Das Problem der Handlungsverursachung: Eine kritische Untersuchung zur kausalen Handlungstheorie 3110327333, 9783110327335

Die vorliegende Untersuchung ist eine Auseinandersetzung mit der kausalen Handlungstheorie. Der These, dass Handlungen e

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German Pages 343 [336] Year 2014

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Table of contents :
Einleitung
1. Teil: Begrifflich-methodische Vorüberlegungen
1 Anforderungen an eine Handlungstheorie
2 Vorbemerkungen zur Kausalität, Intentionalität und mentalen Verursachung
2. Teil: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie
3 Typologie der kausalen Handlungstheorien
4 Akteurskausalität
4.1 Kausalität durch Freiheit
4.2 Die Theorie-Theorie der Akteurskausalität
4.3 Die Emergenztheorie der Akteurskausalität
4.4 Zusammenfassung
5 Ereigniskausale Handlungstheorien
5.1 Die Grundidee der ereigniskausalen Handlungstheorie
5.2 Gründe als Ursachen
5.2.1 Das Problem der abweichenden Kausalketten
5.2.2 Gründe und Absichten – Die Identitätsthese
5.3 Die Frage nach der Alltagstauglichkeit
6 Gründe – Absichten – Handlungen: Die These vom dritten Element
6.1 Absichten als unmittelbare Handlungsursachen
6.2 Willensakte
6.3 Zusammenfassung: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie
3. Teil: Mentale Verursachung in der Philosophie des Geistes
7 Mentale Verursachung und nicht reduktiverNaturalismus
7.1 Anomaler Monismus
7.2 Supervenienztheorien
7.2.1 Reduktion und Supervenienz
7.2.2 Schwache, globale und starke Supervenienz
7.2.3 Mentale Verursachung und Supervenienz: Kims Dilemma
7.2.4 Der Vorwurf des Epiphänomenalismus supervenienter Eigenschaften
7.3 Emergenztheorie
7.3.1 Emergenztheoretische Positionen
7.3.2 Erkenntnistheoretische Positionen 1a und 1b
7.3.3 Ontologische Positionen 3a und 3b
8 Naturalisierungsprogramme
8.1 Libets Experiment
8.2 Der eliminative Materialismus
8.2.1 Churchlands Theorieverständnis
8.2.2 Churchlands Auffassung von intertheoretischer Reduktion
8.2.3 Theorie-Theorie, Mythos des Gegebenen und intertheoretische Reduktion
8.3 Funktionalistische Theorien des Geistes
8.3.1 Naturalistischer Funktionalismus
8.3.2 Der repräsentationale Funktionalismus Dretskes
8.3.2.1 Repräsentationale Systeme
8.3.2.2 Bewusstsein
8.3.2.3 Das Problem der Bestimmung des repräsentationalen Gehalts
8.3.2.4 Dretskes Handlungstheorie
9 Zusammenfassung: Die Unhaltbarkeit von nicht-reduktivem und reduktivem Naturalismus
4. Teil: Der Status von Handlunge
10 Einleitung
11 Handeln und Handlungen
12 Handlung, Person, Lebensform
12.1 Handlung im Sprachspiel der Personalität
12.2 Teleologische Handlungstheorie
12.3 Personalität und Handlung
12.4 Die praktische Lebensform als Grund des Handelns
12.5 Handlungen als Bestandteil der personalen Lebensform
13 Vorteile eines prädikativenHandlungsbegriffs
Naturalistischer Monismus: Nein – Monismus: Ja
Literaturverzeichnis
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Das Problem der Handlungsverursachung: Eine kritische Untersuchung zur kausalen Handlungstheorie
 3110327333, 9783110327335

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Katinka Schulte-Ostermann Das Problem der Handlungsverursachung Eine kritische Untersuchung zur kausalen Handlungstheorie

PRACTICAL PHILOSOPHY Herausgegeben von / Edited by Herlinde Pauer-Studer • Neil Roughley Peter Schaber • Ralf Stoecker Band 14 / Volume 14 The aim of the series is to publish high-quality work that deals with questions in practical philosophy from a broadly analytic perspective. These include questions in meta-ethics, normative ethics and "applied" ethics, as well as in political philosophy, philosophy of law and the philosophy of action. Through the publication of work in both German and English the series aims to facilitate discussion between English- and Germanspeaking practical philosophers.

Katinka Schulte-Ostermann

Das Problem der Handlungsverursachung Eine kritische Untersuchung zur kausalen Handlungstheorie

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Danksagung und Widmung Mein Dank geht an Herrn Professor Dr. Dieter Sturma für seine sorgfältige und engagierte Betreuung der Arbeit. Ebenso danke ich Herrn Privatdozenten Dr. Dietmar Hübner, dessen Anregungen mir während des Entstehungsprozesses der Arbeit eine große Hilfe waren. Auch möchte ich meinen Dank denen aussprechen, die mit mir einzelne Teile und Thesen meiner Arbeit diskutiert haben. Insbesondere richtet er sich an: Professor Dr. Nikos Psarros, Francesca Raimondi, Ulrich Steckmann, Dr. Alexander Bagattini und Daniel Friedrich. Schließlich danke ich meinen Schwestern Juleka und Franziska SchulteOstermann für die orthographische und grammatikalische Korrektur des Manuskripts. Ich widme diese Buch meinen Eltern Ute und Andreas Schulte-Ostermann Hamburg 07.01.2011 Katinka Schulte-Ostermann

Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................7
 1. Teil: Begrifflich-methodische Vorüberlegungen ...............................11
 1 Anforderungen an eine Handlungstheorie ...........................................13
 2 Vorbemerkungen zur Kausalität, Intentionalität und mentalen Verursachung ..........................................................................................23
 2. Teil: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie......31
 3 Typologie der kausalen Handlungstheorien.........................................33
 4 Akteurskausalität..................................................................................37
 4.1 Kausalität durch Freiheit................................................................44
 4.2 Die Theorie-Theorie der Akteurskausalität ...................................50
 4.3 Die Emergenztheorie der Akteurskausalität ..................................53
 4.4 Zusammenfassung..........................................................................59
 5 Ereigniskausale Handlungstheorien .....................................................63
 5.1 Die Grundidee der ereigniskausalen Handlungstheorie.................64
 5.2 Gründe als Ursachen ......................................................................65
 5.2.1 Das Problem der abweichenden Kausalketten.........................65
 5.2.2 Gründe und Absichten – Die Identitätsthese ...........................74
 5.3 Die Frage nach der Alltagstauglichkeit..........................................82
 6 Gründe – Absichten – Handlungen: Die These vom dritten Element..87
 6.1 Absichten als unmittelbare Handlungsursachen ............................88
 6.2 Willensakte ....................................................................................96
 6.3 Zusammenfassung: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie ...............................................................................104
 3. Teil: Mentale Verursachung in der Philosophie des Geistes..........107
 7 Mentale Verursachung und nicht-reduktiver Naturalismus ...............109
 7.1 Anomaler Monismus....................................................................112
 7.2 Supervenienztheorien...................................................................119
 7.2.1 Reduktion und Supervenienz .................................................125
 7.2.2 Schwache, globale und starke Supervenienz .........................129
 7.2.3 Mentale Verursachung und Supervenienz: Kims Dilemma ..137


7.2.4 Der Vorwurf des Epiphänomenalismus supervenienter Eigenschaften ................................................................................. 139
 7.3 Emergenztheorie.......................................................................... 141
 7.3.1 Emergenztheoretische Positionen ......................................... 145
 7.3.2 Erkenntnistheoretische Positionen 1a und 1b ....................... 148
 7.3.3 Ontologische Positionen 3a und 3b....................................... 152
 8 Naturalisierungsprogramme .............................................................. 159
 8.1 Libets Experiment ....................................................................... 160
 8.2 Der eliminative Materialismus .................................................... 163
 8.2.1 Churchlands Theorieverständnis ........................................... 164
 8.2.2 Churchlands Auffassung von intertheoretischer Reduktion . 170
 8.2.3 Theorie-Theorie, Mythos des Gegebenen und intertheoretische Reduktion ....................................................................................... 173
 8.3 Funktionalistische Theorien des Geistes ..................................... 179
 8.3.1 Naturalistischer Funktionalismus.......................................... 181
 8.3.2 Der repräsentationale Funktionalismus Dretskes.................. 188
 8.3.2.1 Repräsentationale Systeme ............................................. 189
 8.3.2.2 Bewusstsein..................................................................... 200
 8.3.2.3 Das Problem der Bestimmung des repräsentationalen Gehalts ........................................................................................ 204
 8.3.2.4 Dretskes Handlungstheorie ............................................. 208
 9 Zusammenfassung: Die Unhaltbarkeit von nicht-reduktivem und reduktivem Naturalismus...................................................................... 217
 4. Teil: Der Status von Handlunge ....................................................... 219
 10 Einleitung......................................................................................... 221
 11 Handeln und Handlungen ................................................................ 223
 12 Handlung, Person, Lebensform ....................................................... 233
 12.1 Handlung im Sprachspiel der Personalität ................................ 234
 12.2 Teleologische Handlungstheorie ............................................... 245
 12.3 Personalität und Handlung ........................................................ 261
 12.4 Die praktische Lebensform als Grund des Handelns ................ 265
 12.5 Handlungen als Bestandteil der personalen Lebensform .......... 279
 13 Vorteile eines prädikativen Handlungsbegriffs ............................... 297


Naturalistischer Monismus: Nein – Monismus: Ja ...............................305
 Literaturverzeichnis............................................................................311


7

Einleitung Der Mensch ist ein handelndes Wesen. Handeln und Handlungsfähigkeit sind ebenso untrennbar mit der Vorstellung einer selbstverantwortlichen Lebensführung verbunden, wie mit der Praxis moralischer und rechtlicher Verantwortungszuschreibung und Bewertung. Sofern der Mensch also Gegenstand philosophischer Auseinandersetzungen ist, muss das Handeln Gegenstand dieser Auseinandersetzungen sein. Unterscheidet man zwischen dem Menschen als einem rein biologischen und dem Menschen als einem kulturellen, reflektierenden und selbstbewussten Wesen, dann wird es notwendig, diese Unterscheidung sprachlich auszudrücken. Das Wort „Mensch“ bezeichnet in diesem Kontext in der Regel den biologischen Menschen, während der Ausdruck „Person“ Wesen vorbehalten bleibt, die Kulturleistungen erbringen, reflektionsbegabt und selbstbewusst sind, unabhängig davon, wie sie sonst in die Natur eingegliedert sind. Diese Unterscheidung zwischen Mensch und Person führt zu einer Veränderung der Ursprungsthese. Personen gelten als handelnde Wesen und sofern der Mensch Person ist, ist er ein handelndes Wesen. Nicht ausgeschlossen wird damit a), dass es auch andere handelnde Wesen neben dem Menschen gibt und b), dass es Menschen gibt, die keine handelnden Wesen sind. Durch diese Veränderung gewinnt die Frage, was genau ein handelndes Wesen von einem nicht handelnden Wesen unterscheidet, an Bedeutung. Wird die Frage so beantwortet, dass ein handelndes Wesen dadurch von einem nicht handelnden Wesen unterschieden wird, dass es handelt, dann muss die Frage gestellt werden, was es ist, das etwas als eine Handlung auszeichnet. Die vorliegende Arbeit ist eine kritische Auseinandersetzung mit einem Theorietyp, der eine Antwort auf die Frage sucht, was eine Handlung von einer Nichthandlung unterscheidet. Theorien diesen Typs verteidigen die These, dass die Antwort auf diese Frage in dem kausalen Nexus, in den Handlungen eingebunden sind, gefunden werden kann. Handlungen, zeichnen sich diesen Theorien zufolge dadurch aus, dass ihnen ein ganz bestimmter Ursachentyp zugrunde liegt. Die zentrale kritische These der Arbeit besteht darin, dass Handlungstheorien, die den Begriff der Handlung innerhalb eines naturalistischen

8 Weltbildes darüber bestimmen, dass Handlungen ein ganz bestimmter Typ von Ursache zugrunde liegt, nicht aufrecht erhalten werden können. Dieser kritischen These wird die Auffassung gegenübergestellt, dass ein Handlungsbegriff, der den praktischen Lebensvollzügen von Personen gerecht werden soll, lediglich im Rahmen des Sprachspiels der Personalität gefunden werden kann, das selbst wieder dem Sprachspiel der Naturwissenschaften zugrunde liegt und daher nicht auf dieses reduzierbar ist. Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit allgemeinen methodischen und begrifflichen Vorüberlegungen. Zum einen geht es dabei um die Frage, welche Anforderungen an eine kausale Handlungstheorie gestellt werden und gestellt werden sollten. Zum anderen gilt es festzustellen, welcher Begriff der Kausalität einer kausalen Handlungstheorie zugrunde gelegt werden kann, und was unter intentionalen Zuständen und mentaler Verursachung zu verstehen ist. Im zweiten Teil der Arbeit werden anhand konkreter Theorieentwürfe, die wesentlichen Positionen innerhalb der kausalen Handlungstheorie vorgestellt und kritisiert. Die Kritik besteht im Wesentlichen darin, dass gezeigt wird, dass diese Theorien zum einen das Phänomen der Handlung, wie sie es in ihren eigenen Beispielen zugrunde legen, nicht vollständig erfassen können, zum anderen aber auf eine Lösung des Problems der mentalen Verursachung angewiesen sind, die im Rahmen der kausalen Handlungstheorien nicht erbracht wird. Der zweite Hauptteil ist in zwei größere Abschnitte untergliedert. Im Ersten erfolgt die Auseinandersetzung mit den Positionen der Akteurskausalität, die als insgesamt nicht haltbar angesehen werden, da sie entweder auf eine Art der Ereignisverursachung von Handlungen zurückgreifen müssen oder von einer metaphysisch fragwürdigen Substanzkausalität ausgehen. Der zweite Abschnitt befasst sich demgegenüber mit Positionen, die Handlungen darüber bestimmen, dass sie, anders als andere Ereignisse, von mentalen Ereignissen, wie etwa Absichten oder Handlungsgründen, verursacht werden. Da diese Ansätze das Problem der mentalen Verursachung nicht lösen, werden im dritten Hauptteil der Arbeit die Ansätze aus der Philosophie des Geistes untersucht, die sich mit dem Problem der mentalen Verursachung befassen. Es wird zunächst gezeigt, dass die nichtreduktionistischen Positionen des anomalen Monismus, der

9 Supervenienztheorie und der Emergenztheorie, die von Vertretern der Handlungstheorie als Lösungsansätze zum Problem der mentalen Verursachung angeführt werden, dieses Problem nicht lösen, sondern nur in seiner ganzen Schärfe zum Ausdruck bringen. Im Anschluss wird dann gezeigt, dass auch reduktionistische Theorien wie der eliminative Materialismus oder die reduktionistisch-funktionalistischen Ansätze keine Lösung des Problems der mentalen Verursachung anbieten können, da es ihnen nicht gelingt, eine reduktionistische Theorie des Mentalen anzubieten, die nach dem Versagen der nicht-reduktionistschen Theorien zu einer Voraussetzung für die Lösung des Problems der mentalen Verursachung wird. Der dritte Hauptteil der Arbeit endet daher mit dem Ergebnis, dass kausale Handlungstheorien, wie sie heute die analytische Philosophie der Handlung dominieren, keinen Handlungsbegriff entwickeln, der ein anwendbares Kriterium zur Unterscheidung von Handlungen und Nichthandlungen zur Verfügung stellt, da die mentale Verursachung zwar behauptet wird, das Vorliegen einer solchen Verursachungsbeziehung aber nicht nachprüfbar ist. Hinzu kommt die weitere Schwierigkeit, dass in der kausalen Handlungstheorie ein umfassender Begriff der Handlung angestrebt wird, der geeignet ist, die Komplexität der verschiedenen Handlungsvollzüge innerhalb des personalen Lebens zu erfassen, dass jedoch dieser Anspruch bei fast allen Autoren, in dem Versuch die Beziehung zwischen mentalen Zuständen und Körperbewegungen zu klären, aus dem Blick verloren wird. Im vierten Hauptteil der Arbeit werden alternative Theorieentwürfe diskutiert. Zunächst werden Theorien in den Blick genommen, die sich an die Vorgaben der kausalen Handlungstheorie halten, indem sie Handlungen über den Zusammenhang zwischen mentalen Ereignissen und Körperbewegungen bestimmen, ohne jedoch diesen Zusammenhang als einen kausalen zu charakterisieren. Es wird gezeigt, dass diese Ansätze entweder zu dem Ergebnis kommen, dass der Begriff der Handlung leer ist, da es Handlungen als eigene ontische Klasse einer allgemeinen Ontologie nicht gibt, oder dass sie einen Begriff der Handlung entwickeln, der noch weniger als die klassischen kausalen Handlungstheorien das Ausgangsphänomen erfasst, da sie den Begriff der Handlung für Ereignisoder Zustandstypen reservieren, die mit dem Phänomen der Handlungen zwar etwas zu tun haben, die aber nicht im Sinn der Ausgangsfrage als

10 Handlungen bezeichnet werden können. Im Anschluss werden Theorien diskutiert, die sich explizit von den Vorgaben der kausalen Handlungstheorie lösen und stattdessen von der grundsätzlichen Irreduzibiltät des Phänomens der Handlung ausgehen. In der Auseinandersetzung mit diesen Theorien wird zugunsten eines prädikativen Begriffs der Handlung plädiert, der zum einen der These, dass Handlungen keinen eigenständigen ontologischen Status haben, zustimmt, der aber zum anderen gerade wegen der ontologischen Unbestimmtheit von Handlungen der Vielfalt personaler Handlungsvollzüge Rechnung tragen kann. Ob etwas eine Handlung ist oder nicht, entscheidet sich dieser Theorie zufolge nicht daran, welchen objektiven ontologischen Status es hat, sondern allein daran, dass es im Sprachspiel der Personalität von den Mitgliedern dieses Sprachspiels unter ein Handlungsprädikat gefasst werden kann. Für Handlungsprädikate gilt, dass ihr richtiger Gebrauch beinhaltet, dass ihr Verwender sie nicht nur auf sich, sondern ebenso auf andere anwenden kann, auch sind in den Handlungsprädikaten Regeln enthalten, die festlegen, welche Gründe zur Erklärung der jeweiligen Handlung angeführt werden können. Die Handlungsgründe werden daher nicht als interne, mentale und damit rein subjektive Zustände der Akteure angesehen, sondern als allgemeine Normen, die die Anwendung von Handlungsprädikaten regeln. Eine solche Handlungstheorie hat nicht nur den Vorteil das Problem der mentalen Verursachung nicht lösen zu müssen, sondern kann zudem den vielfältigen Formen menschlichen Handelns Rechnung tragen. Eine Lösung, die voraussetzt, dass das Sprachspiel der Personalität als irreduzibler Ausgangspunkt menschlichen Erkennens und Handelns anerkannt wird.

1. Teil: Begrifflich-methodische Vorüberlegungen

13

1 Anforderungen an eine Handlungstheorie In der analytischen Handlungstheorie gilt David Hume als einer der wichtigsten Wegbereiter der These, dass Handlungen in einem Zusammenhang mit Überzeugungen und Wünschen des Akteurs stehen müssen. Das „Belief-Desire-Modell“ ist für die meisten Handlungstheoretiker der Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen, auch wenn heute keiner mehr das Modell, wie es von Hume entwickelt wurde, unterschreiben würde. Geblieben ist die Überzeugung, dass der Begriff der Handlung ohne den Rekurs auf kognitive und konative Zustände des Akteurs nicht angemessen verstanden werden kann.1 Am Anfang seiner Enquiry Concerning Human Understanding unterscheidet David Hume zwei Arten philosophischer Arbeit in Bezug auf die Beschäftigung mit dem Menschen. Die erste Art will die Menschen zur Tugendhaftigkeit führen, indem sie in ihren Schriften an alltägliches Erleben anknüpft und durch entsprechende Beispiele und Schilderungen die Menschen den Unterschied zwischen Laster und Tugend spüren lässt. Gegen eine solche Art des Philosophierens spricht, dass sie nicht nach Genauigkeit ihrer Darstellungen strebt. Sie ist darin auf die zweite Art der Philosophie angewiesen. Diese will das Bewusstsein der Menschen für den Unterschied zwischen Laster und Tugend durch den Weg der Erkenntnis vermitteln. Nicht im alltäglichen Leben wird daher nach Vorbildern gesucht, sondern es wird nach allgemeinen Prinzipien, welche dem Denken und Handeln zugrunde liegen sollen, gefragt. In der Abwägung beider Herangehensweisen kommt Hume zu dem Schluss, dass zwischen ihnen eine mittlere Herangehensweise gewählt werden sollte, da der Mensch sowohl ein handelndes als auch ein denkendes Wesen sei und daher sowohl sein Bedürfnis nach Orientierung im alltäglichen Leben als auch sein Streben nach Erkenntnis befriedigt werden müsse. Und so heißt es schließlich: „It seems, then, that nature has pointed out a mixed kind of life as most suitable 1

Zum Belief-Desire-Modell Humes vgl. Nuyen (1984), Shaw (1992) und Radcliffe (1999).

14 to the human race, and secretly admonished them to allow none of these biases to draw too much, so as to incapacitate them for other occupations and entertainments. Indulge your passion for science, says she, but let your science be human, and such as may have a direct reference to action and society. Abstruse thought and profound researches I prohibit, and will severely punish, by the pensive melancholy which they introduce, by the endless uncertainty in which they involve you, and by the cold reception which your pretended discoveries shall meet with, when communicated. Be a philosopher; but, amidst all your 2 philosophy, be still a man.”

Beide Arten der Philosophie sollen sich also ergänzen. Die erste Art philosophischen Arbeitens bedarf der zweiten, da sie zu wenig genau in ihren begrifflichen Bestimmungen ist und oft nur oberflächliche Begründungen liefert. Die zweite Art demgegenüber bedarf der ersten Art, weil sie dazu neigt, sich im reinen Spekulieren zu verlieren und da ihr die Rückbindung an die Bedürfnisse und Erfahrungen des alltäglichen Lebens fehlt, ihre eigenen Fehler nicht durch diese korrigiert werden können. Es entsteht daher die Gefahr, dass solche Fehler zur Grundlage von Theorien werden, die ihrerseits zu nur scheinbar wichtigen Problemen und Fragestellungen führen, die durch eine anfängliche Korrektur durch die erste Art des Philosophierens gar nicht erst entstanden wären. Das Bestreben zum einen eine Theorie der Handlung zu entwickeln, die auf eine möglichst präzise Bestimmung der für eine solche Theorie als relevant angesehen Begriffe beruht und zum anderen an Intuitionen des alltäglichen Umgangs mit dem Phänomen intentionalen Verhaltens anzuknüpfen, lässt sich auch innerhalb der analytischen Handlungstheorie feststellen. Ein Blick auf die von Handlungstheoretikern dieser Schule behandelten Themen und Fragen zeigt dies: a) Was unterscheidet Handlungen von Nicht-Handlungen?3 b) Was ist der ontologische Status von Handlungen?4 2

Hume (1975) S. 9. Die in dieser und den folgenden Fußnoten angeführten Angaben erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen nur dem Beleg dienen, dass innerhalb der analytischen Handlungstheorie einschlägige Autoren sich (wenn auch nicht immer mit allen) mit diesen Themen beschäftigt haben. Zudem wurden nur solche Texte angeführt, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Problem steht. Vgl. zu a) Davidson (1971a), Brand (1976), (1984), Ginet (1990) und Audi (1993). 3

15 c)

Inwiefern sind die Konsequenzen einer Handlung ebenfalls Handlungen?5 d) Wie verhalten sich Handlungsgründen und Rationalität zueinander?6 e) Was heißt es, etwas absichtlich zu tun?7 f) Die Frage nach der Verantwortbarkeit.8 g) Das Problem der Willensschwäche.9 h) Das Problem der Willensfreiheit.10 Die Liste der Themen, so unvollständig sie sein mag, zumal auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Themenbereichen untersucht werden, zeigt, dass Handlungstheoretiker der analytischen Handlungstheorie ein komplexes Themengebiet untersuchen und dabei durchaus an Fragen interessiert sind, die im alltäglichen Miteinander eine Rolle spielen. So sind z.B. für die Frage, für welches Verhalten Menschen in welchem Grad verantwortlich gemacht werden können, die Themenbereiche a, d, e und h von großer Relevanz. Auch die von den Theoretikern der analytischen Handlungstheorie eingeführten Beispiele belegen, dass sie an dem Phänomenbereich interessiert sind, der die Vorgänge innerhalb des menschlichen Lebens umfasst, welche gemeinhin als Tätigkeiten von wachen Personen gelten, für die sie

4

Vgl. Anscombe (1957) §19, Davidson (1963), Bach (1980), Hornsby (1980), Brand (1984) Teil II., Dretske (1988) Chap. 1.2 und Audi (1993). 5 Vgl. Anscombe (1957) §§23f., Brand (1968), (1984) Teil II, Davidson (1969), Goldman (1970) S. 1–48 und 63 - 72, Bach (1980), McCann (1983), (1986b), Ginet (1990), Audi (1991), Bratman (1978) und (2006). 6 Vgl. Davidson (1963), Goldman (1970) 76 – 80, Hornsby (1980) Chap. 5 und 6, McCann (1986a), (1968b), Bratman (1987), Dretske (1988) Chap. 5 und 6, Ginet (1990), Audi (1991), (2004), Mele (1992), O’Connor (2000) Chap. 5 und Davis (2005). 7 Vgl. Anscombe (1957), Goldman (1970) S. 49–85, Davidson (1978), Davis (1984), Bratman (1984), Brand (1984) Teil III und IV, (1997), McCann (1986b), Audi (1991) und Mele (1999). 8 Vgl. Goldman (1970) S. 197 – 221, Brand (1984) Chap. 8, Audi (1994), Mele/Sverdlik (1996), Ginet (1997), Bratman (1997), Mele (2004) und (2007). 9 Vgl. Davidson (1970a), Bratman (1979), Audi (1990) und Mele (2002). 10 Vgl. Davidson (1973a), Brand (1984) Chap. 8, Ginet (1990), Audi (1992), Bratman (1996), McCann (1997), O’Connor (2000), Haji (2004) und Mele (2005a).

16 prinzipiell zur Verantwortung gezogen werden können. Niesen,11 einen Sonnenbrand bekommen,12 über die Teppichkante stolpern,13 husten, schwitzen, einschlafen,14 sechs Fuß groß oder ein Jungeselle sein,15 etc. fallen daher nicht unter den Begriff der Handlung. Dagegen gelten Lichtanschalten (Schalter drücken), ein Signal geben,16 Wasserpumpen und dadurch Menschen vergiften,17 die Speisekarte lesen, seine Knie betrachten,18 sprechen, eine Melone schneiden, innerliches Sprechen eines Wortes,19 das Biegen einer Fahrradspeiche, Erschießen eines Kojoten,20 Schokolade schmelzen, Salat im Garten wachsen lassen, seinen Körper bewegen,21 Klavierspielen, Zähneputzen,22 den Gegner Schachmatt setzen, die Nase rümpfen,23 in die Eckkneipe gehen,24 Golf spielen,25 in den Zoo gehen,26 mit dem Sohn Bilder zeichnen27 oder eine Münze werfen28 als Handlungen. Es sind also eine Vielzahl von durchaus unterschiedlichen Phänomenen, welche von Vertretern der analytischen Handlungstheorie als Beispiele für Handlungen herangezogen werden, wobei keines dieser Beispiele von den Autoren als paradigmatischer Fall angeführt wird, sondern 11 12

Vgl. Ginet (1990) S. 1. Vgl. Brand (1984) S. 3.

13

Vgl. Davidson (1971a) S. 43. Vgl. Dretske (1988) S. 3. 15 Vgl. Goldman (1970) S. 15. 14

16 17

Vgl. Davidson (1963) S. 4f. und S. 13. Vgl. Anscombe (1957) §23.

18

Vgl. Brand (1984) S. 4. Vgl. Ginet (1990) S. 1. 20 Vgl. Bach (1980) S. 114 und S. 117. 19

21 22

Vgl. Hornsby (1980) S. 2. Vgl. Dretske (1988) S. 5 und S. 137.

23

Vgl. Goldman (1970) S. 1 und S. 19. Vgl. Bratman (1997) S. 167. 25 Vgl. McCann (1986a) S. 248. 24

26 27 28

Vgl. Davis (1984) S. 137. Vgl. O’Connor (2000) S. 90. Vgl. Mele (2005a) S. 400.

17 als eines von vielen anderen. An diesen Beispielen sieht man, dass die Autoren zunächst auf Alltagsintuitionen zurückgreifen, um den Gegenstandsbereich ihrer Untersuchungen zu bestimmen. Ihre Beispiele sind so gewählt, dass kein offenkundiger Zweifel daran bestehen kann, dass es sich bei ihnen um Handlungen handelt. Ihre Aufgabe besteht daher darin, zu erklären, warum diese Vorkommnisse im Alltag von Personen Handlungen sind, während andere es nicht sind. Anders als im Deutschen das Wort „Handlung“ ist der Ausdruck „Action“ im angloamerikanischen Sprachraum vieldeutig und kann auch zur Bezeichnung von Ereignissen und Vorgängen dienen, die nicht Gegenstand der Untersuchungen der „Action Theory“ der analytischen Philosophie sind. Um die Abgrenzung zu erleichtern, wird daher der Ausdruck „Action“ häufig, aber nicht immer, mit dem Adverb „intentional“ versehen. Es sind also nur die „actions“ gemeint, auf die, wenn auch vielleicht nur über Umwege,29 der Ausdruck „absichtlich“ angewandt werden kann.30 Alfred Mele beschreibt dieses Verhältnis wie folgt: „Action theory revolves around [Hervorhebung KSO] the concept of intentional action. The same is true of much philosophical work on moral and legal responsibility, including work on conditions for blame and praise. Remove the intentional altogether from intentional action, and you have mere behaviour: brute bodily motion not unlike the movement of wind-swept sand on the shores 31 of Lake Michigan.”

Wenn demgegenüber die Fragen gestellt werden: 32

“How are actions different from non-actions?” „What events in the life of a person reveal agency; what are his deeds and his doings in contrast to mere happenings in his history; what is the mark that 33 dinstinquishes his actions?“

oder “What is it for a person to act? […] But not all events or states of which a person 29

Der Satz „Peter hat mit dem Ball die Scheibe eingeschlagen“ bezeichnet auch dann eine Handlung, wenn Peter die Scheibe nicht absichtlich mit dem Ball eingeschlagen hat, sondern nur absichtlich den Ball geworfen hat. 30 31 32 33

Vgl. Kapitel 5 und 6 dieser Arbeit. Mele/Moser (1994) S. 39. Vgl. auch Anscombe (1957) §19. Mele (2005b) S. 335. Davidson (1971a) S. 43.

18 is subject are actions. […] What distinquishes actions from these other sorts of 34 things? What is the mark of action?“

dann wird zunächst nach dem Unterschied zwischen solchen Vorgängen gefragt, die in den oben genannten Beispielen als Nicht-Handlungen galten und solchen Vorgängen, die oben als sichere Beispiele für Handlungen angeführt wurden. Werden die Fragen dahingehend präzisiert, dass nach dem Unterschied zwischen dem Verhalten, welches in einer noch zu bestimmenden Beziehung zum Phänomenbereich der Intentionalität steht und dem Verhalten, bei welchem eine solche Beziehung nicht festgestellt werden kann, gefragt wird, dann wird bereits eine erste Engführung in Bezug auf mögliche Antworten vorgenommen, da die Antwort dann etwas mit dem Bereich des Intentionalen zu tun haben muss. Es kann daher festgehalten werden, dass der Ausgangspunkt der analytischen Handlungstheorie das Phänomen der Handlung ist, wie es im Alltag thematisiert wird und das es von anderen Phänomenen, die innerhalb des personalen Lebens auftreten, zu unterscheiden gilt. Ein erster Schritt, diesen Unterschied herauszuarbeiten, wird darin gesehen, den Bereich der Handlungen dadurch von dem Bereich der Nicht-Handlungen abzugrenzen, dass nur erstere in einer Beziehung zur Intentionalität des Akteurs stehen, die es in zweierlei Hinsicht zu klären gilt. Erstens muss das Phänomen der Intentionalität erfasst werden und zweitens muss herausgearbeitet werden, wie die Beziehung zwischen Intentionalität und einem Ereignis oder Zustand beschaffen sein muss, damit es als Handlung gilt. Innerhalb der analytischen Handlungstheorie werden in Bezug auf den ersten Teilaspekt vorrangig solche Positionen vertreten, in denen Intentionalität über den Begriff des mentalen Ereignisses bzw. des mentalen Zustandes erläutert wird. In Bezug auf die Bestimmung des Verhältnisses von Intentionalität und Handlung wird von der Mehrzahl die These verteidigt, dass es sich hier um eine kausale Beziehung handelt. Dieser kausalen Position zufolge werden Handlungen durch mentale Ereignisse oder Zustände verursacht.35 34

Ginet (1990) S. 1. Vgl. hier auch Meles Darstellung der Hauptthesen der analytischen Handlungstheorie im Oxford Companion to Contemporary Philosophy. Mele (2005b). 35

19 Daneben spielt die Position der Akteursverursachung eine große Rolle, die davon ausgeht, dass Handlungen nicht durch mentale Ereignisse oder Zustände, sondern unmittelbar durch den Akteur verursacht werden. Die Vertreter dieser Position versuchen ebenfalls den Aspekt des Intentionalen in ihre Theorie zu integrieren. Beide Positionen werden im Folgenden unter dem Titel „kausale Handlungstheorie“ zusammengefasst.36 Die akteurskausale und die ereigniskausale Position werden im Hinblick auf die These der kausalen Beziehung zwischen Akteur und Handlung bzw. zwischen mentalem Zustand oder Ereignis und Handlung dadurch motiviert, dass innerhalb der analytischen Handlungstheorie nach einer Theorie gesucht wird, in der kein kontingentes Verhältnis zwischen einer Handlung und den mit ihr verbundenen mentalen Ereignissen bzw. dem 37 Akteur besteht. Denn nur wenn das gelingt, können Handlungen als Gegenstand von Verantwortungszuschreibungen gelten. Hinzu kommt das gemeinsame Interesse an einer Handlungstheorie, die es vermag, Handlungen in ein naturalistisches, monistisches Weltbild zu integrieren. Ziel ist es Handlungen als ein Phänomen zu erfassen, welches zumindest aus ontologischer Perspektive ein Teil der von den Naturwissenschaften er38 fassten Welt ist. Daher wird in den kausalen Handlungstheorien eine nicht-zirkuläre Explikation des Handlungsbegriffs über den Begriff der Verursachung angestrebt.39 Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Darstellung lassen sich zwei Zielvorgaben angeben, die eine kausale Handlungstheorie erfüllen muss, wenn sie a) wie oben ausgeführt von dem Phänomen der Handlung ausgeht, wie es in der Alltagssprache thematisiert wird, und b) dieses Phänomen innerhalb eines naturalistischen, monistischen Weltbildes 36

Vgl. auch Brands Definition einer kausalen Handlungstheorie „A causal theory of action is one saying that an event is an action in virtue of its causal ancestry.“ Brand (1982) S. 168. 37

Bei Dretske findet z.B. diese Auffassung wie folgt Ausdruck: „If reasons aren’t causes, one of the chief – indeed (for certain people) the only – motive for including them in one’s inventory of the mind, vanishes.“ Dretske (1989) S. 1. 38

Vgl. hierzu genauer die Kapitel 4, 5, 6, und 11, und Abschnitt 12.2 dieser Arbeit. Eine sehr gute und übersichtliche Darstellung der aktuellen Debatten innerhalb der Handlungstheorie wird in Alvarez (2005) gegeben. 39

20 bestimmen und erklären will: Z1 Der Begriff der Handlung muss den von den Vertretern der kausalen Handlungstheorie in ihren Beispielen als Handlungen angeführten Phänomenen Rechnung tragen können, da sie anhand dieser Beispiele verdeutlichen, um welche Phänomene es in ihren Theorien geht. Da diese Beispiele aus dem Bereich der alltäglichen Verständigung über Handlungen entnommen wurden, müssen sie eine Theorie entwickeln, die nicht nur einem einzelnen Beispiel gerecht wird, sondern die Vielfalt der im Alltag als Handlungen thematisierten Phänomene zu erfassen vermag. Z2: Es muss nachgewiesen werden, dass tatsächlich ein kausales Verhältnis zwischen mentalen Zuständen und Ereignissen bzw. zwischen Akteuren und den Ereignissen und Zuständen besteht, die aufgrund dieser kausalen Beziehung als Handlungen ausgezeichnet werden sollen – eine Beziehung, welche zugleich erlaubt, Handlungen in ein naturalistischmonistisches Weltbild zu integrieren. Mit Z1 befinden sich die Vertreter der kausalen Handlungstheorie im Rahmen des Hume`schen Verständnisses einer Philosophie, die darauf bedacht ist, an den alltäglichen Erfahrungen und Erfordernissen menschlichen Lebens anzuknüpfen. Der Begriff der Handlung, von dem sie ausgehen, ist den vielfältigen Handlungszusammenhängen, in denen Menschen stehen, entnommen. Er soll nun jedoch so analysert werden, dass er die in der alltäglichen Verständigung implizit vorausgesetzten Unterscheidungskriterien zwischen Handlungen und Nicht-Handlungen offen legt. Das heißt nicht, dass eine solche Handlungstheorie an keiner Stelle eine Korrektur der alltagssprachlichen Intuitionen vornehmen kann, wenn sie Inkonsitenzen und Unklarheiten innerhalb dieser alltagssprachlichen Intuitionen aufdeckt. Allerdings sollten solche Korrekturen nicht dem Umstand geschuldet sein, dass nur durch sie die bevorzugte Handlungstheorie konsistent bleiben kann. Wird dieser Weg gewählt, dann geht tatsächlich der Bezug zu dem eigentlich zu bestimmenden und erklärenden Phänomenen verloren, da dann nicht mehr die Phänomene der eigentliche Bezugspunkt der Theorie sind, von denen sie ihren Ausgangspunkt genommen hat, sondern theorieinterne Festlegungen.

21 Z2 enthält die These der kausalen Handlungstheorie bezüglich des Unterscheidungskriteriums zwischen Handlungen und Nicht-Handlungen. In ihr ist enthalten, dass innerhalb der kausalen Handlungstheorie eine Lösung zum Problem der mentalen Verursachung bzw. zur Frage nach der Möglichkeit von Akteursverursachung angeboten werden muss, da nur dann die Auffassung gerechtfertigt werden kann, dass mentale Ereignisse als mentale Ereignisse andere nicht mentale Ereignisse verursachen bzw. Akteure Ereignisse verursachen können. Zugleich muss auch gezeigt werden, dass die Phänomene, die mit Hilfe dieses Unterscheidungskriteriums erfasst werden können, die Phänomene sind, von denen in Z1 die Rede ist. Gelingt das nicht, dann muss entweder die Ausgangsfrage so geändert werden, dass zwar das in Z2 formulierte Kriterium beibehalten werden kann, aber die von ihm zu erfassenden Phänomene andere sind oder es muss nach einem anderen Kriterium gesucht werden. Wird der erste Weg gewählt, dann hat man es nicht mehr mit einer Handlungstheorie zu tun, wie sie ursprünglich von den Vertretern der analytischen Handlungstheorie angestrebt wurde. Der Bezug der Theorie zu dem Phänomen der Handlung, wie sie es in ihren eigenen Beispielen als Gegenstand ihrer Theorie ausweisen, wäre nicht mehr gegeben. Sie hätten stattdessen einen eigenständigen Begriff der Handlung entwickelt, der zur alltäglichen Verständigung über 40 Handlungen nur noch in einer kontingenten Beziehung stände. Wird der zweite Weg gewählt, dann wird die These von der kausalen Beziehung als Unterscheidungskriterium in Frage gestellt und damit die zentrale These der kausalen Handlungstheorie. Es werden im ersten Teil der Arbeit vor dem Hintergrund von Z1 und Z2 vorrangig solche Autoren behandelt, die a) sich als Vertreter einer kausalen Handlungstheorie ansehen b) einer monistisch, naturalistischen Position nahe stehen. und c) ihren Ausgangspunkt bei dem Phänomen der Handlung nehmen, wie es in der Alltagssprache thematisiert wird. Weiter werden solche Autoren bevorzugt behandelt, die sich explizit oder 40

Vgl. Ginet kommt einer solchen Auffassung sehr nahe, obwohl er zunächst eindeutig seinen Ausgangspunkt von der alltäglichen Verständigung über Handlungen nimmt. Vgl. hierzu Ginet (1990) und Abschnitt 6.2 dieser Arbeit.

