurch empfängt sie ihr Dasein und ihre Bestimmtheit. Unter Begierde versteht Hegel das Aussein auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand, das sich anlässlich konkreter Gegenstände entzündet; insofern erweist sich die Begierde als einzelne.26 In der Befriedigung gelangt das Selbstbewusstsein daher nicht zu einem allgemeinen Bestehen. Die Zerstörung eines Lebendigen überwindet nicht das Leben, das sich ständig in neuen Exemplaren reproduziert; die objektive Welt sowie das Bewusstsein kann somit nicht in die Immanenz des Selbstbewusstseins überführt werden. Wie die Begierde so geschieht auch ihre Befriedigung nur im Einzelnen und vorübergehend. „[S]o erzeugt sich in der Befriedigung der Begierde wieder die Begierde“ (§428). Aus dieser Perspektive lässt sich die allgemeine Befriedigung nur in einem „Progress ins Unendliche“, dem ewigen Wechsel ständig neu auftretender _____________ 25 Diesem Vorgehen lässt sich entnehmen, dass es sich hierbei um eine phänomenologische (wesenslogische) Ansicht handelt, welche die Erscheinung des Selbstbewusstseins mit seinem an sich seienden Wesen vergleicht. Die innere Seite hingegen blickt auf die mögliche Weiterentwicklung nach den begrifflichen Implikationen (vgl. §429 Z.) 26 Später werden wir mit den natürlichen Trieben einem allgemeinen Aussein auf etwas begegnen. Während so im Falle der Triebe eine allgemeine Sphäre möglicher Objekte gezogen wird (z.B. Nahrungstrieb als Aussein auf Essbares), ist die Begierde immer auf ein bestimmtes Objekt beschränkt und findet nur darin ihre Befriedigung. Mit dem Aufzehren dieses Objekts ändert sich auch die Ausrichtung der Begierde auf ein anderes bestimmtes Objekt usw.
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Begierden und ihrer Befriedigungen anvisieren. Dabei ist für die äußere Perspektive augenscheinlich, dass das Endziel niemals erreicht, noch überhaupt im Sinne eines Fortschritts angestrebt werden kann. Die Äußerlichkeit der Bewusstseinsgegenstände und somit der Widerspruch des Selbstbewusstseins bleiben bestehen. Das Leben ist zwar an sich nichtig, bloße Erscheinung für das Wesen des Selbstbewusstseins, doch durch Aufzehren des Lebendigen wird im gleichen Zuge die Wahrheit des Lebens bejaht. Wie das Leben nährt sich die Begierde durch permanentes Setzen und Vernichten des Lebendigen. Mehr noch: Im Versuch, das Leben zu überwinden, zeigt sich die Begierde als selbst noch dem Leben verhaftet; sie verschreibt sich dessen natürlichem Gebot der Selbsterhaltung. Einen wirklichen Fortschritt erbrächte allein ein anders geartetes Verhalten des Selbstbewusstseins zum Leben: Das Selbstbewusstsein hat die „Erfahrung der Selbstständigkeit“ des Bewusstseinsgegenstandes (III, 140) zu machen. Der Grund für die Beharrlichkeit des Widerspruches liegt im Vollzug der Begierde selbst, in ihrer Art, den Gegenstand zu negieren. Durch die einfache Negation der Zerstörung wird erstens der Gegenstand vorausgesetzt, an welchem sich die Negation vollzieht. Da ausschließlich im Vollzug die Einheit von Subjekt und Objekt, also Selbstbewusstsein, hergestellt werden kann, besteht dasselbe allein unter einer uneinholbaren äußeren Voraussetzung und widerspricht folglich dem eigenen Anspruch, die alleinige Wahrheit zu sein.27 Deshalb kann das Resultat der Begierde nicht die wahrhafte Allgemeinheit, sondern nur eine beschränkte, mithin abstrakte Einheit sein. Denn zweitens bleibt das Gegenstandsbewusstsein im Vollzug nicht erhalten. Folglich kann sich das Selbstbewusstsein darin nicht objektiv, zum Selbstbewusstsein, werden; es erlangt seine Befriedigung nur in sich selbst, in einem Selbstgefühl. Darin bekundet sich die „Selbstsucht“ der Begierde, der es hinsichtlich ihres Inhalts nicht um die Konstitution einer allgemein übergreifenden Totalität von Subjekt und Objekt zu tun ist, sondern um die Bestätigung der bloß subjektiven Einzelheit. Statt die animalische Selbsterhaltung zu überwinden, wird sie in der Selbstsucht der Begierde auf geistige Weise überhöht. Aus der äußeren Perspektive ergibt sich ein Einblick in die notwendige Weiterentwicklung des Selbstbewusstseins zu einer Stufe, auf welcher der Selbstständigkeit des Gegenstandes Rechnung getragen wird, indem die einfache Negation zugunsten einer negierenden Tätigkeit zurückgenommen wird, welche den Gegenstand bestehen lässt, um sich objektiv darin wieder zu er_____________ 27 „Aber in der Tat ist das Selbstbewusstsein die Reflexion aus dem Sein der sinnlichen und wahrgenommenen Welt und wesentlich die Rückkehr aus dem Anderssein [d.h. dem Bewusstsein]. Es ist als Selbstbewusstsein Bewegung“ (III, 138).
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kennen. Dafür muss sich ein anders gearteter Gegenstand einstellen, nämlich ein anderes Ich. Die Konfrontation zweier Subjekte schildert Hegel im nun einsetzenden Prozess der Anerkennung. Im Gegensatz zur äußeren Perspektive, welche den allgemeinen Rahmen andeutet, in der sich Selbstbewusstsein allein wahrhaft konstituieren kann, weist die innere Perspektive auf die Möglichkeit der unmittelbar folgenden Stufe. Für das Subjekt ist die Befriedigung, welche es angesichts einer erfüllten Begierde im Selbstgefühl empfindet, nicht allein unter dem Aspekt der Einzelheit zu fassen. Denn in der Tat vollzieht sich die Befriedigung durch die Aufhebung der Einzelheit der Begierde und deshalb „enthält das Resultat die Bestimmung der Allgemeinheit und der Identität des Selbstbewusstseins mit seinem Gegenstande.“ (§429) Die Befriedigung verschafft dem Subjekt trotz ihres ephemeren Charakters ein inneres Gefühl der allgemeinen Identität von Subjekt und Objekt, da sie den Fall eines geglückten Zusammenfallens beider Momente offenbart.28 Es ist der kurze Augenblick der Ruhe, des Stillstandes der gesättigten Begierde, worin das Subjekt seine abstrakte Unbestimmtheit durch äußere Faktoren empfindet und dabei glaubt, sich selbst zu genügen. Das Fehlen der objektiven Dimension dieser Identität bewirkt, dass sich das Selbstbewusstsein nicht objektiv werden kann und lediglich in einem subjektiven, einzelnen Gefühl seiner (abstrakten) Allgemeinheit gewahr wird. Die Möglichkeit eines Überganges ergibt sich dann, wenn das Selbstbewusstsein erkennt, dass es „in der Tat ein Anderes als das Selbstbewusstsein [ist], das Wesen der Begierde.“ (III, 143) Die Begierde bindet das Subjekt an eine vorgegebene, d.h. seiende Einzelheit, welche seinem allgemeinen Wesen widerspricht und es an der Entfaltung hindert. Den jeweils einzelnen Inhalt der Begierde bestimmt nicht das freie Subjekt. Es findet vielmehr immer wieder ein bestimmtes Begehren in sich und somit einen vorgegebenen Inhalt. Dies verdeutlicht, dass die Begierde noch dem natürlichen Sein verhaftet bleibt und nicht die „reine Tätigkeit“ des Selbstbewusstseins darstellt. Mit der Begierde vermag das Ich keineswegs seine Souveränität über das natürliche Leben zu demonstrieren, vielmehr scheint es sich selbst dem Vollzug des Lebens einzuschreiben: Das Auftreten und Zerstören immer neuer lebendiger Objekte erfüllt nicht den Anspruch des Selbstbewusstseins, durch seine Negation das Einzelne nicht zu zerstören, _____________ 28 Hierin ist auch der Grund zu suchen, weshalb dem Subjekt nach der äußeren Seite die Gefahr eines unendlichen Prozesses droht. Die momentane Befriedigung bestärkt es gleichsam im Glauben an seine Allmacht und darum verzweifelt das Subjekt nicht an der Unendlichkeit seines Strebens, sondern verfolgt die neue Begierde mit dem gleichen Ernst.
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sondern aus der Allgemeinheit zu generieren. Die Begierde kennzeichnet das noch natürliche Selbstbewusstsein. Deshalb muss sich das Selbstbewusstsein auf der folgenden Stufe die noch natürliche Begierde als das Andere, d.h. als Gegenstand gegenüberstellen, um durch ihre Überwindung zum freien geistigen Vollzug zu gelangen. Der Gegenstand auf dieser neuen Stufe ist die Andersheit der Begierde bzw. ein anderes begehrendes Ich.29 Der Prozess des Anerkennens schildert die notwendigen Etappen des Selbstbewusstseins auf dem Weg zu seiner Objektivierung, seinem Bei-sich-Sein im Anderen. Auf welche Weise die gegenseitige Anerkennung zweier Subjekte die Widersprüchlichkeit im Selbstbewusstsein zu lösen vermag, wird erst am Ende der Entwicklung deutlich.30 In unmittelbarer Gestalt begegnen sich zwei Subjekte „als ein Anderes für ein Anderes“ (§430). Diese seinslogische Bestimmung hebt hervor, dass beide Subjekte zunächst in ihrer Unmittelbarkeit – „in der Weise gemeiner Gegenstände“ (III, 148) – füreinander in Erscheinung treten. Doch ebenso sind beide Selbstbewusstsein. Das eine Subjekt weiß unmittelbar, dass das Andere nicht nur etwas Anderes schlechthin ist, sondern dass es selbst für das Andere ein Anderes ist, d.h. das Andere besitzt ein Fürsichsein und ist darin mit dem Subjekt identisch. Indes haben beide Seiten noch nicht ihre gemeinsame Identität für sich und den Anderen offenbart. Aus diesem Grund begreift das Subjekt, dass es selbst für den Anderen zunächst ein Anderes ist. Weil es trotz seiner an sich seienden Identität für den Anderen ein Anderes ist, ist es als Anderes sich selbst gegenüber ein Anderes, oder: durch das Bewusstsein, für ein Anderes ein Anderes zu sein, ist es sich selbst ein Anderes. Das Subjekt hat diese gemeinsame Andersheit aufzuheben, um mit sich und dem Anderen identisch zu werden. Von der vorherigen Stufe wissen wir, dass das Andere des Selbstbewusstseins die Begierde ist; demnach ist die Überwindung der eigenen und der fremden Begierde zentrales Bestreben beider Subjekte. _____________ 29 „Le Désir n’est humain – ou plus exactement ‚humanisant‘, ‚anthropogène‘ – qu’à condition d’être orienté sur un autre Désir et sur un autre Désir. Pour être humain, l’homme doit agir non pas en vue de se soumettre une chose, mais en vue de se soumettre un autre Désir (de la chose)“ (Kojève 169). Eine Darstellung des Zusammenhangs aus selbstbewusstseinstheoretischen Erwägungen findet sich bei G. Römpp (Römpp 213). 30 Doch für die Problematik des Selbstbewusstseins lässt sich bereits die Lösung skizzieren: „Der innere Unterschied von Ich zu Ich, der im Selbstbewusstsein liegt, kommt jetzt zur Erscheinung, wird der wirkliche Unterschied des Wir, die Ich und Du, reales Ich und reales anderes Ich sind“ (Gadamer: „Hegels Dialektik des Selbstbewusstseins“. In: Fulda 1976, 228).
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Die Andersheit beider Subjekte für- und gegeneinander besteht in ihrer natürlichen Leiblichkeit und selbstsüchtigen Begierde, wodurch sie voneinander getrennt sind. Auf der vorherigen Stufe erfasste sich das Subjekt im Selbstgefühl seiner Allgemeinheit, welche bloß im subjektiven Inneren unmittelbar auftrat und daher noch kein Objektivwerden des Selbstbewusstseins gewährte. Die bloße Innerlichkeit und das Fehlen der Objektivität erweisen die Subjekte als „in das Sein des Lebens [...] versenkte Bewusstsein[e]“ (III, 148), welche ihre Dominanz gegenüber dem natürlichen Sein noch nicht manifestiert haben. In der Wirklichkeit stehen sich zwei Subjekte gegenüber, welche am jeweils anderen noch keine aktualen Anzeichen der Vernünftigkeit wahrnehmen, sondern allein einen natürlichen Leib in seiner möglichen Transzendierung auf ein Selbstbewusstsein, d.h. einen menschlichen Leib.31 Auf Grund der anfänglichen Entgegensetzung trotz gleicher allgemeiner Gattung sind die Subjekte besondere. Die Besonderheit markiert die noch abstrakte Mitte von Einzelheit und Allgemeinheit. Die Subjekte sind nicht mehr in der unmittelbaren Ausrichtung ihrer einzelnen Begierde auf ein Lebendiges befangen, aber auch noch nicht Manifestation der allgemeinen Vernunft, des allgemeinen Willens, der die Tätigkeit beider Subjekte gemeinsam bestimmt. Grund dafür ist, dass sie noch nicht ihr Anderssein, d.h. ihre Begierde, gänzlich überwunden haben. Der weiterhin bestehende Widerspruch des besonderen Subjekts gegenüber dem Allgemeinen muss sich über die Aufhebung des Anderen vollziehen. Der Andere soll mich nicht länger als Anderen ansehen, sondern als Selbstbewusstsein anerkennen, wie auch ich mein eigenes Anderssein, meinen Leib und meine leiblichen Begierden, dem Selbstbewusstsein zu unterwerfen habe. Es entsteht ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den beiden Subjekten; denn ich kann mich im Anderen nicht als mich selbst wissen, insofern das Andere ein unmittelbares anderes Dasein für mich ist; ich bin daher auf die Aufhebung dieser seiner Unmittelbarkeit gerichtet (X, §431).
Durch die Aufhebung der Natürlichkeit des Anderen, desjenigen Aspekts, welcher sein Inneres verbirgt und ihn so von mir trennt, soll aus dem Bewusstsein des Anderen Selbstbewusstsein werden. Damit ein_____________ 31 Welche Bestimmungen dieser Leib haben muss, um als menschlicher Leib wahrgenommen werden zu können, hat Hegel in seiner „Anthropologie“ geschildert, v.a. im Kapitel „Die wirkliche Seele“ (X, §411). Darunter fallen vorbewusste geistige Äußerungen wie „die aufrechte Gestalt überhaupt, die Bildung insbesondere der Hand, als des absoluten Werkzeugs, des Mundes, Lachen, Weinen usw. und der über das Ganze ausgegossene geistige Ton, welcher den Körper unmittelbar als Äußerlichkeit einer höheren Natur kundgibt.“ (X, 192)
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her geht die Aufhebung des eigenen Anderssein – „sich als reine Negation seiner gegenständlichen Weise zu zeigen“ (III, 148) –, wodurch das Subjekt die Unabhängigkeit vom (eigenen) Leben demonstriert. „Die Darstellung seiner [...] als der reinen Abstraktion des Selbstbewusstseins“ (ebd.) deutet Hegel nicht als Aufgabe einer Philosophie in Auffindung eines ersten Grundsatzes, sondern als den tätigen Vollzug im intersubjektiven Kontext. Sie dient der Verwirklichung der eigenen Freiheit, ihrer Manifestation im eigenen Leib. Nun erfordert die Tätigkeit des Subjekts eine unausgewogene Negation. Während es den Anderen in seiner Lebendigkeit zu vernichten trachtet, erkennt es die Notwendigkeit des Bestehens seines eigenen Leibes als Schauplatz seiner verwirklichten Freiheit. Im Kampf auf Leben und Tod setzt jedes Subjekt sein eigenes Leben in Todesgefahr, ohne es jedoch vernichten zu wollen; allein das „Daransetzen des eigenen Lebens in sich“ soll die Dominanz der Freiheit über die Natur offenbaren. Mit dem Tod einer Seite endet der Kampf in einem neuen Widerspruch. Indem jedes Subjekt den Gegenstand weiterhin als ein Negatives und zu Zerstörendes betrachtet, mithin ähnlich wie in der Begierde handelt, und dadurch hofft, sich im Inneren des Anderen wieder zu finden, kommt das siegreiche Subjekt nach dem Tod des Anderen zu keinem allgemeinen Selbstbewusstsein. Denn der tote Gegenstand des Bewusstseins hat keine Möglichkeit, Manifestation des Selbstbewusstseins zu sein. Anders gesagt scheitert die Anerkennung durch den Anderen mit dessen Tod. Danach fallen beide Seiten wieder in die anfängliche Natürlichkeit zurück. Während das siegreiche Subjekt nicht länger sein Leben in Gefahr bringen, also sein Selbstbewusstsein aktual vollziehen muss, ist das unterlegene Subjekt dem natürlichen Mechanismus toter Dinge anheim gefallen.32 Die beiden Subjekte lassen einander nur gleichgültig, als Dinge, frei. Ihre Negation ist die abstrakte Negation, nicht die Negation des Bewusstseins, welche so aufhebt, dass es das Aufgehobene aufbewahrt und erhält und hiermit sein Aufgehobenwerden überlebt (III, 150).
Der Widerspruch zwischen Allgemeinheit und Besonderheit des Ich wird „nach einer Seite“ aufgelöst (X, 221), nämlich durch Vernichtung der Besonderheit als der Entgegensetzung zweier Subjekte. Was dem überlebenden Selbstbewusstsein übrig bleibt, ist die abstrakte subjektive Allgemeinheit des Selbstgefühls. Wie in der Begierde gelangt das _____________ 32 Wie in der Begierde könnte man daher auch im Kampf auf Leben und Tod einen unendlichen Prozess ansetzen, wonach sich jedes Subjekt solange im Kampf zu beweisen versucht, bis es selbst unterliegt und stirbt. Ebenso mag das siegreiche Subjekt im Moment des Sieges zum Selbstgefühl seiner Freiheit kommen, aber dies eben nicht dauerhaft und objektiv.
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Selbstbewusstsein nicht zur Verwirklichung, weil es seinen Bewusstseinsaspekt lediglich durch Zerstörung des Gegenstandes in die Immanenz des Selbstbewusstseins zu überführen sucht. Das Bestehen des Gegenstandes, der wirkliche Unterschied, ist für die Konstitution von Selbstbewusstsein jedoch wesentlich. Dieser Prozess birgt die Möglichkeit der Erfahrung für das Selbstbewusstsein in sich, dass ihm „das Leben so wesentlich als das reine Selbstbewusstsein ist.“ (III, 150) Von der Selbstständigkeit des Lebens besaß auch das kämpfende Selbstbewusstsein kein explizites Wissen; sowohl sein eigener wie auch der Leib des Anderen galten ihm als ein schlechthin Negatives. Selbst wenn es im Kampf ebenso um den Erhalt des eigenen Lebens durch Tötung des Anderen ging, so war dies keineswegs die primäre Zielsetzung für die Subjekte, welche vielmehr in der Machtdemonstration ihres Selbstbewusstseins über das natürliche Leben aufgingen. Auf welche Weise kann nun das Subjekt sowohl dem Wesen seines eigenen Selbstbewusstseins als auch dem Wesen des Lebens als solchem dienen, gleichsam Diener zweier Herren sein, wie es offensichtlich in der Erfahrung impliziert ist? Die strenge Unterscheidung beider Bereiche untersagt dem Subjekt, abstraktes Selbstbewusstsein und Bewusstsein bzw. Leben vorschnell auf eine zu Grunde liegende Einheit, nämlich das allgemeine lebendige Selbstbewusstsein, zurückzuführen. Entgegensetzung bei einer für beide Bereiche gleichen Bewertung, wesentlich zu sein, führt nun zu einer radikalen Trennung von Selbstbewusstsein und Bewusstsein in zwei Gestalten: die eine das selbstständige, welchem das Fürsichsein, die andere das unselbstständige, dem das Leben oder das Sein für ein Anderes das Wesen ist; jenes ist der Herr, dies der Knecht. (ebd.)
Einen Ausweg aus den Widersprüchen des vorhergehenden Kampfes und dem Scheitern der Anerkennung liefert die Aussetzung des Kampfes unter Einführung einer asymmetrischen Beziehung zwischen den Subjekten. Während dem einen sein eigenes Selbstbewusstsein sowie dessen Anerkennung wesentlich ist, zieht das andere das eigene Leben vor. Das kurz vor dem Sieg stehende, seinen Sieg aber nicht vollkommen auskostende, weil die Wesentlichkeit des Lebens anerkennende Subjekt nennt sich fortan Herr und unterwirft das kurz vor der tödlichen Niederlage stehende, aber letztlich an seinem Leben hängende und deshalb um sein Leben flehende Subjekt zum Knecht. Der Herr erkennt die Selbstständigkeit des Lebens an und bewahrt daher den wirklichen Unterschied in seinem Bewusstsein, indem er sich einen Knecht hält, welchem das Leben das Wesentliche ist. Doch diese Wesentlichkeit besteht für den Herrn nur in dem Grade, als das Leben
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ihm und damit seinem Selbstbewusstsein dient. Ebenso leistet der Knecht der Wesentlichkeit des Fürsichseins Gehorsam, um sein eigenes Leben zu bewahren. Schon anhand dieser Schilderung erkennt man, dass die Trennung von Selbstbewusstsein und Bewusstsein in zwei Gestalten keine vollständige ist. Sowohl der Herr als auch der Knecht unterstehen der Allgemeinheit des Selbstbewusstseins und weisen damit in ihrem Selbstvollzug das jeweils andere Moment auf; es handelt sich lediglich um eine unterschiedliche Gewichtung der Momente in ihrem Verhalten. Beginnen wir die detaillierte Analyse wie Hegel mit dem Herrn! Der Herr ist „für sich seiendes Bewusstsein“ (III, 150), indem er sich auf einen Knecht bezieht, d.h. vermittels des Knechts. Ohne Knecht wäre er kein Herr, in jenem schaut er vielmehr seine eigene Freiheit an, insofern sich der Knecht durch Anerkennung der Freiheit seines Herrn unterworfen hat und damit die Freiheit seines Herrn objektiv verkörpert. Der Herr erfährt das Gelten seines Selbstbewusstseins im Knecht.33 Darin füllt sich seine abstrakte Allgemeinheit mit objektivem Gehalt. Es zeugt jedoch nicht alles am Knecht von der Freiheit des Herrn, vielmehr betrachtet jener das Sein oder Leben als das Wesentliche. Um im Knecht seinem eigenen Selbst begegnen zu können, muss der Herr diesen aus seiner bloßen Natürlichkeit zum der Freiheit des Herrn dienenden Handeln bringen, er muss ihm befehlen. Die Negation der Natürlichkeit darf dabei nicht im Sinne einer Zerstörung verstanden werden, sonst „verschiede“ mit dem Knecht zugleich der Herr als solcher. Im Sinne des aufhebenden Bewusstseins hat der Herr sein Objekt so zu negieren, dass dieses weiterhin am Dasein bleibt. Die Erhaltung des Knechts macht sich der Herr zu einer notwendigen Aufgabe, eben weil das Leben des Knechts, seine leibliche Besonderheit, zur Manifestationsstätte der Freiheit des Herrn werden soll. Der Knecht wird „formiert“, d.h. dazu gebildet, die Befehle seines Herrn mit ganzer Leibeskraft auszuführen. Zu diesem Zweck sorgt der Herr für die Erhaltung seines Knechts, ohne dabei die Mittel selbst zu besorgen. Statt dessen nimmt er in seinen Befehlen, Ausdruck seines Willens, auch noch auf den Knecht Rücksicht. Der Knecht hat die Besorgung der Mittel für die gemeinsame Bedürfnisbefriedigung zu leisten, um auf diesem Wege den Herrn von der Erfahrung der Wesentlichkeit des Lebens reinzuhalten, so „bezieht sich der Herr mittelbar durch den Knecht auf das Ding“ (III, 151). Die eigene Erfahrung der Selbstständigkeit des Lebens delegiert der Herr gleichsam an den _____________ 33 Bereits hierin liegt, dass die Wahrheit des Herrn das knechtische Bewusstsein ist (III, 152).
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Knecht, den er seinerseits an der „Kette des Seins“ gefesselt hält. Der Herr als Meister über das natürliche Sein, wie er es im Kampf auf Leben und Tod eindrucksvoll bewies, macht von dieser Kette Gebrauch, um sich den Knecht als solchen zu halten. In seinen Befehlen schwingt daher stets in Form eines drohenden Untertons die Möglichkeit mit, dem Knecht dasjenige zu geben, wessen sich der Herr zunächst enthalten hat: seinen Tod. Der Knecht hat den Willen seines Herrn zu befolgen und ihm das besorgte Sein zum Genuss darzureichen. Nun unterliegt der Herr nicht mehr der Mühe, durch eigene Besorgung seine Begierden zu befriedigen und darin immer wieder die Selbstständigkeit des Lebens neu zu erzeugen; dies obliegt von nun an dem Knecht. Dienend leistet der Knecht Verzicht auf sein eigenes Fürsichsein durch einseitige Anerkennung seines Herrn und Unterordnung seines eigenen Willens. Selbst die Erhaltung seines Lebens, Beweggrund der Aufgabe im Kampf, stellt er dem Willen des Herrn anheim. Trotz dieses Zustandes nahezu vollständiger Unfreiheit weist Hegel dem knechtischen Bewusstsein ein – wenn auch indirektes – Wissen um seine eigene Freiheit zu; der Knecht stellt gleichsam die noch mangelhafte, aber dem Herrn bereits überlegene Vorform der Freiheit dar. Die dafür notwendigen Momente liegen in seiner Furcht, dem Dienen und der Arbeit. Im Kampf auf Leben und Tod überkam den Knecht die Urerfahrung der Todesfurcht. Sein Zurückschrecken vor dem Tod, dem „absoluten Herrn“ (III, 153), veranlasste ihn, sein eigenes Leben der Freiheit vorzuziehen. Unabhängig von dieser Entscheidung offenbarte ihm die Todesfurcht die innere Auflösung alles gegenständlichen Bewusstseins, den Verlust jeglicher theoretischen wie praktischen Intentionalität.34 Im Bewusstsein des eigenen Todes verflüchtigten sich alle auf konkretes Sein zielenden Begierden, die gewöhnlichen Besorgungen des alltäglichen Daseins verlieren an Bedeutung. Mittels dieser lebendigen Abstraktion von allem Bewusstseinsgehalt übersteigt der Knecht die Immanenz des Lebens und erfährt so die vom Leben absolut unbestimmte Negativität des geistigen Selbstbewusstseins. Doch ist diese Negativität nur an ihm, d.h. der Knecht begegnet ihr als einer abstrakten äußeren Gefahr, nicht als eigenes tätiges Selbstbewusstsein. Für ihn objektiviert sich diese Furcht in seinem konkreten Herrn, einem anderen Fürsichsein. An die Stelle der Furcht vor dem „absoluten _____________ 34 Das Subjekt „ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt. Diese reine allgemeine Bewegung, das absolute Flüssigwerden alles Bestehens, ist aber das einfache Wesen des Selbstbewusstseins, die absolute Negativität, das reine Fürsichsein, das hiermit an diesem Bewusstsein ist.“ (III, 153)
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Herrn“ tritt nun die Furcht vor dem konkreten Herrn, worin der Knecht der Objektivität eines fremden Fürsichseins gewahr wird. Eine erste tätige Realisierung der Negativität durch den Knecht selbst erfolgt im Dienen, worin er die besonderen Befehle eines fremden Fürsichseins vollführt. Im Zuge dessen distanziert sich der Knecht von seiner Natürlichkeit durch Hintanstellung der eigenen Begierden und bewirkt deren Auflösung. Er gelangt aber auch auf diesem Wege nicht zum Bewusstsein seiner eigenen Negativität, ist es doch die äußere Gewalt des Herrn, welche ihn zum Gehorchen zwingt. Die Hemmung der Begierde durch den Knecht und somit die eigene Negativität kommt erst in der Arbeit zum Bewusstsein. Anstatt den Gegenstand wie in der Begierde schlechthin zu zerstören, obliegt es der knechtischen Arbeit, das Sein zu verändern, der vorgegebenen Materie eine andere Form zu geben. Die Arbeit bezeichnet den zweiten Bildungsvorgang im HerrKnecht-Verhältnis. Bereits der Herr ist bestrebt, durch seine Befehle die unmittelbare, d.h. naturbestimmte Leiblichkeit des Knechtes zugunsten seiner inneren Zwecke umzuformen. Darin lässt er den Leib als solchen bestehen und negiert lediglich dessen formelle Bestimmtheit. Ebenso arbeitet der Knecht an der Natur, indem er ihre natürlich gegebene Form als Negatives setzt, um sie durch Anpassung an seine Zwecke zu negieren. So bewahrt er das Wissen um die Selbstständigkeit der Dinge hinsichtlich ihres materiellen Bestands und erfährt zudem die eigene Freiheit, die absolute Negativität, angesichts der intendierten Form. Im Hinblick auf seine eigene Subjektivität geschieht in der Arbeit die Hemmung der selbstsüchtigen Begierde. So unterdrückt der Knecht seine Begierde, um die Materialität des Gegenstandes bestehen zu lassen; zudem handelt er im Auftrag einer fremden Begierde und hat folglich seine eigenen Wünsche hintanzustellen. Im bearbeiteten Objekt kommt der Knecht zu einer Selbstanschauung seines Fürsichseins. Zwar mag der Zweck seines Handelns ein äußerlicher und nicht sein eigener sein, aber dennoch übernimmt er denselben in seinem Bewusstsein, um ihn in der Wirklichkeit herzustellen. Auf Grund einer ideellen Vorstellung arbeitet der Knecht am Material der Wirklichkeit, bis der Zweck als reelle Form an einem Objekt zur Anschauung kommt. Nun kann sich der Knecht nicht vollkommen mit dem jeweils bestimmten Zweck identifizieren. Sein Fürsichsein, die absolute Negativität im Umgang mit der Welt, offenbart sich ihm auf einer allgemeineren Ebene. Für dieses Verständnis bedarf es aller drei genannten Momente. Die in der Furcht empfundene, an sich seiende und daher äußere allgemeine Unbestimmtheit, welche im Dienen zu ihrer besonderen Ausführung gelangt, bleibt dem Knecht solange äußerlich,
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bis er sie in der Arbeit als Negativität seiner Einzelheit begreift. Darin schließt er mithin die Unbestimmtheit seiner Furcht mit der Bestimmtheit der Befehle zusammen und erfährt eine freilich noch niedrige Form von Selbstbestimmung durch Aufhebung seiner Natürlichkeit. Die noch erhaltene Äußerlichkeit der Zwecke und damit die Tatsache, dass der Knecht letztlich nicht ausschließlich aus eigener Freiheit seine Natur überwindet, markieren die Mangelhaftigkeit seines Vollzugs. Was für ein Fortschritt ist also auf dieser Stufe erreicht? Die Erfahrung der Selbstständigkeit des Lebens fundiert die höhere Stufe auf dem Anerkennensprozess. Der Herr dokumentiert die Wesentlichkeit seines freien Selbstbewusstseins, indem er die Selbstständigkeit des Gegenstandes – die Prämissen des Bewusstseins – der Erfahrung des Knechtes anheim stellt, ganz so, als wolle er dadurch zum bloßen Vollzug seines Selbstbewusstseins werden, dass er sein Bewusstsein bzw. seine eigene Leiblichkeit an den Knecht übergibt. Im unbeschwerten Genuss der dargebrachten Mittel zur Befriedigung seiner Begierden schwelgt der Herr im bloßen Selbstgefühl. Wie auf der Stufe des begehrenden Selbstbewusstseins ist er, weil er allein seine abstrakte Allgemeinheit hervorzukehren bedacht ist, abstrakte Einzelheit oder einzelnes Fürsichsein. Zwar beansprucht er, das übergreifende Allgemeine dieses Verhältnisses zu sein, das mithin Grund für die Tätigkeiten des Knechtes und damit seines Bewusstseinsgegenstandes ist. Doch ist der Knecht darin gerade nicht Selbstbewusstsein, sondern ein Lebendiges, welchem es in seinem Tun primär um sein eigenes Leben geht: die Anerkennung ist erzwungen und nicht frei. Im Anderen vermag der Herr folglich nicht bei sich zu sein, weil der Knecht eine unwürdige Darstellung der herrischen Macht zum Ausdruck bringt. Die Besonderheit des Herrn, welche in seinem Verhältnis zum Knecht besteht, ist mit der Besonderheit des Knechts nicht zur Einheit des allgemeinen Selbstbewusstseins aufgehoben. Weder unterwerfen sich beide Seiten frei einem allgemein-vernünftigen Willen, noch erkennen sie sich gegenseitig als vernünftige Wesen an. Die Allgemeinheit des Herrn ist lediglich subjektiv, weil er sich der bloßen Begierde und der Selbstsucht verschreibt, also von seiner Natürlichkeit getrieben wird. Damit kommen wir zum Knecht. In seinem Verhalten scheint die Einheit der besonderen Subjekte vorzuliegen, insofern er seinen Eigenwillen zugunsten des Willens des Herrn aufgibt, er ist daher die „gesetzte Identität“ (X, §433 Z.) der besonderen Subjekte. Dies wird ihm möglich, weil der Herr in seinem Willen auch auf die Erhaltung des knechtischen Lebens Rücksicht nimmt und daher den wesentlichen Gehalt von dessen Willen in sich aufnimmt. Durch Arbeit im Dienste seines Herrn hebt der Knecht seine bloße Natürlichkeit auf, indem er
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die Begierden unterdrückt oder hemmt; ansonsten könnte sein Leib nicht dem Willen des Herrn dienen, sondern befände sich in selbstsüchtiger Entgegensetzung dazu. Die Allgemeinheit, zu welcher der Knecht im Setzen der Identität, der tätigen Anerkennung seines Herrn, findet, weist wegen der Einseitigkeit des Verhältnisses freilich noch einige Mängel auf. In dem Willen, zu welchem sich der Knecht durch Aufhebung seiner Natürlichkeit erhebt, kommt nicht die gemeinsame Allgemeinheit beider Subjekte zum Tragen, sondern vielmehr der Einzelwille des Herrn. Der Knecht erfährt seine Bildung von außen, durch das furchtbare Aufzwängen eines fremden Willens auf sein Tun. Er kann sich in seinem Herrn nicht anerkannt finden. Eine Art Vorstufe des allgemeinen Selbstbewusstseins erhält der Knecht lediglich durch seine Arbeit an den Dingen, worin er seines eigenen Werkes objektiv ansichtig werden kann. Das anfängliche Verhältnis von Herr und Knecht unterläuft eine diametrale Vertauschung von Aktivität und Passivität. Während der anfänglich absolut tätige Herr den passiv am Leben hängenden Knecht unterwirft, kristallisiert sich bald heraus, dass es der Herr ist, welcher seiner Natürlichkeit verhaftet bleibt, und der Knecht, der die aktive Rolle übernimmt.35 Dieser macht den „Übergang zum allgemeinen Selbstbewusstsein“ aus (ebd. §435). Auf dem Niveau der „Phänomenologie“ ist der treibende Widerspruch die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich – auf höherer Entwicklungsstufe diejenige von Selbst- und Gegenstandsbewusstsein. Das jeweils Andere ist mit den Attributen der Selbstständigkeit sowie des Bestehens in der Einheit des Selbstbewusstseins versehen. Auf der letzten Stufe der gegenseitigen Anerkennung oder des „allgemeinen Selbstbewusstseins“ wird sich der Widerspruch in der Subjekt-ObjektIdentität der Vernunft auflösen. Deren Verhältnis von Selbst- und Anderssein beschreibt Hegel in der Phänomenologie des Geistes von 1807 als doppelsinniges Dreifachschema.36 Die Doppelsinnigkeit entspringt dabei jeweils der Trennung von Selbstbewusstsein und Bewusstsein, die in der Einheit des Gesamtschemas – ebenso wie das darin gründende praktische und theoretische Verhalten des Subjekts – zur Synthese geführt werden soll. Der Vollzug setzt ein mit dem Bewusstsein des anderen Selbstbewusstseins, d.h. dem theoretischen Aspekt der Anerkennung. „Es ist für das Selbstbewusstsein ein anderes Selbstbewusstsein; _____________ 35 Dieses Verhältnis in seiner rein logischen Form dargestellt findet sich am Ende der Reflexionslogik, im Verhältnis von aktiver und passiver Substanz. Auch ihr Übergang in die Wechselwirkung entspricht dem Übergang des Herrschaftsverhältnisses zur gegenseitigen Anerkennung (VI, 237; vgl. S. 179 Anm. 45). 36 Eine sehr detaillierte Aufschlüsselung der betreffenden Paragraphen gibt Williams (Williams 149ff.).
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es ist außer sich gekommen.“ (III, 146). Dieser Sachverhalt impliziert zwei Aspekte: Erstens hat das Selbstbewusstsein sich selbst verloren, denn es findet sich als ein anderes Wesen; zweitens, es hat damit das Andere aufgehoben, denn es sieht [...] sich selbst im Anderen. (ebd.)
Die Doppelsinnigkeit dieses Schrittes besteht darin, dass das Subjekt ein Bewusstsein eines äußeren Gegenstandes besitzt, welchen es aber zugleich in seiner Äußerlichkeit als nichtig und in Wahrheit als Selbstbewusstsein begreift. Der fremden Leiblichkeit des anderen Ich kommt für sich betrachtet keine Wesentlichkeit zu, es sei denn, es ist der Gestalt gewordene Ausdruck der Freiheit des Selbstbewusstseins. Im Gegenstand das Ich zum Wesen zu erheben, bedeutet hier indes nur die Möglichkeit der freien Bestimmung des Leibes, d.h. der Andere wird als an sich seiendes Selbstbewusstsein erkannt. Des Weiteren ist Selbstbewusstsein nicht lediglich Wesensattribut des Anderen, sondern es ist das erkennende Subjekt selbst: Ich finde mich im Anderen wieder. Daraus ergibt sich die oben im Kampf bereits dargelegte Rückbeziehung des Andersseins auf sich selbst. Auch ich verfüge über einen Leib, welcher dem Anderen zunächst in seiner bloßen Potentialität der Vernunft erscheint, mithin an sich durch das Selbstbewusstsein bestimmt sein soll. Der nächste Schritt betont in Weiterführung des vorherigen zweiten Aspekts die Seite des Selbstbewusstseins, der praktisch vollzogenen Negation am Anderen. Das Ich muss darauf ausgehen, das andere selbstständige Wesen aufzuheben, um dadurch seiner als des Wesens gewiss zu werden; zweitens geht es hiermit darauf, sich selbst aufzuheben, denn dies Andere ist es selbst. (ebd.)
Der erste Schritt verlangt den tatkräftigen Vollzug der Negation am Anderen, damit sich das Selbstbewusstsein im Anderen in sich reflektiert und wahrhaft frei ist. Dadurch hat es zunächst den Anderen in seiner Andersheit aufzuheben, was nicht auf die Weise des Kampfes geschehen darf. Vielmehr obliegt es dem Ich, in seinem Handeln den Anderen als Ich, d.h. als Vernunftwesen, anzusprechen, wodurch nicht mehr die eigene subjektive Begierde, das Motiv der Selbstsucht, zum Ausdruck kommen darf. In dieser Hinsicht ist die Aufhebung des Anderen als solchen, der Verzicht, ihn als bloßes Ding zu behandeln, zugleich die Aufhebung des eigenen Andersseins, der eigenen Natürlichkeit und Begierde. Aus dem letzten Schritt resultiert eine zweifache Rückkehr in sich. Zum einen wird das Ich durch das „Aufheben seines Andersseins“ wieder mit sich selbst identisch. Die Gegenüberstellung von Selbstbewusstsein und Leib löst sich auf in der einheitlichen Bestimmtheit des Leibes durch die Vernunft, der Leib wird zur Manifestationsstätte der vernünftigen Freiheit. Insofern der Andere in dieser Handlung auf ihn
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nicht als ein bloß Lebendiges, sondern als Selbstbewusstsein betrachtet wird, entledigt sich das Ich derjenigen Handlungsmöglichkeiten, welche den Anderen für die eigene Selbstsucht instrumentalisieren. Statt dessen handelt es auf eine Weise, die den Anderen in seiner Selbstständigkeit bestehen lässt, von ihm als Selbstständigem aber fordert, ebenso zu handeln. Der Andere bekommt folglich Selbstständigkeit nur als Vernunftwesen, nicht als natürliches Wesen zugesprochen. Er wird frei gelassen unter der Bedingung, dass er frei handelt. Dieser letzte Punkt weist darauf hin, dass das gesamte Schema nicht nur in sich doppelsinnig zu sein hat, sondern auch selbst noch verdoppelt werden muss. Denn das „Tun des Einen“ ergibt nur Sinn durch das gleichzeitige „Tun des Anderen“. Die theoretische und zugleich praktische Anerkennung des Anderen als eines Vernunftwesens wäre widersinnig und somit nicht Manifestation von Vernunft, wenn nicht auch der Andere gleichermaßen agierte. Ebenso wird der Andere nur dann in seiner Handlung auf mich als Vernunftwesen Rücksicht nehmen, wenn ich mich ihm selbst als vernünftig zu erkennen gegeben habe. Jedes sieht das Andere dasselbe tun, was es tut; jedes tut selbst, was es an das Andere fordert, und tut darum, was es tut, auch nur insofern, als das Andere dasselbe tut (ebd. 146f.).
Inwiefern liefert die gegenseitige Anerkennung die Lösung des Widerspruchs von Selbstbewusstsein und Bewusstsein, Einheit und Selbstständigkeit? Allgemeines Selbstbewusstsein liegt zunächst im einzelnen Subjekt lediglich an sich, der inneren Möglichkeit nach, vor. Der reale Unterschied befindet sich außerhalb desselben und erscheint im Bewusstsein als ein äußerer Gegenstand. Indes begegnet das Subjekt nicht bloß einem fremden Objekt, sondern es erkennt sich selbst darin wieder; der Gegenstand ist ein fremdes Selbstbewusstsein, welches sich aber ebenso in bloßer Potentialität, in der Hülle des natürlichen Leibes verbirgt. Sich selbst findet das Subjekt im Anderen erst dann wieder, wenn dieser in seinem Handeln offenbart, dass er jenes als Vernunftwesen anerkennt, es also vernünftig behandelt. Zu diesem Zweck muss auch das erste Subjekt auf vernünftige Weise handeln und als Vernunftwesen zu erkennen geben, dass es den Anderen anerkennt. Das anerkannte Subjekt besitzt sein Selbstbewusstsein im objektiven Bewusstsein seiner selbst im Anderen, seiner Anerkennung durch ihn, worin es seinen eigenen Vollzug des Selbstbewusstseins, sein eigenes vernünftiges Handeln, objektiv widergespiegelt sieht. Ohne meine Anerkennung erkennte auch der Andere mich nicht an; ebenso wie seine Anerkennung notwendige Bedingung meiner Anerkennung und damit der Konstitution meines allgemeinen Selbstbewusstseins ist.
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Die ursprünglich vereinzelten Subjekte, deren Einzelheit und Selbstständigkeit in der bloßen Entgegensetzung ihres selbstsüchtigen Willens und damit im Widerspruch zur Einheit bestanden, gelangen in der Anerkennung zu selbstständiger Existenz durch ihre allgemeine Einheit, d.h. dadurch, dass sie auf vernünftige, also identische und allgemeine Weise handeln. Jedes Subjekt hat als freie Einzelheit absolute Selbstständigkeit [...], aber, vermöge der Negation seiner Unmittelbarkeit oder Begierde, [...wodurch es] sich nicht vom anderen unterscheidet, allgemeines [Selbstbewusstsein ist] (X, §436).
Die Einzelheit steht somit nicht mehr im Widerspruch mit der Allgemeinheit, sondern ist ihr existierender Ausdruck. Selbstständig ist jedes Subjekt durch seine Allgemeinheit, dadurch, dass zwischen ihm und dem Anderen ein Unterschied ist, der keiner ist. Mithin ist sein Bewusstsein – vermittelt über die gegenseitige Anerkennung – Selbstbewusstsein (§437). Die Einheit stellt sich weder durch die einseitige Dominanz eines Einzelwillens – wie beim Herrn – noch gegen den Willen beider Subjekte her, sondern indem beide Subjekte die Einheit jeweils in sich selbst und untereinander tätig hervorbringen. In diesem Sinne stellt die Anerkennung das geistige Pendant zur Begattung des Lebendigen dar – mit dem Unterschied, dass die Subjekte der Allgemeinheit ihrer Gattung, dem Selbstbewusstsein, in ihrer Einzelheit zum bewussten Ausdruck verhelfen.37 In der vollkommen gegenseitigen Anerkennung handelt jedes der beiden Subjekte nach den Bestimmungen der Vernunft, ordnet mithin seine Handlungen einer Einheit und normativen Allgemeinheit unter, welche gleichermaßen für das andere Selbstbewusstsein Gültigkeit beansprucht und ebenso dem notwendigen Erhalt des Leibes Rechnung trägt.38 So unterwerfen beide Subjekte ihren Leib dem Diktum der Vernunft, ohne ihn zu zerstören; er wird zur Manifestationsstätte der Freiheit. Als Vernunft erkennen sich beide Menschen im Anderen und lassen ebenso diesen Anderen als selbstständig bestehen. Denn die Vernünftigkeit des Anderen existiert nur, sofern sich dieser selbst als Einzelner dazu bestimmt. Es ist wichtig, bei diesem Modell den Über_____________ 37 Dass Hegel unter der Begattung eine natürliche Vorform der geistigen Anerkennung versteht, zeigt sich deutlich im zweiten Jenenser Systementwurf: „die Gattung reißt sich in die Geschlechtsdifferenz auseinander; aus dem Erkennen in das Anerkennen.“ (Hegel: Jenaer Systementwürfe. Bd. 2. Hrsg. v. R.-P. Horstmann. Hamburg 1982. S. 146) 38 Geschichtlich betrachtet lässt sich die Anerkennung als der zeitliche Prozess verstehen, welcher zunehmend der Vernunft und Freiheit der einzelnen Subjekte Rechnung trägt. „Der so verstandene Geist [...] ist folglich keine Emergenz oder Realisierung einer nichtnatürlichen Substanz, sondern reflektiert allein das wachsende Vermögen von immer noch natürlich situierten Wesen, wie sie stets erfolgreicher eine Form normativer und genuin autonomer Gleichgesinntheit erzielen.“ (Pippin 2005, 84).
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stieg von einer bloß intersubjektiven Relation, welche im Ausgang von zwei Subjekten zustande kam, zum Begriff des Geistes herauszustellen – erst dann ist der Überstieg über die Natürlichkeit des Lebens vollbracht.39 In der gegenseitigen Anerkennung verschwindet die Bedeutung des einzelnen Selbstbewusstseins, insofern es seine Selbstständigkeit durch Entgegensetzung zum Anderen behauptet. Das allgemeine Selbstbewusstsein stellt sich zwar intersubjektiv durch das gegenseitige Wirken der beiden einzelnen Subjekte her; dies tut jedoch der Tatsache keinen Abbruch, dass es letztlich seinen Grund jenseits intersubjektiver Verhältnisse hat. Am Ende der Entwicklung ergibt sich wie immer in der spekulativen Philosophie Hegels, dass nicht die Ausgangsbedingungen, mithin die Subjekte, Voraussetzung für das Resultat sind, sondern vielmehr das Resultat die während der gesamten Bewegung implizit zu Grunde liegende, treibende Kraft war. Das vollkommene Selbstverhältnis umfasst beide Subjekte als Momente oder Relata, welche nur sind, insofern sich in ihnen das Selbstverhältnis ausdrückt. Die „Allgemeinheit und Objektivität des Selbstbewusstseins“ (§437) begreift die beiden Subjekte in sich, sie hat die „Bedeutung des [...] das Ich durchdringenden und befassenden Objekts“. Diese Objektivität im Sinne einer für beide Subjekte gleichermaßen allgemeingültigen Normativität nennt Hegel Vernunft. Die Subjekte fügen sich derselben, indem sie vernünftig handeln, sie sind in dieser Hinsicht nur Momente der allgemeinen Vernunft, welche sich durch sie hindurch vollzieht.40 Andererseits verdankt sich das Selbstverhältnis nicht ausschließlich einem objektiven Geschehen. Die Subjekte haben sich selbst zur Vernunft zu machen und damit ihr Selbstbewusstsein zu verwirklichen. Sie stellen für sich die Totalität der Vernunft dar, deren Allgemeinheit dann die Bedeutung des „reinen Ich, der über das Objekt übergreifenden und es in sich befassenden reinen Form“ (§438) hat. Indem sich das Subjekt mittels Anerkennung zum vernünftigen Selbstbewusstsein erhebt, relativiert es sich einerseits zum Vernunft_____________ 39 Damit ist gemeint, dass eine Konsequenz der Überwindung des besonderen Selbstbewusstseins das Überschreiten des intersubjektiven Standpunktes indiziert. Die folgenden Entwicklungen des Geistes können Intersubjektivität daher nur von einer untergeordneten, nicht im strengen Sinne geistigen Warte aus thematisieren. Dies spricht u.a. gegen Versuche, welche die Intersubjektivität bei Hegel gerne höher bewertet sehen wollen. Vgl. Hösle 1988, 663ff.; Theunissen: „Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts“. In: Henrich 1982, 317-381. 40 Zur Erläuterung der objektiven Dimension greift Hegel an dieser Stelle (§436, vgl. auch den Zusatz) vor, indem er auf den Begriff der Sittlichkeit rekurriert. Im Rahmen des objektiven Geistes wird sich die notwendige objektive Bedingung des freien Selbstbewusstseins konkretisieren.
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moment, indem es andererseits die Totalität der Vernunft in sich realisiert. Es ordnet sich und das andere Subjekt einer objektiven Allgemeinheit unter, um für sich selbstständig zu werden. Diese doppelte Bewegung kennzeichnet die Vernunft als Geist in ihrer objektiven und subjektiven Dimension. Auch die Struktur des Geistes scheint man aus dem Bisherigen ableiten zu können. Subjektiv gesehen entsteht Selbstbewusstsein, indem das Subjekt seine leibliche Bestimmtheit oder Besonderheit einem allgemeinen Willen unterordnet und somit in seiner Einzelheit nur noch die konkret-allgemeine Vernunft zum Ausdruck bringt. Die bestimmten Zwecke seines Handelns werden auf diesem Weg als Inhalte seiner Allgemeinheit verstanden: die freie Selbstbestimmung des Subjekts.41 Ebenso zeigt sich diese Entwicklung von Allgemeinheit über Besonderheit zur Einzelheit im objektiven Zusammenhang der beiden Subjekte der Anerkennung. Die allgemeine Vernunft teilt sich in zwei besondere Subjekte, die durch Interaktion ihrer Natürlichkeit enthoben und zur kollektiven Manifestation der allgemeinen, transsubjektiven Vernunft werden. In ihrer vernünftigen Einzelheit unterscheiden sie sich nicht voneinander und führen daher ihre Zweiheit zurück zur Identität. Allein, die „Phänomenologie“ schildert den Weg des einzelnen Selbstbewusstseins zu seiner Allgemeinheit und verfehlt dabei den umgekehrten, eigentlich geistigen Sinn. Für die freie Selbstbestimmung bedarf es des Wissens, wie im Ausgang von der Allgemeinheit die Bestimmtheit als Konkretisierung des Allgemeinen verstanden werden kann. Die beiden Subjekte haben das geistige Verhältnis zwar faktisch in Auseinandersetzung mit der Natur realisiert, doch haben sie eben deshalb noch nicht aus dem Wissen um die eigene Geistigkeit gehandelt. Am Ende der Anerkennung ergeben sich folglich zwei zentrale Fragen für den weiteren Verlauf. Erstens: Auf welchem Wege macht sich das Subjekt bewusst zur allgemeinen Vernunft, d.h. wie gelangt es zu einer freien Selbstbestimmung? Da beide Subjekte im vernünftigen Handeln ihre natürliche Einzelheit auf gleiche Weise, nämlich durch Vernunft, aufheben, muss danach gefragt werden, wie dies im einzelnen Subjekt in seiner inneren Auseinandersetzung mit der Vernunft geschehen kann. Im Zentrum steht die Realisierung der Struktur des subjektiven Geistes. Die zweite Frage wendet sich den objektiven Bedingungen zu: Auf welche Weise muss die Vernunft objektiv gegeben sein, damit sich das Subjekt in dieser es übergreifenden Struktur zum Mo_____________ 41 Bereits am Knecht hat man die Struktur des Geistes bzw. der geistigen Freiheit in den Momenten Furcht, Dienst und Arbeit vorgezeichnet gefunden, die sich wie Unbestimmtheit, Bestimmtheit und Selbstbestimmung (Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit) zueinander verhalten.
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ment derselben machen kann? Wir werden im Folgenden analog zu Hegels Vorgehen zunächst die subjektive Verwirklichung des Geistes vor allem in ihrem Bezug auf die menschliche Praxis verfolgen, um daran anschließend die objektiven Bedingungen zu entfalten. Die natürliche Genese des Selbstbewusstseins Hegels Ausführungen über die „Phänomenologie“ spielen offenkundig auf den Standpunkt der Philosophie Fichtes an. Den deutlichsten Beleg dafür liefert Hegels eigene Aussage, wonach die Kantische – wie auch die Fichtesche Philosophie – den Geist als Bewusstsein aufgefasst hat und ganz nur Bestimmungen der Phänomenologie, nicht der Philosophie desselben enthält. (§415)
Hegel zufolge bewegt sich Fichte im Rahmen einer Bewusstseinsphilosophie, die wegen der auf Erscheinung beschränkten Erkenntnis nicht das sich differenzierende Einheitsprinzip von Subjekt und Objekt, den Geist, zu erfassen vermag. Zwar erhebt die Philosophie Fichtes in Hegels Augen den Anspruch, ebendies zu leisten, doch scheitert sie an der uneinholbaren Selbstständigkeit des Objekts gegenüber der Immanenz des Selbstbewusstseins. Hegel zufolge schwankt Fichtes Philosophie zwischen Einheit und Selbstständigkeit von Subjekt und Objekt, ohne dabei zur Auflösung des phänomenologischen Widerspruches zu gelangen. Mit der enzyklopädischen Phänomenologie weist Hegel infolgedessen den Weg vom Bewusstseinsstandpunkt hin zum Geist. Er schildert diesen Weg nicht im Sinne einer philosophischen Abstraktion von der Grundeinstellung des natürlichen Bewusstseins zum abstrakten Standpunkt des absoluten Wissens, sondern als nach logischen Kriterien angeordnete mögliche Erfahrungsgeschichte des natürlichen Bewusstseins selbst. Diese Vorgehensweise, auf die wir in Kürze zurückkommen werden, ermöglicht eine Hinführung zum absoluten Wissen aus der Perspektive des empirischen Bewusstseins, d.i. innerhalb der Grenzen seines Erfahrungsbereichs. Damit zieht Hegel Konsequenzen aus seiner Kritik an Fichte, der zufolge dieser im Überstieg des empirischen Bewusstseins die Evidenzbasis des gewöhnlichen Selbstbewusstseins verlässt. Zudem wird die Theorie eines unerklärlichen Ursprungs von Selbstbewusstsein bei Fichte durch die Darstellung von dessen Herkunft und Genese aus der Natur überwunden. Auch die innere Unterteilung weist eindeutige Parallelen zu Fichte auf. Die „Phänomenologie“ gliedert sich analog zur Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre in einen theoretischen und einen praktischen Teil, in das Bewusstsein als solches und das Selbstbewusstsein. Zunächst
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glaubt sich das Ich von den umgebenden Objekten bestimmt, welche für es die substantielle Wahrheit darstellen. Die eigenen konstitutiven Tätigkeiten geschehen unbewusst, das Ich ist gänzlich den Objekten hingegeben und erfasst sich selbst ausschließlich als reine Vorstellungsform. Die Überzeugung von der Bestimmung des Ich durch das NichtIch fördert nicht nur die Unfreiheit des Subjekts zutage, sondern zeigt zudem den Widerspruch zwischen Ansich und Fürsich auf. Obwohl das Bewusstsein qua Reflexion diejenige Tätigkeit ist, aus welcher sich Subjekt wie Objekt überhaupt erst generieren, glaubt es sich von einem äußeren Gegenstand bestimmt; an sich unendlich, fühlt es nur seine Beschränktheit. Die bewusst zustande gebrachte Vereinigung beider Aspekte im Ich kann wie für Fichte nur durch die praktische Tätigkeit des Ich hervorgebracht werden, indem es im Bewusstsein seiner Handlungen die Einheit zu verwirklichen strebt. Es wurde in der Sekundärliteratur darauf hingewiesen, dass sich Hegel vor allem im zweiten Teil der „Phänomenologie“ mit der Philosophie Fichtes auseinandersetzt.42 Während im Bewusstsein als solchem das Subjekt nur die implizite Begleitfunktion des gegenständlichen Erfahrungswissens zugesprochen bekommt – ein Sachverhalt, der an Kant erinnert –, stellt erst Fichte konsequent das Subjekt als die Wahrheit des Bewusstseins heraus. Sein spekulatives Prinzip ist deshalb das Ich = Ich, mit dem der Bereich der Wahrheit beschritten ist; dessen Entdeckung ist das Verdienst Fichtes. Im praktischen Verhalten des Subjekts erlangt der Gegenstand für dieses den Charakter des Negativen, des Nicht-Ich, weil es vom Anspruch auf absolute Identität getrieben ist. Aus seiner Zuwendung zur Welt hat sich das Ich in sich zu reflektieren, um in seinem Inneren die Wahrheit zu finden. Analog zur Entwicklung des theoretischen Bewusstseins findet sich das praktische Selbstbewusstsein zu Beginn an seine unmittelbare, d.i. natürliche Einzelheit gebunden. Wie schon das erste Kapitel über das Bewusstsein erfüllt das zweite Kapitel der „Phänomenologie“ die Funktion, die Befreiung des Ich von der natürlichen Determiniertheit aus der „Anthropologie“ zu schildern. Indem es seiner eigenen tätigen Negativität bewusst wird, begibt es sich in den Kampf gegen die Unmittelbarkeit seines gegenständlichen Seins, um sich der Fremdbestimmtheit zu widersetzen und seine Selbstbestimmung hervorzubringen. Bei Hegel wie bei Fichte lautet das anvisierte Ziel der Bewegung, sich, d.h. seine eigene Tätigkeit, objektiv hervorzubringen. Die Verwirklichung seiner Einheit mit der Objektivität konstituiert das allgemeine _____________ 42 Vgl. G. Schmidt: „Die zweite ‚Phänomenologie des Geistes‘ als philosophiehistorische Kritik“. In: Eley v.a. 163ff. Für den entsprechenden Abschnitt aus der Phänomenologie des Geistes von 1807 vgl. Falke 143ff.
