Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes: Eine Untersuchung zu den Grundlagen der Stellung und Aufgaben des Deutschen Bundestages [1 ed.] 9783428445110, 9783428045112


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German Pages 360 Year 1979

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Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes: Eine Untersuchung zu den Grundlagen der Stellung und Aufgaben des Deutschen Bundestages [1 ed.]
 9783428445110, 9783428045112

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 81

Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes Eine Untersuchung zu den Grundlagen der Stellung und Aufgaben des Deutschen Bundestages Von

Siegfried Magiera

Duncker & Humblot · Berlin

Siegfried Magiera Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes

VERÖFFENTLICHUNGEN DES I N S T I T U T S F Ü R I N T E R N A T I O N A L E S A N DER U N I V E R S I T Ä T

RECHT

KIEL

Herausgegeben v o n Prof. D r . W i l h e l m A . K e w e n i g

81

Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes Eine Untersuchung zu den Grundlagen der Stellung und Aufgaben des Deutschen Bundestages

Von

Siegfried Magiera

D U N C K E R

&

H U M B L O T / B E R L I N

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Hechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität K i e l gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Alle Hechte, einschließlich das der Ubersetzung, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu vervielfältigen. © 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04511 4

Vorwort

Das Parlament steht i m Staat des Grundgesetzes zunehmend vor neuartigen Anforderungen, die sich mit dem herkömmlichen Instrumentar i u m parlamentarischer Regierungsweise immer weniger zufriedenstellend bewältigen lassen. Schwierigkeiten bereitet vor allem eine zeitgemäße Bestimmung des Aufgabenbereiches und der Arbeitsweise des Parlaments i m Verhältnis zur Regierung. Die traditionellen Begriffsinhalte von Gesetzgebung und Kontrolle reichen ebensowenig aus wie der traditionelle Verfahrensstil, wenn das Parlament nicht von der M i t w i r k u n g an den aktuellen und zentralen Problemen des staatlichen Gemeinwesens ausgeschlossen werden soll. Eine Neuorientierung darf sich nicht darauf beschränken, das von der positivistischen Staatsrechtslehre für die Verhältnisse der konstitutionellen Monarchie errichtete dogmatische Gebäude zu „demokratisieren", indem etwa die frühere Rangordnung zwischen Parlament und Regierung einfach umgekehrt oder der alte Dualismus zwischen den beiden Staatsorganen lediglich durch einen Dualismus zwischen Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit ersetzt wird. Erforderlich ist vielmehr eine Überprüfung der Fundamente anhand der i m Grundgesetz niedergelegten Maßstäbe. Dies gilt vor allem für den Bereich grundlegender Staatsaufgaben, die „Staatsleitung", deren Wahrnehmung für das Zusammenleben aller Bürger von entscheidender Bedeutung ist. Die gerade hier bestehenden Unsicherheiten zeigen sich deutlich, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht i m Jahre 1978 zu dem Ergebnis kommt, das Grundgesetz spreche dem Parlament nicht einen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen zu (BVerfGE 49, 124), nachdem es knapp sechs Jahre zuvor festgestellt hatte, nur das Parlament besitze die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung (BVerfGE 34, 59). Zur Klärung der damit aufgeworfenen politischen und verfassungsrechtlichen Probleme möchte die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten. Die Arbeit wurde i m Frühjahr 1978 abgeschlossen und i m Sommersemester 1978 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität K i e l als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind i m wesentlichen bis Anfang 1978 berücksichtigt, spätere Veröffentlichungen, soweit möglich, i n den Anmerkungen nachgetragen.

Vorwort

6

Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig für die Betreuung und Förderung während meiner Assistentenzeit und des Habilitationsverfahrens sowie für die Aufnahme der Abhandlung i n die Veröffentlichungsreihe des Instituts für Internationales Recht. Seine Aufgeschlossenheit und sein Interesse haben mich bei der Wahl des Themas ebenso wie bei dessen Bearbeitung i n zahlreichen Gesprächen vorbildlich ermuntert und unterstützt. Dank schulde ich ferner den Vertretern des öffentlichen Rechts an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität K i e l für vielfältige Anregungen und Hinweise, insbesondere Herrn Prof. Dr. Wolfgang Rüfner, der auch die Erstellung des Zweitgutachtens übernommen hat. Z u Dank verpflichtet b i n ich schließlich meinen Kollegen und allen Mitarbeitern am Institut für Internationales Recht, die mich während des Habilitationsverfahrens entlastet und bei den Schreib- und Korrekturarbeiten unterstützt haben, sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den gewährten Druckkostenzuschuß. Kiel, i m Frühjahr 1979 Siegfried Magiera

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

13

Erstes Kapitel Das Grundgesetz als normativer Bezugsrahmen für Parlament und Staatsleitung

19

1. Bezugnahme auf den Verfassungstext

20

2. Z u m F o r t w i r k e n der Verfassungstradition

21

3. Die Verfassung zwischen vorfindlicher Wertordnung u n d bew-ußter Entscheidung

24

4. „Statisches" u n d „dynamisches" Verfassungsverständnis

27

5. Rechtliche Stabilisierung durch Verfassungstext u n d Verfassunigspraxis

32

6. Rechtsgewißheit u n d Entscheidungsbindung

38

Zweites Kapitel Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

43

1. Z u r Abgrenzung von Staatsleitung u n d Regierung

44

a) Begriffsbildung des Grundgesetzes b) Begriffsbildiung i n Wissenschaft u n d Praxis

44 46

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegriffs a) Umfassender u n d eingeschränkter Regierungsbegriff b) Der „umfassende Restbegriff" c) Die „Spaltung" des Regierungsbegriffs 3. Notwendigkeit der Staatsleitung a) Problemverschiebung zwischen monarchischem u n d demokratischem Staat b) Der allgemein-staatswissenschaftliche Begriff der Staatsleitung 4. B i n d u n g der Staatsleitung a) B i n d u n g durch Sachzwänge b) B i n d u n g an die Verfassung aa) B i n d u n g i m monarchischen u n d i m demokratischen Staat

47 47 50 56 62 62 63 66 67 72 72

Inhaltsverzeichnis

8

bb) B i n d u n g an Verfassung, Gesetz u n d Recht cc) B i n d u n g durch verfassungsrechtliche Begründung u n d Begrenzung c) Der konkret-verfassungsrechtliche Begriff der Staatsleitung 5. Staatsleitung u n d Gewaltenteilung a) Soziologische u n d normative Gewaltenteilung b) Organadäquanz u n d Funktionsgerechtigkeit als Zuordnungsmaßstäbe

73 75 82 83 84 88

Drittes Kapitel Das Parlament als Verfassungsorgan 1. Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen a) Verfassungsorgane u n d Verfassungsaufgaben b) „Potentiell" staatsleitende Verfassungsorgane 2. W a h l des Parlaments u n d demokratische Legitimation

92 92 93 95 97

a) Das Erfordernis demokratischer Legitimation f ü r die Ausübung staatlicher Gewalt 98 b) Die V e r m i t t l u n g demokratischer Legitimation durch die W a h l des Parlaments 103 3. Zusammensetzung des Parlaments u n d demokratische Repräsentation 108 a) Die Annäherung von Abgeordneten- u n d Regierungsamt 109 b) Der Unterschied zwischen Parlaments- u n d Regierungszusammensetzung 115 4. Innere Ordnung des Parlaments u n d demokratische K o m m u n i k a t i o n . . 119 a) Parlamentarische Entscheidung u n d parlamentarisches Verfahren . . b) Parlamentarisches Verfahren u n d parlamentarische Aufgabenstellung c) Das Ineinandergreifen von Plenum, Fraktionen u n d Ausschüssen d) Die Unabhängigkeit des Abgeordneten i m Geflecht der innerpariamentarischen Ordnung e) Die Öffentlichkeit des parlamentarischen Verfahrens u n d die Gewährleistung demokratischer K o m m u n i k a t i o n

119 122 128 137 148

Viertes Kapitel Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

159

1. Parlamentarischer Aufgabenbereich u n d Parlamentssuprematie

160

a) b) c) d)

Staatssouveränität u n d Organsouveränität Organsouveränität u n d demokratischer Verfassungsstaat Einheit der Staatsgewalt u n d Rangordnung der Staatsorgane Kompetenzzuweisung u n d Kompetenzvermutung

160 165 167 169

Inhaltsverzeichnis 2. Parlamentarischer Aufgabenbereich u n d parlamentarische Beschlußarten 171 a) Gesetzesbeschluß u n d schlichter Beschluß als parlamentarische Ä u ßerungsformen 172 b) Erfordernis einer inhaltlichen Abgrenzung der Beschlußarten 174 3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes a) Z u r Bezeichnung „Parlamentsgesetz" b) Eingrenzung durch die Gestaltung des Gesetzgebungs Verfahrens i m Grundgesetz c) Eingrenzung durch den I n h a l t der Gesetzgebungsmaterien i m Grundgesetz d) Eingrenzung durch den doppelten Gesetzesbegriff? aa) Die traditionelle Trennung zwischen formellem u n d materiellem Gesetzesbegriff bb) Das Versagen des formellen Gesetzesbegriffs cc) Das Versagen des materiellen Gesetzesbegriffs e) Die Bedeutsamkeit der Regelung als Abgrenzungsmerkmial für den Bereich des Parlamentsgesetzes 4. Der Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses

174 174 177 182 185 185 188 195 205 210

a) Eingrenzung aufgrund des Beschlußverfahrens u n d der Beschluß materien des Grundgesetzes 210 b) Das Erfordernis parlamentarischer Einflußnahme als Abgrenzungsm e r k m a l f ü r den Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses 212

Fünftes Kapitel Staatsleitung als kooperativer Prozeß zwischen Parlament und Regierung

218

1. Staatsleitung als rationales u n d legitimiertes Entscheidungsverfahren 219 a) Entscheidung u n d Rechtfertigung i m staatlichen Aufgabenbereich 219 b) K o n t i n u i t ä t der Staatsleitung 224 c) Rationalität u n d L e g i t i m i t ä t der Staatsleitung 226 2. Parlament u n d Regierung als sich ergänzende Verfassungsorgane a) b) c) d)

Parlament u n d Regierung zwischen Organ- u n d Parteiendualismus Der Informationsvorsprung der Regierung Der Wertungsvorsprung des Parlaments Gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit bei der Aufgabenwahrnehmung

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

228 228 232 234 237 240

a) Sonderung nach getrennten Aufgabenbereichen 240 b) Verbindung durch gemeinsame Aufgabenwahrnehmunig (Staatsleitung als „kombinierte Gewalt" u n d „zur gesamten Hand") 246 c) Unterscheidung aufgrund ineinandergreifender Aufgabenteilbeiträge (Staatsleitung als „kooperativer Prozeß") 252

10

Inhaltsverzeichnis

4. Der A n t e i l des Parlaments an der Staatsleitung

257

a) Mitentscheidung als parlamentarischer Teilbeitrag zur Gewährleistung umfassender Wertberücksichtigung 257 b) K o n t r o l l e als parlamentarischer Teil-beitrag zur Gewährleistung u m fassender Informationsvermittkmg 262

Sechstes Kapitel Parlament und kooperativer Staatsleitungsprozeß in der verfassungsrechtlichen Bewährung

269

1. „Mitregierung" des Parlaments u n d Verantwortlichkeit der Regierung 269 a) Begriff u n d dualistische S t r u k t u r verfassungsrechtlicher Verantwortlichkeit 270 b) Das V o l k als aktiver Adressat der Verantwortlichkeit (Demokratischer Dualismus) 273 c) Parlament u n d Regierung als Träger u n d M i t t l e r der V e r a n t w o r t lichkeit (Parteien- u n d Organdiualismus) 276 2. „Mitregierung" des Parlaments u n d Handlungsfähigkeit der Regierung 279 a) Bindungskraft des Regierungshandelns b) Schlichter Parlamentsbeschluß u n d Regierungshandeln c) Parlamentsgesetz u n d Regierungshandeln aa) Vorbehalt u n d Vorrang des Gesetzes bb) Fortbestand, Erweiterung oder Preisgabe des Allgemeinvorbehalts? cc) P r ä v e n t i v - u n d Sukzessivfunktion des Parlamenitsgesetzes d) Die Handlungsfähigkeit der Regierung zwischen Parlamentsgesetz u n d schlichtem Parlamentsbeschluß

280 285 286 286 287 299 301

3. „Mitregierung" des Parlaments u n d Informationspflicht der Regierung 307 a) Die Informationsbeziehungen zwischen Parlament u n d Regierung als staatsleitender Dialog 307 b) Z u r Ausgestaltung dies staatsleitenden Dialogs 311 c) Grenzen des staatsleitenden Dialogs 316

Literaturverzeichnis

330

Abkürzungsverzeichniß AöR

=

A r c h i v des öffentlichen Rechts

BayVerfGHE

=

Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

BGBl.

=

Bundesgesetzblatt

BRRG

=

Beamtenrechtsrahmengesetz

BT

=

Bundestag

BVerfGE

=

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwGE

=

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DB

=

Der Betrieb

DÖV

=

Die öffentliche V e r w a l t u n g

DVB1.

=

Deutsches Verwaltungsblatt

EuGRZ

=

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EvStL

=

Evangelisches Staatslexikon

GG

=

Grundgesetz

GOBT

=

Geschäftsordnung des Bundestages

GVB1.

=

Gesetz- u n d Verordnungsblatt

HdbDStR

=

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

JöR

=

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JuS

=

Juristische Schulung

JZ

=

Juristenzeitung

MDR

=

Monatsschrift f ü r Deutsches Recht

NJW

=

Neue Juristische Wochenschrift

PVS

=

Politische Vierteljahresschrift

RGBl.

=

Reichsgesetzblatt

RGSt

=

Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen

SchwJZ

=

Schweizerische Juristenzeitung

StPO

=

Strafprozeßordnung

VerwArch

=

Verwaltungsarchiv

WDStRL

=

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

12

Abkürzungs Verzeichnis

WeimRV

= Weimarer Reichsverfassung

ZaöRV

= Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht

ZfP

= Zeitschrift f ü r P o l i t i k

ZgesStW

= Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft

ZParl

= Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZPO

=

ZRP

= Zeitschrift f ü r Rechtspolitik

Zivilprozeßordnung

Einleitung

U b e r d i e verfassungsrechtliche Z u o r d n u n g v o n P a r l a m e n t u n d S t a a t s l e i t u n g , insbesondere ü b e r A r t u n d U m f a n g des A n t e i l s des Bundestages i m Verhältnis zur Bundesregierung an den staatsleitenden Verfassungsaufgaben, besteht auch 30 J a h r e nach I n k r a f t t r e t e n des Grundgesetzes i n der S t a a t s p r a x i s w i e i n d e r Staatsrechtslehre k e i n e E i n i g k e i t 1 . S e i t d e m E n d e d e r k o n s t i t u t i o n e l l e n M o n a r c h i e , i n d e r die gesamte Staatsg e w a l t b e i d e r R e g i e r u n g l a g u n d das P a r l a m e n t a u f e n g begrenzte K o n t r o l l - u n d Gesetzgebungsfunktionen beschränkt w a r 2 , u n d ihrer E r setzung d u r c h die d e m o k r a t i s c h e H e r r s c h a f t s f o r m ist d i e u n m i t t e l b a r e B e t e i l i g u n g des P a r l a m e n t e s a n d e r A u s ü b u n g d e r S t a a t s g e w a l t , a n d e r G e s t a l t u n g des Staates u n d dessen L e i t u n g , v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h z w a r i m G r u n d s a t z gesichert, i n d e n — auch w e s e n t l i c h e n — E i n z e l h e i t e n j e doch u n g e k l ä r t 3 . 1

Vgl. den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 3, Ziff. 2.1 (S. 35 f.); Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 5 - 1 0 ; Scheuner, Kontrolle, insbesondere 22 - 35. 2 Dazu G. Jellinek, Regierung u n d Parlament, 8 f., 24 f., 34 f. u n d passim; Laband, Staatsrecht I , 298-309; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 329 - 335, 501 - 503; theoretisch grundlegend vor allem F. J. Stahl, Rechts- u n d Staatslehre, 321 - 374, m i t der Gegenüberstellung von monarchischem u n d parlamentarischem Prinzip. — Vgl. ferner Bergsträsser, Die E n t w i c k l u n g des Parlamentarismus i n Deutschland, 139, 144 f., 14? u n d passim; Glum, Parlamentarisches Regierungssystem, 5 1 - 7 0 ; R i t t e r (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament u n d Regierung (1974). — A l s Ergebnis der „monarchischen Regierung" stellt M . Weber, Parlament u n d Regierung, 307 f., am Ende des Kaiserreichs fest: „ . . . eine Nation ohne alle u n d jede politische E r z i e h u n g . . . ohne allen u n d jeden politischen W i l l e n . . . e i n v ö l l i g machtloses Parlament." 3 A m deutlichsten w o h l BVerfGE 34, 52, 59 : „ N u r das Parlament besitzt die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung" (zustimmend Badura, Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, 19; ablehnend Erichsen, V e r w A r c h 1976, 101: „ k a u m haltbar"); zurückhaltender BVerfGE 10, 4, 17: Parlament als „Gesetzgebungs- u n d oberste(s) K o n t r o l l o r g a n " ; ähnlich BVerfGE 1, 14, 33; 1, 372, 394; zusammenfassend Rauschning, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1976). — Aus dem neueren Schrifttum: H. Meyer u n d Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem (1975); Herzog, Parlamentarisches System (1975); Pietzner, Bundestag (1975); F. Schäfer, Der Bundestag (1975); Achterberg, DVB1. 1974, 693-707; Scheuner, Z u r E n t w i c k l u n g des Parlaments (1974); ders., DÖV 1974, 433-441; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition (1974); Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem (1973); Achterberg, DVB1. 1972, 841 -847; ders., PVS-Sonderheft 4/1972, 368-392; Badura, Parlamentarismus (1972); Kröger, Ministerverantwortliòhkeit (1972); Achterberg, Parlamentsrecht (1971); Kewenig, Parlamentarische Mitregierung (1970); M e n -

14

Einleitung

Das G r u n d g e s e t z e n t h ä l t n u r e i n i g e G r u n d z ü g e ü b e r d e n A u f b a u u n d d i e A u f g a b e n des P a r l a m e n t s als V e r f a s s u n g s o r g a n ; der B e g r i f f der S t a a t s l e i t u n g als Verfassungsaufgabe f e h l t ganz. D e r n ä h e r e I n h a l t der Parlamentsfunktionen i m allgemeinen u n d der Staatsleitung i m besonderen b l e i b t ebenso o f f e n w i e V e r f a h r e n u n d M e t h o d e , d i e z u i h r e r I n h a l t s k l ä r u n g f ü h r e n k ö n n t e n . Es v e r w u n d e r t d a h e r n i c h t , w e n n f ü r das V e r h ä l t n i s v o n P a r l a m e n t u n d S t a a t s l e i t u n g ganz unterschiedliche L ö s u n g e n als j e w e i l s verfassungsgemäß a n g e b o t e n w e r d e n . Das g i l t f ü r n e u a r t i g e P r o b l e m e , w i e die staatliche A u f g a b e n p l a n u n g 4 oder die s t a a t liche W i r t s c h a f t s - u n d K o n j u n k t u r l e n k u n g 5 , aber auch f ü r a l t b e k a n n t e F r a g e n , w i e die R e i c h w e i t e des Gesetzesvorbehalts 6 oder d i e p a r l a m e n tarische E i n f l u ß n a h m e a u f das staatliche H a u s h a l t s - u n d F i n a n z w e s e n 7 . Die Spannweite der vertretenen Zuordnungslösungen i m Bereich der S t a a t s l e i t u n g r e i c h t v o n d e r S u p r e m a t i e des P a r l a m e n t s , d e m d i e R e g i e r u n g als V o l l z u g s o r g a n nachgeordnet sei, ü b e r eine G l e i c h o r d n u n g m i t g l e i c h g e w i c h t i g e m Z u s a m m e n w i r k e n v o n P a r l a m e n t u n d Regierung^ b i s z u e i n e r Z u r ü c k s e t z u n g des P a r l a m e n t s , das sich a u f eine n a c h t r ä g zel, D Ö V 1969, 765-772; Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems (1969); Glum, Parlamentarisches Regierungssystem (1965); Friesenhahn u n d Partsch, Parlament u n d Regierung (1958). 4 Vgl. etwa Brünner, Politische Planung (1978); Vitzthum, Parlament u n d Planung (1978); Lanz, Politische Planung (1977); Frank, Politische Planung (1976); Grube / Richter / Thaysen, Politische Planung (1976); Dobiey, Politische Planung (1975); Ossenbühl, Entwicklungsplanung (1974); Scheuner, Politische Planung (1974); M. Schröder, Planung (1974); Kewenig, DÖV 1973, 2 3 - 3 2 ; Böckenförde, Der Staat 1972, 429 - 458; Wahl, Der Staat 1972, 459 - 482; F r i a u f / Stephan, Politische Z i e l - u n d M i t t e l p l a n u n g (1969); Harnischfeger, Planung (1969); Kaiser (Hrsg.), Planung I - V I (1965 - 1972). 5 Vgl. n u r Müller-Volbehr, Fonds- u n d Investitionshilfekompetenz des B u n des (1975); Rupp, Grundgesetz u n d „Wirtschaftsverfassung" (1974); Badura, Finanzplanung (1971); ders., Wirtschaftsverfassung (1971); Scheuner (Hrsg.), Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft (1971); R. Schmidt, Wirtschaftsp o l i t i k u n d Verfassung (1971); Stern, Wirtschaftssteuerung (1971); Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft (1967); Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen (1966); Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung (1961), β Vgl. z.B. Kisker, N J W 1977, 1313-1320; Oppermann, öffentliches Schulwesen (1976); Magiera, Der Staat 1974, 1 - 2 6 ; Kewenig, Z P a r l 1973, 424-434; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte (1973); Hansen, Fachliche Weisung (1971); Achterberg, Funktionenlehre (1970); G r i m m , Z P a r l 1970, 448-466; Starck, Gesetzesbegriff (1970); Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes (1969); Scheuner, D Ö V 1969, 585 - 593; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung (1969); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften (1968); Selmer, JuS 1968, 489 - 499; Vogel u n d Herzog, Gesetzgeber u n d V e r w a l t u n g (1966); Rupp, Grundfragen (1965); Jesch, Gesetz u n d V e r w a l t u n g (1961). 7 Dazu etwa Moeser, Die Beteiligung des Bundestages an der staatlichen Haushaltsgewalt (1978); Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz (1976); Boldt, Z P a r l 1973, 534-549; Kröger, D Ö V 1973, 439-442; R. Hoffmann, Haushaltsvollzug u n d Parlament (1972); Kewenig, Parlamentarische Mitregierung (1970) ; F r i a u f u n d Wagner, öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft (1969); J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle (1968); Köttgen, Fondsverwaltung (1965).

Einleitung

liehe Kontrolle der von der Regierung aktiv besorgten Staatsleitung beschränken müsse 8 . Für alle diese Zuordnungslösungen finden sich A n haltspunkte i m Grundgesetz, der Verfassung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Die Parlamentssuprematie soll sich aus dem Demokratieprinzip ergeben, das der Volksvertretung i m Gegensatz zur Regierung eine unmittelbare demokratische Legitimation durch die Volkswahl verschaffe 9 . Die Beschränkung des Parlaments auf eine nachträgliche Kontrolle der aktiv gestaltenden Regierung soll aus dem Rechtsstaatsprinzip und der von diesem umfaßten Gewaltenteilung folgen 10 . Das gleichgeordnete und gleichgewichtige Zusammenwirken von Parlament und Regierung soll schließlich seine Grundlage i n der sozialstaatlichen Parteiendemokratie finden, die Parlament und Regierung verbinde und zu gemeinsamer A k t i v i t ä t verpflichte 11 . Die voneinander abweichenden Zuordnungslösungen und die dafür vorgebrachten Begründungen machen deutlich, daß sich der Anteil des Parlaments an der Staatsleitung nach dem Grundgesetz nicht ohne Eingehen auf andere verfassungsrechtliche Grundbegriffe, insbesondere das Prinzip des demokratischen und sozialen Rechtsstaates, bemessen läßt, die für sich genommen ebenfalls weit offen und damit klärungsbedürftig sind. Da die Zuordnung von Parlament und Staatsleitung unter verschiedenen, aber jeweils eng zusammenhängenden und damit schwer trennbaren Blickwinkeln betrachtet werden kann, bedarf die beabsichtigte Untersuchung, soll sie nicht ins Uferlose abgleiten und daher an Aussagekraft verlieren, der klaren Anlage und Begrenzung. Angestrebtes Ziel ist die verfassungsrechtliche Klärung der Möglichkeiten und Grenzen einer M i t w i r k u n g des Parlaments an der Leitung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates des Grundgesetzes. I m Mittelpunkt steht damit der Deutsche Bundestag und die Frage nach seinem A n t e i l an der Staatsleitung der Bundesrepublik Deutschland, der von den Anteilen der anderen i n Betracht kommenden Verfassungsorgane abzugrenzen ist. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, wie der Problemaufriß gezeigt hat, i m wesentlichen i m Verhältnis zur Bundesregierung, so daß dieses i n den Vordergrund der Erörterung rückt 1 2 . 8 Einzelheiten vgl. unten, Kap. I V 1 (Parlamentssuprematie), V 3 (Zusamm e n w i r k e n von Parlament u n d Regierung), V 4 b (Kontrolle des Parlaments über die Regierung). 9 Dazu unten, Kap. I I I 2 a, I V 1. 10 Dazu unten, Kap. I I 5 a, V 4 b. 11 Dazu unten, Kap. I I I 2 b, 3 b, V 2 - 4. 12 Vgl. auch schon — f ü r die Weimarer Zeit — Scheuner, AöR 1927, 221: „Denn zwischen ihnen (sc. Exekutive u n d Legislative) geht der Streit u m die Staatsleitung"; zu anderen „potentiell" staatsleitenden Verfassungsorganen vgl. unten, Kap. I I I 1 b.

16

Einleitung

Die Parlamente auf Länderebene müssen aus der Untersuchung grundsätzlich ausgeklammert bleiben 13 . Diese Beschränkung rechtfertigt sich — außer durch den begrenzten Untersuchungszweck — angesichts der unterschiedlichen politischen und verfassungsrechtlichen Bedeutung, die den Ländern und ihren Parlamenten trotz der Homogenitätsklausel i n A r t . 28 GG zukommt und die einer unmittelbaren Vergleichbarkeit zwischen den Aufgaben des Bundestages und denen der Länderparlamente i m Bereich der Staatsleitung entgegensteht 14 . Eine weitere Abgrenzung betrifft den transnationalen Rechtsbereich 15 . Die internationale Verflechtung, vor allem die von A r t . 24 GG gestützte und geförderte europäische und sicherheitspolitische Integration der Bundesrepublik Deutschland i n ein Netz internationaler und supranationaler Organisationen, hat Rückwirkungen auch auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung zwischen den einzelnen Verfassungsorganen des Bundes und der Länder 1 8 . Die damit verbundenen Sonderprobleme können jedoch wegen der Beschränkung der vorliegenden Untersuchung auf die Verfassungsrechtslage unter dem Grundgesetz ebenfalls nicht weiter verfolgt werden. Aus gleichem Grund scheidet eine selbständige verfassungsgeschichtliche, -vergleichende und -idealtypische Behandlung des Untersuchungsgegenstandes aus 17 . Das Problem der Beteiligung des Parlaments an der Staatsleitung stellt sich zwar i n allen Verfassuiigsordnungen mit Volksvertretung, so daß eine derart erweiterte Betrachtungsweise zu einer Erkenntnisvermehrung für das eigene Verfassungsverständnis führen kann. Eine Verfassung entsteht und besteht nicht i m erfahrungsund ideenleeren Raum, sondern unterliegt den Einflüssen eigener Vorläufer und fremder Verfassungssysteme sowie idealtypischer Verfas13 Vgl. zu diesem Problemkreis M. Friedrich, Landesparlamente (1975); ders., JöR 1975, 61 - 88. 14 D a z u — i m Hinblick auf die parlamentarische Ministerverantwortlichkeit— auch Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 4; i m Hinblick auf die Organisationsgewalt: Böckenförde, Organisationsgewalt, 19; ferner Menzel, D Ö V 1969, 770: „weite Toleranzgrenzen des A r t . 28 GG". 15 Z u m präziseren Begriff „transnational" (grenzüberschreitend) statt „ i n t e r national" vgl. Jessup, Transnational L a w , 1 f. 16 Dazu Delbrück, Regionale Zusammenschlüsse, 469 - 484; Häberle, Der kooperative Verfassungsstaat (1978); Kaiser u n d Badura, Bewahrung u n d Veränderung (1966) ; Kewenig, Auswärtige Gewalt, 42 f. ; Menzel, Das V ö l k e r recht u n d die politisch-sozialen Grundstrukturen der modernen Welt (1973); Rojahn, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 24, Randnr. 16 f., 24 - 28, 5 0 - 5 6 ; Tomuschat u n d R. Schmidt, Der Verfassungsstaat i m Geflecht der internationalen Beziehungen (1978). 17 Z u r „typischen" bzw. „idealtypischen" Betrachtungsweise vgl. Larenz, Methodenlehre, 443-457; Manti, Repräsentation u n d Identität, 2 7 - 6 3 ; aus dem älteren Schrifttum insbesondere G. Jellinek, Staatslehre, 3 0 - 4 2 ; M. Weber, „ O b j e k t i v i t ä t " , 189 - 212.

Einleitung

sungsvorstellungen. Bei der Untersuchung von Problemen einer zeitlich und örtlich bestimmten Verfassung wie des Grundgesetzes geht es jedoch nicht primär um die Frage, ob geschichtliche, vergleichende oder idealtypische Erkenntnisse allgemein von Nutzen sein können, sondern darum, ob solchermaßen gewonnene Erkenntnisse geeignet sind, die Lösung einer konkreten Ausdeutungsfrage herbeizuführen oder zumindest wesentlich dazu beizutragen. Dies bedarf der Feststellung i m Einzelfall, wobei vor allem — und das ist entscheidend — bestimmt werden muß, ob die herangezogene Regelung, die selbst zumeist ebenfalls ausdeutungsbedürftig ist, sich der auszudeutenden Verfassung einfügt oder ob sie ihr widerspricht. Dementsprechend kann die Untersuchung auf eine allgemeine Heranziehung vergleichbarer Verfassungsordnungen oder idealtypischer Vorstellungen für den Gesamtbereich des Verhältnisses von Parlament und Staatsleitung verzichten und sich auf eine Erörterung entsprechender Regelungen i m Einzelfall beschränken. Die Beschränkung auf das Grundgesetz bedeutet allerdings nicht den einfachen Rückzug auf den Text der Verfassung und dessen Auslegung ohne Rücksicht auf die „Umwelt", i n der das Grundgesetz entstanden ist und praktisch angewendet w i r d 1 8 . Verfassungsdogmatik i m hier verstandenen Sinn heißt Abgrenzung gegenüber Verfassungstheorie und Staatsphilosophie, nicht Gleichsetzung m i t Begriffsjurisprudenz oder verfassungstextlichem Subsumtionsdenken 19 . Das Grundgesetz ist — besonders i m Bereich der Verfassungsorgane und ihrer Aufgaben — Rahmenordnung und bedarf deshalb der konkretisierenden Ausdeutung, die ohne Rücksicht auf die Verfassungs-Umwelt nicht möglich ist 2 0 . Bedarf und Umfang eines solchen Rückgriffs müssen sich allerdings aus dem Verfassungstext rechtfertigen lassen, weil andernfalls die unverzichtbare Grenzlinie zwischen Verfassungsauslegung und Verfassungsänderung aufgehoben w i r d 2 1 . A l l e i n i n diesem Zusammenhang gewinnen auch die genannten verfassungsgeschichtlichen, -vergleichenden und -idealtypischen Erkenntnisse ihre Bedeutung ebenso wie die verfassungstatsächlichen Erkenntnisse benachbarter Wissenschaften, vor allem der Politikwissenschaft und der Soziologie 22 . 18 Z u r „ambiance" der Verfassung vgl. vorläufig D. Schindler, Verfassungsrecht, 92 - 103; i m übrigen unten, Kap. I 3. 19 Vgl. dazu die klare Analyse von Böckenförde, Organisationsgewalt, 1 4 - 1 6 , dessen Schlußfolgerung — scharfe Trennung zwischen der Verfassung als „verbindlich Gegebenes" u n d als „Aufgegebenes" — jedoch zu stark pointiert erscheint; vgl. dazu unten, Kap. 1 3 - 6 . 20 Dazu unten, Kap. I 3. 21 Dazu unten, Kap. I 5. 22 Aus der Fülle der Beiträge zur Parlamentsforschung seien aus neuerer Zeit — i n Ergänzung zu den Angaben oben, A n m . 3 bis 6 — genannt: Rausch, Bundestag u n d Bundesregierung (1976); Lohmar, Das Hohe Haus (1975); T h a y -

2 Magiera

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Einleitung

Gliederung und Verlauf der Abhandlung ergeben sich i m wesentlichen aus der bisherigen Erörterung. Das erste Kapitel dient der verfassungsrechtlichen Grundlegung und sucht den normativen Bezugsrahmen des Grundgesetzes für die Zuordnung von Parlament und Staatsleitung zu umreißen. I n den folgenden beiden Kapiteln sollen die Staatsleitung als Verfassungsaufgabe und das Parlament als Verfassungsorgan anhand ihrer besonderen verfassungsrechtlichen Merkmale jeweils näher bestimmt und von anderen Verfassungsaufgaben und -Organen abgegrenzt werden. Das vierte Kapitel dient sodann dazu, den Standort des Parlaments innerhalb der verfassungsrechtlichen Aufgabenordnung und die daraus ableitbaren Grundsätze für eine Zuordnung von Parlament und Staatsleitung festzustellen. I m fünften Kapitel soll aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse der Standort der Staatsleitung i m Verhältnis von Parlament und Regierung bestimmt und der A n t e i l des Parlaments näher umrissen werden. Das sechste Kapitel schließlich geht den verfassungsrechtlichen Folgeproblemen nach, die eine „Mitregierung" des Parlaments für die Verantwortlichkeit und die Handlungsfähigkeit der Regierung sowie für die Informationsbeziehungen zwischen den beiden Verfassungsorganen aufwirft.

sen, Parlamentarisches Regierungssystem (1975); Liesegang, Parlamentsreform (1974); Gerlich, Parlamentarische Kontrolle (1973); Hennis, Die Rolle des Parlaments (1973); Thaysen, Parlamentsreform (1972); Hereth, Die Reform des deutschen Bundestages (1971); K l u x e n (Hrsg.), Parlamentarismus (1971); Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz (1971); Röhring / Sontheimer (Hrsg.), Handbuch des deutschen Parlamentarismus (1970) ; Gehrig, Parlament Regierung - Opposition (1969); Hübner / Oberreuter / Rausch (Hrsg.), Der B u n destag von innen gesehen (1969); Loewenberg, Parlamentarismus (1969); Apel, Der deutsche Parlamentarismus (1968); ferner (vorwiegend vergleichend) H ü b n e r / O b e r r e u t e r , Parlament u n d Regierung (1977); Herman / Mendel, Parliaments of the W o r l d (1976) ; Ruch, Das Berufsparlament (1976) ; Europäisches Parlament (Hrsg.), Z u k u n f t der Parlamente i n Europa (1975) ; Kornberg (Hrsg.), Legislatures i n Comparative Perspective (1973); Loewenberg (Hrsg.), Modern Parliaments (1971); G. Schmid, Parlament u n d Regierung (1971); Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme i n Europa (1970); (vorwiegend geschichtlich) Bosl / Möckl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus (1977) ; Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament u n d Regierung (1974); Kopp, Parlamente (1966).