22 implizit zu einem oder beiden der folgenden Problembereiche äußern: d) Der Frage, wie mentale Verursachung möglich ist, und e) Der Frage, wie Handlungen, die sich aus einzelnen Teilhandlungen zusammensetzen (aggregierte Handlungen), in den Handlungsbegriff der kausalen Handlungstheorie integriert werden können, da ein Großteil der im Alltag als Handlungen erfasst Phänomene unter diese Kategorie fallen (z.B. Kochen, Autofahren, Spazieren gehen, Spielen, Lernen etc.).

23

2 Vorbemerkungen zur Kausalität, Intentionalität und mentalen Verursachung In der kausalen Handlungstheorie kommt den Begriffen der „kausalen Beziehung“, des „mentalen Zustands“ oder „Ereignisses“ und dem der „mentalen Verursachung“ eine zentrale Stellung zu. Es soll hier eine erste Vorentscheidung zugunsten solcher Ansätze, diese Begriffe zu bestimmen, getroffen werden, die der grundlegenden Intuition der Handlungstheorie, dass Handlungen durch mentale Ereignisse oder Akteure direkt verursacht sein müssen, am ehesten gerecht zu werden vermögen. Ein Problem, vor dem alle Vertreter der kausalen Handlungstheorie stehen, ist die Frage, was eigentlich unter einer kausalen Beziehung zu verstehen ist. Was ist damit gemeint, wenn gesagt wird, dass ein Ereignis oder ein Zustand ein anderes Ereignis oder einen anderen Zustand verursacht hat? Es ist nicht nur so, dass schon die Meinungen bezüglich der Dinge, die in kausaler Relation zu einander stehen (Ereignisse, Personen oder Tatsachen), auseinander gehen,41 sondern bereits die Frage, wie diese Beziehung zu definieren ist, hat zu vielen miteinander konkurrierenden Theorien der Kausalität geführt. In Bezug auf die Relata der kausalen Beziehungen gilt, dass ausschließlich Ursache sein kann, was tatsächlich eine Wirkung hervorrufen kann, und Wirkung kann dementsprechend nur etwas sein, das eine Ursache hat. Ursache und Wirkung müssen daher dem gleichen Seinsbereich angehören, da allein dann eine Beeinflussung möglich ist. Im Bereich der Philosophie des Geistes wird dies mit der Voraussetzung der Geschlossenheit des physikalischen Bereichs angesprochen.42 Die Annahme einer eigenständigen Akteurskausalität, die sich nicht auf eine kausale Beziehung zwischen Ereignissen zurückführen lässt, ist daher dem Verdacht eines ontologischen Dualismus ausgesetzt. Das Gleiche gilt für Positionen, die zwar einerseits die These verteidigen, dass Handlungen keine Ereignisse sind und durch ein „Hervorbringen“

41 42

Vgl. Davidson (1967b) und Keil (2000) Abschnitt II. 5. Kim (1996) S. 147. Vgl. auch die Einleitung zu Kapitel 7 dieser Arbeit.

24 verursacht werden, welches ebenfalls kein Ereignis ist,43 andererseits aber daran festhalten, dass sie dennoch Ereignisse verursachen, so dass hier ein „Nicht-Ereignis“ (Handlungen) ein Ereignis (z.B. Körperbewegungen) verursacht. 44 In Bezug auf die Frage nach der Relation der Kausalität werden heute Ansätze diskutiert, die entweder den Begriff der Kontrafaktizität, der Wahrscheinlichkeit, den des Prozesses oder den der nomologischen Beziehung zur Erläuterung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung heranziehen. In der handlungstheoretischen Diskussion ist es üblich, den Ausdruck der logischen Beziehung bzw. des logischen Gesetzes von dem Ausdruck der nomologischen Beziehung bzw. des nomologischen Gesetzes dadurch abzugrenzen, dass letzteres sich auf induktiv gewonnene Gesetzmäßigkeiten bezieht und ersteres auf deduktiv gewonnene. Dieser Sprachgebrauch wird im weiteren Verlauf der Arbeit beibehalten. Die folgende kurze Charakterisierung der verschiedenen Kausalitätstheorien dient nur der Darstellung der grundsätzlichen Unterschiede und erhebt nicht den Anspruch, den einzelnen Theorien in ihren z.T. sehr komplex ausgearbeiteten Argumentationen Rechnung tragen zu können. Die kontrafaktische Theorie der Kausalität besagt, dass ein Ereignis e2 dann eine Wirkung eines anderen Ereignisses e1 sei, wenn ohne e1 e2 nicht stattgefunden hätte.45 Demgegenüber definieren probabilistische Theorien den Begriff der kausalen Beziehung über den Begriff der Wahrscheinlichkeit. Zwei Ereignisse e2 und e1 stehen ihnen zufolge in einer kausalen Beziehung, wenn die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von e2 durch den Eintritt von e1 größer ist, als bei Ausbleiben von e1.46 Der Prozess orientierte Begriff der Kausalität besagt schließlich, dass zwischen e1 und e2 ein kausaler Prozess ablaufen muss, der für das Eintreten von e2 verantwortlich 43

Vgl. auch die Auseinandersetzung in Kapitel 11. Vertreten wird diese Position z.B. von Keil (2000) S. 372. 45 Verteidigt wird diese These unter anderem von Lewis (1973). Vgl. auch Keil (2000) vor allem Kapitel 3 Abschnitt 4. 46 Der probabilistische Kausalbegriff geht zurück auf Arbeiten von Reichenbach (1956), Good (1961), (1962) und Suppes (1970). In der gegenwärtigen Wissenschaftsphilosophie der Physik findet er im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Quantenphysik Anwendung. Vgl. Falkenburg/Schnepf (1998). 44

25 ist.47 Von besonderer Bedeutung für die kausale Handlungstheorie war zunächst der nomologische Begriff der Kausalität, der strikte naturgesetzliche Verbindungen zwischen Ereignistypen einfordert.48 Allerdings erwies sich dieser Begriff der Kausalbeziehung bald selbst für rein naturwissenschaftliche Belange als zu stark, so dass er in den neueren Auseinandersetzungen kaum noch verwendet wird.49 Grundsätzlich gilt für alle Vertreter der kausalen Handlungstheorie, dass sie darauf angewiesen sind, die Beziehung zwischen der Ursache und ihrer Wirkung nicht rein begriffliche zu bestimmen. Sondern die Ursache muss tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Zustandekommen der Wirkung haben. Kann dies nicht gezeigt werden, so verlieren sie ihr zentralstes Argument zugunsten ihrer Theorie, welches darin besteht, dass nur dann wirklich davon gesprochen werden kann, dass ein Akteur etwas getan hat, wenn er, bzw. seine mentalen Zustände zu dem Zustandekommen dieses Ereignisses beigetragen haben.50 Sie dürfen daher nicht in einer reinen korrelativen oder begrifflichen Beziehung zu ihm stehen. Alle kausalen Handlungstheorien müssen demnach einen realistischen Begriff der kausalen Wirksamkeit voraussetzen. Eine reine Korrelation, wie es bei der probabilistischen Kausaltheorie zulässig ist, erfüllt diese Bedingung nicht. Verteidiger der kausalen Handlungstheorie, die den Begriff der Handlung darüber definieren, dass Handlungen eine besondere Art von Ursache haben und zugleich eine rein probabilistische oder kontrafaktische Kausaltheorie vertreten, die zulässt, dass der Begriff der Wirksamkeit irrelevant wird, haben keine guten Gründe mehr eine kausale Theorie der Handlung zu verteidigen. 51 Sie tragen nichts mehr zum Begriff der Handlung bei, was nicht auch Vertreter einer nicht-kausalen Handlungstheorie anbieten 47

Vgl. Salmon (1984) und (1994). Vgl. Davidson (1967b). 49 Vgl. Keil (2000) Kapitel 1 Abschnitt 5. 50 Vgl. Anscombe (1971) S. 7, O`Connor (2000) S. 69–74. Von Davis (2005) wird dies übersehen, wenn er einerseits mit Kontrafaktizitätsbedingungen argumentiert, andererseits aber einem eliminativistischen Reduktionismus nahe steht. 51 Zur Kritik am Kausalitätsbegriff der kausalen Handlungstheorie vgl. auch Baker (1993). Zur Kritik am kontrafaktischen Kausalitätsbegriff in der Handlungstheorie vgl. Wilson (1997) S. 78ff. Zum Verhältnis von Gründen und Ursachen vgl. Abschnitt 5.2 dieser Arbeit. 48

26 könnten, indem sie die Ereignisse als Handlungen auszeichnen, die durch Gründe erklärt werden können. Eine weitere Bedingung kommt für die Vertreter der kausalen Handlungstheorie hinzu. Sie können den Begriff der Kausalität nicht über den Begriff der Handlung bestimmen, wie von einigen Autoren vorgeschlagen wurde. Es handelt sich hier um eine Position, die auf die Kritik von Bertrand F.R.S. Russell am empiristischen Kausalitätsbegriff zurückgeht. Sein Vorwurf besteht darin, dass der empiristische Kausalitätsbegriff auf Intuitionen zurückgreift, die im Rahmen des Umgangs mit menschlichem Handeln von Bedeutung sind.52 Die Redeweise von kausaler Verursachung ist ihm zufolge nur eine Anthropomorphisierung der Natur, indem die in Handlungserklärungen und Verantwortungszuschreibung unterstellte Fähigkeit des Menschen, Veränderungen in der Welt herbeizuführen, auf die Erklärung und Beschreibung der Vorgänge in der Natur ausgedehnt wird.53 Das Konzept des Handelns sei demnach primär gegenüber dem Konzept der Verursachung. Handlungstheoretiker, die diesen Kausalbegriff vertreten, können im engen Sinn nicht zu den Vertretern der kausalen Handlungstheorie gezählt werden, da es diesen gerade darum geht, eine klares Kriterium für den Unterschied zwischen Handlungen und NichtHandlungen, mit Hilfe des Begriffs der Kausalität, zu gewinnen. Wird der Begriff der Kausalität jedoch mit Hilfe des Begriffs der Handlung bestimmt, dann wird in dem Kriterium das, was es mit seiner Hilfe zu klären gilt, als bereits geklärt vorausgesetzt. Da in der kausalen Handlungstheorie, zumindest von Seiten der Vertreter der Ereigniskausalität, Handlungen darüber bestimmt werden, dass eine bestimmte Sorte mentaler Ereignisse sie verursacht, ist zu erläutern, wie mentale Ereignisse kausal wirksam sein können. Mit dem Begriff des mentalen Ereignisses lassen sich zwei Eigenschaften verbinden. Zum einen haben sie die Eigenschaft der Intentionalität im Sinne der Gerichtetheit auf einen Gegenstand, zum anderen handelt es sich um Bewusstseinvorgänge, die jedoch nicht wieder notwendig zum Gegen-

52

Vgl. Russell (1921) Lecture 5. Vertreten wird diese Position u.a. von Gasking (1955), (1981) und von von Wright (1971) Chap. II. Kritisch äußert sich dagegen Rosenberg (1981). 53

27 stand des expliziten Bewusstseins erhoben werden müssen.54 Als mögliche Beispiele mentaler Ereignisse oder Zustände gelten: „Peter glaubt, dass es schneit“, „Susanne fürchtet den Hund“, „Lotte wünscht sich ein Fahrrad“ und „David hat die Absicht ins Kino zu gehen.“ Donald Davidson erläutert den Begriff des mentalen Ereignisses so, dass nur mentale Ereignisse durch Sätze individuiert werden können, in denen zum einen das Verb eine propositionale Haltung ausdrückt (wünschen, glauben, fürchten, beabsichten …) und zum anderen das Subjekt des Satzes eine Person ist.55 Dabei dient der Begriff der Person allein dazu, auszuzeichnen, dass das Subjekt eines solchen Satzes im Gegensatz zu vielen anderen Dingen in der Welt über Bewusstseinszustände verfügt. Mentale Ereignisse haben daher immer einen Gehalt, der nicht ausschließlich aus der Natur des Ereignisses bzw. des Zustandes abgeleitet werden kann. „Angst haben“, „etwas glauben“, „überzeugt sein“, „sich über etwas freuen“, „sich ärgern“ etc. sind Typen mentaler Ereignisse bzw. Zustände, die sich jeweils auf sehr verschiedene Dinge beziehen können. Dieter Sturma bestimmt vor diesem Hintergrund mentale Ereignisse über den Begriff des Erlebnisses. Während alle mentalen Ereignisse Erlebnisse und damit im Bewusstsein von Personen verortet sind, gilt das für nicht-mentale Ereignisse nicht.56 Die Identifizierung von Bewusstseinszuständen mit mentalen Ereignissen führt dazu, dass Urteile aus der dritten Personperspektive, wie sie für alle wissenschaftlichen Urteile gefordert werden, in Bezug auf mentale Ereignisse nicht mehr unmittelbar möglich sind. Denn ein Urteil darüber, ob und welcher mentale Zustand jeweils vorliegt, kann nur das jeweilige Individuum, welches sich in einem Bewusstseinszustand 54

Hier kann eingewandt werden, dass es Bewusstseinszustände gibt, wie z.B. die unmittelbare Erfahrung existenzieller Angst aber auch Freude, die nicht von etwas handeln. Dieser Einwand übersieht aber, dass z.B. im Fall einer Überzeugung zwischen zwei Gegenständen des Bewusstseins unterschieden werden muss: a) der Überzeugung und b) dem Inhalt der Überzeugung, während dies für Freude oder Angstzustände nicht notwendiger Weise gilt, sondern hier nur ein Gegenstand des Bewusstseins, nämlich die Angst bzw. die Freude, gegeben sein kann. Vgl. zu diesem Einwand Ros (2005) S. 169f. Allgemein zur Bestimmung mentaler Zustände und Ereignisse: Sellars (1951), (1980) und Davidson (1970c). 55 Davidson (1970c) S. 210f. 56 Vgl. Sturma (2005) Kap.: „Die Außenperspektive: Das psychophysische Problem“.

28 befindet, fällen. Ein Beobachter dagegen kann einer Person, über deren mentale Zustände geurteilt werden soll, diese nicht unmittelbar ansehen, sondern muss sich auf das Urteil der betroffenen Person aus der ersten Personenperspektive verlassen.57 Theorien des Mentalen, die mentale Ereignisse auf den Aspekt des Intentionalen, im Sinne der Gerichtetheit und des intentionalen Gehalts, reduzieren und den Aspekt des Bewusstseins ausblenden, bzw. als völlig irrelevant betrachten, sind für die Handlungstheorie ohne Bedeutung, da, wie im vorangehenden Abschnitt gezeigt wurde, auch innerhalb der kausalen Handlungstheorie die Frage nach der moralischen und nicht allein nach der kausalen Zuschreibbarkeit und Zurechenbarkeit eine große Rolle spielt. Ohne die Annahme, dass sich der Handelnde seiner mentalen Zustände und den aus ihnen folgenden Handlungen bewusst ist, würde die Frage nach der moralischen Zuschreibbarkeit keinen Sinn ergeben, da der Handelnde nicht mehr in der Lage wäre, sich in ein Verhältnis zu seinen mentalen Zuständen und den aus ihnen folgenden Handlungen zu stellen.58 Das Problem der mentalen Verursachung besteht schließlich darin, zu erläutern, wie Kausalaussagen im Rahmen naturwissenschaftlicher Erklärungen möglich sein können, wenn ein Urteil über die Ursache (mentales Ereignis) eines physikalischen Ereignisses (z.B. einer Körperbewegung) grundsätzlich nicht aus der dritten Personperspektive verifiziert werden kann. Soll der intentionale Gehalt mentaler Ereignisse nicht den Status eines kausal irrelevanten Epiphänomens erhalten, dann muss gezeigt werden, wie beide Elemente – das der Intentionalität und das des Bewusstseins – Gegenstand naturwissenschaftlicher Erklärungen sein können. Wenn die kausale Handlungstheorie daher davon ausgeht, dass mentale Ereignisse bzw. Personen, aufgrund ihrer mentalen Zustände Handlungen 57

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem absoluten Primat der ersten Person in Bezug auf Urteile über mentale Zustände findet im 4. Teil der Arbeit statt. 58

Vgl. zur Diskussion des Verhältnisses von Bewusstsein und Handlung den Sammelband: Roessler/Eilan (2003). Die Autoren sind bemüht einerseits den neueren Erkenntnissen neurowissenschaftlicher Forschungen gerecht zu werden, als auch andererseits dem Phänomen des unmittelbaren Bewusstseins von den eigenen mentalen Zuständen und Handlungen Rechnung zu tragen. Eine eigene Diskussion funktionalistischer Theorien der Intentionalität und des Bewusstseins, die den meisten Artikeln dieses Bandes zugrunde liegen, wird in 8.3 erfolgen.

29 verursachen, dann muss sie zeigen, wie es möglich ist, dass mentale Ereignisse als mentale Ereignisse, d.h. aufgrund ihrer Eigenschaft intentional und bewusst zu sein, den Status einer Ursache in kausalen Erklärungen, die in der dritten Personperspektive verifizierbar sind, erhalten können.59 Im 2. und 3. Teil der Arbeit soll gezeigt werden, dass es weder den Autoren der kausalen Handlungstheorie noch den Vertretern einer grundsätzlich naturalistischen Philosophie des Geistes gelingt, diesen Nachweis zu erbringen.

59

Vgl. zu diesem Problem Kim (1998b) S. 32–38.

2. Teil: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie

33

3 Typologie der kausalen Handlungstheorien Um Klarheit in das inzwischen etwas unüberschaubare Feld kausaler Handlungstheorien innerhalb der analytischen Philosophie zu bringen, soll im Folgenden anhand von vier Thesen eine Typologie kausaler Handlungstheorien entwickelt werden. T1:

Handlungen werden verursacht.

Diese These ist sehr schwach und für eine Bestimmung des Begriffs der Handlung nicht ausreichend, da mit ihr noch keine Kriterien gegeben werden, die es ermöglichen, Handlungen von anderen verursachten Dingen, zu unterscheiden. Jedoch lässt sich festhalten, dass wer T1 ablehnt, ganz sicher kein Vertreter der kausalen Handlungstheorie ist. Aber aus der Annahme von T1 allein folgt noch nicht, dass es sich um eine kausale Theorie der Handlung handelt, wie sie von den Vertretern der kausalen Handlungstheorie intendiert wird, da der Aspekt des Verursachtseins ein notwendiger Bestandteil ihres Handlungsbegriffs ist. Dies geht aus T1 nicht hervor. Eine genauere Bestimmung ist erst durch die Verbindung mit der zweiten These möglich: T2: Es gibt einen bestimmten Typ von Ursache, dessen Wirkungen Handlungen sind. Nur wer auch T2 vertritt gehört in den Kreis der Verteidiger einer kausalen Handlungstheorie. Denn es wird in ihr explizit darauf verwiesen, dass Handlungen als Ereignisse verstanden werden, die über ihre Relation zu einem bestimmten Typ von Ursache zustande kommen. Dieser Ursachetyp wird damit zu einem wesentlichen, den Begriff der Handlung definierenden, Merkmal. Will man also wissen, ob ein Ereignis eine Handlung ist, dann muss nach dem Ursachetyp dieses Ereignisses gefragt werden. Das bedeutet nicht, dass Vertreter der kausalen Handlungstheorie die These verteidigen müssen, dass der Begriff der Handlung allein über diesen Ursachetyp erläutert werden kann, sondern, dass der Verweis auf einen be-

34 sonderen Ursachetyp ein notwendiges Element ist, wenn man ein Kriterium entwickeln will, anhand dessen sich Handlungen von Nicht-Handlungen unterscheiden. Ein Ereignis, welches als Handlung gelten soll, muss sich zumindest in dieser Hinsicht von anderen Ereignissen unterscheiden lassen. Vertreter der kausalen Handlungstheorie akzeptieren demnach T2. Das Feld der kausalen Handlungstheorien lässt sich durch die Bejahung bzw. Verneinung von zwei weiteren Thesen genauer strukturieren. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die hier vorgelegte Typologie der kausalen Handlungstheorien von der Keils, der erst solche Positionen zur kausalen Handlungstheorie rechnet, die auch die folgende These (T3) bejahen.60 T3:

Handlungen werden durch mentale Ereignisse verursacht.

T3 wird von Vertretern der Akteurskausalität abgelehnt. Sie verteidigen die Auffassung, dass Handlungen grundsätzlich nicht durch mentale Ereignisse einer Person, sondern nur durch die Person selbst verursacht werden. Eine Begründung der These, dass die Akteurskausalität in das Spektrum kausaler Handlungstheorien gehört, wird in Kapitel 4 erfolgen. Es soll dort gezeigt werden, dass die Auffassung, die Akteurskausalität sei eine andere Art der kausalen Beziehung als die Ereigniskausalität, nicht haltbar ist. Eine weitere ablehnende Position gegenüber T3, die theoretisch möglich ist, aber meines Wissens bisher nicht vertreten wird, bestände darin, Handlungsursachen direkt mit bestimmten Typen neuronaler oder allgemein physischer Vorgänge zu identifizieren.61 Für die Verteidiger von T3, deren bekanntester Vertreter Donald Davidson ist, ist noch der Umgang mit der vierten These relevant. T4:

60

61

Mentale Ursachen sind zugleich die Gründe der Handlung.

Vgl. Keil (2000) S. 2.

Im Abschnitt 6.2 wird herausgearbeitet, dass Ginet einer solchen Position, zumindest was einige seiner Äußerungen über das Verhältnis von Volitionen und Körperbewegungen betrifft, nahe steht.

35 Diese These wird u.a. von Myles Brand und Carl Ginet abgelehnt.62 Denn, so Brand und Ginet, Gründe mögen zwar Handlungen erklären, aber diese Erklärung sei nicht notwendig mit einer Erklärung identisch, die sich auf die mentalen Ursachen wie z.B. Wünsche und Überzeugungen bezieht. Davidson dagegen verweist darauf, dass Nicht-Synonymität von Ausdrücken nicht bedeutet, dass sie nicht auf identische Gegenstände referieren können, so dass sowohl Gründeerklärungen als auch Erklärungen, die sich auf die mentalen Ursachen beziehen auf das gleiche Ereignis Bezug nehmen können.63 Anhand des folgenden Schemas lassen sich die verschiedenen Positionen in ihren Relationen darstellen: T1 Handlungen werden verursacht. Nein Ja T2: Es gibt einen bestimmten Typ von Ursache, dessen Wirkungen Handlungen sind. Nein Ja T3: Handlungen werden durch mentale Ereignisse, bzw. Zustände verursacht. Nein, Ja a) sondern durch Personen, T4: Mentale Ursachen sind b) sondern durch einen be- zugleich die Gründe der stimmten Typ neuronaler Handlung. Ereignisse. Nein Ja Abb. 1: Alle grau eingefärbten Kästchen bezeichnen Positionen, die der kausalen Handlungstheorie zugerechnet werden.

Es gilt, dass Vertreter der kausalen Handlungstheorie einen für die Thesen T1 – T4 bzw. T1 – T2 oder T1 – T3 durchgängig einheitlichen Kausalbe62

Vgl. Brand (1984) und Ginet (1990). Genaueres hierzu findet sich in Abschnitt 5.2 dieser Arbeit. Die Idee, dass die NichtSynonymität von Ausdrücken nicht den Schluss zulässt, dass sich die Ausdrücke auf verschiedene Gegenstände beziehen, wird auf Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung zurückgeführt. Vgl. Frege (1892). 63

36 griff verwenden, bzw. ihrem Anspruch nach verwenden sollten, wollen sie nicht unter der Hand den Anspruch, den Begriff der Handlung innerhalb eines naturalistisch-materialistischen Weltbildes zu bestimmen, unterlaufen. Wenn daher z.B. in T1 auf eine kontrafaktische Kausaltheorie Bezug genommen wird, dann muss in T2 sowie in T3 und T4 dieselbe Theorie der Kausalität zugrunde gelegt werden, da sonst kein Erklärungszusammenhang zwischen den verschiedenen Ebenen hergestellt werden kann. In Bezug auf die Frage, inwiefern in allen Thesen die in der kausalen Relation stehenden Gegenstände ebenfalls der gleichen Kategorie angehören müssen, gibt es zumindest in der Position der Akteurskausalität die Auffassung, dass es sowohl Ereignisse als auch Akteure gibt, die Ereignisse verursachen. Anders also als die Vertreter der Ereigniskausalität, die als Ursache der Handlung einen bestimmten Ereignistyp annehmen und grundsätzlich davon ausgehen, dass alle Ereignisse durch Ereignisse verursacht werden, gehen die Vertreter der Akteurskausalität einen Schritt weiter. Die Handlungsursache gehört einer anderen ontischen Kategorie an, ohne dass er allerdings notwendig damit die These verbindet, dass sie außerhalb des physikalisch geschlossenen Bereichs liegen muss.64

64

Vgl. Keil (2000) S. 19. Zur Kritik an dieser These vgl. Kapitel 4 dieser Arbeit.

37

4 Akteurskausalität Es soll im Folgenden untersucht werden, ob es den Vertretern der Akteurskausalität gelingt, sowohl dem in Z1 formulierten Anspruch gerecht zu werden, als auch diesen Anspruch dadurch einzulösen, dass gezeigt wird, dass im Sinne von Z2 Handlungen über den Aspekt ihrer Verursachung von Nicht-Handlungen unterschieden werden können.65 Die zentrale These der Akteurskausalität besteht darin, dass Handlungen im Gegensatz zu anderen Ereignissen durch einen Akteur verursacht werden und dass sich Akteursverursachung nicht auf Ereignisverursachung zurückführen läßt.66 Es muss daher geprüft werden, inwiefern es sich bei der Akteurskausalität tatsächlich, wie ihre Vertreter behaupten, um eine eigene Art der Kausalität handelt oder ob es sich nicht doch um eine Form der Ereigniskausalität, nur mit anderen Relata, handelt. Sollte dies der Fall sein, so ist zu fragen, wie die Rede davon, dass Personen die Ursachen ihrer Handlungen sind, verständlich gemacht werden kann, ohne auf den Begriff des Ereignisses oder den der Veränderung zurückgreifen zu müssen. Verteidiger der Akteurskausalität gehen zum einen von der Beobachtung aus, dass Handlungen Personen und nicht anderen Ereignissen zugeschrieben werden, während für Ereignisse, die keine Handlungen sind, zur Erklärung auf andere Ereignisse verwiesen wird.67 Handlungen unterscheiden sich demnach, so ihre These, von anderen Ereignissen dadurch, dass sie durch Personen und nicht durch Ereignisse verursacht werden. Zudem könne nur durch den Verweis auf einen Akteur als Ursache der Handlung ein sinnvolles Konzept von Willens- und Handlungsfreiheit vertreten werden.68 In diesem Sinne wird mit der Theorie der Akteurskausalität in der Regel eine inkompatibilistische Position verbunden.69 Sie besteht in der Annahme, dass eine vollständig Determination 65

Vgl. zu Z1 und Z2 Kapitel 1 dieser Arbeit. Vgl. Clarke (2003) S. 186. 67 Vgl. Chisholm (1976a) S. 199 und Velleman (1992) S. 461. 68 Vgl. Alvarez (2005) S. 52f. 69 Allerdings sieht Bishop die Theorie der Akteurskausalität auch als geeignet an, den Bedürfnissen von Kompatibilisten zu entsprechen. Vgl. Bishop (1983). 66

38 aller Ereignisse in der Welt nicht mit der Möglichkeit von Willens- und Handlungsfreiheit vereinbar ist. Um Handlungen daher dennoch als frei auszeichnen zu können, bedürfe es einer besonderen Art der Kausalität, die nicht mit der Naturkausalität zwischen Ereignissen identisch sei und daher auch nicht auf diese zurückgeführt werden könne.70 Diese Art der Kausalität werde von Akteuren ausgeübt, wenn sie handeln.71 Es stellt sich daher die Frage wie sich Ereignisse, die durch Personen verursacht werden und Ereignisse, die durch Ereignisse verursacht werden, zueinander verhalten. Wichtig ist es, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Vertreter der Akteurskausalität davon ausgehen, dass Ereignisse wie Körperbewegungen nicht unmittelbar durch die handelnde Person verursacht werden. Sondern sie werden, der These der Akteurskausalität zufolge, dadurch verursacht, dass die Person sie herbeiführt, es unternimmt sie auszuführen oder sie in Angriff nimmt. Roderick Chisholm stellt diesen Vorgang wie folgt da: „He brings it about that – in intending to bring it about that ....“

72

Ähnliche sieht es Timothy O’Connor. Ihm zufolge verursacht der Handelnde zunächst seine Absicht und erst diese verursacht in einem weiteren Schritt die Körperbewegung. So heißt es: 73

„[…]an agent’s causing an intention for a reason“.

Und in seinem Buch Persons and Causes schreibt er: „So any agent having the relevant internal properties will have it directly within his power to cause any of a range of states of intention delimited by internal and 74 external circumstances“.

Allerdings unterscheiden sich die Positionen Chisholms und O’Connors darin, dass bei Chisholm die Absicht ein Zustand des Akteurs ist, der nicht als vom Akteur verursacht betrachtet wird, während die Absicht bei O’Connor ein mentales Ereignis ist, welches der Akteur verursacht hat. Chisholm unterscheidet zwischen dem Akteur, der eine Absicht hat, dem Herbeiführen der Handlung durch den Akteur und der Handlung. Bei O’Connor dagegen fallen die Absicht und der Akt des Herbeiführens zu70

Einen guten Überblick über die Diskussion gibt Haji (2004). In der Regel wird diese Position auf Kants Unterscheidung zwischen Naturkausalität und Kausalität durch Freiheit zurückgeführt. Vgl. Kant (KdrV) B560 - B593. 72 Chisholm (1966) S. 20, Hervorhebung KSO. 73 O’Connor (2002) S. 352. 74 O’Connor (2000) S. 72. 71

39 sammen. Generell kann für alle Vertreter der Akteurskausalität gesagt werden, dass der Begriff der Handlung zunächst primär auf Akte des „Herbeiführens“, „Hervorbringens“, „in Angriffnehmens“ etc. angewandt wird. Ereignisse wie Körperbewegungen und deren Folgen gelten nur deshalb als Handlungen, weil sie durch Akte des Herbeiführens, Hervorbringens etc. verursacht wurden, während der Akt des Herbeiführens unmittelbar durch den Akteur verursacht wurde und nicht als Ergebnis eines anderen Ereignisses oder Aktes gilt. Anhand des folgenden Schemas lässt sich die Beziehung zwischen dem Akteur, der Absicht und der Körperbewegung innerhalb der Akteurskausalität darstellen: Person

Absicht/Akt des Hervorbringens Basishandlung/die eigentliche Handlung

Körperbewegung Komplexehandlung Ereignis

= Ereigniskausalität = Akteurskausalität

Abb. 2

Allgemein gilt, dass Handlungen wieder weitere Ereignisse verursachen können, die dann als komplexe Handlungen bezeichnet werden, da sie nicht unmittelbar durch den Akteur verursacht werden.75 Die Basishandlung und die Folgeereignisse stehen demnach in der Beziehung der Naturkausalität zueinander. Sie unterscheiden sich daher nicht von anderen Ereignissen. Auf der anderen Seite sind Basishandlungen der Theorie der Akteurskausalität zufolge Ursachen, deren Zustandekommen nicht im 75

Die Auffassung, dass die eigentlichen Handlungen (Basishandlungen) mentale Akte sind, findet sich nicht nur bei Vertretern der Akteurskausalität, sondern ebenfalls bei Vertretern der Ereigniskausalität. Vgl. McCann (1974), Ginet (1990) und Abschnitt 6.2 und Kapitel 11 dieser Arbeit. Zum Begriff der Basishandlung vgl. Danto (1973) Kapitel 2 und (1965). Es gilt allerdings, dass Danto einfache Körperbewegungen als Basishandlungen ansieht und nicht die davor gelagerten mentalen Zustände.

40 Rahmen der natürlichen Kausalität erfolgt. Nicht nur, dass ihre Ursache kein Ereignis, sondern eine Person ist, sondern Handlungen werden auch mittelbar nicht durch Ereignisse verursacht, da der Handelnde nicht als in seinem Handeln verursacht angesehen wird. Er gilt als unbewegter Beweger und genau in dieser Möglichkeit, unverursacht Ereignisse verursachen zu können, liegt seine Freiheit. So heißt es bei O’Connor: „I am the source of my own activity, not merely in a relative sense as the most proximate and salient locus of an unbroken chain of causal transactions leading up to this event, but fundamentally, in a way not prefigured by what has gone 76 before.“

Ansatzpunkte für Kritik bieten beide Versionen, sowohl die Auffassung, dass Handlungen mentale Zustände oder Ereignisse, als auch die Auffassung, dass Handlungen Körperbewegungen sind.77 Für beide Versionen der Akteurskausalität gilt, dass sie erklären müssen, wie ein Akteur Veränderungen hervorrufen kann, ohne dass an ihm eine Veränderung, die er nicht selbst hervorgerufen hat, eingetreten ist. Aufgrund dieser Konzeption ist sie dem Verdacht ausgesetzt, eine substanzdualistische Position zu vertreten, in der der Akteur den Gesetzen der Natur entzogen ist, sich aber gleichwohl ihrer Gesetze bedienen kann. Anders als im Fall des Kompatibilismus stellen die Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der Kognitionswissenschaften, wie etwa die „Libet-Experimente“, eine ernsthafte Bedrohung ihrer Position dar.78 Sie sind darauf angewiesen, dass Personen als Personen kausal wirksam werden können. Das bedeutet auch, dass sie Personen als individuierbare, über die Zeit hinweg bestehende Entitäte denken müssen. Wenn daher im Rahmen der Neurowissenschaften gezeigt wird, wie einerseits Körperbewegungen unmittelbar mit neuronalen Zuständen zusammenhängen und durch diese verursacht werden, zugleich andererseits aber immer deutlicher wird, dass das Gehirn nicht in dem Sinne hierarchisch aufgebaut ist, dass es ein Zentrum gibt, von dem aus alle Prozesse organisiert

76

O’Connor (1995) S. 173. Vgl. zu dieser Kritik den klassisch gewordenen Aufsatz von Bach (1980), in welchem er eine relationale Theorie der Handlung vertritt. Eine Position, die u.a. heute noch von Stoecker vertreten wird. Vgl. Kapitel 11 dieser Arbeit. 78 Zu den Experimenten Libets vgl. Abschnitt 8.1 dieser Arbeit. 77

41 werden,79 dann stellt sich die Frage, wo die Person ihren Ort hat. Körperbewegungen werden dann nicht unmittelbar durch die Person, sondern durch neuronale Zustände verursacht. Chisholms Antwort auf dieses Problem lautete, dass die Person, die etwas beabsichtigt, durch dieses Beabsichten die Veränderungen der neuronalen Zustände verursacht.80 Gleichzeitig lehnt er es ab, diese Veränderung der neuronalen Zustände als Handlungen zu bezeichnen. Hier kommen nur die intendierten Körperbewegungen in Frage. Chisholm gibt auf die Frage, in welchem Verhältnis der Akteur und der biologische Körper des Menschen steht, keine Antwort. Zwar wird in seinen Ausführungen zu dem Begriff der Person deutlich, dass Personen wesentlich dadurch bestimmt sind, dass sie handeln und d.h., dass sie in die Welt der physischen Ereignisse eingreifen können.81 Zugleich scheinen sie aber nicht Bestandteil dieser Welt zu sein, da ihre Kausalität nicht durch die Kausalität der physischen Welt beeinflusst wird.82 Eine These, die in Bezug auf den Menschen als biologischem Wesen, das als Teil der physischen Welt allen ihren Einflüssen unterliegt, nicht aufrecht zu erhalten ist.83 Auch in dem Ansatz, der von O’Connor in Person and Causes entwickelt wird, wird das Verhältnis der Person, die unmittelbar und unverursacht die Absichten zur Handlung verursacht, zu dem physiologischen Körper, der die Bewegungen ausführt, nicht geklärt.84 So räumt O’Connor zwar einerseits, wie der Titel seines Buches nahe legt, dem Begriff der Person eine zentrale Funktion als dem unhintergehbaren Ausgangspunkt menschlicher Willens- und Handlungsfreiheit ein, andererseits bleibt aber der Begriff völlig unbestimmt. Abgesehen von der Information, dass Personen die Kraft (power) haben, Absichten, die sich an Gründen orientieren, zu initiieren, erfährt man nichts über diesen Begriff. Gleichzeitig besteht O’Connor jedoch auf der kausalen Geschlossenheit der Natur. Der Mensch als biologisches Wesen unterliege daher ebenfalls diesem Faktum. Die Fähigkeit des Menschen dennoch frei handeln zu 79

80

Vgl. Abschnitt 8.3.1 dieser Arbeit. Chisholm (1966) S. 20.

81

Vgl. Chisholm (1976b) Einleitung und Kapitel 2. Vgl. Chisholm (1976b) Kapitel 2 Abschnitt 5. 83 Eine ähnliche Kritik an Chisholm findet sich bei Rowe (1982). 82

84

Zu O’Connor vgl. Abschnitt 4.3 in dieser Arbeit.