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Selbstbewusstsein, in dem die Einzelheit zur Selbstständigkeit des autonomen Ich gebracht ist. Dieses repräsentiert die Einheit von einzelnem und allgemeinem Willen. Wie bei Fichte ist zur Konstitution wirklichen Selbstbewusstseins die mittels der Anerkennung vollzogene freie Selbstbestimmung des Subjekts notwendig. Doch die Gewissheit, mit welcher das einzelne Ich von sich wusste, bleibt in der Erfahrung seiner allgemeinen Natur aufbewahrt und entbehrt folglich des Fichteschen Abgrundes zwischen empirischem und reinem Bewusstsein bzw. Einzelheit und Allgemeinheit.43 Mit der Vermittlungslosigkeit seiner tautologischen Selbstbehauptung hebt das spekulative Prinzip des Ich = Ich an. Darin schließt das ursprüngliche Selbstbewusstsein jeden wirklichen Unterschied aus sich aus. Diese abstrakte Allgemeinheit entlarvt das Subjekt als einseitige Erscheinungsweise der allgemeinen Subjekt-Objekt-Identität, als das Produkt abstrakter Negativität. Dementsprechend befindet sich der wirkliche Unterschied in Form einer widerständigen Objektivität in Entgegensetzung zum Ich. Trotz seines Anspruchs auf absolute Einheit erfährt sich das Ich als durch den Gegenstand beschränkt und damit verendlicht oder besser: vereinzelt. Seinen Anspruch auf Allgemeinheit meint das Subjekt zu erfüllen, indem es zufolge seines Selbstverständnisses als abstrakter Negativität den Gegenstand zu zerstören trachtet. Damit generiert es jedoch immer wieder seine abstrakte Allgemeinheit und damit das Beharren der Gegenständlichkeit. In deutlicher Anspielung auf die Ausgangsposition von Fichtes Philosophie konstruiert Hegel eine Situation, in welcher die unvermittelten Aspekte der Absolutheit und Beschränktheit des Ich durch einen Trieb vereinbart werden sollen, welcher indes gerade auf Grund der vermeintlichen Abstraktheit des Absoluten niemals sein Ziel erreicht, vielmehr die Einheit in unendliche Ferne rückt. Die Begierde unterliegt derselben Einseitigkeit wie das Fichtesche Streben, nämlich einem unendlichen Progress, welcher im Versuch einer Aufhebung der Objektivität zu jeder Zeit nur deren Selbstständigkeit – versinnbildlicht im Anstoß – bestätigt.44 Die Augenblicklichkeit der Allgemeinheit erfährt das Ich _____________ 43 Statt der ausschließlich philosophischen Abstraktion Fichtes vom empirischen zum absoluten Ich wählt Hegel den Darstellungsweg einer realen Universalisierungsleistung des Ich, also der eigenen Erfahrungsgeschichte des natürlichen Menschen – freilich nicht im Sinne einer zeitlich vollzogenen Genese. Die einzelnen Stufen stellen logische Vollzugsmomente innerhalb der Konstitution des Geistes dar. Dies schließt keineswegs aus, dass ihnen auch geschichtliche Phänomene entsprechen. 44 Diese Gemeinsamkeit von Begierde und Streben hat Falke hervorgehoben: „Das Fichtesche Streben ist der philosophiegeschichtliche Sachgehalt der Begierde. Fichte erfasst mit seiner Bestimmung des Transzendentalsubjekts, so der ironische Kern, nur die niedrigste Stufe von Subjektivität überhaupt.“ (Falke 151) Auch viele weitere Hin-
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in einem bloßen Selbstgefühl auf Grund der Befriedigung einer Begierde. Die Unmittelbarkeit des Selbsterfassens aus der intellektuellen Anschauung bei Fichte zieht Hegel in die niederen Gefilde eines noch der Natur verpflichteten, inhaltsleeren Gefühls, das ausschließlich als defizitäre Vorform wahrer Subjektivität gedeutet werden kann. Diese ironische anmutende Naturalisierung Fichtescher Kernbegriffe ergibt sich für Hegel nicht nur aus den Darstellungen seiner Naturphilosophie und Anthropologie, sondern mit gleichem Recht aus der Analyse der Abstraktion Fichtes. Das reine Bewusstsein befindet sich – wie in der Differenzschrift gezeigt – in Entgegensetzung zum empirischen Bewusstsein und kann deshalb nicht das übergreifende absolute Prinzip sein, das es zu sein beansprucht. Dieses Zurückbleiben des abstrakten Selbstbewusstseins hinter der theoretischen Gegenstandserfahrung des empirischen Bewusstseins liegt – so Hegels Schluss – in der noch nicht überwundenen Naturbefangenheit des ersteren begründet. So wird aus der intellektuellen Anschauung ein Selbstgefühl, dessen Vollzug und Anspruchserfüllung lediglich in der abstrakt-negativen Entgegensetzung zum Bewusstsein, mithin in der Ausübung einer rein negativen Freiheit verortet werden kann. Im bloßen Verneinen der objektiven Natur empfindet es zwar seine Allgemeinheit und Unbestimmtheit, doch nur im eigenen subjektiven Inneren. Das Ich wird sich nicht objektiv. In seinem Anderen vermag es nicht bei sich zu sein, und dabei ist es doch noch selbst zu sehr sein Anderes, nämlich natürlich, weil das Ich von seinem Streben kein deutliches Bewusstsein besitzt, sondern darin noch einer unreflektierten Unmittelbarkeit verhaftet ist. Die fehlende Objektivität führt Hegel auf ein falsches Verständnis des Objekts zurück. Eben weil dieses nicht selbst als Subjekt-ObjektEinheit aufgefasst wird, misslingt es dem Selbstbewusstsein, sich darin wieder zu finden. Die von Schelling beeinflusste Forderung der Differenzschrift, auch in der Natur das Walten der Subjekt-Objekt-Identität zu vernehmen, verbindet Hegel an dieser Stelle mit der Fichteschen Theorie der Anerkennung.45 Bereits in der Begierde unterstehen beide Seiten derselben Struktur des Absoluten; Selbstbewusstsein und Leben manifestieren sie je auf ihre Weise, ob in bewusstem oder unbewusstem Vollzug. Indes liegt im Selbstbewusstsein der Geist nur in seiner Erscheinung vor; er erkennt nicht, dass Subjekt wie Objekt die durch die _____________
weise zur Kritik Hegels an Fichte in der Phänomenologie verdanken die folgenden Ausführungen dem eben genannten Autor. Der Begriff der Begierde tritt bei Fichte in dessen Trieblehre als eine Auffassung des Naturtriebes auf; vgl. dazu die Kritik Hegels an Fichtes Sittenlehre im folgenden Kapitel (III.2.). 45 Falke 152.
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Erscheinungstrennung bewirkte Duplizierung des Geistes in zwei Momente ausmachen. Ihre Einheit kann sich anstelle ihrer Fixierung durch die isolierte Reflexion nur dadurch herstellen, dass das Subjekt in seinem Anderen, dem Objekt, das Walten der beide Seiten hervorbringenden geistigen Einheit gewahrt. Dies gelingt nach Hegel mit der Begegnung zweier Subjekte. Durch den Prozess des Anerkennens integriert Hegel die These Fichtes in seine eigenen Überlegungen, wonach sich wirkliches Selbstbewusstsein nicht im abstrakten Moment seines bloßen Strebens bzw. seiner Begierde konstituiert, sondern in der konkreten Begegnung mit einem anderen Vernunftwesen. Den bei Fichte fehlenden Übergang vom bloß natürlichen Dasein in der Begierde zur vollkommen gegenseitigen Anerkennung ergänzt Hegel gleichsam durch eine natürliche Bildungsgeschichte des Selbstbewusstseins, worin dieses die Äußerlichkeit der Natur in die eigene Immanenz zu überführen sucht.46 Er geht darin genauso vor, wie er es bereits anlässlich der Begierde getan hat, nämlich indem er die idealen Momente bei Fichte – vom Streben zur Anerkennung – in eine kontinuierlich konkrete Erfahrungsgeschichte des Selbstbewusstseins auflöst. Die Momente der Anerkennung bei Fichte erhalten ihre konkrete Verortung auf den verschiedenen Stufen eines Prozesses. Im Kampf auf Leben und Tod ändert sich auf Grund der Verdoppelung des Selbstbewusstseins formal gesehen zwar die Beschaffenheit des Gegenstandes, jedoch nicht das Selbstverständnis des Subjekts als abstrakter Negativität. Inhaltlich betrachtet gelangt das Subjekt nicht nur ins Verhältnis zu einem anderen Subjekt, sondern ebenso zu seiner eigenen Leiblichkeit oder Begierde. Die Erfahrung des eigenen Leibes ist indes keine bloße Gegenstandserfahrung, weil das Subjekt ihn auf innerliche Weise zu bestimmen vermag; der Leib gilt gleichsam _____________ 46 Die Kluft zwischen Natur und Ich bei Fichte lässt eine derartige kontinuierliche Genese von der Natur zum Ich nicht zu, sondern versteht die Anerkennung sowie die Konstitution des Selbstbewusstseins als einen Ur-sprung jenseits jeglicher Kontinuität. Mag auch Fichte die Aufforderung ebenso im Sinne einer Erziehung zur Vernunft verstehen, so lässt sich diese Rede innerhalb einer rein apriorischen Deduktion nicht mit konkretem Inhalt füllen. F. Fischbach hat dargelegt, wie bei Fichte dieses Problem in Form des Widerspruches von realer Geschichte und idealer Anerkennung auftaucht. In der Geschichte der Menschheit führen demnach die Herrschaftsverhältnisse hinter dem Rücken der Regenten zur Möglichkeit der Freiheit aller Menschen. Dennoch lässt sich nach Fischbach nicht erklären, wie ein auf brutaler Macht und Egoismus der Herrscher fußendes Verhältnis geeignet sein kann, die ideale Anerkennung zu befördern. Diese Kluft fülle erst Hegel mit der „Phänomenologie“ aus, welche zeigt, dass bereits die Machtverhältnisse eine freilich noch minderwertige Manifestation des Selbstbewusstseins ausdrücken, also der gleichen Dynamik wie die Anerkennung folgen. Vgl. Fischbach 1999.
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als „Sphäre der freien Handlungen“ (SW III, 59). Leiberfahrung setzt dabei – ebenso wie bei Fichte – das Wissen um einen anderen Leib voraus. Dieser Leib ist von einer gänzlich anderen Art als ein bloßes Ding oder als der eigene Leib; vielmehr ist er unmittelbar der Macht eines anderen Subjekts unterworfen. Das Subjekt vermag die eigene Individualität nur in Abgrenzung zu anderen Individuen zu konstituieren: Nur unter Menschen ist der Mensch ein Mensch, d.i. ein Wesen, das sich über seinen eigenen Leib erhebt und zugleich darin seine Selbstständigkeit als Einzelner erlangt. Dementsprechend kann der Kampf nicht die letzte Wahrheit sein, weil das Subjekt in die Sphäre des Anderen zerstörend eingreift. Der Kampf stellt vielmehr eine Extremerfahrung der Unwesentlichkeit des bloßen Lebens angesichts der Wahrheit des allgemeinen Selbstbewusstseins dar,47 weshalb an seinem Ausgang ein vollkommen asymmetrisches Verhältnis der Intersubjektivität steht. Der Prozess mündet infolgedessen in ein bestehendes Verhältnis von Herr und Knecht. Die Asymmetrie von Aufforderndem und Aufgefordertem bei Fichte löst Hegel in die Entgegensetzung von Herr und Knecht auf.48 Der Herr vertritt dabei die Rolle des Selbstbewusstseins, ohne dieses jedoch schon in seiner Allgemeinheit konstituiert zu haben. Sein Fürsichsein unterliegt letztlich der bloßen Selbstsucht in der Befriedigung seiner Begierden. Die herrische Aufforderung an den Knecht ist Befehl. Zwar gibt er dadurch dem Knecht Zwecke vor, doch lässt er diesem überhaupt nicht die Möglichkeit der Selbstbestimmung, weil es ihm nicht vergönnt ist, seine eigenen Zwecke zu finden. Der Herr greift in die Sphäre der möglichen Handlungen des Knechts ein und bestimmt ihn zum Handeln. Auch wenn die Zweckvorgabe des Herrn keinen Platz für die freie Selbstbestimmung des Knechts zulässt, so gelangt dieser dennoch durch die Ausführung der Zwecke zu einer gewissen Vorahnung seiner Freiheit. Das geschieht zum einen, weil er nicht mehr seine bloß natürlichen Begierden verfolgt, zum anderen, weil die Übersetzung eines bestimmten Zweckes in die Wirklichkeit – im Sinne von Arbeit an der Wirklichkeit – ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Freiheit ist. Wie bei Fichte das aufgeforderte Subjekt, so leistet bei Hegel der Knecht den Transfer _____________ 47 In diesem Sinne wird auch der Krieg bei Hegel eine wichtige Rolle spielen, insofern darin der Mensch seine bloße Natürlichkeit im Dienst am Allgemeinen, dem Staat, aufopfert (VII, 492). 48 Dabei setzt die Anerkennung für Hegel nicht wie bei Fichte ein bereits vernünftiges Subjekt voraus, dessen Aufforderung die Konstitution des anderen Selbstbewusstseins ermöglicht. Fichte verfällt daher dem unendlichen Regress in der Genese des Selbstbewusstseins, der letztlich auf einen mythisch anmutenden Geist zurückführt, welcher den ersten Menschen zum Bewusstsein verholfen haben muss (SW III, 40f.)
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und nimmt dabei wahr, wie aus einer rein ideellen Vorstellung, dem Zweckgedanken, die freie Modifikation des Seins erfolgen kann. Am bearbeiteten Gegenstand empfängt er daher die Objektivierung seiner Idealität. Den Zwang, welchen er durch den Herrn erfährt, deutet Hegel als die notwendige Erziehung oder Bildung (X, §435 Z.) des Knechts weg von seiner Natürlichkeit hin zu allgemeinen Zwecken. Das Zwangsmoment in der Aufforderung, welches bei Fichte bloß negativ gesehen den Freiheitsmissbrauch verhindern soll und im Rechtsgesetz institutionalisiert wird, erhält bei Hegel die Funktion positiver Hinführung zur auf Anerkennung gründenden Freiheit.49 Die gegenseitige Anerkennung schildert Hegel als Resultat dieses Prozesses und zugleich als Lösung des phänomenologischen Widerspruches von Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Er entlehnt dabei der Theorie Fichtes den Anspruch auf Synthese von Erkennen und Wollen in der Anerkennung. Zugleich lässt er jedoch in diesem Verhältnis jegliche Asymmetrie vernichtet sein. Für Fichte besteht der wesentliche Aspekt derselben darin, dass das Subjekt die in der Aufforderung implizierten Zwecke seines Handelns als solche erkennt und durch konkrete Zweckwahl eine bestimmte Handlung in der Sinnenwelt vollzieht. Die Aufforderung fungiert dabei lediglich als ein äußerer Anstoß, welcher die subjektive Selbstbestimmung ermöglichen soll und mit theoretischer Konsequenz das Subjekt in ein Rechtsverhältnis einspannt. Selbstbewusstsein und Bewusstsein vereinigen sich für Fichte demnach allein im Vollzug des aufgeforderten Subjekts, das die subjektive Zweckwahl in seiner objektiven Wirksamkeit verwirklicht sieht. Dem gegenüber stellt das andere Vernunftwesen als Objekt weiterhin die Gefahr dar, ein Hindernis meines zukünftigen Freiheitsvollzugs zu werden. Das einzige Mittel zur Überwindung dieser weiterhin bestehenden Äußerlichkeit beider Subjekte sieht Fichte in einem strengen Zwangssystem des Rechts. Somit perpetuiert er nach Hegel das „herrschaftliche“ Verstandesdenken, welches es nicht zur Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit bringt und Freiheit lediglich im negativen Sinne deutet.50 Das Fehlen einer Identität zwischen den Subjekten in _____________ 49 Daher spiegelt sich das Herr-Knecht-Verhältnis in abgewandelter Form in jeder Lehrer-Schüler-Beziehung wider. Ziel ist indes die eigene Einsicht des Schülers in sein allgemeines Wesen, welches er zunächst auf Grund seiner Natürlichkeit als äußeren Zwang erfährt. 50 Aus diesem Grund schreibt Fischbach, dass bei Fichte die Betonung auf dem Anerkennen („besoin de reconnaître“) liegt, da das aufgeforderte Subjekt in der tätigen Anerkennung sein Selbstbewusstsein konstituiert. Dagegen sei bei Hegel das Moment des Anerkanntwerdens („désir d’être reconnu“) wichtiger, darin wird sich das Subjekt im Bewusstseinsgegenstand selbst objektiv. Freilich ist das Ziel bei Hegel eine vollkommene Symmetrie von Anerkennen und Anerkanntwerden (Fischbach 1999).
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der Fichteschen Anerkennung muss deshalb von außen an dieselben herangetragen werden, um Rechtssicherheit zu garantieren. Der Einzelne soll durch das allgemeine Recht vom Missbrauch seiner Einzelheit abgehalten und zum allgemeingültigen Handeln gemäß der Anerkennung gezwungen werden, ohne dass er darin seine Einzelheit – verstanden als formale Freiheit – erkennen könnte. Allgemein zu handeln bedeutet Zwang und Unterdrückung der formalen Freiheit des Einzelnen. Das asymmetrische Verhältnis von Herr und Knecht überträgt sich demnach bei Fichte auf das Verhältnis des Einzelnen zum Zwangsrecht. Hinter dieser Kritik an Fichte steht Hegels Überzeugung, dass im Modus des Verstandes die Äußerlichkeit des Herrschens und Unterdrückens dominiert: das einzelne Bewusstsein empfindet die Vernünftigkeit nur als äußerlichen Zwang, mit dem es sich nicht zu identifizieren vermag. Im Gegensatz dazu stellt die Anerkennung für Hegel diejenige Synthese von Einzelheit und Allgemeinheit dar, worin das Subjekt in der Allgemeinheit seine eigene Selbstständigkeit findet und seine Natürlichkeit überwindet. In der intersubjektiven Beziehung geben beide Subjekte die Entgegensetzung ihrer natürlichen Begierden auf, um im gemeinsamen Interesse den allgemeinen Willen zum Ausdruck zu bringen. Damit gewinnen sie je für sich Autonomie und Selbstständigkeit im vernünftigen Handeln. Die Subjekt-Objekt-Identität erfolgt nicht im konkreten Wollen des aufgeforderten Subjekts, sondern im intersubjektiven Verhältnis als ganzem. Im positiven Freiheitsvollzug findet das einzelne Subjekt seine konkreten Zwecke nicht in der Innerlichkeit seines Gewissens, sondern erhält sie aus der Gemeinschaftsbeziehung mit anderen Subjekten.51 In dieser Hinsicht ermöglicht die Anerkennung bei Hegel die freie Selbstbestimmung als vernünftiges Handeln nach dem allgemeinen Willen und nicht wie bei Fichte lediglich die negative Freiheit vor dem Eingriff Anderer in die Sphäre formaler Freiheit. Obwohl an dieser Stelle noch nicht dargestellt werden kann, wie die positive Selbstbestimmung zustande kommt, d.h. wie sich die allgemeinen Inhalte des Handelns innerhalb einer Gemeinschaft ergeben, deutet die Anerkennung auf die notwendigen Weiterentwicklungen. Der Atomismus der subjektiven Einzelheit im Ausgang von der Begierde führt über die intersubjektive Beziehung zum Geist. Die Subjekte erkennen ihre gemeinsame Grundlage in einer Subjekt-Objekt-Identität, in der Vernunft, welche sie übergreift, indem sie sich in ihnen manifestiert. Der Weg zum Absoluten führt demnach nicht über eine philosophische _____________ 51 Also letztlich in der gelebten Sittlichkeit eines Volkes.
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Abstraktion, sondern findet sich in der konkreten Erfahrung des Selbstbewusstseins wieder. Wie sich die absolute Vernunft in und über den Subjekten verwirklicht und konkretisiert, muss von Hegel in den folgenden Schritten erläutert werden. Die freie Selbstbestimmung der Subjekte in der Anerkennung bedarf noch der inhaltlichen Aufklärung. Wie vermag das Subjekt, sich allgemeine Zwecke seines Handelns zu setzen und um welche Zwecke handelt es sich dabei? Ihre Beantwortung finden beide Fragen in Hegels Theorie des subjektiven und des objektiven Geistes, deren Darstellung nun folgt. 2. Die Freiheit des subjektiven Geistes. Psychologie. Nähert man sich dem Thema der „Psychologie“ Hegels in rein formaler Betrachtung, dann markiert der darin behandelte subjektive Geist als solcher52 den Abschluss einer Bewegung, welche sich über Seele und Bewusstsein, d.h. über „Anthropologie“ und „Phänomenologie“, vollzogen hat. An diesem Punkt enden die Ausführungen Hegels zum subjektiven Geist, um im objektiven und absoluten Geist die weiteren Entwicklungen bis hin zur absoluten Selbsttransparenz und Freiheit des Geistes zu verfolgen. Zu Beginn der Psychologie heißt es: „Der Geist hat sich zur Wahrheit der Seele und des Bewusstseins bestimmt“ (X, §440). Um dem Fortschritt des Geistes gebührend Rechnung zu tragen, ist es notwendig, anhand dieser Aussage zwei wesentliche Aspekte voneinander zu unterscheiden. Zum einen wurde dem Leser im Kapitel über den subjektiven Geist bislang deutlich, dass derselbe im Ausgang von seiner unmittelbaren oder natürlichen Existenz über die Differenz von Subjekt und Objekt, Geist und Natur, schließlich in sich zurückgekehrt ist und sich als Wahrheit seiner vorherigen Stufen, als reflektierte SubjektObjekt-Totalität erwiesen hat. Nach Hegels Wahrheitsverständnis stellt der Geist somit die Einheit und den Grund des vergangenen Verlaufs dar. Zum anderen ist der Geist nicht nur diese Wahrheit, sondern bestimmt sich selbst dazu. Er markiert folglich den Endpunkt eines Prozesses der Selbstbestimmung, welcher die vorherigen Stufen als Vollzugsmomente subsumiert. Im Gegensatz zum abstrakt negativen Verhältnis des Bewusstseins zu seinem Vorgänger, der natürlichen Seele, woraus die für die „Phänomenologie“ unauflösbare Differenz von Geist und _____________ 52 Zu unterscheiden ist also die Bezeichnung „subjektiver Geist“, welche Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie umfasst, vom subjektiven Geist als solchen, welcher ausschließliches Thema der Psychologie als des an und für sich seienden subjektiven Geistes ist. Zum Begriff des Geistes s. X, §§381-386 und Peperzak 1987, 17-37.
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Natur resultiert, manifestiert sich der psychologische Geist nunmehr als deren reflektierte, d.h. für sich seiende Einheit. Was der Geist vor allem ist, ergibt sich aus dieser seiner Einheitsfunktion gegenüber Seele und Bewusstsein oder – mit anderen Worten – von unmittelbarer Totalität und Wissen. Der Geist bestimmt sich zum „Wissen der substantiellen, weder subjektiven noch objektiven Totalität“ (ebd.). Mit dem Bewusstsein verbindet den Geist das Wissen, welches indes nicht mehr Wissen von einem äußeren Gegenstand, sondern Wissen um die der Unterscheidung in Subjekt und Objekt überhobene Totalität ist. Das Ergebnis der „Phänomenologie“ erbrachte diese Einheit unter dem Namen der Vernunft oder auch der Wahrheit. Der Geist ist das Wissen der Vernunft oder der Wahrheit, d.h. er verhält sich in seinem Anderen nur zu sich, ist darin Selbstbewusstsein. „Der Geist fängt daher nur von seinem eigenen Sein an und verhält sich nur zu seinen eigenen Bestimmungen.“ (§440) Aus diesen Gründen wird die Fortbestimmung des psychologischen Geistes anders ausfallen, als es in der „Anthropologie“ und „Phänomenologie“ der Fall war. Während man bei der Seele wegen mangelnden Bewusstseins nur vom unbewussten Werden sprechen kann, treten die Veränderungen mit dem Bewusstsein zwar in den Blick des Geistes, jedoch als bloß äußerlicher Wechsel der Gegenstände. Im Selbstbewusstsein erlangt der Geist ein Wissen um seine Tätigkeiten im Umgang mit den Objekten. Doch auch hier hängen die Tätigkeiten noch von einer Gegenstandsveränderung ab, die nicht in der Macht des jeweiligen Subjektes liegt. Demgemäß findet der Übergang von der Begierde zum einsetzenden Prozess der Anerkennung nur statt, wenn anstelle eines Lebendigen ein anderes Ich das Blickfeld des Subjektes kreuzt. Selbst im Falle der gegenseitigen Anerkennung unterliegen beide Seiten noch der Mithilfe des Anderen, ohne welche die Anerkennung notwendigerweise scheitern muss. Für den subjektiven Geist als solchen hingegen gilt: „Das Fortschreiten des Geistes ist Entwicklung“ (§442).53 Auf dem Niveau der „Psychologie“ begreift sich der Geist als diejenige Tätigkeit, welche aus eigenem Antrieb den Fortgang be_____________ 53 Mit dem Begriff der Entwicklung spielt Hegel auf die Begriffslogik an. Die dialektische Dynamik der Logik wandelt ihre Bedeutung im Wechsel der drei verschiedenen Stufen. Entscheidend dafür ist der Grad der Selbsttransparenz eben dieser Dialektik. In der Seinslogik spricht Hegel vom Übergehen, der Reflexionslogik entspricht das Scheinen. Erst in der Begriffslogik wird sich das dynamische Prinzip selbst transparent und begreift sich als immanente Entwicklung des Begriffes. Dementsprechend findet sich in der Realphilosophie das unbewusste und daher unmittelbare Übergehen der Seele, das relational bestimmte Scheinen des phänomenologischen Geistes im Anderen und schließlich die sich selbst bewusste Tätigkeit des Geistes als solchen (VIII, §161). Dazu Schäfer 295ff.
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stimmt – mit dem Ziel, die Reflexion-in-sich des Geistes als solchen, d.h. die unendliche Vernunft, darzustellen: Die Vernunft ist zugleich nur insofern die unendliche, als sie die absolute Freiheit ist, daher sich ihrem Wissen voraussetzt und sich dadurch verendlicht und die ewige Bewegung ist, diese Unmittelbarkeit aufzuheben, sich selbst zu begreifen und Wissen der Vernunft zu sein (X, 232).
Diese Rückkehrbewegung, als welche sich der Geist an sich im Durchlaufen der anthropologischen und phänomenologischen Stufen erwiesen hat, muss der Geist auf dem jetzt einsetzenden psychologischen Niveau mit Bewusstsein durchlaufen. Der Geist als solcher ist das Wissen um die Vernunfttotalität, die er selbst ist. Insofern unterscheidet er sich nicht von seinem Gegenstand wie im Falle des Bewusstseins; die Totalität umgreift die Differenz von Subjekt und Objekt. Die im Wissen von etwas implizierte Trennung in Subjekt und Objekt vollzieht sich in der Immanenz der selbstbewussten Vernunfttotalität. Wenn der wissende Geist sich mit der Totalität einig weiß, dann setzt dies die Einsicht voraus, dass die jeweiligen Wissensvollzüge nicht bloß äußerlich dem Gegenstand gegenüberstehen, sondern dessen Totalität vielmehr konstituieren, wie auch die Wissensvollzüge nur dasjenige konstituieren, was an sich in der Totalität liegt. Im Sinne der psychologischen Stufenfolge hat der subjektive Geist zu erweisen, dass die im Wissen vorliegende Gegenständlichkeit, nichts anderes als die Manifestation der Wissenstotalität ist, wie auch der Wissensvollzug in nichts anderem als in seiner objektiven Manifestation besteht. Diese Bewegung ist die Rückkehr des Geistes in sich (ebd. 234). In seiner anfänglichen unmittelbaren Gestalt geht der wissende Geist daher von der Voraussetzung der vernünftigen Totalität in sich aus, welche von ihrer ebenfalls unmittelbaren Form der bloßen Bestimmtheit zur Manifestation der Selbstbestimmung geleitet werden muss. Aus diesem Grund beschreibt Hegel den Weg des Geistes als einen Weg der vom Geist selbst hervorzubringenden und als solcher zu erkennenden Befreiung zum für sich seienden freien Geist. Dazu bedarf es der Einsicht des Geistes, dass auch die zu vollziehende Entwicklung seiner eigenen Tätigkeit entspringt, welche nichts Anderes als der Ausdruck der einen Geisttotalität ist. In diesem Sinne ist das bewusste Selbstverhältnis des Geistes von nun an explizite Grundlage und Beweisziel der folgenden Entwicklungen, welche erst im absoluten Geist der Philosophie abgeschlossen sein werden.54 Worin besteht zunächst die Endlichkeit des Geistes im Vor_____________ 54 Infolgedessen spricht Hegel bereits vom subjektiven freien Geist als dem Begriff des absoluten Geistes (X, §482). Dies impliziert zugleich den Mangel des subjektiven Geistes angesichts der ausgeschlossenen äußeren Realität, welche erst im objektiven Geist
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aussetzen seiner selbst als unmittelbarer Vernunft? Der Geist verendlicht sich, indem er als Wissen von einer Bestimmtheit auszugehen hat, welche zwar an sich die geistige Vernunfttotalität repräsentiert, aber noch nicht durch das Wissen vermittelt und als solche begriffen ist. Die Bestimmtheit im Wissen ist eine Bestimmtheit im Wissen für das Wissen. Was für das Bewusstsein noch verborgen blieb – die eigentliche Immanenz seines Gegenstandes in sich – wird nun für den Geist. So hat man Hegels Aussage zu verstehen, dass „der Geist das Bewusstsein zu seinem Gegenstande“ hat (§443). Für den Geist ist die Äußerlichkeit eine im Inneren seines Bewusstseins liegende Äußerlichkeit, weshalb er darin sich selbst äußerlich ist. Er weiß um die Äußerlichkeit als einer immanenten, welche durch seine Tätigkeiten zur wahrhaften Manifestation seiner selbst gebracht werden kann und soll. Auf diesem Wege wird der Gegenstand des Geistes von der mit dem Bewusstsein stets einhergehenden Äußerlichkeit befreit und als Geist selbst transparent. Wie schon das Bewusstsein beinhaltet der subjektive Geist als solcher ein doppeltes Vorgehen. Die Einteilung in einen theoretischen und praktischen Teil betrifft auch die „Psychologie“, obzwar – wie sich zeigen wird – mit der zunehmenden Einsicht des Geistes in seinen Selbstvollzug eine engere Verbindung beider Aspekte einhergeht.55 Im Ausgang von der Bestimmtheit im Wissen lassen sich die zwei notwendigen Unterscheidungsmerkmale finden. Die Vernunft ist das Anundfürsichsein des Geistes, die Subjekt und Objekt umfassende Totalität. Da der Geist selbst diese Totalität an sich ist, hat er alle ihre Bestimmungen hervorzubringen, also zu setzen. Sein Setzen ist indes kein äußerer Vorgang gegenüber der Totalität, sondern gerade der Vollzug dieser Totalität selbst. Was vernünftig ist, muss der Geist setzen und was der Geist als solcher setzt, ist vernünftig. Folglich impliziert der Begriff des Geistes die Unterscheidung von Setzen, d.h. etwas als das Seinige hervorbringen, und Anundfürsichsein, dem vernünftigen Seienden (§443). Damit ist die doppelte Hinsicht gewonnen: Der Geist hat zum einen das Seiende zum Seinigen – das Wirkliche zum Vernünftigen –, zum anderen das Seinige zum Seienden – das Vernünftige zum Wirklichen – zu überführen; ersteres definiert die theoretischen, letzte_____________ thematisch wird und zusammen mit der subjektiven Seite den Übergang in den an und für sich seienden absoluten Geist einläutet. 55 Im Gegensatz zum phänomenologischen Geist weiß der psychologische Geist um sein schöpferisches Potential und hat daher auch die theoretischen wie praktischen Tätigkeiten als eigene Setzungen zu verstehen, welche als unterschiedene Tätigkeiten in der Einheit des freien Geistes aufgehoben sein werden. Der Bewusstseinsstandpunkt hingegen isoliert Theorie und Praxis voneinander.
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res die praktischen Tätigkeiten des subjektiven Geistes. So zerfällt er in Intelligenz und Wille (ebd.). Wie schon im vorhergehenden Kapitel sollen im Folgenden die Ergebnisse des theoretischen Teils kurz resümiert werden.56 Die darin zu behandelnden Stufen sind Anschauung, Vorstellung und Denken. Die charakteristische Erfahrungsweise des theoretischen Geistes heißt Erkennen im Unterschied zum bloßen Wissen des Bewusstseins, welches den äußeren Gegenstand im rein formalen Modus der Gewissheit, nicht aber hinsichtlich seiner inhaltlich-substantiellen Bestimmtheit zum Seinigen erklärt. Das Wissen des Bewusstseins dokumentiert nämlich, „dass ein Gegenstand ist und was derselbe überhaupt sowie seinen zufälligen, äußerlichen Bestimmungen nach ist“ (§447 Z.). Seiner reflexionslogisch zu verstehenden Eigenart nach gründet es auf der Unterscheidung von Wesen und Erscheinung der Dinge, ihren unverbundenen Aspekten des Inneren und Äußeren. Demnach ist dem Bewusstsein die Einsicht verwehrt, wie die Äußerlichkeit bestimmter Ausdruck des inneren Wesens sein kann; es weiß lediglich, dass dies der Fall ist.57 Das geistige Erkennen unternimmt nun die Ergründung der äußeren Bestimmtheit der Dinge als von ihrem substantiellen geistigen Kern hervorgebracht. Dies ist möglich, weil das Erkennen dem Gegenstand nicht äußerlich gegenübersteht, sondern beide Seiten der gleichen Vernunfttotalität angehören. Das Insichgehen des Gegenstandes in der Stufenfolge des Erkennens weiß der Geist zugleich als eigenes Insichgehen, d.h. als durch seine Tätigkeit hervorgebrachte Verinnerlichung der Subjekt und Objekt übergreifenden Vernunft. Deshalb stellt das Erkennen keine separate Leistung des Geistes neben anderen möglichen Instanzen wie Anschauen und Vorstellen dar, sondern ist im Durchschreiten dieser Stufen die geistige Dynamik, welche Subjekt wie Objekt gleichermaßen durchdringt.58 Die statthabende „Er-Innerung“ ist im Unterschied zum seelischen Vorgang vom Bewusstsein des Geistes begleitet. _____________ 56 Für eine ausführlichere Darstellungen siehe Peperzak: „Vom Gefühl zur Erinnerung. Versuch einer strukturellen Analyse“ (in: Henrich 1979, 159-181) und Fulda: „Vom Gedächtnis zum Denken“ (in: Hespe 321-360). 57 Beim Verstand, dem manifesten Ausdruck dieser Figur, wurde klar, dass die Gesetze zwar das innere Wesen der bloß zufälligen Erscheinungen sind, die Erscheinung aber nicht aus ihnen abgeleitet bzw. als Setzung des Inneren verstanden werden konnte. 58 Hegel betont an dieser Stelle die Notwendigkeit, das geistige Erkennen als einen Prozess und nicht als ein in Vermögen zu separierendes Phänomen zu verstehen (X, 242). Der Grund für diese Emphase besteht darin, dass die prozessuale Kontinuität nun selbst Gegenstand des Geistes zu sein hat, der im Durchschreiten seiner Stufen seiner eigenen Selbstbestimmung gewahr wird.
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Den Ausgang der geistigen Erinnerung bildet die Anschauung, welche ihrerseits mit dem Gefühl der Empfindung als unmittelbarer Bestimmtheit im Wissen anhebt. Im Unterschied zum Gegenstand des sinnlichen Bewusstseins entspricht der Empfindungsinhalt der Anschauung bereits der Vernunfttotalität: „In der Empfindung ist die ganze Vernunft – der gesamte Stoff des Geistes vorhanden“ (§447 Z.). Der Geist begegnet in der Empfindung dem stofflichen Inhalt als seiner eigenen immanenten Totalität, welche lediglich auf Grund der Wissensart, der unmittelbaren Gefühlsform, noch nicht in ihrer Vernünftigkeit, mithin in geistiger Vermittlung, vorliegt. Die Empfindung beinhaltet ein unmittelbar Seiendes, welches aber nicht äußerlich, sondern für das Subjekt in seinem Inneren gefunden wird.59 Die Innerlichkeit dieses Seienden zeigt sich auch im Fehlen eines äußeren Objekts, auf welches man wie in der sinnlichen Gewissheit zeigen könnte. Dass sie ein gefühlsmäßiges Finden ist, kennzeichnet den Grad an eigener bewusster Tätigkeit des Geistes. Doch gerade wegen der Unmittelbarkeit der Empfindungsform erscheint der Inhalt dem Geist ebenso als äußerlich; er fühlt sich in sich bestimmt, aber (noch) nicht durch sich, sondern durch äußere Affizierung. Die Überwindung der noch unangemessenen Tätigkeitsform zeitigt einen Fortgang, welcher in der Anschauung über die Aufmerksamkeit zur verinnerlichten und damit verallgemeinerten Anschauung, der Vorstellung, führt. Die Vorstellung ist zunächst Erinnerung. Obzwar schon im Falle der Seele von einem Fortschritt der Verinnerlichung des subjektiven Geistes die Rede war, stellt sich erst im subjektiven Geist als solchem die bewusste Erinnerung ein, welche über die weiteren Vermittlungsleistungen der Einbildungskraft und des Gedächtnisses zur sich im Gegenstand wiedererkennenden Intelligenz, dem Denken, gelangt.60 Ausgehend vom gegebenen Inhalt der Vorstellungen erkennt das Denken als „schließender Verstand“, dass auch der Inhalt seiner Vollzugsform aus ihm selbst folgt, damit Produkt seiner Selbstbestimmung ist. Im schließenden Denken hat die Intelligenz den zunächst noch unmittelbaren Inhalt vollkommen in sich selbst aufgenommen, zum Seinigen gemacht. „Sie weiß, dass, was gedacht ist, ist; und dass, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist – für sich“ (§465). Die denkende Selbstbestimmung des Geistes bedeutet, dass der Geist aus der Allgemeinheit _____________ 59 Deshalb nennt Hegel dieses Gefühl Emp-findung, als In-sich-Finden einer Bestimmtheit. 60 Diese Leistung des Wiedererkennens spielt auf die Platonische Anamnesislehre und ihrer Rede vom Wiedererkennen der Ideen durch den menschlichen Geist in der gegenständlichen Wirklichkeit an (E. Düsing: „Zum Verhältnis von Intelligenz und Wille bei Fichte und Hegel“. In: Hespe 124).
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des Denkens die inhaltliche Bestimmtheit der Gedanken hervorgehen sieht, was weder einseitig in seine subjektive Tätigkeit noch in die objektive Wirklichkeit verlegt werden kann, sondern vielmehr die beide durchdringende dynamische Struktur des Geistes manifestiert. Dem vollendeten theoretischen Geist eignet die „Einsicht in die Notwendigkeit“ und nach Hegels Definition damit die Freiheit, weil im Gegensatz zum Verstand erstens sich das Denken selbst als diese Notwendigkeit begreift, zweitens die Notwendigkeit nicht bloß hinter der zufälligen Erscheinung „west“, sondern gerade ihre offenbare substantielle Bestimmtheit ausdrückt. Am Endpunkt der Entwicklung des theoretischen Geistes vollzieht sich mit der vollendeten Erinnerung des Seienden in der geistigen Totalität eine notwendige Wende zum Praktischen. Verfolgt man den Haupttext auf argumentative Hinweise zum Verständnis des Übergangs, dann stellt sich dieser folgendermaßen dar: Indem sich der theoretische Geist letztlich als sich selbst bestimmende Totalität, das wahrhaft Seiende als geistige Setzung erfasst, bleibt dieser eingesehene Anspruch noch hinter seinem wirklichen Vollzug zurück. Denn der Vollzug beruht auf der Grundlage der äußeren Bestimmtheit in der Empfindung und hat daher noch nicht erwiesen, dass er vollständig aus sich selbst, aus dem Seinigen, das Seiende hervorgehen lässt. Insofern folgt auf die Einsicht des schließenden Verstandes der Be-schluss des nunmehr praktischen Geistes, aus sich selbst das Seiende im Sinne einer inhaltlichen Er-füllung seines erhobenen Anspruchs zu generieren (§469). Den Willen kann man nach Hegel nicht absolut vom Denken trennen, weil er vielmehr das Denken als sich übersetzend ins Dasein ist (VII, §4 Z.) – darin besteht seine wesentliche Bestimmung. Er ist insofern nur ein Aspekt des Denkens oder besser: er besitzt daran seine Substanz. Die Substanz des Willens ist die Freiheit (§4), welche die Einsicht in die Notwendigkeit, Resultat des schließenden Denkens, ist.61 Zur Verdeutlichung des Übergangs lässt sich noch eine weitere Präzisierung vornehmen: Der in sich erinnerte subjektive Geist erkennt nur dann seine Verinnerlichung als solche und damit seine freie Selbstbestimmung, wenn er seinen Ausgang vom Seienden in der Empfindung, d.h. der notwendigen Gegründetheit des Denkens im Sein und des dazu gehörenden Erkenntnismodus, zurücknimmt, um aus eigener _____________ 61 Das Denken ist die Substanz des Willens, bedeutet im mehrdeutigen Sinne von Substanz, dass zum einen der Wille nur ist, insofern er „am Denken“ ist, zum anderen er im Denken seine Grundlage und seinen Zweck besitzt, also letztlich die praktische Freiheit der Verwirklichung des absoluten Denkens dient (s. E. Düsing: „Zum Verhältnis“. In: Hespe 121f.).
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Innerlichkeit heraus das Sein zu generieren. Auch für das Denken selbst konstatiert Hegel daher die notwendige Unterscheidung des subjektiven Denkvollzugs gegenüber dem inhaltlich ebenso bestimmten, aber zusätzlich noch mit dem Attribut des Fürsichbestehens versehenen Sein (X, §467 Z.). Das Denken vermag zwar aus sich zu bestimmen, wie das Seiende ist, aber nicht, dass es ist, d.h. es ist nicht in der Lage, die bloße Existenz hervorzubringen. Bis auf diesen Restbestand nicht im subjektiven Denken aufzulösender gegenständlicher Äußerlichkeit kann das Erkennen die Inhalte aus sich heraus bestimmen. Das Hervorbringen des Fürsichbestehens des Seins stellt eine notwendige Forderung an einen Geist, der in seinem Anderen vollkommen bei sich zu sein beansprucht. Diesen Schritt vermag erst der denkende Wille zu vollziehen, der neben dem Entwerfen von Zwecken ebenso die Ausführung derselben in der Wirklichkeit, also ihr Fürsichbestehen, bewirkt: „als Wille tritt der Geist in Wirklichkeit, als Wissen ist er in dem Boden der Allgemeinheit des Begriffs“ (§469). Es ist klar, dass für diese praktische Steigerung der freien Selbstbestimmung der Wille auf der Grundlage des Denkens zu verbleiben hat, weil er allein auf diesem Wege die Errungenschaften theoretischer Selbstbestimmung beibehält und zugleich ihre Einseitigkeit der bloß innerlichen Allgemeinheit zum Fürsichbestehen bringt. Der nun einsetzende Fortschritt des Willens bewegt sich hin zum vernünftigen Denken seiner Inhalte, um in Anschluss daran dieselben in die äußere Wirklichkeit zu übersetzen, was den Übergang in den objektiven Geist bedeuten wird.62 Denken und Handeln, Intelligenz und Wille, beschreiben folglich nicht zwei getrennte Vermögen des subjektiven Geistes, welche – wie es dem gewöhnlichen Bewusstseins erscheint – in ihrer Funktion voneinander isoliert werden können (§468 Z.). Sie konkretisieren vielmehr die eine Entwicklung des Geistes zur freien Selbstbestimmung und können mittels der Selbstbestimmung des Begriffs charakterisiert werden: Während das Denken die Entwicklung des Geistes in seiner inneren Allgemeinheit abschließt, stellt der Wille „eine besondere Weise des Denkens“ (VII, §4 Z.) dar, welche erst mit dem freien Geist, der Einheit beider Sphären, in die vernünftige Einzelheit eintritt.63 Auf der _____________ 62 „Dieser Begriff, die Freiheit, ist wesentlich nur als Denken; der Weg des Willens, sich zum objektiven Geiste zu machen, ist, sich zum denkenden Willen zu erheben, – sich den Inhalt zu geben, den er nur als sich denkender haben kann.“ (X, §469) 63 Im Rückblick auf das phänomenologische Bewusstsein lässt sich dessen Verhältnis zu seinen beiden Aspekten (Theorie und Praxis) im Sinne der Wechselwirkung beschreiben, welche – wie im Resultat der Anerkennung deutlich wird – noch an der Selbstständigkeit der Momente festhält, um dabei ebenso ihre Einheit zu suggerieren. Die wesentliche Charakterisierung des dialektischen Momentes in der „Phänomenologie“ und
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letzten Stufe erfasst sich daher der freie Geist als Einheit von Denken und Wollen. Wir werden uns im Folgenden an die Darstellung der Entwicklung des praktischen Geistes begeben. Thematisch decken sich die Ausführungen der Enzyklopädie über den praktischen Geist mit der Einleitung der Grundlinien der Philosophie des Rechts.64 In eben dieser Abhandlung entwirft Hegel zunächst die formale Struktur oder den Begriff des Willens als praktischer Geistform. Der subjektive Geist als solcher weist eine analoge Strukturbestimmtheit in seiner theoretischen wie praktischen Gestalt auf. Das Resultat des schließenden Denkens lieferte das sich besondernde und in der Einzelheit zusammennehmende, d.h. sich konkretisierende Allgemeine, was ebenso den Willen als besondere Weise des Denkens auszuzeichnen hat. Als besondere Weise hat der Wille indes auf der anderen Seite noch einen Prozess zu durchlaufen, an dessen Ende er allgemein, d.h. zum Denken überführt wird, so dass der Geist als solcher in seiner allgemeinsten Konkretion und Einzelheit für sich durchsichtig wird. Wenden wir uns zunächst dem Begriff des Willens und den darin liegenden drei geistigen Momenten zu.65 Im ersten Moment offenbart sich sowohl die Kontinuität als auch die Absetzung zur Intelligenz; es handelt sich um das „reine Denken seiner selbst“. Während das Denken auf der Spitze seiner Entwicklung ein Begreifen des konkreten Allgemeinen im Wissen war – eines Allgemeinen jedoch, das mit dem Zusatz des Fürsichbestehens den Charakter der Gegenständlichkeit zugesprochen bekommt, geht es dem Willen um sich selbst als das Allgemeine.66 Dieser offensichtliche Selbstbezug macht es möglich, im praktischen Geist das geistige Pendant zum phänomenologischen Selbstbewusstsein zu sehen. Der Wille hebt mit dem „Seinigen“ und eben nicht mit dem Seienden im Wissen an. _____________ „Psychologie“ (Wechselwirkung/Scheinen bzw. Selbstbestimmung/Entwicklung) markieren auch das Verhältnis ihrer jeweiligen theoretischen und praktischen Teile. Das Theoretische und Praktische in ihrer geistigen Wahrheit aufgefasst müssen als durch die Selbstbestimmungsstruktur verknüpft gedacht werden. Als Moment der Allgemeinheit übernimmt folglich das Denken die umfassendere und höhere Position. Insofern deutet sich hier schon der Übergang zum Primat des Theoretischen an. So auch E. Düsing: „Zum Verhältnis“. In: Hespe 119ff.; Peperzak 1987, 83f. Eine originelle Auffassung dieses Primats bei Fischbach 2002, 57-88. Den Willen als „besondere Weise“, d.h. Modus des Denkens findet man so wortwörtlich bei Spinoza bestimmt (Ethik. I, prop. 32.). 64 Zum Begriff des Willens in der Einleitung der Grundlinien s. Pippin: „Hegel, Freedom, The Will. The Philosophy of Right (§§1-30)“. In: Siep 1997, 31-53. 65 Vgl. VII, §§5-7. 66 Vgl. Hegels Bemerkung (B.) zu VII, §5: „Wille überhaupt. Sich setzen als Allgemeines – Denken Setzen des Allgemeinen überhaupt, Wollen mich als Allgemeines – Ich Gegenstand des Denkens“.
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Inwiefern ist man berechtigt, das reine Selbstdenken mit dem ersten Moment des Willens zu identifizieren? Im Sich-Setzen als Allgemeines vollzieht der praktische Geist die Loslösung von aller äußerlichen, nicht durch sich selbst hervorgebrachten Bestimmtheit, welche noch in der Intelligenz wegen ihres Beruhens auf der unmittelbaren Empfindung und damit auf der äußerlichen Affizierung vorlag. Diese Umkehrung des Geistes entspricht zum einen seiner praktischen Stoßrichtung, nur aus sich selbst, aus eigener Tätigkeit, das Seiende zu entlassen. Zum anderen bezieht der Wille darin ebenso den Standpunkt absoluter Unbestimmtheit von seinen selbst gesetzten Bestimmtheiten. Für die Freiheit als Substanz des Willens ist es wesentlich, auch im Verfolgen selbst gesetzter Zwecke das unmittelbare Selbstbewusstsein zu bewahren, nicht in ihrer Bestimmtheit aufzugehen, sondern ebenso andere mögliche Zwecke wählen zu können.67 Insofern stellt das Denken seiner selbst das Moment reiner Unbestimmtheit dar; es ist die „absolute Abstraktion“ des selbstbewussten Willens oder auch die bloße Möglichkeit zu wollen, abgesehen von allen möglichen Zwecken. Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. (§6)
Nicht allein das vorherige Moment konstituiert den Begriff des Willens, sondern als solcher ist er immer Wille von etwas, d.h. bestimmter Wille. Abgesehen davon, ob diese Bestimmtheit vom Geist selbst hervorgebracht oder durch die Natur gegeben ist – deutlich in der neutral gehaltenen Bezeichnung des Übergehens68 –, ist mit der Bestimmtheit das eigentliche Moment der Intentionalität des Willens gemeint: „Hier noch nicht: Ich will Etwas – sondern die Richtung des Willens auf Etwas“ (§6 B.). Nur auf diesem Weg gelangt er zur Wirklichkeit bzw. zum „Dasein überhaupt“ und verharrt nicht länger in der bloßen Möglichkeit des Wollens. Mit dem Moment der Besonderheit oder des Unterschieds lässt sich im Rückschluss das vorherige Moment der unbestimmten Identität genauer beschreiben. Es bezeichnet den formalen Rahmen des Wollens überhaupt, in dem noch nicht der Intentionalität Rechnung getragen ist. An sich findet alles bestimmte Wollen in diesem _____________ 67 Dieses Moment markiert den Willen als „absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung, in der Ich mich finde oder die Ich in mich gesetzt habe, abstrahieren zu können.“ (ebd.) 68 „Übergehen“ ist der seinslogische Modus der Dialektik im Gegensatz zu ihrer vollendeten Gestalt der Entwicklung, welche erst dann stattfindet, wenn der Begriff sich selbst als solchen und somit auch das Besondere als Konkretion seiner Allgemeinheit erfasst. Dass für den subjektiven Geist als solchen die Dialektikkategorie der Entwicklung wesentlich ist, wurde bereits erwähnt (S. 236 Anm. 53). Insofern wird sich auch das Verhältnis von Unbestimmtheit und Bestimmtheit in diesem Sinne ergeben müssen.
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Rahmen und daher nicht außerhalb seiner statt; es hat die Gemeinsamkeit, dass darin gewollt wird.69 Diese Immanenz des bestimmten im allgemeinen Wollen drückt sich in der Kontinuität des Ich aus, welches im Übergang vom Allgemeinen zum Besonderen als Grundlage des Wollens beharrt und daher im besonderen Zweck gerade seinen Zweck, also dessen „Seinigkeit“, einzusehen vermag. Doch mit dem Setzen einer Bestimmtheit ergibt sich zugleich die Entgegensetzung beider Momente. Die Unbestimmtheit, verstanden als Nicht-Bestimmtheit, ist selbst ein einseitig bestimmtes und damit endliches Moment, obzwar ihrem Anspruch nach unendlich. Der so auftretende Widerspruch beider Momente – zwischen entgegengesetzter Selbstständigkeit und allgemeiner Einheit – ähnelt dem phänomenologischen Grundwiderspruch. Bei einer genaueren Betrachtung der Natur der Besonderheit wird sich jedoch seine entscheidende Andersartigkeit zeigen. Die freie Selbstbestimmung des Geistes gelingt nur, wenn der Widerspruch der vorherigen Stufe gehoben wird, d.h. der Wille sich als „die Einheit dieser beiden Momente“ (§7) durchsichtig wird. Gemäß der logischen Natur des Geistes bezeichnet dieser Schritt das Moment der Einzelheit, bezogen auf den Willen die eigentlich bewusste Selbstbestimmung in Form des Willensentschlusses.70 Dieser Vollzug als freier Übergang zur selbst gesetzten Bestimmtheit verlangt ein Zweifaches: Erstens muss die Entgegensetzung von Allgemeinheit und Besonderheit dadurch aufgehoben werden, dass der besondere Zweck verallgemeinert, d.h. zu einem gedachten Zweck erhoben wird. Als reines Denken seiner selbst weiß der Wille dann um die Besonderheit als um seine immanente, durch die Tätigkeit des Denkens generierte Bestimmung, worin er bei sich ist. Zweitens erfasst er den Übergang zur Bestimmtheit als frei, weil er im bestimmten Zweck nur eine Möglichkeit seines Wollens anzutreffen weiß, die ihm neben unzähligen anderen Möglichkeiten zur Wahl stehen.71 Im Verfolgen eines Zwecks bleibt der Wille so bei sich und kann den Vorgang der Besonderung als seine Selbstbestimmung verstehen, da er durch die einzelne Entscheidung für einen allgemeinen Zweck die Einheit von konkreter Allgemeinheit und seiner Einzelheit in einem Bewusstsein manifestiert. _____________ 69 „Wie das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen dies zweite Moment im ersten schon enthalten und nur ein Setzen dessen, was das erste schon an sich ist“ (VII, §6). 70 Hegel spricht vom „Zusammenschließen“ der beiden Momente, aber auch explizit vom Ent- oder Beschluss der Einzelheit (VII, §7 B.). 71 Das Ich ist „ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt“ (VII, §7).
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Auf der Grundlage der Analyse des Willensbegriffs geht es Hegel nun im Folgenden um die Entwicklung der Besonderheit, die eine Stufenfolge der unterschiedlichen „Formen des Willens“ beinhaltet. Es ist diejenige Stelle, an der die enzyklopädische Psychologie mit dem praktischen Geist einsetzt. Wie schon die Intelligenz so geht auch der Wille von einer unmittelbaren Bestimmtheit in sich aus – mit dem Unterschied, dass nunmehr das Moment der Seinigkeit den Vorrang gegenüber demjenigen des Seienden erhält. Die wie auch immer beschaffene Willensbestimmtheit kennzeichnet das „objektive Bestimmen“ (X, 289) des subjektiven Geistes, d.h. dasjenige am Geist, wodurch er zum Bestimmenden im Hinblick auf das objektive Sein wird. Vollzog die Intelligenz im Ausgang vom äußerlichen Material der Empfindung eine Verinnerlichung des Seienden, so ist es dem Willen darum zu tun, seine innerliche Bestimmtheit, seinen bloß unmittelbar als Begriff existierenden Willen, durch eine „Äußerlichmachung“ (ebd.) mittels eigener Tätigkeit zum Dasein zu verhelfen, bis im Gegenstand nichts anderes als die Manifestation des Begriffs zum Ausdruck kommt.72 Die anfängliche Situation des Willens, bloß Begriff zu sein, welchem der Gegenstand noch nicht entspricht, obzwar er ihm dem geistigen Anspruch nach entsprechen soll, führt zu der im Rahmen des praktischen Geistes zentralen Figur des Sollens. Das innerliche SichBegreifen des sich besondernden Allgemeinen im Denken vollzieht auf Grund des im subjektiven Denken uneinholbaren bloßen Fürsichbestehens des Seins die Ur-teilung von Begriff und Gegenstand im Willen, wonach der bloße Begriff aus sich heraus das Fürsichbestehen seines gedachten Inhalts zu generieren hat.73 Man kann das Sollen in dreierlei Bedeutung aufweisen. Erstens ergibt sich die Trennung von Willensbestimmtheit (Zweck) und Dasein oder Zustand des subjektiven Geistes sowie die Sollensforderung der Übereinstimmung von letzterem mit ersterem; im Sollen ist für das Subjekt die Trennung und Forderung ihrer Überwindung. Unter Zustand oder Dasein des subjektiven Geistes ist nicht die äußerliche Wirklichkeit überhaupt gemeint, sondern vielmehr die innere von außen bestimmte Verfassung des Sub_____________ 72 Dies beschreibt die Entwicklung, welche noch über den subjektiven in den objektiven Geist hinausführt und erst in der wahrhaften Sittlichkeit vollendet ist. 73 Die Parallelität vom Übergang des Begriffs ins Urteil innerhalb der Begriffslogik und desjenigen von der Intelligenz zum Willen bietet sich durch Hegels eigene Terminologie an (X, §§472f.). Im Gegensatz zu Peperzak (Peperzak 1991, 52), der diese Analogie allein innerhalb der Willensentwicklung nachweist, sollte sie auch schon konkret für den Wechsel von der Intelligenz zum Willen deutlich werden, nämlich als Übergang von der konkreten Einzelheit des Denkens hin zum Einzelnen als dem schlechthinnigen Fürsichbestehen, welches als Subjekt des Urteils die Trennung vom Prädikat zu überwinden hat (vgl. VI, 296ff.).
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jekts, welche im theoretischen Teil in ihrer Entwicklung betrachtet wurde. Diese kommt nun nicht mehr für sich, sondern in ihrem Bezug auf den Willen des Subjekts zur Geltung, als Widerstand oder Einklang mit dem Sollen. Insofern reicht die Selbstbestimmung des Geistes nur bis zum innerlichen Genuss, als subjektiver Übereinstimmung beider Aspekte, nicht jedoch geht es um die Tat oder Handlung des Subjekts in der Sinnenwelt, was Thema des objektiven Geistes sein wird (X, §444). Dieses Sollen sei im Folgenden das eudämonistische Sollen genannt. Die im ersten Sinne des Sollens ausgeblendete zweite Bedeutung, als Trennung von Ich- und Weltbestimmtheit sowie die Forderung ihrer Einheit, gehört zum einen zur Betrachtungsweise des Bewusstseins, welche im subjektiven Geist als solchem negiert ist. Zum anderen wird sich auf der Grundlage des freien Geistes das Bewusstseinsmoment im objektiven Geist relativ restituieren, wenn es darum gehen wird, die innerliche Selbstbestimmung des Geistes ins äußere Dasein zu übersetzen. Es handelt sich – wie noch plausibel wird – um ein sittliches Sollen. Die dritte Bedeutung des Sollens ist wie die erste im subjektiven Geist thematisch, jedoch zunächst nur für den philosophischen Betrachter, nicht für das behandelte Subjekt. Sie besteht in der anfänglichen Kluft zwischen dem jeweils bestimmten Willen und dem an und für sich seienden, dem wahrhaft freien Willen, welcher sich als denkender Wille erst am Ende der Entwicklung für sich manifestiert. Dieses moralische Sollen beruht mithin auf dem Unterschied von anfänglich unmittelbarem, mithin natürlichem und dem wahrhaft allgemeinen Willen. Die Trennung von Begriff und Fürsichbestehen zeitigt folglich drei verschiedene Arten des Sollens, welche zu einem Teil im praktischen Geist, zum anderen im objektiven Geist zur Einheit mit dem Sein geführt werden. Ihre absolute, mithin vollständige Aufhebung erfahren sie erst jenseits des Praktischen, nämlich im absoluten Geist. Der zuvor erörterte Begriff des Willens gibt einen Maßstab zur Bewertung der Besonderheit an die Hand, weil erst derjenige Wille als vollkommen frei anzusehen ist, der im Gegenstand seines Wollens seinen eigenen Begriff manifestiert. Folglich lassen sich die jeweiligen Zwecke anhand ihrer Übereinstimmung mit der formalen Willensstruktur bewerten. Für die konkrete Gestaltung der praktischen Willensentwicklung liegen in den drei Versionen der Enzyklopädie sowie der Einleitung der Grundlinien mehrere unterschiedliche Varianten vor. Die Stufen, auf welche wir uns im Folgenden beziehen wollen, sind das
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praktische Gefühl, die Triebe, die Willkür, die Glückseligkeit sowie der freie Geist.74 1. Das praktische Gefühl repräsentiert die unmittelbare Selbstbestimmung des subjektiven Geistes.75 Es ist die spontane Reaktion, welche das Subjekt angesichts seines faktischen inneren Zustandes im Hinblick auf sein eigenes, unmittelbares Wollen in Form eines angenehmen oder unangenehmen Gefühls empfindet (X, §472). Ähnlich wie beim theoretischen Gefühl der Empfindung findet sich hier der Geist innerlich bestimmt. Jedoch vollzieht sich im Sich-Finden des Geistes eine Akzentverschiebung, insofern nun das Moment des Seinigen, des Sich-Findens, nicht hingegen die seiende Bestimmtheit, d.h. der faktische innere Zustand, die Vorherrschaft erhält.76 Was das Gefühl eigentlich indiziert, ist die Selbstbestimmtheit des Subjekts. Darin besitzt der Geist ein unmittelbares Wissen um seine eigenen Präferenzen, denen nicht notwendigerweise ein Fürsichbestehen, d.h. ein Realisiertsein, zukommt, deren Dasein er indes will oder wünscht. Er fühlt sich vorwiegend selbst „als in seiner innerlichen Natur bestimmte Einzelheit“ (§471). Im Auftreten der (unmittelbar) bestimmten Einzelheit offenbart sich die Subjektivität des Gefühls, dass es die eigenen immanenten Bestimmungen (ebd.) des einzelnen Individuums anzeigt, sein Inhalt somit in dieser subjektiven Form noch keine expliziten Züge des Allgemeinen an sich trägt. Doch ist das Gefühl im Vergleich mit dem Verstand eher der Vernunft verwandt, weil es dieselbe Totalität wie diese sein kann. Im Gegensatz zum Verstandesdenken, das sich im Wollen auf einzelne, bestimmte Inhalte fixiert, kann das Gefühl dem Subjekt einen Gesamteindruck seines Befindens vermitteln; das Gefühl beinhaltet in der vernünftigen Gestalt dann nur die durch den Verstand offenbarten Einzelaspekte in ihrer Gesamtheit. Dies trifft allein auf diejenigen Gefühle zu, welche in eine vernünftige Gestalt gebracht werden können; am Gefühl als solchem vermag man jedoch auf Grund der subjektiven Form nicht zu entscheiden, ob es vernünftig ist oder nicht. Durch den im Gefühl möglichen Inhalt unmittelbarer Tota_____________ 74 In den Grundlinien fehlt das praktische Gefühl, während in den ersten beiden Versionen der Enzyklopädie neben einer unterschiedlichen Kapiteleinteilung unter Beibehaltung der Reihenfolge kein letztes Kapitel zum freien Geist vorhanden ist. Wir werden uns an die dritte Version der Enzyklopädie halten, ggf. ergänzt durch Ausführungen aus den Grundlinien. Für eine detaillierte Darstellung der unterschiedlichen Versionen sei auf Peperzak 1991 verwiesen. Zur Entwicklung des Willens vgl. Fetscher 198ff.; Peperzak 1987, 50ff. 75 Das Verhältnis von Gefühl und Wille erläutert Peperzak ausführlich („Hegel über Wille und Affektivität“. In: Hespe 361-395). 76 Peperzak 1991, 34.
