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German Pages 585 Year 1995
WALTER PERRON
Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß
STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau herausgegeben von Hans-Heinrich Jescheck . Günther Kaiser Albin Eser
Band 14
Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß Eine Untersuchung der verfassungsrechtlichen und verfahrensstrukturellen Grundlagen, gesetzlichen Regelungen und rechtstatsächlichen Auswirkungen sowie eine Erörterung der Reformperspektiven unter rechtsvergleichender Berücksichtigung des adversatorischen Prozeßmodells
Von
Prof. Dr. Walter Perron
Duncker & Humhlot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Perron, Walter: Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozess: eine Untersuchung der verfassungsrechtlichen und verfahrensstrukturellen Grundlagen, gesetzlichen Regelungen und rechtstatsächlichen Auswirkungen sowie eine Erörterung der Reformperspektiven unter rechtsvergleichender Berücksichtigung des adversatorischen Prozessmodells / von Walter Perron. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Strafrecht und Kriminologie; Bd. 14) Zugl.: Freiburg, Univ., Habil.-Schr., 1992/93 ISBN 3-428-08450-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6860 ISBN 3-428-08450-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
Vorwort Die Arbeit lag im Wintersemester 1992/93 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg LBr. als Habilitationsschrift vor. Seit dieser Zeit haben die Reformbemühungen und -diskussionen um das Beweisantragsrecht nicht nachgelassen, sondern im Gegenteil an Stärke noch zugenommen. Auch diese aktualisierte Fassung kann daher im Hinblick auf die Facetten des geltenden Rechts nur eine Momentaufnahme darstellen, die in einzelnen Punkten schon bald überholt sein könnte. Dennoch fehlen dem Gesetzgeber für substanzielle Veränderungen die Perspektiven, weil die Grundlagen des Beweisantragsrechts und seine Einbettung in die spezifische deutsche Strafverfahrensstruktur bislang zu wenig ausgelotet worden sind. Gerade diesem Mangel will die Arbeit abhelfen, und insoweit wird sie ihre Aktualität nicht so schnell verlieren. Berücksichtigt wurden sowohl die Änderungen des Beweisantragsrechts durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 und das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 als auch die Entwicklungen in Rechtsprechung und Schrifttum bis zum Herbst 1994, in einzelnen Fällen auch darüber hinaus. Die Darlegungen zum US-amerikanischen Recht im dritten Kapitel sind dagegen auf dem Stand vom Herbst 1992 geblieben. An der Entstehung dieser Arbeit haben viele Personen und Institutionen mitgewirkt, die ich hier nicht alle ausdrücklich erwähnen kann. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Albin Eser M.C.J., der mich zu dem umfassenden Projekt ermutigt und mir die ganzen Jahre über jede Unterstützung gewährt hat. Wertvolle Hinweise verdanke ich auch dem Zweitgutachter, Herrn Professor Dr. Wolfgang Frisch. Die von mir angestrebte Kombination von normativ-dogmatischer, rechtsvergleichender und empirischer Methode konnte in dieser Form wohl nur vor dem Hintergrund des Max-Planck-Instituts für Strafrecht verwirklicht werden. Zu Dank verpflichtet bin ich daher auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Günther Kaiser, welche die guten Arbeitsbedingungen wesentlich mitgeschaffen und der Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts zugestimmt haben.
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Vorwort
Für den ersten, verfassungsrechtlichen Teil stand mir mein Freiburger Habilitandenkollege Dr. Georg Herrnes mit Rat und Tat zur Verfügung. Zu den empirischen Untersuchungen erhielt ich vielerlei methodische Hilfestellungen von den Kollegen der kriminologischen Forschungsgruppe des Max-PlanckInstituts sowie insbesondere von Herrn Professor Dr. Josef Kürzinger und Herrn Professor Dr. Hansjörg Albrecht. Vor allem möchte ich insoweit den Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten danken, die mir mit großer Aufgeschlossenheit ihre Zeit und ihren Erfahrungsschatz zur Verfügung gestellt haben. Der rechtsvergleichende Teil entstand während eines Forschungsaufenthaltes an der University of Michigan Law School in Ann Arbor, Michigan, USA, der von der Max-Planck-Gesellschaft mit einern Stipendium großzügig gefördert wurde. Meine dortigen Gesprächspartner und Mentoren waren die Professoren Yale Kamisar, Jerold H. Israel, Peter Westen und Richard D. Friedman. Wichtige Anregungen zur vergleichenden Perspektive aus deutscher Sicht gab mir meine Kollegin und Referentin am Max-PlanckInstitut, Frau Dr. Susanne Walther. Zu Dank verpflichtet für vielfältige Gespräche und Ratschläge bin ich neben den bereits genannten auch vielen weiteren Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts, insbesondere Herrn Professor Dr. Günter Heine. Schließlich haben mir meine Hilfskräfte am Max-Planck-Institut und an der Universität Konstanz unentbehrliche Hilfe geleistet. Die Reinschrift und Gestaltung wurde von Frau Babette Bonn und Frau Christa Wimmer besorgt. Ihnen allen wie auch dem Verlag Duncker & Humblot gilt mein herzlicher Dank.
Freiburg und Konstanz, im Mai 1995
Walter Perron
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung ........ ... ..... ........... ... .......................... ... .................... ..... ..... 23
Erstes Kapitel: Grundlagen ......... ... ................... .............. ........... ............ 27 § 2 Verfassungs- und menschenrechtIiche Gewährleistungen ............. 27 I.
Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention. ........ ...................... .... ......... .................. ... 27 A. B. C. D.
11.
Einführung........................ ....... ............. ..... ....... ....... ................... Grundgesetz ...... ... .......... ..... ......... ... ................... ........ ......... ........ Europäische Menschenrechtskonvention ..................................... Fazit ............................................................................................
27 28 33 36
Grundlagen und Grenzen der Gewährleistung eines verfassungsmäßigen Rechts des Beschuldigten auf Mitgestaltung des Beweisverfahrens ...... ..... ... .......... ..... ..... ........ .... .... ......... ...... ............... ..... ..... 37 A. Beweisverfahren und Strafverfahrensziele ................................... B. Die der Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren zugrunde liegenden Interessenkonflikte .... .......... ............. .... ........ 1. Die einzelnen Problemfelder ................................................. a) Generelle Verzerrungen in der strafprozessualen Interaktion und Kommunikation ................ ... .................. b) Die Abhängigkeit der Sachverhaltsfeststellung von den anzuwendenden Normen des materiellen Rechts..... ........ c) Die Unsicherheiten des Beweisens ................................. 2. Die beiderseitige Interessenlage ........... ..... ........ ........ ....... ...... a) Einführung ..................................................................... b) Die öffentlichen Interessen ............................................. c) Die Interessen des Beschuldigten ................................... C. Verfassungsrechtliche Beurteilung der widerstreitenden Interessen .................. .......... ............ ........... ..... ....... ........ .......... ... 1. Einführung................ ........ ... ............... ..... ......... ....... ...... ... ...
37 41 41 41 43 45 50 50 51 53 56 56
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Inhaltsverzeichnis
2. Die grundrechtliche Absicherung der Beschuldigteninteressen .............................................................................. a) Die verschiedenen Anspruchsgrundlagen ....................... b) Die Inhalte der Gewährleistungen ................................... 3. Einschränkungen der Beschuldigtengrundrechte auf Mitwirkung arn Beweisverfahren durch kollidierende öffentliche Interessen........................ ............................... ..... a) Der allgemeine Rahmen der Interessenabwägung ........... b) Einzelne Formen der Beschränkung .......................... ..... aa) Materielle Beschränkungen ........................ ............ bb) Zeitliche Beschränkungen ....................................... (1) Einschränkung der Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren ............ ............ ......... (2) Ausschlußfristen für Beweisbegehren im Hauptverfahren ............................ .............. cc) Beschränkungen der Form ...... ................................ dd) Beschränkungen wegen Mißbrauchs ...... .................
m.
58 58 66 70 70 77 77 81 81 84 93 98
Vorläufige Folgerungen für das Beweisantragsrecht ........................ 100
§ 3 Der Einfluß der Verfahrensstmktur ............ ........ ................ ......... 105
I.
Vorbemerkung ................................................................................. 105
n.
Die Strukturbausteine eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und ihre Bedeutung für die Beweisantrags- und Beweisführungsrechte des Beschuldigten ............................................................................ 109 A. Institutionalisierung der Verteidigung ....................................... B. Aufteilung der Aufgaben der öffentlichen Strafverfolgung auf verschiedene Organe und Verfahrensabschnitte .............. ..... 1. Allgemeines....................................................................... 2. Die einzelnen Verfahrensabschnitte .................................... a) Ermittlungsverfahren .................................................... b) Hauptverhandlung ........................................................ c) Rechtsmittelkontrolle ................................................... 3. Die verschiedenen Strafverfolgungsorgane ......................... a) Berufsrichter ................................................................ b) Laienrichter..................................................................
109 112 112 113 113 115 116 118 118 119
Inhaltsverzeichnis
c) Anklagebehörde........................................................... d) Polizei.......................................................................... C. Richterliche Amtsermittlung in der Hauptverhandlung oder adversatorische Beweispräsentation durch Anklagevertreter und Verteidigung ..................................................................... 1. Allgemeines....................................................................... 2. Die Bedeutung der beiden Verfahrensmodelle für die Beweisbegehren des Beschuldigten in der Hauptverhandlung ........................................................................ a) Amtsermittlungsverfahren ............................................ b) Adversatorisches Verfahren .......................................... 3. Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren ....................... 4. Auswirkungen auf das Rechtsmittelverfahren .....................
m.
9
121 123
124 124
125 125 127 129 130
Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten innerhalb der besonderen deutschen Verfahrensstruktur ........................................ 131 A. Amtsermittlungsverfahren und Stellung der Verteidigung ......... B. Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht .............................. C. Die Bedeutung des Beweisantragsrechts in den einzelnen Verfahrensabschnitten ............................................................... 1. Ermittlungsverfahren .......................................................... a) Die Ausgangssituation der Verteidigung ...................... b) Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beeinflussung der amtlichen Ermittlungen .......................................... aa) Einflußnahme auf die Erledigungsentscheidung der Staatsanwaltschaft ..................... bb) Verbesserungen der Ausgangssituation für die Hauptverhandlung ..................................... c) Verfassungsrechtliche Folgerungen .............................. 2. Verfahren vor dem erkennenden Gericht .......... .................. a) Zwischenverfahren ....................................................... b) Hauptverhandlung ........................................................ c) Verfassungsrechtliche Folgerungen .............................. 3. Rechtsmittelverfahren ......................................................... a) Berufung ...................................................................... b) Revision ....................................................................... c) Verfassungsrechtliche Folgerungen ..............................
131 135 141 141 141 144 144 146 149 151 151 153 157 158 158 160 163
10
Inhaltsverzeichnis
Zweites Kapitel: Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im gegenwärtigen deutschen Strafverfahren ..... .......... 165 § 4 Die gesetzlichen Regelungen und ihre Auslegung durch
Rechtsprechung und Schrifttum ................. ....... ...... .......... ........... 165
I.
Vorbemerkung ...... ...... ............ ................................ ................ ......... 165
11.
Ermittlungsverfahren ....................................................................... 166 A. Einführung ............................... ......................... ............... ......... B. Die einzelnen Regelungen ......................................................... 1. § 163a Abs. 2 StPO ............................................................. 2. § 166 Abs. 1 StPO .............................................................. 3. § 168d Abs. 2 StPO ............................................................ C. Kritische Würdigung ... ..... ... ............. ...... .......................... .........
166 167 167 169 170 171
m. Verfahren vor dem erkennenden Gericht bis zum Beginn der
Hauptverhandlung ........................................................................... 175
IV. Hauptverhandlung ......... ..... ........ ......... ..................................... ....... 179 A. Die Bedeutung der Revisionskontrolle ...................................... B. Anforderungen an die Form der Beweisanträge ......................... 1. AntragsteIlung ........................ ....... ......................... ............ 2. Bedingte Beweisanträge .................................. ....... ............ 3. Notwendiger Inhalt, Begründung und besondere Vorbereitungslasten ............................................................ a) Allgemeiner Überblick ................................................. b) Die Anforderungen an die Substantiierung eines förmlichen Beweisantrages .......................................... aa) Die Bedeutung der Abgrenzung von Beweisantrag und Beweisermittlungsantrag ..................... bb) Bestimmtheit der Tatsache und des Beweismittels .. ........ ......... .... .......... ....... ... ....................... cc) Plausibilität des Beweisgelingens ......................... C. Anforderungen an die Form der Behandlung von Beweisanträgen durch das Gericht ............. ................. .......................... 1. Förmliche Beweisanträge ............... .... ..... ......... .................. a) Allgemeines. ..... ... .......... ... ................. ....................... ...
179 182 182 185 188 188 194 194 196 201 205 205 205
Inhaltsverzeichnis
b) Insbesondere: Austausch des im Beweisantrag benannten Beweismittels ........... .................. ................. 2. Beweisermittlungsanträge und Beweisanregungen .............. D. Die materielle Durchsetzbarkeit der Beweisanträge .................. 1. Überblick ............................................................................ 2. Beweisermittlungsanträge und Beweisanregungen .............. 3. Beweisanträge auf Heranziehung nichtpräsenter Beweismittel (§ 244 Abs. 3-5 StPO) ................................... a) Unzulässigkeit der Beweiserhebung ............................. b) Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache ............. c) Wahrunterstellung der behaupteten Tatsache ................ d) Tatsache schon erwiesen ... ............. ........ ....... .... ... .... .... e) Offenkundigkeit der Tatsache oder ihres Gegenteils ..... f) Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels ................... g) Unerreichbarkeit des Beweismittels ............................. h) Prozeßverschleppungsabsicht.. ..................... ................ i) Zusätzliche Ablehnungsgrunde für Beweisanträge auf Vernehmung Sachverständiger ....... ........................ aal Allgemeines ... ................. ...... ....... ............... ......... bb) Eigene Sachkunde des Gerichts ............................ cc) Beweisanträge auf Anhörung weiterer Sachverständiger ............. ................ ....... ........... ... j) Beweisanträge auf Einnahme eines Augenscheins .. ...... k) Beweisanträge auf Vernehmung von Auslandszeugen .......................................................................... 4. Beweisanträge auf Verwendung präsenter Beweismittel (§ 245 Abs. 2 StPO) .................................................. E. Die Sonderregelung des § 420 Abs. 4 StPO für das beschleunigte Verfahren und das Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ............................................................. F. Kritische Würdigung .................................................................
11
208 213 214 214 215 222 222 225 229 235 236 242 245 250 256 256 258 263 266 269 271 275 276
§ 5 Empirische Untersuchung der tatsächlichen Auswirkungen des geltenden Rechts .............................. ........ .......... ........ ...... ........ 281
I.
Einführung...................................................................................... 281
11.
Befragung von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten ......... 283
12
Inhaltsverzeichnis
A. Konzeption und Ablauf der Untersuchung ....... ............. ............. 1. Allgemeine Beschreibung der Vorgehensweise ................... 2. Bildung der Stichprobe ........................ ..... .......................... 3. Zuverlässigkeit ................................................................... B. Darstellung der Ergebnisse ........................................................ 1. Ermittlungsverfahren........................ ..... ...... ........ ..... ....... ... a) Allgemeiner Hintergrund ........ ..... ........... ..................... b) Beweisanträge ................................. .......... ............. ...... aa) Präsentation ..................................... ,.................... bb) Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beweisanträge ................................. ........ 2. Zwischen verfahren ....... ............. .... ........... ... ................ ....... a) Allgemeiner Hintergrund ........................ ..................... b) Beweisanträge .............................................................. 3. Hauptverfahren ............ .................. .......................... .... ....... a) Allgemeiner Hintergrund ..................... ................ ........ b) Beweisanträge .............................................................. aa) Zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Beginn der Hauptverhandlung .............................. bb) Präsentation von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung ................................................ cc) Die Entscheidungen der Gerichte über die Beweisanträge ...................................................... 4. Berufung ........................ ....... ............................. ... ............. 5. Revision ............................................................................. 6. Änderungswünsche zum geltenden Beweisantragsrecht ...... 7. Einzeldarstellung des Gespräches mit zwei Staatsanwälten, die auf Strafverfahren gegen Ärzte wegen Abrechnungsbetrugs spezialisiert waren ........ .......... ...........
283 283 285 286 287 287 287 290 292 296 299 299 304 308 308 313 313 314 327 335 337 339 340
ill. Auswertung der Entscheidungen des BGH bei erfolgreichen Revisionen aus den Jahren 1983 und 1988 ....................................... 342 A. Konzeption und Ablauf der Untersuchung ............................ ..... 1. Vorgehensweise .................................................................. 2. Zuverlässigkeit.... ... ....... ....... ................................... ...... ..... B. Darstellung der Ergebnisse ........................................................ 1. Allgemeiner Stellenwert der Aufhebungen wegen Beweisantrags- und Aufklärungsfehlem ..... ............ .............
342 342 344 346 346
Inhaltsverzeichnis
13
2. Urteilsaufhebungen wegen Fehlern bei der Behandlung von Beweisanträgen .. ........ ...... ..... ....... ..... ...... ..................... 353 3. Urteilsaufhebungen wegen Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht ...................................................... ........ 370 IV. Zusammenfassende Bewertung der empirischen Befunde ................ 376 A. Ermittlungsverfahren ................................................................ B. Zwischenverfahren und Vorbereitung der Hauptverhandlung .... c. Hauptverhandlung ..................................................................... D. Revisionskontrolle .................................................................... Drittes Kapitel:
376 378 378 382
Rechtsvergleichende Betrachtung der Beweisführungsrechte des Beschuldigten im adversatorischen Strafverfahren ....... .... ....... ....... ........... ........ 385
§ 6 Beispielhafte Darstellung des Strafverfahrensrechts der USA .... 385
I.
Einführung ......................... ............ ... ... ............. ....... ... ............ ........ 385
11.
Überblick über die Beweisführungsrechte des Beschuldigten in den einzelnen Verfahrensabschnitten ........................................... 390 A. B. C. D.
Vorverfahren (pretrial procedure) .............................................. (Haupt)Verhandlung über die Schuldfrage (trial) ...................... Strafzumessung (sentencing) ..................................................... Rechtsmittelverfahren (appeal) .................................................
390 394 401 405
III. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen .......... ........ ...... ......... 409 IV. Die Rechte des Beschuldigten auf Beweisermittlung und Beweisführung im Verfahren vor der Hauptverhandlung ................. 413 A. Eigene Ermittlungen der Verteidigung ...................................... 1. Allgemeines....................................................................... 2. Das Recht des Beschuldigten auf adäquate Sachverhaltsaufklärung durch seinen Verteidiger ....................... 3. Der Zugang zu den Beweisen und ihre Sicherung ............... 4. Sanktionen gegen Verteidiger wegen Beweisverfälschung .. B. Formelle Beweisführungsrechte in der richterlichen Anhörung zur Anklage (preliminary hearing) ..... ................ .......
413 413 415 417 421 422
14
Inhaltsverzeichnis
C. Die Bedeutung der Beweisführungsrechte des Beschuldigten im plea bargaining . .......................... ....... .................................. 427 V.
Die rechtlichen Gewährleistungen und Begrenzungen der Beweisführung durch den Beschuldigten in der Hauptverhandlung ............. 430 A. Staatliche Zwangsmittel zur Gewährleistung der Verfügbarkeit der Beweise ........................................................ 1. Allgemeines Verfahren ....................................................... 2. Überprüfung der sachlichen Notwendigkeit des Beweismittels durch die Gerichte in besonderen Fällen .................. 3. Mithilfe des Staates bei der Zustellung von Vorladungen an Personen mit unklarem Aufenthaltsort oder im Ausland .. .................... ......... .... ........ ..... ... ...................... 4. Recht des Beschuldigten auf Vertagung, Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung, um neue Beweismittel heranzuschaffen ............................................ B. Verpflichtungen des Beschuldigten, dem Staatsanwalt vor Beginn der Hauptverhandlung die Verteidigungs beweise offenzulegen und die betreffenden Ermittlungsmaterialien zur Verfügung zu stellen . ..... ..... ...... .............. ............................ 1. Der Umfang der Offenlegungs- und Herausgabepflichten und ihre Sanktionsbewehrung ....... ........................ .............. 2. Verfassungsrechtliche Einwände gegen die Offenlegungsund Herausgabepflichten ... ...... ............... ............. ............... 3. Verfassungsrechtliche Einwände gegen die Ausschlußsanktion .............................................................. C. Materielle Beschränkungen der Beweisführung durch das Beweisrecht ........................ .......... ........................ ......... ..... 1. Einführung.......... ..................... .......................................... 2. Die Pflicht des Beweisführers zur vorherigen Erläuterung seines beabsichtigten Beweises... ..................... 3. Die Entscheidungserheblichkeit (relevance) des Beweises als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung und die Befugnis des Richters, relevante, aber schädliche oder überflüssige Beweise auszuschließen ......................................... 4. Der Ausschluß unzuverlässiger Beweismittel...................... 5. Die Befugnis des Richters, Tatsachen selbst festzustellen, um ihren Nachweis überflüssig zu machen Gudicial notice) ..................................................................
430 430 431
435
437
440 440 444 448 451 451 454
456 462
466
Inhaltsverzeichnis
15
6. Die Abkürzung von angebotenen Beweisen durch förmliches Zugeständnis der Gegenpartei Gudicial admission, stipulation) .... ...... .... .......... ..... ........ ................... 468 VI. Zusammenfassung und kritische Würdigung .................................... 470
Viertes Kapitel: Möglichkeiten einer Reform ...................................... 475 § 7 Das bestehende Reformdilemma und Wege zu seiner
Auflösung ....................................................................................... 475
I.
Die Notwendigkeit einer Reform ..................................................... 475
11.
Die Unzulänglichkeiten isolierter Veränderungen des geltenden Beweisantragsrechts ........................................................................ 479
III. Die Übernahme einzelner Strukturmerkmale des angloamerikanischen Prozeßmodells als Ausweg? ........ ................ ..... ...... 485 IV. Intrasystematische Strukturveränderungen als Voraussetzungen einer wirksamen und zugleich auch verfassungsrechtlich legitimen Reform des Beweisantragsrechts ..................................................... 489 A. Vorbemerkung............ ............. ..... ................. .......... .... ..... ........ B. Die vorgelegten Konzepte zur Strafverfahrensreform und ihre Bedeutung für das Beweisantragsrecht des Beschuldigten ......... 1. Das Hauptverhandlungsmodell des Alternativ-Entwurfs ..... 2. Gössels Vorschlag, das Beweisantragsrecht und die Aufklärungspflicht auf das Zwischenverfahren zu begrenzen ... ..... ........ .... ...... .... ....................... .......... ............ 3. Reformvorschläge zum Ermittlungsverfahren ..................... 4. Die Rechtsmittelreform ...................................................... C. Ergebnis der Untersuchung und Schlußfolgerungen ..................
489 491 491 494 497 501 503
Anhang: Materialien zu den empirischen Untersuchungen ................ 509 Schrifttumsverzeichnis .......................................................................... 547
Abkürzungsverzeichnis N
Publications of the European Court of Human Rights Series NPublications de la Cour euro~nne des Droits de l'Homme S6rie A (zitiert nach Band und Paragraph)
A.2d
AtIantic Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
A.aO.
Am angeführten Ort
ABA
American Bar Association
ABA-Model Code
American Bar Association, Model Code of Professional Responsibility
ABA-Model Rules
American Bar Association, Model Rules of Professional Conduct
ABA-Standards
American Bar Association, Standards Relating to the Administration of Criminal Justice
Abs.
Absatz
AE
Alternativ-Entwurf
AE-StPO-HV
Alternativ-Entwurf, Novelle zur Strafproze80rdnung, Reform der Hauptverhandlung
a.E.
am Ende
aF.
alte Fassung
AG
Amtsgericht
AK
Altemativkommentar
ALR3d
American Law Reports Annotated, Third Series (zitiert nach Band und Seite)
ALR4th
American Law Reports, Fourth Series (zitiert nach Band und Seite)
ALRFed.
American Law Reporter, Federal (zitiert nach Band und Seite)
AMRK
Amerikanische Menschenrechtskonvention
Anm.
Anmerkung
AnwBI
Anwaltsblatt (zitiert nach Jahr und Seite)
Abkürzungsverzeichnis AöR
Archiv des öffentlichen Rechts (zitiert nach Band und Seite)
Art.
Artikel
AsylVfG
Asylverfahrensgesetz
AlLA-Code
American Trial Lawyer's Association, American Lawyer's Code of Conduct
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHR
BGH-Rechtsprechung, Strafsachen (zitiert nach Paragraph, Schlagwort und Nummer)
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)
BRAK
Bundesrechtsanwaltskammer
BtM
Betäubungsmittel
BIMG
Betäubungsmittelgesetz
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite)
C.C. Virginia
Circuit Court of Virginia
CCPR
Convenant on Civil and Political Rights
CJS
Corpus Juris Secundum (zitiert nach Band und Paragraph)
DAR
Deutsches Autorecht (zitiert nach Jahr und Seite)
DJT
Deutscher Juristentag
DRiZ
Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite)
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
E.H.R.R.
European Human Rights Reports (zitiert nach Band und Seite)
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EzSt
Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (zitiert nach Paragraph und Nummer)
EuGRZ
Europäische Grundrechte Zeitschrift
EuRhÜbk
Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
(zitiert nach Jahr und Seite)
2 Perron
17
18
Abkürzungsverzeichnis
f., ff.
folgende, fortfolgende
F.2d
Federal Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
F.Cas.
Federal Cases (zitiert nach Band und Seite)
FG
Festgabe
Fn.
Fußnote
FRCP
Federal Rule(s) of Criminal Procedure for the United States District Courts
FRE
Federal Rules ofEvidence for United States Courts and Magistrates
FS
Festschrift
GA
Goltdammer's Archiv für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
GG
Grundgesetz
GS
Gedächtnisschrift
GvG
Gerichtsverfassungsgesetz
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
i.S.d.
im Sinne des
InfAuslR
Informationsbrief Ausländerrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
IPBPR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
JA
Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen (zitiert nach Jahr und Seite)
JMBINRW
Justizministeralblatt für das Land Nordrhein-Westfalen (zitiert nach Jahr und Seite)
JR
Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite)
Jura
Juristische Ausbildung (zitiert nach Jahr und Seite)
JuS
Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite)
Justiz
Die Justiz - Amtsblatt des Justizministeriums BadenWUmernberg (zitiert nach Jahr und Seite)
JW
Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite)
JZ
Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite)
Kap.
Kapitel
KG
Kammergericht
KK
Karlsruher Kommentar
Abkürzungsverzeichnis KMR
KMR Kommentar zur StrafprozeBordnung
KrimJ.
Kriminologisches Journal (zitiert nach Jahr und Seite)
Krit.Justiz
Kritische Justiz (zitiert nach Jahr und Seite)
LG
Landgericht
Iit.
litera
LM
19
Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs von LindenmaierlMöhring (zitiert nach Paragraph und Nummer)
LR
Löwe-Rosenberg
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite)
MRK
Menschenrechtskonvention (europäische)
MschrKrim
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (zitiert nach Jahr und Seite)
NJ
Neue Justiz (zitiert nach Jahr und Seite)
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite)
No.
Number
Nr.
Nummer
NStE
Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht (zitiert nach Paragraph und Nummer)
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
N.W.2d
North Western Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
OLG
Oberlandesgericht
OLGSt
Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach Paragraph und Nummer)
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
P.2d
Pacific Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
Pub.L.
PublicLaw
RAnw.
Rechtsanwälte
Rdn.
Randnummer
RechtspflegeEntlastungs-GE 1991
Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (Bundestags-Drucksache Nr. 1211217)
2*
20 RechtspflegeentlastungsG 1993
Abkürzungsverzeichnis Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBI. I, S. 50)
RG
Reichsgericht
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)
Ri.
Richter
ROW
Recht in Ost und West (zitiert nach Jahr und Seite)
RStPO
Reichsstrafprozeßordnung
S.
Seite
S.Q.
Supreme Court Reporter (zitiert nach Band und Seite)
S.E.2d
South Eastem Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
S.W.2d
South Western Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
SchIHA
Schleswig-Holsteinische Anzeigen
SchlHOLG
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
SchwZStR
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
SK
Systematischer Kommentar
So.2d
Southem Reporter, Second Series (zitiert nach Band und Seite)
sonsl.Erm.richter
sonstiger Ermilliungsrichter
StAnw.
Staatsanwälte
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
StV
Strafverteidiger (zitiert nach Jahr und Seite)
StVÄG 1979
Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5.1 0.1978 (BGBI I 1645)
u.a.
unter anderem, unter anderen
U.S.
United States Reports (zitiert nach Band und Seite)
U.S.C.
United States Code
U.S.C.A.
United States Code Annotated
ULA
Uniform Laws Annotated
v.
versus, vom
Abkürzungsverzeichnis VerbrechensbekämpfungsG 1994
21
Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10.1994 (BGBI. I, S. 3186)
vgl.
vergleiche
VRS
Verkehrsrechts-Sammlung (zitiert nach Band und Seite)
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
Wistra
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
WuM YB
Wohungswirtschaft und Mietrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Yearbook of the European Convention on Human Rightsl Annuaire de la Convention europ6enne des Droits de I'Homme (zitiert nach Band und Seite)
ZfSch
Zeitschrift für Schadensrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift fUr Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite)
Zs. f. ev. Ethik
Zeitschrift für evangelische Ethik (zitiert nach Jahr und Seite)
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band und Seite)
§ 1 Einleitung Das Beweisantragsrecht wird gemeinhin als eines der wichtigsten Verteidigungsrechte des Beschuldigten angesehen. Zugleich bildet es nach Ansicht weiter Iustizkreise aber auch eine der Hauptursachen für das Anwachsen überlanger Hauptverhandlungen sowie die daraus resultierende Verbreitung informeller Absprachen, weil die Verteidiger die Gerichte ohne größere Schwierigkeiten mit einer Vielzahl praktisch nicht ablehnbarer Beweisanträge konfrontieren und erpressen können. Angesichts dieser Klagen hat es in der Vergangenheit nicht an Versuchen einer Einschränkung des Beweisantragsrechts gefehlt, doch sind selbst eher moderate Vorschläge auf so starken Widerstand gestoßen, daß bislang kaum einer von ihnen Gesetz geworden ist. Auch scheinen sich die Revisionsgerichte allen Ansinnen zu widersetzen, die strengen Maßstäbe für die Ablehnung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung wenigstens etwas zu lockern. Auf der anderen Seite wird vor allem von Strafverteidigerseite aus für das Ermittlungsverfahren eine Verbesserung der Rechte des Beschuldigten und insbesondere seines Beweiserhebungsanspruchs als mindestens genauso dringend angemahnt, ohne daß der Gesetzgeber Neigung zeigen würde, diesen Forderungen nachzukommen. Angesichts der Schärfe, welche die Diskussion inzwischen gewonnen hat, erscheint es zunächst verwunderlich, daß das wissenschaftliche Schrifttum sich bislang umfassender Stellungnahmen weitgehend enthalten hat und im wesentlichen nur für eine Beibehaltung des status quo ante eintritt. Tatsächlich ist das Beweisantragsrecht immer ein Geschöpf der Praxis gewesen, dem sich die Wissenschaft erst langsam nähert und dem auch der Gesetzgeber abgesehen von der nationalsozialistischen Episode - bis in die jüngste Vergangenheit hinein eher passiv nachvollziehend als aktiv gestaltend gegenüberstand. Die Haltung des Gesetzgebers hat sich inzwischen freilich geändert, ohne daß klare Konzepte einer prozeßökonomisch effizienten und zugleich rechts staatlich unbedenklichen Reformpolitik erkennbar wären. Insbesondere mangelt es an einer wissenschaftlichen Durchdringung der allgemeinen rechtsstaatlichen Grundlagen und verfahrensstrukturellen Abhängigkeiten des Beweisantragsrechts.
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§ 1 Einleitung
Ziel der Arbeit ist daher, den wissenschaftlichen Defiziten abzuhelfen und die Möglichkeiten einer Reform des Beweisantragsrechts weiter aufzuklären. In methodischer Hinsicht konnte die Untersuchung deshalb auch nicht auf eine Analyse der gesetzlichen Regelungen und ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Schrifttum beschränkt bleiben, sondern es mußten neben den normativen auch verfassungsrechtliche, rechtstatsächliche und - für die Reformperspektiven - rechtsvergleichende Überlegungen angestellt werden.
Das erste Kapitel über die Grundlagen beginnt mit einer Untersuchung der verfassungs- und menschenrechtlichen Gewährleistungen des Beweisantragsrechts, innerhalb derer - ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG - die zugrundeliegenden Interessenkollisionen und ihre verfassungsrechtliche Bedeutung erörtert werden (§ 2). Daran anschließend folgt eine Analyse der spezifischen Strukturmerkmale des deutschen Amtsermittlungsverfahrens sowie ihres Einflusses auf das Beweisantragsrecht (§ 3). Das zweite Kapitel widmet sich sodann in einer normativen (§ 4) und in einer - aus eigenen empirischen Untersuchungen bestehenden - rechtstatsächlichen Analyse (§ 5) ausführlicher dem geltenden deutschen Beweisantragsrecht und mißt dieses an den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Weil sich dabei einige schwerwiegende Unzulänglichkeiten zeigen, die innerhalb der bestehenden Verfahrensstruktur kaum aufzulösen sind, untersucht das dritte Kapitel am Beispiel der USA die Beweisführungsrechte des Beschuldigten im angelsächsischen adversatorischen Strafverfahren (§ 6). Dieses vermeidet aufgrund seiner abweichenden Verfahrensstruktur die mit dem deutschen Beweisantragsrecht verbundenen Probleme, muß dafür allerdings andere, sehr erhebliche Schwierigkeiten in Kauf nehmen. Im vierten Kapitel werden schließlich die Ergebnisse bilanziert und die Rejormperspektiven des Beweisantragsrechts erörtert (§ 7). Schon aus dieser Kurzbeschreibung läßt sich erahnen, daß das Beweisantragsrecht mit zahlreichen Fragestellungen aus allen Bereichen des Strafverfahrensrechts verbunden ist. Um den Gesamtumfang der Arbeit wenigstens einigermaßen in Grenzen zu halten, mußte daher auf vieles verzichtet werden, dessen Erörterung sich eigentlich auch noch angeboten hätte. Welche Themen im einzelnen ausgespart bleiben, wird zumeist unmittelbar an den entsprechenden Stellen der Darstellung erläutert. Vorab sei daher nur darauf hingewiesen, daß weder Beweisfragen bei Entscheidungen, die nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Feststellung von Schuld und Strafe zielen (etwa die Entscheidung über die Untersuchungshaft), noch besondere Verfahrensarten
§ 1 Einleitung
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(etwa Jugendstrafverfahren, Privatklageverfahren, Wiederaufnahmeverfahren, Ordnungswidrigkeitenverfahren) noch die Beweisantragsrechte der aus völlig anderen Prozeßrollen heraus agierenden Staatsanwälte und Nebenkläger in die Überlegungen eingeflossen sind.
Erstes Kapitel: Grundlagen § 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Gewährleistungen I. Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention A. Einführung Das Recht des Beschuldigten, die Erhebung bestimmter Beweise zu verlangen, wird zwar vom Wortlaut des - im Hinblick auf Verfahrensgrundrechte eher zurückhaltenden - GG nicht erwähnt, ist aber in der Rechtsprechung des BVerfG inzwischen als verfassungsmäßig garantiert anerkannt. Außerdem wird es in mehreren internationalen Menschenrechtskonventionen, insbesondere in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, 1 Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPR, 2 Art. 8 Abs. 2 lit. f AMRK,3 und auch in ausländischen Verfassungen, beispielsweise im 6. Amendment der US-amerikanischen Bundesverfassung,4 ausdrücklich geWährleistet. Freilich sind Spruchpraxis und Schrifttum zu Art. 14 Abs.3 Art. 6 Abs. 3: "Jeder Angeklagte hat mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die folgenden Rechte: ... d) ... die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken;". 2 Art. 14 Abs. 3: "Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auffolgende Mindestgarantien: ... e) Er darf ... das Erscheinen und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter den für die Belastungszeugen geltenden Bedingungen erwirken;" (Übersetzung nach BOBI. 197311, S. 1534). 3 Art. 8 Abs. 2: "... während des Verfahrens hat jede Person ... das Recht auf folgende Mindestgarantien: ... f) das Recht der Verteidigung ... Sachverständige oder andere Personen, die die Tatsachen erhellen könnten, als Zeugen vorladen zu lassen" (Übersetzung nach EuORZ 1980,435). 4 "In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right ... to have compulsory process for obtaining witnesses in his favour ... ".
§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
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lit. e IPBPR5 und zu Art. 8 Abs. 2 lit. f AMRK6 bislang sehr wenig entwikkelt. Auch kann die Rechtsprechung des United States Supreme Court zum 6. Amendment der amerikanischen Bundesverfassung wegen des dort ebenfalls in der Form eines Grundrechts fixierten adversatorischen Geschworenenverfahrens nicht ohne weiteres mit der deutschen Ausgangslage verglichen werden. 7 Die folgende Betrachtung beschränkt sich daher auf das deutsche GG und die EMRK. B. Grundgesetz Die grundgesetzliche Verankerung des Beweisantragsrechts ist vom BVerfG in den letzten Jahren für verschiedene Materien auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität herausgearbeitet worden. So stützt sich vornehmlich der Erste Senat seit Ende der 70er Jahre für den Zivilprozeß auf den in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten "Anspruch auf rechtliches Gehör" und sieht in ständiger Rechtsprechung dieses Prozeßgrundrecht dann als verletzt an, wenn ein Beweisantrag abgelehnt wird aus Gründen, die "im Prozeßrecht keine Stütze finden".8 Damit steht zwar noch kein eigenständiger verfassungsrechtlicher Maßstab zur Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Beweisantragsrechts im Zivilprozeß zur Verfügung, sondern das gerade geltende einfache Recht erhält lediglich eine verfassungsrechtliche Verstärkung. Aber dessen tatsächliche Anwendung durch die Zivilgerichte gibt auch aus der distanzierten Sicht des BVerfG offensichtlich so erheblichen Anlaß zur Kritik, daß insbesondere in jüngerer Zeit zahlreiche Verfassungsbeschwerden erfolgreich auf fehlerhafte Ablehnungen und Nichtberücksichtigungen von Beweisanträgen gestützt worden sind.9 5
Vgl. Nowack, CCPR-Kommentar (1990), Art. 40 Rdn. 52.
6 Vgl. die Zusammenstellung bei BuergenthaUNorris, Human Rights, The Inter-American System (1993), Bd. 6 Appendix I E, S. 18, mit den dazugehörigen Entscheidungen. 7
Näher dazu unter § 6 111.
8 Grundlegend BVerfGE 50, 32, 35 f. Aus der früheren Rechtsprechung vgl. etwa BVerfGE 25, 137, 140 f.; 7, 53, 57. Zweifelnd für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit allerdings BVerfGE 79, 51, 62. 9 Vgl. etwa 2 BvR 1506/94 vom 20.10.1994 (]URIS Nr.733922); I BvR 1177/93 vom 18.7.1994 (]URIS Nr. 732475); 2 BvR 852/90 vom 7.5.1991 (]URIS Nr. 674737); I BvR 432/89 vom 26.2.1991 (]URIS Nr. 624617); I BvR 1112/90 vom 18.1.1991 (]URIS Nr. 782243); BVerfG NJW 1990,3259,3260; I BvR 266/90 vom 28.9.1990 (]URIS Nr. 585987); BVerfG WuM 1991, 147, 148 f.; I BvR 329/89 vom 12.7.1990 (]URIS Nr.565556); I BvR 1248/89 vom 16.1.1990
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Zum Strafverfahren sind freilich - nicht zuletzt angesichts der strengen Revisionskontrolle durch den BGH und die Oberlandesgerichte - kaum vergleichbare Entscheidungen ergangen. Lediglich in einem Fall hat der Zweite Senat des BVerfG die Ablehnung eines Beweisantrages in einem Wiederaufnahmeverfahren als schlechthin unvertretbar beanstandet und deshalb Art. 103 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt angesehen,IO und in einer Bußgeldsache hat die zweite Kammer des zweiten Senats die fehlerhafte Zurückweisung eines Beweisantrags als verspätet ebenfalls als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erachtet. I I Für das Beweisantragsrecht des Beschuldigten bedeutsamer ist daher eine zweite Linie, die der Zweite Senat 1981 in BVerfGE 57, 250 eröffnet hat. 12 Dort hatte man sich mit der Frage zu befassen, ob eine Verurteilung auch auf schriftliche Stellungnahmen und polizeiliche Vernehmungsprotokolle von Zeugen gestützt werden darf, die nicht persönlich vernommen werden können, weil staatliche Stellen ihren Aufenthaltsort geheimhalten und entsprechende Beweisanträge der Verteidigung deshalb wegen Unerreichbarkeit abgelehnt werden müssen. Der Senat wies zunächst darauf hin, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör dem Angeklagten zwar garantiere, durch entsprechende Anträge auf die Beischaffung eines sachnäheren Beweismittels zu drängen, ihm aber kein Recht auf ein bestimmtes Beweismittel gewähre. 13 Über dieses begrenzte Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG hinaus habe der Angeklagte im Strafverfahren jedoch auch einen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, welches auch durch Verfahrensgestaltungen berührt werde, die der Ermittlung der Wahrheit entgegenstünden. 14 Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der in Frage stehenden Vorschrift des § 251 Abs. 2 StPO stützte sich der Senat sodann ausdrücklich auch darauf, daß neben anderen Sicherungen - dem Angeklagten in den §§ 244 Abs. 3-6, 245 (JURIS Nr.505504); 2 BvR 512189 vom 27.11.1989 (JURIS Nr.500274); BVerfG NJW 1989, 3007; BVerfG ZiSch 1989, 74; BVerfGE 69, 145, 148; 69, 141, 143; 65, 305, 307; 60, 250, 252; 60,247,249; 50, 32, 35 f. Zur Gefahr, daß sich das BverfG dadurch in die Rolle eines Superrevisionsgerichts begibt, und entsprechenden Abgrenzungsversuchen vgl. Kopp, AöR 106 (1981), 614 ff.; Mauder, Rechtliches Gehör (1986), S. 61 ff. 10 BVerfG NJW 1990, 3191, 3192. Vgl. demgegenüber aber auch BVerfG NStZ 1985, 35, wo die Anforderungen an einen derartigen Verfassungsverstoß sehr hoch angesiedelt werden. 11
BVerfG StV 1992, 307f.
12
Vgl. dazu auch Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 427 f.
13 A.a.O. S. 274. 14 A.a.O. S. 274 f.
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
Abs. 2 und 246 Abs. 1 StPO ein weitreichendes Beweisantragsrecht eingeräumt werde, mit dem er Verfälschungen des Beweisergebnisses aufgrund unzuverlässiger mittelbarer Beweise entgegenwirken könne, weshalb § 251 Abs. 2 StPO im Ergebnis nicht zu beanstanden seLI5 Die Fortsetzung dieser Linie findet sich in der Entscheidung zur Beiziehung sogenannter "Spurenakten" (BVerfGE 63,45), in weIcher die Vorschriften der StPO zum Beweisantragsrecht des Beschuldigten und zur richterlichen Aufklärungspflicht wiederum anhand des Maßstabs des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens überprüft wurden mit dem Ergebnis, daß die Bestimmtheitsanforderungen an ein Beweisbegehren des Angeklagten diesem ausreichende Möglichkeiten ließen, auf die WahrheHserrnittlung Einfluß zu nehmen. 16 In BVerfGE 70, 297, 307 f. hat der Zweite Senat schließlich auch die grundrechtliehe Ableitung dieses Rechts auf ein faires Verfahren präzisiert und es unmittelbar auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 00, in den mit der Verhängung von Freiheitsstrafe eingegriffen wird, gestützt. Mit der Einbindung in das Recht auf ein faires Verfahren wird dem Beweisantragsrecht des Beschuldigten für den Strafprozeß eine besondere, über die allgemeine Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG hinausreichende Bedeutung zuerkannt, an der auch die jeweils geltenden Vorschriften der StPO kritisch überprüft werden können. Zwar ist dieser Maßstab bislang nicht sehr streng. Auch weigert sich der Zweite Senat, einzelne Regelungen des Beweisantragsrechts isoliert zu überprüfen, sondern er entscheidet erst nach einer Gesamtbetrachtung aller unmittelbar oder mittelbar betroffenen Vorschriften sowie der zugrundeliegenden Verfahrensstruktur, ob dem Beschuldigten im Ergebnis noch ein faires Verfahren gewährleistet wirdP Dennoch ist dem Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren damit ein tieferes verfassungsrechtliches Fundament gelegt worden, auf dem in Zukunft weiter aufgebaut werden kann. 18 Besonders betont hat der Zweite Senat die Bedeutung des Beweisantragsrechts für die Gewährleistung materiell richtiger, grundrechtsgemäßer Entscheidungen schließlich auf dem Gebiet des Asylverfahrens nach dem bis 1993 geltenden Recht. Den Anlaß bildeten zunächst Regelungen des AsylVfG 15 A.a.O. S. 279 f.
16 A.a.O. S. 68 f. 17 Vgl. BVerfGE 57. 250. 275 f. 18 Siehe § 2 11 C 2.
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von 1982, nach denen bei "offensichtlich unbegründeten" Asylanträgen sowohl die Entscheidungen der Verwaltungs behörde sofort vollstreckt werden dürfen als auch gegen Urteile der Verwaltungsgerichte keine Rechtsmittel mehr zugelassen sind. Die beiden Senate des BVerfG hatten diese Regelungen in zwei grundlegenden Entscheidungen zwar für verfassungskonform erklärt, aber im Hinblick auf die Bedeutung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. für die Ausgestaltung des Asylverfahrens hervorgehoben, daß die Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit eine umfassende und vollständige Sachverhaltsaufklärung voraussetze. 19 Der Zweite Senat stellte sodann auch für das allgemeine Asylverfahren klar, daß wegen der spezifischen Verfahrensabhängigkeit des Asylgrundrechts an die amtliche Sachverhaltsaufklärung strenge Anforderungen zu stellen seien. Beweisanträge des Asylsuchenden dürften daher nur zurückgewiesen werden, wenn erstens ein Ablehnungsgrund des formellen oder materiellen Rechts eingreife und zweites keine besonderen Umstände vorlägen, aufgrund derer die beantragte Beweiserhebung trotz der gesetzlichen Ablehnungsmöglichkeit durchgeführt werden müsse. 20 Im Gefolge dieser Entscheidung wurde mehreren Verfassungsbeschwerden, die sich auf die unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen in Asylverfahren stützten, stattgegeben. 21 Die beiden Linien der Rechtsprechung des BVerfG zum Beweisantragsrecht haben sich zwar noch nicht zu einem einheitlichen Gesamtbild vereinigt, aber es sind doch bereits deutliche Konturen sichtbar. So wird die Garantie des rechtlichen Gehörs allgemein als Basis des Beweisantragsrechts anerkannt. Danach ist in jedem gerichtlichen Verfahren dem Betroffenen die Möglichkeit der Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung zu gewähren; insbesondere dürfen Beweisanträge nicht ohne gesetzliche Grundlage und nicht willkürlich abgelehnt werden. Für den Zivilprozeß hat das BVerfG diesen Schutz bislang auch als ausreichend erachtet. Soweit jedoch die gerichtliche Entscheidung selbst nachhaltig 19 BVerfGE 67, 43, 56 ff.; 65, 76,93 ff. 20 BVerfG InfAuslR 1990, 161, 163 f.
21 Vgl. BVerfG InfAuslR 1992,226; 1992, 152; 1992, 63; 1991, 171; 1991, 89; 1991, 85; 1990, 161; BVerfG NVwZ 1990, 854. Siehe auch BVerfG InfAuslR 1994, 114, 118 zur neuen Rechtslage nach Einführung des Art. 16a 00. Soweit das Asylgrundrecht nicht betroffen ist, stützt sich das BVerfG aber auch in solchen Fällen auf Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. etwa BVerfG NVwZ 1994,60,61; BVerfG InfAuslR 1993, 349, 353 f.).
§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
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in Grundrechte eingreift, verlangt das BVerfG eine besonders hohe Zuverlässigkeit der richterlichen Sachverhaltsfeststellung und stützt das Beweisantragsrecht des Betroffenen dann weitergehend unmittelbar auf das betreffende Grundrecht. Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Strafprozeß kann deshalb als verfassungsrechtlich garantierte Institution angesehen werden. Wieweit diese Garantie in kritischen Fällen tatsächlich reicht, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. Faktisch beschränkt sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle bislang auf die Korrektur von als besonders fehlerhaft eingeschätzten Einzelfallentscheidungen, während die gesetzlichen Regelungen einschließlich ihrer Auslegung durch die zuständigen Revisionsgerichte im wesentlichen unbehelligt geblieben sind. Auch das Schrifttum gibt hierüber keinen weiteren Aufschluß.22 Die einschlägigen Äußerungen beschränken sich zumeist auf die Absicherung des Beweisantragsrechts durch die Garantie des rechtlichen Gehörs,23 und nur vereinzelt wird erkannt, daß in BVerfGE 57, 250 für den Strafprozeß ein zusätzliches verfassungsrechtliches Fundament gelegt wurde. 24 Manche Autoren stützen das Beweisantragsrecht auch auf den Grundsatz der Waffengleichheit, 2S doch bleibt die Intensität der Erörterungen insgesamt eher hinter dem vom BVerfG erreichten Stand zurück. 26
22 Was allerdings nicht bedeutet, daß nicht bestimmte Aspekte von einzelnen Autoren aufgegriffen und näher untersucht würden. 23 Vg\. Baumann, Grundbegriffe (1979), S. 82; Dahs, Das rechtliche Gehör im Strafverfahren (1965), S. 12 ff.; Henkel, Strafverfahrensrecht (1968), S.249; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), Ein\. Rdn. 28, § 244 Rdn. 29; Kopp, AöR 106 (1981), 625; Rogall, in: SK, StPO, vor § 133 Rdn. 91 (1987); Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 152 f.; derselbe, in: Bonner Kommentar zum 00, Art. 103 Abs.l Rdn.24, 40 (1980); Sax, in: KMR, StPO, Ein\. XI Rdn.8 (Stand 1981); Schmidt-Aßmann, in: MaunllDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn.80 (1988); Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör (1989), S. 24 ff. 24 So Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 428. Rogal~ in: SK, StPO, vor § 133 Rdn.96 (1987), sieht das Beweisantragsrecht als Teil eines umfassenderen Rechts auf Verteidigung und damit ebenfalls als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren an. Siehe auch Eser, in: Deutsch-ungarisches Kolloquium (1990), S. 157 f. 2S So insbesondere Sandermann, Waffengleichheit im Strafprozeß (1975), S. 175, 179 ff. Siehe auch Schäfer, in: LR, StPO, Eint. Kap. 6 Rdn. 16 (1987).
26
Siehe auch Kohlhosser, Stree-Wessels-FS (1993), 1040.
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C. Europäische Menschenrechtskonvention Im Gegensatz zum Grundgesetz garantiert die EMRK in Art. 6 Abs. 3 Iit. d dem Beschuldigten ausdrücklich ein Recht auf Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen und verleiht dadurch einem großen Teil des deutschen Beweisantragsrechts27 eine eigenständige menschenrechtliche Grundlage. Das ist um so bedeutsamer, als das BVerfG neuerdings ausdrücklich anerkennt, daß bei der Auslegung des GG Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK einschließlich der Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen seien, sofern dies keine Minderung des Grundrechtsschutzes des GG zur Folge habe. 28 Freilich dämpft bereits ein kurzer Blick auf die Spruchpraxis der Straßburger Organe allzu weit gesteckte Erwartungen. Zwar bildet der die Entlastungszeugen betreffende Teil des Art. 6 Abs. 3 Iit. d EMRK häufig den Gegenstand von Individualbeschwerden, doch sind deren Erfolgsaussichten äußerst gering. 29 Insbesondere hat das deutsche Beweisantragsrecht bislang noch keinen Anlaß zu Beanstandungen geboten. 3o Schmidt-Aßmann ist daher der Ansicht, daß die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK hinsichtlich der Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen nicht über diejenige des Art. 103 Abs. 1 GG hinausgehe. 31 Grundlage der Auslegung ist der Begriff des "fair hearing" des Art. 6 Abs. 1 EMRK, welcher einen wesentlichen Leitgedanken des gesamten Art. 6 EMRK
27 Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK ist nach allgemeiner Ansicht nicht nur auf Zeugen, sondern auch auf Sachverständige anzuwenden (vgl. EKMR 16.12.1963, Nr. 1167/61, YB 6 (1963), 204, 216; Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 550). Der EGMR hat dies bislang offengelassen, doch sei insoweit jedenfalls auf die allgemeine Garantie des Art. 6 Abs. I EMRK (Recht auffaires Verfahren) zurückzugreifen (vgl. EGMR 6.5.1985 (Bönisch), A/92, §§ 29, 35). 28
Vgl. BVerfGE 74, 358, 370.
29 Vgl. Fawcett, European Convention on Human Rights (1987), S. 154; Peukert, in: FroweinlPeukert, EMRK (1985), Art. 6 Rdn. 71; Trechsel, SchwZStR 96 (1979), 367 sowie 371 ("praktisch nahezu platonisches Recht"); Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 576.
30 Vgl. etwa die Entscheidung der EKMR vom 3.3.1982, Nr. 9479/81 (Härdle), EuGRZ 1982,
447. 31 In: MaunzIDürig, Kommentar zum GO, Art. 103 Abs. I Rdn.27 (1988). Siehe auch Dörr, Faires Verfahren (1984), S.72; Guradze, EMRK (1968), Art. 6 Nr. 19; Heubel, Fair Trial (1981), S. 37 f. 3 Perron
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
bildet.32 Kommission und Gerichtshof sehen als zentrales Element der Fairness die Gewährleistung einer formellen Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung an,33 deren wichtigste Voraussetzungen in Art. 6 Abs.3 EMRK ausdrücklich, aber nicht abschließend aufgeführt seien. 34 Obwohl die "martialische Metapher der Waffengleichheit"35 nach verbreiteter Ansicht eher auf den angelsächsischen Parteienprozeß als auf das kontinentaleuropäische Amtsermittlungsverfahren zutrifft,36 legen Kommission und Gerichtshof bei Rügen der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK an alle Rechtsordnungen gleichermaßen den Maßstab der formellen Gleichstellung von Anklage und Verteidigung an. 37 Soweit die Verteidigung nicht einseitig benachteiligt wird, darf daher das nationale Recht die Ladung und Vernehmung von Zeugen (und Sachverständigen) von Fristen, Formen oder anderen Vorausset-
32 Der Begriff findet in der deutschen Sprache keine Entsprechung, weshalb allgemein vom Recht auf ein "faires Verfahren" gesprochen wird (vgl. Miehsler/Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 341).
33 Vgl. EGMR 27.6.1968 (Neumeister), N8, § 22; EKMR 10.12.1962, 524/617/59 (Ofner und Hopfinger), YB 6 (1963), 680, 696; van Dijklvan Hoof, European Convention on Human Rights (1990), S. 319; Guradl.e, EMRK (1968), Art. 6 Nr. 15; Miehsler/Vogler, Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 353; Peukert, in: Froweinl Peukert, EMRK (1985), Art. 6 Rdn. 60; derselbe, EuGRZ 1980,254; Trechsel, SchwZStR 96 (1979), 376 f. 34 Vgl. EGMR 6.5.1985 (Bönisch), N92, § 29; EKMR 2.9.1959, 343/57 (Nielsen), YB 4 (1961) 490, 548 ff.; Fawcen, European Convention on Human Rights (1987), S. 148; Gollwitl.er, in: LR, StPO, Art. 6 MRKlArt. 14IPBPR, Rdn. 69, 74 (1991); Peukert, in: FroweinlPeukert, EMRK (1985), Art. 6 Rdn. 54; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 116 ff.; Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 467. 35 Trechsel, SchwZStR 96 (1979), 377.
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Vgl. Kohlbacher, Waffengleichheit (1979), S.26; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 115; Trechsel, SchwZStR 96 (1979), 377f. Einschränkend aber Miehsler/Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 356.
37 So beanstandete der Gerichtshof im Fall Bönisch (EGMR 6.5.1985, AJ92, §§ 32 ff.), daß, obwohl der Sachverständige des Gerichts faktisch auf der Seite der Anklage stand, der Verteidigung die Benennung eines Gegensachverständigen untersagt worden war. Siehe auch EGMR 22.4.1992 (Vidal), § 33; EGMR 8.6.1976 (Engel), A/22, § 91; EKMR Nr. 11853/85, E.H.R.R. 10 (1988), 521, 523; EKMR 1.6.1972, Nr.4428nO, YB 15 (1972), 264, 280 ff.; EKMR 11.1.1961, Nr. 788/60, YB 4 (1967), 116, 172 f.; van Dijklvan Hoof, European Convention on Human Rights (1984), S. 270; Fawcett, European Convention on Human Rights (1987), S. 197; Gollwitl.er, in: LR, StPO, Art. 6 MRKlArt. 14 IPBPR, Rdn. 215 ff. (1991); Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 548.
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zungen für den Beweisantritt abhängig machen. 38 Darüber hinaus räumen Kommission und Gerichtshof den nationalen Gerichten einen praktisch unüberprüfbareil Ermessensspielraum für die Prognose ein, ob ein von der Verteidigung benannter Zeuge (oder Sachverständiger) etwas zur Sachaufklärung beitragen kann oder nicht,39 und tolerieren dabei auch "krasseste Fälle antizipierter Beweiswürdigung" .40 Insgesamt dürfte der Schutz des Beweisantragsrechts des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß durch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK noch hinter dem zurückbleiben, was bereits der Erste Senat des BVerfG in Auslegung des Art. 103, Abs. 1 GG gewährt, denn immerhin überprüft dieser in gewissem Rahmen die Einhaltung des geltenden deutschen Prozeßrechts durch die Strafgerichte. Zwar heben die Straßburger Organe mit dem Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung einen zusätzlichen Aspekt hervor, welcher in der deutschen Verfassungsrechtsprechung bislang noch nicht weiter ausgearbeitet ist,41 doch hat das deutsche Verfahrensrecht insoweit bislang noch keinen Ansatzpunkt zur Kritik geboten. 42 Ein inhaltlicher Maßstab zur Konkretisierung des Beweiserhebungs- und Beweisführungsanspruchs des Beschuldigten, wie er in der Rechtsprechung des Zweiten
38 Vgl. EKMR 1.6.1972, Nr. 4428no, YB 15 (1972), 264, 282; Gollwitzer, in: LR, StPO, Art. 6 MRKlArt. 14 IPBPR, Rdn. 216 f. (1991); Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 571. 39 Vgl. EGMR 22.4.1992 (Vidal), EuGRZ 1992,440; EGMR 8.6.1976 (Engel), Af22, § 91; EKMR Nr. 10563/83, E.H.R.R. 8 (1986), 86, 88; EKMR 1.6.1972, Nr. 4428nO, YB 15 (1972), 264, 282; EKMR 16.12.1963, Nr. 1167/61, YB 6 (1963), 204, 218; EKMR 19.12.1961, Nr.1134/61, YB 4 (1951), 378, 382; EKMR 19.12.1960, Nr. 617159, YB 3 (1960), 370, 390 ff.; van Dijklvan Hoof, European Convention on Human Rights (1990), S. 352 ff.; Fawcett, European Convention on Human Rights (1987), S. 197 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, Art. 6 MRKlArt. 14 IPBPR, Rdn.218 (1991); Guradze, EMRK (1968), Art. 6 Nr. 36; Peukert, in: FroweinlPeukert, EMRK (1985), Art. 6 Rdn.71, 138; derselbe, EuGRZ 1980, 267; Trechsel, SchwZStR 96 (1979), 367 ff.; Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 573. 40 Pieth, Beweisantrag (1984), S. 209, mit Bespielen. Allerdings gibt es in der Rechtsprechung der Kommission auch Ansätze für eine stärkere inhaltliche Überprüfung der Ablehnung von Beweisbegehren (vgl. Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 113 f.; Trechsel, SchwZStR 96 (1979), S. 369; Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 576 f.; siehe auch Peukert, EuGRZ 1980,276). In diese Richtung scheint neuerdings auch der EGMR im Fall Vidal (22.4.1992, EuGRZ 1992,440) zu tendieren.
41 42 3*
Vgl. Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 428. Siehe auch § 211 C 2 a. Vgl. Peukert, EuGRZ 1980, 255.
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
Senats des BVerfG zumindest ansatzweise erkennbar ist, wird von den Straßburger Organen dagegen ausdrücklich abgelehnt. Im Schrifttum ist diese Zurückhaltung zwar auf weite, teils heftige Kritik gestoßen, weil die Garantie des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK dadurch wesentlich entwertet werde. 43 Ob dies in der Zukunft eine Kursänderung der Straßburger Spruchpraxis bewirken kann, bleibt allerdings abzuwarten. 44
D. Fazit Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten findet sowohl im GG als auch in der EMRK eine verfassungs- und menschenrechtliche Verankerung, die von den zuständigen Rechtsprechungsorganen insbesondere mittels der Topoi des rechtlichen Gehörs, des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit umschrieben wird. Freilich haben sich diese Begriffe gegenüber dem Beweisantragsrecht bislang nicht als sehr präzise Instrumente erwiesen, so daß Grund, Inhalt und Grenzen der Garantien eher im Dunkeln liegen. Auch sind im Schrifttum kaum Bemühungen um eine entsprechende Aufklärung zu finden. Angesichts der für den Beschuldigten verhältnismäßig großzügig ausgestalteten gegenwärtigen deutschen Rechtslage mag es zwar verständlich erscheinen, daß bislang kein Bedürfnis für ein tieferes Ausloten der verfassungsrechtlichen Grundlagen des strafprozessualen Beweisantragsrechts gesehen wurde. 45 Sollte allerdings die Forderung nach einer substantiellen Einschränkung vom Gesetzgeber aufgegriffen werden, so müßte sich nicht zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht eingehender mit den entsprechenden Fragestellungen befassen. Der folgende Versuch einer eigenen Grundlegung soll daher auch bereits der Absteckung der Grenzen für mögliche Reformen dienen.
43 Vgl. Dörr. Faires Verfahren (1984), S. 69; Jacobs, European Convention on Human Rights (1975), S. 119; Kohlbacher. Waffengleichheit (1979), S.96; Pieth. Beweisantrag (1984), S.209, i12; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 116; TrijftererlBinner, EuGRZ 1977, 143; Vogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 574 ff. Siehe auch die abweichenden Voten der Richter Zekia, Cremona und Thor Vilhjalmsson im Fall Engel, EGMR 8.6.1976, AIl.2. 44 Zu entsprechenden Tendenzen vgl. die Nachweise in Anm. 40. 45 Ausnahmen bilden insoweit die Arbeiten von Köhler, Inquisitionsprinzip und autonome Beweisführung (1979), und J. Kühl, ProzeBgegenstand und Beweisthema (1987), welche die Einschränkung des § 245 Abs. 2 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 zum Anlaß für eine fundamentalere Auseinandersetzung nehmen.
11. Grundlagen und Grenzen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung
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11. Grundlagen und Grenzen der Gewährleistung eines verfassungsmäßigen Rechts des Beschuldigten auf Mitgestaltung des Beweisverfahrens A. Beweisveifahren und StraJveifahrensziele
Die zur verfassungs- und menschenrechtlichen Begründung des Beweisantragsrechts herangezogenen Begriffe des "rechtlichen Gehörs", des "fairen Verfahrens" und der "Waffengleichheit" sind zu abstrakt, um unmittelbar auf einzelne Institutionen des Strafprozeßrechts angewendet werden zu können. Sie beziehen sich in allgemeiner Form auf die durch den Zugriff der Strafverfolgungsorgane gefahrdeten Interessen des Beschuldigten und stützen diese als Argumentationstopoi in der rechtspolitischen Diskussion wie bei der Auslegung des bestehenden Verfahrensrechts. Eine genauere Analyse ihrer Bedeutung für das Beweisantragsrecht setzt daher voraus, daß man sich zuvor Klarheit über die besonderen Interessengegensätze in Beweisverfahren46 sowie über die maßgeblichen verfassungs- und menschenrechtlichen Wertungsprinzipien, an denen sich die Lösung der Konflikte zu orientieren hat, verschafft. Dafür erscheint es zunächst notwendig, die Ziele, die mit der Durchführung von Strafverfahren verfolgt werden, näher zu bestimmen. Die Diskussion47 zeigt freilich, daß je nach Blickwinkel und Abstraktionshöhe sehr unterschiedliche Anforderungen an das Strafverfahren zu eigenständigen Zielsetzungen erklärt werden können. 48 So hebt zunächst eine weit verbreitete Linie 46 Daß der Strafprozeß generell ein Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen darstellt, die durch die Verfahrensregeln zum Ausgleich gebracht werden müssen, wird einhellig anerkannt. Vgl. etwa Baumann, Grundbegriffe (1979), S.23; Eser, Einführung (1983), S. 17; Gollwilzer, Kleinknecht-FS (1985),150 f.; Krey, Strafverfahrensrecht 1 (1988), Rdn. 38; Pelers, Strafprozeß (1985), S. 80 ff.; Rieß, Schäfer-FS (1980), 172; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 2 ff.; Sax, in: BettermannlNipperdey/Scheuner, Die Grundrechte 3.2 (1959), S. 969 f.; Woller, GA 1985,53.
47 Der Meinungsstand ist kaum noch überschaubar. Überblicke geben u.a. Paeffgen, Vortiberlegungen (1986), S. 13 ff.; Rieß, Schäfer-FS (1980), 168 ff.; Schaper, Studien (1985), S. 107 ff.; Schmidhäuser, Eb.-Schmidt-FS (1961), 511 ff.; Schöneborn, Wiederaufnahmeproblematik (1980), S. 9 ff., 28 ff.; Volk, Prozeßvoraussetzungen (1978), S. 173 ff.; Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 173 ff. Siehe auch Eser. ZStW 104 (1992), S. 362 f. 48 Vgl. Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S. 40 f.; Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 173 f. Für Rieß, Schäfer-FS (1980),172, läßt sich der Zweck des Strafverfahrens "nur als ein mühsam harmonisierbares Gebilde verschiedener Topoi bestimmen"; ähnlich Schroeder. Strafprozeßrecht (1993), Rdn. 7 ff.
§ 2 Verfassungs- und menschenrechtJiche Grundlagen
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die "dienende Funktion"49 des Strafverfahrensrechts gegenüber dem materiellen Strafrecht hervor und betont, daß Aufgabe des Strafverfahrens die "Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs"50 oder die "Verwirklichung des materiellen Strafrechts"51 sei. Daran ist sicherlich richtig, -daß das Phänomen "Staatliches Strafen" erst im Strafverfahren Realität gewinnt und das Strafverfahrensrecht daher die Umsetzung der allgemeinen Regeln des materiellen Strafrechts in die Wirklichkeit zu leisten hat. Aber diese Umsetzung bringt ihre eigenen Probleme mit sich, was sich insbesondere im Beweisverfahren zeigt. Zwar dürfte hier immer noch allgemeiner Konsens sein, daß die Erforschung der materiellen Wahrheit wenn nicht das Hauptziel, so doch ein unverzichtbares Leitprinzip darstellt. 52 Gleichwohl wird zunehmend anerkannt, daß die verfügbaren Methoden der Sachverhaltsaufklärung insgesamt doch sehr unzuverlässig sind und teilweise auch mit nicht mehr hinnehmbarer Intensität in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre des einzelnen eingreifen. 53 Manche Autoren akzeptieren deshalb als realistische Zielsetzung nicht mehr die Erforschung der Wahrheit und Durchsetzung des materiellen Strafrechts, sondern nur noch die - rechts staatlich begrenzte - Klärung des Tatverdachts gegenüber einem konkreten Beschuldigten;54 andere erheben statt dessen den Schutz des einzelnen vor staatlichem
49 Hassemer, Einführung (1990), S. 119; Rieß, Schäfer-FS (1980),171. Siehe auch Neumann, ZStW 101 (1989), S. 53.
50 Etwa Baumann, Grundbegriffe (1979), S. 15, 19; Beulke. Strafprozeßrecht (1994), Rdn.3; Pfeiffer, in: KK. StPO (1993), Einl. Rdn. 1. Gegen die Verwendung dieses Begriffes Volk, Prozeßvoraussetzungen (1978), S. 183 f. Siehe auch Sax, in: KMR, StPO, Einl.l Rdn. 4a (Stand 1981). 51 Vgl. Henkel, Strafverfahrensrecht (1968), S. 16 f.; Krauß, ZStW 85 (1973), S.339; Krey, Strafverfahrensrecht I (1988), Rdn. 1; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 41; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 1 f.; Rudolphi, ZRP 1976, 165; Schäfer, in: LR, StPO, Einl. Kap. 6 Rdn.l (1987). 52 Vgl. Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), 149; Krey, Strafverfahrensrecht 1 (1988), Rdn. 35; Neumann, ZStW 101 (1989), S.52; Paeffgen, Vorüberlegungen (1986), S.24; Pfeiffer, in: KK, StPO (1993), Einl. Rdn.2; Rieß, Schäfer-FS (1980), 170; Rüping, Strafverfahren (1983), S. 8 f.; Sax, in: KMR, StPO, Einl.l Rdn. 5 (Stand 1981); Schäfer, in: LR, StPO, Einl. Kap. 6 Rdn. 7 (1987); Eb.Schmidt, Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 20, 329; Tenckhoff, Wahrunterstellung (1980), S.95; Tiedemann, in: Einführung in das Strafrecht und Strafprozeßrecht (1994), S. 114; Weigend, DeJiktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 183; Wolter, GA 1985, 53. 53
Siehe § 2 11 B 1 c.