42 können, sei ein emergentes Phänomen, welches sich im Laufe der Evolution herausgebildet habe. Nun ist diese Fähigkeit oder Kraft noch kein Garant der Freiheit, wie sie O’Connor fordert, denn diese ist erst dann gegeben, wenn es allein im Ermessen der handelnden Person liegt, von ihr in bestimmten Situationen, zu bestimmten Zwecken Gebrauch zu machen. An dieser Stelle stellt sich für alle Vertreter der Akteurskausalität ein Regressproblem, denn die Entscheidung die Fähigkeit aus Freiheit in einer bestimmten Situation zu handeln, zu nutzen, muss wieder vollständig frei sein, und kann daher wieder als eine Handlung aus Freiheit interpretiert werden. Gilt das, dann muss dieser Akt wieder durch die Person verursacht werden usw. John Bishop und nach ihm O’Connor begegnen dem Regressproblem, indem sie die Basishandlungen nicht als Ereignisse, die der Handelnde verursacht, sondern als Prozesse der Verursachung von Nichtbasishandlungen bestimmen.85 Diese Lösung ist allerdings unbefriedigend, da zum einen auch der Begriff des Ereignisses durchaus über den Begriff der Veränderung und d.h. über den Begriff des Prozesses erläutert wird und zum anderen Prozesse ebenfalls verursacht werden müssen. Es stellt sich daher die Frage, wie es kommt, dass eine Person einen Prozess verursacht. Die beiden möglichen Antworten, dass die Person entweder durch andere Ereignisse veranlasst wird, diesen Prozess in Gang zu setzen oder aber indem die Person den Prozess, diesen Prozess zu verursachen, verursacht, helfen beide nicht weiter. Die erste liegt nicht im Sinne der Akteurskausalität und die zweite führt zu einem Regress, da die Verursachung des Prozesses wieder eine Ursache haben muss, die nun entweder wieder unmittelbar in der Person oder aber in anderen Ereignissen liegt.86 Vor dem Hintergrund dieser Probleme muss die Frage gestellt werden, inwiefern es sich bei der Akteurskausalität tatsächlich um eine andere Art der Kausalität handelt, als im Fall der Ereigniskausalität. Chisholm, der als der wichtigste Vertreter der Akteurskausalität gilt, ist in einem späteren 85

Vgl. Bishop (1983) und O’Connor (2000). Ebenfalls problematisch an dieser Darstellung erscheint mir, dass, wenn die Handlung mit dem Prozess der Handlungsverursachung identifiziert wird, Handlungen im engen Sinn nur darin bestehen, Handlungen zu verursachen und dies ist eine zirkuläre Bestimmung. 86

43 Aufsatz von dieser Auffassung abgewichen und verteidigt dort stattdessen die These, dass es sich bei ihr um einen Spezialfall der Ereigniskausalität handelt.87 Klassisch ist in der Auseinandersetzung um die Frage nach dem spezifischen der Akteurskausalität Immanuel Kants Widerlegung der dritten Antinomie in der Kritik der reinen Vernunft. Bishop bedient sich zum Zweck dieser Unterscheidung der Theorie-Theorie von Wilfrid Sellars, so dass bei ihm der Unterschied zwischen Akteurskausalität und Ereigniskausalität auf die verschiedenen Funktionen des Ausdrucks der Kausalität in verschiedenen Sprachspielen (dem des alltäglichen, praktischen, zwischenmenschlichen Umgangs und dem der Naturwissenschaften) hinausläuft. O’Connor verweist schließlich darauf, dass im Fall der Ereigniskausalität eine Veränderung eine andere Veränderung verursacht, während im Fall der Akteurskausalität eine die Zeit überdauernde Substanz (enduring substance) die Ursache sei, der eine andere kausale Kraft zur Verfügung stehe, als im Fall der Ereigniskausalität. Dabei verteidigt O’Connor in beiden Fällen eine realistische Auffassung der kausalen Wirksamkeit der Ursache. Sowohl im Fall der Ereigniskausalität als auch im Fall der Akteurskausalität seien es die Eigenschaften der Ursache, die einen direkten Einfluss auf die Wirkung hätten. Chisholm und Bishop sind inzwischen beide von ihren ursprünglichen Positionen abgerückt. Chisholm, indem er die Akteurskausalität als einen Sonderfall der Ereigniskausalität ansieht und Bishop indem er die Position der Akteurskausalität ganz zugunsten der Ereigniskausalität d.h. der These, dass Handlungen durch Ereignisse verursacht werden, aufgegeben hat.88 Im Folgenden sollen die akteurskausalitätstheoretischen Ansätze von Kant, Bishop und O’Connor einer näheren Betrachtung unterzogen werden, da es sich hier tatsächlich um verschiedene Versuche handelt, zu erklären, worin der Unterschied zwischen Ereigniskausalität und Akteurskausalität besteht. Chisholm, obwohl einer der ersten Vertreter der Akteurskausalität inner87

Chisholm (1995). Bishop (1989). Allerdings deutet sich diese Wende bereits in dem Aufsatz von 1983 an, da er dort schon Wert darauf legt, dass Handlungen Ereignisse in der Natur sind, die nicht durch ein Wesen verursacht werden, welches nicht selbst den Gesetzen der Natur unterliegt. 88

44 halb der analytischen Philosophie, bleibt in Bezug auf diese Frage zu ungenau. Zwar führt er die Unterscheidung zwischen immanenter Verursachung (Akteurskausalität) und transeunter Verursachung (Ereigniskausalität) ein,89 inwiefern sich jedoch aus der Annahme von immanenter Verursachung ein Unterschied zu der transeunten Verursachung ergibt, der über die Behauptung hinausgeht, dass die Ursache im ersten Fall ein Akteur und im zweiten Fall ein Ereignis ist, bleibt bei ihm offen.90

4.1 Kausalität durch Freiheit Die These der Kausalität durch Freiheit wird heute in erster Linie mit Kant in Verbindung gebracht. Sie findet sich in der Kritik der reinen Vernunft im zweiten Hauptstück des zweiten Buches der transzendentalen Dialektik. Kant stellt dort in der dritten Antinomie folgende Thesen als einander ausschließend gegenüber: „Thesis: Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen not91 wendig.“ „Antithesis: Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich 92 nach Gesetzen der Natur.“

Die Behauptung Kants, dass es sich um Antithesen handelt, als auch seine spätere Auflösung der dritten Antinomie, sind auf vielfache Kritik gestoßen, die hier jedoch nicht thematisiert wird.93 Stattdessen soll der Blick darauf gelenkt werden, inwiefern es sich bei der Kausalität durch Freiheit um Akteurskausalität handeln kann und ob Kant ein plausibles Argument entwickelt, welches die Akteurskausalität tatsächlich als eine andere Art der Kausalität einführt. Hierfür ist es zunächst sinnvoll, sich die Aussagen der These und der 89

Vgl. Chisholm (1966). Eine ausführliche Darstellung der Kritiken an der These der Akteurskausalität von Chisholm findet sich in Keil (2000) S. 358–373. 91 Kant (KdrV) A444/B472. 92 Kant (KdrV) A445/B473. 93 Zur Kritik vgl. u.a. Smith (1923) S. 492–495 und S. 512–519, Wilkerson, T.E. (1976) S. 130–139 sowie die Überblicksdarstellungen von Kreimendahl (1998) und Allison (1998). 90

45 Antithese genauer anzusehen. In der These wird zunächst ein Antireduktionismus vertreten, der darin besteht, dass es Dinge in der Welt gibt, die nicht allein aus den Gesetzen der Naturkausalität hergeleitet werden können. Um diese Dinge zu erklären, so Kant, ist es notwendig anzunehmen, dass es eine Kausalität durch Freiheit gibt. Die Kernaussage der These besteht demnach darin, dass, um bestimmte Dinge erklären zu können, die Postulierung der Kausalität durch Freiheit notwendig ist. Es handelt sich daher um eine These, die als epistemische These bezeichnet werden kann, da in ihr etwas über die Bedingung der Möglichkeit von Erklärungen gesagt wird. Die Antithese dagegen hat einen ontologischen Kerngehalt. In Bezug auf die Frage, was es gibt, besagt sie, dass Freiheit nicht zu diesen Dingen gehört. Damit stehen allerdings These und Antithese nicht notwendig im Widerspruch zueinander. Denn, dass es sinnvoll ist, Freiheit zu postulieren, bedeutet nicht notwendig, dass es sie auch tatsächlich geben muss. Es kann sein, dass die Naturwissenschaft einfach noch nicht genug Naturgesetze entdeckt hat, um alle Phänomene zu erklären und daher zunächst ersatzweise zur Rede von der Kausalität durch Freiheit greift, da diese ebenfalls eine gewisse Erklärungsleistung vollbringt. Um nachzuweisen, dass es sich tatsächlich um These und Antithese handelt, müsste gezeigt werden, dass die Falschheit der Antithese eine notwendige Voraussetzung für die Wahrheit der These, bzw. dass die Falschheit der These eine notwendige Voraussetzung der Wahrheit der Antithese ist. Hinzu kommt, dass Kant im Rahmen der Transzendentalen Analytik einen Begriff der Kausalität diskutiert, der zunächst einmal weder im Widerspruch zur These noch zur Antithese steht. Er schreibt hier: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“.94 In der These selbst schreibt er nicht, dass der Begriff der Kausalität durch Freiheit mit diesem Begriff der Kausalität inkompatibel sei und in der Antithese nimmt er keinen direkten Bezug auf diesen Begriff der Kausalität, sondern erwähnt nur die Gesetze der Natur. Erst in den Beweisen der These und der Antithese taucht der von ihm ursprünglich eingeführte Begriff der Kausalität wieder auf und erst hier wird deutlich, warum es zwischen der These und seinem ursprünglichen Kausalitätsbegriff zu einem Widerspruch kommen kann. Der in der 94

Kant (KdrV) B232.

46 Transzendentalen Analytik entwickelte Begriff der Kausalität setzt für jede Wirkung eine Ursache voraus. Dies bedeutet für Kant, dass, wenn wir „erfahren, daß etwas geschiehet, so setzen wir dabei jederzeit voraus, daß irgend etwas vorausgehe, worauf es nach einer Regel folgt.“95 Jede Wirkung wird also als ein Geschehen betrachtet, dem etwas vorausgegangen ist, das mit der Wirkung durch eine Regel verbunden ist. Damit wird jedoch die Möglichkeit einer Kausalität durch Freiheit noch nicht ausgeschlossen. Sondern dies geschieht erst dadurch, dass das Prinzip der Kausalität beinhaltet, dass jede Ursache zugleich als Wirkung einer anderen Ursache angesehen werden müsse. Ein spontanes Hervorbringen einer Wirkung durch eine Ursache, die ihrerseits nicht verursacht ist, wird daher ausgeschlossen. Diese Auffassung findet sich erst in dem Beweis der These in der dritten Antinomie, während in dem Beweis der zweiten Analogie innerhalb der transzendentalen Analytik die Frage nach der Ursache der Ursache nicht thematisiert wird, und demnach für das von Kant dort diskutierte Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht von Bedeutung zu sein scheint. In der dritten Antinomie dagegen wird der Behauptung, dass Ursachen verursacht sein müssen, eine zentrale Stellung in der Argumentation eingeräumt: „Nun setzt alles, was geschieht, einen vorherigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muss aber der vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen wäre, seine Folge auch nicht allererst 96 entstanden, sondern immer gewesen sein würde.“

In diesem Zitat führt Kant sein wesentliches Argument für die These an, dass auch die Ursache, wie die Wirkung, als ein Geschehen oder in der Terminologie der gegenwärtigen Handlungs- und Kausaltheorien als Ereigniss aufgefasst werden müsse, da nur so erklärt werden könne, warum ein bestimmtes Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt. Würde die Ursache kein Ereignis sein, sondern eine über die Zeit unveränderliche Substanz, dann müsste die Wirkung mit dieser Substanz über die ganze Zeit hinweg verbunden und d.h. immer schon realisiert sein. Es könnte nicht erklärt werden, weshalb ein Stein am 03.03.2010 um 12.31.24 das 95 96

Kant (KdrV) B240/A195. Kant (KdrV) B473/A445.

47 Zerbrechen einer Fensterscheibe verursacht hat, dies aber nicht in der Zeit vorher und nachher getan hat.97 Denn wenn der Stein die Ursache ist, dann besteht zwischen Stein und dem Zerbrechen der Fensterscheibe eine strikte Regel, die besage, dass Steine Fensterscheiben zerbrechen. Wird dagegen angenommen, dass nicht der Stein selbst, sondern ein Ereignis, in welches der Stein involviert ist, als die Ursache für das Zerbrechen der Fensterscheibe angesehen werden muss, dann ist es nicht mehr schwierig zu erklären, warum der Stein in der einen Situation das Zerbrechen der Fensterscheibe verursachen konnte, in anderen aber nicht. Die Regel muss dann nicht mehr zwischen dem Stein und der Wirkung bestehen, sondern zwischen zwei verschiedenen Typen von Ereignissen, wobei auch die Ursache wiederum als ein verursachtes Ereignis anzusehen ist. Dies steht jedoch in einem Konflikt mit der Auffassung, dass die Ursache die hinreichende Bedingung für die Wirkung ist.98 Wenn jeder Ursache immer eine andere Ursache vorangeht, dann ist es prinzipiell unmöglich, irgendeine Ursachen als hinreichend für eine Wirkung anzusehen, da jede Ursache wieder von einer anderen Ursache abhängt. Dieser Konflikt kann für Kant nur gelöst werden, wenn man annimmt, dass es eine Ursache gibt, die absolut spontan ist, d.h. der keine andere Ursache vorausgeht. Diese Spontaneität bezeichnet er als transzendentale Freiheit. Kausalität durch Freiheit und die naturgesetzliche Kausalität unterscheiden sich demnach dadurch, dass im ersten Fall die Wirkung eine Ursache hat, die keine Ursache hat, während im zweiten Fall die Wirkung durch eine ihrerseits verursachte Wirkung verursacht wurde. Die Kausalität durch Freiheit wird dabei von Kant als das Vermögen des Willens betrachtet, eine Reihe von Dingen oder Zuständen von selbst anzufangen.99 In diesem Sinne handelt es sich bei Kants Begriff der Kausalität durch Freiheit nicht unmittelbar um Akteurskausalität, da hier der Wille als unverursachte Ursache der Handlung angesehen wird und nicht die Person. Kants Konzeption der Kausalität durch Freiheit ist mit dem Problem konfrontiert, dass die völlige Spontaneität des Willens keinerlei Erkenntnis über seine Wirkungen zulässt. Wenn der Wille im Sinne Kants spontan ist, 97

98 99

Vgl. zu dieser Kritik auch Broad (1953) S. 156f. Vgl. Kant (KrdV) B474/A445. Vgl. Kant (KdrV) B475/A447.

48 dann ist es unmöglich aus Erkenntnissen über die Natur des Willens Schlüsse auf künftige Handlungen, die durch diesen Willen verursacht werden, zu ziehen. Ähnlich verhält es sich mit einer nicht weiter qualifizierten Theorie der Akteurskausalität. Auch sie wird so verstanden, dass der Akteur völlig frei und d.h. undeterminiert in der Verursachung seiner Handlungen ist. Der Akteur darf nicht durch seine Gründe wie Wünsche oder Überzeugungen zur Verursachung der Handlung verursacht werden, soll es eine (freie) Handlung sein.100 Wenn aber der Wille spontan Ereignisse (Handlungen) verursacht, ohne selbst durch irgendetwas verursacht zu sein, dann kann das Verhältnis von Akteur und Handlung nicht mit Hilfe des Willens bestimmt werden. Doch auch wenn Kants Annahme von der Spontaneität des Willens umgedeutet wird in eine Spontaneität der Person, wie dies in der modernen Theorie der Akteurskausalität geschieht, bleibt das Problem bestehen, dass Handlungen Ereignisse zu sein scheinen, die völlig undeterminiert sind und d.h. nicht in einem interessanten Sinn dem Handelnden zugeschrieben werden können. Personen, die im Sinne der Kausalität durch Freiheit handeln, wie sie Kant in der dritten Antinomie einführt, dürften nicht auf ihre Gründe usw. als die sie motivierenden Faktoren verweisen, da dann die Handlungen abhängig von bestimmten Zuständen wären, in denen sich die Person befindet, was der Idee der absoluten Spontaneität widerspricht.101 Alle Probleme, die mit Kants Begriff der Kausalität durch Freiheit und der Auflösung der dritten Antinomie zusammenhängen, beruhen darauf, dass Kant in diesen Zusammenhängen die strikte Trennung von „Ding an sich“, über das prinzipiell keine Erkenntnis möglich ist und den Erscheinungen als Gegenständen der Erfahrung aufhebt. Im Fall der Naturkausalität wird der Begriff der Kausalität auf Ereignisse als Gegenstände der Erfahrung, die unter den Kategorien von Raum und Zeit stehen, angewandt. 100

Nimmt man dagegen an, dass der Handelnde seine Gründe frei wählt, dann gerät man in einen infiniten Regress, da die Wahl der Gründe auch begründet sein muss, und auch eine solche Wahl bereits eine Handlung darstellen würde. 101 Vgl. zu dieser Kritik auch Pinkard (2002) S. 227 und Pippin (2000). Rödl (2007) S. 116–120 dagegen versucht eine Verteidigung Kants, allerdings nicht im Hinblick auf seine Ausformulierung der Kausalität durch Freiheit, wie sie in der dritten Antinomie und ihrer Auflösung vorgenommen wird, sondern in Rückgriff auf die Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Vgl. hierzu auch Abschnitt 12.4 dieser Arbeit.

49 Demgegenüber wird angenommen, dass der Wille als „Ding an sich“, welcher daher jenseits aller möglichen Erfahrung liegt und damit auch nicht in Raum und Zeit zu verorten ist, die Welt der Erscheinungen 102 beeinflusst. Naturkausalität wird demnach bei Kant nicht in dem Sinne ontologisch gedeutet, dass es sich um eine kausale Beziehungen zwischen „Dingen an sich“ handelt, sondern es ist ein Konzept, welches auf Gegenstände der Erscheinungen angewandt wird, um eine Ordnung zwischen ihnen herstellen zu können. Unabhängig von erfahrenden Subjekten ist der Begriff der Naturkausalität überflüssig, da es ohne sie keine Erfahrung gibt. Der Begriff der Kausalität durch Freiheit muss dagegen ontologisch gedeutet werden, da der Wille als „Ding an sich“, das in der Erfahrung nicht gegeben ist, kausal wirksam werden soll. Es wäre sonst unmöglich diese Wirksamkeit herzuleiten, da der Wille nicht zur Welt der Erscheinung gehört. Weder die zeitliche Folge, noch strikte Gesetze zwischen dem Willen und dem Ereignis (als Erscheinung), können hier die Rede von einer kausalen Beziehung rechtfertigen, da beides auf den Willen als „Ding an sich“ keine Anwendung hat. Kants Einführung des Ausdrucks der ‚Kausalität durch Freiheit’ in der Auseinandersetzung mit der dritten Antinomie in der Kritik der reinen Vernunft gehört zu den dunkelsten und in der Interpretation umstrittensten Stellen, des Buches. Die vorangehende Kritik erhebt daher nicht den Anspruch, Kant in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Es sollte lediglich gezeigt werden, dass es nicht möglich ist, den von ihm in der dritten Antinomie eingeführten Begriff der Kausalität durch Freiheit für eine Theorie der Akteurskausalität nutzbar zu machen, die sich zu einem ontologischen monistischen Naturalismus bekennt. Kants strikte Trennung zwischen „Ding an sich“ und der Welt der Erscheinung steht, wie deutlich geworden sein dürfte, jedem Versuch, die Akteurskausalität als Teil einer physikalischen Welt (der Welt der Erscheinungen) zu betrachten, entgegen. Vertreter der Akteurskausalität können mit dem Begriff der Kausalität durch Freiheit, wie er von Kant entwickelt wurde, solange nicht weiterkommen, solange sie darauf bestehen, dass der Handelnde durch einen Akt des Wollens oder unmittelbar Ereignisse in der physikalischen Welt verursacht, die als seine Handlungen gelten. Wer Kant daher so liest, dass es 102

Vgl. zu dieser Problematik auch Stekeler-Weithofer (1990) S. 319.

50 dem Willen als „Ding an sich“ möglich sei, Veränderungen in der Welt der Erscheinungen herbei zu führen, dem bleibt nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass genau dieses aufgrund der völlig unterschiedlichen Seinsweise von „Ding an sich“ und den Gegenständen der Erfahrung unmöglich ist. Erstere existieren jenseits der Kategorien von Raum und Zeit. Letztere sind nur unter der Bedingung von Raum und Zeit möglich.

4.2 Die Theorie-Theorie der Akteurskausalität Die Theorie-Theorie der Akteurskausalität, wie sie von John Bishop vertreten wird, nimmt innerhalb der Positionen der Akteurskausalität eine Sonderstellung ein, da sie dem Kompatibilismus, d.h. der Vorstellung, dass Freiheit und Determination nicht einander ausschließende Konzepte sind, zustimmend gegenüber steht. Diese Haltung spiegelt sich gleichfalls in Bishops Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich das Konzept der Akteurskausalität zu dem Konzept der Ereigniskausalität verhält, wieder. Während Bishop auf der einen Seite eine grundsätzlich naturalistisch monistische Position vertritt,103 verteidigt er auf der anderen Seite die Irreduziblität nicht nur des Begriffs der Akteursverursachung, sondern auch des gesamten mentalistischen Vokabulars einschließlich des Begriffs der Person. Grundlegend hierfür ist seine Übernahme des semantischen Funktionalismus. Er besteht darin, dass zwar einerseits diese Begriffe in Bezug auf das naturwissenschaftlich – naturalistische Vokabular als irreduziebel angesehen werden, sie andererseits aber nicht als Begriffe interpretiert werden dürfen, die auf Gegenstände referieren. Sie haben eine rein erklärende Funktion innerhalb einer ganz bestimmten Theorie.104 Wenn demnach über die Irreduziblität der Akteurskausalität und des intentionalen Vokabulars gesprochen wird, dann bedeutet das, nach Bishop, dass die Funktion dieser Ausdrücke innerhalb der Alltagstheorie des menschlichen Verhaltens nicht durch andere Ausdrücke derselben Sprache ersetzt werden könne: For each system treated as an agent, the theory postulates a certain ‚active nature’, which consists in its repertoire of inferrings and basic actions and the 103

Vgl. Bishop (1983) S. 66. Eine ausführlichere Darstellung der Theorie-Theorie von Sellars, auf die Bishop zurückgreift, findet sich in Abschnitt 8.2 dieser Arbeit. 104

51 ways this repertoire may vary over time. No further explication of what an agent is can be provided within the theory. [...] But this does not entail that questions about how agency is realized, physically or otherwise, are somehow illegitimate. 105 They are just external to the theory […].

Bishop verweist demnach darauf, dass diese Irreduziblität innerhalb der Alltagstheorie nicht bedeutet, dass die Alltagstheorie bzw. einzelne ihrer Elemente nicht auf Begriffe einer anderen Theorie reduziert werden können. In Kapitel 8 wird auf diese Möglichkeit noch genauer eingegangen. Nach Bishop besteht der Unterschied zwischen der Akteurs- und Ereigniskausalität daher im Wesentlichen darin, dass es sich um zwei Begriffe handelt, die in verschiedenen Theorien vorkommen. Sie nehmen dort allerdings eine ähnliche Funktion ein, indem sie erklären, wie Ereignisse zustande kommen. Im Rahmen der Alltagstheorie erklären sie Ereignisse, die Handlungen sind, im Rahmen naturwissenschaftlicher Theorien Ereignisse im Allgemeinen. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass auch in der Sprache der Alltagstheorie der Begriff der Ereigniskausalität eine Rolle spielt, nur darf dieser nicht leichtfertig mit dem Kausalitätsbegriff der Naturwissenschaften identifiziert werden. Bishop stützt sich auf die Annahme, dass der Begriff der Ereigniskausalität allein naturwissenschaftlichen Theorien angehört. Es ist ihm zufolge dieser Aspekt, der die Akteurskausalität von der Ereigniskausalität unterscheidet.106 Gesteht man zu, dass der Begriff der Ereigniskausalität durchaus in der Theorie der Alltagssprache, eine Rolle spielt,107 dann schwindet das Unterscheidungskriterium von Bishop und es stellt sich die Frage, ob es sich nicht um die gleiche Art der Beziehung handelt, und der Unterschied ausschließlich die Relata betrifft. Wie Anfangs schon ausgeführt, lebt die Theorie der Akteurskausalität von der Intuition, dass nur dann etwas eine Handlung sein kann, wenn eine Person unmittelbar das Eintreten dieses Ereignisses verursacht hat. Der Prozess der Verursachung darf dabei nicht als ein reines 105

Bishop (1983) S. 74. Vgl. Bishop (1983). 107 Die Äußerungen Bishops zur kausalen Rolle mentaler Ereignisse beim Zustandekommen von Handlungen legen nahe, dass er diesem auch indirekt zustimmt. Vgl. Bishop (1983) S. 77f. 106

52 Regularitätsprinzip verstanden werden, sondern ist realistisch zu deuten. Ansonsten wäre es denkbar, dass der Handelnde und die Handlung in einer zufälligen Korrelation stehen. In der Konzeption der Theorie-Theorie dagegen hat dieser Realismus keinen Platz. Der Begriff der Kausalität (sowohl der der Ereignis- als auch der der Akteurskausalität) sind theoretische Begriffe, die eine Erklärungsfunktion haben und sich über die Funktionalität der durch sie gegebenen Erklärungen legitimieren. Als theoretische Begriffe sind sie jedoch Konstrukte, die von Personen entwickelt werden und lassen sich daher nicht realistisch deuten. Auch ein Kausalitätsbegriff, der die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung über den Begriff der Kraft erklärt, wäre im Rahmen der Theorie-Theorie immer noch nicht realistisch, weil diese „Kraft“ ein Postulat innerhalb der Theorie wäre, mit der das Verhältnis zwischen zwei Ereignissen beschrieben wird. Inwiefern es tatsächlich eine solche Kraft zwischen den Ereignissen gibt, spielt für die Funktionalität und damit Gültigkeit der Theorie keine Rolle. Bishop unternimmt keinen Versuch die Spannung, die zwischen der Grundintuition, dass der Handelnde unmittelbar kausal wirksam wird, und dem semantischen Funktionalismus besteht, aufzuheben.108 Es bleibt noch die Möglichkeit Akteurskausalität so zu verstehen, dass es für ein Verständnis menschlichen Handelns unabdingbar ist, zu postulieren, dass es eine spezifische Art der kausalen Relation gibt, die ausschließlich das Verhältnis zwischen Akteur und Handlung betrifft, ohne damit eine These bezüglich der theorieunabhängigen Beziehung zwischen Akteur und Handlung aufzustellen. Das Verhältnis von Handlung und Akteurskausalität wird dann aber in einer Art und Weise zirkulär bestimmt, die einen epistemischen Zugang zu dem Phänomen der Handlung verwehrt und damit die Funktion des Begriffs der Akteurskausalität untergräbt. Der Begriff der Handlung wäre dann nur über den Begriff der Akteurskausalität erklärbar, während der Ausdruck „Akteurskausalität“ allein zur Bezeichnung der kausalen Relation zwischen einer Person und ihren Handlungen dienen würde. Handlungen wären demnach die Ereignisse, die 108

In dem späteren Buch Natural Agency gibt Bishop nicht nur die These der Akteurskausalität auf, sondern auch die Übernahme der Theorie-Theorie von Sellars. Vgl. Bishop (1989).

53 durch Akteurskausalität verursacht werden und Akteurskausalität wäre die Kausalität, die allein Handlungen verursacht. Um zu beurteilen, ob ein Ereignis eine Handlung ist, müsst man daher wissen, ob sie durch Akteurskausalität verursacht wurde. Der einzige Weg, der bleibt, um herauszufinden, ob ein Ereignis durch Akteurskausalität verursacht wurde, besteht darin herauszufinden, ob dieses Ereignis eine Handlung ist, da ausschließlich letztere durch Akteurskausalität verursacht werde. Es sollte aus der vorangegangenen Diskussion der Anwendung des semantischen Funktionalismus zur Einführung des Unterschiedes zwischen Akteurs- und Ereigniskausalität deutlich geworden sein, dass Bishops Theorie nicht klärt, worin dieser Unterschied, abgesehen von der Tatsache, dass postuliert wird, dass einmal eine Person (Substanz) und einmal ein Ereignis die Ursache ist, besteht. Aber auch das Konzept der TheorieTheorie ist nicht geeignet, diesen Unterschied in einer nicht-zirkulären Weise herauszuarbeiten und sie widerspricht der metaphysischen Grundintuition der Vertreter der Akteurskausalität, die darin besteht, dass die Person tatsächlich über eine eigenständige Macht verfügt, Handlungen zu verursachen. Der semantische Funktionalismus lässt diese „Macht“ nur als ein theoretisches Konstrukt zu, welches jederzeit durch ein anderes, zur Erklärung besser geeignetes Modell, abgelöst werden könnte, das z.B. diese Möglichkeit der Einflussnahme nicht mehr beinhaltet.

4.3 Die Emergenztheorie der Akteurskausalität O’Connor verteidigt im Gegensatz zu Bishop von Anfang an eine ontologische These, mit der er zum einen an zwei Arten der Kausalität festhalten und zum anderen einen physikalistischen Monismus verteidigen will. Mit Hilfe des Begriffs der Emergenz führt er die Akteurskausalität als eine Top-Down Kausalität ein, während die Naturkausalität als Bottom-up Kausalität verstanden wird. Für erstere gilt, dass sich die Ursache eines Ereignisses nicht auf ihre Bestandteile reduzieren lässt. Eine kausale Wirkung von Makroeigenschaften eines Gegenstandes könne daher nicht auf die kausale Wirkung seiner Mirkoeigenschaften reduziert werden. Für die Naturkausalität dagegen gelte, dass jeder Verursachungsprozess vollständig auf die Wirksamkeit der Mikroeigenschaften der Ursache

54 zurückgeführt werden könne.109 Um jedoch mit dieser Unterscheidung nicht den Vorwurf auf sich zu ziehen, unter der Hand einen neuen Dualismus einzuführen, der beinhaltet, dass es zwischen der Makro- und der Mikroebene keinerlei Beziehung gibt, ist es notwendig, das Verhältnis zwischen den Ebenen zu bestimmen. Zu diesem Zweck führt O’Connor das Konzept der Emergenz ein. Phänomene der Makroebene, emergieren demnach über Phänomenen der Mikroebene. Sie würden erstens vollständig durch Eigenschaften der Mikroebene konstituiert, zweitens entständen aber durch ihr Zusammenwirken ganz neue Eigenschaften, die nicht vorhersehbar seien und kausal wirksam werden könnten. Dabei muss grundsätzlich zwischen der These der diachronen und der synchronen Emergenz unterschieden werden. Die These der diachronen Emergenz besagt, dass es möglich ist, dass sich über einen Zeitraum hinweg Systeme aus anderen Systemen entwickeln können, die Eigenschaften haben, die sich nicht auf die Eigenschaften der früheren Systeme zurückführen lassen. Die These der synchronen Emergenz besteht demgegenüber darin, dass ein System als Ganzes über Eigenschaften verfügt, die einerseits vollständig durch die Eigenschaften ihrer Teile konstituiert werden, die andererseits aber nicht aufgrund der Kenntnis der Eigenschaften der Teile ebenfalls gekannt werden können.110 O’Connor muss auf die These der synchronen Emergenz zurückgreifen, um die Akteurskausalität als ein emergente Phänomen gegenüber den neuronalen Zuständen des Gehirns auszeichnen zu können. Nun werden von O’Connor Personen nicht als emergente Phänomene bezeichnet, sondern er interessiert sich für die Kraft (power) als einer emergenten Eigenschaft des Menschen (des menschlichen Gehirns), die darin besteht, Handlungen zu initiieren. Will er daher daran festhalten, dass der Mensch in der konkreten Situation völlig frei sein kann, etwas zu tun, wie es folgendes Zitat nahe legt: “Nonetheless, there is no direct cause of my causing an intention to A, if that is what I do. No factor, internal or external, deterministic or indeterministic, brings

109

Vgl. O’Connor (2000) S. 108ff. Zum Emergenzbegriff vgl. Achim Stefan (1999) S. 66–72 und Abschnitt 7.3 dieser Arbeit. 110

55 about my acting […]”

111

dann muss es sich bei dieser Kraft um eine synchron emergente Eigenschaft der neuronalen Eigenschaften des Gehirns handeln.112 Die Fähigkeit (Kraft), Handlungen selbstständig zu initiieren, wird also nach O’Connor als eine emergente Eigenschaft des Gehirns angesehen. Es ist jedoch fraglich, ob noch von Akteurskausalität die Rede sein kann, wenn die Fähigkeit Handlungen selbstständig initiieren zu können, eine emergente Eigenschaft des Nervensystems ist, das Gehirn aber vollständig den Bedingungen der Bottom-up-Kausalität unterliegt. Um dennoch die These verteidigen zu können, dass es die Person ist, welche die Handlungen initiert, müsste O’Connor klären was eine Person, im Unterschied z.B. zu dem neuronalen System des Gehirns ist. Er müsste gleichfalls erläutern, wie die Person sich der emergenten Eigenschaft des Gehirns bedient, ohne dass es zum Problem der Überdetermination kommt, das darin bestände, dass sowohl das Gehirn die Handlungen initiiert, als auch der von dem Gehirn zu unterscheidende Akteur.113 Es gibt eine einzige kurze Passage, in der O’Connor versucht, den Begriff der menschlichen Person zu bestimmen: “[I defend] a picture in which human persons are biological entities that have 114 irreducible mental properties and capacities.”

O’Connor erläutert nicht, was er unter dem Begriff “biological entity” versteht. Er könnte einerseits so gelesen werden, dass unter ihn das fällt, was in der Biologie untersucht wird, dann würden einzelne Zellen, Organe sowie ganze Lebewesen darunter fallen oder mit ihm sind eigentlich biologische Wesen, d.h. biologische Einheiten, welche sich als Ganze entwickeln und fortpflanzen gemeint. In diesem Fall müsste der oben 111

O’Connor (2000) S. 97. Vgl. O’Connor (2000) S. 121–123. O’Connor spricht hier allerdings nicht direkt vom Gehirn, sondern von „physical systems“ S. 121, „basic biological functions“ S. 122 oder „neural structures“ S. 123. Gerade aber die Rede von neuronalen Strukturen legt nahe, dass er sich im Wesentlichen auf das Gehirn als dem System bezieht, über das die „Kraft, etwas von selbst zu beginnen,“ emergiert. 112

113

Da in Abschnitt 7.3 eine generelle Kritik an emergenztheoretischen Positionen in Bezug auf kausale Handlungstheorien erfolgt, werden hier mögliche Antworten auf diese Fragen nicht diskutiert. 114 O’Connor (2000) S. 73.

56 angeführte Begriff der Person beinhalten, dass der Mensch als Ganzer irreduzible mentale Eigenschaften und Fähigkeiten besitzt. Im ersten Fall dagegen könnte das menschliche Gehirn, bzw. jede andere biologische Einheit, welche über irreduzible mentale Eigenschaften und Fähigkeiten verfügt, eine Person sein.115 Zwar kündigt O’Conner in diesem Konztext an, den von ihm vorgeschlagenen Begriff der Person im letzten Teil seines Buches zu verteidigen,116 jedoch stellt sich bei genauerer Lektüre dieses Kapitels heraus, dass der Begriff der Person in ihm keine Rolle spielt und auch im Index des Buches wird der Begriff zum letzten Mal im Zusammenhang mit dem obigen Zitat erwähnt. Was er im letzten Kapitel des Buches verteidigt, ist die These, dass es sich bei mentalen Eigenschaften und Fähigkeiten um emergente Eigenschaften und Fähigkeiten des Gehirns handelt. Es könnte gesagt werden, dass indirekt der Begriff der Person eine Rolle spiele, da er in diesem Kapitel zeigt, dass biologische Systeme irreduzible mentale Eigenschaften und Fähigkeiten haben können. Es handelt dabei um Eigenschaften, die über die rein biologischen Eigenschaften des Systems emergieren. Der Begriff der Person bzw. des Akteurs wird demnach von O’Connor auf den Begriff einer biologischen Entität mit irreduziblen mentalen Eigenschaften und Fähigkeiten reduziert. Damit kann er aber der eigentlichen Funktion der Akteurskausalität, Handlungen im Gegensatz von reinen Ereignissen zu verursachen, nicht mehr gerecht werden. Denn seiner Theorie zufolge werden Handlungen nicht durch die biologische Entität und ihren biologischen Eigenschaften verursacht, sondern durch mentale Eigenschaften, die über den biologischen Eigenschaften der biologischen Entität emergieren. Es sind demnach Eigenschaften, die Handlungen verursachen und nicht der Akteur bzw. die Person.117 Und auch wenn für diese Eigenschaften eine andere Art der Kausalität (Top-Down-Kausalität) gilt, wäre es falsch, hier den Begriff der Akteurskausalität zu verwenden, da zum einen von einem Akteur an keiner Stelle die Rede ist, sondern 115

Ich denke, man sollte den Ausdruck „human person“ hier nicht zu eng, im Sinne eines Speziesismus lesen. Zumal in dem definierendem Satzteil der Hinweis auf „Mensch“ oder „menschlich“ nicht mehr auftaucht. 116 O’Connor (2000) Chap. 6. 117

Vgl. zu dieser Kritik auch Clarke (2003) S. 188ff.

57 allein von emergenten Eigenschaften einer biologischen Entität. Zum anderen gelten nicht nur mentale Eigenschaften innerhalb der Emergenztheorie als emergente Eigenschaften, sondern ebenso bestimmte chemische,118 biologische119 oder geologische120Eigenschaften. Im Rahmen einer emergenztheoretischen Bestimmung von Akteurskausalität, wie sie O’Connor vornimmt, wäre also für den Begriff der Handlung nichts gewonnen, wenn gesagt wird, dass Handlungen durch emergente Eigenschaften verursacht werden, da es eine Menge Dinge gibt, die im Rahmen der Emergenztheorie durch emergente Eigenschaften verursacht werden, die gemeinhin nicht als Handlungen bezeichnet werden.121 Die Unterscheidungen zwischen Handlungen und Nicht-Handlung anhand des Kriteriums: „durch emergente Eigenschaften verursacht“, wäre demnach nicht möglich, da dann vieles unter den Begriff der Handlung fallen würde, das im Rahmen von Z1122 nicht zu dem Phänomenbereich gehört, der von der kausalen Handlungstheorie untersucht wird. O’Connor versucht dieser Schwierigkeit gerecht zu werden, indem er darauf verweist, dass mentale Eigenschaften strukturierende Ursachen sind. Sie legen fest, was möglicher Weise als Wirkung eintreten kann, während der Akteur die auslösende Ursache123 ist. Der Akteur bestimmt, wann die mentalen Eigenschaften kausal wirksam werden.124 Damit steht O’Connor allerdings wieder ganz am Anfang seiner Untersuchung. Denn der Verweis 118

Vgl. Broad (1925) S. 64 und Stephan (1994). Vgl. Broad (1925) S. 67 und Stephan (1994). 120 Z.B. Wetterphänomene. Vgl. Stephan (1999) S. 242ff. 121 Dieses Problem verschwindet jedoch, wenn man zeigt, dass allein mentale Eigenschaften als emergente Eigenschaften gelten können, während für alle anderen als emergent bezeichnete Eigenschaften langfristig die Möglichkeit besteht, dass sie sich als nicht-emergent erweisen. Vgl. zu dieser Argumentation, Broad (1925) S. 80, Levine (1983) S. 357, Stephan (1994) und Beckermann (2002). Zu dem ist die Annahme, dass der Begriff der Emergenz mit einem Begriff der Top-Down Kausalität verbunden ist, umstritten. Vgl. Stephan (1999) Kap. 16. 122 Vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit. 123 Der Unterschied zwischen strukturierender und auslösender Ursache gilt als von Dretske eingeführt. Vgl. Dretske (1988) S. 42–44. Vgl. zur Anwendung dieser Unterscheidung in der Handlungstheorie Audi (1993) und Detel (2007). 124 O’Connor (2000) S. 99. 119

58 auf mentale Eigenschaften als strukturierende Ursachen sagt noch nichts darüber aus, worin die Akteurskausalität, nun verstanden als auslösende Ursache, besteht. Auch gilt es zu beachten, dass der Unterschied zwischen strukturierender Ursache und auslösender Ursache nicht mit dem Unterschied zwischen mentalen Eigenschaften und Akteur identifiziert werden darf. Diese beiden Arten von Ursache finden sich auch jenseits von Handlungszusammenhängen. So können ein weicher Untergrund, Alter und Krankheit strukturierende Ursachen sein, die bestimmen, wie ein Baum fällt, während eine heftige Windböe die auslösende Ursache für das konkrete Stürzen des Baumes ist. Der Verweis darauf, dass mentale Eigenschaften strukturierende Ursachen seien, lässt daher noch nicht den Schluss darauf zu, dass die auslösende Ursache notwendiger Weise ein Akteur und nicht ein Ereignis ist. Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, dass die emergente Eigenschaft der Akteurskausalität, die O’Connor schließlich einführt, die einzig mögliche auslösende Ursache ist. Um also die These aufrecht zu erhalten, dass der Akteur eine auslösende Ursache ist, müsste O’Conner erstens zeigen, dass die Rede von diesem Akteur nicht durch die Rede von Ereignissen oder Eigenschaften ersetzt werden kann. Zweitens müsste er nachweisen, dass es möglich ist, dass eine Substanz unmittelbar selbst Ursache sein kann und nicht Substanzen, die sich in bestimmten Umständen befinden, die Ursache sind. Denn dann sind es die Umstände, in denen sich die Substanz befindet, welche die kausale Wirksamkeit besitzen und nicht die Substanz selbst. In Bezug auf den ersten Punkt hat sich gezeigt, dass er den Begriff der Person über den Begriff der biologischen Entität mit mentalen Fähigkeiten und Eigenschaften definiert und damit auf diese beiden Elemente reduziert. Was bei ihm irreduzibel ist, sind die mentalen Eigenschaften einschließlich der von ihm eingeführten Fähigkeit, Ereignisse verursachen zu können. Es handelt sich aber bei dieser Fähigkeit um die Fähigkeit einer biologischen Entität. Auch hier gibt es keinen Hinweis darauf, warum nur bei biologischen Entitäten mit mentalen Eigenschaften die ebenfalls emergente Fähigkeit, Ereignisse verursachen zu können, auftreten.125 Des Weiteren bleibt die Frage unbeantwortet, worin die auslösende Ursache tatsächlich besteht, die die Fähigkeit Ereignisse verursachen zu 125

Eine ähnliche Kritik äußert Clarke in Clarke (2003) S. 193–196.