Erstes Kapitel

Das Grundgesetz als normativer Bezugsrahmen für Parlament und Staateleitung Der Staat als organisierte Form menschlichen Zusammenlebens bedarf steten Bemühens u m die Erhaltung und Fortentwicklung seiner grundlegenden Ordnung, die er aus seiner formellen Organisation wie aus seinen materiellen Zielen und Aufgaben gewinnt. Dieses Bemühen um die Grundlagen der staatlichen Ordnung läßt sich, vorbehaltlich näherer Eingrenzung und Verdeutlichung, welche die Abhandlung erbringen soll 1 , als „Staatsleitung" kennzeichnen. Die nähere Ausgestaltung staatlicher Ordnung ist allerdings, wie ein auch nur flüchtiger Blick i n die Geschichte oder auf die gegenwärtige Staatenwelt zeigt, von so unterschiedlicher A r t und Weise, daß die Reduzierung der Vielfalt menschlicher Organisation auf den Begriff „Staat", der sich aus den drei „Elementen" Staatsvolk, Staatsgebiet und (souveräne) Staatsgewalt zusammensetze, mehr Abweichungen verdeckt als Gemeinsamkeiten offenbart. Ein allgemeiner Staatsbegriff kann weder über den Inhalt der Staatsordnung noch über den Inhaber der Staatsleitung Auskunft geben 2 . Angeblich allgemeingültige Feststellungen, wie „Jeder Staat muß eine Regierung haben. Nicht jeder Staat braucht aber ein Parlament" 3 , sind deshalb mangels Differenzierung inhaltsleer, wenn nicht gar irreführend. Jeder Staat entscheidet für sich über die Ausübung der Staatsgewalt, über die Erfüllung der Staatsaufgaben, insbesondere über die Ausübung der Staatsleitung und die daran zu beteiligenden Staatsorgane. Aus diesen Gründen muß zur Bestimmung der Staatsleitung und ihres Inhabers die Rechtsordnung des konkreten Staates herangezogen werden. 1

Vgl. dazu unten, Kap. I I 3 b u n d 4 c. Vgl. Badura, Methoden, 95 f.; Häfelin, Verfassungsgebung, 79; zu gescheiterten Versuchen Kägi, Verfassung, 14 f. 8 Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 12; ebenso Hauenschild, Wesen u n d Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, 113 m i t A n m . 44; Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 110 f.; G. Jellinek, Staatslehre, 612; a u d i Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 195. — Vgl. demgegenüber den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 3, Ziff. 2.1 (S. 36): „ E i n demokratischer Staat ohne ein stets verfügbares Verfassungsorgan Parlament wäre nicht v o l l g ü l t i g verfaßt." 2

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

1. Bezugnahme auf den Verfassungstext Die verfassungsrechtliche Bestimmung des Anteils des Parlaments an der Staatsleitung der Bundesrepublik Deutschland bereitet Schwierigkeiten. Als rechtliche Grundordnung des entwickelten Verfassungsstaates bindet das Grundgesetz zwar die Ausübung jeglicher Staatsgewalt, auch auf höchster Ebene, an seine Normen 4 ; die Bindung erfolgt jedoch m i t unterschiedlicher Bestimmtheit, so daß der Text des Grundgesetzes für sich allein nicht notwendig erschöpfende oder zweifelsfreie Auskunft über die Ausübung verfassungsmäßiger Staatsgewalt gibt. Gerade i m Bereich der obersten Staatsorgane und der grundlegenden Staatstätigkeiten erweist sich die Heranziehung von Konkretisierungsgesichtspunkten außerhalb des Verfassungstextes und ihre Einfügung i n den Gesamtzusammenhang der Verfassung als unvermeidbar. Stellung und Aufgaben des Bundestages, wie die Ausgestaltung des parlamentarischen Regierungssystems überhaupt, haben i m Grundgesetz nur eine knappe Regelung erfahren. Diese muß der näheren Konkretisierung als Richtschnur dienen. Eine unmittelbare Ausrichtung oder Anlehnung an verfassungsgeschichtliche, ideengeschichtliche, ausländische oder ähnliche Maßstäbe, etwa an den bekannten Katalog der von Walter Bagehot 5 zusammengestellten Parlamentsfunktionen, wie sie vor allem i n politikwissenschaftlichen Abhandlungen erfolgt 6 , kann keine verfassungsrechtliche Klärung der Stellung und Aufgaben des Bundestages herbeiführen 7 . Dazu bedarf es vielmehr eines Rückgriffs auf den normativen Bezugsrahmen des Grundgesetzes, wie er sich aus dem Gesamtzusammenhang der Verfassung ergibt. Dieser w i r d zwar umgekehrt auch von der parlamentarischen Regierungsweise als Teilbereich der Verfassungsordnung mitgeprägt, so daß zwischen Gesamt- und Teilordnung eine Wechselwirkung und kein Rangunterschied besteht. Gerade die knappe Regelung der parlamentarischen Regierungsweise i m Grundgesetz verleitet jedoch mangels weiterer Anhaltspunkte zu einer unbesehenen Verwendung scheinbar geklärter Allgemeinbegriffe — „das Gewaltenteilungsprinzip", „das parlamentarische Regierungssystem" — oder zu einer ungeprüften Anerkennung scheinbar unbedenklicher Verfassungspraxis. U m derartigen Gefahren vorzubeugen, erscheint es erforderlich, zunächst den normativen Bezugsrahmen des 4 Badura, Verfassung, 2708; Bull, Staatsaufgaben, 116 m. w. N.; Kägi, V e r fassung, 42; vgl. auch unten, Kap. I I 4 b. 5 The English Constitution, 130 - 175 („The House of Commons"). 6 Vgl. etwa Lohmar, Das Hohe Haus, 18 - 23 ; Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem, 8; ferner die juristischen Dissertationen von Appolt, 87; E. Klein, 21. 7 Ebenso Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 16; vgl. auch H ä berle, AöR 1974, 457; ders., ZfP 1974,115.

2. Z u m F o r t w i r k e n der Verfassungstradition

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Grundgesetzes abzustecken, gleichsam „vor die Klammer zu ziehen", und erst danach das Verhältnis von Parlament und Staatsleitung näher zu untersuchen 8 . Die Erörterung des normativen Bezugsrahmens muß und kann sich dabei i m vorliegenden Zusammenhang auf Richtpunkte und Leitlinien beschränken. Bei dem gegenwärtigen Stand der Verfassungstheorie und Verfassungsrechtslehre, wie er besonders deutlich i n der lebhaften Methodendiskussion zum Ausdruck kommt 9 , steht eine allgemein anerkannte Grundlage für die Erörterung verfassungsrechtlicher Einzelfragen nicht zur Verfügung und ist i n absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten 1 0 . Zudem bedarf es einer solchen geschlossenen Grundlage auch nicht notwendig, weil der hier benötigte Rahmen die nachfolgende Einzelerörterung zum Verhältnis von Parlament und Staatsleitung wegen der erwähnten Wechselwirkung nur orientieren, nicht aber vorherbestimmen kann und soll.

2. Zum Fortwirken der Verfassungstradition Das Grundgesetz steht i n der Tradition des liberalen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts und zugleich i n der Entwicklungslinie der m i t der Weimarer Verfassung aufgenommenen republikanischen, demokratischen und sozialen Staatsgrundsätze 11 . Die unterschiedliche Herkunft, aus konstitutioneller Monarchie wie aus demokratischer Republik, und das keineswegs geradlinige geschichtliche Schicksal, das von den Erfahrungen m i t der monarchischen, der demokratischen wie der totalitären Staatsgewalt geprägt wurde, haben eine Harmonisierung der zusammengeführten Grundsätze erschwert. Dabei kreuzen sich zwei Hauptlinien des Verfassungsverständnisses, die unmittelbare Rückwirkung auf das Parlamentsverständnis entfalten. Zum einen erscheint die Staatsgewalt als vorgegebener Machtappa8 Vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 73 f.; ferner Böckenförde, Organisationsgewalt, 18 f.; Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 234. 9 Dazu Böckenförde, N J W 1976, 2097 f. (Wechselbezüglichkeit von Verfassungstheorie u n d -methode); Dreier, Verfassungsinterpretation, 17, 22; H ä berle, ZfP 1974,113 f.; Hufen, AöR 1975,193 - 238; Koch, Über juristisch-dogmatisches Argumentieren, 15 - 20; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 13, 21 46; F. Müller, Juristische Methodik, 5 0 - 103; Krawietz, Juristische Entscheidung u n d wissenschaftliche Erkenntnis (1978). 10 Z u r Suche nach neuen Wegen vgl. Göldner, Integration u n d Pluralismus, 21 - 25. 11 Badura, Verfassung, 2710 f.; ders., Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 22 f.; Herzog, Grundgesetz, 914 - 916.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

rat, der dem Bürger i n Gestalt der Regierung gegenübertritt. Dieser hat i h n schicksalhaft hinzunehmen, kann i h n aber zu bändigen und beschränken versuchen. Dazu dient i h m das Parlament als „sein" Kontrollorgan 12 . Zum anderen erscheint die Staatsgewalt zwar ebenfalls als Machtapparat, der aber nicht aus sich heraus besteht, sondern von den Bürgern gebildet, eingesetzt und gesteuert wird. Das Parlament t r i t t der Regierung nicht als Kontrollorgan von außen gegenüber, sondern ist i n den staatlichen Steuerungsvorgang unmittelbar einbezogen 13 . Damit i m Zusammenhang steht eine weitere für das Parlamentsverständnis bedeutsame Unterscheidung, die ihren Ausgang bei der dem Staat zugedachten Aufgabe nimmt und eher verfassungsgeschichtlich als verfassungskonstruktiv m i t der zuvor dargelegten Unterscheidung verbunden ist. Der Vorstellung von der Staatsgewalt als vorgegebener und von außen zu beschränkender Macht entspricht die Auffassung, daß die Aufgabe des Staates sich auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, vor allem die Bewahrung von Freiheit und Eigentum des einzelnen, zu beschränken habe. Der Vorstellung der Staatsgewalt als von den einzelnen mitgesteuerter Machtprozeß entspricht demgegenüber die Auffassung, daß der Staat über die Sicherung der bestehenden Verhältnisse hinaus die Aufgabe habe, für eine sozial gerechte Entwicklung der Lebensverhältnisse durch Ausgleich und Mitgestaltung zu sorgen. Die Kontroverse u m „Rechtsstaat und/oder Sozialstaat" 14 t r i f f t den hier umrissenen Sachverhalt nur unzulänglich. I n beiden Fällen geht es um die Schaffung einer menschen-gerechten Ordnung 1 5 . N u r die Mittel unterscheiden sich, allerdings nicht i n Recht und (sozialen) Zweck 1 6 , sondern hinsichtlich Umfang und A r t des staatlichen Einsatzes. Der 12 Als Modell dient die dualistische Trennung zwischen „Staat" u n d „Gesellschaft"; vgl. dazu etwa Hesse, D Ö V 1975, 437-443; Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung v o n Staat u n d Gesellschaft (1973); ders., Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft (1972); Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" (1962); ferner Bull, Staatsauf gaben, 6 4 - 6 9 ; Böckenförde (Hrsg.), Staat u n d Gesellschaft, m i t Auswahlbibliographie von R. W a h l (1976); i m übrigen unten, Kap. V 3 a. 18 Dies entspricht der Konsequenz des „monistischen" Staates demokratischrepräsentativer Prägung; vgl. dazu vorläufig den Schlußbericht der EnqueteKommission Verfassungsreform, Kap. 3, Ziff. 2.1 (S. 35 f.) ; i m übrigen unten, Kap. V 4. 14 Vgl. zuletzt Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 137 - 226 m. w . N.; ferner Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit (1968). 15 Knapp, aber k l a r zusammenfassend, insbesondere Bäumlin, Rechtsstaat (1975); Kewenig, Rechtsstaat u n d Sozialstaat, 99-114; ferner G r i m m , AöR 1972, 500; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 234; Hesse, Rechtsstaat, 78 m i t A n m . 27; Achterberg, Der Staat 1969, 165 f.; Wege (Anm. 14), 214 f., 218-226 m. w . N. 16 Gegen die Unterscheidung von „Sachzielen" u n d „Recht" wendet sich auch Bull, Staatsaufgaben, 126.

2. Z u m F o r t w i r k e n der Verfassungstradition

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„Rechtsstaat" des 19. Jahrhunderts 1 7 beschränkte sich i m wesentlichen auf die Gewährleistung des freien Spiels gesellschaftlicher Kräfte. Seine Ordnung war knapp, begrenzend und stabil, seine Verfassung statisch, Symbol der Festigkeit inmitten der veränderlichen Lebensverhältnisse seiner Bürger. Zwischen Staat und Bürger bestand eine klare Grenzlinie und Aufgabenteilung; jeder sorgte für seinen Bereich, der Staat blieb „un-sozial" i m Sinne von gesellschaftsfern, der Bürger „ u n politisch" i m Sinne von staatsfern. Der „Sozialstaat" des 20. Jahrhunderts 1 8 beteiligt sich unmittelbar an dem Prozeß des Erwerbs und der Aufteilung der gesellschaftlichen Lebensgrundlage. Seine Ordnung ist ausgreifend und alldurchdringend, seine Verfassung wandelbar und i n die Veränderlichkeit der Lebensverhältnisse seiner Bürger einbezogen. Die Grenzlinie zwischen Staat und Bürger verwischt sich; beider Bereiche nähern sich zu einer einheitlichen Ordnung menschlichen Daseins und Zusammenlebens, die den Staat als ein „Stück" Selbstorganisation seiner Bürger erscheinen läßt 1 9 . Die angedeuteten Unterschiede i m Staats- und Verfassungsverständnis mit ihrer Auswirkung auf das Parlamentsverständnis lassen ein Wesensmerkmal der Staats- und Verfassungsordnung hervortreten, i n deren Tradition das Grundgesetz steht. Es handelt sich um die Abhängigkeit der normativen Grundordnung von ihrem tatsächlichen Gegenstand, den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen. Der Verfassung mag die politische Einheit des Staates und seine rechtliche Ordnung aufgegeben sein 20 , Erfolg i m Sinne von Durchsetzung ist i h r nur beschieden, wenn ihre Anforderungen den zu regelnden Verhältnissen „gerecht" werden, ohne daß sie selbst zu deren bloßem A b b i l d und Spielball herabsinkt 2 1 . I n der Wechselwirkung zwischen Normativität und Wirklichkeit setzt die Verfassung entscheidende, aber nicht unbedingt befolgte Maßstäbe. Damit t r i t t die Entstehung und Fortbildung dieser Maßstäbe i n den Vordergrund der verfassungsrechtlichen Betrachtung.

17 Vgl. die Aufzählung seiner Prinzipien i m einzelnen bei C. Schmitt, V e r fassungslehre, 125 - 138; ferner Wege (Anm. 14), 137 - 146 m. w . N. 18 Vgl. die übersichtliche Zusammenfassung bei Stern, Sozialstaat (1975); ders., Staatsrecht I, 682 - 732; ferner Wege (Anm. 14), 156 - 204; Zacher, Sozialstaatsprinzip, 207 - 267; jeweils m. w. N. Hesse, Verfassungsrecht, 8; ferner Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 27. 20 Dazu vorläufig Hesse, Verfassungsrecht, 5 - 1 0 ; i m übrigen unten, A b schnitt 4 i n diesem Kap. 21 Häberle, JZ 1975, 301: Verfassung als Spiegel u n d als Lichtquelle der Öffentlichkeit u n d W i r k l i c h k e i t ; ferner Häfelin, Verfassungsgebung, 102.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

3. Die Verfassung zwischen vorfindlicher Wertordnung und bewußter Entscheidung Als Verfassung konstituiert das Grundgesetz die rechtlich verbindliche Grundordnung der staatlichen Gemeinschaft 22 . Ihre Aufgabe, die zugleich Bedingung und Grenze darstellt, besteht i n der Herstellung einer durch eine einheitliche Rechtsordnung verbundenen Rechtsgemeinschaft 23 . Sie soll dem politischen Prozeß der Auseinandersetzung unter den einzelnen Gestalt geben, den Machtaufbau des Staates rationalisieren und die Beziehungen zwischen Staat und einzelnem objektivieren 2 4 . Dadurch reduziert sie die Fülle der möglichen Staatsgestaltungen und entlastet die politische Auseinandersetzung innerhalb der von ihr normierten staatlichen Gemeinschaft 25 . Die Maßstäbe, aufgrund derer die Verfassung entsteht und die sie selbst setzt, lassen sich nicht, wie es noch zu Beginn der modernen Verfassungsbewegung der Glaube an ein unverbrüchlich vorgegebenes und erkennbares Natur- oder Vernunftrecht annahm, unmittelbar aus einem höheren Recht oder anderen verbindlichen Werten herleiten 2 6 . Ein solcher Glaube macht eine Verfassung i m Grunde entbehrlich, weil sich die richtige Entscheidung unmittelbar und von jedermann aus jenen Werten entnehmen lassen müßte 2 7 . Dennoch w i r d eine Verfassung auch nach diesem Verständnis für notwendig gehalten und durch das Erfordernis qualifizierter Abstimmungsmehrheiten i n ihrer Entstehung und ihrem Bestand abzusichern gesucht. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, daß eine Herleitung verfassungsrechtlicher Maßstäbe aus überverfassungsrechtlichen Werten stets menschlicher Vermittlung und Entscheidung bedarf 2 8 . Da Irrtümer auch bei noch so großen Abstimmungsmehrheiten, ja selbst bei Einstimmigkeit, unterlaufen können, ist deshalb die Übereinstimmung der positiven Verfassung m i t absolut vorgegebenen Werten durch qualifizierte Abstimmungsmehrheiten ebensowenig zu gewährleisten wie wenn ein einzelner entschiede. Das auf absolut vorgegebene und unmittelbar erkennbare Werte abstellende Ver22 Hesse, Verfassungsrecht, 11; ferner Häfelin, Verfassungsgebung, 100; Kägi, Verfassung, 9. 23 Badura, Verfassung, 2713; ders., Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 33 f. 24 Kägi, Verfassung, 41 ; Hesse, Verfassungsrecht, 14. 25 Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 33; G r i m m , AöR 1972, 498 f.; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 141 - 150. 26 Dazu Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 178; aber auch Kägi, V e r fassung, 47. 27 Vgl. auch Krüger, Staatslehre, 237; Scharpf, Demokratietheorie, 26 f. 28 Vgl. auch Eichenberger, Die oberste Gewalt i m Bunde, 39 : „ . . . das Gesollte muß gewissermaßen durch den menschlichen W i l l e n hindurchgegangen sein, damit es zur rechtlichen N o r m w i r d " ; ferner Isensee, N J W 1977, 548.

3. Wertordnung u n d Entscheidung

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fassungsverständnis beschwört somit die Gefahr eines Dezisionismus herauf, d. h. die Möglichkeit eines erbitterten und ungeregelten Glaubensstreites, i n dem jede Seite — unabhängig von ihrer Größe und unabhängig vom Inhalt der Verfassung — behauptet, sie allein sei i m Besitz der richtigen Erkenntnis der über der Verfassung stehenden, absolut geltenden Werte. Daraus folgt insgesamt die Unfruchtbarkeit dieses Ansatzes, der zunächst allein auf überverfassungsrechtliche Werte abstellen w i l l , dann aber auf verfahrensrechtliche Absicherungen zurückgreifen muß und schließlich der Gefahr eines Abgleitens i n den Dezisionismus unterliegt. Die Frage nach Existenz und Inhalt etwaiger, der Verfassung vorgegebener und von ihr zu beachtender Werte w i r d damit weder entschieden noch hinfällig 2 9 . Nur der Versuch, solche Werte für das Verfassungsverständnis durch einfache Ableitung unmittelbar nutzbar zu machen, muß scheitern 30 . Der Dezisionismus ist weder die notwendige Konsequenz des soeben beleuchteten Verfassungsverständnisses noch die einzige Alternative dazu 3 1 . Auch ohne Aufgabe der Bemühungen u m eine Verankerung der Verfassung i n sicheren Werten läßt sich die Gefahr des Dezisionismus eindämmen, wenn nicht gar ausschließen. Dazu muß der zutreffende K e r n des verfahrensrechtlichen Ansatzes, der für das zurückgewiesene Verfassungsverständnis eine letztlich überflüssige und zudem widersprüchliche Hilfserwägung darstellt, herausgearbeitet und näher beleuchtet werden. Es handelt sich um die Notwendigkeit, die unvermeidbare menschliche Entscheidung über die Verfassung mit der Absicherung durch bestimmte Verfahrenserfordernisse zu verknüpfen. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Frage qualifizierter Abstimmungsmehrheiten an als auf Voraussetzung, Inhalt und Verlauf des Verfahrens insgesamt 32 . Trotz des Strebens nach einer „Herrschaft von Gesetzen und nicht von Menschen" 33 entrinnt zwar auch der Verfassungsstaat nicht seiner Grund29 Vgl. auch Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 30; Häberle, AöR 1974, 445: Naturrecht als „Notbremse"; BVerfGE 3, 225, 231 - 234. 80 Diese Erkenntnis sollte nicht beunruhigen, sondern ernüchtern u n d ermutigen. Sie f ü h r t einen hilfreichen Zwang zur Offenheit u n d Besonnenheit i n das Verfassungsdenken ein u n d verdeutlicht die hohe u n d unentrinnbare Verantwortung des Menschen f ü r die Gestaltung seines Schicksals (dazu auch Häberle, AöR 1974, 442; Krüger, Staatslehre, 2371; Hahn, JöR 1965, 32 m i t A n m . 86; Ryffel, Rechtssoziologie, 152; auch schon G. Jellinek, Regierung u n d Parlament, 36). 81 Anders insbesondere C. Schmitt, Verfassungslehre, 21 f.: Verfassungsgebung als „einmalige Entscheidung". 82 Dazu Häberle, AöR 1974,450. 83 Z u m Ursprung dieses Satzes (wahrscheinlich Plato) vgl. Krüger, Staatslehre, 277 - 279; ferner Scheuner, E n t w i c k l u n g des Rechtsstaats, 470 m i t A n m . 25.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

aporie, daß die i m Volk „staatlich vergesellschafteten Menschen" über ihre Rechtsordnung entscheiden 34 . Sind der Verfassung auch keine» Rechts-Maßstäbe vorgegeben und ist sie deshalb Rechts-Schöpfung, so doch nicht notwendig i m Sinne voraussetzungsloser und willkürlicher Dezision über beliebig einsetzbare Werte 3 5 . I n ihrer Entstehung und ihrem Fortbestand ist die Verfassung ausgerichtet auf die sie umgebende Wirklichkeit, die sie normieren soll und der sie sich nicht entziehen kann 3 6 . Diese Wirklichkeit besteht nicht nur aus materiellen, sondern auch aus ideellen Faktoren, nicht nur aus Menschen und Dingen, sondern auch aus erprobten, als gut oder schlecht, richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht empfundenen, verteidigten oder verworfenen Vorstellungen 37 . A n ihr kann weder die Verfassungsgebung noch die Verfassungsfortbildung vorübergehen. Sie stellt das praktische und ideologische Werkmaterial dar, aus dem die Verfassung ihre Legitimität schöpft, durch differenzierende Aufnahme und Zurückweisung Legalität schafft und die entscheidende Richtung für das zu ordnende menschliche Zusammenleben bestimmt: die Unterscheidbarkeit zwischen verfassungsgemäßem und verfassungswidrigem Verhalten, zwischen Recht und Unrecht 3 8 . Zwischen Verfassungsnorm und der so verstandenen Wirklichkeit besteht ein untrennbarer Zusammenhang, ein ständiger Kreislauf, i n dem das Recht durch die ideellen und materiellen Grundlagen der staatlichen Gemeinschaft geprägt w i r d und zugleich diese Grundlagen selbst zu gestalten sucht 39 . Damit stellt sich die für die weitere Unterscheidung erhebliche Frage nach der näheren Ausgestaltung dieses Verhältnisses. Von ihrer Beantwortung hängt es ab, inwieweit die Verfassungorgane, vor allem also das Parlament, durch die normative Verfassungsordnung gebunden sind und inwieweit sie umgekehrt diese Ordnung durch ihre eigene Praxis beeinflussen und formen können.

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Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 24 f. Badura, Verfassung, 2716; aber C. Schmitt, Verfassungslehre, 21 - 23, 75 f. 88 Vgl. dazu D. Schindler, Verfassungsrecht, 92-103 („ambiance"); Ossenbühl, D Ö V 1965, 650; Häberle, AöR 1974, 446; Isensee, N J W 1977, 548-550; BVerfGE 1, 208, 259; zur „wirklichkeitsbezogen(en) u n d wandlungsoffen (en)" Verfassungsinterpretation des BVerfG auch Häberle, N J W 1976, 537 f. 87 Vgl. dazu auch Steinberger, Freiheitliche Demokratie, 257 f.; Böckenförde, Geschichtlichkeit des Rechts, 22 f. 88 Triepel, Staatsrecht u n d Politik, 20; Leibholz, Begriffsbildung, 264 f., 267 f. u n d passim; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 60f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 227 m. w . N. 89 Badura, Verfassung, 2714; ders., Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 24, 27; Häberle, AöR 1974, 457; Häfelin, Verfassungsgebung, 102; Scheuner, Das Wesen des Staates, 249; ders., Konsens u n d Pluralismus, 33 - 35. 85

4. „Statisches" u n d „dynamisches" Verfassungsverständnis

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4. „Statisches" und „dynamisches" Verfassungsverständnis Das Spannungsverhältnis zwischen Determinierung der staatlichen Gemeinschaft durch die Verfassung und Dynamisierung der Verfassung durch die tatsächlichen Veränderungen innerhalb der staatlichen Gemeinschaft läßt sich nicht einseitig auflösen. A n Versuchen i n der einen oder anderen Richtung hat es nicht gefehlt 40 . Sie wurden getragen einerseits von der hoffnungsvollen Erwartung, die Verfassung schaffe eine unerschütterliche Grundlage für eine vorausberechenbare Lösung politischer Machtkämpfe, andererseits von der entmutigten Schlußfolgerung, politische Machtkämpfe ließen sich durch keinerlei Regelung i n geordnete Bahnen lenken 4 1 . Ihre einseitige Ausrichtung entweder auf das rein Normative oder auf das rein Faktische konnte jedoch nicht befriedigen. Die Gegenüberstellung dieser Grundpositionen zeigt die Problematik allerdings m i t besonderer Deutlichkeit auf und vermag dadurch zu einer teilweisen Klärung des zutreffenden Verfassungsverständnisses beizutragen. Der Wunsch, eine dauerhafte und grundlegende Rechtsordnung für die staatliche Gemeinschaft zu errichten, entspricht dem ureigensten A n liegen der Verfassungsentwicklung 42 . Die Verfassung soll umfassende Berechenbarkeit, Rechtssicherheit und letztlich Gerechtigkeit für alle gewährleisten. Dazu dienen ihr formelle und materielle Sicherungen. Z u den formellen Vorkehrungen rechnen vor allem die schriftliche Niederlegung des Verfassungstextes, die Erzeugung i n einem qualifizierten Verfahren und der erhöhte Bestandsschutz gegenüber Abänderungen. Z u den materiellen Vorkehrungen gehören insbesondere die Zusicherung von Grundrechten, die Ordnung staatlicher Kompetenzen und Organe sowie die Verankerung von Staatsaufgaben und Staatszielen. Aus dieser Sicht erscheint die Verfassung, beschränkt auf den Verfassungstext, als Hort der Gerechtigkeit gegenüber einer zu zähmenden Wirklichkeit. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Schaffung der Verfassungsurkunde. I n diesem einmaligen Vorgang w i r d gleichsam ein U h r werk aufgezogen, nach dem die Zukunft abläuft oder ablaufen sollte 43 . Der Verfassungsgeber besitzt eine überragende Stellung, indem er nicht 40 Vgl. dazu den informativen Überblick bei Dreier, Verfassungsinterpretation, 1 8 - 2 3 ; ferner Koch, Über juristisch-dogmatisches Argumentieren, 6 1 133. 41 Diese Ambivalenz hat insbesondere Kägi, Verfassung, 18 - 35, 39 - 58, 127 151 u n d passim, aufgezeigt. 42 Dazu Kägi, Verfassung, 41: „ . . . d e r allgemeinste Sinn der Verfassung: eine einheitsstiftende Ordnung i m Gegensatz zur Anarchie"; ferner Häfelin, Verfassungsgebung, 111 f. 48 Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Smend, Verfassung u n d V e r fassungsrecht, 193; ferner Badura, Methoden, 86.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

nur sämtliche normativen Erfordernisse für die Staatsgestaltung seiner Zeit erkennt und festlegt, sondern auch für die weitere Staatsentwicklung vorausschaut und einordnet. Spätere Verfassungsänderungen, sofern sie überhaupt zugelassen sind, haben sich auf unvermeidliche Ausbesserungen zu beschränken, aber keine Neugestaltungen vorzunehmen 44 . Dieses Verständnis der Verfassung als eines lückenlosen Systems findet sich sowohl bei einer naturrechtlichen wie bei einer positivistischen Rechtsauffassung, die sonst kaum etwas gemein haben, hier aber durch das Streben nach Rechtsgewißheit zusammengeführt werden. Die naturrechtliche Auffassung betrachtet die Verfassung dabei als „Ausdruck der offenbarten politischen Vernunft" und damit als i n sich vollkommen, während sich die positivistische Auffassung darauf beschränkt, den schriftlich niedergelegten Text als Verfassung anzusehen 45 . Die Sicht der Verfassung als geschlossenes System w i r d seit dem Rückzug der positivistischen Rechtsauffassung zwar nicht mehr als solche vertreten 4 0 . Ihre Nachwirkungen lassen sich jedoch feststellen, wenn etwa aus dem „Verfassungssystem" oder der „Wertordnung" heraus argumentiert w i r d oder von dem „VerfassungsVollzug" die Rede ist. Solche Versuche müssen nicht fehlgehen, sofern die Grenzen der Leistungsfähigkeit eines solchen systematischen Vorgehens beachtet werden 4 7 . Die Auffassung von der Geschlossenheit des Verfassungssystems überschätzt jedoch diese Möglichkeiten 4 8 . Ihre grundlegende Schwäche liegt i n der scharfen Unterscheidung zwischen Verfassungsgebung und Verfassungsgeltung, die qualitative Ausmaße annimmt, indem sie zwischen den „besseren" Menschen, die für alle Zukunft über Inhalt und Gestaltung der Verfassung entscheiden, und den „schlechteren" Menschen trennt, die unter dieser Verfassung zu leben und sich nach den darin vorherbestimmten Anordnungen zu richten haben 49 . Da die Verfassungs44