54 Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und KriminaIpoJitik (1971), S. 167 Cf.; Weigend, DeJiktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 184 Cf. Siehe auch Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S.7;
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Machtmißbrauch55 sowie die Gewährleistung eines "justizförrnigen Verfahrens"56 in den Rang eines eigenständigen Verfahrensziels. Jedenfalls besteht auch insoweit ein Konsens, daß die Qualität eines Verfahrensergebnisses nicht allein von dessen materieller Richtigkeit abhängt, sondern auch anhand eigenständiger prozessualer Kriterien beurteilt werden muß.57 Besondere Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammenhang Luhmanns Arbeit "Legitimation durch Verfahren" erregt, die in einer systemtheoretischen, funktionalen Analyse der Frage nachgeht, welchen "Beitrag zur Legitimation der Entscheidungen" das "entscheidende System selbst erbringen kann".58 Entgegen vielfach geäußerter Kritik s9 ist der Wert einer solchen funktionalen Betrachtungsweise nicht hoch genug einzuschätzen, denn häufig eröffnet erst sie den Blick auf die tatsächlichen Problemstellungen. Außerdem stehen Luhmanns Schlußfolgerungen meist nicht im Widerspruch zu herkömmlichen Vorstellungen von Verfahrensgerechtigkeit.60 Faßt man die beiden Erkenntnisse, daß das Strafverfahrensrecht einerseits an das materielle Strafrecht und den mit diesem verfolgten Zwecken gebunden ist, andererseits die Umsetzung der materiellrechtlichen Regelungen aber anhand eigenständiger prozessualer Kriterien erfolgen muß, zusammen, so können materielles Strafrecht und Strafverfahrensrecht nur als gleichberechtigte Partner zur Herstellung einer Wirkungseinheit "Staatliches Strafen" an-
Schäfer, in: LR, StPO, Einl. Kap. 6 Rdn. 3 (1987); Tiedemann, in: Einführung in das Strafrecht und Strafprozeßrecht (1994), S. 114. 5S Hassemer, StV 1982,279; Ingo Müller, Rechtsstaat und Strafverfahren (1980), S. 197; Rieß, Schäfer-FS (1980), 173; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 2. S6 Rüping, Strafverfahren (1983), S.9; Wolter, GA 1985, 53. Siehe auch Beulke, Strafprozeßrecht (1994), Rdn. 5. S7 Vgl. Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), S. 149; Hassemer, Einführung (1990), S. 116, 119; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S.1205f.; Neumann, ZStW 101 (1989), S. 54 ff.; Niemöller/ Schuppert, AöR 107 (1982), 411; pQl!ffgen, VorUberiegungen (1986), S.33; Rieß, Schäfer-FS (1980),171; RüpinglDornseijer, JZ 1977,417. S8
Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S. 36.
59 Vgl. dazu die Zusammenfassungen bei Neumann, ZStW 101 (1989), S. 72 f.; Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 139 Cf.; Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 201 f. 60 Vgl. Schöneborn, Wiederaufnahmeproblematik (1980), S. 35; Zippelius, Latenz-FS (1973), 298 f.; sowie Luhmann selbst in: Legitimation durch Verfahren (1978), S. 6: "Funktionale Analyse ist eine Technik der Entdeckung schon gelöster Probleme".
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gesehen werden,61 die über verschiedene spezialpräventive und insbesondere generalpräventive Mechanismen einen effektiven Beitrag zum Rechtsgüterschutz und zur Stabilisierung der normativen Ordnung leisten soll. Dieses Ergebnis klingt auch in der verbreiteten Formulierung an, Ziel des Strafverfahrens sei die "(Wieder-)Herstellung von Rechtsfrieden".62 Für die Abklärung der verfassungs- und menschenrechtlichen Grundlagen des Beweisantragsrechts ist ein so abstraktes, auf die Gesamteffektivität des strafrechtlichen Systems bezogenes Verfahrensziel allerdings unergiebig, denn dieses setzt seinerseits voraus, daß die Beschuldigteninteressen im Beweisverfahren ausreichend gewahrt sind. Die widerstreitenden Interessen und Werte müssen vielmehr sorgfaltig auseinandergehalten werden, damit darüber entschieden werden kann, welche Rechtspositionen dem Beschuldigten als Minimalgarantien einzuräumen sind. Insoweit ist jedoch die Feststellung ausreichend, daß das Ziel des Beweisverfahrens zunächst darin besteht, den betroffenen Sachverhalt entsprechend den Bedürfnissen des materiellen Strafrechts möglichst wirklichkeitsgetreu zu rekonstruieren. Die folgenden Erörterungen versuchen daher, die spezifischen Problemstellungen und Interessengegensätze bei der Bewältigung dieser Aufgabe herauszustellen und sodann anhand einer Analyse der einschlägigen verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Wertungsprinzipien die Grundlagen und Grenzen der Gewährleistung eines Rechts des Beschuldigten auf Mitgestaltung des Beweisverfahrens zu begründen sowie darzulegen, welche Folgerungen daraus für das Beweisantragsrecht im besonderen zu ziehen sind.
61 Vgl. Hassemer, Einführung (1990), S. 119; Peters, Strafproze8 (1985), S.7; Volk, Proze8voraussetzungen (1978), S. 193; Zipf, Strafproze8recht (1977), S. 19. Zur generalpräventiven Wirkung des Strafverfahrens siehe auch Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 194 f. 62 Vgl. Beulke, Strafproze8recht (1994), Rdn. 6; Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), S. 150; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), Ein\. Rdn.4; Krey, Strafverfahrensrecht 1 (1988), Rdn. 46; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1205; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 395; Paeffgen, VorUberlegungen (1986), S. 30; Rieß, Schäfer-FS (1980), 170; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S.2.; Rudolphi, Bitburger Gespräche 1976, 204; Schmidhäuser, Eb.-Schmidt-FS (1961), 516; Tiedemann, in: Einführung in das Strafrecht und Strafproze8recht (1994), S. 114; Volk, Proze8voraussetzungen (1978), S. 183; Wolter, GA 1985, 53. Eingehend dazu Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren (1989), S. 195 ff.
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B. Die der Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren zugrunde liegenden Interessenkonflikte 1. Die einzelnen Problem/eider a) Generelle Verzerrungen in der strafprozessualen Interaktion und Kommunikation
Das Ziel der möglichst wirklichkeitsgetreuen Sachverhaltsrekonstruktion verlangt vorn Urteiler eine Tätigkeit, die der des Historikers sehr ähnlich ist.63 Allerdings kann der Urteiler dieser Arbeit nicht in wissenschaftlicher Freiheit nachgehen, sondern er muß sich auf die besonderen Bedingungen des Strafverfahrens einlassen. Diese können sowohl prinzipiell als auch im Hinblick auf die besondere Rolle des Beschuldigten zu erheblichen Verfälschungen führen. Wie Luhmann überzeugend dargelegt hat, kann das Verfahren als ein zeitlich begrenztes, auf die Erarbeitung einer Entscheidung gerichtetes soziales System verstanden werden, das durch seine innere Struktur eine gewisse Autonornie gewinnt, seine eigene Verfahrensgeschichte aufbaut und den Beteiligten feste Rollen zuweist. 64 Diese Autonomie ermöglicht einerseits die - für sozialen Kontakt generell, aber insbesondere auch für die präventive Wirksamkeit staatlichen Strafens - erforderliche Reduktion von Komplexität,65 zwingt andererseits aber die Beteiligten, sich bei der Wahrnehmung ihrer Interessen an die vorgegebenen Spielregeln und insbesondere an die ihnen zugewiesenen Rollen zu halten. Mit anderen Worten: Die prozessuale Interaktion wird von allen Seiten aus notwendig (auch) durch taktisches Verhalten bestimmt. 66 Dies gilt auch - je nach Verfahrensstruktur und Machtverteilung auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße - für den Staatsanwalt und den Richter. Insbesondere aber erscheint die spezifische Prozeßrolle des Be63 Vgl. Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S. 240 f. Schulz. Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992), S. 7 ff., stellt diesem "Überzeugungsmodell" ein "Beweismodell" gegenüber; beide, wie auch die im Anschluß daran von Schulz erörterten "Mischmodelle" (S. 79 ff.) beziehen sich freilich bereits auf die besondere kommunikative Struktur des Strafverfahrens und zeigen insoweit das Spektrum der möglichen Lösungen auf. 64 Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S. 38 ff.
65 66
Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S. 41, 43. Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S. 66 f.
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
schuldigten unter dem Blickwinkel des Ziels der Wahrheitsfindung als problematisch. Der Beschuldigte ist auf der einen Seite derjenige Beteiligte mit dem größten persönlichen Interesse am Verfahrensausgang, da es ja um seine Bestrafung oder Nichtbestrafung geht. Sein Verhalten ist in besonderem Maße von dem Bestreben bestimmt, ein möglichst günstiges Ergebnis zu erzielen. Auf der anderen Seite aber sind Gegenstand der auf Schuld und Strafzumessung bezogenen Sachverhaltsaufklärung bestimmte Ausschnitte aus dem Leben des Beschuldigten, so daß dieser zugleich auch die wichtigste Erkenntnisquelle darstellt. 67
Respektiert man die besondere persönliche Betroffenheit des Beschuldigten und gewährt ihm entsprechend umfassende Verteidigungsbefugnisse, so ist zu erwarten, daß er (oder sein Verteidiger) in vielen Fällen die sich dadurch eröffnenden Handlungsspielräume konsequent taktisch ausnutzt, selbst keine oder falsche Informationen an den Urteiler weitergibt und bei der sonstigen Mitgestaltung der Beweisaufnahme seinen Informationsvorsprung nutzt, um die Aufdeckung belastender Tatsachen zu verhindern. Auf der anderen Seite führen die Belastungen des Strafverfahrens (drohende Verurteilung, Stigmatisierung durch öffentliche Hauptverhandlung, Unterwerfung unter Zwangsmaßnahmen, insbesondere Untersuchungshaft) zu einer psychischen Zwangslage, welche den Beschuldigten auch daran hindern kann, in dem an sich möglichen Maße zur wahrheitsgemäßen eigenen Entlastung beizutragen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ein bei vielen Beschuldigten anzutreffender genereller Mangel an sozialer Handlungskompetenz, der die Kommunikation mit dem Beschuldigten zusätzlich erschwert. 68 Es liegt daher schon im Interesse einer korrekten Sachverhalts aufklärung, diese Defizite - insbesondere durch Beiordnung eines Verteidigers - wenigstens abzumildern. Innerhalb der Strukturen eines Strafverfahrens erscheint eine unverzerete Kommunikation somit kaum erreichbar. 69 Da die Sachverhaltsfeststellung sich andererseits aber in dem Rahmen einer kontinuierlichen Interaktion zwischen Staatsanwalt, Gericht und Verteidigung vollziehen muß, ist sie unmittelbar von diesen Schwierigkeiten betroffen. Jegliche Verfahrensordnung muß 67 Vgl. Hassemer, Einführung (1990), S. 143; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1216 f. 68 Vgl. Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1232 f., 1254 f. 69 Allgemeine Überblicke zu den Kornrnunikationsproblemen im Strafverfahren geben Hassemer, Einführung (1990), S. 126 ff.; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 404 ff. Zu einschlägigen empirischen Untersuchungen vgl. Hojfmann, in: Rechtsdis1rurse (1989), S. 9 ff.
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sich daher mit dem Problem der bewußten oder unbewußten Sachverhaltsverfälschung durch gezieltes taktisches Agieren oder Inkompetenz (auch auf der Seite des Staatsanwalts und des Richters10) auseinandersetzen. b) Die Abhängigkeit der SachverhaltsJeststellung von den anzuwendenden Normen des materiellen Rechts
"Feststellung eines Sachverhalts" bedeutet, daß ein sprachliches Bild von einem realen Seinsgeschehen formuliert wird mit dem Anspruch einer möglichst weitgehenden Entsprechung von Abbildung und Wirklichkeit.l1 Die Qualität eines Bildes hängt allerdings nicht nur von seiner Abbildungsgenauigkeit ab, sondern insbesondere auch von seiner Eignung für die jeweiligen Zwecke, zu denen das Bild überhaupt erst erstellt wird. Die strafprozessuale Sachverhaltsaufklärung dient zur Überprüfung der Frage, ob und in welchem Umfang sich eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Tat strafbar gemacht hat. Ihr Ergebnis, d.h. der in Form eines sprachlichen Bildes festgestellte Sachverhalt, muß daher so beschaffen sein, daß es mit den abstrakten Normen des materiellen Rechts verglichen und gegebenenfalls unter diese subsumiert werden kann. Das materielle Recht legt fest, welche Fakten für das Strafverfahren Bedeutung haben und welche zu vernachlässigen sind.12 Dabei erfolgt eine erhebliche "Reduktion von Komplexität", d.h. aus der Mannigfaltigkeit der realen Welt werden einige wenige Aspekte ausgewählt, anhand derer ein Sachverhalt für die Zwecke des Strafrechts ausreichend beschrieben werden kann. 73 Wer 10 Zu Verzerrungen durch richterliches Handeln (schichtenspezifische Einstellung, eigene persönliche Interessen etc.) vgl. Mrozynski, MschrKrim 1974, S. 48 ff. m.w.N. 11 Die "Wahrheit" einer Sachverhaltsfeststellung (nach Aristoteles: adaequatio intellectus et rei) kann wegen der kategorialen Verschiedenheit von Erkenntnis und Erkenntnisgegenstand nicht als "Identität" oder "Übereinstimmung", sondern nur als "Entsprechung" begriffen werden (vgl. Müller-Dietz, ZS f. ev. Ethik 1971, 257 f.; Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1974), S. 10). Eingehend zum strafprozessualen Wahrheitsbegriff Schulz. Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992), S. 179 ff.
12 Vgl. Hassemer, Einführung (1990), S.89, 116; Hruschka, Konstitution des Rechtsfalles (1965), S. 20 ff. 13 Vgl. Krauß, Schaffstein-FS (1975), 417 f. Entgegen der offenen Formulierung des § 46 StGB "reduziert" die Praxis beispielsweise auch bei der Strafzumessung die "Komplexität" von Tat und Täter auf einige wenige Fakten, anhand derer die Einstufung eines konkreten Falles innerhalb der Strafrahmen vorgenommen wird (vgl. H.l. Albrecht, ZStW 102 (1990), S. 611 ff.; derselbe, in: Strafzumessung (1989), S. 66 ff.).
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als Beteiligter am Strafverfahren auf die Sachverhaltsfeststellung aktiv einwirken, sie mitgestalten will, muß daher die materiellrechtlichen Vorgaben genau kennen, denn sonst läuft er Gefahr, sich auf irrelevante Aspekte zu konzentrieren und relevante zu vernachlässigen. Das materielle Recht beeinflußt die Sachverhaltsfeststellung aber nicht nur durch die Bereitstellung von Selektionskriterien, sondern wirkt sich auch unmittelbar auf den Erkenntnisvorgang aus. So können etwa die zur Beschreibung der subjektiven Tatseite verwendeten Begriffe wie "Vorsatz" oder "Absicht" oder bestimmte "Motive" nicht lediglich als "Reduktion" der komplexen psychischen Vorgänge auf einzelne wenige Aspekte begriffen werden. Es handelt sich vielmehr auch um wertende Deutungen, um von außen herangetragene Zuschreibungen, mit denen man bestimmten äußeren Geschehensabläufen eine innere Vernünftigkeit unterstellen kann, ohne sich auf eine ernsthafte Aufklärung der täterpsychischen Vorgänge einlassen zu müssen. 74 Beweisaufnahmen zu derartigen Tatbestandsmerkmalen sind daher besonders stark mit dem Risiko behaftet, daß tatsächliches Geschehen (= inneres Erleben des Beschuldigten) und richterliche Sachverhaltsfeststellung (= äußere Deutung der täterpsychischen Vorgänge) erheblich voneinander abweichen. Außerdem können die abstrakten Sätze des materiellen Rechts in den meisten Fällen nicht unmittelbar als Vergleichsmaßstab an einen mit den Mitteln der Umgangssprache umschriebenen Sachverhalt angelegt werden, sondern es bedarf der Vermittlung zwischen beiden Ebenen durch konkretisierende Interpretation des Gesetzestextes. Auch wenn für diese Auslegungsarbeit zahlreiche Kommentierungen und Präjudizien zur Verfügung stehen, verbleibt doch häufig ein "weicher" Bereich der wechselseitigen Verschlingung von festgestelltem Sachverhalt und angewendetem materiellen Recht,75 die erst durch die Entscheidung des Urteilers im konkreten Fall aufgelöst wird. Vor der Urteilsverkündung ist dann auch für die juristisch geschulten Beteiligten kaum erkennbar, ob und in welcher Richtung in einem bestimmten Punkt ein Be74 Vgl. etwa zum Vorsatz Hruschka, Kleinknecht-FS (1985), 190 ff., 201 f.; Freund, Tatsachenfeststellung (1987), S.5; zur Motivfeststellung Heine, Tötung aus niedrigen Beweggründen (1988), S. 93 ff. m.w.N. Siehe auch BoylLautmann, in: Menschen vor Gericht (1979), S. 46; Krauß, Schaffstein-FS (1975), S. 419,426; Schumann, Handel mit Gerechtigkeit (1977), S. 58. Näher zur mangelnden Aufklärung der täterpsychischen Vorgänge in der forensischen Praxis Bresser, LangeFS (1976), 666 f., 671 ff.; Jäger, in: Kriminologie im Strafprozeß (1980), S. 175 ff.; sowie Frisch. Karlheinz-Meyer-GS (1990), 550 ff. 75 Eingehend dazu Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung (1963), S. 82 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus (1968), S. 103 ff. Siehe auch Lampe, Pfeiffer-FS (1988), 365 f., 369.
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dürfnis nach weiterer Sachaufklärung besteht. Schließlich kann der Richter in solchen Fällen auch dazu verleitet werden, Schwierigkeiten bei der Gesetzesauslegung durch entsprechendes "Verbiegen" des Sachverhalts aus dem Weg zu gehen,16 Der in einem Strafverfahren festgestellte Sachverhalt ist somit ein juristisches Kunstprodukt, das zwar für den Laien wie eine beliebige andere Tatsachenschilderung aussehen mag, tatsächlich aber sehr stark auf die Bedürfnisse des materiellen Strafrechts zugeschnitten ist. Das Strafrecht beschert dem Beweisverfahren dabei nicht nur teilweise sehr rigorose Selektionskriterien, sondern auch ein nicht unerhebliches Unsicherheitspotential, wodurch sich die bestehenden Interessenkonflikte zusätzlich verschärfen. c) Die Unsicherheiten des Beweisens
Der Beweisvorgang dient der Herstellung einer für die Zwecke des Strafverfahrens hinreichenden Gewißheit, daß das fragliche Geschehen sich tatsächlich so abgespielt hat, wie es in der dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhaltsfeststellung beschrieben wird.17 Da die angeklagte Tat selbst vom Urteiler in aller Regel nicht wahrgenommen worden ist, muß dieser auf Informationen zurückgreifen, die er aus bestimmten Trägem, den Beweismitteln, durch Befragung oder Untersuchung gewinnt, und diese Informationen sodann so verarbeiten, daß er von ihnen auf die festzustellenden Tatsachen schließen kann. 78 Schon die verstehende Wahrnehmung der Informationen aus den Beweismitteln, erst recht aber ihre schlußfolgernde Verarbeitung anhand sogenannter "Erfahrungssätze" ist von vornherein mit großen Unsicherheitsfaktoren belastet, die mittels der Hilfe von Sachverständigen zwar nicht selten abgemildert, aber in fast keinem Fall prinzipiell beseitigt werden können. 79 Häufig stehen nämlich keine wissenschaftlich abgesicherten Erfahrungssätze
76 Vgl. Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), S. 68. 77 Vgl. etwa Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 61. 78 Allgemein zur Logik der Tatsachenfeststellung Hruschka, Konstitution des Rechtsfalles (1965), S. 14 ff.; Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S. 240 ff. Vgl. auch Freund, Tatsachenfeststellung (1987), S. 13; Frisch. Karlheinz-Meyer-GS (1990), 554 ff. 79 Eingehend zu den theoretischen Gründen der Unzulänglichkeit strafprozessualer Sachverhaltsfeststellung Schulz, Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992), S. 203 ff., 245 ff.
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zur Verfügung, sondern nur solche, die auf der "naiven" Rationalität der praktischen Lebenserfahrung beruhen. 8o Diese prinzipielle Unsicherheit des Beweisens wird durch weitere Faktoren noch erheblich verschärft. So steht dem Urteiler häufig nur ein Teil der potentiell erreichbaren Beweismittel als Informationsbasis zur Verfügung, denn den Strafverfolgungsorganen - wie auch dem Beschuldigten, sofern diesem staatliche Machtmittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden - sind bei der Erhebung und Verwertung von Beweisen nicht unerhebliche rechtsstaatliche Grenzen gesetzt: "Es ist ... kein Grundsatz der Strafprozeßordnung, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müßte".81 Abgesehen von der Tatsache, daß sich dadurch die Beweisgrundlage erheblich verkürzen kann, soll diesen Beweisverboten hier allerdings nicht weiter nachgegangen werden, da sie jeweils eigenständiger umfassender Erörterung bedürften. Daneben läßt sich diese vielzitierte Formel des BGH aber auch wörtlich nehmen. Zwar enthält die deutsche StPO keinen Hinweis, daß bei der Entscheidung über die Erhebung eines Beweises auch der dafür erforderliche finanzielle Aufwand berücksichtigt werden müßte oder wenigstens dürfte,82 doch ist man sich einig, daß in der Praxis jedenfalls bei weniger schweren Delikten entsprechende Erwägungen durchaus angestellt werden. 83 Tatsächlich kann wohl niemand bezweifeln, daß der Strafverfolgung spürbare finanzielle Grenzen gesetzt sind. Auch darf ein Strafverfahren keine beliebige Zeit in Anspruch nehmen, weil sonst sowohl die öffentlichen Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung Schaden leiden als auch die Individualinteressen des Beschuldigten, der bis zum Abschluß in der Schwebe des Tatverdachts gehalten wird, unverhältnismäßig beeinträchtigt würden. 84 Funktionale Erfor80 Vgl. Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S. 242 ff. Schünemann, Pfeiffer-FS (1988), 475, spricht von einer "unbehebbaren, allgemeinen Fixierung der richterlichen Beweiswtirdigung auf ein alltagstheoretisches Niveau". Siehe auch Pieth, Beweisantrag (1984), S. 275; Schmitt, Richterliche Beweiswürdigung (1992), S. 229 ff.; Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), S.74; sowie allgemein zur Zuverlässigkeit von Erfahrungssätzen KochIRüßmann, Juristische BegrUndungslehre (1982), S. 330 ff.
81 BGHSt 14, 358, 365. Volk, Wahrheit und materielles Recht (1980), S.9, nennt dies eine "prozessuale Verfälschung des Richtigen". Vgl. auch Müller-Dietz, ZS f. ev. Ethik (1971), 263. 82 83
Vgl. Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 129 ff.
Vgl. Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 129. Siehe auch Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), 153 f.; Hassemer, Einführung (1990), S. 150 f.
84 Eingehend dazu Küng-Hofer, Beschleunigung des Strafverfahrens (1984), S. 21 ff. Siehe auch Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), 150; Hassemer, Einführung (1990), S. 150.
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dernisse (auch genannt: "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege"85) gebieten daher eine zeitliche und ökonomische Begrenzung der Beweisaufnahme, so daß nicht jeder mögliche und sinnvolle Beweis auch tatsächlich erhoben werden kann. 86 Das bedeutet zwar nicht, daß in jedem Fall "kurzer Prozeß" gemacht werden muß: Einzelne "Großverfahren" sind für ein Strafverfolgungssystem durchaus ertragbar. 87 Gleichwohl muß davon ausgegangen werden, daß die in einem Strafverfahren tatsächlich zur Verfügung stehende Beweis grundlage häufig sehr viel dünner ist, als es bei einer optimalen Heranziehung der Infonnationsquellen möglich wäre. Daß darüber hinaus auch die Informationen, die aus den tatsächlich herangezogenen Beweismitteln gewonnen werden, nicht immer zuverlässig sind, gehört nicht erst seit der eindrucksvollen Untersuchung von Peters 88 zum juristischen Allgemeinwissen. Mit Fehlerquellen behaftet sind grundsätzlich alle Beweismittel,89 doch ragt in dieser negativen Hinsicht der in der Praxis wichtigste Zeugenbeweis noch einmal besonders hervor. Dies ist um so schlimmer, als auch in Zukunft kaum auf diesen Beweis verzichtet werden kann, selbst wenn es durch eine Verbesserung der kriminalistischen Technik gelingen sollte, seine Bedeutung zu verringern. 90 Viele materiellrechtliche Tatbestands-, Rechtfertigungs- und EntschuldigungsmerkmaIe beziehen sich nämlich auf Vorgänge sinnerfüllter menschlicher Kommunikation und Interaktion, deren Rekonstruktion in aller Regel nur mit Hilfe von Beobachtern möglich ist, die diesen Sinn aufgenommen und verstanden haben. 91 Ohne auf die vielfaltigen Problemstellungen der Aussagepsychologie und Verneh85 86
Näher zu diesem Begriff Hassemer, StV 1982,275 ff. Siehe auch § 2 11 C 3 a
Vgl. Rödig, Erkenntnisverfahren (1973), S. 160: Der Aufwand, der für die Erreichung eines Urteils aufgebracht wird, hängt von dem Wert ab, den man dem Urteil beimiBt.
87 Schumann, Handel mit Gerechtigkeit (1977), S. 18, ist sogar der Ansicht, daß die Justiz gezielt eine "Elite von Fällen zu Demonstrationszwecken" bereit halte, um "die restliche Masse möglichst unter AusschluB der Öffentlichkeit effizient und rasch" erledigen zu können. 88 Peters, Fehlerquellen im StrafprozeB, Bd. 2 (1972), S.5-194. Dreher, Bockelmann-FS (1979), 49, bezeichnet die Fragwürdigkeit aller Beweismittel als das "eigentliche Dilemma des Strafrichters" . 89
Vgl. Peters, Fehlerquellen im StrafprozeB, Bd. 2 (1972), passim.
90 Dies war insbesondere das Bestreben des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamts Herold (vgl. etwa seinen Beitrag in: Kriminalistik 1979, 17 ff.).
91 Zu den besonderen Schwierigkeiten der Rekonstruktion derartiger "weicher Fakten" vgl. Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), 71.
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mungstechnik näher eingehen zu wollen, sei nur folgendes hervorgehoben: 92 Wahrnehmung und Erinnerung sind schon aufgrund der biologischen Grenzen der Sinnesorgane und des Gedächtnisses sehr selektiv und unterliegen zahlreichen Verfälschungen - bei der Wiedergabe bildet der Zeuge den fraglichen Vorgang nicht lediglich sprachlich ab, sondern erlebt ihn aufs Neue in veränderter Form93 - und seine Aussage wird - neben bewußtem Lügen - auch durch die Kommunikationssituation bei der Vernehmung nicht unerheblich verzerrt. Alles in allem bestehen so viele Fehlerquellen, daß eine lügen- und irrtums freie Aussage eher als Ausnahme denn als Regel angesehen werden kann. 94 Schließlich stellt die subjektive Überzeugungsbildung des Urteilers einen Unsicherheitsfaktor ersten Ranges dar. Angesichts der zahlreichen Fehlerquellen und Unwägbarkeiten des Beweisverfahrens erscheint es unmöglich, in jedem Einzelfall zu einem objektiv richtigen, intersubjektiv unbezweifelbaren Ergebnis zu gelangen. Die Verantwortung für die Entscheidung muß daher auf einzelne Personen oder Personenkollektive übertragen werden, die mit einem Machtspruch das Strafverfahren beenden.9s Zwar kennt jedes System besondere Vorkehrungen und Kontrollmechanismen, die den Urteiler bei der Ausübung seiner Macht einschränken und auf eine möglichst rationale Wahrheitsfindung festlegen sollen.96 In vielen kritischen Konstellationen bleibt je92 Überblicke über die Problematik geben beispielsweise Eisenberg, Persönliche Beweismittel (1993), S. 332 ff., 349 ff.; derselbe JZ 1984, 912 ff., 961 ff.; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 503 ff.; Schmitt. Richterliche Beweiswürdigung (1992), S. 315 ff.; Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 150 ff.; Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), 72 f., 82. 93 Vgl. Hengesch, ZStW 101 (1989), S. 620.
94 Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1 (1981), Rdn. 2. 9S Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S.21: "Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muß, kann nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren", sowie S. 26: "So gesehen ist das Ziel rechtlich geregelter Verfahren, Reduktion von Komplexität intersubjektiv übertragbar zu machen - sei es mit Hilfe von Wahrheit, sei es durch Bildung legitimer Macht zur Entscheidung." 96 Vor allem durch Bindung an ein bestimmtes Beweismaß (in Deutschland: "Fürwahrhalten ohne Zweifel" - vgl. die Überblicke bei P.A. Albrecht, NStZ 1983, 487 ff.; Herdegen, NStZ 1987, 195 ff.). Wegen der "irrational, dezisionistischen" (Rieß, GA 1978, 265) Komponente in der Entscheidungsfindung läßt sich die Einhaltung des Beweismaßes aber nicht unmittelbar kontrollieren, so daß dafilr indirekte Mechanismen benötigt werden. Im angelsächsischen Parteienprozeß sind dies etwa die - der Rechtsmittelkontrolle unterliegenden - richterlichen Instruktionen an die Jury, in welcher die rational begrUndbaren Entscheidungsalternativen erläutert werden, sowie die Strenge des Beweisrechts gegenüber Beweismitteln von zweifelhaftem Wert (Verbot des Hörensagenbe-
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doch die Beweislage aus objektiv-wissenschaftlicher Sicht mehrdeutig, so daß ohne die Übertragung einer subjektiven Entscheidungskompetenz auf den Urteiler viele Straftäter überhaupt nicht überführt und bestraft werden könnten. 97 Außerdem ist zu vermuten, daß in der täglichen Praxis auch das tatsächlich und rechtlich vorhandene Potential an objektiver, rationaler Entscheidungskontrolle bei weitem nicht ausgeschöpft wird. 98 Die subjektive Komponente der Entscheidungsfindung bildet daher einen wesentlichen, vielleicht sogar den bedeutendsten Problemschwerpunkt innerhalb des Beweisverfahrens. Hauptfehlerquelle99 ist wie beim Zeugen die begrenzte Fähigkeit des Urteilers zur Wahrnehmung und Verarbeitung der im Beweisverfahren vermittelten Informationen. loo Zwar stören in aller Regel weder persönliches Interesse am Verfahrensausgang noch prinzipielle Unaufmerksamkeit. Gleichwohl verläuft der Prozeß der Überzeugungsbildung sehr stark im Unterbewußten und Emotionalen und entzieht sich damit in wichtigen Teilen einer rationalen Steuerung. IOI Dabei versagt die menschliche Erkenntnisfahigkeit nicht nur beispielsweise vor Aufgaben komplexer Wahrscheinlichkeits abschätzung, 102 sondern persönliche Einstellungen und - im gedanklichen Verarbeitungsvorgang immer wieder getroffene - vorzeitige Festlegungen auf bestimmte Hypothesen weises etc. - siehe § 6 V C 4) - im deutschen Amtsermittlungsverfahren sind vor allem der Zwang des Richters zur schriftlichen Begründung seiner Beweiswürdigung und deren Unterwerfung unter die Revision zu nennen. Siehe auch Paulus. Spendel-FS (1992). 697 ff.. 705 ff.; Schulz. Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992), S. 58 ff. 97 Die in der Beweiswürdigung anzuwendenden Erfahrungssätze führen nämlich meist nur zu "qualitativen" Wahrscheinlichkeiten, bei denen ein quantitativer oder numerischer Grad nicht bestimmt werden kann (vgl. Bohne, Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung (1948), S. 13; Herdegen, NStZ 1987, 198; Kindhäuser, Jura 1988, 292 ff.; Paulus. Spendel-FS (1992), 692 ff.; Schulz. Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992), S. 295 ff.).
98 Vgl. die Beispiele bei Hoyer. ZStW 105 (1993), S. 531 f. Siehe auch Fischer, NStZ 1994, 5, zur mangelnden Schulung der Richter für Glaubwürdigkeitsbeurteilungen. 99 Siehe auch die Übersicht bei Schmitt. Richterliche Beweiswürdigung (1992), S. 425 ff. Eingehend zu psychologischen Theorien der Entscheidungsfmdung Rennig. Entscheidungsfindung (1993), S. 310 ff. 100 Vgl. Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1974), S. 89 ff.; Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985). 76. 101 Vgl. Bohne, Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung (1948), S. 15 f., 50 ff.; Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1974), S. 85. 102 Vgl. Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), 74 f. Siehe auch BenderlRöder/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 1 (1981), Rdn. 402. 4 Perron
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führen auch zu systematischen Verzerrungen der Wahrnehmung und Verarbeitung der weiteren Informationen. 103 Auch wenn man die Zuverlässigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung weniger pessimistisch als Schünemann einschätzt, ist dessen Schlußfolgerung, "daß das dem Richter bei seiner Entscheidung vom Gesetzgeber abverlangte 'Fürwahrhalten ohne Zweifel' keine realistischen, sondern ideologische Entscheidungsanforderungen aufstellt", 104 doch nicht völlig von der Hand zu weisen. 105 Die strafprozessuale Sachverhaltsfeststellung ist daher in vielen Fällen dadurch geprägt, daß von einer unvollständigen und unsicheren Beweisgrundlage aus objektiv nur bedingt zuverlässige und subjektiv in wesentlichen Teilen nicht rational zu bewältigende Schlußfolgerungen gezogen werden. 2. Die beiderseitige Interessenlage a) Einführung
Angesichts der vielfachen Unsicherheiten, mit denen das Beweisverfahren und die Erforschung der "materiellen Wahrheit" belastet sind, erscheint es sehr fraglich, ob die allgemein anerkannten Verfahrensziele, namentlich die "dienende" Umsetzung des materiellen Strafrechts, überhaupt realistisch verfolgt werden können. Luhmanns funktionale Analyse zeigt jedoch sehr deutlich, daß die Praxis mit diesen Schwierigkeiten durchaus umzugehen weiß und Lösungen findet, aufgrund derer das Strafverfahren seine normstabilisierende Wirkung entfalten kann. Einen wichtigen Bestandteil dieser Lösungen bildet die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren. Dieser kann nicht nur als Betroffener und Informierter wesentlich zu einer korrekten SachverhaltsfeststeIlung beitragen, sondern seine Mitwirkung erlaubt es auch, die Verantwortung für Fehlurteile zumindest teilweise auf ihn abzuschieben. Umgekehrt eröffnen sich dem Beschuldigten durch die Beteiligungsrechte Möglichkeiten des Selbstschutzes und der Selbstbehauptung, die eine aktive Wahrnehmung dieser Rechte auch aus seiner Sicht attraktiv machen. Öffentliches Strafverfolgungsinteresse und individuelles Freiheitsinteresse des Beschuldigten stehen sich daher im Beweisverfahren nicht völlig unvereinbar gegenüber, son103 Vgl. etwa Bandilla, Infonnationsverarbeitung (1986), S. 29 ff.; lohnIHaisch, in: Der Sachverständige im Strafrecht (1990), S. 59 ff.; Haiseh, Infonnationsbewertung (1973), S. 7 ff.; Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), S. 76 ff. 104 In: Pfeiffer-FS (1988), 475. 105 Ähnlich sieht dies auch der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes Herold, Kriminalistik 1979, 18, aus der kriminalpolizeilichen Perspektive.
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dem laufen zunächst einen Teil der Wegstrecke parallel. Bei der Frage nach Art und Umfang der Mitwirkungsrechte treten die Gegensätze dann allerdings wieder deutlich hervor. b) Die öffentlichen Interessen
Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ist zunächst darauf gerichtet, durch effektive Verurteilung von Straftätern spezial- und generalpräventiv zu wirken, die normative Ordnung zu stabilisieren und Rechtsgüter zu schützen. Eine optimale Effizienz setzt - neben erfolgreicher polizeilicher Ermittlung und Ergreifung der Täter - voraus, daß in den einzelnen Strafverfahren korrekte Ergebnisse erzielt, d.h. möglichst alle Schuldigen verurteilt und möglichst alle Unschuldigen freigesprochen werden. Ein solches Ziel ist jedoch angesichts der aufgezeigten zahlreichen Fehlerquellen und Unsicherheitspotentiale bei der Tatsachenfeststellung praktisch nicht erreichbar. Tatsächlich kann nur eine Annäherung daran erfolgen, indem man das Beweisverfahren und seine Beendigung durch den Machtspruch des Urteilers mittels möglichst effektiver Sicherungsvorkehrungen zu rationalisieren und kontrollieren versucht. Beispiele dafür sind der UnmiUelbarkeitsgrundsatz und die gerichtliche Aufklärungspflicht, die eine bestmögliche Qualität der erhobenen Beweise sichern sollen, die Pflicht zur schriftlichen, intersubjektiv nachvollziehbaren Begründung der Beweiswürdigung sowie insbesondere auch die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren: Gewährt man diesem die umfassende Möglichkeit, sowohl auf die Herstellung der empirischen Beweisbasis (durch Fragen und Beweisanträge) als auch auf deren schlußfolgernde Bewertung (durch Äußerungen und Stellungnahmen) einzuwirken,106 so wird er in seinem eigenen Interesse auf eine weitgehende Ausschöpfung der Entlastungsbeweise hin wirken. Freilich haben diese Sicherungsvorkehrungen auch eine Kehrseite, welche die Strafverfolgung in ein unausweichliches Dilemma führt. 107 Werden nämlich die Anforderungen an eine Verurteilung erhöht, so gestalten sich die Verfahren länger und aufwendiger und viele Straftäter können überhaupt nicht mehr verurteilt werden, weil der geforderte Beweisstandard nicht erreicht wird. Insbesondere gewähren umfassende Beteiligungsrechte dem Beschuldig106 Zu den verschiedenen Formen der Mitwirkung des Beschuldigten am Beweisverfahren siehe § 2111, sowie Pieth, Beweisantrag (1984), S. 27. 107 4*
Vgl. Sack, in: Strafverteidiger als Interessenvertreter (1979), S. 137 f.
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ten Handlungsspielräume, die dieser taktisch ausnutzen kann, um das Verfahren zu verzögern oder sonst seine dem materiellen Recht gemäße Verurteilung zu behindern. Reduziert man andererseits aber die Qualitätsanforderungen an Verfahren und Urteil, so steigt das Risiko fehlerhafter Verurteilungen Unschuldiger. Sowohl eine ineffiziente Strafverfolgung als auch übereffizienter staatlicher Terror geflihrden jedoch den Schutzauftrag des Strafrechts. Im Ergebnis muß daher aus staatlicher Sicht ein Kompromiß zwischen beiden Extremen gefunden werden. Angesichts dieser Problemlage ist die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren nicht nur im Interesse der Wahrheitsfindung geboten. Sie wird vielmehr auch deshalb notwendig, damit man möglicherweise fehlerhafte Entscheidungen gegenüber dem Beschuldigten selbst wie auch der Allgemeinheit legitimieren und spezial- und generalpräventiv wirksam machen kann: 108 Wenn schon nicht die Richtigkeit einer Verurteilung garantiert werden kann, so hat doch der Beschuldigte eine faire Chance gehabt, ihren Inhalt zu beeinflussen, und muß daher ein negatives Ergebnis - auch - sich selbst zuschreiben lassen. Luhmann drückt das so aus, daß der Beschuldigte in ein Rollenspiel verstrickt wird, das ihn vielleicht schon selbst zur Hinnahme der Entscheidung motiviert, jedenfalls aber zu "unbezahlter zeremonieller Arbeit" bewegt und ihm später, wenn er gegen die Entscheidung rebellieren will, die Unterstützung anderer abschneidet. 109 Aber auch dieser Beitrag der Beweisrechte des Beschuldigten an der präventiven Wirksamkeit der Strafverfolgung wird konterkariert, wenn der Beschuldigte oder sein Verteidiger sich nicht auf die Spielregeln einläßt und keine "unbezahlte zeremonielle Arbeit" leistet, sondern - wie etwa in den Terroristenprozessen der 70er Jahre geschehen 110 - den geplanten Ablauf des Verfahrens konsequent stört und dadurch dessen Dauer und Aufwand erheblich vergrößert oder sogar eine schuldangemessene Verurteilung verhindert. Aus der Sicht der Strafverfolgung muß daher auch unter dem Aspekt der Legitimierung durch Beteiligung eine Begrenzung der Verteidigungsrechte gefunden werden, wenngleich man sich hier vielleicht ein höheres Maß an Behinderung oder Störung leisten kann als unter dem Aspekt der Wahrheits108 Eingehend dazu Beullce, Verteidiger (1980), S. 64 ff. Siehe auch Bottlce. Verfahrensgerechtigkeit (1991), S. 33; Köhler. Inquisitionsprinzip (1979), S. 41 f. 109 Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1978), S. 87, 114, 123.
110 Vgl. dazu Breulcer, Verteidigungsfremdes Verhalten (1993), S. 64 ff. Siehe auch die Beschreibung eines entsprechenden jüngeren Verfahrens bei Wassermann, NIW 1994, 1106 f.
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findung, da eine gewisse Langsamkeit und Umständlichkeit des Verfahrens die Legitimationswirkung möglicherweise noch erhöht. Wo der funktional optimale Kompromiß liegt, läßt sich nicht sicher feststellen. Weder ist es möglich, das tatsächlich erreichte Maß an inhaltlicher Richtigkeit bei den zahlreichen Entscheidungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften zu überprüfen, noch hat die empirische Wissenschaft Verfahren entwickelt, mit denen man die Legitimationswirkung einzelner Entscheidungen oder die präventive Gesamteffizienz des Strafverfolgungssystems zuverlässig messen könnte. Aus staatlicher Sicht besteht daher ein breiter Spielraum möglicher Lösungen, dessen Ausfüllung insbesondere auch von aktuellen kriminalpolitischen Strömungen abhängt. Im Zweifel dürfte allerdings eher der polizeilichen Forderung nach einer Optimierung der unmittelbaren Ermittlungs- und Verurteilungseffizienz nachgegeben werden als Hinweisen auf die Bedeutung der Verteidigungsrechte für die generelle Legitimationsund Befriedungswirkung des Strafverfahrens. c) Die Interessen des Beschuldigten
Aus der Sicht des Beschuldigten ergibt sich demgegenüber keine Notwendigkeit zu Kompromissen. Im Gegenteil: je mehr Beteiligungsrechte, desto besser. Problematisch ist für ihn nur, in welcher Art und in welchem Maße er von diesen Rechten tatsächlich Gebrauch macht, und dafür ist es wichtig, daß er genügend Hilfen (Verteidiger, Geld) bekommt, um diese Rechte effektiv handhaben zu können. Daneben kommt es vor allem auch auf die Vollständigkeit der Mitwirkungsbefugnisse an, da sich das Beweisverfahren sowohl von den allgemeinen Rahmenbedingungen der strafprozessualen Interaktion und materiellrechtlichen Selektionskriterien her als auch in jeder einzelnen Phase der Beweiserhebung und Beweiswürdigung als problematisch herausgestellt hat. Wird der Beschuldigte (oder sein Verteidiger) nur an einer einzigen Stelle vom Beweisvorgang ausgeschlossen, so kann gerade dort der entscheidende Fehler passieren, die entscheidende Chance verpaßt werden. Das Interesse des Beschuldigten auf umfassende Mitwirkung am Beweisverfahren entspringt zunächst einem unmittelbar einsichtigen Bedürfnis, aus dem Verfahren möglichst unbehelligt herauszukommen. Schon die Existenz des staatlichen Strafsystems zeigt jedoch, daß dem Freiheitsinteresse in dieser allgemeinen Form kein Vorrang vor den öffentlichen Strafverfolgungsinteressen eingeräumt wird. Für eine genauere Abwägung müssen daher speziellere,
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in ihrer Reichweite beschränkte Interessen des Beschuldigten herausgearbeitet werden, die zumindest potentiell auch die staatlichen Strafbedürfnisse begrenzen können. Hierzu bieten sich im wesentlichen zwei Interessen an: das auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung, sowohl hinsichtlich der Verurteilung als solcher im Falle der Unschuld als auch hinsichtlich der Strafzumessung im Falle der Schuld, und das auf Selbstbehauptung im Sinne von eigenverantwortlicher Wahrnehmung der Persönlichkeits- und Freiheitsinteressen innerhalb der prozessualen Interaktion. Das Interesse auf Schutz vor fehlerhafter Verurteilung hängt unmittelbar mit dem repressiven Charakter der Strafe zusammen. Wird der Beschuldigte für etwas belangt, was er gar nicht oder nicht so getan hat, so verfehlt die Strafe nicht nur - zumindest wenn das Fehlurteil als solches später bekannt wird - ihren öffentlichen Zweck, sondern der Beschuldigte empfindet das auch persönlich als besondere Ungerechtigkeit. Auch aus seiner Sicht kommt es nicht nur darauf an, ob und was für ein Strafübel ihm letztlich zugefügt wird, sondern er kann eine Strafe innerlich nur dann akzeptieren und verarbeiten, wenn es möglich ist, sie als gerechte Folge seines Handeins zu verstehen. Das Interesse auf Selbstbehauptung beruht demgegenüber auf dem elementaren menschlichen Bedürfnis, sich nicht zum bloßen Objekt des Handeins anderer herabwürdigen zu lassen, sondern auf alle Geschehnisse, bei denen die eigenen Interessen auf dem Spiel stehen, selbst gestaltend einzuwirken. Wird die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln schon allgemein als Wesensmerkmal des Menschen angesehen, so bekommt ihre Entfaltung in einem Verfahren, in welches der Betroffene gegen seinen Willen hineingezogen wird und in dem ihm die schärfsten Sanktionen und Zwangsmittel drohen, die dem Staat gegen den Bürger zur Verfügung stehen, eine ganz besondere Bedeutung. Beide Interessen stehen zumindest partiell in klare~ Gegensatz zu den öffentlichen Interessen. Zwar sind zunächst auch die Strafverfolgungsorgane um korrekte Ergebnisse bemüht, doch muß, damit die Strafverfolgung überhaupt funktionieren kann, eine gewisse Fehlurteilsquote in Kauf genommen werden. Der Beschuldigte will demgegenüber einen absoluten Schutz, gerade in seinem Einzelfall. Umfassende Beteiligungsrechte können diesen Schutz zwar nicht garantieren, aber doch die Chancen des Beschuldigten deutlich verbessern. 111 Zum anderen nimmt der Beschuldigte die Position eines Prozeßsub111 Siehe auch Rudolphi, ZRP 1976, 166.
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jekts mit eigenen Verfahrensrechten und eigener Verantwortlichkeit nicht deshalb wahr, weil er an der Legitimation seiner Verurteilung mitwirken, sondern weil er im Verfahren möglichst viel für sich herausschlagen will.
Beide Beschuldigteninteressen legen daher die Einräumung möglichst unbeschränkter Beteiligungs- und Verteidigungsrechte nahe. Insbesondere ist im Rahmen der Selbstbehauptung eine immanente Differenzierung zwischen legitimer und illegitimer Rechtsausübung nicht möglich: Es liegt ausschließlich in der Verantwortung des Beschuldigten, ob er sich von einer bestimmten Wahrnehmung eines Rechts einen sachlichen oder taktischen Vorteil verspricht oder nicht. Eine Begrenzung der Selbstbehauptung läßt sich daher grundsätzlich nur von außen vornehmen. Allerdings eröffnet die Respektierung der Eigenverantwortlichkeit hierfür auch besondere Möglichkeiten. Solange ein ausreichender Rahmen zur Verteidigung gestellt wird, kann die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte an bestimmte Formen und Fristen gebunden werden. Hält sich der Beschuldigte in vorwerfbarer Weise nicht daran, so muß er sich den daraus resultierenden Verlust seiner Rechte selbst zuschreiben. Prozeßverantwortung ist die Kehrseite der Selbstbehauptung. 112 Grenzen des Schutzinteresses können demgegenüber schon von innen heraus gezogen werden. Hier geht es nicht um taktische Vorteile, sondern nur um vielleicht lästige, aber doch konstruktive Beiträge zu einer materiell richtigen Entscheidung. Ist ein solcher konstruktiver Zusammenhang zwischen einer konkreten Rechtsausübung und dem Verfahrensgegenstand aber objektiv nicht mehr erkennbar, so kann sich der Beschuldigte auch nicht auf sein Schutzinteresse berufen. Andererseits sind Formen und Fristen hier fehl am Platze, da auch ein verspätetes oder formloses Beweisbegehren die entscheidende Veränderung der Beweislage herbeiführen kann.
Die den beiden Beschuldigteninteressen jeweils zuträglichen Beschränkungsmöglichkeiten widersprechen sich somit gegenseitig. Formelle Begrenzungen sind mit dem Schutzinteresse nicht vereinbar, und materielle Begrenzungen hindern die Selbstbehauptung. Wollte man beiden Interessen zugleich vollständig gerecht werden, so müßten dem Beschuldigten daher umfassende und praktisch unbegrenzte Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Damit würden ihm allerdings Mittel in die Hand gegeben, mit denen er jedes Strafverfahren beliebig ausdehnen und letztlich undurchführbar machen könnte. 112 Vgl. Schmidt·Aßmann, in: Maun7lDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn.5 (1988).
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Das Interesse des Beschuldigten an einer umfassenden Mitwirkung am Beweis verfahren läßt sich daher nur zu einem Teil mit den öffentlichen Strafverfolgungsinteressen in Einklang bringen und steht im übrigen im klaren Gegensatz dazu. C. Veifassungsrechtliche Beurteilung der widerstreitenden Interessen
I. Einführung Die Analyse der Interessenlage hat gezeigt, daß jedenfalls in einem demokratischen Staat, der auf Gewährleistung des friedlichen Zusammenlebens der Bürger und nicht auf autoritäre Machtsicherung ausgerichtet ist, die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren bereits im öffentlichen Interesse liegt. Die prinzipielle Anerkennung entsprechender Mitwirkungsrechte durch das 00 und die EMRK könnte daher als bloße Bestätigung dieser Erkenntnis aufgefaßt werden, ohne daß man dem Beschuldigten eine Rechtsposition gewähren wollte, die über dieses staatliche Interesse hinausreicht. Freilich würde eine solche Interpretation dem liberalen Verständnis von Grund- und Menschenrechten als Abwehrrechten gegen die Staatsgewalt widersprechen. Aufgabe dieses Abschnitts ist deshalb, herauszufinden, ob dem Beschuldigteninteresse auf Selbstbehauptung und auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung ein so erhebliches Gewicht beizumessen ist, daß zu seiner Wahrung erforderlichenfalls auch spürbare Einschränkungen der Strafverfolgungseffizienz in Kauf genommen werden müssen. Das begriffliche Instrumentarium des 00 und der EMRK zur Beschreibung der entsprechenden Beschuldigtenrechte bietet, wie bereits erwähnt, ein eher unübersichtliches Bild. Das BVerfG bezieht sich teils auf unmittelbar grundrechtsgewährende Verfassungsnorrnen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 103 Abs. I 00), teils auf allgemeinere Grundsätze (Menschenwürde, Rechtsstaatsprinzip), und leitet aus diesen Quellen Ansprüche auf rechtliches Gehör, auf ein faires Verfahren sowie - in gewissem Rahmen - auf Waffengleichheit ab, deren Inhalte sich teilweise nicht unerheblich überschneiden. Art. 6 EMRK gewährt entsprechende Rechte im wesentlichen bereits unmittelbar durch seinen Wortlaut, welcher sich aber in der englischen Fassung ebenfalls auf die Begriffe "fair" und "Gehör" (hearing) stützt und von der Rechtsprechung der Straßburger Organe anhand des Prinzips der Waffengleichheit weiter konkretisiert wird. Diese Vielfalt ist freilich kein Zufall, sondern rührt von den unterschiedlichen historischen Wurzeln der Verteidigungsrechte des Beschuldig-
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ten im Strafverfahren her, die teils mit der formellen Forderung nach beiderseitiger Anhörung von Ankläger und Beschuldigtem, teils mit dem materiellen Bedürfnis des Beschuldigten nach Verteidigung begründet wurden und in den Verfassungstexten und Menschenrechtserklärungen der Neuzeit vor allem durch die englische Tradition des "Due Process of Law" beeinfIußt worden sind. 113 Angesichts dieses heterogenen Gemischs von konkreten Anspruchsgrundlagen und allgemeinen Prinzipien l14 erscheint es zweckmäßig, nicht unmittelbar bei den einzelnen Gewährleistungen anzusetzen, sondern zunächst abzuklären, ob überhaupt und wenn ja in welcher Weise die bei den Beschuldigteninteressen auf Selbstbehauptung und Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung als grundsätzlich schützenswert anerkannt werden. Allerdings muß sich diese Analyse auf das GG beschränken. Angesichts der Zielsetzung der EMRK, in den Vertragsstaaten die Einhaltung bestimmter Mindeststandards durchzusetzen und dadurch eine Vereinheitlichung des Menschenrechtsschutzes zu erreichen,115 werden ihre Vorschriften nur als allgemeiner Rahmen verstanden, der durch die vielfältigen nationalen Verfahrensordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet werden kann. 116 Die Spruchpraxis der Straßburger Organe orientiert sich daher - jedenfalls in dem hier interessierenden Bereich - unmittelbar an den konkreten Gewährleistungen und am vorgetragenen Einzelfall, während allgemeinere Aussagen etwa zur Bedeutung des fairen Verfahrens oder der Waffengleichheit weitgehend fehlen. 117 Da sich zudem Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gegenüber dem Beweisantragsrecht im besonderen als unergiebig erwiesen hat,118 fehlt für eine umfassendere Heranziehung der EMRK die Basis. Es muß deshalb insoweit bei der Feststellung bleiben, daß das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Strafverfahren zwar den Rang eines Menschenrechts einnimmt, auf dieser Ebene jedoch auch zahlreichen Einschränkungen zugänglich ist und angesichts der Zurückhaltung
I \3 Eingehend dazu Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 12-100.
114 115 116
Vgl. auch Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982),442. So die Präambel der EMRK. Vgl. Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990), S. 51 f.
117 Vgl. Heubel, Fair trial (1981), S. 36; MiehslerNogler, in: Internationaler Kommentar zur EMRK (1986), Art. 6 Rdn. 341, 344. Ein typisches Beispiel bildet die Entscheidung des EGMR vom 17.1.1970 (Delcourt), Nil, §§ 26, 27 Cf.
118
Siehe § 2 I C.
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
der Straßburger Organe gegenüber nationalgerichtIicher Ermessensausübung keinen intensiven Schutz erfährt. Das BVerfG und das deutsche verfassungsrechtliche Schrifttum haben sich demgegenüber immer wieder um umfassende theoretische Fundierungen ihrer Entscheidungen und Lehren bemüht, so daß auch aus strafrechtlicher Sicht ausreichende Anhaltspunkte für eine Analyse der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Beteiligungsrechte des Beschuldigten im Beweisverfahren bestehen. Nach der Abklärung der prinzipiellen Anerkennung der Beschuldigteninteressen durch das GG soll daher untersucht werden, welche konkreten Gewährleistungen für die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren daraus abzuleiten sind und wie diese durch das öffentliche Strafverfolgungsinteresse eingeschränkt werden können. 2. Die grundrechtliche Absicherung der Beschuldigteninteressen a) Die verschiedenen Anspruchsgrundlagen
Daß die Interessen des Beschuldigten, sowohl auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung als auch auf Selbstbehauptung, elementaren verfassungsrechtlichen Werten entsprechen und daher durch grundrechtliche Gewährleistungen abgesichert sind, hat das BVerfG in der bereits erwähnten VMann-Entscheidung unmißverständlich klargestellt: "Über die Anforderungen hinaus. die sich aus den Verfahrensgrundrechten. insbesondere aus Art. 103 Abs. I GG ergeben. hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) einen Anspruch des Angeklagten auf ein faires. rechtsstaatliches Verfahren ahgeleitet ... Die Wurzel dieses allgemeinen Prozeßgrundrechts findet sich in den in einem materiell verstandenen Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechten und Grundfreiheiten des Menschen. insbesondere in dem durch ein Strafverfahren bedrohten Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 00). dessen freiheitssichernde Funktion auch im Strafverfahrensrecht Beachtung erfordert; ferner in Art. 1 Abs. 1 00. der es verbietet. den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen. und von daher einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen des Angeklagten voraussetzt. Aus der Aufgabe des Strafprozesses. den Strafanspruch des Staates um des Rechtsgüterschutzes einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförrnig geordneten Verfahren durchzusetzen und damit dem vom Gewicht der Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. ergibt sich ferner. daß dem Strafprozeß von Verfassungs wegen die Aufgabe gestellt ist. das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person abgeleitete Prinzip. daß keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf ...• zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Als zentrales Anliegen des Strafprozesses erweist sich daher die Ermittlung des wahren Sachverhalts. ohne den das
11.
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materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann. Der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren kann deshalb auch durch verfahrensrechtliche GestaItungen berührt werden, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen.,,119 Trotz dieser nachdrücklichen Formulierungen lohnt es sich für die beabsichtigte Abwägung von öffentlichen Strafverfolgungsinteressen und Beschuldigteninteressen, den einzelnen Gesichtspunkten etwas weiter nachzugehen und die grundrechtlichen Ableitungen zu präzisieren. Der Anspruch des Beschuldigten auf "verfahrensrechtliche Vorkehrungen" zur Sicherung der Ermittlung des wahren Sachverhalts wird vom BVerfG als Teil des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren angesehen, welches in der V-MannEntscheidung im wesentlichen an Art. 2 Abs. 1 GG (LV.m. dem Rechtsstaatsprinzip ), in der späteren Unterbringungsentscheidung dann jedoch unmittelbar an das durch die Verhängung von Freiheitsstrafe betroffene Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angeknüpft wird. 120 Damit ist auch für den Strafprozeß durchgängig anerkannt, daß sich die materiellen Grundrechte auch auf das Verfahren auswirken, sofern dieses für ihren effektiven Schutz von Bedeutung iSt. 121 Um daraus einen konkreten Anspruch des einer Straftat Beschuldigten auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung zu gewinnen, ist allerdings zusätzlich ein Rückgriff auf das - vom BVerfG vor allem aus Art. 1 Abs. 1 GG, in anderen Entscheidungen aber auch aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete 122 - strafrechtliche Schuldprinzip erforderlich,123 welches die Zulässigkeit der Verhängung von Strafe überhaupt begrenzt und damit eine "Schrankenschranke" für den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bildet. 119 BVerfGE 57, 250, 274 f. 120 BVerfGE 70, 297, 308. 121 Vgl. nur BVerfGE 53,30,65. Eingehend dazu Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien (1981). Siehe auch Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 225 ff. Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung des Zweiten Senats des BVerfG zum Beweisantragsrecht im Asylverfahren (siehe § 2 I B). 122 Vgl. etwa BVerfGE 80, 244, 255; 50, 205, 214; 50, 125, 133; 45, 187,259 f. Näher zur verfassungsrechtlichen Ableitung des Schuldprinzips Frister, Schuldprinzip (1988), S. 19 ff. 123 Der Zusammenhang zwischen Schuldprinzip und Verbot der Verdachtsstrafe ist in allgemeiner Form seit langem anerkannt (vgl. etwa Sax, in: Die Grundrechte 3.2 (1959), S. 990 f.; siehe auch Frister, Schuldprinzip (1988), S. 77 f.; NiemöllerlSchuppert, AöR, 107 (1982),469 f.). Häufig wird auch aus der Unschuldsvermutung eine Pflicht zur Vermeidung ungerechtfertigter Verurteilungen abgeleitet (vgl. BVerfGE 74, 358, 371; Bohnert, Abschlußentscheidung des Staatsanwalts (1992), S. 247; Frister, a.a.O., S. 84 f.).
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Alle Tatsachenfeststellungen, die sich auf die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat und die in dieser Tat verwirklichte Schuld beziehen, müssen daher sowohl den Anforderungen des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 als auch denen des Art. 1 Abs. 1 GG entsprechen. Soweit es dagegen um Tatsachen geht, die "nur" für tatschuldunabhängige Strafzumessungsfaktoren von Bedeutung sind, wie etwa die tatsächlichen Grundlagen von Gefahrlichkeitsprognosen, bleibt das Recht auf ein faires Verfahren auf das von der Sanktion betroffene Grundrecht beschränkt, also insbesondere auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Neben dem Recht auf ein faires Verfahren wird aber auch der Grundgedanke des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG unter anderem darin gesehen, daß ohne Anhörung des Betroffenen eine sachlich richtige Entscheidung im allgemeinen nicht getroffen werden kann. 124 Das Recht des Beschuldigten auf verfahrensrechtlichen Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung kann deshalb auf zwei verschiedene grundrechtliche Gewährleistungen gestützt werden. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der grundrechtlichen Ableitung eines Rechts des Beschuldigten auf Selbstbehauptung im Strafverfahren. Das BVerfG folgert einerseits aus der Verbindung des Anspruchs auf ein faires Verfahren mit Art. 1 Abs. 1 GG, daß dem Beschuldigten die Stellung eines Prozeßsubjektes mit einem "Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen" zu gewähren sei. 125 Dabei bleibt freilich offen, ob auch insoweit auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zurückgegriffen werden darf, denn wenn es zum Freispruch kommt, ist der Schutzbereich dieses Grundrechts allenfalls dadurch tangiert, daß die Verurteilung zu Freiheitsstrafe während der Beweisaufnahme noch nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Jedenfalls muß aber das Recht auf ein faires Verfahren über die speziellen Einzelgrundrechte hinaus auch als in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine verfahrensrechtliche Auswirkung der Grundrechte aufgefaßt werden, die es generell verbietet, den Bürger in staatlichen Verfahren unbillig und übermäßig zu
124 Vgl. BVerfGE 9,89,95; 55, 1,5 C.; Degenhart, in: IsenseelKirchhoC (Hrsg.), Handbuch des StaatsrechIS III (1988), § 76 Rdn. 13; Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., vor § 128 Rdn. 12 (1993); Schmidt-Aßmann, in: MaunzlI)Urig, Kommentar zum GO, Art. 103 Abs. I Rdn. 2 f. (1988). Siehe aber auch Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 119. 125 BVerfGE 57, 250, 275. Vgl. auch BVerfGE 63, 45, 61.
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belasten. l26 Die Selbstbehauptung des Beschuldigten ist deshalb zumindest über die allgemeine Handlungsfreiheit in allen Strafverfahren grundrechtlich abgesichert. Außerdem erkennt das BVerfG in der aus Art. 1 Abs. 1 00 abgeleiteten Selbstbehauptung auch die Hauptwurzel von Art. 103 Abs. 1 00,127 so daß auch hier zwei verschiedene Grundrechtsgewährleistungen eingreifen. Noch nicht völlig geklärt ist demgegenüber, ob innerhalb der Selbstbehauptung mit dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" nicht eine zusätzliche verfassungsrechtliche Dimension zu beachten ist. Das BVerfG sieht "eine gewisse verfahrensrechtliche 'Waffengleichheit' von Staatsanwaltschaft und Beschuldigten im Strafprozeß" lediglich als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren an l28 und weist ausdrücklich darauf hin, daß dieser Grundsatz nicht fordere, "daß verfahrens spezifische Unterschiede in der Rollenverteilung von Staatsanwalt und Verteidiger in jeder Beziehung ausgeglichen werden müßten". 129 Im Schrifttum werden dagegen auch weitergehende Auffassungen vertreten, die sich auf Art. 3 00 oder auf Art. 6 Abs. 1 EMRK stützen. 130 Daß der Gedanke der Waffengleichheit einen wichtigen Aspekt der Selbstbehauptung des Beschuldigten betrifft, kann wohl kaum geleugnet werden. Das Strafverfahren hat grundsätzlich und unabhängig von der Vielfalt seiner strukturellen Ausgestaltungsmöglichkeiten eine kontradiktorische Natur, da der Beschuldigte mit dem Vorwurf der Begehung einer Straftat konfrontiert wird, gegen den er sich in der Regel auch verteidigen will. Seine Selbstbehauptung erfolgt daher immer in Auseinandersetzung mit einem konkreten Prozeßgegner, der das öffentliche Strafverfolgungsinteresse vertritt. Hat dieser 126 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. I Rdn. 9 (1988). Siehe auch Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts ID (1988), § 76 Rdn. 4. 127 Vgl. BVerfGE 9, 89, 95; 55, 1,5 f. Im Schrifttum grundlegend Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 124 ff., insbesondere S. 133 f., m.w.N. 128 BVerfGE 63, 45, 61. Siehe auch BVerfGE 38, lOS, 111; BGH NStZ 1983,419. 129 BVerfGE 63, 45, 67. Siehe auch Gollwitzer, in: LR, StPO, Art. 6 MRKlArt. 14 WBPR, Rdn. 61 (1991). 130 Vgl. die Nachweise bei Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 230 Fn. 174. Allgemeine Überblicke über die Diskussion zur Waffengleichheit geben u.a. Beulke, Verteidiger (1980), S. 37 f.; Egon Müller, NJW 1976, 1064; Sandermann, Waffengleichheit im StrafprozeB (1975), S. 1 ff.; Schulz, Dikaio Kai Politiki 1983, 163 f.
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Gegner eine in ihrer faktischen Wirkung übermächtige Prozeßstellung, so ist die Selbstbehauptung des Beschuldigten allein dadurch erheblich eingeschränkt. Mit einem "Gegner" kann eine auch nur annähernde Gleichstellung freilich nicht erreicht werden: dem Richter, dessen "Übermacht" schon deshalb unumgänglich ist, weil er über den gegen den Beschuldigten gerichteten Vorwurf entscheidet. 131 Gegenüber dem Richter muß die Möglichkeit der Selbstbehauptung daher unmittelbar durch möglichst effektive Verteidigungsrechte gesichert werden. Ist jedoch, wie in nahezu allen modemen Rechtsordnungen, die strafverfolgende Tätigkeit von der richterlichen Tätigkeit getrennt und auf ein eigenes Organ, die Staatsanwaltschaft, verlagert, so kann der Beschuldigte mit dieser auf einer formellen Ebene in bestimmten Verfahrensabschnitten durchaus gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung hat dann über die unmittelbare Stärkung der Selbstbehauptung des Beschuldigten gegenüber seinem prozessualen Antagonisten hinaus auch eine wichtige symbolische Bedeutung, weil der Bürger auf dieselbe Ebene wie die strafverfolgende Staatsgewalt gehoben wird. Dem BVerfG ist deshalb darin zuzustimmen, daß innerhalb eines fairen Verfahrens zumindest ein gewisses Maß an - formeller und materieller 132 - Gleichheit von Staatsanwalt und Beschuldigtem verwirklicht werden muß.\33 Problematisch erscheinen demgegenüber aber die Auffassungen, welche diese Gleichheit selbst zum leitenden Prozeßprinzip erheben und als dem Beschuldigten in Art. 3 Abs. 1 GG grundrechtlich garantiert ansehen. 134 Nach dem allgemeinen Konsens der Verfassungsrechtsprechung und -lehre würde 131 Vgl. Schulz, Dikaio Kai Politiki 1983, 168. 132 Zu dieser Unterscheidung vgl. Sandermann, Waffengleichheit im Strafprozeß (1975),
S. 144 f.; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 232; Vollkommer, Schwab-FS (1990), 516 ff. 133 Ähnlich KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), Einl. Rdn. 88; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 232 f.; Tettinger, Faimeß und Waffengleichheit (1984), S. 20 f. Vgl. auch Beulke, Verteidiger (1980), S. 38 ff. Schulz, Dikaio Kai Politiki, 1983, 169, erkennt der Waffengleichheit allerdings nur einen heuristischen Wert zu, der darin liege, daß die einseitige Gewährung von prozessualen Befugnissen an die Staatsanwaltschaft ein Indiz für eine nicht ausreichende Gewährung effektiver Verteidigungsrechte darstelle. Völlig ablehnend dagegen Bohnert, Abschlußentscheidung des Staatsanwalts (1992), S. 421 f. 134 Vgl. etwa Frohn, Dikaio Kai Politiki 1983, 193; Egon Müller, NJW 1976, 1067; Rogall, in: SK, StPO, vor § 133 Rdn. 106 (1987); Starck, in: v.MangoldtlKleinlStarck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1 (1985), Art. 3 Rdn.I46; BGHSt 12, 136, 139; sowie die Nachweise in Anm. 130.