59 können, aktiviert. Da O’Connor den Begriff der Person als einer biologischen Entität mit emergenten mentalen Eigenschaften definiert, können entweder die mentalen emergenten Eigenschaften oder die nicht emergenten biologischen Eigenschaften diese Aufgabe übernehmen. In beiden Fällen wird das Ereignis nicht durch einen Akteur, sondern durch das Zusammenspiel verschiedener Eigenschaften einer biologischen Entität verursacht. Es kann festgehalten werden, dass aufgrund der oben genannten Probleme der Versuch, die Akteurskausalität innerhalb eines monistischen naturalistischen Weltbildes mit Hilfe des Begriffs der Emergenz zu bestimmen, als nicht erfolgreich angesehen wird.126 Wenn die Emergenztheorie für die kausale Handlungstheorie überhaupt etwas leisten kann, dann für die Theorie der Ereigniskausalität.127

4.4 Zusammenfassung Die Theorien der Akteurskausalität sind von der Beweisbarkeit der These abhängig, dass Personen die Ursache von Ereignissen sein können, die als Handlungen gelten, weil Personen sie willkürlich herbeigeführt haben. Diese These ist dem Einwand ausgesetzt, dass Substanzen und d.h. auch Personen nicht Ursachen sein können, sondern nur Ereignisse oder Prozesse. Diesem Einwand wird mit einer weiteren These begegnen. Sie besagt, dass es sich um eine besondere Art der Kausalität handelt, die sich von der Kausalität zwischen zwei Ereignissen unterscheidet. In der vorangegangenen Untersuchung zur Akteurskausalität wurden die drei bisher am gründlichsten durchgeführten Versuche, die zugleich paradigmatisch für verschiedene Richtungen stehen, diese besondere Art der kausalen Beziehung zu bestimmen, auf ihren Erfolg hin überprüft. Eine generelle Kritik, die alle Konzeptionen der Akteurskausalität betrifft, lautet, dass die völlige Indeterminiertheit des Akteurs, der durch nichts in seinem Tun veranlasst wird, kaum der alltäglichen Erwartung, dass Handlungen durch Zustände, Erfahrungen, Neigungen, Überzeugungen etc. des Handelnden erklärbar sein müssen, gerecht wird. Würde eine Person in 126

Eine weitere, sich jedoch auf andere Aspekte seiner Theorie beziehende Kritik an O’Connor findet sich in: Feldmann/Buckareff (2003). 127 Vgl. Kapitel 5 und Abschnitt 7.3 dieser Arbeit.

60 ihrem Verhalten zufälligerweise mit diesen Faktoren übereinstimmen, dann wäre es unmöglich, Handlungen durch diese Faktoren zu rechtfertigen, zu entschuldigen oder ganz allgemein zu erklären.128 In Bezug auf die Konzeption der Kausalität durch Freiheit konnte gezeigt werden, dass Kant die Kausalität zwischen Ereignissen durch das Prinzip der Regularität bestimmt, sofern sie Gegenstände der Anschauung sind. Ein solches Prinzip kann ebenso wenig wie die Verortung in Raum und Zeit, für den Begriff der Kausalität durch Freiheit angenommen werden. Kant hat daher tatsächlich zwei Arten von Kausalität unterschieden. Allerdings zeigt sich, dass diese Unterscheidung von großen Schwierigkeiten begleitet wird. So entsteht in seiner Theorie die paradoxe Situation, dass er ein realistisches Kausalitätskonzept für den Bereich einführen muss, wo es am wenigsten aufrechterhalten werden kann. Der Wille, den er in diesem Zusammenhang als ein „Ding an sich“ einführt, welches nicht unter die Kategorien von Raum und Zeit fällt, soll zu Veränderungen innerhalb des Bereiches der Erscheinungen führen, die immer nur in den Kategorien von Raum und Zeit erfolgen. Würde er hier auf das realistische Kausalitätskonzept verzichten, dann könnte er nichts mehr über die Beziehung zwischen dem Willen und der Handlung aussagen, da sie nicht durch die Möglichkeit der Korrelation, wie im Regularitätsansatz innerhalb der Naturkausalität, bestimmt werden kann. Auch das Vorhaben, den Begriff der Akteurskausalität als einen theoretischen Begriff innerhalb eines bestimmten theoretischen Rahmens zu verorten, während der Begriff der Ereigniskausalität innerhalb einer anderen Theorie eine analoge Funktion erfüllt, hat keinen Erfolg. Einmal, weil auch im Theorierahmen, in welchem die Akteurskausalität eine Rolle spielt, nicht auf den Begriff der Ereigniskausalität verzichtet werden kann, und daher Bishops wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen Ereigniskausalität und Akteurskausalität wegfällt. Hinzukommt die Zirkularität der Auffassung, dass das Spezifische der Akteurskausalität darin besteht, Handlungen zu verursachen. Zudem lässt eine solche Konzeption keine realistische Deutung der Kausalität zu, wie sie für die

128

Zur Notwendigkeit von Determination für die Fähigkeit zum Handeln vgl. Schulte Ostermann (2007).

61 kausale Handlungstheorie, egal welcher Form, unabdingbar ist.129 Am erfolgversprechensten ist der Ansatz, die Akteurskausalität als eine TopDown-Kausalität im Gegensatz zur Bottom-up-Kausalität der Ereigniskausalität mit Hilfe der Emergenztheorie zu bestimmen. Doch die Stärke dieses Ansatzes erweist sich für die These der Akteurskausalität als seine Schwäche. Denn hier wird zwar tatsächlich eine andere Art der Kausalität eingeführt, aber dies geschieht auf Kosten des Akteurs als Ursache der Handlung. Nicht der Akteur ist die Ursache, sondern seine mentalen Eigenschaften. Dem emergenztheoretischen Ansatz gelingt es daher ebenfalls nicht, einen Begriff der Handlung zu entwickeln, der allein die Phänomene erfasst, für die sich Menschen wechselseitig und selbst für verantwortlich halten. Dennoch soll der Ansatz der Emergenztheorie in Kapitel 7.3 im Hinblick auf seine Brauchbarkeit für handlungstheoretische Positionen, die Handlungen als durch Ereignisse verursacht ansehen, überprüft werden. Sie sind nicht auf den Begriff des Akteurs angewiesen, sondern erläutern den Begriff der Handlung über die Beziehung von physischen Ereignissen zu mentalen Ereignissen wie im nun folgenden Kapitel ausgeführt werden wird.

129

Siehe hierzu auch Baker (1993). Vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit zum Begriff der Kausalität.

63

5 Ereigniskausale Handlungstheorien Handlungstheoretische Positionen, die die These der Ereigniskausalität vertreten, gehen davon aus, dass jede Handlung ein Ereignis ist, welches durch ein anderes Ereignis verursacht wird.130 Während jedoch z.B. Davidson der Auffassung ist, dass sich Ereignisse, die keine Handlungen sind, von Handlungen dadurch unterscheiden, dass ihre Ursachen einem besonderen Ereignistyp angehören,131 lehnt u.a. Hornsby diese Annahme ab. Ihr zufolge unterscheiden sich die Ursachen von Handlungen nicht grundsätzlich von den Ursachen anderer Ereignisse, die uns widerfahren. Stattdessen sieht sie den Unterschied zwischen Handlungen und anderen Ereignissen allein darin, dass Handlungen intendierte Dinge bewirken.132 Aufgrund dieser These wird Hornsby im Folgenden nicht der kausalen Handlungstheorie zugerechnet werden, auch wenn sie in bestimmten Punkten, wie z.B. der Überzeugung, dass mentale Ereignisse keine Handlungen sind,133 Davidson sehr nahe steht. Im Folgenden wird zunächst die Grundidee der kausalen Handlungstheorie, wie sie von Davidson entwickelt wurde, dargestellt und mit ihren zwei großen Mängeln konfrontiert. Die erste betrifft das Problem der abweichenden Kausalketten, die zweite das Problem der mentalen Verursachung. 130

Lange Zeit war die Annahme, dass Handlungen Ereignisse sind, nahezu unumstritten. Vgl. u.a. Davidson (1963), Sellars (1973), Hornsby (1980), Brand (1989), Ginet (1990), Bratman (1990), Davis (2005) und Mele (2005b). In den letzten Jahren mehrt sich jedoch die Kritik an dieser Auffassung. Das bedeutet aber nicht, dass die Kritiker damit überhaupt das Vorhaben einer kausalen Handlungstheorie aufgeben. Sie verorten den Begriff der Handlung innerhalb dieser Theorie lediglich anders, indem sie zwischen dem Handeln einer Person und den Resultaten der Handlungen unterscheiden. Das Handeln wird dabei als die kausale Relation zwischen den mentalen Zuständen, bzw. Ereignissen in einer Person und den durch sie verursachten Resultaten bestimmt. Vgl. hier Bach (1980), Alvarez (1999), Stoecker (1993) und (2001). In Kapitel 11 wird auf diese Position noch näher eingegangen. 131 Vgl. Davidson (1971a) S. 45f. 132 Vgl. Hornsby (1980) Chap. 9. 133 Vgl. Hornsby (1980) Chap. 4. Vgl. zu Hornsby auch Kapitel 11 dieser Arbeit.

64 Theorien, die davon ausgehen, dass Handlungen mit mentalen Ereignissen identifiziert werden müssen,134 verfügen zwar über eine gewissen Tradition, sie sind in der gegenwärtigen Diskussion aber nicht als wirkliche Alternativen zur Position, wonach Handlungen durch mentale Ereignisse, die keine Handlungen sind, verursacht werden, anerkannt worden. Dennoch sollen auch zwei Theorieentwürfe dieser Tradition berücksichtigt werden, da diese Theorien auf interessante Weise versuchen, Elemente der akteurskausalitätstheoretischen Position mit Elementen der ereigniskausalitätstheoretischen Position zu verbinden.

5.1 Die Grundidee der ereigniskausalen Handlungstheorie Davidson gibt zwei Kriterien an, nach denen sich feststellen lässt, ob ein Ereignis eine Handlung ist oder nicht. Das erste Kriterium ist mit der Genese des Ereignisses verbunden und besteht darin, dass K1: ein Ereignis eine Handlung ist, wenn es durch Gründe verursacht wurde.135 Das zweite Kriterium betrifft dagegen die Menge wahrer Aussagen, die über ein Ereignis getroffen werden können. Es handelt sich nach diesem Kriterium bei einem Ereignis genau dann um eine Handlung, K2: wenn zu dieser Menge mindestens eine Aussage bzw. Beschreibung gehört, nach der dieses Ereignis intentional ist. 136 Es ist dabei zu betonen, dass diese Bedingung nicht von allen möglichen Beschreibungen des Ereignisses erfüllt werden muss, sondern es reicht, wenn eine einzige es tut.137 134

Vgl. McCann (1974), Brand (1984), Ginet (1990), Davis (1984) und (2005). Vgl. Davidson (1963). Allerdings äußert Davidson dieses Kriterium nicht explizit, sondern es ergibt sich aus seiner Überlegung, dass Handlungen durch Gründe erklärt werden können und die Erklärung durch Gründe eine Art der kausalen Erklärung darstellt. Im Folgenden wird das noch genauer ausgeführt werden. 136 Vgl. Davidson (1971a). 137 Vgl. Davidson (1971a) S. 46f. 135

65 Der Umstand, dass für Davidson beide Kriterien – das der besonderen Ursache und das der Möglichkeit, ein Ereignis als intentional zu beschreiben – wesentlich sind, unterscheidet ihn von anderen Autoren, wie Gertrude E.M. Anscombe oder Hornsby, die nur K2 zustimmen würden.138 Es legt ihn darauf fest, das Verhältnis zwischen beiden Bedingungen näher zu bestimmen. Davidson führt die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Kriterien zueinander jedoch nicht explizit aus. Das Gleiche gilt für K1, das sich nur indirekt aus seinen verschiedenen Äußerungen erschließen lässt, indem er zum einen explizit eine kausale Handlungstheorie vertritt – d.h. der Auffassung ist, dass Handlungen verursacht werden139 - und zum anderen diese Bestimmung mit der These verknüpft, dass Handlungen durch Gründe verursacht werden.140 Aus K1 allein folgt noch nicht, dass damit ausschließlich Handlungen identifiziert werden können, da es Ereignisse gibt, denen man allgemein nicht den Status einer Handlung zusprechen würde, von denen man aber dennoch sagen kann, dass sie durch Gründe verursacht wurden, wie im Folgenden anhand des Problems der abweichenden Kausalketten dargestellt werden wird.

5.2 Gründe als Ursachen 5.2.1 Das Problem der abweichenden Kausalketten Man spricht innerhalb der Handlungstheorie von abweichenden Kausalketten, wenn Gründe Ereignisse verursachen, ohne dass diese Ereignisse als Handlungen gelten. Die Bezeichnung rührt daher, dass man in diesen Fällen der Auffassung ist, dass die Gründe das Ereignis nicht auf die richtige Art und Weise verursacht haben.141 Als Beispiel lassen sich hier zwei Ereignisse gegenüberstellen, die durch Gründe verursacht wurden, von denen aber nur ersteres als Handlung gilt:

138

Vgl. Hornsby (1980) die Ablehnung des ersten Kriteriums wird am deutlichsten auf S. 105–110 und Anscombe (1957). 139 Vgl. Davidson (1973a) S. 66. 140 Vgl. Davidson (1963) S. 4. 141 Vgl. Davidson (1973a) S. 78. Zum Problem der abweichenden Kausalkette vgl. u.a. Mele (1987), Ginet (1990) S. 78, Sehon (1997), Stoecker (2003) und Keil (2007).

66 a)

Herr Müller will Herrn Gustav töten und glaubt es tun zu können, indem er auf ihn schießt. Der Wunsch und die Überzeugung zusammen sind der Grund und damit die Ursache dafür, dass Herr Müller auf Herrn Gustav schießt und ihn tötet.

Hier wird im Rahmen der kausalen Handlungstheorie davon ausgegangen, dass Herr Müller Herrn Gustav umgebracht hat. Das Ereignis des „Tötens von Herrn Gustav“ gilt deshalb als eine Handlung, da die Überzeugung und der Wunsch Müllers die Gründe und damit auch die Ursache für das Ereignis des Schießens waren. Ähnlich sieht es im Fall b) aus: b)

Herr Müller will Herrn Gustav töten und glaubt es tun zu können, indem er auf ihn schießt. Der Wünsch und die Überzeugung zusammen sind der Grund und damit die Ursache dafür, dass Herr Müller auf Herrn Gustav schießt, allerdings wird der Schuss durch einen Bullen, der sich plötzlich zwischen Herrn Müller und Herrn Gustav befindet, abgefangen. Infolge des plötzlichen, heftigen Schmerzes, greift der Bulle Herrn Gustav an und trampelt ihn tot.142

Auch in diesem Fall wird der Tod von Herrn Gustav durch den Wunsch von Herrn Müller, Herrn Gustav zu töten und seiner Überzeugung, es tun zu können, indem er auf ihn schießt, ausgelöst. Auch hier verursachen demnach Gründe den Tod von Herrn Gustav. Dennoch besteht in der handlungstheoretischen Debatte die einhellige Meinung, dass Herr Müller vielleicht den Tod von Herrn Gustav verursacht hat, aber das Ereignis des Tötens wird nicht mehr als eine Handlung von Herrn Müller angesehen. Ein auf den ersten Blick ähnliches Beispiel handelt von einem Bergsteigerteam. Tim und Tom sind auf einer Bergtour. Sie sind beim Abseilen miteinander verbunden. Während Tim noch auf einem Absatz steht, hat Tom den Abstieg schon begonnen. Plötzlich bröckelt der Fels 142

Dieses Beispiel geht in seinen wesentlichen Elementen auf Davidson (1973a) S. 78 zurück, der Daniel Bennett als Quelle angibt, ohne jedoch die dazugehörigen bibliographischen Angaben zu machen.

67 und Tom stürzt. Da Tim nicht gesichert ist, hängt nun das gesamte Gewicht von Tom an Tim. Es ist deutlich, dass, wenn Tim nicht den kleinen, sehr einfach zu lösenden Verschluss öffnet, der das Seil von Tom hält, sie beide in die Tiefe stürzen werden. Öffnet er den Verschluss, dann stürzt nur Tom zu Tode, während er (Tim) am Leben bleibt. Der Verschluss kann durch eine ganz leichte Druckbewegung mit der Hand geöffnet werden. Tim denkt über diese Situation nach. Er ist davon überzeugt, dass er den Verschluss, den er in der Hand hält, durch die Druckbewegung öffnen sollte, wenn er überleben will und er will überleben. Tim hat also einen Grund, der dafür spricht, den Verschluss zu öffnen, zugleich erschrickt er aber, als ihm dieser Grund klar wird, so darüber, dass er aus Schreck über diesen Grund seine Faust schließt und so den Verschluss öffnet. Sein Grund ist die Ursache dafür, dass er die Faust schließt.143 Sowohl im Fall der Mordabsicht (b) als auch bei den Bergsteigern sind einerseits Gründe die Ursachen für ein Ereignis, andererseits aber sind sie es in diesen Fällen durch einen weiteren Faktor, der durch den Handelnden weder eingeplant noch vorhergesehen worden war. Im ersten Beispiel handelt es sich um einen dem Handelnden externen Faktor, im zweiten Beispiel um einen Faktor, der unmittelbar zum Handelnden gehört und ohne ihn nicht besteht.144 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass zwischen den beiden Arten abweichender Kausalketten ein gravierender Unterschied besteht. Und während im Fall der extern abweichenden Kausalketten noch eine Lösung innerhalb der kausalen Handlungstheorie gefunden werden kann, stellen die intern abweichenden Kausalketten ein massives Problem für sie dar. Ein Lösungsansatz gegenüber dem Problem der abweichenden Kausalketten bestehen darin, dass die Bedingungen an die mentalen Zustände verstärkt werden, in denen sich der Handelnde befinden muss, damit 143

Dieses Beispiel findet sich in ähnlicher Form bei Davidson. Vgl. Davidson (1973a) S. 79. 144 Die Unterscheidung zwischen beiden Fällen geht auf Brand (1984) S. 17f. zurück. Er spricht dort von consequential und von antecedential waywardness. Vgl. auch Brand (1989).

68 ein durch sie verursachtes Ereignis als Handlung gilt.145 So wird z.B. gefordert, dass das Ereignis auf genau die Weise verursacht werden muss, wie der Handelnde es sich vorgestellt hat. Diese Forderung beinhaltet, dass der Handelnde eine exakte Vorstellung von der Kausalkette haben muss, die durch seine Gründe verursachten wird. Nur dann ist es möglich, sicher zwischen einer Handlung und einer Nicht-Handlung unterscheiden zu können, welches ebenfalls durch Gründe verursacht wurde.146 Dieser Lösungsansatz hat den Nachteil, dass es durchaus üblich ist, ein Ereignis als Handlung zu bezeichnen, das nicht der eigenen Prognose des Handelnden entspricht, wie c) zeigt. Er hätte daher zur Folge, dass der handlungstheoretische Begriff der Handlung nicht mehr dem alltäglichen Verständnis von Handlung Rechnung tragen könnte, wie in Z1 gefordert wird, da er zu eng gefasst wäre.147 c)

Herr Müller will Herrn Gustav töten und glaubt es tun zu können, indem er ihm ins Herz schießt, sein Wünsch und seine Überzeugung sind der Grund und die Ursache dafür, dass Herr Müller auf Herrn Gustavs Herz zielt. In dem Augenblick als Herr Müller abdrückt, bewegt sich Herr Gustav plötzlich und die Kugel trifft ihn statt ins Herz in den Kopf und führt so seinen Tod herbei.

Anders als im Fall b) dürfte dahingehend Übereinstimmung bestehen, dass 145

Vgl. Robins (1984), Mele (1994) S. 47f. und Schlosser (2007). In Enç (2004) wird demgegenüber eine funktionalistische Lösung vorgeschlagen, die letztlich auf eine Abstrahierung von den individuellen Absichten der Handelnden hinausläuft, da nur dann im funktionalistischen Sinne bestimmt werden kann, worin eine „normale“ Kausalverknüpfung besteht. Aus der Betrachtung von konkreten Einzelfällen lässt sich dieses Kriterium der „Normalität“ nicht herleiten. Zur Kritik an funktionalistischen Theorien des Geistes vgl. Abschnitt 8.3 dieser Arbeit. 146 Vgl. Mele (1994) S. 50f. Allerdings scheint Mele alle Ereignisse, die auf den Akt des Schießens folgen, ebenfalls als Handlungen zu betrachten, nur dass es sich bei ihnen nicht um absichtliche Handlungen handelt. Er sieht nicht, dass das Problem der abweichenden Kausalketten gerade darin besteht, dass ein Ereignis durch mentale Zustände verursacht wird, ohne dass es sich dabei um eine Handlung handelt. Vgl. Mele (1987). Zu Z1 vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit. 147 Vgl. Stoecker (2003) S. 301.

69 das Töten eine Handlung von Herrn Müller war, auch wenn der Tod nicht auf die von ihm vorhergesehene und geplante Weise eingetreten ist. Fall b) und Fall c) haben aber die gleiche Struktur. In beiden Fällen wird das von Herrn Müller gewünschte Ergebnis herbeigeführt und in beiden Fällen wird dieses Ergebnis in einer Art und Weise erzielt, die von Herrn Müller so nicht vorhergesehen wurde. Wenn also im ersten Fall gesagt wird, dass die für Herrn Müller unerwartete Wendung der Ereignisse dazu führt, dass es nicht seine Handlung war, Herrn Gustav umzubringen, dann müsste das gleiche Ergebnis ebenso für den Fall c) gelten. Entweder die Wünsche und Überzeugungen führen in beiden Fällen zu der Handlung: „Herr Müller bringt Herrn Gustav um“ oder es handelt sich weder im Fall b) noch in Fall c) um eine Handlung. Will man diesen Schluss nicht ziehen, dann muss man nach anderen Kriterien Ausschau halten, die eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Handlungen, die durch Gründe verursacht werden und Nicht-Handlungen, die durch Gründe verursacht werden, zulassen. Die Erweiterung des Wünsch-Überzeugungs-Modells durch Überzeugungen bezüglich der Art und Weise, in der ein Handlungsziel erreicht werden soll, löst diese Aufgabe nicht. Eine andere Lösung wurde von Myles Brand vorgeschlagen, der Absichten nicht als logische Konsequenzen, sondern als kausale Wirkungen von Gründen betrachtet. Nicht die Gründe verursachen daher unmittelbar die Handlungen, sondern zwischen Gründe und Handlungen treten Absichten als unmittelbare Handlungsursache auf.148 Eine kausale Abweichung kann daher nach Brand nur vorliegen, wenn die Handlung nicht unmittelbar durch eine Absicht verursacht wurde. Da eine gründlichere Auseinandersetzung mit diesem Vorschlag in Abschnitt 6.1 erfolgt, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Es soll stattdessen geprüft werden, ob nicht doch auch innerhalb des handlungstheoretischen Modells von Davidson eine Lösung des Problems der extern abweichenden Kausalketten gefunden werden kann. Hierfür ist es zunächst notwendig, einen genaueren Blick auf K2 zu werfen, da dieses eher geeignet ist, eine klare Grenze zwischen Ereignissen, die Handlungen sind und Ereignissen, die keine Handlungen sind, zu ziehen. Ein Ereignis ist diesem Kriterium zufolge dann eine Handlung, wenn es mindestens eine Beschreibung gibt, unter der es intentional und d.h. mit der Absicht eines Akteurs, herbeige148

Vgl. Brand (1989).

70 führt wurde. Es zielt daher nicht unmittelbar und notwendig auf eine besondere Ursache ab, durch die ein Ereignis zu einer Handlung wird, sondern fragt in erster Linie nach einer Beschreibungsmöglichkeit, die ausschließlich in Bezug auf Handlungen gegeben ist. Allein Handlungen können, so die These, unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben werden.149 Während Anscombe in erster Linie am Begriff der Absichtlichkeit bzw. der Absicht interessiert ist und nur indirekt diese Formel einführt, findet sich bei Davidson K2 direkt. Für Anscombe besteht die Besonderheit der Antwort auf die Warum-Frage darin, dass sie auf Gründe, die eine teleologische Struktur haben, verweist und es so ermöglicht, eine absichtliche Handlung mit den Ereignissen zu identifizieren, bei denen die Frage nach dem Grund ihres Eintretens sinnvoll ist.150 Davidson analysiert den Begriff der Absicht ähnlich, indem er ihn über den Begriff des Grundes erläutert.151 Allerdings gehen ihre Ansichten darüber, was ein Grund sein kann, auseinander. Davidson spricht dann von einem (primären) Handlungsgrund, wenn die Person eine Pro-Einstellung gegenüber einem künftigen Ereignis und entsprechende Überzeugungen hat, wie sich dieses Ereignis mittels einer Handlung herbeiführen lässt. Unter Pro-Einstellungen versteht er alle Haltungen des Wünschens, Wollens oder Begehrens. Haltungen, die darin bestehen, dass das Eintreten eines künftigen Ereignisses positiv gewertet wird.152 Anscombe hat dagegen einen deutlich weiteren Begriff des Grundes. So kann eine Erklärung durch Gründe bei ihr sowohl durch den Verweis auf vergangene Ereignisse, durch eine Interpretation eines Ereignisses unter bestimmten Gesichtspunkten, oder durch den Verweis auf Zukünftiges erfolgen.153 Der wesentliche Unterschied zu Davidson liegt darin, dass die Handlungsgründe nach Anscombe nicht notwendig mit mentalen Ereignissen identifiziert werden müssen.154 Da sie 149

„Action does require that what the agent does is intentional under some description,“ Davidson (1971a) S. 50. Die entsprechende Stelle lautet bei Anscombe “to call an action intentional is to say it is intentional under some description that we give (or could give) of it.” Anscombe (1957) §19, S. 29. 150 Vgl. Anscombe (1957) §§5–18. 151 Vgl. Davidson (1978). 152 Vgl. Davidson (1963) S. 3f. 153 Vgl. Anscombe (1957) §16. 154 Vgl. Anscombe (1957) §13.

71 keine kausale Theorie der Handlung vertritt, kann sie auf diesen Zug verzichten. Davidson muss dagegen darauf bestehen, dass Handlungsgründe zugleich mentale Ereignisse sind, die dann als Ursachen für Handlungen in Frage kommen. Damit also beide Kriterien für den Begriff der Handlung (K1: Handlungen werden durch Gründe verursacht. K2: Jede Handlung kann unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben werden) in Bezug auf die Frage, was eine Handlung ist, zu dem gleichen Ergebnis führen, muss er nachweisen, dass die Gruppe derjenigen Ereignisse, die unter K1 fällt, identisch ist mit der Gruppe derjenigen Ereignisse, die unter K2 fallen. Bevor dieser Gedanke jedoch in 5.2.2 weiterverfolgt wird, gilt es zu zeigen, inwiefern K2 eher geeignet ist, das Problem der abweichenden Kausalketten zu lösen. Wendet man K2 auf die oben diskutierten Beispiele an, in denen Herr Müller Herrn Gustav umbringen will, so muss man fragen, ob dieses Ereignis unter dem Aspekt des „Absichtlichen“ beschrieben werden kann. Man muss also fragen, ob es eine Beschreibung des Ereignisses gibt, die es erlaubt, das Ereignis durch einen Grund zu erklären. Der Grund muss dabei mit den Pro-Einstellungen und Überzeugungen von Herrn Gustav identisch sein. Eine erste Analyse dieser Beispiele legt nahe, dass man es bei ihnen nicht nur jeweils mit einem Ereignis, sondern mit einer Abfolge von Ereignissen zu tun hat, die in der handlungstheoretischen Diskussion als Akkordeoneffekt beschrieben werden.155 In jedem dieser Beispiele folgen verschiedene Ereignisse aufeinander, die miteinander durch ein UrsacheWirkungsverhältnis verbunden sind. So verursacht die Bewegung des Zeigefingers von Herrn Müller, dass ein Schuss gelöst wird, dieser verursacht wiederum im Beispiel a), dass Herr Gustav getroffen wird. Dieses Ereignis bewirkt, dass Herr Gustav stirbt. Im Beispiel b) verursacht die Bewegung des Zeigefingers ebenfalls, dass der Schuss sich löst, dieses Ereignis verursacht nun nicht wie im Beispiel a), dass Herr Gustav getroffen wird, stattdessen trifft der Schuss den Bullen. Der Treffer verursacht, dass der Bulle Herrn Gustav tottrampelt. Auch im Fall des Beispiels c) lässt sich 155

Einen guten und aktuellen Einblick über die Diskussion um den Akkordeoneffekt bietet Bratman (2006). Das inzwischen klassisch gewordene Beispiel von dem Wasserpumper, der, indem er pumpt, eine Regierung stürzt, findet sich in Anscombe (1957) §§23–25.

72 eine Ereignisfolge im Sinne der Beziehung von Ursache und Wirkung rekonstruieren. Sie kann zum einen analog wie das Beispiel a) rekonstruiert werden, da in a) nicht enthalten ist, an welcher Stelle Herr Gustav getroffen wird. Zum anderen kann man die Ereignisfolge noch genauer rekonstruieren, indem in ihrer Beschreibung enthalten ist, dass der Schuss verursacht, dass Herr Gustav am Kopf getroffen wird. Damit stehen die Beschreibungen von a) und c) aber noch nicht als einander ausschließend gegenüber, da in a) der Hinweis auf die Stelle, an der Herr Gustav getroffen wird, ausgelassen ist. Das gilt auch dann noch, wenn man den Wunsch und die Überzeugungen, die Herr Müller im Beispiel c) hat, als Ursachen hinzunimmt, da im Fall des Beispiels a) Herr Müller Wünsche und Überzeugungen hat. Diese Wünsche und Überzeugungen in a) sind allerdings nicht so genau bestimmt wie in c), sie können diejenigen aus c) jedoch implizit enthalten. Daraus folgt, dass das Beispiel a) eine einfache Beschreibung des Beispiels c) sein kann. Wenn das der Fall ist, dann kann gezeigt werden, dass die Ereignisse in c) durch den Hinweis auf die Gründe von Herrn Müller erklärt werden können. Das Beispiel c) ist dann die Beschreibung eines Ereignisses, welches eine Handlung ist, auch dann, wenn es unter dieser Beschreibung nicht durch einen Grund verursacht wurde, denn es gibt eine andere Beschreibung a), unter der es intentional ist und damit durch einen Grund verursacht wurde. Für den Fall b) gilt das nicht. Während es möglich ist, das Ereignis, dass Herr Gustav getötet wird, indem ihn eine Kugel trifft, dadurch zu erklären, dass Herr Müller einen Grund hatte, abzudrücken, der darin bestand, dass er Herrn Gustav töten wollte, indem er auf ihn schießt, kann b) nicht allein durch den Verweis auf die Überzeugungen und die Pro-Einstellungen von Herrn Müller erklärt werden. Es ist nicht möglich eine Lesart des Handlungsgrundes: Herrn Gustav töten zu wollen, indem auf ihn geschossen wird, zu geben, da dieser Grund nicht enthält, dass Herr Gustav getötet werden soll, indem zuvor auf einen Bullen geschossen wird. Anders sieht es aus, wenn eine noch allgemeinere Beschreibung der Ereignisfolge als in Beispiel a) gegeben wird. d)

Herr Müller will Herrn Gustav töten und glaubt das tun zu können, indem einen Schuss abgibt, dieser Wunsch und die Überzeugung zusammen sind der Grund und die Ursache dafür, dass Herr Müller

73 schießt und dadurch Herrn Gustav tötet. Im Fall von d) wird nicht festgelegt, auf wen Herr Müller schießt, so dass hier die Fälle a), b), und c) unter die allgemeine Beschreibung d) gefasst werden können. Jedes dieser Beispiele kann eine genauere Beschreibung von d) sein, bzw. d) kann eine ungenauere Beschreibung von entweder a) und c) oder aber von b) sein. Nimmt man nun an, dass unter d) das Ereignis des Sterbens von Herrn Gustav, unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben wird, dann stellt sich wieder das ursprüngliche Problem, dass sowohl a, b, als auch c als Handlungen gelten, da d) eine Beschreibung der in a), b), und c) geschilderten Ereignisse sein kann. Es lässt sich festhalten, dass a), b), c), und d) Beschreibungen von Ereignisabfolgen sind, von denen zumindest ein Teil der Ereignisse unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben werden kann. Es handelt sich um den Teil, der unmittelbar durch die in den Beispielen angegebenen Gründen erklärt wird. In den drei ersten Fällen trifft das allein auf das gezielte Schießen auf Herrn Gustav zu, im Fall d) dagegen nur auf das Abgeben eines Schusses. Es wird demnach in allen Fällen durch die Beschreibung auf die konkrete Handlung des Schießens verwiesen. Damit ist zumindest ein Kernbereich dessen bestimmt, was Handlungen sind.156 Es gelten demnach alle die Ereignisse als Handlungen, die so beschreiben werden können, dass in der Beschreibung ein Grund genannt wird, der das Eintreten des Ereignisses vollständig erklärt. Alle die Elemente, in der Beschreibung, die durch diesen Grund nicht erklärt werden können, fallen zumindest zunächst nicht unter den Begriff der Handlung. Will man daran festhalten, dass auch die kausalen Folgen der Handlung selbst Handlungen bzw. Teil der Handlung sind, dann muss man weitere Kriterien einführen, die über die beiden bisher diskutierten Kriterien hinausgehen. Hier kann festgehalten werden, dass Davidson auf das Problem der extern abweichenden Kausalketten eine Antwort anbietet, die jedoch den Begriff 156

Die Frage, inwiefern die kausalen Folgen von Handlungen von der Handlung verschiedene Handlungen oder mit dieser identische Handlungen sind, wird in der Debatte um den fine grained vs. corse graines approache geführt. Vgl. hierzu u.a. Stoecker (1998) und (1993).

74 der Handlung auf Körperbewegungen, die der alleinigen Kontrolle des Handelnden unterliegen, beschränkt. Problematisch für Davidson wird dagegen das Problem der intern abweichenden Kausalketten, das im folgenden Abschnitt behandelt wird.

5.2.2 Gründe und Absichten – Die Identitätsthese Nach Davidson sind ausschließlich Körperbewegungen Handlungen, da nur sie vollständig durch Gründe erklärt werden können, während alle anderen Ereignisse, welche Wirkungen der Körperbewegungen sind, sich der unmittelbaren Kontrolle durch mentale Ereignisse und damit durch Gründe entziehen.157 Er kommt zu diesem Ergebnis, indem er K2 (Beschreibung unter dem Aspekt des Absichtlichen) mit K1 (durch Gründe erklärt) verbindet. Die Beschreibung eines Ereignisses soll allein dann als eine Beschreibung unter dem Aspekt des Absichtlichen gelten, wenn diese Beschreibung einen Grund enthält, der dieses Ereignis erklärt. Das ist der Fall, wenn der Grund zugleich die Ursache des Ereignisses ist. Es gilt daher, dass ein Ereignis genau dann eine Handlung ist, wenn seine Ursache mit einem Handlungsgrund identisch ist. Da Ursachen als auch Wirkungen bei Davidson Ereignisse sind, muss nach Davidson der Handlungsgrund, wenn er zugleich die Handlungsursache sein soll, ein Ereignis sein. Die Identifizierung von Gründen mit Ursachen ist jedoch umstritten.158 Gründe gelten als Argumente in Schlussverfahren, die aufgrund von semantischen und logischen Regeln erfolgen. Die Wahrheit des Schlusses S: S: Diese Eiche ist ein Baum ist in der Wahrheit der Sätze: A: Alle Eichen sind Bäume und B: Dieses ist eine Eiche, begründet. Beide Sätze A und B sind demnach der Grund für die Wahrheit des Schlusssatzes S. Diese Beziehung ist aber keine kausale, sondern eine 157

Vgl. Davidson (1971a) S. 59. Abgelehnt wird diese Identifizierung unter anderem von von Wright in von Wright (1971) und Melden in Melden (1961). Vgl. auch die Abschnitte 12.2 und 12.3 dieser Arbeit. 158

75 begriffliche. Die Tatsache, dass alle Eichen Bäume sind, verursacht nicht, dass diese Eiche ein Baum ist, sondern es ist der Begriff der Eiche, der beinhaltet, dass jede Eiche ein Baum ist. Wer weiß, was der Begriff Eiche bedeutet, der weiß, dass diese konkrete Eiche demnach ein Baum ist. Auf der anderen Seite gilt für die Ursache-Wirkungsbeziehung, dass aus dem Begriff der Ursache nicht aufgrund von semantischen oder logischen Regeln auf die Wirkung geschlossen werden kann. Hier lässt nur die zusätzliche Kenntnis der Kausalgesetze Schlüsse auf mögliche Wirkungen zu. Um also sagen zu können, dass der Regen die Ursache dafür ist, dass die Straße jetzt nass ist, muss auf ein Kausalgesetz verwiesen werden, welches erklärt, wie es durch den Regen zu der nassen Straße kommt. Dieses Kausalgesetz darf im Gegensatz zu den Regeln der Semantik nicht auf Konventionen beruhen, sondern muss – und hier liegen die Schwierigkeiten des Begriffs der Kausalität – unabhängig von den Begriffen „Regen“ und „nasse Straße“ bestimmt werden. Anders als im Fall der Beziehung zwischen Gründen und Schlüssen müssen Ursache und Wirkung zwei verschiedene Ereignisse sein. Im Fall des logischen Schließens gilt dagegen, dass ein Schluss nur dann gültig ist, wenn das in ihm Gesagte in den Gründen bereits enthalten ist.159 Es ist daher Aufgabe der Kausalgesetze eine Beziehung zwischen zwei verschiedenen Ereignissen herzustellen. Worin die Kausalgesetze bestehen, d.h. welchen ontologischen Status sie haben, ist bis heute umstritten und eine einheitliche Theorie kausaler Beziehungen ist bisher nicht entwickelt worden. Stattdessen gibt es eine 159

Dieses Argument ist auch als das Logical Connection Argument bekannt. Vgl. hierzu: Melden (1961) S. 87ff, der dieses Argument im Rahmen der Handlungstheorie entwickelte und Stoutland (1970), der diese Bezeichnung einführte. Allerdings ist Stoutland, obwohl ein Gegner der kausalen Handlungstheorie, von dem Logical Connection Argument nicht überzeugt. Er verteidigt stattdessen die Auffassung, dass in einem schwachen Sinne auch im Bereich kausaler Aussagen eine logische Beziehung zwischen der Ursache und der Wirkung bestehe. Sein Einwand trifft aber nicht den hier gemachten Gebrauch des Arguments, da er Absichten als logisch notwendige Bedingungen für absichtliche Handlungen auszeichnet, die im Fall der erfolgten Handlung auch als Teil der Beschreibung der Ursache der absichtlichen Handlung angesehen werden können, insofern ein Element der Handlungsbeschreibung der erfolgten Handlung ein Element in der Absichtsbeschreibung, der vorangegangenen Absicht war. Die Frage nach der Ursache der Handlung bleibt damit aber ungeklärt. Vgl. Stoutland (1970) S. 118f.