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lität kann man ihm eine gewisse Allgemeinheit zusprechen.77 Die Klärung der Frage, in welchen Gefühlen die allgemeinen „Rechte und Pflichten“ (X, 291) freier Selbstbestimmung zum Vorschein kommen, verlangt das explizite Wissen um diese Rechten und Pflichten, welches im Modus des Gefühls noch nicht vorhanden ist. Verständlicher wird das praktische Gefühl, wenn darin auf den Aspekt des eudämonistischen Sollens eingegangen wird, auf die Beziehung zwischen der Selbstbestimmung und dem wirklichen Zustand des einzelnen Subjekts. Der im Gefühl gewollte Inhalt wird auf den faktischen Zustand des Subjekts bezogen, wodurch, je nach dem, ob Übereinstimmung oder nicht vorliegt, ein „Gefühl des Angenehmen oder des Unangenehmen“ (§472) entsteht.78 Dieses Gefühl beinhaltet einen unmittelbaren Vergleich der vorgefundenen Selbstbestimmtheit mit der darin bereits implizierten, weil gewollten Äußerlichkeit des bestimmten subjektiven Zustandes. Entspricht der letztere dem unmittelbaren Zweck, dann empfindet ihn das Subjekt als angenehm, da er als Zweck für das Subjekt sein soll. Die in den inneren Zuständen des Subjekts repräsentierte Welt wird im Hinblick auf die Wahrheit des subjektiven Willens gedeutet. Auf Grund der Unmittelbarkeit des Gefühls, d.h. der Tatsache, dass es noch nicht genauer bestimmt ist, impliziert diese praktische Erfahrung gleichsam das unmittelbare Wissen um Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung des Subjekts mit seinem objektiven Dasein in sich. Die Mängel des praktischen Gefühls treten offen zutage, sobald man sich dem moralischen Sollen zuwendet, um zu erörtern, inwieweit im praktischen Gefühl bereits die freie Selbstbestimmung des Geistes realisiert ist. Die Besonderheit der Selbstbestimmung, d.h. der jeweilige Zweck, wird im Gefühl unmittelbar indiziert. Damit besitzt das Subjekt jedoch kein explizites Bewusstsein der Selbstbestimmung als Übergang aus unbestimmter Allgemeinheit zur Besonderheit: Es findet sich unmittelbar bestimmt. Der gewollte Inhalt zeigt sich noch nicht im Medium des Denkens als des Seinigen des Subjekts, und kann daher ebenso _____________ 77 In den inhaltlich konkreteren praktischen Gefühlen, die – wie z.B. beim sittlichen Gefühl – bereits einer (gesellschaftlichen) Vermittlung unterliegen, wird dieser Bezug auf die allgemeine Totalität manifest. Ein Mensch, der über ein sittliches Gefühl verfügt, weiß in nahezu jeder Situation unmittelbar, mithin ohne längere Überlegung, wie er sittlich zu handeln hat. Sein Gefühl liefert ihm ein augenblickliches, unmittelbares Wissen der Vernunft. Beim praktischen Gefühl als solchem bleibt dieser Bezug auf die Totalität der Vernunft freilich noch sehr abstrakt. 78 Die Definition entspricht derjenigen Kants (vgl. AA V, 204f). Dort bestimmt Kant dieses Gefühl als Lust oder Schmerz angesichts des Daseins des erwünschten Gegenstandes. Besteht das Erwünschte auch für sich, ist es seiend, dann empfindet das Subjekt Lust, ansonsten Unlust.
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als ein bloß äußerlicher bezeichnet werden. Wenn sich das Gefühl nicht zugleich denken, also rationalisieren lässt, dann beharrt der so bestimmte Wille lediglich auf seiner subjektiven Partikularität. Der bloße Gefühlsmensch erfährt allerlei Übel in der Welt, weil er auf den eitlen Anspruch insistiert, dass die Welt nach seinen eigenen besonderen Wünschen eingerichtet zu sein hat. Das Übel ist Hegel zufolge die notwendige Erfahrung dieser Subjektivität, insofern sie dadurch auf ihre eigentliche Aufgabe, das Denken und die Verallgemeinerung ihrer selbst, gestoßen wird. Es ist nur für denjenigen eine hochgradig schmerzliche Tatsache, der nicht die eigentlichen, höheren Zwecke des Geistes anerkennt. Ein weiterer damit zusammenhängender Mangel besteht in der Passivität des Gefühls. Da es dem Geist in seiner subjektiven Gestalt um Tätigkeit zu tun ist, ist das Gefühl eine noch minderwertige Stufe, auf der lediglich das zufällige Koinzidieren von Wille und Zustand konstatiert wird oder nicht, nicht jedoch die eigene Tätigkeit die bestehende Kluft zu überbrücken sucht. Wer sich nur auf sein Gefühl beruft, verharrt in seiner subjektiven Innerlichkeit und empfindet ohnmächtig das schicksalhafte Walten der äußeren Welt. 2. Einen Zugewinn an eigener Tätigkeit und Allgemeinheit des Geistes ermöglicht der besondere Zweck verstanden als die natürlichen Triebe oder Neigungen, wofür gilt: „Das praktische Sollen ist reelles Urteil“ (§473). Was ist damit gemeint? Die unmittelbare Selbstbestimmtheit im praktischen Gefühl verstellt die eigentlich freie Selbstbestimmung, indem sie keinen Übergang von Allgemeinheit zur Besonderheit einsichtig macht. Dieser Mangel zeigt sich auch an der Besonderheit für sich betrachtet, d.h. am praktischen Gefühl, das, weil es nur unmittelbar vorgefunden wird, die Abhängigkeit des Subjekts von äußeren Bestimmtheiten indiziert. Ob das Gefühl angenehm ist, verdankt sich dem von Außen affizierten Zustand des Subjekts, bei dem es letztlich dem Zufall überlassen bleibt, ob er mit der Selbstbestimmtheit übereinstimmt oder nicht. Diese Abhängigkeit vom äußeren Zufall steht augenscheinlich im Gegensatz zum freien Willen, der diese gerade umzukehren und das Bestimmte als notwendige Setzung seiner selbst einzusehen hat. Das bedeutet, dass die Übereinstimmung von besonderem Zweck und besonderem Dasein nicht von letzterem zufällig, sondern von ersterem frei hervorgebracht werden soll. Das Sollen darin ist reelles Urteil, weil nunmehr die reale Trennung von Selbstbestimmung und Zustand sowie das Bestreben ihrer Überwindung für das Subjekt explizite Grundlage seines Wollens wird.79 Dieser Vorrang der _____________ 79 Beim Gefühl des Unangenehmen besteht auch eine gefühlte Trennung von Wille und Zustand, aber kein tätiges Einheitsstreben, während beim angenehmen Gefühl die Einheit, aber nicht die durch Tätigkeit zu überwindende Trennung empfunden wird.
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Triebe gegenüber den Gefühlen verdankt sich ihrer formellen Vernünftigkeit, ihrem allgemeinen Triebe, nicht als Subjektives zu sein, sondern durch die Tätigkeit des Subjekts selbst die Subjektivität aufzuheben, realisiert zu werden. (§474)
Das allgemein Triebhafte der Triebe ist die „Lebendigkeit des Subjekts“ (§475). Eine präzisere Unterscheidung von Trieb und Gefühl entspringt einer Betrachtung des jeweils darin implizierten Verhältnisses von Form und Inhalt. Die praktische Gefühlsform ist inhaltlich weitestgehend unbestimmt, es liegt darin nicht, welcher konkrete faktische Zustand des Subjekts intendiert ist. Vielmehr wird erst im Nachhinein anhand des Gefühls des Angenehmen oder Unangenehmen, mithin nach der äußerlichen Affizierung, deutlich, was im allgemeinen Sinne der Selbstbestimmung entspricht. Die praktische Gefühlsform ist offen für viele mögliche Inhalte. Als Negation der einzelnen, weil rein subjektiven Gefühlsform stellen sich die Triebe als besondere dar, welche von Anfang an in Form einer Mannigfaltigkeit von Trieben vorliegen. Vom praktischen Gefühl ließ sich auf Grund der Unmittelbarkeit nur in der Einzahl sprechen, mit den Trieben ist die Form selbst Anlass verschiedener Inhalte: Triebe gibt es nur in spezifizierter, pluraler Gestalt. Zudem ist jeder besondere Trieb für sich betrachtet allgemein, da er zu seiner Befriedigung eine Reihe möglicher Zwecke zulässt, was im Sinne der Selbstbestimmung den Übergang von der Allgemeinheit zu den konkreten Zwecken ermöglicht.80 Es entsteht so ein „System dieses Inhalts“ (VII, §12), verstanden als aggregatives System der Triebe, dessen Mangel darin begründet liegt, dass die unterschiedlichen Triebe bloß durch ihre abstrakte Gemeinsamkeit des Triebhaften, nicht jedoch untereinander in eine hierarchische Ordnung zusammengefasst werden können. Was aus der Triebform inhaltlich abzuleiten ist, ist somit lediglich die bloße „Menge und Mannigfaltigkeit von Trieben“ überhaupt (ebd.), nicht jedoch ein eigentliches System bestimmter Triebe. Diese abstrakte Allgemeinheit des Triebhaften gegenüber den speziellen Trieben, mithin die Beziehung von Allgemeinheit und Besonderheit, lässt erkennen, wie der konkrete, einzelne Freiheitsentschluss auf der Stufe der Triebe auszusehen hat. Der Wille kann auf Grund der undifferenzierten Mannigfaltigkeit der Triebe, jeden beliebigen _____________ 80 Anhand dieser Bestimmung wird im Zusatz zu §473 der Unterschied zur phänomenologischen Begierde deutlich, welche als bloß einzelne nur durch einen bestimmten einzelnen Gegenstand, an dem sie sich entzündet, befriedigt werden kann. Die Triebe hingegen lassen eine Mehrzahl an möglichen Objekten und damit eine gewisse Wahlfreiheit für die Befriedigung offen (s. S. 210 Anm. 26).
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Trieb wählen, d.h. ihn als den „meinigen überhaupt neben andern“ (ebd.) setzen. Es fehlt ein objektives Wissen darum, welche Triebe die Freiheit befördern und welche nicht. Der Zusammenschluss von Allgemeinheit und Besonderheit auf der Stufe der Triebe und Neigungen durch die beschließende Einzelheit des Willens zeigt sich in der Fähigkeit desselben, sich aus dieser absoluten Indifferenz für einen seiner Triebe zu entscheiden.81 Diese vollzogene Selbstbestimmung, welche in ihrer Eigenart nicht weiter aus dem Hegelschen Text aufzuklären ist, erinnert stark an das Moment der Aufmerksamkeit der anschauenden Intelligenz.82 Demnach kann der Mensch im Unterschied zum Tier dadurch, dass er, nur indem er einzelne Triebe durch unmittelbare Aufmerksamkeit in sein Bewusstsein ruft, aus der Gesamtmenge seiner Triebe eine Wahl treffen, ohne sich dieser Wahl und der Gründe für ihren Vollzug bewusst zu werden. Folgt das Tier unmittelbar seinen jeweils stärksten Trieben, so kann der Mensch nur wollen, indem er sich eines Triebes durch eigene Tätigkeit bewusst wird. Dieser Übergang von Allgemeinheit zur Besonderheit ist mit der Minimaltätigkeit aufmerksamer Hinwendung zu bestimmten Trieben verbunden; erst dadurch lässt sich überhaupt von einem triebbestimmten Willen sprechen. Das Subjekt besitzt nach Hegel auf dieser Stufe ein explizites Interesse für seine einzelne Existenz, was nicht nur den eigenen Genuss an der Triebbefriedigung, sondern auch den dafür notwendigen Aufwand des Subjekts einschließt (X, §475). Das Interesse zielt auf Genuss und auf das tätige Mitwirken des Subjekts an der Genussverwirklichung. Das Subjekt will selbst die Einheit von Wille und faktischem Zustand hervorbringen.83 3. Die Mangelhaftigkeit des triebbestimmten Willens besteht in seiner Unfähigkeit, im Entschluss die notwendige Distanz von seinen Trieben zu bewahren; vielmehr identifiziert er sich mit einem seiner bestimmten, vorgegebenen Triebe und unterliegt darin dem Walten seiner Natürlichkeit. Auch der triebbestimmte Wille ist noch unmittelbar, d.h. natürlich, weil er seine allgemeine Unbestimmtheit nicht über seine Triebe stellt, sondern nur in ihrer Aufgabe zugunsten der Verfolgung eines triebbestimmten Zwecks seine Freiheit zu verwirklichen _____________ 81 Einen Sonderfall macht diejenige Willensbestimmung aus, welche sich der Wille dauerhaft gibt. Indem er sich immer wieder für den gleichen Trieb entscheidet, wird er Leidenschaft (X, §474). 82 Zur Aufmerksamkeit als reflektierter Trieb vgl. Stederoth 397. 83 Wie beim praktischen Gefühl des Angenehmen, so spielt auch bei den Trieben das subjektive Verlangen nach dem Dasein der Zwecke eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur bloßen Lust ist nun aber auch das Verlangen weitaus reflektierter und zeugt davon, dass das Subjekt seine eigene Tätigkeit im Objekt wieder zu finden begehrt. Das lateinische Wort „Interesse“ dokumentiert diesen höheren Reflexionsgrad des Willens.
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sucht. Das Moment der Unbestimmtheit kommt nun auf der nächsten Stufe der Willkür zur Geltung. Geschah die Wahl der Triebe oder Neigungen auf der vorherigen Stufe noch unmittelbar, d.h. ohne Einsicht in ihr Wesen durch das Willenssubjekt, so hat nun eine Reflexion auf dieses Moment selbst stattzufinden, damit sich der Wille in seiner Unbestimmtheit angesichts der mannigfaltigen Triebe erfasst. Die Betonung seiner unbestimmten Wahlmöglichkeit im Wollen drückt sich darin aus, dass nunmehr der Wille nur noch diejenigen Triebe als die seinigen bestimmt, mit denen er sich durch seine Wahl zusammenschließt (§477). Er gibt sich folglich nicht unmittelbar an seine Triebe hin, sondern reflektiert sich in sich unter dem Aspekt der Willkür und distanziert sich von seinen Trieben – als reine Unbestimmtheit. Allein diejenigen Triebe rechnet sich ein derartiger Wille zu, die in ihrer Verwirklichung die Wahl des Willens manifestieren. Im Gegensatz zu den vorherigen Gestalten unmittelbaren Selbstbestimmens ist der Wille in der Willkür für sich frei, indem er von allen möglichen Inhalten seines Wollens abstrahiert, er erfüllt damit das wesentliche Moment des reinen Selbstdenkens oder der reinen Allgemeinheit. Was die Willkür verwirklicht, will sie nur, weil es aus einer zufälligen Wahl hervorgeht; ihr Interesse liegt im wahllosen Wählen. Versteht sich der Wille als reine Willkür, dann wird er sich niemals in verwirklichten Zwecken wiederfinden können, außer dadurch, dass er diese Wirklichkeiten als wirkliche Möglichkeiten und damit als Zufälligkeiten deutet.84 Über jeden gewählten Zweck ist der Wille hinaus, weil er in seiner Unbestimmtheit niemals in einer Bestimmtheit aufzugehen vermag. Allgemeinheit und Besonderheit sind in der Willkür dermaßen radikal entgegengesetzt, dass sich die Allgemeinheit nur insofern im Bestimmten wiederzufinden vermag, als sie das Bestimmte in seiner bloßen Willkürlichkeit deutet. Was sich das Subjekt an den Zwecken zurechnet, ist nur das Faktum ihres Gewähltseins, nicht jedoch ihre inhaltliche Komponente. Dass genau diese bestimmten Zwecke gewählt wurden, bleibt unerklärlich bzw. ist nur durch die Tatsache der Willkür, also als zufällig zu erklären. Der Anspruch der Willkür auf absolute Unbestimmtheit verursacht aber, dass die Willkür sich allein durch die Wahl von Inhalten verwirklicht, in denen als solchen sie nicht bei sich, mithin unfrei ist. Durch die Entgegensetzung von (abstrakter) Allgemeinheit und Besonderheit erfüllt zwar die Willkür einen wichtigen Aspekt der freien subjektiven Selbstbestimmung, doch lassen sich aus dem Allgemeinen nicht die _____________ 84 So die Bestimmung in Hegels Logik: „Das Zufällige ist ein Wirkliches, das zugleich nur als möglich bestimmt, dessen Anderes oder Gegenteil ebenso sehr ist.“ (VI, 205) Vgl. D. Henrich: „Hegels Theorie über den Zufall“ in: Henrich 1971, 157-186.
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besonderen Zwecke ableiten. Die Allgemeinheit ist daher nicht umfassend, sondern ihrerseits beschränkt und endlich. Die Willkür ist „der Wille als der Widerspruch“ (VII, §15), was nur dadurch verschleiert wird, dass sie nach jeder Befriedigung eines gewählten Triebes die wirkliche Sache fallen lässt, um sich der Wahl anderer Neigungen zu widmen. Auf diese Weise entsteht ein unendlicher Prozess der ständigen Triebwahl und Triebbefriedigung, ohne dass sich darin die Freiheit des Geistes verwirklichen könnte. Das Problem der Willkür besteht im Fehlen eines allgemeinen Kriteriums für den freien Übergang von Allgemeinheit zur Besonderheit. Deshalb liegen auch die Triebe für den Willen weiterhin in ihrer ungeordneten Mannigfaltigkeit vor. Die Einzelheit, welche im willkürlichen Entschluss des Subjekts den Übergang zu stiften scheint, stellt keine Synthese im Sinne der konkreten Allgemeinheit dar. Zu diesem Zweck müssten die Triebe verallgemeinert werden – im Sinne ihrer allgemeinen Einfügung in ein begrifflich bestimmtes „System der Triebe“; dieses soll sich letztlich als „vernünftiges System der Willensbestimmung“ darstellen (§19). Die dafür notwendige „Reinigung der Triebe“, welche ihnen die zufällige Form zu nehmen und sie auf ihr substantielles Wesen zurückzuführen sucht, ereignet sich mit der Glückseligkeit. 4. Im Begriff der Glückseligkeit hat der Wille nach Hegel auf Grund einer allgemeinen, d.h. gedachten Vorstellung die Triebe in einem System integriert. Er besitzt ein Kriterium dafür, ob die Triebe befriedigt, aufgeschoben oder unterdrückt werden, nämlich je nach ihrer Dienlichkeit für die Glückseligkeit. Diese ist eine „durch das reflektierende Denken hervorgebrachte Vorstellung einer allgemeinen Befriedigung“ der Triebe (X, §479). Zwar bringt der eudämonistische Willensbegriff einen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, in der Zweckwahl nicht unmittelbar von den Trieben, sondern von der eigenen gedanklichen Konstruktion eines allgemeinen Zwecks bestimmt zu sein. Doch untersteht diese Stufe weiterhin dem Einfluss der Triebe, da es sich letzten Endes um die optimale Befriedigung aller Triebe handelt. Zudem gelingt es ebenso wenig wie im Falle der Willkür, aus der unbestimmten Allgemeinheit, hier dem Begriff der Glückseligkeit, die besonderen Zwecke systematisch abzuleiten und somit als Besonderungen des Allgemeinen zu verstehen. Sowohl die Auswahl der Triebe als auch die Art und Weise ihrer Befriedigung zum Erreichen der Glückseligkeit bleibt dem „subjektiven Gefühl oder Belieben“ (X, 300) anheim gestellt und entzieht sich einer objektiven Verallgemeinerung. Glückseligkeit ist die Vorstellung eines allgemeinen, d.h. dauerhaften Genusses, weshalb jedes Subjekt nur in seiner eigenen Empfindung den Maßstab dafür findet, was (d.h. welche Triebe) die eigene Glückseligkeit inhalt-
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lich ausmacht. Der Wille hat gleichsam zwei Zwecke, die allgemeine Glückseligkeit als solche sowie viele besondere Triebe. Beide stehen sich unvermittelt gegenüber und lediglich das unmittelbare Gefühl vermag zu entscheiden, welche Triebe mit der Allgemeinheit übereinstimmen und welche nicht. Es besteht „noch keine wahre Einheit des Inhalts und der Form“ (VII, §20 Z.). Glückseligkeit und Triebe sind nicht vermittelt, deshalb vermag sich die wahrhaft freie Willensform, der freie Begriff, auch nicht im Inhalt der Glückseligkeit zu realisieren. 5. Diese Differenz von Form und Inhalt auf der Stufe der Glückseligkeit lässt sich am besonderen Zweck des so bestimmten Willens deutlich machen. Der nach Glückseligkeit strebende Geist verfügt über zwei voneinander distinkte Zwecke, Glückseligkeit und natürliche Triebe, von denen der eine eher das Moment der formalen Allgemeinheit, der andere das der inhaltlichen Besonderheit an sich trägt. Ihre Unvereinbarkeit in einem System der gereinigten Triebe lässt sich nur dann überwinden, wenn der Wille in seinem besonderen Zweck und Gegenstand „die sich selbst bestimmende Allgemeinheit“ (§21), also sich selbst erkennt. Begriff und Realität, Form und Inhalt des Willens gelangen im freien Geist zur Einheit.85 Als höchster Zweck freier Selbstbestimmung erweist sich anhand der Entwicklung des Willens die freie Selbstbestimmung selbst, wodurch der Wille in seinem Anderen, dem Zweck, bei sich selbst, und somit frei ist. Das Selbstverhältnis verhält sich zu sich selbst als Selbstbestimmung zur Selbstbestimmung. So geht es dem Willen nicht um wie auch immer triebbestimmte Ziele, sondern um seine Freiheit. Indem der Zweck in die Freiheit verlegt wird, werden die vorhergehenden Zwecke (das Angenehme, das Interesse, die Willkür und die Glückseligkeit) nicht schlechterdings fallengelassen, sondern erhalten ihre Relativierung zugunsten des absolut höchsten Zweckes der Freiheit. Die Reinigung der Triebe zu einem allgemeinen System der freien Willensbestimmung garantiert weiterhin, dass das Subjekt im Verfolgen eines darin vorkommenden Zweckes um der Freiheit willen ebenso die in den vorherigen Stufen erwähnten Zwecke gleichsam akzidentell miterfüllt. „Der wirkliche freie Geist ist die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes“ (X, §481). Mit der Endposition des praktischen Geistes ist nicht nur die Einheit seines Begriffs und seiner Realität im Wollen erbracht; ebenso hat sich das Denken der Intelligenz wieder-
_____________ 85 Das Kapitel über den freien Geist findet sich erst in der dritten Auflage der Enzyklopädie. Zur Notwendigkeit dieser Korrektur vgl. Stederoth 395ff.
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hergestellt.86 Sein Wesen als freie Selbstbestimmung erfasst der Wille allein im Modus des Denkens, das den graduellen Fortschritt auf den vorherigen Stufen zum Abschluss bringt. Der freie Wille will sich nicht nur, sondern er weiß sich auch als solchen. In diesem Wissen um sich gelangt das moralische Sollen als Forderung nach Einheit von vernünftiger und wirklicher Selbstbestimmung zum deutlichen Bewusstsein des Subjekts, insofern es dasselbe als seine eigene Bestimmung erkennt und will. Mit anderen Worten: der Wille weiß, dass dasjenige, was er will, zugleich dasjenige ist, was er gemäß seines wahrhaften Seins wollen soll, weil dasjenige, was er will, sein eigenes Sein als allgemeiner Wille ist. Das Sein des Willens – die Bestimmung (determinatio) seines Wollens – ist identisch mit seinem Begriff, also demjenigen, was der Wille verwirklichen soll (destinatio), um an und für sich seiender Wille zu sein. Diese dynamische Einheit erkennt er qua freier Geist. Die Rückkehr des Willens in sich als Denken seiner selbst ist zugleich die Rückkehr zum Denken. Vollendete sich die Intelligenz im Denken, das um seine Selbstdifferenzierung in bestimmte Gedanken weiß, so ist der vollendete Wille derjenige, der in der gedanklichen Selbstbestimmung sein Wesen erkennt und es zugleich verwirklichen will. Mit dieser Einlösung des moralischen Sollens geht diejenige des eudämonistischen Sollens einher. Die Forderung, die Kluft zwischen Selbstbestimmtheit und innerem Zustand zu überbrücken, ist durch den freien Geist erfüllt. Im Gegensatz zur Stufe der Glückseligkeit sowie allen anderen vorherigen Stufen ist die Befriedigung seiner Zwecke nicht mehr im „Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem“ (VII, 75). Ob die Welt mit den Zielen der Glückseligkeit eines einzelnen Subjekts in seinem faktischen, inneren Zustand koinzidiert oder nicht, kann nicht allein durch die Tätigkeiten dieses Subjekts entschieden werden. Ist es statt dessen die freie Selbstbestimmung, zu der es sich bestimmt, dann ist die Zwecksetzung ihr eigener Zweck und somit im faktischen Zustand des Subjekts erfüllt, „weil das Dasein des Begriffs, oder seine gegenständliche Äußerlichkeit, das Innerliche selbst ist.“ (ebd. 74). Ein derartiger Wille ist „das zum trieblosen Sein gewordene geistige Bewusstsein“ (X, 302), trieblos – weil das Sollen in Einheit mit dem Sein des Willens ist. Bislang wurde lediglich die innerliche, subjektive Einheit dargestellt, welche sich im subjektiven Geist am Ende der Entwicklung ergibt. Dies erweckt den Eindruck, dass auch der freie Geist – wie die Vorgänger – noch dem subjektiven Genussstreben verhaftet bleibt: Frei_____________ 86 Darin besteht die Analogie zur phänomenologischen Anerkennung, welche ebenso die Einheit von theoretischem und praktischem Verhalten des Ich, von Bewusstsein und Selbstbewusstsein darstellt.
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sein heißt, sich innerlich selbst (zur Selbstbestimmung) zu bestimmen; dieser innere Selbstgenuss und nicht die objektive Verwirklichung der Selbstbestimmung scheint die Freiheit des praktischen Geistes auszumachen. Das vernünftige System seiner Willensbestimmung besitzt demnach in ihm unmittelbares Dasein im Beschluss, die freie Selbstbestimmung dem allgemeinen Willens gemäß zu vollziehen. Die Aufhebung seiner Partikularität im allgemeinen Willen fordert indes die Verabschiedung der Rückbindung der Zwecksetzung und -erfüllung an das einzelne Subjekt. Denn eben dieser Entschluss des einzelnen Subjekts, den allgemeinen Zweck freier Selbstbestimmung zu verfolgen, bringt einen Wendepunkt in der Genese der Freiheit hervor. Indem der freie Geist die gesamte Sphäre seiner subjektiven Selbstbestimmung erfasst und zugleich will, realisiert er sich zwar zum einen im Fürsichbestehen eines einzelnen freien Willens. Zum anderen ist aber die Existenz freier Selbstbestimmung in seiner Person der Realität des allgemeinen Willens insofern unangemessen, als die übrige Existenz, d.h. die äußere Wirklichkeit (worunter auch die Wirklichkeit anderer Willenssubjekte zu verstehen ist), noch nicht zum Ausdruck dessen gestaltet ist. Will der Wille sich als allgemeinen, so will er seine allgemeine und nicht bloß einzelne Existenz. Der Zweck der Freiheit ist nicht subjektiv wie die vorherigen, als wollte das Subjekt seine Freiheit nur für sich und in sich genießen – dies wäre der in bloßer Subjektivität verharrende freie Geist, wie er später noch geschildert wird87 –, vielmehr bezieht er sich als allgemeiner und objektiver Zweck auf die gesamte Wirklichkeit. Am Ende seiner Entwicklung in sich reflektiert steht der im Einzelwillen verkörperte allgemeine Wille der äußeren Welt gegenüber. Er ist mithin noch nicht die wahrhaft konkrete Allgemeinheit, sondern nur formal, beschränkt durch die Welt, aber seinem Anspruch nach umfassende Allgemeinheit. Der freie Geist findet sich in der äußeren Welt nur wieder, sofern sie als Ausdruck seiner allgemeinen Freiheit erfasst werden kann. Eine derartige Freiheit wäre vollkommen absolut zu nennen, wenn die gesamte Wirklichkeit als Setzung des Geistes eingeholt wäre. Infolgedessen tritt mit dem freien Geist bereits der „Begriff des absoluten Geistes“ bzw. in logischer Terminologie: die noch abstrakte absolute Idee auf. Der freie Geist will sich und ist für sich als abstrakte Idee, insofern er zwar in sich die Einheit von Begriff und Realität des freien Willens hervorgebracht hat, der äußeren Welt gegenüber jedoch noch dieser Realität ermangelt. Wie in der Anerkennung bereits angedeutet, kann sich die freie subjektive Selbstbestimmung als Totalität konkreter Allgemeinheit nur _____________ 87 Im Kapitel zur Moralität.
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auf der Grundlage der vernünftigen und freien objektiven Totalität vollziehen. Die im Bewusstsein begründete Abhängigkeit des Subjekts von der objektiven Welt muss nun auf der Grundlage des subjektiven Geistes als Sphäre des Daseins der Freiheit, d.h. in Hegels Terminologie als Rechtssphäre, gestaltet werden. Allein dadurch ordnet sich das Subjekt als Moment der transsubjektiven Vernunfttotalität unter und beharrt nicht länger auf dem Standpunkt der subjektiven Einzelheit oder des Genussstrebens. Einerseits hat sich der Wille selbst zum allgemeinen Willen gemacht und kann daher zu Recht den Anspruch erheben, dieser Wille selbst zu sein. Andererseits vollzieht das Subjekt den Entschluss, als einzelner den allgemeinen Willens zu befolgen, es ordnet sich mithin der geistigen Subjekt-Objekt-Identität, d.h. der absoluten Idee, unter. Die Idee erscheint so nur im [einzelnen] Willen, der ein endlicher, aber die [formale] Tätigkeit ist, sie zu entwickeln und ihren sich entfaltenden Inhalt als Dasein, welches als Dasein der Idee Wirklichkeit ist, zu setzen (X, §482).88
Das Subjekt identifiziert sich mit der Vernunft im Entschluss seines Einzelwillens. Will es darin wahrhaftig den allgemeinen Willen, dann muss es zugleich die Existenz der Vernunft in seiner bloßen Einzelheit zu ihrem allgemeinen Bestehen in der gesamten Wirklichkeit übersteigen. Dieses äußere Fürsichbestehen umfasst die innere und äußere Natur sowie die anderen Einzelwillen (§483). Die Hinwendung zur objektiven Wirklichkeit führt im objektiven Geist zu einer relativen Restituierung des phänomenologischen Bewusstseinsmoments auf der Grundlage subjektiver Freiheit. Dadurch wird die Welt nicht länger als (fremdes) Nicht-Ich gewusst – wie im phänomenologischen Bewusstsein –, sondern als Sphäre wirklicher Freiheit erkannt und gewollt. Als einzelnes Fürsichbestehen des allgemeinen Willens ordnet sich das Subjekt dessen konkreter Allgemeinheit unter, indem es sich als nur formelle Tätigkeit der freien Übersetzung vernünftiger Zwecke in die Wirklichkeit versteht. Diese Gestalt bloßer Formalität im praktischen Geiste zeigt sich schon beim Rückblick auf seine Entwicklungsstufen. An keiner Stelle wurden die konkreten Inhalte aus der Selbstbestimmung abgeleitet, sondern nur ihre allgemeine Form: das Gefühlsmäßige, das Triebhafte, das Glückseligmachende sowie die Selbstbestimmung. Welche konkrete Ausprägung aber den Gefühlen, Trieben, der Glückseligkeit und der Selbstbestimmung zukommen muss, blieb unausgemacht, weil es nicht aus der bloßen Subjektivität ableitbar ist. Die Inhalte, deren formale _____________ 88 Die Berechtigung der Einfügungen in diesem Zitat ergeben sich aus dem vorherigen Satz (ebd.).
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Ausführung dem Subjekt obliegt, müssen sich aus der Sphäre des objektiven Geistes als das die subjektive Selbstbestimmung überragende objektive Dasein der Vernunft ergeben – ein Dasein, das freilich nur durch die Tätigkeit des Subjekts ist. Einerseits realisiert das Subjekt die Totalität des Geistes in sich selbst, andererseits vollzieht es sie nur als sein subjektives Moment. Damit sich die absolute Freiheit realisieren kann, hat das Objektive ebenso noch in die Totalität des Geistes eingegliedert zu werden. Die in der Anerkennung bereits auftretenden Aspekte subjektiver und objektiver Vernunft werden erst mit dem objektiven Geist zur konkreten Darstellung gebracht. Das eudämonistische und das moralische Sollen sind nur dann vollkommen mit dem Sein versöhnt, wenn auch das sittliche Sollen, die geforderte Einheit von Willen und Welt, seines Status als bloßer Forderung enthoben wird. Bevor zum absoluten Geist als solchem fortgeschritten werden kann, muss zunächst die Sphäre der Objektivität zum inhaltlichen Dasein der Freiheit werden. Resultierte der freie Geist durch das vernünftige System der Triebe eines Subjekts, so wird es im Wesentlichen nun um das „allgemeine Gelten [der Freiheit] in allen Subjekten“ (VII, §27 B.) sowie in der gesamten äußeren Wirklichkeit zu tun sein. Auf diesem Wege wird sich zudem klären, wie das System der Triebe konkret in ein System der Pflichten und Rechte transformiert werden kann. Die geistige Genese des praktischen Selbstbewusstseins Es wurde in der Sekundärliteratur häufig darauf hingewiesen, dass Hegels Lehre vom praktischen Geist einer Auseinandersetzung vor allem mit der Aristotelischen Ethik und Metaphysik entspringt, verknüpft mit einer kritischen Replik auf die transzendentalphilosophische Konzeption Kants.89 Nicht zuletzt die eindringliche Emphase auf den Willensbegriff sowie die für die Definition seiner Momente benutzte Begrifflichkeit – Unbestimmtheit, Bestimmtheit und Selbstbestimmung als Selbstbewusstsein – legen jedoch die Vermutung nahe, dass vor allem Fichte ein wichtiger Vordenker für die Willenslehre Hegels war.90 Schließlich fällt auf, dass es sich bei Hegels Entwicklung der Willensgestalten um nahezu exakt die gleiche Stufenfolge wie in Fichtes ethischer Trieblehre handelt. Diese hatten wir aus gutem Grund eine Phänomenologie der Freiheit genannt – wohl wissend, dass damit in Hegels Augen der Standpunkt des Fichteschen Denkens bezeichnet ist. _____________ 89 Peperzak: „Hegel über Wille und Affektivität“. In: Hespe 361-395. Einen guten Überblick gibt Bonsiepen. 90 Dies betont auch De Pascale (De Pascale 99).
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Die widersprüchliche Verfasstheit des Bewusstseinsstandpunktes, welche im Kapitel zur „Phänomenologie“ erörtert wurde, führt, sobald sie auf einen genuin geistigen Inhalt angewandt wird, zu einer einseitigen Auffassung desselben, da die höhere Dimension des Geistigen unterschlagen wird. Fichtes Thema ist das praktische Bewusstsein, nicht der praktische Geist.91 Es ist zu vermuten, dass dieser Standpunkt in der widersprüchlich fixierten Trennung von Unbestimmtheit und Bestimmtheit gründet, welche gegenüber der geistigen Perspektive als Bestimmtheit in der Unbestimmtheit mangelhaft ist. Die phänomenologische Sicht und ihre Beeinträchtigung der Willensdarstellung lässt sich nach Hegel in mehreren Hinsichten bei Fichte konstatieren. Gemeinsam ist ihnen der Grundwiderspruch des Bewusstseins von Einheit und Selbstständigkeit, was letztlich die Unmöglichkeit des Objektivwerdens des freien Ich zur Folge hat. Eine Verortung dieser Einseitigkeit am Begriff des praktischen Geistes, d.h. des Willens, kann Hegel zufolge im zweiten Moment desselben vorgenommen werden, dem „Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit“ zum Setzen einer Bestimmtheit [...]. Die Unterscheidung und Bestimmung der zwei angegebenen Momente findet sich in der Fichteschen Philosophie (VII, §6).
Dies mag dem ersten Anschein nach vollkommen mit Fichtes eigener Definition des freien Willens übereinstimmen, wonach dieser im Bewusstsein „des Übergehens von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit“ (SW IV, 137) besteht. Indes ist damit Hegels gesamte Kritik in nuce präsent. Der auf der zweiten Stufe verharrende Wille gelangt nicht zur wahren Selbstbestimmung, weil Unbestimmtheit und Bestimmtheit von der Reflexion unüberwindlich entgegengesetzt werden – was bei Fichte fehlt, ist die letzte und höchste, mithin spekulative Synthese.92 Die Einseitigkeit des phänomenologischen Willensbegriffs überträgt sich nach Hegel auf die Bestimmung seines höchsten Zwecks. Wenn im Begriff Unbestimmtheit und Bestimmtheit getrennt werden, dann wird sich ein derartiger Wille in einem ebenso beschaffenen Zweck realisieren. Gemeint ist der sich als Willkür verstehende und wollende Wille, der in Anspielung auf seine phänomenologische Gestalt auch der „Wille als der Widerspruch“ (VII, §15) genannt wird. Dergestalt sei die „Freiheit in aller Reflexionsphilosophie, wie in der Kantischen“, somit auch in der Fichteschen. Die Unterscheidung von Unbestimmtheit und Bestimmtheit im Zweck stellt sich genauer gefasst _____________ 91 Zum Begriff des praktischen Bewusstseins im Gegensatz zum praktischen Geist vgl. Hegel: Die Philosophie des Rechts. Vorlesung von 1821/22. Frankfurt a.M. 2005. §8. Fortan abgekürzt: PdR. 92 Peperzak 1991, 47.
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als Entgegensetzung von Willkür und Trieben dar und den nur in einem unendlichen Prozess unternommenen und damit notwendig scheiternden Versuch, die Einheit beider Seiten hervorzubringen. Eine Phänomenologie der Freiheit bleibt daher bei der Differenz von Willkür, also genereller: von Reflexion und Trieben stehen. In der Tat ist die gesamte Trieblehre Fichtes eine Darstellung der verschiedenen Ansichten, die durch Reflexion auf den Urtrieb bzw. auf das unendliche Streben hervorgebracht werden. Die Anordnung ihrer Elemente erhält die Darstellung durch das bewegende Moment der freien Reflexion im Ausgang von der untersten Stufe, dem Naturtrieb, zum höchsten Punkt, der intendierten Einheit von Reflexion und sittlichem Trieb. Auch noch auf der letzten Stufe kann der sittliche Trieb allein durch die reflexiv-willkürliche Entscheidung für denselben realisiert werden. Der Blick auf den besonderen Zweck der phänomenologisch gedeuteten Freiheit hat zugleich zwei weitere Hinsichten erbracht, welche entschieden andersartig bei Fichte konzipiert sein müssen: die Übergänge und das Endziel der Entwicklung. Die Trieblehre Fichtes ist ein von der freien Reflexion getragener Stufengang des Willens zur Freiheit, der zwar mit jeder Stufe neue Formen von Reflexion und Trieb liefert, aber letztlich niemals zu einer Synthese beider Momente gelangt. Die freie Willkür oder Reflexion des Subjekts kann sich nicht mit den Trieben, sei es nun mit den natürlichen oder dem sittlichen, vollständig identifizieren, weil sie selbst als das Entgegengesetzte dazu bestimmt ist. Die Bewegung mündet folglich in die unvereinbare Unterscheidung von Willkür und sittlichem Trieb, welche den freien Geist höchstens in seiner subjektiven Einheit, nicht jedoch in seinem Übergang zum objektiven Geist umfasst. Die innere Selbstbestimmung bleibt demnach Hegel zufolge eine solche, d.i. rein innerlich, weil es ihr nur um subjektiven Genuss ihrer selbst geht. Dies erklärt sich dadurch, dass die subjektive Reflexionstätigkeit im Gegensatz zum Denken als Motor der Hegelschen Entwicklung niemals die objektive Dimension des Fortschreitens zu umfassen vermag. Stellt der freie Geist das reflektierte Zusammenschließen von Erkennen und Wollen dar, dann erhält die oberste Position bei Fichte noch die widersprüchliche Entgegensetzung von Reflexion und triebbestimmtem Wollen aufrecht. Für Hegel steht fest, dass es in der Ethik Fichtes nicht zur geforderten Überwindung der Triebe und daher nicht zur Verwirklichung der Freiheit kommen kann. So verharrt eine derartige Willenskonzeption auf dem Standpunkt subjektiver Innerlichkeit oder des Genussstrebens. Dass Hegel es unternimmt, den Weg Fichtes aufnehmend, die bei Kant zu radikal gezogene Abgrenzung von Glückseligkeit und Freiheit durch Aufweisen einer Stufenleiter von Willensformen zu vermitteln,
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lässt sich bereits an seiner Verwendung des Sollensbegriffs aufzeigen. Die beiden für den subjektiven Geist wesentlichen Bedeutungen des Sollens, das eudämonistische und das moralische, veranschaulichen die anfänglich noch bestehende Unterscheidung von Glückseligkeit und Freiheit. Das erste Sollen, also die Forderung nach Einheit von Selbstbestimmung und faktischem Zustand, erhebt den Anspruch der Glückseligkeit, wonach die Wirklichkeit mit dem eigenen Willen, welcher Art er auch sein möge, übereinstimmen soll. Die andere, dritte Bedeutung, gemäß welcher die Forderung nach Vereinbarung von vernünftiger und tatsächlicher Selbstbestimmung im Mittelpunkt steht, verschreibt sich der Bestimmung moralischer Freiheit.93 Nach Hegel muss man die Erfüllung beider Forderungen im Sinne einer Bewegung des Willens vom impliziten zum verwirklichten Denken verstehen. Widerspricht die Selbstbestimmung dem faktischen Zustand, dann deshalb, weil sie noch nicht vernünftig, sondern natürlich und daher vom Äußeren abhängig, also unfrei ist. Das Glückseligkeitssollen verweist auf das Freiheitssollen. Erst der freie Geist verkörpert in sich die Einheit beider Momente, insofern zum einen die Triebe zum System der Willensbestimmung, der wirkliche zum allgemeinen Willen, gestaltet ist, weshalb zum anderen der faktische Zustand zum unmittelbaren Dasein der Selbstbestimmung wird. Diese Einheit von Sollen und Sein liefert den einzelnen freien Willen, wie er im objektiven Geist zu Beginn vorliegt, um seine Freiheit in der äußeren Welt hervorzubringen. Bei Fichte hingegen bleibt es bekanntlich – wie am Willen als Willkür deutlich – bei der eineinholbaren Forderung, dem unendlichen Sollen. Die unterschiedlichen Perspektiven, die Verstandesreflexion und der Geist bzw. das Vernunftdenken, zeitigen nun auch ein andersartiges Verständnis der einzelnen Stufen der praktischen Selbstbestimmung, worauf wir zum Schluss des Vergleichs eingehen wollen. Praktisches Gefühl und Sehnen, die Ausgangspunkte bei Hegel und Fichte, teilen miteinander den Grundzug, eine Urform der Selbstbestimmung zu sein. Durch die Unmittelbarkeit dieser Freiheit verfügt das Subjekt über keinen klaren Zweckbegriff, über kein explizites Wissen um sein Bedürfnis. Insofern in dieser Unbestimmtheit die Gesamtheit möglicher vernünftiger Zwecke einfließen kann, umfassen sie die Totalität. Beide gehen auf Genuss, „auf ein materielles Verhältnis der Außenwelt zu meinem Leibe“ (SW IV, 144) oder auf die Einheit von Selbstbe_____________ 93 Peperzak hat festgestellt, dass die Zweifachheit des Sollens auf die Unterscheidung von hypothetischem und kategorischem Imperativ anspielt, deren Einheit im freien Geist realisiert ist (in: Hespe 384f; ebenso Stederoth 387f.).
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stimmtheit und faktischem Zustand.94 Der Unterschied besteht nun darin, dass Hegel das praktische Gefühl als ein einzelnes beschreibt, das nur auf der Grundlage seines wirklichen Vorliegens thematisiert werden kann, nämlich als Gefühl des Angenehmen oder des Unangenehmen. Es ist rezeptiver Natur, weil es nur anlässlich des Eintretens und Nichteintretens einer Situation vorliegt und an derselben seine Zustimmung oder Ablehnung dokumentiert. Dem gegenüber deutet Fichte das Sehnen vielmehr als die allgemeine menschliche Grundgestimmtheit zur Aktivität, die in konkreten Gegenständen niemals zur Befriedigung gelangen wird, sondern vielmehr das unendlich unbefriedigte Aussein auf Befriedigung verkörpert. Die Trennung von einer adäquaten objektiven Bestimmtheit vergrößert sich mit der Emphase auf freier subjektiver Tätigkeit. Durch freie Reflexion oder einer weiteren Erhebung zum Denken kommt es zur Stufe der Mannigfaltigkeit von Naturtrieben, welche durch das Mittel der Aufmerksamkeit in die Macht des Subjekts gestellt werden. Die Aufmerksamkeit der Reflexion auf die Naturtriebe bei Fichte, die erst durch diese Aufmerksamkeit in eine Mannigfaltigkeit zerfallen, ergibt die Begierde, die Hegel bekanntlich in die „Phänomenologie“ verbannt hat. Doch auch Hegel weist der Aufmerksamkeit einen entscheidenden Stellenwert im freien Umgang mit den Naturtrieben zu. Sie ist die erste freie Aktivität, wodurch das menschliche Subjekt ein Art Auswahl unter den Trieben treffen kann. Explizit wird diese Freiheit erst mit der Willkür, wodurch sich das Subjekt bei Fichte und Hegel über die Naturtriebe stellt und darin seine Unbestimmtheit demonstriert. Die freie Wahl von Naturtrieben vermag sich dabei auf Grund einer selbst gewählten „Maxime“ oder gedanklichen Vorstellung zu vollziehen, nämlich derjenigen der Glückseligkeit. Von Fichte übernimmt Hegel im Gegensatz zu Kant die positive Bedeutung der Glückseligkeit, welche in dem die bloße Natürlichkeit übersteigenden Entwurf einer Zweckvorstellung gründet, die durch den höheren Grad an Allgemeinheit einen Weg zum allgemeinsten Gedanken der Freiheit bahnt. Einerseits noch dem bloßen Genussstreben verhaftet, trägt die Glückseligkeit bereits die Überwindung bloß natürlichen Treibens in sich. Doch die konkrete Entscheidung, welche Triebe zur Glückseligkeit beitragen, bleibt weiterhin der Willkür, dem beliebigen subjektiven Gefühl anheim gestellt und entbehrt eines allgemein-konkreten Krite_____________ 94 Letztlich erklärt sich auch die unterschiedliche Benennung eines Äußeren aus den verschiedenen Perspektiven. Das Bewusstsein betrachtet die Außenwelt, während für den subjektiven Geist die einzige Außenwelt diejenige in seiner Innenwelt ist, sprich: sein innerer faktischer Zustand. Der äußere Zustand wird erst als Rechtszustand Thema des objektiven Geistes sein.
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riums. In der Willkür werden die Triebe keineswegs hierarchisch organisiert, sondern in ihrem bloßen Nebeneinander festgehalten. Der willkürliche Wille entscheidet sich für einzelne Triebe zur Erfüllung der Glückseligkeit, kann aber in der natürlich-unmittelbaren Triebbefriedigung nicht den Ausdruck seiner begrifflich-vermittelten Glückseligkeitsvorstellung finden.95 Nun könnte es verwundern, dass Hegel in der Willkür den für Fichtes Denken der freien Selbstbestimmung höchstmöglichen Standpunkt ansiedelt, obzwar Fichte selbst im sittlichen Trieb die höchste Synthese ansetzt. Zunächst lässt sich anführen, dass Fichte in Hegels Augen mit dem sittlichen Trieb ebenso wenig die Grundlage der Willkür, nämlich das Genussstreben, hinter sich lassen kann, weil schon in der Bezeichnung der Instanz als Trieb deutlich wird, dass immer noch die subjektive Befriedigung anvisiert ist. Das Beharren auf diesem Aspekt vereitelt die Möglichkeit eines Übergangs zur wahren Freiheit, d.h. zum objektiven Geist; das Ich gelangt nicht zu einer objektiven Wirklichkeit. Dies mag darüber hinweg täuschen, dass auch Fichte im sittlichen Trieb die Einheit von Glückseligkeit und Freiheit auszumachen versuchte. Die materiale Unbestimmtheit der Naturtriebe, ihre auch bei Hegel betonte Offenheit angesichts mehrerer möglicher Befriedigungsweisen, wird für das freie Subjekt zum Anlass, eigene Zwecke zu entwerfen, welche zwar weiterhin Naturtriebe befriedigen, aber doch im Bewusstsein einer völlig neuartigen genuin moralischen Absicht. Inwiefern Fichte mit dieser Synthese scheitern muss, ist für Hegel erst Thema im objektiven Geist, welcher den Bezug von subjektiver Selbstbestimmung und objektivem Dasein erörtert.96 Die Unmöglichkeit eines Übergangs in den objektiven Geist für Fichte verweist auf ein Versäumnis, das bereits im Verständnis der Anerkennung manifest ist: Es ist die Forderung, neben der subjektiven Dimension freier Selbstbestimmung auch die notwendige Unterordnung des Subjektes als Moment unter die allgemeine objektive Vernunfttotalität in Betracht zu ziehen. Die Ausgrenzung der objektiven Dimension in der subjektiven Selbstbestimmung, welche bei Hegel methodisch gezogen wurde, um sie im objektiven Geist wieder einzuholen, wird bei Fichte perpetuiert. _____________ 95 „Ich verschieden von der Bestimmtheit dieser Triebe – sie natürlich – bestimmt, erscheinen jeder als selbstständig – auch.“ (VII, §11 B.) Das „Auch“ kennzeichnet das unvermittelte Nebeneinander der Triebe, wodurch sie als selbstständige sich gegenüberstehen und noch nicht zur Einheit des Systems gebracht sind. Ebenso selbstständig sind dem gemäß Ich – die „Form des Individ[uums als] Bewussts[ein]“ – und die Gesamtheit der Triebe einander entgegengesetzt. Dies ist der phänomenologische Widerspruch. 96 Dabei handelt es sich um das Kapitel des objektiven Geistes zur Moralität.
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Demnach muss es auffallen, dass seine Trieblehre zu einer formalen Beschreibung des freien Subjekts gelangt, die konkreten Inhalte jedoch nur unter Rückgriff auf die unmittelbare Instanz des Gewissens einzuführen vermag. Nach Hegel bleibt jede Selbstbestimmung formal, die nicht beachtet, dass sich ihre Inhalte erst im Zuge der Entfaltung des objektiven Geistes einstellen, letztlich in der konkreten Sittlichkeit gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die Untersuchung, ob das Gewissen als Produzent konkreter Zwecke akzeptabel ist, erörtert Hegel daher erst im objektiven Geist. Indem er die Inhalte an den objektiven Geist verweist, nährt er die Erwartung, dass darin auch die wirkliche subjektive Selbstbestimmung, welche doch nur als ein Wollen bestimmter Inhalte verstanden werden kann, in ihrem konkreten Vollzug einsichtig wird. Weil Fichte dies nicht beachtet hat, bleibt seine Ethik formal und unrealisierbar. 3. Die Freiheit des objektiven Geistes. Das Recht. Was die Bestimmung der praktischen Freiheit des Menschen anbelangt, gehört Hegels Lehre vom objektiven Geist sicherlich zum zentralen Textstück, worin die phänomenologischen und psychologischen Aspekte freier Selbstbestimmung in ihren tragenden „transsubjektiven“ Einheitsgrund zurückgeführt werden. Insofern ist es diese Lehre, die Hegels eigentliche praktische Philosophie behandelt.97 Die phänomenologische Anerkennung wie auch die subjektive Selbstbestimmung werden in denjenigen Kontext gestellt, in welchem die Möglichkeit ihres Vollzuges erst realisierbar wird. Dennoch besteht auch eine gewisse Entgegensetzung von subjektivem und objektivem Geist, die auf Grund ihrer jeweiligen Einseitigkeit und Äußerlichkeit erst im absoluten Geist zu einem versöhnten Verhältnis finden werden. Dieser zweite Punkt hebt nicht allein die Relativität und Endlichkeit praktischer Freiheit im Hinblick auf ihre Überwindung im reinen unendlichen Denken hervor, sondern ebenso die Ausgangssituation des objektiven Geistes, insofern er sich in seinen Anfangsgestalten im Gegensatz zur subjektiven Selbstbestimmung befindet. Um zu skizzieren, auf welche Weise der objektive Geist seine Funktion als Einheitsgrund des phänomenologischen und psychologischen Geistes erfüllt, lässt sich bei der Objektivität des Bewusstseins ansetzen. In der gesamten „Phänomenologie“ obwaltete diejenige geis_____________ 97 Dazu Manfred Riedel: „Objektiver Geist und praktische Philosophie“. In: Riedel 1970, 11-40.
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tige Einstellung, wonach dem Gegenstand des Bewusstseins – vom Gegenstand des sinnlichen Bewusstseins bis zum anderen Ich – äußere Selbstständigkeit gegenüber dem subjektiven Tätigkeitsvollzug zugesprochen wurde. Ihren Abschluss findet diese Überzeugung in der Annahme einer objektiven Vernunft, der sich beide Subjekte eines Anerkennungsverhältnisses als Momente zu unterwerfen haben, um ihrerseits die Totalität der Vernunft zum Ausdruck zu bringen. Unter Absehen von der objektiven Vernunftsphäre wurde im praktischen Teil der „Psychologie“ erläutert, wie der subjektive Geist als solcher in seiner Immanenz die Totalität freier Selbstbestimmung zu vollziehen vermag. Im objektiven Geist erhält nun die objektive oder transsubjektive Dimension der Vernunft ihre rechtmäßige Ausführung. Es soll gezeigt werden, auf welche Weise sich der subjektive Freiheitsvollzug als Moment der Totalitätskonstitution von objektiver Vernunft ergibt. Infolgedessen wird auch die phänomenologische Einstellung revidiert oder zumindest relativiert. Die Konstitution der Vernunft infolge der Anerkennung erweckt den Eindruck, als resultiere die Vernünftigkeit im Handeln der Subjekte ausschließlich aus ihrem freien Akt als einer Maßnahme, für die sie sich als einzelne Subjekte entschieden. Beruht indes Anerkennung allein auf der Willkür atomisierter Subjekte, dann widerspricht dies zum einen offensichtlich der in der Anerkennung implizierten Forderung nach Überwindung der Einzelheit zugunsten der allgemeinen Vernunft, und dokumentiert zum anderen die Fragilität einer bloß willkürlichen Anerkennung. Statt dessen soll im objektiven Geist der allgemein-objektive Kontext hervorgehoben werden – gleichsam als Sphäre, innerhalb welcher auch die Anerkennung ihren relativen und gesicherten Vollzug erhalten wird; sie kann aber gerade nicht Prinzip des objektiven Daseins vernünftiger Freiheit sein. Im Rückblick auf den praktischen Geist lässt sich die Funktion des objektiven Geistes zum einen als relative Restituierung der phänomenologischen Objektivität und damit in Entgegensetzung zu jenem verstehen; zum anderen erhält der praktische Geist darin aber erst seinen wirklichen, mithin konkreten Vollzug. Es wurde bereits auf die konkreten Inhalte freier Selbstbestimmung hingewiesen, insofern sie im subjektiven Geist als solchem nicht thematisiert werden konnten. Wirkliche freie Selbstbestimmung setzt aber konkrete Inhalte und Zwecke voraus, die in der formalen Gestalt bloßer Subjektivität nicht aufzufinden sind. Die Objektivität erhält folglich im objektiven Geist eine andere Funktion als in der „Phänomenologie“, weil nunmehr auf der Grundlage des praktischen Geistes die objektive Wirklichkeit nicht bloß in Entgegensetzung, sondern zugleich in Einheit für jenen ist, nämlich als dessen Dasein und Inhalt: „Dies, dass ein Dasein überhaupt Dasein des
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freien Willens ist, ist das Recht.“ (VII, §29) Das objektive Dasein soll im Hinblick auf den freien Willen und somit als Rechtssphäre verstanden werden; dieses Dasein ist keine bloß äußerliche, naturbehaftete Sphäre, sondern geistiges Produkt, das überhaupt nur verstanden werden kann in Rekurs auf den freien Willen – nicht als erste, sondern als zweite, geistig vermittelte Natur. Der Wille gibt sich sein Dasein eben durch Handlungen in der Sinnenwelt, im Gegensatz zum bloßen Genussstreben des subjektiven Geistes. Dass ein Dasein überhaupt Dasein des freien Willens ist, bewirken dessen freie Handlungen. Die gesamte Lehre vom objektiven Geist thematisiert diese objektive Dimension des Geistes, ihre Gestalt ist diejenige einer Rechtsphilosophie im weitesten Sinne verstanden als Handlungstheorie.98 Als Resultat des praktischen Geistes ergab sich der freie Wille, der sich als solchen will und weiß. Dies bleibt auch Grundlage des objektiven Geistes: „Der ganze Boden des Rechts ist der freie Wille, der für sich ist, der sich will.“ (PdR §34) Doch mit der sinnenweltlichen Verwirklichung des freien Willens tritt eine neue Forderung auf, nämlich diejenige, das äußere Dasein zum Dasein der Freiheit zu gestalten (§39). Durch die Entgegensetzung und intendierte Einheit der Objektivität mit der freien Selbstbestimmung ist der Widerspruch des objektiven Geistes angesprochen, der auf dessen Endlichkeit und das noch nicht aufgelöste Sollen verweist. War im praktischen Geist das eudämonistische und moralische Sollen thematisiert, so tritt nun das noch nicht behandelte sittliche Sollen in den Fokus: der Unterschied von subjektiver Selbstbestimmung und objektiver Weltbestimmtheit sowie die Forderung nach ihrer Einheit. Als Resultat des subjektiven Geistes hat sich der freie Wille ergeben, der durch seine Entgegensetzung zum objektiven Bestehen nur den abstrakten absoluten Geist, d.h. dessen noch unrealisierten Begriff, repräsentiert. Für den freien Wille gilt zunächst, dass die Freiheit seine innere Bestimmung und Zweck ist und sich auf eine äußerliche vorgefundene Objektivität bezieht, welche sich spaltet in das Anthropologische der partikulären Bedürfnisse, in die äußeren Naturdinge, die für das Bewusstsein sind, und in das Verhältnis von einzelnen zu einzelnen Willen, welche ein Selbstbewusstsein ihrer als verschiedener und partikulärer sind (X, §483). _____________ 98 Diese Bezeichnung verwendet man für gewöhnlich allein für das Kapitel zur Moralität, weil darin das Dasein der moralischen Freiheit als Handlung bestimmt wird (VII, §113; Schnädelbach 220). Nichtsdestoweniger lässt sich die gesamte Rechtsphilosophie unter diesem Aspekt verstehen. So bestimmt Hegel allgemein den objektiven im Unterschied zum subjektiven Geist durch die Handlung oder Tat in Absetzung vom Genuss (X, §444; §469 Z.).