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das voraussetzen, daß Staatsanwaltschaft und Verteidigung in ihren Prozeßrollen als "im wesentlichen gleich" angesehen werden müßten. 135 In diesem Sinne erkennt das BVerfG für den Zivilprozeß Art. 3 Abs. 1 GG als das tragende Fundament der "Waffengleichheit" zwischen Kläger und Beklagtem auch durchaus an. 136 Die Parallele zum Strafprozeß kann insoweit freilich kaum gezogen werden: 137 Der Staatsanwalt ist kein privater Kläger, sondern wie der Richter Organ der Staatsgewalt, welche Straftäter im öffentlichen Interesse einer Sanktion unterwerfen will, und er erhält für die Ausfüllung dieser Rolle besondere Befugnisse, die einem privaten Kläger nicht gewährt werden. Auf der anderen Seite kann der Beschuldigte im Strafverfahren auch nicht mit einem privaten Beklagten verglichen werden, da er durch den Zugriff der Staatsgewalt in ganz anderem Maße bedroht wird und deshalb auch sehr weitgehende Verteidigungsrechte erhält. Es erscheint daher schon sehr fraglich, ob - wie weithin behauptet 138 - der Gedanke der Gleichheit nicht wenigstens auf den angloamerikanischen Strafprozeß zutrifft. Auch dort werden nämlich diese prinzipiellen Unterschiede zwischen Anklage und Verteidigung durchaus anerkannt. 139 Jedenfalls geht im deutschen Strafverfahren die Fixierung auf den Staatsanwalt an den wesentlichen Bedürfnissen des Beschuldigten vorbei. Die Verteidigung muß sich in der Hauptverhandlung vielmehr voll und ganz auf den oder die Richter konzentrieren, weil diese nicht nur am Ende entscheiden, sondern zuvor gemäß ihrer Aufklärungspflicht auch die tatsächliche Entscheidungsgrundlage eigenständig (und eigenhändig) herausarbeiten. 140 Ein anderer Ansatz, der insbesondere auf Bötticher141 und Dürig 142 zurückgeht und von Sandermann 143 ausführlich begründet worden ist, gewinnt 135 Vgl. nur Hesse, AöR 109 (1984),174 ff., insbesondere S. 185 ff., m.w.N. 136 Vgl. etwa BVerfGE 69, 126, 140; 55, 72, 94; 52, 131, 144, 156. Ausführlich dazu Vollkommer, Schwab-FS (1990), 505 ff. Siehe auch Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., vor § 128 Rdn. 63 (1993). 137 Vgl. auch BVerfGE 63,380,392 f. 138 Etwa Dörr, Faires Verfahren (1984) S. 76. Siehe auch § 2 I C mit Anm. 36.
139 Vgl. etwa Goodpaster, Journal of Criminal Law and Criminology 78 (1987), 126. Siehe auch Bohnert, Abschlußentscheidung des Staatsanwalts (1992), S. 422.
140 Vgl. Schuh., Dikaio Kai Politiki 1983, 166 ff.; derselbe, StV 1991, 360. Siehe auch Weigend, ZStW 100 (1988), S. 744 f. 141 Bötticher, Gleichbehandlung und Waffengleichheit (1979), S. 15. 142 Dürig, in: MaunllDürig, Kommentar zum GG, Art. 3 Abs. I Rdn. 50 (1973).
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die Notwendigkeit der Gleichstellung von Staatsanwalt und Beschuldigtem daher nicht aus dem unmittelbaren Vergleich von Anklage und Verteidigung, sondern aus einer Parallele zum Verwaltungsprozeß: Der Staatsanwalt müsse sich mit seiner Anklage wie ein sonstiges Exekutivorgan einem Gewaltenkontrollverfahren vor dem Richter stellen, in welchem sich Obrigkeit und Bürger gleichberechtigt gegenüberträten. l44 Auch dieser Ansatz verkennt jedoch, daß die Ausübung der Strafgewalt im deutschen Strafverfahren weniger vom Staatsanwalt als vielmehr erst vom Richter ausgeht. Die Tätigkeit des Staatsanwalts beschränkt sich nach § 170 Abs. 1 StPO darauf, abzuklären, ob "genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage" besteht. Eine Kontrolle dieser Tätigkeit findet - von den §§ 153 ff. und 407 ff. StPO abgesehen - nur im Zwischenverfahren statt, während über Schuld und Strafe des Beschuldigten erstmalig in der Hauptverhandlung entschieden wird. Die staatsanwaltliche Anklage ist dafür zwar notwendige Voraussetzung, bildet aber nicht den Gegenstand der richterlichen Beurteilung. 145 Damit bleibt als letzter "Rettungsanker" einer eigenständigen Verfassungsgarantie auf Waffengleichheit der Verweis auf die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die Straßburger Konventionsorgane l46 in Verbindung mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG, welche dieser Auslegung einen Quasi-Verfassungsrang einräumt. 147 Doch ist hiergegen einzuwenden, daß alles das, was die Straßburger Spruchpraxis insoweit bislang von dem nationalen Gesetzgeber und der nationalen Strafverfolgungspraxis verlangt hat, bereits in den deutschen Grundrechten auf ein faires Verfahren sowie auf rechtliches Gehör enthalten iSt. I48 Auch können auf einer abstrakt-theoretischen Ebene keine weiteren Folgerungen für das deutsche GG gezogen werden, da Gerichtshof und Kommission insoweit Stellungnahmen zu einzelfallunabhängigen, generellen Fragen weitgehend vermeiden. 149 143 Sandermann, Waffengleichheit im Strafprozeß (1975), S. 102 ff. 144 Vgl. Dürig, in: MaunzIDürig, Kommentar zum GO, Art. 3 Abs. I Rdn. 50 (1973); Sandermann, Waffengleichheit im Strafprozeß (1975), S. 117 ff. 145 Vgl. Schulz, Dikaio Kai Politiki 1983, 167; derselbe. StV 1991, 360. Siehe auch Bötticher, Gleichbehandlung und Waffengleichheit (1979), S. 15.
146 So insbesondere Kohlmann, Peters-FS 11 (1974), 316. Vgl. auch Ingo Müller, Rechtsstaat und Strafverfahren (1980), S. 57 ff.; sowie § 2 I C. 147 Vgl. BVerfGE 74,358,370.
148 Vgl. Peukert, EuGRZ 1980, 255. 149 Siehe § 2 11 CI.
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Es bleibt daher bei der Feststellung, daß der Gedanke der Waffengleichheit zwar einen bestimmten Aspekt der Selbstbehauptung des Beschuldigten näher beleuchtet, aber keine eigenständige grundrechtliche Absicherung beanspruchen kann. Ob Formeln wie "Waffengleichheit als Chancengleichheit"150 oder "Waffengleichheit als das Verbot durch die Unterschiede in der Verfahrensrolle nicht gedeckter Differenzierungen"151 insoweit noch hilfreich sind, mag dahingestellt bleiben. 152 Jedenfalls ist das Selbstbehauptungsinteresse des Beschuldigten "nur" in genereller Form durch das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2 00) und den Anspruch auf rechtliches Gehör (103 Abs. 1 00) geschützt. In welchem konkreten Verhältnis diese beiden Gewährleistungen zueinander stehen, lS3 ist - auch hinsichtlich der Parallelproblematik beim Interesse auf Schutz vor fehlerhafter Verurteilung - für die Zwecke dieser Arbeit allerdings nicht so entscheidend. Die Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren lassen sich nämlich für beide Bereiche jeweils auf dieselbe Wurzel zurückführen: auf die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde. Da diese Fundamentalnorm im Strafverfahren durch die Bedrohung des Beschuldigten mit den schärfsten Sanktionen, die dem Staat gegenüber dem Bürger zur Verfügung stehen, sowie durch den Einsatz der schärfsten Machtmittel zur Sicherstellung des Verfahrens in besonders hohem Maße betroffen ist, sind an ihre Beachtung hier auch besonders hohe Anforderungen zu stellen. Wenn deshalb die verfassungsrechtliche Legitimation der Bestrafung einer einzelnen Person zum Wohle der Allgemeinheit voraussetzt, daß diese Person in individuell verantwortlicher Weise eine rechtswidrige Tat begangen hat, so muß auch das Verfahrensrecht alle Sicherungen bereitstellen, damit diese materiellrechtliche Vorgabe in der Prozeßpraxis eingehalten wird. Wenn andererseits die Achtung der Menschenwürde verlangt, daß die Organe der ISO Frohn, Dikaio Kai Politiki 1983, 193. Kritisch dazu Hili, in: IsenseelKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VI (1989), § 156 Rdn. 46.
151 Egon Müller, NJW 1976, 1067; Rogall, in: SI(, StPO, vor § 133 Rdn. 107 (1987).
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Die Mehrzahl der Autoren äußert sich gegenüber dem Begriff der Waffengleichheit eher zurückhaltend bis ablehnend (vgl. etwa Hili, in: lsenseeJKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VI (1989), § 156 Rdn. 44; Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik (1971), S. 154; Krey, Strafverfahrensrecht 2 (1990), Rdn. 259; Peters, Strafprozeß (1985), S. 101; Rieß, Schäfer-FS (1980), 174 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 67; Schäfer, in: LR, StPO, Einl. Kap. 6 Rdn. 15 (1987); Schroeder, Strafprozeßrecht (1993), Rdn. 55).
153 Vgl. dazu etwa Mauder, Rechtliches Gehör (1986), S. 10 ff., 34 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 8 f. (1988). 5 Perron
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Staatsgewalt dem rechtsunterworfenen Bürger mit Respekt gegenübertreten und seine Autonomie und Eigenverantwortlichkeit beachten, so gilt auch dieses Gebot ganz besonders im Strafverfahren. Es ist daher nur eine Frage der verfassungsdogmatischen Zweckmäßigkeit, ob man mit dem BVerfG Art. 103 Abs. 1 GG nur als eine allgemeine, auf alle Prozeßarten gleichermaßen anwendbare Mindestgarantie ansieht und die erhöhten Anforderungen an das Strafverfahren in das Recht auf ein faires Verfahren verlagert l54 oder ob man Art. 103 Abs. 1 GG als alleinige Anspruchsgrundlage ansieht und ihm im Strafverfahren eine besondere, über die anderen Verfahrensarten hinausreichende Bedeutung beimißt. 155 Jedenfalls hat der Beschuldigte im Strafverfahren grundrechtlich besonders intensiv abgesicherte Rechte auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung sowie auf Gewährleistung seiner Selbstbehauptung. 156 b) Die Inhalte der Gewährleistungen Wie bereits dargelegt, stellt sich das Beweisverfahren für den Beschuldigten vor allem aus zwei Gründen als problematisch dar: Erstens ist sein Ausgang angesichts der vielfältigen Fehlerquellen häufig ungewiß und zweitens entfaltet es sich in dem besonderen Rahmen des Strafprozesses, welcher von den Beteiligten juristischen Sachverstand (sowohl hinsichtlich des die Beweisgegenstände determinierenden materiellen Rechts als auch hinsichtlich der Verfahrensregeln) und forensische Erfahrung verlangt. Die Unsicherheit des Beweisens bildet den Grund des Bedürfnisses nach Schutzvorkehrungen gegen fehlerhafte Verurteilungen und eröffnet der Selbstbehauptung des Beschuldigten besondere Spielräume. Beide Beschuldigteninteressen zielen daher zunächst in dieselbe Richtung, nämlich alles das, was dem richterlichen Urteilsspruch an Beweiserhebung und Beweiswürdigung vorausgeht, möglichst effektiv beeinflussen zu können. Die besondere Situation des Strafprozesses überfordert dabei allerdings den "normalen" Bürger, so daß ihm über die Gewährung entsprechender Mitwirkungsrechte hinaus auch aktive Hilfestellun154 Siehe auch § 2 11 C 3 a. ISS Siehe auch Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., vor § 128 Rdn. 65 ff. (1993). 156 Auch die prinzipielle Kritik an den Rechtsfiguren des Anspruchs auf ein faires Verfahren und des Rechtsstaatsprinzips sowie deren Handhabung durch das BVerfG (vgi. dazu etwa Dörr, Faires Verfahren (1984), S. 141 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip (1986), S. 457 Cf.) ist nicht gegen die Gewährung von Beschuldigtengrundrechten gerichtet, sondern will diese vielmehr gerade stärken.
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gen geleistet werden müssen, um Defizite in seiner Handlungskompetenz auszugleichen und ihm die effektive Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte zu ennöglichen. 157 Die grundrechtlichen Ansprüche des Beschuldigten auf Beteiligung am Beweisverfahren sind daher in zwei verschiedene Richtungen inhaltlich auszufüllen: sowohl in die umfassender Mitwirkungbefugnisse als auch in die fürsorglicher Unterstützung. IS8 Die Mitwirkungsbefugnisse müssen sowohl auf die Herstellung der durch die Beweismittel vermittelten empirischen Beweisbasis als auch auf deren schlußfolgernde Verarbeitung durch den Urteil er gerichtet sein. Das bedeutet, daß der Beschuldigte - zumindest im Grundsatz - ein verfassungsmäßiges Recht hat, bei der Beweisaufnahme anwesend zu sein, die von anderer Seite in das Verfahren eingeführten Beweismittel zu befragen, betrachten, untersuchen, durch Sachverständige untersuchen zu lassen etc., die Einführung weiterer Beweismittel zu verlangen oder diese selbst einzuführen sowie zu allen einzelnen Beweisergebnissen und zur Beweiswürdigung insgesamt umfassend Stellung zu nehmen. Wichtig ist, wie bereits erwähnt, insbesondere die Vollständigkeit dieser Befugnisse, da jeder einzelne Teil des Beweisverfahrens mit Fehlerquellen behaftet ist. Das BVeifG sieht dementsprechend einen wesentlichen Inhalt des allgemeinen Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, daß ein Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten darf, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten. t59 Die Forderung, den Beschuldigten an allen Beweiserhebungen und -verwertungen zu beteiligen, gilt außer157 Siehe auch § 2 11 B I a. 158 Das Schrifttum zu Art. 103 Abs. I GG unterscheidet demgegenüber drei "Verwirklichungsstufen" des rechtlichen Gehörs, die sich zum Teil mit den hier erarbeiteten Gewährleistungen überschneiden: Information - Äußerung - Berücksichtigung durch das Gericht (vgl. Degenhart, in: IsenseeIKirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts III (1988), § 76 Rdn. 19; Knemeyer, in: Isenseel Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts VI (1989), § 155 Rdn. 28; Rüping, in: Bonner Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 24 (1980); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Kommentar zumGG, Art. 103 Abs. I Rdn. 69(1988); Wassermann, in: AKzum 00 (1989), Art. 103 Rdn. 24ff.). Die "Information" gehört zum Bereich der fürsorglichen Unterstützung durch Schaffung von Transparenz, die "Äußerung" ist als Oberbegriff für alle Formen der Mitwirkung am Beweisverfahren selbst zu verstehen (vgl. Schmidt-Aßmann, a.a.O. Rdn. 80) und die "Berücksichtigung" in der Form einer expliziten Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Vorbringen bildet entweder - sofern es sich um Zwischenentscheidungen oder vorläufige Stellungnahmen handelt - ebenfalls einen Teil der Fürsorge durch Verfahrenstransparenz, oder - wenn es sich um die Endentscheidung selbst handelt - sie liegt außerhalb der eigentlichen Mitwirkung am Beweisverfahren und bedeutet dann eine besondere Anforderung an die Qualität der Urteilsfindung und -begründung. IS9 Vgl. etwa BVerfGE 64,135,144; 57, 250, 274; 6,12,14. S*
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dem nicht nur horizontal innerhalb der Hauptverhandlung, sondern auch vertikal durch das gesamte Verfahren hindurch. Werden etwa die Ergebnisse von Beweiserhebungen, welche ein Strafverfolgungsorgan in einem früheren Verfahrensstadium durchgeführt hat, ihrerseits als Beweise in die Hauptverhandlung eingeführt, so sind die Beteiligungsrechte des Beschuldigten nur dann gewahrt, wenn er diese in vollem Umfang bereits bei der ursprünglichen Beweiserhebung ausüben konnte. 16O Die Ansprüche des Beschuldigten auf fürsorgliche Unterstützung und Transparenz bilden den zweiten Bereich der Gewährleistung seiner Beteiligung am Beweisverfahren. Sie dienen dazu, die einzelnen Mitwirkungsrechte zu effektivieren. Das BVerfG leitet diese Ansprüche teils aus dem Recht auf ein faires Verfahren,161 teils aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit dem Gleichheitssatz l62 und teils aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör l63 ab; in der strafprozessualen Rechtsprechung und Literatur wird darüber hinaus häufig auch von einer allgemeinen "Fürsorgepflicht" gegenüber dem Beschuldigten gesprochen. l64 Wesentliche Inhalte sind das Recht auf Beistand eines Verteidigers,165 das Recht des mittellosen Beschuldigten auf finanzielle Unterstützung zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte l66 sowie zahlreiche Rechte auf Information und Transparenz des gerichtlichen Handeins (Akteneinsicht, Hinweise, Belehrungen, Einräumung ausreichender Vorberei-
160 Vgl. Schulz, Dikaio Kai Politiki 1983, 171 ff. Siehe auch § 2 11 C 3 b bb (1).
161 So etwa das Recht auf Verteidigerbeistand (vgl. BVerfGE 38, 105, 111) sowie das Recht des mittelIosen Beschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers (vgl. BVerfGE 39, 238, 243). Näher dazu Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990), S. 7 ff., 20 ff. m.w.N. 162 So das Recht des mittellosen Beschuldigten auf hinreichende Gleichstellung mit einem bemittelten Beschuldigten (vgl. BVerfGE 63, 380, 394 f.). 163 So etwa das Recht auf Akteneinsicht (vgl. BVerfGE 18, 399, 405). Näher dazu Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990), S. 29 f. 164 Vgl. dazu die Arbeiten von Kielwein, Prozessuale FUrsorgepflicht (1985); Kumlehn, Gerichtliche FUrsorgepflicht (1976); Plötz, Gerichtliche Fürsorgepflicht (1980). Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 182, bezeichnet die gerichtlichen Fürsorgepflichten als "eine vierte Stufe im Rahmen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs". Das BVerfG hat diesen Gedanken freilich bislang noch nicht weiter ausgearbeitet (vgl. Tettinger, FaimeB und Waffengleichheit (1984), S.17). 165 Eingehend dazu Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990). 166 Vgl. BVerfGE 81, 347, 356 f.; 63, 380, 394 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Kom-
mentar zum GO, Art. 103 Abs. I Rdn. 113 (1988).
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tungszeit etc.).167 Auch hier kommt es für den Beschuldigten auf Vollständigkeit an. Grundsätzlich müssen ihm alle Hilfen gewährt werden, die notwendig sind, damit er jedes einzelne Mitwirkungsrecht kompetent und eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Allerdings können die Rechte auf Unterstützung und Transparenz in dieser Arbeit nicht näher untersucht werden, da sie gegenüber dem Beweisantragsrecht einen weitgehend eigenständigen Bedeutungsgehalt aufweisen, der eine getrennte Untersuchung erfordern würde. Sie finden daher nur insoweit Berücksichtigung, als sie die Beurteilung einzelner Beweisantragsrechte besonders beeinflussen. Ihre generelle Bedeutung für die Gewährleistung der Verteidigungsrechte ist freilich nicht hoch genug einzuschätzen. Eine Einordnung allein unter das Sozialstaatsprinzip würde deshalb dem grundrechtlichen Abwehrcharakter dieser Ansprüche gegenüber der staatlichen Strafverfolgung nicht gerecht. l68 Keiner besonderen Erörterung bedarf schließlich auch das Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger. Unabhängig von der Einordnung seiner Stellung als einseitiger Interessenvertreter oder selbständiges Organ der Rechtspflege l69 liegt die Aufgabe des Verteidigers jedenfalls darin, Defizite des Beschuldigten bei der Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte auszugleichen. 170 Beschuldigter und Verteidiger müssen daher hinsichtlich des Beweisantragsrechts grundsätzlich als Einheit angesehen werden,171 was freilich nicht bedeuten soll, daß in einzelnen Fragen nicht doch zwischen den Akteuren differenziert werden muß, etwa wenn es darum geht, ob dem Beschuldigten ein prozessuales Fehlverhalten seines Verteidigers als eigenes zugerechnet werden kann. l72
167 Vgl. Kopp, AöR 106 (1981), 624f.; Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 182ff.; Roga/l, in: SK, StPO, vor § 133 Rdn. 116 (1987). 168 Siehe auch Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 233 f. Die Anbindung der Fürsorgepflichten an die individuellen Verteidigungsrechte betonen auch Kielwein, Prozessuale Fürsorgepflicht (1985), S. 105,167; Plötz, Gerichtliche Fürsorgepflicht (1980), S. 104 f. 169
Eingehend dazu Beulke, Verteidiger (1980).
170 Vgl. Beulke, Verteidiger (1980), S. 86. 171 Die Spruchpraxis der Straßburger Organe zur EMRK differenziert demgemäß bei der Gewährleistung der Verteidigungsrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK auch nicht zwischen Verteidiger und Beschuldigtem (vgl. Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990), S. 157 f., m.w.N.).
172
Dazu sogleich unter § 2 111 C 3 b bb (2).
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3. Einschränkungen der Beschuldigtengrundrechte auf Mitwirkung am Beweisveifahren durch kollidierende öffentliche Interessen a) Der allgemeine Rahmen der Interessenabwägung Die bisherigen Erörterungen haben ergeben, daß die Interessen des Beschuldigten auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung und auf Selbstbehauptung über die Verfahrenswirkungen der Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie durch Art. 103 Abs. 1 GG grundrechtlich abgesichert sind und - für sich betrachtet - zu umfassenden Ansprüchen auf Mitwirkung am Beweisverfahren einschließlich fürsorglicher Unterstützung und Transparenz führen. Auf der anderen Seite kollidieren diese Beschuldigteninteressen ab einem gewissen Punkt aber mit den öffentlichen Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung, denen nach Ansicht des BVerfG ebenfalls ein hoher verfassungsrechtlicher Rang zukommt. 173 Eine definitive Aussage über die verfassungsrechtliche Reichweite der Ansprüche des Beschuldigten auf Mitgestaltung des Beweisverfahrens kann daher erst nach einer Abwägung der widerstreitenden Interessen getroffen werden. Dafür ist zunächst die prinzipielle Einschränkbarkeit der betroffenen Beschuldigtengrundrechte näher zu betrachten. Hier ergeben sich auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Möglichkeiten. Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stehen jeweils unter einem Gesetzesvorbehalt, während Art. 103 Abs. 1 GG seinem Wortlaut nach keinerlei Beschränkungen erlaubt. Freilich haben Verfassungsrechtsprechung und -lehre sowohl Möglichkeiten der Beschränkung vorbehaltlos gewährter Grundrechte entwickelt als auch besondere Verhältnismäßigkeitsanforderungen an die Wahrnehmung von im Verfassungstext ausdrücklich vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten aufgestellt,174 so daß jedenfalls für die hier zu untersuchende Problematik die Ergebnisse sich von vornherein nicht wesentlich voneinander unterscheiden können. 17S 173 Vgl. BVerfGE 33, 367, 383, wo der vie1kritisiene Begriff der "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" geprägt wurde, sowie die zusammenfassenden Nachweise in BVerfGE 77, 65, 76. Näher dazu etwa Hassemer, StV 1982,275 ff.; Niemö/ler/Schuppert, AöR 107 (1982), 394 ff.; Spaniol, Recht auf Veneidigerbeistand (1990), S. 236 Cf., alle m.w.N. In neueren Entscheidungen des BVerfG wird dieser Begriff allerdings nicht mehr in seiner früheren pauschalen Form verwendet (vgl. etwa BVerfGE 80, 367, 375 f.). 174 Vgl. etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (1993), Rdn. 310 ff.; MaunYZippelius, Staatsrecht (1994), S. 143 Cf.; Pieroth/Schlinck, Grundrechte (1994), Rdn. 273 ff., 341 ff. 175
So auch ausdrücklich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (1993), Rdn. 317.
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Einen ersten, für alle Grundrechte gleichermaßen gangbaren Weg stellt die restriktive Auslegung des Schutzbereiches der betroffenen Verfassungsnorm dar. 176 Das BVerfG vertritt demgemäß etwa die Ansicht, daß Art. 103 Abs. 1 GG kein Recht auf ein bestimmtes Beweismittel oder auf bestimmte Arten von Beweismitteln gewähre,177 noch daß es dessen Sinn und Zweck sei, dem Beschuldigten Zugang zu polizeilichen Spurenakten zu erzwingen. 178 Allerdings lassen sich die in der Menschenwürde verankerten Beschuldigteninteressen auf diese Weise nicht aus dem Bereich der grundrechtlichen Gewährleistungen hinausdrängen. Art. 1 Abs. 1 GG bestimmt vielmehr seinerseits maßgeblich die Auslegung der Grundrechte 179 und verlangt gerade im Strafverfahren besondere Beachtung. Die erwähnten BVerfG-Entscheidungen erkennen daher ausdrücklich an, daß über den begrenzten Art. 103 Abs. 1 GG hinaus dem Beschuldigten ein im Strafprozeß besonders weitreichender grundrechtlicher Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet werde, welcher den Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung und die Gewährleistung der SubjektsteIlung mit aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen umfaßt. 180 Als zweite Möglichkeit könnte an die ausdrücklichen Eingriffsvorbehalte der Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG angeknüpft werden. Allerdings fallen die Verfahrensrechte des Beschuldigten nicht unmittelbar unter den einschränkbaren Bereich des Art. 2 GG. Sie bilden vielmehr über den Abwehranspruch hinausgehende, diesen ergänzende Gewährleistungen,181 die sich dem Schutzbereich-Eingriff-Schema entziehen. 182 Das BVeifG überprüft dementsprechend die Faimeß und Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens allein danach, ob die Belange des Beschuldigten und der Allgemeinheit in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden sind, ohne auf die besonderen Eingriffsvorbehalte zurückzugreifen. 183 Damit gelangt man freilich zu dem 176 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (1993), Rdn. 310. 177 BVerfGE 57,250,274. 178 BVerfGE 63,45,60.
179 Vgl. Häberle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts I (1987), § 20 Rdn. 11,58; MaunVZippelius, Staatsrecht (1994), S. 164, 166. 180 181 182 183
BVerfGE 57,250,274 f.; 63, 45, 60 f. Vgl. Pieroth/Schlinck, Grundrechte (1994), Rdn. 98 ff., insb. 106, 107 ff. Siehe auch Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand ~1990), S. 261.
Vgl. BVerfG NStZ 1984, 176; BVerfGE 63, 45, 68 f.; 57, 250, 282 ff.; 39, 156, 163. Siehe auch BVerfGE 38, lOS, 115 ff. (zum fairen Verfahren gegenüber einem Zeugen).
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allgemein anerkannten Grundsatz, daß jede Kollision von Verfassungsgütem in einer Weise gelöst werden muß, die beiden Gütern entsprechend ihrer Stellung in der grundrechtlichen Wertordnung gerecht wird, und auch ansonsten uneinschränkbare Grundrechte, wie etwa Art. 103 Abs. 1 GG, in derartigen Fällen Begrenzungen erfahren können. l84 Es spielt daher letztlich keine Rolle, ob man die grundrechtliche Gewährleistung der Beschuldigtenrechte bei Art. 2 oder bei Art. 103 Abs. 1 GG ansiedelt: In jedem Fall ist ihre Kollision mit den staatlichen Strafverfolgungsinteressen durch Herstellung einer "praktischen Konkordanz" aufzulösen, die beiden Seiten eine optimale Wirksamkeit beläßt. 185 Den Beschuldigteninteressen muß in dieser Abwägung ein sehr hohes Gewicht beigemessen werden. So ist das Interesse auf Schutz vor tatsächlich fehlerhafter Verurteilung tief in den fundamentalen Verfassungsprinzipien der Menschenwürde und des Rechtsstaats verankert. Dabei erhält die allgemeine rechtsstaatliche Forderung nach Verwirklichung materialer Gerechtigkeit l86 vor allem dadurch besondere Kraft, daß die Verhängung von Strafe nur dann mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist, wenn der Betroffene in persönlich verantwortlicher Weise eine mit Strafe bedrohte rechtswidrige Tat begangen hat l87 und die Strafe in einem gerechten Verhältnis zum Unwertgehalt der Tat steht. 188 Wird der Beschuldigte dagegen wegen etwas verurteilt, das er gar nicht getan hat, so stellt er - zumindest im Ergebnis - ein bloßes Objekt staatlichen Strafverfolgungseifers dar. Es mag daher schon fraglich erscheinen, wie ein Strafverfolgungssystem, das notwendig ein gewisses Fehlverurteilungsrisiko eingehen muß, überhaupt verfassungsrechtlich legitimiert werden kann. Jedenfalls dürfen die Verteidigungsrechte, soweit diese geeignet sind, den Beschuldigten vor Fehlurteilen zu schützen, nicht allein an dem staatlichen Bedürfnis nach einer funktional optimalen Strafverfahrensgestaltung ausgerichtet werden, sondern sie müssen vor allem dem individuellen Schutzbedürfnis des Beschuldigten gerecht werden. 184 Vgl. etwa BVerfGE 49, 24, 55 f. Zu entsprechenden Beschränkungen von Art. 103 Abs. 1 GG vgl. Rüping, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 61 ff. (1980); SchmidtAßmann, in: MaunVDürig, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. I Rdn. 16 ff. (1988). 185 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (1993), Rdn. 317 f. Speziell zum Strafverfahren Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), 151 f.
186 Vgl. BVerfGE 20,323,331. 187 Vgl. BVerfGE 25,269,285.
\88 Vgl. BVerfGE 50, 115, 133.
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Die Vereinbarkeit staatlichen Strafens mit der Menschenwürde trotz Fehlverurteilungsrisiko erscheint, wie Freund überzeugend dargelegt hat,189 allerdings erst dann wirklich abgesichert, wenn dieses Risiko durch Einräumung entsprechender Selbstbehauptungsmöglichkeiten des Beschuldigten kompensiert wird. So wie die Strafe auf der materiellrechtlichen Seite an die Eigenverantwortlichkeit des Rechtsunterworfenen anknüpft, muß sie dies auch im Verfahren tun. Ihre Legitimation liegt hier darin begründet, daß nicht nur der Staat hinreichende Anstrengungen für ein korrektes Verfahrensergebnis unternehmen muß, sondern auch der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, selbständig und eigenverantwortlich dem Anklagevorwurf entgegengesetzte Sachverhaltsalternativen vorzutragen und durch Beweise abzustützen. l90 Weil der Staat keine optimale Ausschöpfung und Bewertung aller Erkenntnisquellen garantieren kann, muß er dem Beschuldigten die Gelegenheit einräumen, in eigener Verantwortung alles nach seinen Kräften Mögliche dazu beizutragen. Über die allgemeine, für alle Verfahrensarten gültige Forderung nach Einräumung einer SubjektsteIlung mit aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen hinaus wird das Selbstbehauptungsinteresse im Strafverfahren daher auch durch die besonderen verfahrensrechtlichen Ausstrahlungen des Schuldprinzips gestützt. Eine Unterordnung unter staatliche oder gesellschaftliche Legitimationsinteressen, wie beispielsweise von Luhmann suggeriert,191 wäre verfassungsrechtlich nicht zulässig. 192 Bei schuldunabhängigen, allein für die Strafzumessung relevanten Tatsachenfeststellungen mag man deshalb zwar von einer geringeren Intensität der Gewährleistung ausgehen. 193 Soweit aber der Schuldspruch betroffen ist, reicht der Anspruch des Beschuldigten auf Beteiligung am Beweisverfahren an den Bereich des unverzichtbaren und uneinschränkbaren Menschenwürdegehalts der Grundrechte heran. l94 Allerdings müssen dem Gesetzgeber auch 189 Freund, Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987), S.64 ff., insbesondere S.69f. 190 Die Beweiswürdigung des Richters vollzieht sich im wesentlichen in der Form des Aufwerfens und Ausschließens von Sachverhaltsaltemativen (vgl. Freund, Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987), S. 23; Frisch. Karlheinz-Meyer-GS (1990), 554 ff.).
191 192 193 194
Siehe § 2 11 B 2 b. Vgl. auch Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1209 f. Siehe aber BVerfGE 70, 297, 308 zu Freiheitsentziehungen.
Das BVerfG hat einen solchen unantastbaren Grundrechtsbereich, der durch Art. 19 Abs. 2 GG sowie Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, insbesondere für das aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht anerkannt (zuletzt in der Tagebuchentscheidung BVerfGE 80, 367,
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insoweit gewisse Spielräume für die Ausgestaltung des Strafverfahrens zugebilligt werden. Im Gegensatz zur einseitigen Perspektive des Beschuldigten addieren sich die beiden unterschiedlichen Interessen auf Schutz vor Fehlverurteilung und auf Selbstbehauptung auf der verfassungsrechtlichen Ebene nicht zu einer Gesamtsumme, sondern sie überlagern sich, wie gezeigt, zu einem nicht unerheblichen Teil gegenseitig. Der Gesetzgeber kann daher durchaus unterschiedliche Akzente setzen und das Gewicht - wie in den kontinentaleuropäischen Amtsermittlungsverfahren - mehr auf die Qualität der amtlichen Wahrheitserforschung oder - wie in den angelsächsischen Parteienverfahren - mehr auf die Selbstbehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten legen. Im Ergebnis müssen jedoch beide Gesichtspunkte jeweils ausreichend berücksichtigt und Abstriche auf der einen Seite durch zusätzliche Gewährleistungen auf der anderen Seite ausgeglichen werden. Materiale und prozedurale Gerechtigkeit bilden die zwei Pole eines Kraftfeldes, dessen Gesamtstärke nicht unter einen bestimmten Wert absinken darf. 195 Mit den Beschuldigteninteressen kollidieren können zunächst Grundrechte Dritter,196 insbesondere derjenigen, welche sich selbst oder Gegenstände aus
ihrem Besitz als Beweismittel zur Verfügung stellen sollen. Diese Kollisionen weisen eine sehr unterschiedliche Intensität auf, bis dahin, daß beispielsweise durch die Offenlegung der Identität eines Zeugen dessen Leben gefahrdet werden kann. 197 Die hierzu erforderlichen Abwägungen sind deshalb sehr vielschichtig und liegen, wie bereits erwähnt, außerhalb des eigentlichen Themenbereichs dieser Arbeit. Für unsere Zwecke genügt daher die Feststellung, daß die Beweisführungsrechte des Beschuldigten hier ebenso an Grenzen gelangen können wie diejenigen der Strafverfolgungsorgane. Eine zentrale Bedeutung für das Beweisantragsrecht haben dagegen die öffentlichen Strafverfolgungsinteressen. Sie scheinen zunächst zwar auf einer geringeren verfassungsrechtlichen Stufe als die Grundrechte des Beschuldigten zu stehen, weil sie nur auf einer institutionellen Ebene angesiedelt werden
373 f.). Vgl. auch MaunllZippelius, Staatsrecht (1994), S. 148, 164 f.; PierothlSchlinck, Grundrechte (1994), Rdn. 332. 195 Allgemein zum Verhältnis von materialer und prozeduraler Gerechtigkeit Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 Cf. 196 Vgl. dazu Spaniol, Recht aufVerteidigerbeistand (1990), S. 264 f. 197 Vgl. etwa BVerfGE 57,250,284 f.
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können. 198 Gleichwohl erkennt ihnen das BVerfG in ständiger Rechtsprechung einen hohen Rang zu und verhilft ihnen auch gegenüber den Individualgrundrechten immer wieder zur Durchsetzung. l99 Zu den Beschuldigteninteressen stehen die öffentlichen Strafverfolgungsinteressen in einem besonders sensiblen Verhältnis. Auf der einen Seite setzt die Anerkennung staatlichen Strafens als legitimes Mittel der Stabilisierung der normativen Ordnung und des Rechtsgüterschutzes einen Vorrang der öffentlichen Interessen vor den Freiheitsinteressen des zu Bestrafenden voraus. 2OO Dessen Grundrechte können daher nur zur Begrenzung der staatlichen Strafgewalt führen, dürfen jedoch die gleichmäßige, vom Verhandlungsgeschick der konkreten Prozeßbeteiligten weitgehend unabhängige201 Durchsetzung des materiellen Strafrechts nicht generell verhindern. Auch kann die Verurteilung eines Straftäters überhaupt nur dann gerechtfertigt werden, wenn damit eine präventive, dem Gemeinwohl dienliche Wirkung verbunden ist, und diese Präventionseffizienz setzt ihrerseits voraus, daß Straftäter allgemein mit einem hohen Verurteilungsrisiko rechnen müssen. 202 Auf der anderen Seite sind aber, wie gezeigt, gerade im Strafverfahren die Gefahren für die Freiheitsrechte der Bürger besonders groß, so daß besonders starke Sicherungen gegen staatlichen Machtmißbrauch und Fehlurteile eingebaut werden müssen. Die dem Gesetzgeber für die Gestaltung der Beteiligungsrechte des Beschuldigten im Beweisverfahren verbleibenden Spielräume sind daher insgesamt nur gering. 203 Es müssen Lösungen gefunden werden, welche die Interessen beider Seiten möglichst optimal zur Geltung bringen. Weder darf dem Beschuldigten die Möglichkeit der effektiven Mitwirkung an allen Beweisphasen völlig abgeschnitten werden204 - dann wäre der unantastbare Bereich seiner Menschenwürde bedroht -, noch darf die Durchführung des Strafverfah198 Näher zur Verankerung der "funktionstüchtigen Strafrechtspflege" im GG Kunig, Rechtsstaatsprinzip (1986), S. 443 ff. Vgl. auch Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß (1984), S. 333 f. 199 Vgl. etwa BVerfGE 80, 367, 375 f.; 77, 65, 75 ff.; 49, 24, 55 ff. 200 Nach den Schwangerschaftsabbruchs-Entscheidungen BVerfGE 39, 1,45 ff., und BVerfGE 88, 203, 257 f., kann der Staat in besonderen Fällen sogar zum Einsatz des Strafrechts verpflichtet sein. 201 Vgl. Volk, Wahrheit (1980), S. 17. 202 Vgl. Schünemann, Pfeiffer-FS (1988),469. 203 Siehe auch Sax, in: Die Grundrechte 3.2 (1959), S. 969 f. 204 So auch Schmidt-Aßmann, in: MaunzIDUrig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 19 (1988), zum rechtlichen Gehör.
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rens von ihm durch Ausnutzung seiner Verfahrensrechte verhindert werden können - dann wäre die Wirksamkeit und damit auch die Legitimation staatlichen Strafens insgesamt gefährdet. 2os Die Beschränkungen der Beteiligungsrechte des Beschuldigten müssen daher in einem Bereich liegen, in welchem die Möglichkeit der Einflußnahme nicht als solche versperrt, aber ihre Wahrnehmung an bestimmte Voraussetzungen gebunden wird, die der Verteidigung die Verwendung von Obstruktionstaktiken spürbar erschweren. Insbesondere ist es - vielleicht abgesehen von eher marginalen Strafzumessungsfragen - nicht möglich, ein Beweisbegehren allein deshalb abzulehnen, weil seine Erfüllung zu teuer oder zu zeitaufwendig wäre. 206 Zwar setzt eine auch nur einigermaßen effektive Strafverfolgung zwingend voraus, daß der für die einzelnen Verfahren erforderliche Aufwand überschaubar und finanzierbar bleibt, weshalb prinzipiell Abstriche in der Qualität des Beweisverfahrens hinzunehmen sind. Die daraus folgende Erhöhung des Fehlverurteilungsrisikos ist dem konkret Beschuldigten gegenüber jedoch nur dann zu legitimieren, wenn dieser die Möglichkeit hat, Versäumnisse der amtlichen Sachverhaltsaufklärung durch eigene Beweisbeiträge auszugleichen. Versperrt man auch diese Möglichkeit aus rein fiskalischen Gründen, so würde der Beschuldigte in einem mit seiner Menschenwürde nicht mehr vereinbaren Maße instrumentalisiert werden. Der Staat steht daher in solchen Fällen nur vor der Wahl, entweder den Aufwand der Beweiserhebung zu tragen (sofern nicht etwaige Kosten auf den Beschuldigten abgewälzt werden können) oder den Beschuldigten so zu behandeln, als sei der begehrte Beweis gelungen. Die Beweisanträge des Beschuldigten können daher grundsätzlich nur nach anderen, unmittelbar sachbezogenen formellen oder materiellen Kriterien begrenzt werden. Dabei müssen sich die Gerichte freilich, wie noch zu zeigen sein wird, auf schwierige Beweisprognosen einlassen, die in Grenzfällen zu erheblichen Unsicherheiten und Belastungen führen, weil auch sehr fragwürdigen und fernliegenden Beweisbehauptungen nur selten die Erfolgsaussicht und Entscheidungsrelevanz völlig abgesprochen werden kann. Um die Interessen der öffentlichen Strafverfolgung in solchen Fällen überhaupt wahren zu können, ist es dann aber unvermeidbar, bei feststehender geringer Erfolgsaussicht und/oder Entscheidungsrelevanz des begehrten Beweises die Wirtschaft20S Vgl. BVerfGE 51,324,344; 39, 156, 163. Siehe auch Krey, Strafverfahrensrecht 2 (1990), Rdn.263.
206 Siehe auch Gollwitzer, Kleinknecht-FS (1985), 158 Cf.; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn.132.
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lichkeit und Beschleunigung des Verfahrens als sekundäre Abwägungsfaktoren heranzuziehen. Auch darf in einem gewissen Rahmen das Ausmaß der drohenden Strafe berücksichtigt werden, wenngleich bereits die Androhung einer Kriminalstrafe als solche das Gewicht der Beschuldigteninteressen sehr schwer werden läßt. 207 Jedoch finden alle diese verfahrensökonomischen Kriterien dort eine klare Grenze, wo der begehrte Beweisbeitrag sich substantiell auf das Verfahrensergebnis auswirken könnte. Soweit Einschränkungen zulässig sind, muß weiterhin sichergestellt werden, daß die Beurteilung ihrer Voraussetzungen nach möglichst objektiven Kriterien erfolgt und nicht allein der subjektiven Überzeugung eines möglicherweise befangenen Richters überantwortet wird. 208 Schließlich kann auch dann leicht ein kritischer Punkt überschritten werden, wenn sich mehrere - für sich betrachtet jeweils zulässige - Einschränkungen insgesamt zu einer solchen Summe addieren, daß eine effektive Verteidigung kaum noch möglich ist. Die folgenden Ausführungen zu einzelnen Beschränkungsformen stehen deshalb unter dem Vorbehalt, daß eine konkrete verfassungsrechtliche Beurteilung bestimmter Regelungen nur anhand einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Beweisverfahrens möglich iSt. 209 b) Einzelne Formen der Beschränkung aa) Materielle Beschränkungen
Die Mitwirkung des Beschuldigten am Beweisverfahren darf auf solche Beiträge beschränkt werden, die in irgendeiner sachlich sinnvollen Weise auf den Prozeßstoff einwirken. 210 Soweit es um den Schutz vor ungerechtfertigter Verurteilung geht, versteht sich das, wie bereits erwähnt, von selbst. Aber es 207 Die Erleichterung der Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 OWiG sowie nach § 384 Abs.3 StPO und dem durch das VerbrechensbekämpfungsG 1994 neugeschaffenen § 420 Abs. 4 StPO (siehe dazu § 4 IV E) ist daher verfassungsrechtlich prinzipiell zulässig. Sehr viel problematischer erscheinen demgegenüber Versuche, diese Lockerungen des Beweisantragsrechts auf alle Strafsachen vor den Amtsgerichten auszudehnen (siehe dazu § 7 11). 208 Diese Problematik stellt sich insbesondere im deutschen Amtsermittlungsverfahren. Eingehend dazu unter § 3 III 2 b. 209 Dies ist auch die Haltung des BVerfG (vgl. BVerfGE 63,45,61; 57, 250, 275 f.). 210 So wird von den Kommentatoren des Art. 103 Abs. 1 00 anerkannt, daß das Recht des Betroffenen auf Äußerung im Prozeß unter dem Grundsatz potentieller Erheblichkeit steht (vgl. etwa Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 162; Schmidt-Aßmann, in: Maunz! Dürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 15,86 (1988), beide m.w.N.).
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ist auch ohne weiteres einsichtig, daß dem Selbstbehauptungsdrang des Beschuldigten insoweit ebenfalls Grenzen gesetzt werden. Staatliches Strafen setzt notwendig voraus, daß der Bürger auf - zwar nicht unbegründeten, aber auch noch nicht endgültig abgeklärten - Verdacht hin in ein Strafverfahren hineingezogen wird, welches seine Schuld oder Unschuld wegen einer konkret bezeichneten Tat zum Gegenstand hat. Erkennt man die Hinnahme dieser Belastung als notwendige und zumutbare Bürgerpflicht an, so muß man auch akzeptieren, daß ein Beschuldigter zu seiner Verteidigung nicht alles Beliebige anführen darf, sondern sich an den konkreten Prozeßgegenstand zu halten hat. Die möglichen Arten materieller Beschränkung ergeben sich aus dem Ablauf des Beweisvorgangs selbst. Bei diesem werden aus einem konkreten Beweismittel Informationen erlangt, aufgrund derer man mittels Erfahrungssätzen Schlußfolgerungen auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Tatsachen zieht - mittels derer man beim Indizienbeweis wiederum neue Schlußfolgerungen auf andere Tatsachen ziehen kann -, um schließlich diese Tatsachen unter die anzuwendenden Rechtssätze zu subsumieren. Ein konkreter Beweisbeitrag kann sich an jeder einzelnen Stufe als sinnlos erweisen: 211 Das gewünschte Beweismittel ist unerreichbar; die erhoffte Information ist aus dem Beweismittel überhaupt nicht zu erlangen oder so unzuverlässig, daß sie nicht zum Ausgangspunkt einer sinnvollen Schlußfolgerung gemacht werden kann; die beabsichtigte Schlußfolgerung ist logisch unmöglich oder kann nicht auf einen ausreichend gesicherten Erfahrungssatz gestützt werden; das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsache läßt sich auch ohne aufwendiges Beweisverfahren aus leicht zugänglichen, sicheren Erkenntnisquellen (Offenkundigkeit) feststellen, ist bereits mit den bisherigen Beweisen sicher festgestellt oder wird dem Beschuldigten vom Urteil er als wahr zugestanden; und schließlich: Die Tatsache kann nicht unter den anzuwendenden Rechtssatz subsumiert werden. So sehr es freilich einleuchtet, daß in derartigen Fällen bereits der Versuch der Beweisführung einen unnötigen Aufwand bedeutet, so schwer ist es doch in der Praxis, das Scheitern des Beweises mit der erforderlichen Gewißheit vorauszusagen. Tatsächlich ergibt sich hier in den meisten Fällen ein unlösba211 Eine vergleichbare Übersicht über mögliche materielle Beschränkungen der Beweisführung, allerdings unter dem wesentlich engeren Blickwinkel der richterlichen Aufklärungspflicht und der autonomen Beweisvorführungsrechte des Beschuldigten im deutschen Strafverfahren, gibt Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 29 CC., 59 ff.
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res Problem. Auf der einen Seite soll dem Urteiler, bevor dieser die Beweiswürdigung mit seinem subjektiven Machtspruch entscheidet, eine objektiv möglichst vollständige und von allen Seiten beleuchtete Beweisbasis vorliegen - auf der anderen Seite ist die Prognose, daß ein bestimmter Beweisbeitrag keinen Sinn machen wird und deshalb gar nicht erst vor den Urteiler gelangen sollte, mit einer starken subjektiv-dezisionistischen Komponente belastet. Nimmt man das Selbstbehauptungsrecht des Beschuldigten ernst, so dürfen seine Beweisbegehren nicht schon deshalb abgelehnt werden, weil sie aus der subjektiven Perspektive eines anderen als unsinnig erscheinen, sondern erst dann, wenn aus überhaupt keinem denkbaren Blickwinkel mehr ein sachlicher Beitrag zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu erwarten iSt. 212 Angesichts der prinzipiellen Unsicherheiten des Beweisens steht aber ein solcher, objektiv eindeutiger Maßstab für das konkrete Beweisbegehren häufig gar nicht zur Verfügung. So läßt sich etwa die Frage der Erreichbarkeit eines Zeugen angesichts der modernen Kommunikations- und Transportmittel regelmäßig erst dann einigermaßen zuverlässig beantworten, wenn man es tatsächlich ernsthaft versucht hat, ihn aufzufinden und beizubringen, und die Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder die Zuverlässigkeit eines behaupteten Erfahrungssatzes kann häufig überhaupt nicht nach gesicherten wissenschaftlichen Kriterien beurteilt werden. 213 Außerdem darf auch der emotionale, irrationale Teil der richterlichen Überzeugungsbildung nicht völlig außer Betracht bleiben. Wenn der Beschuldigte schon einem rational nicht vollständig kontrollierbaren, subjektiven Machtspruch unterworfen wird, dann muß er prinzipiell das Recht haben, sich auch auf dieser Ebene selbst zu behaupten. So kann es beispielsweise für die richterliche Einschätzung der Indizwirkung einer Tatsache einen großen Unterschied machen, ob diese Tatsache lediglich als wahr unterstellt oder von einem glaubwürdigen Zeugen, der bei allen Beteiligten einen sehr guten Eindruck hinterläßt, ausführlich dargelegt und gegenüber kritischen Fragen und Einwänden überzeugend verteidigt wird. 214 Und schließlich kann auch die wechselseitige Verschlingung von Sachverhaltsfeststellung und Normanwendung in kritischen Fällen zu Schwierigkeiten bei der Vorwegbeurteilung der Subsumtionsfähigkeit einer abstrakten Tatsache, deren konkrete Be212 So für Art. 103 Abs. I GG auch Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 162. 213 Zu den Problemen der Antizipation von Indizienbeweisen siehe auch J. Kühl, Prozeßgegenstand und Beweisthema (1987), S. 77 f. 214 Siehe § 4 IV D 3 bund c.
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gleitumstände nicht weiter bekannt sind, unter die anzuwendende Norm führen. Sieht man deshalb aber eine materielle Beschränkung der Beweisbeiträge des Beschuldigten nur in den seltenen Fällen als verfassungsrechtlich zulässig an, in denen eine sachlich sinnvolle Einwirkung auf den Beweisstoff nach einem objektiven Maßstab von vornherein völlig ausgeschlossen werden kann, so wäre dem öffentlichen Bedürfnis nach Begrenzung der allzu weiten Handlungsspielräume des Beschuldigten kaum Rechnung getragen, und die gegenwärtige Praxis des deutschen Beweisantragsrechts müßte vermutlich zu einem großen Teil als verfassungswidrig bezeichnet werden. Das öffentliche Interesse verlangt jedoch deutlich stärkere Eingriffe in die Rechtssphäre des Beschuldigten; insbesondere kann keine beliebige zeitliche und finanzielle Ausdehnung der Strafverfahren hingenommen werden. So hat auch das BVerfG in der V-Mann-Entscheidung zu erkennen gegeben, daß die öffentlichen Strafverfolgungsinteressen in besonderen Fällen auch unbestritten wichtige Beweisbeiträge des Beschuldigten einschränken können. 21S Erforderlich ist daher jeweils eine konkrete Abwägung. Dabei können die genannten materiellen Kriterien auch zu einer Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Beweisgelingens und den Beweiswert des begehrten Beitrages verwendet werden. In vielen Fällen wird diesem zwar nicht jede sachliche Berechtigung abgesprochen, aber doch die von ihm maximal zu erwartende Beweiswirkung objektiv einigermaßen zuverlässig begrenzt werden können. Wichtig sind dafür nicht nur die Art und der Inhalt des begehrten Beweises, sondern auch dessen Stellung innerhalb der sonstigen Beweislage sowie die Verfügbarkeit von Ersatzbeweisen. Für die Abwägung selbst ist zunächst auf die zuvor dargelegten allgemeinen Grundsätze zu verweisen. Das Gewicht der Beschuldigteninteressen ist danach so stark, daß ab einer gewissen Mindestwahrscheinlichkeit des Gelingens und ab einem gewissen Mindestwert des erstrebten Beweises ein Begehren grundsätzlich nicht mehr zurückgewiesen werden darf. Materielle Beschränkungen, die nicht auf einen zweifelsfreien Mangel an Sachlichkeit abstellen, sind daher in aller Regel nur in einem engen Bereich objektiv nahezu aussichtsloser oder marginaler Beweisbegehren zulässig oder dort, wo der Verweis auf leichter verfügbare Ersatzbeweise oder die Wahrunterstellung einer Tatsache höchstens mit geringen Nachteilen ver215 Vgl. BVerfUE 57, 250, 284 ff., wo die Geheimhaltung der Identität und des Aufenthaltsortes von V -Leuten durch die Polizei auch bei Beweisanträgen des Beschuldigten filr zulässig angesehen wurde.
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bunden ist. Und auch hier muß weiter abgewogen werden. So darf etwa eine zusätzliche Frage an einen im Gerichtssaal anwesenden Zeugen nur unter sehr viel engeren Voraussetzungen abgelehnt werden als der Antrag auf Einholung eines teueren und langwierigen Sachverständigengutachtens, und in einem Verfahren wegen Mordes muß auch wenig aussichtsreichen oder marginalen Beweisbegehren sehr viel umfassender nachgegangen werden als in einem Verfahren wegen Ladendiebstahls. Werden dagegen auch solche Beweisbeiträge ausgeschlossen, die beispielsweise das Ergebnis einer komplizierten Indizienabwägung zum Kippen bringen könnten, so müßte das daraus resultierende Fehlverurteilungsrisiko legitimiert werden, obwohl dem Beschuldigten die Möglichkeit, die Verurteilung durch eigene Initiativen abzuwenden, gerade nachhaltig beschnitten worden ist. Daß eine solche Legitimation möglich ist, erscheint aber nahezu ausgeschlossen, selbst wenn sehr dringende öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen. bb) Zeitliche Beschränkungen ( 1) Einschränkung der Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren
Alle modemen Verfahrensordnungen gliedern das Strafverfahren in verschiedene Abschnitte, wobei der Phase, in welcher über die Strafbarkeit des Beschuldigten entschieden wird, regelmäßig eine davon deutlich abgetrennte Phase der Ermittlung und StoffsamrnIung durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Untersuchungsrichter etc. vorausgeht. 216 Prima facie erscheint es deshalb durchaus sachgerecht, das förmliche Beweisverfahren auf die Entscheidungsphase zu konzentrieren und dem Beschuldigten dort alle Beteiligungsrechte einzuräumen, während man im Ermittlungsverfahren die Strafverfolgungsbehörden davon weitgehend unbehelligt läßt, damit sie ungehindert das Beweismaterial aufspüren und für die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht sichern können. 217 Das BVerfG hat demgemäß auch deutlich betont, daß die Hauptverhandlung die alleinige Erkenntnisgrundlage der Urteilsfindung und deshalb das Kernstück des deutschen Strafverfahrens darstelle, wäh-
216 Näher dazu unter § 3 11 B 2 a. 217 Vgl. etwa Eroesti, JR 1982, 222. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung der Ermittlungen gegenüber dem Beschuldigten betont auch BVerfG NStZ 1984,228 (Nr. 20). 6 Perron
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rend alle vorhergehenden Verfahrensabschnitte von untergeordneter Bedeutung seien. 218 Auf der anderen Seite ist es heute aber gesicherte Erkenntnis, daß bereits im Ermittlungsverfahren wesentliche Entscheidungen und Festlegungen getroffen werden, die entweder das Verfahren schon in diesem Stadium beenden oder jedenfalls später kaum noch zu korrigieren sind. 219 Zwar sieht das BVeifG bei Sanktionierungen, die allein auf der Grundlage des Ermittlungsverfahrens erfolgen, (§ 153a StPO, Strafbefehl), Mängel im Beweisverfahren durch die Freiwilligkeit der Unterwerfung als ausgeglichen an,22O doch haben auch die Beschuldigten, gegen die Anklage erhoben wird, einen Anspruch auf wiIIkürfreie Prüfung der Möglichkeit einer Vermeidung der Hauptverhandlung. 221 Jedenfalls kann nicht übersehen werden, daß das Ermittlungsverfahren die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung weitgehend vordeterminiert. Ein Ausschluß des Beschuldigten von den Beweiserhebungen des Ermittlungsverfahrens würde deshalb nicht nur dessen SubjektsteIlung und Selbstbehauptung in einer wichtigen Prozeßphase gefährden, sondern könnte auch dazu führen, daß ihm tatsächlich bestehende Möglichkeiten der Erschütterung von Belastungsbeweisen oder des Auffindens und Einbringens von Entlastungsbeweisen verschlossen bleiben. Die grundrechtlichen Gewährleistungen der Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren erstrecken sich daher prinzipiell auch auf das Ermittlungsverfahren. 222 Allerdings sind für die Abwägung mit den öffentlichen Interessen zusätzliche Gesichtspunkte zu beachten. So bleibt, dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung immer noch die Möglichkeit, nachträglich auf Fehler hinzuweisen, und das Gericht kann den Umstand, daß der Beschuldigte und sein Ver218 BVerfGE 39, 156, 167 f. Siehe auch BVerfGE 74, 358, 372 f. Kritisch zur Rechtsprechung des BVerfG Egon Müller, Koch-FG (1989), 192; Richter 11, StV 1985, 382 f. 219 Näher dazu unter § 3 III C 1. 220 Zum Strafbefehl vgl. BVerfGE 25, 158, 165; 3,248,253. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von § 153a StPO wird implizit unterstellt in BVerfGE 74, 358, 372; 50, 205, 214. 221 Vgl. Faller, Maunz-FG (1971), 81. Allerdings ist die Entscheidung des Staatsanwalts, keine Einstellung nach den §§ 153, 153a StPO zu verfügen und keinen Strafbefehl zu beantragen, nach ganz h.M. vom Beschuldigten nicht anfechtbar (vgl. Rieß, in: LR, StPO, § 153 Rdn. 35 f., 78, 92, § 153a Rdn. 86, 103, 110 (1985); Fischer, in: KK, StPO (1993), § 407 Rdn. 6). 222 Für Art. 6 EMRK hat dies die EKMR in ihrem Bericht an den EGMR im Fall Can, EuGRZ 1986, 276, 277, ausdrücklich anerkannt. Siehe auch Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S.64 ff.; Egon Müller, Koch-FG (1989), 195 ff.; derselbe, NJW 1976, 1067; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 257 f.
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teidiger von der wesentlichen Phase einer konkreten Beweiserhebung ausgeschlossen waren, in der Beweiswürdigung entsprechend berücksichtigen. 223 Auch geht nicht von jeder Untersuchungshandlung ein gleichmäßig starker Einfluß auf die spätere Hauptverhandlung aus, und schließlich hängt die verfahrensdeterminierende Bedeutung der amtlichen Ermittlungen auch sehr stark von der generellen Struktur und konkreten Ausgestaltung der Hauptverhandlung sowie von dem rechtlichen und tatsächlichen Stellenwert eigenständiger Gegenermittlungen der Verteidigung ab. 224 Außerdem darf nicht verkannt werden, daß eine sachgerechte Aufklärung von Straftaten ohne ausreichende Bewegungsfreiheit der Ermittlungsbehörden und ohne anfängliche Geheimhaltung der Ermittlungsergebnisse gegenüber dem Verdächtigten nicht möglich ist. 225 Alle diese spezifischen Abschwächungen des Schutzbedürfnisses des Beschuldigten einerseits und Verstärkungen der öffentlichen Strafverfolgungsinteressen im Ermittlungsverfahren andererseits ändern jedoch nichts daran, daß auch hier jegliche Beschränkung oder Nichtgewährung von Mitwirkungsbefugnissen gegenüber dem Beschuldigten durch eine konkrete Verhältnismäßigkeitsabwägung legitimiert werden muß.226 Kommt es zum Konflikt, etwa weil ohne Geheimhaltung eine sinnvolle Aufklärung nicht möglich ist, dadurch aber andererseits die Beweisgewinnung möglicherweise mit Fehlern belastet wird, die später nicht mehr ausreichend korrigiert werden können,227 so haben die Beschuldigteninteressen im Zweifel den Vorrang. Die Ermittlungsbehörden müssen dann vor die Wahl gestellt werden, entweder den Beschuldigten oder seinen Verteidiger an der Beweiserhebung zu beteiligen oder auf den Beweis zu verzichten. Einen wichtigen Versuch der Markierung des kritischen Grenzbereichs stellt insoweit die V-Mann-Entscheidung des BVerfG dar, auch wenn dort der Fähigkeit der deutschen Richter, den Be223 Zu optimistisch ist allerdings die Einschätzung der Korrekturmöglichkeiten in der Hauptverhandlung durch BVerfG NStZ 1984,228,229 (Nr. 21). 224 225
Siehe dazu § 3 11 C 3.
226 227
Wie hier Spaniol, Recht aufVeneidigerbeistand (1990), S. 258.
Dies wird auch von vielen Befürwonem der Ausdehnung der Veneidigungsrechte im deutschen Ermittlungsverfahren anerkannt (vgl. Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 195; Egon Müller, AnwBI1986, SI; Nelles, StV 1986,74; Rieß, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz (1977),396; Spaniol, Recht aufVeneidigerbeistand (1990), S. 258). Den Zusammenhang zwischen Aufklärungseffizienz und Fehleranfälligkeit im Ermittlungsverfahren betont auch Nelles, StV 1986,74. 6'
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weis wert derart unzuverlässiger Beweise richtig einzuschätzen, ein allzu großes Vertrauen entgegengebracht wird. 228 Das Recht des Beschuldigten auf Mitwirkung am Beweisverfahren kann somit im Ermittlungsverfahren zwar stärker als in der Hauptverhandlung eingeschränkt, aber keinesfalls völlig aufgehoben werden. (2) Ausschlußfristenjür Beweisbegehren im Hauptverfahren
Insbesondere von lustizseite wird immer wieder der Wunsch vorgetragen, erst spät in der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge unter erleichterten Bedingungen ablehnen zu dürfen. 229 Tatsächlich liegt es unzweifelhaft im Interesse einer sachlich konzentrierten und beschleunigten Prozeßführung, den Beweisbegehren des Beschuldigten - nach Gewährung ausreichender Vorbereitungszeit - eine zeitliche Grenze zu setzen und damit die Verteidigung zu zwingen, ihre Karten frühzeitig auf den Tisch zu legen. Allerdings erhöht sich dadurch zugleich auch das Fehlverurteilungsrisiko, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Verteidigung es aus taktischer Fehleinschätzung oder schlichtem Unverstand heraus unterläßt, rechtzeitig auf wichtige Entlastungsbeweise hinzuweisen. 23o Dennoch kann einem Gesetzgeber, der nach Abwägung der Vor- und Nachteile zu dem Ergebnis gelangt, daß aus der Sicht der öffentlichen Strafverfolgung der positive Effekt der Verfahrensbeschleunigung überwiegt, nicht von vornherein entgegengehalten werden, seine Auffassung sei unvertretbar. 231 Ausschlußfristen für Beweisbegehren können durchaus ein geeignetes und - zumindest in bestimmten Fällen - auch erforderliches Mittel sein, um Prozeßverschleppungen wirksam zu begegnen. Entscheidend für ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist daher vor allem, ob sie einer Verhältnismäßigkeitsabwägung mit den Beschuldigtengrundrechten standhal228 BVerfGE 57, 250, 280 f., 283 ff. Sehr viel restriktiver äußerte sich zu dieser Problematik im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK inzwischen der EGMR in den Fällen Kostovski (Urteil vom 20.11.1989, AlI66, §§ 37 ff. - siehe dazu aber BVerfG NStZ 1991, 445, 446), Windisch (Urteil vom 27.9.1990, AlI86, §§ 22 ff.) und LUdi (Urteil vom 15.6.1992, A/238, §§ 42 ff.). 229 Zu entsprechenden Vorschlägen siehe § 7 11. Oe lege lata ist dieser Wunsch seit 1986 in § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG verwirklicht, doch wird dessen praktische Bedeutung durch eine allgemein sehr restriktive Auslegung erheblich eingeschränkt (vgl. Göhler, OWiG (1992), § 77 Rdn. 20, m.w.N.; siehe auch Leisner, Umfang der Beweisaufnahme (1992), S. 137 ff.). 230 Siehe auch Ben, NJW 1982, 734. 231 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maun:1lDUrig, Art. 103 Abs. I Rdn. 129 (1988): Der Gesetzgeber kann das Verfahrensrecht auch nach Gesichtspunkten prozeßtechnischer Zweckmäßigkeit ausformen.
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ten. Die folgenden Erörterungen zeigen insoweit allerdings nur einen allgemeinen Rahmen auf, in welchem sich die Ergebnisse der Abwägungen bewegen müssen. Für den Zivilprozeß erkennt das BVerfG derartige Regelungen ausdrücklich, aber ohne nähere Begründung, als verfassungs gemäß an,232 weist allerdings auch immer wieder auf ihren "strengen Ausnahmecharakter" hin. 233 Zum Strafprozeß fehlen angesichts der klaren Regelung des § 246 Abs. 1 StPO entsprechende gerichtliche Äußerungen,234 und im Schrifttum zu Art. 103 Abs. 1 GG wurde teilweise schon bezweifelt, ob eine Ausdehnung der zivilprozessualen Präklusionsvorschriften auf Gerichtszweige mit Amtsermittlungsverfahren, wie etwa die Verwaltungsgerichtsbarkeit, statthaft wäre. 235 Grundlage der Legitimation ist im Zivilprozeß neben dem öffentlichen Beschleunigungsinteresse vor allem die Subjektstellung und Selbstbehauptung des mündigen Bürgers im Verfahren, der es sich selbst zuschreiben muß, wenn er ausreichende Gelegenheiten für seine Beweisbegehren schuldhaft verstreichen läßt. 236 Wie gezeigt, ist auch im Strafverfahren die Selbstbehauptung des Beschuldigten anerkannt und sogar in besonderer Weise grundrechtlich abgesichert, weil die Strafverfolgungsorgane bei ihrer amtlichen Sachverhaltsaufklärung den Schutz vor Fehlverurteilungen nur unvollständig gewährleisten können. 237 Allerdings gefährden die Präklusionsvorschriften gerade diesen Schutz, denn auch der verspätete Beweisantrag kann die Unschuld erweisen. Die erste Voraussetzung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Präklusionsvorschriften im Strafprozeß ist daher, daß eine entsprechende Einschränkung des Anspruchs des Beschuldigten auf Schutz vor fehlerhafter Verurteilung überhaupt hingenommen werden kann.
232 Vgl. BverfGE 55,72,94; 54, 117, 123 f.; 36, 92, 98. Übersichten über die Rechtsprechung des BverfG geben LeibholdRinck/Hesselberger, 00, Art. 103 Rdn. 591 ff. (1994); Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl., § 296 Rdn. 8 ff. (1985). 233 Etwa BVerfGE 69, 126, 136; 60, 1,6; 59, 330, 334. 234 Siehe aber BVerfG StV 1992, 307 f., zu § 77 Abs. 2 Nr. 20WiG. 235 So Kopp, AöR 106 (1981), 631 Fn. 124. Inzwischen gelten freilich
§§ 87b Abs.3, 128a VwGO (vgl. dazu etwa die Kommentierung von Kopp, VwGO (1994), § 87b Rdn. 1). Siehe auch Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 130 (1988) m.w.N.