I n diesem Sinn C. Schmitt, Verfassungslehre, 98,102 f. Vgl. dazu Kägi, Verfassung, 80. 46 Vgl. Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 19; zumindest an der (Verfassungs-) Gesetzesauslegung als „ E r m i t t l u n g der richtigen Subsumtion i m Sinne des syllogistischen Schlusses" möchte Forsthoff, Umbildung, 135 u n d passim, festhalten; dazu vgl. Hollerbach, AöR 1960, 258 f. u n d passim. 47 Vgl. dazu — unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des B V e r f G — Maunz, Staatsrecht, 46 f.; Roellecke, Verfassungsinterpretation, 3 7 - 4 2 ; ferner — allgemein — Larenz, Methodenlehre, 154- 161, 429 - 474 m. w . N. — Z u den Grenzen einer Argumentation aus der „Einheit der Verfassung" vgl. F. M ü l ler, Die Einheit der Verfassung (1979). 48 So auch Ehmke, Verfassungsinterpretation, 55 f.; G r i m m , AöR 1972, 506 f.; Häfelin, Verfassungsgebung, 86, 115; S c h ö n e r , Verfassung, 126 f.; vgl. auch allgemein Canaris, Systemdenken u n d Systembegriff, 27 - 29. 49 Dagegen auch Krüger, Staatslehre, 702; Steiner, Verfassunggebung, 220 f.; umfassend Häberle, Verfassungsinterpretation u n d Verfassunggebung (1978). 45

4. „Statisches" u n d „dynamisches" Verfassungsverständnis

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schöpfer jedoch keine Ubermenschen sind, ist ihr Produkt ebenso zeitund ortsbedingt wie jedes andere Menschenwerk 50 . Aber auch innerhalb kürzerer Zeitspannen und desselben Staatsraumes läßt sich die Vorstellung von der Geschlossenheit des Verfassungssystems nicht durchhalten, ohne entweder zu Fiktionen greifen oder Ausklammerungen vornehmen zu müssen 51 . Fiktionen folgen aus der Auffassung von der geschlossenen und gleichzeitig vollkommenen Verfassung als der Grundordnung für das gesamte Rechtsleben der staatlichen Gemeinschaft. Enthält die Verfassung eine A n t w o r t auf alle zukünftigen Fragen, so kann die Lösung auch ganz neuartiger Probleme aus i h r „abgeleitet" werden. Selbst die Staatsleitung stellt sich danach lediglich als „Verfassungsvollzug" 52 dar. Ausklammerungen ergeben sich aus der Auffassung von der geschlossenen, aber auf den positiven Text beschränkten Verfassung. Dadurch verengt sich der Verfassungsrechtsbereich, und alles, was sich nicht unmittelbar aus dem Text entnehmen läßt, muß als außerhalb des Rechts befindlich angesehen werden 5 3 . Dementsprechend bleibt vor allem der i n den meisten Verfassungen spärlich geregelte Bereich der obersten Staatsorgane und der Staatsleitung „rechtsfrei" und lediglich den Maßstäben der „ P o l i t i k " unterworfen 5 4 . Ein Verfassungsverständnis, das auf Fiktionen zurückgreifen und Ausklammerungen vornehmen muß, weil die Verfassung von der zu regelnden Wirklichkeit abgelöst und auf abstrakte Begriffe m i t ihren formalen Verknüpfungen beschränkt wird, schafft nur scheinbare Rechtssicherheit und Gerechtigkeit 55 . Die Fixierung der Verfassung auf den historischen Zustand, den sie m i t ihrer Schöpfung erhält und für die Zeit ihrer Geltung behält, bringt statt der angestrebten Stabilisierung und Rationalisierung die Gefahr der Paralysierung der tatsächlichen Verhältnisse, die explosionsartig i n die revolutionäre Beseitigung der Verfas50

Anders ließen sich die Unterschiede zwischen griechischer Polis, m i t t e l alterlichem Ständestaat u n d modernem Verfassungsstaat oder zwischen westlicher Demokratie, östlicher Volksdemokratie u n d den staatlichen Eigenformen der d r i t t e n u n d vierten Welt nicht erklären. — Vgl. dazu auch Badura, Methoden, 95; Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 10 (1952), 48; Häberle, ZfP 1974,125; Krüger, Staatslehre, 696; Schenke, AöR 1978, 566 - 602. 51 Vgl. dazu Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 28 f.; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 55. 52 Vgl. vorläufig Häfelin, Verfassungsgebung, 118-120; Lerche, AöR 1965, 365 f.; i m übrigen unten, Kap. I I 4 b cc. 53 Kritisch insbesondere Ehmke, Verfassungsinterpretation, 55 ; auch Scheuner, Politische Koordination, 899; ders., Der Bereich der Regierung, 265 f. 54 Vgl. etwa Kassimatis, Der Bereich der Regierung, 30 - 41 u n d passim, m i t seiner scharfen Trennung von „Normierbarem" ( = Rechtsetzung, Gesetzgebung) u n d „Unnormierbarem" ( = Regierung). 65 Dazu Scheuner, Das Wesen des Staates, 227; auch Grimm, JuS 1969, 508.

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sung umschlagen kann 5 6 , oder die nicht mindere Gefahr der allmählichen und kaum bemerkten Aushöhlung der Verfassung, indem diese von den tatsächlichen Verhältnissen unterlaufen und stillschweigend außer K r a f t gesetzt wird. Somit führt die Loslösung der Verfassung von ihren faktischen Voraussetzungen und damit der Verzicht auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung m i t den tatsächlichen Verhältnissen entgegen der verfolgten Absicht dieser „normativen" Auffassungen letztlich zu einer Hinnahme des Bestehenden und zu einem Zurückweichen vor i h m 5 7 . Soll diese Konsequenz vermieden werden, so muß die Veränderlichkeit der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie besonders i n den politischen Auseinandersetzungen zu verzeichnen ist, von einer Entwicklungsfähigkeit der Rechtsordnung, wie sie i n der Verfassung normiert ist, begleitet sein 58 . Das Scheitern der Verfassung als normativ-geschlossenes System bedingt allerdings nicht den Verfall i n das andere Extrem eines historischen oder soziologischen Positivismus, der die Verfassung zum bloßen Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse und zum einfachen Ergebnis der politischen Auseinandersetzungen werden läßt. Relative Zeit- und Ortsbedingtheit der Verfassung bedeutet nicht ihre absolute Zeit- und Ortsbestimmtheit 5 9 . Die Annahme, Macht gehe vor Recht, die auch i n ihrer Verfeinerung durch die Lehre von der „normativen K r a f t des Faktischen" 6 0 auf eine Leugnung der normativen K r a f t des Rechts und damit dessen Existenz überhaupt hinausläuft, ist nicht die einzige Alternative zur beziehungslosen Trennung von Verfassung und Wirklichkeit. Der verbleibende Weg zwischen der Abgeschlossenheit des normativen Systems und der Aufgabe des Rechts zugunsten der Faktizität bereitet besondere Schwierigkeiten. I n der Mitte zwischen den beiden extremen Alternativen setzt er sich doppelter Gefahr und doppeltem Angriff aus. Dennoch ist er i n letzter Zeit immer mehr beschritten und geebnet worden 61 . Das öffentliche Recht, zumal das Verfassungsrecht, lebt von den politischen Bewegungen und Wertungen 6 2 . Es ist „politisches Recht" i n dem 5 ® Dazu H. Huber, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 345; ferner Fiedler, Sozialer Wandel, 29 (zu G. Jellinek). 67 Vgl. »Scheuner, Das Wesen des Staates, 227; ferner Triepel, Staatsrecht u n d Politik, 3 2 - 3 6 ; Hesse, Verfassungswandlung, 137. 58 Dazu Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 27. 59 Ä h n l i c h Badura, Methoden, 94 f. 60 Dazu kritisch Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 188; Badura, Methoden, 208 f.; vgl. auch allgemein Grimmer, Die Rechtsfigur einer „ N o r m a t i v i t ä t des Faktischen" (1971). 61 Vgl. dazu vorläufig den knappen Überblick bei Dreier, Verfassungsinterpretation, 27 - 37; ferner Häberle, ZfP 1974, 121 - 126; Böckenförde, N J W 1976, 2090 - 2097; i m übrigen die folgenden Anmerkungen. e2 Scheuner, Das Wesen des Staates, 227.

4. „Statisches" u n d „dynamisches" Verfassungsverständnis

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Sinn, daß es Anregungen und Einflüssen aus dem gesellschaftlich-politischen Bereich unterliegt und zugleich diesen Bereich rechtlich ordnen und lenken soll 6 3 . Das Zusammentreffen von tatsächlicher Bedingtheit und normativer Gestaltungsaufgabe erfordert ein Verfassungsverständnis, das Offenheit wie Verbindlichkeit der Verfassung i m und für den politischen Prozeß gewährleistet. Damit entfällt die scharfe Trennlinie zwischen Verfassungsgebung und Verfassungsgeltung, zwischen einmaliger aktiver Normsetzung und ständiger passiver Normunterworfenheit 6 4 . Verfassungsgebung, Verfassungsgeltung und Verfassungsunterworfenheit gehören vielmehr kontinuierlich zusammen und bilden einen dauernden einheitlichen Prozeß 65 . Dieser verbindet die normative Verfassung m i t der zu regelnden Wirklichkeit, ohne daß er die Unterscheidung zwischen gesollter Ordnung und tatsächlich bestehenden Verhältnissen beseitigt oder erübrigt 6 6 . Die Erkenntnis, daß Norm und Wirklichkeit zeitlichen und örtlichen Veränderungen unterliegen, „immer i m Flusse" sind 6 7 , deckt die beiderseitige Bedingtheit 6 8 auf und zeigt, daß die Verfassung eine „offene" Struktur besitzt 69 , „aufgegeben" ist 7 6 und einen „ E n t w u r f " darstellt 7 1 . Sie beseitigt die scheinbare Rechtssicherheit und Gerechtigkeit des statischen Verfassungsdenkens, nach dem das Verfassungsrecht auf die Wirklichkeit „anzuwenden" war, die Wirklichkeit dem Verfassungsrecht „subsumiert" wurde und Antworten auf Verfassungsprobleme sich aus dem Verfassungsrecht „ableiten" ließen 72 . Die Erkenntnis von der Unzulänglichkeit des „statischen" und der Notwendigkeit eines mehr „dynamischen" Verfassungsverständnisses zwingt jedoch nicht dazu, i n den Bemühungen u m das bisher verfolgte und als erstrebenswert anerkannte Ziel der Verfassung nachzulassen, eine sichere und gerechte Ordnung für das staatliche Gemeinwesen zu 83 Häfelin, Verfassungsgebung, 102; Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 178; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 65; Ossenbühl, D Ö V 1965, 650 f.; Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 34 f.; Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 238. 84 Vgl. auch Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 102 f. 85 Vgl. Steiner, Verfassunggebung, 222 f.; Krüger, Verfassung, 79; ders., Staatslehre, 702; Scheuner, Politische Koordination, 899; auch Häberle, ZfP 1974, 125 f. (Zusammenspiel von „subjektiver" u n d „ o b j e k t i v e r " Auslegung). 88 Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, 6 - 8 . 87 Scheuner, D Ö V 1957, 634. 88 Hesse (Anm. 66), 6. 80 Bäumlin, Recht, Staat u n d Geschichte, 11; ferner Ehmke, Verfassungsinterpretation, 56, 62 m. w. N. 70 B ä u m l i n (Anm. 69), 19; Hesse, Verfassungsrecht, 5 f. 71 B ä u m l i n (Anm. 69), 26; Scheuner, AöR 1970, 368. 72 Vgl. Ehmke, Verfassungsinterpretation, 55.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

schaffen und zu gewährleisten 73 . Die gestellte Aufgabe gestaltet sich allerdings schwieriger als bisher. Die Verfassung läßt sich nicht mehr auffassen als einmalig gegeben und für alle Zukunft anwendbar, sondern muß stets und zugleich verstanden werden als von offener Strukt u r und dennoch auf einheitsbildende „Zusammenordnung" gerichtet 74 , als aufgegeben und dennoch „gegeben" 75 , als vorläufiger und dennoch „verbindlicher E n t w u r f " 7 6 . Damit erhebt sich die Frage nach den stabilisierenden Grenzen der zeitlich und örtlich „dynamischen" Verfassung 77 .

5. Rechtliche Stabilisierung durch Verfassungstext und Verfassungspraxis Ob und welche rechtliche Stabilisierungsleistung die Verfassung angesichts ihrer Eingebundenheit i n den geschichtlichen Wandel zu vollbringen vermag, ist ein Problem, dem sich jedes Verfassungsverständnis stellen muß. Das „dynamische" Verständnis deckt die Frage lediglich m i t aller Deutlichkeit auf und fordert damit ausdrücklich zur Stellungnahme heraus, während das „statische" Verständnis eine solche scheinbar erübrigt, weil es die Frage infolge der Annahme eines geschlossenen Verfassungssystems für beantwortet hält. Die Allgemeinheit des Problems t r i t t klar hervor, wenn die durch den unvermeidbaren geschichtlichen Wandel bedingten Leistungsgrenzen der Verfassung näher ins Blickfeld gerückt werden, von denen entscheidende Hinweise für die Leistungsfähigkeit der Verfassung zu erwarten sind. Die Leistungsgrenzen ergeben sich aus der Realitätsbezogenheit und der Realisierungsbedürftigkeit der Verfassung 78 . Zwar „ g i l t " die Verfassung als Normordnung unabhängig von ihrer tatsächlichen Befolgung oder Mißachtung 7 9 ; auf die Dauer kann sie ihre Ordnungsaufgabe jedoch nur erfüllen, wenn sie die überwiegende Anerkennung derer findet, die sich nach ihren Bestimmungen richten sollen 80 . Uberwiegen hingegen die 73 Gegen einen Mißbrauch des Verfassungsrechts durch „Dynamisierung" wendet sich insbesondere Kägi, Verfassung, 82 f., 91 - 93. 74 Ehmke, Verfassungsinterpretation, 56; Hesse, Verfassungsrecht, 12; K r ü ger, Verfassungswandlung, 159. 75 Hesse (Anm. 74), 8. 76 Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 62; Grimm, AöR 1972, 500. 77 Hierauf macht insbesondere Böckenförde, N J W 1976, 2097 - 2099, aufmerksam. 78 Vgl. auch G r i m m , AöR 1972, 501, der zwischen „Realitätsbezug" u n d „ V o l l zugsbedürftigkeit" der Verfassung unterscheidet. 79 Dazu H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 20. 80 Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, 14; Krüger, Staatslehre. 702 f.

5. Stabilisierung durch Verfassungstext u n d -praxis

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Verf assungsverletzungen, so verliert die Verfassung insgesamt an Glaubwürdigkeit und büßt ihre Ordnungskraft allmählich ein. Die „normative K r a f t der Verfassung" 81 beruht deshalb i m wesentlichen auf der Gefolgsbereitschaft, die ihr als Normordnung entgegengebracht wird. Dieser „ W i l l e zur Verfassung" 82 hängt wiederum eng m i t der Realisierungsmöglichkeit der Normanforderungen zusammen 83 . Allgemeine Leistungsgrenzen der Verfassung lassen sich aus diesen Gründen nur i n begrenztem Umfang auffinden und sind dementsprechend wenig aussagekräftig, wie etwa die beschränkte Voraussehbarkeit künftiger Entwicklungen 8 4 , die mangelnde sprachliche Ausdrucksfähigkeit 8 5 oder die Unmöglichkeit, „die schöpferisch gestaltenden Entscheidungen vorwegzunehmen" 86 . Uberwiegend beruhen die Leistungsgrenzen der Verfassung, wie auch das zuletzt genannte Beispiel andeutet, auf sachlichen Gründen, die sich aus den Besonderheiten der konkreten Verfassung und ihrer „ U m w e l t " ergeben 87 . So besteht zwischen Bestimmtheit der Verfassungsnormierung und ihrer Dauerhaftigkeit i n der Zeit oder ihrer Ausrichtung auf das Grundsätzliche zwar ein gewisser Gegensatz, aber nicht i m Sinne einer ausschließenden Alternativität, sondern einer ausgleichenden Zuordnung 8 8 . Diese Erkenntnis kommt i n der üblichen Kennzeichnung der Verfassung als „rechtliche Grundordnung des Staates" 89 , „rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens" 90 , „rechtlich verbindliche Grundordnung staatlicher Gemeinschaft" 91 weniger deutlich zum Ausdruck als i n der Feststellung, die Verfassung sei i m Gegensatz zu einem geschlossenen System von Rechtsvorschriften lediglich „punktuelle Ordnung" 9 2 m i t einem „fragmentarischen und mehr oder weniger programmatischen Charakter" 9 3 , die „leitende Richtpunkte" 9 4 gebe und sich m i t „partiellen Eingrenzungen begnügen" 95 müsse. 81

Vgl. die gleichnamige Schrift von Hesse (Anm. 80), passim. Hesse (Anm. 80), 12. 83 Grimm, AöR 1972, 503 m. w . N.; ferner Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 35, 37; Häfelin, Verfassungsgebung, 104; Krüger, Verfassung, 77. 84 Dazu Bäumlin, Recht, Staat u n d Geschichte, 45 f. 85 Dazu H. Huber, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 340. 86 B ä u m l i n (Anm. 84), 13. 87 Vgl. auch die Beispiele bei G r i m m , AöR 1972, 501 - 504. 88 Hesse, Verfassungsrecht, 16; Häfelin, Verfassungsgebung, 111 f. 89 So der T i t e l der Schrift von K ä g i (1945). 90 Hesse, Verfassungsrecht, 11. 91 Häfelin, Verfassungsgebung, 100, i m Anschluß an Kägi, Verfassung, 9. 92 Häfelin (Anm. 91), 116. 93 H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 22. 94 Hesse, Verfassungsrecht, 14; Scheuner, AöR 1970, 364. 95 H. Huber, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 335, i m Anschluß an Scheu82

3 Magiera

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

Diese bescheidenen Umschreibungen bringen die nicht unerheblichen Leistungsgrenzen der Verfassung unverhüllt auf einen knappen Nenner und lassen die entsprechend beschränkte Leistungsfähigkeit der Verfassung erkennen. Wie die bisherigen Erörterungen gezeigt haben, empfängt die Verfassung, soll sie über ihre normative Geltung hinaus die notwendige tatsächliche Beachtung und Befolgung finden, ihre Kraft für die zu leistende rechtliche Stabilisierung nicht einfach aus einer vorfindlichen Wertordnung oder einer positiven Normsetzung, sondern nur aufgrund einer komplexen Verbindung zwischen Normentstehung und Normbefolgung einerseits sowie Normbestimmtheit andererseits. Für die Verfassungsverbindlichkeit erhält damit das Verhältnis von Verfassungstext und Verfassungspraxis entscheidende Bedeutung 9 6 . Die Leistungsfähigkeit des Verfassungstextes für die rechtliche Stabilisierung durch die Verfassung darf weder aufgrund eines positivistisch-systematischen Verfassungsverständnisses überschätzt noch aufgrund eines topisch-punktuellen Verfassungsverständnisses unterschätzt werden 9 7 . Der Verfassungstext läßt sich nicht m i t der Verfassungsnorm gleichsetzen, wie sich umgekehrt die Verfassungsnorm nicht ohne den niedergelegten Verfassungstext bestimmen läßt 9 8 . Die Verfassungsnorm steht nicht als Entscheidungsnorm „an sich" und allgemein bereit, um nur auf den Einzelfall „angewendet" zu werden 9 9 , sondern muß für den Einzelfall aus dem i m Verfassungstext enthaltenen „Normprogramm" und dem von diesem i n der zu ordnenden Wirklichkeit (dem „Sachbereich") vorgeprägten „Normbereich" gewonnen werden 1 0 0 . Dabei bildet der Normtext, der m i t den herkömmlichen Interpretationsmitteln auszulegen ist, insofern eine Grenze, als über ein sinnvolles Verständnis seines Wortlauts nicht hinausgegangen werden darf 1 0 1 . Als rechtliche Grundordnung, die sich i m geschichtlichen Wandel dauerhaft bewähren ner, Der Bereich der Regierung, 282; vgl. auch Scheuner, Normative Gewährleistungen, 324: „Teilaussagen". 96 Die teilweise berechtigte K r i t i k von Hennis, Verfassung u n d Verfassungsw i r k l i c h k e i t (1968), ändert nichts an dieser Problematik; vgl. dazu auch die Besprechung v o n Böckenförde, Der Staat 1970, 535. 97 Z u r wechselseitigen Durchdringung von systematischem u n d topischem Denken vgl. allgemein Canaris, Systemdenken u n d Systembegriff, 151 -154; i m übrigen F. Müller, Juristische Methodik, 77-85, 153- 156; Hesse, Verfassungsrecht, 19, 2 5 - 3 1 ; auch Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 195. 98 Vgl. F. M ü l l e r (Anm. 97), 107 f., 120 f., 139; auch Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 50, der den Zusammenhang zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Verfassungsrecht hervorhebt. 99 So auch H i n d e r l i n g (Anm. 97), 178 f. 100 Terminologie nach F. Müller, insbesondere i n N o r m s t r u k t u r u n d Normat i v i t ä t (1966), die — trotz geäußerter K r i t i k i m einzelnen (vgl. dazu die Besprechung von Denninger, AöR 1969, 336 - 340) — insgesamt weiterführende Ansätze enthält; vgl. etwa Fiedler, Sozialer Wandel, 51 - 5 3 , 105; Hesse, V e r fassungsrecht, 19, 27 f.; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 21.

5. Stabilisierung durch Verfassungstext u n d -praxis

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soll, verfügt die Verfassung i m Vergleich zu anderen Gesetzen über eine geringere „Textdichte", so daß ihr Wortlaut eher eine negativ ausschließende als eine positiv bestimmende Funktion ausübt 1 0 2 . Verbindliche Festlegungen durch den Verfassungstext erfolgen weniger durch Ausgestaltung i m einzelnen als durch Niederlegung allgemeiner Leitprinzipien, Grundsätze und Zielbestimmungen 1 0 3 , die teilweise — etwa i n den Grundrechten — eine größere Verdichtung erfahren können, sowie durch Einrichtung von Organen und Verfahren, durch die jene materiellen Richtlinien näher auszuführen sind 1 0 4 . Wegen der erörterten Besonderheiten der Verfassung als „rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel" sind einer Perfektionierung des Verfassungstextes und der Textinterpretation Grenzen gesetzt 105 , obwohl selbstverständlich auch das Verfassungsgesetz auf eine sorgfältige Abfassung seines Wortlauts angewiesen ist. Es geht jedoch nicht i n erster Linie u m Fragen eines mangelhaften — weil etwa unklaren — Wortlauts, sondern um das tieferliegende Problem eines weiten und darum mehrdeutigen Wortlauts, dessen Normprogramm nicht beliebig verdichtet werden kann, wenn die Verfassung i m geschichtlichen Wandel bestehen soll l o e . Andernfalls müßte der Verfassungstext, sobald sich verschiedene, miteinander unvereinbare Verhaltensweisen als von i h m gleichermaßen gedeckt herausstellen, ergänzt oder abgeändert werden, so daß die Verfassung zu einer A r t „Eisenbahnfahrplan" oder „Grundbuch" herabsinken und gerade das Gegenteil der erstrebten rechtlichen Stabilisierung bewirken würde 1 0 7 . Jede Interpretationsfrage ließe sich so i n ein Problem der Verfassungs(text)änderung oder -ergänzung um101 Hesse, Verfassungsrecht, 30; ders., Verfassungswandlung, 139 f.; Fiedler (Anm. 100), 2 2 - 2 5 ; Häberle, J Z 1975, 303; ders., ZfP 1974, 134; F. M ü l l e r (Anm. 97), 83, 153 -156; ders. (Anm. 100), 160 f.; a. A . Ehmke, Verfassungsinterpretation, 60, zu BVerfGE 2, 347, 374 f.; skeptisch H. Huber, Über die Konkretisier u n g der Grundrechte, 198 f.; Böckenförde, N J W 1976, 2096 („Zirkelschluß"). 102 Dazu F. M ü l l e r (Anm. 97), 150 - 153. 103 Vgl. dazu etwa Contiades, Staatsstrukturbestimmungen, 81 - 122; H.-P. Schneider (Anm. 100), 22; Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 240 - 243. 104 Vgl. ζ. B. Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 23 f., 26 f.; Häberle, ZfP 1974, 118 f.; Häfelin, Verfassungsgebung, 117; Hesse, Verfassungsrecht, 13; Rauschning, Verfassungsrecht, 13 f., 37 f.; Scheuner, AöR 1970, 364; ders., N o r mative Gewährleistungen, 324-327; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 50. 105 Z u den „Grenzen des Perfektionierbaren" vgl. Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 46; auch Badura (Anm. 104), 20. 106 Dazu auch F. Müller, Juristische Methodik, 150 - 153 ; Hinderling, Rechtsn o r m u n d Verstehen, 177, 193; Tomuschat (Anm. 104), 70; B ä u m l i n (Anm. 105), 10. 107 Diese anschaulichen Kennzeichnungen finden sich bei Hennis, Verfassungsrecht u n d Verfassungswirklichkeit, 56; ders., Richtlinienkompetenz, 41; zu Hennis vgl. auch oben, A n m . 96.



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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

münzen 1 0 8 . Abgesehen von der Frage, was geschehen sollte, wenn die dafür erforderlichen Mehrheiten nicht zustande kämen, bliebe vor allem offen, an welchen Maßstäben sich Änderung und Ergänzung auszurichten hätten, u m nicht i n willkürliche Dezision zu verfallen. Der Verfassungstext kann nach alledem für die rechtliche Stabilisierung nur die relative Wirksamkeit eines äußeren Rahmens für die Verfassung entfalten, der auf immerwährende Vervollständigung angewiesen ist und deshalb regelmäßig mehr als nur eine „vertretbare" Lösung von Einzelproblemen zuläßt 1 0 9 . Damit gewinnt die Frage der Ausgestaltung dieses Rahmens durch den praktischen Umgang 1 1 0 m i t der Verfassung hervorragende, ja entscheidende Bedeutung für die rechtliche Stabilisierung durch Verfassungsverbindlichkeit 1 1 1 . Ein Verfassungsverständnis, das sich darauf beschränken wollte, lediglich den äußeren Rahmen der nach dem Verfassungstext möglichen Verhaltensweisen abzustecken, wäre zwar „ i n sich" schlüssig, würde aber angesichts der Weite des Verfassungstextes zur rechtlichen Stabilisierung der tatsächlichen Verhältnisse nur wenig beitragen 1 1 2 . Mehrere m i t dem Verfassungstext vereinbare Verhaltensweisen können durchaus nebeneinander bestehen, ohne i n K o n f l i k t geraten zu müssen. Schließen sie sich aber gegenseitig aus, so genügt es nicht, wenn sie alle nach dem Verfassungstext für möglich und zulässig bezeichnet werden, sondern es muß eine Entscheidung getroffen werden 1 1 3 . Gelingt diese nicht mit Hilfe der Verfassung und aufgrund eines verfassungsgestützten Entscheidungsverfahrens, so fällt sie außerhalb der Verfassung und dam i t i m „rechtsfreien" Bereich, d. h. aufgrund faktischer Durchsetzungskraft 114. Diese Konsequenz, der das positivistisch-systematische Verfassungsverständnis erlag, ergibt sich nicht für den hier zugrunde gelegten Ansatz, 108 So i n der Tat die schwedische Verfassung von 1809 (Art. 83 f.). — Letztlich ist der „Verfassungswandel" deshalb ein Interpretationsproblem; vgl. H ä berle, ZfP 1974, 129 f.; auch Ehmke, Verfassungsinterpretation, 68; aber auch Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 35 ; allgemein u n d umfassend zum Verfassungswandel vgl. Hesse, Verfassungswandlung (1973); Fiedler, Sozialer Wandel (1972); Lerche, Stiller Verfassungswandel (1971). 109 Krüger, Verfassungsvoraussetzungen, 302; Hesse, Verfassungsrecht, 15; F. M ü l l e r (Anm. 106), 154 f. 110 Diese weite Fassung rechtfertigt sich angesichts Häberles Erkenntnis von der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" (vgl. den T i t e l seines Beitrags i n J Z 1975). 111 Dazu auch Böckenförde, N J W 1976, 2099. 112 Dazu Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis, 12 f., i n kritischer Auseinandersetzung m i t der „Reinen Rechtslehre". 113 Z u m Entscheidungszwang vgl. Häberle, AöR 1974, 451 m i t A n m . 63; Albert, Kritische Vernunft, 180. 114 Methodisch entsteht eine „Einbruchstelle für (verdeckte) interpretatorische Beliebigkeit" (Böckenförde, N J W 1976, 2091).

5. Stabilisierung durch Verfassungstext u n d -praxis

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der i n der Verfassungsnorm ein Zusammenwirken von Normprogramm und Normbereich erblickt. Danach stellt die relative Unbestimmtheit des Textes keinen Mangel, sondern ein besonderes Kennzeichen der Verf assungsform dar, die auf Ausgestaltung und Vervollständigung durch die Praxis angelegt und angewiesen ist 1 1 5 . I n den Bereich des Verfassungsrechts gehören deshalb auch solche Fragen und Probleme, die der Text nur andeutungsweise behandelt und deren Lösung der Verfassungspraxis zufällt 1 1 6 . Außerhalb (textlicher) Bestimmtheit herrscht weder Verfassungs-Rechtslosigkeit noch entspricht dem Grad der Bestimmtheit des Verfassungstextes eine Abstufung zwischen mehr oder weniger w i r k samem Verfassungs-Recht 117 . Dies gilt für den Bereich materieller Verfassungsnormen, etwa die Grundrechte, ebenso wie für den hier i m Vordergrund stehenden Bereich organisatorischer Verfassungsnormen, insbesondere die Aufgabenabgrenzung zwischen Parlament und Regierung. Soweit der Verfassungstext keine eindeutige Festlegung enthält, muß das m i t der Wahrnehmung von Aufgaben betraute Staatsorgan seinen Kompetenzbereich zunächst selbst abstecken 118 . Die Praxis der Staatsorgane w i r d damit zu einem Stück Verfassungsinterpretation i n dem Sinn, daß die Staatsorgane zur näheren Ausgestaltung der Verfassungsnorm beitragen. Beteiligt daran sind nicht nur das dazu ausdrücklich berufene Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber, der ebenfalls — vor allem durch die „Gesetzgebungsaufträge" 119 — besonders hervorgehoben ist, sondern alle von oder aufgrund der Verfassung m i t Aufgaben betrauten Staatsorgane 120 . Diese „Eigeninterpretation" 1 2 1 gehört zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben der Staatsorgane und steht damit nicht i m verfassungsfreien Raum, sondern unterliegt den verfassungsrechtlichen Schranken. Diese werden offenbar, sobald die Praxis eines Staats115 Vgl. auch Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 177; Böckenförde, N J W 1976, 2099. 118 Scheuner, Politische Koordination, 899. 117 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 50; Krüger, Verfassungsvoraussetzungen, 302 m i t A n m . 45; vgl. auch Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 3 1 - 3 4 ; B u l l , Staatsauf gaben, 128; Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 250. 118 Vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, 199 f.; Tomuschat (Anm. 117), 134. 119 Dazu Wienholtz, Normative Verfassung (1968); Lerche, AÖR 1965, 341372; auch Denninger, J Z 1966, 767-772; Häfelin, Verfassungsgebung, 9 7 - 9 9 ; Scheuner, Normative Gewährleistungen, 330 - 332; ferner unten, Kap. I I 4 b cc. 120 Vgl. auch Hesse (Anm. 118), 32 f.; B ä u m l i n (Anm. 117), 31; Lerche, DVB1. 1961, 693; Achterberg, Der Staat 1969, 16Q; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 68; Häberle, J Z 1975, 299; Isensee, N J W 1977, 550. 121 Tomuschat (Anm. 117), 94, 134; Häberle, J Z 1975, 298, 300, 303; F. Müller, Juristische Methodik, 1391; vgl. auch Rauschning, Verfassungsrecht, 76, der die Aufgabe der „Verfassungssicherung" zutreffend bei allen Staatsorganen u n d nicht n u r einem besonderen „ H ü t e r der Verfassung" sieht.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen f ü r Parlament u. Staatsleitung

organs etwa Zweifel über die Einhaltung des äußeren Rahmens des möglichen Verfassungstextverständnisses oder über die Kompetenzabgrenzung zu einem anderen Staatsorgan auslöst. Soll die Lösung nicht der „normativen K r a f t des Faktischen" überlassen werden, was letztlich zur Aufgabe des Verfassungsrechts als leitender Maßstab und zur Freisetzung der Staatspraxis von verfassungsrechtlichen Bindungen führen würde, so muß eine A n t w o r t auf die Frage nach der rechtlich „richtigen" Entscheidung i n derartigen Zweifelsfällen gefunden werden.