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Die sich in Entgegensetzung zum subjektiven Willen befindliche Objektivität offeriert das „äußerliche Material für das Dasein des Willens“ (ebd.). Dass er sich darin noch nicht vollkommen verwirklicht hat, weist auf sein immer noch nicht überwundenes bloßes Erscheinen in der Objektivität. Diese Äußerlichkeit rechtfertigt das Wiederauftreten von phänomenologischen Kategorien wie Anerkennung, Notwendigkeit und äußerer Macht (§484) und deutet zugleich an, dass die Bewegung des objektiven Geistes auf die Aufhebung dieser äußerlichen Seite abzielt, damit der freie Wille in seinem Anderen gänzlich bei sich, also frei ist. Zum einen besitzt der freie Wille auf Grund seiner Geistigkeit das Anrecht, in der Objektivität das natürliche Material seiner Manifestation zu ergreifen, zum anderen verkörpert er selbst auf Grund der Entgegensetzung zur Objektivität noch nicht die wahre Gestalt der Freiheit; er ist einzelner, naturbehafteter Wille. Diese zweifache Weise, auf der sich der Erscheinungsstatus des objektiven Geistes manifestiert, begründet die für die Rechtsphilosophie Hegels wesentliche Bestimmung von Rechten und Pflichten. Das Recht ist umfassend im Sinne des „Daseins aller Bestimmungen der Freiheit“ (§486) zu nehmen, worunter die im sinnlichen Material verwirklichten Aspekte des freien Willens zu verstehen sind. Je nach dem, wie sich der Wille auf den unterschiedlichen Stufen des objektiven Geistes begreifen wird, wird auch sein Verständnis vom Dasein dieser Freiheit ausfallen. Das Recht ist für Hegel keine äußere Beschränkung für den Willen, sondern die Manifestation seiner selbst im Anderen. Ebenso ist die Verwirklichung des Willens, sein Weg vom einzelnen zum allgemeinen wirklichen Willen, seine Pflicht. Solange derselbe seine Identität mit dem allgemeinen Willen in der Objektivität noch nicht realisiert hat, untersteht er ebenso der Sollensforderung in Gestalt inhaltlich bestimmter Pflichten, deren Realisierung ihm obliegt, damit er darin das Dasein seiner eigenen Freiheit und somit sich als allgemeinen Willen entdeckt. Aus dieser Bestimmung der Rechte und Pflichten geht hervor, dass beide wesentlich dasselbe sind: „Dasselbe, was ein Recht ist, ist auch eine Pflicht, und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht“ (ebd.). Ihre Unterscheidung gründet lediglich in der Perspektive des einzelnen Subjekts, das, solange es sich noch nicht zum allgemeinen objektiven Willen erhoben hat, nur das seine Einzelheit betreffende Dasein der Freiheit als Recht begreift, wohingegen es das allgemeine Dasein der Freiheit als Pflicht empfindet. Das Auseinanderfallen ist indes nur „der Schein des Unterschieds der Rechte und der Pflichten“ (§486), ihre Trennung ergibt sich aus der Endlichkeit des objektiven Geistes, deren Überwindung Ziel desselben darstellt. Nur wenn der Einzelwille des Subjekts sich zur
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wahrhaften Allgemeinheit gebildet hat, erkennt er in seinen Pflichten seine Rechte und umgekehrt. Anhand der Differenz von Pflichten und Rechte sowie der Forderung ihrer Überwindung lässt sich der Weg des objektiven Geistes präziser verfolgen. In einem ersten Teil über das abstrakte Recht wird gleichsam eine reine Rechtslehre vorgetragen, welche im folgenden Teil über die Moralität durch eine Pflichtenlehre ergänzt wird. Im letzten Teil über die Sittlichkeit soll die einseitige Trennung von Recht und Pflicht zugunsten ihrer „absoluten Einheit“ (ebd.) überwunden werden.99 In Bezug auf den subjektiven Willen, um dessen Verwirklichung es geht, kann man diese Dreiteilung als Versuch des Willens verstehen, sich als einzelner, besonderer und allgemeiner Willen ein Dasein zu geben. Dementsprechend ändert sich die Konzeption des Rechts als der Art und Weise des Daseins der Freiheit. Ebenso ergeben sich je nach Stufe unterschiedliche Pflichten für den einzelnen, besonderen oder allgemeinen Willen. Im abstrakten Recht finden sich Hegels Überlegungen, die rein thematisch betrachtet das bürgerliche Privat- und Strafrecht behandeln.100 Aus dem bislang Erörterten erschließt sich der Grund, warum in der Untersuchung mit dem abstrakten Recht fortzufahren ist. Der freie Geist hat sich als der allgemeine Wille in rein subjektiver Gestalt ergriffen und sich in diesem Wissen zugleich das äußere Dasein entgegengesetzt. In totaler Entgegensetzung zum äußeren Dasein stellt der Wille die gänzliche Abstraktion von jeglicher Bestimmtheit, die „sich abstrakt auf sich beziehende Wirklichkeit“ oder die „ausschließende Einzelheit“ dar, welche den „Inhalt zugleich als eine äußere, unmittelbar vorgefundene Welt vor sich“ hat (VII, §34). Dies erinnert stark an die phänomenologische Gestalt des Selbstbewusstseins. Im Unterschied dazu ist der Wille für sich selbst „Gegenstand und Zweck“ (§35), d.h. er ist nicht nur unmittelbar die Identität mit sich, sondern weiß (Gegenstand) und will (Zweck) sich als freies Ich. Diese „inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelheit“ macht zugleich seine Allgemeinheit aus, „das Subjekt ist insofern Person.“ (ebd.) Der Person geht es keineswegs um sich als einzelnes Individuum in ihrer bestimmten Individualität, sondern um ihre von jeglichen Bestimmtheiten freie Allgemeinheit. Indem die Person nur sich will, geht es ihr _____________ 99 So die Deutung von Peperzak 1991, 121. Dies bedeutet nicht, dass in den beiden ersten Teilen nicht auch die Gegenseite mit einbegriffen ist. So wird es auch im abstrakten Recht Pflichten geben, wie in der Moralität Rechte; lediglich ein Übergewicht zugunsten einer Seite ist zu konstatieren. 100 Schnädelbach 199.
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um ihre Einzelheit, ihr einzelnes Dasein angesichts der sie umgebenden Welt, aber nicht im Hinblick auf dessen bestimmte Individualität, sondern als das absolut Allgemeine.101 Der Geist in der Unmittelbarkeit seiner für sich selbst seienden Freiheit ist einzelner, aber der seine Einzelheit als absolut freien Willen weiß (X, §488).
Die Person entwertet für sich die Objektivität (auch ihrer Individualität) schlechthin, indem sie ihr lediglich als äußeres Material und Manifestationsstätte der abstrakten Willensfreiheit Bedeutung zuspricht. Sich als Person zu wollen und in der Wirklichkeit zu realisieren bedeutet, die formale Subjektivität im objektiven Dasein zu manifestieren, d.h. der Materie eine Form zu geben, welche die Person als die Ihrige erkennt. Allein durch diesen Vollzug erweist die Person das äußerliche Material als solches und erfasst sich im Gegenzug als Person an dem geformten Material, worin sich für sie eine Art Einheit von Subjekt und Objekt ergibt.102 Wie hat man nun das Übersetzen der Person ins Dasein zu verstehen? Die Person will und weiß sich als allgemein unter Abstraktion von jeglicher innerer Bestimmtheit. Ihr Wissen davon setzt voraus, dass sie sich ein Dasein gibt, in welchem sie einer derartigen Freiheit gewahr wird. Der die Person definierende Rechtsbegriff lässt sich wie folgt ausdrücken: Dass eine Sache überhaupt Eigentum der Person ist, ist das Recht. Die Person weiß um ihr Recht, das äußere Material als das für sich Nichtige aufzufassen, dessen Wahrheit nur darin besteht, zum Dasein der Freiheit, d.h. zum Eigentum des freien Willens zu werden. Im Eigentum gewinnt die Person ein erstes Bewusstsein ihres Personseins, sie will im Eigentum nicht die konkrete Sache selbst, weil sie irgendwelche ihrer Bedürfnisse befriedigte – davon ist in ihrer Allgemeinheit gerade abstrahiert –, sondern nur die rein abstrakt-allgemeine Freiheit. Die Abstraktion von jeglicher Bestimmtheit bedeutet eine Negation von den inneren Bestimmtheiten des subjektiven Geistes und so erst die _____________ 101 „In der Persönlichkeit liegt, dass ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten (in innerlicher Willkür, Trieb und Begierde, sowie nach unmittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freie weiß“ (VII, §35) Zum begrifflichen Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit in der Person vgl. Quante: „‚Die Persönlichkeit des Willens‘ als Prinzip des abstrakten Rechts“. In: Siep 1997, 7394. 102 Rein strukturell betrachtet besteht eine gewisse Analogie von begehrendem Selbstbewusstsein und Person, konkret in ihrer unmittelbaren Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit – mit dem Unterschied, dass sich die Person als solche im Vollzug der subjektiven Selbstbestimmung gegenständlich geworden ist und insofern ihre bloße Natürlichkeit überwunden hat. Ihre Selbstverwirklichung gegenüber dem Objekt ist daher auch eine Vergegenständlichung zum Dasein ihrer Freiheit. Vgl. VII, §35.
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Hinwendung zur Objektivität.103 Im Gegensatz zum Begriff des Besitzes, worin auf „Begierde, Bedürfnis, Triebe, zufälliges Belieben usf.“ Rücksicht genommen wird, um zu erklären, warum etwas Besitz ist, eignet dem Eigentumsbegriff ausschließlich diese abstrakte Seite der bloßen Aneignung einer Sache durch den punktuellen, mithin einzelnen Willen (VII, §37). Wir haben bei der Behandlung des subjektiven Geistes gesehen, dass eine derartige Betrachtung des Willens auf die Willkür hinausläuft (X, §488). Es geht nur darum, dass die Person ihren persönlichen Willen in die Sache hineinlegt, nicht um besondere Gründe dafür. Auf diese Weise gewinnt sie im Eigentum ein Bewusstsein dieser abstrakt-allgemeinen Freiheit, sie erklärt die Sache schlechthin zu der ihrigen (§489). Schon der phänomenologische Geist offenbarte seine abstrakte Freiheit in der „Seinigkeit“ seiner Vorstellungen; für die Person bezieht sich die Aneignung nicht mehr auf bloße Vorstellungen, sondern auf das gegenständliche Sein selbst.104 Weil die Person sich im Aneignungsprozess nur in ihrer abstrakten Gestalt will, ist das Eigentum nicht als Mittel zur Befriedigung individueller Bedürfnisse zu verstehen, sondern als allgemeiner Zweck, nämlich als Dasein der Persönlichkeit oder der persönlichen Freiheit. Das Dasein der Freiheit kann eben nicht in einem bloßen Mittel bestehen, weil es Wesen der Freiheit ist, höchster Zweck des Geistes zu sein. Die Fähigkeit des Subjekts, durch die notwendige Abstraktion von seinen natürlichen Bedürfnissen an äußeren Dingen die abstrakte Kategorie des Eigentums geltend zu machen und zu erkennen, macht seine Rechtsfähigkeit aus (VII, §36). Rechtsfähig ist ein Subjekt, wenn es weiß, was Eigentum ist und wann es vorliegt, so dass es auch Eigentum fremder Personen anerkennen und bei Verstößen gegen diese Einsicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ebenso ist darin die notwendige Verwirklichung der abstrakt-allgemeinen Willensgestalt zu sehen. Für die Person ist es zugleich Pflicht, Eigentum zu besitzen, weil es im Wesen ihrer Freiheit liegt, als wirkliche Freiheit und somit für sich als Person zu existieren (X, §486). Es ist Bestandteil des Begriffs des allgemeinen Willens, dass alle Menschen Personen und damit Eigentümer sind. Auf Grund seiner abstrakten Einzelheit weiß indes das Subjekt qua Person noch nicht von dieser Pflicht, weil es den Erwerb _____________ 103 Die folgende Stufe stellt bei Hegel stets eine einfache Negation der vorherigen dar. Wir sind diesem Modell bereits im Übergang vom phänomenologischen zum psychologischen Geist begegnet. Der subjektive Geist ist Negation der Äußerlichkeit des Bewusstseins, er findet innerhalb seiner Entwicklung aus seiner Innerlichkeit den Weg zum objektiven Geist, der seinerseits zunächst von den inneren Motiven einer freien Handlung absieht, um sie im Folgenden wieder auf seiner Grundlage zu restituieren. 104 Zum Zusammenhang von Bewusstsein und Eigentum bei Hegel vgl. Hogrebe 1992, 103ff.
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von Eigentum allein seiner Willkür und nicht der Forderung des konkret-allgemeinen Willens zuschreibt. Die Pflicht manifestiert sich für es lediglich als Pflicht anderen Personen gegenüber vermöge der Anerkennung ihrer als Personen. Beide Aspekte der Pflicht sind festgehalten im abstrakten Rechtsgebot: „sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“ (VII, §36)105 Inwiefern findet nun die Person ein angemessenes Dasein ihrer Freiheit im Eigentum? Die Frage lässt sich dahingehend konkretisieren, bis zu welchem Grad die Äußerlichkeit des Materials, der Sache, durch die jeweilige Handlung, nämlich die Aneignung zum Ausdruck der Freiheit formiert werden kann. Das Ergreifen einer Sache als Eigentum kann nach Hegel das rein körperliche Ergreifen, das Formieren derselben oder auch die bloße Bezeichnung (als meine Sache) zum Ausdruck bringen (§§54ff.). Dies ergibt sich aus der zentralen Rolle des eigenen Leibes der Person. Als „unmittelbar Einzelner“ ist jede Person lebendig in einem bestimmten organischen Körper (§47).106 Die Person schreibt sich nur dasjenige an ihrem Körper zu, was sie durch ihre Willkür hineinlegt: „Aber als Person habe ich zugleich mein Leben und Körper, wie andere Sachen, nur, insofern es mein Wille ist.“ (ebd.) Aus dieser Perspektive ist der Körper das erste Eigentum der Person, das im Unterschied zu allem weiteren Eigentum unabtrennbar und nicht zu veräußern ist; er ist das unmittelbare Dasein der Person. Die weitere Aneignung erfolgt vermittelt über körperliche Tätigkeiten. Bis zu welchem Grad verwirklicht sich die Willkür in den äußeren Sachen? Offensichtlich bestehen nach der Aneignung weiterhin mannigfaltige Aspekte an der Sache, welche nicht ausschließlich die Willkür des Subjekts manifestieren. Die Konkretheit der Sache bleibt der Freiheit äußerlich. Warum gerade diese Sache zum Eigentum gemacht wird, ist nicht im Zweck der Willkürfreiheit enthalten; darin findet sich die Person als solche nicht wieder. Ähnlich wie bereits beim begehrenden Selbstbewusstsein, nun aber auf ‚gegenständlicherer‘ Ebene scheitert die Person, im bloßen Eigentum ihrer selbst vollkommen ansichtig zu werden und bedarf daher des Übergangs zu anderen Personen. _____________ 105 Die Anerkennung anderer Personen ist auf diesem Punkt der Erörterung Hegels noch nicht thematisiert und erscheint daher „ohne Zusammenhang mit den vorausgehenden Darlegungen“ (Ilting: „Rechtsphilosophie als Phänomenologie des Bewusstseins der Freiheit“. In: Henrich 1982, 232). In den Begriffen „Person“ und „Eigentum“ liegt ein impliziter Bezug auf andere Personen und ihr Eigentum, welcher letztlich über die nun einsetzende Anerkennung und den Vertrag zunehmend expliziert wird. Die Vorwegnahme des Rechtsgebots scheint so ein Vorgriff zugunsten der Deutlichkeit der Darstellung zu sein. 106 Zum rechtlichen Verhältnis von Geist und Körper s. Rosenfield 88f.
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Die konkrete Rückkehr meiner in mich in der Äußerlichkeit ist, dass Ich [...] in dem Sein anderer Personen, meiner Beziehung auf sie und dem Anerkanntsein von ihnen, das gegenseitig ist, das Dasein meiner Persönlichkeit habe (X, §490).107
Persönlichkeit manifestiert sich in der Sache nicht allein durch meinen subjektiven Bezug auf dieselbe, sondern dadurch, dass andere Personen die Sache als mein Eigentum anerkennen und sich daher von einem Eingriff in diese Sphäre fernhalten. In meinem Aneignen einer Sache erkennen andere Personen den wirklichen Vollzug meiner Persönlichkeit, wie auch ich am fremden Eigentum andere Personen erkenne. Die Anerkennung vollzieht sich mithin auf der Grundlage eines objektiven Bestehens der Freiheit und nicht in einer abstrakten Beziehung zwischen zwei Subjekten, wie es die Entwicklung in der „Phänomenologie“ darstellte. Das Eigentumsverhältnis ist gleichsam der objektive Geist, an welchem sich die intersubjektive Anerkennungsbeziehung, ihre gegenseitige Pflichtbekundung gegenüber fremdem Recht, anschließt – nicht umgekehrt. Mit der rechtlichen Anerkennung realisiert sich das oben genannte Rechtsgebot. Im Unterschied zum psychologischen Geist erkenne ich fremdes Eigentum an, indem ich von der Frage abstrahiere, auf Grund welcher Bedürfnisse und Motive die jeweilige Person eine derartige Sache in Besitz genommen hat. Von diesen Aspekten muss die rechtliche Anerkennung absehen, um den Anderen als rechtliche Person, nämlich als abstrakte Einzelheit, zu verstehen, die in der Sache ihren absolut freien Willen hineinlegt und gerade nicht von natürlichen Triebfedern bestimmt ist, sondern allein die Verwirklichung ihrer allgemeinen Freiheit betreibt. Mit der Anerkennung und Selbstdeutung der Person als solcher erwirbt sie – gemäß der wörtlichen Bedeutung von Person – eine gesellschaftliche Rolle, gleichsam eine Maske, welche die innere Motivation ihrer Handlungen verbirgt und zum unwesentlichen Aspekt in der Beurteilung ihres Vollzugs degradiert.108 Die implizite und rein negative Anerkennung der Person, welche durch bloßen Verzicht auf Handlungen, nämlich des Aneignens, gekennzeichnet ist, muss nun selber zu einem expliziten, positiven Dasein finden, damit sich der freie Wille darin wiederfinden kann. Anders gesagt: Die einzelne Person kann sich in der zum Eigentum erhobenen äußeren Sache nur mangelhaft wiedererkennen und bedarf deshalb der Anerkennung ihrer selbst und ihres Eigentums durch andere Personen. _____________ 107 Den logischen Weg von der phänomenologischen Anerkennung zum abstrakten Recht schildert Wood (90f.). 108 Auf Person als von persona (Maske, Rolle, Charakter) herkommend spielt auch Schnädelbach an (Schnädelbach 204).
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Erst dadurch vermag sie im Eigentum nicht nur ihren einzelnen, sondern den allgemeinen Willen aller Personen zu erkennen. Die Form dieses Willens ist auf dieser Stufe die gemeinsame Willkür. Um diese Gemeinsamkeit zu manifestieren, müssen die sich äußerlichen Personen einen Willen zum Ausdruck bringen, der ihre Allgemeinheit als Personen realisiert. Dies kann nicht allein im stillschweigenden Einverständnis geschehen, sich der Eingriffe in fremde Eigentumsverhältnisse zu enthalten; vielmehr bedarf es eines manifesten Ausdrucks, wie er im Vertrag zwischen zwei Personen vorliegt. Woher rührt der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit anlässlich des Vertrags? Die Person verlegt das Dasein ihrer Freiheit nicht mehr ausschließlich in die als Eigentum qualifizierte äußerliche Sache, sondern in den anerkennenden Willen anderer Personen. Diese Beziehung von Willen auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freiheit Dasein hat. (VII, §71)
Sie wird allerdings erst explizit im Falle eines Vertrages, der die Übertragung von Eigentum unter zwei Personen regelt. Erstens manifestieren auf diesem Wege beide Personen ausdrücklich ihre Freiheit am Dasein der äußerlichen Sache. Die Freiheit dieser Stufe, die Willkür, offenbart sich auf mangelhafte Weise im Eigentum, weil es von der Willkür aus gesehen belanglos ist, um welche konkrete Sache es sich dabei handelt. Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem konkreten Inhalt des Eigentums gewinnt ein augenscheinliches Dasein bei der Entäußerung desselben.109 Die Willkürfreiheit erscheint wesentlich im Übergehen von einer Bestimmtheit zur anderen, in der Zufälligkeit, wonach ein wirkliches Eigentum in die Möglichkeit und umgekehrt überführt wird. Das heißt, im Übertragen des Eigentums an andere Personen und in der Erwerbung neuen Eigentums manifestiert sich die Willkürfreiheit der Person.110 Erst auf diese Weise wird der äußerliche, natürliche Inhalt der Sache in einen allgemeinen, durch Vernunft hervorgebrachten Inhalt transformiert: Der Inhalt wird zu einem abstrakten, durch Quantifikation vermittelten Tauschwert, der die Vergleichbarkeit mit allen anderen möglichen Sachen erbringt (X, §494). Zweitens schließen die Personen in ihrer gegenseitigen Beziehung ihre jeweils einzelne Willkür zu einem gemeinsamen Willen zusammen, der sich im Vertrag manifestiert. Erst die vertragliche Übereinkunft zweier Personen ermöglicht _____________ 109 Vgl. VII, §71 Anm., wonach die Entäußerung das Aufheben der Besonderheit und damit der Äußerlichkeit einer Sache darstellt. 110 So die Bestimmung der Willkür im subjektiven Geist (s.o. S. 253f.). Ebenso: „Ich kann mich eines Eigentums nicht nur als einer äußerlichen Sache entäußern, sondern muss durch den Begriff mich desselben als Eigentums entäußern, damit mir mein Wille, als daseiend, gegenständlich sei.“ (§73)
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die Überwindung der Äußerlichkeit, welche angesichts der Sache in Erscheinung trat. Auch im Vertrag wird ähnlich wie beim Eigentum nicht auf die innere Motivation beider Parteien geachtet; von Belang ist allein ihre willkürliche Entscheidung (§495) und Anerkennung.111 Die Ausführungen über den Vertrag schildern die Situation vermittelter Eigentumsverhältnisse, in welchen nicht mehr eine unmittelbare Besitzergreifung, sondern die Übereinkunft von Personen zur Erlangung von Eigentum führt.112 In diesem Zustand ist eine Person dadurch Eigentümer, dass sie eine Sache durch Vertrag erworben hat und damit von einer anderen Person als solche anerkannt wurde. Im Hinblick auf das Dasein der Freiheit bildet sich auf dieser Stufe bereits eine Art allgemeiner Wille aus, der jedoch bewusst ein nur gemeinsamer Wille genannt wird, also noch keine konkrete, sondern bloß eine abstrakte Reflexionsallgemeinheit darstellt – fußt er doch auf der Willkür zweier Personen. Die Zufälligkeit der Willkür im Vertragsschluss führt die ständige Gefahr mit sich, dass eine Seite aus dem Verhältnis aussteigt und somit dem anderen ein Unrecht antut. Weil der einzelne Wille das Recht im Vertragsschluss nicht um seiner selbst willen als vernünftiger Wille manifestiert, sondern aus bloß subjektiver Willkür, besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Notwendigkeit eines Vertragsbruchs. Erst auf diese Weise wird der Wille seiner Äußerlichkeit gegenüber dem wahrhaften Recht gewahr. Die Äußerlichkeit der Sache angesichts des Daseins der Freiheit nötigte zum Überstieg in den Vertrag bzw. in das Verhältnis von Einzelwille zu Einzelwille, das zu Beginn des objektiven Geistes ebenso als Sphäre äußerlicher Objektivität gekennzeichnet wurde (X, §483). Auch in diesem Fall wird die Äußerlichkeit, d.h. die Mangelhaftigkeit, welche die Personen gegenüber der Manifestation des allgemeinen Willens darstellen, augenscheinlich, nämlich im Unrecht. Die Willkür in der vertraglichen Gründung eines gemeinsamen Willens gelangt zu keiner Identifizierung mit der darin ausgedrückten Allgemeinheit; beide Personen bilden keine freie Vernunfteinheit aus. Statt dessen berufen sie sich nur auf die zufällige Laune ihrer willkürlichen Freiheit. Aus diesem Grund kann keine Person in der anderen das Dasein ihrer Freiheit vollständig _____________ 111 Daher ist es falsch zu behaupten, dass mit dem Vertrag die Willkür der Personen überwunden ist (Fleischmann 96f.), vielmehr ist dadurch eine angemessenere Manifestation der Willkür in Bezug auf das Eigentum gegeben. 112 Dies verweist bereits auf den gesellschaftlichen Zustand, wo es nahezu keine unmittelbaren Dinge mehr gibt, die durch bloße Ergreifung angeeignet werden können. So wird sich später im Kapitel über die bürgerliche Gesellschaft ergeben, wie der Erwerb durch Formierung (Arbeit) ebenso eine höhere Vermittlungsstufe eingenommen hat. Durch Arbeit erwirbt man nicht direkt Eigentum, sondern lediglich die Mittel zum Erwerb desselben (unten S. 301f.).
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erblicken. Beide Seiten knüpfen die Pflicht dem Anderen gegenüber an das Bestehen ihres Rechts, d.h. des Daseins ihrer Willkür. Doch ist es der Willkür gerade wesentlich, sich über jede Bestimmtheit zu erheben. Der willkürlichen Verfügung über Eigentum entspricht die willkürliche Verfügung über Verträge. Sobald der willkürliche Wille im Vertrag nicht mehr das Dasein seiner Freiheit, sein Recht, erkennt, schwindet auch seine Pflicht dem Vertragspartner gegenüber. Beide Personen erkennen es nicht als ihre eigene bindende Pflicht, d.h. ihre Pflicht sich selbst gegenüber qua allgemeiner Vernunft, das Rechtsverhältnis aufrechtzuerhalten. Die Äußerlichkeit der Einzelwillen im Vertragsverhältnis, die das Dasein ihrer Freiheit nur in die Willkür verlegen, muss in das Bewusstsein der Personen gelangen, damit sie erfahren, dass sie die wahre, allgemeine Freiheit noch nicht realisiert haben. Im Unrecht wird offenbar, dass sich der willkürliche Einzelwille nur vorübergehend, mithin zufällig für das Rechtsverhältnis entscheidet, indem eine Person durch eine unrechte Tat einen Bruch, d.h. die Trennung zwischen sich und dem Recht eröffnet. Die unrechte Tat erweist sich in dieser Hinsicht als ein „Nichtiges“, als abstrakte Negation des Rechts (§496). Der auf das Unrecht folgenden Bestrafung der rechtswidrigen Handlung einer Person obliegt die Wiederherstellung des rechtsmäßigen Verhältnisses durch erneute Negation.113 Mehr noch: Die rechtliche Bestrafung, welche im Gegensatz zur archaischen Rache auf keinen anderen Gründen als der Restitution des Rechts um seiner selbst willen beruht, überführt das Recht aus seinem bloß impliziten Gelten zwischen den Personen zu seinem expliziten Vollzug, dem „sich Geltendmachen des Rechts an sich“ (§501). Die Neutralität des Urteils in einem Rechtsstreit gegenüber bloß subjektiver Willkür ruft die Antizipation der Gestalt des Richters auf den Plan. Hegel spielt damit eindeutig auf die Notwendigkeit einer sittlichen Institution zur Rechtssicherung an.114 Der Übergang zum Kapitel der Moralität ergibt sich aus Hegels Ausführungen prima facie im Hinblick auf den Richter, im eigentlichen Sinne hat er indes aus der Betrachtung der Person an sich zu folgen.115 Der Richter hat zwischen zwei Parteien derart zu vermitteln, dass sich _____________ 113 Das Unrecht unterteilt Hegel in das unbefangene Unrecht, den Betrug und das Verbrechen. Diese Stufenfolge stellt eine zunehmend bewusste Entgegensetzungen gegen das Recht dar. 114 Peperzak 1991, 174. 115 Die Person des Richters an dieser Stelle stellt eigentlich eine unsachgemäße Vorwegnahme sittlicher Motive dar und darf deshalb schon gar nicht als Argument für den Übergang angeführt werden. Was für die Person des Richters in einem für ihn neutralen Sachverhalt gilt, muss erst recht für die im Rechtsstreit involvierte einzelne Person gelten.
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in der Entscheidung seines Einzelwillens ausschließlich das allgemeine Recht ausdrückt. Er erkennt den rein auf subjektiver Einzelheit beruhenden Willen als ein Nichtiges angesichts des allgemeinen Willens und ist damit für sich die bewusste Einheit beider. Er begreift den allgemeinen Willen als seinen einzelnen in Form der Befolgung einer Pflicht, welche sich für den Verbrecher, weil ihm diese Einsicht fehlt, nur als äußerer Zwang kundtun kann. Mit dieser Verinnerlichung bzw. dem Bewusstwerden der inneren Pflicht in Anbetracht des Daseins der allgemeinen Freiheit hat die Person des Richters einen moralischen Standpunkt einzunehmen, dessen Möglichkeit im Folgenden erst noch erklärt werden muss. Doch ebenso sind diese Überlegungen auf alle Personen zu übertragen. Das abstrakte Recht und sein Beruhen auf bloßer Willkür scheitert und führt notwendigerweise zum Unrecht, wenn sich nicht in den Einzelwillen selbst ein inneres Verhältnis zum wahren allgemeinen Willen herstellen lässt; dies fordert auch die Strafe als gerechte Negation des Unrechts.116 Die Unsicherheit der Rechtsgeltung führt nicht unmittelbar zu einer staatlichen Zwangsgewalt – so in der Gestalt eines moralisch überlegenen Richters –, sondern zur Notwendigkeit einer Verankerung des Rechts in der freien Selbstbestimmung der agierenden Personen. Nur als moralisches Subjekt ist es dem Menschen möglich, den allgemeinen Willen um seiner selbst willen zu wollen. Es geht in der Moralität um den inneren Richter des Menschen; die Abschlussgestalt wird sich daher im Gewissen manifestieren. Das äußerliche Material für das Dasein des Willens besteht – neben den Dingen und den anderen Einzelwillen – ebenso in seinen Bedürfnissen und inneren Motiven, welche in einer wahrhaft freien Handlung unter die Vernunftform gebracht werden müssen. Nur wenn der Wille sich zum moralischen ausgebildet hat, kann der allgemeine Wille, statt eine Beschränkung für den Einzelwillen zu sein, als dessen eigenes wahres Dasein begriffen werden. Um die gesamte Bedeutungsspanne des Begriffs der Moralität bei Hegel einzufangen, ziemt es sich, zunächst von dessen Konzeption innerhalb der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes abzusehen und allein vom Kontext der Rechtsphilosophie Hegels auszugehen.117 Danach übernimmt die Moralität die Funktion, Negation der Äußerlichkeit des abstrakten Rechts zu sein, dessen Dasein zum einen in der äußerlichen, als Eigentum ergriffenen Sache, zum anderen in der auf _____________ 116 Vgl. Quante 35ff. In dieser Arbeit liefert der Verfasser eine detaillierte Analyse des Moralitätskapitels von Hegels Rechtsphilosophie. 117 Zum Verständnis der Moralität in Hegels Rechtsphilosophie vgl. Menegoni: „Elemente zu einer Handlungstheorie in der ‚Moralität‘“. In: Siep 1997, 125-146.
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bloßer Willkür gründenden Beziehung unter Personen besteht. So gelangt Hegel zu einer ersten Definition: Das Moralische hat hier aber die Bedeutung einer Willensbestimmtheit, insofern sie im Innern des Willens überhaupt ist (§503).
Die neu errungene Innerlichkeit entspringt „der Reflexion des Willens in sich“ (VII, §105) und thematisiert die im abstrakten Recht ausgeklammerte bewusste „Selbstbestimmung des Willens“, welche im Gegensatz zu den Ausführungen zum subjektiven Geist nunmehr dessen unmittelbares Dasein als „Recht des subjektiven Willens“ (§107) erörtert.118 Noch bevor eine präzisere Bestimmung der Moralität vorgenommen werden kann, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Art Restituierung des subjektiven im objektiven Geist handelt. Dem entsprechend erhält auch das Sollen erneut eine zentrale Stellung, „so ist der moralische Standpunkt der Standpunkt des Verhältnisses und des Sollens oder der Forderung.“ (§108) Eine Auseinandersetzung mit diesem Kapitel wird folglich klarzustellen haben, auf welche Weise die beiden subjektiven Sollensbegriffe, der eudämonistische und der moralische, thematisiert werden. Ein Unterschied zum praktischen Geist ergibt sich indes aus der notwendigen Hinwendung zu dessen objektiven Dasein: Und indem die Differenz der Subjektivität ebenso die Bestimmung gegen die Objektivität als äußerliches Dasein enthält, so tritt hier auch der Standpunkt des Bewusstseins ein – überhaupt der Standpunkt der Differenz, Endlichkeit und Erscheinung des Willens (ebd.).
Die phänomenologisch-psychologische Komplexität der moralischgeistigen Bezüge wird sich in der Verschiebung aller drei Bedeutungen des nicht eingelösten Sollens aufweisen lassen.119 Dabei wird sich zeigen, dass die beiden im praktischen Geist thematisierten Sollensbegriffe auf differenzierte Weise im Kapitel der Moralität abgehandelt wer_____________ 118 Vgl. R.-P. Horstmann: „Subjektiver Geist und Moralität“ (in: Henrich 1979, 191-199). Der Verfasser unterscheidet beide Kapitel dadurch, dass im subjektiven Geist die Sicherung der subjektiven Freiheitsbestimmungen erfolgt, während im Moralitätskapitel die subjektive Freiheit ihrer Unwahrheit in Bezug auf Handlungen überführt wird. Diese Entgegensetzung scheint auf recht einseitige Weise positive und negative Bewertung auf beide Kapitel zu verteilen. Bereits der subjektive Geist wurde auf Grund seiner Formalität kritisiert, ebenso wird die Moralität als subjektive Freiheit einen wesentlichen Beitrag zur Sittlichkeit leisten. 119 Als Standpunkt der Differenz zehrt das Moralische von der Entgegensetzung und dem Postulat der Einheit von allgemeinem und einzelnem Willen, Sollen und Sein. „Der moralische Standpunkt kommt nicht über das Fordern hinaus [...]; es scheint da, dass ich aufhöre, moralisch zu sein, indem ich mich identisch setze mit dem Allgemeinen. Wäre das Gute wirklich verwirklicht in mir, so wäre die Moralität nicht mehr vorhanden.“ (PdR §108)
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den, während das sittliche Sollen erst im Kapitel der Sittlichkeit thematisch und zugleich konkret eingelöst wird. Eine präzisere Bestimmung der moralischen Freiheit liefert die Betrachtung des Zustandekommens der Reflexion des Willens in sich im Ausgang vom abstrakten Recht. Die Objektivierung des freien Willens geschah dort zunächst in einer äußerlichen Sache, dem Eigentum. Die Mangelhaftigkeit und Äußerlichkeit dieses Daseins musste schließlich im Eigentums- und Vertragsverhältnis zweier Personen überschritten werden, darin stellte sich die manifeste Beziehung des Willens auf sich als auf den Willen einer anderen Person her. Die explizite Entgegensetzung beider Willen im Unrecht rief die Aufhebung der Äußerlichkeit des Willens durch die Strafe hervor, welche als Resultat die Beziehung des freien Willens auf den freien Willen [bewirkt], aber so, dass das Unterschiedene aufgehoben ist. Da ist das Wissen seiner selbst als eines freien Willens (PdR §105).
Dieses innere Selbstverhältnis des freien Willens, im Unterschied zum äußerlichen Verhältnis der Personen, konstituiert nach Hegel das Subjekt bzw. die „reine Subjektivität“ (ebd.). Das Fürsichsein des freien Willens zeigt sich daran, dass das Subjekt nicht bloß Person ist und in deren äußerlichen Bezügen vollkommen aufgeht, sondern sich qua Person zum Gegenstand hat (VII, §104). Die in der Person ausgedrückte Freiheit ist aber bekanntlich die zufällige Willkür, so dass für das selbstbezügliche Subjekt „die unendliche in sich seiende Zufälligkeit des Willens [...] seine Subjektivität ist.“ (ebd.) Damit sich die Willkür qua Subjekt in ihrer Zufälligkeit erfasst, müssen Bedingungen erfüllt sein, welche erst im Verlauf des Moralitätskapitels entwickelt werden. Sich bewusst als akzidentellen Einzelwillen zu erfahren, setzt einen ebenso bewussten Bezug auf einen substantiellen, allgemeinen Willen voraus. Dieses deutliche Bewusstsein gibt das angestrebte Ziel der Entwicklung vor; damit wird die schon im freien Geist auftretende Forderung eingelöst, dass sich das Ich als die formale Tätigkeit in Umsetzung der allgemeinen Freiheit versteht. Dies verlangt zum einen die Einsicht in die Notwendigkeit der formalen Akzidentalität, ohne welche auch die Substanz nicht wirklich oder lebendig ist,120 zum anderen die ebenso notwendige Unterordnung des akzidentellen Subjekts unter die Substanz, an der es sein Bestehen und Wesen besitzt. Beide Aspekte werden in der Moralität im Inneren des Subjekts deutlich, jedoch erst in der Sittlichkeit objektiv vollständig entfaltet sein. Nichtsdestotrotz stellt die moralische Freiheit den not_____________ 120 Vgl. die Bestimmung von Substantialität und Akzidentalität in Hegels Logik. Dort gilt die Akzidentalität als Aktuosität und damit Wirklichkeit der Substanz selbst (VI, 220).
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wendigen Weg zu dieser Selbsterfassung dar – wie sich die formale Freiheit des Einzelwillens zur materialen Freiheit des allgemeinen Willens erhebt. Diese Ambivalenz der Moralität, einerseits bereits die vollkommen freie Selbstbestimmung zu ermöglichen, andererseits noch nicht die objektiv-inhaltliche Dimension derselben zu erfassen, entspricht der am freien Geist aufgezeigten Zweifachheit, Vollendung des subjektiven Geistes und Übergang in den objektiven Geist zu sein.121 Der in sich reflektierte Wille enthält dem gemäß eine zweifache Tendenz. Erstens befasst er in sich das Verhältnis von allgemeinem, an sich seiendem Willen und einzelnem Willen, welche beide anlässlich des Unrechts auseinander getreten und nun im Wissen des Einzelwillens selbst aufgenommen (in sich reflektiert) sind. Diese Zwischenstellung zwischen Allgemeinheit und Einzelheit kennzeichnet den moralischen Willen als besonderen. In der einzelnen Willkür erkennt der Wille diejenige Instanz, welche das substantielle Allgemeine zum Dasein bringt: „Nur im Willen, als subjektivem, kann die Freiheit oder der an sich seiende Wille wirklich sein.“ (§106) Ebenso erhält der Einzelwille erst sein wahres Dasein, d.h. das Dasein der Freiheit, indem er sich mit dem allgemeinen Willen identifiziert, also selbst allgemeiner Wille wird. Die Kluft zwischen allgemeinem und einzelnem Willen wird für das Subjekt in der Forderung ihrer Überwindung oder der Pflicht für den Einzelwillen explizit. Dieses moralische Sollen, welches bereits im praktischen Geist vorkam, stellt sich nun erneut ein und wird – ebenso in Analogie zum subjektiven Geist als solchem – erst auf der letzten Stufe der Moralität zum klaren und deutlichen Bewusstsein des Subjekts gelangen. Zweitens ist der in sich reflektierte Wille über das äußere Dasein im abstrakten Recht vermittelt. Die Äußerlichkeit, welche als Negation im Unrecht erfahren und durch erneute Negation in die Innerlichkeit des Subjekts zurückgeführt wird, erhält ebenso eine andere Gestalt, insofern sie nun als das eigene Negative des Willens verstanden wird, nämlich als dessen Handlung. Der Begriff der Handlung stellt eine verinnerlichte Form des Daseins der Freiheit gegenüber Eigentum, Vertrag und Unrecht dar. Die Rechtsformel, welche dieses Verhältnis beschreibt, könnte man wie folgt formulieren: Dass eine tätliche Äußerung (Tat) Handlung des Subjekts ist, ist das moralische Recht desselben. Eine vom menschlichen Subjekt ausgehende Veränderung der Welt soll ihm nur zu dem Grade zugerechnet werden, als sie wissentlich und willentlich ausgeübt wurde. In der nach der inneren Willensbestimmtheit erfolgenden Handlung erkennt das Subjekt das Dasein seiner Freiheit. _____________ 121 Oben S. 257ff.
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Nach diesem Rechte [des subjektiven Willens] anerkennt und ist der Wille nur etwas, insofern es das Seinige, er darin sich als Subjektives ist (§107).122
Wie an der zum Eigentum erklärten Sache bestehen auch an der tätlichen Äußerung des Subjekts Aspekte, welche anfänglich noch nicht mit der inneren Willensbestimmtheit, d.h. dem Seinigen des Willens, übereinstimmen. Die Verinnerlichung der Tat geschieht für das moralische Subjekt über eine Verallgemeinerung seiner inneren Willensbestimmtheit. Diesen Weg beschreibt das Kapitel zur Moralität, explizites Ziel ist die Überwindung der Äußerlichkeit von innerer Willensbestimmtheit und tätlicher Äußerung über die zunehmend als allgemein gewusste Handlung. Die Differenz von innerem Zweck und äußerlicher Betätigung ruft ein weiteres Sollen auf den Plan, in welchem man wohl das differenzierte eudämonistische Sollen zu vermuten hat. Die tätliche Äußerung ist kein bloß innerer, von außen bestimmter Zustand, sondern eine Entäußerung des Subjekts. Die Moralität zeigt den Fortschritt, welchen der Einzelwille vollbringt, indem er durch seine Verallgemeinerung die kontingenten Faktoren der Handlung überwindet und somit im vollen Sinne selbstbestimmt sein kann.123 Das Kapitel gliedert sich in drei Unterabschnitte: „Der Vorsatz“, „die Absicht und das Wohl“ sowie „das Gute und das Böse“.124 Auf der ersten Stufe moralischer Freiheit geht es rein um die „Zurechnungsfähigkeit – der Handlung“ (VII, §115 B.) und damit auch um die Frage nach der subjektiven Schuld an den Veränderungen, welche die Handlung in der Wirklichkeit auslöst. Das Dasein, das der Freiheit hier gebührt, ist das „Recht des Wissens“ (§117). Nur diejenigen Aspekte einer Tat sollen dem Subjekt zugerechnet werden, die es vorsätzlich in der Handlung begangen hat. Unter Vorsatz versteht Hegel einen einzelnen Zweck des Subjekts, der für die Ausführung seiner Handlung _____________
122 Das Kapitel zur Moralität beschreibt nach Hegel die Freiheit „im europäischen Sinne“. Es ist diejenige Freiheit, welche mit dem Zeitalter der Aufklärung ihre bedeutendste Ausprägung erhält. Sie gründet auf dem Postulat: „die sittlichen wie religiösen Bestimmungen sollen nicht nur als äußerliche Gesetze und Vorschriften einer Autorität den Anspruch an ihn [das Subjekt, CB] machen, von ihm befolgt zu werden, sondern in seinem Herzen, Gesinnung, Gewissen, Einsicht usf., ihre Zustimmung, Anerkennung oder selbst Begründung haben“ (§503). 123 Die letzte Bedeutung des Sollens, nämlich dass die äußere Wirklichkeit der inneren Willensbestimmtheit entspricht, verlangt die Einrichtung der Wirklichkeit auf diejenige Weise, dass rechtliche Handlungen im Allgemeinen positive Veränderungen zeitigen. Diese andere mögliche Richtung, nämlich über die Veränderung der äußeren Umstände die Äußerlichkeit der Tat zu minimieren, wird erst in der Sittlichkeit, v.a. im Staat erbracht (s.d.). Darin ist also zu erwarten, dass die letzte, noch ausstehende Bedeutung des Sollens eingelöst wird. 124 Die Überschriften in den Grundlinien lauten: „Der Vorsatz und die Schuld“, „die Absicht und das Wohl“ sowie „das Gute und das Gewissen“. Eine inhaltliche Änderung findet indes nicht statt (Peperzak 1991, 194).
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leitend war; einzeln ist dieser Zweck, weil er allein eine einzelne Handlung intendiert.125 Auf Grund der mannigfaltigen äußeren Umstände, in die das Subjekt „hineinhandelt“, besteht die Möglichkeit, dass die Handlung anders ausfällt, als sie im Vorsatz vorgestellt war, und dadurch zu Veränderungen führt, die dem Subjekt nicht anzulasten sind. Die Unterscheidung von Tat und vorsätzlicher Tat (=Handlung) trennt die bloß kausale Wirkweise von der explizit subjektiv intendierten Veränderung; nur für letzteres kann das Subjekt verantwortlich gemacht werden.126 Dass das Recht des Wissens ebenso eine Verpflichtung für das Subjekt darstellt – nur mit Vorsatz zu handeln –, zeigt sich noch nicht unmittelbar, sondern wird erst aus den Folgen einsichtig. Dies ist wörtlich zu nehmen. Die tätliche Äußerung des Subjekts zeitigt diverse Folgen, welche in absehbare und unabsehbare Folgen unterteilt werden können. Das Recht des subjektiven Willens, nur dasjenige an der Tat als seine Handlung anzuerkennen, was in seinem Wissen vor der Handlung lag, nötigt das Subjekt, auch die vorauszusehenden Folgen zu bedenken. Will es die Unterscheidung von Tat und Handlung aufrechterhalten, muss es auf die allgemeinen Aspekte der Handlung achten. „Die Folgen machen aufmerksam auf die Natur der Handlung selbst.“ (PdR §118) Die Handlung kann nicht allein um ihrer selbst willen im Vorsatz ausgeübt werden ohne Rücksicht auf ihre Folgen, weil es zur Natur der Handlung selbst gehört, Folgen zu zeitigen. Deshalb ergibt sich aus dem Recht des Wissens zugleich eine Pflicht, im Zweck die Folgen zu bedenken. Der Einzelwille muss sich zu einem denkenden Willen erheben, der die bloß einzelne vorsätzliche Handlung in ihrer Allgemeinheit reflektiert.127 Auf diese Weise ergibt sich eine Annäherung des Einzelwillens an den allgemeinen, an sich seienden Willen, _____________
125 So Hegels Beispiel: Ein Vorsatz ist, einen bestimmten Menschen umzubringen – die allgemeine Absicht dagegen, sich dadurch zu bereichern (PdR §115). Vgl. Derbolav: „Hegels Theorie der Handlung“. In: Riedel 1975, 207f. 126 An dieser Stelle bringt Hegel den Vergleich mit der Antike, insbesondere dem antiken Drama. Am Fall des Ödipus wird deutlich, dass eine Bewertung seiner Tat allein im Hinblick auf seinen Vorsatz nicht vorliegt, vielmehr werden ihm alle kausalen Veränderungen angelastet. Gleichsam als Bestätigung dieser These könnte man die Bedeutung des griechischen Wortes für Schuld (aitia) anführen, das die gesamte Bandbreite kausaler Verursachung beinhaltet, während im deutschen Wort „Schuld“ der genuin moralische Aspekt überwiegt. Nach moderner europäischer Auffassung kann Ödipus im moralischen Sinne schuldig gesprochen werden, einen Menschen, nicht aber seinen Vater umgebracht zu haben (vgl. VII, §118 B.). 127 Für das Beispiel Hegels bedeutet dies, dass der Vorsatz, einen konkreten Mord zu begehen, auch die allgemeinen Folgen des Mordens zu bedenken hat, nämlich dass als notwendige Folge – zumindest in einem funktionierenden Staat – die Strafe resultiert. Beurteilt man den Mörder als ein freies Subjekt, hat er gleichsam ein Recht auf Strafe (PdR §118).
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wie sie im moralischen Sollen gefordert war. Da zudem die Äußerlichkeit der Tat verringert wird, wenn das Subjekt auch ihre Folgen in den Zweck mit aufnimmt, ermöglicht ihm diese Reflexion zugleich, eine weitere Verinnerlichung der Handlung vorzunehmen. Durch die Einzelheit des Vorsatzes zu einer ebenso einzelnen Handlung entlässt sich das Subjekt in eine fremde, unvorhergesehene Zufälligkeit und Äußerlichkeit, welche es daher in die ideelle Allgemeinheit seiner Willensbestimmtheit aufzunehmen hat, um im Anderen der tätlichen Äußerung bei sich zu sein. Der Vorsatz, als von einem Denkenden ausgehend, enthält nicht bloß die Einzelheit, sondern wesentlich jene allgemeine Seite – die Absicht (VII, §119).
Die Allgemeinheit der Absicht lässt sich Hegel zufolge schon dem Wort selbst entnehmen, beinhaltet es doch ein Absehen, d.h. die Verstandesleistung der Abstraktion (ebd.). Dem Wesen nach ist die Absicht die gedankliche Vorstellung der „allgemeinen Qualität der Handlung“, auf welche es dem Subjekt in seinem Tun ankommt. Die Allgemeinheit der Handlung manifestiert sich darin, dass sie als Keim verstanden wird, aus dem sich gewisse absehbare Folgen ergeben können; diese Folgen stellen insofern keine zufällige Äußerlichkeit für das Subjekt dar, sondern liegen in seiner Selbstbestimmung begründet.128 Die Darstellung der Absicht schildert zunächst die reine allgemeine Form der inneren Willensbestimmtheit des Subjekts, ohne auf ihren konkreten Inhalt einzugehen. Demnach gibt es ein Recht, aber auch eine Pflicht zur Absicht. Wie das Subjekt berechtigterweise die Forderung erheben kann, dass seine Handlungen nur im Hinblick auf seine Absichten beurteilt werden sollen, so muss ebenso an es selbst die Verpflichtung ergehen, die Absichten, d.h. die allgemeinen Qualitäten (und Folgen) seiner Handlungen zu wissen (§120).129 Erst auf diese Weise wird das Subjekt als denkendes ernst genommen. Das explizite Auftreten der Pflicht für das handelnde Subjekt, aus seinem allgemeinen Denken die einzelne Handlung hervorgehen zu lassen, kennzeichnet den an dieser Stelle anhebenden „moralischen Standpunkt“ der freien Selbstbestimmung im strengen Sinne (PdR 116). Das Urteil, _____________ 128 „Die Ausbreitung der Folgen ist zusammenhängend mit einem einfachen Charakter, der Alles enthält, und dies Allgemeine soll für mich als Denkenden das Meinige sein; abgebrochen sind die Radien, die einzeln ausgehen.“ (PdR 116) Zum Unterschied von Vorsatz und Absicht gibt es eine sehr plastische Beschreibung von Hegel (VII, §120): „Im Vorsatze kann nur gelegen haben, zuzuschlagen – 100mal bei Schlägereien – Stuhl, Bierkanne auf den Kopf schlagen – mit bewaffneter Hand – Aber Recht der Absicht an den denkenden Menschen, die Natur der Handlung zu kennen, zu wissen, dass sie eine Möglichkeit der Tötung ist.“ 129 „Der Mensch soll bei seiner Handlung eine Absicht haben.“ (PdR 116; eigene Herv. CB)
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welches bereits im praktischen Geist zur Schilderung des Sollens diente, zwischen Allgemeinheit und einzelner Bestimmtheit der Handlung tritt hier in das Bewusstsein des Subjekts (ebd.). Dies motiviert zugleich die Frage nach der konkreten Bestimmung der Handlungen: „was soll ich tun?“ (§121) Bislang war im Rahmen des Moralitätskapitels noch nicht die im Rechtsbegriff vollzogene Abstraktion von der inneren Motivation des Handelnden durch Hinwendung zur Willkür überwunden. Auch der Vorsatz schloss die Frage nach den konkreten Gründen der Handlung aus. Die Einholung dieser Perspektive und damit die Parallelität zum praktischen Geist ergibt sich aus den folgenden Überlegungen zum konkreten Inhalt der Absicht. Die innere Selbstbestimmung des moralischen Willens verlangt, dass derselbe die konkreten Zwecke seines Handelns nicht von außen aufnimmt, sondern in sich selbst bestimmt. Dies nennt Hegel das „Recht des Subjekts, in der Handlung seine Befriedigung zu finden“ (VII, §121) oder auch das (subjektive) Interesse. Im Stufengang der subjektiven Freiheit erschien das Interesse im Zusammenhang mit den durch subjektive Aufmerksamkeit gewählten Naturtrieben. Demnach lag das Interesse darin, die triebbestimmten Zwecke des Willens durch eigene subjektive Tätigkeit zu verwirklichen und damit den Willen des Einzelsubjekts zu befriedigen. Der allgemeine Aspekt einer absichtsvollen Handlung, z.B. einen Mord zu begehen, fordert eine weitere Konkretisierung der Absicht selbst; liegen darin doch auch konkretere Vorstellungen: das Allgemeine der Absicht ist noch nicht die ganze Absicht – die Mordabsicht muss sich weiter bestimmen lassen, z.B. durch den Zweck, sich durch den Mord zu bereichern (PdR §115). Eben diese Konkretisierung der Absicht führt das Interesse auf die subjektiven Motivationsquellen der Handlung. Damit eröffnet sich in der Rechtsphilosophie die Mannigfaltigkeit der subjektiven Bedürfnisse, Neigungen und Triebe, welche – wie wir wissen – im Begriff der Glückseligkeit zu einer ersten Verallgemeinerung überführt werden müssen.130 Dass es sich an dieser Stelle nicht mehr um die rein subjektive Selbstbestimmung handelt, drückt Hegel durch ein neues Wort aus: das Wohl. Dieses ist die vermittelte Glückseligkeit, dieselbe „als berechtigt in Beziehung auf die Moralität“ (X, §505), mithin in ihrer Bedeutung für das Dasein der Freiheit, das Recht, betrachtet. Der Begriff des Wohls verweist ebenso auf die gesellschaftliche Einbindung der individuellen Glückseligkeit. _____________ 130 Damit wird der vorläufige Abschluss der Absichtsbestimmung geleistet: Warum jemand auf eine bestimmte Weise handelte, lässt sich durch die Beförderung seiner Glückseligkeit beantworten. Alle anderen Aspekte der Absicht lassen sich dieser als Mittel unterordnen.
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Mit dem als notwendig erwiesenen Versuch des Subjekts, im Begriff des Wohls und somit in der durch die Handlung erzielten Befriedigung das wahre Dasein seiner Freiheit anzusehen, tritt derjenige Aspekt am Freiheitsrecht zutage, den Hegel als das „Recht der subjektiven Freiheit“ bestimmt (VII, §124). Es stellt sich demnach die Frage, ob mit dem Wohl die konkret-allgemeine Rechtsgrundlage zwischenmenschlichen Zusammenlebens erbracht ist, also ob darin das wahre allgemeine Dasein der Freiheit als höchster Zweck anzusehen ist. Aus den Ausführungen über den praktischen Geist verfügen wir bereits über die Einsicht in die Mangelhaftigkeit der Glückseligkeit als eines allgemeinen Maßstabes. In der Rechtsphilosophie zeigt sich die Unbestimmtheit dieses Begriffes in den Verhältnissen unter den Subjekten. Die Annahme, dass die Subjekte die Beförderung ihres eigenen Wohls dem Wohl aller in freier Selbstbestimmung unterordnen und dadurch eine innere Garantie gegen das Unrecht besitzen, könnte nahe legen, dass darin eine allgemeine Orientierung menschlichen Zusammenlebens gefunden wäre. Doch es ist bekannt, dass es keine allgemeine inhaltliche Bestimmung des Wohls gibt, diese vielmehr dem subjektiven Belieben und der Willkür des Menschen anheim gestellt ist; deshalb ist das Wohl aller ein abstraktes, unrealisierbares Konstrukt. So erfolgt auch schon die Zweckbestimmung des Wohls als des Wohls aller dieser Willkür und kann nicht von allen Menschen gleichermaßen gefordert werden. Wohltätigkeit ist eine kontingente Erscheinung und kann mithin nicht Grundlage eines stabilen Gemeinwesens sein (§§125ff.).131 Wie schon im praktischen Geist verlangt deshalb auch das Wohl den Übergang zu einer anderen Kategorie, welche der Allgemeinheit der Subjekte auf angemessenere Weise Rechnung trägt. Neben der bereits herausgearbeiteten Mangelhaftigkeit des nach Glückseligkeit oder Wohl strebenden Willens gegenüber dem an sich seienden, allgemeinen Willen – wie es sich im praktischen Geist ergab _____________ 131 Die Tatsache, dass Hegel an dieser Stelle den Übergang vom eigenen Wohl zum Wohl aller vollzieht, scheint auf den ersten Blick problematisch. Nach Sieps Erklärung ergibt sich der Übergang, indem das Subjekt darum weiß, dass es sein eigenes Wohl nicht ohne das Wohl der anderen befördern kann und sich deshalb genötigt sieht, die anderen Subjekte in seine Erwägungen mit aufzunehmen (Siep 1992, 222; VII, §126). M.E. stellt sich der Zusammenhang wie folgt her: Die anderen Subjekte waren im abstrakten Recht als Personen anerkannt, weshalb der in sich reflektierte Wille, der das Personsein als Gegenstand hat, auch die anderen Personen reflektiert und diese ebenso bestimmt sieht wie sich selbst; damit überträgt er zugleich den Begriff des Wohls auf dieselben. Dass das Subjekt indes diesen Übergang vollzieht, bleibt – ebenso wie die inhaltliche Bestimmung des Wohls – zufällig, an die Willkür des Subjekts gebunden und folglich fragil. Das abstrakte Rechtsverhältnis kann nicht in der moralischen Haltung des Subjekts verankert werden und wird in einigen Fällen sogar dadurch verletzt – wie sich gleich zeigen wird.
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– tritt das Problem auch im anderen unaufgelösten, dem eudämonistischen Sollensbegriff zutage, nämlich im Verhältnis von Willensbestimmtheit und äußerlicher Tat. Die ungetilgte Äußerlichkeit der Handlung gegenüber der innerlichen Absicht zeigt sich Hegel zufolge besonders deutlich in der Kollision von abstraktem Recht und Moral hinsichtlich einer konkreten Handlung (VII, §126ff.; X, §506; PdR §126f.). Angenommen, die Absicht, das Wohl zu befördern, bewirkt eine unrechtliche Handlung, dann kann sich der moralische Wille darauf berufen, dass er allein hinsichtlich seiner Absicht gemessen und somit ihm das Verbrechen nicht angelastet werden darf. Damit tritt das Wohl in offensichtlichen Widerspruch zum Recht. An der Handlung des Subjekts manifestiert sich eine Äußerlichkeit, welche nicht in die Absicht selbst mit aufgenommen ist, nämlich diejenige ihrer Unrechtmäßigkeit. Der Rückzug auf die bloße Absicht als einzig wesentlicher Aspekt subjektiver Freiheit spaltet somit das moralische Subjekt von seinem eigenen Personsein, d.h. vom äußerlichen Dasein seiner abstrakt-rechtlichen Freiheit, ab. Dies gilt auch für die Fälle des Zusammenfallens von Wohl und Recht, weil aus der Betrachtung der Kollisionen augenscheinlich wird, dass beide nur zufälligerweise koinzidieren. Will das Subjekt in der Handlung bei sich sein, also das damit verbundene Sollen erfüllen, dann darf es nicht seine Besonderheit im Glückseligkeitsstreben über die Allgemeinheit des Rechts stellen, weil das Recht in Wahrheit ebenso Dasein seiner Freiheit ist. Der hart anmutende Satz „Aber das Recht muss den Vorzug behalten“ (PdR §126), der in Kollisionsfällen zu gelten hat, suggeriert nicht, dass Eigentumsverhältnisse grundsätzlich gegen moralische Verhältnisse durchgesetzt werden müssen. Im Gegenteil: Hegel beschreibt auch Fälle, in denen das abstrakte Recht durch Rechte ergänzt werden muss, die zumindest ein minimales Wohl der Subjekte gegen das abstrakte Recht durchsetzen (VII, §127). Es bedeutet deshalb, dass auch das abstrakte Recht durch ein Recht überschritten werden muss, das ebenso das Wohl der Subjekte unterstützt, ohne aber auf dem wackligen Fundament des Beliebens und der Willkür der Subjekte gestellt zu sein und dem abstrakten Recht zu widersprechen. Um nicht dem Recht des subjektiven Willens zu widersprechen, muss die gesuchte neue Allgemeinheit dieses Rechts – dies fordert die moralische Selbstbestimmung – im Wissen und Wollen der Subjekte verankert, wie auch in rechtlichobjektiven Verhältnissen institutionalisiert sein. Der erste Aspekt liefert den Übergang zum (abstrakten) Guten der Moralität;132 letzterer wird _____________ 132 Zu diesem Aspekt vgl. Bartuschat: „Die Glückseligkeit und das Gute in Hegels Rechtsphilosophie“. In: Hösle 1989, 77-100.