236 Vgl. Kopp, AöR 106 (1981), 631; Schmidt-Aßmann, in: MaunzIDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 122 (1988). Siehe auch Rüping, Rechtliches Gehör (1976), S. 146. 237 Siehe § 2 11 C 3 a
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Auch insoweit ist zunächst auf die früheren Erörterungen zu verweisen. 238 Schon die Existenz eines öffentlichen Strafverfolgungssysterns setzt voraus, daß gewisse Fehlverurteilungsrisiken in Kauf genommen werden, und seine funktionalen Erfordernisse können grundsätzlich auch weitere Belastungen des Beschuldigten rechtfertigen. Es ist daher nicht von vornherein auszuschließen, daß in bestimmten Situationen das Bedürfnis nach zeitlicher und wirtschaftlicher Begrenzung von Strafverfahren eine solche Dringlichkeit erhält, daß nicht alle möglichen Sicherungen für die Gewährleistung der Wahrheitsfindung aufrecht erhalten werden können. Freilich darf auch in diesen Situationen der Zusammenhang mit dem Recht des Beschuldigten auf Selbstbehauptung nicht übersehen werden. Fehlverurteilungsrisiken können, wie gezeigt, allein dadurch legitimiert werden, daß dem Beschuldigten ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, Defizite in der amtlichen Sachverhaltsaufklärung durch eigene Beweisbeiträge auszugleichen. Wird beispielsweise die gerichtliche Beweiserhebungspflicht dadurch beschränkt, daß späten Beweisanträgen und Beweisanregungen nicht mehr im gleichen Umfang wie rechtzeitigen Begehren nachgegangen werden muß,239 so muß die Verfahrensordnung dem Beschuldigten insbesondere eine ausreichende Vorbereitung der Hauptverhandlung ermöglichen, damit er über die Notwendigkeit des Vorbringens von Beweisbegehren bereits innerhalb der gesetzten Frist verantwortungsgerecht entscheiden kann. Präklusionsvorschriften passen deshalb sehr viel besser in ein System wie das des angelsächsischen adversatorischen Strafverfahrens, welches der Selbstbehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten von vornherein einen sehr viel höheren Stellenwert einräumt als das kontinentaleuropäische Amtsermittlungsverfahren. 24O Dennoch kann ihre generelle Zulässigkeit auch im deutschen Strafverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen werden, sofern die entsprechenden Bedürfnisse der Strafverfolgung groß genug sind und die gesteigerten Fehlurteilsrisiken durch entsprechend umfassende Verteidigungsrechte vor Fristablauf kompensiert werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG setzt die Zurückweisung eines konkreten Vorbringens als verspätet im Zivilprozeß voraus, daß der Betroffene ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt hatte und diese Gelegenheit
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Siehe § 2 11 C 3 asowie § 2 11 B 2 b. Zum Zusammenhang von Beweisantragrecht und Aufklärungspflicht siehe § 3 III B.
240 Zum Strafverfahren in den USA siehe § 6.
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schuldhaft verstreichen ließ.241 Die Übertragung dieser Grundsätze auf den Strafprozeß bereitet freilich Probleme. So hängt die Beantwortung der Frage, ob eine Gelegenheit ausreichend ist, wesentlich von der Struktur der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ab. Setzt man voraus, daß dort alle Beweise unmittelbar erhoben werden, so bieten sich im wesentlichen zwei Zeitpunkte für Ausschlußfristen an: die Vorbereitungsphase bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder der Schluß der Beweisaufnahme. Eine Ausschlußfrist bis spätestens zum Beginn der Hauptverhandlung hätte den Zweck, eine umfassende Vorbereitung und zügige Durchführung der Beweisaufnahme zu gewährleisten. Sie könnte etwa in der Weise angeordnet werden, daß die Verteidigung bis dahin alle Begehren, deren Umsetzung gerichtliche Aktivitäten (Beischaffung von Zeugen etc.) notwendig macht, vortragen und alle Beweise, die sie unmittelbar präsentieren will, kurzfristig verfügbar halten sowie eventuell auch dem Gericht und der Staatsanwaltschaft mitteilen muß.242 Eine so frühe Präklusion hätte auf der einen Seite in vielen Fällen sicherlich einen nicht unerheblichen Beschleunigungseffekt, sie würde andererseits aber auch zu besonderen Beeinträchtigungen in der Verteidigung führen. So müßte diese alle potentiellen Entlastungsbeweise (und Verteidigungseinreden) bereits zu einem Zeitpunkt angeben, an dem sie die Belastungsbeweise noch nicht aus eigener Anschauung kennt. Die Notwendigkeit eines konkreten Beweisbeitrages kann aber vielfach erst unter dem unmittelbaren Eindruck der für die Entscheidung maßgeblichen Beweisaufnahme sachgerecht beurteilt werden. Neben dem genauen Inhalt der Aussagen von Zeugen und Sachverständigen und deren konkreten Reaktionen auf kritische Gegenfragen ist u.a. auch die allgemeine Stimmung im Gerichtssaal nicht unerheblich. Die Verteidigung müßte deshalb eine Vielzahl potentieller Beweismittel (und Einreden) benennen oder bereithalten, um in der Hauptverhandlung eine sinnvolle Auswahl treffen zu können. Die Einhaltung einer solchen Ausschlußfrist setzt daher gründliche Vorarbeiten voraus. Der Verteidigung müßte es möglich sein, die Beweislage auch durch eigene Ermittlungen abzuklären und insbesondere wichtige Belastungszeugen persönlich zu befragen. Die bloße Einsicht in die Akten der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dürfte demgegenüber in 241
V gl. nur BVerfGE 36, 92, 98.
242 Vgl. etwa den Vorschlag von Gössel, Kleinknecht-FS (1985), 142 f.; derselbe, Gutachten C zum 60. DJT (1994), C 61 ff., der allerdings die PräJdusion bereits mit der Eröffnung des Hauptverfahrens eintreten lassen will (näher dazu unter § 7 IV B 2); sowie den Vorschlag der GroBen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, bei Kintzi, DRiZ 1994, 329 f. Ähnliche Präklusionsmodelle finden sich in vielen StrafprozeBordnungen der USA (siehe § 6 VB).
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vielen Fällen nicht ausreichen. Damit die Gelegenheit, bis zum Beginn der Hauptverhandlung Beweise zu benennen, im Hinblick auf das Selbstbehauptungsrecht des Beschuldigten als "ausreichend" angesehen werden kann, ist deshalb ein System erforderlich, in welchem die Rolle der Verteidigung sich nicht auf eine reagierende Kontrolle und Ergänzung der amtlichen Sachverhaltsaufklärung beschränkt, sondern von vornherein auf aktive Mitgestaltung der Beweisaufnahme gerichtet ist und in welchem auch die dafür erforderlichen rechtlichen und finanziellen Mittel bereitstehen. Aber auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, bedeutet die Pflicht zur frühzeitigen Offenlegung der Verteidigungsbeweise eine verfassungsrechtlich relevante Schwächung der Verteidigung. Trotz aller Vorbereitung können sich in der Hauptverhandlung überraschende Wendungen ergeben, welche die Einführung neuer Beweise erforderlich machen. Würden die Ausschlußfristen auch für solche Fälle gelten, so wäre das Recht des Beschuldigten auf verfahrensrechtliche Vorkehrungen gegen eine fehlerhafte Verurteilung in einer auch durch noch so starke Bedürfnisse der öffentlichen Strafverfolgung nicht aufzuwiegenden Weise verletzt. Präklusionsvorschriften, die bereits mit dem Beginn der Hauptverhandlung wirksam werden, müßten daher ausreichend großzügige Ausnahmen zulassen. Außerdem werden durch die Pflicht zur frühzeitigen Mitteilung der für die Hauptverhandlung vorgesehene Entlastungsbeweise und Einreden die in dem Selbstbehauptungsrecht enthaltene Waffengleichheit zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft sowie insbesondere der Schutzbereich des - ebenfalls grundrechtlich garantierten - Rechts auf Freiheit vor Selbstbelastungszwang 243 berührt. Hat nämlich die Staatsanwaltschaft die Befugnis, ihre Ermittlungen auch während des Hauptverfahrens weiterzuführen,244 so muß der Beschuldigte hinnehmen, daß die von ihm früh benannten Zeugen noch vor ihrer Aussage in der Hauptverhandlung vom Prozeßgegner vernommen und durch zusätzliche Ermittlungen überprüft werden, während ihm bzw. seinem Verteidiger für die Belastungszeugen keine vergleichbare Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die grundsätzliche Überlegenheit des staatsanwaltschaftli243 Vgl. BVerfGE 56, 37 41 ff.; sowie den Überblick bei Rogall, in: SK, StPO, vor § 133 Rdn. 130 ff. (1987). Die Beeinträchtigung dieses Rechts durch frühzeitige Offenlegungspflichten wird in den USA intensiv diskutiert (siehe § 6 V B 2). 244 So in Deutschland nach h. M. Vgl. etwa Wache, in: KK, StPO (1993), § 161 Rdn. 24 (unter Berufung auf BGH 1.2.1955, 1 StR 691/54); Rieft, in: LR, StPO, § 160 Rdn. 14 (1988), § 202 Rdn. 6 (1984); sowie eingehend Odenthai, StV 1991,441 ff.
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chen Ermittlungsapparats wird auf diese Weise in der Hauptverhandlung noch zusätzlich verstärkt, wodurch sich das Kräfteverhältnis nachhaltig zu Lasten des Beschuldigten verschieben kann. 245 Vor allem aber wird der Beschuldigte durch die Offenlegungspflicht unter Umständen dazu gezwungen, Beweise mit möglicherweise auch belastender Wirkung an die Staatsanwaltschaft auszuliefern, ohne daß er sich zuvor anhand des Verlaufs der Hauptverhandlung ein klares Bild über die Notwendigkeit, dieses Risiko einzugehen, machen konnte. Zwar liegt darin noch kein unmittelbarer Zwang zur Selbstbelastung, und auch ohne die Pflicht zur frühzeitigen Offenlegung wäre der Beschuldigte nicht völlig von derartigen Gefahren befreit. Dennoch setzt die Alternative, entweder auf potentielle Entlastungsbeweise von vornherein zu verzichten oder auf unkalkulierbare Weise zur eigenen Verurteilung beizutragen, den Beschuldigten unter einen besonderen Druck, der durchaus den Schutzbereich des "nemo tenetur se ipsum accusare" berührt. 246 Zusammenfassend läßt sich bereits auf dieser abstrakten Ebene sagen, daß Ausschlußfristen, die vor oder mit dem Beginn der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ablaufen, verfassungsrechtlich jedenfalls nur dann legitimiert werden können, wenn einerseits sowohl sehr zwingende Bedürfnisse der öffentlichen Strafverfolgung dies erfordern, als auch andererseits umfassende Vorkehrungen zum Ausgleich der für die Verteidigung daraus entstehenden Nachteile getroffen werden. Wesentlich unbedenklicher erscheinen demgegenüber Regelungen wie etwa der Vorschlag des Art. 3 Nr.4 c Rechtspflege-EntiastungsGE 1991, welche die Beweisbeiträge des Beschuldigten auf den Zeitraum bis zum förmlichen Abschluß der Beweisaufnahme durch das Gericht begrenzen. 241 Gegenüber dem geltenden deutschen Strafverfahrensrecht verliert die Verteidigung dadurch lediglich die Möglichkeit, auf die zusammenfassende Würdigung der Beweisaufnahme durch den Staatsanwalt sowie dessen Schlußanträge noch einmal mit Beweisanträgen, insbesondere in der Form von Hilfsbeweisanträgen, zu reagieren. Eine solche Beschränkung dürfte jedenfalls dann, wenn der Verteidigung eine angemessene Vorbereitung und Mitgestaltung der Beweis245 So warnt Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn.355, eindringlich vor einer vorzeitigen Auslieferung des Verteidigungsmaterials an Gericht und Staatsanwaltschaft.
246 Vgl. auch die Stellungnahme des 6. Strafverteidigertags zu den Vorschlägen der 52. Iustizministerkonferenz, StV 1982,302. Ebenso Ulsenheimer, AnwB11983, 379. 241 Ähnlich auch der Vorschlag des Freistaats Bayern zur 52. Iustizministerkonferenz, StV 1982,331. Vgl. auch Rebmann, NStZ 1984,246 f.; sowie § 711.
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aufnahme ennöglicht wird, zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung der Beschuldigtengrundrechte führen. Dem Beschuldigten (bzw. seinem Verteidiger) ist es durchaus zuzumuten, sich schon im Verlauf der Beweisaufnahme darüber klar zu werden, ob und welche Ergänzungen der Beweislage notwendig oder zweckmäßig sind. Die gegen eine solche Präklusion erhobenen Einwände betreffen daher auch weniger die Gefahr des Beweisverlustes als vielmehr die einer taktischen Schwächung der Verteidigung, welche im gegenwärtigen deutschen Strafprozeß häufig den Ernst ihrer Bemühungen, einen Freispruch zu erreichen, nicht durch umfangreiche Beweisaktivitäten zu Strafzumessungsfragen relativieren will und deshalb alle entsprechenden Begehren lediglich in der Fonn von an das Schlußplädoyer angehängten Hilfsbeweisanträgen vorbringt. 248 Damit ist jedöch keine spezifische Problematik der Präklusionsvorschriften angesprochen, sondern nur das allgemeine Erfordernis, daß die Selbstbehauptung des Beschuldigten im Beweisverfahren insgesamt ausreichend geWährleistet sein muß.249 Allerdings dürfte auch der verfahrensbeschleunigende Effekt einer derartigen Präklusionsvorschrift in einem System wie dem der deutschen StPO eher gering sein,250 so daß der geringeren Intensität des Eingriffs in die Beschuldigtengrundrechte auf der anderen Seite auch ein entsprechend geringerer öffentlicher Nutzen gegenübersteht. Hat der Beschuldigte eine verfassungsrechtlich zulässige Ausschlußfrist versäumt, so darf sein Begehren dennoch nicht zurückgewiesen werden, wenn ihm kein Verschulden zur Last fällt. Dabei kann als Maßstab die Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand herangezogen werden. 2S1 Diese ist generell sehr großzügig und betont, daß die Anforderungen sowohl dafür, was ein Prozeßbeteiligter zur Wahrung des rechtlichen Gehörs an Anstrengungen auf sich zu nehmen hat, als auch dafür, was er glaubhaft machen muß, damit eine Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen ist, nicht überspannt werden dürfen. 252 Kritisch dürften vor allem solche Fälle sein, in denen der Beschuldigte zwar glaubhaft versichert, daß er von der Existenz des Beweismittels erst 248 Vgl. Schult, StV 1991, 356, 358; Werle, JZ 1991,793 f.
249 250
Die Einwände selbst sind damit aber noch nicht entkräftet. Siehe auch § 4 IV B 2.
251
Vgl. Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl., § 296 Rdn. 86 (1985).
Weil die entsprechenden Beweisanträge dann bereits vor dem Schlußplädoyer, eventuell auch in unbedingter Form, gestellt werden (vgl. Schulz, StV, 1991,358; Werle, JZ 1991,794). 2S2 Vgl. BVerfGE 37, 93, 98; 25, 158, 166. Näher dazu Schmidt-Aßmann, in: MaunzIDürig, Kommentar zum GO, Art. 103 Abs.1 Rdn. 125 f. (1988), m.w.N.
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nachträglich erfahren hat, er diese Kenntnis bei eigener Nachforschung tatsächlich aber schon früher hätte erlangen können. 253 Läßt man für den Ausschluß bereits Fahrlässigkeit genügen, so bürdet man dem Beschuldigten eine Prozeßförderungspflicht auf, die auch eigenständige Verteidigungsermittlungen umfaßt. Dies ist zwar mit dem Anspruch des Beschuldigten auf Schutz vor Fehlverurteilung nicht prinzipiell unvereinbar, setzt aber ebenfalls einen hohen Stellenwert der Selbstbehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten innerhalb der Gesamtstruktur des Strafverfahrens voraus. Auch an dieser Stelle zeigt sich daher, daß ein System wie das deutsche, welches seine Legitimation mehr auf die Verpflichtung von Staatsanwaltschaft und Gericht zur Wahrheitsermittlung als auf die Eigenverantwortung des Beschuldigten stützt, für Präklusionsvorschriften wenig geeignet ist. Vom BVerfG für das Strafverfahren254 anerkannt ist inzwischen auch der Grundsatz, daß dem Beschuldigten bei der Versäumung von Fristen das Verschulden seines Anwalts nur zugerechnet werden darf, wenn ihn selbst insoweit ebenfalls ein Verschulden trifft, d.h. wenn er den Fehler des Anwalts hätte erkennen und verhindern können. 255 Da ein solches persönliches Verschulden des Beschuldigten in einem System, welches - auch - von der Unabhängigkeit und Handlungskompetenz der professionellen Verteidiger abhängt und die Festlegung der Verteidigungs strategie weitgehend in deren Hände legt, häufig kaum nachzuweisen sein wird, ist die Effektivität von Präklusionsvorschriften auch von dieser Seite her gefahrdet. Um eine routinemäßige "Flucht in das Verteidigerverschulden" zu verhindern, müßten daher als flankierende Maßnahmen besondere berufs- und standesrechtliche Sanktionen gegen Verteidiger vorgesehen werden. Eine solche Sanktionsdrohung könnte aber ihrerseits die Stellung der Verteidigung in verfassungsrechtlich erhebli253 Im Zivilprozeß ist die Zurückweisung dann zulässig; vgl. Leipold, in: SteinlJonas, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl., § 296 Rdn. 87 (1985). Für § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG, der eine Zurückweisung nur zuläßt, wenn für die Verspätung kein "verständiger GlUnd" vorliegt, hat BVerfG StV 1992, 307 f., darauf bestanden, daß einer Behauptung des Antragstellers, er habe die ladungsfähige Anschrift erst jetzt festgestellt, im Zweifel Glauben geschenkt und dem Beweisantrag stattgegeben werden müsse. 254 Im Gegensatz zu anderen Verfahrensarten (vgl. Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 110 (1988) m.w.N.). 255 BVerfG NJW 1991, 351, zur Versäumung der EinsplUchsfrist gegen einen Strafbefehl. Zuvor aus strafrechtlicher Sicht bereits BGHSt 14, 306, 308 (siehe auch Maul, in: KK, StPO (1993), § 44 Rdn. 30 f.); aus verfassungsrechtlicher Sicht Schmidt-Aßmann, in: MaunzIDürig, Kommentar zum 00, Art. 103 Abs. I Rdn. 11 0 (1988).
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cher Weise schwächen und müßte deshalb ebenfalls gegen die Beschuldigtengrundrechte abgewogen werden. Keine verfassungsmäßige Voraussetzung des Ausschlusses eines Begehrens wegen Verspätung im Zivilprozeß ist nach Ansicht des BVerfG, daß ohne die Zurückweisung sich das Verfahren tatsächlich verzögern würde. Art. 103 Abs. 1 GG setze nur voraus, daß der Betroffene hinreichend Gelegenheit gehabt habe, das Begehren vorzubringen. 256 Auch das BVerfG erkennt jedoch an, daß dem Beschuldigten im Strafverfahren über Art. 103 Abs. I GG hinausgehende Rechte zustehen, weshalb hierfür eigenständige Erwägungen anzustellen sind. Insbesondere müßte begründet werden, warum man dem Beschuldigten in diesem Fall ein erhöhtes Fehlverurteilungsrisiko aufbürdet, obwohl eine konkrete Verfahrensbeschleunigung damit nicht erreicht werden kann. Allerdings läßt sich ein gewisser präventiver Effekt auch solcher Zurückweisungen nicht leugnen, denn vor allem bei Verfahren mit mehreren Verhandlungstagen könnte für einen versierten Verteidiger die Versuchung groß sein, eine zu Beginn der Hauptverhandlung ablaufende Ausschlußfrlst erst einmal verstreichen zu lassen, um etwaige neue Beweise so rechtzeitig nachzuschieben, daß sie in den verbleibenden Terminen noch erhoben werden können. Es ist jedoch sehr fraglich, ob der Beschuldigte mit Sanktionen belastet werden darf, die nicht auf ihn selbst, sondern vor allem auf seinen Ver-teidiger abzielen. Wie bei der Zurechnung von Anwaltsverschulden müßte daher wohl eher auf spezifische Sanktionen gegen den Verteidiger ausgewichen werden. Schließlich wäre zu erwägen, ob der Anspruch des Beschuldigten auf Schutz vor Fehlverurteilung in besonderen Fällen nicht Ausnahmen von der Präklusion gebietet, etwa wenn Beweise von solcher Stärke angeboten werden, daß auch eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO zugelassen werden müßte. 257 Das BVerfG hat zwar bislang keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zur Gewährleistung der Wiederaufnahme zugunsten des Beschuldigten wegen neuer Beweise anerkannt, sondern nur das gel256 BVerfGE 55, 72, 94 f. Dagegen jedoch Leipold, in: Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 2l. Aufl., vor § 128 Rdn. 34a (1993). Sofern allerdings die zivilprozessuale Vorschrift ihrerseits eine tatsächliche Verzögerung verlangt, ist das Gericht verpflichtet, alles Zumutbare zu unternehmen, damit die Verzögerung vermieden werden kann (vgl. BVerfG NJW 1992, 299, 300; BVerfGE 81, 264, 273 f.). 257 Für die Wiederaufnahme ist unerheblich, ob der Verurteilte die Tatsachen oder Beweise bereits vor dem Erlaß des Urteils gekannt oder sie sogar absichtlich verschwiegen hatte (vgl. KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 359 Rdn.30). Ausdrücklich in diese Richtung Gösse~ Gutachten C zum 60. DJT, C 72, 77.
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tende Recht als verfassungskonfonn gebilligt. 258 Im Falle der schuldhaften Versäumung einer Ausschlußfrist innerhalb einer Tatsacheninstanz kann dem Schutzbedürfnis des Beschuldigten allerdings auch nicht das in der Wertordnung des GG sehr hoch angesiedelte Bedürfnis nach Rechtssicherheit, sondern nur das nach Verfahrensbeschleunigung entgegengehalten werden. 259 Es spricht daher einiges dafür, daß Beweisbegehren des Beschuldigten auch bei schuldhafter Fristversäumung und verfahrens verzögernder Wirkung nicht zurückgewiesen werden dürfen, wenn eine Abwägung ihres potentiellen Beweis werts ergibt, daß sie die Beweislage nachhaltig zugunsten des Beschuldigten verändern können. Alles in allem müssen bei der Einführung von Präklusionsvorschriften, jedenfalls wenn diese schon zu einem frühen Zeitpunkt in der Hauptverhandlung einsetzen, hohe verfassungsrechtliche Hürden überwunden werden. cc) Beschränkungen der Form
Es entspricht einem elementaren Bedürfnis nach Klarheit und Ordnung des Verfahrensganges, wenn man die Wirksamkeit der Beweisbegehren des Beschuldigten davon abhängig macht, daß diese in einer bestimmten Fonn vorgetragen werden. Auf der anderen Seite können zu hohe Anforderungen die Beweisführungsrechte aber auch substantiell verkürzen oder zumindest den Beschuldigten dazu zwingen, seine Beweisbeiträge umfassend vorzubereiten. Ähnlich den Präklusionsvorschriften sind fonnelle Beschränkungen der Beweisführungsrechte des Beschuldigten deshalb nur dann verfassungsrechtlich legitimierbar, wenn erstens durch ausreichende Hilfestellung gewährleistet ist, daß die Verteidigung die Anforderungen tatsächlich in zumutbarer Weise erfüllen kann, und zweitens materielle Sicherungen eingebaut werden, damit keine wichtigen Beweise wegen nichterfüllter Fonnanforderungen verloren gehen.
258 Vgl. BVerfG MDR 1975, 468, 469; BVerfGE22, 322, 329; 2,380,403. Die Bedeutung der Wiederaufnahme für die materielle Gerechtigkeit wird aber stärker betont in BVerfG NJW 1990, 3193,3194.
259 Gössel, in: LR, StPO, vor § 359 Rdn. 29 (1986), folgert als Konsequenz der Einführung von Präklusionsvorschriften die Notwendigkeit einer Erleichterung der Wiederaufnahme propter nova. Dagegen aber Jiirgen Meyer, Wiederaufnahmereform (1977), S. 46: Fehlerquellen des Grundverfahrens sollten unmittelbar dort beseitigt und nicht im Hinblick auf etwaige Wiederaufnahmemöglichkeiten in Kauf genommen werden.
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Einen praktisch sehr bedeutsamen Bereich fonneller Beschränkung bilden die Anforderungen an die Begründung der Beweisbegehren. Das BVerfG hat in der Spurenakten-Entscheidung ausdrücklich gebilligt, daß der Beschuldigte dem Gericht gewisse Mindestinfonnationen mitteilen muß, bevor er eine bestimmte Sachverhalts aufklärung verlangen kann. 260 Anders wäre eine inhaltliche Beschränkung der Beweisaufnahme auf den Prozeßgegenstand auch gar nicht möglich, sondern der Beschuldigte könnte in jedem Verfahren die Beweisaufnahme durch beliebig viele Beweisbegehren praktisch unbegrenzt ausdehnen. Es leuchtet daher ohne weiteres ein, daß der Beschuldigte ein "Restrisiko" des Verlustes wichtiger Beweise, deren sachlichen Bezug zum konkreten Verfahren er nicht plausibel machen kann, tragen muß. Prinzipiell dürfen von ihm alle Infonnationen verlangt werden, die notwendig sind, um die Zulässigkeit des Beweisbegehrens nach den allgemeinen Anforderungen zu beurteilen. 261 So kann der Beschuldigte dazu angehalten werden, darzulegen, warum er glaubt, daß aus einem bestimmten Beweismittel eine bestimmte Infonnation zu erlangen sein wird, warum aus dieser Infonnation der Schluß auf eine bestimmte Tatsache möglich sein soll und in welcher Weise diese Tatsache sich auf die Entscheidung letztlich auswirken soll. Im Falle der Versäumung einer Ausschlußfrist kann von ihm eine Erklärung darüber verlangt werden, warum er sein Begehren nicht früher vorgetragen hat oder warum er den Beweis für so wichtig hält, daß er in jedem Fall noch erhoben werden sollte, etc. Auf der anderen Seite sind der Beschuldigte und sein Verteidiger häufig aber gar nicht in der Lage, ihre Beweisbegehren entsprechend zu begründen. 262 Da ihnen für ihre eigenen Ermittlungen regelmäßig keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, können sie beispielsweise kaum vorhersagen, was ein bestimmter Zeuge in der Hauptverhandlung genau erklären wird. Unsicherheiten, die darauf beruhen, daß bestimmte Ermittlungsbefugnisse im Interesse der Wahrheitsfindung einseitig nur den Strafverfolgungsbehörden 260 BVerfGE 63, 45, 68 f. 261 Eine entsprechend weitgehende allgemeine BegrUndungspflicht für Beweisanträge erwogen hat beispielsweise Herrmann, ZStW 85 (1973), 280 (zustimmend G. Schmidt, bei Hünerfeld, ZStW 85 (1973), 442; derselbe, IR 1974, 323). In Österreich wird sie von der Rechtsprechung bejaht; vgl. Löschnig-GspandVPuntigam, Landesbericht Österreich, in: Perron (Hrsg.), Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands (im Druck). 262 Vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.44; Gollwitl.er, StV 1990,423; Welp,IR 1988,388. Siehe auch Herrmann, ZStW 85 (1973), 280 f.
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eingeräumt werden, dürfen jedoch nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen. In solchen Fällen muß es notfalls genügen, wenn der Beschuldigte überhaupt einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem begehrten Beweis und dem Prozeßgegenstand plausibel machen kann. Wo zwischen dieser Untergrenze, ab der das von dem Beschuldigten zu tragende Restrisiko des Beweisverlustes beginnt, und der Maximalforderung nach detaillierter Darlegung des erwarteten Inhalts des begehrten Beweises und seiner Bedeutung für die Beweiswürdigung jeweils die verfassungsrechtlich zulässigen Lösungen liegen, läßt sich wiederum nicht abstrakt bestimmen. Neben dem konkreten Erkenntnisstand der Verteidigung kommt es auch hier insbesondere darauf an, welchen Stellenwert die Selbstbehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten im Verfahrenssystem insgesamt hat und welche Aufklärungsanstrengungen ihm angesichts der ihm für seine Verteidigung zur Verfügung stehenden rechtlichen und finanziellen Mittel zugemutet werden können. Außerdem sind für die Anforderungen an die Begründung von Beweisbegehren - wie bei den Präklusionsvorschriften - auch andere rechtliche Grenzen zu beachten. Um die Bedeutung eines Beweisbegehrens für den Verfahrensgegenstand darlegen zu können, müssen häufig Interna aus der Verteidigungssphäre preisgegeben werden, deren Vertraulichkeit ansonsten durch die Freiheit des Beschuldigten von Selbstbezichtigungszwang263 und das Berufsgeheimnis des Verteidigers 264 grundrechtlich gewährleistet ist. Zwar muß der Beschuldigte generell mit der Offenlegung derartiger Informationen rechnen, weil er nicht verhindern kann, daß die Staatsanwaltschaft oder das Gericht auf sein Beweisbegehren hin Gegenermittlungen einleiten, um den Hintergrund des Beweises abzuklopfen, oder zumindest in der Hauptverhandlung entsprechende Fragen an den Zeugen oder Sachverständigen stellen. Dennoch ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Begründungsanforderungen an Beweisbegehren gezielt ausnutzen, um Informationen aus der Verteidigungssphäre zu erlangen, die ihnen ansonsten verborgen bleiben würden und die auch aus dem Beweismittel selbst nicht herauszubekommen wären. Um derartige Eingriffe in die Grundrechte des Beschuldigten und des Verteidigers zu vermeiden, dürfen die Begründungsanforderungen generell nicht zu hoch geschraubt werden.
263 Vgl. Gollwitzer, StV 1990,424.
264 Vgl. Schulz, StV 1985, 314.
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Schließlich ist das öffentliche Interesse an der Begründung eines Beweisbegehrens nicht immer gleich stark. Wenn es beispielsweise nur um die Zulassung weiterer Fragen oder um die Vernehmung eines bereits im Gerichtssaal anwesenden Zeugen geht, kann das Risiko einer überflüssigen Beweiserhebung sehr viel leichter hingenommen werden als etwa im Falle der späten Benennung eines Auslandszeugen, dessen Erreichbarkeit ungewiß ist oder dessen Ausfindigmachung und Ladung voraussichtlich soviel Zeit beanspruchen wird, daß die Hauptverhandlung unterbrochen oder gar ausgesetzt werden muß.265 Je größer der mit der Stattgabe des Begehrens verbundene Aufwand ist, um so eher darf vom Beschuldigten verlangt werden, daß er die Notwendigkeit des Beweises eingehend begründet. Allerdings sind auch hier die allgemeinen Grenzen zu beachten. Gerade bei schwer erreichbaren Zeugen ist es in der Regel auch besonders schwierig, das Ergebnis ihrer Vernehmung vorauszusagen. Sobald in solchen Fällen auch nur einigermaßen plausibel gemacht wird, daß der begehrte Beweis das Ergebnis der Beweisaufnahme in einem nicht völlig nebensächlichen Punkt maßgeblich beeinflussen könnte, müssen deshalb die öffentlichen Interessen gegenüber dem Recht des Beschuldigten auf Schutz vor fehlerhafter Verurteilung zurücktreten. Sehr nachhaltig auf die Rechtsstellung des Beschuldigten im Beweisverfahren wirken sich auch Anforderungen an die Präsentation der Beweisbegehren aus. So kann man bereits eine formlose Anregung genügen lassen, damit die Strafverfolgungsorgane tätig werden und das Begehren ausführen müssen; man kann aber auch verlangen, daß der Beschuldigte selbst oder sein Verteidiger alle erforderlichen Arbeiten leistet, d.h. bei neuen Beweisen das Beweismittel aufspürt, herbeischafft, in die Hauptverhandlung einführt und durch Fragen oder Erläuterungen ausschöpft. In reiner Form sind diese beiden Extreme freilich nirgends verwirklicht. Im deutschen Amtsermittlungsverfahren etwa kann sich der Beschuldigte zwar auf formlose Beweisanregungen beschränken, muß dann aber auch eine geringere Durchsetzungskraft in Kauf nehmen. Die maximale Reichweite seiner Beweisführungsrechte steht ihm gemäß § 245 Abs. 2 StPO dagegen erst dann zur Verfügung, wenn er die Beweismittel selbst in die Hauptverhandlung lädt und ihr Erscheinen sichert. 266 Im anglo-amerikanischen Strafverfahren267 muß der Beschuldigte zwar grund265 Für eine auf Auslandszeugen begrenzte BegrUndungspflicht tritt Julius, Unerreichbarkeit (1988), S. 246 f., sowie in: MDR 1989, 119, ein. 266 Eingehend dazu unter § 4 IV B 3 a; § 4 IV D 1 und 4. 267 Siehe dazu § 6 V.
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sätzlich alles selbst leisten einschließlich der Vernehmung der Zeugen und Sachverständigen in der Hauptverhandlung. Bei Belastungszeugen hat er allerdings ein verfassungsmäßiges Recht, unmittelbar mit diesen - und nicht lediglich mit Zeugen vom Hörensagen etc. - konfrontiert zu werden, so daß für einen wichtigen Teil der Beweismittel die Last des Aufspürens und Herbeischaffens bei der Staatsanwaltschaft liegt. Die Belastung des Beschuldigten mit den notwendigen Vorbereitungsarbeiten erscheint im Grundsatz auch zulässig, sofern ihm alle dazu erforderlichen Hilfen gewährt werden. Für den Staat kann das freilich bedeuten, daß er der Verteidigung einen Blankoscheck ausstellen muß, der auch die Finanzierung teurer Sachverständigengutachten, Beauftragung von Detektiven etc. abdeckt. Angesichts der begrenzten öffentlichen Mittel ist eine solche Großzügigkeit in der Praxis aber kaum vorstellbar, so daß Zwischenlösungen gefunden werden müssen. Außerdem würde eine zu starke Verlagerung der Vorbereitungslasten auf den Beschuldigten diesem hohe Fehlverurteilungsrisiken aufbürden. Trotz aller theoretischen Verpflichtung zur Objektivität wären die Strafverfolgungsbehörden dann nämlich kaum noch dazu zu bewegen, ihren überlegenen Ermittlungsapparat auch zu Gunsten des Beschuldigten einzusetzen, so daß eine schlechte Verteidigungsqualität sich nachhaltig auf das Verfahrensergebnis auswirken könnte. Das anglo-amerikanische Verfahrensrecht zwingt deshalb beispielsweise den Staatsanwalt, die Qualität der Belastungsbeweise intensiv abzuklären und alles entlastende Beweismaterial, auf das er bei diesen Ermittlungen stößt, der Verteidigung zur Verfügung zu stellen. 268 Ob eine solche Vorkehrung aus der Sicht des deutschen Grundgesetzes ausreichen würde, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls dürfen bei allem Stellenwert der Selbstbehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten die notwendigen Sicherungen zur Gewährleistung materiell korrekter Ergebnisse nicht außer Acht gelassen werden. Dem Beschuldigten muß es deshalb - zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens - möglich sein, die staatlichen Ermittlungskapazitäten auch zu seinen Gunsten arbeiten zu lassen. 269
268 Siehe § 6 I und III. 269 Vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 307. 7 Perron
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
dd) Beschränkungen wegen Mißbrauchs
Eine häufig geäußerte Forderung nach Einschränkung der Beweisführungsrechte des Beschuldigten bezieht sich schließlich auf Fälle sogenannten "Mißbrauchs".270 Der Sache nach geht es um Beweisbegehren, mit denen nicht ernsthaft Erweiterungen der Beweisbasis angestrebt werden, sondern lediglich taktische Vorteile oder völlig prozeßfremde Zwecke. Grundlage des Mißbrauchsgedankens ist, daß prozessuale Rechte nur deshalb eingeräumt werden, damit der Inhaber mit ihrer Ausübung bestimmte - systemkonforme Zwecke verfolgen kann. Benutzt dieser die durch ein bestimmtes Recht eröffneten Handlungsspielräume tatsächlich zu anderen, systemwidrigen Zwecken, so "mißbraucht" er das Recht.27I Um derartiges zu verhindern, kann man entweder bereits die objektive Reichweite des prozessualen Rechts so begrenzen, daß es nur zu den erwünschten Zwecken sinnvoll genutzt werden kann, während ein systemwidriger Gebrauch nicht mehr möglich ist oder jedenfalls keinen praktisch spürbaren Vorteil verspricht. 272 Oder man kann dem Richter die Möglichkeit einräumen, bei erkennbar zweckwidrigem Gebrauch die Ausübung des Rechts im Einzelfall zu untersagen. 273 Beide Arten der Mißbrauchsbegrenzung sind freilich nicht unproblematisch. Die objektive Begrenzung des Rechts führt nur dann zum Erfolg, wenn systemkonforme und systemwidrige Ausübung sich schon durch ihr äußeres Erscheinungsbild eindeutig voneinander unterscheiden lassen. Ist das nicht der Fall, so verhindert man entweder den Mißbrauch nicht wirksam, weil dieser sich zumindest mit einigen Formen der erwünschten Rechtsausübung überschneidet, oder man muß eine substantielle Verkürzung des Rechts selbst in Kauf nehmen. 274 Die Untersagung der Rechtsausübung im Einzelfall wegen systemwidriger, "mißbräuchlicher" Absicht setzt demgegenüber voraus, daß der Richter die entsprechenden Intentionen des Betroffenen klar erkennen 270 Vgl. etwa Rebmann, DRiZ 1979, 369; derselbe, NStZ 1984, 246; sowie eingehend dazu Thole, Scheinbeweisantrag (1992), S. 20 ff. In diese Richtung zielen auch die auf der 52. Justizministerkonferenz diskutierten Vorschläge aus Berlin und Bayern (abgedruckt in: StV 1982, 331) sowie Art. 3 Nr.4 lit. a Rechtspflege-EntIastungsGE 1991 (Bundestagsdrucksache Nr. 1211217). Siehe auch § 7 11. 271 Grundlegend Weber, GA 1975,295. Siehe auch Rüping/Domseijer, JZ 1977,418; Schwedhelm, Dikaio Kai Politiki 1983, 230 ff.; Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 277.
272 273 274
Vgl. RüpinglDomseijer, JZ 1977,419; Weber, GA 1975,295 ff. Vgl. RüpinglDomseijer, JZ 1977, 419; Weber, GA 1975,296 f. Vgl. Rudolphi, ZRP 1976, 172.
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kann. Häufig wird ihm das angesichts der besonderen Natur der von allen Seiten auch taktisch geführten prozessualen Interaktion aber nicht möglich sein, so daß er entweder die Ausübung des Rechts trotz möglichen Mißbrauchs hinnehmen muß oder sie auf bloßen Verdacht hin verbietet. Im zweiten Fall besteht dann aber nicht nur die Gefahr einer bloß irrtümlich fehlerhaften, sondern insbesondere auch die einer gezielt gegen lästige Begehren gerichteten und daher ihrerseits "mißbrauchten" Mißbrauchskontrolle. 275 Diese Probleme zeigen sich im besonderen Maße bei den Rechten des Beschuldigten auf Beteiligung am Beweisverfahren. Zwar sind diese Rechte trotz ihrer grundrechtlichen Absicherung einer Mißbrauchseinschränkung prinzipiell zugänglich. 276 Könnten sie nämlich vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger unbegrenzt ausgenutzt werden, um durch Prozeßverschleppung, Drohung mit erhöhtem Arbeits- und Zeitaufwand etc. eine angemessene Sachverhaltsaufklärung oder eine der prozeßordnungsgemäß erarbeiteten Beweislage gemäße Verurteilung zu verhindern, so wäre die Wirksamkeit der öffentlichen Strafverfolgung erheblich gefährdet. Gleichwohl ist das Gewicht der Beschuldigtengrundrechte so stark, daß innerhalb ihres Schutzbereichs grundsätzlich keine substantiellen Eingriffe zulässig sind, die lediglich potentiellen Mißbrauch verhindern sollen. Lassen sich zweckkonforme und zweckwidrige Rechtsausübung nicht eindeutig voneinander trennen, so muß im Zweifel die Mißbrauchsmöglichkeit hingenommen werden. Außerdem ist daran zu erinnern, daß ein gewisses Maß an Prozeßtaktik durchaus zur legitimen Selbstbehauptung des Beschuldigten gehört. 277 Insbesondere darf er auch auf die emotionale Komponente der richterlichen Überzeugungs bildung einwirken. 278 Daneben wird eine objektive Identifizierung der mißbräuchlichen Beweisbeiträge durch die Unsicherheiten des Beweisvorganges noch zusätzlich erschwert. Die Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit materieller Beschränkungen haben gezeigt, daß der Beschuldigte nur sehr begrenzt daran gehindert werden kann, Beweise in das 275 Vgl. Rudolphi, ZRP 1976, 169, 172. Siehe auch Weber, GA 1975, 299 f.; Weigend, Referat zum 60. DJT, in: Verhandlungen des 60. DJT 11/1 (1994), M 31. 276 Für das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren vgl. etwa BVerfGE 41, 246, 250; 39, 136, 163. Für Art. 103 Abs. 1 GG vgl. Rüping, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 1 Rdn. 72 ff. (1980); Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs.l Rdn. 18,83 (1988).
277 Siehe § 2 11 B I a LV.m. § 2 11 C 2 und 3. 278 Siehe § 2 11 C 3 b aa. 7*
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Verfahren einzubringen, die sich nachträglich als unsinnig erweisen. 279 Zeitliche und förmliche Beschränkungen, die taktische Spielräume verringern, sind dagegen zwar in größerem Umfange denkbar, setzen aber andererseits einen hohen Stellenwert der Selbstbehauptung des Beschuldigten im Gesamtsystem voraus, so daß diesem an anderer Stelle zahlreiche neue "Mißbrauchs"-Möglichkeiten gewährt werden müßten. Und eine subjektive Zweckentfremdungsabsicht wird sich insbesondere bei Beweisbegehren des Verteidigers, der diesen leicht einen äußeren Anschein von Sachbezogenheit aufsetzen kann, in den seltensten Fällen nachweisen lassen. Die Möglichkeiten, den Beweisbegehren des Beschuldigten eine wirksame und zugleich verfassungsrechtlich legitime Mißbrauchsschranke entgegenzusetzen, sind daher in der Praxis äußerst gering.
111. Vorläufige Folgerungen für das Beweisantragsrecht Eine verfassungsrechtliche Beurteilung des deutschen Beweisantragsrechts ist nach den bisherigen Darlegungen noch nicht möglich. Da die Garantie möglichst korrekter Verfahrensergebnisse wie auch die Gewährleistung der Selbstbehauptung des Beschuldigten grundsätzlich durch sehr unterschiedliche Verfahrensgestaltungen angestrebt werden können, müssen zuvor die wesentlichen Charakteristika der deutschen Verfahrensstruktur, die einzelnen positivrechtlichen Beweisantragsregelungen sowie insbesondere auch deren rechtstatsächliche Auswirkungen näher betrachtet werden. Was an dieser Stelle jedoch bereits geleistet werden soll, ist eine Präzisierung des spezifischen sachlichen Gehalts des Beweisantragsrechts innerhalb der verschiedenen Formen der Einflußnahme des Beschuldigten auf das Beweisverfahren. Zwischen diesen wurde bislang noch nicht weiter differenziert, weil eine isolierte Betrachtung einzelner Beteiligungsrechte dem Gesamtbild der verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht werden könnte. Außerdem ist das Beweisantragsrecht, wie noch zu zeigen sein wird, eine besondere Ausprägung des deutschen Amtsermiulungsverfahrens und müßte in anderen Verfahrens arten durch andere, funktional äquivalente Institutionen ersetzt werden. Dennoch läßt sich ein abgrenzbarer eigener Gehalt aufzeigen, der das Beweisantragsrecht von den anderen Rechten und Möglichkeiten des Beschuldigten, das Beweisverfahren zu beeinflussen, unterscheidet.
279 Siehe auch Schwedhelm, Dikaio Kai Politiki 1983,238 f.
111. Vorläufige Folgerungen
101
Das Beweisverfahren ist zunächst auf die Herstellung einer durch Beweismittel vermittelten empirischen Basis gerichtet, die der Urteiler verstehend wahrnimmt und zum Ausgangspunkt von Schlußfolgerungen auf den zu rekonstruierenden Sachverhalt macht. 28o Zwar bilden die Gewinnung von Informationen einerseits und deren verstehende und schlußfolgernde Verarbeitung andererseits einen einheitlichen Vorgang, da die Auswahl und Befragung (oder Untersuchung) der Beweismittel aufgrund eines bereits durch Hypothesen bezüglich des zu "beweisenden" Sachverhalts geprägten Vorverständnisses erfolgt. 281 Auch ist die Grenze zwischen von einem Beweismittel vermittelter Information und richterlicher Schlußfolgerung verschiebbar, indem man die für die Schlußfolgerung benötigten Erfahrungssätze ihrerseits zum Gegenstand der Beweisaufnahme macht und sich von einem Sachverständigen als Informationen mitteilen läßt. 282 Gleichwohl bleibt die empirische Beweisbasis als solche aufgrund der Formalisierungen des Beweisverfahrens klar abgetrennt: Zu ihr gehört alles und nur das, was von den förmlich in das Verfahren eingeführten Beweismitteln an Informationen an den Urteiler weitergegeben wird. Der Beschuldigte kann daher versuchen, entweder die empirische Beweisbasis selbst zu verändern oder deren Wahrnehmung und Verarbeitung durch den Urteil er in Diskussionen, durch Erklärungen etc. zu beeinflussen. Beweisanträge beziehen sich dabei immer schon auf die Beweisbasis selbst, auch wenn das mit ihnen im konkreten Fall verfolgte Hauptziel die Beeinflussung einer Schlußfolgerung des Richters (beispielsweise bezüglich der Glaubwürdigkeit eines bereits vernommenen Zeugen) sein mag. Und nicht jede Einwirkung des Beschuldigten auf die Beweisbasis geht auf einen Beweisantrag zurück. Der Beschuldigte kann nicht nur versuchen, zusätzliche Beweise in das Verfahren einzuführen, sondern er kann sich auch darum bemühen, die von anderer Seite beabsichtigte Einführung von Beweisen zu verhindern, beispielsweise durch die Geltendmachung von Beweisverboten. Und schließlich ist auch bei der Erweiterung der Beweisbasis zu unterscheiden zwischen der zusätzlichen Informationsgewinnung im Rahmen einer bereits von anderer Seite begonnenen Beweiserhebung einerseits, insbesondere durch ergänzende Befragung von Zeugen und Sachverständigen, und der Veranlassung oder eigenhändigen Durchführung einer neuen Beweiserhebung 280 Eingehend dazu Hruschka, Konstitution des Rechtsfalls (1965), S. 14 ff. Siehe auch Freund, Tatsachenfeststellung (1987), S. 13. 281 Vgl. Pieth, Beweisantrag (1984), S. 10 ff. 282 Vgl. etwa Henkel, Strafverfahrensrecht (1968), S. 263.
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§ 2 Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen
andererseits. Ein Beweisantrag ist nur erforderlich für Beweismittel, die entweder noch überhaupt nicht berücksichtigt worden sind oder im Rahmen einer früheren Heranziehung zu den gewünschten Beweisthemen noch nicht befragt oder untersucht wurden; ansonsten genügen die Frage- und Mitwirkungsrechte bei der Vernehmung, Verlesung oder Betrachtung der Zeugen, Sachverständigen, Urkunden und Augenscheinsobjekte. Der sachliche Gehalt des Beweisantragsrechts des Beschuldigten liegt somit darin, daß dieser verlangen kann, daß ein konkretes Beweismittel in die Beweisaufnahme einbezogen wird. 283 Von den anderen Gestaltungsmöglichkeiten und -rechten im Beweisverfahren, insbesondere den Modalitäten der Ausschöpfung der Beweismittel (etwa: richterliche Befragung versus Hauptund Kreuzverhör durch Staatsanwalt und Verteidigung), unterscheidet sich der Beweisantrag somit vor allem durch seine Wirkung auf den äußeren Fortgang der Beweisaufnahme, während die materiellen Zielsetzungen verschiedenartiger Beweisbeiträge durchaus identisch sein können. Damit der Beschuldigte einen bestimmten Beweis in das Verfahren einbringen kann, müssen ihm grundsätzlich alle Formen der Beteiligung offenstehen, d.h. sowohl das Recht auf Befragung und Würdigung präsenter als auch das auf Herbeischaffung und Einführung neuer Beweismittel. Welcher dieser Formen er sich im Einzelfall bedient, hängt dann nicht allein von ihm, sondern auch von der prozessualen Situation und dem Verhalten der anderen Prozeßbeteiligten ab. Die materielle Ausgestaltung und Reichweite des Beweisantragsrechts muß daher an den allgemeinen Anforderungen an die Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren gemessen werden. Allerdings hebt es sich auch insoweit durch eine besondere Zuspitzung der Interessenkonflikte hervor. Müssen . nämlich die Beweismittel erst ausfindig gemacht und herbeigeschafft bzw. bei Sachverständigengutachten - erst noch in Auftrag gegeben werden, so kann das viel Zeit und Geld kosten. Außerdem kann der Beschuldigte Beweismittel, die bislang noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, zunächst zurückhalten, um der Staatsanwaltschaft möglichst wenig Zeit für Gegenermittlungen zu lassen oder um sich sonst durch gezieltes Timing taktische Vorteile zu verschaffen. Die öffentlichen Interessen an einer Eingrenzung des Beweisantragsrechts sind daher besonders groß. Auf der anderen Seite trägt der Beschuldigte aber bei nicht präsenten Beweismitteln ein erhöh283 Diese Definition unterscheidet sich von dem in § 219 Abs. I Satz 1 StPO verwendeten technischen Begriff des Beweisantrages im engeren Sinne und umfaßt auch die sog. "Beweisermittlungsanträge" und "Beweisanregungen" (näher dazu unter § 4 IV B 3).
III. Vorläufige Folgerungen
103
tes Risiko des Beweisverlustes, da er neben den Problemen der Erreichbarkeit und erleichterter Ablehnungsmöglichkeiten auch mit einem größeren tatsächlichen Widerstand des Gerichts zu rechnen hat, gegen welchen er bzw. sein Verteidiger sich durchsetzen muß. Seine Grundrechte auf Schutz vor fehlerhafter Verurteilung und Selbstbehauptung im Prozeß sind hier daher ebenfalls besonders gefährdet. Daneben werfen auch die Voraussetzungen der Realisierung eines Beweisantrags besondere Probleme auf, die bei Frage- und Äußerungsrechten nicht entstehen. So ist beispielsweise die Herbeischaffung bestimmter Beweismitteloft nur dann möglich, wenn ausreichende staatliche Hilfen (Zwangsmittel, Geld, Zeit) gewährt werden. Insgesamt bildet das Beweisantragsrecht zwar einen sehr wichtigen, aber die Gesamtproblematik doch nicht vollständig umfassenden Bereich innerhalb der Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren. Es könnte deshalb prima facie sachgerechter erscheinen, die Analyse auf alle Beweisführungsrechte des Beschuldigten zu erstrecken. Dennoch werden sich die folgenden Ausführungen auf das Beweisantragsrecht beschränken, da allein die damit verbundenen Fragestellungen den Rahmen einer derartigen Arbeit mehr als ausfüllen und diese Probleme in der gegenwärtigen deutschen Diskussion auch als besonders dringlich empfunden werden.
§ 3 Der Einfluß der Verfahrensstruktur I. Vorbemerkung Bei der Erörterung der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Beweisantragsrechts wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß die hypothetische Beurteilung einzelner Regelungformen auf einer sehr abstrakten Ebene verharren muß, weil nähere Aussagen erst anhand einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Verfahrensrechts und insbesondere der konkreten Verfahrensstruktur möglich seien. 1 In der Tat kann ein Beweisantrag im deutschen Sinne regelmäßig nur in einem Amtsermittlungsverfahren gestellt werden, denn damit wird vom Richter (oder Staatsanwalt) verlangt, daß dieser einen bestimmten Beweis erhebt. Im adversatorischen Verfahren wäre ein solches Begehren dagegen fehl am Platze. Dort muß der Verteidiger statt dessen beantragen, daß ihm die Ladung eines bestimmten Zeugen zur Hauptverhandlung ermöglicht wird, daß der Staat - zumindest beim mittellosen Beschuldigten die Kosten für die Ladung übernimmt, daß der Verteidiger den Zeugen in der Hauptverhandlung aufrufen und ihm bestimmte Fragen stellen darf etc. 2 Für die Entscheidung über die verschiedenen Beweisbegehren greifen der deutsche wie der englische oder amerikanische Richter dann aber häufig auf dieselben Kriterien zurück und prüfen beispielsweise in beiden Systemen gleichermaßen, ob das Thema, zu welchem der Zeuge vernommen werden soll, für die Entscheidung des Verfahrens überhaupt von Bedeutung ist. 3 Die Verfahrensstruktur hat deshalb nur auf einige, aber nicht auf alle Sachprobleme, die mit den Beweisbegehren des Beschuldigten verbunden sind, Einfluß. Aufgabe dieses Abschnitts ist, herauszufinden, welche besonderen Strukturmerkmale des deutschen Strafverfahrens das Beweisantragsrecht bestimmen und wie die verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers dadurch eingeengt werden. Daneben sollen aber auch schon die Grundlagen Siehe § 2 11 C 3. Dies ist insbesondere auch die Haltung des BVerfG (vgl. etwa BVerfGE 57, 250, 275 f.). 2
Näher dazu unter § 6 11 B.
3
Siehe § 4 IV D 3 b, § 6 V C 3.
106
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
für das Verständnis des - später zu untersuchenden - angloamerikanischen Strafverfahrenssystems4 sowie für die abschließenden Überlegungen zu einer Reform des Beweisantragsrechts durch Veränderung der bestehenden Verfahrensstruktur5 gelegt werden. Die Äußerungen des Schrifttums zur Verfahrens struktur heben in aller Regel zuerst die Spannung zwischen dem kontinentaleuropäischen Instruktionsverfahren und dem angelsächsischen adversatorischen Verfahren hervor. 6 Tatsächlich hatte sich in England zu der Zeit, zu welcher sich auf dem europäischen Festland überall das gemeinrechtliche Inquisitionsverfahren durchsetzte, mit dem Geschworenenverfahren ein Gegenmodell herausgebildet, welches später die Forderungen der Aufklärung nach vernunftgemäßer Legitimierung und Begrenzung der staatlichen Strafgewalt sehr viel bruchloser aufgreifen und umsetzen konnte7 und deshalb in weiten Teilen als Vorbild und Meßlatte für die liberal-rechtsstaatlichen Reformen im Europa des 19. Jahrhunderts diente. 8 Und gerade der für das Beweisverfahren wichtige Gegensatz zwischen amtlicher Sachverhaltsaufklärung durch den erkennenden Richter einerseits und kontradiktorischer Beweisführung durch einen öffentlichen Ankläger und die Verteidigung andererseits wurde in dieser Entwicklung trotz vielfacher relativierender Bemühungen bis heute nicht aufgehoben,9 so daß er nach wie vor eine große intellektuelle wie praktische Herausforderung für jede Reformdiskussion darstellt. 10
4
Siehe § 6.
5
Siehe § 7 III, IV.
6 Vgl. nur Henkel, Strafverfahrensrecht (1968), S. 100 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 84 f., 99 ff., 475 ff.; Schäfer, in: LR, StPO, Einleitung Kap. 13 Rdn. 14, 17 ff. (1987); Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 363 ff. Die Reformdiskussion ist dargestellt bei Hermann, Reform der Hauptverhandlung (1971), S. 49-150; sowie zur neueren Zeit bei Roxin, aaO, S. 306 ff. m.w.N. 7 Vgl. dazu Spencer, Jackson's Machinery of Justice (1989), S. 19 ff.; Westen, Michigan Law Review 73 (1974), 78 ff. 8
Vgl. Hermann, Reform der Hauptverhandlung (1971), S. 49 ff.
9 Dies zeigt insbesondere die Diskussion um den Vorschlag des AE-StPO-HV (1985) zur Einführung des Wechselverhörs (siehe § 7 IV BI). \0 In Italien, dem Ursprungsland des Inquisitionsprozesses (vgl. Oehler, Hilde-Kaufmann-GS (1986), 847 ff.), hat sich der Gesetzgeber 1988 nach langen Reformvorarbeiten sogar zu einer vollständigen Übernahme des angelsächsischen adversatorischen Verfahrens entschlossen. Näher dazu etwa Amodio, ZStW 102 (1990), S. 171 ff.; PizziIMarafioti, Yale Journal ofInternational Law
I. Vorbemerkung
107
Auf der anderen Seite lag die Triebkraft der Reformen vor allem in der Bemühung um Stärkung der Rechte des Beschuldigten, der als Bürger im Strafverfahren einer übermächtigen Staatsgewalt gegenübertreten muß, sowie in der Kontrolle und Begrenzung der Organe dieser Staatsgewalt auf eine dem Allgemeinwohl verpflichtete, schonende und willkürfreie Machtausübung. Rechtsstaatsprinzip und Beschuldigtenrechte haben inzwischen in vielen Verfassungen und internationalen Konventionen allgemeine Anerkennung gefunden, welche die systembedingten Differenzen als eher zweitrangig erscheinen läßt und alle Strafverfahrensordnungen gleichermaßen auf die Einhaltung bestimmter Mindeststandards verpflichtet. 11 Viele Strukturbausteine des modernen rechtsstaatlichen Strafverfahrens haben sich deshalb von der Dichotomie Amtsermittlung oder kontradiktorische Beweisführung durch die "Parteien" weitgehend emanzipiert. 12 Schließlich haben sich neben diesen traditionellen liberal-rechts staatlichen Themen in vielen Ländern neue Anforderungen an das Strafverfahren in den Vordergrund gedrängt und in der Praxis zu informellen Substrukturen geführt, die das klassische Verfahrensbild inzwischen vielfach überwuchern. So ist auf der einen Seite eine stärkere Aufmerksamkeit gegenüber dem Sozialstaatsprinzip zu nennen, die dazu führt, daß in vielen Fällen nicht mehr die Tatschuld und ihre angemessene Vergeltung, sondern die persönliche Lebensperspektive des Täters und ihre Beeinflussung durch die strafrechtliche Sanktion l3 oder die soziale Konfliktbefriedung durch Täter-Opfer-Ausgleich I4 im Vordergrund stehen. Auf der anderen Seite bereiten die modernen Formen der Kriminalität und Kriminalitätskontrolle den Strafverfolgungsorganen zahlrei17 (1992), 1 ff.; Stile, ZStW 104 (1992), S. 487 f. Siehe auch Hein, in: Perron (Hrsg.), Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands (im Druck). 11 Insbesondere ist auf den ständig wachsenden Einfluß der EMRK und ihrer Auslegung durch die Straßburger Rechtsprechungsorgane hinzuweisen (vgl. dazu Lagodny, in: Eser/Huber (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung in Europa 3.2 (1990), S. 1338 f.; sowie die Referate und Diskussionen zur Arbeitssitzung der Fachgruppe für Strafrechtsvergleichung auf der Tagung für Rechtsvergleichung in Innsbruck 1987, abgedruckt in: ZStW 100 (1988), S. 405 ff., 599 ff.). 12 Siehe auch Weigend, ZStW 104 (1992), S. 487 f. 13 Insoweit sei insbesondere auf die Forderungen nach einer Zweiteilung der Hauptverhandlung verwiesen, wie sie etwa im AE-StPO-HV (1985) vorgeschlagen wird. Umfassende Nachweise zur Diskussion gibt Gropp, JZ 1991,812 Fn. 116. 14 Hier ist vor allem auf die Einfiihrung des § 46a StGB durch das VerbrechensbekämpfungsG 1994 hinzuweisen. Vgl. auch die empirische Untersuchung von Frehsee, Schadenswiedergutmachung (1987), S.261-373; sowie Arbeitskreis deutscher, schweizerischer und österreichischer Strafrechtslehrer, Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung (1992).
108
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
che neue Schwierigkeiten, die nur - im Falle der massenhaften Bagatellkriminalität - durch summarische, regelmäßig auf freiwilliger Unterwerfung beruhende Erledigungsformen, 15 durch - vornehmlich im Falle der Wirtschaftsund Umweltkriminalität - in beiderseitigem Nachgeben zwischen Gericht! Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelte Sanktionsvereinbarungen 16 oder - im Falle der organisierten Kriminalität - durch eine drastische Ausdehnung proaktiver polizeilicher Handlungsstrategien (Datensammlung für Rasterfahndung, Einsatz verdeckter Ermittler etc.), deren Ergebnisse nur noch bruchstückhaft den Strafjustizorganen zur Kenntnis und Kontrolle vorgelegt werden,17 beWältigt werden können. Die Beweisanträge des Beschuldigten werden von diesen neuen Strukturen zumeist allerdings nur indirekt betroffen. Soweit es um eine intensivere Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters und seiner sozialen Lebensperspektive oder die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs geht, treten zwar die strengen Formen des retrospektiven Schuldnachweises zugunsten einer freieren prospektiven Erörterung von Resozialsierungschancen und Wiedergutmachungsmöglichkeiten zurück. 18 Stützen sich freilich Prognosen, welche die Sanktionsentscheidung nachhaltig zuungunsten des Beschuldigten beeinflussen können, auf konkret festzustellende Tatsachen,19 so muß sich das Beweisverfahren insoweit - schon wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben20 - an den für die Schuldfeststellung geltenden rechtsstaatlichen Standards orientieren. Die konsensualen oder auf Unterwerfung beruhenden Erle15 Vg!. etwa die Untersuchungen von Ahrens. Einstellung in der Hauptverhandlung (1978); Hertwig. Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit (1982); Kunz. Einstellung wegen Geringfügigkeit (1980); Meinberg. Geringfügigkeitseinstellungen (1985); Rieß. ZRP 1983. 93ff. Siehe auch § 3 III C I b aa.
16 Vg!. dazu nur das umfassende Gutachten B für den 58. Deutschen Juristentag (1990) von Schünemann. 17 Vg!. etwa die Kommentierung von Körner. BetäubungsmitteIG (1994), § 31 Rdn. 86 ff.; sowie das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 15.7.1992, BGB!. I. S. 1302 (Begründung in Bundestags-Drucksache Nr. 11/989). Rechtsvergleichend Gropp (Hrsg.), Besondere Ermiulungsmaßnahmen (1993). 18 So haben die Göttinger Experimente zur Zweiteilung der Hauptverhandlung übereinstimmend ergeben, daß Beweisanträge zur Sanktionsfrage praktisch keine Rolle spielen (vg!. Dölling. Zweiteilung der Hauptverhandlung (1978), S. 189; Schunde, Zweiteilung der Hauptverhandlung (1982), S. 188). 19 Vg!. dazu Frisch, Prognoseentscheidungen (1983), S. 24 ff. und passim. 20 Siehe § 2 11 C 3 a.
11. Strukturbausteine des Strafverfahrens
109
digungsformen (Einstellung nach § 153a StPO, Strafbefehl, Absprachen) haben demgegenüber gerade den Zweck, durch freiwilligen Verzicht des Beschuldigten auf seine Verfahrensrechte eine aufwendige Beweisaufnahme abzukürzen oder ganz zu umgehen. Beweisanträge spielen hierbei nur insoweit eine Rolle, als sie - mehr oder weniger konkret - angedroht werden können, um Gericht und Staatsanwaltschaft zum Einlenken zu bewegen. 21 Ihre Legitimation beziehen diese Erledigungsformen deshalb gerade daher, daß der Beschuldigte auch auf einer förmlichen Fortführung des Verfahrens mit allen Garantien bestehen könnte. 22 Von den modemen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen beeinträchtigt schließlich insbesondere der Einsatz verdeckter Ermittier, deren Identität von der Polizei gegenüber Gericht und Verteidiger geheimgehalten wird, die Verteidigung im Beweisverfahren beträchtlich, weil diese die Hauptbelastungszeugen nicht mehr unmittelbar angreifen kann. Die Beweisantragsrechte als solche bleiben davon jedoch unberührt, denn das Beweismittel wird in diesen Fällen dem Strafverfahren insgesamt und nicht lediglich dem Zugriff der Verteidigung entzogen. Im Zentrum der folgenden Betrachtung steht deshalb das "klassische" streitige Strafverfahren, in welchem der Beschuldigte alle förmlichen Garantien benötigt und von seinem Beweisantragsrecht in vollem Umfang Gebrauch machen will. Alle anderen Erscheinungsformen sind von diesem Typus abhängig und würden ohne dessen rechtsstaatliches Leitbild schnell in eine der Willkür Tür und Tor öffnende staatliche Machtfreiheit abgleiten.
11. Die Strukturbausteine eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und ihre Bedeutung für die Beweisantrags- und Beweisfühmngsrechte des Beschuldigten A. lnstitutionalisierung der Verteidigung
Bereits bei der verfassungsrechtlichen Grundlegung wurde darauf hingewiesen, daß der Beschuldigte das Beweisverfahren nur dann aktiv gestalten kann, wenn ihm dafür sowohl die erforderlichen Beteiligungsrechte als auch ausreichende Hilfestellung zu ihrer kompetenten Wahrnehmung gewährt werden. 21
Siehe auch § 6 IV C zum amerikanischen plea bargaining.
22 So sieht das BVerfG etwa die Mängel des dem Erlaß eines Strafbefehls zugrunde liegenden Beweisverfahrens nur deshalb als hinnehmbar an, weil der Beschuldigte mit seinem Einspruch auch eine förmliche Hauptverhandlung verlangen kann (vgl. BVerfGE 3, 248, 253; 25,158, 165).
110
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
Wesentliche Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist daher die Einrichtung einer effizienten Verteidigung, die einen faktisch wirksamen Gegenpol zur strafverfolgenden Staatsgewalt darstellt,23 Insbesondere hängt die praktische Bedeutung des Rechts auf Einführung neuer Beweise in das Verfahren davon ab, daß diese Beweise von der Verteidigung selbständig ermittelt und in ihrer potentiellen Wirkung auf das Verfahrensergebnis abgeklärt werden können. 24 Zu einer effektiven Verteidigung gehört in erster Linie, daß dem Beschuldigten ein professioneller, den Anforderungen der prozessualen Interaktion gewachsener25 Verteidiger zur Seite gestellt wird. Auch wenn aber das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers heute allgemein anerkannt ist,26 stößt seine vollständige Verwirklichung immer noch auf erhebliche Widerstände, insbesondere bei der Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen, ab welchem Verfahrensstadium und in welchem Umfang die Kosten des Verteidigers von der Staatskasse übernommen werden. Wichtig ist weiterhin die Stellung des Verteidigers gegenüber der strafverfolgenden Staatsgewalt wie gegenüber dem Beschuldigten. 27 Da Grundlage der Verteidigung die SubjektsteIlung des Beschuldigten ist,28 muß der Verteidiger dessen Rechte gegenüber den Strafverfolgungsorganen offensiv vertreten können, ohne daß er dadurch persönliche Nachteile zu befürchten hat,29 23 Auch rur das deutsche Amtsennittlungsverfahren, in dem die Anklagebehörde ausdrücklich zur Objektivität und Neutralität verpflichtet ist, wird die Notwendigkeit einer selbständigen Verteidigung heute einhellig anerkannt (vgl. etwa Beulke, Strafprozeßrecht (1994), Rdn. 148; Eser, in: Deutsch-ungarisches Kolloquium (1990), S. 157; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 79; Peters, Strafprozeß (1985), S. 212; Rüping, Strafverfahren (1983), S. 44). 24 25
Vgl. etwa Rückei, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn. 8 ff.
Daß der Beschuldigte selbst dies in den a11enneisten Fällen nicht ist, dürfte wohl unstreitig sein (vgl. etwa Hammerstein, JR 1985, 141 ff.).
26 Vgl. Art. 14 Abs. 3 Iit. b IPBPR, Art. 6 Abs. 3 Iit. c EMRK. Eingehend dazu Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990). Zum amerikanischen Strafverfahren siehe § 61V A 2. 27 Eingehend dazu Beulke, Verteidiger (1980); Lüderssen, in: LR, StPO, vor § 137 Rdn. 33 ff., 75 ff. (1988); Paulus, NStZ 1992, 305 ff.; sowie rechtsvergleichend Brei, Grenzen zulässigen Verteidigerhandelns (1991), S. 65 ff., 91 ff., 121 ff. und passim. Siehe auch Vehling, StV 1992, 86ff.
28
Vgl. Gössel, ZStW 94 (1982), S. 27 f.; Hamm, NJW 1993,293 f.; Rieß, Schäfer-FS (1980),
201.