76 Vielzahl von Ansätzen, die je verschiedene Anwendungsbereiche haben sowie verschiedene Teilprobleme lösen und dadurch aber auch neue Probleme erzeugen.160 Im Folgenden soll die Frage, wie die Identität von Gründeerklärungen (reason explanations) mit Kausalerklärungen verstanden werden kann, im Zentrum stehen. Hierfür ist es wichtig zunächst auf den praktischen Syllogismus einzugehen.161 Der praktische Syllogismus besteht in der Regel aus zwei Prämissen und einem Schlusssatz. In der ersten Prämisse wird ein Wunsch, eine Neigung oder eine Begierde ausgedrückt bzw. mit Davidsons Worten eine Pro-Einstellung. Diese Pro-Einstellung betrifft ein zukünftiges Ereignis, dem die Person, die diese Pro-Einstellung hat, positiv gegenübersteht. In der zweiten Prämisse sind die Überzeugungen dieser Person enthalten, die darin bestehen, dass sie glaubt, dieses zukünftige Ereignis mittels einer bestimmten Handlung herbeiführen zu können. In halbformaler Schreibweise lassen sich die beiden Prämissen wie folgt wiedergeben: P1 R hat die Pro-Einstellung, dass x. P2 R hat die Überzeugung, dass x, wenn R q tut. Die zweite Prämisse ist gegenüber Ergänzungen offen. So könnte x verlangen, dass R mehr als eine Handlung ausführt, oder dass x nur dann eintritt, wenn R q unter besonderen Umständen tut, unter anderen aber unterlässt etc. Wichtig ist, dass in der zweiten Prämisse zum Ausdruck kommt, dass R die Überzeugung hat, durch ihre Handlung q x herbeiführen zu können, während in der ersten Prämisse in der Pro-Einstellung ein konatives Element enthalten ist. Hinsichtlich des Schlusssatzes, der sich aus den beiden Prämissen ergibt, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. S1 R tut q. S2 R hat die Absicht, q zu tun. S3 R sollte q tun. In der Auseinandersetzung mit diesen drei möglichen Schlusssätzen hat es sich gezeigt, dass der klassische praktische Syllogismus (P1 Λ P2 → Sx) um eine weitere Prämisse ergänzt werden muss. Sie besagt, dass R rational 160

Ein Einblick in diese Problematik wurde bereits am Beginn dieser Arbeit in Kapitel 2 gegeben. 161 Vgl. Davidson (1963) S. 3.

77 sein muss, d.h. fähig sein muss, logisch richtige Schlüsse aus ihren Überzeugungen und Proeinstellungen zu ziehen.162 Inwiefern ist es berechtigt, die Schlüsse S1 – S3 aus den Prämissen P1 und P2 unter der Annahme von Rationalität zu ziehen? Will man nicht die These vertreten, dass Handlungen identisch mit dem Komplex Pro-Einstellung, Überzeugung und Rationalität sind, dann ist S1 ungültig. Versteht man unter Handlungen Ereignisse, die durch Überzeugungen und Pro-Einstellungen verursacht werden, dann muss S1 ebenso zurückgewiesen werden, da Ursachen nicht mit ihren Wirkungen identisch sind.163 Es bleiben S2 und S3. S2 ist gültig, wenn der Begriff der Absicht über die formale Struktur des praktischen Schlusses definiert wird. Wenn eine Person in diesem Sinn die in den Prämissen genannten Bedingungen erfüllt, dann heißt das nichts anderes, als dass sie die Absicht hat, q zu tun. Eine Sonderstellung nimmt S3 ein. Auf den ersten Blick scheint S3 dem Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses ausgesetzt zu sein, da in den Prämissen nur mentale Zustände von R benannt werden. Eine Forderung etwas Bestimmtes zu tun, kann daher auf den ersten Blick nicht abgeleitet werden. Allerdings ist in der Prämisse der Rationalitätsannahme die Berechtigung dieser Forderung implizit enthalten, da das Konzept der Rationalität ein normatives ist, indem es festlegt, was vernünftiger Weise getan werden sollte. In diesem Sinne ist die Forderung, wie sie in S3 ausgedrückt wird, sehr schwach normativ. Sie ist auf keine inhaltliche Begründung festgelegt, indem sie z.B. besagt, dass R q aus moralischen, politischen oder familiären Gründen tun sollte, sondern ihre Begründung besteht allein darin, dass R, wenn sie nicht irrational handeln, d.h. gegen ihre Wünsche und Überzeugungen verstoßen will, q tun sollte. 164 Davidson vertritt die Ansicht, dass der Begriff der Absicht über den Begriff des primären Grundes erläutert werden kann. Der primäre Grund besteht bei ihm in den beiden Prämissen P1 und P2.165 Das Verhältnis von 162

Diese Forderung wurde schon früh u.a. Churchland, Paul (1970) und Castañeda (1971) erhoben. 163

Damit soll nicht gesagt werden, dass Ursache und Wirkung sich nicht zumindest in ihrer zeitlichen Ausdehnung überschneiden können. 164 Im Abschnitt 12.2 der Arbeit wird S 3 ausführlich diskutiert werden. 165 Davidson (1963) S. 6.

78 Absicht und primären Grund wird dabei von Davidson noch genauer bestimmt, indem er darauf hinweist, dass zwar für jede Absicht gilt, dass sie mit einem primären Grund identisch ist, dass aber daraus noch nicht geschlossen werden dürfe, dass wer die Absicht einer Person kennt, von dieser auf den primären Grund schließen darf.166 Sätze, die die Absicht einer Person ausdrücken und Sätze, die ihre primären Gründe ausdrücken, haben daher die gleiche Extension, da sie sich auf den gleichen Gegenstand beziehen. Sie haben jedoch eine unterschiedliche Intension, da zwar aus der Kenntnis des Satzes, der den primären Grund ausdrückt, auf den Satz, der die Absicht ausdrückt, geschlossen werden kann, aber dieser Schluss nicht in umgekehrter Richtung möglich ist. Aus der Kenntnis eines Satzes, der eine Absicht ausdrückt, kann kein Rückschluss auf einen bestimmten, primären Grund getroffen werden, sondern lediglich die Wahrheit des Satzes, „dass ein primärer Grund“ vorliegt, gerechtfertig werden.167 Davidsons Konzeption des Verhältnisses von Gründen, Absichten und Handlungen lässt sich in einem ähnlichen Diagramm wie im Fall der Akteurskausalität veranschaulichen: Gründe

Absicht

Körperbewegung

mentales Ereignis = logische Implikation Abb. 3

= Ereigniskausalität

Das Verhältnis vom primären Grund zur Absicht soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden. P1 . P2 . S2 . 166

Ludwig benötigt ein Brot. Ludwig glaubt, dass er ein Brot erhält, wenn er zum Bäcker geht und ein Brot kauft. Ludwig hat die Absicht, ein Brot zu kaufen.

Auch Audi vertritt die These der Identität von Gründen (Überzeugung und Wunsch/Begehren) mit Absichten. Vgl. Audi (1993b) und Davidson (1978) S. 84f. 167 Vgl. zu diesem Verhältnis Davidson (1978) S. 84ff.

79 Nach Davidson handelt es sich bei einem Ereignis immer dann um eine Handlung, wenn es, wie bereits ausgeführt wurde, unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben werden kann. Hierfür reicht es, so Davidson, wenn es eine Beschreibung gibt, die auf eine Absicht des Handelnden verweist, wie im oben angeführten Beispiel die Absicht, ein Brot zu kaufen. Aus der Kenntnis dieser Absicht folgt aber nicht, dass man weiß, warum Ludwig diese Absicht hat. So könnte er die Absicht haben, ein Brot zu kaufen, auch wenn er für sich keines will. Sondern etwas kaufen will, mit dem er Enten füttern kann. Oder er will seine Bäckerphobie bekämpfen, indem er sich dazu zwingt, zum Bäcker zu gehen und ein Brot zu kaufen. Das einzige, was man daher aus der Absicht schließen kann, ist, dass der Handelnde die beabsichtigte Handlung als Mittel für einen weitere Zweck ansieht. Um welchen Zweck es sich handelt, entzieht sich dabei demjenigen, der nur die Absicht kennt. Wer dagegen eine vollständige Beschreibung des primären Grundes erhält, kann von diesem auf die konkrete Absicht schließen, da die Absicht logisch aus dem primären Grund folgt.168 Wer also weiß, dass a) Ludwig ein Brot benötigt, und b) dass Ludwig die Überzeugung hat, dass er Brot erhält, wenn er zum Bäcker geht und dort ein Brot kauft, der weiß, dass Ludwig die Absicht hat, beim Bäcker ein Brot zu kaufen. Der Einwand, dass Davidsons Begriff des primären Grundes nicht hinreichend ist, um einen Begriff der Absicht aus ihm ableiten zu können,169 muss hier nicht weiter interessieren, da die in dieser Arbeit formulierte Kritik auch dann noch zutreffend ist, wenn man unterstellt, dass er einen vollständigen Begriff des primären Grundes hat, der die Rationalität von Personen berücksichtigt.170 Es bleibt der Einwand, dass Davidsons Theorie keine Antwort auf das Problem der intern abweichenden Kausalketten hat. Die intern abweichenden 168

Die logische Beziehung zwischen Absicht und primären Grund wird von Davidson in Davidson (1963), (1973a) S. 80 und (1978). herausgearbeitet. In den Abschnitten 6.1 und 6.2 wird demgegenüber die Position, dass Absichten nicht mit den Handlungsgründen identisch sind, einer kritischen Überprüfung unterzogen. 169 Vgl. hier unter anderem die Kritik von Sellars (1973) S. 190f. 170 Einen solcher weiter ausgearbeiteten Begriff der Absicht ist z.B. bei Bratman (1999) Essay 11 und Audi (1991) zu finden.

80 Kausalketten erfüllen zwar das erste Kriterium Davidsons, da das Ereignis durch Gründe erklärt werden kann, nicht aber das zweite, denn hier gibt es für den Handelnden keine Beschreibung, unter der das Ereignis absichtlich gewesen wäre. Der Bergsteiger, der zwar den Wunsch hat, zu überleben und glaubt überleben zu können, wenn er das Seil, an welchem sein Freund hängt, loslässt, erfüllt alle Bedingungen, um im Rahmen von Davidsons Theorie davon zu sprechen, dass er die Absicht hat, das Seil loszulassen. Andererseits kann es sein, dass er jede mögliche Beschreibung des Loslassens als absichtlich zurückweist, wenn der Schreck über seine Gedanken und nicht die Proeinstellung mit der dazugehörigen Überzeugung, das Loslassen unmittelbar verursacht hat. Da nach Davidson Absichten logisch aus Gründen folgen, es also keine von ihnen verschiedenen Ereignisse oder Zustände sind, kann es seiner Theorie zufolge keine Fälle geben, in denen es primäre Gründe gibt (Überzeugung und Proeinstellung), aber keine Absichten vorliegen.171 die Möglichkeit intern abweichender Kausalketten ist im Rahmen der Handlungstheorie Davidsons daher aus begrifflichen Gründen ausgeschlossen, was gleichbedeutend damit ist, dass Davidson der Realität intern abweichender Kausalketten nicht gerecht wird. Innerhalb der kausalen Handlungstheorie wird auf dieses Problem durch eine Trennung von Absichten und Gründen reagiert. Absichten sind von den Gründen zu unterscheidene Ereignisse und entweder durch sie172 oder aber, wie im Fall der Akteurskausalität, durch einen Akteur verursacht. Wird angenommen, dass ein Ereignis dann eine Handlung ist, wenn es eine Beschreibung gibt, in der es durch eine Absicht erklärt wird, dann stellt sich weitergehend die Frage, inwiefern diese Absicht die Handlung erklärt. Es muss daher das Verhältnis zwischen Absicht und Handlung geklärt werden. Davidson sagt, dass Handlungen durch den primären Grund verursacht werden.173 Da, Davidson zufolge, gezeigt wurde, dass jede Absicht mit einem primären Grund identisch ist, muss er auch sagen, dass Handlungen durch Absichten verursacht werden. Das bedeutet, dass die Erklärung eines Ereignisses durch den Verweis auf eine Absicht eine Kausalerklärung ist, die sich grundsätzlich nicht von anderen 171 172

173

Vgl. zu dieser Kritik an Davidson McCann (1986a) und Keil (2000) Kap. 1.4. Vgl zu Brand Abschnitt 6.1 und zu Ginet Abschnitt 6.2 dieser Arbeit. Davidson (1963) S. 4.

81 Kausalerklärungen unterscheidet, die nicht auf Absichten sondern auf andere Ereignisse verweisen. Weiter bedeutet es, dass Absichten Ereignisse sind, wie andere Ereignisse in der Welt auch. Das Ereignis, dass Ludwig die Absicht hat, ein Brot zu kaufen, dürfte sich in qualitativer Hinsicht nicht von dem Ereignis unterscheiden, dass Ludwig sich beim Bücken den Kopf stößt. Ersteres verursacht, dass Ludwig ein Brot beim Bäcker kauft und letzteres, dass Ludwig eine Beule bekommt. Allerdings vertritt Davidson die Ansicht, dass nur im ersten Fall die Absicht nicht allein die Ursache der Handlung ist, sondern sie darüber hinaus noch rationalisiert174 und d.h. die Handlung als ein Ereignis beschreibt, dessen Eintreten aus Sicht des Handelnden in Bezug auf seine Interessen vernünftig ist. Das Ereignis des Schwellens der Beule lässt sich dagegen durch das Kopfstoßen nicht in dieser Weise rationalisieren, solange Ludwig nicht die Absicht hatte, sich den Kopf zu stoßen. Das Problem, das Verhältnis von Absichten und Handlungen zu bestimmen, besteht darin, dass mehrheitlich davon ausgegangen wird, dass Absichten und Handlungen nicht in einem rein logischen Zusammenhang stehen. Absichten gelten als Zustände bzw. Ereignisse, die raum-zeitlich von Handlungen verschieden sind. Ein logischer Schluss von der Absicht zum Vollzug der Handlung ist daher nicht möglich. Es ist nicht möglich, aus dem Vorliegen der Absicht auf das Vorliegen der Handlung zu schließen. Es ist aber der umgekehrte Schluss möglich: Aus dem Vorliegen der Handlung kann auf das Vorliegen einer Absicht geschlossen werden, so wie bei jedem Ereignis darauf geschlossen werden kann, dass es eine Ursache hat. Vor diesem Hintergrund scheint die These Davidsons, dass Handlungserklärungen, die auf Absichten verweisen, eine Art Kausalerklärung sind, zunächst nicht unplausibel zu sein. Eine ernst zu nehmende Schwierigkeit bleibt jedoch bestehen. Wenn man zugesteht, dass dasjenige, was die Handlung erklärt, ihr semantischer Gehalt ist und nicht ihre angenommene physische Realisierung im Gehirn einer Person, dann muss man die Frage beantworten, wie ein semantischer Gehalt kausal wirksam werden kann. Davidson versucht diese Frage mit seiner Theorie des Anomalen Monismus zu beantworten. Eine Auseinandersetzung mit dieser und anderen Theorien der mentalen Verursachung erfolgt allerdings erst im 3. Teil 174

Vgl. Davidson (1963) S. 3ff.

82 dieser Arbeit. Unabhängig davon kann nun dem Kriterium der Alltagstauglichkeit seiner Theorie nachgegangen werden.

5.3 Die Frage nach der Alltagstauglichkeit Nach Davidson können nur einfache Körperbewegungen im strikten Sinn als Handlungen gelten, da erstens ausschließlich sie unmittelbar durch neuronale Ereignisse verursacht werden können und zweitens allein neuronale Ereignisse in Frage kommen, mit Handlungsgründen identisch zu sein. Eine genauere Darstellung dieser Argumentation findet sich in Abschnitt 7.1, in welchem Davidsons Theorie zum Verhältnisses von mentalen und physischen Zuständen dargestellt wird. Bei den Beispielen, die von Vertretern der kausalen Handlungstheorie im Rahmen des Problems der Individuierung von Handlungen einer genaueren Analyse unterzogen werden, handelt es sich in der Regel um Handlungen, bei denen der Handelnde nicht mehr tut, als einmalig einen Teil seines Körpers zu bewegen. Sei es eine Arm-, Finger oder Fußbewegung.175 Wenn komplexere Vorgänge in das Blickfeld der kausalen Handlungstheoretiker gelangen, dann meist in Form des Akkordeoneffekts, welcher die zunehmend komplexer werdenden Folgen dieser Körperbewegung betrifft. Vor dem Hintergrund dieser Beispiele und der von Davidson vertretenden Auffassung, dass nur Körperbewegungen Handlungen sein können, ist die Frage nach der Relevanz einer solchen Handlungstheorie für ein Verständnis des Phänomens des Handelns, im Sinne von Z1, berechtigt. Dort geht es nicht nur um einzelne Körperbewegungen, sondern um höchst komplexe Bewegungszusammenhänge, die nicht in jedem Fall, wie bei dem Akkordeoneffekt in einer kausalen Relation zueinander stehen.176 Beispiele waren: Die Speisekarte lesen, sprechen, eine Melone schneiden, Klavierspielen, Zähneputzen, den 175

Vgl. Davis (1970), Goldman (1971), McCullagh (1976), Richards (1976), Bratman (1978), Davidson (1971a), Ginet (1990) Chap. 4 und Chant (2006). 176 Allerdings können hier neben kausalen Beziehungen auch konventionelle Beziehungen in Frage kommen. Z.B. Handbewegen – ein Zeichen machen – jemanden beleidigen – sich strafbar machen. Der Handelnde tut auch hier nicht mehr, als die Hand zu bewegen, dennoch kann die Handlung, aufgrund der in seiner Gesellschaft bestehenden Konventionen, als Zeichen, Beleidigung und schließlich als Straftat interpretiert werden.

83 Gegner Schachmatt setzen, nach Philadelphia fahren, Golfspielen, in den 177 Zoo gehen und mit dem Sohn Bilder zeichnen. Keine dieser Handlungen lässt sich, wie in dem diskutierten Beispiel des Mordanschlags von Herrn Müller auf Herrn Gustav, auf eine einzelne Körperbewegung zurückverfolgen, sondern alle diese Handlungen beinhalten unzählige kleine Körperbewegungen, die nicht kausal voneinander abhängig sind, da die zeitlich späteren nicht durch die zeitlich früheren verursacht werden. Dass Frau Fischer einen Schritt in Richtung Park geht, verursacht nicht, dass sie auch einen zweiten, dritten, vierten usw. Schritt zum Park geht. Oder, wenn Peter sich ein Eis aus der Eistruhe des Supermarktes nimmt, verursacht das nicht, dass er es an der Kasse bezahlt. Gleiches lässt sich ebenso für den Bereich der Körperbewegungen feststellen: Wenn ein primärer Grund im Sinne Davidsons eine Körperbewegung, d.h. eine Handlung, verursacht, so kann das in zweifacher Weise gelesen werden: a) Der primäre Grund verursacht die komplette Körperbewegung, z.B. das Heben des Arms. b) Der primäre Grund verursacht, dass die Körperbewegung – das Heben des Arms – in Gang gesetzt wird. Dieser Anfangsimpuls verursacht eine Aufwärtsbewegung, die ihrerseits eine weitere Aufwärtsbewegung verursacht etc., bis schließlich der Arm entsprechend des Inhaltes des primären Grundes gehoben ist. Das Heben des Arms wird dann als Akkordeoneffekt gedeutet. Da Davidson nur den Anfang einer solchen Kette im eigentlichen Sinn als Handlung bezeichnet, muss er, wenn er a) vertritt, es für unmöglich halten, dass der Handelnde die Armbewegung, nachdem sie verursacht wurde, noch kontrolliert. Oder als Handlungen kommen für ihn noch nicht einmal mehr Bewegungen, sondern allein die Anfangsimpulse von Bewegungen in Frage. Beide Alternativen sind unbefriedigend, da die Ereignisse, die dann noch als Handlungen gelten können, mit solchen Phänomenen wie: die Speisekarte lesen, sprechen, eine Melone schneiden, Klavierspielen, Zähneputzen, den Gegner Schachmatt setzen, nach Philadelphia fahren, Golfspielen, in den Zoo gehen und mit dem Sohn Bilder zeichnen, unmit-

177

Vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit.

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telbar nichts zu tun haben. Handlungen, die sich aus mehreren Einzelhandlungen zusammensetzen, die nicht in einem kausalen Zusammenhang zueinander stehen, werden im Folgenden als aggregierte Handlungen bezeichnet.179 Um aggregierte Handlungen in die kausale Handlungstheorie zu integrieren, wäre es zumindest notwendig, zu zeigen, dass sie vollständig mittels des Begriffs der Handlung, wie er in der kausalen Handlungstheorie entwickelt wird, erfasst werden können. Aggregierte Handlungen müssen ihr zufolge durch Gründe verursacht werden, die mit neuronalen Ereignissen identisch sind. Da jedoch neuronale Ereignisse, wenn überhaupt etwas, dann Körperbewegungen verursachen, aggregierte Handlungen aber aus voneinander kausal unabhängigen Körperbewegungen bestehen, muss jede singuläre Körperbewegung innerhalb einer aggregierte Handlung durch ein eigenes neuronales Ereignis verursacht werden, dem ein primärer Grund entspricht.180 Offen bleibt die Frage, wie die sinnvolle Einheit der aggregierten Handlung, die durch die Vielzahl neuronaler Ereignisse verursacht wird, gewährleistet werden kann, da neuronale Ereignisse ausschließlich in kausalen – naturgesetzlichen - Relationen zueinander stehen. Im Rahmen der kausalen Handlungstheorie, wie sie von Davidson verteidigt wird, ist es nur möglich, einzelne Körperbewegungen zu beabsichtigen, da allein diese Gegenstand eines primären Grundes sein und damit durch diesen verursacht werden können. Unmöglich ist es dagegen, die Absicht zu haben, sich einen Tee zu kochen, da ich nicht etwas beabsichtigen kann, über dessen Eintreten ich keine Kontrolle habe. „How can I be sure that what I’m doing now is making tea when all I have done so far is put the kettle on? The rest is not only up to nature, but on whether some suitable mental and/or neural event will prompt me to put the tea in the pot 178

Vgl. zu diesen Beispielen Abschnitt 1.1 dieser Arbeit. Vgl. hierzu auch Abschnitt 6.2 dieser Arbeit. 180 Nimmt man an, dass aggregierte Handlungen durch längere Sequenzen neuronaler Zustände verursacht werden, dann müsste man entweder davon ausgehen, dass sie eine in sich geschlossene Kausalkette bilden, auf die der Akteur dann keinen Einfluss mehr hat oder aber die Sequenz müsste durch eine Vielzahl einzelner Gründe, die je unabhängige Teilursachen der aggregierten Handlung darstellen, verursacht werden. Vgl. Schulte-Ostermann (2003). Kap. 3. 179

85 181

now.”

Diese Bemerkung von Rosalind Hursthouse weist auf das oben angesprochene Problem hin, welches die Vertreter der kausalen Handlungstheorie in Bezug auf aggregierten Handlungen haben. Es besteht darin, dass die Einheit der aggregierten Handlung dadurch entsteht, dass ihre einzelnen Teilhandlungen einer Absicht des Handelnden untergeordnet sind, die darin besteht, diese Handlung auszuführen. Der Gehalt dieser Absicht kann sich dabei nicht auf die Summe der für diese Handlung notwendigen Teilhandlungen beschränken, sondern muss darüber hinaus auch die Relationen zwischen den einzelnen Teilhandlungen beinhalten, die nicht in kausalen Abhängigkeiten bestehen, sondern nicht selten konventioneller, grundsätzlich aber normativer Art sind.182

181

Hursthouse (2000) S. 95. Der normative Charakter dieser Relationen wird im Kapitel 12 dieser Arbeit ausführlich behandelt. 182

87

6 Gründe – Absichten – Handlungen: Die These vom dritten Element Die in diesem Kapitel zu besprechenden handlungstheoretischen Positionen nehmen eine Zwischenstellung zwischen ereigniskausalen und akteurskausalen Handlungstheorien ein. Wie ereigniskausale Handlungstheorien greifen sie nicht auf den Begriff des Akteurs als eigentliche Handlungsursache zurück, sondern Handlungen werden als durch Ereignisse verursacht angesehen. Mit der Akteurskausalität teilen sie die Auffassung, dass Handlungen nicht allein durch mentalen Zustände des Subjekts, die die Wünsche und Überzeugungen betreffen, verursacht werden. Hinzukommt ihnen zufolge ein drittes Element, das in Bezug auf Wünsche und Überzeugungen irreduzibel ist. Ähnlich wie in der akteurskausalen Handlungstheorie gibt es hier Vertreter, die dieses dritte Elemente als die eigentliche Handlung betrachten, während die Körperbewegungen nur als kausale Folgen der basalen Handlungen gelten. Sie beziehen sich dabei auf Vorgänge des In-Angriff-Nehmens, Versuchens, Herbeiführens oder Beabsichtigens, die sie als Akte bezeichnen.183 Es gibt aber auch Autoren, die wie Davidson erst Körperbewegungen und ihre Folgen als Handlungen bezeichnen. Als unmittelbare Handlungsursache gelten dann Absichten oder Entscheidungen. Gründe/ mentale Ereignisse

3. Element

Körperbewegung

Absichten/Volitionen, Versuche/etwas in Angriff nehmen etc. = Ereigniskausalität

Abb. 4

183

Vgl. Baier (1970), O`Shaughnessy (1973), Hornsby (1980), Ginet (1990) und Adams/Mele (1992).

88 Die Ursachen des 3. Elementes wurden hier allgemein mit „Gründe/mentale Ereignisse“ bezeichnet. Das vereinfacht die Diskussion sehr, da in der Frage, was die Ursachen dieses Elementes sind, die Positionen auseinander gehen. Für die vorliegende Auseinandersetzung ist jedoch nur von Interesse, dass das 3. Element als verursacht gilt und seinerseits etwas verursacht. Von diesen Positionen ist schließlich eine weitere Position zu unterscheiden, die in Kapitel 11 gesondert thematisiert werden wird. Ihr zufolge ist die Handlung die kausale Relation zwischen dem dritten Element und dem Resultat (der Körperbewegung). Es sollen nun die Ansätze von Carl Ginet und Myles Brand im Hinblick auf die Erfüllung von Z1 und Z2 untersucht werden.184 Im Gegensatz zu anderen Vertretern dieses Theorietyps185 finden sich bei Ginet und Brand direkte Hinweise darauf, dass sie zumindest mit der Möglichkeit einer naturalistischen Handlungstheorie rechnen. Brand sieht Handlungen als durch Absichten verursachte Ereignisse an. Er lehnt demnach die Auffassung ab, dass Absichten Handlungen sind. In dieser Hinsicht steht er Positionen wie der Davidsons nahe. Ginet geht dagegen davon aus, dass Willensakte, die mentale Ereignisse sind, als Handlungen allen anderen Handlungen zugrunde liegen.

6.1 Absichten als unmittelbare Handlungsursachen Während für die bisher behandelten Theorieansätze nachgewiesen werden konnte, dass sie Z1 nicht erfüllen, gilt für Brand, dass er explizit und wiederholt darauf aufmerksam macht, dass es ihm nicht darum geht, nur einfache minimale Körperbewegungen oder sogar ausschließlich mentale Akte des Verursachens als Handlungen auszuzeichnen. Sondern er ist an Phänomenen wie Autofahren, Kuchenbacken, Putzen, einen Text schreiben, 184

Zu Z1 und Z2 vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit. Vertreter dieser Theoriemodelle begnügen sich mit dem Nachweis, dass entweder der Begriff der Absicht bzw. der Volition ein irreduzibles Element ist, oder aber sie weisen nach, dass nur durch die Einführung solcher Begriffe Probleme wie z.B. das der Individuierung von Handlungen, gelöst werden können. Eine Einbettung ihrer Theorie in die Philosophie des Geistes, wie es für eine kausale bzw. naturalistische Theorie der Handlung gefordert wird, erfolgt dagegen in der Regel nicht. Vgl. u.a. Davis (1984). 185

89 ein Theaterstück inszenieren etc. interessiert.186 Eine Handlungstheorie muss, Brands Anspruch nach, den Intuitionen der Alltagspsychologie Rechnung tragen können. Ein reduktionistischer oder sogar eliminativistischer Zugang wird von ihm daher abgelehnt, da wissenschaftliche Theorien nur ihre Berechtigung hätten, wenn sie Probleme und Fragen, die im Rahmen von Alltagstheorien entstehen, lösen bzw. beantworten könnten. Andererseits bedeutet es für ihn nicht, dass nicht auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Modifizierung der Alltagstheorien führen können.187 Wenn Brand daher sein Projekt als Beginn einer Naturalisierung der Handlungstheorie begreift, dann ist das bei ihm zumindest nicht unmittelbar mit einer Festlegung auf einen naturalistischen Monismus verbunden. Sondern Naturalisierung heißt für ihn die philosophische kausale Handlungstheorie mit den Methoden der Kognitions- und Motivationspsychologie zusammenzubringen, um so empirische Erkenntnisse in Bezug auf das Phänomen des Handelns gewinnen zu können.188 Brands Ansprüche an eine gute Handlungstheorie entsprechen daher Z1. Schwieriger wird es in Bezug auf Z2. Brand hält an der These der kausalen Handlungstheorie, dass Handlungen einen eigenen Ursachetyp haben, fest. Und wie für Davidson und andere Vertreter der kausalen Handlungstheorie gilt für ihn eine besondere Art mentaler Ereignisse als Handlungsursache. Diese mentalen Ereignisse werden von Brand als Absichten bezeichnet, die ihm zufolge nicht auf ein einfaches Überzeugungs-Wunsch-Paar reduziert werden können, sondern eine eigene Art mentaler Ereignisse sind, die durch Überzeugungen oder Wünsche verursacht werden können.189 Als Handlungen gelten bei ihm einfache sowie komplexe Körperbewegungen und das langfristige Verfolgen von Handlungsplänen.190 Auch Brand müsste daher, um an der kausalen These festhalten zu können, erklären, wie mentale Ereignisse zu Ursachen von anderen mentalen Ereignissen (Verursachung von Absichten durch Gründe und Pro-Einstellungen) und zu Ursachen von physiologischen Ereignissen 186

Vgl. Brand (1984) S. 14 und S. 43. Vgl. Brand (1984) Abschnitt 6.3 und 6.4. 188 Vgl. Brand (1984) S. X. 189 Vgl. Brand (1984) Chap. 5. und 6. 190 Vgl. Brand (1984) u.a. S. 4, S. 222f. und S. 240f. 187

90 (Körperbewegungen) werden können. Es gilt nun zunächst die Theorie Brands in ihren wesentlichen Zügen zu rekonstruieren. Brands Theorie erregte vor allem aufgrund seiner Lösung des Problems der intern abweichenden Kausalketten Aufmerksamkeit, indem er zwischen unmittelbaren und mittelbaren Ursachen von Handlungen unterschied. Ein Ereignis, wie z.B. das Loslassen der Leine, das zum Absturz des Partners führt, kann nur dann, so Brand, eine Handlung sein, wenn es unmittelbar durch eine Absicht verursacht wurde. Führt dagegen die Absicht nicht unmittelbar zur Handlung, sondern löst andere mentale Zustände aus, die dazu führen, dass der Akteur das Seil nicht mehr halten kann, dann hat die Absicht nicht mehr unmittelbar das Ereignis verursacht, so dass keine Handlung vorliegt.191 Hier soll jedoch zunächst nicht auf diesen Lösungsansatz eingegangen werden, sondern Brands handlungstheoretische Position in seiner Gesamtheit dargestellt werden. Erst anschließend ist zu prüfen, ob Brand die Probleme der kausalen Handlungstheorie – abweichende Kausalketten und die Integration von zusammengesetzten (aggregierten) Handlungen – im Rahmen seiner Handlungstheorie wirklich lösen kann. Für Brand steht jede kausale Handlungstheorie vor dem fundamentalen Problem „to adequately specify the nature of the proximate cause of action.“192 Die Lösung dieses Problems kann für ihn nicht allein in einer alltagspsychologischen Theorie der Handlung gefunden werden. In ihr fänden sich lediglich die unanalysierten Elemente, die erst zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung gemacht werden müssten.193 Die Bestimmung der „Natur“ der unmittelbaren Handlungsursache ist somit Aufgabe der wissenschaftlichen Psychologie bzw. der Künstlichen-Intelligenz (KI)-Forschung, in die Brand große Hoffnungen setzt.194 Da Brand davon ausgeht, dass Handlungen durch Ereignisse verursacht werden, sieht er eine erste dringende Aufgabe in der Bearbeitung des fundamentalen Problems darin, den ontologischen Status von Ereignissen 191

Vgl. Brand (1984) S. 15–32. Brand (1984) S. 33. 193 Vgl. Brand (1984) S. 160–170. 194 Vgl. Brand (1984) Chap. 8 und 9. 192

91 zu klären und d.h. Identitätsbedingungen für sie anzugeben. Grundsätzlich verteidigt er, wie auch Davidson, die These, dass Ereignisse Einzeldinge sind. Ihre Identitätsbedingungen bestimmt Brand anhand der Gegenüberstellung mit physikalischen Objekten. Die Identitätsbedingung von physikalischen Objekten besteht in ihrer Verortung in Raum und Zeit. Für Ereignisse gilt, dass sich zwar an jeder räumlichen Position nur ein physikalisches Objekt befinden kann, dass aber zugleich an einem Ort verschiedene Ereignisse zur gleichen Zeit stattfinden können. So wird bei einer Explosion ein Gegenstand an einem Ort, zu einer Zeit zerstört. Es findet jedoch zeitgleich am gleichen Ort eine Zunahme der Temperatur statt, die mit dem Ereignis der Zerstörung nicht identifiziert werden kann. Die Angabe der Raum-Zeit-Koordinaten reicht daher als Identitätsbedingung für Ereignisse nicht aus.195 Wichtig ist, dass Brand den Begriff des physikalischen Objekts auf Dinge beschränkt, die im wörtlichen Sinne greifbar sind – die wir ohne weitere Hilfsmittel sinnlich wahrnehmen können. Moleküle, Atome oder subatomare Teilchen fallen bei ihm nicht unter diese Kategorie,196 ohne dass er ihnen dafür den Status von rein theoretischen Entitäten zuschreiben würde. Aufgrund dieses Begriffs von physikalischen Objekten ist es ihm möglich einen Ereignisbegriff zu verteidigen, der zulässt, dass es Ereignisse gibt, die sich unabhängig von ihrer Verbindung mit physikalischen Objekten ereignen. Nicht jedes Ereignis ist demnach für Brand eine Veränderung an einem physikalischen Objekt. Als Beispiel für solche Ereignisse gibt er die Veränderung der magnetischen Stärke in einem magnetischen Feld an, welches keine physikalischen Objekte in seinem Sinn enthalten muss.197 Die Identitätsbedingung für Ereignisse bestimmt Brand in Analogie zur Identitätsbedingung von physikalischen Objekten, indem er hier noch einen Notwendigkeitsoperator einführt. Ein Ereignis e1 ist dann und nur dann identisch mit einem Ereignis e2, wenn es logisch notwendig ist, dass, wenn sich e1 zum Raumzeitpunkt r ereignet, e2 sich ebenfalls ereignet und dass, wenn sich zu r e2 ereignet, e1 sich ereignet. Ein Ereignis ist demnach dann mit einem anderen Ereignis identisch, wenn es logisch 195

Vgl. Brand (1984) S. 56f. Vgl. Brand (1984) S. 58. 197 Vgl. Brand (1984) S. 57. 196

92 ausgeschlossen ist, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt und einem gegebenen Ort das eine Ereignis, aber nicht das andere Ereignis stattfindet. An dieser Bestimmung wird deutlich, dass Brand Ereignisse nicht unabhängig von der Möglichkeit der sprachlichen Bezugnahme auf sie identifizieren kann. Denn, ob es logisch möglich ist, dass ein Ereignis e1 sich zu einem bestimmten Raumzeitpunkt r ereignet, ohne dass sich ein Ereignis e2 ereignet, hängt davon ab, wie das entsprechende Ereignis beschrieben wird. Das Ereignis der Zerstörung und das Ereignis der Wärmeentwicklung sind daher deswegen verschieden, weil die Begriffe „Zerstörung“ und „Wärmeentwicklung“ eine unterschiedliche Extension haben, so dass es denkbar ist, dass es an Raumzeitpunkten zu Zerstörungen, nicht aber zu Wärmeentwicklungen kommt. Ob also zu einem Raumzeitpunkt eines oder mehrere Ereignisse stattgefunden haben, hängt im Wesentlichen von der Differenziertheit der verwendeten Sprache ab.198 Auch wenn sicherlich vieles gegen den Ereignisbegriff Brands eingewandt werden kann, soll hier seine Plausibilität unterstellt und darauf aufbauend ein Blick auf seine Bestimmung von mentalen Ereignissen geworfen werden. Brand setzt die Existenz von mentalen Ereignissen voraus.199 Eine eigene Argumentation zugunsten dieser Auffassung führt er nicht an. Anders als bei physikalischen Ereignissen stellt sich jedoch das Problem ihrer raumzeitlichen Verortung. Während die zeitliche Verortung, wenn man zwischen Dispositionen und Ereignissen unterscheidet, ein kleineres Problem darstellt, indem mentale Ereignisse zeitlich darüber bestimmt werden, dass sich eine Person in einem bestimmten mentalen Zustand befindet,200 gestaltet sich ihre räumliche Verortung schwieriger. Ist es das Gehirn, ist es der Körper, ist es der Raum, an dem sich eine Person befindet oder nehmen sie gar keinen Raum ein? Brand schließt sich der Auffassung an, dass sich mentale Ereignisse an den Orten ereignen, an denen sich die Person befindet. Er hält es aber nicht für notwendig, die anderen 198

Hierin zeigt sich wohl am klarsten der Unterschied zum Ereignisbegriff von Davidson, der gerade versucht die Identität von Ereignissen völlig von der Art der sprachlichen Bezugnahme zu lösen. Vgl. Davidson (1969). 199 Brand (1984) S. 79. 200 Vgl. Brand (1984) S. 81.

93 Positionen, auch wenn sie z.T. mit Problemen behaftet sind, auszuschließen. Eine Identifizierung von mentalen Zuständen mit Zuständen des Gehirns schließt er demnach nicht grundsätzlich aus. Den Nachweis einer solchen Identitätsbeziehung für sein Vorhaben einer naturalisierten Handlungstheorie sieht er allerdings nicht als wesentlich an.201 Der Begriff des mentalen Ereignisses wird schließlich von ihm dadurch von physikalischen Ereignissen unterschieden, dass mentale Ereignisse intentional sind. Jedes mentale Ereignis handelt von etwas.202 Nach dieser sehr weiten Definition bemüht sich Brand nun die eigene Gruppe derjenigen mentalen Zustände heraus zu filtern, die als unmittelbare Handlungsursache gelten können. Dies kann für ihn nur im Rahmen einer wissenschaftlichen Theorie erfolgen, da ihm zufolge die wesentlichen Unterschiede zwischen Absichten, Wünschen, Überzeugungen und den aus ihnen zusammengesetzten mentalen Ereignissen und Zuständen mittels der Alltagspsychologie nicht erfasst werden können, da sie nicht über das begriffliche Instrumentarium verfügt. Jeder Versuch, ausschließlich mit den alltagssprachlichen Begriffen den Begriff der unmittelbaren Handlungsursache, d.h. den Begriff der Absicht, zu bestimmen, führe letztlich dazu, den alltagssprachlichen Handlungsbegriff in seiner Komplexität nicht mehr erfassen zu können.203 Im Anschluss an seiner Kritik an den Versuchen, den Handlungsbegriff allein mit den Mitteln der Alltagspsychologie bestimmen zu wollen, führt Brand sein eigenes Vorhaben durch, einen Begriff der Absicht zu entwickeln, der reichhaltig genug ist, um alle Phänomene des Handelns integrieren zu können. Dabei hält er an der kausalen These fest. Der Begriff der Absicht muss demnach mentale Ereignisse auszeichnen, die unmittelbare Handlungsursachen sind. Wie auch Davidson nimmt er an, dass Absichten sowohl eine kognitive als auch einen konativen Aspekt haben müssen. Im Unterschied zu Davidson ist er der Ansicht, dass Absichten erstens nicht das Zusammentreffen von Überzeugungen und konativen Zuständen sind, sondern durch diese verursacht werden und zweitens einfache Überzeugungen und 201

Vgl. Brand (1984) S. 42f. Vgl. Brand (1984) S. 85f. 203 Das Scheitern von Theorien, die sich allein auf die Begriffe der Alltagspsychologie stützen wird in Brand (1984) Chap. 5 und 6 ausgeführt. 202

94 konative Zustände nicht ausreichen, um eine Absicht zu verursachen. Anstelle des sehr einfachen Wunsch-Überzeugungs-Modells werden seiner Auffassung nach Absichten durch ein Netzwerk kognitiver Zustände wie langfristigen Handlungsplänen, Überzeugungen, Präferenzordnungen, konkreten Erwartungen und konativen Zuständen von einer ähnlichen Komplexität verursacht. Insgesamt zeigt sich in der Arbeit Brands, dass er zwar fest davon überzeugt ist, dass Handlungen unmittelbar durch Absichten verursacht werden, er aber an keiner Stelle darauf eingeht, wie Handlungen bzw. Körperbewegungen, die als Handlungen gelten, verursacht werden. Seine Auseinandersetzung mit dem Absichtsbegriff und den Ursachen von Absichten betreffen nur den intentionalen Charakter von mentalen Zuständen, eine Theorie darüber, wie dieser intentionale Charakter kausal in der physischen Welt wirksam werden kann, bietet er nicht an. Deutlich wird, dass er sowohl eliminativistische als auch reduktionistische Theorien entschieden ablehnt. Wissenschaftliche Theorien haben sich ihm zufolge in erster Linie an den Erfordernissen der Alltagserfahrungen und der Alltagstheorien zu orientieren. Die Nicht-Theoriefähigkeit von Phänomenen bedeutet daher für Brand nicht, dass diese Phänomene entweder gar nicht existieren oder auf andere Phänomene reduziert werden müssen, sondern dass die Theorien noch nicht weit genug entwickelt sind, um diese Phänomene integrieren zu können.204 Betrachtet man seine Äußerungen zu den mentalen Zuständen von Personen, die in seiner Terminologie die Absichten verursachen sollen, dann spielen dort so viele Faktoren eine Rolle, dass es unmöglich sein dürfte, diese Faktoren in irgendeiner Art und Weise mit einem bestimmten Typ von Ursache zu identifizieren, der ausschließlich Absichten verursacht. Brand gesteht zudem zu, dass bei sehr komplexen Handlungsabläufen, die sich über längere Zeiträume hin erstrecken, der Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilhandlungen nicht mehr durch eine einzelne Absicht gewährleistet wird.205 Die aggregierte Handlung kann dann aber nicht als unmittelbar durch eine Absicht verursacht angesehen werden. Der Begriff der Absicht zur Bestimmung der aggregierten Handlung wird dadurch 204 205

Vgl. Brand (1984) S. 167–170 und S. 249. Vgl. Brand (1984) Chap. 7.