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erst in der Sittlichkeit seine Erfüllung finden, ganz im Sinne der subjektiv-objektiven Ambivalenz des freien Geistes. Die mangelhafte Befolgung der eudämonistischen und moralischen Sollensforderungen, welche – wie deutlich wurde – aufeinander verweisen und letztlich gar nicht strikt voneinander zu trennen sind, rufen einen Willen auf den Plan, der ein Bewusstsein der geforderten Allgemeinheit als seines Wesenskerns besitzt. Wie zu Anfang unserer Schilderung des Moralitätskapitels herausgestellt und nun eingeholt wurde, muss der moralische Wille in sich selbst seine Akzidentalität angesichts der substantiellen Allgemeinheit verstehen: Dies ereignet sich im Gewissen als Wissen des Guten, das die Einheit von abstraktem Recht und Wohl im moralisch guten Willen intendiert. Bevor Hegel die komplexe Bestimmung dieses Willens und dessen Konsequenzen zur Darstellung bringt, wendet er sich dem Begriff des Guten und seinen inhaltlichen Ansprüchen zu. Das Gute ist die Idee, als Einheit des Begriffs des Willens und des besonderen Willens [...] – die realisierte Freiheit, der absolute Endzweck der Welt. (VII, §130)
Die abstrakte Allgemeinheit des Rechts wie die besondere Existenz im nach seinem Wohl strebenden Willen sind dem Anspruch nach im Begriff des Guten als der konkreten Allgemeinheit relativiert und erfüllt. Das wirkliche Gute repräsentierte somit einen Zustand, in welchem die äußeren rechtlichen Verhältnisse im allgemeinen Wissen und Wollen der Subjekt anerkannt und durch ihr Handeln erhalten werden. Das in guter Absicht handelnde Subjekt wäre in Übereinstimmung mit dem objektiven Dasein, somit frei. An der allgemeinen (sittlich guten) Substanz erhielten die akzidentellen Subjekte ihre freie Existenz, wie andererseits diese Substanz nur durch das freie Handeln der Subjekte Wirklichkeit hätte. Die Besonderheit der Subjekte wäre in der Allgemeinheit des Guten erfüllt, indem sich die Subjekte zum allgemeinen Wollen des Guten bestimmten. Im Begriff des Guten findet sich allem Anschein nach das höchste Dasein der Freiheit, das absolute Recht: Das Gute hiermit, als die Notwendigkeit, wirklich zu sein durch den besonderen Willen und zugleich als Substanz desselben, hat das absolute Recht gegen das abstrakte Recht des Eigentums und die besonderen Zwecke des Wohls (VII, §130).
Dabei handelt es sich hinsichtlich dieser Bestimmung um einen Vorgriff auf die Idee des Guten, wie sie erst im Kapitel der Sittlichkeit zutage treten wird. Der moralische Wille hingegen befindet sich noch in einem Verhältnis zum Guten, d.h. er verhält sich zu demselben unter der Voraussetzung des Sollens: Es gilt, „dass das Gute für denselben das Substantielle sein, dass er dasselbe zum Zwecke machen und voll-
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bringen soll“ (§131). Die Wirklichkeit des Guten ist noch nicht vollbracht, es ist zunächst die abstrakte Vorstellung des Allgemeinen aus der Perspektive des subjektiven Willens. Die Abstraktheit des moralischen Guten ergibt sich nach Hegel aus der Entgegensetzung, welche durch das Verhalten des einzelnen Willens zum Allgemeinen zustande kommt. Seine Besonderheit des Wohls und damit die gesamte innerliche, den Trieben noch verschriebene Motivation steht der Allgemeinheit des Guten entgegen und muss daher im Hinblick auf die höchste Verpflichtung als Nichtiges eingesehen werden. Auf dieser Stufe geht somit die Pflicht rein für sich, ohne inhaltliche Bestimmung hervor: Die Pflicht soll um ihrer selbst willen und nicht auf Grund anderer Motive im Handeln des Subjekts befolgt werden; das moralische Sollen wird für das Subjekt offenbar (§133). Dieser Standpunkt beschreibt die Kantische Position des kategorischen Imperativs, dessen bloße Formalität Hegel von Anfang an in seinen Schriften herausgestellt und scharf kritisiert hat. Wir können an dieser Stelle nicht auf diese Kritik eingehen, die bereits vielfach in der Sekundärliteratur thematisiert wurde.133 Interessant ist vielmehr die Kritik an Fichte, der seinerseits im Begriff des Gewissens die Mangelhaftigkeit der Kantischen Position zu überwinden suchte. Auch Hegel zufolge ergibt sich der Übergang vom reinen Guten zum guten Gewissen aus der Frage „was ist Pflicht?“ (§134). Soll das Gute dem Subjekt ein objektives Kriterium zur Orientierung und Beurteilung seiner Handlungen an die Hand geben, dann darf man nicht bei seiner abstrakten Allgemeinheit stehen bleiben, sondern muss sich um die Bestimmungen der Pflicht sorgen. Doch offensichtlich kann aus einem abstrakten Allgemeinen keine Bestimmtheit abgeleitet werden; alle Bestimmtheiten sind dieser Pflicht vielmehr äußerlich.134 Soll das Gute aber verwirklicht werden, dann darf das Subjekt demselben nicht äußerlich gegenüberstehen, sondern muss es als sein eigenes Wesen wollen und wissen, sowie in einer bestimmten Handlung zum Dasein bringen: _____________ 133 J. Ritter: „Moralität und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der Kantischen Ethik“. In: Riedel 1975, 217-246; A.W. Wood: „Hegel’s Critique of Morality“. In: Siep 1997, 147-166; Wildt. 134 Wie die Maximen bei Kant von außen aufgenommen werden müssen. Über Maximen vgl. Bubner 1984, 223-264. „Nach diesem letzteren [dem moralischen Bewusstsein] handle ich moralisch, indem ich mir bewusst bin, nur die reine Pflicht zu vollbringen, nicht irgend etwas anderes, dies heißt in der Tat, indem ich nicht handle. Indem ich aber wirklich handle, bin ich mir eines Anderen, einer Wirklichkeit, die vorhanden ist, und einer, die ich hervorbringen will, bewusst, habe einen bestimmten Zweck und erfülle eine bestimmte Pflicht; es ist was anderes darin als die reine Pflicht, die allein beabsichtigt werden sollte.“ (III, 468)
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„das Besonderheit Setzende, das Bestimmende und Entscheidende ist – das Gewissen.“ (§136) Das wahrhafte Gewissen ist die Gesinnung, das, was an und für sich gut ist, zu wollen; es hat daher feste Grundsätze, und zwar sind ihm diese die für sich objektiven Bestimmungen und Pflichten (§137).
Kann nun Hegel zufolge das Gewissen die Bestimmung der allgemeinen Pflicht leisten? Zum einen ist das Gewissen eine moralische Instanz im Inneren des Subjekts, welche dessen Freiheit insofern ermöglicht, als es im Wissen und Wollen des Guten seine eigene innere Willensbestimmtheit durch Handlungen verwirklichen kann. Aus diesem Grund darf die Position des Gewissens in Rechtsverhältnissen nicht unterschritten werden. Zum anderen stellt sich aber die Frage, ob durch das Gewissen bestimmte Zwecke als allgemein verbindlich und gut herausgestellt werden können. Mit dem Gewissen scheint die Inhaltslosigkeit des formalen Sittengesetzes Kantischer Prägung umgangen zu sein, da jenes sich nur in konkreten Situationen gleichsam als innere Stimme meldet, die zu manchen Handlungen aufruft, andere verbietet, in allen Fällen aber einen Bezug zur allgemeinen Pflicht des Subjektes gegenüber dem Guten herstellt. Im Gegenzug erweist sich das Gewissen als ein weiterer Schritt in die besondere Innerlichkeit des Subjekts und damit als eine Abwendung von der objektiven Allgemeinheit des Guten. Während der kategorische Imperativ noch für alle menschlichen Subjekte, d.h. intersubjektiv, ein Kriterium und damit die Möglichkeit, die Entscheidung eines anderen Individuums nachzuvollziehen, bereitstellt, entzieht sich die bloße Berufung auf die eigene Innerlichkeit jedweder Überprüfung. Dass mit dieser Innerlichkeit weiterhin die Formalität Bestand hat, ist zu erwarten. Daher bietet auch das Gewissen keine Lösung aus dem Dilemma des moralischen Standpunktes. Dieses Problem gilt es zu veranschaulichen: Die Innerlichkeit des Subjektes in Form des Gewissens ist immer die Innerlichkeit eines bestimmten Individuums, damit bleibt die Allgemeingültigkeit der Gewissensurteile stets fraglich, solange sie nicht durch eine objektive Instanz oder intersubjektiv überprüft werden kann. Das Versichern des einen Individuums, dass eine Handlung gewissenhaft sei, steht – ohne Bezug auf allgemein anerkannte Gründe – unvereinbar neben der Versicherung eines anderen, dass dieselbe Handlung dem Gewissen zuwiderlaufe. Eine rationale Entscheidung für eine der beiden Seiten allein auf Grund ihres Versicherns ist unmöglich. Zwar erkennen beide Seiten die gegenseitige Gewissenhaftigkeit in ihren Handlungen an, doch liegt darin allein das Anerkennen des formalen Momentes der Überzeugung in der Handlung, nicht das Anerkennen einer konkreten
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inhaltlichen Pflicht. Das heißt, dass man im Vertreten bestimmter Pflichten dies aus der Überzeugung heraus tut, darin wahrhaftige Pflichten zu vertreten. Die Aufforderung demnach, seinem Gewissen zu folgen, heißt letztlich nur, aus der Überzeugung der Pflichtgemäßheit heraus zu handeln – nicht wird darin ein Inhalt des Gewissens thematisiert. Zwar ist das Gewissen eines jeden Individuums konkret, aber diese Bestimmtheit gilt nicht intersubjektiv: die inhaltliche Bestimmtheit des Gewissens kann von Individuum zu Individuum variieren. Das Allgemeingültige am Gewissen liegt allein in der Überzeugung der Individuen von der Pflicht in den jeweiligen Handlungen. Damit ist das Gewissen letztlich genauso formal wie die bloß subjektive Idee des Guten. Diese Formalität drückt sich in der „unendlichen [...] Gewissheit seiner selbst“ aus, d.h. allein in der bewussten Überzeugung von der Pflichtgemäßheit einer Handlung, ohne Gründe dafür angeben zu können: es ist Gewissheit ohne Wahrheit (§137). Kommt es dem moralischen Subjekt in seinem Handeln allein auf seine Gewissensüberzeugung an, dann scheint auch die Hinwendung zum allgemeinen Guten als zufällig, vielmehr wird das besondere Subjekt zur entscheidenden Instanz. Ging es davon aus, das abstrakte Gute zu bestimmen, also das Bestimmende oder Setzende des unbestimmten Allgemeinen zu sein, so lässt sich seine Entscheidung für eine bestimmte Handlung nicht mehr in ihrer allgemeinen Güte begründen. Was bleibt, ist nur noch die unbegründete, mithin irrationale oder willkürliche Überzeugung des einzelnen Subjekts. Es ist daher konsequent, wenn sich das Subjekt bewusst auf die Seite seiner Einzelheit und Besonderheit gegen das Allgemeine stellt, indem es seine subjektiven Interessen oder sein Wohl gegen das Gute betreibt: Das sich selbst verabsolutierende Gewissen ist ebenso sehr die Möglichkeit, das an und für sich Allgemeine, als die Willkür, die eigene Besonderheit über das Allgemeine zum Prinzipe zu machen und sie durch Handeln zu realisieren – böse zu sein. (§139)
Im bewussten Ergreifen seiner einzelnen Subjektivität wird das Gute nur noch als bloßes Mittel oder als bewusst eingesetzter Schein zum Erreichen des eigenen Wohls gebraucht. Mit dem Gewissen erreicht der moralische Geist sein „tiefstes Insichgehen“ (X, §511) reiner Subjektivität, welche sich im Bösen explizit von ihrer substantiellen Grundlage, dem objektiven Guten, trennt und sich allein auf ihre Besonderheit beruft. Das Gute und das Gewissen – verstanden als in sich seiende Subjektivität – sind im Falle des Bösen explizit voneinander getrennt; doch auch hinsichtlich des guten Gewissens ist die Vermittlung mit dem
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allgemeinen Guten bereits unterlaufen.135 In der momentanen Gewissensentscheidung für bestimmte Handlungen wird die Möglichkeit rationaler Rechtfertigung ausgeschlossen. Ebenso wenig gibt das Gewissen dem handelnden Subjekt bestimmte Pflichten an die Hand, die man auf allgemein-begriffliche Weise angeben könnte. Es ist die bloß punktuelle Überzeugung angesichts einer singulären Situation. Damit trennt sich das Gewissen von seinem ursprünglichen Sinn, Bestimmung des allgemeinen Guten zu sein. Vielmehr erweist es sich als genauso bestimmungslos wie das Gute selbst: Beide [...] werden zum Bestimmungslosen, das bestimmt sein soll. [...] das abstrakte, nur sein sollende Gute und die ebenso abstrakte, nur gut sein sollende Subjektivität (VII, §141).
Durch das Auseinandertreten des Guten und des Gewissens in zwei scheinbar selbstständige Totalitäten eröffnet sich das dreifache Sollen, das sich in umgekehrter Reihenfolge wie folgt darstellt: 3. Die Subjektivität, die gut sein soll, kennzeichnet die anzustrebende Einheit des Einzelwillens mit dem allgemeinen Willen (moralisches Sollen). 2. Das Gute, das wirklich sein soll, kann dies nur durch den Einzelwillen. Als Einheit von Recht und Wohl fordert seine Realisierung, dass gute Handlungen des Subjekts in der Welt reüssieren und mithin das Wohl des Subjekts befördern – böse hingegen scheitern, es fordert eine Koordinierung von Subjekt und Welt im Geiste des sittlich Guten (X, §510).136 1. Erst auf der Grundlage dieser Übereinstimmung könnte sich das Subjekt, das aus wahrhaft gutem Gewissen handelt, vollkommen in seinen äußerlichen Taten verwirklichen (eudämonistisches Sollen). Der Übergang von der Moralität in die Sittlichkeit wird in der Hegel-Forschung immer noch kontrovers diskutiert.137 Klar ist, welche _____________ 135 In dieser Hinsicht kann Hegel sagen: „Das Böse als die innerste Reflexion der Subjektivität in sich gegen das Objektive und Allgemeine [...] ist dasselbe, was die gute Gesinnung des abstrakten Guten, welche der Subjektivität die Bestimmung desselben vorbehält“ (X, §512). 136 Die Einführung dieses Sollensbegriffs in der Moralität ergibt sich wohl zum einen aus der Bestimmung des Guten selbst, das als „absoluter Endzweck der Welt“ (VII, §129) bzw. als „realisierte Freiheit“ eingeführt wird. Im Guten soll die Allgemeinheit des Willens mit dessen Besonderheit (Wohl) übereinstimmen und insofern das Subjekt in den besonderen Handlungen absolut bei sich sein. Die Äußerlichkeit der Handlungen ist jedoch nur dann in der Allgemeinheit vollkommen aufgehoben, wenn dieselben in der Welt ihre allgemeine Bestimmung erreichen. Zum anderen bezeichnet das Gewissen das vollständige Insichgehen der Subjektivität, deren reine Zufälligkeit in sich, der die äußere Objektivität als das andere Extrem in eben dieser Zufälligkeit gegenübersteht. Daraus erklären sich die Anspielungen Hegels auf die schöne Seele oder die Sehnsucht, die angesichts ihrer subjektiven Reinheit den Übergang in die Objektivität der Welt verschmähen (VII, 279). 137 Sehr kurz, aber dennoch richtig hat m.E. Nusser diesen Übergang geschildert (Nusser: „Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie“. In: Hösle 1989, 71ff). Vgl. ebenso
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Einheit die beiden Extreme, das abstrakte Gute und die reine Subjektivität des Gewissens, in ihrer scheinbaren Selbstständigkeit zu relativieren vermöchte, nämlich eine Einheit, in der das Gute als wirkliches und das Subjekt als gutes – beides untrennbar verbunden – vorliegen. Doch wie sich dieser Übergang konkret vollzieht, lässt sich aus dem Hegelschen Text nur dann verstehen, wenn man gleichsam ex negativo aus dem Mangel des rein subjektiven Gewissens und des abstrakten Guten auf die zum Fortgang notwendige Synthese schließt.138 Das Gewissen wird eingeführt, um zu erklären, auf welche Weise das Subjekt im Gedanken an das abstrakte Gute zu dessen Bestimmungen gelangt. Es übernimmt folglich die Funktion, das Bestimmende oder Setzende der Bestimmtheiten des Guten zu sein. Was das Gewissen als solches setzt, setzt es, weil es an sich gut ist. Indes fehlt dem Gewissen die Möglichkeit, seine generierten Bestimmtheiten als solche des Guten auszuweisen. Vielmehr sind es Bestimmtheiten, welche sich unmittelbar aus dem Gewissen ergeben: sie sind gut, weil sie das Gewissen als solche setzt. Damit verkehrt es seinen ursprünglichen Anspruch, lediglich das Gute auszulegen. Die Güte einer Handlung entspringt ihrer Übereinstimmung mit dem Gewissen. Aus diesem Grund erhält vielmehr das Gewissen die Rolle des Guten übertragen: gut ist, was dem einzig wahrhaft reinen Guten, dem Gewissen, entspricht. Letztlich ist es dadurch ebenso abstrakt-allgemein und unbestimmt wie jenes. In der bewussten Entgegensetzung des Gewissens zum Guten manifestiert sich der Versuch des Subjekts, durch tiefstes Insichgehen seine Freiheit gegen die äußere Bestimmtheit zu ergreifen. In diesem Sinne versteht Hegel die Ironie als den höchsten Punkt des Bösen, worin sich das Subjekt in Abwendung von der objektiven Welt und den objektiven Handlungen in sich verschließt, um sich rein zu genießen (VII, 279).139 Doch auf dieser Stufe der Entwicklung gelangt das so beschaffene Gewissen nicht zu Bestimmtheiten seines Handelns und verliert so seine anfängliche Funktion, das Bestimmende oder Setzende des Guten zu sein. Die Willkür des Gewissens will bestimmungslos sein – dies ihre Spitze. – Diese Bestimmungslosigkeit aber ist vielmehr das Gegenteil zur Willkür [...], ist so sich denkende Allgemeinheit. (§141 B.) _____________ L. Siep („Was heißt ‚Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit‘ in Hegels Rechtsphilosophie?“. In: Siep 1992, 217-239) 138 So ist auch Sieps Versuch zu bewerten (vgl. die vorherige Anm.). 139 Diese Anführung des reinen Genusses verweist auf das Wiedererstarken des praktischen Geistes, der in bloßer Subjektivität befangen noch keine Handlungen aus sich hervorzubringen vermag. Es ist demnach der freie Geist reduziert auf seinen subjektiven Aspekt. Zum Verhältnis von Ironie und Dialektik bei Schlegel s. Bubner 1995.
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Die reine Unbestimmtheit schließt alle bestimmten Handlungsziele und damit auch diejenigen der Willkür aus; sie ist in sich verharrende Handlungslosigkeit. Fasst man alle diese Aspekte des Gewissens zusammen und versucht, sowohl die innere widersprüchliche Natur des Gewissens als auch dessen Konflikt mit dem Guten zu lösen, so lässt sich sagen, dass das Gewissen nur dann das Bestimmende des Guten sein kann, wenn es setzt, was es setzt, weil es an sich gut ist. Andererseits muss es ebenso einsehen, dass, was gut ist, nur gut ist, weil es dasselbe so setzt, d.h. weil es sein allgemeiner Gedanke (vom Guten) ist. Nur weil das Gewissen das Gute als solches rational rechtfertigen kann, können die Bestimmtheiten seiner Handlungen als Denkbestimmungen seiner eigenen Allgemeinheit und zugleich nach dem ersten Punkt als in der Allgemeinheit des objektiven Guten liegende inhaltliche Konkretionen desselben verstanden werden: als sowohl objektiv wie subjektiv sich besondernde Allgemeinheit. Ihre Einheit ist der reale freie Geist. Die Lösung und kohärente Zusammenführung dieser Aspekte sieht Hegel im Begriff der Sittlichkeit erbracht, worin das Gute als allgemeines System der Rechte und Pflichten, gleichsam als objektiv konkrete Allgemeinheit, wie auch das Subjekt mit seinem Wissen und Gewissen als eben dieses System im Subjekt aufgefasst ist (ebd.). Die an sich bestehende Identität des abstrakten Guten und des ebenso abstrakten Gewissens manifestiert sich als „konkrete Identität“ (§141) beider in der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute, das in dem Selbstbewusstsein sein Wissen, Wollen und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit, so wie dieses an dem sittlichen Sein seine an und für sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat, – der zur vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbewusstseins gewordene Begriff der Freiheit (§142).
Unter Sittlichkeit versteht Hegel die Idee der Freiheit, d.h. die Einheit ihres Begriffs und Daseins; sie ist das wirkliche und nur durch den Begriff aufzufassende „System der Freiheit“ (PdR §145), worin das Subjekt zugleich seine begrifflich-ideellen Pflichten wie auch das Dasein seiner Freiheit, also sein Recht besitzt. „In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens fällt somit Pflicht und Recht in Eins“ (VII, §155). Das in der Moralität nicht zu überwindende äußerliche Sollensverhältnis sowie die Äußerlichkeit des abstrakten Rechtsverhältnisses sind in der Immanenz der Sittlichkeit aufgehoben. Die Sittlichkeit ist insofern „Grund und Träger“ von Moralität und abstraktem Recht, ohne welche diese gar nicht möglich wären oder zumindest – wie gezeigt – in Unrecht und dem Bösen endeten (§141 Z.). Um diesen Punkt und damit die innere Strukturiertheit der Sittlichkeit
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genauer in den Blick zu bekommen, muss man sich klarmachen, auf welche Weise die Trennung von Gewissen und dem Guten in der Sittlichkeit weiterhin Bestand hat. Als System der Freiheit repräsentiert die Sittlichkeit die konkrete Totalitätseinheit beider Momente. Die unterschiedenen objektiven und subjektiven Freiheitssysteme oder kurz: Freiheiten, d.h. der objektive und der subjektive Geist im strengen Sinne „sind nur zwei Betrachtungen dieser einen Totalität“ (PdR §143). Infolgedessen ist die Sittlichkeit die Einheit, d.h. „die Wahrheit des subjektiven und objektiven Geistes selbst“ (X, §513).140 Der Unterschied gelangt Hegel zufolge durch die Betrachtung in die absolute Subjekt-Objekt-Identität der Sittlichkeit. Nach Aufhebung der subjektiven wie der objektiven Seite in der Totalität kann erstere nicht mehr im Sinne einer äußeren Wissensform gegenüber einem Gegenstand aufgefasst werden, sondern als die in der Sittlichkeit tätige Beziehung des Subjekts, welches sich auf der Grundlage der Sittlichkeit in sich reflektiert und sich das Sittliche objektiv gegenüberstellt.141 Das „objektive Sittliche“ (VII, §144) bezeichnet dem gemäß in Entgegensetzung gegen das Subjekt die „sittlichen Mächte“, einen „Kreis der Notwendigkeit“, der in Gestalt der sittlichen Substanz das Leben der Individuen als deren Akzidenzen regiert und bestimmt (§145). Die Zwecke, die das einzelne Subjekt in seinem Handeln setzt, sind aus dieser Perspektive objektiv existente, mithin praktizierte Zwecke. An die Stelle des abstrakten Guten tritt somit die transsubjektive, konkret-wirkliche Allgemeinheit, der das Subjekt im Zuge seiner Selbstbewusstwerdung immer schon unterliegt (§144). Indes begreift das Subjekt diese objektive Notwendigkeit nur als Sittliches – d.h. als Ausdruck einer Einheit jenseits jeglicher Entgegensetzung –, wenn es sich damit zu identifizieren vermag. Die sittlichen Mächte erhalten zum einen erst durch die Subjekte ihre Wirklichkeit. Ferner haben sich dafür die Subjekte diese Mächte anzueignen. Um wahrhafte Subjekte sein zu können, müssen sie die Sittlichkeit als solche wissen und wollen. Daraus erklärt sich deren notwendig rationale Verfasstheit. Dieser Prozess rationaler Identifikation in der Sittlichkeit wird das objektiv Sittliche auf unterschiedlichen Stufen in veränderter Form wiedergeben: Die Entwicklung von natürlichen sittlichen Mächten bis zu den staatlichen _____________ 140 Damit ist endgültig eingeholt, was schon seit der phänomenologischen Anerkennung für das Zustandekommen von konkretem Selbstbewusstsein gefordert war, nämlich die Einheit der subjektiven und der objektiven Vernunftsphäre – und dies auch durch Verkehrung der Richtung: Nicht im Ausgang von Subjekten, sondern von einer transsubjektiven Grundlage können Subjekte als solche sein. 141 Die Bedeutung der Unterscheidung von subjektiver und objektiver Freiheit als zweier Aspekte der Sittlichkeit hat Neuhouser eindringlich hervorgehoben und in ihrer Vereinbarkeit aufgezeigt (Neuhouser 2000, 6).
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Gesetzen und Einrichtungen zeigt an, dass das objektive Sittliche nur im Rückgang auf die Subjekte, ihr Denken und Wollen, in der Totalität der Sittlichkeit vorliegen kann. Damit gelangt man zur Selbstbetrachtung des sittlichen Subjekts, welches in diesem Prozess über die Stufen von Selbstgefühl, Glaube und Zutrauen, Einsicht durch Gründe und adäquate Erkenntnis (§147) einen Fortschritt zu vollziehen hat, der es befähigt, seine freie Selbstbestimmung und damit seine subjektive Freiheit zu realisieren. Das Subjekt erkennt, dass dasjenige, was es als gut in seinem Handeln verfolgt, so ist, weil es dasselbe als solches setzt, d.h. als gut erkennt. Im Zuge dessen vermag es auch seine akzidentelle Existenz an der sittlichen Substanz zu überwinden, um in letzterer sein eigenes Wesen wiederzuerkennen: Die Person aber weiß als denkende Intelligenz jene Substanz als ihr eigenes Wesen, hört in dieser Gesinnung auf, Akzidens derselben zu sein, schaut sie als ihren absoluten Endzweck in der Wirklichkeit sowohl als erreichtes Diesseits an, als sie denselben durch ihre Tätigkeit hervorbringt, aber als etwas, das vielmehr schlechthin ist; so vollbringt sie ohne die wählende Reflexion ihre Pflicht als das Ihrige und als Seiendes und hat in dieser Notwendigkeit sich selbst und ihre wirkliche Freiheit (X, §514).
Als Nachfolger des Gewissens, doch ohne dessen Willkür („wählende Reflexion“), ist ein derartiges Subjekt in seinem Bezug auf das objektive Sittliche die Hervorbringung einer sich wissenden Identität. Deshalb steht es keiner äußeren Notwendigkeit gegenüber, sondern findet in der geistig-sittlichen Welt sein eigenes Wesen wieder, ist also auf diesem Wege erst wahrhaft konkretes und wirkliches Selbstbewusstsein. Die Unterscheidung der beiden Seiten durch den wissenden Bezug erweist sich als allein in der subjektiven Form gegründet und in Wahrheit ein Unterschied zu sein, der keiner ist (PdR §143).142 Doch da der Formunterschied bzw. das wissende Subjekt ebenso notwendig zum sittlichen Inhalt gehört, ist die durch die Form zustande kommende Strukturierung der Sittlichkeit ebenso existent als ein wirklicher Unterschied, der durch notwendige Vermittlungsleistung zu einer neuen Unmittelbarkeit überführt werden muss. In dieser Hinsicht nennt Hegel die Sittlichkeit eine zweite Natur des Subjekts, die im Gegensatz zur „natürlichen Natur“ eine durch die geistigen Bestrebungen des Subjekts vermittelte und erst so wahrhaft angeeignete geistige Natur ausmacht, eine durch Vermittlung generierte unmittelbare Identität von Subjekt _____________ 142 „Die Subjektivität ist selbst die absolute Form und die existierende Wirklichkeit der Substanz, und der Unterschied des Subjekts von ihr als seinem Gegenstande, Zwecke und Macht ist nur der zugleich ebenso unmittelbar verschwundene Unterschied der Form.“ (§152)
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und Objekt. Erst auf diese Weise ist die Sittlichkeit der lebendige, selbstbewusste Geist (VII, §151). Die Entwicklung des Form- oder Wissensaspekts sowie – damit einhergehend – der objektiven sittlichen Mächte schildert folglich die unterschiedlichen Verhältnisse, welche das Subjekt zu seiner transsubjektiven sittlichen Grundlage einnimmt. Die darin wirksame Einheit von Subjekt und Objekt ist der „sittliche Geist“, der zunächst von seiner unmittelbaren, mithin natürlichen Einheit in der Familie, über die Trennung von subjektiver Einzelheit und objektiver Allgemeinheit in der bürgerlichen Gesellschaft in die vermittelte Einheit des Staates gelangt. Die erste unmittelbare Form der Sittlichkeit spürt Hegel in der Familie auf, einer substantiellen Einheit, welche einerseits dem natürlichen Geschlechterverhältnis verhaftet bleibt, andererseits aber bereits eine geistig-sittliche Funktion erhält.143 Dies lässt sich am besten anhand der konkreten Bestimmungen der Familie aufweisen. Die Familie ist offensichtlich kein bloßes Aggregat atomarer Personen, vielmehr finden sich die Subjekte darin als Mitglieder ohne Anrecht auf Rechtsverhältnisse unter den Familienangehörigen.144 Statt dessen bildet die Familie als ganze eine Person (§162). Daher erlangt das abstrakte Recht erst im Außenbezug der Familie auf andere Familien an Bedeutung; in dieser Hinsicht erörtert Hegel auch Fragen des Eigentums und Vermögens der Familie (§§170ff.). Das einzelne Mitglied besitzt nicht isoliert für sich, sondern in der seine Einzelheit übersteigenden familiären Liebe sein Selbstgefühl (PdR §158). Neben der seit der „Phänomenologie“ bekannten Bedeutung des Selbstgefühls als unmittelbaren Ausgangspunkts des sich entfaltenden Selbstbewusstseins klingt hierin ebenso der Anfang freier Praxis an; auch der praktische Geist besitzt im Selbstgefühl die unmittelbare Grundlage seiner Freiheit. Die Familie gründet zunächst auf der Ehe, worin neben dem fragilen, weil auf subjektiver Neigung beruhenden sexuellen Verlangen beider Partner die geistige Dimension der Liebe Einzug finden muss, um die sittliche Bedeutung der Ehe auszuschöpfen. Damit erhält das bekannte Modell der geistig-natürlichen Liebe von Hegels Frühphilosophie seine sittliche Verortung in der Familie.145 Wie bereits in Aus_____________ 143 Für einen ausführlicheren Kommentar zum Abschnitt „Familie“ in der Rechtsphilosophie Hegels vgl. H. Schnädelbach 251ff., in kreativer Aneignung und Bannung der „Überinstitutionalisierung“ bei Hegel vgl. A. Honneth. 144 Es gibt zwar gewisse Rechte der Mitglieder, also Personen, in der Familie, aber diese betreffen nur den Fall der Auflösung der Familie. „Das Recht tritt nur in der Form (von) Rechten hervor, insofern die Familie in Auflösung übergeht. Die Einzelnen sind nicht als Personen, treten sie in das Verhältnis der Person, ist ein Beginn der Auflösung der Familie vorhanden.“ (PdR §159) Vgl. Schnädelbach 257f. 145 Zur Liebe bei Hegel vgl. S. 207 Anm. 19.
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einandersetzung mit dem natürlichen Leben erörtert, besteht der Sinn des natürlichen Geschlechterverhältnisses – dessen natürliche Anerkennung – in der Zeugung von Kindern, worin sich die Einheit der Geschlechtspartner in einem einzelnen Subjekt konkretisiert und objektiviert. Die eigentliche geistige Zeugung oder Anerkennung der familiären Einheit, die Hegel bezeichnenderweise die „zweite Geburt“ nennt (X, §521), geschieht in der Erziehung der Kinder zu selbstständigen, mithin vernünftigen Subjekten. Doch in der familiären Erziehung wird offensichtlich die Vernunft nur unmittelbar in den Kindern hervorgebracht; gestärkt werden soll ein noch unverstandenes sittliches Empfinden (VII, §175), das auf der Grundlage des anfangs thematisierten familiären Selbstgefühls nunmehr zum vermittelten Prinzip der für sich seienden einzelnen Person des Kindes gemacht werden soll. Dieses Fürsichwerden der Kinder entlässt dieselben aus der unmittelbaren, mithin unreflektierten Einheit der Familienmitglieder und setzt sie als Personen in das Verhältnis zu anderen Personen. Das sittliche Selbstgefühl aus der familiären Erziehung der Person befähigt dieselbe, auf der Basis einer inhaltlich, nämlich durch die (vernünftigen) Sitten ausgeprägten Gefühlsdisposition seinen Gang in die freie Selbstbestimmung im interpersonalen Handeln anzutreten.146 Wie der praktische Geist am praktischen Gefühl eine noch formale, unmittelbare Intentionalität des Handelns besitzt, so kann nun an der Kindeserziehung in der Familie deren inhaltlich-konkrete Ausbildung verortet werden. Die familiäre Erziehung ist nötig, damit der Mensch eine inhaltlich bestimmte Gefühldisposition erwirbt, die – sofern die Erziehung vernünftig ist – Grundlage freier Selbstbestimmung ist. Wie der praktische Geist im Übergang vom Gefühl zu den Trieben ein Interesse an selbstständigen Handlungen in der Welt gewinnt, so erwirbt das Kind im sittlichen Empfinden die noch passive Bedingung für seine gesellschaftlichen Aktivitäten. Dies macht den Übergang von der Familie in die bürgerliche Gesellschaft, von der einen sittlichen Person zur Vielzahl der Personen, aus. Die bürgerliche Gesellschaft repräsentiert Hegel zufolge den Verlust der Sittlichkeit in der Sittlichkeit oder unmissverständlicher: das Erscheinen der Sittlichkeit, „die Stufe der Differenz“ (§181) zwischen der subjektiven und der transsubjektiven bzw. objektiven Dimension _____________ 146 Wenn das Kind zur Selbstständigkeit erzogen wird, dann bedeutet dies, dass ihm nicht nur familiäre, sondern ebenso gesellschaftliche, staatliche und religiöse Werte durch die Autorität der Eltern beigebracht werden. Diese stellen gleichsam die Grundlage für sein subjektives Handeln in der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit dar. VII, §174ff.
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der einen Totalität.147 Die Besonderheit der subjektiven Freiheit löst sich von ihrer allgemeinen objektiven Grundlage. Insofern treten an dieser Stelle erneut phänomenologische Faktoren ins Spiel, die erst mit dem Übergang der bürgerlichen Gesellschaft in den Staat ihre Aufhebung als Momente in die eine sittliche Totalität erhalten. Das gesellschaftliche Leben stellt infolgedessen einen Bereich dar, in welchem neben der Willkür, der phänomenologischen Willensform, der subjektive Geist als solcher und ebenso der moralische Geist ihre Behandlung und inhaltliche Weiterentwicklung finden. In dieser Hinsicht geht es um die konkrete freie Selbstbestimmung des Subjekts wie auch um eine weitere Aufhebung der Äußerlichkeit seiner Handlungen in der Welt. Indes geht es um die Erscheinung des Sittlichen, also um keine bloße Wiederholung vorheriger Stufen, sondern um die Verortung ihrer in der Dimension transsubjektiver Allgemeinheit. Da die Subjekte in derselben ihre (besondere) Freiheit nicht wiederfinden, erscheint sie zufolge des Reflexionsstandpunktes als eine äußere Gemeinsamkeit von Personen, dem so genannten „äußeren Staat, – Not- und Verstandesstaat“ (§183). Die Trennung und Äußerlichkeit von Besonderheit und Allgemeinheit in dieser Sphäre bewirken auch die Entgegensetzung der folgenden zwei Unterabschnitte, worunter erstens die Behandlung der subjektiven Freiheit in Form des „Systems der Bedürfnisse“, zweitens die allgemeine „Rechtspflege“ als Auftreten einer abstrakten Allgemeinheit zu fassen sind. Dabei muss beachtet werden, dass in den jeweiligen Kapiteln niemals ausschließlich die subjektive oder objektive Dimension, sondern als Erscheinung des Sittlichen ebenso der jeweils andere Bereich sich manifestiert. Ihre freilich noch mangelhafte Zusammenführung finden beide Aspekte in den letzten Abschnitten über Polizei und Korporation. Die Erziehung der Familie bewirkte die Herausbildung der Selbstständigkeit des Kindes als Subjekt zunächst dadurch, dass ihm ein sittliches Selbstgefühl oder Empfinden vermittelt wurde. Zugleich mit der Verselbstständigung vollzieht sich das Austreten des Kindes als einzelner Person aus der familiären Totalität. Auf der Grundlage seines inhaltlich bestimmten praktischen Gefühls vermag das Subjekt sich nun – in sich reflektiert – seiner eigenen Innerlichkeit zuzuwenden. Die Subjekte haben „ihre eigene Besonderheit und ihr Fürsichsein in ihrem Bewusstsein und zu ihrem Zwecke“ (X, §523). Wie in den Ausführungen zum praktischen Geist folgt auf das Selbstgefühl die Mannigfaltigkeit von Trieben sowie die willkürliche Verfügung darüber. Infolgedes_____________ 147 Zur geschichtlichen Dimension dieses Begriffs vgl. Riedel: „Hegels Begriff der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs“. In: Riedel 1975, 247-275.
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sen kommt es nun auch erst zum eigentlichen Handeln des Subjekts, also seiner moralischen Befähigung. Ist das Selbstgefühl in seiner Rezeptivität passiv, entspringt mit den Trieben das Interesse an der eigenen Tätigkeit. Die sittliche Totalität erscheint auf Grund der radikalen Entgegensetzung zum besonderen Subjekt in Form einer äußerlichen Einheit einer Vielzahl von Bürgern (bourgeois), „als bürgerliche Gesellschaft oder als äußerer Staat“ (ebd.). Insofern das Subjekt die Inhalte seines Handelns – wie spätestens im Kapitel über die Moralität gezeigt – nicht aus sich selbst schöpfen kann, ergibt sich die subjektive Entwicklung zu inhaltlicher Selbstbestimmung aus der Interaktion des Subjekts mit der Gesellschaft. Ebenso wie beim Selbstgefühl lässt sich deshalb auch für die subjektiven Handlungsmotive zeigen, wie sie auf Grund des Zusammenhangs mit der objektiven Allgemeinheit an inhaltlicher Kontur gewinnen und damit das formale Subjekt zu bestimmter und wirklicher Freiheit befähigen. Das Heraustreten aus der transsubjektiven Allgemeinheit sowie die Vereinzelung der Personen manifestiert sich im „System der Bedürfnisse“ dadurch, dass die einzelnen Personen den Zweck ihres Handelns in ihre jeweilige Besonderheit verlegen und somit ihre Selbstständigkeit scheinbar gegen den allgemeinen Zusammenhang absolut setzen. Die dennoch bestehenden rationalen Strukturen in der Interaktion der gesellschaftlichen Subjekte werden ein „System der Atomistik“ zum Vorschein bringen, den Zusammenhang atomarer Individuen. „Die Besonderheit der Personen begreift zunächst ihre Bedürfnisse in sich“ (X, §524), weil es denselben in ihrem Wollen und Handeln primär um ihre eigenen subjektiven Zwecke und nicht um den gesellschaftlichen Zusammenhang als solchen geht; letzterer erscheint ihnen vielmehr als eine äußere Notwendigkeit (nicht-sittliche Mächte), der sie sich zu fügen haben, um ihre eigenen Zwecke erfolgreich umzusetzen. Infolgedessen hebt die Ausführung mit Überlegungen an, die man in Kontinuität zum praktischen Geist zu sehen hat. Die dort angeführte Rede von den Trieben sowie ihrer Unterwerfung unter Willkür und Glückseligkeit blieb auf Grund der Formalität ihres Gegenstandes, der reinen Subjektivität, selbst nur vage und andeutend. Eine Konkretisierung der Triebe und des Übergangs findet erst im Rahmen der gesellschaftlichen Einbettung des Subjekts statt. Der Begriff der Bedürfnisse übernimmt gleichsam – ebenso wie „Wohl“ gegenüber „Glückseligkeit“ – die gesellschaftlich bedingte Perspektivenverschiebung im Hinblick auf die unmittelbaren Triebe des Menschen. Geht man von gewissen natürlichen Trieben des Menschen aus, welche bereits unzählige Möglichkeiten ihrer Befriedigung zulassen, so
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findet in der bürgerlichen Gesellschaft eine bestimmte Transformation dieser Bedürfnisse statt, die Hegel in drei Aspekten ausgedrückt sieht: durch die Vervielfältigung der Bedürfnisse und Mittel und dann durch die Zerlegung und Unterscheidung des konkreten Bedürfnisses in einzelne Teile und Seiten (VII, §190).
Die von Gesellschaftskritikern wie Rousseau so bedauerte Inflation menschlicher Bedürfnisse in der Gesellschaft wendet Hegel zum Positiven, indem er darin den notwendigen Schritt des Menschen von seiner Natürlichkeit zu einer geistigen und freien Existenz sieht. Dieser Schritt ist es, der den Menschen erst zum Menschen im wahren Wortsinn macht (ebd.).148 Nur durch „Aufmerksamkeit“, also durch eine wenigstens rudimentäre geistige Aktivität gelangt der Mensch zur Erkenntnis der aus dem natürlichen Triebpotenzial hervorgehenden Unterscheidung und Vervielfältigung (PdR §190).149 Die Gesellschaft macht es durch die Pluralisierung der Bedürfnisse möglich, dass sich der einzelne Mensch seiner willkürlichen Verfügung über die Bedürfnisse bewusst werden kann. Besitzt der Mensch eine Vielzahl an Bedürfnissen, wird er vor die Qual der Wahl gestellt. Damit distanziert er sich von der Gesamtheit seiner Bedürfnisse. Anders gesagt: Die einzelnen Bedürfnisse wirken nicht mehr so stark auf den Willen des Subjekts, wenn es einer großen Vielzahl anderer Bedürfnisse gegenüberstehen. Der Mensch tritt damit einen Schritt weiter heraus aus seiner Abhängigkeit von der Natur.150 Den eigentlichen Überstieg von natürlichen zu gesellschaftlichen Bedürfnissen vollzieht der Mensch, indem es ihm bei der Befriedigung weniger auf die natürliche Basis seiner Bedürfnisse als auf die gesellschaftliche Anerkennung ankommt (VII, §192). Er verfolgt dieselben dann weniger wegen des inneren Mangels und Drangs, als weil er darin eine allgemeine Meinung oder Mode zum Ausdruck bringt, was ihm die Achtung Gleichgesinnter einbringt: Dies ist _____________ 148 „[H]ier auf dem Standpunkte der Bedürfnisse ist es das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt; es ist also erst hier und auch eigentlich nur hier vom Menschen in diesem Sinne die Rede.“ (VII, §190) Das heißt, dass erst in einem der bürgerlichen Gesellschaft gemäßen Gebilde der Mensch die Vorstellung von sich als Mensch erwirbt, der gegenüber alle anderen Unterschiede unter den Subjekten verschwinden. „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist“ (ebd. §209). 149 Bereits im praktischen Geist war es die Aufmerksamkeit, wodurch die Vervielfältigung der Triebe motiviert war (oben S. 252.). 150 „In der Vervielfältigung der Bedürfnisse liegt gerade eine Hemmung der Begierde, denn wenn die Menschen vieles gebrauchen, ist der Drang nach einem, dessen sie bedürftig wären, nicht so stark, und es ist ein Zeichen, dass die Not nicht so gewaltig ist.“ (VII, §190 Z.)
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die Seite der Befreiung, dass die strenge Naturnotwendigkeit des Bedürfnisses versteckt wird und der Mensch sich zu seiner, und zwar einer allgemeinen Meinung und einer nur selbstgemachten Notwendigkeit, statt nur zu äußerlicher, zu innerer Zufälligkeit, zur Willkür, verhält (§194).
Je nach Meinung und Mode einer Gesellschaft ist damit angedeutet, wie der konkrete Übergang von unmittelbaren Bedürfnissen zum Standpunkt der willkürlichen Verfügung darüber vollzogen werden kann. Ein weiterer Aspekt im „System der Bedürfnisse“ ergibt sich aus der Frage nach der Handlung des Subjekts, wodurch es sich die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse erwirbt und – in rein moralischer Hinsicht – auf welche Weise das Subjekt mittels Handlungen seine Absicht durchzusetzen vermag. Die Vermittlung, den partikularisierten Bedürfnissen angemessene, ebenso partikularisierte Mittel zu bereiten und zu erwerben, ist die Arbeit (VII, §196).
Die gesellschaftlichen Bedürfnisse verlangen ebenso gesellschaftlich vermittelte, d.h. durch Arbeit bereitgestellte Mittel. Selbst in den Mitteln für seine Bedürfnisse verhält sich der Mensch folglich zu gesellschaftlichen Produkten, worin eine weitere Steigerung seiner Loslösung von der Natur zu erblicken ist. Interessant ist an dieser Stelle, dass Hegel in seinem Begriff der Arbeit, der ja bereits für den Knecht zentral war, sowohl Momente des abstrakten Rechts als auch der Moralität einschließt. Jedes Mittel muss, um Mittel sein zu können, zum Eigentum eines einzelnen Subjekts gemacht werden. Überhaupt gilt für nahezu alle in Eigentum transformierbaren Sachen innerhalb der Gesellschaft, dass sie bereits Eigentum einer bestimmten Person sind und nicht mehr durch unmittelbare Besitzergreifung erworben werden können (X, §524). Die Erwerbung von Mitteln verlangt folglich den vertraglichen Tausch von Eigentum und somit die Herstellung der Mittel für den Tausch durch Arbeit. Die gesellschaftlich erzeugte Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse macht es nötig, dass die Mittel durch Arbeit hergestellt werden. Es entsteht ein wechselseitiger Erzeugungsprozess von Angebot und Nachfrage. Die immer größer werdende Pluralität von Arbeitsprodukten für die unterschiedlichsten Bedürfnisse verlangt eine Spezialisierung der dazu nötigen Geschicklichkeiten und ruft innerhalb der Gesellschaft die Arbeitsteilung auf den Plan (§526). Die Subjekte beschränken sich darin auf eine Geschicklichkeit, um bestimmte gesellschaftliche Produkte herzustellen, welche sie als ihr Eigentum für anderes Eigentum eintauschen können. So ist die Arbeit die unumgängliche Vermittlungsleistung, wodurch das Subjekt im Rahmen der Gesellschaft Eigentum als Mittel seiner Bedürfnisbefriedigung erwerben kann.
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In streng handlungstheoretischer, mithin moralischer Perspektive ist an der Arbeit weniger das äußerliche Tauschverhältnis, als vielmehr die Ausbildung von subjektiven Geschicklichkeiten interessant. Die Spezialisierung der Arbeit führt nach Hegel ebenso zu einer Vertiefung der theoretischen und praktischen Bildung der Individuen (VII, §197), worunter zum einen die Zunahme technischer Kenntnisse und das Auftreten von empirischen Wissenschaften (Physik, Chemie u.a.), zum anderen der Erwerb von allgemein anerkannten Geschicklichkeiten und Fähigkeiten, ja überhaupt das Bedürfnis nach Arbeit, also tätig zu sein, zu verstehen sind. Es ist evident, dass beide Bereiche das Subjekt gegen die äußere Kontingenz seiner Handlungen absichern, damit sich seine Absichten in den Handlungen verwirklichen können. Da sich ebenso die Absichten selbst an gesellschaftlich bereits vorliegenden Bedürfnissen orientieren, sind sowohl die Absicht als auch der Handlungsvollzug im theoretisch-praktischen Bildungsgut der Gesellschaft vorgezeichnet und garantieren allgemein betrachtet Aussichten auf Erfolg in der Gesellschaft. Das besondere Individuum erhält darin die Bildung zur Allgemeinheit.151 In den bisherigen Ausführungen zum System der Bedürfnisse wurde der objektive Zusammenhang, die ehemals sittliche Totalität, bewusst im Hintergrund gehalten. Anhand der Arbeitsteilung lässt sich nun jedoch aufweisen, dass die Subjekte beim Verfolgen ihrer Bedürfnisse hinterrücks – Indiz einer List der Vernunft – in die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Zusammenhangs integriert werden, der von ihnen unbewusst befördert wird und sie daher – ohne ihr Wissen und Wollen – doch in die Nähe eines sittlichen Verhaltens führt. Je spezialisierter die eigenen Bedürfnisse und dazugehörigen Mittel werden, desto mehr ist der Mensch von anderen Menschen und ihrer Arbeit abhängig, so dass aus dem System der Atomistik vielmehr ein „System allseitiger Abhängigkeit“ (§183) entsteht. Auf Grund der Entgegensetzung des subjektiven und objektiven Moments erscheinen die sittlichen Mächte für die Subjekte als eine äußere Notwendigkeit, der sie, ohne es zu wollen, Folge leisten müssen. Diese objektive Notwendigkeit, welche noch nicht durch Einsicht zur Freiheit umgewandelt ist, nennt Hegel das Vermögen. Unter Vermögen ist ein Vielfaches zu verstehen. Allgemein gesprochen handelt es sich um die gesellschaftlichen Ressourcen im Sinne einer anonymen Masse der bestimmten mannigfaltigen Bedürfnisse, Mittel, Geschicklichkeiten und Personen, woran das Individuum durch _____________ 151 „Die Entwicklung des Verstandes und die Bezähmung des natürlichen Willens fällt in diese Sphäre.“ (PdR §197)
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Bildung in die Lage versetzt wird, zu partizipieren. Durch seine Arbeit fügt es sich dieser objektiven Sphäre, um sie durch eigene Leistung zu erhalten und zu vermehren (§199). Damit geht einher, dass, „indem jeder für sich erwirbt, produziert und genießt, er eben damit für den Genuss der Übrigen produziert und erwirbt“ (ebd.). Im Bewusstsein der Beförderung seines eigenen Wohls integriert sich das Subjekt in eine Gesamtheit, welche sein Einzelwohl mit dem Wohl aller vereinbart. Dass das Individuum zugunsten der Allgemeinheit und damit sittlich handelt, ist ihm nicht bewusst, vielmehr versteht es diesen Zusammenhang als notwendiges Mittel für seine eigenen Zwecke. Je nach erworbenen Geschicklichkeiten, „intellektueller und moralischer Bildung“, natürlichen Talenten, Meinung, aber auch durch eigene Willkür, äußeren Zufall und finanzieller Lage (§200) übernimmt es einen Teil im Gesamtgefüge des allgemeinen gesellschaftlichen Vermögens. Dieses ist dabei konkret zu denken, es differenziert sich in die gesellschaftlichen Stände, die Hegel zufolge die notwendigen Subsysteme im gesellschaftlichen Gesamtsystem darstellen. Die Gliederung geschieht rein logisch „nach dem Begriffe“ in einen substantiellen oder natürlichen Stand, den Stand des Gewerbes und den allgemeinen Stand: das durch die Landwirtschaft, den Handel und die „allgemeinen Interessen des gesellschaftlichen Zustandes“ (§205) bestimmte gesellschaftliche Vermögen. Die Tatsache, dass die subjektive Freiheit als diejenige der Besonderheit weiterhin im Mittelpunkt des bewussten Handelns steht, verleitet Hegel zu der mehrfach betonten Forderung, es solle der Willkür des Subjekts anheim gestellt sein, in welchem Stand es sein „Glück“ versuchen wolle. Starre Ständesysteme, die durch Geburt oder sonstige Vorherbestimmung die Standeswahl unmöglich machen, lehnt er ab (§206). Interessant für die Verortung der subjektiven Freiheit scheint zu sein, dass mit den Ständen zugleich verschieden bestimmte und konkrete Lebensformen hervorgehen, welche eine eigentümliche Subsistenzbasis und im Zusammenhange damit entsprechende Weisen der Arbeit, der Bedürfnisse und der Mittel ihrer Befriedigung, ferner der Zwecke und Interessen sowie der geistigen Bildung und Gewohnheit (X, §527)
repräsentieren, die es dem Individuum und seiner Willkür anheim stellen, eine eigene objektiv bereits vorhandene Lebensform zu ergreifen, um sie durch sein Tun zu produzieren und zu erhalten. Der Stand ist damit die genuin objektive Manifestation der subjektiven Freiheit unter ihrem Aspekt der Besonderheit (VII, §206), oder anders ausgedrückt: das Dasein des Wohls bzw. der Glückseligkeit als eines konkreten Systems
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optimaler Bedürfnisbefriedigung.152 Wie schon im praktischen Geist bewahrt auch hier das nunmehr bestimmte Wohl das Moment subjektiven Beliebens oder Willkür in sich. Dass der Begriff des Wohls in seiner subjektiv-praktischen und moralischen Bedeutung im gesellschaftlichen Ständeleben seine konkret-inhaltliche Erfüllung erfährt, erklärt auch, weshalb Hegel hier die Moralität als Förderung des eigenen sowie des Wohls anderer verortet. Mag auch im Allgemeinen eine erfolgreiche Teilnahme am gesellschaftlichen Vermögen gewährleistet sein, so besteht doch weiterhin eine gewisse Zufälligkeit des Erfolges für einzelne Individuen. Dies macht es erforderlich, dass die Menschen sich untereinander durch ebenso zufällig-willkürliche Hilfe unterstützen. Freilich ist damit noch nicht der Standpunkt des allgemeinen Guten erreicht.153 Die in der willkürlichen Freiheit der Standeswahl zum Vorschein gekommene abstrakte Allgemeinheit des Subjekts, auf deren Grundlage es ein bestimmtes Wohl aus dem Angebot der ständischen Lebensentwürfe ergreift, gibt sich darin ein besonderes Dasein, worin das Subjekt von den anderen Bürgern als besonderes anerkannt wird. Dem gegenüber ist das Dasein und die Anerkennung der allgemeinen Freiheit noch abstrakt. Im nicht geringen Maße ist es jedoch Ziel der gesellschaftlichen Bildung, das Allgemeine zu wissen und zu wollen. Unter Absehung von seiner Standesehre erscheint das Allgemeine in den Kategorien des abstrakten Rechts, das nun jedoch in den gesellschaftlichen Zusammenhang integriert und somit durch Bildung zum Bewusstsein aller Bürger gebracht ist (§209). Die Bildung vermittelt den Menschen einen Begriff der Person, wie sie im abstrakten Recht zur Grundlage diente. Nunmehr im Bereich der Sittlichkeit angekommen, geht es um dasselbe „in seiner geltenden Wirklichkeit, als Schutz des Eigentums durch die Rechtspflege“ (§208). Dabei bleibt auch hier das besondere Subjekt im moralisch-gesellschaftlichen Kontext für sich der _____________ 152 Also erst an dieser Stelle zeigt Hegel auf, wie der formale Begriff der Glückseligkeit im gesellschaftlichen Zusammenhang seine verschiedenen inhaltlichen Bestimmungen erfährt. Ebenso wie dort ist hier jedoch noch nicht die Allgemeinheit und Freiheit des Subjekts erreicht, denn es wählt einen Stand zugunsten seines einzelnen Wohls. 153 „Die Moralität hat ihre eigentümliche Stelle in dieser Sphäre, wo die Reflexion auf sein Tun, der Zweck der besonderen Bedürfnisse und des Wohls herrschend ist und die Zufälligkeit in Befriedigung derselben auch eine zufällige und einzelne Hilfe zur Pflicht macht.“ (VII, §207) Nach Siep betrifft die Verlegung der Moralität in die bürgerliche Gesellschaft nur das Wohl, nicht aber das Gute (Siep 1992, 233). Das Gute als die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit erhält erst im staatlichen Leben seine konkrete Erfüllung. Die bürgerliche Gesellschaft hingegen gründet auf dem Standpunkt des Besonderen. Höchstens in der Polizei und mehr noch in der Korporation kann man das Aufkommen des Begriffs des Guten vermuten. Vgl. Schnädelbach 281.
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höchste Zweck, dem das allgemeine Recht zum Schutz seiner Partikularität und subjektiven Freiheit dient (§209 Z.). Zur Wirklichkeit des abstrakten Rechts gehören sowohl die subjektive wie auch die objektive Dimension der Freiheit, welche sich weitgehend noch in Entgegensetzung befinden. Damit das Recht wirklich ist, muss es einerseits für alle Personen gelten, also eine objektive Macht darstellen, andererseits von den Betroffenen gekannt und gewollt werden. Das wirkliche „Gesetztsein“ des Rechts ist das Gesetz, dessen Geltung rational zugänglich ist und daher von den denkenden Subjekten als solches gewusst werden kann und muss. Diese Verwirklichung führt zur Konkretisierung des abstrakten Rechts im positiven Recht (§211). Die Positivität der Gesetze beinhaltet Hegel zufolge drei wesentliche Anforderungen an das in der bürgerlichen Gesellschaft geltende abstrakte Recht: Positivität bedeutet Gesetztsein und somit erstens die Kenntnisnahme (Setzen) der Subjekte, zweitens das wirkliche Gelten, drittens – als Zusammenführung der ersten beiden Aspekte – die Konkretheit, weil ansonsten die Gesetze keine Geltungskraft über die Wirklichkeit ausüben und die Subjekte darin nicht konkrete Anweisungen für ihr Handeln wahrnehmen könnten. Im Hinblick auf das subjektive Handeln müssen die Gesetze gleichsam die Minimalisierung der äußeren Kontingenz im interpersonalen Handeln garantieren, so dass die Subjekte darin eine feste Voraussetzung und einen Schutz für ihr eigenes besonderes Agieren wahrnehmen können. Auf Grund der geforderten Anwendbarkeit auf die Wirklichkeit eignet dem positiven Recht das Moment der Zufälligkeit und Willkürlichkeit, da wegen der Mannigfaltigkeit möglicher Einzelfälle im positiven Rechtssystem stets ein willkürliches „Enden des Bestimmens“ (X, §529) einzutreten hat, um die schlechte Unendlichkeit der Fortbestimmung zu unterbinden. Die Idee der Vollkommenheit des positiven Rechts, als könnten damit alle Einzelfälle abgedeckt und die Ausführung nur ein „Maschinenmäßiges“ (VII, §211 Z.) sein, weist Hegel als leer zurück. Insofern im positiven Recht das Moment der gesetzlichen Gültigkeit von größter Bedeutung ist, kann selbst ein Unterschied zwischen dem an sich seienden, vernünftigen und dem bestehenden Recht nicht durch die Forderung überbrückt werden, dass dieses in allen seiner Bestimmungen jenem folge (§212). Dies drückt sich auf darin aus, dass die Gesetze lediglich gewusst oder bekannt sein müssen, was noch nicht ihre Vernünftigkeit, ihr Erkanntsein einschließt.154 _____________ 154 „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.“ (III, 35) Der Unterschied besteht hier zwischen dem bloßen Wissen eines faktischen Geltens und der Einsicht in die Vernünftigkeit dieses Geltens. Dennoch geht Hegel – geschichtlich betrachtet – von einer Annäherung an vernünftige Gesetze aus, d.h. von einer Steige-
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Die Vereinbarung der Gesetze mit den Einzelfällen obliegt dem Gericht. Die im abstrakten Recht noch zwei oder mehreren Personen und ihrer Willkür anheim gestellte vertragliche Übereinkunft und Anerkennung des Eigentums wird mit dem Gericht an eine unparteiische Instanz delegiert. Das heißt, dass das Eigentum nicht auf Grund einer interpersonalen Absprache als solches existiert, sondern vielmehr durch die das Recht pflegende Institution des Gerichts. Wer ein Eigentum durch Vertrag erwirbt, erhält vermittelt über die Anerkennung durch das allgemeine Recht die Anerkennung durch alle Personen (PdR 204). Gleichermaßen gilt das Verbrechen nicht primär als Verletzung einer bestimmten Person, sondern als Schaden an der gesamten Gesellschaft (VII, §218). So wird klar, auf welche Weise das abstrakte Recht in der Rechtspflege zur Integration der Einzelpersonen in den gesellschaftlichen Zusammenhang gelangt. Die mit der Rechtspflege und speziell dem Gericht auftretende objektive Allgemeinheit und Notwendigkeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft weist eine noch mangelhafte Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit auf, insofern die einzelnen Personen das allgemeine Recht weiterhin bloß als Mittel zur Verwirklichung ihres eigenen Wohls anerkennen und es nicht um seiner selbst willen erstreben. Gerade deshalb stellt das Gericht eine äußere Instanz der Rechtssprechung dar. Ebenso handelt es sich um eine abstrakte Allgemeinheit, weil das Gericht zwar die Rechte der Einzelnen in Form ihrer Eigentumsverhältnisse sichert, sich aber keineswegs um deren besonderes Wohl als solches kümmert. Auch die Betätigung des Rechts durch den Richter unterliegt noch dessen partikulärer Subjektivität und eröffnet somit die Differenz von besonderer Rechtssprechung und Recht an sich, d.h. dem vernünftigen, allgemeinen Willen. Die Ausdehnung des allgemeinen Willens über die gesamte Dimension der subjektiven Besonderheit übernehmen Polizei und Korporation. Die Funktion der Polizei umfasst – wie häufig betont wurde – eine weitaus größere Spannbreite im gesellschaftlichen Leben, als es heutzutage der Fall ist.155 Die Polizei als gesellschaftliche Institution übernimmt es nach Hegel, die von der Rechtspflege und dem Gericht vernachlässigte Rücksicht auf die Besonderheit der Individuen mit der Allgemeinheit zu vermitteln. Das heißt zunächst, dass sie das Verbrechen nicht bloß negativ im Falle seines Eintretens gleichsam symptomatisch bestraft, sondern in den Ansätzen seines Geschehens zu un_____________ rung der subjektiven Freiheit, welche in den Gesetzen ihre eigenen Denkbestimmungen vernimmt. Diese Vernünftigkeit kann sich aber allein vermittels der politischen Verfassung ergeben, wie sie im Kapitel zum Staat abgehandelt werden wird. 155 Riedel 1975, 266f.