29 S. 32 f.
Vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn.26; Gössel, ZStW 94 (1982),
11. Strukturbausteine des Strafverfahrens
111
International vorherrschend ist daher die Übertragung dieser Aufgabe auf freiberufliche Rechtsanwälte, deren Tätigkeit nicht durch ein öffentliches Dienstrecht, sondern vorzugsweise durch interne Standesrichtlinien reglementiert wird, wenngleich beispielsweise in den USA die Verteidigung mittelloser Beschuldigter vielerorts öffentlich bediensteten "Public Defenders" übertragen ist. 3o Auf der anderen Seite wird vom Verteidiger aber erwartet, daß er nicht das Verfahren als solches sabotiert, sondern die Interessen des Beschuldigten im gesetzlichen Rahmen wahrnimmt und sich darüber hinausgehenden Ansinnen seines Mandanten widersetzt. 3) Ein gewisses Mindestmaß an Unabhängigkeit gegenüber dem Beschuldigten ist daher ebenfalls unabdingbar, gleich ob man dieses mit einer Verpflichtung des Verteidigers auch gegenüber öffentlichen Interessen oder lediglich mit dem eigenen Interesse des Beschuldigten begründet, der von dem Respekt und Vertrauen, den die Strafverfolgungsorgane seinem Verteidiger entgegenbringen, ebenfalls profitiert. 32 Und schließlich muß auch die Verteidigungssphäre als solche vor dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane geschützt werden. Allgemein anerkannt ist das Recht des Beschuldigten auf Freiheit vor Selbstbezichtigungszwang33 sowie die Vertraulichkeit seiner Gespräche mit dem Verteidiger,34 während die Frage, ob und in welchem Umfang auch die eigene Ermittlungstätigkeit des Verteidigers oder die eines von ihm beauftragten Privatdetektivs vor den Strafverfolgungsorganen geheimgehalten werden darf, vielerorts kontrovers beurteilt wird. 35
30 Vgl. LaFaveilsrael. Criminal Procedure 1 (198411991), § 1.3. Die Vor- und Nachteile der freiberuflichen Tätigkeit gegenüber der eines staatlich Bediensteten schildert Dreher. KleinknechtFS (1985), 91 ff. 3) Vgl. Gössel. ZStW 94 (1982), S. 33; Rieß. Schäfer-FS (1980), 200 f. Zum amerikanischen Strafverfahren siehe § 6 IV A 4.
32 Nach in Deutschland weit verbreiteter Ansicht ist der Verteidiger auch öffentlichen Interessen verpflichtet (vgl. Beulke. Verteidiger (1980), S. 50 Cf., 81 ff. mit Nachweisen zur Kritik). Auf die Nachteile einer "grenzenlosen" Verteidigung für die Rechtsstellung des Beschuldigten selbst weist Gössel. ZStW 94 (1982), S. 33 f., hin.
33 34 35
Vgl. nur BVerfGE 56,37,41 ff. Vgl. § 203 Abs. INr. 3 StGB, §§ 53 Nr. 3, 53a, 97 StPO.
Diese Problematik stellt sich insbesondere in den USA (siehe § 6 V B 2). Zum deutschen Recht vgl. § 3 III A. Siehe auch Dahs, Karlheinz-Meyer-GS (1990), 61 ff.
112
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
B. Aufteilung der Aufgaben der öffentlichen Strafveifolgung auf verschiedene Organe und Veifahrensabschnitte 1. Allgemeines
Das Strafverfahren ist einseitige Ausübung staatlicher Gewalt auf den Bürger. Von diesem wird verlangt, daß er den Zugriff der Strafverfolgungsorgane ohne physische Gegenwehr hinnimmt und sich den Spielregeln des Verfahrensrechts unterwirft. Diese Einseitigkeit der Machtverhältnisse birgt vielfältige Möglichkeiten des Machtmißbrauchs in sich, weshalb seit der Aufklärung an alle Strafverfahrensordnungen die Forderung nach Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle herangetragen wird. 36 International lassen sich demgemäß heute überall sehr ähnliche Grundmuster erkennen, wonach die Aufgaben der öffentlichen Strafverfolgung auf verschiedene staatliche Organe verteilt werden, die in verschiedenen Verfahrensabschnitten in unterschiedlicher Weise zusammenwirken und sich gegenseitig kontrollieren. 37 Die vertikale Aufspaltung des Verfahrens erfolgt - ungeachtet aller nationalen Besonderheiten und weiteren Unterteilungen und Zwischenstufen durchweg in einen Abschnitt der Ermittlung und Anklagevorbereitung, in einen Abschnitt der Entscheidungsfindung in mündlicher Hauptverhandlung sowie einen Abschnitt der Entscheidungskontrolle durch Rechtsrnittelgerichte;38 in horizontaler Aufteilung werden die staatlichen Aufgaben im wesentlichen übernommen von Gerichten, an denen neben Berufsrichtern auch Laien mitwirken können, von Anklagebehörden und von Polizeibehörden. 39 Die Verteidigung muß sich daher nicht nur jeweils überlegen, ob sie ein bestimmtes Beweisbegehren vorbringen will, sondern auch in welchem Verfahrensabschnitt und gegenüber welchem Strafverfolgungsorgan dies arn zweckmäßigsten sowie faktisch und rechtlich arn besten durchsetzbar ist.
36 37
Vgl. Gössel. GA 1980,332 f.; derselbe. ZStW 94 (1982), S. 22 f.
38 39
Vg1. Rieft, Schäfer-FS (1980). 190 f.
Überblicke über die verschiedenen ausländischen Strafverfahrenssysteme finden sich U.a. bei JeschecklLeibinger (Hrsg.), Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1979); Jung (Hrsg.), Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen (1990). Siehe auch Pieth, Beweisantrag (1984), S. 17. Soweit für die Rechtsfolgeentscheidung selbständige Gerichtshilfestellen eingerichtet werden (etwa in den USA der probation-officer - siehe § 611 C), bleiben diese aus den in § 3 I genannten Gründen unberücksichtigt.
11. Strukturbausteine des Strafverfahrens
113
2. Die einzelnen Ver/ahrensabschnitte a) Ermittlungsverfahren
Die Einrichtung eines von der Entscheidungsfindung abgetrennten Ermittlungsverfahrens entspricht zum einen sachlichen Notwendigkeiten, zum anderen bildet sie aber auch eine der wichtigsten rechts staatlichen Errungenschaften bei der Überwindung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses. Freilich leuchtet der sachliche Vorteil einer Zweiteilung von Ermittlung und Entscheidungsfindung zunächst nicht ohne weiteres ein. So fallt etwa der Historiker sein Urteil über eine vergangene Zeit anhand einer einzigen, ständig fortlaufenden Untersuchung, deren formellen Verlauf er in wissenschaftlicher Objektivität und Freiheit vom Beginn bis zum Niederschreiben der Ergebnisse selbst bestimmt. Die realen Arbeitsbedingungen der Strafverfolgungsbehörden im Zeitalter der Massengesellschaft und Massenkriminalität sind mit denen des Historikers allerdings nicht vergleichbar. Nur sehr ausnahmsweise kann etwa ein einzelner Richter, Staatsanwalt oder Polizist sich einem Fall von Anfang bis Ende voll und ganz widmen. Tatsächlich müssen aus der Flut von Strafanzeigen und Tatverdächtigen routinemäßig über mehrere Selektionsstufen hinweg diejenigen Fälle und Beschuldigten herausgefiltert werden, in denen angesichts der begrenzten Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden der Versuch eines konkreten Schuldnachweises aussichtsreich genug erscheint. 4O Eine solche Selektionsleistung kann effizient nur mittels Arbeitsteilung erbracht werden, so daß sich zwangsläufig mehrere Verfahrensetappen bilden, in denen jeweils unterschiedliche Personen die Verantwortung für die Weiterführung des Falles übernehmen. Um aus diesen informellen Verfahrensetappen eine strikte förmliche Trennung von vorbereitender Ermittlung einerseits und verbindlicher Entscheidungsfindung durch das erkennende Gericht andererseits herauszubilden, bedarf es allerdings weiterer Gründe, die vor allem in dem Schutzbedürj'nis des Beschuldigten gegenüber der strafverfolgenden Staatsgewalt zu finden sind. Zum einen besteht die Gefahr, daß die ersten Ermittlungen, die häufig unter dem Eindruck der frischen Straftat stehen, vorschnell auf einen bestimmten Verdächtigen konzentriert und einseitig auf die diesen belastenden Indizien ausgerichtet werden. 41 Es liegt daher sowohl im Interesse des Be40 Zu den Selektionsleistungen des Strafverfahrens vgl. etwa Kaiser. Kriminologie (1988). § 41 Rdn. 11 ff.; Rieß. Schäfer-FS (1980), S. 177f. 41
Vgl. Kühne. StrafprozeBlehre (1993). Rdn. 155.
8 Perron
114
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
schuldigten als auch im Allgemeininteresse an einer objektiven Wahrheitsfindung, das von den Ermittlungsbehörden gesammelte Material einem mit dem Fall bis dahin nicht befaßten Entscheidungsfinder vorzulegen, der aus der nötigen Distanz heraus unbefangen urteilen kann. 42 Weiterhin verschafft eine förmliche Anklage, die das erkennende Gericht thematisch festlegt und den Ausgangspunkt der Entscheidungsfindung bildet, dem Beschuldigten erst die zu seiner Verteidigung notwendige Information über die konkrete Gestalt des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs und ermöglicht eine ausreichende Transparenz des Verfahrensganges. 43 Und schließlich führt der Zwang für die Anklagebehörde, ihre Anklage einem anderen Strafverfolgungsorgan vorlegen zu müssen, zu einer verstärkten (Fremd- und Selbst-)Kontrolle, die dem Beschuldigten unnötige Belastungen durch Fortführung eines wegen zu geringer Belastungsbeweise wenig aussichtsreichen Verfahrens erspart. Auf der anderen Seite birgt die Abtrennung des Ermittlungsverfahrens aber auch Gefahren. So muß das erkennende Gericht viele Beweise und Ermittlungsergebnisse in einer schon aufgrund des zeitlichen Abstands weitgehend festgefügten Form übernehmen, ohne die näheren Umstände der ursprünglichen Beweiserhebung oder Ermittlungslage zu kennen oder hinreichend rekonstruieren zu können. 44 Werden außerdem die Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren knapp gehalten, weil man einerseits den Ermittlungsbehörden eine möglichst ungestörte Arbeit ermöglichen will und andererseits auf die heilende Kraft der förmlichen Hauptverhandlung vertraut,45 dann führen diese Reibungsverluste46 zwischen Ermittlungs- und Entscheidungsverfahren auch zu substantiellen Einbußen an Einflußmöglichkeiten des Beschuldigten auf das Beweisverfahren. Will die Verteidigung die Beweiserhebungen mitgestalten, so stellen sich ihr im Ermittlungsverfahren daher insbesondere zwei Aufgaben: Einwirkung auf die amtlichen Ermittlungen, um entweder bereits eine günstige Selektionsentscheidung der Strafverfolgungsbehörden zu errei42 Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 347, sieht dies als die "Kardinalfrage" der Refonndiskussion des 19. Jahrhunderts an.
43 Vgl. Henkel, Strafverfahrensrecht (1968), S. 97 f.; Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 353. 44 Vgl. Richter 11, StV 1985,385 f.; Wolter, in: SK, StPO, vor § 151 Rdn. 62 (1994).
45
Siehe dazu § 2 11 C 3 b bb (1.).
46 Pieth, Beweisantrag (1984), S. 18.
H. Strukturbausteine des Strafverfahrens
115
chen (im Idealfall: frühzeitige Verfahrenseinstellung) oder jedenfalls die determinierende Wirkung des Ermittlungsergebnisses für die spätere Entscheidungsfindung des erkennenden Gerichts zu beeinflussen. Eigenständige Ermittlung und Sicherung von Entlastungsbeweisen, um diese zum taktisch günstigsten Zeitpunkt in das Verfahren einführen zu können. b) Hauptverhandlung
Hauptforderung der kontinentaleuropäischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts war die Einführung einer öffentlichen und mündlichen Hauptverhandlung vor einem Geschworenengericht, die durch die Anklage einer selbständigen Anklagebehörde bedingt und thematisch begrenzt ist. 47 Den Kern des Strafverfahrens bildet danach eine zeitlich und räumlich in sich abgeschlossene, auch für Nicht-Juristen (Beschuldigter, Geschworene, Öffentlichkeit) transparente Beweiserhebung und Entscheidungsfindung, in der alle förmlichen Verfahrensgarantien wirksam werden. Auch wenn man in Deutschland inzwischen weiß, daß die Masse der Fälle bereits im Ermittlungsverfahren erledigt wird und auch ansonsten schon dort die wichtigsten Weichenstellungen erfolgen,48 ist man doch bis heute von diesem Leitbild nicht abgewichen. Alle formellen oder informellen Abkürzungen beruhen insbesondere darauf, daß die betroffenen Prozeßbeteiligten den potentiellen Verlauf einer förmlichen Hauptverhandlung antizipieren und ihre Bereitwilligkeit oder ihr Einverständnis davon abhängig machen, daß sie im Gesamtergebnis durch die Abkürzung nicht schlechter gestellt werden. Für die Beweisrechte des Beschuldigten hat die Hauptverhandlung dementsprechend eine besonders große Bedeutung. Es kommt nicht nur darauf an, daß hier alle Rechte dem Gesetzesbuchstaben nach gewährt werden, sondern diese müssen auch faktisch wirksam sein. Insbesondere greifen sie dann ins Leere, wenn in der Hauptverhandlung keine selbständige Beweisaufnahme mehr stattfindet, sondern nur noch die Ergebnisse früherer Beweiserhebungen nachvollzogen werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn anstelle einer persönlichen Befragung von Zeugen nur die Protokolle früherer Vernehmungen oder gar der zusammenfassende Bericht eines Untersuchungsrichters ver47 Vgl. Herrmann, Reform der Hauptverhandlung (1971), S.49; Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 16. 48 8"
Näher dazu unter § 3 III C 1 b.
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
lesen werden. 49 Aber auch ansonsten besteht die Gefahr, daß die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens insgesamt den Urteiler massiv beeinflussen und dieser nicht mehr unbefangen genug entscheiden kann. Besonders problematisch erscheinen unter diesem Gesichtspunkt die kontinentaleuropäischen Amtsermittlungsverfahren, weil dort die richterliche Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung anhand der Akten des Ermittlungsverfahrens vorbereitet werden muß. Aber auch im adversatorischen Verfahren wird dem öffentlichen Ankläger von den Geschworenen regelmäßig ein Vertrauensvorschuß entgegengebracht, den er durch seine überlegenen Mittel bei der Vorbereitung und Präsentation seiner Beweise noch weiter ausbauen kann. Aus der Sicht der Verteidigung ist daher für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu verlangen, daß eine bestmögliche Qualität der Beweismittel angestrebt wird und auf frühere amtliche Beweiserhebungen nur dann zurückgegriffen werden darf, wenn der Verteidigung dort eine entsprechende Mitwirkung gestattet worden war. Werden diese Forderungen nicht erfüllt oder ist die Hauptverhandlung generell so stark durch das Ermittlungsverfahren vordeterminiert, daß auch in kritischen Fällen von dessen Ergebnis kaum noch abgewichen wird, so müssen die Beweisantrags- und Beweisführungsrechte des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren gewährt werden, wenn sie überhaupt wirksam sein sollen.
c) Rechtsmittelkontrolle Den dritten wesentlichen Verfahrensabschnitt bildet die Kontrolle der in der Hauptverhandlung getroffenen Entscheidung durch vom erkennenden Gericht getrennte, im Gerichtsaufbau höher angesiedelte Rechtsmittelgerichte. Durch die hierarchische Zuspitzung des Instanzenzuges auf ein einziges oder einige wenige oberste Gerichte wird zugleich auch eine Einheitlichkeit der Rechtsanwendung und richterlichen Rechtsfortbildung gewährleistet, so aber diese überindividuellen Ziele können nur durch Prüfung konkreter Einzelfälle ver49 Als eine zentrale Maxime der Hauptverhandlung wird daher in Deutschland die Unmittelbarkeit angesehen. Diese wurde von der Reformbewegung des 19. Jahrhunderts zunächst mit der Mündlichkeit gleichgesetzt (vgl. Geppert. Grundsatz der Unmittelbarkeit (1979), S.67, 75), während man sie heute neben ihrer formellen Bedeutung - wonach das erkennende Gericht das Prozeßgeschehen selbst sinnlich wahrnehmen muß - vor allem in der - materiellen - Weise versteht, daß das Gericht die bestmöglichen Beweismittel heranzuziehen hat (vgl. Geppert. aaO. S. 122, 127; Eh. Schmidt. Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 444 f.).
so Vgl. etwa Frisch. in: SK, StPO, vor § 296 Rdn. 2 (1988); Paulus. in: KMR StPO, vor § 333 Rdn. 9 (Stand 1981).
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folgt werden, in denen jeweils das individuelle Schicksal des Beschuldigten auf dem Spiel steht, so daß in der alltäglichen Praxis die Einzelfallgerechtigkeit weitgehend im Vordergrund stehen dürfte. sl Die Rechtsmittelkontrolle erstreckt sich im Grundsatz sowohl auf die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung als auch auf die Einhaltung der Verfahrensregeln. 52 Ihr Ausmaß und ihre Wirksamkeit hängen von vielfältigen Gegebenheiten ab, neben der prinzipiellen Konstruktion des Rechtsmittels selbst insbesondere auch von der Art und Weise, wie die angefochtene Entscheidung und das ihr vorausgegangene Verfahren dokumentiert sind. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß die in einer mündlichen Hauptverhandlung getroffene Entscheidung wesentlich auf unmittelbaren, persönlichen Eindrücken der Urteilsfinder beruht, die als solche im nachhinein nicht rekonstruierbar sind. 53 Um den Inhalt des angefochtenen Urteils zuverlässig beurteilen zu können, müssen daher zumindest die wichtigsten und umstrittenen Teile der Hauptverhandlung wiederholt werden, damit sich das Rechtsmittelgericht einen eigenen persönlichen Eindruck von den Beweisen schaffen kann. Ein derartiges neues Aufrollen der Sache schafft aber seinerseits Gefahren für die Wahrheitsfindung, da mit zunehmendem Zeitabstand die Erinnerung von Zeugen nachläßt, neue Ermittlungen schwieriger werden etc. 54 Zugleich wächst mit der Aussicht, daß der Beschuldigte durch Rechtsmitteleinlegung automatisch eine neue Hauptverhandlung bekommt, für das erstinstanzliche Gericht die Versuchung, es sowohl mit den Verfahrensregeln als auch mit der Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung selbst nicht so genau zu nehmen, da entsprechende Fehler in der nächsten Instanz immer noch geheilt werden können. 55 51 Dies ist auch die herrschende Meinung zur deutschen Revision (vgl. etwa Frisch. in: SK, StPO, vor § 296 Rdn. 26 (1988); Hanack, in: LR. StPO, vor § 333, Rdn.7 (1985); Paulus. KMR, StPO, vor § 333 Rdn. 6 f. (Stand 1981); Peters, Strafprozeß (1985), S. 635; Pfeiffer. in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S. 7; Roxin. Strafverfahrensrecht (1993), S. 3820. 52 Vgl. Frisch. in: SK, StPO, vor § 296 Rdn. 2 (1988); Rieß, Schäfer-FS (1980),191. 53 Bereits unter § 2 11 B 1 c wurde darauf hingewiesen, daß die richterliche Überzeugungsbildung zu einem wesentlichen Teil von subjektiven, emotionalen Faktoren abhängt. 54 Das deutsche Rechtsmittel der Berufung wird daher im Schrifttum überwiegend skeptisch beurteilt (vgl. etwa Frisch. in: SK, StPO, vor § 296 Rdn.25 (1988); Kühne. Strafprozeßlehre (1993), Rdn.66O; Peters. Strafprozeß (1985), S.623; Rüping, Strafverfahren (1983), S.187; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO 11 (1957/1970), vor § 296 Rdn.34; Tröndle, in: Probleme der Strafprozeßreform (1975), S. 81 f.; Werle, JZ 1991,790).
55 Vgl. insbesondere Tröndle. in: Probleme der Strafprozeßreform (1975), S. 82, 86, 89 f.
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In den meisten Verfahrensordnungen werden daher die Rechtsmittelgerichte auf eine Überprüfung der Plausibilität der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung sowie der Einhaltung der Regeln des formellen und materiellen Rechts beschränkt, so daß erst nach Feststellung eines entsprechenden Fehlers eine neue Hauptverhandlung anberaumt werden muß.56 Für die erstinstanzliche Hauptverhandlung hat diese Fehlerkontrolle zur Folge, daß alle Verfahrensbeteiligten versuchen, die potentiellen Wirkungen ihres Verhaltens auf die Rechtsmittelinstanz abzuschätzen und dementsprechend Fehler zu vermeiden (so das Gericht) oder zu provozieren (so die Verteidigung), die zu einer Urteilsaufhebung führen. 57 Insbesondere können die Beweisantrags- und Beweisführungsrechte des Beschuldigten auf diese Weise zu einer scharfen Waffe werden, wenn fehlerhafte Ablehnungen oder Verweigerungen von den Rechtsmittelgerichten konsequent geahndet werden. 3. Die verschiedenen Strafverfolgungsorgane a) Berufsrichter Das mit der höchsten rechtsstaatlichen Legitimation versehene und deshalb grundsätzlich für die wichtigsten Entscheidungen im Strafverfahren zuständige Organ ist der Richter. 58 Dieser hat als Teil der dritten Gewalt die zentrale Aufgabe der Gewährleistung und Durchsetzung des Rechtsstaats und wirkt daher als Mittler zwischen Staat und Bürger. 59 Wesensmerkmal des Rechtsstaatsprinzips ist in formeller Hinsicht die Selbstbindung der Staatsgewalt durch abstrakte, für alle gleichermaßen verbindliche Gesetze sowie in materieller Hinsicht die Sicherung der Freiheitssphären der Bürger.6o Insbesondere die Strafgerichtsbarkeit konkretisiert die gesetzlichen Grenzen dieser Freiheit und bedarf daher einer verstärkten Legitimation.61 Es ist deshalb ein allgemeiner verfassungs- und menschenrechtlicher Grundsatz, daß der Beschuldigte einen Anspruch auf Entscheidung über den gegen ihn erhobenen Vorwurf
56 57 58 59
Zum amerikanischen Rechtsmittelverfahren siehe § 6 II D. Vgl. nur Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO II (1957/1970), vor § 296 Rdn. 41. Siehe auch Pfeiffer, in: KK, StPO (1993), Einleitung Rdn. 57. Vgl. Hermann, ZStW 100 (1988), S. 47; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 32 ff.
60 Vgl. Gössel, ZStW 94 (1982), S. 17 f.; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 9.
61 Vgl. Degenhart, in: IsenseelKirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts III (1988), § 75 Rdn. 1 f.
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durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht hat,62 dessen Aufgaben zu einem wesentlichen Teil von Berufsrichtern wahrgenommen werden, denen gegenüber sonstigen Staatsbeamten eine besondere, ihre Unabhängigkeit von der Exekutive gewährleistende Stellung eingeräumt wird. 63 Die Beweisantrags- und Beweisführungsrechte werden daher in erster Linie vor dem Richter wirksam, der in sachlicher Distanz und Neutralität gegenüber dem Anklagevorwurf dem Beschuldigten Schutz vor ungerechtfertigter Verurteilung gewähren und dessen Selbstbehauptung im Verfahren ermöglichen muß. Auf der anderen Seite bedeutet diese hervorgehobene Stellung des Richters zugleich eine Entlastung der anderen Strafverfolgungsorgane, die ihren jeweiligen Aufgaben einseitiger, d.h. ohne ständig die Gesamtverantwortung für das Verfahren übernehmen zu müssen, nachgehen können. Treffen jedoch bereits diese Organe Entscheidungen, die zumindest in ihrer faktischen Wirkung den Verfahrensausgang maßgeblich zu Lasten des Beschuldigten beeinflussen können, so muß diesem dagegen mittelbar (im Rahmen späterer richterlicher Verfahrensherrschaft) oder unmittelbar (durch einen speziellen Rechtsbehelt) richterlicher Rechtsschutz gewährt werden, wenn keine Verkürzung seiner Beweisantrags- und Beweisführungsrechte eintreten soll.
b) Laienrichter Das - zumindest theoretische - Höchstmaß an Kontrolle über die strafverfolgende Staatsgewalt wird aber nicht durch die Einschaltung von Berufsrichtern erreicht, sondern erst durch die Übertragung der Entscheidung über Schuld und Strafe64 auf repräsentativ aus der Bevölkerung ausgeloste Laienrichter. Dieses traditionelle Element früherer Rechtsordnungen sowie insbesondere des englischen Strafverfahrens wurde in der kontinentaleuropäischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts als ein so vorbildliches Mittel gegen geheime Kabinettsjustiz und bornierte und abhängige Gerichte angesehen, daß man fast 62 63
Vgl. Art. 92 GG, Art. 14 Abs. I IPBPR, Art. 6 Abs. I EMRK.
Vgl. Art. 97 GG; sowie Barbey, in: IsenseeIKirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts III (1988), § 74 Rdn. I ff. Siehe auch Peters, Strafprozeß (1985), S. 106 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO 1(1964), Rdn. 457 ff.; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 10, 152 Cf.
64 Grundsätzlich können Laienrichter auch zu Zwischenentscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung herangezogen werden, wie etwa in der amerikanischen grand jury (siehe § 6 II A), doch zeigen gerade die dortigen Erfahrungen, daß in derartigen Situationen von den Laien praktisch keine wirksame Kontrolle ausgeht (vgl. LaFave/Jsrael, Criminal Procedure 2 (1984/1990, § 15.2).
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überall die Beteiligung von Laien - wieder - einführte. 65 Und in der Tat hat es nicht nur eine symbolische Bedeutung, wenn die staatlichen Strafverfolgungsorgane die Ergebnisse ihrer Arbeit unbeteiligten Bürgern zur Entscheidung vorlegen müssen, sondern die Laienrichter können eine Verselbständigung und Entfremdung der Justiz von der allgemeinen Bevölkerung zumindest bis zu einem gewissen Grad nachhaltig erschweren.66 Allerdings haben die Gründe für ein derartiges Mißtrauen gegenüber der Justiz inzwischen wesentlich an Gewicht verloren, so daß die Nachteile der Laienrichterbeteiligung verstärkt in den Blick geraten.67 Insbesondere wird darauf verwiesen, daß Laien eher als Berufsrichter unsachlichen Einflüssen der Medien oder der Prozeßbeteiligten nachgeben und deshalb das Ziel objektiv sachgerechter Entscheidungen gerade in Frage stellen.68 Dennoch muß man auch heute noch anerkennen, daß mit der Sache nicht vorbefaßte Laienrichter nach wie vor eine institutionelle Absicherung der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung und damit ihrer Transparenz gegenüber dem Beschuldigten wie auch der Öffentlichkeit darstellen. 69
65 Zur Geschichte vgl. etwa Benz, Laienrichter (1982), S. 15 ff.; Rennig, Entscheidungsfindung (1993), S. 33 ff. Überblicke über die Beteiligung von Laienrichtern in ausländischen Strafverfahrensordnungen geben Benz, aaO, S. 159 ff.; sowie die empirischen Studien bei CasperlZeisel (Hrsg.), Laienrichter im Strafprozeß (1979). 66 Daß auch in Deutschland die von Berufsrichtern angeleiteten und dadurch unmittelbar beeinflußten Schöffen nicht ganz ohne Wirkung sind, bestätigen die Untersuchungen von CasperlZeisei, in: CasperlZeisel (Hrsg.), Laienrichter im Strafprozeß (1979), S. 41 ff.; Klausa, Ehrenamtliche Richter (1972), S. 76 ff.; Rennig, in: Brennpunkte der Rechtspsychologie (1991), S. 320 ff.; derselbe, Entscheidungsfindung (1993), S. 554 ff., 558 ff. 67 Vgl. etwa Baur, Kern-FS (1968), 50 ff.; Benz, Laienrichter (1982), S. 200 ff.; Kemmer, Befangenheit von Schöffen (1989), S. 161; Kühne, Strafprozeßlehre (1993), Rdn. 52 ff.; Rüping, Strafverfahren (1983), S. 27; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 228; sowie sehr ausführlich Rennig, Entscheidungsfindung (1993), S. 176 ff. 68 Eingehend dazu Benz, Laienrichter (1982), S. 125 ff.; Rennig, Entscheidungsfindung (1993), S. 238 ff. Siehe auch Baur, Kern-FS (1968), 54 f.; Kemmer, Befangenheit von Schöffen (1989), S. 158 ff.; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 228. Im angloamerikanischen Strafverfahren wird versucht, diesen Gefahren durch ein ausgeklügeltes Beweisrecht entgegenzuwirken (siehe § 6 V C I und 4). 69 Vgl. Eh. Schmidt, Lehrkommentar 2.Ur StPO I (1964), Rdn. 425. Ähnlich auch Benz, Laienrichter (1982), S. 210 f.; Kemmer, Befangenheit von Schöffen (1989), S. 162, der allerdings eine Aktenkenntnis der Laienrichter fordert (S. 165 ff.); Peters, Strafprozeß (1985), S. 119; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (1987), S. 231. Siehe auch Rennig, Entscheidungsfindung (1993), S. 295 ff., 588 f.
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Für den Beschuldigten eröffnen Laienrichter, sofern sie nicht von den Berufsrichtern dominiert und an den Rand gedrängt werden, eine besondere Chance, durch wirkungsvolle Angriffe auf die Belastungsbeweise und eine gute Präsentation der Entlastungsbeweise in der Hauptverhandlung dem Verfahren noch eine überraschende Wendung zu seinen Gunsten zu geben.1° Seine Beweisantrags- und Beweisführungsrechte sind hier deshalb besonders wichtig; außerdem eröffnet die Möglichkeit einer stimmungsmäßigen Beeinflussung der Laienrichter durch geschicktes Inszenieren der Beweise taktischen Überlegungen und Verhaltensweisen weiten Raum. 71 c) Anklagebehörde
Nachdem 1986 auch in England mit dem Crown Prosecution Office eine selbständige Anklagebehörde eingerichtet wurde,72 kann diese heute vorbehaltlos als international verbreitete Institution der strafverfolgenden Staatsgewalt bezeichnet werden. 73 In ihrer organisatorischen Stellung steht die Anklagebehörde zwischen der - zur Exekutive gehörenden - Polizei und den - die dritte Gewalt bildenden - Gerichten; sie übt keine Rechtsprechung aus, ist aber dennoch dem Justiz- und nicht dem Verwaltungs sektor zugeordnet. 74 Ihre Aufgabe versteht sich im adversatorischen Verfahren von selbst: Sie erhebt und vertritt die Anklage. Aber auch im kontinentaleuropäischen Amtsermittlungsverfahren hat sich seit der französischen Revolution die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine Trennung von Ankläger und Richter der Verfahrensgerechtigkeit wesentlich besser dient als die durchgehende Verfahrensherrschaft eines Inquisitors und die Staatsanwaltschaft außerdem ein wirksames Instrument zur Kontrolle der Gerichte wie auch der Polizei darstellen kann. 75
70 Siehe auch Salditt, in: Der Richter im Strafverfahren (1992), S. 72 ff. 71
Siehe auch § 61 B zum amerikanischen Strafverfahren.
72
Vgl. dazu etwa Spencer, Jackson's Machinery of Justice (1989), S. 227 f.
73 Zum ausländischen Recht vgl. die Berichte bei JeschecklLeibinger (Hrsg.), Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1979). 74 Vgl. Beulke, Strafprozeßrecht (1994), Rdn. 88; Gössel, GA 1980,336; Odersky, RebmannFS (1989), 343 f.; sowie eingehend Buchholz, Der Staatsanwalt im schottischen Recht (1990), S. 233 ff. Kritisch dagegen Bohnert, Abschlußentscheidung des Staatsanwalts (1992), S. 386 ff. 75 Vgl. Gössel, GA 1980, 326 ff., 337 ff., 341 f.; Habei, Refonn des Verhältnisses von Staatsanwaltschaft und Polizei (1982), S. 16 ff.; Kerbel, Staatsanwaltschaft (1974), S. 42 ff.; Krey, Strafverfahrensrecht 1 (1988), Rdn. 335 f.; Riehle, Staatsanwaltschaft (1985), S. 1 ff.; Roxin, DRiZ
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Im Ermittlungsverfahren wird die Anklagebehörde spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem über die Anklageerhebung oder Verfahrenseinstellung zu entscheiden ist, zum verfahrensbestimmenden Strafverfolgungsorgan und damit zum Hauptansprechpartner der Verteidigung.76 Ihre Aufgabe besteht hier vor allem darin, das von der Polizei vorgelegte Material zu sichten und einer justizförmigen Bearbeitung zuzuführen.77 Inwieweit die Anklagebehörde dabei auch selbst ermittelt oder zumindest auf die Ermittlungen der Polizei Einfluß nimmt, differiert in und zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen teilweise nicht unerheblich. 78 Jedenfalls muß sie den potentiellen Verlauf der Hauptverhandlung abschätzen und erforderlichenfalls die ihr vorliegenden Ermittlungsergebnisse entsprechend nachbessern (lassen), bevor sie ihre Entscheidung über die Anklageerhebung treffen kann. Für Beweisbegehren der Verteidigung ist die Anklagebehörde in diesem Stadium aus zwei Gründen ein wichtiger Adressat: Zum einen kann hier versucht werden, die Anklage zu verhindern oder zumindest abzumildern - zum anderen beurteilen die Staatsanwälte das Verfahren bereits aus der Justizperspektive und können daher eher zu bestimmten Beweiserhebungen veranlaßt werden als die Polizei, jedenfalls wenn in der Hauptverhandlung das Gericht einem entsprechenden Begehren stattgeben müßte oder wenn im Falle der Nichtberücksichtigung für die Anklagevertreter Nachteile (Wahrunterstellung wegen Beweisverlust etc.) entstehen könnten. In der Hauptverhandlung - und im Rechtsmittelverfahren, sofern sie zur Rechtsmitteleinlegung befugt ist - fällt der Anklagebehörde die Rolle des Antagonisten der Verteidigung zu, damit das Gericht die Rolle eines neutralen Urteilers einnehmen kann. 79 Zwar ist diese Konstellation im angelsächsischen adversatorischen Verfahren sehr viel eindeutiger verwirklicht als im kontinentaleuropäischen Amtsermittlungsverfahren. Aber auch in diesem identifiziert 1969, 385. Allgemein zur Funktion der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren Buchholz, Der Staatsanwalt im schottischen Recht (1990), S. 175 ff. 76 Sofern nicht im Ermittlungsverfahren eine ausgedehnte gerichtliche Voruntersuchung stattfindet, wie etwa in Frankreich oder Spanien. 77 Vgl. Helmken. Kriminalistik 1979. 139; Peters. Strafprozeß (1985), S. 161 f.; Preuß. Krit. Justiz 1981, 111; Rieß, Schäfer-FS (1980), 194; Rüping, Strafverfahren (1983), S. 36 f.; Steifen, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit (1976), S. 56 f. 78 Vgl. die Berichte bei Jescheck/Leibinger (Hrsg.), Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1979). 79 Auch im deutschen Recht (vgl. etwa Rieß, Schäfer-FS (1980), 194; Welp. ZStW 90 (1978), S. 118 f.; siehe auch Schäfer. in: LR, StPO, Einleitung Kap. 9 Rdn. 2, 4 [1987]).
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sich in der Praxis der Anklagevertreter regelmäßig zunächst mit der - von ihm selbst oder jedenfalls von einem Kollegen verfaßten - Anklage,80 wie auch umgekehrt im angelsächsischen Verfahren ein gewisser Schulterschluß zwischen Ankläger und Richter, die sich beide den öffentlichen Strafverfolgungsinteressen verpflichtet fühlen, nicht ausbleibt. Adressat der Beweisbegehren der Verteidigung ist in der Hauptverhandlung freilich allein das Gericht.
d) Polizei Die Polizei ist ein aus der Justizperspektive eher vernachlässigtes, faktisch aber oft den Verfahrensausgang am stärksten beeinflussendes Strafverfolgungsorgan. Sie beherrscht - teilweise entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers - heute praktisch überall zu einem wesentlichen Teil die der Anklageerhebung vorausgehenden Ermittlungen. 81 Gründe für diesen Bedeutungszuwachs sind auf der einen Seite die technische Entwicklung und der allgemein gestiegene Bedarf nach effektiver Verbrechensbekämpfung, auf der anderen Seite aber auch die einseitige Orientierung der Anklagebehörden zur Justizseite hin, was insgesamt zu einem drastischen Ausbau der Polizeiorganisation im 20. Jahrhundert geführt hat. 82 Für die Verteidigung gestaltet sich der Kontakt mit der Polizei im allgemeinen problematischß3 Da die Polizei vornehmlich an der Aufklärung von Straftaten - im Sinne der Feststellung eines namentlich bekannten Tatverdächtigen - interessiert ist,84 empfindet sie die besonderen Anforderungen der justiziellen Aufarbeitung ihrer Ermittlungsergebnisse und insbesondere die Beschuldigtenrechte eher als Störfaktor. 85 Selbst wenn der Verteidigung gegen80 Siehe § 3 III C 2 b. 81 Vgl. Grebing. in: Polizei und Justiz (1976), S. 31 ff.; sowie die Berichte bei Jeschecld Lei·
binger (Hrsg.). Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1979).
82 Vgl. Habel. Reform des Verhältnisses von Staatsanwaltschaft und Polizei (1982), S. 62 ff.; lilie. ZStW 106 (1994). S. 627 ff. 83 Vgl. Dahs. Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn. 130. 84 Vgl. Boeden. in: Der polizeiliche Erfolg (1988), S.67; Kaiser. Kriminologie (1988), § 41 Rdn. 3, 6; Steifen. Polizeiliche Erminlungstätigkeit (1976), S. 70 Cf., insbesondere S.79. Zu den Besonderheiten der Polizeiperspektive gegenüber der Justizperspektive siehe auch Kühne. Straf· prozeßlehre (1993), Rdn. 65 ff.; Preuß. Krit. Justiz 1981, 111; Rüping. Strafverfahren (1983), S.36f.
85 Vgl. Rüping. Strafverfahren (1983), S. 37; Steifen. Polizeiliche ErmittIungstätigkeit (1976), S. 326 ff.
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über der Polizei förmliche Beweisrechte eingeräumt werden, muß sie daher mit großen tatsächlichen Widerständen rechnen, es sei denn die Polizei verspricht sich von bestimmten Anregungen oder Anträgen selbst einen Vorteil für die eigene Ermittlungsarbeit. C. Richterliche Amtsermittlung in der Hauptverhandlung oder adversatori-
sche Beweispräsentation durch Anklagevertreter und Verteidigung 1. Allgemeines
Ganz entscheidend beeinflußt werden die Beweisantrags- und Beweisführungsrechte des Beschuldigten sowohl in ihrer rechtlichen Konstruktion als auch in ihrer faktischen Bedeutung schließlich davon, ob die der Entscheidung über Schuld und Strafe zugrunde liegende Beweisaufnahme vom erkennenden Gericht selbst in Wahrnehmung einer umfassenden Aufklärungspflicht durchgeführt wird oder ob sie in den Händen des Anklägers und der Verteidigung liegt, die jeweils ihre Version von dem fraglichen Geschehen durch Präsentation eigener Beweise und durch Erschütterung der gegnerischen Beweise zu untermauern versuchen. 86 Beide Modelle sind über lange Zeiträume hinweg historisch gewachsen: Das eine entstammt dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß, der durch die französische Revolution und die liberal-rechtsstaatlichen Reformen des 19. Jahrhunderts zwar stark modifiziert, in diesem Charakteristikum aber gerade nicht wesentlich· verändert wurde87 - das andere hat sich innerhalb des traditionellen englischen Geschworenenverfahrens herausgebildet und beherrscht bis heute den gesamten angelsächsischen Sprachraum. Entsprechend der tiefen historischen Verwurzelung besteht auf beiden Seiten vielerorts auch heute noch wenig Neigung, an der Überlegenheit des eigenen Systems zu zweifeln. 88 Man muß daher zunächst davon ausgehen, daß sowohl das Amtsermittlungsverfahren als auch das adversatorische Verfahren prinzipiell geeignet sind, den modernen Anforderungen an die Verbrechens bekämpfung
86 Vgl. etwa die Beschreibung der beiden Modelle bei Damaska. ZStW 87 (1975), S. 714 ff. Siehe auch RO:Kin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 84 f. 87 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 16 ff. 88 Vgl. für das deutsche Recht Schäfer, in: LR, StPO, Einleitung Kap. 13 Rdn. 17 (1987); für das amerikanische Recht LaFave/lsrael, Criminal Procedure 1 (1984/1991), § 1.6 (a).
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wie auch an die Wahrung der Menschenrechte im Bürger-Staat-Verhältnis zu genügen. 89 Der Schwerpunkt dieses Antagonismus der Systeme liegt auf der Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung, die in erheblichem Maße auf das Ermittlungsverfahren und das Rechtsmittelverfahren ausstrahlt und damit das Rollenverhalten der Verfahrensbeteiligten über den gesamten Verfahrensverlauf hinweg bestimmt. Freilich kann nicht jeder tatsächlich feststell bare Unterschied zwischen den verschiedenen Strafverfahrenssystemen auf dieses eine Struktunnerkmal zurückgeführt werden,9O und man darf auch die Bedeutung dieses Unterschieds selbst nicht überschätzen. Beide Modelle stellen nämlich lediglich eine Seite einer latent in allen Sysstemen vorhandenen Ambivalenz stärker heraus, müssen aber auch der jeweils anderen Seite gerecht werden. So sind etwa Anklagevertreter und Richter auch im adversatorischen Verfahren grundsätzlich dem Ziel der Wahrheitserforschung verpflichtet,91 und sie akzeptieren auch im Amtsermittlungsverfahren ihre jeweiligen Rollen als Vertreter der Anklage und als neutraler, über den Prozeßgegnern stehender Urteiler,92 wenngleich beide Vorgaben im jeweils anderen System sehr viel deutlicher herausgearbeitet werden. Insbesondere aber tritt die Verteidigung, sobald ein konkreter strafrechtlicher Vorwurf erhoben ist, in beiden Systemen gleichennaßen adversatorisch gegenüber den Strafverfolgungsbehörden auf. 2. Die Bedeutung der beiden Verfahrensmodelle für die Beweisbegehren des Beschuldigten in der Hauptverhandlung a) Amtsermittlungsverfahren
Im Amtsermittlungsverfahren zeichnet das Gericht in der Hauptverhandlung die im Ermittlungsverfahren aufgespürten und gesammelten Beweise nach, indem es anhand der Ermittlungs- und Verfahrensakten einen internen Untersuchungsplan aufstellt und die der Anklage zugrunde liegenden Hypothesen über den festzustellenden Sachverhalt zu verifizieren oder falsifizieren versucht. Sind die anderen Prozeßbeteiligten (insbesondere Verteidigung und Anklagevertreter) mit dem Vorgehen des Gerichts nicht einverstanden, so 89
Ebenso Tiedeman", ZRP 1992,108.
90 Siehe auch Damaska, ZStW 87 (1975), S. 721 ff., der ein alternatives, besonders auf das amerikanische System zugeschnittenes Unterscheidungskrlterium einführt.
91
Vgl. zum amerikanischen Recht § 611 A; § 611 B mit Anm. 33, sowie § 7111.
92 Siehe auch § 3 111 C 2 b.
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können sie sich mit Anträgen und Anregungen an dieses wenden, damit es seine Untersuchungen auf zusätzliche Beweismittel oder Tatsachen ausdehnt oder die Beweisaufnahme einschränkt oder modifiziert.93 Prinzipiell kann das Gericht dem Anklagevertreter und der Verteidigung zwar gestatten, Teile der Beweisaufnahme in eigener Regie zu gestalten, aber es trägt auch insoweit die Verantwortung, daß die Untersuchung insgesamt sachgerecht und vollständig durchgeführt wird. Die Verteidigung befindet sich somit in der positiven Lage, erst einmal abwarten zu können, was die richterliche Untersuchung in der Hauptverhandlung an Beweisergebnissen erbringt. Da das Gericht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist, muß es bereits von sich aus alle ihm bekannten Entlastungsbeweise berücksichtigen. 94 Auf der anderen Seite ist das Gericht durch das Aktenstudium in der Regel aber stark auf die den Beschuldigten belastenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens fixiert und bringt unter Umständen nicht mehr die notwendige kritische Distanz dazu auf. 95 Außerdem kennt der Beschuldigte häufig potentielle Entlastungsbeweise, von deren Existenz das Gericht nichts wissen kann. Die Verteidigung muß das Gericht daher vielfach überzeugen, daß es sinnvoll ist, die Beweisaufnahme auf ein bestimmtes weiteres Beweismittel oder eine bestimmte weitere Beweistatsache auszudehnen. Das formale Instrument dafür ist der Beweisantrag, wobei es keine Rolle spielt, ob dieser darauf gerichtet ist, daß das Gericht den zusätzlichen Beweis erhebt, oder ob die Verteidigung begehrt, den Beweis selbst führen zu dürfen. Dabei bereitet die Verfahrensherrschaft des Gerichts der Verteidigung besondere Probleme. Zum einen ist für die Verteidigung oft gar nicht erkennbar, ob ein bestimmter Beweisantrag sinnvollerweise gestellt werden sollte oder nicht. 96 Da das Gericht nicht nur ermittelt, sondern auch selbst entscheidet, muß es nämlich die seiner Ermittlung zugrunde liegenden Sachverhaltshypothesen und die Relevanz der hierzu erhobenen Beweise nicht offenlegen. Die Verteidigung kann diese daher häufig nur indirekt aus den Ermittlungsakten 93 Vgl. Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO I (1964), Rdn. 109. 94 Umgekehrt führt aber auch ein Geständnis des Beschuldigten nicht zum Abbruch der Beweisaufnahme, sondern das Gericht muß seine Untersuchung dann darauf richten, ob das Geständnis wahr ist. Freilich verkürzt sich die Beweisaufnahme in derartigen Fällen regelmäßig drastisch. 95 Näher dazu sogleich unter § 3 III C 1 b bb; § 3 III C 2 b. 96 Eingehend dazu Schulz, GA 1981, 305 ff.
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und dem Verhalten des Gerichts während der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erschließen. Zum anderen beurteilt das Gericht die Frage, ob eine von der Verteidigung beantragte Beweiserhebung notwendig ist oder wenigstens nicht von vornherein sinnlos erscheint, aus derselben Perspektive heraus, aus der es auch seine eigene Ermittlungstätigkeit gestaltet. Das Gericht muß insoweit bei jedem potentiellen Beweis abschätzen, ob dieser für den Verfahrensgegenstand genügend Relevanz besitzt und ob er hinreichend aussichtsreich erscheint, so daß sich seine Erhebung lohnt. 97 Diese Abschätzung wird aber, wie bereits dargelegt, häufig von subjektiven und emotionalen Faktoren beeinflußt. 98 Insbesondere besteht daher die Gefahr, daß das Gericht sich nicht mehr von seinem während des Aktenstudiums gefaßten Vor-Urteil lösen kann und Beweisanträge der Verteidigung unzutreffenderweise als aussichtslos ansieht. Will man aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beweisrechte des Beschuldigten in einem Amtsermittlungsverfahren genügen, so darf man die Entscheidung über einen Beweisantrag nicht dem freien Ermessen des Gerichts überlassen, sondern muß dieses an objektiv nachvollziehbare, auch die Interessenlage der Verteidigung berücksichtigende Kriterien binden. b) Adversatorisches Verfahren
Im adversatorischen Verfahren untersucht das Gericht demgegenüber nicht selbst den Sachverhalt, sondern es läßt sich diesen von Ankläger und Verteidiger in der Form von Hypothesen und Beweisen kontradiktorisch vortragen. Die Verteidigung kann sich hier keine Passivität leisten, sondern muß dem Anklagevorwurf widersprechen99 und den Belastungsbeweisen entgegentreten, sei es durch direkten Angriff im Kreuzverhör, sei es durch Präsentation eigener Entlastungsbeweise. Anträge auf Ausdehnung der gerichtlichen Beweisaufnahme auf bestimmte Beweismittel und -themen sind in diesem System zumeist sinnlos. Die Verteidigung präsentiert vielmehr unmittelbar ihre Beweise und beantragt beim Gericht höchstens dafür Zeit und Hilfsmittel zur Herbeischaffung, oder sie wird mit Einwänden des Anklägers gegen die Prä97 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 28 f. 98 Siehe § 2 11 B 1 c; § 2 11 C 3 b aa. 99 Bekennt sich der Beschuldigte schuldig im Sinne der Anklage, so findet eine Beweiserhebung darüber gar nicht mehr statt (siehe § 6 11 A; § 6 IV C).
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sentation des Beweises konfrontiert und muß dann dessen Zulässigkeit begründen. Die besonderen Probleme des Amtsermittlungsverfahrens stellen sich hier gerade nicht. So kann sich die Verteidigung mit ihrer Beweisstrategie ganz an den Sachverhaltsbehauptungen und Beweisen des Anklägers orientieren, welche dieser ausdrücklich und in größtmöglicher Klarheit vorbringen muß, um sie dem - passiven - Gericht verständlich zu machen. loo Zweifelhaft ist hier nur, ob das Gericht einen bestimmten Beweis tatsächlich als erbracht oder als nicht erbracht ansieht, nicht aber der Kreis der verschiedenen Sachverhaltsalternativen, auf die es seine Entscheidung stützen kann. Auch werden die von der Verteidigung präsentierten Beweise nicht danach beurteilt, ob sie für eine vollständige Sachverhaltsaufklärung notwendig sind oder nicht. Da die Sachverhaltsaufklärung nicht in der Verantwortung des Gerichts liegt und dieses daher auch keine Kenntnis von den Ermittlungsakten haben muß, kann es dem Ankläger und der Verteidigung insoweit wenig vorschreiben. Seine Verantwortung liegt vielmehr vor allem darin, beiden Seiten gleiche Chancen zu gewährleisten und zu verhindern, daß die eine Seite durch geschickte theatralische Inszenierungen sich unsachliche Vorteile verschafft. Verbreitet ist in diesem System auch eine Aufspaltung des Gerichts in einen Berufsrichter als neutralen, an der Entscheidungsfindung nicht beteiligten Verhandlungsleiter und in Laienrichter (Geschworene) als Urteiler, die während der Beweisaufnahme passiv bleiben. 101 Der Verhandlungsleiter schreitet gegen Beweispräsentationen der Verteidigung regelmäßig nur dann ein, wenn diese vom Ankläger konkret beanstandet werden, und seine Entscheidung darüber erfolgt aus der Perspektive, ob die Urteiler den Beweis zur Kenntnis nehmen sollten oder nicht. Auf der anderen Seite ist die Verteidigung in einem adversatorischen System sehr viel stärker gefordert als im Amtsermittlungsverfahren. 102 Da allein die Beweispräsentation in der Hauptverhandlung hic et nunc entscheidet und außerhalb der eigenen Beiträge nur diejenigen des einseitig auf die Anklage festgelegten, regelmäßig gut vorbereiteten Staatsanwalts auf den Urteiler einwirken, bedeutet ein Versagen des Verteidigers zwangsläufig die Verurtei100 Siehe auch Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 15 f. 101 Zwingend ist diese Aufteilung allerdings nicht. So wird in den USA ein nicht unerheblicher Anteil der Hauptverhandlungen als sogenanntes "bench trial", d.h. ohne Geschworene, durchgeführt (siehe Anm. 32 zu § 6). 102 Siehe auch § 611 B.
11. Strukturbausteine des Strafverfahrens
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lung. Wenn sich der Beschuldigte auf eine streitige Hauptverhandlung einläßt, dann muß er bzw. sein Verteidiger dem Gericht einiges bieten können. Insbesondere ist es wichtig, alle eigenen Beweismittel sehr genau abzuklären und auch das Kreuzverhör der Gegenseite zu antizipieren. Insgesamt sind Verantwortung und Chancen der Verteidigung gegenüber dem Amtsermittlungsverfahren deutlich erhöht. 3. Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren
Grundsätzlich wirkt sich die Struktur der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auf alle Stadien des Ermittlungsverfahrens aus, weil dort im Hinblick darauf ermittelt werden muß, ob die Beweise für eine Verurteilung ausreichen. Freilich dürfte die Arbeit der Polizei davon weniger betroffen sein, denn diese orientiert sich, wie beschrieben, mehr an der Aufklärung von Straftaten als an den Anforderungen an deren justizielle Bearbeitung. Aber auch die Anklagebehörde wird sich bei ihren Selektionsentscheidungen, insbesondere im Rahmen informeller oder abgekürzter Erledigungsformen, zunächst mehr einer rationellen, sachgerechten Wahrnehmung der öffentlichen Strafbedürfnisse verpflichtet fühlen als einer verfahrenstaktischen Antizipation der Hauptverhandlung. 103 Für die Verteidigung kann es daher auch in einem adversatorischen System durchaus sinnvoll sein, bestimmte Beweiserhebungen bei den Strafverfolgungsbehörden anzuregen, um die Anklage abzuwenden oder abzumildern. Steht die prinzipielle Entscheidung für eine Anklageerhebung dagegen fest, so rücken die besonderen Erfordernisse des Beweisverfahrens in der Hauptverhandlung in den Vordergrund. Im adversatorischen System muß sich die Verteidigung zunächst überlegen, ob sie der Anklage überhaupt entgegentreten will. Ist das der Fall, wird eine gründliche Vorbereitung der Hauptverhandlung erforderlich. Von der Anklagebehörde ist dann kaum noch etwas zu erwarten, da sich diese ebenfalls einseitig auf die Präsentation ihrer Beweise vorbereitet. Besonders wichtig sind eigene Verteidigungsermittlungen, um die Wirkung der Belastungs- wie auch der Entlastungsbeweise abzuklären und die Verfügbarkeit der eigenen Beweismittel zu sichern. Im Amtsermittlungsverfahren spielt die Vorbereitung des eigenen Verhaltens in der Hauptverhandlung für die Verteidigung zwar ebenfalls eine wich\03 Dies zeigen sowohl die Untersuchungen zu den deutschen §§ 153 ff. StPO als auch zum usamerikanischen plea bargaining (siehe § 3 III C 1 b aa; § 6 IV C). 9 Perron
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
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tige Rolle. Besondere Aufmerksamkeit muß aber auch dem Inhalt der Ermittlungsakten zugewendet werden, welche die Grundlage für die gerichtliche Untersuchung in der Hauptverhandlung bilden. Insbesondere bei Punkten mit kritischer Beweislage ist es wichtig, daß das erkennende Gericht die entsprechende Anklagehypothese von vornherein als problematisch und umstritten zur Kenntnis nimmt. 104 Für entsprechende Verteidigungseinwände und Beweis anträge bieten sich neben dem Ermittlungsverfahren selbst in vielen Systemen auch der Hauptverhandlung vorgeschaltete richterliche Kontrollverfahren, wie etwa die in Frankreich noch geläufige Voruntersuchung oder das deutsche Zwischenverfahren, an. 4. Auswirkungen auf das Rechtsmittelveifahren
Rechtsmittel, die nicht von vornherein die Sache neu aufrollen, sondern nur zu einer nachträglichen Überprüfung der getroffenen Entscheidung führen, können sich in beiden Verfahrenstypen gleichermaßen sowohl auf den Inhalt der Entscheidung als auch auf das dieser vorausgegangene Verfahren beziehen. Die Reichweite der Inhaltskontrolle hängt in erster Linie von der Qualität und Vollständigkeit der Dokumentation der Hauptverhandlung und der dort getroffenen Entscheidung ab, während die Einhaltung der Verfahrensregeln anhand der Hauptverhandlungsprotokolle regelmäßig sehr gut überwacht werden kann. Spezifische Rechtsmittelunterschiede zwischen den beiden Systemen sind daher nicht zu erwarten. Tendenziell ist allerdings davon auszugehen, daß sich das verstärkte Bemühen des Amtsermittlungsverfahrens um materielle Richtigkeit der Entscheidung auch auf dieser Ebene widerspiegelt, während umgekehrt im adversatorischen Verfahren die Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensregeln eine besondere Rolle spielen sollte.
104 Siehe § 3 III Cl b bb.
111. Deutsche Verfahrensstruktur
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111. Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten innerhalb der besonderen deutschen Verfahrensstruktur A. Amtsermittlungsverfahren und Stellung der Verteidigung Das deutsche Strafverfahren ist ein ausgeprägtes Amtsennittlungsverfahren mit den beschriebenen Konsequenzen für die Beweisantragsrechte des Beschuldigten. 105 Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung wird von dem Gerichtsvorsitzenden durchgeführt, der sich anhand der Ennittlungsakten vorbereitet hat. Das Gericht ist von Amts wegen zur umfassenden Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet; Dispositionsbefugnisse stehen den Prozeßbeteiligten - von den §§ 153 ff. StPO abgesehen - hinsichtlich des Prozeßgegenstandes nicht zu. Die Stellung der Verteidigung ist in einem derartigen System grundsätzlich als schwach anzusehen. 106 Aufgabe des Verteidigers ist neben dem Schutz des Beschuldigten vor mißbräuchlichen Übergriffen der Strafverfolgungsorgane vor allem die Überwachung und Ergänzung der Beweiserhebungen des Gerichts, wofür ihm umfassende Einsicht in die Ennittlungsakten gewährt wird. Erfüllt das Gericht seine Verpflichtungen sachgerecht, so bleiben der Verteidigung freilich wenig Möglichkeiten, auf den Verfahrensablauf gestaltend einzuwirken. Dem Beschuldigten wird daher auch kein lückenloses Recht auf Verteidigerbeistand gewährleistet. Zwar darf er sich gemäß § 137 Abs. 1 Satz StPO "in jeder Lage des Verfahrens" eines Verteidigers bedienen, und gemäß §§ 140 ff. StPO muß ihm in Fällen, in denen eine Selbstverteidigung wegen der Schwere der drohenden Sanktion, der komplizierten Verfahrenslage oder wegen sonstiger Umstände erschwert ist,l07 sogar ein Verteidiger von Amts wegen bestellt werden. Liegen dagegen die Voraussetzungen der "notwendigen Verteidigung" nicht vor, dann übernimmt der Staat auch nicht die Kosten eines vom Beschuldigten aus eigener Initiative beauftragten Verteidigers,108 was in der Praxis dazu führt, daß selbst in Fällen mittlerer 105 Vgl. etwa die Charakterisierung von Pfeiffer, in: KK, StPO (1993), Einleitung Rdn. 7. 106 Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 108.
107
Eingehend dazu Hahn, Notwendige Verteidigung (1975). Siehe auch Rieß, StV 1981,461.
108 Sehr kritisch gegenüber dieser Verbindung von notwendiger Verteidigung und Übernahme der Verteidigungskosten durch den Staat bei annen Beschuldigten Rieß, StV 1981,461. Vgl. auch Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung (1970), S. 49 Cf.; Ger1ach, Peters-FS 11 (1984), 160 ff.; Hammerstein, JR 1985, 141; Hahn, Notwendige Verteidigung (1975), S. 75 ff.; sowie zur Rechtsprechung des BVerfG Spaniol, Recht auf Verteidigerbeistand (1990), S. 20 Cf. 9'
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
Kriminalität ein erheblicher Anteil der Beschuldigten unverteidigt bleibt. I09 Und auch die Pflichtverteidiger werden ganz überwiegend erst nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens bestellt,110 zu einem Zeitpunkt, zu welchem regelmäßig bereits wichtige Weichenstellungen erfolgt sind. 111 Die wenigen empirischen Studien über Verhalten und Effizienz der Verteidigung zeigen dementsprechend, daß jedenfalls in den alltäglichen Routinefällen deren Einflußnahme auf das Verfahren eher gering ist. 112 Insbesondere scheint es in der psychologischen Interaktion mit dem Gericht wichtig zu sein, diesem nicht das Gefühl der Überlegenheit zu nehmen, sondern man muß sich als Verteidiger eher klein und unauffällig machen, um keine unerwünschten Gegenreaktionen auszulösen. I \3 Unverteidigte Beschuldigte bleiben demgegenüber - außerhalb ihrer eigenen Einlassung - fast völlig passiv und nehmen kaum ihre prozessualen Rechte wahr. I 14 Dieses "traditionelle"115 Bild der Verteidigung im deutschen Strafprozeß ist allerdings in der jüngeren Zeit durch verschiedene Entwicklungen ins Wanken geraten. Auf der einen Seite treten seit Anfang der 70er Jahre verstärkt spezialisierte Strafverteidiger in Erscheinung, die sich nicht mehr mit der überkommenen, auf die Plädoyer-Rhetorik in der Hauptverhandlung konzentrierten Rollenvorstellung begnügen, sondern in allen Verfahrensabschnitten aktiv 109 Vgl. Rieß, StV 1985, 211 ff., mit Zahlenmaterial für die Jahre 1971-1983, innerhalb derer nur unwesentliche Veränderungen stattfanden; sowie Stern, in: AK, StPO, vor § 137 Rdn. 92 f. (1992). 1\0 Vgl. Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 224, 226, 232.
111
Näher dazu sogleich unter § 3 III C I b bb.
112 Vgl. Barton, MSchrKrim 1988, 98 ff.; derselbe, StV 1984, 395 ff.; sowie insbesondere Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 113 ff., 179 ff. einerseits (relativ hohe Selbsteinschätzung der Rechtsanwälte) und S. 241 ff., 291 ff., 330 ff., 342 ff. andererseits (relativ geringe Aktivitäten bei Aktenanalyse feststellbar). Siehe auch Stern, in: AK, StPO, vor § 137 Rdn. 99 ff. (1992).
1\3 Vgl. Barton, MschrKrim 1988, 103 f.
114
Vgl. die Ergebnisse von Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S.293, 330 f., 342 f. Auch unsere Befragung (§ 5 11 B 3 b bb) ergab, daß nach der Einschätzung der Richter zwar einzelne "Dauerkunden" mit entsprechender forensischer Erfahrung durchaus zu gezielten Verfahrensbeeinflussungen in der Lage seien, im übrigen aber nur die eigene Einlassung vorher überlegt werde und Beweisanträge von den Beschuldigten selbst nur sehr gelegentlich gestellt wUrden.
115 Jungfer, in: Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege (1991), S. 38 ff., weist allerdings darauf hin, daß es auch in der Weimarer Zeit sehr engagierte Strafverteidiger gegeben habe, weshalb man heute nicht von einem neuen Strafverteidigertyp, sondern nur von einer Renaissance der Strafverteidigung sprechen könne (S. 58 f.).
111. Deutsche Verfahrensstruktur
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werden, die prozessualen Rechte des Beschuldigten ausnutzen und notfalls auch massive Konflikte mit dem Vorsitzenden nicht scheuen. 116 Dabei kommt ihnen der nicht unerhebliche Ausbau der Beschuldigtenrechte in der StPO bis Mitte der 70er Jahre entgegen,117 aufgrund dessen die Verteidigung heute über ein sehr breites Arsenal prozessualer "Waffen" verfügt. Auf der anderen Seite wird von einer zunehmend technokratischen und weniger pathetischen Amtsführung der Richter und Staatsanwälte berichtet, die auch einem offenen Gedankenaustausch mit dem Verteidiger nicht aus dem Wege geht. 118 Zusammen mit der insbesondere in den 70er Jahren gestiegenen Arbeitsbelastung der Justiz, die sich bei Verfahren wegen schwerer Straftaten vor allem in einer starken Zunahme der Hauptverhandlungsdauer ausdrückt, I 19 haben diese Faktoren schließlich das Vordringen informeller "Absprachen" begünstigt, bei denen sich Gericht/Staatsanwaltschaft und Verteidigung jedenfalls innerhalb eines gewissen Rahmens als autonome Verhandlungspartner gegenüberstehen und das Verfahrensergebnis in einer Weise aushandeln, die sich mitunter kaum noch vom US-amerikanischen "plea bargaining" unterscheiden dürfte. l20 Die gegenwärtige Entwicklung des deutschen Strafverfahrens tendiert damit zu einer deutlichen Ausdehnung der - latent schon immer vorhandenen - ad116 Vgl. Ga/zweiter, Koch-FG (1989), 94 ff.; Hanack, StV 1987, 501; Ostendorf, DRiZ 1993, 197; Weihrauch, in: 175 lahre Pfälzisches Oberlandesgericht (1990), S.364. Siehe auch die Beschreibung des Verteidigerverhaltens in den Baader-Meinhof-Verfahren durch Breuker. Verteidigungsfremdes Verhalten (1993), S. 64 ff. 117 Vgl. den Überblick bei Rieß. in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der lustiz (1977). S. 373 ff. 118 Dies war jedenfalls eine häufig geäußerte Auffassung von Referenten und Diskussionsrednem der strafrechtlichen Abteilung des 58. Deutschen luristentags (vgl. Verhandlungen des 58. Deutschen luristentags Band 11 (1990), L 49 f. (Schäfer), L 85 (Gallandi), L 89 (Hammerstein), L 114 (Richter). L 135 (Schlicht), L 138 f. (Richter). L 145 [Meyer-GoßnerJ). 119 Vgl. dazu Rieß, DRiZ 1982,206 f.; Schünemann, Pfeiffer-FS (1988), 463 ff.; sowie Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 2, Zivilgerichte und Strafgerichte 1981-1989, Statistisches Bundesamt Wiesbaden. Strafgerichte 1990/1991, Arbeitsunterlage, woraus sich für die 80er lahre bei den erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Amtsgerichten ein deutlicher Rückgang, bei den erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten dagegen eine Stabilisierung auf hohem Niveau ergibt. 120 Die bisher gründlichste empirische Untersuchung zur Praxis der Absprachen wird vorgestellt von Schünemann, Gutachten B für den 58. Deutschen luristentag (1990), B 12 ff. Zur Problematik insgesamt vgl. DenckerRiamm, Der Vergleich im Strafprozeß (1988); sowie Schünemann, a.a.O. passim.
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versatorischen Elemente und zu einer faktischen Aufwertung der Verteidigung hin. Es verwundert daher auch nicht, wenn im Schrifttum immer stärker auf die Notwendigkeit eigenständiger Sachverhaltsermittlungen durch die Verteidigung hingewiesen wird, aus denen sich vielfach überhaupt erst die Ansatzpunkte zu einer aktiven, das Verfahren wesentlich mitgestaltenden Verteidigungsstrategie ergeben. 121 Insbesondere können Beweisanträge nur dann sinnvoll gestellt werden, wenn ihre potentiellen positiven wie negativen Auswirkungen auf den Beschuldigten abschätzbar sind. 122 Nach dem geltenden Recht sind eigene Ermittlungen der Verteidigung auch durchaus zulässig. So gehen einzelne Vorschriften der StPO, etwa § 246 Abs.2 und 3, ausdrücklich von ihrer Existenz aus, und § 6 der 1987 vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Standesrichtlinien enthielt sogar eine konkrete Regelung für die Befragung von Zeugen durch einen Rechtsanwalt. 123 Auch sind die Ergebnisse der Ermittlungen weitgehend durch die Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheiten der §§ 53 Abs. 1 Nr. 2, 53a und 97 StPO geschützt, wobei ein Teil des Schrifttums auch die Erkenntnisse eines vom Verteidiger beauftragten Detektivs in diesen Schutzbereich einbeziehen will. l24 Die von der Staatskasse zu tragenden Gebühren eines Pflichtverteidigers oder eines Wahlverteidigers im Falle des Freispruchs sind auf derartige Aktivitäten freilich nicht zugeschnitten, und die Kosten von Detektiven oder Privatgutachen werden nur in den seltensten Fällen als erstattungsfähige notwendige Auslagen im Sinne des § 464a StPO anerkannt. 125 In der Praxis sind daher aufwendige Verteidigerermittlungen, die über die Befragung des Mandaten hinausgehen, nicht sehr häufig und dürften im wesentlichen nur finanzkräftigen Beschuldigten zugute kommen. 126 Außerdem wer121 Vgl. etwa DeckeT/Kotz, Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.3; Rückei, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn 9; derselbe, Peters-FS 11 (1984), 265 ff.; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren (1991), Rdn 94 ff. 122 Vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn. 166; Jungfer, in: Die eigene Ermittlungstätigkeit (1981), S. 15 f.; Rückei, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn. 9. Eingehend zur Vorbereitung von Beweisanträgen durch eigene Verteidigerermittlungen Rückei, PetersFS II (1984), 272 ff. 123 Vgl. Jungfer, in: Die eigene Ermittlungstätigkeit (1981), S. 11 ff. 124 Vgl. J:mgfer, StV 1989,504, m. w. N. 125 Vgl. nur KleinknechtiMeyer-Goßner, StPO (1993), § 464a Rdn. 16 m. w. N. 126 Die Befragung von Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 156 f., ergab, daß schon nach der Selbsteinschätzung der Rechtsanwälte die eigenen Verteidigerermittlungen keinen besonderen Stellenwert haben. Vgl. auch Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren (1991), Rdn. 97.