95 unbrauchbar. Brands Vorhaben eine kausale Handlungstheorie zu entwickeln, bei der der Begriff der Handlung einerseits durch einen besonderen Ursachentyp ausgezeichnet wird und andererseits aggregierten Handlungen ebenfalls gerecht wird, ist demnach nicht erfolgreich. Damit stellt sich das Problem der intern abweichenden Kausalketten neu. Wenn Absichten ihrerseits verursacht werden, dann ist es denkbar, dass sie nicht in der richtigen Art und Weise verursacht werden. Brand verschiebt daher das Problem der intern abweichenden Kausalketten. Es fehlt ein Kriterium, anhand dessen man bestimmen kann, ob die Absicht tatsächlich unmittelbar durch die vorangegangenen kognitiven und konativen Zustände verursacht wurde. Wenn es nicht möglich ist, zu entscheiden, ob eine Absicht in der richtigen Art von den kognitiven und konativen Ereignissen und Zuständen verursacht wurde, dann werden die kognitiven und konativen Zustände einer Person in Bezug auf die Frage, ob sie gehandelt hat oder nicht, irrelevant, da es dann keine Rolle mehr spielt, wodurch die Absicht verursacht wurde. Andererseits würde damit aber auch der Begriff der Absicht nutzlos werden, da er nur noch als unmittelbare Handlungsursache definiert werden kann, während der Begriff der Handlung über den Begriff der unmittelbaren Absicht bestimmt wird. Ein Zirkel, der weder etwas über den Begriff der Handlung, noch etwas über den Begriff der Absicht aussagt. Will man dagegen das Problem der intern abweichenden Kausalketten lösen, dann müsste neben der unmittelbaren Ursache der Handlung auch eine unmittelbare Ursache der Absicht gefunden werden. Ein Weg, der in einen unendlichen Regress führt, da ebenso auf dieser Ebene „falsche“ Ursachen eintreten können. Schließlich dürfte das Projekt von Brand auch deshalb nicht gelingen, weil die Alltagssprache mentale Zustände nicht als Ursachen von Handlungen beschreibt. Seiner Auffassung nach aber die Angemessenheit einer Theorie davon abhängig ist, dass sie den Intuitionen der Alltagssprache gerecht zu 206 werden vermag. Menschen, die ihre Handlungen damit erklären, dass ihre Gründe die Ursache dafür sind, dass sie bestimmte Absichten haben, welche ihrerseits Handlungen verursachen, gelten eher als pathologische Fälle. Auf die Frage: Warum hast du eingekauft, lauten normale 206

Vgl. Brand (1984) Abschnitt 6.3 und 6.4.

96 Antworten: „Weil ich heute Abend meine Freunde bekochen will und ich noch Zutaten benötige“, „weil mein Kühlschrank leer ist“ oder „weil morgen Wochenende ist.“ Menschen, die dagegen sagen: „Weil mein Wunsch, dass ich heute Abend meine Freunde bekochen will und meine Überzeugung, dass ich dafür noch Zutaten brauche, in mir die Absicht verursacht hat, einkaufen zu gehen. Diese Absicht hat ihrerseits verursacht, dass ich mich jetzt hier im Laden befinde.“ würden mindestens Irritation auslösen und zwar nicht, weil sie einen gewöhnlich elliptischen Satz vollständig aussprechen, sondern weil Menschen, die sich als kausal durch ihre mentalen Zustände bestimmt begreifen, nicht als Akteure ihrer eigenen Handlungen gelten. Es ist diese Einsicht, die auch den akteurskausalen Handlungstheorien zugrunde liegt. Allerdings begründen sie ebenfalls keine kausale Handlungstheorie, wie in Kapitel 4 gezeigt wurde. Die Alltagssprache und Alltagspsychologie legen gerade nicht nahe, dass Handlungen durch mentale Zustände verursacht werden. Deutlich wird dies daran, dass man in Sätzen, mit denen Handlungen begründet werden, das „weil“ nicht durch ein „verursacht“ ersetzen kann, ohne dass der Handelnde als Opfer seiner mentalen Zustände erscheint.207

6.2 Willensakte Wer eine Handlungstheorie vertreten will, in der der Begriff der Handlung über den Begriff des Willensaktes bestimmt wird, muss sich mit dem von Gilbert Ryle vorgebrachten Regresseinwand auseinandersetzen.208 Er besteht darin, dass, wenn man Handlungen darüber definiert, dass sie durch mentale Handlungen verursacht werden, dies ebenso für die mentalen Handlungen selbst gelten müsse. Carl Ginet nimmt in On Action diesen Einwand an und versucht, mit seiner Theorie der Volitionen eine handlungstheoretische Position zu entwickeln, die zum einen nicht diesem 207

Vgl. z.B. die Sätze: Ich kaufe einen Blumenstrauß, weil ich meiner Großmutter eine Freude machen will vs. Mein Wunsch, meiner Großmutter eine Freude machen zu wollen, verursacht mich einen Blumenstrauß zu kaufen. Oder: Ich lese dieses Buch, weil mich sein Inhalt interessiert vs. Mein Interesse an dem Inhalt des Buches verursacht, dass ich es lese. 208 Vgl. Ryle (1949) S. 65f.

97 infiniten Regress ausgesetzt ist. Zum anderen – und damit markiert er am deutlichsten die Mittelposition zwischen Ereignis- und Akteurskausalitätstheorien – verbindet er eine inkompatibilistische Position bezüglich des Verhältnisses von Freiheit und Determination mit einer ereigniskausalen Auffassung innerhalb der Handlungstheorie. Wie auch in den vorangegangenen Abschnitten stehen hier die Fragen im Mittelpunkt, inwiefern Ginet tatsächlich eine Theorie entwickelt, die erklärt, wie Handlungen durch mentale Ereignisse verursacht werden (Z2) und inwiefern er der Vielfalt menschlicher Handlungsformen gerecht zu werden vermag (Z1). Ginet geht es zunächst einmal darum Z1 zu entsprechen. Zu diesem Zweck unterscheidet er drei verschiedenen Handlungstypen: a) Basishandlungen, b) komplexe Handlungen und c) aggregierte bzw. zusammengesetzte Handlungen. Die Basishandlungen liegen den komplexen und den zusammengesetzten Handlungen zugrunde. Jede Basishandlung ist nach Ginet eine mentale Handlung, eine „Volition“ – ein Willensakt.209 Komplexe Handlungen sind Folgen der Basishandlungen. Diese umschließen zum einen die kausalen Folgen, als auch an späteren Punkten der kausalen Kette konventionelle Folgen der komplexen Handlungen.210 Aggregierte Handlungen unterscheiden sich von komplexen Handlungen dadurch, dass sie nicht durch eine einzige, sondern durch mehrere Basishandlungen verursacht werden.211 So handelt es sich z.B. nach Ginet bei der Handlung des Informierens um eine komplexe Handlung, wenn die Information durch ein Augenzwinkern vermittelt und letzteres durch einen Willensakt ausgelöst wird. „Eine Botschaft übermitteln“ ist eine komplexe Handlung, der allein der Willensakt „ein Augenzwinkern ausüben zu wollen“ zugrunde liegt. Ein eindeutiger Fall einer aggregierten Handlung ist dagegen das Kochen einer Mahlzeit. Hier gibt es keinen Willensakt der Form „Das Kochen einer Mahlzeit ausüben zu wollen“, da dies implizieren müsste, dass, wenn dieser Willensakt ausgeführt würde und keine externen Faktoren den Prozess unterbrechen, die Mahlzeit ohne weitere Willensakte des Handelnden gekocht werden müsste. Das ist allerdings nicht der Fall. Das Kochen einer Mahlzeit erfordert eine Vielzahl von Einzelschritten, die nicht kausal oder 209

Vgl. Ginet (1990) S. 30f. und S. 73f. Vgl. Ginet (1990) S. 74f. 211 Vgl. Ginet (1990) S. 86f. 210

98 durch Konventionen voneinander abhängig sind, sondern aus einander z.T. überlagernden und parallel zueinander ablaufenden komplexen Handlungen bestehen (Nudeln werden gekocht, während die Soße zubereitet wird). Generell gilt, dass Ginet den Begriff der Handlung darüber bestimmt, dass jeder komplexen oder zusammengesetzten Handlung mentale Handlungen zugrunde liegen. Damit wird für ihn der von Ryle angesprochene Regress zu einem ernsthaften Problem. Er muss zeigen, dass es Handlungen gibt, die ohne durch andere Handlungen verursacht zu sein, qua ihres Handlungscharakters andere Handlungen verursachen können. Die nicht zirkuläre und nicht regressive Bestimmung des Begriffs des Willensaktes ist daher die wichtigste Aufgabe, die Ginet zu bewältigen hat. Ginets allgemeine Handlungsdefinition, die er im Laufe der Erörterungen immer weiter präzisiert lautet: „S’s V-ing at t’ designates an action if and only if either (i) it designates a simple mental occurrence that had the actish phenomenal quality or (ii) it designates S’s causing something, that is, an event consisting in 212 something’s being caused by an action of S’s”

Die Präzisierungen betreffen die komplexen und aggregierten Handlungen und sind daher zunächst nicht von Interesse. Stattdessen soll der Blick auf seine weiteren Ausführungen zur Bestimmung der mentalen Handlungen geworfen werden, da die Angabe, dass es sich um einfache, nicht weiter analysierbare Ereignisse handelt, die eine „actish phenomena“ Qualität haben, erläuterungsbedürftig ist. Ein zentraler Begriff Ginets, der in der Definition nicht auftaucht, ist der Begriff der „exertion“, der sich am besten mit dem Begriff des Vollziehens von Körperbewegungen übersetzen lässt, wenn man davon absieht, dass im Vollziehen bereits die erfolgreiche Ausübung der Handlung impliziert wird. Wird daher vom Vollzug einer Körperbewegung gesprochen, dann wird damit im Sinne Ginets nicht gemeint, dass die Körperbewegung tatsächlich vollzogen wird, sondern dass der Handelnde alles unternimmt, um die Körperbewegung zu vollziehen. Für Vollzüge von Körperbewegungen im Sinne Ginets gilt, dass der Handelnde erstens erlebt, dass er etwas vollzieht und zweitens, dass er dieses Vollziehen als 212

Ginet (1990) S. 15.

99 freiwillig erlebt. „[W]e experience this exertion and we experience it as voluntary“.213 Wichtig ist, damit Ginets Begriff der mentalen Handlung nicht in einen infiniten Regress bzw. in einen Zirkel führt, dass er an dieser Stelle davon spricht, dass die Vollzüge und auch ihre Freiwilligkeit erlebt werden. Würde er schreiben, dass die Vollzüge freiwillig vollzogen werden, dann würde der Begriff des Vollzuges zirkulär bestimmt werden. Mittels des Begriffs des Vollzuges einer Körperbewegung (exertion) fasst Ginet den Begriff der Volition wie folgt: „So the mental action I mean by volition is an aspect, a constituent, of seeming to one that one voluntary exerts the body. [… ] Volition does not precede the 214 experience of voluntarily exerting but is a part of it” .

Aus diesem Zitat und aus den vorangehenden Äußerungen Ginets geht hervor, dass Volitionen von Personen über den Begriff der Erfahrung eines freiwilligen Vollzuges einer Handlung bestimmt werden. Dennoch sieht Ginet Volitionen nicht als Erfahrungen, sondern als Handlungen an, die ihrerseits andere (komplexe) Handlungen verursachen. Für den Handlungscharakter argumentiert er damit, dass Personen auch dann Volitionen und d.h. die Erfahrung haben können, eine Handlung freiwillig zu vollziehen, wenn die Handlung ohne ihr Wissen aus physiologischen Gründen unmöglich ist (z.B. eine nicht bekannte Lähmung). Die Person glaubt, in dieser Situation etwas zu tun, was sie tatsächlich nicht tut und zwar, weil sie die Erfahrung des freiwilligen Vollzuges hat. Die Person wäre demnach nicht in der Überzeugung gerechtfertigt, dass sie die Handlung ausführt, aber sie wäre nach Ginet gerechtfertigt zu glauben, dass sie versucht, die Handlung auszuführen, da sie sich über die Erfahrung des freiwilligen Vollzuges nicht täuschen kann. Es ist diese Erfahrung des freiwilligen Vollzuges, die nach Ginet in einer solchen Situation unmittelbar als die Handlung des Versuches, eine Bewegung auszuführen, zu gelten habe, da jeder Versuch eine Handlung sei.215

213

Ginet (1990) S. 24. Ginet (1990) S. 29. 215 „Since I am unaware of the paralysis, I might mistakenly think that I actually was exerting with my arm. But I would correctly think, I would know, that I was at least trying to exert with it. I could hardly be mistaken about that, and this is because my having this volitional experience, of which I am directly aware, counts in these 214

100 Ginet sieht, dass die Erfahrung der Freiwilligkeit allein nicht hinreichend dafür ist, dass ein Vollzug wirklich freiwillig erfolgt. Sein Kriterium für die Freiwilligkeit lässt zudem seinen ganzen Ansatz zirkulär erscheinen. Denn damit die Überzeugung, etwas freiwillig zu vollziehen, gerechtfertigt ist, bedarf es zusätzlich zu der Erfahrung der Freiwilligkeit noch, dass der mentale Akt der Volition tatsächlich vorliegt, den er zuvor über den Begriff der Erfahrung des freiwilligen Vollzuges bestimmt hat. Allerdings wird dieser Eindruck wieder zurückgenommen, wenn Ginet kurz darauf schreibt „Nothing can count as my voluntarily exerting my body if it does not seem to me at the time that my body’s exertion is in virtue of my voluntary control of it.”216 Es geht also auch hier nicht um ein für den Akteur externalistisches Kriterium. Ob etwas freiwillig ausgeführt wird oder nicht, hängt ausschließlich davon ab, dass der Handelnde die entsprechende Bewegung als etwas erlebt, das in seiner Kontrolle ist. Irrelevant dagegen ist und das ist zunächst überraschend, wenn man Ginet innerhalb der kausalen Handlungstheorie verorten will, wodurch diese Bewegung verursacht wurde und damit verbunden, ob es faktisch so etwas wie eine Kontrolle des Vollzugs gibt. Es kommt lediglich darauf an, dass der Akteur etwas als von ihm kontrolliert erlebt.217 Zumindest im Hinblick auf mentale Handlungen kann gesagt werden, dass Ginet keine kausale Handlungstheorie vertritt, da das Kriterium der Verursachung in seiner Definition der mentalen Handlung keine Rolle spielt. Schwieriger ist es dagegen seine Haltung in Bezug auf Körperbewegungen zu bestimmen, die für ihn bereits komplexe Handlungen sind, denen eine mentale Handlung zugrunde liegt. So schreibt er: „Does volition cause voluntary exertion? No. Voluntary exertion begins with, not results from, volition. Volition is the initial part, not the cause of voluntary exertion.”218 Einige Zeilen später kommt er jedoch auf das Problem der abweichenden Kausalketten zu sprechen. Er stellt fest, dass aus der Tatsache, dass jemand circumstances as my trying to exert with it. And whatever counts as trying to act counts as acting”. Ginet (1990) S. 30. 216 Ginet (1990) S. 30, Hervorhebung KSO. 217

Aus diesem Grund wird Ginet z.B. von Mele (2005b) nicht der kausalen Handlungstheorie zugerechnet. 218 Ginet (1990) S. 39.

101 eine Bewegung vollziehen will, noch nicht folgt, dass die vollzogene Bewegung tatsächlich als eine Handlung gelten kann. Ginet kommt zur gleichen Bedingung, wie auch viele anderen Vertreter der ereigniskausalen Handlungstheorie: Damit eine Bewegung als eine komplexe Handlung gilt, muss sie zum einen vorliegen und zum anderen muss sie in der richtigen Art und Weise verursacht werden. „If there was just my willing to exert force forward with my arm, and my arm’s exerting force forward and no causal connection between them, then obviously 219 there would not be my voluntary exerting force with my arm.”

Es steht also, entgegen der vorangegangenen Aussage, für Ginet fest, dass zwischen den Volitionen (“willing” wird von Ginet hier benutzt, da sich „Volition“ nicht in die Verbform übersetzen lässt220) und dem Vollzug körperlicher Bewegungen eine kausale Beziehung besteht („Clearly, a causal connection between the willing and the body’s exertion is required“221). In Ginets Beantwortung der Frage, worin die richtige Art der kausalen Verknüpfung von Volition und dem Vollzug einer Körperbewegung besteht, zeigt sich sein im gesamten Text eher verdeckt gehaltener Naturalismus am deutlichsten. Er geht davon aus, dass es im Gehirn ein bzw. mehrere Volitionszentren gibt. Die in ihnen auftauchenden Volitionen werden dann so übersetzt, dass die Neuronen, die für Körperbewegungen zuständig sind (motor neurons), entsprechend reagieren können.222 Die kausale Beziehung zwischen Volition und Körperbewegung rechtfertigt genau dann, von der Körperbewegung als von einer Handlung zu sprechen, wenn es einen Standartmechanismus gibt, der eine bestimmte Volition mit einer bestimmten Körperbewegung verbindet und wenn im konkreten Fall dieser Standartmechanismus stattgefunden hat.223 Vor dem Hintergrund der soweit rekonstruierten Theorie Ginets können nun einige Bedenken zum Ausdruck gebracht werden. Zum einen betrifft es das Verhältnis von Volitionen (mentalen Handlungen) und Körperbe219

Ginet (1990) S. 39. Einige Zeilen später heißt es: „But not just any sort of causal connection will do. The volition must cause the body’s exertion via the right sort of mechanism”. 220 Vgl. Ginet (1990) S. 15. 221 Ginet (1990) S. 39. 222 Ginet (1990) S. 43. 223 Vgl. Ginet (1990) S. 40f.

102 wegungen (komplexen Handlungen). Wie oben ausgeführt wurde, vertritt Ginet in Bezug auf Volitionen eine rein internalistische Auffassung. Ob etwas ein mentaler Akt ist oder nicht, hängt ausschließlich davon ab, ob die Person bestimmte Erfahrungen hat. Hat sie die Erfahrung, dass sie eine Bewegung freiwillig vollzieht bzw. den freiwilligen Versuch unternimmt, eine Bewegung zu vollziehen, dann liegt eine mentale Handlung – eine Volition – vor. Das bedeutet, dass der Mensch auch im Schlaf, zum Beispiel während des Träumens, handelt, da es dort sehr eindrückliche Erfahrungen des freiwilligen Vollziehens von Körperbewegungen gibt. Es gibt aber noch ein anderes Unbehagen, das mit der Definition von Ginets Begriff der mentalen Handlung verbunden ist. Erfahrungen werden generell eher als etwas verstanden, dem eine Person ausgeliefert ist. Sie kann sich zwar in einen Zustand versetzen, bestimmte Erfahrungen zu machen oder nicht zu machen, das Eintreten der Erfahrung aber entzieht sich ihrer Kontrolle. Handlungen dagegen gelten als etwas, was der Handelnde in seiner Kontrolle hat, was er aktiv vollzieht. Eine Definition des Handlungsbegriffs durch den Begriff der Erfahrung führt dazu, dass das Element der Kontrolle verloren geht, denn etwas als in der eigenen Kontrolle liegend zu erleben und etwas in der eigenen Kontrolle zu haben, ist nicht notwendig das Gleiche, wie schon René Descartes in seinen Meditationen mit Hilfe des Traumarguments eindrucksvoll herausgearbeitet hat.224 Der rein internalistischen Auffassung von mentalen Handlungen steht nun eine rein externalistische Auffassung komplexer Handlungen gegenüber. Zwar hat Ginet in seiner Definition der komplexen Handlung das internalistische Element berücksichtigt, da der Handelnde den Vollzug der Körperbewegung in einer ganz bestimmten Weise erleben muss. Dieses Element verliert aber seinen Einfluss, wenn man Ginets Äußerungen zur Verursachungsbeziehung zwischen Volitionen und Körperbewegungen ernst nimmt. Wie oben ausgeführt, hängt die Frage, ob diese Verursachungsbeziehung in der richtigen Art und Weise vorliegt, ausschließlich von Faktoren ab, die dem Handelnden unmittelbar gar nicht zugänglich sind. Es handelt sich um einen neuronalen Mechanismus, der einem bestimmten Standart zu entsprechen hat und der zwischen den Bereichen des Gehirns, die für Volitionen zuständig sind und denen, die für die Körperbewegung 224

Vgl. Descartes (1994) S. 12f.

103 zuständig sind, vermittelt. Ginet unterstellt, dass zwischen den Volitionen, d.h. den „Erfahrungen einer Person eine Bewegung freiwillig zu vollziehen“ und den neuronalen Zuständen des Gehirns eine eindeutige, unproblematische Beziehung besteht. Einerseits will er sich nicht auf eine Identitätsthese festlegen, andererseits gibt er auch nicht an, wie das Verhältnis von den Erfahrungen, etwas freiwillig zu tun und den neuronalen Zuständen des Gehirns, sonst zu bestimmen ist. Im Rahmen seiner Theorie werden Körperbewegungen von bestimmten neuronalen Zuständen verursacht, die ihrerseits durch andere neuronale Zustände in sogenannten Volitionszentren des Gehirns verursacht werden. Der Handelnde hat von allen diesen Vorgängen im Gehirn kein unmittelbares Bewusstsein. Er hat lediglich ein Bewusstsein von den phänomenalen Qualitäten der Volitionen, die eine Erfahrung der Person aber, will man nicht einen groben Kategorienfehler begehen, keine Erfahrung des Gehirns sind, da das Gehirn selbst keine Erfahrungen macht, sondern sich in verschiedenen biochemischen Zuständen befindet. Soll die Erfahrung, etwas freiwillig zu tun, kein Epiphänomen und damit ohne jeden Einfluss auf das Verhalten von Personen sein, dann muss erläutert werden, wie phänomenale Qualitäten von Bewusstseinszuständen auf die Gehirnzustände von Personen Einfluss ausüben. Ginet, wie gesagt, äußert sich in dieser Hinsicht nicht. Das Problem der mentalen Verursachung bleibt damit bei Ginet unbeantwortet. Auch die zweite Frage nach der Integration von aggregierten Handlungen bleibt unbearbeitet. Zwar findet sich eine explizite Berücksichtigung dieser Art des Handelns in seiner Theorie, aber abgesehen von ihrer Definition als eine Zusammensetzung verschiedener komplexer Handlungen mit unterschiedlichen basalen Handlungen, werden sie in seine Handlungstheorie nicht integriert. Es bleibt unklar, wie es sein kann, dass unterschiedliche mentale Handlungen, die jeweils komplexe Handlungen nach sich ziehen, in einer sinnvoll geordneten, den Handlungsplänen des Akteurs entsprechenden, aggregierten Handlung zusammenkommen. Aggregierte Handlungen sind nicht eine beliebige Summe verschiedener, einzelner, komplexer Handlungen (wie Körperbewegungen), sondern sie folgen Handlungsschemata, die in der Regel sprachlich vermittelt sind und bestimmten Kohärenzbedingungen genügen müssen.225 Ginet steht daher in seiner Theorie in Bezug auf die 225

Vgl. Bratman (1987) und Schulte-Ostermann (2003).

104 aggregierte Handlungen vor ähnlichen Problemen wie Brand,226 wobei er allerdings deutlich weniger Aufwand betreibt, diesen zu begegnen.

6.3 Zusammenfassung: Positionen und Probleme der kausalen Handlungstheorie Gegenstand des 2. Teils der vorliegenden Arbeit waren die verschiedenen Theorietypen der kausalen Handlungstheorie. Es wurden drei Haupttypen unterschieden: I Die Akteurskausalität, II die Ereigniskausalität, die eine Identität von Absichten und Handlungsgründen verteidigt und III die Ereigniskausalität, die entweder die Identität von Absichten und Gründen ablehnt oder weder Gründe noch Absichten als unmittelbare Handlungsursache ansieht. Im Rahmen des Theorietyps I spielt die Frage nach der Art der Verursachung schon aufgrund der Notwendigkeit der Abgrenzung von den Theorietypen II und III eine große Rolle. Es gelingt den Autoren aber nicht, einen Begriff der Akteurskausalität zu entwickeln, der am Ende nicht doch mit dem Begriff der Ereigniskausalität zusammenfällt oder mysteriös bleibt. Mit dem Verweis auf auf den semantischen Instrumentalismus und emergenztheoretischen Überlegungen wurden dennoch von Bishop und O’Connor Beiträge zum Problem der mentalen Verursachung geleistet, die, auch wenn sie für die Akteurskausalität nicht fruchtbar waren, dennoch für ereigniskausale Handlungstheorien von Nutzen sein könnten. Allerdings wurde von Vertretern der ereigniskausalen Handlungstheorie von dieser Möglichkeit bisher noch kein Gebrauch gemacht.227 In den nächsten beiden Abschnitten wird auf diese Möglichkeit näher eingegangen werden. Der prominenteste Vertreter der Handlungstheorie vom Typ II ist Davidson, der als einziger Vertreter dieses Typs versucht hat, das Problem der mentalen Verursachung zu lösen, indem er die Theorie des anomalen Monis226

227

Vgl. Abschnitt 6.1 dieser Arbeit.

Zwar steht Searle emergenztheoretischen Überlegungen nahe, ist aber zugleich der Auffassung, dass die Emergenztheorie keine Lösung zum Problem der mentalen Verursachung anbieten kann. Vgl. Searle (1992) S. 111f.

105 mus entwickelt, die ebenfalls im nächsten Kapitel dargestellt und auf ihre Plausibilität hin überprüft werden wird. Weder die Vertreter der Akteurskausalität (Typ I) noch die Vertreter des Theorietyps II haben sich ernsthaft um eine Integration der aggregierten Handlungen im Sinne von Z1 bemüht.228 Sie unterstellen lediglich a), dass es eine Lösung zum Problem der mentalen Verursachung gibt und b), wenn sie sich für das Phänomen der aggregierten Handlung interessieren, dass diese Lösung ebenfalls auf diese Handlungen anwendbar sei. Eine explizite Auseinandersetzung mit aggregierten Handlungen findet nur bei Vertretern des Theorietyps III statt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass weder Brand noch Ginet, obwohl sie das Phänomen der aggregierten Handlung in ihre Theorie integrieren wollen, wirklich erklären können, wie aggregierte Handlungen durch mentale Zustände verursacht werden, wobei auch sie nicht versuchen die Möglichkeit mentaler Verursachung nachzuweisen. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich daher mit der Möglichkeit mentaler Verursachung, da allein unter der gerechtfertigten Annahme einer plausiblen Theorie mentaler Verursachung eine Handlungstheorie vom Typ II oder III vertreten werden kann. Es sollen die philosophischen Theorieansätze einer kritischen Überprüfung unterzogen werden, die versuchen innerhalb eines monistischnaturalistischen Weltbildes die Möglichkeit mentaler Verursachung nachzuweisen. Am Anfang stehen in Kapitel 7 die nicht-reduktionistischen Theorien, die alle der Familie der Supervenienztheorien zugerechnet werden können. Dazu gehört zum einen der anomale Monismus von Davidson, die Supervenienztheorien im engeren Sinne und die Emergenztheorie. Es folgen im Abschnitt 8 die reduktionischen Positionen des eliminativen Materialismus und der reduktiven funktionalistischen Theorien.

228

Dies gilt auch für Autoren wie Audi, Bratman und Mele, die zwar einen Absichtsbegriff entwickeln, der auch aggregierten Handlungen Rechnung tragen könnte. Eine Rückbindung ihres Absichtsbegriffs an die These, dass Handlungen durch eine besondere Art mentalen Zustandes verursacht werden, findet jedoch nicht statt. Vgl. Audi (2004), Bratman (2000b), Mele (1992) und Mele/Sverdlik (1996).

3. Teil: Mentale Verursachung in der Philosophie des Geistes

109

7 Mentale Verursachung und nichtreduktiver Naturalismus Im vorangegangenen zweiten Teil der Arbeit standen handlungstheoretische Positionen im Zentrum der Auseinandersetzung, die die These vertreten, dass Handlungen durch mentale Ereignisse bzw. Personen verursacht werden. Es wurde gezeigt, dass akteurskausalitätstheoretische Positionen nicht haltbar sind. Die kausale Handlungstheorie muss daher auf die Frage, inwiefern mentale Ereignisse Handlungen verursachen können, eine Antwort anbieten, will sie ihren Anspruch einlösen, eine Theorie der Handlung zu entwickeln, die im Rahmen eines naturalistischen, monistischen Weltbildes im Sinne von Z2 bestehen kann. Da die wenigsten Vertreter der kausalen Handlungstheorie versuchen, das Problem der mentalen Verursachung zu lösen, sollen in diesem Teil der Arbeit verschiedene Lösungsansätze vorgestellt werden, wie sie in der Philosophie des Geistes entwickelt wurden. In der Philosophie des Geistes ist die Frage, wie mentale Verursachung möglich sein kann, eng mit drei Thesen verbunden, deren Formulierung zugleich zeigt, weshalb es für Vertreter eines naturalistischen Monismus schwierig ist, eine Theorie der mentalen Verursachung zu entwickeln.229 Unhintergehbar für den naturalistischen Monismus ist die Geschlossenheitsthese. Sie besagt, dass der physikalische Raum kausal ge230 schlossen ist. Damit ist gemeint, dass alle Veränderungen, die an physikalischen Objekten stattfinden, nur durch Veränderungen an physikalischen Objekten verursacht werden können. Es gibt keine kausale Kraft, die, obwohl sie kein Teil der physikalischen Welt ist, dennoch einen kausalen Einfluss auf sie ausübt.231 Für die kausale Handlungstheorie hat die 229

Vgl. Broad (1925) Chap. III. Der Ausdruck „physikalisch“ wird hier und im Folgenden in seiner weiten Bedeutung gebraucht und umfasst alles das, was in den Naturwissenschaften untersucht wird. 231 Vgl. Kim (2006) S. 195f., Beckermann (2001) S. 116, Goller (2003) S. 87 und Sturma (2005) S. 18. 230

110 Wechselwirkungsthese eine besondere Bedeutung. Ihr zufolge ist es möglich, dass mentale Ereignisse kausalen Einfluss auf physikalische Ereignisse und physikalische Ereignisse einen kausalen Einfluss auf mentale Ereignisse haben können.232 Werden sowohl die Geschlossenheitsthese als auch die Wechselwirkungsthese vertreten, dann folgt daraus, dass mentale auf physikalische Ereignisse reduzierbar sein müssen. Nur dann ist es der Geschlossenheitsthese zufolge möglich, dass eine Wechselwirkung zwischen mentalen und physikalischen Ereignissen stattfindet. In der kausalen Handlungstheorie wird in der Regel noch die dritte These der Differenz zwischen Mentalem und Physischem vertreten. Diese These behauptet die Irreduzibilität des Mentalen. Es ist ihr zufolge nicht möglich, mentale Ereignisse, Zustände oder Eigenschaften auf physikalische Ereignisse, Zustände oder Eigenschaften zurückzuführen oder sogar diese mit jenen zu identifizieren.233 Werden Differenz- und Wechselwirkungsthese vertreten, dann droht ein Konflikt mit der Geschlossenheitsthese, da sie nicht zusammen mit der Differenzthese zu halten ist. Will man daher alle drei Thesen zugleich vertreten, dann muss gezeigt werden, dass es eine Art der Irreduzibilität gibt, die die Geschlossenheitsthese nicht in Frage stellt. Mit der kausalen Handlungstheorie ist das Problem der mentalen Verursachung verbunden. Es besteht in erster Linie für Theorien, die zum einen an der These der kausalen Geschlossenheit festhalten, zum anderen aber von der Irreduzibilität mentaler Zustände oder Ereignisse ausgehen. Die These der kausalen Geschlossenheit wurde und wird zum Teil heute noch mit einem einfachen atomistischen Physikalismus gleichgesetzt. Diese Identifizierung ist allerdings gerade in Bezug auf Probleme der Philosophie des Geistes in die Kritik geraten. Auf der einen Seite spielen in der Erforschung des menschlichen Gehirns Wissenschaftsbereiche, wie die der Biochemie oder der Neurophysiologie, eine zentrale Rolle; auf der anderen Seite gibt es ernstzunehmenden Zweifel an der These, dass die Physik als die Basiswissenschaft aller Naturwissenschaften in der Lage ist,

232 233

Vgl. Beckermann (2001) S. 115f., Goller (2003) S. 87 und Sturma (2005) S. 18f. Vgl. Ayer (2004), Loewer (1995), Goller (2003) S. 87 und Sturma (2005) S. 19.

111 die Gesetze und Gegenstände der Biowissenschaften abzubilden.234 In der Auseinandersetzung mit Theorien, die das Problem der mentalen Verursachung lösen wollen, ohne die Irreduzibilität des Mentalen aufzugeben, zeigt sich jedoch, dass, auch wenn sie sich explizit oder implizit zum Naturalismus bekennen, sie in den meisten Fällen eine Lösung des Problems im Rahmen einer biochemischen oder neurophysiologischen Theorie als reduktiv ablehnen würden. Vertreter dieser Position werden daher im Folgenden als nicht-reduktive Naturalisten bezeichnet. Anders sieht es bei den im Abschnitt 8.3 behandelten funktionalistischen Theorietypen aus, die einerseits rein physikalistische Theorien des Mentalen ablehnen, andererseits aber die Reduzierbarkeit mentaler Zustände auf neurophysiologische, biochemische oder evolutionärer Vorgänge und Prozesse für möglich halten. Während die Vertreter des nicht-reduktiven Naturalismus daran festhalten, dass sich der Aspekt der Intentionalität mentaler Zustände nicht auf biochemische, neurophysiologische oder evolutionäre Prozesse zurückführen lasse, wird von den Vertretern des reduktiven Naturalismus die Reduzierbarkeit der Intentionalität auf diese Prozesse verteidigt. Der Inhalt dieses Kapitels ist zum einen chronologisch, nach der Bedeutung der verschiedenen Theorieansätze von den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute aufgebaut, zum anderen zeigt sich darin eine systematische Ordnung, da die jeweils nachfolgende Theoriegruppe versucht, Probleme der vorangegangenen zu beantworten und sie in weiten Bereichen ablöst. Den Anfang der Debatte bildete Davidsons Theorie des anomalen Monismus. Sie zielt entgegen den damaligen positivistischen Ansätzen auf die Irreduzibilität des mentalistischen Vokabulars ab und formuliert innerhalb der modernen Philosophie des Geistes als eine der ersten den Supervenienzgedanken, ohne ihn mit diesem Begriff zu bezeichnen. Die Idee der Supervenienz, wie sie in der Konzeption des anomalen Monismus auftaucht, wird dann von den eigentlichen Subervenienztheoretikern im Laufe der 80er und 90ger Jahre ausgearbeitet und in verschiedene Theorietypen untergliedert. Allerdings zeigte sich schon bald, dass die Supervenienztheorien nur um den Preis eines Parallelismus oder Epiphänomenalismus an der Irreduzibilität des Mentalen festhalten können. Für diejenigen, die eine Theorie mentaler 234

Vgl. Falkenburg (2006).

112 Verursachung suchen, bieten sich daher der emergenztheoretische Ansatz an. Während der anomale Monismus untrennbar mit dem Namen Davidsons verbunden ist und es keine Weiterentwicklung dieses speziellen Ansatzes gegeben hat, dauern die Diskussionen um den Begriff der Supervenienz parallel zur emergenztheoretischen Debatte an.

7.1 Anomaler Monismus Der anomale Monismus wurde von Donald Davidson entwickelt. Zentral für diese Theorie des Verhältnisses von intentionalen Zuständen und Ereignissen zu physikalischen Zuständen und Ereignissen sind die Begriffe des Ereignisses und der der kausalen Beziehung. Unter Ereignissen versteht Davidson raum-zeitliche Entitäten, die über ihre Ursachen und Wirkungen individuiert werden. Ein Ereignis p ist mit einem Ereignis q genau dann identisch, wenn p und q durch die gleichen Ursachen verursacht werden und die gleichen Wirkungen hervorrufen.235 Entscheidend ist, dass Davidson hier im engen Sinn von Identität spricht. Es geht ihm nicht darum, zu zeigen, wann zwei Ereignisse unter den gleichen Typ fallen, sondern darum, zu bestimmen, wann zwei verschiedene Beschreibungen auf genau ein Ereignis referieren. Problematisch an dieser Begriffsbestimmung ist, dass er zwar einerseits ein Kriterium für die Individuierung von Ereignissen anbietet, dieses Kriterium aber seinerseits bereits den Begriff des Ereignisses voraussetzt, da die Ursachen und Wirkungen von Ereignissen wieder Ereignisse sind. Eine nicht-zirkuläre Begriffsbestimmung hat er daher nicht entwickelt und wer mit diesem Kriterium die Frage beantworten will, ob eine Beschreibungen auf ein Ereignis referiert, gerät in einen infiniten Regress, da sich diese Frage in Bezug auf die Ursachen und Wirkungen jeweils neu stellt. Davidson interessiert sich jedoch nicht für die Individuierung von Ereignissen vor dem Hintergrund einer epistemischen Fragestellung. Er will in erster Linie zeigen, dass Ereignisse von einander zu unterscheidende Einzeldinge sind, die in einem Ursache-Wirkungsverhältnis zueinander stehen können und sich durch ihre konkrete kausale Beziehung zu anderen Ereignissen unterscheiden. Aus diesem Grund lehnt Davidson auch die Annahme, dass ein 235

Vgl. Davidson (1969) S. 179.