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terbinden sucht; ebenso wie sie auf die allgemeine Wohlfahrt der Individuen zu achten hat, deren Sicherung ihr zentrales Anliegen ist (X, §533). In letzterer Hinsicht hat sie Sorge für den allgemeinen Handel, für die Erziehung des Individuums zum „Sohn der bürgerlichen Gesellschaft“ (VII, §238), für die Armutsbekämpfung und sogar für gegebenenfalls notwendige Maßnahmen zur Gründung einer Kolonie zu tragen. Jedes Individuum muss in die Lage versetzt werden, am allgemeinen Vermögen zu partizipieren, wobei nicht bloß die Sicherung seines Eigentums, sondern bereits die Erringung der notwendigen Subsistenzbasis zur Beförderung seines Wohls allgemein unterstützt werden muss. Die Polizei sichert folglich denjenigen gesellschaftlichen Bereich vor Kontingenz, den die Rechtspflege noch offen gelassen hatte, und ermöglicht dem Subjekt eine weitere Berechenbarkeit bei der Ausführung seiner Handlungen in der gesellschaftlichen Welt.156 Damit ist zwar im transsubjektiven Allgemeinen einer sittlichen Institution die Einheit von allgemeinem und besonderem Willen intendiert, aber zum einen ist die fehlende Absicherung gegen die zweckwidrige Funktionsausübung der Polizei Kennzeichen einer fragilen, nur relativen Einheit. Zum anderen ist die Äußerlichkeit der Polizei gegenüber dem Einzelnen dadurch manifest, dass dieser weiterhin im Betätigen seines eigenen Wohls, nicht aber in einer Tätigkeit für die Allgemeinheit seinen Zweck setzt. Die Korporation ist der Zusammenschluss der Angehörigen eines bestimmten Berufsstandes zu einer relativen Einheit, welche die Rückkehr des Sittlichen im Modus seines Verlustes garantieren soll. In Anbetracht der drei Stände bedarf vor allem der Gewerbestand eines sittlichen Bandes, weil seine Beschäftigung auf das individuelle oder familiäre Wohlergehen gerichtet und damit prinzipiell selbstsüchtig ist (§250).157 Die Korporation sichert nun das Wohlergehen der Mitglieder eines bestimmten Berufsstandes, indem sie diese vor den widrigen Zufälligkeiten des Lebens bewahrt158 und ihnen die Ausbildung derjenigen Geschicklichkeiten ermöglicht, welche sie in den Stand versetzt, Mitglieder dieser Korporation zu sein (§252). Ein weiterer wesentlicher Aspekt liegt in der korporativen Anerkennung der Fähigkeiten ihrer Mitglieder. Indem der einzelne Bürger die Anerkennung durch die Mit_____________ 156 Hegels Beispiel dazu lautet: Wenn jemand in der Nacht Besorgungen nachhängt und dafür auf die Straße tritt, dann ist der polizeiliche Schutz vor Verbrechen eine wesentliche Bedingung für das Verwirklichen von Absichten (vgl. S. 315 Anm. 167). 157 Eine nähere Beschreibung der Korporationen nimmt Hegel nicht vor. Er bringt das Beispiel von Zünften und Genossenschaften, aber auch von Stadtgemeinden (VII, §251; PdR §256). Zur Korporation vgl. Riedel 1970, 161ff. 158 Schnädelbach denkt hier an „berufsständische Hilfsdienste, Berufskrankenkassen etc.“ (Schnädelbach 295).
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gliedschaft in einer Korporation zugesprochen bekommt, erlangt er vermittelt über diese Autorität die Achtung aller Bürger, was sein tägliches Einkommen – das berufliche Reüssieren seiner Geschicklichkeit – absichert. Ohne diese Organisation wäre er darauf angewiesen, seine Geschicklichkeit tagtäglich in Arbeitsprodukten zu demonstrieren, er wäre mithin auch Spielball der verschiedensten kontingenten Umstände. Hegel erachtet die Verteuerung der Arbeit wegen der Zunahme des Berufsrisikos als eine Konsequenz aus dem Fehlen von Korporationen. Als Mitglied einer Korporation hingegen, worin der Einzelne als in einer zweiten Familie eine reflektierte Allgemeinheit bezieht (ebd.), besitzt er sein Anerkanntsein auf dem Wege angesehener Titelvergabe (PdR §253), als Anerkanntsein durch die seinem Beruf angehörige Korporation. Durch Erringung eines Titels sichert sich der Einzelne seine soziale Achtung und damit eine gewisse Berechenbarkeit seines zukünftigen Erfolgs, ohne von der Tagesform seiner Geschicklichkeit und der Geschicklichkeit, diese Geschicklichkeit zu vermarkten, abhängig zu sein. Seine Handlungen erhalten auf diesem Wege eine äußere Sicherung gegen die Kontingenz und ermöglichen ihm, auf sein Wohlergehen zu rechnen. Die Anerkennung, die das Mitglied erhält, ist aber auch für es niemals allein persönliche Auszeichnung, vielmehr wird anerkannt, dass es einem Ganzen, das selbst ein Glied der allgemeinen Gesellschaft ist, angehört und für den uneigennützigen Zweck dieses Ganzen Interesse und Bemühung hat (VII, §253).
In dieser doppelten Bedeutung hat man Hegels Begriff der Standesehre zu verstehen. Das Individuum „hat so in seinem Stande seine Ehre“ (ebd.) und versteht folglich seine Tätigkeiten als solche für eine Allgemeinheit. Mit der beschränkten konkreten Totalität einer Korporation fügt sich der einzelne Bürger in die Identität einer transsubjektiven Allgemeinheit, worin er sein durch den Stand bestimmtes Wohl und zugleich die allgemeinen Interessen seines Standes und damit der Gesellschaft verfolgt. Des Weiteren ermöglicht ihm die Institution der Korporation eine Absicherung gegen die sonst herrschende äußere Kontingenz im Verwirklichen seiner Absichten. Die wahre Erhebung zur allgemeinen Freiheit ereignet sich indes erst im Staat: Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee – der sittliche Geist, der als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt. (§257)
Die Wirklichkeit der sittlichen Idee unterscheidet sich von deren bloßem Begriff und ihrer Erscheinung, wie sie sich in der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft – dort am vollkommensten in der Korpora-
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tion – dargestellt hat. Der Staat bedeutet das Selbstbewusstsein des sittlichen Geistes als sich wissende Einheit beider vorherigen sittlichen Momente, dem unmittelbaren Leben in der familiären Einheit und der Reflektiertheit des bürgerlichen Menschen.159 Die Aufhebung beider Seiten in die staatliche Einheit ist nicht nur der in der philosophischen Wissenschaft gelieferte Beweis des Begriffs des Staats, sondern erweist vielmehr zum einen, dass sich in der Realität Familie und bürgerliche Gesellschaft allein auf der staatlichen Grundlage entfalten können. Der Staat ist infolgedessen das reale „Erste“ der Ausbildung von Familie und bürgerlicher Gesellschaft, worin sie an Stabilität im Hinblick auf Recht und Wohl gewinnen (§256).160 Zum anderen bedeutet der Staat die Überwindung der einseitigen Willenskonstellationen, indem er seine Priorität gegen beide Momente geltend macht. Weder die unbewusste Allgemeinheit der Familie noch die emphatische Betonung der subjektiven Besonderheit in Entgegensetzung gegen die transsubjektive Allgemeinheit kennzeichnen vollständig den freien Willen. Seine konkrete Freiheit im Staat erlangt der Bürger im Sinne des citoyen, wenn er die reflektierte Einheit von allgemeinem und besonderem Willen für sich manifestiert. Wie schon im moralischen Guten im Modus des subjektiven Begriffs, der abstrakten Freiheit, intendiert, verkörpert der Staat nunmehr in der Realität die konkrete Freiheit als Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, von Pflicht und Recht bzw. Wohl.161 Das Verhältnis beider Aspekte sowie beide Aspekte selbst, die im Rahmen der Moralität ein reines Sollen zum Ausdruck brachten, sind nunmehr in die dynamische Einheit von Sollen und Sein zurückgeführt. Erstens existiert das Allgemeine als sittliche Substanz in der Gestalt von Gesetzen und allgemeingültigen Sitten, welche indes zugleich Produkt der subjektiven Tätigkeitsvollzüge und damit gesollt sind. Das sittliche Sollen entspricht dem sittlichen Sein. Zweitens fordern die Individuen nicht nur ihr eigenes besonderes Wohl (eudämonistisches Sollen), sondern dasselbe existiert bereits in den praktizierten Lebensformen der allgemeinen Stände im Staat. Die Stände und das Wohl existieren aber nur, weil _____________ 159 Indem Hegel den natürlichen Stand mit dem familiären Leben auf dem Land, den Gewerbestand mit dem städtischen Leben in Verbindung bringt, kann er den Staat auch als Einheit von Stadt und Land definieren. Diese Einheit bringt auf Standesseite der allgemeine Stand zum Ausdruck (VII, §256). 160 Darunter ist vor allem das rechtliche Verhältnis zu verstehen, welches die Familie als Person anderen Personen gegenüber einnimmt, als auch die in der bürgerlichen Gesellschaft beschriebenen Prozesse (System der Bedürfnisse) und Institutionen (Rechtspflege, Polizei und Korporation). Der Staat hat die Funktion, „die Familie zu schützen und die bürgerliche Gesellschaft zu leiten“ (X, §537). 161 Vgl. Bourgeois 1969, 123ff.
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sich Individuen für einen Stand und dessen Lebensziele entschieden und sie tätig hervorgebracht haben. Drittens muss die Einheit von allgemeinem und besonderem Willen in jedem Individuum als moralisches Sein existieren und zugleich durch Bildung seines Selbstbewusstseins zum moralischen Sollen hervorgebracht werden (X, §537). Alle drei Aspekte sind wirklich und gesollt im Staat. An den existierenden Sitten und Gesetzen findet das Subjekt die inhaltliche Seinsgrundlage seines freien Handelns, das es vollführt, indem es durch Bildung seines Selbstbewusstseins zum allgemeinen Sollen als eigenen Willen übergeht. Im Medium vernünftigen Denkens erfasst es die vernünftigen Sitten und Gesetze als eigene Willensbestimmtheiten und ihre Befolgung als freie Selbstbestimmung. Die durch den vermittelnden Vollzug seiner Subjektivität gewonnene unmittelbare Einheit von Sitte und Selbstbewusstsein nennt Hegel Gesinnung (VII, §257). Die transsubjektive Allgemeinheit der sittlichen Mächte gelangt im Staat zum Wissen ihrer selbst im Selbstbewusstsein des Bürgers. Damit ist die Einheit von objektiver und subjektiver Freiheit erreicht. Diese Einheit lässt sich nun wiederum aus der Perspektive der objektiven oder der subjektiven Freiheit schildern, einmal als Staatsmacht, dann als Staatsbürger. Es ist augenscheinlich, dass auf Grund der dynamischen Einheit beider Momente die hier vorgenommene Trennung allein zugunsten einer größeren Klarheit der Darstellung geschieht.162 Weder ist die Staatsmacht, ohne zugleich freies Werk der Staatsbürger zu sein, noch das erst qua Staatsbürger vollkommen freie Subjekt ohne die staatliche Verfassung. Die Staatsmacht als sittliche Idee, mit welcher sich die Subjekte bewusst identifizieren und damit ihre Einheit als sittlicher Geist eines Volkes zum Ausdruck bringen können, erhält in sich die beiden vorherigen Momente der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft. Für das familiäre und gesellschaftliche Leben ist sie jedoch eine „äußerliche Notwendigkeit“ (§261), welche in der Gestalt von Institutionen ihren Erhalt und ihre Unterordnung unter das staatliche Leben vornimmt (§263). „Diese Institutionen machen die Verfassung, d.i. die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Besonderen aus“ (§265). Für die Familienmitglieder und die Bürger (bourgeois) ist die institutionelle Ord_____________ 162 Hegel selbst beschränkt sich weitestgehend auf die Darstellung der Einheit aus objektiver Perspektive. Dies ist einerseits im Kapitel über den objektiven Geist verständlich und stringent, hat aber gerade deshalb zu vielen Missverständnissen geführt. Der Vorwurf der Ohnmacht der Subjektivität unter einer übermächtigen Staatsmacht entspringt diesem Missverständnis. Hingegen soll hier gezeigt werden, dass auch die subjektive Freiheit wesentlicher Bestandteil des Staates ist – wie bei einer Darstellung aus subjektiver Perspektive deutlich wird. Diesen Weg wählt auch Peperzak („Hegels Pflichtenund Tugendlehre“. In: Siep 1997, v.a. 172); ebenso wie Neuhouser 2000.
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nung kein Selbstzweck, sondern Mittel zur Sicherung ihres Rechts und Wohls. Die objektive Allgemeinheit existiert hier nur als Schein, sie manifestiert sich nicht in ihrer wirklichen Gestalt (§263). Dennoch leitet die Staatsmacht ebenso den Übergang in die Allgemeinheit ein. Die sittlichen Mächte führten die Familie zur Auflösung in der bürgerlichen Gesellschaft und darin zur Korporation. Der letzte Überstieg zum wahrhaft Allgemeinen hat sich indes noch im Staat selbst zu vollziehen, damit die Subjekte von der äußerlichen zur eigenen Notwendigkeit ihres Wesens und damit zur Freiheit gelangen. Die sittliche Notwendigkeit zum Selbstzweck erhoben konstituiert nach Hegel die politische, d.h. die Staatsverfassung (§267). Darunter versteht er einen Organismus, der in sich in Form von unterschiedenen Gewalten strukturiert ist. Diese Gewalten existieren nicht selbstständig und getrennt voneinander; vielmehr trägt jede Gewalt das Ganze des Organismus in sich. Mittels dieser Konzeption kritisiert Hegel die geläufige (Verstandes-)Vorstellung der Unabhängigkeit der staatlichen Gewalten (§272), weil dies in seinen Augen zu einem gegenseitigen Macht- und Unterwerfungskampf führen muss; dies wäre Indiz einer phänomenologischen Auffassung. Statt dessen müssen sich alle Gewalten mit den anderen einig wissen – im gemeinsamen Zustand und Prozess staatlicher Einigkeit. Trotz der Perspektive auf die objektive Freiheit oder Selbstbestimmung darf die politische Verfassung jedoch nicht in Loslösung von den darunter vereinigten Subjekten und ihrer Freiheit aufgefasst werden. Die Verfassung eines Staates verfügt nur dann über innere Stabilität, wenn sie von ihren Subjekten gewusst und gewollt, also in Form von vernünftigen Sitten gelebt wird. Sie ist die eine Seite des einzigen Geistes, der sich ebenso als gelebte Sitten im Volksgeist widerspiegeln muss (§274).163 Infolgedessen ist die Verfassung nicht ein Gemachtes, sondern ein Göttliches und Beharrendes, d.h. – weniger missverständlich – ein sich im Volksgeist kontinuierlich Entwickelndes, ein sich entfaltender Organismus. Die Gewalten der politischen Verfassung erhalten ihre wahrhaft vernünftige Gestalt gemäß der Struktur der Selbstbestimmung in den Momenten der Allgemeinheit, Besonderheit _____________ 163 Interessant hierfür ist das anlässlich des Übergangs von der Wesenslogik und ihrer letzten Kategorie der Wechselwirkung in die Begriffslogik angeführte Beispiel von Sitten und Verfassung des spartanischen Volkes. Die Frage, welche man sich auf der Grundlage kausalen Denkens stellen könnte, lautet: Bewirken die Sitten die Verfassung eines Volkes oder konstituiert die Verfassung die Sitten? Man könnte das Verhältnis im „phänomenologischen“ Sinne einer Wechselwirkung denken. Der Übergang in die Begriffslogik indiziert, dass beide Momente in Wahrheit nur verschiedene Ausgestaltungen des einen Begriffs des sittlichen Geistes sind (VIII, §156 Z.).
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und Einzelheit: Die gesetzgebende Gewalt, die Regierungsgewalt und die fürstliche Gewalt.164 Die fürstliche Gewalt, mit der Hegel seine Ausführungen beginnt, enthält als Moment der Einzelheit im Ganzen des Verfassungsorganismus die anderen beiden Momente in sich. Der Fürst ist insofern keine despotische Entscheidungsinstanz staatlicher Selbstbestimmung, sondern stets eingebunden in die Verfassung; er ist die Spitze einer konstitutionellen Monarchie. In einem vernünftigen Staat obliegt dem Fürsten insofern nur die endgültige Entscheidung hinsichtlich eines Prozesses, der sich auf die allgemein anerkannten Gesetze der Verfassung stützen kann; darin bleibt kein Platz für willkürliche Maßnahmen. Im Gewissen des Monarchen (§285) als Ausdruck der staatlichen Macht liegen die allgemeinen Gesetze vor, nach denen er seine Entscheidungen fällt, deshalb vollzieht er die allgemeine Gesetzgebung in seiner Person nach und handelt in der Entscheidung nach eigener Wesensbestimmung. Die Einheit des monarchischen Gewissens mit der objektiven Freiheit garantiert die Vernünftigkeit dieser Gewalt. Das Moment der Besonderheit weist Hegel der Regierungsgewalt zu, welcher in erster Linie die Ausführung und Anwendung der fürstlichen Entscheidungen, überhaupt das Fortführen und Imstanderhalten des bereits Entschiedenen, der vorhandenen Gesetze, Einrichtungen, Anstalten für gemeinschaftliche Zwecke (§287)
obliegt. Es fällt auf, dass Hegel die in der bürgerlichen Gesellschaft auftretenden Institutionen der Rechtspflege und der Polizei der Regierung unterstellt, weshalb man zu Recht von einer Engführung von exekutiver und judikativer Gewalt sprechen kann.165 Allein durch die Regierungsgewalt, welche institutionell in den Bereich der bürgerlichen Gesellschaft hineinwirkt, soll die vernünftige Ausführung und Stabilität derselben gewährleistet werden. In diesen Bereich fällt auch die Betätigung des allgemeinen Standes (X, §543). Als letztes Glied der politischen Verfassung nennt Hegel die gesetzgebende Gewalt, welcher die Fortbestimmung der in der Verfassung niedergelegten Gesetze anheim fällt. Insofern die Verfassung nicht als Gemachtes zu betrachten ist, vermag die gesetzgebende Gewalt keine Verfassungsänderung vorzunehmen; ihre Maßnahmen gründen stets auf dem verfassungspolitischen Organismus, der ihnen erst ihre Legitimation verschafft. Mit dem Fortschreiten der gesellschaftspolitischen Bildung (VII, §298 Z.) des Volkes muss die gesetz_____________ 164 Dazu Siep: „Hegels Theorie der Gewaltenteilung“. In: Siep 1992, 240-269. 165 Schnädelbach 316.
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gebende Gewalt eine weitere Ausdifferenzierung und Ausformulierung der gelebten Sittlichkeit vollziehen. Hegel verlegt das wesentliche Moment der gesetzgebenden Gewalt in das „ständische Element“ (§300), welches „das wirkliche Besondere an das Allgemeine“ anzuknüpfen hat (§303). Kam bereits in der bürgerlichen Gesellschaft den Ständen und vor allem der ständischen Korporation die Wiederherstellung des Sittlichen unter der Bedingung seines Verlustes zu, so vollzieht sich in der die gesetzgebende Gewalt mitkonstituierenden politischen Ständerepräsentation der Überstieg von der relativen zur absoluten Totalität des Staates. Nicht dem einzelnen Bürger als Privatperson, sondern dem Repräsentanten eines Standes wird die Mitwirkung am politischen Geschehen zuteil. Vor allem die dem staatlichen Allgemeinen fern stehenden Stände, der natürliche und der Handel treibende Stand, erhalten darin die Möglichkeit, ihre besonderen Interessen mit den allgemeinen zu vermitteln und somit ihre wahrhafte Freiheit zu verwirklichen. Die Bestimmung der allgemeinen Gesetzen entspringt so dem Einfluss und der Selbstgesetzgebung des in Stände strukturierten Volkes. Weitaus zentraler für unsere Untersuchung ist nun die Betrachtung der Bedeutung, welche das staatliche Leben im Hinblick auf die Freiheit des Subjektes einnimmt. Allein anhand der letzten Stufe der Entwicklung der objektiven Freiheit gewinnt man eine Ahnung, wie im Staatsorganismus das Subjekt von seinem familiären Selbstgefühl, der willkürlichen Verfügung über seine Triebe und der durch die Ständewahl beeinflussten Konzeption seines eigenen Wohls in der bürgerlichen Gesellschaft den Überstieg zur Einheit von besonderem und allgemeinem Willen bewältigt. Es muss sich nun konkret zeigen lassen, in welchem Sinne in einer derartigen objektiven Situation die Freiheit des Subjekts ihre volle Entfaltung und inhaltliche Erfüllung findet, d.h. wie die noch formalen Momente des freien und des moralischen Geistes ihre inhaltlich-konkrete Einlösung im Staat erfahren. Eine derartige Demonstration vervollständigte den auf der Stufe der Anerkennung erreichten Begriff einer Integration des Subjekts in eine transsubjektive Einheit durch die Darstellung ihrer Wirklichkeit. Die subjektive freie Selbstbestimmung soll darin in ihren notwendigen Grund und Träger zurückgeführt und dadurch erst zur wirklichen Selbstbestimmung werden. Angefangen wird mit der Überlegung, welcher Art die Zwecke subjektiven Handelns im sittlichen Staat sind. Setzt sich das Subjekt durch Teilnahme am politischen Geschehen das Erhalten und die Hervorbringung des Staates als Zweck um seiner selbst willen, dann ist darin zugleich der Erhalt der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft impliziert, auf subjektiver Seite somit das durch die familiäre Erziehung
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angeeignete Selbstgefühl sowie der Überstieg in die willkürliche Verfügung über die eigenen Bedürfnisse und die standesgemäße Glückseligkeitskonzeption. Dabei darf die Einhaltung der staatlichen Gesetze nicht nur als Mittel zum Zweck der besonderen Glückssuche aufgefasst werden, weil sonst – wie am Begriff der Glückseligkeit gezeigt – die subjektive Freiheit noch der bloßen Willkür unterliegt und somit nicht wahrhaft frei ist. Deutlicher wird dies anhand der Standeswahl: Die darin angebotenen Konzeptionen des Wohls sind nicht selbstgegeben, sondern im gesellschaftlichen Zusammenhang vorgegeben. Die vermeintliche Unbestimmtheit des Willens unterliegt der Festlegung auf eine heteronome Bestimmtheit. Ist indes die objektive Freiheit, d.h. die politische Verfassung, höchster Zweck subjektiver Selbstbestimmung, weil das Subjekt in den Gesetzen sein eigenes Wesen bzw. seine im gesellschaftlich-staatlichen Leben zur zweiten Natur gewordenen Sitten ausgedrückt sieht, dann bestimmt es sich mit diesem Zweck zur eigenen Selbstbestimmung: Die objektive Freiheit als Zweck impliziert die Einsicht in die Einheit von objektiver und subjektiver Freiheit und somit die freie Selbstbestimmung zur freien Selbstbestimmung. Der vernünftige Staat ist als das sich in Familie und bürgerlicher Gesellschaft besondernde Allgemeine die inhaltliche Erfüllung der sich formaliter in Gefühl, Willkür, Triebe und Glückseligkeit besondernden Allgemeinheit des Subjekts. Die existierende politische Verfassung wird in dieser Zwecksetzung zum hervorzubringenden Produkt subjektiver Freiheit; diese ist im Anderen, d.h. der objektiven Freiheit, bei sich. Wie steht es nun mit der Verwirklichung selbst gesetzter Zwecke durch die subjektiven Handlungen, also mit der moralischen Freiheit des Subjekts? Das Gewissen und die darin intendierte Einheit von allgemeinem und besonderem Willen, von Pflicht und Recht, finden an der Sittlichkeit die konkreten Inhalte des Handelns, das lebendige Gute, welches das Subjekt vor dem Rückzug in seine abstrakte Innerlichkeit bewahrt. Durch die gesellschaftlich-staatliche Erziehung des Subjekts zu politischer Gesinnung oder Patriotismus (VII, §268) erhält das Gewissen seine konkrete Gestalt und erkennt in der Befolgung der „gedachten, d.h. allgemeinen Gesetze und Grundsätze“ seine eigene wesentliche sittliche Verfasstheit. Nach diesen Pflichten absichtsvoll zu handeln bedeutet somit, für die Wirklichkeit des allgemeinen Guten tätig zu sein – eines Guten, das nicht nur sein soll, sondern immer zugleich ist. Was das wahrhafte Gewissen qua sittliche Gesinnung setzt, setzt es, weil es gut ist – und es ist gut, weil es als solches gesetzt, d.h. vernünftig ist (§137). An der Wirklichkeit des lebendigen Guten erhält das wahre Gewissen somit die gedachten Gründe seines Tuns und die allgemeinen Ab-
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sichten seiner Handlungen, worin zudem auf die allgemeinen Folgen Rücksicht genommen ist. Handlungen, welche gemäß guter, mithin sittlicher Absichten erfolgen, erfüllen ihre Intention, weil sie in einer Welt wirken, worin eben diese Sitten als solche und in Form von objektiven Gesetzen anerkannt und gültig sind. Sie gelingen dann und nur dann, wenn sowohl das Subjekt wirklich in sittlicher Absicht agiert als auch die Welt in eben dieser sittlichen Verfasstheit vorliegt. Die Differenz von Absicht und äußerlicher Tat, wie diejenige von Handlung und äußerer Welt verschwinden in der sittlichen Einheit staatlichen Lebens.166 Doch ebenso ist in diesem Handeln der Besonderheit des Subjekts Sorge getragen. Sein eigenes Wohl ist in der allgemeinen Absicht mitbedacht und wird durch die Handlung befördert. Das Individuum, nach seinen Pflichten Untertan, findet als Bürger in ihrer Erfüllung den Schutz seiner Person und Eigentums, die Berücksichtigung seines besonderen Wohls und die Befriedigung seines substantiellen Wesens, das Bewusstsein und Selbstgefühl, Mitglied des Ganzen zu sein, und in dieser Vollbringung der Pflichten als Leistungen und Geschäfte für den Staat hat dieser seine Erhaltung und sein Bestehen (§261).
Die Minimalisierung der äußeren Kontingenz und Optimierung der Freiheit im Hinblick auf die „Welt“, in welche das Subjekt hineinhandelt, ist für das Subjekt dann keine äußere Beschränkung seiner Freiheit, wenn es die Gesetze und Sitten zu seiner zweiten Natur gemacht hat und im Handeln bestätigt. Ist die politische Verfassung bloß eine äußerliche Ordnung, deren sich das Individuum zum Mittel seiner besonderen Zwecke bedient, dann würden seine Handlungen die Befolgung und Bestätigung einer Ordnung zum Ausdruck bringen, welche in der reinen Absicht nicht intendiert, mithin derselben äußerlich ist. Nur wenn es sich diese Ordnung zum eigenen Zweck erklärt, ist es in seinem sinnenweltlichen Handeln vollkommen bei sich und kann sich die absehbaren, weil in den Sitten und Gesetzen implizierten Folgen der Handlung bewusst zuschreiben. Indem es die Sitten und Gesetze in seinem Tun ausdrückt, befördert es im staatlichen Zusammenhang zugleich seine eigenen besonderen Interessen, weil die Einrichtung des Staates gerade so konzipiert ist, dass sittengemäße Handlungen das Wohl aller und damit auch die Absicht des handelnden Subjekts befördern. Die im Handeln als höchster Zweck bestätigte Ordnung der äußeren Welt ist keine äußerliche Beschränkung, sondern Ausdruck freien Handelns.167 Sie ist nur, weil die Subjekte sie als solche durch Handeln _____________ 166 „Erst in der Sphäre des Staates [...] stimmen die Handlungen des Menschen mit seinen Intentionen überein“ (Avineri 213). 167 So bringen sich die objektive Ordnung und das subjektive Ordnungsgefühl gegenseitig hervor und bewirken, dass die subjektiven Absichten in der Welt realisierbar sind –
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hervorbringen. Somit hängt das Reüssieren der Handlungen nicht bloß von einer äußeren staatlichen Ordnung ab, sondern ist die im Handeln des Subjekts intendierte und verwirklichte wesentliche Ordnung des subjektiven Handelns selbst, worin sich das Subjekt allein in seiner vernünftigen Wirklichkeit manifestiert und im Anderen bei sich, mithin frei ist. Als Gesamtüberblick über Hegels Konzeption praktischer Freiheit möge folgendes Schema dienen: 1) Phänomenologie Objektiver Geist Objektive Vernunfttotalität (Objektive Freiheit)
Anerkennung
Transsubjektive (objektive) Vernunft Unterordnung als Moment
Unterordnung als Moment
Subjekt A
Subjekt B
Subjektive Vernunfttotalität (Subjektive Freiheit)
Subjektiver Geist
_____________
Subjektiver Geist
obzwar sich das Subjekt dieses Zusammenhangs aus Gewohnheit nicht immer bewusst ist: „Das Zutrauen haben die Menschen, dass der Staat bestehen müsse und in ihm nur das besondere Interesse könne zustande kommen [...]. Geht jemand zur Nachtzeit sicher auf der Straße, so fällt es ihm nicht ein, dass dieses anders sein könne, denn diese Gewohnheit der Sicherheit ist zur andern Natur geworden, und man denkt nicht gerade nach, wie dies erst die Wirkung besonderer Institutionen sei. Durch Gewalt, meint die Vorstellung oft, hänge der Staat zusammen; aber das Haltende ist allein das Grundgefühl der Ordnung, das alle haben.“ (VII, §268 Z.)
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Die Grundlagen menschlicher Freiheit bei Hegel
2) Subjektiver Geist Subjektive Freiheit
Objektiver Geist wird realisiert/erhält Inhalte in
objektiver Freiheit
Praktischer Geist (Psychologie)
Sittlichkeit
Praktisches Gefühl
Familie
Selbstsüchtiges Wollen
Bürgerl. Gesellschaft
Triebe/Willkür Glückseligkeit (Wohl) Freier Geist
Arbeit, System der Bedürfnisse Vermögen, soziales Ständesystem Staat
Die sittliche Genese des moralischen Selbstbewusstseins Ein Vergleich der Rechtsphilosophien von Hegel und Fichte fällt insofern schwer, als es bei Fichte kein entsprechendes Theoriestück gibt, das allein für sich die gesamte Thematik abdeckte. Die Schwerpunkte des abstrakten Rechts korrelieren mit Abschnitten der Naturrechtsschrift Fichtes, die Moralität mit dessen Sittenlehre, während die Themen der Sittlichkeit sowohl in der Sittenlehre als auch in der Naturrechtslehre als Anwendungsgebiete von Recht und Moral abgehandelt werden. Der Unterschied besteht in der jeweiligen Perspektive, worunter das menschliche Zusammenleben betrachtet wird. Dabei wurde gezeigt, dass bei Fichte der moralische Standpunkt einen höheren Anspruch auf Universalität erhebt. Die Entgegensetzung von Moral und Recht, als den inneren und äußeren Bedingungen der Freiheit, soll mittels der moralischen Funktion von Staat und Gesellschaft zur Einheit gebracht werden. Indes verweist die Rede von einer Anwendung von Recht und Moral bereits auf den Stellenwert der Kollektive hinsichtlich des subjektiven Freiheits- und Selbstbewusstseinsvollzugs. Bürgerliche Gesellschaft und Staat erfüllen nach Fichte ihre Funktion ausschließlich im Hinblick auf die Kultur des Menschen, d.h. auf seinen Endzweck in der Sinnenwelt, nicht jedoch auf die höchsten Zwecke überhaupt, nämlich die moralische Selbsttätigkeit im strengen Wortsinn. Wirkliches Selbstbewusstsein bedarf deshalb allein in sekundärer, mithin pragmatischer Hinsicht der kollektiven Einbettung, um in seinem praktischen Streben
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effizienter voranzukommen, nicht hingegen um sich überhaupt zu konstituieren. Der Ursprung des moralischen Selbstbewusstseins bei Fichte unterbindet eine Zurückführung dieses Vollzugs auf objektivgenetische Strukturen: Staat und Gesellschaft sind eine bloße Folge, nicht das wahre Ziel freier Selbsttätigkeit. Dem gegenüber ist es ein Beweisziel der Rechtslehre Hegels, dass wirkliches Selbstbewusstsein, und somit subjektive Freiheit, überhaupt erst aus der Sittlichkeit hervorgeht, weil dasselbe im sittlich vernünftigen Staat, der objektiven Freiheit, seinen Zweck als sein eigenes Wesen einsieht und verwirklicht. Das Mittel für den Vollzug subjektiver Freiheit bei Fichte wird bei Hegel zum Zweck oder: die objektiven Rahmenbedingungen werden zum notwendigen Dasein der Freiheit. Die Rückführung des moralischen Selbstbewusstseins auf dessen soziale und staatliche Genese ist der notwendige Weg zur wahren Einsicht in die praktische Freiheit. Insofern die Rechtsphilosophie Hegels den Stellenwert von Recht und Moral in Bezug auf praktische Freiheit erörtert, lassen sich hier die wesentlichen Unterschiede zu Fichtes praktischer Philosophie auf den Punkt bringen. Die Ausführungen Hegels zum abstrakten Recht, zum rechtlichen Personen- und Eigentumsverhältnis, teilen mit Fichte zunächst die Überzeugung von der notwendigen Trennung des Rechts von der Moral. Beide verorten diese Auffassung im Selbstverständnis der Person.168 In den Grundlinien deutet Hegel die Person als „die formelle, die selbstbewusste, sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelheit“; ihre allgemeine Persönlichkeit begreift sie, indem sie sich in der Endlichkeit ihres Bestehens „als das Unendliche, Allgemeine und Freie weiß.“ (VII, §35) Die Abstraktion von sämtlichen äußeren Bestimmtheiten, welche die Person gedanklich zu vollziehen hat, um Person zu sein, verweist auf ihre Unbestimmtheit angesichts der Wirklichkeit. Nur dasjenige soll als Bestimmtheit gelten, was die Person selbst setzt. Die Freiheit der abstrakten Unbestimmtheit besteht für Hegel in der Willkür, welche auch Fichte als formale Freiheit zur Grundlage seiner Rechtsphilosophie ernennt.169 Die Person versteht sich als willkürliche Verfügung über die Wirklichkeit und erhebt dies zur Bedingung, auf _____________ 168 Dabei soll nicht geleugnet werden, dass Hegel in der Tradition des Personenbegriffs von Locke bis Kant steht. Vgl. dazu Siep: „Personbegriff und praktische Philosophie bei Locke, Kant und Hegel“. In: Siep 1992, 81-115. 169 Der Begriff der Willkür findet sich im rechtlichen Zusammenhang bekanntermaßen schon bei Kant: „Das Recht ist [...] der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (AA VI, 230).
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Grund derer ihr überhaupt Bestimmtheiten zugerechnet werden dürfen; dies begründet die rechtliche Zurechnungsfähigkeit der Person. Die mit dem Anspruch auf Allgemeinheit notwendig verbundene Einzelheit der Person zeigt sich für beide Philosophen in ihrer körperlichen Verfasstheit. Personen sind leiblich-individuelle Existenzen, die sich ihren Leib nur insofern zurechnen, als er ihrer Willkür unterworfen und deren Manifestation ist – dies gründet in der radikalen Abstraktion der Person von allen äußeren, mithin auch körperlichen Bestimmtheiten. Die Erwähnung der Leiblichkeit im Rechtsverhältnis entspringt ihrer Exponiertheit in Bezug auf Eigentum und andere Personen. Für Fichte und Hegel scheint der Leib das erste unmittelbare Dasein und Eigentum der persönlichen Freiheit zu sein. Unter der Kategorie der Urrechte entwickelt Fichte das Recht der Person, über ihren eigenen Leib wie auch über eine gewisse Sphäre von Dingen willkürlich zu verfügen, weil nur so für Vernunftwesen unter der Voraussetzung ihres Zusammenlebens möglich ist, ursächlich, mithin frei in die Sinnenwelt einzugreifen. Wie im Falle des Leibs definieren Fichte und Hegel denjenigen Akt, wodurch äußere Sachen qua Eigentum der Person zugerechnet werden können, als Willensakt, der die sinnliche Materie der Vorgabe einer ideellen Form unterwirft. Der nähere Zusammenhang von Wille und Leib/Eigentum gestaltet sich bei Fichte und Hegel jedoch unterschiedlich. Für Fichte sind Leib und Eigentum die notwendigen Mittel, deren das Subjekt zum Vollzug seiner Freiheit und zur Konstitution seines wirklichen Selbstbewusstseins bedarf. Einziger Selbstzweck bleibt indes das subjektive Tätigkeitsbewusstsein; im Leib oder Eigentum wird sich diese Freiheit als Zweck nicht bewusst. Hegel hingegen, für den die Freiheit wesentlich in ihrer Manifestation, ihrem Sein im Anderen, besteht, weist der willkürlichen Bestimmtheit von Leib und Eigentum die Position des Zwecks zu, insofern sich darin allein die Freiheit manifestiert und somit wirklich wird.170 Eng verbunden mit dieser Thematik ist für Fichte und Hegel die gegenseitige Anerkennung unter den Personen. Bereits in der enzyklopädischen „Phänomenologie“ hat Hegel die vernünftige Bestimmung des eigenen Leibes zur notwendigen Bedingung der Anerkennung und damit des Freiheitsbewusstseins erklärt. Die darin noch sehr abstrakt gehaltene Idealform der gegenseitigen Anerkennung wurde bereits _____________ 170 A. Patten kommt in seiner Analyse des Eigentumsbegriffs bei Fichte und Hegel zu dem Ergebnis, dass bereits in der Naturrechtsschrift Fichtes das Eigentum die Funktion übernimmt, die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit und somit Selbstbewusstsein zu ermöglichen. Damit nähert er Fichtes Ausführungen der Konzeption Hegels an und übergeht den wesentlichen Unterschied von Mittel und Zweck (Patten 139-162).
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durch die Untersuchung des praktischen Geistes hinsichtlich ihrer subjektiven Voraussetzungen erörtert. Die objektive Dimension hebt mit dem bestehenden Eigentumsverhältnis an. Nur als Eigentümer haben die Personen füreinander Dasein und können sich folglich als solche anerkennen (VII, §40). Dies ergibt sich für Hegel aus der Frage, ob die Willkürfreiheit im Eigentum ein angemessenes Dasein finde. Die Antwort lautet: Im eigenen Leib sowie im dinglichen Eigentum kann sich die Person nur dann wiederfinden, wenn in denselben zugleich die Anerkennung anderer Personen manifest wird. Die Einschätzung, dass ich – diese bestimmte Person – allein über gewisse Dinge willkürlich verfügen darf, impliziert das Wissen, dass andere Personen kein Recht darauf beanspruchen dürfen. Insofern aber auch die Anderen als Personen verstanden werden, heißt dies, dass sie sich von diesen Dingen deshalb fernhalten, weil sie mich als Person anerkennen. In jedem Eigentum, das die Person besitzt, schwingt diese Anerkennung mit und ermöglicht, dass die Person sich gemäß ihrer Natur, als Einzelheit und Allgemeinheit, wiederfindet. Für Fichte hingegen entspringt das Eingehen von Eigentumsverhältnissen der theoretischen Konsequenz, die sich aus der ursprünglichen Anerkennung ergibt. Dies ist im Rückblick auf seine Bestimmung der Anerkennung einleuchtend, weil es primär um den subjektiven Tätigkeitsvollzug der Anerkennung geht. Das Eigentumsverhältnis ist dann nur ein weiteres konsequentes Mittel, das zur Bewahrung der Freiheit in der zukünftigen Zeit verfolgt werden muss. Nach Hegel wird die Anerkennung explizit im Vertrag zweier Personen über ein bestimmtes Eigentum – nicht nur in dem Sinne, dass der Vertrag die sprachliche Verlautbarung der impliziten Anerkennung von Eigentum ist, sondern auch, dass allein im dadurch prinzipiell ermöglichten unendlichen Tausch von Eigentum die Willkürfreiheit ihr eigenes Wesen zu verwirklichen vermag. Der Vertrag gilt Hegel zufolge als das erste Dasein eines allgemeinen Willens auf der Stufe des Rechts. Auf der Grundlage bestehender Eigentumsverhältnisse können die Personen untereinander bestimmtes Eigentum entäußern oder erwerben. Insofern es sich weiterhin um Tätigkeiten von Personen handelt, bleibt auch hier die Willkür und somit nur ein gemeinsamer, nicht ein vernünftig-allgemeiner Wille das zu Grunde liegende Prinzip. Der Vertrag ist ein Verhältnis, aber nur ein gemeinsames, dessen Inhalt eine einzelne Sache ist, worüber ich einen Vertrag machen kann (PdR §75).
Hinter der Erörterung der Funktion des Vertrages verbirgt sich Hegels Kritik an der Auffassung des allgemeinen Willens als gemeinsamen Willens und am daran orientierten Vertragsdenken. Sowohl der Urvater des Gedankens vom allgemeinen Willen, Jean-Jacques Rousseau, als
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auch Fichte haben nach Hegel im Versuch, den allgemeinen Willen zum Prinzip menschlichen Zusammenlebens zu erheben, den Fehler begangen, die menschliche Freiheit zu sehr im Sinne der Willkürfreiheit zu denken (VII, §258).171 Wenn demnach die Gesellschaft und der Staat der Verwirklichung dieser Freiheit dienen sollen, dann hat sich der allgemeine Wille aus der willkürlichen Zustimmung aller Bürger zu ergeben. Fichte hat in der Tat die Notwendigkeit mehrerer Verträge, darunter Eigentums-, Schutz-, Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrag, deduziert und damit nach Hegel eine Kategorie des abstrakten Rechts, die allein in Bezug auf ein einzelnes, bestimmtes Eigentum sinnvoll ist, unsachgemäß auf höhere Ebenen, wie diejenige des Staats, übertragen.172 Die Mangelhaftigkeit eines bloß gemeinsamen Willens manifestiert sich nach Hegel im notwendigen Unrecht. Setzt bei Fichte anlässlich des Anerkennungsbruchs das große Misstrauen ein, weil dem unrechtmäßig behandelten Subjekt die Möglichkeit der Trennung von Sinnlichkeit und Vernunft im anderen Subjekt bewusst wird und es somit weiß, dass jedes andere Vernunftwesen ebenso jederzeit einen Missbrauch seiner Willkür verüben kann, so schließt er auf die Notwendigkeit einer neutralen richterlichen Instanz, die das Recht wiederherzustellen hat. Auch für Hegel beweist dies, dass nicht die Willkür der einzelnen Subjekte Grundlage menschlichen Zusammenlebens sein kann, weil willkürliche Anerkennung den allgemeinen Willen nur scheinbar annimmt, um ihn im nächsten Moment ebenso leicht wieder abzulegen. Die in der „Phänomenologie“ beschriebene ideale Anerkennung unter Subjekten erhält in der rechtlichen Anerkennung von Eigentum nur eine minderwertige Verwirklichung und bedarf noch weiterer inhaltlicher Konkretisierung und Sicherung. Man kann sogar sagen, dass die Willkür im Unrecht ihre vollkommene Verwirklichung erlangt, weil sich darin die Zufälligkeit der einzelnen Person angesichts des an sich seienden Rechts absolut setzt. Während Fichte daraus einerseits eine strenge staatliche Regulierung der formalen Freiheit unter den Bürgern fordert, die andererseits auf dem Wege einer Moralisierung abgemildert werden soll, geht Hegel zunächst den Weg ins Innere des Subjekts. Wird sich das Subjekt angesichts des Unrechts über die Zufälligkeit der Willkür und ihre Distanz zum allgemeinen Willen klar, dann nimmt es in diesem Gedanken ein Verhältnis zum allgemein_____________ 171 Zu Hegels Kritik am Vertragsdenken Rousseaus und Fichtes vgl. Patten 104-138. Eine interessante Annäherung von Rousseau und Hegel hinsichtlich ihrer Vorstellung des allgemeinen Willens liefert Neuhouser (Neuhouser 2000, 55-81). 172 So werden „die Bestimmungen des Privateigentums in eine Sphäre übertragen [...], die von ganz anderer und höherer Natur ist“ (VII, §75)
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substantiellen Willen ein. Soll derselbe als solcher sein, dann reicht nicht eine äußere Zwangsanstalt aus, vielmehr muss er in den Subjekten selbst verwirklicht werden. Diesen Vorgang stellt Hegels Kapitel zur Moralität dar. Mit der Moralität ist in der Rechtsphilosophie ein Standpunkt erreicht, den Hegel in phänomenologischen Kategorien umschreibt. Schon allein aus diesem Grund liegt es nahe, eine erneute Fichte-Kritik zu erwarten. Zentrales Thema dieses Lehrstücks ist die Pflicht oder das Sollen (VII, §108). Wie aus dem Übergang vom abstrakten Recht deutlich wird, kann der allgemeine Wille nicht schlechthin von außen – durch äußeren Zwang wie Rache oder Strafe – an die Willkür des Subjekts herangetragen werden, sondern muss sich im Willen des Subjekts selbst manifestieren. Dies geschieht in Gestalt der Pflicht, welche dem Subjekt vorschreibt, den allgemeinen Willen um seiner selbst willen zu wollen. Würden die Subjekte in bewusster Einheit mit dem allgemeinen Willen handeln, dann könnten sie auch in ihrem Rechtsverhältnis vor aktivem oder passivem Unrecht bewahrt werden. Falls sich der Anspruch der Moral auf Einheit von einzelnem und allgemeinem Willen erfüllt, könnte die Person auf dem moralischen Standpunkt erkennen, dass die Pflicht, das Eigentum anderer Personen zu respektieren, verbindlich im allgemeinen Willen begründet und so ihr eigener Wille, mithin ihr Recht ist. Angestrebtes Ziel der Moralität ist also die Einheit von Recht und Moral oder anders: von Recht und Pflicht in der Moral selbst bzw. dem moralischen Selbstbewusstsein. Die Erörterungen zur Moralität sind folglich für Hegel eine Überprüfung der Möglichkeit, ob – wie es Fichte intendiert – in ihrem Feld eine Begründung des abstrakten Rechts vorgenommen werden kann. Eine wenigstens implizite Auseinandersetzung mit der Philosophie Fichtes ist daher zu erwarten. Dennoch geht dieses Kapitel nicht vom expliziten Wissen des Subjekts von seiner Pflicht aus. Vorsatz, Absicht und Wohl erweisen sich vielmehr als diejenigen Kategorien, mittels derer das Subjekt das Recht darauf beansprucht, dass es in seinen äußerlichen Taten nur dasjenige zugeschrieben bekommt, was es selbst bewusst gewollt hat. Das Recht des subjektiven Willens, als das moralische Recht, bedeutet, dass dessen Dasein in der äußeren Wirklichkeit allein auf das Dasein seines Wissens und Wollens zurückzuführen ist. Die mit der Zunahme des Denkens einhergehende Annäherung des einzelnen Subjekts an den allgemeinen Willen gelangt erst auf der Stufe des Guten zum Bewusstsein des Subjekts. Das moralische Sollen erkannt das Subjekt als eigenen Willen; die moralische Pflicht ist zugleich moralisches Recht. Im Gedanken des Guten liegt die Einheit von Recht und Pflicht; das bestimmte Bewusst-
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sein des (abstrakten) Guten nennt Hegel Gewissen. Folglich liegen auf der höchsten Stufe des moralischen Geistes zwei Aspekte vor: das Gute und das Gewissen, der geforderte allgemeine Wille bzw. die Pflicht um ihrer selbst willen sowie das subjektive Wissen und Wollen desselben bzw. das Recht. Auf der Grundlage der Trennung beider Aspekte fordert der moralische Geist ihre Einheit. Mit diesem phänomenologischen Widerspruch spielt Hegel eindeutig auf Fichtes Trieblehre und des näheren auf die reflektierte Auffassung des sittlichen Triebs in Gestalt von Gewissen und kategorischem Imperativ an:173 Das Gewissen als Moment der subjektiven Reflexion und der Imperativ als objektive Ansicht der sittlichen Aufgabe. Freie, mithin vernünftige Handlungen in der Sinnenwelt setzen voraus, dass das Subjekt im Sinn des guten Gewissens, der Einheit beider Momente, agiert und sich demnach in seinen Handlungen vollständig objektiv wird. Moralisch gute Wirksamkeit der Subjekte in der Sinnenwelt bewahrt dieselben zugleich vor Unrecht. Von der Einlösung ihrer Einheit hängt Hegel zufolge ab, ob die Moralität wahrhaftig die Begründung des abstrakten Rechts dadurch leisten kann, dass das einzelne Subjekt den allgemeinen Willen um seiner selbst willen verfolgen und so die Vermeidung von Unrecht gewährleisten kann. Der Anspruch dieser Stufe ist klar. Das Gewissen will ein gutes Gewissen, also die Einheit von Recht und Pflicht, sein; es will das Gute als diese Einheit von Recht (Wohl) und Pflicht und kann deshalb im Wollen des Guten sich selbst als diese Einheit wollen. Doch die subjektive und die objektive Einheit sind Hegel zufolge gleichermaßen abstrakt. Man gelangt deshalb weder im Ausgang vom Guten bzw. vom kategorischen Imperativ – dies betrifft Hegels Kritik an Kants Moralphilosophie – noch durch das Gewissen zu bestimmten Pflichten – wie es Fichte vertritt. Der moralische Standpunkt zeichnet sich durch seinen Formalismus aus. Ebenso scheitert nach Hegel die Einheit von Gewissen und dem als objektiv gedachten Guten, weil sich die Bestimmungen des Gewissens nicht in ihrer Güte allgemein rechtfertigen lassen. Den Ausspruch Fichtes, dass sich das Gewissen nie irrt und jeder Versuch, an äußeren Instanzen die Gewissenssprüche zu überprüfen, notwendig in den Dogmatismus führt (SW IV, 175), kehrt Hegel diametral um. Weil es nicht möglich ist, durch das Gewissen allein zu entscheiden, ob es recht hat oder nicht, deshalb erfüllt es nicht seinen Anspruch, das Gute auszulegen; seine Bestimmungen sind dogmatisch, weil nicht weiter zu begründen. In letzter Konsequenz des Gewissens _____________ 173 Dass Hegel mit dem Begriff des Gewissens auf die Vollendungsgestalt der praktischen Philosophie Fichtes verweist, haben bereits mehrere Interpreten hervorgehoben (vgl. u.a. Siep 1992, 225f.).
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liegt vielmehr, dass es seine Trennung vom objektiven Guten bewusst vollzieht und böse wird, damit erreicht es die Spitze seiner Subjektivität und Willkür.174 Die Objektivität des Guten darf nicht nur als Objektivität im Subjekt, sondern muss als vernünftige Einrichtung der sittlichen Welt aufgewiesen werden. Erst anhand der Strukturen der Sittlichkeit und mit ihrer Rationalität lässt sich begründen, was gut und somit Pflicht für die Subjekte ist. Das wahrhafte Gewissen ist dann die sittliche Gesinnung, die im Befolgen ihrer Pflichten zugleich darum weiß, dass es ihr eigenes Gutes, mithin ihr Recht ist. Hegel verwirft Fichtes Theorie des Ursprungs moralischen Selbstbewusstseins, indem er die notwendige sittliche Genese des Selbstbewusstseins aufweist. Indem Fichte die Trennung von Gewissen und dem Guten bewusst aufrechterhält, gelangt er statt zur objektiven, zur ohnmächtig in sich verharrenden subjektiven Freiheit. Ebenso wenig vermag er infolgedessen, das abstrakte Recht in die Moralität aufzuheben. Wenn Moralität letztlich auf Grund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit nur im Inneren des Subjekts wirklich ist, dann wird sie nicht in der Lage sein, die äußeren rechtlichen Handlungen der Subjekte vor Unrecht zu bewahren. Die Trennung von abstraktem Recht und Moral kann Fichte den Ausführungen Hegels zufolge nicht innerhalb der Moral zur Einheit bringen. Dieses Scheitern scheint in Fichtes praktischer Philosophie nur durch die unendliche Annäherung an die Einheit aufgeschoben und verdeckt zu werden. Bekanntlich delegiert Fichte diese Aufgabe an die Kultur, welche als höchster Zweck in der Sinnenwelt zu einer Remoralisierung der abstrakten Rechtsverhältnisse führen soll. Insofern auch Hegel im Kapitel über die Sittlichkeit die Kultivierung des unmittelbar einzelnen zum allgemeinen Willen beschreibt, besitzt man für das Folgende einen Maßstab des Vergleichs. Weiterhin wird sich bewahrheiten, was bereits im abstrakten Recht herausgestellt wurde: Die Äußerlichkeit der Freiheit, welche bei Fichte zum Mittel ihres Selbstvollzugs ernannt wird, erhält bei Hegel die Funktion des Zwecks, nämlich als Manifestation dessen, was in seinem Wesen Manifestation ist: der Freiheit. Bei Fichte ist die sittliche Kultivierung des Individuums dessen moralischem Selbstvollzug untergeordnet, wohingegen die objektiven Einrichtungen von Staat und Gesellschaft ihren Sinn allein aus der Kultur beziehen. Es besteht folglich eine Zweckehierarchie angeführt von der Moral, gefolgt von der Kultur bis zu den gesellschaftlichen und politischen Institutionen. In Hegels Sittlichkeitslehre werden _____________ 174 In Fichtes Sittenlehre tritt die Behandlung des Bösen unmittelbar nach dem Gewissen auf. Hegels von Ironie gewiss nicht freie Umdeutung besteht darin, dass er das Böse als dialektische Konsequenz aus dem Gewissen folgen lässt. Siehe auch Gurwitsch 234: Darin wird das Gewissen bei Fichte in seiner Irrationalität ausgewiesen.
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hingegen die sittliche Kultivierung des Menschen und mehr noch die dazugehörenden Institutionen zum höchsten Zweck – begründen sie doch die Einheit von subjektiver und objektiver Freiheit sowie von Recht und Moral.175 Es wurde gezeigt, wie diese Einheit der Sittlichkeit bei Hegel zu verstehen ist, indem die im praktischen Geist aufgewiesenen Vollzugsmomente subjektiver Freiheit in ihrer notwendigen objektiven Einbettung und Konkretisierung, kurz: Genese dargestellt wurden. Die Einheit beider, die Sittlichkeit, ist „die realisierte Freiheit, der absolute Endzweck der Welt“ (VII, §129). In Gestalt der Familie liegt eine unmittelbare Einheit von Subjekt und transsubjektiver Allgemeinheit vor, darin erwirbt der Einzelne das noch unmittelbare sittliche Selbstgefühl, Grundlage jedes freien Handelns.176 Doch erst die bürgerliche Gesellschaft eröffnet die Sphäre subjektiven Handelns bestimmt durch die Triebe (Bedürfnisse), die Willkür und die Glückseligkeit (Wohl). Erneut stellt sich hier eine Stufe der Trennung ein, nämlich derjenigen von subjektiver Freiheit und den objektiven sittlichen Mächten, die noch nicht als Freiheit, vielmehr als äußere Notwendigkeit von den Subjekten aufgefasst werden. Da es den Subjekten um ihre eigene Freiheit, ihren subjektiven Genuss, zu tun ist, verstehen sie das objektive Allgemeine höchstens als Mittel zur Realisierung ihrer selbst gesetzten Zwecke. Dieses Verhältnis kennzeichnet nach Hegel den Notstaat, wie er ihn auch in der Philosophie Fichtes am Werke sieht (II, 84; 87f.). In der Tat trennt Fichte den stufenförmigen Vollzug moralischer Freiheit von den äußeren gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen, weil es letztlich Ziel ist, in der absoluten Selbsttätigkeit des Ich jeglichen Einfluss objektiver Faktoren zu eliminieren. Gesellschaft und Staat sind in letzter Konsequenz ihrer Überflüssigkeit zu überführen, was freilich in unendlicher Annäherung und niemals de facto eintreten wird. Die Trennung von subjektiver Freiheit und objektiver Notwendigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft bescheinigt Hegel also auch der praktischen Philosophie Fichtes. Ebenso wie Fichte schildert Hegel als ersten Schritt die durch gesellschaftliche Arbeit erworbene Befreiung des Menschen von seiner natürlichen Unmittelbarkeit. Fichte nennt zwei dazu notwendige Aspekte der Kultur: die Überwindung der Naturtriebe im moralischen Gewissen sowie die Erwerbung der Geschicklichkeit, die selbst gesetzten moralischen Zwecke in der Welt zur Aus_____________ 175 Zur Sittlichkeit als Einheit von Rechts- und Morallehre vgl. Peperzak 1992, 238f. 176 Fichtes Bestimmung der Familie nähert sich der Auffassung Platons an. Zur vollständigen Überwindung der Natur gehört auch die Auflösung der Familie. Die Erziehung des Kindes soll dem Staat anheim gegeben werden (Vgl. SW VII, 583f.). Zur Kritik Hegels an Platon vgl. VII, 342.
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führung zu bringen.177 Im Groben lässt sich dies den unterschiedlichen Bestimmungen des Sollens bei Hegel zuweisen. Im wirklichen Guten der Sittlichkeit soll die Einheit des bloß abstrakten moralischen Guten und der Glückseligkeit des Einzelnen verwirklicht sein. Die Differenz von moralischem und eudämonistischem Sollen ist ebenso wie die radikale Trennung von Sollen und Sein überwunden. Die Bildung durch Arbeit macht es notwendig, dass jedes Subjekt die bestimmte Sphäre seiner Tätigkeiten selbst wählt. Sowohl bei Fichte als auch bei Hegel ist die Standeswahl im Wesentlichen der Entscheidung des Einzelnen anheim gestellt, obzwar sich die Frage stellt, inwiefern es bei beiden in der Tat auf die Willkür ankommt. Sie verweisen ebenso auf die notwendige Verpflichtung des Einzelnen, die Entscheidung gemäß seiner Anlagen und Geschicklichkeiten, weniger jedoch gemäß seiner einzelnen Interessen und Neigungen zu treffen. Die Bestimmtheit, welche der Einzelne mit der Wahl eines Standes eingeht, widerspricht offensichtlich seiner allgemeinen Bestimmung. Während Fichte in der zunehmenden Moralisierung der Gesellschaft den Weg zur Universalität jedes Individuums ansetzt, versteht Hegel die Korporation und schließlich den Staat als wesentlich allgemeine Bestimmung des Menschen.178 Doch zunächst wendet sich Hegel der gesellschaftlichen Rechtspflege zu. Darin kritisiert er offensichtlich Fichtes „naive“ Auffassung, aus dem abstrakt-allgemeinen Rechtsgesetz die Bestimmung der positiven Gesetze „maschinenmäßig“ vorzunehmen. Der intendierte Mechanismus des Rechts bei Fichte, der letztlich glauben macht, allen möglichen Einzelfällen ihr Recht widerfahren zu lassen und durch mechanische Anwendung des Rechts auch den Richtern die Möglichkeit eines ungerechten Urteilsspruches zu nehmen, scheitert Hegel zufolge an der unendlichen Mannigfaltigkeit möglicher Rechtsbestimmungen. Da dies auch der Grund war, weswegen Fichte nicht die Notwendigkeit einer Trennung von judikativer und exekutiver Gewalt vornehmen zu müssen meint, stellt sich Hegel bewusst auf die andere Seite: „Polizei und Rechtspflege müssen voneinander getrennt sein“ (PdR §249).179 Nicht zuletzt ihre Einheit bei Fichte erweist dessen Staat nach Hegel als einen Polizeistaat (II, 85), der beflissentlich dafür sorgt, dass kein möglicher Rechtsfall der staatlichen Überwachung entgeht. _____________ 177 Vgl. oben S. 134f. 178 „[D]ie Bestimmung der Individuen ist, ein allgemeines Leben zu führen“, so ist es ihre „höchste Pflicht“, „Mitglieder des Staats zu sein“ (VII, §258). 179 Dies ist natürlich insofern zu relativieren, als letztlich der Regierungsgewalt wieder beide Institutionen unterstellt werden (s.o. S. 312).