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den Zeugen, die vor ihrer Vernehmung durch die Strafverfolgungsbehörden bereits Kontakt mit dem Verteidiger gehabt haben, von den Gerichten mit großer Skepsis beurteilt,127 und viele Sachverständige weigern sich, auf privaten Auftrag eines Verteidigers hin tätig zu werden. 128 Die tatsächliche Bedeutung der Verteidigerermittlungen muß daher nach wie vor als eher gering angesehen werden, und ihrer Ausdehnung stehen nicht unerhebliche Hindernisse entgegen. Insgesamt sind die Möglichkeiten der Verteidigung damit zwar auf der einen Seite durch die Konstruktion des Amtsermittlungsverfahrens und den daraus folgenden faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen beschränkt. Auf der anderen Seite ist der Beschuldigte inzwischen aber mit einer Reihe durchsetzbarer Verfahrensrechte ausgestattet, welche vom BVerfG auch verfassungsrechtlich abgesichert worden sind, so daß sich der Verteidigung wichtige Handlungsspielräume eröffnen, von denen von selbstbewußten Verteidigern zunehmend offensiv Gebrauch gemacht wird. Insbesondere bildet das Beweisantragsrecht eine wichtige prozessuale "Waffe", die in Konfliktsituationen wirkungsvoll eingesetzt werden kann. Die Stellung der Verteidigung im deutschen Amtsermittlungsverfahren beruht daher nicht auf einem einheitlichen Konzept. Vielmehr hat das mit der Anerkennung der Beschuldigtenrechte zwangsläufig verbundene Vordringen adversatorischer Elemente zu Verwerfungen geführt, die - wie noch zu zeigen sein wird 129 - das Gleichgewicht zwischen öffentlichen Strafverfolgungsinteressen und individuellen Freiheitsinteressen in beide Richtungen hin geflihrden. B. Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht
Beweisanträge zielen auf die Erweiterung der empirischen Beweisbasis, d.h. derjenigen Informationen, die aus Beweismitteln gewonnen und vom Urteiler unmittelbar oder mittelbar sinnlich wahrgenommen werden. l3o Der Beschuldigte hat, wie gezeigt, einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Herstellung einer möglichst vollständigen Beweisbasis, damit ihm ein bestmöglicher Schutz vor ungerechtfertigter Verurteilung zuteil wird. Zu diesem Zweck wie auch zur Ermöglichung seiner Selbstbehauptung im Verfahren müssen ihm 127 128 129
Vgl. Elmar Müller, Strafverteidigung (1989), Rdn. 32. Vgl. etwa die Schilderung von HartmanniRubach, StV 1990,426. Siehe § 5 II 6; § 5 IV.
130 Siehe § 2 111.
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Beteiligungsrechte gewährt werden, aufgrund derer er die Beweisbasis durch Einführung und Ausschöpfung neuer Beweismittel ergänzen oder ergänzen lassen kann. 131 Im Amtsermittlungsverfahren liegt die Verantwortung für die vollständige Sachverhaltsaufklärung zwar bei den Strafverfolgungsbehörden und insbesondere beim erkennenden Gericht, aber dieses muß auch hier angesichts der vielfältigen Unsicherheiten dem Beschuldigten Raum für Ergänzungen gewähren. Dabei stellt sich das Problem der gerechten Ausbalancierung von öffentlichen Strafverfolgungsinteressen und individuellen Freiheitsinteressen in besonderer Schärfe. Der Gesetzgeber hat nicht nur positiv für eine sachgerechte und neutrale Amtsaufklärung zu sorgen, sondern er muß auch negativ dem Beschuldigten Grenzen setzen. 132 Dieser muß sich nämlich nicht vor einem Laienrichtergremium als glaubwürdiger Gegenpart des Anklägers präsentieren, sondern kann regelmäßig ohne die Gefahr taktischer Nachteile versuchen, die Amtsermittlung zu behindern. Dabei kann dem Beschuldigten insbesondere kaum entgegengehalten werden, daß er mit seinen Beweisbegehren zu spät komme oder nur Verfahrens sabotage betreiben wolle. Soweit nämlich die richterliche Verantwortung für die Wahrheitserforschung reicht, muß allen Beiträgen und Anregungen, die in irgendeiner Weise zur weiteren Aufklärung beitragen könnten, schon aus amtlichem Interesse heraus nachgegangen werden. Zur Lösung dieses Konflikts bieten sich grundsätzlich zwei verschiedene Modelle an, zwischen denen das deutsche Strafverfahrensrecht seit 1877 hinund hergependelt ist. Das eine - rein instruktorische - Modell setzt bei der richterlichen Aufklärungspflicht an und versucht, diese in Umfang und Grenzen möglichst genau festzulegen. Beweisanträge und -anregungen des Beschuldigten haben dann nur die Bedeutung eines Hinweises auf ein bestimmtes Beweismittel oder Beweisthema und lösen in den entsprechenden Fällen die Aufklärungspflicht aus. Das andere - instruktorisch-adversatorisch-gemischte - Modell beläßt dem Gericht dagegen ein verhältnismäßig weites Aufklärungsermessen und konzentriert sich statt dessen auf die Beweisantragsund Beweisführungsrechte des Beschuldigten. Die geforderte Abwägung zwischen öffentlichen und individuellen Interessen wird im ersten Modell bei der Bestimmung der Reichweite und Grenzen der richterlichen Aufklärungs131 Siehe § 2 11 C 2. 132 Siehe auch Wolschke, Leitgesichtspunkte (1973), S. 157 ff.
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pflicht, im zweiten Modell bei den Beweisantrags- und Beweisführungsrechten des Beschuldigten vorgenommen. Verfassungsrechtlich sind heide Wege möglich: Das erste Modell setzt vor allem auf die amtliche Gewährleistung des geforderten Schutzes vor ungerechtfertigter Verurteilung und gewährt dem Beschuldigten quasi reflex artig lediglich ergänzende Beteiligungsmöglichkeiten, die im Konfliktfall allerdings auch hier entsprechende Bedeutung gewinnen und von der Verteidigung zu einem adversatorischen Instrument verwandelt werden können - das zweite Modell vertraut stärker, wenn auch bei weitem nicht im selben Maße wie das angelsächsische adversatorische Verfahren, auf die Selbsthehauptung und Prozeßverantwortung des Beschuldigten. Die gesetzliche Ausgangslage von 1877 entsprach klar dem zweiten Modell.\33 Gemäß § 244 Abs. 1 RStPO 1877 mußte das Gericht in Verfahren vor den Schwurgerichten die Beweisaufnahme auf sämtliche vorgeladenen Zeugen und Sachverständige sowie auf die anderen herbeigeschafften Beweismittel erstrecken, während es die Ladung weiterer Zeugen und Sachverständigen und die Herbeischaffung anderer Beweismittel gemäß § 243 Abs. 3 RStPO 1877 anordnen oder ablehnen konnte, ohne dabei an materielle Kriterien gebunden zu sein. Für Beweisanträge sah § 243 Abs. 2 RStPO 1877 lediglich vor, daß zu ihrer Ablehnung ein Gerichtsbeschluß erforderlich war, und gemäß § 245 Abs. 1 RStPO 1877 durften sie nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Wollte der Beschuldigte die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung erzwingen, so mußte er diesen gemäß § 219 Abs. 1 RStPO 1877 selbst laden. Das Reichsgericht sah am Anfang auch keine Veranlassung, an dieser Situation etwas zu ändern, und überließ insbesondere die Bescheidung von Be-
133 Zur Entwicklungsgeschichte von Beweisantragsrecht und Aufldärungspflicht vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 1 ff.; Engels, Aufldärungspflicht (1979), S. 21 ff.; derselbe, GA 1981, 24 ff.; Hagemann, Präsente Beweismittel (1980), S. 5 ff.; Herdegen, KarlheinzMeyer-GS (1990),188 ff.; HojJman, Unerreichbarer Zeuge (1991), S. 29 ff.; Julius, Unerreichbarkeit (1988), S.7ff.; Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 18 ff.; Meurer, Hilde-Kaufmann-GS (1986), 955 ff.; IngoMüller, Rechtsstaat und Strafverfahren (1980), S. 141 ff.; Rieß, in: Vom Reichsjustizarnt zum Bundesministerium der Justiz (1977), S. 423 ff.; Schlüchter, Weniger ist mehr (1992), S. 33 ff.; Schulz, StV 1991, 359; derselbe, in: Der Richter im Strafverfahren (1992), S. 93 ff.; Thole, Scheinbeweisantrag (1992), S. 35 ff.; Wenner, Aufldärungspflicht (1982), S. 7 ff.; Wessels, JuS 1969, 1 f. Siehe auch Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn. 2 (1992).
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weisanträgen dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. 134 A~s Konsequenz ergab sich in den ersten Jahren vielfach die Notwendigkeit, zum Recht des Beschuldigten auf Vernehmung präsenter Beweismittel Stellung zu nehmen, wobei das RG neben strengen formellen Anforderungen, die insbesondere den Urkunden- und Augenscheinsbeweis aus dem Kreis der vom Beschuldigten erzwingbaren Beweiserhebungen ausschlossen, auch vorsichtige materielle Begrenzungen formulierte. 135 Schon bald aber setzte eine für die heutige Situation maßgebliche Entwicklung ein, in deren Verlauf die vom Gesetz mehrfach erwähnte Institution des Beweisantrags für den Zeugenbeweis zu einem wirksamen Beschuldigtenrecht ausgebaut wurde. 136 Nachdem der Zweite Strafsenat des RG schon früh die Ablehnung eines Antrags auf Vernehmung eines Entlastungszeugen mit der Begründung, die Sache sei bereits geklärt, als unzulässig angesehen hatte,137 wurde in der Folgezeit über das revisonsrechtliche Instrument des § 338 Nr.8 StPO (bis 1924: § 337 Nr.8) Stück für Stück der Katalog der heute noch gültigen Ablehnungsgründe aufgestellt. 138 Das Recht des Beschuldigten auf Vernehmung präsenter Zeugen und Sachverständigen verlor dadurch erheblich an Bedeutung. 139 Umgekehrt sah das Reichsgericht aber auch keinen Anlaß, außerhalb des Beweisantragsrechts besondere Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht zu stellen, die vom Beschuldigten mit der Revision hätten aufgegriffen werden können. 14O Seine Haltung veränderte sich erst, als der Gesetzgeber 1939 das Beweisantragsrecht abschaffte. Das RG transferierte daraufhin den Inhalt der Beweisantragsablehnungsgründe in die Aufklärungspflicht und sicherte so dem Beschuldigten weiterhin - zumindest faktisch - einen mit der Revision 134 Vgl. RGSt 1,61 (62). Weitere Nachweise bei Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 4Fn. 12. 135 Vgl. etwa RGSt 1,241 (243 f.); 1, 138 (139 f.); 1, 383 (384 f.). Eingehend dazu Hagemann, Präsente Beweismittel (1980), S. 20 ff. 136 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 4 f.; Engels, Aufklärungspflicht (1979), S. 24 ff.; Julius, Unerreichbarkeit (1988), S. 12 ff. 137 RGSt 1, 189 (190). 138 Vgl. insbesondere die Darstellung von Alsberg, Beweisantrag (1930), S. 45-128, die den damaligen Stand der Rechtsprechung des RG grundlegend aufarbeitete. 139 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 4; Schulz. in: Der Richter in Strafsachen (1992). S. 96. 140 Vgl. etwa RG JW 1902, 579 Nr.22. Näher dazu SarstedtlIlamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 244 f.; Wesseis, IuS 1969, 1, beide m. w. N.
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durchsetzbaren Anspruch auf Erhebung potentiell erheblicher und geeigneter Beweise. 141 Damit war die Summe von Gesetz und höchstrichterlicher Rechtsprechung bei dem ersten Modell der Beteiligung des Beschuldigten am Beweisverfahren angelangt, welches sich vorrangig auf die Zuverlässigkeit der Amtsermittlung stützt. Der Katalog der Beweisantragsablehnungsgründe hatte sich für beide Modelle als taugliches Instrument erwiesen. Nach 1950 wurde das Beweisantragsrecht in vollem Umfang wieder eingeführt, zugleich aber auch die revisonsrechtliche Aufklärungsrüge beibehalten und dem Beschuldigten außerdem wieder das Recht gewährt, Zeugen und Sachverständige selbst laden zu lassen und andere Beweismittel unmittelbar in der Hauptverhandlung zu präsentieren. Dadurch ist eine Kumulation beider Modelle entstanden, die es schwierig macht, die einzelnen Institutionen (Aufklärungspflicht, Beweisantragsrecht, Recht auf Erhebung präsenter Beweismittel) präzise gegeneinander abzugrenzen. Insbesondere ist unklar und umstritten, ob das Beweisantragsrecht nur eine Konkretisierung der allgemeinen Aufklärungspflicht 142 oder eine über diese hinausgehende, auf der Prozeßverantwortung des Beschuldigten aufbauende Ergänzung 143 darstellt. Die Anhänger beider Auffassungen können sich auf die Entstehungsgeschichte berufen, denn das RG konstruierte das Beweisantragsrecht zunächst völlig unabhängig von der Aufklärungspflicht als eigenständiges Recht des Beschuldigten, brachte später aber aus der Not der Situation heraus beide Institutionen zur 141 Vgl. SarstedtIHamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 248 ff.; Wenner, Aufklärungspflicht (1982), S. 16 ff., heide mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung; sowie allgemein zur Rechtsprechung des RG zur Aufklärungspflicht Schulz, in: Der Richter in Strafsachen (1992), S. 98 ff. 142 So unter anderen Bergmann, Beweisanregung (1970), S. 136; Engels, Aufklärungspflicht (1979), S. 39 f.; derselbe, GA 1981, 31; Fezer, Strafprozeßrecht 11 (1986), 12197, 186; Gössel, Strafverfahrensrecht (1977), S. 248; derselbe. Gutachten C zum 60. DJT (1994), C 66 f.; Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 26 f.; Wenner, Aufklärungspflicht (1982), S. 158 ff., zusammenfassend S. 193 f.; Wenskat, Augenschein (1988), S. 274; Wessels, JuS 1969, 3 f. 143 So unter anderen AlsberglNüseJMeyer, Beweisantrag (1983), S.31; Frister. ZStW 105 (1993), S. 342 ff.; Grünwald. Beweisrecht (1993), S. 106 f.; Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 42; derselbe, NStZ 1984, 98 f.; Hoffmann, Unerreichbarer Zeuge (1991), S. 89; Jerouschek. GA 1992, 503; Julius, Unerreichbarkeit (1988), S. 105 Cf.; derselbe, NStZ 1986, 63; Kleinknechtl Meyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 12; Meyer-Goßner, in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S. 122 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 311; SarstedtIHamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 252; Schmidt-Hieber, JuS 1985, 292; Schlüchter. in: SK, StPO, § 244 Rdn. 52 (1992); dieselbe. Weniger ist mehr (1992), S.43 ff.; Schöch. in: AK, StPO, § 244 Rdn. 28 (1993); Schroeder, Strafprozeßrecht (1993), Rdn. 238; Schulz, StV 1991, 361; Werle, JZ 1991,792; Widmaier. NStZ 1994,415 f. Ähnlich auch BGHSt 32, 68, 73.
140
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
Deckung. Andererseits müssen sowohl die Vertreter der Identitätslehre mit der Existenz des § 245 Abs. 2 StPO ein eindeutig dem instruktorisch-adversatorisch-gemischten Modell zugehöriges Element als auch die Vertreter der Trennungslehre mit dem starken Ausbau der Aufklärungspflicht ein wichtiges Charakteristikum des rein instruktorischen Modells anerkennen. Tatsächlich dominiert das Beweisantragsrecht in beide Richtungen hinein heute so stark, daß es nicht leicht ist, Beispiele zu finden, in denen das Gericht Beweisanträgen stattgeben, entsprechenden formlosen Beweisbegehren, die lediglich die Aufklärungspflicht auslösen, aber nicht nachgehen müßte. l44 Und auf der anderen Seite spielen Anträge auf Berücksichtigung präsenter Beweismittel gemäß § 245 Abs. 2 StPO in der Praxis nur eine geringe Rolle. 145 Die derzeitige Konstruktion des Beweisantragsrechts innerhalb des deutschen Amtsermittlungsverfahrens entspricht damit dem bereits bei der Beschreibung der Stellung der Verteidigung festgestellten Befund: Eine einheitliche Konzeption, welche die instruktorischen und adversatorischen Elemente in einem geschlossenen System verbinden würde, fehlt. l46 Der Beschuldigte kann einerseits darauf vertrauen, daß wichtige Beweismittel und Tatsachen, die dem Gericht erkennbar sind, von diesem schon aus eigener Initiative herangezogen und überprüft werden. Kommt das Gericht dieser Pflicht nicht nach, so kann das in der Revision sowohl im Rahmen der - prospektiv aus der Prozeßsituation heraus vorzutragenden - Aufklärungsrüge als auch im Rahmen der - retrospektiv aus der Sicht der Urteilsbegründung angreifenden "Darstellungsrüge"147 aufgegriffen werden. Freilich geht der Beschuldigte, der auf Beweisanträge oder Beweisanregungen verzichtet, das Risiko ein, daß ihm vom Revisionsgericht entgegengehalten wird, der Beweis sei ohne einen derartigen Hinweis für das Tatgericht nicht erkennbar gewesen. l48 Auf der 144 Genannt wird regelmäßig die Prozeßverschleppung, bei welcher die Ablehnung eines Beweisantrags den Nachweis einer entsprechenden subjektiven Absicht erfordert, für ein Nichteingreifen der Aufklärungspflicht dagegen bereits die objektive Aussichtslosigkeit genügen soll (vgl. etwa Herdegen, NStZ 1984, 98 f.; siehe auch § 4 IV D 2, § 4 IV D 3 h). Zur Bedeutung des 1993 eingeführten § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO siehe § 4 IV D 3 k.
145
Siehe § 4 IV D 4; § 5 11 B 3 b bb.
146 Siehe auch Schutz. in: Der Richter im Strafverfahren (1992), S. 104 f.
147 Die inzwischen wichtige Funktionen der AufklärungsrUge übernommen hat (vgl. Fezer, Erweiterte Revision (1974), S. 53; Hamm, in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S.31). Siehe auch § 3 III C 3 b. 148 Vgl. etwa SarstedtIHamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 252 f. Unsere eigene Analyse der erfolgreichen Revisionen vor dem BGH ergab, daß erfolgreiche AufklärungsrUgen eher
10. Deutsche Verfahrensstruktur
141
anderen Seite kann der Beschuldigte mit auf die Aufklärungspflicht gestützten fonnlosen Beweisanregungen und fönnlichen Beweisanträgen nach § 244 Abs. 3-5 und § 245 Abs. 2 StPO das Gericht in sehr weitem Umfang zu Beweiserhebungen zwingen, auch wenn dieses sie als unnötig oder sinnlos ansieht. Grundsätzlich stehen ihm daher die Vorteile beider Modelle zur Verfügung. C. Die Bedeutung des Beweisantragsrechts in den einzelnen
Verfahrensabschnitten
1. Ermittlungsverfahren a) Die Ausgangssituation der Verteidigung
Ursprünglich wurde das Ermittlungsverfahren vor allem deshalb von der Entscheidungsfindung vor dem erkennenden Gericht abgetrennt, um die Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Konzentration der Hauptverhandlung gewährleisten zu können. 149 Das Ermittlungsverfahren selbst sollte nur einen vorläufigen, unfertigen Charakter haben und lediglich der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienen.l 50 Besondere Verteidigungsrechte waren in dieser Phase daher nicht nötig. Trotz eines massiven IBedeutungswandels" 151 des Ermittlungsverfahrens entspricht die Ausgangssituation der Verteidigung auch heute noch im wesentlichen dieser ursprünglichen Konzeption. Insbesondere sind die faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen einer Einflußnahme auf die amtlichen Ermittlungen nicht günstig. Wie bereits dargelegt, können viele Beschuldigte selten sind und sich auf andere Beweiskonstellationen beziehen als erfolgreiche Rügen einer fehlerhaften Beweisantragsablehnung (siehe § 5 III B 2 und 3). Da andererseits Aufklärungsrügen in der Revision sehr häufig sind (vgl. Kodde, Beschlußverwerfung von Revisionen (1989), S.27; SarstedtIHamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 243), muß insoweit von nur sehr geringen Erfolgsaussichten ausgegangen werden. Zu den Erfolgsaussichten der "Darstellungsrüge" liegen keine gezieIten empirischen Untersuchungen vor, doch sind Urteilsaufhebungen wegen unvollständiger tatsächlicher Feststellungen oder fehlerhafter BeweiswUrdigung mangels hinreichender Überprüfung von Sachverhaltsalternativen wesentlich häufiger (vgl. Fezer, Erweiterte Revision (1974), S. 53 f.; Rieß, NStZ 1982,51 f.). 149 Vgl. Rieß, Rebmann-FS (1989), 388 f.
150 Vgl. Rieß, in: LR, StPO, vor § 158 Rdn. 6 (1988). 151 Rieß, Rebmann-FS (1989), 389 f.; Wolter, in: SK, StPO, vor § 151 Rdn. 12 (1994). Zu den empirischen Erkenntnissen über das Ermittlungsverfahren siehe auch Schöch, in: AK, StPO, vor § 158 Rdn. 29 ff. (1992).
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
142
in diesem Stadium nicht auf den Beistand eines Verteidigers zurückgreifen, weil Pflichtverteidiger in aller Regel erst nach Anklageerhebung bestellt werden,I52 und unverteidigte Beschuldigte haben außer durch Hinweise während ihrer eigenen Vernehmung praktisch kaum Möglichkeiten, weitere Ermittlungen zu veranlassen. 153 Das Ermittlungsverfahren ist sachlich zwingend zunächst geheim, damit der Beschuldigte nicht vorzeitig gewarnt wird und belastendes Beweismaterial vernichten oder Zeugen zu wahrheits widrigen Aussagen bewegen kann. 154 Die Ermittlungen werden in den meisten Fällen von der Polizei in eigener Regie durchgeführt,I55 einer Behörde, die vornehmlich an der Aufklärung von Straftaten interessiert ist und dem Verteidiger grundsätzlich sehr reserviert gegenübersteht. 156 Ergänzende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, zu welcher die Verteidigung sehr viel besser Kontakt aufnehmen kann,157 sind selten und dienen häufig nur der Abrundung des bereits feststehenden Ergebnisses. I58
152
Siehe § 3 III A.
153
Insbesondere haben sie kein Recht auf Akteneinsicht. Die Untersuchung von Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 293, ergab demzufolge auch gerade für dieses Verfahrensstadium eine nahezu völlige Passivität der Beschuldigten.
154
Vgl. etwa Emesti, JR 1982,222; Welp, Peters-FS 11 (1984),311; sowie die Regelung des
§ 147 Abs. 2 und 6 StPO. Der Beschuldigte hat demzufolge auch keinen Anspruch auf Auskunft darüber, ob gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist (kritisch dazu Egon Müller, NJW 1976, 1067).
155 Auch wenn bei bestimmten Deliktsarten das staatsanwaltliche Engagement deutlich größer ist (vgl. die empirischen Studien von Blankenburg/Sessar/StejJen, Staatsanwaltschaft (1978), S. 96 ff., 263 ff., 286; Berckhauer, Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten (1981), S. 114 ff., 123 ff.; derselbe, Wirtschaftskriminalität im Strafprozeß (1980), S. 23 f.; Feites, KrirnJ 1984, 57 ff.; Sessar, Tötungskriminalität (1981), S. 104 f.; StejJen, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit (1976), S. 119 ff., insbesondere S. 267 f.; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 134 f., 173 ff.; Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 286 ff.; sowie den zusammenfassenden Überblick bei Rieß, in: LR, StPO, vor § 158 Rdn. 34 ff. [1988]). 156 Siehe § 3 11 B 3 d. Immerhin ergab unsere eigene Befragung, daß von Verteidigerseite aus die Möglichkeit der unmittelbaren Kommunikation mit den Polizeibehörden jedenfalls bei leichteren Delikten, bei denen die Ermittlung von der Polizei regelmäßig in vollem Umfang selbständig vorgenommen werden, in der Praxis durchaus besteht (siehe § 5 11 B 1 a.). 157 Siehe § 311 B 3 c; sowie Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn.207. Unsere eigene Befragung ergab beiderseits eine sehr hohe Einschätzung der Häufigkeit informeller Kontakte zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidiger (siehe § 5 11 B 1 a) und stimmt darin mit den Ergebnissen der Befragung von Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 135 f., überein. 158
Vgl. Blankenburg/Sessar/StejJen, Staatsanwaltschaft (1978), S. 100.
III. Deutsche Verfahrensstruktur
143
Insgesamt ist das Ermittlungsverfahren sehr wenig formalisiert. 159 Beteiligungsrechte und förmliche Anhörungen vor dem Richter werden der Verteidigung zumeist nur im Rahmen von gegen den Beschuldigten selbst gerichteten Zwangsmaßnahmen gewährt, während sie bei der Vernehmung von Zeugen durch Polizei und Staatsanwaltschaft regelmäßig ausgeschlossen bleibt. 16O Der Ermittlungsrichter, der ein förmliches und für die Verteidigung transparentes Verfahren garantieren könnte, hat keine eigenen Ermittlungskompetenzen und wird von der Staatsanwaltschaft außerhalb der Zwangsmaßnahmen eher selten eingeschaltet. 161 Das wichtigste Verteidigungsrecht ist in diesem Stadium die Akteneinsicht, die aber gemäß § 147 Abs. 2 StPO erst dann gewährt werden muß, wenn die Beweislage aus der Sicht der Staatsanwaltschaft bereits geklärt ist. 162 Die Verteidigung kann deshalb häufig nur noch nachträgliche Ergänzungen der amtlichen Ermittlungen veranlassen, hat auf diese selbst aber kaum Einfluß. Auf der anderen Seite können die Strafverfolgungsbehörden aber ihrer gesetzlichen Pflicht, die Untersuchung auch auf alle entlastenden Umständen zu erstrecken, in der Praxis nur eingeschränkt nachkommen. Hat sich nämlich erst einmal ein Verdacht auf einen bestimmten Beschuldigten konkretisiert, so steht zwangsläufig die positive Erhärtung dieser Hypothese im Vordergrund, während man sich entlastenden Indizien weniger gezielt zuwendet. 163 Die Verteidigung darf daher nicht auf die Objektivität der amtlichen Ermittlungen vertrauen, sondern muß selbst aktiv werden. Dies kann zum einen durch selbständige Gegenermittlungen geschehen, auch wenn diesen, wie beschrieben, zumeist enge finanzielle Grenzen gesetzt sind,l64 oder zum anderen durch gezielte Anträge an die Strafverfolgungsbehörden auf Ausdehnung ihrer Er159 Vgl. KleinknechtiMeyer-Goßner, StPO (1993), Einleitung Rdn.60; Peters, Strafproze8 (1985), S. 533; Rieß, Rebmann-FS (1989), 396; derselbe, in: LR, StPO, vor § 158 Rdn. 17 (1988); Schreiber, Baumann-FS (1992), 383 ff.; Wolter, in: SI(, StPO, vor § 151 Rdn. 24 (1994). 160 Zu den Folgen für die Verteidigung vgl. Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 219 f. 161 Vgl. Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 299 ff. Ebenso die Ergebnisse unserer eigenen Befragung (§ 5 11 B I a). 162 Vgl. dazu Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 219. Die empirischen Untersuchungen von Vogtherr, Strafverteidigung (1991), ergaben allerdings, daß sowohl nach der Einschätzung der Rechtsanwälte (S. 121 f.) als auch in der aus der Aktenanalyse erkennbaren Realität (S. 246 f.) derartige Verweigerungen der Akteneinsicht die ganz seltene Ausnahme bilden. 163 Vgl. Decker/Kotz, Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.4.2; Kühne, Strafproze81ehre (1993), Rdn. 62.3; Sessar, ZStW 92 (1980), S. 710.
164
Siehe § 3111 A.
144
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
mittlungen in eine bestimmte Richtung. In welchem Umfang dem Beschuldigten entsprechende Beweisantragsrechte bereits im Ermittlungsverfahren gewährt werden, ist Gegenstand des zweiten Kapitels dieser Untersuchung. An dieser Stelle soll daher nur geklärt werden, ob und in welchem Maße die Notwendigkeit zu einer entsprechend frühzeitigen Mitwirkung des Beschuldigten an den amtlichen Ermittlungen und Beweiserhebungen besteht. b) Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beeinflussung der amtlichen Ermittlungen aa) Einflußnahme auf die Erledigungsentscheidung der Staatsanwaltschaft
Aufgabe des Ermittlungsverfahrens ist neben der Stoffsammlung und Vorbereitung der Hauptverhandlung insbesondere die Auswahl derjenigen Fälle, in denen die Durchführung einer aufwendigen Hauptverhandlung dem Beschuldigten zugemutet werden kann und auch aus der Sicht der öffentlichen Strafverfolgungsinteressen notwendig erscheint. 165 Dabei haben sich angesichts des gestiegenen Arbeitsanfalls in der Justiz seit Mitte der siebziger Jahre abgekürzte Erledigungsformen in den Vordergrund gedrängt, die bei leichteren Delikten trotz bestehender oder zumindest potentieller Anklagefahigkeit das Verfahren ohne öffentliche Hauptverhandlung beenden. l66 Teils wird dem Beschuldigten eine Sanktion vorgeschlagen, der er sich freiwillig unterwerfen kann (Strafbefehl, § 153a StPO), teils wird das Verfahren aus mangelndem öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung auch ohne seine Zustimmung eingestellt (§§ 153, 153b ff., 376 StPO). Soweit die Mitwirkung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts erforderlich ist, stimmt dieses den Vorschlägen der Staatsanwaltschaft in der Praxis nahezu ausnahmslos ZU,167 so daß die Entscheidung faktisch allein von den Staatsanwälten 165 Siehe § 3 II B 2 a. 166 Vgl. die Angaben bei Rieß, ZRP 1983, 96, ZRP 1985, 213, jeweils Tabelle 4; sowie für die Zeit ab 1981 die auf einer etwas anderen Berechnungsgrundlage beruhenden Übersichten in: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Staatsanwaltschaften, Albeitsunterlage, 1981 ff. Als Gesamttrend ergibt sich - bei gleichbleibendem Anteil der Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO eine kontinuierliche Abnahme der Anklagen mit gleichzeitigem entsprechendem Anstieg der Verfahrenseinstellungen nach Ermessen, wobei in den achtziger Iahren der Anteil der Einstellungen nach § 153a StPO nur noch langsam, deljenige der Einstellungen nach § 153 StPO jedoch sehr erheblich gestiegen ist. Siehe auch Schöch, in: AK, StPO, § 153 Rdn. 66 ff. (1992). 167 Vgl. Blankenburg/Sessar/Stejfen, Staatsanwaltschaft (1978), S. 113, 246; Hertwig, Einstellungen wegen Geringfügigkeit (1982), S. 91; Meinberg, Geringfiigigkeitseinstellungen von Wirtschafts delikten (1985), S. 89.
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abhängt. Tatsächlich haben diese 1991 nur noch etwa 30 % aller (zumindest potentiell) anklagefahigen Ermittlungsverfahren zur Anklage gebracht und ansonsten 30 % durch Strafbefehl, 10 % durch Ermessenseinstellung gegen Auflage sowie 30 % durch ErmesseneinsteIlung ohne Auflage abgeschlossen. 168 Für die Verteidigung stellt sich daher nicht nur im Falle des Bestreitens des Tatvorwurfs, sondern auch bei einem - eher den Regelfall bildenden 169 - geständigen Beschuldigten im Ermittlungsverfahren die Aufgabe, möglichst auf eine Einstellung des Verfahrens oder zumindest auf den Erlaß eines Strafbefehls hinzuwirken. Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zu diesen Erledigungsentscheidungen und insbesondere zur Einstellungspraxis nach den §§ 153, 153a StP0170 zeigen, daß die Staatsanwälte bei aller Heterogenität der Kriterien 171 sich insgesamt im wesentlichen an dem Strafzumessungsprogramm des Richters in der Hauptverhandlung orientieren und ihre Entscheidung von der Deliktsschwere, der Art der Tatbegehung, dem angerichteten Schaden, den Vorstrafen des Täters, dem Mitverschulden des Opfers, etwaigen Wiedergutmachungsbemühungen etc. abhängig machen. 172 Rein arbeitsökonomische Gründe, etwa um beweisschwierige, komplexe und lang andauernde Verfahren abzukürzen, spielen nach den bisherigen Erkenntnissen da-
168 Eigene Berechnungen aufgrund der Angaben in: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Staatsanwaltschaften, 1991, Arbeitsunterlage, Wiesbaden 1994. Als anklagefähig wurden alle Verfahren angesehen, die nicht durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, Tod oder Schuldunfähigkeit des Beschuldigten, Antrag auf Sicherungsverwahrung oder objektives Verfahren, Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft oder eine Verwaltungsbehörde oder durch vorläufige Einstellung erledigt wurden. 169 Vgl. DeckerIKotz, Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.5.4; sowie § 3111 CI b bb. 170 Vgl. den Überblick bei Paschmanns, Staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit (1988), S. 10 ff. 171 Vgl. Hertwig. Einstellung wegen Geringfügigkeit (1982), S. 69 ff.; Paschmanns. Staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit (1988), S. 30 ff. Die einschlägigen Richtlinien der Bundesländer sind wiedergegeben bei Männlein. Anwendung der Opportunitätsvorschriften (1992). S. 56 ff. 172 Vgl. Blankenburg/Sessar/Steffen. Staatsanwaltschaft (1978), S. 143 ff.; Hertwig. Einstellung wegen Geringfügigkeit (1982). S. 113; Kotz. Wahl der Verfahrensart (1983), S. 192 ff.; Kunz. Einstellung wegen Geringfügigkeit (1980), S. 72 f.; derselbe. Krim.l. 1979, 38 f. 10 Perron
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
gegen wohl nur für § l53a StPO im Bereich der Wirtschaftsdelikte eine größere Rolle. 173 In diesem letztgenannten Fall scheint ein entsprechendes, bewußt verfahrensbehinderndes oder -verzögerndes Verteidigungsverhalten auch durchaus erfolgreich zu sein. 174 Ansonsten war allerdings in den bisherigen Untersuchungen kaum ein positiver Zusammenhang zwischen den Bemühungen des Verteidigers und der Erledigungsentscheidung des Staatsanwalts feststellbar. 175 Immerhin stützt der Staatsanwalt sich wesentlich auf das Erscheinungsbild, welches ihm die Akten von Tat und Täter vermitteln. Soweit die Verteidigung dieses Bild überhaupt durch Beweisanträge und Präsentation selbst ermittelter Beweise verändern kann und aufgrund dessen auch eine realistische Chance für eine Vermeidung der Hauptverhandlung sieht, muß sie daher ihre Beweisbegehren durchsetzen, bevor der Staatsanwalt die Abschlußverfügung trifft. 176 In diesem Rahmen hat das Beweisantragsrecht daher bereits im Ermittlungsverfahren eine verfahrensentscheidende Bedeutung. bb) Verbesserungen der Ausgangssituation für die Hauptverhandlung
Kann die Verteidigung die Erhebung der Anklage nicht verhindern, so kommt es mit aller Regelmäßigkeit zur Hauptverhandlung. 177 Da dort gemäß § 261 StPO alle Beweise neu erhoben werden müssen, könnte man zunächst annehmen, daß das Ermittlungsverfahren für die Beweisbeiträge der Verteidigung keine weitere Bedeutung mehr hat. Spätestens die Untersuchungen von Peters haben freilich den Nachweis erbracht, daß viele Fehler der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen sich in die weiteren Verfahrenssta173 Vgl. KaiserlMeinberg, NStZ 1984,347 ff.; Meinberg, Geringfügigkeitseinstellung von Wirtschaftsstrafsachen (1985), S.94, 161 ff. mit Zusammenfassung S. 205 f., einerseits; sowie Kotz, Wahl der Verfahrensart (1983), S. 93 ff., andererseits.
174 Vgl. KaiserlMeinberg, NStZ 1984, 347; Meinberg, Geringfügigkeitseinstellung von Wirtschaftsstrafsachen (1985), S. 182 f. 175 Die meisten Untersuchungen konnten weder positive noch negative oder eher negative Auswirkungen der Verteidigerbeteiligung feststellen (vgl. Berckhauer, Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten (1981), S. 152; Hertwig, Einstellung wegen Geringfügigkeit (1982), S. 228; Kotz, Wahl der Verfahrensart (1983), S. 137 f., 166 f., 178, 186 f.; Kunz, Einstellung wegen Geringfügigkeit (1980), S. 83 ff.; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 189). Einen positiven Zusammenhang sehen dagegen Blankenburg/Sessar/Steffen, Staatsanwaltschaft (1978), S.138. 176 Vgl. auch die Ratschläge von Decker/Kotz. Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.5. 177 Zur - faktisch geringen - Filterwirkung des Zwischen verfahrens sogleich unter § 3 III C 2 a.
III. Deutsche Verfahrensstruktur
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dien hinein fortsetzen und trotz zahlreicher Garantien in der Hauptverhandlung nicht mehr zugunsten des Beschuldigten korrigiert werden können. 178 Andere Studien zeigen umgekehrt, daß auch viele dem Beschuldigten günstige Weichenstellungen des Ennittlungsverfahrens später nicht mehr umgebogen werden. 179 Insgesamt sind die Kenntnisse über die Fernwirkungen des Ennittlungsverfahrens inzwischen so angewachsen, daß dieses von manchen Autoren bereits als "Kern und Höhepunkt"180 des Strafverfahrens bezeichnet wird, während man die Hauptverhandlung nur noch als "aufwendig inszenierte Absegnung"181 der zuvor erzielten Ergebnisse darstellt. Die Abhängigkeit der Hauptverhandlung von den Ergebnissen des Ennittlungsverfahrens beruht auf zwei verschiedenen Ursachen: Zum einen kann die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der ennittelten Beweise nach einem gewissen zeitlichen Abstand nicht mehr sicher beurteilt und nur noch unzulänglich durch weitere Ennittlungen verbessert werden; zum anderen beeinflußt das aus den Akten erkennbare Ennittlungsergebnis als ganzes die subjektive Überzeugungs bildung des erkennenden Gerichts in erheblichem Maße. Mit dem ersten Phänomen muß jede Verfahrensordnung zurecht kommen, die der Entscheidungsfindung des erkennenden Gerichts ein abgetrenntes, von anderen Strafverfolgungsorganen geleitetes Ennittlungsverfahren vorausgehen läßt. Viele Beweise können nur verhältnismäßig kurz nach der Tat aufgespürt werden, weil Spuren verwischen und Erinnerungen verblassen; entsprechende Versäumnisse sind später oft nicht mehr zu korrigieren. 182 Und auch die Gewinnung und Konservierung der Informationen aus den Beweismitteln muß 178 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2 (1972), S. 195 ff. Eine eingehendere Beschreibung und Auswertung des Fallmaterials dieser Untersuchung findet sich bei Lange, Fehlerquellen im Ennittlungsverfahren (1980). 179 So zeigen insbesondere die Studien von Sessar, Tötungskriminalität (1981), S. 63,124,166, und Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S.78, 124 ff., 151,225, daß die rechtliche Beurteilung äußerlich ambivalenter Tatgeschehen nach den in Betracht kommenden Straftatbeständen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sich im Verfahrensverlauf fast ausschließlich zugunsten des Beschuldigten verändert. Allgemein eine hohe Übereinstimmung von polizeilicher Übereinstimmung des Ennittlungsergebnisses und tatsächlichem Verfahrensausgang stellten fest Blankenburg/Sessar/Stejfen, Staatsanwaltschaft (1978), S. 81 ff.; Stejfen, Polizeiliche Ennittlungstätigkeit (1976), S. 177 ff. 180 Wolter, in: SK, StPO, vor § 151 Rdn.22 (1994). Siehe auch Rieß, in: LR, StPO, vor § 158 Rdn. 7 (1988).
181 182 10*
Schünemann, Pfeiffer-FS (1988), 482 f.
Eingehend dazu Lange, Fehlerquellen im Ennittlungsverfahren (1980), S. 17 ff.
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
regelmäßig sehr schneII geschehen. Später, in der Hauptverhandlung, kann ein Zeuge dann häufig nur noch erklären, daß er den Beschuldigten bei der GegenübersteIlung vor der Polizei erkannt hatte, daß seine damals zu Protokoll genommene und ihm jetzt wieder vorgehaltene Aussage richtig war; der Gerichtsmediziner kann nur nachträglich über die Ergebnisse einer Obduktion berichten etc. 183 Außerdem können VernehmungsprotokoIIe aus dem Ermittlungsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen auch unmittelbar in die Hauptverhandlung als Beweismittel eingeführt werden (§§ 250 ff. StPO). Will die Verteidigung hier Einfluß nehmen, so muß sie bei der GegenübersteIlung oder der Vernehmung des Zeugen durch die Polizei anwesend sein und die Obduktion durch einen eigenen Sachverständigen überwachen lassen. Und sie muß schon in diesem frühen Stadium ergänzende Ermittlungen sowie die Sicherung weiterer Beweise veranlassen können, insbesondere in einem System wie dem deutschen, in weIchem die Kapazitäten für eigene Verteidigungsermittlungen schwach sind und außerdem den von der Verteidigung in das Verfahren eingeführten Beweisen von den Gerichten mit Mißtrauen begegnet wird. l84 Mindestens genauso bedeutsam ist für die Verteidigung aber auch die in einem Amtsermittlungsverfahren nahezu unvermeidliche vorurteilsbildende Wirkung des Ermittlungsverfahrens auf das erkennende Gericht. Da der Vorsitzende in der Hauptverhandlung für die wahrheitsgemäße Sachverhaltsaufklärung verantwortlich ist, muß er sich anhand der Ermittlungsakten vorbereiten und einen Untersuchungsplan erstelIen, aus dem sich ergibt, weIche Beweismittel zu welchen Beweisthemen herangezogen werden soIIen. Im deutschen Strafverfahren tritt mit dem Zwischen verfahren zusätzlich die Notwendigkeit hinzu, sich vor der Hauptverhandlung gegenüber den anderen Prozeßbeteiligten ausdrücklich darauf festzulegen, daß der Beschuldigte nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO). Es wurde daher schon immer gemutmaßt, daß diese Vorbeschäftigung nicht ohne Wirkung auf die betroffenen Berufsrichter bleibt und sie gegen den Beschuldigten befangen macht. 18S Inzwischen ist einigen Studien auch ein entsprechender empirischer Nachweis gelungen. 186 183 Vgl. Richter n, StV 1985, 385 f.; derselbe, NJW 1981, 1821; Wolter, in: SI(, StPO, vor § 151 Rdn. 62 (1994). 184 Vgl. DeckerIKotz. Erfolg in Strafsachen (1993), 412.3, 412.4.2, 412.4.3.
185 Vgl. etwa Dahs, ZRP 1968, 19 f. Weitere Nachweise bei Ernst, Zwischenverfahren (1986), S. 92 ff., 112 ff. 186 Vgl. Bandilla, Infonnationsverarbeitung (1986), S. 47 ff.; Bandilla/R. Hassemer, StV 1989, 551 ff.; Haisch, MschrKrim 1979, 157 ff.; Schünemann, in: Deutsche Forschungen zur Kriminali-
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Danach muß heute davon ausgegangen werden, daß jedenfalls in Fällen mit kritischer Beweislage die richterliche Wahrnehmung und Verarbeitung der Informationen in der Hauptverhandlung sehr stark von der aus dem Aktenstudium gewonnenen Vor-Einschätzung der Beweislage beeinflußt wird. 187 Will die Verteidigung die Aufmerksamkeit des Gerichts für einen bestimmten entlastenden Aspekt gewinnen, so muß sie deshalb dafür sorgen, daß dieser Aspekt möglichst schon in den Ermittlungsakten zum Vorschein tritt, damit das Gericht eine bestimmte Sachverhaltshypothese von vornherein als problematisch und umstritten kennenlernt und in der Hauptverhandlung entsprechend sorgfältig überprüft. 188 Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten kann seine volle Wirkung daher nur entfalten, wenn es bereits im Ermittlungsverfahren wirksam wird und dem Beschuldigten die Schaffung einer entsprechenden Ausgangsposition für die Hauptverhandlung ermöglicht. c) Verfassungsrechtliche Folgerungen
Da die faktischen Bedingungen einer eigenständigen Beweisermittlung der Verteidigung im deutschen Strafverfahren nicht günstig sind, andererseits aber die amtliche Sachverhaltsaufklärung in wesentlichen Teilen schon sehr früh fixiert wird, muß das Beweisantragsrecht des Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren zur Geltung kommen, wenn es überhaupt einen Sinn machen soll. Auch wenn das BVerfG der Selektionstätigkeit der Staatsanwaltschaft bislang keine besondere verfassungsrechtliche Relevanz beimißt, 189 sind doch die Auswirkungen des Ermittlungsverfahrens auf den Gesamtausgang des Verfahrens so gravierend, daß die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Beweisantragsrechts schon hier wirksam werden. tätsentstehung und Kriminalitätskontrolle 2 (1983), S. 1109 ff. Nicht bestätigt hat sich diese Vermutung dagegen in den Studien von Haiseh, Informationsbewertung (1973), S. 80 Cf.; derselbe, Archiv für Psychologie 129 (1977), 110 Cf.; Weißmann, Stellung des Vorsitzenden (1982), S. 142 Cf., 160 ff. Zum Stellenwert dieser AIbeiten vgl. Bandilla, Informationsverarbeitung (1986), S. 14 ff. 187 Sozialpsychologisch wird dies zumeist mit der Theorie der "kognitiven Dissonanz" erklärt, wonach Informationen, die nicht mit der zuvor gewonnenen Einschätzung übereinstimmen (d.h. dissonant sind), systematisch unterschätzt und übereinstimmende Informationen systematisch überschätzt werden. Näher dazu sowie zu anderen Erklärungsansätzen Bandilla, Informationsverarbeitung (1986), S. 29 Cf, mit Nachweisen zum psychologischen Schrifttum. 188 Vgl. Bandilla/R. Hassemer, StV 1989,554. Ähnlich auch die Empfehlung von Hamm, StV 1982,491, während sich etwa Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn. 256, wesentlich zurückhaltender äußert. 189 Siehe § 2 11 C 3 b bb (1).
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
Wichtig ist zunächst, daß die Verteidigung schon früh auf einzelne Beweiserhebungen (Gegenüberstellungen, Obduktionen etc.) ergänzend einwirken, weitere Ermittlungen veranlassen und potentielle Beweise durch Polizei und Staatsanwaltschaft sichern lassen kann. Darüber hinaus sollte sie vor Erhebung der Anklage und Weitergabe der Akten an das erkennende Gericht Gelegenheit zu einer Gesamtwürdigung des Ermittlungsstandes und zur Präsentation weiterer Beweisanträge haben, damit das Gericht bereits ein möglichst komplettes Bild der verschiedenen Sachverhaltshypothesen und der zu ihrer Unterstützung heranzuziehenden Beweismittel erhält. Die im Abschnitt zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen noch sehr abstrakt behandelte Frage einer spezifischen Einschränkbarkeit des Beweisantragsrechts im Ermittlungsverfahren l90 konkretisiert sich im deutschen Verfahrenssystem dadurch auf einige wenige Aspekte. Grundsätzlich ist dem Beschuldigten danach das Beweisantragsrecht bereits im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten, weil ansonsten möglicherweise gerade hier die entscheidende Chance zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Verurteilung verpaßt wird und eine eigenverantwortliche Mitgestaltung des Beweisverfahrens durch den Beschuldigten später wesentlich erschwert iSt. 191 Allerdings wird man nicht verlangen können, daß die Ermittlungsbehörden jedem einzelnen von der Verteidigung beantragten Beweis in vollem Umfang nachgehen, denn trotz seiner vordeterminierenden Wirkungen soll das Ermittlungsverfahren die Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung lediglich vorbereiten. 192 Das Verfassungsrecht verlangt nur, daß die Verteidigung nicht von Teilen des Beweisverfahrens ausgeschlossen wird, in denen später möglicherweise nicht mehr zu korrigierende Vorentscheidungen fallen. Der Beschuldigte hat daher einen Anspruch auf Ermittlung und Sicherung der von Verlust bedrohten Beweise sowie auf Erarbeitung eines einigermaßen vollständigen, aus den Ermittlungsakten erkennbaren Bildes von der Beweislage, aus welchem das erkennende Gericht auch die von der Verteidigung vorgebrachten Entlastungslinien einschließlich der wichtigsten sie stützenden Beweise ersehen und in gleicher Weise wie die Belastungsbeweise vorläufig einschätzen kann. 190 Siehe § 211 C 3 b bb (1). Auf die anderen Beteiligungsrechte nach Information, Anwesenheit etc. wird hier nicht weiter eingegangen, obwohl diese aus verfassungsrechtlicher Sicht natürlich ebenso bedeutsam sind. 191 Vgl. auch Schreiber, Baumann-FS (1992). 392. 192 Vgl. Rieß. in: LR. StPO. vor § 158 Rdn. 6 (1988).
III. Deutsche Verfahrensstruktur
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2. Verfahren vor dem erkennenden Gericht a) Zwischenverfahren
Zweck des Zwischenverfahrens ist die Kontrolle der Anklagebehörde, um dem Beschuldigten wie auch dem Staatshaushalt überflüssige Hauptverhandlungen zu ersparen. 193 Tatsächlich wird die Eröffnung des Hauptverfahrens allerdings nur in sehr wenigen Fällen abgelehnt,194 weshalb die gesamte Institution in die Kritik geraten iSt. 195 Insbesondere wird bemängelt, daß die Richter in dem Eröffnungsbeschluß die Hypothesen der Anklage zu sehr in den Vordergrund stellen müßten und dadurch in der Hauptverhandlung nicht mehr unbefangen genug wären. l96 Diese Kritik trägt den faktischen Wirkungen des Zwischenverfahrens und seiner Bedeutung für die Verteidigung und deren Beweisbegehren jedoch nur unzulänglich Rechnung. Zum einen darf die Kontrollfunktion gegenüber der Arbeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nicht unterschätzt werden. 197 Die geringe Zahl von Ablehnungen der Eröffnung des Hauptverfahrens kann nämlich auch darauf beruhen, daß die Staatsanwälte den Prüfungsmaßstab der Gerichte antizipieren und bei zu schwacher Beweislage überhaupt nicht anklagen. Auf diese Weise wird indirekt auch die Position der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren ver193 Vgl. etwa Pfeiffer, in: KK, StPO (1993), Einleitung Rdn. 43; Rieß, in: LR, StPO, vor § 198 Rdn. II (1988); Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 280. 194 1991 wurden bei den erstinstanzlich erledigten Strafverfahren von den Amtsgerichten in 0,8 % (= 4.622 Fälle) und von den Landgerichten in 1,4 % (= 191 Fälle) der Verfahren die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 2, Gerichte und Staatsanwaltschaften 1991, Wiesbaden 1994). Bei beweiskritischen Delikten sind die Ablehnungsquoten aber höher (vgl. Berckhauer, Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten (1981), S. 177; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 221). 195 Eine umfassende Darstellung der Einwände gibt Ernst, Zwischenverfahren (1986), S. 71 ff. Siehe auch Heghmanns, Zwischenverfahren (1991), S. 2 ff. 196 So vor allem auch der AE-StPO-HV (1985), S. 39.
197 Die Rechtspflegestatistiken weisen immerhin eine verhältnismäßig hohen Anteil von gerichtlichen Verfahrenserledigungen ohne Hauptverhandlung aus (für in 1991 erledigte erstinstanzliche Verfahren bei den Amtsgerichten 25,2 %, bei den Landgerichten 24,7 % und bei den Oberlandesgerichten 30,0 % - vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Strafgerichte 1991, Arbeitsunterlage). Leider ist nicht feststellbar, in welchem Maße diese Erledigungen auf Ausfilterungen während des Zwischenverfahrens nach den §§ 153 ff. StPO etc. zurückzuführen sind. Siehe auch Rieß, Lackner-FS (1987), 979; Rolinski, Maihofer-FS (1988), 376 f.; sowie eingehend Heghmanns, Zwischenverfahren (1991), S. 62 ff.
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
bessert, denn das erkennende Gericht überprüft die Errnittlungsakten schon im Zwischenverfahren aus der Perspektive der Vorbereitung der Hauptverhandlung heraus und erwartet von der Staatsanwaltschaft insoweit eine möglichst vollständige Arbeit einschließlich der Abklärung etwaiger Beweisbegehren der Verteidigung. Zum anderen institutionalisiert das Zwischenverfahren den Prozeß der Erarbeitung des - für die Leitung und Durchführung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung notwendigen - richterlichen Vorverständnisses vom Fall und verschafft dem Beschuldigten eine förmliche Gelegenheit zur Einflußnahme. Tatsächlich überprüfen viele Richter in dieser Phase die Akten nicht nur danach, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, sondern sie erarbeiten zugleich bereits den Untersuchungsplan für die Hauptverhandlung und sind daher auch besonders daran interessiert, zu erfahren, mit welchem Verteidigungsverhalten sie dort zu rechnen haben. 198 Für die Verteidigung bietet sich hier noch einmal eine besondere und, da die meisten Pflichtverteidiger überhaupt erst in dieser Prozeßphase bestellt werden,l99 häufig auch die einzige Chance, auf das Vorstellungsbild der Richter einzuwirken, mit welchem diese in die Hauptverhandlung gehen. 2OO In der Praxis wird diese Chance auch in einem angesichts der geringen Aussichten auf Vermeidung der Hauptverhandlung zunächst erstaunlich scheinendem Maße genutzt. 201 Für Beweisanträge der Verteidigung hat das Zwischenverfahren somit eine wichtige Bedeutung. Diese kann sowohl die zwar geringe, aber doch nicht 198 Vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn.352; Peters, Fehlerquellen 2 (1972), S. 232; Rieß, in: LR, StPO, vor § 198 Rdn. 19 (1988); Schlüchter, Strafverfahren (1983), Rdn. 408. Die Untersuchung von Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 219 ff., ergab für die beweisschwierigen Sexualdelikte auch eine hohe Zahl gerichtlicher Ennittlungshandlungen im Zwischenverfahren (in 30 % der untersuchten Verfahren); Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S.335, ermittelte in seiner auf sehr unterschiedliche Delikte ausgelegten Aktenanalyse dagegen deutlich geringere gerichtliche Aktivitäten. Unsere eigene Befragung ergab insbesondere von Richterseite einen hohen Anteil von Antworten, daß bereits im Zwischenverfahren eine intensive Vorbereitung auf die Hauptverhandlung stattfinde, wobei die gerichtlichen Ennittlungshandlungen allseits eher gering eingeschätzt wurden und man auch den Zeitpunkt informeller Gespräche eher nach der Eröffnung des Hauptverfahrens ansetzte (§ 5 11 B 2 a).
199
Siehe § 3 III A.
200 Siehe § 3 III C I b bb. 201 Vgl. Berckhauer, Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten (1981), S. 178; Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 330 ff.; sowie die Ergebnisse unserer eigenen Befragung (§ 5 11 B 2).
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völlig unbedeutende letzte Chance der Vermeidung der Hauptverhandlung wahrnehmen, als auch versuchen, ihre Ausgangsposition für die Hauptverhandlung zu verbessern. Ob eine Einschränkung oder Abschaffung des Eröffnungsbeschlusses oder die Übertragung des Zwischenverfahrens auf einen vom erkennenden Gericht getrennten und deshalb an der Sache wenig interessierten Eröffnungsrichter die Position des Beschuldigten gegenüber dem derzeitigen Zustand verbessern würde, erscheint daher mehr als fraglich. 202 b) Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung wird allgemein als das "Kernstück" des Strafverfahrens bezeichnet.203 Gemäß § 261 StPO bilden nur die dort - unmittelbar, mündlich und in konzentrierter Form - erhobenen Beweise die Grundlage der gerichtlichen Entscheidung über Schuld und Strafe. Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten muß sich deshalb vor allem hier bewähren; alle früheren Hinweise und Anträge an die Strafverfolgungsbehörden auf Heranziehung zusätzlicher Beweismittel würden entwertet, wenn die Herbeischaffung und Ausschöpfung dieser Beweismittel in der Hauptverhandlung nicht erzwungen werden könnte. Das Gericht muß von Amts wegen alle für den Schuldspruch und den Strafausspruch erforderlichen Tatsachen ermitteln (§ 244 Abs. 2 StPO) und ist an Schuldbekenntnisse nicht gebunden. Formal findet die Hauptverhandlung daher auch in den - faktisch die Mehrzahl bildenden - Fällen mit geständigen Beschuldigten und kooperativen Verteidigern in derselben Weise statt wie in den - deutlich geringeren - Fällen, in denen die Schuld ganz oder teilweise bestritten wird und der Verteidiger zuweilen auch die offene Konfrontation
202 Die Voreingenommenheit des erkennenden Gerichts durch die Kenntnis der Ermittlungsakten bliebe nämlich auch in diesen Fällen bestehen, denn ein zusätzlicher negativer Effekt des Eröffnungsbeschlusses konnte in den entsprechenden Experimenten gerade nicht nachgewiesen werden (vgl. Bandilla, Infonnationsverarbeitung (1986), S. 61 ff.; sowie insbesondere Schünemann, in: Deutsche Forschung zur Krirninalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle 2 (1983), S. 1133 ff.; siehe auch Rieft, in: LR, StPO, vor § 198 Rdn. 19 (1988); Rolinski, Maihofer-FS (1988), 376).
203 Vgl. etwa Gollwitzer, in: LR, StPO, vor § 226 Rdn.3 (1984); KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), vor § 226 Rdn. 1; Paulus, in: KMR, StPO, vor § 226 Rdn. 7 (1989); Pfeiffer, in: KK, StPO (1993), Einleitung Rdn. 48; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S. 290 f.; Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO n (1957/1970), vor § 226 Rdn. 1.
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
mit dem Gericht SUCht. 204 In Anbetracht der Tatsache, daß viele Hauptverhandlungen unstreitig ablaufen, sind die Freispruchquoten trotz aller Vorfestlegungen durch das Ermittlungsverfahren nicht gering. 205 Die Verteidigung dürfte daher in beweiskritischen Fällen durchaus Erfolgschancen haben, wenngleich es bislang nicht gelungen ist, den Beitrag von Verteidigern zu einem erfolgreichen Verfahrensausgang zu messen. 206 Die Struktur des deutschen Amtsermittlungsverfahrens stellt die Verteidigung während der Beweisaufnahme allerdings vor besondere Probleme, die das Beweisantragsrecht und seine praktische Handhabung belasten. So liegt nicht nur die formelle Verhandlungsleitung, sondern auch die materielle Durchführung der einzelnen Beweiserhebungen in der Hand des Vorsitzenden. Die Verteidigung muß daher auch bei den von ihr benannten Beweisen hinnehmen, daß der Vorsitzende die Reihenfolge der Beweiserhebungen bestimmt, als erster die Fragen stellt und dadurch das Aussageverhalten der Zeugen wesentlich beeinflußt etc. Paßt ein Beweisbeitrag der Verteidigung nicht in das richterliche Verhandlungskonzept, so sind Konflikte vorprogrammiert. 207 Mindestens läuft die Verteidigung Gefahr, daß der Vorsitzende nur widerwillig nachgibt, nicht mehr aufmerksam zuhört und zur Eile drängt. Die Entfaltung und beweismäßige Absicherung einer eigenständigen Vertei-
204 Vgl. zu dieser Differenzierung Schöch, in: Gesamtrefonn des Strafverfahrens (1987), S. 100 f. Einen gewissen Eindruck von den quantitativen Verhältnissen vennittelt Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S.342. Auch unsere eigene Befragung ergab eine übereinstimmende Einschätzung, daß die Konfliktverteidigungen selten oder jedenfalls in der Minderzahl sind (§ 511 B 3 a). 205 1991 endeten bei den Verfahren nach Erwachsenenstrafrecht 3,1 % der Hauptverhandlungen mit einem Freispruch und 18,5 % mit einer Einstellung des Verfahrens (jeweils ohne Maßregelverhängung - vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3, Strafverfolgung 1991, Wiesbaden 1993). Bei beweisschwierigen Delikten liegen die Quoten deutlich höher (vgl. etwa Berckhauer, Strafverfolgung bei schweren Wirtschaftsdelikten (1981); S. 179; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 224 ff.).
206 Vgl. Barton, MSchrKrim 1988,93. Die bisherigen Effizienzmessungen beruhen auf Selbstund Fremdeinschätzungen der Beteiligten und sind daher mit großer Vorsicht zu beurteilen (etwa Barton, aaO., 94 ff.; Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 428). 207 Vgl. Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 185 f.; Weihrauch, in: 175 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht (1990), S. 371; sowie die Ergebnisse unserer Befragung zum Verhalten des Gerichts gegenüber der Verteidigung in der Hauptverhandlung (§ 5 11 B 3 a).
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digungsversion vom fraglichen Sachverhalt kann dadurch nicht unerheblich erschwert werden. 208 Darüber hinaus entscheidet der Vorsitzende in der Sache selbst bzw. bestimmt bei Kollegialgerichten die Urteilsberatung in so erheblichem Maße, daß zumindest die unbefangenen und von der Verteidigung eher zu beeinflussenden Laienrichter weitgehend an den Rand gedrängt werden. 209 Diese Konzentration von Beweiserhebung und Beweiswürdigung führt zu dem bereits beschriebenen Mangel an Transparenz des Beweisvorganges, so daß die Verteidigung mitunter versuchen muß, die vom Gericht in Betracht gezogenen Sachverhaltshypothesen und den vorläufigen Stand der Beweiswürdigung indirekt zu erschließen. 21O Grundsätzlich wird dieses Problem durch die verhältnismäßig schwache Präzisierung des Prozeßgegenstandes durch Anklage und Eröffnungsbeschluß noch verschärft,211 auch wenn die Hinweispflichten nach § 265 StPO und ihre analoge Ausdehnung durch die Rechtsprechung auf Veränderungen im zugrundeliegenden Sachverhalt die Möglichkeit einer erst aus dem Urteil erkennbaren überraschenden Wende wesentlich eingeschränkt haben. 212 Beweisanträge können daher ein wichtiges Mittel bilden, das Gericht vorzeitig zur Stellungnahme zu einzelnen Sachverhaltshypothesen zu zwingen. 213 Auf der anderen Seite ist in der Praxis ein solches Versteckspiel häufig aber gar nicht notwendig, weil viele Richter von sich aus dazu bereit sind, offen über den jeweiligen Stand der Beweislage zu sprechen.214 Auch hat die Göttinger Passivrichterstudie gezeigt, daß in der Regel das Prozeßge208 Vgl. Dahs, ZRP 1968, 21; Hermann, ZStW 100 (1988), S. 47 f. Tatsächlich nimmt die Verteidigung auf die Beweiserhebung des Gerichts in den meisten Fällen sehr wenig bis überhaupt keinen Einfluß (vgl. Barton, StV 1984,395 ff.; Vogtherr, Strafverteidigung (1991), S. 356). Gerade diese Problematik veranlaßte den Arbeitskreis AE zum Vorschlag der Einführung des Wechselverhörs in der Hauptverhandlung (AE-StPO-HV 1985, S. 67 ff.; siehe auch § 7 IV BI). 209 Vgl. CasperfZeisel, in: Der Laienrichter im Strafprozeß (1979), S. 37, 41 ff., 80 ff. 210 Siehe § 3 11 C 2 a. Näher zu entsprechenden Möglichkeiten Hamm, Peters-FS 11 (1984), 169 ff. 211 Vgl. Schulz, StV 1991, 360. 212 Vgl. dazu etwa die Nachweise bei KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 265 Rdn. 1 ff., 21 ff. Als unzulänglich kritisiert wird diese Situation allerdings von Schulz, StV 1991, 360. 213 Vgl. Schulz, StV 1991,360; derselbe, GA 1981, 308. 214 Vgl. etwa Schäfer, in: Verhandlungen des 58. Deutschen Juristentags, Bd. 11 (1990), L 49. Auch unsere Befragung ergab jedenfalls eine entsprechende Selbsteinschätzung der Richter, während sich die Rechtsanwälte und Staatsanwälte etwas vorsichtiger äußerten (§ 5 11 B 3 b bb).
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schehen insgesamt für einen unbeteiligten Beobachter transparent genug ist, um zu einer mit dem tatsächlich gefällten Urteil weitgehend übereinstimmenden Einschätzung der Schuld- und Straffrage zu gelangen. 215 Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Verteidigung zumindest in einzelnen Verfahren mit ihren Beweisanträgen im Nebel herumstochern muß und dadurch nur eingeschränkt zu einer gezielten Einflußnahme auf das Beweisverfahren in der Lage iSt. 216 Durchweg gravierend ist dagegen das aus der Aktenkenntnis der Berufsrichter resultierende Bejangenheitsproblem. 217 Neben der Beeinträchtigung der richterlichen Informationsverarbeitung und Überzeugungs bildung wirkt es sich insbesondere auch auf das Verhalten des Gerichts gegenüber den Beweis anträgen und sonstigen Beweisbegehren der Verteidigung aus. Würde man deren Stattgabe oder Ablehnung in das freie Ermessen des Gerichts stellen, so hätte die Verteidigung in Konfliktfällen kaum Möglichkeiten, der richterlichen Vor-Einschätzung der Beweislage wirksam entgegenzuwirken. Wichtig ist daher eine verhältnismäßig strenge Bindung des Gerichts an objektive, vom Rechtsmittelgericht nachprüfbare Kriterien, damit die Verteidigung notfalls die Erhebung wichtiger Beweise gegen den Willen der von einer bestimmten Sachverhaltsversion bereits überzeugten Richter erzwingen kann. Diese wachsen angesichts ihrer Aufgabe, den Schuldnachweis selbst zu führen, jedenfalls in streitigen Hauptverhandlungen zwangsläufig in die Rolle des Prozeßgegners der Verteidigung hinein,218 weshalb die Verfahrensrechte des Beschuldigten und insbesondere das Beweisantragsrecht gerade auf diesen Konfliktfall hin zugeschnitten sein müssen. Und schließlich kann die Rolle des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung der Verteidigung nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten. Da die Beweiserhebung in der Hand der Richter liegt, ist der Staatsanwalt zunächst einigermaßen funktionslos 219 und agiert eher als kollegialer Berater,220 der es
215
Vgl. Weißmann, Stellung des Vorsitzenden (1982), S. 160 ff.
216 Schünemann, GA 1978, 179, hat deshalb gefordert, daß "das Gericht die Beteiligten durch Verlesung eines Statements auf die nach seiner vorläufigen Meinung für die Beweiswürdigung relevanten Umstände" hinweist. Dagegen freilich Roxin, Schmidt-Leichner-FS (1977),156 f.
217 218
Siehe § 3 III C 1 b bb. Vgl. Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform (1975), S. 55.