113 Ereignis sich wiederholen (reccurence) könne, ab.236 Jedes Ereignis ist einzigartig und steht in einer einzigartigen Beziehung zu seiner Ursache und seiner Wirkung. Wenn davon gesprochen wird, dass sich Ereignisse wiederholen, dann kann diese Redeweise nach Davidson lediglich zum Ausdruck bringen, dass diese Ereignisse sich in bestimmten, als wesentlich erachteten Aspekten ähnlich sind. Somit kann auch angenommen werden, dass ebenfalls die Ursachen und Wirkungen ähnlich sind. Anders als Hume, der den Begriff der Kausalität aus der Erfahrung analoger UrsacheWirkungsbeziehungen herleitet, geht Davidson von einem Kausalitätsbegriff aus, der nicht nur erfahrungsunabhängig ist, sondern zugleich einen Begriff des Kausalgesetzes beinhaltet, der ohne den Rekurs auf den Begriff der Regularität bestimmt wird.237 Davidson bezeichnet die Kausalgesetze als strikt nomologisch und verbindet damit die Eigenschaft, dass, wenn zwei Ereignisse durch strikt nomologische Gesetze miteinander verbunden sind, aus der Kenntnis des vorhergehenden Ereignisses und der strikten nomologischen Gesetze das Eintreten des zweiten Ereignisses prognostiziert werden kann. Zugleich gilt, dass jedes Ereignis, auch wenn das entsprechende Gesetz nicht Gegenstand von Wissen ist oder sein kann, in einer solchen strikten nomologischen Beziehung zu anderen Ereignissen steht.238 Damit wird es Davidson möglich bei Vorkommnissen, die nicht mit anderen Ereignissen verglichen werden können, davon zu sprechen, dass diese Ereignisse in kausalgesetzlichen Beziehungen zu anderen Ereignissen stehen. Dies gilt nach Davidson ebenfalls, wenn das entsprechende Gesetz aufgrund des einmaligen Auftretens eines Ereignisses kein Gegenstand von Wissen werden kann, da ihre Einmaligkeit die Wiederholung von Experimenten ausschließt, die innerhalb der Naturwissenschaft die Bedingung dafür ist, dass ein Kausalgesetz formuliert und auf seine Gültigkeit hin überprüft werden kann. Davidsons Begriff des Ereignisses und seine Theorie der kausalen Beziehungen bilden die Basis des anomalen Monismus. Mit dem Begriff des Monismus bezeichnet Davidson seine Auffassung, dass sich prinzipiell alle Vorkommnisse in der Sprache der Naturwissenschaften rekonstruieren 236 237 238

Vgl. Davidson (1970b) S. 184. Vgl. Davidson (1967b). Vgl. Davidson (1970c) S. 224.

114 lassen.239 Das trifft daher gleichfalls auf mentale Ereignisse und damit auf Absichten zu. Zugleich will er den mentale Ereignissen240 und damit den Absichten gegenüber allen anderen Ereignissen eine Sonderstellung einräumen. Dies führt zunächst zu der widersprüchlichen These, dass zum einen alle Ereignisse in einer nomologischen Ursache-Wirkungsbeziehung stehen, zum anderen jedoch mentale Ereignisse nicht unter ein striktes nomologisches Gesetz fallen und damit anomal sind. Mit dieser These, so scheint es auf den ersten Blick, wird der Monismus, von dem Davidson ausgeht, untergraben. Davidson begegnet dem Einwand, indem er darauf verweißt, dass mentale Ereignisse einerseits vollständig durch die Sprache der Naturwissenschaft erfasst werden können, dass aber andererseits dadurch der Aspekt des Intentionalen, im Sinne ihrer Gerichtetheit auf einen von ihnen verschiedenen Gegenstand, keine Berücksichtigung finden könnte.241 Dieser Zug lässt das Problem, vor dem Davidson steht, noch deutlicher zu tage treten, denn wenn der Aspekt des Intentionalen nicht durch die Naturwissenschaft erfasst werden kann, dann wird die These, dass mentale Ereignisse vollständig durch die Sprache der Naturwissenschaft rekonstruiert werden können, widerlegt. Davidsons nächster Schritt besteht darin, dass er den Bereich des Intentionalen als bewusstseinsabhängig ausweist. D.h. alle Ereignisse bestehen unabhängig davon, ob es ein Wesen gibt, welches Bewusstsein von ihnen hat. Intentionalität dagegen ist niemals unabhängig von Bewusstsein und das ist nach Davidson gleichbedeutend damit, dass es keinen beschreibungsunabhängigen Status hat. Ereignisse sind demnach genau dann mentale Ereignisse, wenn sie als mentale und d.h. intentionale Ereignisse beschrieben werden können.242 Diese Beschreibung ändert jedoch nichts an ihrer beschreibungsunabhängigen Existenz als Ereignisse, die unter strikte 239

Vgl. Davidson (1973b). In der Regel wird weniger von mentalen Ereignissen, als von mentalen Zuständen gesprochen. Davidson verweist jedoch darauf, dass das Eintreten eines Zustandes und auch sein Aufhören ein Ereignis ist und als solches andere Ereignisse und d.h. auch Handlungen verursachen könne. Vgl. Davidson (1963) S. 12. Vgl. zu dieser Interpretation Sellars (1973). 240

241 242

Vgl. Davidson (1973b). Vgl. Davidson (1970c) S. 211 und S. 215.

115 nomologische Gesetze fallen. Allein die Beschreibung eines Ereignisses als ein mentales Ereignis fällt nicht unter ein striktes nomologisches Gesetz, da die Beziehung zwischen Ereignissen im Rahmen dieser Beschreibung auf der sprachlichen Ebene, d.h. auf der Ebene der Interaktion und der Kommunikation zwischen Individuen hergestellt wird und damit an deren Interpretationsleistung gebunden ist. Aufgrund dieser Überlegungen zieht Davidson den Schluss, dass es keine psychophysischen Gesetze geben kann, da sie nur möglich seien, wenn gleichfalls auf das psychologische Vokabular die nomologischen Gesetze der Naturwissenschaften (Physik) angewandt werden könnten.243 Bei der Interpretationsleistung der Äußerungen von Personen gehe es nicht darum, die Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen mentalen Ereignissen und nichtmentalen Ereignissen aufzudecken, sondern darum, vor dem Hintergrund der Beschreibung der mentalen Zustände als intentionale, die Beziehung zwischen verschiedenen Ereignissen als sinnvoll auszuweisen. Sie seien unabhängig von den zwischen ihnen bestehenden nomologischen Gesetzen in einen kohärenten Sinnzusammenhang zu bringen.244 Generell gilt nach Davidson, dass sowohl die Beschreibung des Ereignisses als ein mentales wie auch seine Beschreibung im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Untersuchung auf ein von der jeweiligen Beschreibung unabhängig existierenden Gegenstand referiert, wobei der naturwissenschaftlichen Rekonstruktion im Sinn der Supervenienztheorie ein epistemisches Primat zukommt.245 Seine These, dass Handlungen durch primäre Gründe verursacht werden, 246 die implizieren, dass der Handelnde die Handlung beabsichtigt, stützt Davidson mit der Theorie des anomalen Monismus. Mentale Ereignisse stehen in einer strikten nomologischen Beziehung zu ihren Wirkungen, sie gelten aber zugleich als anomologisch, da diese nomologische Beziehung für die Beschreibung des Ereignisses unter dem Aspekt des Absichtlichen keine Bedeutung hat. Primäre Gründe, d.h. Pro-Einstellungen und 243

Vgl. Davidson (1970c). Eine aktuelle Auseinandersetzung mit Davidsons These der Unmöglichkeit psychophysischer Gesetze findet sich bei Herstein (2005). 244 245 246

Vgl. Davidson (1973b) S. 258f. Vgl. Davidson (1970c) S. 214 und (1973b) S. 252f. Vgl. Kap. 5 dieser Arbeit.

116 entsprechende Überzeugungen, sind dem zufolge identisch mit dem Auftreten bestimmter neuronaler Ereignisse, die aufgrund strikter nomologischer Gesetze auf den Körper der Person, die die Pro-Einstellungen und entsprechenden Überzeugungen hat, einwirken und so eine Handlung verursachen.247 Damit die Wirkung der primären Gründe als Handlungen bezeichnet werden kann, ist es notwendig, dass der Handelnde das mentale Ereignis nicht als neuronalen Vorgang im Gehirn, sondern als intentionalen Zustand wahrnimmt und seine Handlung erklären kann, indem er auf es verweist.248 Das Verhältnis zwischen primären Gründen (Absichten) und Handlungen gilt demnach als kausal, weil zwischen einem neuronalen Ereignis und dem Handlungsereignis eine nomologische Beziehung besteht. Daraus folgt, dass als Handlungen ausschließlich Körperbewegungen in Frage kommen, da nur sie unmittelbar durch neuronale Ereignisse verursacht werden können. In seinem Aufsatz: „Agency“ zieht Davidson diesen Schluss: „We must conclude, perhaps with a shock of surprise, that our primitive actions, the ones we do not by doing something else, mere movements of the body – these are all the actions there are. We never do more than move our bodies: the rest is up to nature.”249

Zum Beginn des ersten Teiles der Arbeit wurden zwei Ziele der kausalen Handlungstheorie genannt:250 Z1: Der Begriff der Handlung muss den von den Vertretern der kausalen Handlungstheorie in ihren Beispielen als Handlungen angeführten Phänomenen Rechnung tragen können, da sie anhand dieser Beispiele verdeutlichen, um welche Phänomene es in ihren Theorien geht. Da diese Beispiele aus dem Bereich der alltäglichen Verständigung über Handlungen entnommen wurden, müssen sie eine Theorie entwickeln, die nicht nur einem einzelnen Beispiel gerecht wird, sondern die Vielfalt der im Alltag als Handlungen thematisierten Phänomene zu erfassen vermag. Z2: Es muss nachgewiesen werden, dass tatsächlich ein kausales Verhältnis zwischen mentalen Zuständen und Ereignissen bzw. zwischen 247 248 249 250

Vgl. Davidson (1973b) S. 248f. Vgl. Davidson (1978). Davidson (1971a) S. 59. Vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit.

117 Akteuren und den Ereignissen und Zuständen besteht, die aufgrund dieser kausalen Beziehung als Handlungen ausgezeichnet werden sollen – eine Beziehung, welche zugleich erlaubt, Handlungen in ein naturalistischmonistisches Weltbild zu integrieren. Nachfolgend soll überprüft werden, ob Davidsons Handlungstheorie gemeinsam mit seiner Theorie des anomalen Monismus diese Bedingungen erfüllen kann. Davidson definiert den Begriff der Handlung darüber, dass es sich bei Handlungen um Ereignisse handelt, die durch primäre Gründe, d.h. mentale Ereignisse, verursacht werden. Die primären Gründe werden mit Ereignissen identifiziert, die unter strikte nomologische Gesetze fallen und damit als solche prinzipiell vollständig mittels der Sprache der Naturwissenschaften erfasst werden können. Gleichzeit ist es möglich, die Ereignisse in dieser Beschreibung als intentional zu erfassen, so dass sie Gegenstand von Begründungs- und Rechtfertigungsdiskursen werden können, die die Handlungen über die primären Gründe als sinnvoll erklären können. Beide Erklärungsmöglichkeiten, die der kausalen Erklärung mittels der nomologischen Gesetze als auch die der Sinn gebenden Erklärungen mittels der Regeln der Logik und der Semantik der Begriffe, sind nicht auf einander reduzierbar. Dennoch besteht Davidson darauf, dass beide Erklärungen auf die gleichen Ereignisse und damit auch auf die gleichen Beziehungen zwischen den Ereignissen referieren, da sonst sein Monismus nicht zu halten wäre. Zugleich belegt Davidsons Ausgangsthese, dass Gründeerklärungen, nichts anderes als ein Spezialfall der Kausalerklärungen sind, dass er von einem Primat der naturwissenschaftlichen Erklärungen ausgeht. Wenn Gründe eine Handlung erklären, so bezieht sich die Rede von den Gründen letztlich auf neuronale Ereignisse und die Rede von Handlungen auf Körperbewegungen, die durch diese neuronalen Ereignisse verursacht werden.251 Im Hinblick auf Z1 lässt sich daher sagen, dass Davidsons Handlungstheorie einen sehr engen Begriff der Handlung impliziert, da nur einzelne Körperbewegungen, wie sie durch die primären Gründe hervorgerufen werden, in Frage kommen, Handlungen zu sein. Handlungen, deren Sinn von Konventionen abhängig ist oder für aggregierte Handlungen, 251

Vgl. zu dieser Interpretation Davidsons McCann (1986a).

118 deren Zusammenhang nicht, wie im Fall des Akkordeon-Effekts, durch kausale Relationen hergestellt wird, sondern durch den Handlungsplan der Person, werden von seiner Theorie nicht erfasst. Vorkommnisse wie das Reisen einer Person, das Schreiben eines Textes, das Abnehmen einer Prüfung etc. können nach Davidson lediglich als eine Summe von sehr vielen einzelnen Handlungen angesehen werden, nicht jedoch als eine einzige, in sich abgeschlossene Handlung. Denn die primären Ursachen werden von ihm mit neuronalen Zuständen identifiziert, die einzelne Körperbewegungen bewirken, nicht aber das Gesamtaggregat von Körperbewegungen, wie es z.B. in einer Prüfung geben ist. Würden sie den gesamten Komplex verursachen, dann dürfte es für den Handelnden zumindest einer eigenen neuen Aktivität bedürfen, eine aggregierte Handlung in ihrem Verlauf zu unterbrechen.252 Doch zeigt es sich, dass gerade bei schwierigen Handlungen, wie z.B. einer Prüfung eher eine eigene neue Aktivität ausgeübt werden muss, um die Handlung fortzusetzen und zu einem Abschluss zu bringen. Auch in Bezug auf Z2 erweist sich Davidsons Theorie als letztlich unplausibel, denn der Begriff des mentalen Ereignisses wird, wenn es um die Verursachung von Handlungen geht, irrelevant. Die These des anomalen Monismus besagt, dass mentale Ereignisse als Ursachen von Handlungen gelten können, weil jedes mentale Ereignis mit einem physikalischen Ereignis identisch ist, das in einer strikten nomologischen Beziehung zu seinen Ursachen und Wirkungen steht. Aus diesem Grunde sind Gründeerklärungen keine kausalen Erklärungen, sondern sie implizieren nur nach Davidson, dass es eine kausale Erklärung für ein Ereignis gibt. Will man ein Ereignis, das eine Handlung ist, kausal und d.h. mit dem Verweis auf seine nomologischen Beziehungen zu anderen Ereignissen erklären, dann darf man nicht auf das mentalistische Vokabular zurückgreifen, sondern muss sich des Vokabulars der Naturwissenschaften bedienen. Allein durch es ist es möglich, das Eintreten einer Körperbewegung auf ihre neurophysiologischen Ursachen zurückzuführen. Der für die Handlungstheorie von Davidson entscheidende Aspekt des Mentalen und damit der der Intentionalität lässt sich weder auf eine rein naturalistische Weise deduktiv erfassen, noch ist es möglich, dass das Mentale in einer direkten 252

Vgl. zu dieser Kritik Schulte-Ostermann (2003) 3. Kapitel.

119 kausalen Beziehung zu den physikalischen (neuronalen) Ereignissen steht. Wenn aber Ereignisse nicht aufgrund ihrer Eigenschaft, mentale Ereignisse zu sein, Handlungen verursachen, sondern aufgrund ihrer natürlichen (biochemischen) Eigenschaften, dann wird Davidsons Handlungsdefinition für eine naturalistische Handlungstheorie unbrauchbar. Davidson definiert Handlungen darüber, dass sie eine besondere Art der Ursache haben, nämlich mentale Ursachen. Es hat sich aber gezeigt, dass innerhalb der Theorie Davidsons das Mentale niemals Ursache von Körperbewegungen sein kann. Daraus folgt entweder: Dass es gar keine Handlungen gibt, da es nichts gibt, was sie verursacht oder dass Davidson auf den Begriff der mentalen Ursache verzichten muss und statt dessen darauf angewiesen wäre, den Begriff der Handlung allein über das naturalistische Vokabular zu definieren. Die Definition des mentalen Ereignisses, als ein neuronales Ereignis, das unter dem Aspekt des Absichtlichen beschrieben werden kann, erweist sich als unbrauchbar, da aufgrund des Fehlens psychophysischer Gesetze ein eindeutiges Kriterium, das eine solche Beschreibung rechtfertigen würde, im Rahmen des naturalistischen Vokabulars nicht möglich ist. Es kann daher festgehalten werden, dass Davidsons Handlungstheorie weder Z1 noch Z2 erfüllt.

7.2 Supervenienztheorien Allgemein wird angenommen, dass der Begriff der Supervenienz in seiner modernen Bedeutung von Moore eingeführt wurde, um eine Theorie anzubieten, anhand derer gezeigt werden kann, dass aus der deskriptiven Gleichheit von Situationen geschlossen werden kann, dass sie auch in Hinblick auf ihre moralischen Eigenschaften gleich sind, ohne dass dieser Behauptung ein naturalistischer Fehlschluss zugrunde liegen muss.253 Supervenienz ist daher nicht eine Beziehung, die nur in Bezug auf das

253

Vgl. G.E. Moore (1922) S. 287. Grimes verweist darauf, dass bereits Alexander von Aphrodisias (Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert n.Chr.) Supervenienzbeziehungen in seiner Erläuterung der Beziehung der Seele zu den Körpern verwendet. Vgl. Grimes (1995) S. 120f., Alexander of Aphrodisias (1979) S. 36. Ein sehr guter und ausführlicher Überblick über supervenienztheoretische Überlegungen in der Antike findet sich in Caston (1997).

120 Verhältnis von Psychischem zu Physischem angenommen wird.254 Hinzukommt, dass, auch wenn über das Grundprinzip der Supervenienz weitestgehend Einigkeit besteht, es keinen Konsens darüber gibt, was genau Gegenstände von Supervenienzbeziehung sind. Es kommen hier Prädikate, Sätze, Eigenschaften oder Individuen in Betracht. Im Folgenden werden die verschiedenen Supervenienzbeziehungen, als Beziehungen zwischen Eigenschaften dargestellt. Der Vorteil dieses Begriffs liegt in seiner Unbestimmtheit in Bezug auf ontologische Vorentscheidungen. So stehen Sätze aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften in logischen und Ereignisse aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften in kausalen Beziehungen zueinander. Wählt man also den Ausdruck des Ereignisses oder des Einzeldinges, dann unterstellt man, dass die supervenierenden Ereignisse, bzw. Einzeldinge ebenfalls in kausalen Relationen stehen müssen, da Ereignisse für sich genommen keinen propositionalen Gehalt haben.255 Wird dagegen davon gesprochen, dass Prädikate über Prädikate supervenieren, dann bewegt man sich schon im Rahmen von Theorien und daraus folgt, dass ein Naturalismus, der von einem naturalistischen ontologischen Monismus ausgeht, nicht verteidigt werden kann. Prädikate, als Elemente in Sätzen, stehen immer nur in logischen oder semantischen, niemals aber in naturgesetzlichen (kausalen) Beziehungen zueinander. Wichtig ist es, im Auge zu behalten, dass der Begriff der Supervenienz eingeführt wurde, um die Möglichkeit einer bestimmten Beziehung zwischen Eigenschaften, Gegenständen, Ereignissen usw. zu thematisieren. Die Supervenienzbeziehung kann daher auch als eine dritte Art der Relation, neben den Relationen der kausalen Verknüpfung von Eigenschaften und der logischen Beziehung zwischen Eigenschaften, angesehen werden. Während jedoch die kausale Verknüpfung darüber definiert wird, dass die zweite Eigenschaft aufgrund von Naturgesetzen aus der ersten hergeleitet werden kann und die logische Verbindung darüber, dass aufgrund der 254

Z.B. auf das Verhältnis biologischer Eigenschaften zu physikalischen, chemischer Eigenschaften gegenüber physikalischen oder auch innertheoretisch bestimmter physikalischer Eigenschaftsgruppen zu anderen physikalischen Eigenschaftsgruppen. 255

In diesem Sinn hat Davidson, wenn er von mentalen Ereignissen spricht, schon eine Vorentscheidung zugunsten eines naturalistischen Monismus getroffen, die letztlich auf eine Identitätsannahme von mentalen und physikalischen Ereignissen hinausläuft.

121 Regeln der Logik und der Semantik die Eigenschaften wechselseitig auseinander abgeleitet werden können, wird die Beziehung der Supervenienz rein formal über die Kombinierbarkeit von Eigenschaften definiert. Es gibt keine Bedingung dafür, auf welche Art und Weise diese Beziehung möglich wird. Aufgrund dieser Definition ist es unmöglich, in konkreten Situationen zu klären, ob zwischen Eigenschaften eine Beziehung der Supervenienz besteht, da eine positive Antwort auf diese Frage von der Wahrheit hypothetischer Annahmen abhängt, die aufgrund des Fehlens von Naturgesetzen oder logisch und semantischen Regeln nicht nachgewiesen werden kann. Dieses Problem wird in der Auseinandersetzung mit den genaueren Formulierungen der Supervenienzbeziehung noch ausführlicher dargestellt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass, während für den Begriff der Kausalbeziehung gilt, dass jeder Versuch einer naturwissenschaftlichen Definition an den vorwissenschaftlichen Intuitionen gemessen werden muss, weil er im Spannungsfeld zwischen Alltagsgebrauch und naturwissenschaftlicher Bestimmung steht, ein solcher Abgleich für den Begriff der Supervenienz nicht notwendig ist. Es handelt sich um einen rein formalen, aus der philosophischen Diskussion stammenden Begriff, der nicht durch den Verweis auf seine Inkompatibilität mit alltagssprachlichen Intuitionen kritisiert werden kann.256 Kritik an Supervenienzthesen kann daher nur an zwei Fronten erfolgen. Auf der einen Seite kann in Einzelfällen nachgewiesen werden, dass die Behauptung, zwischen zwei Eigenschaftsfamilien bestehe eine Supervenienzbeziehung, falsch ist, indem gezeigt wird, dass Veränderungen in der supervenierenden Eigenschaftsfamilie nicht immer Veränderungen in der supervenienten Eigenschaftsfamilie bedeuten. Auf der anderen Seite kann allgemein argumentiert werden, dass der Begriff nicht die ihm zugedachten Funktionen erfüllt, bzw. es andere Begriffe gibt, die diese Funktionen besser erfüllen. Der Begriff der Supervenienz dient im Bereich der Philosophie des Geistes dazu, eine nicht-reduktionistische Position in Bezug auf mentale Eigenschaften mit einem ontologisch naturalistischen Monismus zu vereinbaren.257 Es soll daher der Frage 256

Vgl. Kim (2002b) S. xi f. Dieser Anspruch wird u.a. von folgenden Autoren mit der Supervenienztheorie, wenn auch nicht immer ohne eine gewisse Kritik, verbunden. Haugeland (1982), Petrie 257

122 nachgegangen werden, inwiefern die einzelnen Supervenienztheorien diese Funktion zu erfüllen vermögen. In der Debatte um Supervenienzbeziehungen lassen sich folgende Bestimmungen dieser Relation unterscheiden:258 a) Schwache Supervenienz, b) globale Supervenienz, c) starke Supervenienz. 259 Bevor eine genauere Darstellung der einzelnen Positionen erfolgt, soll die allgemeine Bestimmung von Supervenienz, wie sie u.a. bei Chalmers zu finden ist, in den Blick genommen werden. a) „B-properties supervene on A-properties if no two possible situations are identical with respect to their A-properties while differing in their Bproperties.”260

In Bezug auf das Verhältnis von Biologie und Physik führt er anschließend weiter aus: b) „[…] biological properties supervene on physical properties insofar as any two possible situations that are physical identical are biological identical.”261

Auf die vorangegangene Formulierung übertragen, müsste es heißen: Biological properties supervene on physical properties if no two possible situations are identical with respect to their physical properties while differing in their biological properties. Die erste Formulierung bestimmt den Begriff der Supervenienz negativ, indem sie festlegt, dass keine Supervenienz vorliegt, wenn sich

(1987), Kutschera (1992), Stalnaker (1996), eher kritisch Bacon (1985) und Heil (1998); zunehmend kritisch Kim (1984) und (1990). 258 Vgl. Kim (1984), der allerdings den Unterschied zwischen globaler und schwacher Supervenienz leugnet, McLaughlin (1995), Chalmers (1996) und Beckermann (2001) Kap. 8. 259

Bei den Thesen der globalen und der starken Supervenienz kann wieder zwischen einer nomologischen und einer logischen Supervenienz unterschieden werden. Dies wird jedoch im Rahmen der Auseinandersetzung mit diesen Thesen noch ausgeführt werden. Vgl. zu diesen Unterscheidungsmöglichkeiten: Kim, der zunächst in (1984) S. 166 den Unterschied zwischen globaler und starker Supervenienz bestreitet, ihn aber in dem Aufsatz von (1987) S. 82f. anerkennt und Chalmers (1996) S. 34f. 260 261

Chalmers (1996) S. 33. Chalmers (1996) S. 33.

123 Gegenstände in ihren A-Eigenschaften gleichen, aber verschiedene BEigenschaften haben. Die zweite Formulierung nennt dagegen die positive Bestimmung: Eine Eigenschaft B superveniert genau dann über eine Eigenschaft A, wenn jede Realisierung von A bedeutet, dass auch B realisiert wird. In den Bestimmungen von Supervenienz durch Chalmers wird die Möglichkeit, dass sich zwei Gegenstände in Bezug auf ihre A-Eigenschaften unterscheiden, ohne dass sie sich in ihren B-Eigenschaften unterscheiden, nicht ausgeschlossen. Eine Möglichkeit, die als das Phänomen der multiplen Realisierbarkeit diskutiert wird. Sie nimmt innerhalb der Philosophie des Geiste eine zentrale Stellung ein, da mit ihr im Rahmen der Supervenienztheorie sowohl ein ontologischer Monismus behauptet als auch der Intuition Rechnung getragen werden kann, dass gleichartige mentale Phänomene verschieden neuronal realisiert sein können. Zudem steht diese Möglichkeit in Übereinstimmung zum Begriff der kausalen Beziehung, da hier ebenfalls multiple Realisierbarkeit zulässig ist. So ist es durchaus möglich, dass gleichartige physische Ereignisse durch Ereignisse verursacht werden, die sich von einander unterscheiden.262 Die folgenden Darstellungen dienen dazu zu zeigen, welche Beziehungen zwischen mentalen und physikalischen Eigenschaften erlaubt sind, soll es sich um eine Supervenienzbeziehung handeln. Dabei wird mit p1-n auf verschiedene 263 physikalische Eigenschaften referiert, während mit m1-n auf mentale Eigenschaften verwiesen wird. 1.

262

E1 p1 m1

E2 p1 m1

So kann ein Küchentisch durch einen Hausbrand, der durch eine vergessene Kerze, einen Schwelbrand, Brandstiftung, Blitzeinschlag u.a. verursacht wurde, verbrennen. Aus den Überresten des verbrannten Tisches allein kann man dabei nicht unbedingt schließen, wodurch der Hausbrand verursacht wurde. Ähnliches gilt für Krankheitssymptome, die nicht immer eindeutig auf eine ganz bestimmte Krankheit hindeuten, sondern durch verschiedene Krankheiten verursacht werden können. 263 Auch hier ist „physikalisch“ wieder in dem weiten Sinn zu verstehen, d.h. es umfasst auch chemische und biologische Eigenschaften.

124

E1 und E2 sind Ereignisse, die sich darin gleichen, eine physikalische Eigenschaft p1 zu haben und sich ebenfalls darin gleichen, die mentale Eigenschaft m1 zu haben. 2.

E1 p1 m1

E2 p2 m2

Veränderungen bzw. Unterschiede von mentalen Eigenschaften müssen Veränderungen bzw. Unterschiede der physikalischen Eigenschaften entsprechen. Gibt es also einen Unterschied der m-Eigenschaften, dann muss es auch einen Unterschied in den physikalischen Eigenschaften geben. Dies gilt jedoch nicht für Unterschiede zwischen p-Eigenschaften: 3.

E1 p1 m1

E p2 m1

Es ist daher im Sinne der multiplen Realisierbarkeit durchaus möglich, dass zwei Ereignisse, die sich in ihren physikalischen Eigenschaften unterscheiden, die gleichen mentalen Eigenschaften haben. Besteht demnach eine Beziehung der Supervenienz, so kann immer von der Verschiedenheit mentaler Eigenschaft auf Unterschiede in den physikalischen Eigenschaften geschlossen werden, während dieser Schluss umgekehrt nicht möglich ist. Liegen verschiedene physikalische Eigenschaften vor, dann ist es unmöglich, eine Aussage darüber zu treffen, ob sich die Gegenstände in ihren mentalen Eigenschaften unterscheiden oder nicht. Beides ist im Rahmen der Supervenienzbeziehung möglich. Ausgeschlossen wird dagegen die Situation: 4.

E1 p1 m1

E2 p1 m2

Lässt sich also nachweisen, dass nicht jedem mentalen Unterschied auch

125 ein physikalischer Unterschied entspricht, dann kann die These, dass das Mentale über das Physische superveniert, nicht aufrechterhalten werden. Bevor auf die verschiedenen Theorien der Supervenienz im einzelnen eingegangen wird, soll zunächst ein Blick auf das Verhältnis von Reduktion und Supervenienz geworfen werden, da nur so ein Verständnis der Schwierigkeiten, mit denen die Supervenienztheorien behaftet sind, gewonnen werden kann.

7.2.1 Reduktion und Supervenienz In den philosophischen Auseinandersetzungen um den Supervenienzbegriff und dem damit zumindest anfänglich verbundenen Anspruch, einen nichtreduktionistischen Naturalismus zu vertreten, gilt nach wie vor der Begriff der intertheoretischen Reduktion, wie er von Nagel eingeführt wurde, als grundlegend.264 Da es sich, wie der Name bereits sagt, um eine Reduktionsbeziehung zwischen Theorien handelt, ist mit diesem Begriff der Reduktion lediglich ein begrifflicher Reduktionismus gemeint. Von ihm ist der ontologische Reduktionismus, der in der These besteht, dass es nur die Entitäten der Physik bzw. der Naturwissenschaften gibt, zu unterscheiden. Da Supervenienztheoretiker die These des Naturalismus unterschreiben, befinden sie sich mit dem ontologischen Reduktionismus in Übereinstimmung. Es bleibt also die Frage zu klären, inwiefern der Naturalismus mit der These der begrifflichen Irreduzibilität vereinbar ist. Eine einfache Übernahme der Theorie Nagels ist nicht ohne weiteres möglich. Anders als Nagel geht es den Vertretern von Supervenienztheorien um die Beziehung zwischen Klassen von Eigenschaften und nicht um die Beziehung zwischen Theorien. Selbst wenn es möglich wäre zu sagen, dass alle p-Eigenschaften im Rahmen einer physikalischen Theorie vollständig erfasst und in Beziehung zueinander gesetzt werden können, ist es fraglich, ob es eine ähnliche Theorie über die m-Eigenschaften gibt. Der in letzten Jahren in Mode gekommene Terminus der folk psychology legt dies nahe. Es kann jedoch gezeigt werden, dass anders als es der Terminus vermuten lässt, die folk psychology keine Theorie im Sinne Nagels ist.265 Kim wendet 264 265

Vgl. Nagel (1961) Chap. 11. Vgl. Abschnitt 8.2 dieser Arbeit.

126 daher den Begriff der Reduktion ausschließlich auf die Beziehung zwischen einzelnen Eigenschaften an und stellt zugleich klar, dass nur dann von einer Reduzierbarkeit die Rede sein kann, wenn es möglich ist, mit Hilfe von Brückengesetzen zu zeigen, dass eine eineindeutige Beziehung zwischen beiden Eigenschaften besteht.266 Die Brückengesetze liefern dabei das Übersetzungsinstrumentarium, das es erlaubt, Ausdrücke, die die zu reduzierenden Eigenschaften beschreiben, mit Ausdrücken, die die Basiseigenschaften beschreiben, zu identifizieren. Gibt es solche eindeutigen Übersetzungsregeln, dann kann aus der Bedeutungsgleichheit der Prädikate auf die Identität der Eigenschaften geschlossen werden. Reduzierbarkeit bedeutet demnach zugleich die Identität der reduzierten Eigenschaft mit der Basiseigenschaft. Nun gilt für den Supervenienzbegriff in seiner ursprünglichen Bedeutung, dass er sowohl für die Irreduzibilität der supervenierenden Eigenschaft auf die Basiseigenschaft, als auch für die Identität der supervenierenden Eigenschaft mit der Basiseigenschaft steht. Verteidigt wird die Irreduzibilität mit dem Verweis auf die Möglichkeit der multiplen Realisierbarkeit. Sie besagt, dass aus dem Vorliegen der supervenierenden Eigenschaft kein Rückschluss auf die Basiseigenschaft möglich ist und beinhaltet zudem, dass, egal welche Basiseigenschaft der supervenierenden Eigenschaft zugrunde liegt, sie zwar eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für diese Eigenschaft ist. Gegen diese Begründung der Irreduzibilität der supervenierenden Eigenschaften gibt es zwei Einwände. Im ersten Einwand verweist Davidson darauf, dass aus der Unmöglichkeit der Typen Reduzierung nicht geschlossen werden könne, dass es unmöglich sei, zwischen einzelnen Eigenschafts-Token Reduzierbarkeit nachzuweisen. Ist jedoch Token-Reduzierbarkeit gegeben, dann kann von einer Beziehung der Identität ausgegangen werden.267 Der Begriff der multiplen Realisierbarkeit spielt daher auch für Davidsons Theorie des 266

Vgl. Kim (1996) S. 212–221. Allerdings wird in der zweiten Ausgabe von Philosophy of Mind diese These abgeschwächt. In Kim (2006) folgt aus der „Brückenreduzierbarkeit“ nicht mehr die Identifizierbarkeit von Eigenschaften. Kim (2006) S. 277ff. 267 Vgl. Davidson (1970c). Davidsons Argument gegen die Irreduziblität des Mentalen beruht demnach nicht auf der multiplen Realisierbarkeit von mentalen Ereignissen, sondern in der grundsätzlichen Verschiedenheit zweier Sprachen, die sich nicht ineinander übersetzen lassen.

127 anomalen Monismus keine Rolle. Ein zweiter Einwand gegen die These, dass die multiple Realisierbarkeit gegen die Reduzierbarkeit mentaler Eigenschaften spreche, nutzt die Möglichkeit disjunktiver Prädikate. Jedem mentalen Prädikat entspräche ein disjunktives Prädikat, welches die Prädikate aller für die durch das mentale Prädikat ausgezeichneten mentalen und damit supervenierenden Eigenschaften hinreichenden Basiseigenschaften enthalte. Da in diesem Prädikat alle hinreichenden Basiseigenschaften beinhaltet seien, folge daraus, dass damit das disjunktive Prädikat eine notwendige Basiseigenschaft für die mentale Eigenschaft ausdrücke.268 Allerdings entkräftet Kim diesen Einwand mit dem Hinweis darauf, dass aus der Möglichkeit, eine mentale Eigenschaft m darüber zu bestimmen, dass sie entweder durch eine physikalische Eigenschaft p oder eine physikalische Eigenschaft q realisiert werde, nicht geschlossen werden dürfe, dass es die disjunktive Eigenschaft „p oder q“ gebe.269 Schon einfache Beispiele zeigten, dass diese Annahme zu absurden Konsequenzen führe. Kim veranschaulicht das zunächst an einer Kausalrelation. Schmerzen, obwohl sie dem gleichen Typ angehören, können verschiedene Ursachen haben. So lösen die rheumatische Arthrose und der Lupus Erythematodes unter bestimmten Umständen gleichartige Schmerzen aus, obwohl es sich um zwei völlig verschiedene Krankheitstypen handelt. Wird nun die Eigenschaft „an rheumatischer Arthrose oder Lupus Erythematodes erkrankt sein“ als Ursache für einen bestimmten Schmerztypus angesehen, dann müsste nach einer Therapie gesucht werden, die diese disjunktive Eigenschaft bekämpft. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen sind die Ärzte im konkreten Fall darauf aus, herauszufinden, welche der beiden Krankheiten der Patient tatsächlich hat, um dann die auf die festgestellte Krankheit ausgerichtete Therapie durchzuführen. Patienten erkranken nicht an „rheumatischer Arthrose oder Lupus Erythematodes“ sondern sie sind entweder an „rheumatischer Arthrose“ oder an „Lupus Erythematodes“ erkrankt.270

268 269 270

Vgl. Kim (1998) S. 106 ff., der diesen Einwand kritisiert. Vgl. Kim (1998) S. 107f.

Es ist natürlich denkbar, dass ein Mensch das Pech hat, an beiden Erkrankungen zu leiden, aber dies wäre ein rein kontingenter Umstand, aus dem sich nichts über das Verhältnis beider Krankheitstypen zueinander herleiten lässt. Die Schmerzen des

128 Ebenso kann nach Kim nicht geschlossen werden, dass disjunktive Eigenschaften grundsätzlich Elemente in Naturgesetzen seien. Auch das lässt sich am vorangegangenen Beispiel zeigen. Wenn in dem Satz: S1 „Patients with either rheumatoid arthritis or lupus experience pains in their joints“271

ein Naturgesetz ausdrücken soll, dann muss die Verifizierung dieses Gesetzes möglich sein. Kim bestreitet das. Er führt aus, dass sich stattdessen nur die Gesetze S2 „Patienten mit rheumatischer Arthritis haben Gelenkschmerzen“ und S3 „Patienten mit Lupus haben Gelenkschmerzen“ in Untersuchungen bestätigen lassen. Aus einer Überprüfung von S1 lasse sich aber nicht die Wahrheit von S2 und S3 schließen. Sondern eine experimentelle Bestätigung von S1 könnte in Wirklichkeit nichts weiter als die experimentelle Bestätigung von S2 sein, während an Lupus erkrankte Personen in der Untersuchung gar nicht berücksichtigt wurden. Um also S1 experimentell zu bestätigen, müssen S2 und S3 unabhängig von einander bestätigt werden. Bezogen auf das Problem der Brückengesetze und der multiplen Realisierbarkeit bedeutet es, dass, um ein Naturgesetz der Form „für alle p und alle q gilt, dass, wenn p oder q, dann r“, bestätigen zu können, je ein Gesetz der Form „wenn p dann r“ und „wenn q dann r“ verifiziert werden muss.272 Das Problem des Fehlens von Brückengesetzen zwischen einer supervenierenden Eigenschaft m und einer supervenienten Eigenschaft p kann also nicht dadurch gelöst werden, dass ein Brückengesetz zwischen m und der disjunktiven Eigenschaft aller möglichen in Bezug auf sie supervenienten Eigenschaften p1-n angegeben wird. Disjunktive Eigenschaften erlauben nur dann von einer nomologische Beziehung zwischen m und p1-n zu reden, wenn jeweils zwischen jedem m und jedem p eine nomologische Beziehung nachgewiesen werden kann. 273 Patienten hätten dann eine zweifache Ursache und würden als solche eine doppelte Therapie in Hinblick auf die Behandlung der Ursachen erfordern. 271 272 273

Kim (1998) S. 109. Zu den Brückengesetzen vgl. die Abschnitte 8.2.1 und 8.2.2 dieser Arbeit. Vgl. Kim (1998) S. 108.