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Es gibt aber noch einen weiteren Grund für diese Bezeichnung. Die Polizei übernimmt in der bürgerlichen Gesellschaft die Funktion einer äußeren Ordnungsinstanz, mit welcher sich die Bürger nicht identifizieren, sie höchstens als Mittel ihrer Zweckverwirklichung einsetzen. Diese Auffassung entspricht Hegel zufolge der gesamten Staatskonzeption Fichtes. Dem gegenüber bestimmt er den Staat als objektive Freiheit in Form der politischen Verfassung. Der Staat repräsentiert nicht nur auf vollkommene Weise die Einheit und den Grund von (abstraktem) Recht und Moral, sondern versöhnt das allgemeine Gute mit der Glückseligkeit der einzelnen Bürger. Die subjektive Freiheit derselben vollzieht erst auf der Ebene des Staats, genauer: in der Partizipation an den allgemeinen Staatsgeschäften,180 den Schritt vom durch das eigene Wohl bestimmten Willen zum allgemeinen Willen. So ist der Staat nicht lediglich ein Mittel zum subjektiven Freiheitsvollzug, sondern dessen Manifestation; darin erkennt der subjektive Wille sein eigenes zu Grunde liegendes Wesen, das ihm vorausgesetzt ist und er durch tätigen Vollzug zu erhalten und zu entfalten hat. Nur innerhalb eines vernünftig eingerichteten Staates kann sich ein allgemeines Selbstbewusstsein konstituieren. Darin findet sich das Individuum wieder und erfüllt somit die Bedingung seiner freien Selbstbestimmung. Fichtes Notstaat, dessen Verwirklichung zugleich seine Zerstörung sein soll, dokumentiert nach Hegel ein weiteres Mal die Vergeblichkeit des Versuchs, subjektive Freiheit in der Objektivität zu verwirklichen. Die Äußerlichkeit von Subjekt und Staat bleibt bestehen und wird erneut verdeckt durch das Projekt einer unendlichen Annäherung an die Auflösung des Staats im Subjekt über dessen sittliche Kultivierung. Doch ist in der Sittlichkeit bei Hegel die vollkommene Einheit von subjektiver und objektiver Freiheit erbracht? Zunächst fällt auf, dass sich die subjektive Freiheit nur in dem von Hegel beschriebenen, mithin vernünftigen Staat vollständig verwirklicht. Die Verantwortung, dass es zu diesem Staat kommen musste, lässt sich mithin nicht den Subjekten und ihrer Freiheit übertragen, sondern liegt vielmehr in der Logik der Sache. Am Ende der Sittlichkeit steht die Weltgeschichte, die richtend in ihrem Gang dafür sorgt, dass die einzelnen Volksgeister, d.h. die jeweils konkret existierenden Einheiten von subjektiver und objektiver Freiheit, in ihrer geschichtlichen Abfolge einen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit bilden.181 Der in der Weltgeschichte tätige Weltgeist sorgt nicht nur hinter dem Rücken der einzelnen Staaten für _____________ 180 Mögliche Partizipationen sind u.a. die Ständeversammlung für den gewerbetreibenden und den natürlichen Stand sowie die Tätigkeit des allgemeinen Standes. 181 Zur Weltgeschichte bei Hegel vgl. den von R. Bubner herausgegebenen Sammelband (Bubner 2001).
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deren notwendigen Fortschritt zur allgemeinen Freiheit, sondern er ermöglicht zudem, dass sich die Subjekte von der Perspektive ihrer jeweils partikularen Volkssittlichkeit zu einer absoluten, gleichsam „völkertranszendenten“ Perspektive erheben. Dieser Schritt betrifft nicht mehr die Sphäre der praktischen Tätigkeiten, er ist theoretischer Natur: Der denkende Geist der Weltgeschichte aber, indem er zugleich jene Beschränktheiten der besonderen Volksgeister und seine eigene Weltlichkeit abstreift, erfasst seine konkrete Allgemeinheit und erhebt sich zum Wissen des absoluten Geistes, als der ewig wirklichen Wahrheit, in welcher die wissende Vernunft frei für sich ist und die Notwendigkeit, Natur und Geschichte nur seiner Offenbarung dienend und Gefäße seiner Ehre sind (X, §552).
Erst im Bewusstsein des Weltgeistes erhält die Sittlichkeit die vollkommene Einheit von subjektiver und objektiver Freiheit; die teleologisch verfasste Weltgeschichte ist der „absolute Endzweck der Welt“ (ebd. §548). Diese Aussage impliziert ein Zweifaches: Zum einen ermöglicht die vernünftige Geschichtsbetrachtung dem Subjekt, in der zunehmenden Vernünftigkeit der staatlichen Verfassungen die Fortentwicklung zu einer vollkommeneren Einheit von subjektiver und objektiver Freiheit zu entdecken. Denn der Zuwachs an staatlicher Rationalität bedeutet einen Zuwachs an möglicher vernünftiger Identifikation des Subjekts mit dem Staat. Zum anderen erkennt das menschliche Subjekt in der vernünftigen Auseinandersetzung mit der Geschichte den Gang des absoluten Geistes, angesichts dessen die gesamten Stufen von der Natur bis zur Geschichte der einzelnen Völker nunmehr dem absoluten Endzweck als Mittel untergeordnet werden. Das Wissen des absoluten Geistes soll im Zuge der Geschichte möglich werden. An dieser Stelle ist der genuin praktische Standpunkt verlassen. Dieser Aspekt veranschaulicht das Scheitern des Praktischen hinsichtlich der Verwirklichung der absoluten Freiheit. Die wahre Manifestation seiner selbst findet das Subjekt nicht in den sittlichen Strukturen seines Staats oder den Zielen seiner Praxis, sondern im theoretischen Gefilde von Kunst, Religion und letztlich Philosophie. Die Praxis ist stets von einem Übermaß äußerlicher Objektivität gekennzeichnet, dies macht gerade ihre Endlichkeit in Bezug auf den absoluten Geist aus (ebd. §483). Das handelnde Subjekt ist auf die in seinem Staat realisierte objektive Freiheit angewiesen, die aber immer nur als eine bestimmte neben anderen besteht, mithin nicht in der Lage ist, die Vernunfttotalität zum Ausdruck zu bringen. Da die subjektive Freiheit im Praktischen stets von der objektiven Freiheit bestimmt ist, gibt es keine Möglichkeit für das Subjekt, aus den Beschränktheiten seines Handelns handelnd herauszufinden. Die Schieflage im Verhältnis von subjektiver und ob-
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jektiver Freiheit überwindet erst die absolute Freiheit, worin die gesamte Wirklichkeit als Manifestation des absoluten Geistes ausgewiesen ist und dem denkenden Subjekt gewährt, darin bei sich zu sein. Dies setzt voraus, dass sich das Subjekt bis zur Höhe des absoluten Geistes entwickelt und in dessen Wesen sein eigenes Wesen wiedererkennt. Weil der objektive Geist die nächstfolgende Stufe des subjektiven Geistes und damit dessen erste Negation darstellt, lässt sich am objektiven Geist bei Hegel von Beginn an ein Übermaß an objektiver Freiheit konstatieren. Die objektive Genese subjektiver Freiheit bei Hegel bleibt für das Subjekt und dessen Freiheit im Praktischen eine stete Beschränkung, die es erst in den theoretischen Dimensionen des absoluten Geistes überwindet. Die versöhnende Einheit von subjektivem und objektivem Geist, mithin die Negation der Negation, zeichnet sich erst am Ende des objektiven Geistes in der Weltgeschichte und damit nicht mehr im Rahmen praktischer Tätigkeit ab. Für die Konzeptionen praktischer Freiheit bedeutet dies, dass Fichtes Philosophie eine Überbewertung subjektiver Freiheit wegen ihres Ursprungscharakters vornimmt, während Hegel durch Herausstellung der objektiven Genese die objektive Seite zu stark macht. Beide gelangen daher nur zu einer einseitigen Bestimmung der praktischen Freiheit. Dieser Unterschied soll durch Gegenüberstellung beider Konzeptionen im abschließenden Vergleich weiter präzisiert werden.
Dritter Teil: Schlussbetrachtung In diesem letzten Teil der Arbeit sollen noch einmal die Ergebnisse der systematischen Untersuchung der praktischen Freiheit bei Fichte und Hegel in den wesentlichen Aspekten beleuchtet werden. Ziel wird sein, einen neutralen Standpunkt zu sichern, von dem aus eine kritische Würdigung beider Konzeptionen sowie eine Beantwortung der Frage gelingen mag, welche Konsequenzen daraus für eine gegenwärtige Theorie der praktischen Freiheit zu ziehen sind. Doch wodurch soll die Neutralität der Perspektive garantiert sein? Schon die Darstellung der praktischen Freiheit bei Fichte und Hegel verschrieb sich einer gewissen Neutralität. Diese Auseinandersetzung war geprägt durch ein SichEinlassen auf die Eigenart der jeweiligen Argumentationen, gelegentlich gespickt mit Ansätzen einer noch unverorteten Kritik, doch weitestgehend im Fahrwasser der spezifischen philosophischen Dynamik. Diese Haltung wurde in der Überzeugung gewählt, dass ein umfassendes Verständnis der praktischen Freiheit bei Fichte und Hegel allein über den Weg einer detaillierten Analyse ihres Ortes im Gesamtsystem zu erreichen ist. Zu diesem Zweck wurden sowohl das System beider Philosophen als auch die auf seinem eigenen System gründenden Einwände Hegels gegen Fichte vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen argumentativen Dynamik und unter Verzicht auf einen äußeren Standpunkt dargestellt. Ein kritischer Ausbruch aus dieser Dynamik kann augenscheinlich nicht durch eine einseitige Berufung auf eine dieser Positionen geschehen. Dies mag ein kurzer Blick auf die Natur der Kritik bei Fichte und Hegel veranschaulichen. In beiden Philosophien scheinen sich zwei wesentliche Spielarten von Kritik abzuzeichnen.1 Nach Hegel ist wissenschaftliche Kritik im Allgemeinen integrativ, sie besteht in der systematischen Darstellung des eigenen Gedankens und der Einbeziehung der kritisierten Position als einer für sich gesehen einseitigen und mangelhaften Vorstufe in der zum Abschluss gebrachten eigenen Systementfaltung. Die Möglichkeit _____________ 1
Eine andere denkbare Gestalt ist die immanente Kritik, die mit ihrem Gegenstand die Prämissen teilt, um im Anschluss daran innere Widersprüchlichkeiten aufzuweisen. Es wurde sowohl für Fichte als auch für Hegel gezeigt, dass ihre Kritik an gegnerischen Positionen niemals immanenter Natur sein kann, sondern sich stets auf der Grundlage ihres eigenen Systemgedankens vollzieht (s.o. S. 17; S. 180).
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Schlussbetrachtung
einer externen Kritik wird der Unhaltbarkeit überführt, insofern sie auf Grund der äußeren Opposition zur kritisierten Einseitigkeit ihrerseits einseitig ausfallen muss und auf bloßem Versichern der Überlegenheit des eigenen Systems beruht. Äußere Standorte der Kritik werden daher als unwissenschaftlich verworfen. Fichtes Kritik am Dogmatismus sowie der damit verbundenen Existenzweise des Menschen hingegen gedeiht auf dem Nährboden faktischer Entscheidung für die praktische Freiheit des Menschen und für deren theoretischer Darstellung im transzendentalen Idealismus. Die gegnerische Position erscheint in diesem Licht als untragbar für einen Menschen, der die Aufgabe seines Lebens in der Verwirklichung seiner Freiheit ergreift. Das Wesen der Kritik gründet bei Fichte wie bei Hegel auf einer konkreten Voraussetzung: Ist es bei Hegel der eigene Systemgedanke, so übernimmt bei Fichte die bestimmte Vorstellung der praktischen Freiheit diese Funktion. Hegel verurteilt die Philosophie Fichtes als Dogmatismus, weil sie auf faktischen Voraussetzungen (die Faktizität der Reflexion) beruht, die innerhalb des Systems nicht begründet werden können; das System besitzt keine logische Geschlossenheit. Fichtes Kritik am Dogmatismus ist daher ebenso unwissenschaftlich und unhaltbar wie dieser. Für Fichte hingegen müsste die Philosophie Hegels als dogmatisch erscheinen, weil sie die praktische Freiheit durch absolute Begründung im System relativiert – in diesem Sinne gleicht das Vorgehen Hegels demjenigen des von Fichte kritisierten Dogmatismus. Fichte hätte auf die unterschiedliche Interessenlage aufmerksam machen und im Aufruf zur Freiheit die praktische Widerlegung von Hegels Philosophie erzwingen müssen.2 Beiden Kritiken eignet daher die Einseitigkeit, dass allein im Einlassen auf ihre Grundüberzeugungen die jeweils gegnerische Position entwertet werden kann, ohne dass dadurch der Gegner selbst überzeugt würde, da er nicht die Argumentationsgrundlage der Kritik teilt. Wir werden im Folgenden diesen Zusammenhang in Gestalt einer Verhältnisklärung von philosophischer Theorie und praktischer Freiheit bei Fichte und Hegel weiter verdeutlichen, um gleichsam die Quellen zu ermitteln, aus denen sich die Kritik bei beiden speist. Daraufhin sollen ihre Konzeptionen der praktischen Freiheit auf den Punkt gebracht werden. Dies alles dient der Standortbestimmung einer mögli_____________ 2
Warum Fichte Hegel einen Dogmatiker nennen muss, wird im Verlauf dieses Teils expliziert. Eine derartige Kritik ist in ihrem Bezug auf Hegel nur konstruiert, weil sich Fichte niemals explizit zu dessen Philosophie geäußert hat. Gleichwohl gibt es Versuche, an bestimmten Stellen in Fichtes Werk einen derartigen Bezug plausibel zu machen, so z.B. in seiner Transzendentalen Logik von 1812. Vgl. Lauth 1998.
Schlussbetrachtung
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chen Kritik an beiden Denkern, welche abschließend im letzten Schritt unternommen werden soll. 1. Theorie der praktischen Freiheit: Die Frage nach dem Grund Das Charakteristikum einer Theorie der praktischen Freiheit, wie sie in der Einleitung dieser Arbeit skizziert und im Anschluss anhand von Fichte und Hegel exemplifiziert wurde, besteht in der Überzeugung, dass ein ursprüngliches und grundlegendes Wirklichkeitsverständnis nicht auf kausalem, sondern auf rationalem, d.h. begründendem Weg erzielt werden kann. Nicht ist der Raum der Gründe – auf welche Weise auch immer – letztlich abhängig von der Kausalität, die Freiheit mithin ein relativer Bereich innerhalb der naturalistisch zu deutenden Wirklichkeit. Vielmehr muss umgekehrt die kausale Welt als integrativer, durch Freiheit konstituierter Teilbereich der freien Rationalität erwiesen werden. Ohne Freiheit gäbe es gar keine kausal determinierte Welt. Die Einheit der Vernunft, die auch noch die kausale Wirklichkeit in sich begreift, ermöglicht ihre Darstellung in einem System. Gegner einer derartigen Theorie der Freiheit müssen konsequenterweise auf das System als in sich geschlossene, umfassende Darstellungsweise der Wirklichkeit verzichten, weil sie für die Erkenntnis primär auf den vernunftexternen Bereich der kausalen Naturverhältnisse angewiesen sind. Wenn dagegen das (idealistische) System die methodisch geleitete Ausmessung der Rationalität, mithin der Freiheit, ist, innerhalb dessen auch die kausale Welt als Teilbereich erklärt wird, dann bieten sich zwei Alternativen an: Entweder vermag die rationale Freiheit, auch noch sich selbst im System zu begründen, dann liefert die systematische Rationalität eine in sich abgeschlossene und sich selbst tragende, mithin absolute Begründung der Freiheit. Oder die Freiheit sperrt sich grundsätzlich einer vollständigen Selbstbegründung, weil ihr Wesen im letztlich grundlosen Vollzug besteht. Dann kann eine derartige Position auf kein abgeschlossenes System hinauslaufen. Der jeweils erste Abschnitt unserer Abhandlung über die Philosophien Fichtes und Hegels (I.), der einen Weg zu ihren Konzeptionen praktischer Freiheit bahnen sollte, wurde eingeschlagen, weil darin bereits die zentrale Weichenstellung zur Einnahme einer bestimmten Perspektive zutage tritt. Im Fokus beider steht die Behandlung von Idealismus und Realismus bzw. Dogmatismus als mögliche Darstellungsweisen der Wirklichkeit, welche je für sich einen Aspekt menschlichen Lebens zum Grund philosophischer Beweisführung erklären. So sieht Fichte das philosophierende Subjekt zu Beginn seines Unterneh-
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Schlussbetrachtung
mens vor die Alternative gestellt, die Wirklichkeit ausschließlich aus der Freiheit des Ich oder aus dem (kausalen) Walten des Nicht-Ich zu verstehen.3 In der Wahl für eine dieser Richtungen dokumentiert der Philosoph seine lebensweltliche Grundüberzeugung fundiert in einem charakterlich bestimmten Interesse. Infolgedessen vollzieht sich die gesamte Philosophie Fichtes auf dem selbst geschaffenen Fundament einer freien Entscheidung für die (moralische) Freiheit. Wie sich im Fortgang des philosophischen Beweises erwiesen hat, handelt es sich dabei um die Freiheit im zweifachen Sinne als formale und materiale (negative und positive) Freiheit: Die formale Wahlfreiheit als Funktion der Reflexion ergreift ihre materiale Fundierung im Sittengesetz. So gelangt die philosophische Abstraktion als die radikalste Durchführung der Reflexionsfreiheit zum obersten Abstraktum menschlicher Freiheit, dem absoluten Ich, das erst in der Ethik mit vollkommen konkreter, mithin materialer Bedeutung in Gestalt einer Idee erfüllt sein wird. Die praktische Grundlegung der Philosophie Fichtes besteht darin, dass das Subjekt seine moralische Überzeugung mitzubringen hat, um die Wahrheit des Systems zu verbürgen. Sowohl die Grundsätze als auch die gesamten Ausführungen, welche die rationalen, apriorischen Strukturen des Raumes der Gründe durchmessen, können sich niemals von diesem faktischen Boden, der lebensweltlichen oder phänomenalen Freiheitsgewissheit, lösen. Deshalb muss auch eine Beurteilung von einem anderen Standpunkt aus notwendigerweise ihren Sinngehalt verfehlen. Die Bezeichnung des Standpunktes von Fichtes Philosophie als praktischer Phänomenologie rechtfertigt sich aus Andeutungen im System der Sittenlehre. Darin betont Fichte, dass der Glaube an die erscheinende Absolutheit der Willensfreiheit den nicht weiter zu erklärenden Boden seines Denkens darstellt.4 Denn angenommen, man unternähme es, die Freiheit im Menschen in der Philosophie durch ihre Fundierung im Absoluten zu erklären, dann verwandelte sich die Absolutheit dieser Erscheinung in Schein. Die notwendige Grundlosigkeit als Absolutheit der menschlichen Freiheit verbietet auch dem philosophischen System den Versuch, die Freiheit weiter zu begründen; denn dies käme der Vernichtung der Freiheit und damit dem Dogmatismus gleich. So wendet sich Fichte gegen den Dogmatiker: _____________ 3 4
Viele Aspekte der Ausführungen zu Fichtes Philosophiekonzeption und ihrem Verhältnis zur praktischen Freiheit im Hinblick auf Hegels Kritik verdanken sich der verdienstvollen Studie von Peter Baumanns (Baumanns 1972, v.a. 25-37). SW IV, 25. Der Begriff der Phänomenologie findet sich bei Fichte explizit erst im zweiten Vortrag seiner Wissenschaftslehre von 1804, die indes bereits eine Ablösung vom rein praktischen Standpunkt seines Denkens beinhaltet. Ein Indiz dafür ist die Voranstellung einer Seins- bzw. Wahrheitslehre (SW X, 195).
Schlussbetrachtung
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wenn er aber behauptet, dasselbe [das Wollen] könne dennoch einen uns freilich unbegreiflichen Grund außer uns haben, so hat eine solche Behauptung freilich nicht den geringsten Grund für sich, es ist aber auch kein theoretischer Vernunftgrund dagegen. Wenn man sich nun doch entschließt, diese Erscheinung [freien Wollens] nicht weiter zu erklären, und sie für absolut unerklärbar, d.i. für Wahrheit, und für unsere einige Wahrheit zu halten, nach der alle andere Wahrheit beurteilt und gerichtet werden müsse, – wie denn eben auf diese Entschließung unsere ganze Philosophie aufgebaut ist – so geschieht dies nicht zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge eines praktischen Interesse: ich will selbstständig sein, darum halte ich mich dafür. Ein solches Fürwahrhalten aber ist ein Glaube. Sonach geht unsere Philosophie aus von einem Glauben, und weiß es. Auch der Dogmatismus, der, wenn er konsequent ist, die angeführte Behauptung macht, geht gleichfalls von einem Glauben (an das Ding an sich) aus; nur weiß er es gewöhnlich nicht. Man macht in unserem Systeme sich selbst zum Boden seiner Philosophie, daher kommt sie demjenigen als bodenlos vor, der dies nicht vermag; aber man kann ihn im Voraus versichern, dass er auch anderwärts keinen Boden finden werde, wenn er sich diesen nicht verschaffe, oder mit ihm sich nicht begnügen wolle. Es ist notwendig, dass unsere Philosophie dieses recht laut bekenne, damit sie doch endlich mit der Zumutung verschont werde, den Menschen von außen anzudemonstrieren, was sie selbst in sich erschaffen müssen. (SW IV, 26)
Fichtes Kritik kann man auch gegen aktuelle naturalistische Positionen wenden. Danach lässt sich deren Überzeugung, dass einzig die kausale Welt die substantielle Wirklichkeit repräsentiert, nicht mehr theoretisch rechtfertigen. Das einzige Versprechen besteht in der vollständigen kausalen Transparenz der Wirklichkeit.5 Verlangt man vom Naturalismus eine Begründung, warum die Welt kausal verläuft bzw. warum der Mensch davon ausgehen darf, dass seine kausale Beschreibung der Wirklichkeit wahr ist, dann lässt sich diese Frage innerhalb des kausalen Modells nicht beantworten. Die einzige Möglichkeit einer Rechtfertigung dieses Modells ist pragmatischer, mithin praktischer Natur, nämlich, dass die bisherigen Fortschritte in den Wissenschaften von der Effektivität dieses Zugangs zeugen. Von rein theoretischer Perspektive aus ist die Kausalität eine – zugegebenermaßen sehr erfolgreiche – Hypothese; sie besteht in einem Glauben an die kausale Beschaffenheit des Dinges bzw. der Welt an sich. Diese praktische Grundlage der Wahrheit wird jedoch in den wenigsten Fällen reflektiert. Vielmehr wird betont, dass der Glaube an die kausale Welt deshalb wahr ist, weil die Wirklichkeit so eingerichtet ist: _____________ 5
Dieses Ziel wird häufig in die Zukunft verlegt: Auf Grund der noch fehlenden technischen und wissenschaftlichen Instrumente kann man den Menschen und sein Freiheitsbewusstsein im Augenblick nicht vollständig kausal erklären; dennoch bleibt die Hoffnung (!), dass dies in Zukunft möglich sein wird.
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Schlussbetrachtung
Auch der Dogmatismus [...] geht gleichfalls von einem Glauben (an das Ding an sich) aus; nur weiß er es gewöhnlich nicht. (ebd.)
Die Einführung der Wahrheit und ihre Rechtfertigung sind bei Fichte für Idealismus wie Realismus im Wesentlichen praktisch, also nicht primär im philosophischen System, sondern im praktischen Interesse zu erbringen. Während der Realismus diese Einsicht abstreiten muss, gründet sich Fichtes Idealismus bewusst darauf. Das Selbstverhältnis des Subjekts findet nur innerhalb des praktischen Handelns bzw. Wollens seine konkrete Erfüllung und gilt von Anfang an auch für die Philosophie als Maßstab ihrer Wahrheit. Doch welche Funktion erfüllt dann die Philosophie im Hinblick auf das Leben bzw. die darin tätige praktische Freiheit? Ohne zu lange bei der Beantwortung dieser Frage verweilen zu wollen, ist dazu Folgendes zu bemerken: Im strengen Sinne kann es im philosophischen System nicht um einen Beweis der praktischen Freiheit gehen. Denn dies setzte voraus, dass sich die Philosophie einen Einblick in Gründe verschafft, die außerhalb des Freiheitsglaubens liegen und daher diesen begründen können. Soll indes die Philosophie ausschließlich auf dem Boden dieses Glaubens gründen, dann kann es sich nur um dessen reflexive Selbstvergewisserung handeln.6 Die Dringlichkeit der Philosophie erwächst insofern aus der noch fehlenden Selbsttransparenz der menschlichen Freiheit, wie es Fichte für seine eigene Zeit diagnostiziert. Hätten alle Menschen ein deutliches Bewusstsein dieser Freiheit, dann wäre die Philosophie als künstliches Bewusstsein überflüssig oder vielmehr ins Leben aller zurückgeführt. Die Entgegensetzung von Leben und Philosophie wäre im Leben zur Einheit des sich vollkommen transparent gewordenen Freiheitsglaubens gebracht.7 Die Annäherung an diesen Zustand ist freilich eine unendliche. _____________ 6
7
Insofern ist Baumanns’ Rede vom Beweis des Freiheitsglaubens in der Philosophie Fichtes zumindest missverständlich (Baumanns 1972, 30). Fichte selbst redet in der Begriffsschrift von der Wahrscheinlichkeit der Philosophie (SW I, 74). Dies scheint mir die Funktion der Philosophie bei Fichte besser zu treffen. An anderer Stelle vergleicht Fichte seine Philosophie mit der künstlichen Zusammensetzung eines menschlichen Körpers, den man als Metapher für den eigentlichen Gegenstand, die menschliche Freiheit, zu verstehen hat. Die Teile der Philosophie entsprechen den Teilen des Körpers, weshalb erst die Philosophie in toto die wahre Darstellung ergibt. Doch auch hierfür gilt, dass allein der Vergleich mit dem eigenen Körper die Wahrheit der Philosophie zu bescheinigen vermag: „Wenn wir irgendeinen Teil anders bilden, als er in der wirklichen Natur ist, irgendeinen hinzutun, irgendeinen mangeln lassen, dann haben wir unrecht; und darauf müsst ihr sehen, wenn ihr uns einen verständigen Tadel oder Lob erteilen wollt“ (Briefe II, 85ff.). Fichtes ständiges Bemühen, seine Gedanken in den so genannten populären Schriften allgemeinverständlich darzustellen, zeugt von dieser Zielsetzung. Zu Fichtes populären Schriften vgl. H. Traub; Asmuth 25-65.
Schlussbetrachtung
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Auch Hegel beginnt sein philosophisches Geschäft mit einer Schilderung des menschlichen Lebens zu seiner Zeit. Dabei skizziert er eine Grundkonstellation, angesichts derer Idealismus und Realismus zwei philosophische Positionen repräsentieren, welche sich zwar in der Prinzipienwahl unterscheiden, aber dennoch ein Grundbestreben teilen. Beide nämlich zielen auf ein Wirklichkeitsverständnis ab, mittels dessen man die gesamte Wirklichkeit in ihrer Einheit und Totalität zu umfassen vermag. Schon Hegels Kategorien der historischen Situationsbeschreibung lassen die Betonung der Einheitsperspektive deutlich werden. Die Menschen seiner Zeit leiden am Zustand der Entzweiung und empfinden dem gemäß ein Bedürfnis nach Einheit, das hinreichend allein im reinen Denken der Philosophie befriedigt werden kann. Die im Leben gründende Differenz, welche sich auch noch im idealistischen Verständnis praktischer Freiheit ausdrückt, wird als Motor einer Erhebung zur Philosophie angesehen. In dieser soll nicht nur das Einheitsstreben befriedigt, sondern zugleich erkannt werden, dass das Streben selbst allein auf der Grundlage einer ursprünglichen, sich differenzierenden absoluten Einheit hat zustande kommen können. Nur wenn das Streben in seinem ihm unbekannten absoluten Grund erfasst wird, kann es befriedigt und damit zugleich überwunden werden. Geht man – wie Hegel – von der Prämisse aus, dass die absolute Begründung der Wirklichkeit das eigentliche Ziel beider Positionen ist, dann sind die Ausgänge vom Ich bzw. der Natur (Materie) je für sich einseitig und zum Scheitern verurteilt. In der Philosophie gelangt die Selbstmanifestation des Absoluten zur Vollendung. Das Leben seiner Zeit versteht Hegel als notwendige Erscheinung des Absoluten, welche Idealismus wie Realismus fixieren. Beide Positionen kommen daher nicht aus der Erscheinung zur wahrhaften Wirklichkeit. Die Wahrheit des Strebens auf dem Lebensstandpunkt kann erst in der spekulativen Philosophie bewiesen und eingesehen werden. Wie bereits Fichtes Kritik am Realismus gezeigt hat, ermangelt diese Position notwendigerweise der Einsicht in das eigene Denken als Grundlage der Wirklichkeitserfassung. Deshalb verfehlt sie das wahre Absolute, egal ob dies – wie in der traditionellen Metaphysik – als Gott oder – wie heutzutage – als kausale Verhältnisse gedeutet wird. Doch auch für den kritisierten Idealismus folgt daraus, dass die vom ihm behauptete erscheinende Absolutheit praktischer Freiheit auf ihren absoluten Grund, ihre absolute Wahrheit, zurückgeführt werden muss. Trennt sich die menschliche Freiheit bewusst von ihrem substantiellen Grund und glaubt in der Grundlosigkeit ihren Segen zu finden, wird sie zur Willkür und verliert eben dadurch ihre Absolutheit. Denn gegenüber dieser reinen Subjektivität stellen die objektiven Faktoren –
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Schlussbetrachtung
wie Natur, Gesellschaft oder Geschichte, aber auch der Gott der Religionen – uneinholbare Beschränkungen dar. Auch diese Wirklichkeitsbereiche müssen je für sich als Manifestationsstätten des absoluten Grundes eingesehen werden. Der Raum der Gründe, die Freiheit, entspringt nicht ausschließlich dem subjektiven Tätigkeitsvollzug, vielmehr ist er ebenso die in Natur, Gesellschaft und Geschichte waltende Rationalität. Die Integration der praktischen Freiheit in die spekulative Weltsicht bei Hegel macht sich in seiner Behandlung der Philosophie Fichtes bemerkbar. Er unterstellt ihr das spekulative Bemühen um die Selbstdarstellung des Absoluten und sieht ihr Scheitern darin dokumentiert, dass sie auf dem Standpunkt einer reinen Phänomenologie verharrt, die gemäß dem praktischen Standpunkt das Absolute einseitig ins Subjekt verlegt und es daher nicht in seiner vollen Dimension zu erfassen vermag. Ist der praktische Standpunkt wesentlich durch das Festhalten der Differenz (von Ich und Welt) gekennzeichnet und besteht der höchste Zweck des Lebens in der gänzlich selbsttransparenten Manifestation der Identität, dann darf das dazu notwendige Medium der Philosophie nicht in der konsistenten Durchführung des praktischen Standpunktes und des darin implizierten praktischen Selbstverhältnisses kulminieren, sonst würde die Differenz lediglich perpetuiert. In diesem Sinne meint Hegel die Philosophie Fichtes nur dann wirklich ernst zu nehmen und auf ihre Wahrheit zu hinterfragen, wenn er sie als Versuch einer Darstellung des letztlich spekulativen absoluten Selbstverhältnisses versteht. Es ist augenscheinlich, dass Fichtes Denken in dieser Hinsicht den spekulativen Standpunkt notwendigerweise verfehlen muss, weil es keineswegs ein Bedürfnis des Lebens nach Identität befriedigt, sondern lediglich dessen auf Differenz gründendes Einheitsstreben wissenschaftlich darstellt. Hegels Kritik an Fichtes Grundsätzen und an der fehlenden logischen Geschlossenheit dessen Systems – Anfang und Ende stimmen nicht überein – überprüft dieselben an seinem spekulativen Maßstab. Hegel betrachtet die Grundsätze für sich in ihrer logischen Stringenz, nicht in ihrer eigentlichen Funktion, die Grundstrukturen des praktischen Freiheitsglaubens zu repräsentieren. Er erkennt zudem nicht, dass sich eine Art von Geschlossenheit lediglich für den Lebensstandpunkt ergibt, der im Glauben an die Freiheit anhebt, um nach Durchschreiten des Systems zu einem Punkt (zurück) zu gelangen, an welchem der „Beweis“ der philosophischen Wahrheit erneut an das moralische Subjekt und sein Streben nach Verwirklichung praktischer Freiheit delegiert wird.8 _____________ 8
Vgl. Baumanns 1972, 34f.
Schlussbetrachtung
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Wir wollen im folgenden Kapitel zusammenfassend auf die praktische Freiheit bei Fichte und Hegel eingehen und dabei konkret untersuchen, welche Auswirkungen in ihrem Verständnis die Option zeitigt, entweder die praktische Freiheit als erscheinende Absolutheit durch Fundierung in einem substantiellen Grund vollständig zu erklären oder in der Abweisung dieser Möglichkeit ihr Wesen zu behaupten. Diese Klärung soll weiterhin der Möglichkeit dienen, in einem letzten Schritt kritisch Position zu beziehen. 2. Ursprung oder Genese der praktischen Freiheit Es fällt nach dem bislang Erörterten nicht schwer, den Stellenwert der praktischen Freiheit für die Philosophie Fichtes zu ermitteln. Die entschiedene Selbstbeschränkung, die erscheinende Absolutheit freien Wollens nicht weiter erklären zu wollen, bestimmt Form und Inhalt der gesamten Wissenschaftslehre. Diese ist als ganze eine Analyse des praktischen Bewusstseins auf der Grundlage des Freiheitsglaubens; darauf beruhen infolgedessen sämtliche Resultate der Deduktion. Bereits die Grundsätze können aus dieser Sicht als die abstrakte Grundstruktur des Menschen gedeutet werden, der in sich die Momente der Unendlichkeit und Endlichkeit in einer dynamischen Synthese, letztlich dem praktischen Streben, zur Einheit seines Selbstbewusstseins bringt, ohne den Dualismus von Ich und Nicht-Ich vollständig auflösen zu können: Die Trennung des zweiten vom ersten Grundsatz dokumentiert erneut die Entscheidung, freies Wollen und objektive Wirklichkeit nicht auf einen gemeinsamen absoluten Grund zurückzuführen. Der darin gründende Dualismus ist wesentlicher und unauflösbarer Bestandteil des menschlichen Selbstverständnisses. Die Konstitution der objektiven (kausalen) Wirklichkeit erfährt erst im Praktischen ihre befriedigende Klärung. Was dem Ich objektiv erscheint, ist in Wahrheit die durch die Intelligenz hervorgebrachte Versinnbildlichung des im ursprünglichen Streben erfahrenen Anstoßes bzw. der ursprünglich gefühlten Beschränktheit des Ich. Die Gegenstände sind Widerstände der moralischen Intentionalität des Subjekts. Damit einher geht die Idee der erst noch zu stiftenden sinnvollen, d.h. vernünftigen Einrichtung der Wirklichkeit. Deren Unvernünftigkeit sowie die Forderung nach Vernunft sind Voraussetzung des praktischen Bewusstseins vor dem Vollzug seiner Tätigkeit. Die Vernunft soll durch das Subjekt in praktischer Schöpfung oder Konstruktion hervorgebracht werden. Dies kann im Entwurf von Projekten und dem Versuch ihrer Realisierung empirisch erfahren werden. Eben deshalb
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Schlussbetrachtung
sind die objektiven Phänomene stets im Hinblick auf die praktische Freiheit des Subjekts zu deuten. Für sich bestehend, d.h. als bloßes objektives Sein hindern sie den freien Vollzug und müssen folglich aufgehoben werden. Die Umgestaltung der Objektivität zugunsten der absoluten Selbsttätigkeit des Ich verlangt nun keineswegs wie in Hegels Unterstellung die Objektivierung der subjektiven Tätigkeiten. Diese zu objektivieren hieße, sie zum Widerstand ihrer selbst, zum toten Sein, zu überführen. Vielmehr ermöglichen diejenigen Tätigkeiten ein Freiheitsbewusstsein, die auf die Objektivität so einwirken, dass der Hauptzweck dennoch im reinen Vollzug erkannt wird. Es ist der den Tätigkeiten innewohnende Sinn verstanden als Vollzugssinn, der als intellektuelle Anschauung das Freiheits- und Selbstbewusstsein des Ich ausmacht. Dies wird an der sittlich-kulturellen Zielangabe für das Subjekt deutlich, wonach die Welt zum Leib desselben zu werden hat (SW IV, 229). Die Bezähmung der eigenen Naturtriebe eines Subjekts durch dessen bewusste moralische Tätigkeiten bewirkt eine Modifikation sowohl des objektiven Ich (natürlicher Leib) als auch der objektiven Welt als ganzer. Doch der Hauptzweck liegt nicht in dem veränderten Objekt, sondern in der dabei intendierten Befolgung des moralischen Gewissens: Die veränderte Objektivität des eigenen Leibes wie der Welt ist nur Mittel für das unmittelbare Freiheitsbewusstsein. Eben dieses Verhältnis überträgt Fichte auf das Subjekt und die gesamte Welt, die in ein geeignetes Mittel transformiert werden soll, damit das Subjekt ein umfassenderes Bewusstsein seiner Selbsttätigkeit gewinnt. Die eigentliche Sinnstiftung und dadurch ermöglichte Sinnerfahrung geschieht somit im Subjekt und seiner moralischen Bestimmung. Auf Grund seines speziellen Augenmerks auf den immanenten Vollzugssinn menschlicher Praxis stellt sich für Fichte das Problem der Objektivität nicht in dieser Vehemenz. Dass diese Tätigkeiten nicht in ihrem Produkt bzw. in der äußeren Veränderung, die sie bewirken, sondern in sich selbst den Sinn erfüllen, erklärt die objektive Wirklichkeit für zweitrangig.9 Der Primat der subjektiven Sinnstiftung vor der objektiven Wirklichkeit überträgt sich auch auf das Begründungsverhältnis von Subjekt und Gesellschaft im weitesten Sinne. Betrachtet man gesellschaftliche Verhältnisse unter der Frage, inwieweit sie objektiver Ausdruck der vernünftigen Subjektivität sind, dann lässt sich auf Grund der Nicht_____________ 9
Es handelt sich also um diejenige Art von Tätigkeiten, die seit Aristoteles unter der Bezeichnung „praxis“ geführt wird (vgl. Nikomachische Ethik 1094a 3; 1140a 2, b 4ff.). Dennoch bewirkt bei Fichte jede moralische Tätigkeit zugleich eine freie Veränderung der objektiven Welt; sie beinhaltet folglich ebenso Züge der poiesis. In Fichtes Konzeption freier Tätigkeit vereinigen sich praxis und poiesis unter dem Primat der praxis.
Schlussbetrachtung
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auflösbarkeit des Sinngehalts moralischer Tätigkeit in Objektivität nur ex negativo die Vernünftigkeit dieser Verhältnisse ermessen. Sie ergibt sich aus ihrer graduell zu bestimmenden Zulässigkeit subjektiver Freiheit, d.h. in dem Maße, in dem die gesellschaftlichen Verhältnisse den Vollzug subjektiver Freiheit hindern, müssen sie modifiziert werden. Befördern sie hingegen denselben, müssen sie erhalten bleiben. Diese Verhältnisse werden also nicht an sich auf ihren Sinn hinterfragt. Es wäre aus Fichtes Perspektive gar nicht denkbar, weil sie an sich sinnlos sind. Vielmehr erhalten sämtliche objektive Bereiche menschlichen Zusammenlebens, darunter Recht, Gesellschaft, Kultur sowie Staat, allein im Hinblick auf das Streben des Subjekts nach vollkommener moralischer Selbsttätigkeit ihren Wert – im Sinne des Mittels zum höchsten moralischen Zweck. Eine Steigerung des subjektiven Freiheitsvollzugs, die Moralisierung der Subjekte, soll dabei in unendlicher Annäherung die Notwendigkeit fester objektiver Strukturen ersetzen – ja letztlich ist deren Vernichtung das wahre Ziel des Handelns. In der idealen Gemeinschaft moralischer Subjekte bedarf es keiner äußeren Institutionen und Zwänge mehr; die Individuen vereinigen sich in ihrer allgemeinen moralischen Gesinnung zu einer einzigen Person und vollführen aus sich selbst die absolute Selbsttätigkeit des einen Ich. Fichte versteht die praktische Freiheit des Ich im Sinne eines Losreißens von den objektiven Phänomenen zum Zwecke der Sinnschöpfung aus eigener Subjektivität. Wie anhand seiner Philosophie am Problem des Ursprungs von Selbstbewusstsein deutlich wird, vollzieht sich der freie Akt in Diskontinuität und Entgegensetzung zur objektiven Wirklichkeit. Dahinter steht nicht nur der Grundgedanke, dass der Mensch endlich ist und es deshalb der Philosophie obliegt, im Verzicht auf einen absoluten Standpunkt dies zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr liegt es nach Fichte im Wesen der menschlichen Freiheit, allein in ihrer Unerklärbarkeit und Grundlosigkeit die Möglichkeit ihres Bestehens zu finden. Und doch eignet dem darin implizierten Streben eine widersprüchliche Logik: Findet das Ich nur in denjenigen Tätigkeiten seine wahrhafte Freiheit und Grundlosigkeit, welche die Tendenz haben, das Nicht-Ich vollständig im Ich aufzuheben, damit dieses selbst zum absoluten Grund der gesamten Wirklichkeit wird, dann nähert es sich in unendlicher Progression einem Zustand an, in welchem mit der Einsetzung eines absoluten Grundes ebenso Grundlosigkeit und Freiheit des Ich verloren gehen. Es will darin zugleich seine eigene Freiheit und die Aufhebung derselben zugunsten einer absoluten Freiheit. Dieses widersprüchliche Bestreben haben wir in sämtlichen Teilen der
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Philosophie Fichtes aufgewiesen.10 Man kann diesen Sachverhalt wie folgt charakterisieren: Trennt sich die subjektive Freiheit bewusst von allen objektiven Faktoren, um ihr eigenes Wesen in die Grundlosigkeit zu setzen, dann verschreibt sie sich damit einem Prozess, innerhalb dessen sie an ihrer eigenen Zerstörung arbeitet. Die Notwendigkeit, auch die objektive Wirklichkeit im positiven Sinne an dem Prozess der Verwirklichung der Freiheit teilhaben zu lassen, indem die endliche Freiheit als erscheinende Absolutheit ebenso wie die objektive Welt immer schon auf der Grundlage eines absoluten Geistgrundes verstanden werden, ist die wesentliche Einsicht der Kritik Hegels an Fichte sowie Kerngehalt seiner eigenen Philosophie. Hegels frühe Lehre von der absoluten Identität, die im Zuge ihrer Selbstentfaltung die Wirklichkeit von Subjekt und Objekt aus sich generiert, kann als ein Versuch gelesen werden, die Paradoxien der Freiheit aus der Philosophie Fichtes in einer logisch stringenten Theorie aufzulösen. Die mit Widersprüchen behaftete Konzeption der praktischen Freiheit als einer erscheinenden Absolutheit, die einerseits nicht weiter aus einem absoluten Grund erklärt werden soll, andererseits im Praktischen danach zu streben hat, selbst absoluter Grund der Wirklichkeit zu werden, kritisiert und übersteigt Hegel in seiner eigenen Theorie. Danach wird subjektive Freiheit nur dann bewahrt, wenn sie die Rationalität und die sich daraus ergebenden Konstitutionsprodukte – wie Natur und soziale Welt – nicht als eigene Schöpfungen, sondern als in der Wirklichkeit waltende und sich entfaltende rationale Strukturen des absoluten Geistgrundes erfasst. Im Bereich des Praktischen befindet sich das Subjekt stets in einer gewissen Entgegensetzung zur objektiv-notwendigen Verfasstheit des Vernunft, insofern es nicht eine eigene materiale Normativität aus sich zu erzeugen vermag. Erst im reinen Denken gelangt es zur vollständigen Einheit mit der Objektivität (dem Gedachten) und damit zur absoluten Freiheit. Das reine Denken ist die absolute Selbstbegründung des Vernunft. Die aus der Endlichkeit der praktischen Freiheit resultierende Widersprüchlichkeit soll durch deren Relativierung im Hinblick auf die unendliche Freiheit des Denkens überschritten werden. Die konkrete Ausführung dieses Programms in der Enzyklopädie hebt deshalb mit der logischen Darstellung der absoluten Freiheit im Element reinen Denkens an. Jenseits der Subjekt-Objekt-Trennung beschreibt die Logik die Freiheit als begriffliche Einsicht in die ebenso begriffliche Notwendigkeit absoluter Rationalität. Diese Freiheit wird als reine Manifestation des Begriffs in sich, als dessen Im-Anderen-bei_____________ 10 Siehe die Zusammenfassung auf S. 146f.
Schlussbetrachtung
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sich-Sein definiert. Doch zur eigentlichen Existenz gelangt diese Freiheit erst im Gefilde der Realität und dort vor allem im Geist, für den gilt: „Das Absolute ist der Geist; dies ist die höchste Definition des Absoluten.“ (X, 29) Die mit der Realität und vor allem dem phänomenologischen Selbstbewusstsein einsetzende Subjekt-Objekt-Trennung, konkret in der bewussten Entgegensetzung von Geist und Natur, muss im Zuge der Verwirklichung der Freiheit zur Einheit des Geistes überführt werden. Erst in der vollkommenen Manifestation des Geistes in seinem Anderen ist der Zielpunkt dieser Entwicklung erreicht: der absolut für sich seiende freie Geist. Anders gesagt: Die höchste Freiheit besteht nicht darin, dass sich das praktische Subjekt als Urheber des Raumes der Gründe in unendlicher Auseinandersetzung mit der Natur verwirklicht, indem es die Natur in seine praktische Manifestationsstätte transformiert. Vielmehr muss es sich selbst noch als diese Manifestationsstätte des absoluten Geistgrundes erkennen. Die Manifestation ist dabei keine zufällige Begleiterscheinung der notwendigen rationalen Strukturen der Wirklichkeit. In diesem Fall verstünde sich das Subjekt lediglich als Akzidens einer transzendenten Wirklichkeit; es könnte darin nicht seine eigene Freiheit erkennen. Im Gegenteil dazu besteht das Wesen des Geistgrundes in der Manifestation, mithin im tätigen Denkvollzug des Subjekts. Für sich und damit vollkommen frei wird der Geist allein dadurch, dass er für sich offenbar wird als Offenbarung. Damit ist er das absolute Selbstverhältnis, das sich zu sich selbst verhält:11 Als für sich seiend ist das Allgemeine sich besondernd und hierin Identität mit sich. Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die Manifestation. Er ist nicht irgendeine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Äußerung oder Äußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so dass er nicht etwas offenbart, sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst. (X, §383)
In die Kontinuität dieser Entwicklung stellt Hegel die praktische Freiheit, als den noch im Endlichen befangenen Versuch, das absolute Selbstbewusstsein hervorzubringen. Die erscheinende Absolutheit des endlichen Selbstbewusstseins in seiner radikalen Entgegensetzung gegen die natürlichen Grundlagen seines Seins erreicht in der phänomenologischen Anerkennung einen ersten Wendepunkt zur Manifestation des absoluten Grundes: Das Subjekt erkennt im Objekt ein anderes Selbstbewusstsein und ordnet sich und den Anderen unter die Einheit der Vernunfttotalität, als des substantiellen Grundes ihrer Freiheit. In _____________ 11 In der Logik verlangt diese Art von Manifestation den Übergang von der Wesenslogik in die Begriffslogik: „Die Manifestation realisiert sich als Manifestation, indem sie sich und ihre ‚Verhältnisweise‘ manifestiert: darin bricht sie die Schranke der Wesenslogik und eröffnet sie das Reich des Begriffs.“ (Angehrn 68)
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diesem Grund ist die subjektive Freiheit indes nicht vernichtet, sondern sie entfaltet sich selbst zur Vernunfttotalität und Freiheit, wie es im Anschluss in der enzyklopädischen „Psychologie“ geschildert wird. Der freie Geist, Endpunkt der psychologischen Entwicklungen, repräsentiert die im Subjekt resultierende Einheit seines Wollens und des Zweckes in der freien Selbstbestimmung zur Selbstbestimmung. Gemäß der Ausführungen über die Anerkennung verlangt diese Selbstmanifestation des subjektiven Willens die Unterordnung unter den substantiellen Grund oder den objektiven Geist – wie es in der vollendeten Sittlichkeit der Fall sein wird. Den eigentlichen Stellenwert der praktischen Freiheit behandelt Hegel in seiner Lehre vom objektiven Geist. Sie schildert den Weg, den die subjektive Freiheit einzuschlagen hat, um in der objektiven Wirklichkeit bei sich und damit überhaupt erst wirkliche Freiheit oder Manifestation zu sein. Im Kapitel zur Sittlichkeit demonstriert Hegel, wie der transsubjektive oder substantielle Grund menschlicher Freiheit, die sittlichen Mächte, statt eine bloß äußere Notwendigkeit darzustellen, im Staat zum Bewusstsein des Menschen gelangt und ihm ermöglicht – durch Einsicht in die sittliche Notwendigkeit –, darin bei sich, bei seinem eigenen Wesen zu sein. Der absolute Grund der Freiheit manifestiert sich für die subjektive Freiheit des Menschen in der objektiven sittlichen Einrichtung der Wirklichkeit, sobald der Mensch darin die Manifestation seiner Freiheit oder kurz: die objektive Freiheit erblickt. In diesem Sinne versteht Hegel die Sittlichkeit als Einheit von subjektiver und objektiver Freiheit, als Manifestation der absoluten Freiheit im Praktischen. Was bedeutet dies nun konkret für das Verhältnis von subjektiver und objektiver Freiheit in Hegels praktischer Philosophie? Erstens integriert Hegel die subjektive Freiheit in die objektiven Bedingungen ihrer Wirklichkeit. Ihre Kategorien, wie praktisches Selbstgefühl, Triebe, Willkür, Glückseligkeit und Freiheit, und das damit einhergehende Selbstverständnis des Subjekts werden auf die transsubjektiven Gründe Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat zurückgeführt. Allein in diesen objektiven Konstellationen vermag das Subjekt seine eigene Freiheit zu realisieren. Zweitens ist die Manifestation des Geistes dessen Bestimmtheit. Die Inhalte freien Handelns ergeben sich nicht aus innerer Selbstreflexion des Subjekts, sondern aus dem normativen Angebot der gelebten Sittlichkeit. Nur wenn das Subjekt in der objektiven Freiheit seine höchsten Zwecke erkennt, ist es wahrhaft frei. Auch die in der „Phänomenologie“ nur in ihren formalen Zügen beschriebene ideale Anerkennung zweier Vernunftwesen besitzt an den sittlichen Werten ihre konkrete Basis. Es ist die transsubjektive Vernunfttotalität,
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der sich das Subjekt unterzuordnen hat, um selbst zu dieser Totalität zu werden. Wer als vernünftig anerkannt werden will, bedarf konkreter Vorgaben rationaler Normativität; d.h. er muss in Übereinstimmung mit gemeinschaftlich akzeptierten Sitten handeln und diese in seinem Handeln manifestieren. Das Subjekt erhält gegenüber dem objektiv Sittlichen die Funktion, diese Inhalte und Werte in ihrer Vernünftigkeit zu erkennen und durch freies Handeln in der Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Der bei Hegel formalen Subjektivität kommt die Aufgabe der Einsicht in die sittliche Notwendigkeit, verstanden als konkrete Allgemeinheit sittlicher Werte, zu. Es wird deutlich, dass das Subjekt seine formal-akzidentielle Funktion gegenüber der objektiven Freiheit im Sittlichen noch nicht gänzlich überwunden hat; es ist im Praktischen stets einer relativen Unfreiheit unterworfen. Im Gegensatz zu Fichte muss man bei Hegel eher von einer Sinnerfahrung statt einer Sinnstiftung des Subjekts sprechen. Dessen praktische Freiheit gelangt im freien Geist zur Wirklichkeit, indem sie sich als freie Selbstbestimmung zur Selbstbestimmung für sich manifestiert. Diese subjektive Manifestation muss als solche bestimmt und wirklich sein; doch die Inhalte erhält sie allein auf Grund der objektiven Manifestation in der gelebten Sittlichkeit. Mithin erfährt sich die subjektive Selbstbestimmung als formale Tätigkeit ausschließlich in ihrem Umgang mit den sittlichen Inhalten – vorausgesetzt, dass dieselben vernünftig sind und so dem denkenden Subjekt die Möglichkeit der Identifikation lassen. Der Vollzug subjektiver Freiheit wird der Manifestation der objektiven Freiheit untergeordnet; so wird sich das Subjekt zwar objektiv, verliert aber zugleich die kritische Stellung angesichts der objektiven Wirklichkeit: Deren allgemeingültigen Werten vermag das bloß formale Subjekt nicht, in kritischer Absicht eigene Werte entgegenzustellen. Widersetzt sich das subjektive Gewissen der objektiven Wirklichkeit, dann verharrt es in sich selbst, gelangt nicht zu vernünftigen Handlungen und unterliegt letztlich der Gefahr, böse zu werden.12 Dieses Übergewicht an objektiver Freiheit ist kennzeichnend für Hegels praktische Philosophie. Doch entspringt es in seinen Augen den eigenen Mängeln praktischer Freiheit. Im Praktischen vermag der _____________ 12 „Der Staat kann deswegen das Gewissen in seiner eigentümlichen Form, d.i. als subjektives Wissen nicht anerkennen“ (VII, §137). Selbst in Zeiten sittlichen Verfalls scheint Hegel der Meinung zu sein, dass es dem Subjekt nur erlaubt ist, sich in seine Innerlichkeit zu flüchten, nicht aber, aus seinem subjektiven Gewissen heraus den schlechten Staat umzustürzen: „Nur in Zeiten, wo die Wirklichkeit eine hohle geistund haltungslose Existenz ist, mag es dem Individuum gestattet sein, aus der wirklichen in die innerliche Lebendigkeit zurückzufliehen.“ (§138 Z.) Dies erläutert Hegel am Fall des Sokrates, der ja bekanntlich nicht gegen die Gesetze seiner Polis angegangen ist, selbst als sein eigenes Leben in Gefahr war (§138).