6. Rechtsgewißheit und Entscheidungsbindung Die bisherigen Erörterungen haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Verfassung keine Rechtsgewißheit i m Sinne absolut richtiger Entscheidungen und ewiger Wahrheit vermitteln kann 1 2 2 . Weder läßt sich die Verfassung auf eine vorfindliche Wertordnung zurückführen, noch der Verfassungstext zu einem geschlossenen Wertsystem verdichten, woraus i m Einzelfall sichere und eindeutige Entscheidungen ableitbar wären 1 2 3 . Die Entscheidung über die Verfassung, aber auch die Entscheidungen unter der Verfassung unterliegen stets und unentrinnbar menschlicher Verantwortlichkeit 1 2 4 . Damit w i r d aber weder das Verfassungsrecht noch das Recht unter der Verfassung notwendig zur voraussetzungslosen und willkürlichen Dezision. Hebt die Verfassung die Entscheidungsfreiheit und die Entscheidungslast auch nicht auf, so beschränkt sie diese doch. Dies geschieht einmal durch den Verfassungstext selbst, indem er Organe, Verfahren und materielle Leitlinien festlegt, und zum anderen durch die Verfassungspraxis, indem diese den vom Verfassungstext festgelegten, äußeren Rahmen näher ausgestaltet. Soweit der Verfassungstext keine materiell eindeutigen Bestimmungen trifft, w i r d die Verfassungspraxis rechtsschöpferisch tätig, ist dabei allerdings der Gesamtaufgabe der Verfassung verpflichtet, rechtliche Stabilisierung i m geschichtlichen Wandel zu gewährleisten und zu fördern 1 2 5 . 122

Vgl. auch Häberle, AöR 1974, 450. Z u r begrenzten Anwendbarkeit der L o g i k vgl. F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 40-46; Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, 15; E h m ke, Verfassungsinterpretation, 71; Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 20 f.; B ä u m l i n (Anm. 117), 30; auch Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 205 f.; Ossenbühl, D Ö V 1965, 661. — Z u m Mangel einer eindeutigen Präferenzordnung vgl. W. Schmidt, Organisierte E i n w i r k u n g e n auf die Verwaltung, 196. 124 Häberle, AöR 1974, 442. 125 Dazu Häberle, J Z 1975, 300 m i t A n m . 42; auch Böckenförde, N J W 1976, 2099; Rauschning, Verfassungsrecht, 38. 123

6. Rechtsgewißheit u n d Entscheidungsbindung

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Die Verfassungspraxis darf deshalb weder zu einer Erstarrung der Verfassung führen noch die Ausgestaltung willkürlichem Dezisionismus überantworten. Das erstere wäre der Fall, wenn eine m i t dem Verfassungstext vereinbare Praxis zur „Festschreibung" — etwa i m Sinne einer Bildung von Verfassungsgewohnheitsrecht — gerade dieser Ausgestaltung führen w ü r d e 1 2 6 ; das letztere, wenn eine m i t dem Verfassungstext vereinbare andere Praxis jederzeit und ohne weitere Voraussetzung an die Stelle der zunächst geübten Praxis treten könnte 1 2 7 . Die erste A l ternative berücksichtigt nicht, daß die Offenheit und relative Unbestimmtheit des Verfassungstextes eine stete Anpassungsfähigkeit der Verfassung an die sich ändernden Umweltbedingungen ermöglichen und erhalten soll; das aber würde durch eine „endgültige" Ausgestaltung vereitelt werden („geschlossenes Verfassungssystem durch Verfassungspraxis"). Die zweite Alternative vernachlässigt die Aufgabe der Verfassung zur rechtlichen Stabilisierung, die nicht erfüllbar ist, wenn die Praxis sich zwar i m Rahmen des Verfassungstextes hält, aber jederzeit und ohne nähere Voraussetzungen auch grundlegend ändern kann („Dezisionismus durch Verfassungspraxis"). Die Verfassungspraxis muß sich deshalb innerhalb dieser beiden m i t der Verfassung als „rechtlicher Grundordnung i m geschichtlichen Wandel" nicht vereinbaren Alternativen halten, ohne dem einen oder dem anderen Extrem zu verfallen. Ob die Praxis des einzelnen Staatsorgans lediglich als rechtliches „Indiz" w i r k t oder ob sie den Einzelfall rechtlich „endgültig" regelt, hängt von der verfahrensrechtlichen Zuordnung der Organe durch die Verfassung ab 1 2 8 . I m Zweifel hat das Bundesverfassungsgericht zwar das „letzte Wort" über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Praxis von Staatsorganen 129 . Aber auch das Bundesverfassungsgericht steht nicht über oder außerhalb der Verfassung 130 . Es soll 128 Gegen Verfassungsgewohnheitsrecht überhaupt Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 132 f., 142 f., 144, 145 u n d passim; auch Häberle, AöR 1974, 443 m i t A n m . 37; vgl. ferner Contiades, Staatsstrukturbestimmungen, 116 (Gefahr der Zementierung des Verfassungsrechts durch einfaches Recht) ; Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis, 3 2 - 3 5 (Versteinerung); vgl. auch — zum einfachen Recht — Soell, Ermessen, 177. 127 Dazu auch Lerche, Stiller Verfassungswandel, 285 -291 ; Dürig, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, Grundgesetz-Kommentar, A r t . 3 Abs. 1, Randnr. 219 225 (Grenzen f ü r den Gesetzgeber). — Einen gewissen Schutz bietet auch die einfache Tatsache, daß i n einer umfänglich positivierten Rechtsordnung „ z w a r alles Recht durch Entscheidung geändert werden (kann), aber nicht alles auf einmal" (Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 149). 128 Dazu Tomuschat (Anm. 126), 94 f., 138 - 141. 129 Daran ändern „Vermutungen" zugunsten eines verfassungsmäßigen H a n delns anderer Verfassungsorgane, z . B . des Gesetzgebers, nichts; vgl. dazu etwa Ossenbühl, D Ö V 1972, 30. 180 Zutreffend w i r d daher die besondere F u n k t i o n des Bundesverfassungsgerichts i n neuerer Zeit als Kompetenzproblem gesehen; vgl. dazu Böckenförde, N J W 1976, 2099; J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 196 - 206.

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

nicht nur überhaupt oder abschließend, sondern vor allem i m Einklang m i t der Verfassung entscheiden 131 . Isoliert betrachtet bietet auch die Verfassungsgerichtsbarkeit keinen Schutz gegen einen (richterlichen) Dezisionismus durch Verfassungspraxis 132 . Ein solcher Schutz kann nur, wenn auch unvollkommen, durch die Gesamtheit der einzelnen Stabilisierungselemente erreicht werden, die die Verfassung zur Verfügung stellt 1 3 3 . Bestimmt der Verfassungstext den äußeren, unübersteigbaren Rahmen, so legt die Verfassungspraxis die nähere Ausgestaltung fest. Soll sie dabei ihre Aufgabe nicht verfehlen, rechtliche Stabilisierung i m geschichtlichen Wandel zu gewährleisten, so muß die einmal gewählte Ausgestaltung als die verfassungsgemäße gelten, wenn sie sich i m Rahmen des Verfassungstextes hält und solange sie sich i n dem vom Verfassungstext festgelegten Verfahren behauptet 1 3 4 . Dieses Verfahren ist gekennzeichnet durch seine Offenheit und seine Gliederung 1 3 5 . Die Offenheit des Verfahrens steht nicht der endgültigen Entscheidung von Einzelfällen entgegen, wohl aber der endgültigen Lösung der dahinter stehenden allgemeinen Verfassungsprobleme 136 . Da keine absoluten Wahrheiten erkennbar, jedenfalls nicht nachweisbar sind, kann es keine abschließenden Antworten geben, sondern nur vorläufige Teilantworten 1 3 7 . Daraus ergibt sich ein ständiger Prozeß des Suchens und Findens, des Festlegens und des wieder Infragestellens. Die Gliederung des Verfahrens verleiht der Offenheit Gestalt und dient da131 Vgl. dazu Ehmke, Verfassungsinterpretation, 71; Hesse, Verfassungswandlung, 125; auch Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, der von einem „absoluten Rang" der Rechtsmeinung des Bundesverfassungsgerichts über das richtige Verständnis der Verfassung spricht (141), sieht das Richterrecht „dem ständigen dialektischen Prozeß von t r i a l and error ausgesetzt" (142). 132 Vgl. auch Häberle, J Z 1975, 300 f.; Starck, Gesetzesbegriff, 232 f. 133 Vgl. auch Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 37, der eine grundsätzliche Unterscheidung von formellem u n d materiellem Recht ablehnt. 134 Dazu Kriele, Rechtsgewinnung, 191 -194 („Reflexion u n d Dezision"); ders., Staatslehre, 144 f.; D ü r i g (Anm. 127), Randnr. 210 ( „ t r i a l and error" = „Versuch u n d I r r t u m " ) ; Häberle, J Z 1975, 302f. u n d passim; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 142; ferner Steinberger, Freiheitliche Demokratie, 264; Göldner, Integration u n d Pluralismus, 81 - 85. 135 Näher zur Bedeutung des Verfahrens f ü r die Verfassungsordnung: B ä u m l i n (Anm. 133), 36 f.; Häberle, AöR 1974, 450; zur Offenheit: Häberle, Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß — ein Pluralismuskonzept (1978); ders., AöR 1974, 454, 461; ders., ZfP 1974, 116, 119 f.; Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 278 - 291; Starck, Gesetzesbegriff, 233. 136 Dazu K r i e l e (Anm. 134), 192 f.; B ä u m l i n (Anm. 133), 30; Häberle, ZfP 1974, 125. — Diese allgemeine Offenheit erschwert auch die Suche nach einer „Verfassungstheorie, die verbindliche (!) Leitgesichtspunkte u n d darauf gegründete dogmatische Strukturen f ü r die Interpretation abzugeben vermag" (so das Ziel von Böckenförde, N J W 1976, 2098). 137 B ä u m l i n (Anm. 133), 24 f., 30 u n d passim; auch Steinberger, Freiheitliche Demokratie, 264: „Annäherungslösungen".

6. Rechtsgewißheit u n d Entscheidungsbindung

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zu, den kontinuierlichen Entscheidungsprozeß berechenbar zu machen und damit gegenüber einer beliebigen Aneinanderreihung willkürlicher Dezisionen des Entscheidungsberechtigten — sei dieser ein einzelner, eine Minderheit oder eine Mehrheit — abzuheben. Mangels vorfindlicher Antworten und Ergebnisse muß das verfassungsrechtliche Verfahren einerseits so offen sein, daß möglichst viele und möglichst unterschiedliche Vorstellungen i n den Entscheidungsprozeß einfließen, andererseits so gegliedert, daß sich keine einzelne Vorstellung unter Umgehung des Entscheidungsprozesses unmittelbar durchsetzen kann 1 3 8 . Nur i n der Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen vermag eine Vorstellung — vorläufige — Anerkennung als Teilantwort zu erlangen, die so lange als — relativ — richtige Entscheidung gilt, wie sie nicht i n der weiteren Auseinandersetzung von einer neuen, wiederum nur relativ richtigen Entscheidung abgelöst w i r d 1 3 9 . Die Vorläufigkeit der Antworten sowie die Offenheit und die Gliederung des Verfahrens machen es erträglich, daß eine Entscheidungsbindung nicht nur bei allgemeiner Anerkennung eintritt, sondern auch bei sich widersprechenden Vorstellungen. W i r d i n diesen Fällen die hic et nunc — etwa durch das Bundesverfassungsgericht als „letzte Instanz" — zu fällende Entscheidung auf die „ständige" Praxis der Staatsorgane oder die „herrschende" Meinung 1 4 0 i n der Wissenschaft gestützt 1 4 1 , so steht damit nicht fest, daß diese Praxis oder diese Meinung i n einem absoluten Sinn „richtiger" ist als eine dagegen vorgebrachte Ansicht. Auch eine noch so lange geübte Praxis oder eine noch so weit verbreitete Meinung ist keine Gewähr gegen Mißbrauch oder Irrtum. I n einem of fenen Prozeß geistiger Auseinandersetzung spricht jedoch die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich auf die Dauer die relativ richtigere Auffassung nicht unterdrücken läßt 1 4 2 , sondern durchsetzen wird. Bis dahin bilden jedoch die i n dem offenen und gegliederten Verfahren geübte Praxis und herrschende Meinung die verläßlichere Grundlage für den erforderlichen Verfassungskonsens 143 . 138 Vgl. auch Häberle, J Z 1975, 302: „Bürger" statt „ V o l k " als Verfassungsinterpret; ders., AöR 1974, 452; vgl. auch Lerche, Stiller Verfassungswandel, 289, der sich gegen einen „Verfassungswandel durch Besserwissen" wendet; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 172 f. 189 Vgl. dazu Steinberger (Anm. 137), 263-267; Häberle, J Z 1975, 302 f. m i t A n m . 68 f.; ders., J Z 1977, 244; ders., AöR 1974, 450 m i t A n m . 59; Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis, 102 f. („Richtigkeit k r a f t Dialog"). 140 Dazu Schnur, Der Begriff der herrschenden Meinung i n der Rechtsdogm a t i k (1967). 141 Vgl. dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 67 ; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 71 f.; Hinderling, Rechtsnorm u n d Verstehen, 189, 205 f.; Häberle, ZfP 1974, 117; Hesse, Verfassungrecht, 10; Ossenbühl, D Ö V 1965, 661; W i m m e r (Anm. 139), 103. 142 Vgl. insbesondere Steinberger (Anm. 137), 264 f. 143 Vgl. Kriele, Staatslehre, 144: „ V e r m u t u n g zugunsten der Vernünftigkeit

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I. Das Grundgesetz — Bezugsrahmen für Parlament u. Staatsleitung

Vermag die Verfassung nach alledem nur relative Entscheidungsrichtigkeit, nur begrenzte Rechtsgewißheit zu gewährleisten, so bietet sie doch Schutz gegen eine Auflösung der Normativität durch die Faktizität und gegen einen voraussetzungslosen Dezisionismus. Rechtliche Stabilisierung i m geschichtlichen Wandel bewirken dabei die i m Verfassungstext niedergelegten materiellen Leitlinien ebenso wie die darin vorgesehenen Organe und Verfahren. Innerhalb der vom Verfassungstext festgelegten Grenzen ist die Verfassungspraxis berufen, das Verfassungsrecht näher auszugestalten. Die einmal gewählte Ausgestaltung gilt als die verfassungsgemäße, soweit und solange sie sich i m offenen und gegliederten Verfassungsverfahren — vor allem i n ständiger Praxis und mit Billigung der herrschenden Meinung — bewährt und behauptet.

des geltenden Rechts"; i m Ergebnis, w e n n auch m i t anderer Begründung, ähnlich Doehring, Der Autoritätsverlust des Rechts, 111. — W a n n Konsens vorliegt, v o r allem w i e er zu messen ist, bleibt i n der L i t e r a t u r bisher offen; vgl. die Nachw. bei Goerlich, Wertordnung u n d Grundgesetz, 175 m i t A n m . 844; ferner H i n d e r l i n g (Anm. 141), 205 f.; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 71 f.; Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 18; neuestens insbesondere Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, der zutreffend hervorhebt, daß Konsens zwar i n allen Staatsformen seinen Platz hat, aber n u r i n der Demokratie über eine passive Annahme u n d Anerkennung hinausgelangt u n d — indem er sich auf permanente Zustimmung u n d M i t w i r k u n g aller Bürger gründet — konstitutive Bedeutung erlangt (67) ; vgl. auch Isensee, N J W 1977, 550.

Zweites

Kapitel

Staatsleitung als Verfaeeungeaufgabe

Aufgaben und Befugnisse des Bundestages haben i m Grundgesetz eine nur umrißhafte Ausgestaltung erfahren, deren Vorzüge und Nachteile miteinander konkurrieren. Der besseren Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden Hegelungsbedürfnisse der staatlichen Gemeinschaft steht eine Unsicherheit über den Umfang und Inhalt der Parlamentskompetenzen i m einzelnen gegenüber. Dies gilt insbesondere i m Verhältnis zu dem i m Grundgesetz gleichermaßen knapp geregelten Bereich der Bundesregierung. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen vor allem bei den staatsleitenden Aufgaben, für deren Wahrnehmung grundsätzlich beide Verfassungsorgane, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, geeignet erscheinen — das Parlament aufgrund seiner unmittelbaren Legitimation durch die Volkswahl, die Regierung aufgrund ihrer umfassenden Sachkenntnis. Bevor i n den weiteren Kapiteln der Versuch unternommen werden kann, den Anteil des Parlaments an der Staatsleitung näher zu bestimmen, müssen jedoch i n diesem und dem nächsten Kapitel zunächst der Bereich der Staatsleitung i m demokratischen und sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes abgesteckt und die Strukturunterschiede zwischen Parlament und Regierung herausgearbeitet werden, um auf diese Weise eine tragfähige Grundlage für eine verfassungsrechtlich begründete Aufgabendifferenzierung und -Zuordnung zu gewinnen. Das Grundgesetz enthält seinem Wortlaut nach den Begriff der Staatsleitung nicht, so daß i m vorliegenden Kapitel die Ausgangsfrage beantwortet werden muß, ob und inwieweit die Verfassung einen Bereich der Staatsleitung der Sache nach überhaupt anerkennt. U m Aufschluß darüber zu erlangen, ist ein näheres Eingehen auf die Regelung der Staatsgewalt i m Grundgesetz erforderlich, da Staatsleitung nur als ein Teilbereich der Staatsgewalt i n Betracht kommt. Damit stellt sich die weitere Frage nach dem Rechtscharakter der Staatsleitung und ihrer A b grenzung von anderen Teilbereichen der Staatsgewalt. I m einzelnen ist deshalb zunächst auf den Begriff der Staatsleitung, insbesondere auf seine Abgrenzung zum Begriff der Regierung, einzu-

I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

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gehen (Abschnitt 1). Dies macht einen knappen Rückblick auf die verfassungsrechtliche Entwicklung der beiden Begriffe erforderlich (Abschnitt 2). Sodann muß untersucht werden, ob und inwieweit die Staatsleitung i m modernen, technisch und rechtlich ausdifferenzierten Staat überhaupt notwendig ist (Abschnitt 3), ferner ob und welche Bindungen für die Staatsleitung bestehen (Abschnitt 4) und schließlich wie sich die Staatsleitung von anderen Verfassungsaufgaben abgrenzt (Abschnitt 5).

1. Zur Abgrenzung von Staatsleitung und Regierung a) Begriffsbildung

des Grundgesetzes

'

Insbesondere i n den zentralen Bestimmungen des Grundgesetzes über das Verhältnis von Staat und einzelnem sowie über die Grundlagen der staatlichen Rechtsordnung finden sich Hinweise auf „die Staatsgewalt" und deren Untergliederung i n Teilgewalten. A u f die Staatsgewalt als Ganzes w i r d Bezug genommen, wenn es heißt, „(a)lle Staatsgewalt" gehe vom Volke aus (Art. 20 I I 1) oder die Würde des Menschen zu achten und zu schützen sei Verpflichtung „aller staatlichen Gewalt" (Art. 1 I 2). Als Teilbereiche der Staatsgewalt werden bezeichnet die „Gesetzgebung", die „vollziehende Gewalt" und die „Rechtsprechung", die „durch besondere Organe" ausgeübt werden (Art. 1 I I I ; 20 II, III), nicht jedoch ein besonderer Bereich der „Staatsleitung". Der Wortlaut des Grundgesetzes allein vermag die Frage nach der Staatsleitung allerdings nicht zu beantworten. Die angeführten Bestimmungen, die sich leicht vermehren ließen 1 , sind ebenso knapp wie grundlegend. Trotz ihrer großen Bedeutung für die Ausübung der staatlichen Gewalt (vgl. A r t . 79 I I I ) geben sie keine nähere Auskunft darüber, was unter den genannten Teilbereichen inhaltlich zu verstehen ist, wie sie gegeneinander abzugrenzen und einander zuzuordnen sind und welche Organe i m einzelnen m i t ihrer Wahrnehmung betraut sind. Damit bleibt nicht nur das Verhältnis dieser Teilbereiche untereinander und zur Staatsgewalt insgesamt offen, sondern auch die Frage nach einem besonderen Bereich der Staatsleitung. Entsprechend lebhaft und offen ist die Auseinandersetzung i n Wissenschaft und Praxis u m diesen Fragenkomplex, der i m allgemeinen unter dem Begriff der „Gewaltenteilung" erörtert wird, obwohl schon diese Bezeichnung als verbesserungsbedürftig angesehen wird 2 . Die Zurück1

Vgl. z. B. A r t . 50 I, 92,122 I GG. Nachweise bei Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, 11 m i t A n m . 3; Achterberg, Funktionenlehre, 109-112; Frotscher, Regierung, 215 m i t A n m . 75; Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 16 m i t A n m . 28. 2

1. Z u r Abgrenzung v o n Staatsleitung u n d Regierung

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haltung des Grundgesetzes bei der näheren Ausgestaltung und Festlegung von Inhalt und Grenzen der Teilbereiche staatlicher Gewalt erklärt sich aus der Annahme der Verfassungsgeber, daß es sich bei der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung u m Begriffe handle, über deren verfassungsrechtliche Bedeutung Klarheit und Einigkeit bestehe3. Eine solche Annahme war jedoch schon zur Zeit der A b fassung des Grundgesetzes nicht gerechtfertigt und hat sich aufgrund späterer Untersuchungen als immer weniger zutreffend erwiesen 4 . Der Begriff der Gewaltenteilung 5 besitzt keine A-priori-Bestimmtheit, auf die einfach zurückgegriffen werden könnte, sondern ist das Ergeb J nis der historisch-gewachsenen und bewußt-geformten konkreten Staatlichkeit. Dies gilt insbesondere unter dem Grundgesetz, das weder eine geradlinige Fortführung noch — wenn von dem Zwischenspiel nationalsozialistischer Herrschaft abgesehen w i r d — einen radikalen Bruch der Verfassungsentwicklung darstellt. M i t der Verweisung hinsichtlich der Einzelheiten der Staatsgewalt und ihrer Untergliederung über seinen Wortlaut hinaus führt das Grundgesetz deshalb i n einen Zwiespalt. Zum einen werden Schlüsselbegriffe 6 verwendet, deren Bedeutung und I n halt unter anderen Verfassungsordnungen geprägt wurden; zum anderen sollen Bedeutung und Inhalt dieser Schlüsselbegriffe zugleich der neuen Verfassungsstruktur entsprechen. Damit ist der Meinungsstreit über das „richtige" Verständnis der Gewaltenteilung unter dem Grundgesetz sozusagen immanent eingebaut. Die unausweichliche Frage zur Gesamtproblematik wie zu jedem Einzelproblem lautet: Fortsetzung oder Abbruch der Verfassungstradition, Kontinuität oder Neuinterpretation der verwendeten Begriffe 7 ? Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, daß sich das gleiche Folgeproblem zwischen Weimarer Verfassung 3 Vgl. den Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, i n dem die Begriffe „Gesetzgebung" (Kap. I X ) , „Ausführung" (X), „Rechtspflege" ( X I I ) ohne nähere Erläuterung gebraucht werden. Auch i n den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates erfolgt regelmäßig n u r eine allgemeine Bezugnahme auf die „traditionelle" Gewaltenteilung; vgl. ζ. B. die Äußerungen der Abgeordneten Dr. Schmid, Stenographischer Bericht, 1. Band, S. 14; Dr. Süsterhenn, ebd., S. 21; Dr. Schwalber, S. 36; Dr. Seebohm, S. 92; vgl. auch Herrenchiemsee-Bericht, 27. — Weitere Einzelheiten bei Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, 92 - 102; auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 102-104, 208; Doemming / Füßlein / Matz, JöR 1951, 195-202; Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 1, Randnr. 101 (zu c). 4 Vgl. statt vieler die Ergebnisse von Achterberg, Funktionenlehre, 104 f., 176 f., 228 f., 230 f. 5 Einzelheiten m i t Nachweisen vgl. unten, Abschnitt 5 a. 6 Vgl. auch den plastischen Ausdruck „Schleusenbegriff" bei Böckenförde, Rechtsstaatsbegriff, 65. 7 Vgl. schon Scheuner, Der Bereich der Regierung, 253 f. ; ferner Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 5; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 81 m i t A n m . 4.

46

I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

und Reichsverfassung von 1871 ergab und daß am Ende der Weimarer Republik keineswegs eine einheitliche Auffassung zur Gewaltenteilung bestand, die — i m Falle einer Bejahung der Kontinuität — als feste Ausgangsbasis zur Verfügung stände 8 . Dies galt und gilt i n besonderem Maße auch für den Begriff der Staatsleitung. Hierzu wurden bis zum Ende der Weimarer Republik unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Kontroverse bestand, obwohl die Weimarer Verfassung und die Reichsverfassung von 1871 den Ausdruck „Staatsleitung" ebenfalls nicht enthielten. Aus der Tatsache der Nichterwähnung des Begriffs i m Grundgesetz — etwa i m Gegensatz zu dem Begriff der Gesetzgebung — kann deshalb nicht auf das Fehlen eines entsprechenden Bereichs der Staatsgewalt unter dem Grundgesetz geschlossen werden. Vielmehr ist zunächst umgekehrt davon auszugehen, daß m i t der Übernahme der Begriffe zur Gewaltenteilung die damit verbundenen Probleme, einschließlich der Auseinandersetzung u m die Staatsleitung, ebenfalls Eingang i n das Grundgesetz gefunden haben, sofern nicht Besonderheiten der neuen Verfassung i m Vergleich zur früheren Verfassungsordnung entgegenstehen 9 . Ob und inwieweit ein Bereich der Staatsleitung unter dem Grundgesetz anerkannt ist, gehört deshalb zum konkreten Fragenkreis der Kontinuität oder Diskontinuität dieses Begriffs unter der Verfassungsstruktur des Grundgesetzes.

b) Begriffsbildung

in Wissenschaft und Praxis

Mangels eines ausdrücklich benannten Bereichs der Staatsleitung i m Grundgesetz und den i h m vorangegangenen Verfassungen des Deutschen Reichs 10 fehlt es der Erörterung i n Wissenschaft und Praxis schon an einer einheitlichen Bezeichnung für den hier zu behandelnden Gegenstand. Neben dem Ausdruck „Staatsleitung" und seinen Abwandlungen 1 1 finden sich sinnähnliche Ausdrücke, wie „Staatsführung" 1 2 , „Richtungs8

Dazu Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 113 - 121. Vgl. auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 102, zu dem parallelen Problem der Verwaltungsvorschriften; ferner Starck, Gesetzesbegriff, 15, 74. 10 Dazu u n d zu den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten vgl. die Nachweise bei Smend, Die politische Gewalt, 68 - 70. 11 So insbesondere Scheuner, Der Bereich der Regierung, 262, 268, 277, 278 u n d passim; ders., Das Wesen des Staates, 260; ders., D Ö V 1969, 585, 590; ferner Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 38; von Mangoldt / Klein, A r t . 65, A n m . I I 2 b (S. 1251); Badura, Regierung, 2167; ferner Heckel, Reichshaushaltsgesetz, 389 - 392; Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 135. 12 Schaumann, Staatsführung u n d Gesetzgebung, 313 f., 322, 324 u n d passim; Scheuner, Das Wesen des Staates, 225; Hesse, Verfassungsrecht, 214. 9

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif fs

bestimmung" 1 3 , „politische L e i t u n g " 1 4 oder „Führung der P o l i t i k " 1 5 m i t jeweils eigenen Abwandlungen, die darauf hinweisen, daß es bei der Erörterung um die gleichen oder doch eng verwandte Probleme geht. Vielfach w i r d auch die Bezeichnung „Regierung" verwendet, was jedoch zu Mißverständnissen führen kann, weil Regierung nicht nur (im materiellen Sinn) für einen Bereich der Staatsgewalt steht, sondern auch (im formellen oder organisatorischen Sinn) für das gleichnamige Staats-» organ 16 . Der Schluß von dem Organ Regierung auf den Bereich Regierung oder umgekehrt liegt, wie die Erfahrung zeigt, gefährlich nahe 17 . Gefährlich deshalb, w e i l das deutsche Verfassungsrecht keine unbedingte Deckung von Verfassungsfunktion und Verfassungsorgan kennt, sondern zumindest Teilüberschneidungen zuläßt. Mehrere Organe können an einer Funktion, ein Organ kann an mehreren Funktionen beteiligt sein 18 . U m derartigen Verwechslungen und unzulässigen Folgerungen auch terminologisch zu begegnen, soll deshalb hier die Bezeichnung „Regierung" auf das entsprechende Staatsorgan beschränkt und für einen — wie auch immer umgrenzten — Aufgabenbereich vermieden werden, soweit nicht die Auseinandersetzung mit fremden Ansichten eine Abweichung bedingt.