129

7.2.2 Schwache, globale und starke Supervenienz Erste explizite Erwähnungen und Erörterung der Supervenienzthese im 20. Jahrhundert finden sich bei Davidson274 in Bezug auf das Verhältnis von Psychischem und Physischen und bei Hare275 für den Bereich der Ethik. Beide verwenden einen sehr schwachen Supervenienzbegriff, der von Kim unter dem Namen: „schwache Supervenienz“ auf folgende Formeln gebracht wird: „A weakly supervenes on B if and only if necessarily for any x and y if x and y share all properties in B then x and y share all properties in A – that is, indiscernibility with respect to B entails indiscernibility with respect to A.”276 “A weakly supervenes on B if and only if necessarily for any property F in A, if an object x has F, then there exists a property G in B such that x has G, and if any y has G it has F.”277

Diese Formeln entsprechen der allgemeinen Charakterisierung von Supervenienzbeziehungen von Chalmers, wie sie bereits oben (7.2) angeführt wurde. Kims Erläuterungen dieser Formeln weisen darauf hin, dass sich die These der schwachen Supervenienz dadurch auszeichnet, dass von Supervenienz gesprochen werden kann, wenn innerhalb einer Welt die in den Formeln genannten Bedingungen erfüllt werden.278 Eine Formulierung, die diesem Faktor Rechnung trägt, findet sich bei McLaughlin: Weak Supervenience A-respects weakly supervene on B-respect = for any possible world w, B-twins in w are A-twins in w.279

Es wird damit nicht gefordert, dass es logisch oder nomologisch notwendig ist, dass zwei Gegenstände in ihren A-Eigenschaften ununterscheidbar sein müssen, wenn sie in ihren B-Eigenschaften ununterscheidbar sind.280 Für 274

Vgl. Davidson (1970c). Vgl. Hare (1964) S. 80f. und 153f. 276 Kim (1984) S. 158. 275

277

Kim (1984) S. 163. Zur These der schwachen Supervenienz vgl. Kim (1984), Hare (1984) und Seager (1988). 278

279

McLaughlin (1995) S. 24. Vgl. Kim (1984), Beckermann (2001) S. 207. Beckermann vertritt allerdings selbst nicht die These der schwachen Supervenienz. Der Aufsatz von Haugeland „Weak Supervenience“ verteidigt unter diesem Ausdruck die These der globalen Supervenienz. Haugeland (1982). 280

130 schwache Supervenienzbeziehungen ist es völlig ausreichend, wenn es innerhalb einer Welt der Fall ist, dass Gegenstände, die in ihren B-Eigenschaften ununterscheidbar sind, auch in ihren A-Eigenschaften ununterscheidbar sind. Das kann aber aus völlig kontingenten Gründen so sein. Es könnte sich um zufällige Korrelationen handeln. Die These der schwachen Supervenienz hat sich in der Debatte um das Verhältnis von mentalen Eigenschaften zu physikalischen bzw. biologischen Eigenschaften nicht zuletzt wegen der Zulässigkeit zufälliger Korrelationen nicht durchsetzen können.281 Es gibt keinen Grund, warum man nicht annehmen sollte, dass zwar hier auf der Erde alle Gegenstände mit gleichen B-Eigenschaften über gleiche A-Eigenschaften verfügen, aber es bleibt denkbar, dass es eine andere Welt gibt, die Gegenstände hat, die sich in Bezug auf die B-Eigenschaften von den Gegenständen hier auf der Erde nicht unterscheiden, und dennoch andere A-Eigenschaften haben.282 Da die kausale Handlungstheorie darauf angewiesen ist, dass die Beziehung zwischen den Absichten – als mentalen Eigenschaften des Handelnden – und den neuronalen Eigenschaften seines Gehirns in einer nicht-kontingenten Beziehung stehen, muss von ihr eine stärkere Supervenienzthese vertreten werden, in der die Beziehung zwischen den beiden Eigenschaftsgruppen notwendig ist. Erst dann kann wirklich gesagt werden, dass die Absichten des Handelnden kausalen Einfluss auf seine Handlungen haben können.283 Es gibt noch ein weiteres Problem, das hier erwähnt werden soll, da es alle Formen der Supervenienzbeziehungen betrifft. Nimmt man an, dass zwei Personen in dieser Welt in allen ihren physischen Eigenschaften identisch sind, mit der kleinen Abweichung, dass Person R ein Molekül mehr im Gehirn hat, als Person P, dann würde für die schwache Supervenienz daraus folgen, dass es unproblematisch wäre, wenn es zwischen diesen Personen grundsätzliche Unterschiede ihrer mentalen Eigenschaften gäbe, die soweit gehen, dass P die normalen mentalen Eigenschaften eines 80 jährigen Rentners hat, während R über die normalen mentalen Eigenschaften einer Jugendlichen verfügt. Diese Konsequenz spricht gegen die 281 282

Vgl. Kim (1984) S. 159ff. und Kim (1990) S. 16f.

Vgl. zu dieser Kritik: Beckermann (2001) S. 208f. Zum Problem der mentalen Verursachung in der Supervenienztheorie vergleiche Abschnitt 7.2.3 dieser Arbeit. 283

131 These, dass Gründe als Ursachen für Handlungen bezeichnet werden können, wenn man die These vertritt, dass Gründe deshalb als Ursachen gelten können, weil sie über physischen Eigenschaften (z.B. neuronale Zustände) supervenieren. Eine Abhängigkeit zwischen mentalen Zuständen und neuronalen Zuständen kann dann nicht mehr behauptet werden, außer man legt sich darauf fest, dass die großen Unterschiede im Hinblick auf die mentalen Eigenschaften allein durch dieses Molekül zu erklären seien. Das würde allerdings bedeuten, dass dem Unterschied zwischen den beiden mentalen Zuständen a) der Überzeugung von P, dass seine Frau vor drei Jahren verstorben ist und b) seinen aktuellen rheumatischen Gelenkschmerzen (auch das Empfinden von Schmerz ist ein mentaler Zustand), allein auf dem zusätzlichen Molekül beruhen würden, was kaum sinnvoll angenommen werden kann.284 Eine weitere Kritik, die neben der schwachen Supervenienz-, auch die starke Supervenienzthese betrifft, motiviert die These der globalen Supervenienz. Es ist die Beobachtung, dass viele m-Eigenschaften einer Person R nicht von den p-Eigenschaften ihres Körpers bzw. Gehirns abhängen, sondern von ihrer biologischen und sozialen Umwelt. Die m-Eigenschaften (wie z.B. die Überzeugung eines Individuums, dass es geliebt wird), so die These der Verteidiger der globalen Supervenienz, ist nicht allein von 284

Dieser Einwand wird in der Regel gegen globale Supervenienztheorien vorgebracht. Er lässt sich aber auch auf die starke Supervenienz anwenden. Zur Kritik an der globalen Supervenienz vgl. Kim (1993) S. 277f., Grimes (1995). Post (1995) S. 86f. setzt sich gründlich mit diesem Einwand auseinander. Sein Hinweis darauf, dass diese These unserem empirischen Wissen von dem Verhältnis zwischen Physischem und Nicht-Physischem widersprechen würde, trifft nicht den Kern von Kims Argument, da es sich bei empirischem Wissen immer um falsifizierbares Wissen handelt. Kim geht es aber um die grundsätzliche Möglichkeit, die durch die globale und starke Supervenienz nicht ausgeschlossen wird. Der Verweis auf derzeitige auf empirischem Wissen beruhenden Intuitionen ist daher zu schwach, um die grundsätzliche Möglichkeit auszuschließen. Zumal es, wenn mit der Supervenienztheorie eine kausale Handlungstheorie begründet werden soll, nicht möglich sein darf, dass die Abhängigkeit zwischen mentalen und physischen Eigenschaften in dieser Weise fragwürdig wird.

132 einzelnen Gehirnzuständen (p-Eigenschaften), sondern ebenso von sozialen Konventionen, dem konkreten Verhalten anderer Personen etc. abhängig. Welche m-Eigenschaften ein bestimmter neuronaler Zustand demnach hat, hängt nicht nur von seinen p-Eigenschaften ab, sondern von m-Eigenschaften, die über p-Eigenschaften anderer Gegenstände supervenieren.285 Deutlich wird dies, wenn man sich vorstellt, dass in zwei verschiedenen Welten zwei Personen leben, deren p-Eigenschaften, sofern sie ausschließlich ihren Körper betreffen, völlig übereinstimmen. Sie sind ununterscheidbare Zwillinge. Auch wenn es Phasen ihres Lebens gegeben haben mag, an dem ihre Körper verschiedene P-Eigenschaften hatten – der eine schlief, während der andere wach war. Nehmen wir wiederum an, dass der Zufall – der logisch nicht ausgeschlossen und faktisch möglich ist – eintritt, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in allen ihren p-Eigenschaften gleich sind.286 Nehmen wir weiter an, dass sie zeitgleich die gleichen Bewegungen ausführen, die gleiche Körpertemperatur haben, sich der Energiehaushalt im gleichen Zustand befindet und die neuronalen Vorgänge exakt parallel ablaufen. Sie verlaufen so gleichartig, dass ein Neurologe, der Aufzeichnungen beider Gehirne aus dieser Phase erhält, glauben müsste, es handle es sich um die Vervielfältigung der Aufzeichnung eines Gehirns. Dennoch ist es eine Tatsache, dass beide in völlig verschiedenen Welten, die sich allein darin ähnlich sind, dass sie beide humanes Leben hervorgebracht haben, aufgewachsen sind: Der eine in einem Matriarchat, der andere in einer anarchistischen Gesellschaft. In der einen glaubt man an eine allmächtige, strenge Fruchtbarkeitsgöttin, in der anderen an den Gott des Chaos. In der einen Welt werden Männer als eine Art Haustier gehalten, das es gut zu behandeln gilt, da es zu 285

Paull/Sider (1992) und Dretske (1995) S. 125ff. Die Kritik, dass die p-Eigenschaften zweier Individuen nur gleich sein können, wenn auch alle p-Eigenschaften der Umwelt und damit auch die Ursachen der aktuellen p-Eigenschaften gleich sind, übersieht, dass auch in der rein kausalen Beziehung zwischen Ereignissen die Möglichkeit der multiplen Realisierbarkeit gilt. Es ist demnach durchaus möglich, wie auch schon früher dargestellt wurde, dass Instantiierungen des gleichen p-Eigenschaftstyps Instantiierungen verschiedener pEigenschaftstypen als Ursachen zugrunde legen können. Die Vorstellung, dass jede Ursache eine Art Fingerabdruck auf ihrer Wirkung hinterlässt, durch die an jeder Wirkung abgelesen werden kann, wodurch sie verursacht wurde, ist demnach falsch. 286

133 Fortpflanzungszwecken eingesetzt wird, in der anderen spielt es keine Rolle, welchem Geschlecht man angehört, sondern es zählt nur die Intelligenz, die es einem erlaubt, die anderen so zu manipulieren, dass sie freiwillig tun, was man von ihnen erwartet.287 Kann man in derartig verschiedenen Lebensumständen vernünftiger Weise davon ausgehen, dass allein die Gleichheit der p-Eigenschaften von Personen die Gleichheit der m-Eigenschaften der Personen impliziert? Die These der schwachen Supervenienz und die der starken Supervenienz müssten diese Frage bejahen, die Verteidiger der globalen Supervenienz dagegen können auch dann noch von Supervenienz sprechen, wenn zwei Personen, trotz identischer p-Eigenschaften, verschiedene m-Eigenschaften haben, wenn sich die Welten insgesamt in ihren p-Eigenschaften unterscheiden. Die These der globalen Supervenienz besagt daher: Globale Supervenienz: m-Eigenschaften supervenieren über pEigenschaften dann und nur dann, wenn für alle möglichen Welten gilt, dass, wenn w und w* in allen p-Eigenschaften identisch sind, sie in allen m-Eigenschaften ebenfalls identisch sind bzw. wenn sie sich in einer m-Eigenschaft unterscheiden, sie sich auch in mindestens einer p-Eigenschaft unterscheiden.288 Eine kürzere Form lautet: Globale Supervenienz: m-Eigenschaften supervenieren über pEigenschaften, wenn für w und w* gilt, dass p-Ununterscheidbarkeit m-Ununterscheidbarkeit impliziert. Der Ausdruck mögliche Welten ist hier so zu verstehen, dass es möglich ist, sich derartige Welten vorzustellen. Zulässig ist, dass zwei oder mehr mögliche Welten die gleichen Raum/Zeit Koordinaten einnehmen, da mögliche Welten als Vorstellungen raum- und zeitlos sind. Es geht demnach um rein hypothetische Welten, die sich in allen ihren Eigenschaften, 287

Ein von der Grundidee sehr ähnliches Beispiel wurde von Fisher (2007) entwickelt, um mit ihm gegen internalistische Theorien des Mentalen, d.h. im Wesentlichen gegen Theorien der schwachen oder starken Supervenienz, zu argumentieren. 288 Zur Kritik an der globalen Supervenienz vgl. McLaughlin (1995) S. 30, Chalmers (1996) S. 33f., Grimes (1995). Post (1995) S. 73–100 verteidigt eine nomologisch globale Supervenienz, indem er die These dahingehend abschwächt, dass die Supervenienzbeziehungen nur für physikalisch mögliche Welten gelten.

134 inklusive der Raum/Zeit Koordinaten, gleichen können. Es zeigt sich, dass die Stärke der globalen Supervenienz ihre Schwäche impliziert. Denn dieser These zufolge kann nur dann eine Supervenienzbeziehung vorliegen, wenn zwei Individuen innerhalb einer Welt oder gleichartige Individuen (Zwillinge) in verschiedenen Welten die gleichen pEigenschaften haben, und darüber hinaus gilt, dass jeweils die ganzen Welten ‚Zwillinge’ sind. Eine Supervenienzbeziehung zwischen den pEigenschaften einer Person und ihren m-Eigenschaften ist dann nicht mehr garantiert. Im Gegensatz zur These der schwachen Supervenienzthese ist es möglich, dass zwei Personen innerhalb einer Welt über die gleichen pEigenschaften, aber über verschiedenen m-Eigenschaften verfügen. Für die globale Supervenienz wird lediglich verlangt, dass gelten muss: Wenn in zwei Welten jeweils zwei Personen mit den gleichen p-Eigenschaften vorkommen, dass, wenn sich das eine Pärchen in den m-Eigenschaften unterscheidet, sich auch das andere Pärchen auf der anderen Welt in diesen Eigenschaften unterscheiden muss. Die Gleichheit der p-Eigenschaften innerhalb einer Welt ist also nicht ausschlaggebend. Ein weiterer Einwand lautet, dass die globale Supervenienz Fälle, die gemeinhin als mögliche Kandidaten für eine Widerlegung der Annahme von Supervenienzbeziehungen gelten würden, als unproblematisch betrachtet. Folgende Überlegung veranschaulicht diesen Einwand: Es gibt zwei Welten w und w*. Es handelt sich um Zwillingswelten, 289 d.h. nicht nur die Person P auf w hat einen Zwilling R mit seinen p-Eigenschaften auf w*, sondern jeder Gegenstand auf w hat einen exakten Zwilling mit seinen pEigenschaften auf w*. In einer solchen Situation kann daher berechtigt von Supervenienz gesprochen werden, da die Gleichheit der p-Eigenschaften eine Gleichheit der m-Eigenschaften bedeutet. Es wäre unmöglich, dass P und R, obwohl sie in allen p-Eigenschaften gleich wären, einen Unterschied in ihren m-Eigenschaften hätten. Stellt es sich jedoch heraus, dass w sich irgendwann in ihrer Existenz in einem Molekül von w* unterschieden hat, dann handelt es sich bei w und w* nicht mehr um 289

Das Gedankenexperiment der Zwillingswelten wurde ursprünglich von Putnam (1975) in der Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern für zwei Sprachen, die durch nichts zu unterscheiden sind, dennoch verschiedene Wahrheitsbedingungen für die in ihnen geäußerten Sätze gelten können, entwickelt.

135 Zwillinge bezüglich der p-Eigenschaften. Ein großer Unterschied zwischen den m-Eigenschaften von P und R wäre damit wieder zulässig, da Unterschiede in p-Eigenschaften der Welten auch Unterschiede in den mEigenschaften erlauben. Es wäre dann möglich, dass P und R in ihren physischen Eigenschaften ununterscheidbar sind, ebenso könnten sie in völlig gleichartigen sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Umfeldern groß geworden sein und dennoch könnten sie sich in ihren mEigenschaften unterscheiden. R könnte die Überzeugungen einer Sechzehnjährigen und P die eines Achtzigjährigen haben. Das gleiche Problem, wie es schon in der Auseinandersetzung mit der schwachen Supervenienz angesprochen wurde, taucht wider auf. Eine einzige kleine Veränderung im Physischen kann eine Vielzahl von Änderungen im Mentalen nach sich ziehen. Ein Naturalismus wie ursprünglich intendiert, lässt sich mit der These der globalen Supervenienz demnach genauso wenig vertreten, wie mit der These der schwachen Supervenienz, will man nicht einem einzelnen Molekül die Fähigkeit zusprechen, aus dem Nichts die ganze Welt des Mentalen in einem Augenblick zu erschaffen. Der Einwand, dass es absurd sei, anzunehmen, ein einziges Molekül könne derartige Unterschiede hervorrufen, trifft nicht den Kern dieses Einwandes gegen die globale Supervenienztheorie. Auch die globalen Supervenienztheorien sind, sofern sie am Naturalismus festhalten wollen, darauf angewiesen, dass in ihrem Begriff eine Abhängigkeit zwischen dem Mentalen und Physischen formuliert wird. Diese Abhängigkeit wird aber zu einer leeren Formel, wenn es denkbar ist, dass ein einziges Molekül in der gesamten Weltenwicklung ausreicht, um die Abhängigkeitsforderung zu unterminieren. Für die globale Supervenienz gilt demnach ebenfalls, dass sie die enge Verbindung zwischen p- und m-Eigenschaften, die als Abhängigkeit verstanden wird, nicht nachzuweisen vermag, da sie keinerlei Aussagen über die konkrete Beziehung zwischen den p- und m-Eigenschaften einzelner Personen treffen kann. Im Gegenteil, wie die Diskussion des zweiten Einwandes zeigt, ist es sogar möglich, zu zeigen, dass von einer Korrelation ausgegangen wird, die, durch für die einzelnen Personen völlig irrelevanten

136 p-Eigenschaften ihrer Welt, aufgehoben werden kann.290 Eine mittlere Position zwischen der schwachen und globalen Supervenienz nimmt schließlich der Begriff der starken Supervenienz ein, der versucht, auf die Schwächen beider Positionen zu reagieren. In der Debatte um den Begriff der starken Supervenienz können zwei Ansätze unterschieden werden. Zum einen gibt es eine modale Definition, die auf den Operator der Notwendigkeit zurückgreift, zum anderen gibt es, wie im Fall der globalen Supervenienz, eine Definition, die mit dem Terminus der möglichen Welten arbeitet. Kim’s modale Definition der starken Supervenienz lautet: „A strongly supervenes on B just in case, necessarily, for each x and each property F in A, if x has F, then there is a property G in B such that x has G, and necessarily if any y has G, it has F.”291

In der auf diese Definition folgenden Debatte zeigt sich, dass der Modaloperator der Notwendigkeit alles andere als eindeutig bestimmt ist und zwar an beiden Stellen der Definition. So lässt die Definition offen, ob von naturgesetzlicher (nomologischer), logischer oder metaphysischer Notwendigkeit ausgegangen wird. Die Annahme der metaphysischen Notwendigkeit neben der logischen und nomologischen spielt allerdings nur in wenigen Arbeiten eine Rolle und eine wirkliche Abgrenzung zur logischen Notwendigkeit findet ebenfalls nicht statt.292 Auch muss beachtet werden, dass sich die beiden Modaloperatoren in der Definition auf verschiedene Arten der Notwendigkeit beziehen können. Eine ähnliche Ungenauigkeit findet sich in der Definition der starken Supervenienz, die den Terminus der möglichen Welten benutzt: „A strongly supervenes on B iff for any worlds w and z, and for any objects x and y, if x has in w the same B-properties that y has in z, then x has in w the same A-properties that y has in z.”293

Die These der starken Supervenienz besagt nicht nur, wie an dieser Definition deutlich wird, dass m-Eigenschaften über p-Eigenschaften 290

Zum Vorwurf, dass in den Supervenienztheorien lediglich eine Korrelation behauptet wird vgl. Marras (2003). 291

Kim (1984) S. 65. Vgl. Chalmers (1996) Chap. 2. Horgan benutzt den Begriff der metaphysischen Supervenienz, scheint damit allerdings letztlich den Begriff der globalen Supervenienz zu meinen. Vgl. Horgan (1997) S. 234. 292

293

Paull/Sider (1992) S. 834.

137 supervenieren, wenn in dieser Welt aus der Gleichartigkeit der pEigenschaften die Gleichartigkeit der m-Eigenschaften folgt, sondern, dass dies für jede mögliche Welt gelte. Diese Definition lässt ebenfalls verschiedene Deutungen zu. So kann sie in einem starken – logischen – Sinn gedeutet werden, der besagt, dass Supervenienz genau dann vorliegt, wenn Gegenstände, die sich in ihren p-Eigenschaften gleichen, sich auch in ihren m-Eigenschaften gleichen, unabhängig von der sonstigen Beschaffenheit der Welten. Oder sie wird in einem etwas schwächeren Sinn gedeutet, wonach für die Gültigkeit von Supervenienzbeziehungen lediglich gilt, dass Gegenstände, die sich in ihren p-Eigenschaften gleichen, sich in ihren m-Eigenschaften gleichen, wenn in den verschiedenen Welten die gleichen nomologischen Gesetze gelten. Obwohl die starke Supervenienz eingeführt wurde, um einerseits eine strikte Abhängigkeit zwischen zwei Eigenschaftsklassen ausdrücken zu können, ohne damit zugleich die Reduzierbarkeit der supervenierenden Eigenschaft vertreten zu müssen, zeigt sich, dass sie dennoch unbefriedigend bleibt. Beide Formen der starken Supervenienz können der Intuition der globalen Supervenienz nicht Rechnung tragen, dass die mentalen Eigenschaften eines Organismus nicht vollständig durch diesen selbst, sondern zusätzlich durch eine Vielzahl externer Faktoren bestimmt werden.294 Dieser Vorwurf trifft die nomologisch starke Supervenienz etwas weniger als die logische starke Supervenienz, da mit der Einschränkung, dass die gleichen pEigenschaften die gleichen m-Eigenschaften nur dann nach sich ziehen müssen, wenn in den Welten die gleichen nomologischen Gesetze gelten, ein gewisser externer Einfluss auf die m-Eigenschaften zugelassen wird. Zugleich führt diese Einschränkung dazu, dass die enge Beziehung, die im Rahmen der starken Supervenienz als Abhängigkeit gedeutet werden soll, nicht mehr garantiert werden kann.

7.2.3 Mentale Verursachung und Supervenienz: Kims Dilemma Nachdem Kim ursprünglich ein Verteidiger von supervenienztheoretischen Ansätzen war, sieht er nun diese Position in Bezug auf die Möglichkeit mentaler Verursachung vor ein generelles Dilemma gestellt: Entweder müssen Verteidiger dieser Theorien die kausale Unwirksamkeit mentaler 294

Vgl. Petrie (1987), Post (1995) und Fischer (2007).

138 Eigenschaften in Kauf nehmen295 oder aber sie müssen die Supervenienzthese aufgeben und eine stärker dualistische Position vertreten, die wiederum nicht erklären kann, wie mentale Verursachung möglich ist.296 Kims Formulierung des Dilemmas lautet dementsprechend: „If mind-body supervenience fails, mental causation is unintelligible; if it holds, mental causation is again unintelligible. Hence mental causation is unintelligible.“297

Aus der vorangegangenen Darstellung der verschiedenen supervenienztheoretischen Positionen dürfte deutlich geworden sein, dass sie keine Theorie über die Natur der Beziehung zwischen den supervenierenden und den supervenienten Eigenschaften anbieten. Kims erster Einwand greift dies auf. Er zeigt, dass die Supervenienztheorie, im Gegensatz zu der mit ihr verbundenen Hoffnung, nicht als erklärende Theorie angesehen werden kann, da sie lediglich die Kovarianz von Eigenschaften behauptet.298 Wenn Supervenienz die Beziehung zwischen Mentalem und Körperlichem erklärt, dann dürfte es nicht möglich sein, dass die Relation der Supervenienz mit entgegengesetzten Theorien vereinbar ist, wie es die Supervenienztheorie zulässt. Mit ihr können sowohl dualistische Positionen, wie der Parallelismus von Mentalem und Physischem im Sinne von Leibniz oder die Emergenztheorie, als auch monistische Positionen verbunden werden, bei denen Typen-Identität zwischen den Ebenen besteht.299 Dualistische Positionen sind möglich, da die Abhängigkeit der supervenierenden Eigenschaft von der supervenienten Basis keinem reduktionistischen Verfahren zugänglich sein soll. Demgegenüber wird die Typen-Identität und damit monistische Positionen nicht ausgeschlossen, da die Supervenienztheorie nur die Möglichkeit, aber nicht die Notwendigkeit der multiplen Realisierbarkeit beinhaltet. Sollte sich zeigen, dass de facto keine multiple Realisierung von supervenienten Eigenschaften existiert und damit Typen-Identität gegeben ist, wäre das immer noch mit Supervenienz vereinbar. 295 296 297 298 299

Vgl. zu diesem Argument Kim (1998) S. 37f. und 43f. Zum Argument des Dualismus vgl. Kim (1998) S. 44f. Kim (1998) S. 46. Vgl. Kim (1998) S. 11. Vgl. Kim (1998) S. 12f. Vgl. ebenso Jessica Wilson (2005).

139 Kim kommt daher zu dem Schluss: „We must conclude then that mind-body supervenience itself is not an explanatory theory; it merely states a pattern of property covariation between the mental and the physical and points to the existence of a dependency relation between the two. Yet supervenience is silent on the nature of the dependence relation that might explain why the mental supervenes on the physical.”300

Kims Dilemma beruht auf dieser Einsicht. Wird die Relation der Supervenienz monistisch gedeutet, dann werden die supervenierenden Eigenschaften entweder zu reinen Epiphänomenen, die keinen eigenen ontologischen Status beanspruchen können und die somit für eine vollständige Erklärung aller Ereignisse überflüssig sind oder die Supervenienzthese muss zugunsten eines reduktionistischen Naturalismus ganz aufgegeben werden. Auch dann wird es sinnlos sein, von mentaler Verursachung zu reden, da im Reduktionismus mentale Eigenschaften auf physikalische reduziert werden. Wird die Relation dualistisch gedeutet, dann bleiben die Alternativen eines Leibnizschen Parallelismus, der nur eine Verursachung von Mentalem durch Mentales zulässt, die Möglichkeit der mentalen Verursachung physischer Ereignisse jedoch ausschließt. Oder es muss eine ontologische Emergenztheorie vertreten werden, die beansprucht, eine Theorie über die Möglichkeit mentaler Verursachung anbieten zu können. In den nächsten Abschnitten folgt zunächst eine Auseinandersetzung mit Kims Epiphänomenalismus Vorwurf supervenienter Eigenschaften. Im Anschluss werden emergenztheoretische Positionen in den Blick genommen. Zu prüfen ist, ob diese Theorien tatsächlich die Möglichkeit mentaler Verursachung nachweisen können. Keine Berücksichtigung finden parallelistische Positionen, da diese sich mit dem Problem der mentalen Verursachung, aufgrund der von ihnen vertretenen Unverbundenheit von Mentalem und Physischem, gar nicht befassen.

7.2.4 Der Vorwurf Eigenschaften

des

Epiphänomenalismus

supervenienter

Der Supervenienztheorie zufolge ist jede mentale Eigenschaft von ihrer supervenienten Basis abhängig. Für das Verhältnis von mentalen und physischen Eigenschaften bedeutet das, dass jede mentale Eigenschaft 300

Kim (1998) S. 14.

140 durch die physische Eigenschaft, über die sie superveniert, bestimmt wird. Ihre Existenz ist vollständig von der Existenz der physischen Basis abhängig. Zugleich stehen physische Eigenschaften in naturgesetzlichen Relationen zu anderen physischen Eigenschaften und werden durch sie bestimmt. Ein physisches Ereignis muss, wenn die Geschlossenheitsthese wahr ist, allein durch andere physische Ereignisse verursacht worden sein. 301 Es ergibt sich daher folgendes Bild:

Em1m1

Em2m2

superveniert

Abb. 5

Ep1p1

verursacht

Ep2p2

Das mentale Ereignis Em1 mit der mentalen Eigenschaft m1 superveniert über dem physischen Ereignis Ep1 mit der physischen Eigenschaft p1 und das mentale Ereignis Em2 mit der mentalen Eigenschaft m2 superveniert über dem physischen Ereignis Ep2 mit der physischen Eigenschaft p2. Für das Eintreten von Em2m2 ist der Supervenienztheorie zufolge das Eintreten von Ep2p2 eine hinreichende Bedingung. Das Eintreten von Ep2p2 wird dagegen durch das Eintreten von Ep1p1 verursacht. Em1m1 ist daher sowohl für das Eintreten von Ep2p2 als auch für Em2m2 überflüssig. Weder ist es notwendig anzunehmen, dass Ep2p2 durch Em2m2 im Sinne einer vom Mentalen zum Physischen gerichteten Verursachung bewirkt wird, noch ist es notwendig, eine vom Mentalen zum Mentalen gehende Verursachung anzunehmen. Die Auffassung, dass so etwas wie superveniente 301

Die folgende Graphik und ebenso die Graphiken, welche die verschiedenen Formen der Emergenztheorien in Abschnitt 7.3 veranschaulichen, wurden von ähnlichen Graphiken in Kim (1996) inspiriert.

141 Verursachung zwischen den mentalen Ereignissen und den physischen Ereignissen bzw. zwischen zwei mentalen Ereignissen möglich sei, wird, obwohl ursprünglich von Kim unterstützt, mit dem Argument zurückgewiesen, dass der Name „superveniente Verursachung“ lediglich in einigen explanatorischen Kontexten Sinn mache, wenn man bestimmte Ereignisse, z.B. mit dem Verweis auf Gründe, erkläre. Aber diese Erklärung verdiene es nicht im gleichen ontologischen Sinn, kausal genannt zu werden, wie die Kausalerklärung zwischen zwei physikalischen Ereignissen. Im Rahmen von Supervenienztheorien kann es keine Verursachung durch Gründe oder andere mentale Zustände oder Eigenschaften geben, da die Thesen a) dass die Welt physikalisch geschlossen ist, b) dass jedes mentale Ereignis über ein physikalisches Ereignis superveniert, sowie c) dass es für jedes Ereignis nur eine vollständige kausale Erklärung geben kann, das ausschließen.302 Ein Versuch, die kausale Wirksamkeit mentaler Ereignisse bzw. mentaler Eigenschaften zu retten, findet sich in emergenztheoretischen Ansätzen, die im nächsten Abschnitt einer näheren Untersuchung unterzogen werden sollen.

7.3 Emergenztheorie Nachdem emergenztheoretische Ansätze zunächst eine erste Blüte zum Anfang des 20. Jahrhunderts als eine vermittelnde Position in der Auseinandersetzung zwischen Mechanisten und Vitalisten in Bezug auf biologische Phänomene hatten, erlebten sie am Ende des 20. Jahrhunderts ihre erste Renaissance.303 Nun aber als eine Position, die einerseits den 302

Vgl. Kim (1998) S. 72 -77. Zur Geschichte emergenztheoretischer Ansätze vgl. Stephan (1999). Eine relativ ausführliche Bibliographie zur Emergenztheorie bis 1999 findet sich in Stephan (1999). Eine Auswahl von Publikationen seit 2000 umfasst: Bickard/Campbell (2000), Emmeche/Stjernfelt (2000), Lowe (2000), Meyering (2000), Weber/Deacon (2000), Crane (2001), Newman (2001), Gillett (2002), Kim (2002a), Morowitz (2004), 303

142 Epiphänomenalismus mentaler Phänomene, wie er durch supervenienztheoretische Überlegungen nahegelegt und andererseits die Elimination mentaler Phänomene, wie sie von naturalistisch-reduktionistischen Positionen gefordert wurde, vermeiden wollte. Viele der neueren Verteidiger der Emergenztheorie betrachten dabei die Möglichkeit der Downward bzw. Top-Down Verursachung als ein wesentliches Merkmal emergenter Eigenschaften.304 Es sollen nun zunächst die Kernideen neuerer Arbeiten zur Emergenztheorie unter der besonderen Berücksichtigung von Ansätzen, die sich mit Problemen der Philosophie des Geistes beschäftigen, vorgestellt werden. Emergenztheoretische Positionen werden über eine Reihe von Thesen bzw. Kriterien bestimmt, durch welche emergente Eigenschaften definiert werden. So stellt Brüntrup 1998 folgende Bedingungen für emergente Eigenschaften (properties) auf: „a) supervenient on physical properties, b) not reducible to physical properties, and c) causally efficacious.“305

Kim charakterisiert zwei Grundthesen emergenztheoretischer Positionen von denen die eine Stephan (2002), Shoemaker (2002), Bunge (2003), O’Connor/Jacobs (2003), Koons (2003), O’Connor (2005), Boogerd (2005), Hulswit (2006), Seager (2006), Stephan (2006) sowie die von Kistler (2006) und von Feltz et.al (2006) herausgegebenen Sammelbänden. 304

Stephans Auffassung, dass die Downward Causation in der eigentlichen Debatte um Emergenz nur ein unbedeutender Aspekt sei, steht im Widerspruch zu neueren Arbeiten zur Emergenz, die alle das Kriterium der Fähigkeit emergenter Eigenschaften, ihre Basis-Eigenschaften kausal zu beeinflussen, als ein, wenn nicht sogar für das wesentliche Kriterium für Emergenz ansehen. Vgl. Stephan (1999) und (2002) S. 152 und Hasker (1999) S. 172. In Brüntrup (1998), Clarke (1999), Kim (1999), Crane (2001), Koons (2003) und O’Connor (2005) findet sich dagegen ganz klar die Auffassung, dass Emergenztheorien auch die Möglichkeit der Top-Down-Verursachung erklären können sollten. Vgl. hier auch die von Freeman (2001) und Clyton/Davis (2006) herausgegebenen Bände zur Emergenz. Searle dagegen schließt die Möglichkeit emergenter Verursachung aus. Vgl. Searle (1992) S. 111ff. Es wird dann allerdings fraglich, worin dann noch der Unterschied zu Supervenienztheorien besteht. 305

Brüntrup (1998) S. 133.

143 „group of ideas [is] manifest in the statement that emergent properties are ‚novel’ and ‚unpredictable’ from knowledge of their lower level bases, and that they are not ‘explainable’ or ‘mechanistically reducible’ in terms of their underlying properties”306

Die andere Gruppe dagegen „comprises the specific emergentist doctrines concerning emergent properties, and in particular about the causal powers of the emergents”307

Besonders wichtig ist der Anspruch, dass „the emergents bring into the world new causal powers of their own, and in particular, that they have powers to influence and control the direction of the lower-level processes from which they emerge.”308

Die These von der kausalen Kraft emergenter Eigenschaften hält Kim dabei für die wesentliche These emergenztheoretischer Ansätze.309 Stephan führt schließlich 2006 folgende Kriterien für Emergenz an: a) Physischer Monismus. Auch emergente Eigenschaften beruhen demnach ausschließlich auf physischen Entitäten.310 b) Systemische Eigenschaften. Es handelt sich hier um Eigenschaften, die nur dem System als ganzem, aber keinem seiner Teile allein zukommen.311 c) Synchrone Determiniertheit. Alle Eigenschaften eines Systems hängen nomologisch von seiner Mikrostruktur ab.312 d) Neuartigkeit: Entstehung neuer Strukturen.313 Mit b) kann dabei die These b’) der Irreduzibilität verbunden werden, die besagt, dass es unmöglich ist, das Verhalten eines Systems allein funktional oder aus dem Verhalten der Systembestandteile zu rekonstruieren. Wird die These der Irreduzibilität vertreten, dann handelt es sich nach Stephan um eine Form der starken Emergenz, während die alleinige Verteidigung der These der Neuartigkeit eine schwache Spielart der Emer306 307

Kim (1999) S. 5. Kim (1999) S. 5.

308

Kim (1999) S. 5f. Kim (1999) S. 6. 310 Vgl. Stephan (2006) S. 148. 309

311 312 313

Vgl. Stephan (2006) S. 148. Vgl. Stephan (2006) S. 149. Vgl. Stephan (2006) S. 150.

144 genztheorien darstellt, da die Neuartigkeit die Irreduzibilität nicht impliziere.314 Aus diesem Überblick ergibt sich, dass emergente Eigenschaften einerseits als neue oder irreduzible Eigenschaften gelten, andererseits aber deutlich gemacht wird, dass sie von anderen basalen Eigenschaften des Systems abhängig sind, worin die Anerkennung der Geschlossenheitsthese zum Ausdruck kommt. Hinzu kommt die Auffassung von der eigenen kausalen Kraft emergenter Eigenschaften. Eine Ausnahme bildet Stephan, der dem gegenwärtigem Trend zum Trotz das Kriterium der Downward – Causation, nicht in seinen Begriff der Emergenz integriert.315 Doch so übersichtlich die Liste der Bedingungen, wie sie z.B. von Brüntrup aufgestellt wurde, erscheint, so viele Interpretationen gibt es. Das betrifft vor allem die Frage, wie die Abhängigkeit emergenter Eigenschaften von den Mirkoeigenschaften eines Systems zu bestimmen ist. So sind sich alle darin einig, dass die emergenten Eigenschaften eines Systems vollständig von den Mikroeigenschaften des Systems abhängig sind. Worin diese „Abhängigkeit“ besteht, ist kontrovers. In der Regel wird eine der Spielarten der Supervenienzbeziehung, wie sie im letzten Abschnitt thematisiert wurden, in Anschlag gebracht. Sie lassen auf der einen Seite zu, dass es sich um eine nomologische Abhängigkeit handelt, indem z.B. die emergenten Eigenschaften kausal von den Mikroeigenschaften abhängig sind, auf der anderen Seite kann es sich im Sinne der logischen Supervenienz um eine logische Abhängigkeit handeln. Je nachdem welche Alternative verteidigt wird, ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen in Hinblick auf die These der eigenen kausalen Kraft emergenter Eigenschaften. Eine weitere Unterscheidung, die innerhalb der Debatte lange nicht explizit hervorgehoben wurde, betrifft die generelle Haltung gegenüber emergenten Eigenschaften. Auf der einen Seite kann eine rein epistemische Haltung eingenommen werden, die emergente Eigenschaften als Elemente in Erklärungen ansieht, auf der anderen Seite kann die Emergenztheorie als eine Theorie darüber angesehen werden, was es tatsächlich gibt. Emergente Eigenschaften gelten dann zwar nicht als ontologisch unabhängige, aber den314 315

Vgl. Stephan (2006) S. 153. Vgl. Stephan (2002).

145 noch als eigenständige Eigenschaften.316

7.3.1 Emergenztheoretische Positionen Im Folgenden sollen die wesentlichen emergenztheoretischen Positionen darauf hin überprüft werden, ob es ihnen gelingt, ein haltbares Konzept mentaler Verursachung zu entwickeln. Es lassen sich vier Grundtypen emergenztheoretischer Positionen unterscheiden: 1. Position: Emergente Eigenschaften stehen in Erklärungen in einer nomologisch supervenierenden Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 2. Position: Emergente Eigenschaften stehen in Erklärungen in einer logisch supervenierenden Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 3. Position: Emergente Eigenschaften stehen ontisch in einer nomologisch supervenierenden Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 4. Position: Emergente Eigenschaften stehen ontisch in einer logischen Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. Die Positionen 1 und 3 lassen sich jeweils noch in eine diachrone und synchrone Position unterteilen: 1a: Emergente Eigenschaften stehen in Erklärungen in einer diachron nomologischen Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 1b: Emergente Eigenschaften stehen in Erklärungen in einer synchron nomologischen Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 3a: Emergente Eigenschaften stehen ontisch in einer diachron nomologi316

Vgl. zu dieser Unterscheidung Silberstein/McGeever (1999), Hulswit (2006) und Clayton (2002-2003). Es könnte hier eingewandt werden, dass nach Sellars Kritik am Mythos des Gegebenen die Annahme einer sprach- und theorieunabhängigen Ontologie unsinnig und somit die Unterscheidung zwischen Positionen, die lediglich an der epistemischen Verortung von Eigenschaften und solchen, die sich mit deren ontologischen Status befassen, hinfällig sei. Aber zum einen wird Sellars Kritik nicht von allen Seiten akzeptiert bzw. so ernst genommen, wie es einige Anhänger dieser Kritik gerne hätten, so dass sich in der Literatur tatsächlich epistemische und ontologische Thesen unterscheiden und zum anderen ergeben sich auch unterschiedliche Konsequenzen in Bezug auf die Frage der mentalen Verursachung, wie im Folgenden noch deutlich werden wird.

146 schen Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. 3b: Emergente Eigenschaften stehen ontisch in einer synchron nomologischen Beziehung zu den Basiseigenschaften des Systems. Die Unterscheidung synchron und diachron betrifft das zeitliche Verhältnis, in dem die emergente Eigenschaft und die Basiseigenschaft zueinander stehen. Ist es möglich, dass ein System als ganzes schon zu t0 besteht, aber erst ab t