219 Marx, GA 1978,365.
ID. Deutsche Verfahrensstruktur
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insbesondere bei der Strafzumessung übernimmt, durch Herausarbeiten einer verschärften Strafverfolgungsposition dem Gericht das Erscheinungsbild einer neutralen, erforderlichenfalls auch kompromißhaft auf die Verteidigung zugehenden Instanz zu ermöglichen. 221 Tatsächlich schlüpft der Staatsanwalt aber immer wieder in eine echte Parteirolle hinein, insbesondere wenn er selbst im Ermittlungsverfahren der Sachbearbeiter gewesen ist und die Anklage verfaßt hat, und kann dann das Gericht gezielt in seine eigene Richtung ziehen. 222 Die Verteidigung muß daher auch den Staatsanwalt als Prozeßgegner im Auge behalten und mit ihren Beweisanträgen sowohl den vom Staatsanwalt verfochtenen Anklagehypothesen entgegentreten als auch auf die gerade erkennbare richterliche Einschätzung der Beweislage einwirken. Auch wenn daraus keine unmittelbaren Folgerungen für das Beweisantragsrecht des Beschuldigten zu ziehen sind, kann diese diffuse Verteilung von Prozeßgegnerschaft und Objektivitätsverpflichtung auf zwei verschiedene Organe das die Beweisanträge betreffende Konfliktpotential nicht unerheblich verschärfen. c) Veifassungsrechtliche Folgerungen
Dem Zwischenveifahren kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar wie allen der Hauptverhandlung vorgelagerten Verfahrensabschnitten in seiner Kontroll- und Schutzfunktion keine selbständige verfassungsrechtliche Bedeutung ZU,223 so daß der Beschuldigte insoweit prinzipiell auch keine grundrechtlichen Ansprüche auf Mitgestaltung des Beweisverfahrens in diesem Prozeßabschnitt hat. Wie das Ermittlungsverfahren übt aber auch die Phase der Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das erkennende Gericht eine erhebliche vordeterminierende Wirkung auf die Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung aus, denn hier erarbeiten sich die Berufsrichter ihr konkretes Vorstellungsbild von der Beweislage. Die Verteidigung muß daher 220 Vgl. Peters, Strafprozeß (1985), S. 178; sowie unsere Befragung (§ 511 B 3 a). Schünemann, in: Beiträge zur Rechtsanthropologie (1985), S. 84, spricht von einem "Schulterschluß" von Richter und Staatsanwalt. 221 Vgl. Schünemann, in: Kriminologische Forschung in den 80er Jahren (1988), S. 268 Cf. Ähnliche Ergebnisse ermittelten auch B/ankenburgISessar/Stejfen, Staatsanwaltschaft (1978), S. 257 Cf.; Jürgen Meyer, Dialektik im Strafprozeß (1965), S. 118 Cf. 222 Vgl. Sessar, Tötungskriminalität (1981), S. 176 Cf.; derselbe, ZStW 92 (1980), S. 704 f. Dies bestätigen auch die in Anm. 221 genannten Untersuchungen, da der Staatsanwalt mit seinen Anträgen zum Strafausspruch regelmäßig nicht nur die Obergrenze, sondern auch die ungefähre Höhe der tatsächlichen Verurteilung bestimmt. 223 Vgl. BVerfGE 39, 156, 167 f. Siehe auch § 2 11 C 3 b bb (1).
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die Möglichkeit haben, auf diesen Vorbereitungsprozeß gestaltend einzuwirken, insbesondere wenn ihr dies im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend möglich war. Die Beweisantragsrechte des Beschuldigten sind somit grundsätzlich auch im Zwischenverfahren und in der anschließenden Vorbereitung der Hauptverhandlung verfahrensrechtlich bedeutsam, jedenfalls in der Weise, daß der Beschuldigte wie im Ermittlungsverfahren die Sicherung von Beweisen vor drohendem Verlust verlangen kann sowie Gelegenheit zur Vervollständigung des Ermittlungsbildes vor dem Beginn der Hauptverhandlung haben muß. Ob der Beschuldigte daraus aber einen Anspruch auf Beweiserhebung gerade im Zwischenverfahren ableiten kann, erscheint dagegen fraglich, denn das Zwischenverfahren ist seiner Struktur nach nicht geeignet, alle Versäumnisse des Ermittlungsverfahrens nachzuholen. Es muß daher genügen, wenn die Beweisanträge dort so vorgebracht werden können, daß das Gericht sie bei seinen Planungen für die Hauptverhandlung in dem für diese selbst geltenden Maße berücksichtigen muß und dadurch die Entlastungsvorbringen der Verteidigung ebenfalls in sein Vorverständnis von dem fraglichen Tatgeschehen aufnimmt. In der Hauptverhandlung fällt die Entscheidung über Schuld und Strafe, so daß die grundrechtlichen Gewährleistungen des Beweisantragsrechts des Beschuldigten ihre volle Wirkung entfalten müssen. Neben den in dieser Arbeit nicht näher zu untersuchenden Forderungen nach ausreichender Transparenz des Beweisverfahrens sind angesichts der besonderen deutschen Verfahrensstruktur vor allem streng objektivierte materielle Beurteilungskriterien und eine gute Durchsetzbarkeit in der prozessualen Interaktion zu verlangen, denn der Beschuldigte oder sein Verteidiger können mit Richtern konfrontiert sein, die bereits eine vorgefaßte Meinung von der Beweislage haben und davon abweichende Beiträge der Verteidigung als unnütze Störung ihres Verhandlungskonzepts ansehen. 3. Rechtsmittelverfahren a) Berufung
Gegen die Urteile der Amtsgerichte ist das Rechtsmittel der Berufung zulässig, welches zu einer Wiederholung der Hauptverhandlung vor dem Landgericht führt. 224 Einer Revisionskontrolle unterliegt in diesen Verfahren re224 Auf die Besonderheiten der Annahmeberufung gemäß § 313 StPO wird hier nicht eingegangen.
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gel mäßig erst die Berufungsinstanz, denn der Beschuldigte kann zwar gegen ein Urteil des Amtsgerichts auch unmittelbar Revision einlegen (§ 335 StPO), doch wird von dieser Möglichkeit in der Praxis nur äußerst selten Gebrauch gemacht. 225 Der Wert einer zweiten Tatsacheninstanz ist, wie bereits erwähnt, sehr umstritten. 226 Zum einen kann hier der Sachverhalt aufgrund des größeren zeitlichen Abstands zur Tat regelmäßig wesentlich schlechter rekonstruiert werden als in der ersten Hauptverhandlung, und zum anderen fehlt dem erstinstanzlichen Gericht der Zwang zur Einhaltung der Verfahrensregeln, da selbst grobe Fehler in der Nachfolgeinstanz geheilt werden können. 227 Gerade dieser letzte Gesichtspunkt dürfte jedoch ausschlaggebend dafür sein, daß die gegenwärtige Gesetzeslage und Praxis weitgehend akzeptiert wird,228 denn auf diese Weise kann die Masse der Strafverfahren von den Amtsgerichten zügig und ohne Angst vor der Revisionskontrolle durchgeführt werden. 229 Außerdem haben unverteidigte Beschuldigte, denen erst durch die Verurteilung von dem Amtsgericht der Ernst ihrer Situation bewußt wird, so die Möglichkeit, wenigstens die zweite Hauptverhandlung mit einem Verteidiger zu bestreiten. 23o Auf der anderen Seite sind die Erfolgsaussichten in der Berufung nicht allzu grOß,231 was auch damit zusammenhängt, daß die erste Instanz viele Beweise 225 So wurden 1991 von den Oberlandesgerichten nur 691 Sprungrevisionen erledigt, während die Amtsgerichte im gleichen Zeitraum 307.599 Urteile flillten (vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Strafgerichte 1991, Arbeitsunterlage). 226 227
Siehe § 3 11 B 2 c. Vgl. Werle, JZ 1991,790.
228 Vgl. Frisch, SI(, StPO, vor § 296 Rdn. 25 (1988); Gössel, GA 1979,245; Peters, Strafprozeß (1985), S. 623.
229 Tatsächlich werden nur verhältnismäßig wenige Urteile der Amtsgerichte angefochten. 1991 waren das bei 307.599 amtsgerichtlichen Urteilen 42.741 Anfechtungen (= 13,9 %) und bei 24.891 Berufungsurteilen der Landgerichte noch einmal 5.968 (= 24,0 %) Anfechtungen (vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Strafgerichte 1991, Arbeitsunterlage). 230 Die Verteidigerbeteiligung vor den Berufungsgerichten liegt deutlich höher als vor den Amtsgerichten (vgl. Rieß, StV 1985,212 f.), wobei dies allerdings auch darauf zurückzuführen sein dürfte, daß schon in der ersten Instanz verteidigte Beschuldigte eher in die Berufung gehen als unverteidigte Beschuldigte (Stumpf, Berufung (1988), S. 164, 181, ermittelte in seiner Stichprobe bei den von dem Beschuldigten eingelegten Berufungen nur 14 % erst in zweiter Instanz Verteidigte gegenüber 67 % in beiden Instanzen Verteidigten). 231 Zwar ermittelten Bender/Heißler, ZRP 1978, 31, eine Erfolgsquote von 37 %; Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S.313, eine Erfolgsquote von 36 %; und bei Stumpf, Berufung (1988), S. 165 ff., 182 f., ergab sich ein sehr differenziertes Bild mit einer bei großzügi-
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§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
in wesentlichen Teilen festklopft und den Gestaltungsspielraum für das Berufungsgericht dadurch erheblich einengt. Das Beweisantragsrecht wird damit in Verfahren, die in erster Instanz vor den Amtsgerichten verhandelt werden, zumindest tendenziell entwertet. Zwar eröffnet die zweite Tatsacheninstanz zunächst sogar zusätzlichen Raum für Beweisanträge. Zugleich verringert sie aber die Chancen, im Konfliktfall einen Beweisantrag gegen den Amtsrichter tatsächlich durchzusetzen, weil dieser auch bei prozeßordnungswidriger Ablehnung keine Autbebung seines Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsmittelgericht zu befürchten hat,232 und vor dem Landgericht ist die Beweislage aufgrund des vorausgegangenen Verfahrens häufig soweit festgelegt, daß entscheidende Änderungen nicht mehr gelingen. Auch stellt die Sprungrevision für den konkret betroffenen Beschuldigten keine wirksame Alternative dar, denn damit kann er ebenfalls nur eine neue Hauptverhandlung erreichen, während etwaige Disziplinierungseffekte auf den betreffenden Amtsrichter erst späteren Beschuldigten zugute kommen.
b) Revision Die Urteile der Landgerichte und die erstinstanzlichen Urteile der Oberlandesgerichte unterliegen der Revisionskontrolle durch die Oberlandesgerichte und den BGH. Insbesondere die erstinstanzlichen Urteile, gegen welche die Revision vor dem BGH das einzige Rechtsmittel bildet, werden in hohem Maße angefochten, so daß von der Tätigkeit der Revisionsgerichte erhebliche Rückwirkungen auf die Praxis der Tatsachengerichte ausgehen. 233 Zwar sind die Erfolgsaussichten einer Revision gering,234 und auch wenn das angefochger Betrachtung sogar sehr hohen Erfolgsquote von 64 %. ledoch wurden in den meisten dieser Fälle nur Korrekturen im Strafmaß erreicht. Bei Bendermeißler, ZRP 1978, 32 f., beruhten 40 % der Berufungserfolge auf tatsächlichen GrlInden; allerdings wurde nur in einem Drittel dieser Fälle das Berufungsurteil auf neue Tatsachen und Beweismittel gestUtzt (= insgesamt 14 % aller erfolgreichen Berufungen).
232 233
So auch das Ergebnis unserer Befragung (§ 511 B 3 b cc).
1991 wurden von den 10.119 erstinstanzlichen Strafurteilen der Landgerichte 4.111 (= 40,6 %) und von den 24.891 Berufungsurteilen der Landgerichte 5.968 (= 24,0 %) angefochten (vgl. Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Strafgerichte 1991, Arbeitsunterlage). Siehe auch Rieß, in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S. 53.
234 Rieß, in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S. 55, gibt fiIr die Revisionsrechtsprechung des BGH in den lahren 1971 bis 1985 eine durchschnittliche Erfolgsquote von 15,71 % an, fiIr Revisionen des Beschuldigten liegt diese noch etwas ungUnstiger (aaO., S. 56). Für die
10. Deutsche Verfahrensstruktur
161
tene Urteil vom Revisionsgericht tatsächlich aufgehoben wird, bringt die Neuverhandlung häufig nur eine Bestätigung der ersten Verurteilung. 235 Gleichwohl bedeutet der Ausspruch eines Revisionsgerichtes, daß die angefochtene Verurteilung fehlerhaft zustande gekommen ist und deshalb das ganze Verfahren wiederholt werden muß, für die betroffenen Tatrichter einen unangenehmen Tadel, welchen diese soweit irgend möglich zu vermeiden suchen. 236 Gemäß § 337 Abs. 1 StPO kann die Revision nur auf Rechtsfehler gestützt werden, nicht aber - unmittelbar - darauf, daß die Verurteilung auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage beruht. 237 Grundlage der Prüfung sind daher nur das angefochtene Urteil, dessen Begründung neben den angewendeten Rechtsnormen freilich auch den Inhalt der Hauptverhandlung aus der nachträglich beschreibenden Sicht des erkennenden Gerichts wiedergibt, das auf die Förmlichkeiten des Verfahrens begrenzte, dort aber vollständige Hauptverhandlungsprotokoll sowie in gewissen Grenzen auch die Verfahrensakte mit den Ermittlungsergebnissen des Vor- und Zwischenverfahrens, die zwar wegen der Beschränkung der Urteilsfindung auf den Inhalt der Hauptverhandlung nicht zur Prüfung des Urteils selbst herangezogen werden darf, wohl aber zur Beurteilung des Vorgehens des Gerichts in der Hauptverhandlung. Früher wurde allgemein die Auffassung vertreten, der Bereich der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sei allein Sache der Tatsacheninstanz und als solcher daher der Revision entzogen. 238 Seit der Untersuchung von Fezer ist jedoch offensichtlich, daß in der Praxis jedenfalls des BGH insoweit ein massiver Wandel stattgefunden hat. 239 Tatsächlich stehen die Darlegungen der Praxis der Oberlandesgerichte weist die auf Beschlußverwerfungen nach § 349 Abs. 2 StPO begrenzte Untersuchung von Kodde, Beschlußverwerfung von Revisionen (1989), S. 3 Cf., auf ähnliche Tendenzen hin, wenn auch die Erfolgsaussichten dort etwas günstiger erscheinen (vgl. insbesondere S. 8 gegenüber Rieß, aaO. S. 57). 235 Vgl. Haddenhorst, Einwirkung der VerfahrensfÜge (1978), S. 79 Cf.; Hanack, Tröndle-FS (1989),504 ff. Siehe auch Steinhilper, Sexuell motivierte Gewaltdelikte (1986), S. 315. 236 Diesen Eindruck konnten wir bei unserer Praktikerbefragung immer wieder gewinnen (siehe § 5 II B 3 b cc). Vgl. auch Eh. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO II (l957nO), vor § 296 Rdn. 41; Werle, JZ 1991,790. 237 Siehe aber auch Fezer, in: Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege (1991),89 Cf. 238 Vgl. Maul, PfeiCfer-FS (1988), 409 Cf. m.w.N.
239 Fezer, Die erweiterte Revision (1974). Siehe auch Hamm, in: Revisionsgerichtliche Rechtsprechung (1986), S. 20 Cf.; Herdegen, StV 1992,527 Cf., 590 Cf.; Maul, PfeiCfer-FS (1988), 411 Cf.; Schlothauer, StV 1992, 134 Cf.; Schmitt, Richterliche Beweiswürdigung (1992), S. 374 Cf., 480 Cf.; 11 Perron
162
§ 3 Einfluß der Verfahrensstruktur
Urteilsbegründung zum festgestellten Sachverhalt und zur Beweiswürdigung heute im Mittelpunkt der Revisionsprüfung, und die dort festgestellten Fehler bilden einen Hauptschwerpunkt bei den Urteilsautbebungen durch den BGH.240 Die Verfahrensrüge, welcher aufgrund der beschränkten Inhaltsüberprüfung eigentlich eine ganz besondere Bedeutung zukommen müßte, ist dadurch an den Rand gedrängt worden, auch wenn gerade das Beweisantragsrecht insoweit nach wie vor eine hervorgehobene Stellung hat. 241 Jedenfalls erstreckt sich die Revisionskontrolle inzwischen wohl auf nahezu alle Bereiche, in denen aufgrund des dem Revisionsgericht vorliegenden Materials eine Überprüfung des angefochtenen Urteils möglich ist. 242 Trotz aller Ausdehnung bleibt freilich der wichtigste Teil des tatrichterlichen Verfahrens nach wie vor von der Revision ausgenommen: der Inhalt der Beweisaufnahme. Da von dieser keinerlei Protokoll-, Ton- oder Bildaufzeichnung stattfindet, kann das Revisionsgericht nicht beurteilen, ob die Entscheidung im Ergebnis wirklich zutreffend oder wenigstens vertretbar ist, sondern es muß sich an die Plausibilität insbesondere der Urteils begründung halten und kann Fehlurteile allenfalls indirekt erahnen. 243 Für das Beweisantragsrecht des Beschuldigten ist die Revisionskontrolle von größter Wichtigkeit, denn Beweisanträge müssen in kritischen Fällen gegen die subjektive Überzeugung des erkennenden Gerichts durchgesetzt werden, und dieses würde ohne höheren Zwang nicht in gleichem Maße nachgeben. 244 Zugleich werden auch die materiellen Anforderungen und Grenzen sowie aus dem Band "Rechtssicherheit versus Einzelfallgerechtigkeit" (1992) die Beiträge von Theune (S. 13 ff.), Hamm (S. 20 ff.), Herdegen (S. 30 ff.), Schäfer (S. 44 ff.), Fezer (S. 58 ff.) und Widmaier (S.66ff.). Vgl. zum ganzen auch Naucke, in: Der Richter in Strafsachen (1992), S. 107 ff.
240 241
Vgl. Rieß, NStZ 1982,51 f.
Vgl. Rieß, NStZ 1982,51 ff.; sowie unsere eigene Untersuchung der AufhebungsgrUnde in Revisionsentscheidungen des BGH (§ 5 111 B 1). Siehe auch Hamm, in: Revisionsgerichtlich Rechtsprechung (1986), S. 29 ff.
242 Sogenanntes "Leistungsprinzip" (vgl. Peters, Strafprozeß (1985), S. 639 ff.; weitere Nachweise bei Hanack, in: LR, StPO vor § 333 Rdn. 5 (1985)). 243 Der BGH hat bislang auch den revisionsgerichtlichen Zugriff auf die Ermittlungsakten sehr restriktiv gehandhabt (vgl. Maul, Pfeiffer-FS (1988), 417 f.). Zur Forderung nach einer Aufzeichnung des gesamten Inhalts der Hauptverhandlung siehe § 7 IV B 4. 244 So auch das Ergebnis unserer Befragung zur Handhabung des Beweisantragsrechts durch Richter am Amtsgericht einerseits und Richter am Landgericht andererseits (§ 5 11 B 3 b cc).
III. Deutsche Verfahrensstruktur
163
des Beweisantragsrechts maßgeblich von den Möglichkeiten und Grenzen des Revisionsgerichts bestimmt. Da dieses keinen Zugang zum Inhalt der Beweisaufnahme hat, kann es den konkreten Stellenwert, welchen der beantragte Beweis im Falle seines Gelingens innerhalb der gesamten Beweislage haben würde, nicht abschätzen und muß deshalb entweder prinzipiell von einer hohen Bedeutung dieses Beweises ausgehen und sehr strenge Kriterien anwenden, die eine Ablehnung des Antrags nur in sehr wenigen Ausnahmefällen zulassen, oder dem erkennenden Gericht einen nicht überprüfbaren Errnessensspielraum überlassen. Außerdem werden in einem Amtsermittlungsverfahren, in welchem die Durchführung und Ausgestaltung der Beweisaufnahme im wesentlichen in den Händen des erkennenden Gerichts selbst liegen, die taktischen Aktivitäten der Verteidigung weniger von dem Ziel der Beeinflussung des Erscheinungsbildes der Beweise als von dem der Einengung richterlicher Handlungs- und Beweiswürdigungsspielräume durch revisionsrelevantes Prozeßverhalten bestimmt. Die Rechtsprechung der Revisionsgerichte beeinflußt in ihrer Gesamtheit daher maßgeblich die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen öffentlicher Strafverfolgung und Verteidigung, und das Beweisantragsrecht ist auch in dieser Hinsicht von großer Bedeutung. c) Veifassungsrechtliche Folgerungen
Zwar überwiegt in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur deutlich die Auffassung, daß aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs.4 GG kein Recht auf einen Instanzenzug abgeleitet werden könne. 245 Dennoch beeinflußt, wie gezeigt, das Rechtsmittelverfahren nachhaltig die faktische Wirksamkeit des Beweisantragsrechts des Beschuldigten und hat damit zumindest mittelbar auch eine verfassungsrechtliche Relevanz. 246 Insbesondere im deutschen Amtsermittlungsverfahren muß das Beweisantragsrecht wegen der Dominanz der Berufsrichter in der Beweisaufnahme sowie wegen ihrer systembedingten Befangenheit durch die Aktenkenntnis nach streng objektiven Kriterien gehandhabt werden, und diese Forderungen sind in der Praxis nur mittels einer effektiven Rechtsmittelkontrolle erfüllbar. Jedenfalls in der geltenden deutschen Verfahrensstruktur erscheint daher eine der Revision zumindest ähnliche obergerichtliehe Überprüfungsinstanz unverzichtbar, wenn man den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Beweisantragsrecht genügen will. 245 Vgl. die Nachweise bei Frisch, in: SK, StPO, vor § 296 Rdn. 17 f. (1988). 246 Siehe auch Schlüchter, Weniger ist mehr (1992), S. 49 f. 11*
164
§ 3 Einfluß der Verfahrens struktur
Die Vorschaltung einer Berufungsinstanz in den Fällen der leichten und mittleren Kriminalität dürfte dagegen verfassungsrechtlich unbedenklich sein, denn solange das Berufungsgericht noch von einem Revisionsgericht kontrolliert wird, werden die Einbußen an Effektivität des Beweisantragsrechts in der ersten Instanz durch die Möglichkeit einer zweiten, dann auch faktisch an die prozessualen Formen gebundenen Tatsacheninstanz wenigstens einigermaßen kompensiert. 247 Von der Revisionspraxis aber ist zu verlangen, daß sie möglichst streng über die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte des Beschuldigten im Beweisverfahren wacht.
247 Sehr problematisch war daher die in Art. 3 Nr. 5, 8-10 des RechtspflegeentlastungsGE 1991 vorgeschlagene Einschränkung der Berufung und der Revision gegen Berufungsuneile sowie die Abschaffung der Sprungrevision (vgl. etwa die Kritik von Schoreit, DRiZ 1991, 405 f.; Werk, JZ 1991, 790 f.; siehe auch Schlüchter, Weniger ist mehr (1992), S. 49 ff.). Das RechtspflegeentlastungsG 1993 selbst hat diese Vorschläge zu Recht nur in sehr geringem Maße aufgegriffen.
Zweites Kapitel: Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im gegenwärtigen deutschen Strafverfahren § 4 Die gesetzlichen Regelungen und ihre Auslegung
durch Rechtsprechung und Schrifttum I. Vorbemerkung Die Ausführungen des ersten Kapitels haben gezeigt, daß das Beweisantragsrecht des Beschuldigten nur in engen Grenzen zur Disposition des Gesetzgebers steht. Die grundrechtlich abgesicherten Interessen des Beschuldigten auf umfassende Mitgestaltung des Beweisverfahrens kollidieren in entscheidenden Bereichen mit dem ebenfalls mit hohem verfassungsrechtlichen Rang ausgestatteten öffentlichen Interesse an einer zügigen und effektiven Strafverfolgung, so daß dem Gesetzgeber im wesentlichen nur noch ein Gestaltungsermessen zur Herstellung einer praktischen Konkordanz verbleibt. 1 Aufgrund der besonderen Struktur des deutschen Amtsermittlungsverfahrens sind diese Gestaltungsspielräume noch weiter eingeengt, weil auf der einen Seite die Konzentration von Ermittlung und Entscheidungsfindung in der Hand des erkennenden Gerichts die Partizipationschancen des Beschuldigten nicht unerheblich verschlechtert, so daß dessen Mitwirkungsrechte nur unter engen, durch ein Rechtsmittelgericht nachprüfbaren Voraussetzungen eingeschränkt werden dürfen, 2 auf der anderen Seite aber die gerichtliche Pflicht zur Durchführung einer objektiven, umfassenden Sachverhaltsaufklärung der Verteidigung auch besondere "Mißbrauchs"-Möglichkeiten eröffnet. 3 Die folgende Analyse soll klären, in welcher Weise dieses Spannungsfeld zwischen individuellem Beschuldigteninteresse und öffentlichem Strafverfolgungsinteresse aufgelöst wird. Die Untersuchung beginnt mit den normativen Regelungen des Beweisantragsrechts des Beschuldigten, bei denen in erster Siehe § 2 11 C. 2 3
Siehe § 3 11 C 2 a; § 3 III C. Siehe § 3 III B.
166
§ 4 Gesetzliche Regelung des Beweisantragsrechts
Linie zu prüfen ist, ob der Beschuldigte seine Beweisbegehren in ausreichendem Maße vorbringen und notfalls auch gegen den Willen des Gerichts durchsetzen kann (unmittelbar anschließend in § 4), und versucht sodann, die rechtstatsächlichen Auswirkungen dieser Regelungen und insbesondere auch das Ausmaß des vielbeklagten "Mißbrauchs" des Beweisantragsrechts zu erfassen (§ 5).
11. Ermittlungsverfahren A. Einführung
Im Gegensatz zur Hauptverhandlung ist das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren bislang von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum nur wenig beachtet worden. 4 Seine allgemeine gesetzliche Anerkennung durch § 163a Abs. 2 StPO erfolgte 1965, und eine korrespondierende Belehrungspflicht für die Strafverfolgungsorgane wurde erst 1975 in § 136 Abs. 1 Satz 3 StPO eingeführt. 5 Zudem bot sich der Rechtsprechung keine Gelegenheit, auch für das Ermittlungsverfahren ein Beweisantragsrecht praeter legern herauszubilden, da die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden als solche nicht mit Rechtsbehelfen angreifbar ist und abgelehnte oder übergangene Beweisbegehren des Beschuldigten im späteren Verfahren neu gestellt oder von Amts wegen wieder aufgegriffen werden können, so daß die Hauptverhandlung die Fehler des Ermittlungsverfahrens weitgehend heilt. Und schließlich fehlten lange Zeit auch entsprechende Reformforderungen des Schrifttums, welches erst neuerdings, nachdem die allgemeine Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Strafprozeß stärker in den Blickpunkt geraten ist, sich gezielt mit dem Beweisantragsrecht in diesem Verfahrensstadium beschäftigt. 6 Immerhin sind die Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts inzwischen deutlich erkannt, so daß für die Zukunft mit verstärkten Bemühungen um eine Reform zu rechnen sein dürfte. 7 4
Vgl. Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 216.
5
Vgl. Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 217; sowie ausflIhrIich Rieß, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz (1977), 421 f. 6 Vgl. insbesondere Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991); derselbe, NStZ 1991, 367ff.; derselbe, AnwBl 1986, 62 Cf.; Nelles, StV 1986, 74 Cf.; Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 215 ff.; Schreiber, Baumann-FS (1992), 383 ff. 7
Zu entsprechenden Forderungen siehe § 7 IV B 3.
11. Ennittlungsverfahren
167
B. Die einzelnen Regelungen
1. § 163aAbs. 2 StPO Gemäß dieser Vorschrift sind die vom Beschuldigten zu seiner Entlastung beantragten Beweise zu erheben, wenn sie "von Bedeutung" sind. Besondere Anforderungen an die Form der AntragsteIlung bestehen nicht;8 insbesondere spielt die für die Hauptverhandlung herausgearbeitete Differenzierung zwischen "Beweisantrag" im engeren Sinne und "Beweisermittlungsantrag" keine Rolle. 9 Die Anträge können sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber der Staatsanwaltschaft gestellt werden; eine definitive Ablehnung bleibt jedoch der Staatsanwaltschaft vorbehalten. lo Wenig geklärt sind bislang die mit der Formulierung "von Bedeutung" angesprochenen materiellen Kriterien für die Entscheidung über einen solchen Beweisantrag. Da dem Beschuldigten gegen eine Ablehnung kein förmlicher Rechtsbehelf zusteht, gibt es auch keine Konkretisierungsbemühungen der Rechtsprechung, und das Schrifttum ist - abgesehen von dem Versuch Krekelers, die Übertragbarkeit der Regelung des § 244 Abs. 3-5 StPO im einzelnen darzulegen 11 - nicht über vage Andeutungen hinausgelangt.12 Umstritten ist daher bereits, ob § 163a Abs. 2 StPO dem Beschuldigten überhaupt einen selbständigen "Beweiserhebungsanspruch" einräumt 13 oder lediglich die gemäß § 160 Abs.2 StPO auch auf entlastende Umstände bezogene amtliche 8 Vgl. Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 336; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. III (1988). 9 Vgl. Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S.336; Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S.40; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 163a Rdn. 16; Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 218; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 109 (1988); Wache, in: KK, StPO (1993), § 163a Rdn. 8. 10 Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 163a Rdn.9 (1992); Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 337; Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 41 f.; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 163a Rdn. 15; Nelles, StV 1986,76; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 114 (1988); Wache, in: KK, StPO (1993), § 163a Rdn. 9. Fälle, in denen der Ennittlungsrichter au8erhalb des § 166 Abs. 1 StPO gemäß § 165 StPO zuständig ist, dürften - wenn überhaupt - sehr selten vorkommen.
11 12
Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 93 ff.
Vgl. etwa Achenbach, in: AK, StPO, § 163a Rdn 8 (1992); Ne/les, StV 1986, 77; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 112 f. (1988). 13 So Achenbach, in: AK, StPO, § 163a Rdn. 8 (1992); Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 61 ff., zusammenfassend S. 79; derselbe, NStZ 1991, 369; Ne/les, StV 1986, 77; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 107 f. (1988).
168
§ 4 Gesetzliche Regelung des Beweisantragsrechts
Aufklärungspflicht noch einmal besonders anspricht, so daß die Ermittlungsbehörden über die Beweisanträge nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden können. 14 Jedenfalls erkennen auch die Befürworter eines an mehr oder weniger präzise materielle Kriterien gebundenen Beweiserhebungsanspruchs an, daß Staatsanwaltschaft und Polizei bezüglich der Art und der Zeit der Beweiserhebung ein Auswahlermessen haben, welches sich nur in besonderen Fällen - etwa bei drohendem Beweisverlust - auf Null reduziert. 15 So muß die Verteidigung nicht an der Erhebung der Beweise (Vernehmung von Zeugen, Beauftragung von Sachverständigen, Tatortbesichtigungen etc.) beteiligt16 und noch nicht einmal über die Durchführung der Beweisaufnahme und deren Ergebnis informiert werden,17 weshalb der Verteidiger häufig erst bei einer späteren Akteneinsicht davon erfährt. Auch ist bereits umstritten, ob nicht wenigstens die definitive Ablehnung eines Beweisantrages - formlos mitgeteilt und begründet werden muß.18 Wird ein Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt oder übergangen, so steht schließlich, wie bereits erwähnt, dem Beschuldigten kein unmittelbarer förmlicher Rechtsbehelf dagegen zur Verfügung,19 und er kann diesen Fehler auch nicht später in der Revision rügen. 20 Allerdings kann der Antrag in den folgenden Verfahrensstadien wiederholt werden. Er muß dort außerdem angesichts der Aufklärungspflicht schon von Amts wegen in Betracht gezogen werden und kann dementsprechend auch den Ansatzpunkt für eine Aufklä14 So AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.34, 335 f.; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 163a Rdn. 15; Hermann Müller, in: KMR, StPO § 163a Rdn. 10 (1987); Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 218. 15 Vgl. Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 78 f., 159 f.; derselbe, NStZ 1991, 371 f.; Nelles, StV 1986,77; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 115 (1988). 16 § 161a StPO verweist nicht auf § 168c StPO (vgl. Rieß, in: LR, StPO, § 161a Rdn. 31, 34, § 163a Rdn. 25 (1988); siehe auch Quedenfeld, Peters-FS 11 (1984), 219 f.). 17 Vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 337; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 115 (1988). Für eine Benachrichtigungspflicht dagegen Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S.152. 18 Dagegen AlsbergINüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.337. Für eine Mitteilungspflicht Achenbach, in: AK, StPO, § 163a Rdn.9 (1992); Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 152 f., 162 ff.; Hermann Müller, in: KMR, StPO, § 163a Rdn. 10,20 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 116 (1988); Wache, in: KK, StPO (1993), § 163a Rdn. 9. 19 Vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.337; Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 184; Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 117 (1988). 20 Vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 856 f.
11. Ermittlungsverfahren
169
rungsrüge in der Revision bilden,21 und in Fällen, in denen eine spätere Nachholung wegen Beweisverlustes nicht mehr möglich ist, muß diese Ermittlungslücke in der Beweiswürdigung zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden. 22 Diese Konsequenzen betreffen jedoch alle erst das erkennende Gericht, während der Beschuldigte gegenüber dem Staatsanwalt selbst keine direkten Durchsetzungsmöglichkeiten hat. Insgesamt kann das Recht aus § 163a Abs. 2 StPO daher nicht als eine scharfe Verteidigungs"waffe" angesehen werden.
2. § 166 Abs. 1 StPO Deutlich stärker ist das Beweisantragsrecht des Beschuldigten gegenüber dem Ermittlungsrichter ausgebildet. Liegen die materiellen Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 StPO vor, so ist der Richter unstreitig zur Beweiserhebung verpflichtet,23 an welcher regelmäßig auch der Beschuldigte und sein Verteidiger beteiligt werden müssen. 24 Ablehnungen sind gemäß § 34 StPO ausdrücklich zu begrunden;25 eine Beschwerde dagegen wird von der überwiegenden Auffassung allerdings nicht als statthaft angesehen. 26 Der für den Beschuldigten entscheidende Nachteil des § 166 Abs. 1 StPO liegt jedoch in seinem engen Anwendungsbereich. Beweisanträge nach dieser Vorschrift können erstens nur während einer - ohnehin nicht sehr häufigen27 richterlichen Vernehmung gestellt werden, und ihre Stattgabe setzt zweitens nicht nur eine allgemeine Erheblichkeit des Begehrens, sondern auch eine 21 Vgl. OLG Hamrn, JMBINRW 1962,203 = VRS 23, 453; NJW 1971, 1954, 1955 f.; AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 855. 22 23
Vgl. Nelles, StV 1986,78 f.; Wenskat, Augenschein (1988), S. 62.
Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 166 Rdn.7 (1992); Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 339; Borowski, StV 1986,455; Hermann Müller, in: KMR, StPO, § 166 Rdn. 1 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 166 Rdn. 1 (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 166 Rdn. 1,4. 24 Vgl. §§ 168c, 168d StPO.
25 Vgl. Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 37; Rieß, in: LR, StPO, § 166 Rdn. 11 (1987). Der Antrag wirkt dann aber als Beweisantrag im Sinne des § 163a Abs. 2 StPO weiter (vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 338; Krekeler, aa.O., S. 38). 26 Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 166 Rdn. 11 (1992); AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.34O; Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S.37; Hermann Müller, in: KMR, StPO, § 166 Rdn. 8 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 166 Rdn. 13 (1987). Für die Statthaftigkeit der Beschwerde dagegen Borowski, StV 1986,455. 27
Siehe § 3 111 C 1 a; § 5 11 B 1 a
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§ 4 Gesetzliche Regelung des Beweisantragsrechts
besondere Dringlichkeit wegen drohenden Beweisverlustes oder wegen der Möglichkeit der Freilassung des Beschuldigten voraus. Im letzteren Fall wird es in der Regel um die Beseitigung des dringenden Tatverdachts gehen,28 wobei der Richter aber keine umfassende Überprüfung vornehmen, sondern nur "einzelne" Beweise, die eine entscheidende Wende herbeiführen könnten, erheben darf. 29 3. § 168d Abs. 2 StPO
Noch beschränkter ist schließlich der Anwendungsbereich des § 168d Abs. 2 StPO, der dem Beschuldigten die Möglichkeit einräumt, zu einem richterlichen Augenschein, an welchem Sachverständige mitwirken, auch einen eigenen Sachverständigen hinzuzuziehen, damit dieser die Tätigkeit der amtlichen Sachverständigen kontrolliert und ergänzt sowie die für sein in der Hauptverhandlung zu erstattendes eigenes Gutachten notwendigen Anknüpfungstatsachen feststellt. 30 Der Beschuldigte kann die amtliche Ladung des Sachverständigen durch den Richter beantragen, oder er kann den Sachverständigen selbst laden lassen bzw. formlos seine Anwesenheit veranlassen und den Antrag auf Zulassung erst bei der Augenscheinseinnahme stellen. 31 Der Richter darf diesen Antrag nur ablehnen, wenn es sich bei der betreffenden Person gar nicht um einen Sachverständigen handelt oder wenn deren Teilnahme die Tätigkeit der vom Richter bestellten Sachverständigen behindern würde. 32 Die Ablehnung muß gemäß § 34 StPO begründet werden;33 gegen sie ist nach herrschender Ansicht zwar eine Beschwerde statthaft, doch hat diese gemäß § 307 Abs. 1 StPO keine aufschiebende Wirkung, so daß sie 28 29
Vgl. Borowslci, StV 1986,455.
30 31
Vgl. Rieß, in: LR, StPO, § 168d Rdn. 8 (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 168d Rdn. 3.
Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 166 Rdn.2 (1992); AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 339; Hennann Müller, in: KMR, StPO, § 166 Rdn. 5 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 166 Rdn. 9 (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 166 Rdn. 6. Vgl. Achenbach, in: AK, StPo, § 168d Rdn.6 (1992); AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 342; Hennann Müller, in: KMR, StPO, § 168d Rdn. 4 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 168d Rdn. 11 (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 168d Rdn. 6.
32 Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 168d Rdn. 5, 7 (1992); AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 342; Hennann Müller, in: KMR, StPO, § 168d Rdn. 5 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 168d Rdn. 16 f. (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 168d Rdn. 7. 33 Vgl. Achenbach, in: AK, StPO, § 168d Rdn. 5 (1992); Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 31.
11. Ermittlungsverfahren
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durch die zwischenzeitliche Vornahme des Augenscheins prozessual überholt und damit unzulässig wird. 34 Auch zu dieser Vorschrift fehlen deshalb obergerichtliche Entscheidungen. Sie dürfte in der Praxis keine besondere Rolle spielen;35 vor allem verbietet sie dem Staatsanwalt nicht, den Augenschein selbst einzunehmen oder von der Polizei einnehmen zu lassen und dadurch die Mitwirkung des vom Beschuldigten benannten Sachverständigen von vornherein zu verhindern. C. Kritische Würdigung
Das Beweisantragsrecht ist im Ermittlungsverfahren somit sehr schwach ausgebaut. Insbesondere fehlen dem Beschuldigten die notwendigen rechtlichen Instrumente, um das jeweilige Ermittlungsorgan zur Durchführung der begehrten Beweiserhebung auch gegen dessen Willen zu zwingen. Die Entscheidung über den Beweisantrag steht daher zumindest faktisch im Ermessen der Ermittlungsbehörden, weshalb klar konturierte materielle Kriterien bislang nicht herausgearbeitet werden konnten. Abgesehen von den Sonderfällen der §§ 166 Abs. I, 168d Abs.2 StPO hat der Beschuldigte zudem keinen Anspruch auf Anwesenheit bei der Beweiserhebung, und er kann auch sonst deren Art und Weise sowie den Zeitpunkt ihrer Durchführung kaum beeinflussen. Angesichts der unklaren Rechtslage kann noch nicht einmal davon ausgegangen werden, daß die Staatsanwälte sich verpflichtet fühlen, im Falle der Ablehnung dem Beschuldigten dies ausdrücklich und mit Gründen mitzuteilen, damit dieser sein Prozeßverhalten darauf einrichten und gegebenenfalls neue Beweisanträge stellen kann. Dies alles widerspricht ganz offensichtlich den im ersten Kapitel herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren. 36 Zwar erkennt das BVerfG bislang keinen grundrechtlichen Schutz gegen unberechtigte Anklagen an, und es akzeptiert auch, daß bei den auf freiwilliger Unterwerfung beruhenden 34 Vgl. AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S.342; Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 31; Bennann Müller, in: KMR, StPO, § 168d Rdn. 6 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 168d Rdn. 20 (1987); Wache, in: KK, StPO (1993), § 168d Rdn. 9. Eine Revision kann auf Verstöße gegen § 168d Abs. 2 StPO - wie gegen § 163a Abs.2 StPO - nicht gestützt werden (vgl. AlsberglNüseIMeyer, a.a.O., S. 856 f.; Krekeler, a.a.O., S. 32 f.; Rieß, a.a.O., Rdn. 21). 35 36
Siehe auch Rieß, in: LR, StPO, § 168d Rdn. 2 (1987). Siehe § 2 11 C 3 b bb (1); § 3 III C 1 c.
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§ 4 Gesetzliche Regelung des Beweisantragsrechts
abgekürzten Erledigungsfonnen, welche das Verfahren bereits in diesem frühen Stadium beenden, die ansonsten notwendigen Garantien nicht gewährleistet werden. Es ist aber schon fraglich, ob diese Haltung angesichts der heutigen Kenntnis über die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens nicht revidiert werden und dem Beschuldigten - auch außerhalb einzelner gegen ihn gerichteter Zwangsmaßnahmen - schon hier ein allgemeines (Grund-)Recht auf Selbstbehauptung und Gewährleistung seiner SubjektsteIlung mit durchsetzbaren verfahrensrechtlichen Befugnissen eingeräumt werden muß.37 Jedenfalls muß das Beweisantragsrecht prinzipiell dort in vollem Umfang zur Verfügung stehen, wo das Ermittlungsverfahren bereits die Verurteilung in der Hauptverhandlung maßgeblich vorwegnimmt, weil seine Ergebnisse später nur noch schwer zu korrigieren sind. Dies gilt sowohl für das Aufspüren und Sichern einzelner Entlastungsbeweise, was häufig nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums unmittelbar nach der Tat möglich ist, als auch für das gesamte Erscheinungsbild der Beweislage in den Ermittlungsakten, anhand derer sich das erkennende Gericht für die Hauptverhandlung vorbereitet und innerlich vielfach bereits in erheblichem Maße festlegt. Allerdings läßt der Gesamtzusammenhang der verschiedenen Verfahrensabschnitte vermuten, daß sich die Situation der Verteidigung in der Praxis wohl doch nicht ganz so schlecht darstellt, wie es die isolierte Betrachtung der für das Ermittlungsverfahren geltenden Vorschriften zunächst vennuten ließe. 38 Nicht zuletzt wegen der bereits genannten Fernwirkungen übergangener Beweisanträge auf das weitere Verfahren und die Revision wird die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft nämlich vom erkennenden Gericht zumindest indirekt überprüft und kontrolliert, so daß die Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren die weiteren Verfahrensstadien antizipieren muß. Zwar sind die Anstrengungen der Staatsanwaltschaft theoretisch nur auf die Herbeiführung einer Entscheidung über die Anklageerhebung gerichtet und haben daher eine andere Zielsetzung als die des erkennenden Gerichts, welches von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein muß. Gleichwohl besteht zwischen beiden Maßstäben lediglich ein gradueller, aber kein substantieller Unterschied, denn der Staatsanwalt muß seine Entscheidung von einer Pro-
37 Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Gewährleistung des Beweisantragsrechts als Ausfluß der SubjektsteIlung im Ermittlungsverfahren betont Krekeler, Beweiserhebungsanspruch (1991), S. 65 ff.; derselbe, NStZ 1991,369. Siehe auch Rieß, in: LR, StPO, § 163a Rdn. 107 (1988). 38 Siehe auch § 3 III C 2 a; § 5 11 B I b bb.
11. Ermittlungsverfahren
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gnose über den Ausgang der Hauptverhandlung abhängig machen und dafür ebenfalls eine Gesamtwürdigung der Beweislage vornehmen. 39 Im einzelnen ergeben sich mindestens drei Arten von Interaktionen zwischen Staatsanwaltschaft und erkennendem Gericht, die den Staatsanwalt im allgemeinen dazu veranlassen sollten, Beweisanträgen der Verteidigung nachzugehen, wenn abzusehen ist, daß die Beweise in der Hauptverhandlung doch erhoben werden müßten: Das erkennende Gericht kann bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels Anklagereife ablehnen und den Staatsanwalt dadurch unmittelbar zu weiteren Beweisermittlungen und Beweiserhebungen zwingen. 40 In der Hauptverhandlung muß der Anklagevertreter bei Beweisanträgen der Verteidigung, welche er oder sein Kollege im Ermittlungsverfahren ignoriert hatten und die jetzt das Gericht in Schwierigkeiten bringen, mit dem Vorwurf einer schlechten Vorbereitung der Anklage rechnen. Schließlich wird kein Staatsanwalt das Risiko eingehen, einen Beweisantrag im Ermittlungsverfahren beiseite zu schieben, der in der Hauptverhandlung möglicherweise zu einem - völligen oder teilweisen Freispruch oder zu einer erheblichen Reduktion des Strafmaßes führt und die Anklage nachträglich als unberechtigt bloßstellt. Außerdem dürfte die ständige kollegiale Zusammenarbeit zwischen Staatsanwälten und Richtern zu vielfältigen informellen Kontakten führen, die eine gegenseitige Abstimmung nachhaltig fördern. In den Strafverteidigerhandbüchern wird dementsprechend häufig darauf hingewiesen, daß der Staatsanwalt einen gut begründeten Beweisantrag in aller Regel nicht ablehnt. 41 In welchem Maße diese Einschätzung tatsächlich zutrifft, soll an dieser Stelle freilich noch nicht abschließend erörtert werden. Zuvor ist nämlich zweckmäßigerweise zu prüfen, wie durchsetzungskräftig sich das Beweisantragsrecht in der Hauptverhandlung selbst darstellt, weil dortige Lücken sich zwangsläufig auch auf das Ermittlungsverfahren aus wir-
39 Vgl. nur KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 170 Rdn. 2; Rieß, in: LR, StPO, § 170 Rdn. 18 (1986), § 203 Rdn. 16 (1984). 40 Zur Kontrollwirkung des Zwischenverfahrens gegenüber Beweisanträgen aus dem Ermittlungsverfahren siehe auch Nelles, StV 1986, 79 f. 41 Vgl. DeckerIKotz, Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.4.3 a.E.; Rückel, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn.35; Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren (1991), Rdn.150.
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ken. 42 Außerdem wird sich auch die rechtstatsächliche Betrachtung in § 5 dieser Untersuchung mit dem Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren befassen. Aber auch wenn man dem Beweisantragsrecht des Beschuldigten in der Hauptverhandlung eine entsprechend starke "Fernwirkung" auf das Ermittlungsverfahren zubilligt, bleiben doch Bedenken, ob damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen wirklich genügt wird. Zum einen dürfte das Beweisantragsrecht durch die Vermittlungsmechanismen nicht unerheblich abgeschwächt und in Fällen, in denen sich eine Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO oder auch der Erlaß eines Strafbefehls abzeichnet, sogar weitgehend aufgehoben werden. Zum anderen setzt das Ausnutzen der Fernwirkungen eine besondere Verteidigerkunst voraus, weil der Beweisantrag in einer solchen Weise begründet werden muß, daß das erkennende Gericht notfalls auch ohne erneute AntragsteIlung in der Hauptverhandlung nicht mehr daran vorbeikommt. 43 Gerade im Ermittlungsverfahren ist die Stellung der Verteidigung aber besonders schwach ausgebildet. Außerdem verzichten Verteidiger dort auch deshalb auf Beweisanträge, weil sie bei der Beweiserhebung selbst nicht anwesend sein und deren Verlauf nicht beeinflussen können,44 so daß selbst das vorhandene Durchsetzungspotential aufgrund der Gesamtsituation nicht in vollem Umfang ausgenutzt werden kann. Diese Abschwächungen des Beweisantragsrechts im Ermittlungsverfahren lassen sich zwar zunächst durchaus mit funktionalen Erfordernissen der öffentlichen Strafverfolgung begründen: Das Ermittlungsverfahren soll mit seinem nur vorläufigen, vorbereitenden Charakter die notwendige Bewegungsfreiheit der Strafverfolgungsorgane sowohl in schwierigen Einzelfällen als auch bei der prozeßökonomischen Bewältigung der Massenkriminalität ermöglichen und steht gerade deshalb in klarem Gegensatz zur förmlichen, mit allen Verfahrensgarantien ausgestatteten Hauptverhandlung. Die gegenwärtige Situation könnte dementsprechend als ein sinnvoller Kompromiß zwischen individuellem Beschuldigteninteresse und öffentlichem Strafverfol42 So insbesondere beim Sachverständigenbeweis und beim Augenscheinsbeweis (siehe § 4 IV 03 i undj). 43 Vgl. etwa die Ratschläge bei DeckerIKotz, Erfolg in Strafsachen (1993), 4/2.4.4; Rücket, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn. 55.
44 Vgl. Quedenfeld, Peters-FS Il (1984), 219 f. Siehe aber auch Rücket, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn. 36 f., der Beweisanträge umgekehrt auch als Instrument ansieht, um informell die Anwesenheit bei Ermittlungshandlungen zu erreichen.
III. Gerichtliches Verfahren vor der Hauptverhandlung
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gungsinteresse aufgefaßt werden, weil der Beschuldigte aufgrund der Ausstrahlungen der Hauptverhandlung sachlich begründete und für die Endentscheidung wichtige Beweisanträge in aller Regel durchaus durchsetzen kann, im übrigen aber die Bewegungsfreiheit von Staatsanwaltschaft und Polizei erhalten bleibt. Insgesamt erscheint dieses "indirekte" Beweisantragsrecht aber viel zu diffus, um dem Beschuldigten gerade in seinem Einzelfall ausreichenden Schutz gegen eine einseitige, die Beweislage in objektiv verzerrter Weise festklopfende Ermittlungsführung zu gewährleisten. Angesichts der erheblichen Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Gesamtausgang des Strafprozesses gerade im deutschen Amtsermittlungsverfahren erscheint die geltende Regelung daher aus verfassungsrechtlicher Sicht als zumindest problematisch.
III. Verfahren vor dem erkennenden Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung Nicht wesentlich besser als im Ermittlungsverfahren stellt sich nach der Gesetzesfonn die Situation des Beschuldigten45 im Zwischenverfahren und in der Phase der Vorbereitung der Hauptverhandlung dar. Im ZwischenveTjahren ist sein Beweisantragsrecht zwar durch § 201 Abs. 1 StPO ausdrücklich anerkannt, und er hat auch einen Anspruch auf Bekanntgabe und - im Falle der Ablehnung - Begründung der Entscheidungen über seine Beweisanträge.46 Allerdings sind diese Entscheidungen gemäß § 201 Abs. 2 Satz 2 StPO unanfechtbar4 7 und können auch mit der Revision nicht unmittelbar angegriffen werden. 48 Dementsprechend haben die Revisionsgerichte bislang weder die Anforderungen an die Fonn dieser Beweisanträge noch die materiellen Maß-
45 Auf eine Verwendung der verfahrensstadiumsspezifischen Bezeichnungen des § 157 StPO (Angeschuldigter bzw. Angeklagter) wird hier verzichtet.
46 §§ 34, 35 StPO (vgl. nur Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 345). 47 Nach Ansicht des OLG Karlsruhe, Justiz 1977, 277, kann zwar gegen den Eröffnungsbeschluß ein Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO gestellt werden, wenn Beweisanträge im Zwischenverfahren völlig unbeachtet geblieben sind, doch genügt hierfür ein bloßes Unterlassen der Bescheidung nicht, wenn sich aus anderen Tatsachen ergibt, daß das Gericht die Beweisanträge zur Kenntnis genommen und erwogen hat. 48 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 857; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 201 Rdn. 10; Paulus, in: KMR, StPO, § 201 Rdn.27 (1987); Rieß, in: LR, StPO, § 201 Rdn. 38 (1984); Treier, in: KK, StPO (1993), § 201 Rdn. 22.
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stäbe für ihre Bescheidung näher konkretisiert,49 weshalb es auch nicht verwundert, wenn in den Kommentierungen sehr unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden. 50 Ein ähnliches Bild ergibt sich für Beweisanträge in der Phase der Vorbereitung der Hauptverhandlung, mit welchen der Beschuldigte entweder die Voraberhebung eines Beweises außerhalb der Hauptverhandlung gemäß den §§ 223 ff. StPO oder die Ladung oder Herbeischaffung von Beweismitteln in die Hauptverhandlung gemäß § 219 Abs. 1 StPO (mit der Folge des § 245 Abs. 1 StPO) verlangen kann. 51 Auch hier hat er zwar Anspruch auf Mitteilung der Entscheidung und, im Falle der Ablehnung, auf Bekanntgabe der Gründe,52 doch kann er gegen diese weder mit der Beschwerde vorgehen noch ihre Fehlerhaftigkeit in der Revision geltend machen. 53 Die Bescheidung des Beweisantrags hat sich schließlich nach fast einhelliger Ansicht der Kommentatoren unmittelbar an § 244 Abs. 3-5 StPO zu orientieren,54 wenngleich auch dazu revisionsgerichtliche Stellungnahmen weitgehend fehlen. 55 49 Ersichtlich sind nur die Entscheidungen RGSt 72, 231, 232; 73, 193, 193 f.; OLG Köln, JMBINRW 1960, 221, 222, die es genügen lassen, wenn das Gericht erklärt, die beantragte Beweiserhebung sei rur das Zwischenverfahren nicht erforderlich. 50 Vgl. zur Fonn etwa Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 343 f.; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 201 Rdn.6; Paulus, in: KMR, StPO, § 201 Rdn. 18 (1987) einerseits: Beweisantrag im engen Sinne erforderlich, Beweisenninlungsanträge sind ohne weiteres abzulehnen - Rieß, in: LR, StPO, § 201 Rdn. 22 (1984) andererseits: auch Beweisenninlungsanträge zulässig; ähnlich Loos, in: AK, StPO, § 201 Rdn.8 (1992). Sowie zum Inhalt etwa Alsberg/Nüse/Meyer, a.a.O., S. 345; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 8; Loos, aa.O., Rdn. 12; Treier, in: KK, StPO (1993), § 201 Rdn. 19 einerseits: freies Ennessen für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Beweiserhebung im Zwischenverfahren - Paulus, a.a.O., Rdn. 19; Rieß, a.a.O., Rdn. 30, andererseits: die Entscheidung ist an § 244 Abs. 3-5 StPO zu orientieren. 51 Die Sondervorschriften der §§ 225a Abs.2, 270 Abs.4 StPO haben demgegenüber kaum eine praktische Bedeutung und entsprechen im übrigen den §§ 201, 219 StPO (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 365 ff.). 52 53
Vgl. nur Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 357 f.
Vgl. RGSt 75,165, 166; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S. 364, 858; Gollwit1.er, in: LR, StPO, § 219 Rdn. 33,35 (1984); KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 219 Rdn. 6 f.; Paulus, in: KMR, StPO, § 219 Rdn. 19 f. (1988); Schlüchter, in: SK, StPO, § 219 Rdn. 20 f. (1992); Treier, in: KK, StPO (1993), § 219 Rdn. 11 f. S4 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983), S.356; Gollwit1.er, in: LR, StPO, § 219 Rdn. 11 (1984); KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 219 Rdn. 3; Paulus, in: KMR, StPO, § 219 Rdn.9 (1988); Schlüchter, in: SK, StPO, § 219 Rdn. 10 ff. (1992); Treier, in: KK, StPO (1993), § 219 Rdn. 6.
55
OLG Köln, MDR 1953, 376, bejaht die Anwendbarkeit von § 244 Abs. 3-5 StPO.
ID. Gerichtliches Verfahren vor der Hauptverhandlung
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Trotz des Fehlens eines Rechtsbehelfs besteht gegenüber dem Ermittlungsverfahren ein wichtiger Unterschied, der das Beweisantragsrecht des Beschuldigten in diesen Phasen - zwar noch nicht für das Zwischenverfahren selbst, aber doch im Hinblick auf die Hauptverhandlung - zu einer scharfen Waffe macht: Adressaten der Beweisanträge sind das erkennende Gericht oder dessen Vorsitzender, die eher daran interessiert sind, möglichst früh von den Beweisbegehren der Verteidigung zu erfahren, als alles auf die Hauptverhandlung zu verschieben und dort unter Zeitdruck zu geraten, weil ein Z.euge oder Sachverständiger nicht innerhalb der Unterbrechungsfrist zur Verfügung steht. Lehnt der Vorsitzende etwa einen Beweisantrag nach § 219 StPO ohne stichhaltige, den §§ 244 Abs. 3-5 StPO genügende Begründung ab, so muß er mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß der Antrag in der Hauptverhandlung wiederholt wird. Praktiker weisen deshalb darauf hin, daß ein vor der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag sogar größere Erfolgsaussichten habe als ein Beweisantrag in der Hauptverhandlung, weil der Vorsitzende im allgemeinen Verzögerungen vermeiden wolle und deshalb frühen Beweisanträgen auch dann vorsorglich stattgebe, wenn er von deren Erheblichkeit nicht überzeugt sei, aber nicht ausschließen könne, daß sich die Lage in der Hauptverhandlung doch noch anders darstelle. 56 Darüber hinaus können Beweisanträge aus der Vorbereitungsphase auch direkt in die Hauptverhandlung hinein wirken und dementsprechend Anknüpfungspunkte für eine spätere Revision bilden, insbesondere in Form der Aufklärungsrüge. So übermittelt ein solcher Beweisantrag regelmäßig dem Gericht ausreichende Informationen zur Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht, weshalb Vertreter der Auffassung, daß Aufklärungspflicht und Beweisantragsrecht jedenfalls im sachlichen Bereich des § 244 Abs. 3-5 StPO identisch sind, Beweisanträgen nach den §§ 201 Abs. 1, 219 StPO materiell dieselbe Wirkung zubilligen wie Beweisanträgen, die erst in der Hauptverhandlung gemäß § 244 Abs. 3-6 StPO gestellt werden. 51 Ebenso lösen Anträge auf Beweiserhebungen außerhalb der Hauptverhandlung gemäß den §§ 223 ff. StPO jedenfalls dann die Aufklärungspflicht aus, wenn der Beweis in der Hauptverhandlung selbst nicht erhoben werden kann oder gar sein Ver-
56 Vgl. Hamm, StV 1982, 491; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung (1988), Rdn. 123 f. Siehe auch § 5 11 B 2 b; § 5 11 B 3 b aa. 51 So insbesondere Engels, Aufldärungspflicht (1979), S. 84 f., 90 Cf. 12 Perron
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lust droht. 58 Schließlich erkennt die Rechtsprechung an, daß aus bestimmten Fehlern bei der Behandlung von Beweisanträgen vor der Hauptverhandlung (Nichtbescheidung; Zusage, daß über den Beweisantrag in der Hauptverhandlung entschieden oder die Tatsache dort als wahr unterstellt werde) beim Antragsteller ein Vertrauenstatbestand entsteht. Soll das Vertrauen enttäuscht und die Zusage nicht eingehalten werden, so muß der Vorsitzende ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Wiederholung des Antrages in der Hauptverhandlung hinweisen. 59 Im Gegensatz zum Ermittlungsverfahren sind die Rückwirkungen des für die Hauptverhandlung geltenden Beweisantragsrechts auf das Zwischenverfahren und die Vorbereitung der Hauptverhandlung somit klar und deutlich und aus verfassungsrechtlicher Sicht auch ausreichend. Soweit es um das Zwischenverfahren selbst geht, hat das Gericht zwar ein faktisch unüberprüfbares Ermessen, doch wird eine korrekte Eröffnungsentscheidung dem Beschuldigten gerade nicht grundrechtlieh garantiert. Für die Hauptverhandlung muß das Gericht die im Zwischenverfahren gestellten Beweisanträge jedoch ernst nehmen und kann nicht darauf vertrauen, daß sie dort nicht mehr wiederholt werden. Der Beschuldigte kann daher das Gericht durch Beweisanträge in der Vorbereitungsphase zwingen, sich mit seinen Entlastungsvorbringen auseinanderzusetzen und deren Bedeutung für die Hauptverhandlung zu antizipieren. Droht zudem Beweisverlust, so führt die Weigerung des Gerichts, den Beweis bereits vor der Hauptverhandlung zu erheben, im Falle des tatsächlichen Verlustes zu einer erheblichen, zugunsten des Beschuldigten wirkenden Einschränkung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, die auch in der Revision geltend gemacht werden kann. Ob das Beweisantragsrecht des Beschuldigten in diesen Verfahrensabschnitten den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, hängt daher allein noch davon ab, daß diese Anforderungen in der Hauptverhandlung selbst erfüllt werden.
58 Vgl. Gollwitzer, in: LR, StPO, § 223 Rdn.45 (1984); Schlüchter, in: SK, StPO, § 223 Rdn. 41 (1992). 59 Vgl. RGSt 72, 231, 232 f.; 73, 193, 194; BGHSt I, 51, 53 f., 1,286,287; BGH 1 StR 192/53 vom 5.5.1953, zitiert bei Steifen, Verletzung des § 219 (1963), S.28. Überblick etwa bei AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983), S. 857 ff. Nach BGHSt 32,44,47, soll die Nichteinhaltung der Zusage einer Wahrunterstellung keinen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, sondern einen revisionstechnisch leichter zu rügenden - Verstoß gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren begründen.
IV. Hauptverhandlung
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IV. Hauptverhandlung A. Die Bedeutung der Revisionskontrolle
Die Wirksamkeit des Beweisantragsrechts des Beschuldigten in der Hauptverhandlung hat somit auch aus der verfassungsrechtlichen Perspektive für den gesamten Verfahrensverlauf eine zentrale Bedeutung. Hauptgarant dieser Wirksamkeit und inhaltlich bestimmender Faktor ist die Haltung der Revisionsgerichte, insbesondere des BGH. Dies zeigt bereits die Entstehungsgeschichte des Beweisantragsrechts, welches vom RG zunächst praeter legern entwickelt und vom Gesetzgeber später lediglich übernommen wurde, ohne daß - abgesehen von zwischenzeitlichen Einschränkungen bis hin zur völligen AbschaffiJng, die vom RG prompt mit einer entsprechenden Ausdehnung der Auflclärungsrüge gekontert wurde - gegenüber der Rechtsprechung wesentliche eigenständige legislatorische Akzente gesetzt worden wären. 60 Maßgeblich für die heutige Situation ist zum einen die verhältnismäßig hohe Intensität der Revisionskontrolle, welcher ein großer Teil der landgerichtlichen Strafurteile unterworfen ist61 und die im Falle einer fehlerhaften Behandlung von Beweisanträgen typischerweise zur vollständigen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt. 62 Bei den Amtsgerichten, die im allgemeinen keine Revision zu befürchten haben, ist die Effektivität des Beweisantragsrechts deshalb auch deutlich abgeschwächt;63 jedoch unterliegen die Berufungsurteile der Landgerichte danach wieder der Revision, so daß im Ergebnis auch in diesen Verfahren sich die Auffassung der Revisionsgerichte durchsetzt. 64 Außerdem können die nicht unerheblichen formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an die Begründung einer Beweisantragsoder Auflclärungsrüge65 zwar den Verteidiger im Einzelfall durchaus vor Pro60 Siehe § 3 III B.
61 62 63 64 65
Siehe § 3 III C 3 b. Siehe § 5 III B 1. Siehe § 3 III C 3 a; § 5 11 B 3 b cc. Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Regelung siehe § 3 III C 3 c.
Vgl. dazu etwa AlsberglNüse/Meyer. Beweisantrag (1983) S. 875 ff.; Fezer. StrafprozeBrecht 11 (1986).121194.197 ff.; Gollwitzer. in: LR. StPO. § 244 Rdn. 339 Cf.• 348 Cf. (1985); Herdegen. in: KK. StPO (1993). § 244 Rdn. 36 Cf.• 107 ff.; Paulus. in: KMR. StPO. § 244 Rdn. 596 ff.• 602 ff. (Stand 1981); Sarstedt/Hamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 252 Cf., 277 ff.; Schlüchter, in: SI(, StPO. § 244 Rdn. 172 Cf., 182 ff. (1992); Schöch, in: AK. StPO. § 244 Rdn. 145ff. (1993). 12*
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bleme stellen, aber sie bilden insgesamt keine so hohe Hürde, daß sie dem Richter die Angst vor der Revision nehmen würden. Zum anderen gibt es angesichts des Zusammenspiels von Beweisantragsrüge, Aufklärungsrüge und Darstellungsrüge bei Beweisbegehren des Beschuldigten praktisch keine revisionsjreien Räume mehr. 66 So wird den Tatrichtern auch gegenüber Beweisbegehren außerhalb des förmlichen Beweisantragsrechts 67 kein freies Ermessen eingeräumt, sondern sie müssen - gemäß den allgemeinen Anforderungen an die Aufklärungspflicht - dem Antrag nachkommen, sofern "auch nur die entfernte Möglichkeit einer Änderung der durch die vollzogene Beweisaufnahme begründeten Vorstellung von dem zu beurteilenden Sachverhalt in Betracht kommt" .68 Und wenn das Gericht bei der Beurteilung von Beweisanträgen oder der sonstigen Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung Teile seiner abschließenden Beweiswürdigung vorziehen darf, etwa um einem Beweisantrag schon in der Hauptverhandlung die tatsächliche Unerheblichkeit der behaupteten und potentiell durchaus relevanten Indiztatsache für die Entscheidungsfindung entgegenhalten zu können,69 dann muß es dabei die allgemeinen revisionsgerichtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung beachten, weil sonst unter Umständen auch die "Darstellungsrüge" zur Aufhebung des auf diesem Fehler beruhenden Urteils führen könnte. Weiterhin zwingen die strukturellen Grenzen der Revisionskontrolle zu einer besonderen Ausrichtung der materiellen Anforderungen an die Ablehnung von Beweisanträgen. Da die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung selbst nicht protokolliert oder aufgezeichnet wird, können die Revisionsgerichte nicht nachprüfen, wie sich der Wert eines begehrten Beweises gegenüber der zu diesem Zeitpunkt erkennbaren sonstigen Beweislage objektiv dargestellt hatte, sondern sie bleiben insoweit auf die subjektiven Schilderungen des Tatgerichts in der Ablehnungsbegründung zum Beweisantrag und in den Urteilsgründen angewiesen. 7o Die mit dem deutschen Amtsermittlungssystem verbundene Subjektivierung des Beweisverfahrens - Beweiserhebung und 66 67 68
Siehe auch § 3 III B; § 3 III C 3 b.
69
Näher dazu unter § 4 IV D 3 b.
Siehe dazu § 4 IV B 3.
BGHSt 23, 176, 188. Zur Anwendbarkeit dieses Kriteriums auf Beweisermittlungsanträge vgl. etwa BGHSt 30, 131, 142 f. Näher dazu unter § 4 IV D 2. 70 Siehe auch § 3 III C 3 b.
IV. Hauptverhandlung
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Entscheidungsfindung sind bei einem Erkenntnissubjekt konzentriert - wird dadurch zusätzlich verstärkt und stellt die Revisionsgerichte vor die Alternative, für die Ablehnung von Beweisanträgen entweder strikt objektive Kriterien aufzustellen, die auch in den subjektiven Darstellungen der Tatgerichte nicht verzerrt werden können, oder den Tatgerichten zumindest faktisch Beurteilungs- und Ermessensspielräume einzuräumen, deren Ausfüllung anhand der gegebenen Begründungen allenfalls auf innere Konsistenz und äußere Nachvollziehbarkeit überprüft werden kann. Und schließlich bestimmt die Art der Revisionskontrolle auch in ganz erheblichem Maße das taktische Verhalten der Verteidigung beim Umgang mit Beweisanträgen. Daß Beweisanträge als taktische Waffen eingesetzt werden können, um das Gericht in Schwierigkeiten zu bringen, liegt bereits im Amtsermittlungssystem selbst begründet.71 Wird darüber hinaus die Ablehnung von Beweisanträgen an enge objektive Kriterien oder zumindest an dezidierte, in hohem Maße konsistente subjektive Begründungen gebunden, so fällt es der Verteidigung nicht schwer, Beweisanträge zu stellen, die, obwohl sie für die Entscheidung aller Voraussicht nach allenfalls eine marginale Bedeutung haben, dennoch vom Gericht nicht ohne hohes Revisionsrisiko abgelehnt werden können und deshalb das Verfahren erheblich zu verzögern drohen. Die Verteidigung kann daher diese Situation bewußt ausnutzen, um dem Gericht unmittelbar Konzessionen abzuringen oder zumindest Revisionsfallen zu stellen.72 Außerdem kann die Ablehnung von Beweisanträgen aufgrund einer die abschließende Beweiswürdigung vorwegnehmenden Begründung der Verteidigung wichtige Aufschlüsse über den Erkenntnisstand des Gerichts geben (etwa wenn es die behauptete Tatsache als schon erwiesen ansieht)73 und zudem dieses in seiner Urteilsbegründung einengen (so insbesondere die Wahrunterstellung).74 Die folgende Analyse konzentriert sich angesichts dieser überragenden Bedeutung der Revisionsrechtsprechung für das Beweisantragsrecht auf die einschlägigen Entscheidungen des BGH und der Oberlandesgerichte und berücksichtigt die Stimmen des Schrifttums vor allem dort, wo diese sich kritisch mit der Rechtsprechung auseinandersetzen. 71
Siehe § 3 III B; § 3 III C 2 b.
72 Vgl. Schlothauer, StV 1988,544 f.; sowie § 5 11 B 3 b bb.
73 74
Vgl. etwa Hamm, Peters-FS 11 (1984),174; Schulz, GA 1981,308. Vgl. etwaSchlothauer, StV 1988,545; Schulz, GA 1981,308 f.