2. Staatsleitung und Entwicklung des Regierungsbegriffs a) Umfassender und eingeschränkter Regierungsbegriff Die Frage nach einem Bereich der Staatsleitung, wie die Frage nach Teilbereichen der Staatsgewalt überhaupt, bereitet keine verfassungsrechtlichen Abgrenzungsprobleme, solange alle Staatsgewalt i n den Händen eines einzelnen Herrschers vereinigt liegt. Dementsprechend kannte das deutsche Staatsrecht zu Beginn der Neuzeit und i m Zeitalter des Absolutismus nur einen „umfassenden Regierungsbegriff" 10 . Ä h n 18 Scheuner, D Ö V 1957, 634; BVerfGE 9, 268, 281 (im Anschluß an E. K a u f mann). 14 Leibholz, Regierung u n d Parlament, 161; BVerfGE 34, 52, 59. 15 BVerfGE 1, 372, 394; von Mangoldt / K l e i n (Anm. 11). 16 Z u r Terminologie vgl. Badura, Regierung, 2165; W o l f f / Bachof, V e r w a l tungsrecht I, 7 7 - 8 0 ; Frotscher, Regierung, 173 f., 193. 17 Vgl. die Nachweise bei Friauf, Staatshaushaltsplan, 282; ferner Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 87; Leisner, J Z 1968, 728. 18 Vgl. dazu Achterberg, Funktionenlehre, 9 f., 114f.; Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, 117-119; Krüger, Staatslehre, 923 f.; ursprünglich insbesondere Schmitthenner, Staatsrecht, 474 - 480. 19 Vgl. die „ i n ihrer A r t klassische Formulierung" (Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 3) des preußischen Allgemeinen Landrechts: „ A l l e Rechte

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. Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

lieh wie das anglo-amerikanische „government" umschloß er „die ganze staatliche Thätigkeit" 2 0 . Die Bezeichnungen, wie „Regierung", „Regiment", „Verwaltung", aber auch „gouvernement" und „administration", schwankten und wurden austauschbar verwendet oder tautologisch m i t einander verbunden 2 1 . Innerhalb dieser umfassenden Regierung als der Ausübung der „obersten Gewalt" unterschied die Staatsrechtslehre des 18. Jahrhunderts i n mannigfacher A r t und Weise zwischen einzelnen „Regierungsarten", wie etwa Militär-, Steuer-, Cameral- oder Policeysachen 22 . I m Ergebnis war man sich jedoch darin einig, daß es sich lediglich u m eine Aufzählung der dem Herrscher zustehenden, wenn auch teilweise auf besondere K o l legien und Beamte übertragenen „Regalien" oder „Majestätsrechte" handelte 23 . Auch die Zweiteilung i n „Regierungssachen" und „Justizsachen", die sich i m Laufe des 18. Jahrhunderts herausbildete 24 , bedeutete nur eine behördliche Sonderung für eng umgrenzte Z i v i l - und Strafjustizangelegenheiten. Sie beruhte auf der freiwilligen und jederzeit widerruflichen Entscheidung des weiterhin absoluten, wenn auch „aufgeklärten", Herrschers und beschränkte insbesondere nicht dessen umfassende Ausübung der gesamten Staatsgewalt 26 . Die Sonderung der Justizsachen legte jedoch den Keim für eine Entwicklung, i n deren Verlauf der umfassende Regierungsbegriff allmählich zu einem eingeschränkten Regierungsbegriff „schrumpfte" 2 6 . Der einengende Bedeutungswandel vollzog sich während des 19. Jahrhunderts, als die monarchische Herrschaft i m Übergangsstadium 27 der konu n d Pflichten des Staates gegen seine Bürger u n d Schutzverwandten vereinigen sich i n dem Oberhaupte desselben" (Teil I I , T i t e l 13, § 1); dazu auch von Unruh, Legitimation, 441. 20 O. Mayer, Verwaltungsrecht I, 4; ferner Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 135 m i t A n m . 64. 21 Vgl. i m einzelnen Frotscher, Regierung, 8 7 - 9 1 ; Meisner, Verfassung, 35 f. 22 Vgl. dazu G. Jellinek, Staatslehre, 597: „Völlige P r i n z i p i e n l o s i g k e i t . . . eine verwirrende Fülle der verschiedenartigsten Hoheitsrechte . . . " ; Nachweise bei Frotscher, Regierung, 91 - 104. 23 G. Jellinek, Staatslehre, 597; Nachweise bei Frotscher, Regierung, 91, 97; Achterberg, Funktionenlehre, 9. 24 Dazu Erichsen, Grundlagen, 73 f., 82 - 86; auch Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, 26 f., 47, 58 f., 85 - 89. 25 von Unruh, Subjektiver Rechtsschutz, 8; Rüfner (Anm. 24), 58; Frotscher, Regierung, 103; G. Jellinek, Staatslehre, 599 f.; Forsthoff, Verwaltungsrecht, 27 f.; allgemein auch Krusch, Die Gedanken der A u f k l ä r u n g (o. J.). 26 Meisner, Verfassung, 37. 27 So Böckenförde, Der deutsche Typ, 123- 133; Frotscher, Regierung, 130; Quaritsch, Staat u n d Souveränität, 485; demgegenüber E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I I I , 11: der deutsche Konstitutionalismus „ f ü r seine Zeit eine stilgerechte Lösung der deutschen Verfassungsfrage"; Ossenbühl, V e r w a l -

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif fs

stitutionellen Monarchie durch das Erstarken demokratischer Gegenkräfte und die Verwirklichung rechtsstaatlicher Gewaltenteilungsgrundsätze immer mehr i n ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurde 2 8 . Die Einschränkung geschah durch Ausklammerung einzelner Staatstätigkeiten aus der umfassenden Herrschergewalt. Dazu gehörten neben der Z i v i l - und Strafgerichtsbarkeit, die auf unabhängige Gerichte überging 2 9 , vor allem die Bereiche der Gesetzgebung, der Steuerbewilligung und des Staatshaushalts, an denen die Landstände und später die Volksvertretungen beteiligt wurden 3 0 . Zwar ging die konstitutionelle Theorie davon aus, daß die Verfassung vom Monarchen einseitig gewährt oder oktroyiert wurde und daher i m Zweifel auch zu seinen Gunsten auszulegen war 3 1 . Auch sollte der Monarch weiterhin Inhaber aller Staatsgewalt bleiben und nur i n deren Ausübung beschränkt sein. Die Grenzen des „monarchischen Prinzips" 3 2 waren i n der Verfassungsrechtspraxis jedoch enger gezogen, als es die scholastische Unterscheidung 33 zwischen unbeschränkter Innehabung und beschränkter Ausübung 3 4 der Staatsgewalt des Monarchen zunächst erkennen läßt 3 5 . Sobald nämlich die Verfassung zustande gekommen war, tungsvorschriften, 45: „die konstitutionelle Monarchie als constitutio sui generis". 28 Badura, Regierung, 2164. 29 Dazu Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 112 f.; Loening, Gerichte u n d Verwaltungsbehörden (1914); Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 82; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 46. — I n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts k a m die selbständige Verwaltungsgerichtsbarkeit hinzu; vgl. Menger, Moderner Staat u n d Rechtsprechung, 15 f. 30 Vgl. dazu Jesch (Anm. 29), 7 6 - 9 2 ; Friauf, Staatshaushaltsplan, 19-32, 37-57, 76-84, 211 -216 u n d passim; Böckenförde, Gesetz, 71 - 8 4 , 220-226; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 149 - 168, 329 - 335. 31 „Präsumtion der Zuständigkeit" beim Monarchen; vgl. Meyer / Anschütz (Anm. 30), 273; Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 4 f.; G. Jellinek, Staatslehre, 705; weitere Nachweise bei Jesch (Anm. 29), 88 A n m . 80; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 44, 48, 214; vgl. aber auch Boldt, Verfassungskonflikt, 94 f. 32 Grundlegend F. J. Stahl, Rechts- u n d Staatslehre, 321 - 374 ( = 3. A b schnitt, 10. Kap.: „Das monarchische Prinzip"); vgl. auch die „klassische Formulierung" (Böckenförde, Der deutsche Typ, 114) des Prinzips etwa i n Tit. I I § 1 der bayerischen Verfassung von 1818 oder i n A r t . 57 der Wiener Schlußakte von 1820. — Ferner E. Kaufmann, Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes (1906); weitere Nachweise bei Jesch (Anm. 29), 76 A n m . 5; Ossenbühl (Anm. 31), 42 A n m . 46; Friauf (Anm. 30), 200 Anm. 5. 33 So schon Laband, Staatsrecht I I , 8; ferner Böckenförde (Anm. 32), 115. 34 Vgl. dazu näher Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 3 f.; Smend, Die Preußische Verfassungsurkunde, 4 4 - 5 0 ; weitere Nachweise bei Jesch (Anm. 29), 81 A n m . 33; Ossenbühl (Anm. 31), 46 f. A n m . 78; Frotscher, Regierung, 143 A n m . 162. 35 Vgl. auch Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 3, der die Innehabung m i t einem n u d u m ius vergleicht u n d als „platonischen Trost" f ü r „etwaige noch lebende Verehrer des ancien régime" bezeichnet. 4 Magiera

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

was teilweise sogar unter M i t w i r k u n g der Stände geschah 36 , konnte sie — auch bei einseitigem Erlaß durch den Monarchen — nicht mehr durch den Monarchen allein geändert oder gar beseitigt werden 3 7 . Die einmal gewährten Mitwirkungsrechte an der Staatsgewalt ließen sich gegen den Willen der Stände nicht mehr auf verfassungsrechtlich zulässige Weise rückgängig machen 38 . Die Staatsgewalt oder doch deren Ausübung war damit „geteilt" 3 9 , und es entstand die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, die Teilbereiche näher zu bestimmen. Die nähere Bestimmung besaß aber nunmehr nicht lediglich fachlich-praktische Bedeutung, wie i n der absolutistischen Zeit, als die Verteilung staatlicher Aufgabenbereiche auf verschiedene Behörden jederzeit nach Gutdünken des Herrschers umgeändert werden konnte. Vielmehr brachte jede Aufgabenverlagerung, auch wenn sie nur i n der Einräumung von Mitwirkungsbefugnissen bestand, für den Monarchen einen unwiderruflichen Verlust und für die Stände einen bleibenden Gewinn an Staatsgewalt. Konnte aber der Monarch nicht mehr über die Fülle der Staatsgewalt verfügen, sondern mußte er sich darin m i t den Ständen teilen, dann wurde es verfassungspolitisch und verfassungsrechtlich unumgänglich, die Teilbereiche voneinander zu unterscheiden 40 . Die Gewaltenteilung zwischen Monarch und Ständen, zwischen Herrscher und Volk trat i n den Mittelpunkt der politischen und rechtlichen Auseinandersetzung. Damit stellte sich auch die Frage nach der Bestimmung und Zuordnung der Staatsleitung als einem der Teilbereiche der Staatsgewalt. b) Der „umfassende Restbegriff" Die weitere Entwicklung der Gewaltenteilung einschließlich des Verständnisses der Staatsleitung hängt unmittelbar m i t der soeben aufge36 Vgl. z.B. den Vorspruch zur Verfassungsurkunde f ü r das Königreich Württemberg (1819): „ . . . durch höchste Entschließung u n d allerunterthänigste Gegenerklärung eine vollkommene beiderseitige Vereinigung . . . " ; ähnlich Kurhessen (1831); dazu auch Pölitz, Staatenkunde, 405, 434; weitere Nachweise bei Böckenförde, Der deutsche Typ, 137 (Anm. 22). 37 Vgl. z.B. T i t . X § 7 I der bayerischen Verfassung von 1818; § 64 der badischen Verfassung von 1818; weitere Nachweise bei Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 661 A n m . 12; vgl. ferner E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I, 642, 647 f. 38 Vgl. auch Böckenförde, Der deutsche Typ, 117 f. 39 Frotscher, Regierung, 108, 142, w i l l dies erst f ü r die Zeit des Spätkonstitutionalismus annehmen; w i e hier Quaritsch, Staat u n d Souveränität, 483 f.; vgl. auch schon von Mohl, Das Repräsentativsystem, 394; O. Mayer, V e r w a l tungsrecht I, 70; ferner Friauf, Staatshaushaltsplan, 211 (jedoch n u r „praktischpolitisch"). — Z u m Dualismus vgl. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 8 8 - 9 1 ; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 50 - 53. 40 So auch Böckenförde, Der deutsche Typ, 118.

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif f s

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zeigten Auseinandersetzung zwischen den traditionellen monarchischen und den aufstrebenden bürgerlich-liberalen Kräften zusammen. Vordergründig erscheinen die i n der verfassungsrechtlichen Praxis und Wissenschaft verwendeten Begriffe und Begriffsinhalte zwar unabhängig von der konkreten politischen Wirklichkeit des konstitutionellen Staates und damit „allgemeingültig" 4 1 ; ihre tiefere Bedeutung offenbaren sie jedoch erst auf dem Hintergrund des Ubergangs vom monistischen Staat des Absolutismus zum dualistischen Staat des Konstitutionalismus 4 2 . Kennzeichnend hierfür ist schon die A r t und Weise, wie die verschiedenen Teilgewalten bestimmt wurden, ohne daß es notwendig auf deren inhaltliche Festlegung und Abgrenzung i m einzelnen ankommt. Den Ausgang bildete i n Nachwirkung der absolutistischen Herrschaftsform die Einheit der Staatsgewalt, die als vorverfassungsmäßig betrachtet i n ihrer Fülle weiterhin beim Monarchen lag und aufgrund der Verfassung durch Aussonderung von Teilbereichen lediglich beschränkt, nicht aber i n verschiedene Teilbereiche untergliedert wurde 4 3 . Diese zunächst formal anmutende Unterscheidung hatte insofern weitreichende praktische Folgen, als sie eine entscheidende Weichenstellung für die verfassungsrechtliche Argumentations- und Beweislast bedeutete. Soweit Teilbereiche aus der ursprünglich einheitlichen Staatsgewalt ausgesondert wurden, mußte die Zugehörigkeit staatlicher Aufgaben zu einem dieser Teilbereiche positiv nachgewiesen werden. Gelang dies nicht, so verblieb die Aufgabe der Ursprungsgewalt, die damit eine A r t „Auffanggewalt" bildete und eine Vorrangstellung einnahm. I m konstitutionellen Staat lag die Staatsgewalt deshalb zwar nicht mehr wie i m absolutistischen Staat stets allein i n den Händen des Monarchen; infolge der Auffanggewalt stand sie i h m jedoch i m Zweifel zu 4 4 . Das Verhältnis von positiv zu bestimmenden Teilgewalten und umfassender Auffanggewalt spiegelte sich i n der dogmatischen „Subtraktionsmethode", m i t der die inhaltliche Festlegung und Ausgestaltung der Gewaltenteilung erfolgte. Diese entsprach zwar grundsätzlich dem „klassischen" Schema der Dreiteilung i n Gesetzgebung, Rechtsprechung und Vollziehung, wobei die Bezeichnungen i n den Verfassungstexten und i m Schrifttum teilweise voneinander abwichen 45 . Inhaltlich erfuhren 41 Dies mag auch i h r teilweises F o r t w i r k e n bis i n die Gegenwart erklären; vgl. dazu Böckenförde, Gesetz, 242, 282, 332; ders., Organisationsgewalt, 62; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 262 f.; Starck, Gesetzesbegriff, 81; ferner unten, Kap. I V 3 (zum Gesetzesbegriff). 42 Vgl. auch F r i a u f (Anm. 39), 202; ferner Thoma,Der Vorbehalt des Gesetzes, 174 - 177. 43 Vgl. dazu oben, A n m . 34. 44 Z u r „Kompetenzpräsumtion" vgl. oben, A n m . 31. 45 Dazu Frotscher, Regierung, 142 - 154; Smend, Die politische Gewalt, 68 f.; Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 112 f.; Kassimatis, Regierung, 65.



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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

jedoch nur die gesetzgebende und die rechtsprechende Gewalt eine positive Umschreibung, die sodann von der Gesamtheit der Staatsgewalt „abgezogen" wurden, so daß die vollziehende Gewalt als „umfassender Restbegriff" verblieb 4 6 . Die positive Bestimmung der gesetzgebenden und der rechtsprechenden Gewalt erfolgte über den (materiellen) Gesetzesbegriff 47 : die gesetzgebende Gewalt' schuf die Gesetze, die rechtsprechende Gewalt sicherte ihre Einhaltung. Mittelbar stand damit auch die vollziehende Gewalt fest; sie führte die Gesetze aus, umfaßte aber als „Restbereich" auch alle übrige Staatsgewalt außerhalb der Reichweite des Gesetzesbegriffs. Der Gesetzesbegriff war der Angelpunkt für die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung und gleichzeitig für die dahinterstehende politische Auseinandersetzung zwischen monarchischen und bürgerlich-liberalen Kräften 4 8 . Der Umfang des Gesetzesbegriffs bestimmte — m i t gegensätzlicher Wirkung — das Verhältnis von gesetzgebender und vollziehender Gewalt, so daß es den bürgerlich-liberalen Kräften auf eine Ausweitung, den monarchischen Kräften hingegen auf eine Begrenzung des Gesetzesbegriffs ankommen mußte. Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung bewegte sich allerdings auf einem höheren Abstraktionsniveau, welches diese Zusammenhänge nicht unmittelbar sichtbar machte 49 . Die Verflechtung zwischen tatsächlicher Machtlage und verfassungsrechtlichen Begriffsinhalten zeigte sich jedoch an dem i m wesentlichen übereinstimmenden Ergebnis, zu dem Wissenschaft und Praxis trotz unterschiedlicher Ansätze gerade hinsichtlich des Gesetzesbegriffs gelangten 50 . Die „Freiheit und Eigentum"-Formel wie die „Schrankenziehungs"- oder „Willenssphären"-Theorie bestätigten i n gleicher Weise die Trennlinie, die innerhalb des dualistischen Staates zwischen dem bürgerlichen Gesellschaftsbereich und dem monarchischen Herrschaftsbereich verlief. Dies galt auch für die vom historisch-konventionellen Hintergrund 5 1 losgelöst erscheinende dritte Auffassung, die den abstrakt-generellen Charakter einer Regelung als 48 Thoma (Anm. 45), 119 f. A n m . 4; ferner Laband, Staatsrecht I I , 174: „ ü b r i g bleibende(r) Rest"; Böckenförde, Organisationsgewalt, 61. 47 Z u r Unterscheidung zwischen materiellem u n d formellem Gesetzesbegriff vgl. vorläufig Böckenförde, Gesetz, 226-329; Starck, Gesetzesbegriff, 21 f., 77 - 107 ; i m übrigen unten, Kap. I V 3 d. 48 Vgl. auch Böckenförde, Gesetz, 130 f., 233, 271; ders., Organisationsgewalt, 78 m i t A n m . 3. 49 Es handelte sich daher u m eine „Diskussion sozusagen unter falscher Flagge" (Böckenförde, Organisationsgewalt, 62). 60 Vgl. vorläufig Magiera, Der Staat 1974, 9 f.; i m übrigen unten Kap. I V 3 d cc. 51 Dazu Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 125; ders., Der Vorbehalt des Gesetzes. 176.

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif f s

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Abgrenzungsmerkmal hervorhob, aber zusätzliche Merkmale heranzog, um ihren weiten Gesetzesbegriff entsprechend den anderen Auffassungen auf den gesellschaftlichen Bereich zu begrenzen. E i n Gesetzesbegriff, dessen Ziel es ist, den Bereich der gesellschaftlichen Privatsphäre gegenüber dem Bereich der staatlichen Herrschaftssphäre abzuschirmen 52 , kann nicht zugleich die Aufgabe besitzen, den staatlichen Bereich zu gestalten 53 . Beschränkt sich der Gesetzesbegriff auf den Schutz des gesellschaftlichen Bereichs, so t r i f f t diese Einschränkung nicht nur für die gesetzgebende Gewalt selbst zu, sondern neben der rechtsprechenden auch für die vollziehende Gewalt, wenn deren Bereich konsequent m i t der Ausführung der Gesetze gleichgesetzt wird. Der Bereich der Staatsleitung, wie auch immer er i m einzelnen bestimmt sein mag, liegt außerhalb der Reichweite dieses Gesetzesbegriffs 54 . Das Problem der Staatsleitung ist damit allerdings lediglich aus der Gewaltenteilung und dem Rechtsbereich verdrängt, nicht jedoch aus der Welt geschafft 55 . Die Staatsleitung einschließlich des übrigen vom Gesetzesbegriff nicht erfaßten Bereichs der Staatsgewalt 56 bleibt als eine A r t nicht eingebrachtes Hausgut 5 7 des Monarchen ohne rechtliche Regelung 5 8 . Der neben Gesetzgebung und Rechtsprechung als Auffanggewalt verbleibende „Restbereich" w i r d somit geteilt und zerfällt unter dem konventionellen Gesetzesbegriff des dualistischen konstitutionellen Staates i n einen Bereich gesetzesbestimmter Vollziehung (im engeren Sinn) und einen Bereich „freier" Staatstätigkeit 5 9 . Die Staatsleitung verbleibt i n diesem, vom Gesetzesbegriff nicht erfaßten Bereich und steht damit außerhalb der gesetzgebenden und rechtsprechenden, aber auch der (im engeren Sinn) vollziehenden Gewalt. Ein derart umfassender, rechtlich kaum beleuchteter oder auch nur i n den Grundzügen geregelter Restbereich staatlicher Gewalt mußte m i t fortschreitender Verfassungsentwicklung auf Schwierigkeiten stoßen und nach Ablösung der konstitutionellen Monarchie durch die demokratische Republik erhebliche Bedenken, wenn nicht völlige Ablehnung hervorrufen. Für das Vorhandensein oder die Ausübung von Staatsgewalt 52

Vgl. dazu etwa Ossenbühl, Organisationsgewalt, 51 f. Vgl. auch Friauf, Staatshaushaltsplan, 208, 212; Starck, Gesetzesbegriff, 83 - 90. 54 Scheuner, Der Bereich der Regierung, 262, 266; Starck (Anm. 53), 87. 55 So — f ü r Laband — Böckenförde, Gesetz, 241. 56 Beispiele dafür bei F r i a u f (Anm. 53), 209 f. 57 Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 223. 58 Dazu Böckenförde, Gesetz, 235, 238 (zu Laband), 247 (zu G. Jellinek). 59 Vgl. etwa Laband, Staatsrecht I I , 177; dazu auch Scheuner, Der Bereich der Regierung, 263. 53

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

außerhalb verfassungsrechtlicher Regelung fehlte es spätestens 60 seit dem Fortfall des monarchischen Prinzips an einer tragfähigen Begründung 6 1 . Umgekehrt konnte es bei längerer Erfahrung mit der gesetzesausführenden Vollziehung nicht verborgen bleiben, daß sie sich auch durch noch so sorgfältig ausgearbeitete gesetzliche Regelungen nicht i n allen Einzelheiten vorherbestimmen ließ, sondern daß stets ein Spielraum zwischen der gesetzlichen Anordnung und ihrer Ausführung blieb. Dementsprechend setzte sich die Erkenntnis durch, daß einerseits der neben der Gesetzgebung und Rechtsprechung „übrig bleibende Rest" 6 2 staatlicher Gewalt nicht lediglich als Vollziehung der Gesetze i m wörtlich engen Sinn zu verstehen sei und daß andererseits alles staatliche Handeln „ i n nerhalb der rechtlichen Schranken" stehe 63 . Während der negative Teil dieser Aussage — Vollziehung nicht gleich Gesetzesbestimmtheit — als Befreiung von der Selbsttäuschung betrachtet werden kann, die an eine vollkommene gesetzliche Einbindung der staatlichen Herrschaftsgewalt geglaubt hatte, bringt der positive Teil der Aussage — gesamter Restbereich innerhalb rechtlicher Schranken — entgegen dem äußeren A n schein keine zusätzliche Bindung oder Regelung der Restgewalt außerhalb der Vollziehung (im engeren Sinn). Die rechtlichen Schranken konnten nicht weiter reichen als der konventionell enge Gesetzesbegriff 64 , wie die Versuche einer näheren Bestimmung des Restbereichs offenbarten. Dieser blieb weiterhin zweigeteilt, wenn auch an die Stelle einer schroffen Trennung zwischen strenger Gesetzesvollziehung und i m übrigen „rechtsfreier" Staatstätigkeit die flexiblere Unterscheidung zwischen einem mehr oder weniger — i m Gegensatz zu einem „vollkommen" — gebundenen bzw. freien staatlichen Handeln trat. Verlor damit die Trennlinie innerhalb des Restbereichs auch an Starrheit, so blieben die beiden Teilbereiche, für die sich allmählich die Bezeichnungen „Verwaltung" — statt Vollziehung (im engeren Sinn) — und „Regierung" durchsetzten 65 , doch inhaltlich i m wesentlichen unverändert. Dies galt insbesondere für den Teilbereich des „freien" Handelns, der sich dem konventionell engen Gesetzesbegriff 60 Begründungsschwierigkeiten gab es schon i n der konstitutionellen M o n archie; vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 45 f. 61 Vgl. auch Frotscher, Regierung, 142,149. 62 Laband, Staatsrecht I I , 174. 68 Laband (Anm. 62), 179; ferner Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 29; O. Mayer, Verwaltungsrecht I, 79; zusammenfassend Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 109,134. 64 Deshalb besser als „gesetzliche" Schranken bezeichnet; so z . B . M e y e r / Anschütz (Anm. 63). 65 Vgl. ζ. B. Smend, Die politische Gewalt, 70, gegenüber noch z. B. G. J e l l i nek, Staatslehre, 618, der „ V e r w a l t u n g " als Oberbegriff über „Regierung" u n d „Vollziehung" setzt; zur Terminologie auch Haenel, Gesetz, 186 („Vollziehung" statt „ V e r w a l t u n g " ) ; M e y e r / Anschütz (Anm. 63), 27 f.; ferner oben, A n m . 45.

2. Staatsleitung u n d Entwicklung des Regierungsbegrif fs

und der an i h m ausgerichteten Gewaltenteilung auch weiterhin nicht einordnen ließ. Der „Begriff der Regierung" fiel dementsprechend „völlig aus diesem Kreis heraus", und die Regierung ging deshalb die Staatsrechtslehre „weiter nichts an" e e . Das bürgerlich-liberale „Ideal eines total durchnormierten Staates" 87 , wie es die positivistische Staatsrechtsauffassung anstrebte, scheiterte som i t nicht nur an den monarchischen Gegenkräften, sondern auch an der eigenen unzureichenden Konstruktion. Die an dem scheinbar allgemeingültigen, i n Wahrheit historisch-konkreten Gesetzesbegriff ausgerichtete Gewaltenteilung erfaßte nur einen Ausschnitt des gesellschaftlich-staatlichen Regelungsbereichs und auch diesen nur unzureichend. Die Anforderungen an den über den Gesetzesbegriff i n die Gewaltenteilung einbezogenen Bereich der Vollziehung waren theoretisch so gesteigert, daß sie sich praktisch nur bedingt erfüllen ließen und keine tragfähige Grundlage für eine weitere Einbeziehung der Restgewalt i n den rechtlich geregelten Bereich boten. Deshalb blieb der entscheidende Teil der Staatsgewalt, praktisch der gesamte Machtapparat einschließlich seiner Leitung, außerhalb rechtlicher Regelung 68 . Einem Verfassungsverständnis, welches — wie das der positivistischen Staatsrechtslehre — auf einen solchen Gesetzes- und Vollziehungsbegriff festgelegt ist, muß die Problematik der Staatsleitung überhaupt entgehen 60 . Solange die Bemühungen u m eine rechtliche Einbindung des umfassenden Restbegriffs und seine befriedigende Einordnung i n die Gewaltenteilung an dem konventionell engen Gesetzesbegriff festhielten, konnte ihnen kein durchgreifender Erfolg beschieden sein. Da die positivistische Staatsrechtslehre jedoch der i m Grunde resignierenden Feststellung 70 , die Regierung gehe sie „weiter nichts an", folgte und, wollte sie m i t dem Gesetzesbegriff nicht den Kern ihrer Staatsauffassung preisgeben, wohl auch folgen mußte, kam sie hinsichtlich der Begriffe von Regierung und Staatsleitung über das negative Gesamtergebnis einer „Nichtbefassung" nicht hinaus. Regierung und Staatsleitung lagen grundsätzlich außerhalb der Reichweite ihres Systems und wurden dementsprechend aus der rechtlichen Betrachtung ausgeklammert. Infolge der dogmatischen Subtraktionsmethode und insofern systembedingt, fielen sie dennoch mittelbar i n den vom Gesetzesbegriff ββ Ο. Mayer, Verwaltungsrecht I , 4 f.; ähnlich auch W. Jellinek, V e r w a l tungsrecht, 6,13; dazu auch Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 32. 87 Forsthoff, Verwaltungsrecht, 14. 88 So auch Friauf, Staatshaushaltsplan, 210 f. 80 Gerade auch den liberalen Autoren; vgl. dazu F r i a u f (Anm. 68), 211; ferner Scheuner, Der Bereich der Regierung, 262. 70 Dazu etwa Böckenförde, Gesetz, 214.

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

nicht erfaßten Bereich der „Vollziehung" als Auffanggewalt. Damit gehörte die Staatsleitung formal zum „umfassenden Restbegriff" i n der Gewaltenteilung, ohne jedoch inhaltlich näher bestimmt oder gar rechtlich geregelt zu sein. c) Die „Spaltung"

des Regierungsbegriffs

Der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur demokratischen Republik berührte das herrschende Verständnis der Gewaltenteilung wenig. Die als allgemeingültig verstandenen Begriffe der überkommenen Staatslehre ließen sich der neuen Verfassungslage ohne größere Veränderungen anpassen 71 . Dies galt selbst für den umfassenden Restbereich der vollziehenden Gewalt, der fast nahtlos von der monarchischen auf die republikanische Exekutive überging. Zwar wurde hervorgehoben, daß die Gesetzgebung die „fundamentale F u n k t i o n " 7 2 des Staates sei. Hierbei handelte es sich jedoch u m eine lediglich formale Schlußfolgerung, die auch schon unter der konstitutionellen Monarchie gezogen worden w a r 7 3 und so lange ohne verfassungsrechtliche Auswirkung bleiben mußte, wie an dem konventionell engen Gesetzesbegriff festgehalten wurde. Die Feststellung sollte auch nur „rein juristisch gesehen" gelten, während „eine soziologische Betrachtung" lehrte, daß die einzig unentbehrliche und deshalb „lebensnotwendige Funktion" des Staates die — Vollziehung (im engeren Sinn) und Regierung umfassende — Verwaltung sei 74 . Infolge des konventionell engen Gesetzesbegriffs, der zugleich den Rechtsbereich umgrenzte, lag jedoch die „fundamentale Funktion" nicht einmal „rein juristisch", d. h. konventionell-rechtlich, bei der Gesetzgebung. Dem widersprachen selbst solche Untersuchungen nicht, die sich bemühten, die negativ-ausklammernde Abgrenzung der Regierung als den verbleibenden Freiraum innerhalb der vollziehenden Restgewalt zu überwinden und zu einer positiven Bestimmung zu gelangen. Auch sie gingen wie selbstverständlich davon aus, „daß der Begriff der Regierung an dem der Verwaltung orientiert sein muß, w e i l beide Bereiche zusammen die komplementären Hälften des ganzen Umfangs der Staatsfunktionen abgesehen von Gesetzgebung und Justiz sind" 7 5 . Somit fielen 71 Dazu Scheuner, Der Begriff der Regierung, 262; F r i a u f (Anm. 68), 270; Starck, Gesetzesbegriff, 94 - 96. 72 Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 111. 73 Vgl. z. B. G. Jellinek, Staatslehre, 613 : Gesetzgebung als „Herrscherin über die anderen Funktionen". 74 Thoma (Anm. 72), 110 f.; ähnlich G. Jellinek (Anm. 73), 612: „zentrale Stellung" der Verwaltung. 75 Smend, Die politische Gewalt, 79.

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif fs

Regierung und Staatsleitung nach dieser Auffassung ebenfalls i n den umfassenden Restbereich der Staatsgewalt, der außerhalb der Reichweite des Gesetzesbegriffs lag. Die Bemühungen u m eine positive Bestimmung des Regierungsbegriffs regten jedoch eine nähere Befassung m i t diesem Restbereich der Staatsgewalt an, den die positivistische Staatsrechtslehre aus ihrer rechtlichen Betrachtung ausgeklammert hatte. Dabei zeigte sich die Unzulänglichkeit der am konventionell engen Gesetzesbegriff ausgerichteten traditionellen Gewaltenteilung m i t zunehmender Deutlichkeit. Eine Reihe bedeutender Staatsakte, insbesondere die Verabschiedung des jährlichen Haushaltsplans, hatte sich der Einordnung i n das traditionelle Gewaltenteilungsschema seit jeher widersetzt. Einerseits handelte es sich nicht u m materielle Gesetzgebung i m Sinne des konventionell engen Gesetzesbegriffs oder um Vollziehung (im engeren Sinn), andererseits — wegen der erforderlichen Zustimmung der Legislative — aber auch nicht einfach u m eine „freie" Staatstätigkeit innerhalb des umfassenden Restbereichs der vollziehenden Gewalt. Die positivistische Staatsrechtslehre behalf sich m i t der Konstruktion des „Verwaltungsakts i n Gesetzesform" 76 , d. h. der Trennung i n materielle Verwaltungstätigkeit und formelle Gesetzgebung, womit ein, wenn auch rechtlich nicht ganz überzeugender, so doch praktisch akzeptierter Kompromiß erzielt w a r 7 7 . Eine der positivistischen Konstruktion weniger verpflichtete Betrachtung erkannte jedoch, daß es i n diesem Bereich bedeutsamer Staatsakte nicht u m das Verhältnis von Gesetz und Gesetzesvollziehung (selbst i m weiten Sinn) ging, sondern u m eine die traditionelle Gewaltenteilung überschreitende Staatstätigkeit 7 8 . Der von der positivistischen Staatsrechtslehre unbestimmt gelassene Restbereich „freier" Staatstätigkeit, der nach Abzug der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Vollziehung (im engeren Sinn) verblieb, erwies sich bei näherer Betrachtung als weit differenzierter, als es die negativ-formale Ausklammerung durch die einfache Subtraktionsmethode erkennen ließ. Schon Georg Jellinek hatte den gewaltenüberschreitenden Charakter der „freien" Staatstätigkeit hervorgehoben, die „ i n all den historisch geschiedenen materiellen Staatsfunktionen vorhanden" sei: „keine ist ohne sie möglich" 7 9 . A m weitesten sei ihr Spielraum „auf dem Gebiete der Gesetzgebung"; nicht minder bedeutsam zeige sie sich jedoch „ i n der 78 Vgl. ζ. B. Laband, Budgetrecht, 16, 19 u n d passim; Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 48 f.; weitere Nachweise bei Heckel, Reichshaushaltsgesetz, 386 A n m . 90. 77 So Böckenförde, Organisationsgewalt, 113. 78 Insbesondere Heckel (Anm. 76), 387 f. 79 Staatslehre, 616 (Hervorhebung hinzugefügt).