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Schlussbetrachtung
Mensch nicht, die in der Realität waltende Trennung von Subjekt und Objekt zu einer stabilen Einheit zu bringen.13 Es liegt in der Natur des Handelns, dass sich der Handelnde von der Objektivität unterscheidet, um darin wirken zu können. Die Entfaltung der subjektiven praktischen Freiheit bleibt stets abhängig vom gegenwärtigen objektiven Kontext (Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat). Ist dieser nicht vernünftig, kann es das Subjekt auch nicht sein. Das Ungleichgewicht von subjektiver und objektiver Freiheit im Praktischen wird zwar dadurch gemindert, dass man Einblick in eine teleologisch auf die Durchsetzung rationaler Strukturen ausgerichtete Weltgeschichte gewinnt. Aber erst in der theoretischen Dimension des absoluten Geistes gelangen beide Aspekte zu einer absoluten Einheit. Letztlich ist es erneut in der Philosophie und dort in der Logik, worin die Subjekt-Objekt-Trennung vollständig ausgeglichen und aufgehoben ist. In der Einheit von Denken und Gedachtem verwirklicht sich die nunmehr spekulativ zu verstehende absolute Freiheit, die in ihrer Manifestation nichts anderes als das Produkt ihres eigenen Vollzugs erkennt und weiß, dass ihr Vollzug nur insofern wahrhaft frei ist, als er sich in der dialektisch-notwendigen Entwicklung der logischen Kategorien manifestiert. Die Grundunterscheidung der Philosophien Hegels und Fichtes verdeutlicht sich im Ausgang von der Frage, ob die erscheinende Absolutheit praktischer Freiheit auf einen absoluten Grund zurückgeführt werden muss oder ob sich dies gerade verbietet. Fichtes Entscheidung für die Grundlosigkeit verschreibt sich der Idee ursprünglicher Sinnstiftung durch die Freiheit des Ich. Die Objektivität wird schlechthin als Widerstand einer Freiheit gedeutet, die sich im Vollzug subjektiver Tätigkeiten ausdrückt. Bis auf das letztlich unerklärliche Faktum der Beschränktheit sorgt diese Freiheit auch noch für die Konstitution der objektiven Wirklichkeit. Wie dieselbe verstanden werden muss, ergibt sich aus der moralischen Intentionalität des Subjekts. Gemäß der idealistischen Grundüberzeugung begreift der Mensch die Wirklichkeit nicht an sich. Statt dessen überträgt er aus seinem eigenen Selbstverständnis heraus notwendigerweise bestimmte Kategorien auf die objektive Welt.14 Damit umgeht Fichte nicht nur das Problem Kants, wie _____________ 13 Dieser Sachverhalt deutet auf eine andere Lösung im Verhältnis von praxis und poiesis als bei Fichte (vgl. S. 339 Anm. 9). Riedel hat darauf hingewiesen, dass in Hegels Tätigkeitsbegriff eine dialektische Aufhebung beider Gestalten vorliegt (Riedel 1970, 17; ebenso Angehrn 166ff.). Im Unterschied zu Fichte steht diese Synthese unter dem Primat der poiesis. Diese Deutung deckt sich auch mit Taylors Hegel-Interpretation. Er versteht die freien Tätigkeiten im Sinne der Expressivität (Taylor 28ff.). 14 Besonders deutlich wird dies in Fichtes Naturauffassung, wie wir sie oben geschildert haben (S. 92f.). Weil der Mensch ein Verständnis von sich als einem Wesen mit Naturtrieben hat, die organisch in seinem Leib vereinigt sind, muss er auch diese Kategorie
Schlussbetrachtung
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freie Handlungen in der sinnlichen Welt möglich, d.h. wie Kausalität und Rationalität zu vereinbaren sind. Denn die (kausale) Welt muss nach Fichte eben vollständig aus der fundamentalen Perspektive der Freiheit verstanden werden. Er konkretisiert zugleich seine These von der Unbegründetheit des praktischen Subjekts angesichts der objektiven Welt. Die „Weltlosigkeit“ des Subjekts sichert ihm einen kritischen Standort, von welchem aus es die Wirklichkeit nach seinen Vernunftmaßstäben zu verstehen und zu modifizieren vermag. Von diesem Standort aus ist eine Kritik der praktischen Freiheit bei Hegel möglich. Dessen „Glaube“ an das die Wirklichkeit praktischer Freiheit überragende und begründende Absolute nimmt dem Subjekt die Möglichkeit vernünftiger Sinnstiftung und verweist es auf die in der objektiven Wirklichkeit waltenden rationalen Strukturen. Indem es deren Notwendigkeit im Denken erfasst und als eigenes Wesen erkennt, betreibt es die Realisierung seiner eigenen Freiheit durch Unterordnung unter die Wirklichkeit des Absoluten. Diese Vorstellung von der „Welthaftigkeit“ des Subjekts, die seine Freiheit als Manifestation bestimmt,15 droht gemessen am Fichteschen Maßstab das menschliche Selbstbewusstsein zum – wenn auch notwendigen – Reflex transsubjektiver Prozesse zu degradieren.16 Obwohl also Hegel im Gegensatz zu naturalistischen Positionen den Vorrang der freien Rationalität vor der Kausalität vertritt, führt die Einsetzung eines absoluten Grundes der praktischen Freiheit ebenso zu deren Relativierung. Fichte müsste eine derartige Theorie als Dogmatismus verwerfen. Nun geht es Hegel – wie gezeigt – keineswegs um die Vernichtung menschlicher Freiheit, vielmehr will er ihre widersprüchliche Bestimmung im System Fichtes in einer logisch kohärenten Theorie aufbewahren – als eine notwendige Zwischenstufe in der Selbstmanifestation des Absoluten. Er kritisiert an Fichtes Begriff der Freiheit, dass darin ein widersprüchliches Bestreben des Menschen absolut gesetzt wird: Einerseits setzt sich das Subjekt der objektiven Wirklichkeit entgegen, um _____________
auf die Natur übertragen. Ebenso ergibt sich aus der moralischen Bestimmung des Menschen, wie er die objektiven Bereiche des Rechts, der Gesellschaft und des Staates idealiter versteht. 15 Die Unterscheidung der Freiheitsbestimmung bei Fichte und Hegel durch die Kategorien des Vollzugs und der Manifestation stimmen mit den Ausführungen von Bourgeois zu Kant und Hegel überein. Bourgeois unterscheidet zwischen einer Philosophie der Tätigkeit (activité) bei Kant und derjenigen der Tat (action) bei Hegel, wobei darunter einerseits der subjektive Handlungsvollzug, andererseits die Einordnung der Handlung in die objektive Wirklichkeit, ihre Manifestation, angesprochen sind (Bourgeois 2001, 159). 16 „Hegel oppose à une philosophie intellectualiste de la réflexion une philosophie rationaliste du reflet.“ (Bourgeois 1969, 85)
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Schlussbetrachtung
in dieser Welt- und Grundlosigkeit seine eigene unerklärliche Freiheit zu behaupten; andererseits strebt dieses Subjekt in unendlicher Annäherung, Grund der gesamten Wirklichkeit zu sein. Diesen Widerspruch deckt Hegel auf, indem er aus der Perspektive des absoluten Geistgrundes Fichtes Beharren und Absolutsetzen der erscheinenden Absolutheit zu einem dogmatischen Vergehen erklärt, das nicht die restlose begriffliche Genetisierung der absoluten Manifestation erbringt. Fichtes System und darin vor allem der Freiheitsbegriff gründen auf dem Faktum der Reflexion, der uneinholbaren Trennung von Subjekt und Objekt. Die wahre subjektive Freiheit nach Hegel realisiert sich nicht dadurch, dass sie in Entgegensetzung zur objektiven Wirklichkeit den Grund ihrer Beschränktheit graduell vernichtet. Denn in dieser Vernichtung beraubt sie sich selbst derjenigen objektiven Grundlagen, die ihren Vollzug erst ermöglichen. Es bedarf gewisser objektiver Voraussetzungen, damit sich die Vorstellung von subjektiver Freiheit unter den Menschen verbreitet und tatkräftig ergriffen werden kann; dazu gehört bereits die Natur, die an sich das Aufkommen der geistig-rationalen Strukturen in sich trägt. Im sich bewussten Geist, im Menschen, wird diese Notwendigkeit zur Freiheit. Doch für das vollkommene Bewusstsein der Freiheit bedarf es bereits einer vernünftig eingerichteten Sittlichkeit, d.h. der geschichtlich entstandenen Wirklichkeit von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat, wie sie Hegel in seiner Rechtsphilosophie darstellt. Löst sich das Subjekt in kritischer Absicht von diesen objektiven Strukturen, indem es sie fortschreitend zu vernichten trachtet, dann untergräbt es die vernünftigen Bedingungen seines eigenen Seins. Und dies geschieht aus eben dem Grund, weil es seine eigene praktische Freiheit nicht im Gesamtprozess der Manifestation des Absoluten zu relativieren vermag. Die Wirklichkeit erschließt sich Hegel zufolge im Gegensatz zu Fichte nicht als Konstitutionsprodukt des moralischen Selbstverständnisses des Subjekts, sondern in der Darstellung ihres an und für sich vernünftigen Gehalts. In dieser dynamischen Entwicklung nimmt die subjektive Freiheit der Moralität einen untergeordneten Standpunkt ein. Die Lehre vom objektiven Geist stellt klar, dass die objektiven Bereiche des Willens keine bloßen Mittel von dessen Selbstvollzug, sondern Selbstzweck sind. Das wahre Selbstverständnis findet der Mensch aus dem vernünftigen Wirklichkeitsverständnis und nicht ist umgekehrt sein Wirklichkeitsverständnis durch sein Selbstverständnis geprägt.17 _____________ 17 Dieses umgekehrte Begründungsverhältnis von Selbst- und Wirklichkeitsverständnis wurde bereits im Kapitel zu Hegels Fichte-Kritik angesprochen; dort in der Bezeich-
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3. Kritische Würdigung Erklärtes Ziel der vorherigen Abschnitte dieser Schlussbetrachtung war es, die Möglichkeit eines neutralen Standortes zu skizzieren, der eine kritische Würdigung der Freiheitskonzeptionen Fichtes und Hegels erlaubt. Dieser Standort wurde, ohne selbst thematisch zu werden, bereits eingenommen; es gilt nun, ihn in seiner formalen wie inhaltlichen Bedeutung abzustecken. In rein formaler Hinsicht wurde zunächst der Fichtesche Standpunkt des praktischen Freiheitsglaubens bezogen und dessen systematische Darstellung verfolgt. Die daraus resultierende Widersprüchlichkeit offenbarte indes die Einseitigkeit dieser Konzeption. Im Übergang zur Philosophie Hegels wurde diese Einseitigkeit der praktischen Freiheit weiter verdeutlicht und ermittelt, welcher Art die notwendige Korrektur oder „Er-gänzung“ zu sein hat. Auf diesem Weg wurde klar, dass diejenige Bedeutung, welche Fichte noch der praktischen Freiheit zuspricht, in Hegels System durch ihre Relativierung zugleich in ihrem Kerngehalt verabschiedet wird. Die angebliche Ergänzung des Freiheitsbegriffs ist ebenso einseitig, weil auch dadurch der Verlust praktischer Freiheit nicht verhindert werden kann. Die argumentative Überzeugungskraft dieser Kritik an Hegel fließt mithin wieder aus dem Fichteschen Freiheitsverständnis. Demnach bewegt sich unsere Kritik zwischen beiden Konzeptionen, indem sie im Wechsel der Standpunkte deren Einseitigkeit aufweist. In inhaltlicher Hinsicht wurde die Einseitigkeit der praktischen Freiheit bei Fichte und Hegel durch Einführung einer entgegengesetzten Begrifflichkeit verdeutlicht. Die Grundüberzeugung des Fichteschen Denkens besteht zusammengefasst darin, die erscheinende Absolutheit freien Wollens nicht weiter aus einem ihr transzendenten Grund erklären zu wollen. Es ist das große Verdienst Fichtes in der Grund- und Weltlosigkeit das Wesen des praktischen Freiheitsbewusstseins anzusetzen. Der Ursprung des Selbstbewusstseins vollzieht sich durch die reine Selbst-Setzung des Ich in gänzlicher Diskontinuität zur objektiven Wirklichkeit. Die mögliche Forderung, das Ich in seinem Hervorgehen aus der Wirklichkeit zu beschreiben, geht mithin am Wesen der Freiheit vorbei. Vielmehr ist es die moralische Freiheit des Ich, auf deren Grundlage dem Subjekt erst die Gegenstände begegnen, nämlich in Form von Widerständen für die moralischen Intentionen. Das unmittelbare moralische Selbstverständnis des Subjekts bestimmt infolgedessen sein Wirklichkeitsverständnis. Aus der ursprünglichen moralischen _____________
nung von Denken und Selbstbewusstsein. Der Unterschied besteht in der Alternative, ob das Selbstbewusstsein das Denken oder umgekehrt das Denken das Selbstbewusstsein begründet (S. 184; ebenso Günther 130ff.).
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Sinnstiftung heraus versteht das Ich die Welt gleichsam als den eigenen Schatten, der aus der Helle seiner ursprünglichen Freiheit – gebrochen durch die Beschränktheit seines endlich-reflexiven Wesens – hervorgeht. Für die heutzutage übliche Freiheitsrelativierung angesichts der Naturkausalität hätte Fichte nur Spott übrig: Wer die Naturnotwendigkeit fürchtet, der fürchtet seinen eigenen Schatten. Das Beispiel passt ganz. – Er werde durch seinen Schatten gehalten, dieser sei ihm im Wege, über ihn könne er nicht weg! Ja wenn dieser sich fortbewegen möchte und vor ihm hergehen; dann wolle er ihm wohl nach! Närrischer Mensch; der Schatten hat in sich keine Kraft und kein eigentümliches Prinzip; schreite du nur vorwärts, so schreitet er auch fort! [...] Die Natur hat in sich durchaus kein eigentümliches Prinzip, sondern sie ist bloß der sich selbst ergebende und auffallende Widerschein der absoluten Freiheit in einem Jeden. (SW IX, 22).
Es ist das Widerstreben der Objektivität, welches das Ich am rein immanenten Vollzug seiner Freiheit hindert. So obliegt es dem Streben des Ich, durch Vernichtung der Objektivität in unendlicher Progressivität die Widerständigkeit des Nicht-Ich zu verringern und so seine subjektive Selbsttätigkeit graduell zu erweitern. Das moralische Streben offenbart indes eine Widersprüchlichkeit im Willen des Ich. Es handelt im Bewusstsein, sowohl seine Grundlosigkeit im Widerstreit mit der Wirklichkeit zu behaupten als auch seinen höchsten Zweck zu erfüllen, nämlich sich zum absoluten Grund der gesamten Wirklichkeit zu erheben. Obzwar dies in unendlicher Annäherung niemals gänzlich zu erreichen ist, handelt das Ich im widersprüchlichen Bewusstsein, zum einen die Selbstständigkeit von Ich und Nicht-Ich zugunsten der diskontinuierlichen Absetzung von ersterem, zum anderen die Einheit beider zu wollen. An dieser Stelle vollzogen wir den Überstieg von der Fichteschen zur Hegelschen Position. Dadurch wurde klar, dass sich die praktische Freiheit des Subjekts im Versuch, die objektiven Bereiche zugunsten der eigenen Freiheit zu zerstören, der Grundlagen des eigenen Seins beraubt. Der wahre Vollzug subjektiver Freiheit bedarf der Einsicht in den absoluten Grund ihrer Wirklichkeit. Die objektiven Bedingungen in Natur und Geschichte dürfen nicht länger als bloße Beschränkungen der praktischen Freiheit betrachtet werden, sondern müssen im positiven Sinne am Prozess der Verwirklichung von Freiheit mitwirken und vom Subjekt in dieser Weise begriffen werden. Der intendierte materiell-positive Freiheitsbegriff Fichtes, das Sittengesetz, verharrt auf der Seite rein formal-negativer Bestimmung. Diese Einsicht illustriert Hegels Übergang vom subjektiven in den objektiven Geist. Hegels Philosophie der Freiheit ist getragen von der Überzeugung, dass subjektive Freiheit qua erscheinende Absolutheit allein durch be-
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wusste Einsicht in den absoluten Grund realisiert, d.h. materiell bestimmt werden kann. Deshalb darf sich das Subjekt nicht im Sinne eines diskontinuierlichen Ursprungs verstehen, vielmehr hat es seine notwendige Gewordenheit aus den implizit rationalen Entwicklungen in Natur und Geschichte einzusehen. Es steht in einer Kontinuität der Entfaltung des absoluten Grundes zu seiner Selbstmanifestation. Infolgedessen definiert Hegel Freiheit überhaupt als Manifestation. Die Lehre vom objektiven Geist führt vor, welche objektiven Wirklichkeiten das Subjekt in die Lage versetzen, seine eigene Freiheit zu realisieren. Aus der Sinnerfahrung in diesen objektiven Konstellationen erwächst dem Subjekt das Wissen um seine Freiheit, indem es letztlich im Wesen des vernünftigen Staates seine eigene Wesensbestimmung manifestiert findet und durch tätiges Mitwirken am staatlichen Leben seine Freiheit vollzieht. Anders kann sich Freiheit nicht realisieren! Nur in der Welt findet der Mensch sein eigentliches Wesen; das Wirklichkeitsverständnis prägt sein Selbstverständnis. Der von Hegel geforderte Einblick in die Welthaftigkeit des ansonsten formalen Subjekts, das an der Sittlichkeit die Normen seines freien Handelns vorfindet, ohne aus sich selbst zu konkreten Zwecken zu kommen, überwindet nun augenscheinlich die Vorstellung des praktischen Freiheitsbewusstseins bei Fichte. Dieses ist nicht länger imstande, aus einer kritischen Position heraus die Wirklichkeit zu verwerfen und im Entwerfen eigener Zwecke seine Freiheit zu realisieren. Hegel integriert das Subjekt so sehr in die Selbstmanifestation des absoluten Grundes und damit in die objektive Wirklichkeit, dass die von Fichte geforderte Grundlosigkeit nicht länger tragbar ist. Unsere Kritik dieser Freiheitsdefinition orientiert sich bewusst am Fichteschen Standpunkt des praktischen Freiheitsglaubens; sie erweist Hegels Philosophie ebenso in ihrem einseitigen Versuch, die subjektive Freiheit durch Einbettung in die objektive Wirklichkeit zu bewahren. Obzwar Hegel mit Fichte die Einsicht teilt, dass die primäre Wirklichkeit nicht vorwiegend kausal, sondern vielmehr als genetische Entfaltung des Raumes der Gründe zu erfassen ist, führt dessen absolute Selbstbegründung ebenso zu einer Relativierung des praktischen Freiheitsbewusstseins. Der Standort unserer Kritik an den einseitigen Konzeptionen praktischer Freiheit bei Fichte und Hegel ist geprägt durch einen permanenten Perspektivenwechsel zwischen beiden Denkern. In Form eines Ausblicks sollen nun die positiven Implikationen angedeutet werden, die aus dieser Zwischenstellung für eine aktuelle Theorie praktischer Freiheit folgen. Es geht darum, in Absetzung von Fichte und Hegel eine eigene Position zu profilieren, welche die positiven Elemente in den
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Schlussbetrachtung
Konzeptionen beider Denker fruchtbar macht, ohne ihren Einseitigkeiten anheim zu fallen. Statt einer ausführlichen Darstellung, die eine eigene Abhandlung verlangte, soll hier die Angabe nur einiger Aspekte genügen. Erleichtert wird diese Aufgabe durch einen Rückgriff auf die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners, der eine Konzeption der Freiheit zwischen Fichte und Hegel wichtige Anregungen entnehmen kann.18 1) Die Einseitigkeit, welche darin besteht, dass entweder menschliche Freiheit im Sinne eines absoluten Ursprungs ihre nicht weiter zu erklärende erscheinende Absolutheit demonstriert oder dass ihr wahres Wesen erst in der bewussten Einsicht in ihre Gewordenheit manifest wird, überwindet die Lehre vom „gewordenen Ursprung“ menschlicher Freiheit.19 Plessner bezeichnet damit eine zweifache Aufgabe, die eine adäquate Auffassung der schöpferischen Freiheit des Menschen zu erfüllen hat. So soll zum einen gezeigt werden, wie die objektiven Bereiche menschlichen Lebens zum Aufkommen der Freiheit beigetragen haben. In der Natur lässt sich eine kontinuierliche Entwicklung von den untersten organischen Gebilden bis hin zum Menschen konstatieren, die für eine ständig zunehmende Fähigkeit zur Selbstbestimmung unter den Lebewesen sorgt.20 Der Mensch steht in einer Kontinuität mit der Natur, insofern er die in ihr angelegte rational zu erfassende Entwicklung zum Abschluss bringt. Die wahrhaft geistige Dimension dieses Aufkommens der Freiheit muss in der Geschichte diejenigen objektiven Faktoren ermitteln, die zu diesem Selbstverständnis des Subjekts geführt haben. Die Verortung dieser subjektiven Freiheit erhält bei Plessner mehr noch als bei Hegel, der dieselbe unter dem Namen der Moralität als Freiheit „im europäischen Sinne“ bezeichnet hat (X, §503), die Funktion einer Beschränkung auf einen geographisch zu bestimmenden Kulturkreis. Nur unter diesen geschichtlichen und gesellschaftlichen Umständen vermochte der Mensch zu einem derartigen Selbstverständnis zu gelangen. Auf dem Weg zu diesem rationalen Selbstverständnis praktischer Freiheit aus der geschichtli-
_____________ 18 Es gibt bereits mehrere Versuche in der Interpretation von Plessners Denken, die den Einfluss von Fichte und Hegel hervorheben. Zu Fichte vgl. Pietrowicz 58ff.; Beaufort; Binkelmann 2007. Zu Hegel vgl. Hauke. Es soll hier nicht behauptet werden, dass Plessner von Fichte und Hegel die bedeutendsten Denkanstöße empfangen hat. Es wird lediglich gezeigt, wie man ihn unter dieser Hinsicht lesen kann. 19 Plessner: „Macht und menschliche Natur“. In: Gesammelte Werke. Bd. V. Hrsg. von G. Dux/O. Marquard/E. Ströker. Baden-Baden 2003. S. 163. Fortan abgekürzt: GS. 20 Dies ist der Weg in Plessners Die Stufen des Organischen und der Mensch (GS IV).
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chen Genese folgt zugleich dessen Relativierung im Hinblick auf andere Kulturen.21 Nun darf zum anderen in der Darstellung der Gewordenheit praktischer Freiheit nicht umgangen werden, dass es sich um einen gewordenen Ursprung handelt. Die praktische Freiheit in diesem Sinne bestimmt den Menschen als „ursprunggebende Macht zur Objektivität“ (GS V, 163).22 Aus dieser Einsicht folgt die Umkehr, wonach erst aus dem Selbstverständnis praktischer Intentionalität ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis entspringt. Der Eindruck, den die Darstellung der Gewordenheit erweckte, als fließe das Selbstverständnis des (europäischen) Menschen aus den objektiven Entwicklungen in Natur und Geschichte, muss seinerseits relativiert werden, da es der Standpunkt praktischer Freiheit selbst ist, aus dem sich erst ein derartiges Naturund Geschichtsverständnis ergibt. Hier erlangt der Übergang von der Hegelschen zur Fichteschen Position praktischen Freiheitsglaubens an Bedeutung. Die Relativierung der Objektivität durch deren Unterordnung unter das praktische Selbstverständnis darf indes nicht dazu führen, dass die subjektive freie Rationalität absolut gesetzt wird. Wie Hegels Kritik an Fichte gezeigt hat, würde so ein widersprüchliches Selbstverständnis zwischen Grundlosigkeit und Streben nach absoluter subjektiver Begründung in Gang gebracht, das die Einheit praktischer Freiheit vernichtete. Die Rückführung auf den absoluten Grund erhält die funktionale Bedeutung, praktische Freiheit durch ihre Relativierung zu bewahren. So erwirkt der Mensch die Diskontinuität von Natur und Geschichte durch das Verständnis seiner Kontinuität mit diesen Bereichen.23 Durch ständigen Wechsel in der Begründung von Selbst- und Wirklichkeitsverständnis ergibt sich über Fichte und Hegel hinaus eine Historisierung der bei beiden zu starren Grundstrukturen von Rationalität: Der Raum der Gründe ist keine ewige, apriorische Vernunft, die sich entweder in der objektiven Wirklichkeit entfaltet oder als subjektives Sittengesetz die Wirklichkeit bestimmt, vielmehr unterliegen beide Aspekte – die Rationalität in Natur und Geschichte wie auch das praktische Selbstverständnis – einem permanenten Wandel in der Geschichte. Die Loslösung der menschlichen Freiheit von einem streng _____________ 21 „Bejahung unserer Kultur und Religion bedeutet also den Verzicht auf ihre Verabsolutierung, Anerkennung außereuropäischer Kultursysteme und Weltbilder“ (GS V, 148). 22 Dieses Prinzip nennt Plessner in seiner Bedeutung innerhalb der Natur „exzentrische Positionalität“. Schon das Wort selbst, aber auch Plessners eigene Ausführungen deuten auf dessen Abstammung vom Fichteschen Sich-Setzen des Ich (GS IV, 401f.). 23 „Der Prozess, in dem er [der Mensch] wesenhaft lebt, ist ein Kontinuum diskontinuierlich sich absetzender, auskristallisierender Ereignisse.“ (GS IV, 416)
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apriorisch-allgemeinen Vernunftbegriff führt zudem zu einem individualistischerem Freiheitsbegriff.24 2) Anhand dieser Ausführungen lässt sich auch das Verhältnis von Sinnerfahrung und Sinnstiftung, oder anders formuliert: die Rolle von Objektivität und Subjektivität, verdeutlichen. Die objektive Sinnerfahrung in Natur und Geschichte ermöglicht dem Menschen, sich selbst als sinnstiftendes Prinzip der Wirklichkeit zu ergreifen. Als Konsequenz daraus resultiert die Einsicht, dass bereits im vorgängigen Wirklichkeitsverständnis die subjektive Sinnstiftung aus dem praktischen Selbstverständnis konstituierend tätig ist. Wie Fichte gezeigt hat, bleibt auf Grund der Beschränktheit subjektiven Wissens der Kern der objektiven Wirklichkeit uneinholbar. Nur darf diese Äußerlichkeit nicht im Sinne eines durch unendliche Praxis anzueignenden Anstoßes aufgefasst werden. Vielmehr spricht sie erstens für die Abhängigkeit subjektiver Sinnstiftung von der objektiven Wirklichkeit und zweitens für die offen-dynamische Aufgabe, das eigene Selbstverständnis durch „hermeneutische“ Auseinandersetzung mit Natur und Geschichte permanent zu überprüfen und zu korrigieren. Die Ansicht, man solle die Objektivität gänzlich in die Immanenz des Subjekts integrieren, ist ebenso einseitig wie die Auffassung, das Subjekt ließe sich durch vollkommene Einsicht in die objektiv-rationale Notwendigkeit mit derselben versöhnen.25 Der Mensch muss vielmehr im Sinne einer die gegenseitige Relativierung [von Natur und Geschichte; CB] dynamisch ermöglichenden, selbst auf Natur und Geschichte relativen lebendig sich wandelnden Einheit (GS IX, 72)
aufgefasst werden. 3) Die gegensätzliche Bestimmung der menschlichen Freiheit als subjektiver Vollzug oder objektive Manifestation muss ebenso in einer Konzeption eingeholt werden. Nach Plessner besteht das Wesen menschlicher Tätigkeit in der Zweiheit von Immanenz und Expressivität, d.h. von immanentem subjektiven Vollzugssinn und objektivem _____________ 24 Dass Fichte das praktische Selbstverständnis durch das universelle Sittengesetz geprägt wissen will, lässt sich aus der historischen Situation erklären. Für ein aktuelles praktisches Selbstverständnis vgl. Binkelmann 2007. 25 F. Fischbach versucht auf eine ähnliche Weise, allein in Hegels Philosophie den Übergang von Sinnerfahrung zur Sinnstiftung des absoluten Geistes festzumachen. Danach erlangt der Geist nach dem gedanklichen Durchlaufen seiner vergangenen Gestalten die Einsicht in seine schöpferische Macht, was den Übergang zu neuen, gedanklich nicht zu antizipierenden Schöpfungen ermöglicht. „Ici s’articulent chez Hegel les deux sens du concept de la liberté : d’une part la liberté comme être auprès de soi dans l’autre, et d’autre part la liberté en son sens kantien-fichtéen, comme capacité à commencer absolument et par soi-même.“ (Fischbach 2002, 86) Es scheint, dass Fischbach dem Freiheitsbegriff der Transzendentalphilosophie bei Hegel eine größere Bedeutung beimisst, als aus Hegels Ausführungen ersichtlich wird.
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Ausdruck. Die Freiheit des Menschen entsteht aus der Zwischenstellung, die sie gegenüber beiden Aspekten einnimmt. Die selbst gesetzten Zwecke des Menschen zielen auf objektive Manifestation in der Wirklichkeit, doch gehen sie darin ebenso notwendigerweise niemals auf, „denn hinter jeder Bestimmtheit unseres Seins schlummern die unsagbaren Möglichkeiten des Andersseins.“ (GS V, 63) Damit ist nicht nur die Wahlfreiheit, also die negative Freiheit des Menschen gemeint, anstelle einer konkreten Bestimmtheit auch unendlich viele andere wählen zu können, sondern weitaus wesentlicher wird auf den letztlich nicht in Objektivität aufzulösenden Vollzugssinn angespielt. Die Freiheit der zweckmäßigen Tätigkeiten des Menschen besteht auch darin, dass jeder Zweck die Eigenart besitzt, nur im Vollzug, nicht im erwirkten Produkt, seinen Sinn zu erfüllen. Diese Freiheit zeigt sich daran, dass die bewirkte Äußerlichkeit niemals vollständig den Sinn des Zweckes auszudrücken vermag: Adäquatheit der Äußerung als einer das Innere wirklich nach außen bringenden Lebensregung und ihre wesenhafte Inadäquatheit und Gebrochenheit als Umsetzung und Formung einer nie selbst herauskommenden Lebenstiefe –, diese scheinbare Paradoxie lässt sich [...] als bindend für das menschliche Dasein erweisen (GS IV, 410).
Im Gegensatz zu Hegel hält es Plessner nicht für einen Mangel oder neutraler: für eine Entfremdung26, sondern gerade für die Wesensbestimmung der Freiheit, dass die äußerlichen Taten und Produkte des Menschen niemals gänzlich den Zweck in seinem Sinngehalt erreichen können. Der Mensch kann sich nie ganz in seinen Taten erkennen – nur seinen Schatten, der ihm vorausläuft und hinter ihm zurückbleibt, einen Abdruck, einen Fingerzeig auf sich selbst. (GS VIII, 359)
Das bedeutet – übrigens in einer wundervollen Koinzidenz mit der Fichteschen Schattenmetapher27 –, dass der Mensch seine Freiheit nur in der Manifestation realisiert, indem sich darin offenbart, dass sich seine Freiheit niemals gänzlich offenbart. Dieses Prinzip des Menschen, das Plessner im folgenden Zitat „Seele“ nennt, realisiert sich in der Zweiheit von Vollzug und Manifestation: Seele ist in ihrer Innerlichkeit unergründlich, unabsehbar, ein geheimnisvoller Quellgrund an Möglichkeit, undurchsichtig, schillernd, zweideutig. Seele zieht sich zurück, um nicht gesehen und getroffen zu sein, und sehnt sich doch _____________ 26 Weder eine assimilierende noch eine versöhnende Beziehung von Subjektivität und Objektivität anzustreben, zieht auch eine Kritik am Begriff der Entfremdung nach sich. Vgl. dazu GS VIII, 364ff. 27 S.o. S. 342.
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danach, gesehen und gewürdigt, d.h. aus eigener Zweideutigkeit zur bestimmten Form, zum festumrissenen Charakterbild gebracht zu werden. (GS V, 64)
4) Zuletzt wollen wir auf das Verhältnis von praktischer Freiheit und Philosophie eingehen, wie es sich für eine Theorie praktischer Freiheit nach dem eben skizzierten Modell darzustellen hat. Schon anlässlich der Untersuchung der Freiheitskonzeptionen Fichtes und Hegels diente die Verhältnisklärung als Schlüssel für die Einsicht in deren Grundunterschied. Die Alternative gestaltet sich wie folgt: Ist Philosophie lediglich die reflexive Selbstvergewisserung der Rationalität praktischer Freiheit, die in Absetzung von der bestehenden Wirklichkeit aus sich das wahre Selbst- und Wirklichkeitsverständnis hervorbringt? Oder ist Philosophie die zum Abschluss gebrachte Freiheit, deren Wahrheit erst in diesem Medium durch absolute Selbstbegründung des Raumes der Gründe eingesehen und bewiesen wird, worin die praktische Freiheit in ihrer Gewordenheit im Zuge der Manifestation des absoluten Grundes begriffen wird? Es ist nach dem bislang Erörterten zu erwarten, dass eine Theorie praktischer Freiheit beides in relativierter Form zu bedenken hat. Zum einen bezieht sie den Standpunkt des praktischen Freiheitsglaubens, indem sie sich ihrerseits als theoretisches Konstrukt versteht, das nur durch diese Freiheit bewahrheitet wird. Jede Philosophie wie überhaupt jedes theoretische Wissen gründet auf einer praktischen Wurzel, die sich einerseits zwar im Raum der Gründe realisiert, andererseits aber niemals vollkommen darin begründet werden kann. Insofern ist jedes praktische Selbstverständnis und damit jedes Wirklichkeitsverständnis unauflöslich von irrationalen und rationalen Aspekten zugleich geprägt. Jedes bewusste Wollen fußt immer schon auf einer rationalen Vergewisserung und geht dennoch nicht darin auf. Zum anderen muss die Theorie sich selbst wie auch das darin vertretene Freiheitsverständnis in ihrer natürlichen und geschichtlichen Gewordenheit rational begreifen. Jedes Wollen kann sich nur insofern rechtfertigen und erfolgreich realisieren, als es seine natürliche und traditionelle Bedingtheit in Form einer rationalen Genese einsieht. Deshalb stellt die Philosophie als absolute Begründung die höchste Abschlussgestalt der Freiheit als des Raums der Gründe dar. Dennoch wird auch diese (theoretische) Manifestation ihrer Mangelhaftigkeit überführt, indem darin deutlich wird, dass sich die praktische Freiheit niemals gänzlich in theoretischer Begründung einholen lässt. Weder eine auf Natur oder Tradition rekurrierende rationale Rechtfertigung des Wollens noch die absolute Rechtfertigung in der Philosophie können die Stoßkraft von Freiheit angemessen einfangen. Die Theorie ist jedoch notwendig, um diesen subversiven und dynamisch-offenen Charakter der Freiheit
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transparent zu machen. Denn es ist die Wesentlichkeit des genuinen Freiheitsvollzugs, sich in der Manifestation als das letztlich nicht zu Manifestierende zu manifestieren. Für die Philosophie bedeutet dies, dass sie immer auf den Vollzug praktischer Freiheit im Leben angewiesen bleibt; ihre Darstellung muss sich an aktuell gelebten Gestalten praktischen Selbstverständnisses orientieren; sie ist – viel radikaler als bei Hegel – ihre Zeit in Gedanken gefasst. Doch ebenso ist das freie Leben auf seine philosophische Durchdringung und Genetisierung angewiesen. Denn gedankenlose Freiheit, die ohne Rücksicht auf ihre genetischen Voraussetzungen gleichsam ex nihilo die Welt verändern will, ist nicht nur dumm und unfrei, sondern möglicherweise auch gefährlich. Die zurückliegende Abhandlung kann aus dieser Perspektive als eine Vorarbeit zu einer Theorie der praktischen Freiheit gelesen werden. Der Vergleich der traditionellen Freiheitskonzeptionen Fichtes und Hegels diente dann der notwendigen Verständigung über die Genese eines Modells, das sich jenseits und diesseits der Standpunkte beider Denker, also in Kontinuität und Diskontinuität dazu, hält. Infolgedessen befolgte die Darstellung der Gewordenheit dieses Modells wie auch der ursprünglichen Absetzung von seinen Vorgängern die Methode der mithilfe von Plessners Ansätzen letztlich nur angedeuteten Theorie der praktischen Freiheit. Eine derartige Freiheit, über die sich noch unsagbar vieles sagen ließe, vertritt eine Ansicht vom Menschen, die sich zwischen Fichtes und Hegels Ausführungen bewegt. Danach ist Menschsein nicht Selbstsein ohne Anderssein noch im Anderen bei sich sein, sondern „Mensch-Sein heißt das Andere seiner selbst Sein“ (GS V, 225).
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Eley, L. 194, 228 Erdmann, B. 30 Falke, G.-H. 228ff. Fetscher, I. 194, 248 Fischbach, F. 13, 110, 134, 136, 231, 233, 243, 354 Fleischmann, E. 13, 275 Frank, M. 10 Fulda, H.-F. 186, 199, 205, 213, 239 Gadamer, H.-G. 199, 205, 213 Gerhardt, V. 101 Girndt, H. 12, 161 Goddard, J.-Ch. 104, 110 Goubet, J.-F. 78 Gram, M. 23 Greene, M. 205 Guéroult, M. 13, 27, 42, 165 Günther, G. 152, 186, 248 Gurwitsch, G. 70, 82, 89, 100, 106, 324 Habermas, J. 180 Hartmann, N. 13, 165 Hauke, K. 352 Heine, F. 10, 164 Henrich, D. 32ff., 61, 166, 182, 195, 201, 225, 239, 253, 272, 278 Hespe, F. 239ff., 243, 248, 259, 262 Hiltscher, R. 153, 186 Hobbes 132 Hogrebe, W. 93, 271 Honneth, A. 117, 296 Horstmann, R.-P. 10, 224, 278
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Personenregister
Hösle, V. 187f., 200f., 225, 286, 291 Hufeland, G. 107 Ilting, K.-H. 272 Ivaldo, M. 104 Jacobi, F. 10, 35, 52 Jacobs, W.G. 13, 82, 106 Janke, W. 23, 50, 61 Kant, I. 3, 7, 9f., 20, 23f., 26, 28, 30, 52f., 68, 79-83, 94, 100, 102, 107f., 134, 136, 151f., 155, 161, 168, 196, 227f., 149, 259-263, 277, 288f., 318, 323, 346f., 354 Kersting, W. 108 Klotz, Ch. 13, 23, 33, 65, 80 Kodalle, K.-M. 139 Kojève, A. 209, 213 Kondylis, P. 159, 169 Kroner, R. 13, 165 Lakebrink, B. 180 Lauth, R. 12, 17, 24, 39, 41, 64, 161, 332 Locke, J. 318 Marquard, O. 1, 352 Marx, W. 186 Maus, I. 129 Menegoni, F. 277 Merle, J.-Ch. 108, 117, 120, 129 Michel, K. 10 Moldenhauer, E. 10 Mues, A. 23, 34 Neuhouser, F. 45, 110, 294, 310, 321 Novalis 4 Nusser, K.-H. 291 Ohst, M. 139 Patten, A. 318, 321 Peperzak, A. 13, 235, 239, 243, 246, 248, 259ff., 269, 276, 281, 310, 325
Philonenko, A. 23 Piché, C. 104 Pietrowicz, S. 352 Pippin, R. 223, 243 Platon 27, 240, 325 Plessner, H. 1, 352-357 Pöggeler, O. 186 Pothast, U. 3 Puntel, L.B. 187 Quante, M. 270, 277 Radrizzani, I. 4 Reinhold, K.L. 9, 15f., 26, 49, 81, 112, 194 Renaut, A. 110, 115, 129 Riedel, M. 265, 282, 288, 298, 306f., 346 Ritter, J. 10, 288 Römpp, G. 13, 213 Rosenfield, D. 13, 272 Rousseau, J.-J. 35, 140, 300, 320f. Roth, G. 2f. Sandkaulen, B. 27 Schäfer, R. 168, 236 Scheler, M. 83 Schelling, F.W.J. 9f., 19, 24-27, 153, 161, 188, 230 Schlegel, F. 4, 292 Schlösser, U. 70 Schmied-Kowarzik, W. 10 Schmid, C.C.E. 107 Schmidt, G. 228 Schnädelbach, H. 13, 267, 269, 273, 296, 304, 307, 312 Schrader, W. 39, 64, 130 Schulz, H. 9 Schurr, A. 9, 19, 105, 169 Schüssler, I. 19 Searle, J.R. 2, 4
Personenregister
Siep, L. 10, 12f., 119, 132, 155, 159, 201, 243, 270, 277, 285, 288, 292, 304, 310, 312, 318, 323 Sokrates 345 Soller, A. 52, 82, 106 Spinoza, B. 2f., 6, 9f., 51, 243 Stederoth, D. 252, 255, 262 Stolzenberg, J. 16, 23, 46 Ströker, E. 1, 352 Taylor, Ch. 346 Traub, H. 336 Theunissen, M. 225 Vaysse, J.-M. 56, 102
Verweyen, H. 108f. Vieillard-Baron, J.-L. 208 Weischedel, W. 50 Weisshuhn, F.A. 9 Widmann, J. 41, 89 Wieland, W. 24, 199 Wildfeuer, A.G. 16 Wildt, A. 10, 13, 288 Williams, R.R. 13, 115, 132, 221 Wood, A. 13, 273, 288 Zaczyk, R. 118 Zimmerli, W. 10, 159 Zöller, G. 120
369
Sachregister Abhängigkeit 178, 250, 256, 258, 300, 302, 354 Absicht 66, 101, 133f., 264, 281, 282n, 283f., 286f., 288n, 302, 307n, 309, 314-316, 322, 345, 347 Absolute, das 24, 27n, 32n, 34n, 69, 73f., 88, 90, 149, 153, 157, 161-174, 178, 180-182, 185, 187-195, 197n, 206, 229, 231, 235, 334, 337f., 343, 347f., 362 Abstraktion 16f., 20f., 25-27, 36ff., 41-46, 59, 68, 71, 73, 105, 109, 115n, 130, 132, 153f., 162, 167, 169f., 173, 178f., 184, 198, 215, 218, 227, 229n, 230, 235, 244, 269-271, 283f., 318f., 334 Akzidentalität 112, 176, 255, 279, 287, 294f., 343, 345 Andere, der 22, 122-124, 126f., 130f., 139, 142, 208, 213-216, 220-225, 230, 232, 234, 236, 273-279, 285, 302, 304, 309n, 319-322, 343, 362 Anerkennung 16n, 103n, 112n, 113, 121-128, 131, 133, 136138, 140-143, 145, 179n, 201n, 212-218, 220-226, 229-236, 243n, 256n, 258f., 264-266, 268, 271-275, 281, 290, 294n, 297, 300, 304, 306, 308, 313, 316, 319-321, 343-345, 353n, 359f., 362-364 Anschauung 70f., 219 intellektuelle 23-31, 33n, 37, 4145, 61, 63-65, 67-72, 76, 78, 84-87, 98, 102f., 164n, 170, 187n, 230, 340, 359, 361-363
sinnliche 22-26, 29f., 46, 52, 75, 86f., 92-94, 111, 114, 123, 239f. Anstoß 51-64, 66f., 73f., 79, 86, 89, 92, 104f., 107, 115, 146, 176178, 181, 186, 229, 233, 339, 354, 363 Anthropologie 191, 193f., 214n, 228, 230, 235-237, 352, 359, 361f. Arbeit 106, 110, 133f., 138, 141-143, 178, 218-221, 226n, 233, 275n, 301-303, 308, 317, 325f., 342 Assimilation 104, 106, 207, 209f., 355n Aufforderung 110, 113, 115-117, 119-123, 125, 133, 136-139, 231n, 232f., 290 Aufmerksamkeit 96, 240, 252, 263, 284, 300 Autonomie 5, 7, 57, 79f., 131, 146, 234, 364 Bedürfnis 93, 96, 153n, 159f., 163165, 177, 179-181, 217, 262, 267, 270f., 273, 277, 284, 298304, 309n, 314, 317, 325, 337f. Befehl 217-220, 232 Befriedigung 5, 93f., 96f., 99-101, 106, 125, 130, 160, 163f., 177, 179, 210-212, 217f., 220, 230, 232, 251f., 254, 256, 263f., 270f., 284f., 299-301, 303f., 315, 337f. Begierde 89f., 97, 101f., 209-215, 218-222, 224, 229-232, 234, 236, 251n, 263, 270n, 271, 300
Sachregister
Besitz 126n, 128, 271, 273, 275, 301, 320 Bestimmtheit 5, 55, 60, 66, 76f., 80, 82, 85f., 94, 99, 104-106, 111113, 115, 120, 155n, 157, 170, 176f., 182, 184, 189, 191, 193196, 198, 201, 205, 210, 219f., 222, 226, 228, 237-241, 244250, 253, 259f., 261, 264n, 267, 269-271, 274, 276, 278, 280293, 310, 314, 318f., 326, 346f., 355 Bildung 134f., 139-142, 145, 159162, 192, 217, 219, 221, 231, 233, 269, 297f., 302-304, 307, 310, 312, 326 Böse, das 80, 103f., 281, 290-293, 327n, 345, 361 Bürger 128n, 130f., 132n, 143f., 146, 299, 304, 307-310, 313, 315, 321, 327 Dialektik 161n, 168n, 189, 199n, 205n, 208n, 236n, 244n, 292, 359f., 362-364 Ding an sich 10, 16f., 19, 24, 34, 52f., 55, 81, 153f., 158, 335f., 364 Deduktion 20, 27, 32, 36f., 39f., 48, 50, 54, 61, 69, 75, 81, 84, 8791, 95, 108f., 112n, 117n, 120, 123f., 144, 151, 154, 156-158, 168-171, 175-177, 180, 189, 231n, 339 Determination 1-7, 82, 228, 256, 333 Dienen 216-221 Dogmatismus 6n, 10n, 16-19, 23, 52n, 103, 153, 155, 165f., 169, 182, 188n, 324, 332-336, 347f. Eigentum 126, 128f., 140, 143, 270-281, 286f., 296, 301, 304, 306f., 315, 318-322 Einbildungskraft 49, 53, 85, 94, 112, 240
371
Empfindung 52f., 55, 93, 240f., 244, 246, 248, 255 Entäußerung 188f., 206, 274, 281, 320 Entfremdung 159, 355 Entscheidung 1, 3n, 7, 16-18, 31, 35f., 38, 60, 64, 78n, 80, 103, 115f., 127, 129, 218, 245, 248, 252, 255, 261, 263f., 275-277, 289-291, 312, 323, 326, 332, 334, 339, 346 Entschluss 76, 79, 89f., 97, 245, 251-254, 257f. Ephorat 129, 131, 144 Erinnerung 239n, 240f. Erscheinung 41, 77, 103n, 117, 120, 125, 133, 135, 154, 158, 161175, 178, 185, 187-189, 192, 194-200, 203, 205, 210n, 211, 213, 227, 229-231, 239, 241, 268, 278, 298, 308, 334-337 Erziehung 115n, 119, 136, 145, 231n, 233, 297, 307, 313f., 325n Expressivität 346n, 354 Faktizität 89, 114, 153, 156, 158, 165f., 332 Familie 142, 296-298, 307-314, 317, 325, 344, 346, 348 Fortpflanzung (Begattung) 207f., 224 Freiheit, absolute 17f., 32, 47, 61, 65, 76, 104, 111, 116, 163, 164n, 180-182, 185, 191-193, 259, 328f., 341f., 344-346, 350 Freiheit, negative (formale) 5, 16f., 90, 97f., 109, 125f., 130-133, 136, 146, 178f., 193, 230, 234, 280, 318, 321, 334, 355 Freiheit, objektive 294, 311-318, 325, 327-329, 344-346 Freiheit, positive (materiale) 5, 17f., 90, 98-100, 109, 136, 234, 280, 334, 350
372 Freiheit, subjektive 266, 278n, 284286, 294f., 298, 303-306, 310, 314, 316-318, 324f., 327-329, 341f. 344f., 348, 350-352 Freiheitsvermögen 65n, 77-80, 84, 90, 92n, 98, 105f., 130 Freiheit, theoretische 4 Freiheit, ästhetische 4 Freiheitsbewusstsein 1, 3, 38, 334, 335n, 337, 351 Fremdbestimmung (Heteronomie) 55, 57, 99, 104, 114, 134, 177, 193, 228 Furcht 218-221, 226n Fürst 312 Gefühl 2n, 38, 60-64, 67, 86, 88n, 89, 92-94, 96, 102f., 175, 194, 204, 207, 209-215, 220, 230, 239n, 240, 248-255, 258, 262f., 295-299, 313-317, 325, 339, 344 Geist, absoluter 190-192, 235, 237, 238n, 247, 257, 267, 328f., 342f., 346, 348, 354n Geist, objektiver 13, 191-193, 225n, 235, 237, 242, 247, 258, 261, 263-275, 278, 280, 294, 310n, 316f., 329, 344, 348, 350f. Geist, subjektiver 13, 193, 226, 235-248, 256, 258, 262f., 266f., 271, 274n, 278, 280, 294, 298, 316f., 329, 359f., 364 Gehorsam 217 Genuss 97, 99, 218, 220, 247, 252258, 261-264, 267, 292n, 303, 325 Gelehrte, der 143-147 Gericht 128f., 306 Geschichte 136, 158, 189, 190n, 227, 229n, 231, 328f., 337, 350-354, 359f.
Sachregister
Geschicklichkeit 134f., 140f., 147n, 301-303, 307f., 325f. Gesellschaft 1, 14, 67, 103n, 110, 122-124, 130, 133, 135, 139147, 249n, 273-275, 284, 296314, 317f., 321, 324-327, 338, 340f., 344, 346-348, 352, 359, 364 Gesinnung 82, 83n, 108f., 128, 281n, 289, 291n, 292, 310, 314, 324, 341 Gewalt 65, 97, 127-131, 143f., 184, 219, 277, 311f., 316n, 326 judikative 129, 143, 312, 326 legislative 129, 143, 146, 312f. exekutive 129, 143, 312, 326 Gewissen 88, 90, 102-106, 110, 133, 137, 139, 143, 145, 234, 265, 277, 281n, 287-295, 312, 314, 323-325, 340, 345, 362 Gewohnheit 194f., 303, 316n, Glaube 17, 39n, 45n, 64, 103, 127, 139, 163n, 164n, 167, 212, 295, 334-339, 347, 349, 351, 353, 356 Glückseligkeit 82f., 97f., 102, 106, 134, 248, 254-258, 261-264, 284-286, 299, 303f., 314, 317, 325-327, 344 Gott 23, 39n, 51n, 63, 64n, 102, 139, 152, 187-191, 311, 337-339 Gute, das 278n, 281, 286-294, 304, 309, 314, 322-327 Herrschaft 131, 221n, 231n, 233 Individuum (Individualität) 16, 33n, 35, 37, 39f., 116, 118n, 119n, 121-131, 132n, 135-147, 184, 206-208, 232, 248, 269-271, 284, 289f., 294, 299, 302-310, 315, 319, 324, 326f., 341, 345n, 354 Ich, absolutes 18, 25, 27, 37-39, 44, 48, 51f., 54-63, 65, 68, 70f., 7479, 83, 88, 99, 104f., 108, 110,
Sachregister
146, 157, 166-172, 175-179, 229n, 334, 363 Idealismus 1, 3f., 6f., 9, 13, 15-19, 23-27, 31, 33f., 36, 38, 41f., 53, 64, 80n, 149, 151-155, 158, 165-167, 180, 186, 188n, 197f., 332f., 336f., 346, 359-363 Idee, absolute 57-59, 61, 65, 66n, 77f., 90, 93, 105, 108, 149f., 178f., 186, 188-195, 206, 257f., 287, 360 Immanenz 4, 29, 34, 38, 52f., 64, 74, 103f., 161, 164, 166f., 172, 178f., 181f., 184, 188, 195, 204, 208, 210, 216, 218, 227, 231, 234n, 237, 240, 245, 248, 266, 293, 340, 350, 354 Institutionen 123, 129, 131, 135, 143-146, 233, 276, 286, 295, 296n, 306-312, 315, 316n, 324f., 326n, 341 Intelligenz 51, 54, 70, 72, 75, 92, 102, 110n, 122, 149, 176, 177n, 239-246, 252, 255f., 295, 339 Intentionalität 20n, 21, 30, 45n, 195, 202, 218, 244, 297, 339, 346, 353 Interesse 2f., 16-18, 82, 110n, 160, 164, 234, 252f., 255, 284, 290, 297, 299, 303, 308, 313, 315, 316n, 326, 332, 334-336, 358 Intersubjektivität 88, 115n, 118n, 122n, 215, 225, 232, 234, 273, 289f., 360f. Kampf 214-218, 222, 228, 231f., 311 Kategorischer Imperativ 58-60, 62, 66n, 90, 102, 106, 262n, 288f., 323 Kausalität 1-8, 31, 33, 37, 54-56, 58, 66, 71-73, 77, 82, 84, 86, 92, 101n, 103-105, 113, 177179, 282, 311, 333-337, 339, 347, 350f.
373
Kirche 103n, 139, 143, 145 Knechtschaft 216-221, 232-234, 301 Konstitution (Verfassung) 129f., 306n, 310-315, 327f. Kontingenz 200, 281, 285, 302, 305308, 315 Korporation 304n, 306-308, 309n, 311, 313, 326 Kultur 133-147, 317, 324f., 340f., 352f. Leben 24, 31, 33-35, 38, 39n, 40, 64, 80n, 123, 132, 144, 151, 157165, 177-179, 182n, 185, 195, 200n, 205-225, 230-232, 236, 251, 272, 294, 297f., 303, 306f., 309f., 313-315, 326n, 332-338, 341, 345n, 351f., 355, 357 Leib (Körper) 2, 95, 102, 106, 116n, 120n, 125-128, 130, 133-140, 194f., 206, 214-217, 219, 221f., 224, 231f., 257, 262f., 268, 272, 319f., 340, 346 Liebe 207n, 296 Lust 96f., 101, 249n, 252n Macht 51, 53-55, 95, 97, 99, 104f., 125, 127-129, 134f., 145f., 162, 184, 208, 216, 220, 231n, 232, 236, 263, 268, 295n, 305, 311f., 353, 354n Manifestation 161f., 183-191, 196, 199, 205f., 208, 214f., 217, 222224, 226, 237f., 246, 268, 270, 274f., 303, 309, 311, 316, 319f., 324, 327-329, 337f., 342-348, 351f., 354-357 Moralität (Moral) 12, 33, 40, 79, 102f., 107-110, 115n, 132, 135137, 139, 144n, 146f., 264n, 267n, 269, 276-281, 284, 286288, 291-293, 299, 301, 304, 309, 317f., 321f., 324-328, 341, 348, 352, 364 Natur (Natürlichkeit) 2-6, 10, 31f., 40, 82f., 92-102, 105, 107, 120,
374 125, 130, 136f., 140-142, 187195, 206f., 208n, 215, 219f., 226f., 230f., 235f., 244, 258, 295, 300f., 325n, 328, 333, 337f., 342f., 346n, 348, 350356, 363f. Naturgesetz 32, 40, 78, 82, 94, 126, 134, 140, 199-201, 204f., 239n Naturrecht 40, 107, 108n, 116n, 119 Naturtriebe 75, 82, 88-90, 94-102, 105-107, 113, 116n, 125, 130, 133f., 137, 139, 146, 230n, 261, 263f., 284, 325, 340, 346n Neigung 16f., 134, 142n, 250, 252254, 284, 296, 326 Normen 5, 224f., 342, 344f., 351, 359 Notstaat 143, 325, 327 Notwendigkeit 6-8, 15, 18, 35f., 39, 49, 79, 127-129, 131, 146, 149, 180n, 184, 187, 241, 268, 279, 287, 294f., 299, 301f., 306, 308f., 325, 328, 341f., 344f., 347f., 354 Öffentlichkeit 145, 297n Organismus 95, 105, 129f., 133, 140, 147, 206f., 210, 272, 311313, 346n, 352 Patriotismus 314 Person 122, 125-131, 136, 138, 140, 145f., 184, 257, 269-279, 285n, 286, 295-297, 306, 309n, 312f., 315, 318f., 322, 341, 359 Pflicht 102f., 106, 122, 124f., 137, 143, 145, 208, 249, 259, 268f., 271-273, 276f., 280, 282f., 288295, 304n, 309, 310n, 314f., 322-324, 326 Phänomenologie 14, 88, 90, 95, 100, 104, 191, 193-195, 205n, 221, 226-228, 231n, 235f., 242n, 259-263, 265f., 273, 296,
Sachregister
316, 319, 321, 334, 338, 344, 360, 362-364 Polizei 128, 131, 298, 304n, 306f., 309n, 312, 326f. Psychologie 14, 151, 191, 193, 235238, 243, 246, 265f., 271n, 273, 278, 317, 344, 361 Rationalität 2, 5f., 8, 18, 324, 328, 333, 338, 342, 347, 353, 356 Realismus 6n, 7, 16, 152f., 155, 165f., 186, 188n, 197, 333, 336f., 363 Recht 12-14, 40, 49, 67, 107-113, 115n, 120, 123-133, 135-137, 140f., 143-147, 193, 225n, 233f., 243, 249, 258f., 260n, 263n, 265-287, 289, 291, 293, 296, 299, 301, 304-312, 314, 317-328, 341, 347n, 360-364 Rechtsgesetze (positive) 108, 124, 127-129, 233, 305, 329 Reflexionsgesetz 36, 38f., 118n, Regierung 144, 312, 326n Religion 9, 40, 80, 83n, 139, 160, 191f., 328, 338, 353, 359 Richter 123, 127-129, 145, 276f., 306, 321, 326 Schutz 127-131, 140, 143, 304f., 307n, 315, 321 Seele 2, 17, 152, 190, 194f., 206, 214n, 235f., 240, 291n, 355 Sehnen 86, 89f., 93-98, 101, 113, 159, 262f., 291n, 355 Selbstbestimmung 5f., 8, 55, 60, 66, 76, 86, 95, 99f., 104, 106, 114f., 120, 139, 164, 176, 178, 182, 184, 189-194, 200, 206, 220, 226, 228f., 232-237, 239n, 240267, 270n, 277-279, 283-286, 295-299, 310f., 314, 327, 344f., 352, 362 Selbstständigkeit 17, 19n, 50, 72, 102, 106, 108f., 133, 135, 138,
Sachregister
159, 164n, 176, 179n, 180, 197, 200, 211, 216-229, 232, 234, 242n, 245, 260, 266, 292, 297n, 298f., 350 Selbsttätigkeit 24, 29, 44, 69, 73, 75, 77f., 85, 88n, 99, 101, 118n, 119n, 135-138, 140, 142, 317f., 325, 340f., 350 Selbstverhältnis 31, 45n, 46f., 182f., 204-207, 225, 237, 255, 279, 336, 338, 343 Sicherheit 127f., 130, 132n, 234, 277, 316n Sinnenwelt 33n, 49, 68n, 81-83, 86f., 91-95, 99f., 102, 106-118, 125f., 129-131, 133-135, 139141, 146, 233, 247, 267, 315, 317, 319, 323f. Sinnlichkeit 23f., 53, 122f., 127, 135, 160, 204, 321 Sitten 297, 309-311, 314f., 345 Sittengesetz 17, 24, 38, 57, 62, 6469, 75, 78-84, 89f., 92, 95, 98f., 102f., 106-109, 110n, 130-133, 138-141, 142n, 289, 334, 350, 353, 354n Sittlichkeit 81f., 100n, 138, 225n, 234n, 246n, 265, 269, 278n, 279n, 281n, 287, 291, 293-297, 304, 313f., 317f., 324-328, 344f., 348, 351, 364 Sollen, das 59f., 90, 102, 108, 246f., 250, 256, 262, 267f., 278, 284, 286f., 293, 309f., 322, 326, 362 eudämonistisches 247, 249, 256, 262, 267, 278, 281, 286f., 291, 326 moralisches 247, 249, 256, 259, 262, 270, 278, 280, 283, 287f., 291, 310, 322, 326 sittliches 247, 259, 267, 279, 281n, 291, 326 Staat 14, 108n, 110, 128-133, 139, 142-146, 232n, 281n, 282n, 296, 298f., 306n, 308-310, 318,
375
321, 324-328, 341, 344, 345n, 346, 347n, 348, 351, 359 Stände, gesellschaftliche 130, 141f., 144f., 147, 303f., 308, 309n, 310, 312-314, 326, 327n Standpunkt, empirischer 35, 37-40, 64, 95, 119, 151, 157, 179, 227 Standpunkt, spekulativer 35, 37-40, 119, 151, 169, 179, 186, 227, 338, 341, 349-356 Strafe 127., 132n, 269, 276f., 279, 282n, 306, 322, 362 Streben 49f., 54-80, 88-90, 94, 99, 104-106, 108, 146, 158f., 176f., 209, 229-231, 261, 317, 337339, 341, 350, 353 Substantialität 2f., 28, 51n, 68f., 75, 112, 143, 176, 178, 179n, 206, 221n, 224n, 241, 244, 279, 287, 294f., 309 System 8-12, 15, 17-19, 25, 31, 32n, 36, 38-40, 42, 50, 149f., 153, 156, 160, 163, 168, 177n, 180f., 185, 187, 192f., 251, 254f., 257, 259, 262, 293f., 299, 301f., 309n, 317, 331-336, 347-349, 359-364 Tathandlung 25f., 32f., 41, 45, 61, 68 Tätigkeit, objektive 42-44, 46, 49, 51f., 55-61, 65, 87 Tätigkeit, reine 25, 28, 43-46, 49, 51-53, 55-62, 64-66, 70-72, 74f., 78, 81, 86f., 98, 104, 166, 212 Tier 93, 96f., 125, 209, 211, 252 Tod 24, 31, 207f., 214f., 218, 231 Transzendenz 6, 25, 27n, 71, 328, 343, 349 Trieb 73-77, 88-90, 92-96, 98, 113, 207, 229, 251f., 261, 264, 270n, 359-361, 364 reiner 89f., 98-102, 105-107, 137, 139, 146
376 sittlicher 90, 100-103, 106f., 146, 261, 264 Unbestimmtheit 45, 55, 60, 65f., 72, 76-80, 84-86, 96, 98-101, 104-106, 112, 115, 132, 212, 219f., 226n, 230, 244f., 252f., 259f., 262-264, 285, 293, 314, 318, 324, 361 Ungleichheit 57n, 140f. Unrecht 123-128, 131f., 143, 275280, 285f., 293, 321-324 Unterwerfung 127, 130, 134, 143, 214, 220, 224, 266, 299, 311, 321 Urrechte 126f., 319 Urtrieb 89f., 92-94, 96, 98, 100, 102, 105, 261 Verbrechen 276n, 277, 286, 306, 307n Vernunft 3-8, 17, 24, 36, 39, 48n, 64, 82, 97, 102, 109n, 117n, 120, 122n, 123f., 127, 136f., 147, 160, 163f., 180, 194f., 198, 204, 205n, 214, 221-226, 231n, 234-240, 248, 249n, 255f., 262, 264, 266, 274-277, 294n, 297, 302, 316, 321, 328, 333, 335, 339, 342-344, 347, 353f., 359-361, 363f. Verstand 2n, 20, 23, 25, 49, 93, 108n, 162f., 198ff., 204, 239n, 240f., 248 Vertrag 126-130, 140, 143, 272n, 274-276, 279f., 301, 306, 320f. Volksgeist 311, 327f. Vorsatz 281-284, 322 Wahrnehmung 22n, 92n, 114, 118, 198f., 319 Wechselwirkung 37, 49, 63, 68n, 76, 78n, 79, 112n, 122, 179, 221, 242n, 311n Weltgeist 327f.
Sachregister
Weltgeschichte 190n, 327f., 329, 346, 359 Widerspruch 19, 51-54, 66, 78, 101, 107f., 112-115, 118, 131f., 146, 159, 172f., 179n, 180, 194, 196f., 201-204, 207, 211, 214f., 221, 223f., 227f., 231n, 233, 245, 254, 260, 264n, 267, 323, 348 Wille (Wollen) 2, 4f., 7, 21-23, 30, 33n, 67-73, 80-88, 91-94, 108n, 113-120, 124f., 127-129, 133135, 143-146, 191, 193, 214, 217f., 220f., 224, 226, 229, 233f., 239, 241-295, 298-300, 302, 306f., 310, 313f., 317-324, 327, 334-336, 339, 344, 348350, 356 Willkür (Wahlfreiheit) 7n, 27, 78n, 80, 94, 98, 105, 130, 136, 248, 251n, 253-255, 260-266, 270280, 284, 286, 290, 292-295, 298f., 301, 303-306, 314, 317326, 334, 337, 344, 355 Wirksamkeit 33n, 86f., 91, 95, 99f., 109-121, 125, 133, 136, 233, 319n, 323 Wissenschaft 1, 3, 15, 35, 38-40, 119, 144n, 145, 149, 157, 159, 186f., 189, 302, 335 Wohl 143, 281, 284-287, 290f., 299, 303-309, 315, 317, 322f., 325, 327 Zeit 87, 91, 106, 111-119, 121, 136, 145, 187f., 320, 357 Zwang 6, 18, 47, 79f., 102, 103n, 127f., 143, 146, 233f., 277, 322 Zweck 5, 20n, 21f., 30, 60-62, 66f., 74, 85, 87, 91-102, 106, 110f., 121, 125-127, 132-146, 160, 167, 198, 206, 217, 219f., 224, 226, 232-235, 241-272, 281289, 293-295, 298f., 303-308, 312, 319, 324-327, 331, 338, 341, 344, 350f., 355