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§ 4 Gesetzliche Regelung des Beweisantragsrechts
B. Anforderungen an die Form der Beweisanträge 1. AntragsteIlung
Alle Beweisanträge im weiteren Sinne75 sind Prozeßhandlungen, mit denen der Antragsteller vom Gericht begehrt, die Erhebung eines Beweises anzuordnen und vorzunehmen,16 Sie müssen in der Hauptverhandlung mündlich gestellt werden, es sei denn das Gericht verlangt gemäß § 257a StPO eine schriftliche Einreichung.77 Allerdings ist auch sonst eine - abgekürzte - Bezugnahme auf schriftlich vorfonnulierte und begründete Anträge zulässig und in der Praxis üblich. 78 Ist erkennbar, daß der Beschuldigte ein Beweisbegehren an das Gericht richten will, so muß der Vorsitzende aufgrund seiner Aufklärungs- und Fürsorgepjlicht insbesondere in Verfahren ohne Verteidiger durch Fragen und Hinweise darauf hinwirken, daß das Begehren ausreichend bestimmt und fonnell korrekt fonnuliert wird,19 Verbleiben Unklarheiten, so ist durch Auslegung der wirkliche Sinn des Begehrens zu ermitteln. 8o Die ohnehin nicht sehr hohen fonnellen Hürden der AntragsteIlung werden da75 Zur Differenzierung zwischen Beweisanträgen im engeren Sinne und bloßen "Beweiserminlungsanträgen", "Beweisanregungen" etc. sogleich unter § 4 IV B 3. 76 Vgl. nur Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 34 f. 77 Zu den problematischen Auswirkungen dieser durch das VerbrechensbekämpfungsG 1994 eingeführten Vorschrift auf das Machtgefüge zwischen Gericht und Verteidigung vgl. Bandiseh, StV 1994, 158; Hamm, StV 1994,457 f.; Scheßler, NJW 1994,2194 f.; Schlüchter, GA 1994,427. 78 Vgl. zur Rechtslage vor dem VerbrechensbekämpfungsG 1994 BGH NIW 1953, 35, 36; OLG Hamm, JMBINRW 1970, 251; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 381; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 103 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 49; KleinknechtlMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 32; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 380 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn.76 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn.60 (1993). 79 Vgl. etwa BGH StV 1981, 330; BGHSt 22, 118, 122; OLG Frankfurt 1 Ss 67/88 vom 21.10.1988 (JURIS Nr. 409285); Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 396; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 113 f. (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 47; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 35; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 371 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn.62 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn.48 (1993). 80 Vgl. etwa BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung Nr. 21; BGH StV 1990,440, 441; BGH NStZ 1981, 33; BGH NIW 1959, 396; BGUSt I, 137, 138; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 749 ff; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 111 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 47; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 39; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 371 (Stand 1981); Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 62 (1992).
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durch noch wesentlich reduziert, so daß ein Gericht, das die Unfähigkeit des Beschuldigten oder seines Verteidigers zur Formulierung korrekter Beweisanträge zum Anlaß nimmt, Beweisbegehren der Verteidigung zu ignorieren oder ohne weitere Erörterung abzulehnen, ein hohes Revisionsrisiko eingehtßI Der zeitliche Rahmen für die Antragstellung erstreckt sich gemäß § 246 Abs. 1 StPO auf die gesamte Dauer der Hauptverhandlung, d.h. bis zum Beginn der Urteilsverkündung. Nach der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte muß das Gericht daher dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger auch nach der Urteilsberatung noch auf dessen Verlangen hin Gelegenheit geben, neue Beweisanträge vorzubringenß2 Und selbst während der Urteilsverkündung ist der Vorsitzende im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht verpflichtet, Beweisbegehren der Verteidigung entgegenzunehmen und zu prüfen, ob eine Wiedereröffnung der Beweisaufnahme erforderlich ist. 83 Das Recht des Beschuldigten auf Stellung von Beweisanträgen darf auch nicht von seinem allgemeinen Einlassungsverhalten abhängig gemacht und dadurch - zumindest mittelbar - eingeschränkt werden. 84 Insbesondere können
81 Siehe aber auch BGH bei Spiegel, DAR 1980, 205, wonach ein erforderlicher Hinweis auch in Fonn einer förmlichen, begründeten Ablehnung des Begehrens erfolgen kann (dagegen Aisberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 396 f.). Ähnlich auch BGH StV 1989, 465 (mit ablehnender Anmerkung Schlothauer). 82 Vgl. BGH StV 1992, 218, 219; 1991, 59; BGH NStZ 1981, 311; BGH NJW 1967, 2019, 2020; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 387; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 102 (1985); KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 33; Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn.77 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 52 (1993). Nach BGH StV 1992, 311 f., muß gegen eine Weigerung des Vorsitzenden, Beweisanträge nach Schluß der Beweisaufnahme entgegenzunehmen, ein Gerichtsbeschluß gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt werden, damit das Rügerecht für die Revision nicht verloren geht (dagegen aber Scheffler, MDR 1993, 3 f.). 83 Vgl. BGH NStZ 1986, 182; BGH bei Da/linger, MDR 1975, 24; BGH VRS 36, 368; Alsberg/NüselMeyer, Beweisantrag (1983) S. 387 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 102 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 246 Rdn. I; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 33; Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn.77 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn.52 (1993). Siehe auch Scheffler, MDR 1993,4 f. 84 Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1977, 461; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 375 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 96 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 51; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 30; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 73 (1992). Dies gilt insbesondere auch für Beweisanträge des Verteidigers, dem generell ein vom Beschuldigten unabhängiges eigenes Beweisantragsrecht zugebilligt wird (vgl. BGH NJW 1953,
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die in den Beweisanträgen eines schweigenden Beschuldigten oder seines Verteidigers enthaltenen Tatsachenbehauptungen nicht gegen den Willen des Beschuldigten als Äußerungen zur Sache behandelt werden, die der Beweiswürdigung unterliegen, 8S und umgekehrt verliert ein geständiger Beschuldigter auch nicht das Recht auf Beweisanträge mit dem Ziel des Nachweises seiner Unschuld. 86 Schließlich hatte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung lange Zeit auf den Standpunkt gestellt, daß die AntragsteIlung als solche dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auch nicht wegen Mißbrauchs verwehrt werden könne, sondern das Gericht in jedem Falle verpflichtet sei, Beweisanträge entgegenzunehmen und inhaltlich zu prüfen. 87 Neuerdings akzeptierte es der BGH allerdings erstmalig, daß das Tatgericht dem Beschuldigten das Beweisantragsrecht entzog und ihn auf die Möglichkeit verwies, Beweisanträge über seine Verteidiger zu stellen,88 Der BGH stützte sich dabei einerseits auf eine allgemeine übergesetzliche Mißbrauchsklausel, deren Voraussetzungen (gezielter Einsatz von verfahrensrechtlichen Befugnissen zu verfahrensfremden Zwecken) im konkreten Fall in besonders krasser und für einen objektiven Beobachter zweifelsfrei erkennbarer Weise vorlagen,89 sowie andererseits auf die Stellung des Verteidigers, dessen Auftrag nicht ausschließlich im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege liege, weshalb es in gewissen Fällen sachdienlich sei, Rechte des Beschuldigten nur über seinen Verteidiger ausüben zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung lediglich einen Ausnahmefall bildet oder die Eröffnung einer neuen Linie der Einschränkung "mißbräuch1314; AlsberglNüse/Meyer a.a.O. S. 337 f.; Rerdegen a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O.; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 374 (Stand 1981); Schlüchter a.aO.). 8S
Vgl. BGH NStZ 1990,447 f.
86 87
Vgl. AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 376.
Vgl. BGH JR 1980, 218; BGHSt 29, 149, 151 f.; AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 372 f.; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 29.
88 BGHSt 38, 11l. Siehe dazu Ramm, NJW 1993,291, 296f.; Maatz, NStZ 1992, 513ff.; ScheJfler, JR 1993, 170 ff.; Widmaier, NStZ 1992,519 ff. 89 Der Beschuldigte hatte das Gericht zunächst ein halbes Jahr lang mit der Entgegennahme und Bescheidung von etwa 300 Beweisanträgen beschäftigt und sich dabei auch geweigert, seine schriftlichen Vorformulierungen der Anträge zu verlesen und als Anlage zum Protokoll zu überreichen, sondern auf eigenem Diktat ins Protokoll bestanden. Anschließend kündigte er weitere 200 Beweisanträge an und erklärte schließlich, als ein Mitangeklagter ca. 8.500 schriftliche Beweisanträge einreichte, daß er sich diesen - ihm unbekannten - Anträgen ·schon jetzt" anschließe.
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licher" Beweisanträge bedeutet. Der vom BGH mitgeteilte Sachverhalt bildet jedenfalls einen der seltenen Fälle, in denen die Ausnutzung des Beweisantragsrechts zu verfahrensfremden Zwecken schon nach dem objektiven Erscheinungsbild so offensichtlich ist, daß der Verweis auf die Stellung weiterer Beweisanträge über den Verteidiger aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Bedenken begegnet. 9O Insgesamt müssen die gegenwärtigen Anforderungen an den Akt der AntragsteIlung - vielleicht abgesehen von den bereits als solchen problematischen Fällen unverteidigter Beschuldigter - somit als sehr gering eingestuft werden, so daß für den Beschuldigten von dieser Seite aus keine ernstzunehmenden Hindernisse für seine Beweisbegehren bestehen. 2. Bedingte Beweisanträge
Beweisanträge dürfen nach einhelliger Ansicht auch unter Bedingungen gestellt werden, so daß das Gericht nur zur Prüfung und Bescheidung des Antrags verpflichtet ist, wenn die Bedingung eintriU. 91 Als Bedingung kommt neben einer bestimmten Prozeßlage oder einem bestimmten Verhalten anderer Prozeßbeteiligter insbesondere auch die Haltung des Gerichts zu einer für das Verfahren maßgeblichen Sach- oder Prozeßfrage in Betracht. Die Verteidigung kann daher das Gericht mit solchen Beweisanträgen veranlassen, seine Beurteilung der Beweislage schon vor Urteilserlaß bekanntzugeben. 92 Eine ganz besondere Bedeutung haben in der Praxis die sogenannten "Hilfsbeweisanträge" , welche regelmäßig im Schlußplädoyer gestellt und mit einem Hauptantrag zur Endentscheidung des Gerichts verbunden werden, so daß eine etwaige Ablehnung erst in der Urteilsbegründung bekannt gegeben werden muß.93 Allerdings muß sich das Gericht nicht auf bedingte Beweisanträge 90 Siehe auch § 2 11 C 3 b dd.
91 Vgl. etwa BGH StV 1990, 149; BGHSt 29, 396, 397; AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 57; Go[[witzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 160 (1985); KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 22; Michalke, StV 1990, 185; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 395 (Stand 1981); Schlothauer, StV 1988, 542 ff.; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn.65 (1992); Eh. Schmidt, Lehrkommentar StPO 11 (1957nO), vor § 244 Rdn. 28; Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 54 (1993). 92 Vgl. AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 58 C.; Hamm, Peters-FS 11 (1984), 174; Schlothauer, StV 1988,546.
93 Vgl. etwa BGH NStZ 1989, 191; BGHSt 32, 10, 13; AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 59 C.; Go[[witzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 160 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 50a; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn.22, 44a; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 398 (Stand 1981); Schlothauer, StV 1988, 542; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244
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einlassen, sondern es kann sie als unbedingte behandeln und den AntragstelIer dadurch im Unklaren darüber lassen, ob die Bedingung tatsächlich eingetreten ist oder nicht. 94 Die Zulässigkeit bedingter Beweisanträge entspricht zunächst einem unmittelbar einsichtigen prozeßökonomischen Bedürfnis und liegt insoweit gleichermaßen im Interesse von Verteidigung und Gericht. Glaubt die Verteidigung, daß die Beweislage in einem Punkt bei vernünftiger Betrachtung bereits ausreichend zugunsten des Beschuldigten geklärt ist, obwohl noch weitere Beweise zur Verfügung stehen, so stünde sie ohne diese Möglichkeit vor der in beide Richtungen riskanten Alternative, entweder darauf zu vertrauen, daß das Gericht die Sache ebenso sieht, und auf weitere Beweisanträge zu verzichten oder aber aus Sicherheitsgründen dennoch die Einbeziehung alIer weiteren Beweismittel zu verlangen und sich dem Vorwurf unnötiger Prozeßverzögerung auszusetzen. 9S Und wenn die Verteidigung um einen Freispruch kämpft, weil der Beschuldigte die Tatbegehung bestreitet, macht es auch bei einer kritischen Beweislage wenig Sinn, gleichzeitig bereits Beweisanträge zum Schuldumfang und zu Strafzumessungsfaktoren zu stelIen. 96 Hilfsbeweisanträge bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma und ermöglichen auch dem Gericht eine konzentriertere und von unnötigen Spannungen freigehaltene Verfahrensführung. Würde man sie völlig verbieten, so wären jedenfalIs in dem bestehenden Verfahrenssystem ohne Schuldinterlokut und ohne geregelte
Rdn. 66 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 55 (1993). Nach BGH StV 1990, 149, gilt das auch für sonstige bedingte Beweisanträge, wenn die Bedingung von einem bestimmten Inhalt des Urteils abhängig gemacht werde und deshalb erst mit der Urteilsverkündung eintreten könne (ablehnend Michalke, StV 1990, 185 f.). Der Beschuldigte kann allerdings auch ausdrücklich auf einer Bescheidung vor der Urteilsverkündung bestehen (BGHNStZ 1989, 191; zweifelnd allerdings BGH NStZ 1991,47,48; sowie Meyer-Goßner, a.a.O. Rdn.44a: Umwandlung in Hauptantrag erforderlich). Eingehend zum ganzen Niemöller, JZ 1992, 884 ff. 94 Vgl. etwa BGH StV 1990, 149; BGHSt 32, 10, 13; AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S.59; Gollwitzer, in: LR, StpO, § 244 Rdn. 169 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 50a; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 399 (Stand 1981); SchefJler, NStZ 1989, 159; Schlothauer, StV 1988, 543; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 161 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 68 (1993). 9S Vgl. Manin, Anm. zu BGH LM Nr. 6 zu § 244 Abs.6 StPO; SchefJler, NStZ 1989, 158; Schlothauer, StV 1988,544; Schulz, StV 1991,358.
96 Vgl. AlsberglNüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 60; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn.543; Rückei, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn.147a; SchefJler, NStZ 1989, 158 f.; Schulz, StV 1991,358.
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Formen vorzeitiger Verständigung die Selbstbehauptungsmöglichkeiten des Beschuldigten erheblich geschwächt. 97 Auf der anderen Seite verlocken Hilfsbeweisanträge in der Praxis aber die Prozeßbeteiligten zu einem taktischen Spiel mit dem Feuer. Das Gericht wird der Versuchung ausgesetzt, auch im Falle des Nichteintritts der Bedingung das Verfahren wenn irgend möglich durch eine Ablehnung des Beweisantrages zu beenden, weil die Verteidigung während der Urteilsverkündung keine neuen Beweisanträge mehr nachschieben kann. Neben dem unmittelbaren Revisionsrisiko wegen unzulässiger Ablehnung besteht dabei vor allem die Gefahr der Einengung des Spielraums für die Beweiswürdigung, insbesondere wenn die behauptete Tatsache als schon erwiesen, als für die Entscheidung ohne Bedeutung angesehen oder als wahr unterstellt wird. Hilfsbeweisanträge können sich daher für die Gerichte als gefährliche Fallen erweisen. 98 Freilich gewinnt die Verteidigung dadurch nicht nur zusätzliche taktische Spielräume, weil sie das Gericht auch mit in der Sache aussichtlosen Beweisanträgen unter Druck setzen kann, sondern sie gerät ihrerseits in die Gefahr, den taktischen Vorteil eines Beweisantrages höher als den sachlichen einzuschätzen und deshalb eine an sich aussichtsreiche Beweiserhebung nur hilfsweise zu beantragen, obwohl sie dann auf eine Ablehnung nicht mehr reagieren kann und der Beweis möglicherweise ganz verloren ist. 99 Aus der verfassungsrechtlichen Perspektive der Gewährleistung des Beweisantragsrechts des Beschuldigten einerseits wie auch der Wahrung der Interessen der öffentlichen Strafverfolgung andererseits spielen diese Gefahren jedoch keine Rolle, denn beide Seiten müssen sich nicht auf das taktische Spiel mit Hilfsbeweisanträgen einlassen. Die Verteidigung muß keine stellen 97 Wie unter § 2 11 C 2 b ausgeführt, hat der Beschuldigte einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf fürsorgliche Unterstützung und Transparenz im Beweisverfahren, damit er seine Mitwirkungsbefugnisse kompetent und eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Würde er in eine Situation gedrängt, in der er weder die Einstellung des Gerichts verläßlich erkennen noch sich durch Hilfsbeweisanträge absichern kann, dann müßte er alle erdenklichen Beweisanträge vorsorglich stellen und dadurch die Akzeptanz seiner Verteidigungsbemühungen beim erkennenden Gericht erheblich gefährden.
98 Vgl. Dahs/Dahs, Revision im Strafprozeß (1993), Rdn. 315; Schlothauer, StV 1988,544 C.; Schrader, NStZ 1991,224 f.; Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 55 (1993). 99 Vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn. 557; Rücket, Strafverteidigung und Zeugenbeweis (1988), Rdn. 147; SarstedtIHamm, Revision in Strafsachen (1983), Rdn. 280 Cf.; Schlothauer, StV 1988,545.
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und das Gericht kann sie, wenn sie gestellt sind, als unbedingte Beweisanträge behandeln. Erleidet eine Seite einen Nachteil, so liegt dieser ausschließlich in der Verantwortung des jeweiligen Akteurs. Es ist daher lediglich eine Frage der prozessualen Zweckmäßigkeitseinschätzung, ob man die prozeßökonomischen Vorteile dieser Institution als so groß ansieht, daß sie die Nachteile aufwiegen, oder ob den zugrundeliegenden legitimen Bedürfnissen von Strafverfolgung und Verteidigung nicht besser auf andere Weise Rechnung getragen werden sollte. 3. Notwendiger Inhalt, Begründung und besondere Vorbereitungslasten a) Allgemeiner Überblick
Rechtsprechung und Schrifttum verwenden große Mühe, um die einzelnen Merkmale und Voraussetzungen eines "Beweisantrages" oder eines "präsenten Beweismittels" im Sinne des § 245 StPO möglichst präzise zu bestimmen. Dabei geht es freilich weniger um eine Schärfung des begrifflichen Instrumentariums als vielmehr um materiell bedeutsame Grenzziehungen zwischen den im. Gesetz vorgesehenen Arten von Beweisbegehren, deren Ablehnung den Gerichten von Stufe zu Stufe zunehmend erschwert wird. 100 Insbesondere lassen sich an mehreren Stellen Versuche zur Mißbrauchsbegrenzung beobachten, indem man bestimmte Erscheinungsformen von Begehren, deren Ablehnung auf einer höheren Stufe nicht oder nur unter als zu eng erachteten Voraussetzungen möglich ist, aus dem Anwendungsbereich dieser Stufe herausdefiniert und auf eine tiefere Stufe verweist. Ein wichtiges Beispiel hierfür bildet die Regelung des § 245 Abs. 1 StPO, gemäß welcher ein Antrag auf Verwendung von Beweismitteln, die das Gericht selbst vorgeladen (bei Zeugen und Sachverständigen) oder selbst oder über die Staatsanwaltschaft herbeigeschafft (bei Urkunden und Augenscheinsgegenständen) hat, nur bei Unzulässigkeit der Beweiserhebung abgelehnt werden kann. Umfangreiche Urkundensarnmlungen, beispielsweise Geschäftsunterlagen, die vom Gericht zur Hauptverhandlung beigezogen wurden, bieten dem Beschuldigten dadurch die Möglichkeit, das Gericht ohne sachliche Begründung zu endlosen Verlesungen zu zwingen. In Rechtsprechung und Schrifttum war man sich deshalb schon bisher einig, daß für solche
100 Dazu sogleich unter § 4 IV D.
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Fälle eine Mißbrauchskorrektur gefunden werden müsse. IOI Neuerdings hat BGHSt 37, 168, das Problem in der Weise gelöst, daß das "bloße körperliche Vorhandensein an der Gerichtsstelle" und die "Bezeichnung des Beweismittels in der Anklageschrift" für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht ausreichten, sondern darüber hinaus eine Erklärung des Gerichts erforderlich sei, daß es einzelne dieser Beweisgegenstände auch tatsächlich als Beweismittel nutzen wolle. I02 Die Verlesung präsenter Unterlagen kann von der Verteidigung danach nur noch durch einen Beweisantrag gemäß § 245 Abs. 2 StPO erzwungen werden, welcher sowohl die allgemeinen Anforderungen an einen Beweisantrag erfüllen mußI03 als auch wegen Verschleppungsabsicht, mangelnden Sachzusammenhanges etc. abgelehnt werden kann. Die Verteidigung hat daher bei sachlichen Beweismitteln praktisch überhaupt keine und bei Zeugen und Sachverständigen nur in dem Fall, daß das Gericht diese zwar zunächst vorgeladen hat, gleichwohl aber auf ihre Vernehmung verzichten will, die Möglichkeit, über § 245 Abs. 1 StPO eine Beweiserhebung zu erzwingen. Liegen diese Voraussetzungen einmal vor, so genügt allerdings der bloße Antrag auf Verwendung des Beweismittels, ohne daß ein Beweisthema angegeben oder weitere Begründungen vorgebracht werden müßten. 104 Insgesamt stellt § 245 Abs. 1 StPO jedoch kein taugliches Instrument zur Durchsetzung von Beweiserhebungen gegen den Willen des Gerichts dar. Den Kernbereich der Beweisbegehren der Verteidigung bilden deshalb ''förmliche'' Beweisanträge gemäß § 244 Abs.3-6 und § 245 Abs.2 StPO. § 245 Abs. 2 StPO schränkt hierbei den Katalog der Ablehnungsgründe gegenüber § 244 Abs. 3-5 StPO erheblich ein, wenn der Antrag auf ein Be101 Vgl. KG NJW 1980, 953; Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 801 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 245 Rdn. 30 f. (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 245 Rdn. 8; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 245 Rdn. 7; Paulus, in: KMR, StPO, § 245 Rdn. 18 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI(, StPO, § 245 Rdn. 16 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 245 Rdn. 10 (1993).
102 A.a.O. S. 171 Cf. Vgl. dazu auch die Anmerkungen von Fezer, .IR 1992, 36; Köhler, StV 1992, 4. Zuvor hatten BGHSt 18, 347 - die Entscheidung war noch zu § 245 aP. StPO ergangen, der nicht zwischen vom Gericht und von den anderen Prozeßbeteiligten vorgeladenen oder herbeigeschafften Beweismitteln unterschied - sowie die ganz herrschende Meinung im Schrifttum (vgl. etwa Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 791 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 245 Rdn.25 (1985); Herdegen, in: KK, StPO, 2. Aufl. (1987), § 245 Rdn. 6) es genügen lassen, wenn irgendein Prozeßbeteiligter den Antrag auf Verwendung des präsenten Beweismittels stellte. 103 Dazu sogleich im Text. 104 Vgl. Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S.792; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 245 Rdn. 5.
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weismittel gerichtet ist, welches vom Beschuldigten oder der Staatsanwaltschaft vorgeladen (bei Zeugen und Sachverständigen) oder sonst herbeigeschafft wurde (bei Urkunden und Augenscheinsgegenständen) und tatsächlich im Gerichtssaal präsent ist. Für den Beschuldigten bedeutet dies freilich, daß er den Zeugen selbst ausfindig machen und dem Gerichtsvollzieher so genau bezeichnen muß, daß dieser die Ladung tatsächlich zustellen kann,lOs oder daß er den Sachverständigen dafür gewinnen muß, den Auftrag anzunehmen. 106 Außerdem hat der Beschuldigte bei der Ladung gemäß § 220 Abs. 2 StPO dem Zeugen oder Sachverständigen die gesetzliche Entschädigung für Reisekosten und Versäumnis lO7 anzubieten und kann deren Erstattung durch die Staatskasse höchstens nachträglich in der Hauptverhandlung gemäß § 220 Abs. 3 StPO beantragen. 108 Insbesondere bei Sachverständigen geraten viele Beschuldigte schnell an finanzielle Grenzen, so daß der Weg über § 245 Abs. 2 StPO faktisch häufig verschlossen iSt. I09 Ob diese Ungleichstellung von mittellosem und bemitteltem Beschuldigten mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Beweisantragsrecht noch im Einklang steht,110 läßt sich allerdings an dieser Stelle noch nicht entscheiden. Das BVerfG verlangt insoweit nämlich keine vollständige, sondern nur eine "weitgehende" 105 Vgl. § 38 StPO. 106 Dieser ist zwar unter den allgemeinen Voraussetzungen der § 75, 76 StPO zum Erscheinen
verpflichtet (vgl. Gollwitzer, in: LR, StPO, § 220 Rdn. 9 (1984), nicht aber zur Vorbereitung eines Gutachtens (vgl. Gollwitzer, a.a.O. Rdn. 2).
107 Bei Sachverständigen ist unklar, welcher Betrag über die Reisekosten hinaus angeboten werden muß (vgl. Gollwitzer, in: LR, StPO, § 220 Rdn. 10 ff. (1984); Jessnitzer, NJW 1974, 1311 f.; derselbe, StV 1982, 178; Rostek, MDR 1976, 899). 108 Einen Anspruch aufVorschuß hat der Beschuldigte nach BGH bei Holtz, MDR 1976, 814 f.,
nicht.
109 Im Schrifttum wird dies wie auch die Einführung eines Beweisantragserfordernisses in § 245 Abs. 2 StPO durch das StV ÄG 1979 häufig kritisiert (vgl. etwa Dahs, Handbuch des Strafverteidigers (1983), Rdn. 386; Hagemann, Präsente Beweismittel (1980), S. 108 ff.; Hanack, SchultzFS (1977), 322f.; Köhler, Inquisitionsprinzip (1979), S. 78 f.; Egon Müller/Fleck, ZRP 1969,
174 f.). Der formelle Einwand eines Verstoßes gegen das Gebot der Waffengleichheit von Verteidigung und Anklage (so Hagemann a.a.O. S. 119 f.; Köhler a.a.O. S. 78 f.) ist demgegenüber durch BGHSt 37, 168, für die sachlichen Beweismittel gegenstandslos geworden, da danach auch die Staatsanwaltschaft keine Beweiserhebung mehr nach § 245 Abs. 1 StPO erzwingen kann (vgl. Fezer, JR 1992, 36 Fn.l2), und hinsichtlich der Zeugen und Sachverständigen (der Beschuldigtemuß gemäß § 38 StPO über den Gerichtsvollzieher laden, der Staatsanwalt darf selbst laden) angesichts der nur eingeschränkten Bedeutung dieses Grundsatzes für das deutsche Strafverfahrenssystem (siehe oben § 2 11 C 2 a) zu vernachlässigen.
110 Siehe dazu § 2 11 C 2 b.
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Angleichung bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes,111 und diese würde auch nach der gegenwärtigen Gesetzeslage vorliegen, wenn bereits das Beweisantragsrecht nach § 244 Abs. 3-6 StPO den Belangen des Beschuldigten ausreichend Rechnung trägt. In der Praxis sehr viel häufiger ist der einfache Beweisantrag nach § 244 Abs. 3-6 StPO. Rechtsprechung und Schrifttum verlangen für diesen in Anlehnung an § 219 Abs. 1 Satz 1 StPO lediglich die Angabe einer bestimmten Tatsache und eines bestimmten Beweismittels, während weitere Ausführungen zu den Erfolgsaussichten des begehrten Beweises im allgemeinen nicht erforderlich sind. 112 Die Funktion dieser Angaben wird vor allem darin gesehen, daß es dem Gericht durch den Antrag selbst ermöglicht werden müsse, zu prüfen, ob einer der gesetzlichen Ablehnungsgründe eingreift. 113 Ihre genauere Analyse und Bewertung ließe sich demzufolge erst nach der Untersuchung der materiellen Ablehnungsgründe durchführen. Allerdings verkürzt eine solche Sichtweise die selbständige Bedeutung der Anforderungen an den notwendigen Inhalt und die Begründung eines Beweisantrages. Auf der einen Seite erfordern einige Ablehnungsgründe komplexe Abwägungen und Prognosen, die sich nur zu einem Teil auf den Beweisantrag selbst stützen können und im übrigen auf die bereits erhobenen Beweise abstellen müssen. 114 Und auf der anderen Seite hat die Grenzziehung zwischen einem ''förmlichen'' Beweisantrag und den sogenannten "Beweisermittlungsanträgen" und "Beweisanregungen "115 auch insoweit einen eigenen substantiellen Gehalt, als
111 VgJ. etwa BVerfGE 81, 347, 356 f.; 63, 380, 394 f. 112 VgJ. etwa BGHSt 1, 29,31; 6, 128, 129; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S.37; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 94 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 43; KleinknechtiMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 18; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 371 (Stand 1981); Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn.54 (1992); Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO 11 (1957nO), vor § 244 Rdn. 24; Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 44 (1993).
113 VgJ. etwa BGHSt 37, 162, 165. 114 Etwa bei der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen GIiinden, der Wahrunterstellung, der
Unerreichbarkeit (siehe im einzelnen § 4 IV D 3 b, c und g).
115 Die Terminologie ist nicht einheitlich (vgJ. etwa Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 65; Bergmann, Beweisanregung (1970), S. 5; derselbe, MDR 1976, 88; Berkholz, Beweisermittlungsantrag (1967), S. 3; KleinknechtiMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 23 ff. einerseits: Beweisanregung als Oberbegriff - und Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 115, 127; Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 53 f, 56; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn.68, 70 (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn.56 (1993); Schulz, GA 1981, 309 Fn. 1, andererseits: Beweisermittlungsantrag hat gegenüber Beweisanregung selbständigen Gehalt; aus der Rechtspre-
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dadurch bestimmte Beweisbegehren von vornherein dem verhältnismäßig strikten Regelungsbereich des § 244 Abs. 3-6 StPO entzogen und auch dann lediglich der flexibler handhabbaren Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO unterworfen werden, wenn eine Anwendung der Beweisantragsablehnungsgründe nach deren Art und Inhalt an sich möglich wäre. Die materiellen Konsequenzen dieser Unterscheidung sollen zwar erst an späterer Stelle betrachtet werden. 116 Hinzuweisen ist jedoch schon hier darauf, daß ein Beweisantrag angesichts der Ausgestaltung des § 244 Abs. 3 StPO häufig auch dann nicht abgelehnt werden kann, wenn er vorn Beschuldigten nicht weiter begründet wird, während ein Beweisermittlungsantrag einer Gesamtabwägung unterzogen werden darf, die auch das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme berücksichtigt, so daß der Antragsteller gut beraten ist, die Notwendigkeit der beantragten Sachverhaltsaufklärung möglichst konkret darzulegen. 117 Beweisbegehren außerhalb des Beweisantragsrechts müssen zwar keine besonderen Formanforderungen erfüllen, aber ihre Erfolgsaussichten hängen in sehr viel stärkerem Maße von der Qualität der Begründung ab. Insgesamt lassen sich drei Fallgruppen unterscheiden, bei denen einern Begehren auf Verwendung eines Beweismittels die Beweisantragsqualität abgesprochen wird: 118 Begehren, die auf eine bestimmte Art der Beweiserhebung gerichtet sind, welche dem Anwendungsbereich des Beweisantragsrechts von vornherein entzogen ist (Gegenüberstellung, Experiment, Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweiserhebung). Begehren, die entweder schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild oder jedenfalls nach vorherrschendem Verständnis nicht auf Führung eines unmittelbaren Nachweises, sondern nur auf Ausfindigrnachung und Abklärung potentieller Beweise gerichtet sind. Begehren, die keinerlei Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Ausgang der beantragten Beweiserhebung aufweisen.
chung vgl. etwa BGHSt 6, 128, 129; 30, BI, 142; 37,162, 166 einerseits: Beweiserminlungsantrag - und BGH NJW 1968, 1293, andererseits: Beweisanregung). 116 Siehe § 4 IV D 2. 117 Siehe auch Schulz, StV 1991, 361. 118 Vgl. auch den Überblick bei Schwenn, StV 1981,631 ff.
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Die erste Gruppe betrifft zunächst Anträge auf Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme, welche die Rechtsprechung aus unmittelbar einsichtigen Gründen nicht den strengen Ablehnungskriterien des § 244 Abs.3-5 StPO unterwerfen will und deshalb in das allgemeine Aufklärungsermessen des Gerichts stellt. 119 Problematischer erscheint dagegen die pauschale Herausnahme von Anträgen auf Durchführung einer Gegenüberstellung oder eines Experiments aus dem Bereich des förmlichen Beweisantragsrechts mit der Begründung, daß es sich nur um Anregungen bezüglich der Art der Durchführung der Beweisaufnahme, nicht aber um Anträge auf Verwendung selbständiger förmlicher Beweismittel handele. l20 Zwar ist zuzugeben, daß der Ablauf der Beweisaufnahme und die Art und Weise der Ausschöpfung der Beweismittel im deutschen Amtsermittlungsverfahren im wesentlichen vom Vorsitzenden bestimmt werden und eine Ausdehnung des Beweisantragsrechts auch auf diese Bereiche zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Hauptverhandlung führen könnte. Auf der anderen Seite paßt das überkommene System der Beweismittel aber nicht mehr auf alle Formen moderner wissenschaftlicher Beweisführung, so daß in derartigen Fällen die eigentliche Beweiserhebung dem Strengbeweis und damit auch dem Beweisantragsrecht entzogen ist, während die in der Hauptverhandlung dafür förmlich heranziehbaren Beweismittel (Sachverständiger, Zeuge) nur noch nachträglich von den Ergebnissen der Untersuchung, des Experiments etc. berichten können. 121 Bei den beiden anderen Gruppen geht es dagegen um die Festlegung der Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrages. Beweisbegehren, die diese Anforderung verfehlen, werden - insoweit ist die Terminologie übereinstimmend - "Beweisermittlungsanträge" genannt und ebenfalls "nur" an der richterlichen Aufklärungspflicht gemessen. Daß diese Unterscheidung eine nicht unerhebliche praktische Relevanz hat, läßt sich bereits an der gro119 Vgl. etwa BGH StV 1991, 2; BGH bei PfeifferlMiebach, NStZ 1988, 18 Nr.6; BGH NJW 1960,2156,2157. Siehe auch AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 94 ff.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn.95 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 54; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 26; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 392 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI(, StPO, § 244 Rdn. 72 (1992). 120 Vgl. etwa BGH NStZ 1988, 420,421; BGH bei PfeifferlMiebach, NStZ 1987,219 Nr. 11. Siehe auch AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S.98; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 15 ff., 95 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 15 ff., 43; KleinknechtIMeyerGoßner, StPO (1993), § 244 Rdn.26; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn.393 (Stand 1981); Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 71 (1992). 121 Vgl. dazu etwa Rieß, Schäfer-FS (1980),184 f. 13 Perron
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ßen Mühe erkennen, welche insbesondere der BGH in den letzten Jahren darauf verwendet hat. Die Abgrenzung von Beweisanträgen im engeren Sinne und Beweisermittlungsanträgen soll daher im folgenden näher betrachtet werden. Keine besondere Bedeutung haben demgegenüber für unsere Untersuchung die sogenannten "Beweiserbieten", mit denen der Beschuldigte eine bestimmte Beweiserhebung lediglich in das Ermessen des Gerichts stellt, aber nicht verlangt. 122 Ihre Zulässigkeit ist in einem System, in dem der Beschuldigte als Prozeßsubjekt aktiv am Verfahrensgeschehen mitwirken darf, selbstverständlich und könnte in der Praxis überhaupt nur dann problematisiert werden, wenn der Beschuldigte keine Möglichkeit hätte, sie jederzeit in ein verbindliches Beweisbegehren umzuwandeln. 123 b) Die Anforderungen an die Substantiierung eines förmlichen Beweisantrages 00) Die Bedeutung der Abgrenzung von Beweisantrag
und Beweisermittlungsantrag
Wie bereits angedeutet, werden die Anforderungen an die Substantiierung und Begründung eines Beweisantrages insbesondere danach bestimmt, was das Gericht als Beurteilungsgrundlage für die Überprüfung der einzelnen Ablehnungsgründe benötigt. So muß die behauptete Tatsache derart präzisiert werden, daß ihre Entscheidungserheblichkeit festgestellt, ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung im Falle einer Wahrunterstellung exakt bestimmt und auch die Eignung des angebotenen Beweismittels für ihren Nachweis überprüft werden kann. l24 Ebenso muß das Beweismittel in einer für die Beurteilung der Erreichbarkeit und Eignung ausreichend bestimmten Weise bezeichnet werden. 12S Nicht erforderlich ist dagegen eine Substantiierung der Erfolgsaussichten des beantragten Beweises, etwa aufgrund welcher Anhaltspunkte davon auszugehen ist, daß der Zeuge tatsächlich 122 Vgl. dazu nur Alsberg/Nü:reIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 69 f. 123 Allerdings ist vom Gericht im konkreten Fall durch Auslegung und Nachfragen zu ermitteln, ob vom Antragsteller wirklich nur ein Beweiserbieten oder nicht doch ein echter Beweisantrag gewollt ist (vgl. Alsberg/Nü:reIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 71 f. m.w.N.).
124 Vgl. BGHSt 37, 162, 165; OLG Köln, NStZ 1987, 341; Alsberg/Nü:reIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 39 f.; Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 46; Schulz, NStZ 1991,449. 125 Vgl. Alsberg/Nü:reIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 147 f.; Hanack, JZ 1970,561.
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die behaupteten Angaben machen wird, die Urkunde den behaupteten Inhalt hat etc., da eine derartige Antizipation der Beweiserhebung dem Gericht - von gewissen, eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - versagt ist. Auf der anderen Seite paßt die Form des Beweisantrages nicht auf ein Amtsermittlungsverfahren, wie es der deutsche Strafprozeß darstellt. l26 Ziel eines Beweisantrages sollte eigentlich der Beweis einer vom Antragsteller behaupteten Tatsache sein. Tatsächlich ist der Beschuldigte aber in keiner Weise verpflichtet, irgendweIche für ihn günstige Tatsachen zu beweisen, sondern das Gericht muß schon von Amts wegen jedem Hinweis nachgehen, der einen entlastenden Umstand zutage fördern könnte. Will der Beschuldigte auf die Sachverhaltsaufklärung Einfluß nehmen, so muß er deshalb nur erreichen, daß das Gericht entweder schon von sich aus in einer bestimmten Richtung sucht oder jedenfalls ein ihm benanntes Beweismittel in der Hauptverhandlung heranzieht, damit es - auch von der Verteidigung - durch Fragen oder Untersuchungen in alle Richtungen hin ausgeschöpft werden kann. Der Beschuldigte kann dafür zwar auch die Form des Beweisantrages benutzen, indem er ein potentielles Beweismittel benennt und ein denkbares Beweisthema in die Form einer Tatsachenbehauptung einkleidet, obwohl sein Ziel unter Umständen gar nicht in dem Nachweis dieser Tatsache besteht, sondern er nur festzustellen will, ob das Beweismittel überhaupt existiert und ob es irgend etwas zu seiner Entlastung beitragen kann. 127 Dem eigentlichen Sinngehalt eines Beweisantrages entspricht eine solche Vorgehensweise freilich nicht. Diese Überlagerung von Beweisführung und Beweisermittlung führt nicht nur zu formellen, sondern auch zu materiellen Ungereimtheiten und Verwerfungen. Obliegt es einem Prozeßbeteiligten, bestimmte Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, so ist verständlich, daß das Gericht die Beweisanträge nur auf die Erheblichkeit und Beweisbedürftigkeit der Tatsache und auf die Erreichbarkeit und prinzipielle Eignung des Beweismittels hin überprüft, im übrigen aber die Beurteilung der Erfolgsaussichten dem Antragsteller überläßt, da dieser ja das Risiko des Scheiterns des Beweises trägt. l28 Im Amtsermittlungsverfahren muß sich das Gericht dagegen bei jedem Hinweis fragen, ob genügend Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die betreffende Aus126 Siehe zum folgenden auch Schulz, GA 1981,301 ff. 127 Vgl. Kühl, Prozeßgegenstand und Beweisthema (1987), S. 83 f; Schutz, GA 1981, 309 f. 128 Dies ist im wesentlichen die Situation der Parteien im deutschen Zivilprozeß (vgl. etwa Leipold, in: SteinlJonas, ZPO, 20. Aufl. § 284 Rdn. 29, 31 (1985); Schulz, GA 1981, 302 f.).
13"
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dehnung der Ennittlungstätigkeit die Beweislage in irgendeiner relevanten Weise verändern könnte und der dafür erforderliche Aufwand sich lohnt. Mit anderen Worten: Zentrales Abwägungskriterium für die Amtsaufklärung ist der potentielle Ertrag der fraglichen Ennittlungshandlung, auch wenn es angesichts der Bedeutung eines Strafverfahrens für die verfassungsmäßigen Rechte des Beschuldigten erforderlich sein mag, die Schwelle, von der an einem Hinweis nachgegangen werden muß, sehr niedrig anzusetzen. Bei einem Beweisantrag im strengen Sinne darf dieser Gesichtspunkt dagegen grundsätzlich keine Rolle spielen, da er in der Verantwortlichkeit des Beweisführers liegt. Dementsprechend ergeben sich, wie noch zu zeigen ist,129 bei Beweisbegehren mit geringen Erfolgsaussichten durchaus auch materielle Differenzen zwischen Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht, mit der Folge, daß es von der formellen Einstufung eines Beweisbegehrens als Beweisantrag oder Beweisennittlungsantrag abhängt, ob das Gericht das Begehren ablehnen darf oder nicht. 130 Die im Grundsatz klare Leitlinie, daß ein Beweisantrag immer dann vorliegt, wenn Tatsache und Beweismittel bestimmt genug angegeben werden, um das Eingreifen der Ablehnungsgründe überprüfen zu können, wird so in der Praxis von dem Bemühen der Gerichte unterlaufen, in der Sache aussichtslose, marginale oder im Verhältnis zum potentiellen Ertrag zu aufwendige Beweisbegehren aus dem Beweisantragsbereich herauszudefinieren, um sie überhaupt oder jedenfalls leichter - ablehnen zu können. Dieses Bemühen ist verständlich, denn die Verteidigung kann regelmäßig auch sehr vage und wenig aussichtsreiche Ansatzpunkte für eine weitere Sachaufklärung ohne weiteres in das Gewand eines schwer abzulehnenden Beweisantrages stecken. Auf der Ebene der Revisionsgerichte lassen sich dementsprechend mehrere, sich teilweise auch widersprechende Linien feststellen, die den Tatgerichten bei der Abqualifizierung von als Beweisanträgen vorgebrachten Begehren zu Beweisermittlungsanträgen gewisse Spielräume zugestehen. bb) Bestimmtheit der Tatsache und des Beweismittels
Eine dogmatische Aufarbeitung der Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die Bestimmtheit der in einem Beweisantrag behaupteten Tatsache und des zu ihrem Nachweis angegebenen Beweismittels ist bis jetzt 129
Siehe § 4 IV D 2.
130 Siehe auch Schulz, StV 1991, 361.
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nur in Ansätzen erfolgt. \31 Die Kommentatoren beschränken sich im allgemeinen auf eine Wiedergabe der wichtigsten FaIlgruppen und Entscheidungen,I32 so daß die betroffenen Praktiker, wenn sie keine Fehler machen wollen, sich das gesamte "Case-Law"J33 in seinem wesentlichen Umfang aneignen müssen. Dieses besteht teilweise aus in sich gefestigten Fallgruppen, teilweise aber auch aus kunstvoll gegeneinander abgegrenzten Einzelfallentscheidungen 134 und vermittelt bisweilen durchaus den Eindruck, daß es dem BGH weniger um die Erarbeitung klarer Richtlinien für die Tatgerichte als lediglich um die Frage geht, ob im vorliegenden Fall das angefochtene Urteil allein wegen der fehlerhaften Behandlung eines auf der Grenze zum Beweisermittlungsantrag stehenden Beweisantrages aufgehoben werden soll. \35 Für die Tatgerichte ergeben sich daraus erhebliche Unsicherheiten, so daß die AbquaIifizierung eines Beweisantrages zum Beweisermittlungsantrag wegen mangelnder Bestimmtheit in der Praxis größtenteils als zu riskant empfunden wird und deshalb nicht sehr häufig ist. 136 So schwanken die Bestimmtheitsanforderungen an die behauptete Tatsache zwischen der Erkenntnis, daß der Beschuldigte mangels eigener Ermittlungskompetenzen das Beweisthema häufig nur in allgemeiner Form angeben kann und deshalb auch pauschale Bezeichnungen oder schlagwortartige Verkürzungen zulässig sein müssen,137 auf der einen Seite und der Befürchtung, daß gegenüber zu abstrakten Behauptungen oder Werturteilen viele Beweisantragsablehnungsgründe und insbesondere der beliebte Ausweg der Wahrunterstellung oder der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen von vom131 Zu nennen sind beispielsweise die Dissertationen von Bergmann, Beweisanregung (1970); und Berkholz, Beweisennittlungsantrag (1967). Vgl. auch Schulz, NStZ 1991,449 f. 132 Vgl. nur die Darstellungen bei Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 39 ff., 47 ff.; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 57, 59 f. (1992).
133 Bergmann, MDR 1976, 889. 134 Vgl. etwa die ausführlichen Abgrenzungsbemühungen in BGHSt 37,162, 166 f. 135 Häufig hat das Tatgericht einen Beweisantrag mit unzulässiger Begründung abgelehnt, während das Revisionsgericht in dem Antrag nur einen Beweisennittlungsantrag erkennt, dessen Nichtbeachtung entweder gar nicht zu überprüfen ist, weil der Revisionsführer keine fonngerechte Aufklärungsrüge erhoben hat (so etwa bei BGH NStZ 1991, 547, 548), oder nicht als Verstoß gegen die Aufklärungspflicht angesehen wird (so etwa BGHSt 40, 3,6; BGHSt 39, 251, 253 ff.; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag Nr. 4, 13). 136 Siehe auch § 5 11 B 3 b cc mit Tabelle 11. 30. 137 Vgl. BGH bei Holtz, MDR 1976, 815; BGHSt 1,137, 138. Siehe auch Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 40 f.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 105 f. (1985).
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herein versagen und eine wirksame Begrenzung des Beweisantragsrechts in diesen Fällen überhaupt nicht mehr möglich ist,138 auf der anderen Seite. Besonders schwer zu beurteilen ist für ein Tatgericht, wann und in welche Richtung es eine abstrakte Tatsachenbehauptung durch Auslegung konkretisieren muß oder darf,139 denn sowohl die unberechtigte Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unbestimmtheit als auch seine einseitig verkürzende Auslegung kann einen Revisionsfehler begründen. Darüber hinaus besteht auch eine Abhängigkeit der Bestimmtheitsanforderungen vom konkreten Beweismittel. Beispielsweise genügt die abstrakte Angabe der "Glaubwürdigkeit" eines Belastungszeugen als Beweisthema zwar für den Gutachtenauftrag an einen Sachverständigen,14O aber ein zu diesem Thema benannter "Hilfs"Zeuge könnte nicht ebenso pauschal, sondern nur zu konkreten Wahrnehmungen befragt werden, aus denen man erst Schlußfolgerungen auf die Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen ziehen muß.141 Ein Beispiel für einen verhältnismäßig großzügigen Umgang der Rechtsprechung mit pauschalen Tatsachenangaben bildet der Bereich der Schuldfähigkeit, wo zwar der bloße Verweis auf dieses Thema142 oder auf allgemeine "Verhaltensauffälligkeiten" 143 noch nicht als ausreichend angesehen wird, wohl aber jede Form der Bezeichnung potentieller Ursachen wie etwa "sich auf den Kopf auswirkende Krankheiten",I44 "Kopfverletzung im Alter von sechs Jahren und wiederholte plötzliche Bewußtlosigkeit"145 oder "Epilepsie
138 Vgl. BGHSt 39, 251; BGHSt 37, 162, 165; Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 46; Schulz, NStZ 1991,449; derselbe, GA 1981, 310. 139 Vgl. etwa BGH StV 1984,451, einerseits (die Behauptung, der Zeuge werde bekunden, daß ein Dritter den Kontakt zwischen zwei weiteren Personen und dem Beschuldigten zum Zwecke der Anbahnung eines Drogengeschäfts hergestellt habe, ist bestimmt genug, weil sie beinhaltet, der Zeuge werde Tatsachen bekunden, die eine solche Schlußfolgerung rechtfertigen) und BGHR StPO § 244 Abs. 3 Rilgerecht 2, andererseits (die Behauptung, daß das fragliche Fahrzeug von der Ringfahndung erfaßt worden wäre, wenn es eine bestimmte Strecke zu einer bestimmten Zeit befahren hätte, beinhalte eine bloße Schlußfolgerung und keine bestimmte Tatsache im Sinne des Beweisantragsrechts). 140 Vgl. BGHSt 23, 1. Siehe auch BGH StV 1994, 172, 173.
141 142 143 144 145
Vgl. BGHSt 37,162,164. Siehe auch Schulz, NStZ 1991,450. Vgl. BGH LM Nr. 2 zu § 244 Abs. 2 und 3 StPO. Vgl. BGH bei PfeifferlMiebach, NStZ 1985,205 f. Nr. 10. BGH bei Holtz, MDR 1976, 815. BGH NStZ 1982,477.
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in Verbindung mit Trunksucht".I46 Auf der anderen Seite läßt sich insbesondere neueren Entscheidungen des BGH entnehmen, daß bei Beweisanträgen zu komplexen Sachverhalten, die eine umfangreiche Beweiserhebung zur Folge hätten, es nicht Aufgabe des Tatgerichts ist, den - an sich durchaus erkennbaren - Sinn des Antrags durch Hinweise und Auslegung in eine substantiiertere Form der Tatsachenbehauptung zu überführen. 147 Bei Zeugen verlangt BGHSt 39, 251 inzwischen darüber hinaus, daß der Beweisantrag sich auf konkrete Wahrnehmungen der betreffenden Person bezieht,l48 und nach BGHSt 40, 3 muß bei mehreren Zeugen sogar detailliert dargetan werden, welcher Zeuge welche Wahrnehmung gemacht haben SOll.149 Gerade die letztgenannte Entscheidung fordert von der Verteidigung aber ein sehr erhebliches Maß an Vorermittlungen, welches von der StPO nicht vorgesehen ist und in der Praxis von den Strafverfolgungsbehörden auch gar nicht gewünscht wird. ISO Sollte sich diese - bisher nur als obiter dictum geäußerte - Ansicht in den Strafsenaten des BGH tatsächlich durchsetzen, so könnten der Beschuldigte und sein Verteidiger häufig keinen Beweisantrag mehr stellen oder sie müßten irgendwelche Beweistatsachen und entsprechende Wahrnehmungen der Zeugen "aufs Geratewohl" behaupten und sich dadurch ebenfalls der Gefahr einer Abqualifizierung des Antrags zu einem Beweisermittlungsantrag aussetzen. 151 Insgesamt deutet sich somit neuerdings eine restriktive, prozeßökonomisch motivierte Gesamttendenz an,I52 die in bestimmten Fällen auch versierte Verteidiger bei der Formulierung des Beweisthemas vor erhebliche Probleme stellen kann. Ebenfalls deutlich erkennbar ist der prozeßökonomische Hintergrund bei den Anforderungen an die Bestimmtheit des Beweismittels. So fällt zum einen 146 BGH bei PfeifferlMiebach, NStZ 1983,210. 147 Vgl. etwa BGH StV 1994, 228, 229; BGHR StPO § 244 Abs.6 Beweisantrag Nr.4, 13;
BGHR StPO § 244 Abs.3 Rügerecht 2; BGH bei PfeifferlMiebach, NStZ 1983, 210. Siehe auch BGHSt 39, 251.
148 A.a.O. S. 253. Ablehnend Hamm, StV 1993,455 ff.; zustimmend dagegen Widmaier, NStZ 1993, 602ff. 149 A.a.O. S.6. Ablehnend Strate, StV 1994, 171 ff.; zustimmend dagegen Widmaier, NStZ 1994,248. 150 Siehe auch Strate, StV 1994, 171 f. 151 Dazu sogleich unter § 4 IV B 3 b cc. 152 Eine ähnliche Einschätzung äußert Hamm, StV 1993, 456. Anders aber
1993,603.
Widmaier, NStZ
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die geringe Zahl an entsprechenden höchstrichterlichen Entscheidungen zum Augenscheins- und Sachverständigenbeweis auf. Das Gesetz räumt den Tatgerichten bereits in den Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 4 und 5 StPO für diese Beweismittel weite Ermessensspielräume ein, so daß ein Bedürfnis nach formeller Ausgrenzung unbequemer Beweisanträge gar nicht erst entstehen konnte. 153 Und ebenso verständlich ist umgekehrt das Bemühen der Rechtsprechung, Begehren aus dem strengen Beweisantragsrecht herauszuhalten, die nicht ein einzelnes Beweismittel benennen, sondern nur einen Kreis von Zeugen oder eine Urkundensammlung, aus welchen die Person oder Einzelurkunde, die tatsächlich etwas zu dem Beweisthema beizutragen hat, erst noch ermittelt werden muß.154 Der Beschuldigte trägt in allen diesen Fällen eine erhöhte Vorbereitungs- und Ermittlungslast, um entweder einen nur schwer ablehnbaren Beweisantrag überhaupt erst stellen oder jedenfalls seinen Beweisermittlungsantrag (im Falle des Augenscheins- und Sachverständigenbeweises: Beweisantrag) so begründen zu können, daß dem Gericht die Ablehnung trotz prinzipiellen Ermessens in concreto nur schwer möglich ist. Ganz im Gegensatz dazu stand bisher die Haltung des BGH zu den Anforderungen an die für die Ladung eines einzelnen Zeugen benötigten Angaben. Nach ständiger Rechtsprechung mußte weder Namen noch Anschrift genannt werden, sondern es genügte, wenn der Antragsteller den Zeugen in irgendeiner Weise so individualisierte, daß er von anderen Personen unterscheidbar
153 Dem Augenscheinsbeweis widmen selbst AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S.53 nur sechs Zeilen, und hinsichtlich der Rechtsprechung verweisen sie lediglich auf eine Entscheidung des RG; die anderen Kommentatoren schweigen insoweit zumeist völlig (wie hier aber Schlüchter, in: SI{, StPO, § 244 Rdn. 142 [1992]). Zum Sachverständigenbeweis weist OLG Celle, MDR 1969, 950, darauf hin, daß die Auswahl des Sachverständigen gemäß § 73 Abs. I Satz 1 StPO Sache des Gerichts ist und der Beweisantrag deshalb keine bestimmte Person bezeichnen muß (siehe auch Schlüchter a.a.O. Rdn. 59); nach OLG Hamm, MDR 1976, 338, gilt das auch für den Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen (dagegen aber AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S.52; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn.479 (Stand 1981): Der Antrag selbst muß die besonderen Voraussetzungen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO darlegen). 154 Vgl. zum Urkundenbeweis etwa BGHSt 30, 131, 142; 6, 128, 129; BGH NStZ 1982, 296, 297; zum Zeugenbeweis etwa BGHR StPO § 244 Abs.6 Beweisantrag 13; BGH bei Pfeif· ferlMiebach, NStZ 1983, 210. Siehe auch AlsbergINüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 53 ff.; Gollwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn. 109, 117 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 48; KleinknechtIMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 25; Paulus, in: KMR, StPO, § 244 Rdn. 388,390 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI{, StPO, § 244 Rdn. 60 (1992).
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war, sowie Hinweise gab, wie sein Aufenthaltsort ennittelt werden konnte. lss Demgegenüber hat die bereits erwähnte Entscheidung BGHSt 40, 3 in einem zweiten obiter dictum die bloße Namensnennung des Zeugen mit der Angabe des Wohnortes nicht mehr als ausreichend angesehen, sondern zusätzliche individualisierende Merkmale verlangt. IS6 Diese Forderung mag zwar bei einem häufig vorkommenden Namen und der Angabe einer größeren Stadt als Wohnort berechtigt sein; in ihrer Pauschalität scheint sie aber die bisherige Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen. IS7 Es bleibt daher abzuwarten, ob die Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrages auch insoweit nachhaltig verschärft werden. Der Verteidigung würden damit weitere Vorbereitungsaufgaben übertragen, welche bislang allein bei den Gerichten lagen. Da diese jüngste Entwicklung aber keineswegs abgeschlossen ist, kann sie noch nicht abschließend bewertet werden. Zumindest läßt sich die Gefahr nicht leugnen, daß dem Beschuldigten in einer Reihe von Fällen das Beweisantragsrecht entzogen werden könnte. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Vorgehensweise hängt dann vor allem davon ab, ob die subsidiär eingreifende gerichtliche Aufklärungspflicht den Beschuldigteninteressen in solchen Fällen ebenfalls ausreichend Rechnung trägt.IS8 ce) Plausibilität des Beweisgelingens
Für einigen Protest des Schrifttums hat schließlich eine Reihe von BGHEntscheidungen insbesondere aus den 80er Jahren gesorgt, die sich mit der Frage beschäftigen, ob ein Beweisantrag voraussetzt, daß der Antragsteller neben der Angabe einer bestimmten Tatsache und eines bestimmten Beweismittels auch ein gewisses Mindestmaß an Plausibilität des Beweisgelin-
ISS Vgl. etwa BGH StV 1989, 379; BGHR StPO § 244 Abs.3 Rügerecht 2; BGH StV 1983, 185; BGH NStZ 1981, 309, 310; BGH NJW 1960, 542; BGH LM § 244, Abs.3 StPO Nr. 17; KG StV 1993, 349. Weitere Nachweise bei Alsberg/NüseIMeyer, Beweisantrag (1983) S. 48 ff.; GoUwitzer, in: LR, StPO, § 244 Rdn.l08 (1985); Herdegen, in: KK, StPO (1993), § 244 Rdn. 48; derselbe, NStZ 1984, 338 f.; HojJmann, Unerreichbarer Zeuge (1991), S. 23 ff.; Julius, Unerreichbarkeit (1988), S. 114 ff.; KleinknechtlMeyer-Goßner, StPO (1993), § 244 Rdn. 21; Paulus, in: KMR, StPO. § 244 Rdn.388 (Stand 1981); Schlüchter, in: SI(, StPO. § 244 Rdn.59 (1992); Schöch, in: AK, StPO. § 244 Rdn. 49 (1993). IS6 A.a.O. S. 6 f. IS7 Vgl. Strate, StV 1994. 172; Widmaier, NStZ 1994, 248 f.; Wohlers, JR 1994,288 f.
I S8 Siehe dazu § 4 IV D 2.
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gens darlegt. 159 Nach dem System der Ablehnungsgründe spielen die Erfolgsaussichten eines Beweisantrages für dessen Beurteilung durch das Gericht im allgemeinen gerade keine Rolle, sondern es genügt insoweit die Tatsache, daß der Antragsteller die Beweiserhebung verlangt. l60 Insbesondere kann ein Beweisantrag wegen Prozeßverschleppungsabsicht nur abgewiesen werden, wenn das Gericht nicht nur dessen objektive Aussichtslosigkeit festeIlt, sondern auch zu der Überzeugung gelangt, daß sich der Antragsteller selbst überhaupt nichts von seinem Begehren verspricht und den Antrag deshalb nur zum Schein oder zur Verfolgung prozeßfremder Zwecke gestellt hat. 161 Das RG hatte demgemäß auch die Auffassung vertreten, daß es für die Beweisantragsqualität keinen Unterschied bedeute, ob der Antragsteller die unter Beweis gestellte Tatsache bereits kenne oder nur vermute, und dieser sei auch nicht verpflichtet, dem Gericht über seine Erkenntnisquellen Auskunft zu geben. 162 Eine frühe Entscheidung des BGH enthielt demgegenüber die Formulierung: "Vermutungen oder mögliche Vorstellungen, mit denen die Verteidigung hervortritt und von denen sie hofft, die Nachforschungen darüber könnten zugunsten des Angeklagten sprechende Tatsachen klarstellen, genügen für einen echten Beweisantrag nicht."163 Wohl in Anklang daran entstanden Entscheidungen, nach denen es sich auch bei einer "in die Form einer bestimmten Behauptung gekleideten Annahme" um die "bloße Vermutung einer Möglichkeit" handeln könne, mit der Folge, daß kein Beweisantrag, sondern lediglich ein Beweisermittlungsantrag vorliege. l64 Nach einigem Schwanken in den Formulierungen, die zumeist auch nur als obiter dicta geäußert wurden,165 hat sich inzwischen allerdings eine gewisse Konkordanz insbesondere zwischen dem 2. und 3. Senat des BGH dahin ergeben, daß ein Beweisantrag nicht allein deshalb zum Beweisermittlungsantrag abqualifiziert werden dürfe, weil der Antragsteller die behauptete Tatsache nicht sicher 159 Ausführliche Beschreibungen der Entwicklung geben Gollwitzer, StV 1990, 420 ff.; Herde· gen, Karlheinz-Meyer-GS (1990),199 ff. Siehe auch Julius, MDR 1989,116; Krekeler, in: Grundprobleme des Revisionsverfahrens (1991), S. 140 ff.; Schwenn, StV 1981,634 f. 160 Vgl. Frister, StV 1989, 381.
161 162 163
Siehe § 41V 0 3 h. RG JW 1924, 1251 Nr.5. BGH LM StPO § 244 Abs. 2 und 3 Nr. 2.
164 Vgl. etwa BGH bei Holtz, MDR 1980, 987. Weitere Nachweise bei Gollwitzer, StV 1990, 421.
165
Vgl. Gollwitzer, StV 1990,421; Herdegen, Karlheinz-Meyer-GS (1990), 202.
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kenne, sondern eine solche Einstufung nur dann gerechtfertigt sei, wenn es sich um "haltlose", "aufs Geratewohl", "ins Blaue hinein" geäußerte Vermutungen handele. l66 In diesem Zusammenhang bedeutsam ist schließlich auch eine Entscheidung des 5. Senats, nach welcher das Tatgericht bei entsprechendem Verdacht den Antragsteller nach seinen Wissensquellen oder Gründen für die Vermutung befragen und, wenn es keine plausible Antwort erhalte, den Antrag als Beweisermittlungsantrag behandeln oder wegen Prozeßverschleppungsabsicht ablehnen dürfe,167 sowie eine Entscheidung des 2. Senats, wonach jedenfalls in außergewöhnlichen Fällen die Verweigerung einer solchen Antwort als Indiz für die subjektive Prozeßverschleppungsabsicht gewertet werden dürfe. 168 Die Kritik des Schrifttums, an welcher sich auch einige Revisionsrichter beteiligten,169 stellte schnell heraus, daß diese "Vermutungs"-Rechtsprechung den Beschuldigten systemwidrig zu vorbereitenden eigenen Ermittlungen zwinge, die er oft überhaupt nicht leisten könne,170 und einen neuen Beweisantragsablehnungsgrund der mangelnden Erfolgsaussicht einführe, welcher den der Prozeßverschleppungsabsicht überflüssig mache. 171 Tatsächlich bedeutet die Abqualifizierung eines Beweisantrages zum Beweisermittlungsantrag in solchen Fällen zumeist auch automatisch seine Ablehnung, denn ohne Anhaltspunkte für einen möglichen Erfolg der Beweiserhebung gebietet auch die Aufklärungspflicht ihre Durchführung nicht. 172 Allerdings dürften 166 Vgl. BGH NStZ 1989,334,335 (3. Senat); BGH StV 1989, 378, 379 (2. Senat). Siehe auch die Entscheidungen des 3. Senats BGH NStZ 1992,397,398; BGH StV 1989,237; 1989,237,238; des 5. Senats BGH NStZ 1994,592; BGH NStZ 1993, 247, 248; BGH NStZ 1993, 143, 144; sowie OLG Köln, VRS 81, 285 f.
167 BGH StV 1985, 311, im Anschluß an AlsberglNüse/Meyer, Beweisantrag (1983) S. 45. Anders zuvor noch der 2. Senat in BGH NJW 1983, 126, 127. Siehe auch Gollwit'l.er, StV 1990,423. 168 BGH StV 1989, 234, 235. Zu ähnlichen Ansätzen im Rahmen der Ablehnung eines Beweis antrages wegen Prozeßverschleppungsabsicht vgl. Frister, StV 1989, 3.80. 169 So insbesondere AlsberglNüselMeyer, Beweisantrag (1983) S. 42 ff.; Gollwitzer, StV 1990, 423 f.; Herdegen, StV 1990, 518 ff. Siehe auch Julius, MDR 1989, 118 f.; Krekeler, in: Grundprobleme des Revisionsverfahrens (1991), S. 144 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht (1993), S.312; Schlüchter, in: SK, StPO, § 244 Rdn. 55 f. (1992); Schöch, in: AK, StPO, § 244 Rdn. 45 f. (1993); Schulz, StV 1985,313 f.; Thole, Scheinbeweisantrag (1992), S. 62 ff.; Welp, JR 1988, 387 ff. 170
Vgl. Gollwitzer, StV 1990,423; Schwenn, StV 1988, 370, 371; Welp, JR 1988, 388.
171 Vgl. Herdegen, Karlheinz-Meyer-GS (1990), 206 f.; Kühl, Prozeßgegenstand und Beweisthema (1987), S. 85 f.; Schulz, StV 1985, 312f. 172 Siehe § 4 IV D 2.
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die jüngsten Entscheidungen des BGH diesen Bedenken zumindest teilweise gerecht werden, denn ein Tatgericht, das einem Beweisantrag unterstellt, er beruhe auf "haltlosen Vermutungen" oder sei "ins Blaue hinein" gestellt, läuft danach große Gefahr, daß das Revisionsgericht diese Ansicht nicht teilt, weil es aus seiner Perspektive dem Antrag eine gewisse Plausibilität nicht absprechen will. 173 Sehr viel Raum für die Abqualifizierung eines Beweisantrages zum BeweisermiUlungsantrag mangels Erfolgsaussicht bleibt daher jenseits des Anwendungsbereiches der Prozeßverschleppungsabsicht wohl nicht, wenngleich die Entwicklung nach wie vor noch nicht abgeschlossen erscheint. 174 Noch gar nicht weiter geklärt ist zudem bislang das zweite durch die BGHRechtsprechung aufgeworfene Problem, ob und inwieweit von dem Antragsteller eine explizite Begründung für seinen Beweisantrag verlangt und seine Weigerung als Indiz dafür gewertet werden darf, daß er sich selbst nichts von der begehrten Beweiserhebung verspricht. Sollte sich diese Ansicht durchsetzen, so könnte sich die gesamte Problematik auch wieder von der BeweisermiUlungsantragsdiskussion entfernen und zu dem Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht zurückkehren. Wenn nämlich die Plausibilität eines Beweisantrages von außen nicht ohne weiteres erkennbar ist, dann muß sich das Gericht zwangsläufig zunächst an der subjektiven Sichtweise des Antragstellers orientieren. Darf es diesen zu einer ausdrücklichen Erklärung über die Gründe seines Beweisantrages veranlassen, so kann es aus einer negativen Antwort sowohl einen Mangel an subjektiver Erfolgserwartung des Antragstellers als auch zugleich die objektive Aussichtslosigkeit der beantragten Beweiserhebung folgern. Es erscheint jedoch fraglich, ob man dann auf der subjektiven Ebene noch zwischen einer lediglich fehlenden Überzeugung des Antragstellers von der Erfolgsaussicht seines Beweisantrages - dann Einstufung als BeweisermiUlungsantrag und Ablehnung - und einer Prozeßverschleppungsabsicht im engeren Sinne - dann Einstufung als Beweisantrag und Ablehnung - sinnvoll unterscheiden könnte. m Die Konsequenz wäre jedenfalls, daß einem Beweisantrag - sofern nicht bereits einer der sonstigen Ablehnungsgründe eingreift - nicht schon deshalb nachgegangen werden muß, 173 Vgl. Herdegen, Karlheinz-Meyer-OS (1990), 207; derselbe, StV 1990,520. Eine solche Abqualifizierung wird ausdrücklich gebilligt in BOH NStZ 1992, 397, 398; aber als unzulässig gerügt in BOH NStZ 1994,592; BOH NStZ 1993, 247, 248; BOH NStZ 1993, 143, 144.
174 Befürwortend Gollwitzer, StV 1990, 424; Herdegen, StV 1990, 519; derselbe, KarlheinzMeyer-OS (1990), 205 f. 175 So aber BOH StV 1985, 311. Kritisch dazu Schulz, StV 1985, 314. Siehe auch Gollwitzer, StV 1990,424; Schlüchter, in: SI