I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

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Verwaltung, wo dieses Element den Namen der Regierung empfängt" 8 0 ; schließlich liege aber auch „ i m Rechtsprechen ein schöpferisches, durch Regeln nicht bestimmtes Element verborgen" 8 1 . Regierung i n dem hier entwickelten Sinne sei „materieller, objektiver A r t " . Sie könne — selbst als „oberste, richtunggebende Regierungsgewalt" — auch von Organen der Gesetzgebung geübt werden, „wo ihnen die höchste Gewalt zusteht". I n der Monarchie jedoch stehe „die oberste Regierung" dem Monarchen zu. „Die höchste Leitung der Regierung ist das auszeichnende Merkmal des höchsten Staatsorganes 82 ." I m Ergebnis teilte Jellinek damit die Auffassung, welche die Regierung als oberste Staatsgewalt i m konstitutionellen Staat i n der Person des Monarchen verkörpert sah. Die Regierung konnte zwar bei allen Teilbereichen der Staatsgewalt liegen, als „höchste Leitung" jedoch nur alternativ, nicht kumulativ, weil sie das Merkmal „des höchsten Staatsorgans" war. Auch wenn das Verhältnis von „freier Staatstätigkeit", „Regierung", „höchster Gewalt" usw. bei Jellinek nicht ganz eindeutig erkennbar und durch die Hereinnahme der Staatsorgane i n die Argumentation eher noch verdunkelt wird, weist sein Ansatz doch über das einfache Subtraktionsschema hinaus, das den umfassenden Restbereich der „Regierung" unbesehen (nur) der vollziehenden Gewalt beließ. Eine Fortführung erfuhr dieser Ansatz, wenn auch ohne ausdrückliche Bezugnahme, insbesondere i n den beiden grundlegenden Beiträgen zum Handbuch des Deutschen Staatsrechts von Richard Thoma über das allgemeine Problem der Gewaltenteilung 8 3 und von Johannes Heckel über das besondere Problem des Haushaltsgesetzes 84 . Nach Heckel zeigt die herkömmliche Kompromißformel vom Haushaltsgesetz als „Verwaltungsakt i n Gesetzesform", daß die an dem konventionell engen Gesetzesbegriff ausgerichtete „rechtsstaatliche Gewaltenteilungslehre" nur zu einer negativen Aussage, nicht aber zu einer positiven Etattheorie gelangen kann 8 5 . Statt u m das rechtsstaatliche Verhältnis von Gesetz und Gesetzesvollziehung gehe es jedoch u m die „demokratische Konstituierung, Legitimierung und Kontrolle der Führung" 8 6 . Aus dem „Bereich der Exekutive" werde ein Kreis von Staatsakten ausgesondert, die nicht als rechtsstaatliche „Vollziehung", sondern als staatliche „Führung" entweder von der Regierung allein oder von i h r — „unter gesteigerter 80

Ebd., 617. Ebd., 619 f. 82 Ebd., 619. 88 Grundbegriffe u n d Grundsätze, HdbDStR I I , 108 - 159. 84 Einrichtung u n d rechtliche Bedeutung des Reichshaushaltsgesetzes, HdbDStR I I , 374 - 392. 85 Heckel, Reichshaushaltsgesetz, 386 f. 88 Ebd., 387 f. 81

2. Staatsleitung u n d E n t w i c k l u n g des Regierungsbegrif fs

Selbständigkeit" — zusammen m i t dem Parlament zu erledigen seien. Die M i t w i r k u n g des Parlaments bei der Erzeugung solcher „staatsleitender A k t e " solle dessen potentiellen Einfluß auf die Staatsleitung i m parlamentarischen Regierungssystem aktualisieren. „Die staatsrechtliche Willensbildung erfolgt also i n derartigen Fällen nicht durch die Regierung allein, sondern i m Zusammenwirken m i t dem Parlament, d. h. durch einen staatsrechtlichen Gesamtakt, der aus korrespondierenden Beschlüssen beider Partner besteht 87 ." Bei der konkreten Zuordnung vermochte sich jedoch auch Heckel nicht von der überkommenen Auffassung zu lösen, die den Haushaltsplan seinem Inhalt nach dem Bereich der vollziehenden Restgewalt zurechnete. Zwar sei die Verabschiedung des Haushaltsplans, der „nicht nur eine verwaltungstechnische, sondern auch eine hervorragende politische Bedeutung" habe, „eben nicht so sehr ein Verwaltungsakt als ein staatsleitender Akt" 99; aber, indem Heckel an der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung festhielt, die auch die „demokratische Funktionenteilung" zugrundelege 89 , kam er zu dem Ergebnis, daß sich „der A k t — von der rechtsstaatlichen Gewaltenteilungslehre aus gesehen — i m Bereich der Exekutive" vollziehe 90 . Somit finden sich bei Heckel wie zuvor bei G. Jellinek Ansätze für eine allgemeine Aufspaltung des umfassenden Restbereichs „freier" Staatstätigkeit i n einen Bereich, der zur Vollziehung (im weiteren Sinn) zu rechnen ist, und einen davon zu unterscheidenden Bereich, der die Grenzen der traditionellen Gewaltenteilung überschreitet. I m konkreten Ergebnis verbleiben jedoch beide Autoren — ohne zureichende Begründung und zumindest Heckel infolge einer „verhängnisvollen Begriffsvertauschung" zwischen materieller und formeller Regierung 9 1 — bei der alleinigen Zuordnung zur Vollziehung (im weiteren Sinn). Was bei den anderen Autoren nur angedeutet wird, kommt bei Thoma eindeutig zum Ausdruck. Er unterscheidet klar zwischen einem Regierungsbegriff innerhalb der Gewaltenteilung und einem Regierungsbegriff, „der über die Funktionenteilung hinaus auf die Einheit des Staates deutet" 9 2 . Regierung innerhalb der Gewaltenteilung ist entsprechend der herkömmlichen Subtraktionsmethode der Teil der Vollziehung (im weiteren Sinn), von Thoma „Verwaltung" genannt, der — neben der 87

Ebd., 389 (Hervorhebung i m Original). Ebd., 389 f. (Hervorhebung i m Original). 89 Ebd., 388; vgl. auch 391 A n m . 120. 90 Ebd., 390; vgl. auch Friauf, Staatshaushaltsplan, 282 f.; ders., öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, 21 f.; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 98. 91 Friauf, Staatshaushaltsplan, 282. 92 Grundbegriffe u n d Grundsätze, 135. 88

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I I . Staatsleitung als Verfassungs aufgab e

Vollziehung (im engeren Sinn) — „auf Grund und i m Rahmen der Gesetze eine mehr freie Zwecktätigkeit entfaltet" 9 3 . Bei dem anderen — „wichtigeren" — Begriff der Regierung handelt es sich um die „oberste Staatsleitung" 9 4 . Für eine „rein juristische Konstruktion" möge der „Staatswille" trotz aller „Funktionenzerteilung" immer juristisch feststellbar sein. „Politische" Betrachtung erfordere jedoch „eine Verfassungsrechtsordnung, die es juristisch ermöglicht, daß i n jedem gegebenen Augenblick ein Mensch oder eine Menschengruppe vorhanden oder beauftragt sei, das Ganze der inneren und äußeren Politik zu leiten" 9 5 . Wegen des hohen Bedarfs an formellen Gesetzen i m modernen „Gesetzes- und Wirtschaftsstaat" werde allerdings nicht von der Regierung (als Organ), sondern von der Legislative „regiert", indem „man Gesetzesentwürfe und andere Vorlagen . . . i m Reichstag . . . durchzubringen sucht" 9 6 . Damit verknüpft Thoma ähnlich wie G. Jellinek die Aufgabe der „obersten Staatsleitung" unmittelbar m i t der Notwendigkeit der Verkörperung i n einem bestimmten Organ, wobei allerdings nicht recht deutlich wird, ob nun die „Legislative" regiert oder die „Regierung", wenn auch m i t Hilfe des Reichstags. Die unklare Zuordnung von oberster Staatsleitung und Staatsorganen ändert jedoch nichts an der klaren Unterscheidung der Regierungsbegriffe, die Thoma allerdings unver- 1 bunden nebeneinander stellt. Für die Regierung „als oberste Staatsleitung" ist i n seinem System auch kein Raum, w e i l er die „Verwaltung" als Funktion bezeichnet, die „alle Ausübung von Staatsgewalt" umfasse, „die sich nicht als Gesetzgebung oder als Rechtsprechung darstellt" 9 7 . Letztlich bleibt das Verhältnis der beiden Regierungsbegriffe, insbesondere das der „obersten Staatsleitung", zur Gewaltenteilung daher offen. Die gegen Ende der Weimarer Republik erschienenen Abhandlungen Heckeis und Thomas bildeten eine A r t Schlußwort i n der bis dahin kontinuierlichen Diskussion u m das Verhältnis von Staatsleitung und Gewaltenteilung. Nach Unterbrechung i n der Zeit des gewaltenvereinenden „Führerstaats" 9 8 wurde sie erst m i t der Entstehung einer neuen Verfassungsordnung i m Westen Deutschlands 99 wieder aufgenommen. Der 95

Ebd., 109, auch 134. Ebd., 135. 95 Ebd. 96 Ebd., 136 f. 97 Ebd., 109 (Hervorhebung hinzugefügt). 98 Vgl. etwa E. R. Huber, Verfassungsrecht, 56 („Prinzip der F ü h r u n g an Stelle des Gewaltenteilungssystems"), 230 - 234; Einzelheiten bei Frotscher, Regierung, 168 -172. 99 Z u r Entwicklung i n der D D R vgl. etwa — aus dortiger Sicht: Sozialistischer Staat u n d staatliche Leitung, 79 - 8 4 ; aus westlicher Sicht: Mampel, Die sozialistische Verfassung, A r t . 5 A n m . I I I (S. 185 - 191). 94

2. Staatsleitung u n d Entwicklung des Regierungsbegrif fs

notwendig knappe und nur die groben Linien erfassende Rückblick auf die verfassungsrechtliche Entwicklung des Begriffs der Staatsleitung, wie sie sich den Schöpfern des Grundgesetzes zur Fortführung oder zum Abbruch anbot, läßt sich für die weitere Erörterung wie folgt zusammenfassen: Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Bestimmung der Staatsleitung und ihrer Zuordnung zur Staatsgewalt setzte m i t dem Beginn der Gewaltenteilung i m konstitutionellen Staat ein. Die am konventionell engen Gesetzesbegriff ausgerichtete traditionelle („rechtsstaatliche") Gewaltenteilung erfaßte m i t der Gesetzesvollziehung nur einen schmalen Ausschnitt aus dem — neben der Gesetzgebung und der Rechtsprechung — verbleibenden umfangreichen Restbereich der Staatsgewalt. Als nicht zur Vollziehung (im engeren Sinn) gehörend fiel die Staatsleitung aus der Reichweite des Gesetzesbegriffs heraus und damit i n den rechtlich nicht geregelten und von der herrschenden Staatsrechtslehre vernachlässigten Teilbereich der „freien" Staatstätigkeit. Infolge der Subtraktionsmethode, die alle Staatsgewalt nach Abzug der Gesetzgebung und der Rechtsprechung zur Vollziehung (im weiteren Sihn) rechnete, wurde aber auch die „freie" Staatstätigkeit einschließlich der Staatsleitung ohne weiteres als Teil der vollziehenden Auffanggewalt betrachtet (Zugehörigkeit der Staatsleitung zur Vollziehung kraft Nichtbefassung). Bemühungen u m eine positive inhaltliche Bestimmung der „freien" Staatstätigkeit führten ebenfalls zur Zuordnung der Staatsleitung an die vollziehende Gewalt, solange dabei der konventionell enge Gesetzesbegriff und die Subtraktionsmethode zugrunde gelegt wurden (Zugehörigkeit der Staatsleitung zur Vollziehung trotz inhaltlichen Bestimmungsversuches). Z u einem abweichenden Ergebnis kamen diejenigen Bemühungen um eine positive inhaltliche Bestimmung des Restbereichs der „freien" Staatstätigkeit, die über die traditionelle Gewaltenteilung hinausblickten und zwischen einem der vollziehenden Gewalt zugehörigen Teilbereich („Regierung") und einem die traditionelle Gewaltenteilung überschreitenden Teilbereich („Staatsleitung") unterschieden, dabei jedoch zu keiner befriedigenden Zuordnung der Teilbereiche gelangten (Selbständigkeit der Staatsleitung ohne Zuordnung zur Gewaltenteilung).

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab e

3. Notwendigkeit der Staatsleitung a) Problemverschiebung zwischen monarchischem und demokratischem Staat Der Rückblick auf die Verfassungsentwicklung hat gezeigt, daß sich die Frage der Staatsleitung zwar aus der rechtlichen Betrachtung, nicht jedoch aus dem tatsächlichen Staatsgeschehen ausklammern läßt. Für den monarchischen Staat ergaben sich daraus keine schwerwiegenden Verfassungsprobleme, solange Einigkeit darüber bestand, daß alle Staatsgewalt, sofern sie nicht ausdrücklich zugunsten anderer Beteiligter beschränkt war, dem Monarchen zustand. Der Staat erschien i n der Person des Monarchen verkörpert, der für die Organisation und W i r k samkeit ebenso wie für die Ziele und Aufgaben des Staates sorgte. Waren Einheit und Leitung des Staates aus dieser Sicht gewährleistet, so konnten sich die Aufmerksamkeit des Bürgers und die Reichweite der zu seinem Schutz erlassenen Verfassung auf die Eingrenzung der als vorgegeben und nicht regelungsbedürftig begriffenen Staatsgewalt beschränken. Die prägenden Merkmale dieses Staatsverständnisses, vor allem die substanzhafte Einheit des Staates und die Vorgegebenheit seiner Macht 1 0 0 , mußten m i t der Ablösung der monarchischen durch die demokratische Herrschaftsform an Uberzeugungskraft verlieren und ihren fiktiven Charakter offenbaren. Bestimmt die Verfassung, daß die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und durch verschiedene Organe ausgeübt w i r d 1 0 1 , so fehlt es an einer offensichtlichen Substantiierung der Staatsmacht i n einer Person, die für die staatliche Einheit und Leitung steht. Folgerichtig kam es zu einer Wiederbelebung 102 der Diskussion u m Regierungsbegriff und Staatsleitung unter der Weimarer Verfassung. Die positivistische Auffassung, welche diese Fragen aus der rechtlichen Betrachtung verdrängt und den „ideologischen Schein der totalen Verrechtlichung der Herrschaft" 1 0 3 erzeugt hatte, konnte eine verfassungsrechtliche Bewältigung des Problems der — auch von der positivistischen Staatslehre stillschweigend vorausgesetzten — Staatsleitung auf die Dauer nicht ersetzen. 100

Dazu insbesondere Scheuner, Das Wesen des Staates, 234; ders., P o l i t i sche Koordination, 899; ders., Verantwortung u n d Kontrolle, 379 f.; ders., K o n sens u n d Pluralismus, 33 f., 55 f.; ferner Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 19. 101 A r t . 20 I I GG; 1 I I , 5 WeimRV. 102 Ansätze vor dem staatsrechtlichen Positivismus v o r allem bei Lorenz (von) Stein, Die vollziehende Gewalt (1869); vgl. dazu Scheuner, Der Bereich der Regierung, 259 - 261. 108 Badura, Regierung, 2166.

3. Notwendigkeit der Staatsleitung

b) Der allgemein-staatswissenschaftliche

Begriff

63

der Staatsleitung

Eingangs ist die Staatsleitung zur vorläufigen Orientierung als das stete Bemühen um die Erhaltung und Fortentwicklung der grundlegenden Ordnung des Staates, die er aus seiner formellen Organisation wie aus seinen materiellen Zielen und Aufgaben gewinnt, bezeichnet worden 1 0 4 . Diesen Ansatz gilt es nunmehr zu überprüfen und näher auszuführen, u m zu einer festeren begrifflichen Abgrenzung der Staatsleitung zu gelangen. Nach dem Verfassungsrückblick stellt sich vor allem die Frage, ob die Staatsleitung gegenwärtig überhaupt noch eine Daseinsberechtigung besitzt oder ob es sich nicht vielmehr, sofern noch Uberreste vorhanden sind, lediglich u m ein Liquidationsproblem überkommener monarchischer Herrschaftsgewalt handelt 1 0 5 . Von dem „modernen Staat" 1 0 6 , der „den Siegeszug u m die ganze Welt angetreten" hat 1 0 7 , w i r d verlangt, daß er als organisierte Form menschlichen Zusammenlebens bestimmte Ziele und Aufgaben erfolgreich wahrnimmt und eine verbindliche Ordnung gewährleistet. Dies gilt selbst für jene Ansicht, die ein „Absterben" des Staates voraussagt, für die Restzeit seiner Existenz aber u m so entschiedener auf seiner Durchsetzung besteht 108 . Dennoch handelt es sich bei allen diesen Forderungen, so selbstverständlich sie erscheinen mögen, nicht um Naturnotwendigkeiten i m Sinne einer dem Staate vorgegebenen, unausweichlichen Kausalität 1 < ) 9 , sondern lediglich u m — zumindest auf so hohem Abstraktionsniveau — allgemein anerkannte Bedingungen staatlicher Existenz und Wirksamkeit. Der Staat bleibt insoweit stets „menschliche Wirksamkeit" 1 1 0 und damit „menschliche Wirklichk e i t " 1 1 1 . E i n höherer — außerhalb des Menschen gelegener — Grund oder Auftrag des Staates steht dem nicht notwendig entgegen, würde an dem Ergebnis jedoch nichts ändern, weil er ebenfalls durch Menschen vermittelt und erfüllt werden müßte 1 1 2 . 104

Vgl. oben, Kap. I v o r 1. Dazu insbesondere Frotscher, Regierung, 193 - 232, der jedoch nicht genügend berücksichtigt, daß die Anerkennung der Staatsleitung („Regierung i m materiellen Sinn") nicht deren Zuweisung an die Regierung ( „ i m organisatorischen Sinn") zur Folge haben muß. 109 Vgl. Krüger, Staatslehre, 1 - 1 4 ; Skalweit, Der „moderne Staat" (1975); Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 14-16. 107 B u l l , Staatsaufgaben, 61. 108 Dazu D. Schröder, Die These v o m Absterben des Staates, 3 - 97, 177 f. ; B u l l (Anm. 107), 7 8 - 8 2 ; aus östlicher Sicht: Der sozialistische Staat, 333 - 358. 109 Allgemein zur „Notwendigkeit" i m Staatsrecht vgl. Krüger, Staatslehre, 2 5 - 2 7 ; B u l l (Anm. 107), 99 - 104; Häberle, AöR 1977, 47 - 52. 110 Heller, Staatslehre, 216. 111 Bäumlin, Demokratie, 363; Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, 126 f. 112 Krawietz, Das positive Recht, 106; Bäumlin, Staat, Recht u. Geschichte, 17. 105

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgab

Als menschliche Wirklichkeit ist der Staat dem Menschen nicht substantiell vorgegeben, sondern von i h m geschaffen und getragen. Der Staat geht von den Menschen aus. Diese müssen zu einer Einheit zusammenfinden, sich organisieren, damit der Staat entstehen und bestehen kann. Wie jedes soziale Gebilde bedarf der Staat der Organisation, um die i h m aufgetragenen Funktionen und die an i h n gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Erst die Organisation ermöglicht ein geordnetes staatliches Zusammenleben und Zusammenwirken der einzelnen Menschen. Insofern ist die Herstellung, Erhaltung und Fortbildung seiner Organisation für jeden Staat eine Notwendigkeit 1 1 8 . Die staatliche Organisation vermag jedoch nur die M i t t e l für die W i r k samkeit der staatlichen Ordnung bereitzustellen. Darüber hinaus bedarf es der Festlegung 114 der Ziele und Aufgaben, die m i t der staatlichen Organisation verfolgt werden sollen. Diese sind dem Menschen zwar ebensowenig vorgegeben wie die staatliche Organisation, deshalb aber nicht unbestimmbar 1 1 5 . Potentiell mag der Staat zu „allem" fähig sein und zu umfassender Betätigung neigen; aktuell muß auch für i h n eine Bestimmung darüber getroffen werden, welche Tätigkeiten er wahrzunehmen oder zu unterlassen hat 1 1 6 . A r t und Umfang der staatlichen Ziele und Aufgaben beeinflussen ihrerseits die Gestaltung der staatlichen Organisation, die nicht absolut für sich besteht, sondern eine möglichst zweckmäßige Wahrnehmung der Ziele und Aufgaben ermöglichen soll. Staatliche Organisation, Ziele und Aufgaben müssen dementsprechend aufeinander abgestimmt werden. Als staatliche Aufgabe i m weiteren Sinn, aber von so spezifischer Eigenart, daß sie der Hervorhebung bedarf, ist schließlich die Begründung einer verbindlichen Ordnung für das Zusammenleben der einzelnen Menschen zu nennen 1 1 7 . Hierin liegt ebenfalls keine dem Staat naturnotwendig zukommende, nach A r t und Inhalt vorherbestimmte Funktion. Sie ist dem Staat vielmehr zum Zweck seiner Wirksamkeit für das geordnete Zusammenleben aufgetragen und erfordert menschliche Ge-

113 Böckenförde, Organisationsgewalt, 32, 39 f.; ders., Organ, Organisation, Juristische Person, 287-293; Haenel, Gesetz, 208, 221 -224; auch Burckhardt (Anm. 111), 127 - 130. 114 Nicht ergeben sich die Zwecke schon aus der Organisation, etwa über deren „Effizienz" ; vgl. dazu Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 56 - 58. 115 Anders etwa Krüger, Staatslehre, 760, 829 f. (aber 27); ferner C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 24; Kelsen, Staatslehre, 40; weitere Nachweise bei Bull, Staatsaufgaben, 4 f. 116 Ebenso B u l l (Anm. 115), 3 0 - 3 4 ; vgl. auch Eichenberger, Z u r Problematik der Staatsauf gaben, 103 - 117. 117 Dazu B u l l (Anm. 115), 324 - 346.

3. Notwendigkeit der Staatsleitung

65

staltung und Entscheidung. Verbindliches Verhalten kann dem Menschen auch i n anderer Weise und von anderer Seite auferlegt sein — etwa durch naturgesetzliche Vorgegebenheiten, aus moralischen und sittlichen Gründen oder infolge eingegangener Verpflichtungen gegenüber anderen. Wegen der i h m i n Abgrenzung zu anderen sozialen Gebilden beigelegten höchsten (irdischen) Entscheidungsgewalt obliegt dem Staat jedoch die besondere Funktion, allein oder mit anderen Staaten, unverbindliche Forderungen und Interessen i n verbindliche Ansprüche und Verhaltensregeln umzusetzen und dadurch das menschliche Zusammenleben grundsätzlich 118 letztverbindlich zu gestalten 119 . Dem Staat fällt damit die Befugnis und zugleich die Verpflichtung zu, für die rechtliche Ordnung unter den einzelnen Menschen zu sorgen. Inhalt und Grenzen der staatlichen Rechtsordnung lassen sich nicht unabhängig von der staatlichen Organisation und den sonstigen staatlichen Zielen und Aufgaben bestimmen, sondern alle diese Bereiche bilden ein zusammengehöriges Ganzes, das die Grundstruktur des modernen Staates i m allgemeinen ausmacht. Ein solches Ganzes, i n dem die einzelnen Menschen unter einer gemeinsamen Ordnung zusammenleben und zusammenwirken, entsteht und besteht nicht zufällig oder nach einem vorgegebenen Plan. Es erfordert vielmehr aktive Planung, Festlegung und Durchführung seitens der beteiligten Menschen, wobei die Organisation, die Ziele und Aufgaben und die Rechtsordnung sowohl jeweils einzeln gestaltet wie auch insgesamt untereinander abgestimmt und zum Ineinandergreif en gebracht werden müssen. Damit w i r d ein umfassender und grundlegender Funktionsbereich erkennbar, ohne dessen Wahrnehmung der moderne Staat die an ihn gestellten Anforderungen und die i n ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann. Diesem Bereich gebührt deshalb die Bezeichnung „Staatsleitung". Dabei handelt es sich zunächst u m einen allgemein-staatswissenschaftlichen Begriff 1 2 0 , der lediglich eine für den modernen Staat unentbehrliche und damit i n der Staatsgewalt enthaltene Aufgabe umschreibt. Staatsleitung i n diesem Sinn ist die umfassende und grundlegende Planung, Festlegung und Durchführung der Organisation, der Ziele und Aufgaben sowie der Rechtsordnung des Staates. Der allgemein-staatswissenschaftliche Begriff der Staatsleitung gibt hingegen keine Auskunft über die möglichen Grenzen, die für die Staatsleitung gelten (Verfassung, Sachzwänge u. a.), über die möglichen Hand118

Vgl. aber z. B. A r t . 20 I V GG. Vgl. auch Krüger, Staatslehre, 491 f.; B u l l (Anm. 115), 85; Heller, Staatslehre, 236 f. 120 Dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, 29. 119

5 Magiera

I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

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lungsformen 1 2 1 , i n denen die Staatsleitung erfolgt (Gesetz, Rechtsetzung u. a.), oder über die möglichen Organe und Personen, welche die Staatsleitung ausüben und beeinflussen (Parlament, Regierung, Parteien, Volk u. a.). Erst recht enthält der Begriff keine Aussage über Inhalt und Grenzen der von der Staatsleitung zu gestaltenden staatlichen Organisation, Ziele und Aufgaben sowie Rechtsordnung. Der moderne Staat und die m i t i h m gegebene Notwendigkeit der Staatsleitung besitzen nur insofern allgemein-gültige Bedeutung, als sie überhaupt Organisation, Ziele und Aufgaben sowie Rechtsordnung voraussetzen. I n der inhaltlichen Ausgestaltung und den Grenzen dieser notwendigen Grundstrukturelemente moderner Staatlichkeit weichen die einzelnen Staaten jedoch so stark voneinander ab, daß nicht mehr allgemein-staatswissenschaftliche, sondern nur noch konkret-verfassungsrechtliche Erkenntnis näheren A u f schluß bieten kann. I n Fortentwicklung des allgemein-staatswissenschaftlichen Begriffs ist deshalb für die Bestimmung der Grenzen, der Handlungsformen und der Inhaber der Staatsleitung ein konkret-verfassungsrechtlicher Begriff zu erarbeiten 1 2 2 .

4. Bindung der Staatsleitung Einheitliche Organisation, gemeinsame Ziele und Aufgaben sowie eine für alle verbindliche Ordnung bilden notwendige, aber doch nicht hinreichende Voraussetzungen für einen menschen-gerechten 123 Staat. Nach den bisherigen Erfahrungen können diese Voraussetzungen das menschliche Zusammenleben zwar vor der einen extremen Gefahr, der Anarchie und dem Chaos, bewahren. Sie schützen jedoch nicht aus sich heraus vor der anderen extremen Gefahr, der despotischen Unterdrückung durch einen einzelnen, eine Minderheit oder auch eine Mehrheit von Mitmenschen 124 . Neben dem notwendigen Vorhandensein der Staatsleitung kommt es deshalb entscheidend auf die Bindung der Staatsleitung an, die maßgeblich ist für die Grenzen und die inhaltliche Gestaltung staatlicher Organisation, Ziele und Aufgaben sowie verbindlicher Ordnung i m einzelnen. Während die Notwendigkeit der Staatsleitung aus den Anforderungen folgt, die allgemein an den modernen Staat gestellt werden, muß bei der Frage nach der Bindung der Staatsleitung grundsätzlich auf den zeitlich und örtlich konkreten Staat abgestellt werden. Allgemeingültige 121

Vgl. auch B u l l , Staatsauf gaben, 47,100: „Erledigungsarten". Vgl. dazu den folgenden Abschnitt 4 c. 128 Z u diesem Terminus vgl. Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 3 Abs. 1, Randnr. 310 (im Anschluß an A . A r n d t , N J W 1961, 2154); ferner oben, Kap. I A n m . 15. 124 Vgl. auch Häberle, J Z 1977, 244. 122

4. B i n d u n g der Staatsleitung

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Grenzen und Inhaltsbestimmungen der Staatsgewalt einschließlich der Staatsleitung lassen sich allenfalls für einen grundlegenden und hochabstrakten Mindeststandard, etwa an Menschenrechten 125 , feststellen. I m übrigen besteht eine große Bandbreite von Gestaltungsmöglichkeiten und -Verwirklichungen zwischen liberal-zurückhaltender Ordnungsstaatlichkeit und total-ausgreifender Versorgungsstaatlichkeit. Ein theoretisch möglicher, praktisch jedoch — zumindest gegenwärtig und i n absehbarer Zukunft — wenig erfolgversprechender Versuch wäre es deshalb, Grenzen und Inhalte der Staatsleitung zu bestimmen, die für jeden modernen Staat gelten müßten.

a) Bindung durch Sachzwänge Für den Bereich der staatlichen Herrschaftsausübung ist immer wieder angestrebt worden, menschliche W i l l k ü r durch Bindimg an feste Voraussetzungen und Regeln einzugrenzen und dadurch die Entscheidungen der Staatsgewalt für die Betroffenen voraussehbar, einsichtig und erträglich zu machen 126 . Eine dauerhafte Bindung der Staatsgewalt an normative Maßstäbe — etwa des Naturrechts, der Vernunft, der Moral oder auch einer Rechtsverfassung — konnte i n der Staatspraxis i n dessen nie erreicht werden, mochten auch noch so einleuchtende Gründe für ihre Befolgung sprechen. Die Ohnmacht normativer Ordnung zeigte sich abermals, als die verfassungsrechtlichen Sicherungen der Weimarer Republik versagten und einer nach Ausmaß und Intensität bis dahin nicht gekannten Willkürherrschaft weichen mußten, die keinerlei normative Verpflichtung außerhalb ihres eigenen Nutzens gelten ließ 1 2 7 . Anders als die normativen Maßstäbe einer Sollensordnung, die jederzeit bestreitbar, übertretbar und existenzgefährdet sind, bilden die nach den Naturgesetzen gegebenen und m i t den Methoden der Wissenschaft und Technik aufgedeckten Kausalabläufe eine Zwangsordnung, die unbedingte Beachtung erfordert. Das menschliche Verhalten muß sie berücksichtigen, soll eine erstrebte Wirkung herbeigeführt oder eine unerwünschte Wirkung vermieden werden. Anpassen oder Scheitern — eine andere Wahl besteht nicht. W i l l k ü r läßt sich danach von Folgerichtigkeit abgrenzen. Insofern könnten eine Nutzbarmachung der wissenschaftlichen und technischen Methoden für den staatlichen Bereich und 125

588 f.

Dazu etwa Delbrück, Rassenf rage, 42, 80; Verdross / Simma, Völkerrecht,

126 Z u m Wunsch nach einer „Herrschaft von Gesetzen, nicht von Menschen" vgl. oben, Kap. 13, insbesondere A n m . 33. 127 Vgl. etwa E. R. Huber, Verfassungsrecht, 293: „Das Z i e l der v o l k - u n d staattragenden Bewegung ist die totale Durchsetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung i n V o l k u n d Reich."



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eine Bindung der Herrschaftsausübung an zwingende Kausalabläufe einen zuverlässigeren Schutz gegen menschliche W i l l k ü r bieten als die gescheiterten normativen Bestrebungen. Dies erscheint um so näherliegend, als die beschleunigte Entwicklung von Wissenschaft und Technik i m 19. und 20. Jahrhundert zu einer erheblichen Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse auf ganz grundlegenden und für die Gesamtheit der Bevölkerung spürbaren Gebieten — von der Ernährung, medizinischen Versorgung und Ausstattung mit Wohnraum über die A r beits· und Freizeitbedingungen bis h i n zum Informations-, Bildungsund Kulturzugang — geführt hat 1 2 8 . Eine erfolgversprechende Aufgabe der als unsicher empfundenen normativen Sollensordnung zugunsten einer sicheren kausalen Zwangsordnung würde jedoch über die Unabhängigkeit der Maßstäbe vom menschlichen Verhalten hinaus deren Unbeeinflußbarkeit durch menschliches Verhalten voraussetzen. Die Kausalketten laufen jedoch nicht einseitig auf den Menschen zu, so daß dieser lediglich als Empfänger alles hinnehmen müßte und vollkommen determiniert wäre, sondern nehmen auch von i h m als einem Verursacher ihren Ausgang. Der Mensch ist i n die kausale Zwangsordnung einbezogen, ihr damit unterworfen und zugleich ihr möglicher Gestalter. Zugespitzt formuliert: Der Mensch kann nichts ohne oder gegen „die Natur", aber (fast) alles m i t ihr tun. A n diesen Vorgegebenheiten haben Wissenschaft und Technik nichts geändert und auch nichts ändern können. Sie haben lediglich die Kenntnisse über die Kausalabläufe und ihre Beeinflußbarkeit erweitert sowie die M i t t e l für eine gezielte Beeinflussung aufgezeigt und bereitgestellt. Durch die gewonnene Präzisierung hat sich der Spielraum menschlicher Gestaltungsfreiheit erheblich verändert, indem realisierbare und nicht realisierbare Entscheidungen i m voraus klarer abgrenzbar und erkennbar sind und darauf gerichtetes Verhalten von vornherein überzeugender gefördert bzw. unterbunden werden kann. Die Grenzziehung zwischen Realisierbarem und Nicht-Realisierbarem hängt allerdings von dem jeweiligen Entwicklungsstand der Wissenschaft und Technik ab, ist daher relativ und deckt sich nicht notwendig m i t der Trennlinie zwischen dem absolut Möglichen und Unmöglichen. Damit lassen Wissenschaft und Technik die Frage offen, ob sich menschliches Verhalten auf das als (schon) realisierbar Erkannte beschränken oder ob und inwieweit es sich auch auf das für (noch) nicht realisierbar Gehaltene erstrecken sollte. Aber selbst wenn auf ihren jeweiligen Entwicklungsstand abgestellt wird, können Wissenschaft und Technik lediglich das Realisierbare aufzeigen, nicht jedoch angeben, ob 128 Z u r „Ausstrahlung" der Technik vgl. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 33 f.; vgl. ferner Krüger, Staatslehre, 663.

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und inwieweit eine erkannte Möglichkeit verwirklicht werden soll. A n wegweisender Aussagekraft mangelt es insbesondere, wenn verschiedene Möglichkeiten der Realisierung zur Auswahl stehen, die sich bei einer Verwirklichung jedoch gegenseitig entweder zeitlich oder überhaupt ausschließen. Anders als die Möglichkeiten sind die Ziele und Zwecke menschlichen Verhaltens weder aufgrund kausaler Zwangsordnung bestimmt noch m i t wissenschaftlichen und technischen Methoden bestimmbar. Insoweit muß die Frage menschlichen Sollens offenbleiben, während sich die Frage menschlichen Könnens wenigstens teilweise beantworten läßt 1 2 9 . Die Gebundenheit an die kausale Zwangsordnung gewährleistet deshalb auch bei Heranziehung von Wissenschaft und Technik keine sichere Bindung der menschlichen W i l l k ü r und vermag die „unsicheren" B i n dungen durch Maßstäbe normativer Sollensordnung nicht zu ersetzen. Dieses Zwischenergebnis verdient hervorgehoben und festgehalten zu werden, weil es für den Bereich der Staatsleitung unmittelbare und weitreichende Bedeutung besitzt. Als menschliche Wirklichkeit gelten für den Staat grundsätzlich die gleichen Voraussetzungen und Bedingungen wie für das menschliche Verhalten i m allgemeinen 130 . Die Zwangsordnung der Kausalabläufe bindet auch die Staatsleitung, wie sie umgekehrt deren Einflußnahme unterliegt. Folgen ergeben sich daraus wiederum lediglich für das staatliche Können, nicht hingegen für das staatliche Sollen. Dementsprechend vermögen Wissenschaft und Technik auch für den Bereich der Staatsleitung nur die realisierbaren Möglichkeiten und nur beschränkt auf ihren jeweiligen Entwicklungsstand aufzuzeigen, während die von der Staatsleitung anzustrebenden Ziele und Zwecke insoweit offenbleiben. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung von Wissenschaft und Technik und der damit einhergehenden Erweiterung der Möglichkeiten, auf die Kausalitäten Einfluß zu nehmen, wäre anzunehmen, daß sich der Spielraum menschlicher Entscheidung und auch der Staatsleitung erweitert hat. Dennoch w i r d von beachtlicher Seite vorgetragen, daß sich der Spielraum freier Gestaltbarkeit infolge der wissenschaftlichen und tech129

Z u r näheren Erforschung haben, w i e auch W. Schmidt, Organisierte E i n w i r k u n g e n auf die Verwaltung, 196, hervorhebt, insbesondere die Sozialwissenschaften beigetragen; vgl. dazu aus dem neueren Schrifttum etwa Bohret, Entscheidungshilfen, 1 9 - 2 5 ; Ellwein, Regierung als politische F ü h rung, 23; H. Friedrich, Staatliche V e r w a l t u n g u n d Wissenschaft, 2 1 - 2 7 ; Greiffenhagen, Demokratie u n d Technokratie (1967); Harnischfeger, Planung, 49; ferner Maurer, Der Staat 1976, 73; Noll, Gesetzgebungslehre, 9 8 - 103; K r a wietz, Das positive Recht, 67, 86 f., 99 f.; Pelinka, Dynamische Demokratie, 46 - 57. 180 Abweichend Kassimatis, Regierung, 133 - 135, nach dem f ü r die Regierung eine andere als die allgemeingültige E t h i k u n d M o r a l gelten soll.

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nischen Entwicklung merklich verengt habe 1 8 1 . Diese Feststellung findet sich insbesondere i m Zusammenhang mit der Frage, ob die Opposition i m modernen „Staat der Industriegesellschaft" 182 überhaupt noch i n der Lage sei, ihrer Holle als Alternative gerecht zu werden 1 8 8 . Die Kompliziertheit und Interdependenz moderner Lebensverhältnisse erfordere für die Lösung der zu bewältigenden Probleme vor allem sachverständige Beurteilung, der gegenüber „echte" politische Entscheidung immer mehr zurückgedrängt werde. A n die Stelle von Herrschaft und Entscheidung träten Sachzwang und Sachverstand 184 . Demokratie werde allmählich abgelöst durch Technokratie 185 . Auch i m staatlichen Bereich kann unbestreitbar nicht ohne Heranziehung von Sachverstand gehandelt werden und muß ebenso unbestreitbar auf Fakten gleich welcher Art, ob von Natur aus vorhanden oder von Menschen gesetzt, Rücksicht genommen werden, wenn bestimmte W i r kungen erzielt bzw. vermieden werden sollen 1 8 6 . Insofern besitzen Fakten aus sich heraus eine Wirksamkeit, die dem Sachverstand zugänglich sind, und lassen sich Entscheidungen über das staatliche Sollen nicht ohne eine Beurteilung des staatlichen Könnens treffen 1 8 7 . Dadurch entsteht aber noch kein Sachzwang i m Sinne einer Notwendigkeit zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen 188 . Da ein Können weder ein Sollen noch gar ein Müssen bedingt und da ferner „die bestehenden Kausalitäten i n den Dienst der Finalität gestellt werden" können 1 8 9 , ist vielmehr stets sorgfältig zu prüfen, ob sich ein angeblicher Sachzwang nicht nur deshalb ergibt, w e i l eine bestimmte Entwicklung verfolgt bzw. ver181

So grundsätzlich Forsthoff, Strukturwandlungen, 96 f. ; ders., Die Bundesrepublik Deutschland, 5 f.; ders., Der Staat der Industriegesellschaft, 4 2 - 6 0 ; ders., Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, 2 8 - 3 0 ; differenzierend Hesse, Verfassungsrecht, 6 7 1 ; kritisch Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 37. 182 So der T i t e l der vielbeachteten Monographie Forsthoff s (1971) zu dieser Diskussion. 188 Dazu v o r allem H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 38, 147 154, 372 - 378 m i t zahlreichen weiteren Nachweisen. 184 So insbesondere Schelsky, atomzeitalter 1961, 99; dagegen etwa Scheuner, Das Wesen des Staates, 2511; weitere Einzelheiten bei Krüger, Staatslehre, 665 - 667. 185 Warnend dazu Maurer, Der Staat 1976, 82. 186 Vgl. hierzu die Erörterung bei Bohret, Entscheidungshilfen, passim („Pol i t i k als Sozialtechnik"); ferner Harnischfeger, Planung, 47; Krawietz, Das positive Recht, 99; Noll, Gesetzgebungslehre, 98. 187 Vgl. auch Rupp, AöR 1976,162 f.; Häberle, AöR 1977, 53 - 57. 188 Vgl. z.B. K r a w i e t z (Anm. 136), 100; die T e i l f u n k t i o n der Technokratie hebt auch Maurer, Der Staat 1976, 87, hervor; vgl. ferner Ellwein, Regierung als politische Führung, 23; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 377; gegen den T r a u m von einem „Reich der Technokratie" auch Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 59; Harnischfeger (Anm. 136), 49. 189 Noll, Gesetzgebungslehre, 98.

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hindert oder ein bestimmtes Ziel erreicht bzw. vermieden werden kann, ohne daß eine Notwendigkeit dazu besteht. I n diesen Fällen liegt das eigentliche Problem moderner Staatlichkeit wie des menschlichen Zusammenlebens überhaupt bei der Frage, ob dem möglichen Handeln entsprochen werden soll oder nicht. Durch die Annahme von Sachzwängen w i r d dieses Kernproblem nur scheinbar gelöst, i n Wahrheit jedoch verschleiert 140 , wenn der Begriff des Sachzwangs nicht streng auf Kausalitäten beschränkt wird, die durch den Einsatz der verfügbaren Möglichkeiten nicht geändert werden können, sondern auf Kausalitäten ausgedehnt wird, die — aus welchen Gründen auch immer — nur nicht geändert werden sollen. Dementsprechend ist zwischen echten Sachzwängen (Nicht-Können) und unechten Sachzwängen (Nicht-Wollen) zu unterscheiden 141 . Echte Sachzwänge bilden eine unüberwindliche Grenze für das Handeln des Menschen 142 . Insoweit beschränkt sich die Lehre von den Sachzwängen auf die Feststellung, daß die Staatsleitung wie jedes menschliche Handeln der kausalen Zwangsordnung der Naturgesetze unterliegt. Die Annahme, der Spielraum der Entscheidungsfreiheit verenge sich infolge der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung, t r i f f t für diese A r t von Sachzwängen jedoch nicht zu, weil Wissenschaft und Technik den Bereich des Nicht-Könnens zurückdrängen und den Entscheidungsspielraum som i t erweitern. Unechte Sachzwänge stellen demgegenüber keine unüberwindliche Schranke für das Handeln des Menschen dar. Dies bedeutet nicht, daß sie überwunden werden sollten oder ohne Schwierigkeiten überwunden werden könnten 1 4 3 . Umgekehrt läßt sich aber feststellen, daß sie entgegen dem Anschein, den der Begriff Sach„zwang" hervorruft, einen Befolgungs- oder Anpassungszwang aus sich heraus nicht entfalten. Als Nicht-Wollen beruhen unechte Sachzwänge letztlich auf einer — bewußten oder unbewußten — Entscheidung. Somit können sie zwar Maßstäbe für menschliches Verhalten aufstellen, bedürfen jedoch auch selbst eines 140 Vgl. auch die Sorge Imbodens, Gewaltenteilung, 500, daß politische E n t scheidungen als „technisch bedingt" ausgegeben werden u n d der Fachmann umgekehrt nach versteckten politischen Maßen m i ß t ; ferner Lübbe, Der Staat 1962, 35 - 38, der auf die Schutzlosigkeit gegenüber einer ideologischen Zielunterschiebung verweist. 141 Auch nach Hesse, Verfassungsrecht, 68, g i l t es „zu sehen, daß es weniger echte Sachzwänge gibt als behauptet w i r d " . 142 Deswegen lassen sie sich auch nicht sinnvoll als Normanordnungen formulieren; dazu Krawietz, Das positive Recht, 98 f. 148 H i e r liegt vielmehr das wesentliche Problem, das gelöst werden muß, nicht aber durch die Annahme von „Sachzwängen" verdeckt werden darf. Sachzwänge dürfen nicht zur Ersatzbefriedigung aus Resignation über menschliches Unvermögen werden; vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, 68.

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Maßstabes. Da aus dem Sein kein Sollen folgt 1 4 4 , läßt sich der Maßstab nicht der Faktizität, dem Vorhandensein einer „Sache", entnehmen, sondern er muß außerhalb von ihr i n einer Normativität gefunden werden. Weder die kausale Zwangsordnung der Naturgesetze noch die Heranziehung der Methoden von Wissenschaft und Technik machen somit den Aufgabenbereich der Staatsleitung entbehrlich. Sie begrenzen die Staatsleitung zwar insofern, als diese wie jedes menschliche Handeln an die gegebenen Kausalitäten und die verfügbaren Möglichkeiten gebunden ist. Ein entscheidungsunabhängiger Befolgungs- oder Anpassungszwang w i r d jedoch nur von echten Sachzwängen ausgelöst. Eine Verengung oder gar Ausschaltung des Entscheidungsspielraums durch unechte Sachzwänge stellt demgegenüber das Ergebnis von Entscheidungen selbst dar. Die Tatsache einer Begrenzung und Bindung der Staatsleitung durch Sachzwänge gewährleistet deshalb für sich allein nicht die Einschränkung oder Beseitigung willkürlicher Herrschaftsausübung. Hierfür bedarf es zusätzlich der normativen Maßstäbe einer Sollensordnung jenseits der Sachzwänge. b) Bindung an die Verfassung aa) Bindung i m monarchischen und i m demokratischen Staat Die Ausführungen zur Notwendigkeit der Staatsleitung i m modernen Staat wie zu den Grenzen der Staatsleitung durch Sachzwänge haben gezeigt, daß es sich dabei nicht um feststehende Vorgegebenheiten handelt, sondern um gestaltbare und zu gestaltende Ergebnisse menschlichen Handelns. Weder die staatliche Herrschaft noch die Gerechtigkeit der staatlichen Herrschaft können als selbstverständlich vorausgesetzt werden, wie die ständigen Gefahren der Anarchie einerseits, der Despotie andererseits deutlich machen. Die Annahme einer substanzhaften Vorgegebenheit des Staates und seiner Herrschaft verwechselt tatsächliche Macht m i t staatlicher Macht 1 4 5 . Zwar muß staatliche Macht auch — höchste — tatsächliche Macht sein, wenn der Staat die i h m gestellten Aufgaben erfolgreich wahrnehmen soll; umgekehrt darf aber nicht einfach die — durchsetzungsfähigste — tatsächliche Macht m i t staatlicher Macht gleichgesetzt werden, wenn der Staat sich von der berühmt-berüchtigten Räuberbande unterscheiden soll 1 4 6 . 144 Z u r „Hume'schen H ü r d e " vgl. Steinberger, Freiheitliche Demokratie, 223; ferner etwa Krawietz, Das positive Recht, 104 - 106; Rupp, AöR 1976,162. 145 Vgl. Bäumlin, Demokratie, 364; ders., Rechtsstaat, 2047 f.; auch Hesse, Verfassungsrecht, 196 f. 148 ïïeller, Staatslehre, 203; Krüger, Staatslehre, 681.

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Den Ausschlag gibt vielmehr die A r t und Weise der Regelung der tatsächlichen Machtverhältnisse, die „Machtverarbeitung". Hierin unterscheiden sich die Staaten von anderen Organisationen, aber auch untereinander. Regelungsfähigkeit und Verarbeitungskapazität hängen allerdings eng m i t den tatsächlichen Machtverhältnissen zusammen, wie ein Vergleich der monarchischen Verfassung des Konstitutionalismus mit der demokratischen Verfassung des Grundgesetzes veranschaulicht. Die konstitutionelle Verfassung ging von der bestehenden Machtüberlegenheit des Monarchen aus und erkannte diese als weiterhin prae- und extra-konstttutionell an 1 4 7 . Nur die Grenzen der monarchischen Macht wurden i n der Verfassung niedergelegt, nicht die Begründung. Hierfür bedurfte es einer besonderen Legitimation außerhalb der konstitutionellen Verfassung, wenn die monarchische Macht als staatliche, über eine lediglich tatsächlich-persönliche hinausgehende, Macht qualifiziert sein wollte 1 4 8 . Solange die Machtüberlegenheit des Monarchen ungebrochen fortbestand, war die staatliche Herrschaft als solche gesichert, und als Aufgabe stellte sich allein die Gewährleistung der gerechten Ausübung dieser Herrschaft. Dementsprechend konzentrierte sich das konstitutionelle Staatsrecht auf die Umzäunung der monarchischen Macht durch verfassungsrechtliche Schranken 149 . A u f deren Wirksamkeit kam es u m so mehr an, als die Macht selbst wegen ihrer prae- und extra-konstitutionellen Existenz verfassungsrechtlich ungemessen blieb. Unter dem Grundgesetz herrscht demgegenüber grundsätzlich Einvernehmen darüber, daß alle Staatsgewalt einschließlich der Staatsleitung rechtlich umfassend gebunden ist 1 5 0 . Uber den näheren Inhalt und Umfang dieser rechtlichen Bindung besteht jedoch weit weniger Ubereinstimmung. bb) Bindung an Verfassung, Gesetz und Recht Nach A r t . 1 I I I GG binden die nachfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes 147 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 38; ferner etwa Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 89 f.; Böckenförde, Organisationsgewalt, 33. 148 Die schwierige Frage w u r d e v o r allem i m Zusammenhang m i t dem Problem der Souveränität behandelt; vgl. dazu Jesch (Anm. 147), 7 8 - 8 7 ; allgemein insbesondere von Unruh, Legitimation, 450 f., 464 f. u n d passim; i m übrigen unten, Kap. I V 1 a. 149 Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats, 56. 160 Grundlegend Scheuner, Der Bereich der Regierung, 279 f.; ferner z . B . Böckenförde, Organisationsgewalt, 33, 74; Bull, Staatsauf gaben, 116; Hesse, Verfassungsrecht, 13 f., 197-200; Kassimatis, Regierung, 143- 145; von M a n g o l d / K l e i n , A r t . 20, A n m . V I 4 v o r a (S. 602); Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, 98; Rauschning, Verfassungsrecht, 38; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 13; W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht 1,175.

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Recht; nach A r t . 20 I I I GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Somit w i r d zwar nicht ausdrücklich „die Staatsgewalt" gebunden. Dennoch besteht Einvernehmen, daß die i n den Art. 1 und 20 GG, die sich grundsätzlich auf „alle" Staatsgewalt beziehen (vgl. A r t . 1 I und 20 I I GG), niedergelegten Bindungen von Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung die Ausübung der gesamten Staatsgewalt umfassen 151 , unabhängig von deren Gliederung nach I n halt, Abgrenzung und Zuordnung i m einzelnen 152 . Die Bindungen der A r t . 1 I I I und 20 I I I GG gelten deshalb grundsätzlich auch für den A u f gabenbereich der Staatsleitung, ohne daß dessen genauere Zuordnung zu den benannten Bereichen schon festgestellt sein müßte. Eine Bindung besteht zunächst an das Verfassungsrecht. Dies folgt unmittelbar aus A r t . 1 I I I GG, wonach die „nachfolgenden" Grundrechte die Staatsgewalt binden, und unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte auch aus A r t . 20 I I I GG, nach dessen Wortlaut nur die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden erscheint, weil die entsprechende Bindung der übrigen Staatsgewalt für selbstverständlich gehalten wurde 1 5 3 . Eine Bindung besteht ferner an Gesetz und Recht. Dies gilt nach dem Wortlaut des A r t . 20 I I I GG für die Vollziehung und die Rechtsprechung, nicht jedoch für die Gesetzgebung. Das Verhältnis von Gesetz und Recht i n dieser Formel bereitet erhebliche Auslegungsschwierigkeiten 154 . Sie betreffen jedoch mehr die Abgrenzung und Zuordnung der einzelnen Teilgewalten untereinander als die grundsätzliche Unterworfenheit aller Staatsgewalt unter die Gesetze und das Recht. Davon ist lediglich die Gesetzgebung ausgenommen, was für die Nichtbindung an das Gesetz ohne weiteres verständlich ist. Die Nichtbindung an das Recht deutet hingegen allenfalls negativ darauf hin, daß der Begriff des Rechts i n diesem Zusammenhang nicht ein irgendwie geartetes überpositives Recht meinen kann 1 5 5 , w e i l die Gesetzgebung selbst „ n u r " an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist; positiv bleibt hingegen offen, ob der 151 Jedenfalls der „hoheitlichen" i m Gegensatz zur fiskalischen; vgl. dazu Hamann / Lenz, A r t . 20, A n m . Β 9 a, aa (S. 345); Martens (Anm. 150), 98 f. 152 Vgl. von Mangoldt / K l e i n (Anm. 150); Wernicke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 20, A n m . I I 2 a; H a m a n n / Lenz, A r t . 20, A n m . Β 9 a (S. 344). 155 Vgl. dazu von Mangoldt / Klein, A r t . 20, A n m . V I 4 e (S. 603); M a u n z / Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 85 (zu ee). 154 Vgl. Starck, Gesetzesbegriff, 37; J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 117 -121; Schnorr, AöR 1960, 124 - 127; Wernicke (Anm. 152), A r t . 20, A n m . I I 3 e; R. Stahl, Bindung der Staatsgewalten, 26 - 59. 155 Sofern es nicht Aufnahme i n das Grundgesetz gefunden h a t ; vgl. von Mangoldt / K l e i n , A r t . 20, A n m . V I 4 f (S. 604); Wernicke (Anm. 152), A r t . 20, A n m . I I 3 e.

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Begriff des Rechts gleichbedeutend sein soll etwa m i t dem ungeschriebenen Recht als Gegensatz zum geschriebenen Gesetz 166 , m i t dem Verfassungsrecht als Klarstellung der Bindung auch der Vollziehung und der Rechtsprechung 157 oder m i t dem Gesetz selbst als nicht näher auflösbare, feierliche Tautologie 1 6 8 . Inwieweit der knappe Wortlaut und die Deutungsvielfalt der Formel von „Gesetz und Recht" überhaupt eine Aussage zulassen, die über ein grundlegendes, aber „undifferenziertes Bekenntnis zum Rechtsstaat" und eine Bindung an Gesetz und Recht „als Ausdruck beschränkter Staatlichkeit" hinausgeht 1 5 9 , kann hier jedoch auf sich beruhen. Für die Staatsleitung als Teil der Staatsgewalt ergeben sich keine Anhaltspunkte, daß sie nicht wie alle andere Staatsgewalt — soweit sie nicht die Form der Gesetzgebung annimmt — an Gesetz und Recht i m Sinne des A r t . 20 I I I GG gebunden ist. Angesichts der grundlegenden Bedeutung 1 6 0 des Aufgabenbereichs der Staatsleitung steht jedoch gegenüber dieser Bindung die unmittelbare Bindung an das Verfassungsrecht regelmäßig i m Vordergrund. cc) Bindung durch verfassungsrechtliche Begründung und Begrenzung Der Umfang der rechtlichen Bindung der Staatsleitung läßt sich nicht einzelnen Bestimmungen der Rechtsordnung, sondern nur der Gesamtheit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes entnehmen. Der Sache nach geht es um das Grundproblem der verfassungsrechtlichen Begründung und Begrenzung staatlicher Machtausübung. Allerdings unterliegen schon diese Begriffe ebenso wie ihre Gegenüberstellung kritischen Einwänden, die sich i m wesentlichen auf zwei entgegengesetzte Argumentationslinien zurückführen lassen. Gegen das Erfordernis einer verfassungsrechtlichen Begründung aller Staatsgewalt w i r d eingewandt, es verleite zu der Fehleinschätzung der positivistischen Staatslehre, wonach die Staatsgewalt ihre Grundlage allein i n der Verfassung finde und lediglich deren Anordnungen „vollziehe" („Vollzugsdenken") 1 6 1 . Gegen das Erfordernis der verfassungsrechtli156 Dazu Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte, 531 f.; auch von Mangoldt / Klein, A r t . 20, A n m . V I 4 f (S. 603 f.). 157 Gleichsam als Verstärkung der Argumentation aus der Entstehungsgeschichte; vgl. oben, bei A n m . 153. 168 Dazu Jahrreiß, N J W 1950, 3; Schräder, Recht u n d Gesetze, 84 f.; Maunz / D ü r i g (Anm. 153), A r t . 20, Randnr. 72. 159 J. Ipsen (Anm. 154), 120 f.; Schnorr (Anm. 154), 128. 180 Dazu oben, Abschnitt 3 i n diesem Kap. 181 Ablehnend gegenüber einem „Vollzug" (bzw. einer „ A n w e n d u n g " , „ A u s -

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chen B e g r e n z u n g a l l e r S t a a t s g e w a l t w i r d u m g e k e h r t v o r g e b r a c h t , es k n ü p f e a n das ü b e r h o l t e V e r s t ä n d n i s des k o n s t i t u t i o n e l l e n Staatsrechts an, w o n a c h d i e S t a a t s g e w a l t d e r V e r f a s s u n g s u b s t a n t i e l l v o r g e g e b e n sei u n d l e d i g l i c h n a c h t r ä g l i c h v o n dieser „ b e g r e n z t " w e r d e ( „ S c h r a n k e n d e n k e n " ) 1 6 2 . V o r d e r U n t e r s c h e i d u n g d e r b e i d e n B e g r i f f e w i r d schließl i c h g e w a r n t , w e i l sie l e i c h t z u der falschen A l t e r n a t i v e zwischen V o l l z u g s d e n k e n einerseits u n d S c h r a n k e n d e n k e n andererseits f ü h r e 1 6 3 . Gegen eine v o r d e r g r ü n d i g e u n d i r r e l e i t e n d e B e g r i f f l i c h k e i t schützt a m besten eine B e s i n n u n g a u f d i e G r u n d s t r u k t u r d e r k o n k r e t e n V e r fassung. A l s wesentliches M e r k m a l des Grundgesetzes h a t s i c h d a b e i d i e gegenseitige E r g ä n z u n g v o n v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e r F e s t l e g u n g u n d g l e i c h z e i t i g e r O f f e n h a l t u n g des s t a a t l i c h e n W i l l e n s b i l d u n g s - u n d E n t scheidungsprozesses e r w i e s e n 1 6 4 . V e r f a s s u n g s w i r k l i c h k e i t e n t s t e h t d u r c h V e r f a s s u n g s v e r w i r k l i c h u n g 1 6 5 , i n d e m d e r t e x t l i c h festgeschriebene V e r fassungsrahmen durch die insoweit legitimierte Verfassungspraxis näher ausgestaltet w i r d . Diese G r u n d s t r u k t u r , die R e g e l u n g u n d b e w u ß t e Nicht-Regelung, Entscheidung u n d Entwicklungsmöglichkeit umfaßt, spiegelt sich w i d e r i n d e m B e g r i f f s p a a r verfassungsrechtlicher B e g r ü n d u n g u n d B e g r e n z u n g d e r S t a a t s l e i t u n g , das infolgedessen e i n e n B e i führung" u. ä.) der Verfassung — ohne damit notwendig das Erfordernis einer Begründung durch die Verfassung zu verneinen — allgemein: Hesse, Verfassungsrecht, 11 f.; Krüger, Staatslehre, 696; ders., Verfassungsvoraussetzungen, 305 f. ; Rauschning, Verfassungsrecht, 38 ; Scheuner, Grundfragen des modernen Staates, 146; ders., Das Wesen des Staates, 260; speziell durch die Regier u n g (im materiellen Sinn): Kassimatis, Regierung, 144, 148; speziell durch die Gesetzgebung, f ü r die das Problem am meisten erörtert w i r d : Badura, AöR 1967, 385, 391 f.; Bull, Staatsaufgaben, 143; Eichenberger, Die oberste Gewalt i m Bunde, 2 1 - 2 3 ; Häfelin, Verfassungsgebung, 118 - 120; K u h l m a n n , Verfassungsauftrag, 145 - 148; Leisner, Gesetzesvertrauen, 275; Recknagel, Ermessen, 77 - 83 b ; Wienholtz, Normative Verfassung, 23, 77 f. — Eine Befürwortung des Vollzugsdenkens w i r d v o r allem der sog. Wiener Schule nachgesagt (vgl. ζ. B. Kassimatis, Regierung, 144 m i t A n m . 32, 148 m i t A n m . 57), deren Vertreter jedoch durchaus differenzieren; vgl. z.B. Marcie, Verfassung, 40, einerseits; Kelsen, Staatslehre, 246-248, andererseits; auch Korinek, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 33 (1975), 303, der den Zusammenhang von autonomer u n d heteronomer Determinante hervorhebt; vgl. zur Wiener Schule auch Recknagel, E r messen, 78, zur Determinantenlehre ders., 62 - 72 e. — Z u m Vollzugsdenken vgl. ferner Contiades, Staatsstrukturbestimmungen, 118; C. Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug (1952); Heller, Der Begriff des Gesetzes, 119. — Demgegenüber gebraucht Lerche, Übermaß, 65 A n m . 153, den Vollzugsbegriff i n einem spezifischen Sinn, der „stetigen Direktion". 182 Die Nachwirkungen des Schrankendenkens hat insbesondere Soell, E r messen, 69 - 75, 84 - 86, 91 f., 96, f ü r die verwaltungsrechtliche Ermessenslehre herausgearbeitet, die auch auf der Ebene des Verfassungsrechts i m m e r wieder herangezogen w i r d ; vgl. dazu unten, bei A n m . 199. les Dagegen — bezogen auf das Verhältnis von Gesetz u n d V e r w a l t u n g — Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 35 f. 184 185

Dazu oben, Kap. I 5. Dazu Hesse, Verfassungsrecht, 17-20.

4. Bindung der Staatsleitung

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trag zur besseren Erkenntnis des Umfangs der rechtlichen Bindung der Staatsleitung zu leisten vermag 1 6 6 . A u f diesem Hintergrund verblaßt die Schärfe der gegen das Begriffspaar und seine Bestandteile erhobenen kritischen Einwände, soweit sie die jeweils gegnerische Position durch einen Vergleich oder eine Gleichsetzung m i t dem Vollzugs- oder Schrankendenken zu überzeichnen und somit ad absurdum zu führen versuchen, dabei aber den zutreffenden K e r n der abgelehnten Ansicht vernachlässigen 167 . Bei näherer Betrachtung findet sich das „reine" Vollzugs- oder Schrankendenken jedoch weit weniger verbreitet 1 6 8 , als die bisweilen heftigen Kontroversen 1 6 9 vermuten lassen. I m wesentlichen geht es vielmehr darum, welchem der beiden idealtypischen Extreme i m Grad der Verfassungsbindung die jeweils angegriffene oder verteidigte Position näher steht. N u r die kategorische Alternative, nicht die behutsame Verbindung zwischen verfassungsrechtlicher Begründung und Begrenzung der Staatsleitung verfehlt deshalb das Problem, das i n seinem K e r n auf die Frage nach dem richtigen, nämlich verfassungsrechtlich festgelegten, Verhältnis beider Bestandteile des Begriffspaares hinausläuft 1 7 0 . Verfassungsrechtliche Begründung der Staatsgewalt und damit auch der Staatsleitung bedeutet unter dem Grundgesetz Rückbindung allen staatlichen Tätigwerdens an die Verfassung oder — negativ gewendet — Ausschluß jeglicher staatlicher Betätigung ohne verfassungsrechtliche Ermächtigung. Dieser Grundsatz folgt aus A r t . 20 I I GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und vom Volke selbst oder durch besondere Organe ausgeübt wird. Damit erteilt die demokratische Verfassung — i m Gegensatz zur konstitutionellen Verfassung — jeglicher P r i vilegierung bei der Innehabung und der Ausübung staatlicher Macht aufgrund unterschiedlicher tatsächlicher Macht eine Absage 171 . Die trotz der Ungleichheit i n den tatsächlichen Machtverhältnissen von der Verfassung normierte radikale Gleichheit bei der staatlichen Machtverteilung gestattet keinen Rückgriff auf angeblich vorgegebene, „natürliche" oder 1ββ Vgl. auch die Begriffspaare „Grundlage — Begrenzung" u n d „Begründung — Maßbestimmung" bei Böckenförde, Organisationsgewalt, 55 f., 73 f. ; ferner B u l l , Staatsaufgaben, 116. 167 Vgl. auch Lerche, AöR 1965, 344 m i t A n m . 8. 168 Vgl. zum unscharfen Gebrauch des Vollzugsbegriffs die Nachweise bei Recknagel, Ermessen, 78 f. le» v g l . etwa die Auseinandersetzung zwischen Badura, Verwaltungsmonopol, 313; ders., AöR 1967, 391 f., u n d Rupp, Grundfragen, 133 A n m . 80. 170 Insofern ist der Warnung Bäumlins (oben, A n m . 163) v o r der falschen Alternative zuzustimmen; die „ B i n d u n g " bedarf jedoch der näheren A u f schlüsselung. 171 Hesse, Verfassungsrecht, 55.

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

anderweit erworbene Herrschaftstitel 1 7 2 . Für die Ausübung von Staatsgewalt unter dem Grundgesetz genügen somit nicht „Auftrag und Befugnis zur Befolgung des Gemeinwohls nach der Richtschnur einer Gerechtigkeitsidee" 173 . Vielmehr bedarf es der Betrauung m i t entsprechenden Aufgaben durch die Verfassung 174 . I n i h r hat das (verfassungsgebende) Volk die allgemeine Gerechtigkeitsidee „ k r a f t seiner verfassungsgebenden Gewalt" (Präambel) durch Einrichtung von Organen und Verfahren sowie durch Niederlegung von materiellen Grundsätzen für die Verwirklichung i m staatlichen Zusammenleben überhaupt erst aufbereitet, konkretisierbar und allgemein zustimmungsfähig gemacht 175 . Hierin zeigt sich die unauflösbare Wechselwirkung zwischen dem Staat als der Organisation des menschlichen Zusammenlebens und der Verfassung als seiner rechtlichen Grundordnung i m geschichtlichen Wandel. Die Verfassung gibt dem Staat rechtlich konkrete Gestalt 1 7 6 . Das Problem der verfassungsrechtlichen Begründung der Staatsgewalt mündet deshalb nicht ein i n die schroffe Alternative, ob der Staat das „Geschöpf seiner Verfassung" sei oder ob er „unabhängig von jeder rechtlichen Fixierung" bestehe 177 , sondern i n die umfassende Frage, ob und wie der Staat durch seine Verfassung die allgemeine Gerechtigkeitsidee 1 7 8 konkret verwirklicht. Machtausübimg unter dem Grundgesetz ist nach alledem — anders als unter der monarchisch-konstitutionellen Verfassung — nur dann als staatliche legitimiert, wenn sie durch die Verfassung selbst begründet ist. Entsprechend müssen alle Staatsorgane verfassungsrechtlich konstituiert und alle Staatsfunktionen verfassungsrechtlich legitimiert sein 1 7 9 . Das Erfordernis der verfassungsrechtlichen Begründung aller Staatsgewalt erschöpft sich grundsätzlich i n einer allgemeinen Organkonstituierung und Funktionslegitimierung. I h m kommt i m wesentlichen eine Abwehrfunktion gegen prae- und extrakonstitutionelle Herrschaftsansprüche zu, wie sie die monarchisch-konstitutionelle Verfassung zuließ 1 8 0 . 172 „ P a r i n parem non habet i m p e r i u m " ; vgl. dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, 74; auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 76 f.; Kriele, Demokratisches Prinzip, 61. 178 So Badura, Verwaltungsmonopol, 313; dagegen Rupp, Grundfragen, 133 A n m . 80; vgl. aber auch Badura, Verfassung u n d Verfassungsgesetz, 23. 174 Hesse, Verfassungsrecht, 56; auch Recknagel, Ermessen, 74 f. 175 Vgl. auch Böckenförde (Anm. 172), 33; ferner oben, Kap. I 3. 176 Vgl. auch Hesse (Anm. 174), 79: „Maß u n d F o r m " ; Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, 31; Häfelin, Verfassungsgebung, 82. 177 Diesen Gegensatz hebt Badura, Verwaltungsmonopol, 313, hervor. ne Verstanden als etwas „Aufgegebenes", nicht fertig Vorhandenes; vgl. dazu oben, Kap. 13. 179 Vgl. insbesondere Böckenförde, Organisationsgewalt, 78 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 200; ferner die Nachweise oben, A n m . 150.

4. B i n d u n g der Staatsleitung

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Dieses allgemeine Ermächtigungserfordernis darf deshalb nicht i m Sinne eines besonderen Ermächtigungserfordernisses mißverstanden werden, wonach alle Äußerungen der Staatsgewalt unter dem Grundgesetz auf jeweils besondere Gebote oder Erlaubnisse i n der Verfassung zurückzuführen wären 1 8 1 . Solche besonderen Gebote und Erlaubnisse finden sich zwar i m Grundgesetz, etwa als Aufträge zur Gesetzgebung 182 oder als Gestattungen zur Grundrechtseinschränkung 188 ; sie lassen sich aber nicht dahin ausweiten und verabsolutieren, daß sie allein staatliches Handeln legitimieren. Die Verankerung von Einzelregelungen i m Grundgesetz vermag nicht den Gesamtcharakter der Verfassung als rechtlicher Grundordnung i m geschichtlichen Wandel aufzulösen und auf eine Zusammenfassung punktueller Anordnungen und Erlaubnisse zu verkürzen, die gleichsam eine „abschließende Bestimmung der staatlichen Existenz" darstellen 1 8 4 . Einer derartigen Gefahr der Verengung und Erstarrung suchen die Befürworter besonderer Ermächtigungserfordernisse selbst zu begegnen, indem sie auf die „Generalermächtigungen" des Grundgesetzes, insbesondere das Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip, hinweisen 1 8 5 . Damit schrumpft der zunächst als unüberbrückbar erscheinende Gegensatz zwischen allgemeinem und besonderem Ermächtigungserfordernis angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieser Generalklauseln erheblich zusammen und verlagert sich weitgehend auf das konkrete Problem der verfassungsmäßigen Entfaltung des Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzips unter dem Grundgesetz. Der Gegensatz verringert sich weiter, wenn neben der positiven Verfassungsbindung durch Verfassungsbegründung der Staatsgew a l t die negative Verfassungsbindung durch Verfassungsbegrenzung der Staatsgewalt herangezogen w i r d 1 8 6 . 180

Dazu oben, bei A n m . 147. Eine besondere Ermächtigung fordert vor allem Hamann, N J W 1955, 972; ders., Wirtschaftsverfassungsrecht, 40 f.; vgl. auch H a m a n n / L e n z , Einführung D 1 A 3 (S. 56 f.); Stern, D Ö V 1961, 329; aber auch ders., Ermessen, 15 f. — Anders insbesondere Badura, Verwaltungsmonopol, 313 f.; ders., AöR 1967, 391 f.; Maunz, i n : Maunz / D ü r i g /Herzog / Scholz, A r t . 20, Rdnr. 119; vgl. auch Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, 26; Rauschning, Verfassungsrecht, 38; Recknagel, Ermessen, 98. 182 Dazu etwa B u l l , Staatsaufgaben, 143 -146; Häfelin, Verfassungsgebung, 9 7 - 9 9 ; Scheuner, Staatszielbestimmungen, 333-335; ders., Normative Gewährleistungen, 330 - 332; Wienholtz, Normative Verfassung, passim. 183 Dazu grundlegend Häberle, Wesensgehaltsgarantie, passim; ferner Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 5 2 - 5 5 ; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 85 f. 184 Insoweit ist Badura, Verwaltungsmonopol, 313, zuzustimmen. 185 Vgl. insbesondere Hamann, N J W 1955, 972; ders., Wirtschaftsverfassungsrecht, 41 f.; ferner Stern, D Ö V 1961, 329; ders., Sozialstaat, 2406 („Sozialstaatsauftrag" als „AktionsVollmacht"). 188 Vgl. auch die parallele Unterscheidung zwischen „positiver" u n d „negat i v e r " Verfassungs- u n d Gesetzmäßigkeit bei W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht 1,177, 183. 181

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

Die verfassungsrechtliche Begrenzung 187 der Staatsgewalt einschließlich der Staatsleitung vervollständigt die verfassungsrechtliche Bindung, indem sie die verfassungsrechtliche Begründung überall dort ergänzt, wo keine besonderen verfassungsrechtlichen Gebote und Erlaubnisse bestehen. Die Begrenzung gilt also nicht einer vorverfassungsmäßigen, sondern einer durch die Verfassung begründeten, aber nur allgemein festgelegten Staatsgewalt. Die Begrenzung erscheint grundsätzlich i n punktuellen Ausgrenzungen, die der Staatsgewalt insgesamt oder einzelnen 1 8 8 Staatsorganen regelmäßig ein bestimmtes Tätigwerden oder eine bestimmte Erfolgsherbeiführung untersagen 189 . Sie können i n Teilbereichen der Verfassung derart verdichtet sein, daß sie einer „negativen Steuerung" 1 9 0 gleichkommen und bestimmte Handlungen oder Erfolge zumindest mittelbar bewirken 1 9 1 . Dieser Steuerungseffekt w i r d dadurch verstärkt, daß die schon erwähnten 1 9 2 besonderen verfassungsrechtlichen Gebote und Erlaubnisse neben ihrer punktuellen Wirkung auch positive Richtlinienfunktion entfalten können 1 9 3 . Zwischen verfassungsrechtlicher Begrenzung und Steuerung der Staatsleitung besteht deshalb ein allmählicher (quantitativ abgestufter) Übergang und keine scharfe (qualitativ trennende) Grenzlinie. Begrenzungs- und Steuerungselemente ge187

Vgl. dazu Kassimatis, Regierung, 146- 159; Scheuner, Staatszielbestimmungen, passim. 188 Etwa durch Beschränkung auf ein bestimmtes Staatsorgan, z . B . den Gesetzgeber; vgl. dazu Ermacora, D Ö V 1960, 561 - 565. 189 „ S p e r r w i r k u n g einer negativen Entscheidung" (Bull, Staatsaufgaben, 135) ; etwa die Grundrechte i n ihrem traditionellen (Abwehr-)Verständnis (vgl. aber unten, A n m . 191) oder die „institutionellen Garantien" (dazu Scheuner, Staatszielbestimmungen, 331 - 333). — Von „punktuellen Schranken" der V e r fassung gegenüber dem Gesetzgeber spricht Leisner, Gesetzesvertrauen, 275. 190 Stern, Ermessen, 23 A n m . 64, spricht von „negativ steuernde(n) Rechtsschranken" ; vgl. auch Recknagel, Ermessen, 92. 191 So etwa die Grundrechte, die — i m Zusammenhang m i t dem Demokratie« u n d dem Sozialstaatsprinzip — i m m e r mehr (auch) als „ L e i t b i l d e r " , „Richtlinien", „Staatszielbestimmungen" verstanden werden; vgl. dazu etwa Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 37 - 47, 6 4 - 7 7 ; Rupp, AöR 1976, 161 201; Liesegang, JuS 1976, 420-424; B u l l , Staatsaufgaben, 155- 162; Martens u n d Häberle, Grundrechte i m Leistungsstaat, m i t anschließender Diskussion, 7 - 1 9 1 ; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 72 - 81; Scheuner, Normative Gewährleistungen, 324. 192 Vgl. oben, bei A n m . 182 f. 193 A u f die „Normdichte" k o m m t es dabei nicht an; vgl. dazu B u l l , Staatsaufgaben, 126 - 128. — Terminologie u n d Abgrenzung sind i n diesem Bereich wenig einheitlich; vgl. z. B. Bull, Staatsauf gaben, 128 („Verfassungsaufträge"), 143 („Regelungsaufträge") ; Häfelin, Verfassungsgebung, 94 („Staatszielbestimmungen u n d verfassungsrechtliche Leitgrundsätze"); Lerche,Übermaß,63f.,65 u n d passim („Verfassungsdirektiven" als „sachlich gebundene »Verfassungsaufträge'" i m Gegensatz zu „einmaligen Verfassungsbefehlen"; zweifelnd zu diesem Unterschied: B u l l , Staatsauf gaben, 145); Recknagel, Ermessen, 89 f. u n d passim („Determinanten", unter Bezugnahme auf die Wiener Schule). — A l l gemein zu „Verfassungsgrundsätzen": Krüger, Der Verfassungsgrundsatz, 187 - 211.

4. B i n d u n g der Staatsleitung

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hen vielmehr ineinander über und finden sich ebenso wie Begründungselemente sowohl i n formell-rechtlichen Organisations- und Verfahrensnormen wie i n materiell-rechtlichen Sachnormen 194 . Dieses vielfältige und scheinbar verwirrende Nebeneinander von Begründung und Begrenzung, von punktueller Gestaltung, Anordnung und Untersagung, von negativer Steuerung und positiver Richtungsgebung, von formell- und materiell-rechtlichen Normen stellt nichts anderes dar als eine nähere und bei weitem nicht vollständige Auffächerung des allgemeinen Ergänzungsverhältnisses zwischen Festlegung und gleichzeitiger Offenhaltung durch die Verfassung als rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel. Daraus erklären sich auch die vergeblichen Bemühungen, welche die verfassungsrechtliche Bindung von grundlegenden Aufgabenbereichen wie der Staatsleitung oder der Gesetzgebung mit einem einzigen Begriff, etwa als „VerfassungsVollzug" 195 , als „Ermessen" 1 9 6 oder als „freie Gestaltung" 1 9 7 , zu erfassen suchen 198 . H i n zu kommt ihre Schwierigkeit, daß die aus dem Bereich des Verwaltungsrechts stammenden Begriffe dort selbst umstritten sind 1 9 9 und ihre Übertragung auf den Bereich des Verfassungsrechts zusätzliche Unsicherheiten heraufbeschwört 200 . Nicht selten bleibt deswegen die Diskussion dem Begrifflichen verhaftet und dringt nicht zum Sachlichen vor. Ob es ein Regierungs- 201 oder ein gesetzgeberisches Ermessen 202 194 Z u m Ergänzungsverhältnis von Kompetenz- u n d Sachnormen vgl. B ä u m lin, Staat, Recht u n d Geschichte, 37 ; Ehmke, Verfassungsinterpretation, 89 - 92 ; Kassimatis, Regierung, 145, 147; Scheuner, Normative Gewährleistungen, 326. 195 Dazu oben, bei A n m . 161. 198 Dazu die Nachweise unten, A n m . 199. 197 Dazu — insbesondere hinsichtlich der Gesetzgebung — Badura, AöR 1967, 385 f., 391 f.; Hesse, Verfassungsrecht, 175 f., 229; Leisner, Gesetzes vertrauen, 275; ders., J Z 1968, 728 m i t A n m . 11; Recknagel, Ermessen, 8 4 - 8 6 ; Scheuner, DÖV 1961, 202; Soell, Ermessen, 205 m i t A n m . 30; Wienholtz, Normative V e r fassung, 77 f. 198 eine Differenzierung insbesondere B u l l , Staatsaufgaben, 143; Lerche, Übermaß, 61 -66, 8 6 - 9 1 ; ders., AöR 1965, 345, 371 f.; Recknagel (Anm. 197), 72 d f., 85, 87 f., 91 f.; auch Stern, Ermessen, 11. 199 Vgl. n u r die grundlegenden Darstellungen der letzten Jahre von Soell, Ermessen (1973); Schmidt-Eichstaedt, AöR 1973, 173 - 195; Rupp, Grundfragen, 177 - 221; Stern, Ermessen (1964); Ehmke, „Ermessen" (1960). 200 Z u den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. die Bemühungen von Recknagel, Ermessen, 29 - 36. 201 Dafür etwa Kassimatis, Regierung, 4 2 - 4 6 ; Leisner, J Z 1968, 729 f.; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 27 f.; dagegen Frotscher, Regierung, 224. 202 Dafür ζ. B. Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 55 ; Hamann, N J W 1955, 969-972; Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 1171; Soell, Ermessen, 63 A n m . 2, 113 A n m . 53; auch Lerche, Übermaß, 8 6 1 ; aber ders., AöR 1965, 344 f. — Dagegen Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, 70; Hesse, Verfassungsrecht, 229 m i t A n m . 81; Leisner, Gesetzesvertrauen, 275; Wienholtz, Normative Verfassung, 77 A n m . 155. — Differenzierend insbeson-

6 Magiera

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

gibt und ob sich dieses von dem Verwaltungsermessen qualitativ 2 0 8 oder quantitativ 2 0 4 unterscheidet, hängt letztlich von der Bestimmung des verwaltungsrechtlichen Ermessensbegriffs und von dessen Modifikation bei der Begriffsübertragung ab. Beides aber sind sekundäre Probleme i m Vergleich zu der Frage, inwieweit rechtliche Bindungen i m Einzelfall bestehen. Uber die A n t w o r t entscheiden nicht abstrakte Begriffe, sondern konkrete Verfassungsnormen 205 . Allgemein läßt sich die durch formell- und materiell-rechtliche Verfassungsnormen bewirkte Bindung der Staatsleitung aufgliedern i n die nur graduell unterschiedenen äußeren Bereiche der verfassungsrechtlichen Begründung und Begrenzung sowie den vermittelnden Zwischenbereich der verfassungsrechtlichen Steuerung. Dem entsprechen die drei verfassungsrechtlichen Schwerpunkte der Handlungsermächtigung — als der allgemeinen Organkonstituierung und Funktionslegitimierung —, der Handlungsbegrenzung — als der punktuellen Ausschließung einzelner Handlungen und Wirkungen — und der Handlungssteuerung — als der richtlinienartigen Verdichtung besonderer Verbote, Gebote und Erlaubnisse. Die Staatsleitung muß somit zwar stets auf dem Boden der Verfassung stehen, kann sich aber i m übrigen zwischen den Polen relativer Fremdbestimmtheit durch Verfassungsfestlegung und relativer Eigenbestimmung infolge Verfassungsoffenhaltung bewegen 206 . Rechtlich gebundene und damit verfassungsbegründete und -begrenzte Staatsleitung bedeutet nach alledem eine verfassungsbestimmte und zugleich verfassungsbestimmende Staatsaufgabe.

c) Der konkret-verfassungsrechtliche

Begriff

der Staatsleitung

Nachdem die Betrachtung über die allgemeine Notwendigkeit der Staatsleitung i m modernen Staat zu dem allgemein-staatswissenschaftdere Recknagel, Ermessen, 1 - 1 7 , 138 f. — Weitere Nachweise bei Lerche, Übermaß, 87 - 90. 203 Dafür Laun, Bemerkungen zum freien Ermessen, 139 f.; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 281; Recknagel (Anm. 202), 34; Soell (Anm. 202), 113 A n m . 53. 204 Dafür Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 63 A n m . 64; Kassimatis, Regierung, 45; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 27; w o h l auch Leisner, J Z 1968, 729 f.; Maunz (Anm. 202), A r t . 20, Randnr. 122. 205 Vgl. auch Schick, Gesetz, 845f.; Recknagel (Anm. 202), 76f., 80 (für den Gesetzgeber). 208 Ä h n l i c h i m Ergebnis ζ. B. Badura, Regierung, 2166: Herrschaft, „die zwar durch das Recht, genauer: durch eine Verfassung, gebunden, nicht aber durch das Recht vollständig bestimmt zu werden vermag"; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 282: „ . . . es geht hier (betr. Gesetzgebung) u m partielle E i n grenzungen, nicht u m durchgehende inhaltliche B i n d u n g . . . (auch die Regierung) ist w e i t h i n verfassungsrechtlich begrenzt, nicht gebunden . . . " — Vgl.

5. Staatsleitung u n d Gewaltenteilung

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liehen Begriff der Staatsleitung geführt hat 2 0 7 , ermöglicht die Untersuchung über die Bindung der Staatsleitung nunmehr die Eingrenzung dieses Begriffs auf den gesuchten konkret-verfassungsrechtlichen Begriff der Staatsleitung 2 0 8 . Findet die Staatsleitung ihre Grundlage und ihre Grenzen i n der Verfassung, so folgt daraus begriffsnotwendig die Ausklammerung des Bereichs der Verfassungsgebung. Der allgemein-staatswissenschaftliche Begriff der Staatsleitung würde die Verfassungsgebung mitumfassen, weil diese überhaupt erst die Grundlagen für die Organisation, die Ziele und Aufgaben sowie die Rechtsordnung des konkreten Staates festlegt. Ist die Verfassung jedoch einmal erlassen und i n K r a f t getreten, so gilt sie i m entwickelten Verfassungsstaat uneingeschränkt für sämtliche Äußerungen der Staatsgewalt einschließlich der verfassungsändernden Gewalt. Diese fällt nicht aus dem konkret-verfassungsrechtlichen Begriff der Staatsleitung heraus. Die Staatsleitung hat sich zwar stets auf dem Boden und i m Rahmen der Verfassung zu bewegen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß sie auf eine Änderung der Verfassung hinw i r k t , sofern sie dabei die geltenden Verfassungsbestimmungen verfahrensrechtlicher und sachlich-rechtlicher A r t (Art. 79 GG) beachtet. Der durch Eingrenzung des allgemein-staatswissenschaftlichen Be-1 griffs gewonnene konkret-verfassungsrechtliche Begriff der Staatsleitung läßt sich demnach bestimmen als der durch die Verfassung begründete und begrenzte Aufgabenbereich umfassender und grundlegender Planung, Festlegung und Durchführung der Organisation, der Ziele und Aufgaben sowie der Rechtsordnung des Staates.

5. Staatsleitung und Gewaltenteilung Die gewonnenen Erkenntnisse über die Notwendigkeit und die Bindung der Staatsleitung geben Auskunft über den grundsätzlichen Standort dieses Aufgabenbereichs i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Offen bleibt hingegen noch die nähere Einordnung der Staatsleitung i n den Bereich der übrigen Verfassungsaufgaben.

ferner B u l l , Staatsaufgaben, 143; Häfelin, Verfassungsgebung, 123 f.; Lerche, AöR 1965, 371 f.; Scheuner, Staatszielbestimmungen, 339 f.; ders., Z u r E n t w i c k l u n g des Parlaments, 423; Wienholtz, Normative Verfassung, 77 f. 207 Oben, Abschnitt 3 b i n diesem Kap. 208 Z u m entsprechenden Vorgehen f ü r den Bereich der Organisationsgewalt vgl. Böckenförde, Organisationsgewalt, 35. 6*

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

a) Soziologische und normative

Gewaltenteilung

Die Einordnung der Staatsleitung i n den Bereich der übrigen Verfassungsaufgaben bereitet Schwierigkeiten, weil die Begriffsinhalte der Gewaltenteilung weder i m Grundgesetz ausdrücklich festgelegt noch durch die Staatslehre und Verfassungspraxis eindeutig geklärt sind 2 0 9 . Fortschritte verspricht allein ein Verfahren, das nicht ein idealtypisches und angeblich a priori geltendes Prinzip der Gewaltenteilung an das Grundgesetz heranträgt und diesem aufzwingt, sondern das umgekehrt die Grundsätze der gewaltenteilenden Staatsordnung aus der Verfassung heraus entwickelt 2 1 0 . Leitende Richtpunkte liefern dafür die von der Verfassung als rechtlicher Grundordnung i m geschichtlichen Wandel festgelegten Werte und Ziele. Sie lassen erkennen, daß der Begriff der Gewaltenteilung ohne nähere Erläuterung zumindest mißverständlich ist und deshalb aufgeschlüsselt werden muß; ferner zeigen sie, welche Leistung von dem gewaltenteilenden Element der Verfassungsstruktur erwartet und erbracht werden kann. I m unmittelbaren Wortsinn kann unter dem Grundgesetz weder von „Gewalten" noch von einer „Teilung" gesprochen werden, obwohl der Verfassungstext selbst den Ausdruck „Gewalt" verschiedentlich verwendet 2 1 1 . Zwar darf jenes MißVerständnis als überwunden gelten, das i m Anschluß an die Gedankengänge von Hobbes 212 und Rousseau 213 i n jeglicher Gewaltenteilung einen Angriff auf die souveräne Einheit der Staatsgewalt und eine Gefahr ihrer Auflösung i n voneinander unabhängige Teilgewalten erblickte („Staatsteilung") 2 1 4 . I n diesem Sinne ist die Staatsgewalt aus heutiger Sicht unbezweifelt „als solche nicht teilbar" 2 1 5 . Ein gleiches Ableben läßt sich jedoch nicht jenem anderen Verständnis bescheinigen, das die Gewaltenteilung i m Anschluß an die Vorstellungen 209 y g i oben, Abschnitt 1 a i n diesem Kap. 210

Achterberg, Funktionenlehre, 1; Bäumlin, Kontrolle, 228; Böckenförde, Gesetz, 1 3 - 1 5 ; Hesse, Verfassungsrecht, 194 f.; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 7, 17. — Allgemein auch Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, 196, 209, 238 f. 211 Beispiele oben, Abschnitt 1 a, bei A n m . 1. 212 Leviathan, chap. X V I I I : „ . . . the Rights, which make the Essence of Soveraignty . . . are incommunicable, and inseparable . . . a Kingdome divided i n i t selfe cannot stand . . ( S . 139 f. = S. 92 f. der Ausgabe 1651). 213 D u Contrat Social, l i v r e I I , chap. I I : „Par la même raison que la souveraineté est inaliénable, elle est indivisible" (S. 33). 214 Vgl, näher von Gierke, Althusius, 176 f. (zu Hobbes), 201 f. (zu Rousseau); ferner Kägi, Rechtsstaat u n d Demokratie, 117 f.; P. Schneider, AöR 1957, 3 - 5 ; weitere Nachweise zur Staatsrechtslehre des 18. u n d 19. Jahrhunderts bei Böckenförde, Gesetz, 60 (Scheidemantel), 187 (von Mohl), 205 (von Rönne). 215 M a u n z / D ü r i g , i n : Maunz / D ü r i g / H e r z o g / Scholz, A r t . 20, Randnr. 76.

5. Staatsleitung u n d Gewaltenteilung

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Montesquieus 216 als Ausbalancierung „echter" Gewalten i m Sinne eines gegenseitigen Ausspielens real vorhandener Kräfte voraussetzt und fordert („soziologische Gewaltenteilung") 2 1 7 . Indem er die Ausübung verfassungsmäßiger Staatsgewalt an vorgefundene Machtgruppierungen anknüpfte, hat Montesquieu eine nicht zu unterschätzende staatstheoretische Leistung erbracht, die sich wegen ihrer verfassungspraktischen Nähe i n der Ubergangszeit vom absoluten zum konstitutionellen Staat bewährte, aber eben deshalb auch ihren zeitbedingten Grenzen unterliegt 2 1 8 . Die soziologische Gewaltenteilung beruht auf zwei unabdingbaren Voraussetzungen. Einmal müssen stets genügend starke, i n sich homogene und untereinander gleichgewichtige Machtgruppen als tatsächliches Substrat der staatlichen Gewalten vorhanden sein. Zum anderen bedarf die Anknüpfung an die tatsächlichen Machtverhältnisse der verfassungsrechtlichen Legitimation. Fehlt es an der ersten Voraussetzung oder fällt sie weg, so t r i t t an die Stelle der angestrebten harmonischen Ausbalancierung aller Kräfte die Vorherrschaft der durchsetzungsfähigsten Gruppe. Die zweite Voraussetzung öffnet sich zwar der Erkenntnis, daß sich eine Normordnung nicht unabhängig von den tatsächlich wirksamen Kräften entwickeln und durchsetzen läßt, vernachlässigt jedoch die Gefahr, daß die Verfassung zu einem beliebigen Ergebnis faktischer Gruppenkämpfe herabsinkt und ihre Aufgabe verfehlt, die tatsächlichen Machtverhältnisse zu beeinflussen und zu gestalten 219 . Die soziologische Gewaltenteilung beruht deshalb tatsächlich auf einem labilen Gleichgewicht der Kräfte 2 2 0 , das jederzeit i n die Alleinherrschaft des faktisch Stärksten umschlagen kann, und steht verfassungsrechtlich i m Einfluß216 De l'Esprit des Loix, l i v r e X I , chap. 6: „ T o u t seroit perdu si le même Homme ou le même Corps des Principaux, ou des Nobles, ou d u Peuple, exerçoient ces trois Pouvoirs, celui de faire des L o i x , celui d'exécuter les résolutions publiques, & celui de juger les crimes ou les différends des P a r t i culiers . . . I l y a toujours dans u n Etat des gens destingués par la naissance, les richesses ou les honneurs: mais s'ils étoient confondus p a r m i les Peuples . . . la liberté commune seroit leur esclavage . . ( S . 122/124). 217 Auch „soziale" Gewaltenteilung genannt; vgl. dazu Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, 66, 210, 216; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 210 f., 234-239; W. Weber, Spannungen u n d Kräfte, 24 ff., 39 ff., 90 ff., 182 ff., 226 ff.; Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 61 f.; Küster, AöR 1949, 403, 410-412. 218 Vgl. auch K ä g i (Anm. 217),'209 f.: „ . . . nicht als ,règle a priori 4 u n d auch nicht als Wesenserkenntnisprinzip gemeint"; bezeichnend auch die geringe Ausformung der (materiellen) Gewalten bei Montesquieu (dazu Draht, Gewaltenteilung, 25, 29; auch Böckenförde, Gesetz, 33). 219 Dazu oben, Kap. I 3. 220 Vgl. auch W. Weber, Die Teilung der Gewalten, 201, dessen Gegenmittel einer „kraftvolle(n) Obrigkeit" allerdings keinen Ausweg bietet. — Zusätzlich besteht die Gefahr einer „Versäulung" (dazu Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 162 m i t A n m . 13) durch Rollenvereinigung i m politisch-staatlichen u n d i m sonstigen gesellschaftlichen Bereich.

I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

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bereich der Idee von der normativen K r a f t des Faktischen 221 , so daß sich die Normordnung jederzeit vom Maßstab zum Objekt der tatsächlichen Machtverhältnisse wandeln kann. Die Voraussetzungen für eine soziologische Gewaltenteilung sind unter dem Grundgesetz weder tatsächlich noch rechtlich gegeben 222 . Versuche, tatsächliche gesellschaftliche Machtgruppierungen und Interessengegensätze als eine mögliche Grundlage der staatlichen Gewaltenteilung ausfindig zu machen und durchzusetzen, reichen von der Wiederbelebung „klassischer" Dualismen — etwa zwischen Kapital und A r b e i t 2 2 3 — bis hin zur Neuentdeckung „moderner" Pluralismen — etwa der Verbände, Parteien oder sonstiger „oligarchischer Machtträger" 2 2 4 . Angesichts der erhöhten Durchlässigkeit gesellschaftlicher Schichten, der daraus folgenden geringen Dauerhaftigkeit und Festigkeit der einzelnen Gruppen und Interessen sowie der ungenügenden Stabilität und Ausgewogenheit des Gesamtsystems haben sich derartige Bemühungen u m festen Halt als bisher erfolglos und für die Zukunft wenig aussichtsreich erwiesen. H i n zu kommt ihre mangelnde Übereinstimmung m i t der normativen Zielrichtung des Grundgesetzes, nach dem alle verfassungsmäßige Staatsgewalt „vom V o l k " insgesamt und nicht von einzelnen Gruppen oder Interessen ausgeht (Art. 20 I I 1). Demgemäß werden die „besonderen Organe", denen die Ausübung der Staatsgewalt obliegt (Art. 20 I I 2), nicht aufgrund vorgegebener Merkmale von der Verfassung lediglich anerkannt, gleichsam aus dem gesellschaftlichen i n den staatlichen Bereich übernommen, sondern von der Verfassung originär begründet („normative Gewaltenteilung") 2 2 5 . Damit wendet sich das Grundgesetz gegen eine bevorzugte Berücksichtigung bei der Betrauung m i t staatlicher Gewaltausübung, nicht jedoch gegen das Bestehen und die Betätigung von Gruppen und I n teressen oder gegen deren Versuche, auf die personelle Besetzung der Staatsorgane oder die sachliche Ausübung der Staatsgewalt Einfluß zu nehmen (vgl. z. B. A r t . 9, 21) 22e . Von der soziologischen Gewaltenteilung unterscheidet sich die normative Gewaltenteilung des Grundgesetzes 221

Dazu oben, Kap. 14, bei A n m . 60. I m Ergebnis ebenso ζ. B. Böckenförde, Richterwahl, 64 f. ; Draht, Gewaltenteilung, 61; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 280 f.; Weiß, Auswärtige Gewalt u n d Gewaltenteilung, 19; w o h l auch Hahn, JöR 1965, 26. 22S Vgl. ζ. B. Jaeggi, Macht u n d Herrschaft, 2 5 - 3 0 ; Offe, Politische H e r r schaft u n d Klassenstrukturen, 171. 224 Dazu W. Weber, Die Teilung der Gewalten, 200; vgl. auch H. Peters, Gewaltentrennung, 110 f. 225 Diesen Begriff verwendet auch Hahn, JöR 1965, 24; vgl. ferner Frotscher, Regierung, 221 f.; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 17 f. 226 Aber n u r über den offenen u n d gegliederten Entscheidungsprozeß der Verfassung; vgl. dazu oben, Kap. I 6. 222

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nicht dadurch, daß sie faktische Machtgruppierungen ignoriert, sondern durch die A r t und Weise, wie sie diese Kräfte einschätzt und berücksichtigt. Die soziologische Gewaltenteilung geht von einer A r t selbsttätigen Ausgleichsmechanismus zwischen den vorhandenen Gruppen und Interessen aus, der deshalb als Grundlage der verfassungsrechtlichen Ordnung dienen soll. Demgegenüber verläßt sich die normative Gewaltenteilung nicht auf eine solche „natürliche" Balancierung. Sie bemüht sich vielmehr um den Aufbau einer eigenständigen, von ihr selbst geschaffenen Ausgleichsordnung, die zwar nicht unabhängig von den faktischen Kräfteverhältnissen funktionieren, aber auch nicht auf eine Beeinflussung und Gestaltung jener Mächte verzichten soll. Damit rückt die normative Gewaltenteilung das zweite Merkmal des Begriffs, die „Teilung" der Staatsgewalt, i n den Blickpunkt. Einem verkürzten Verständnis bleibt die einer Teilung notwendig vorausgehende Hervorbringung der Staatsgewalt verborgen. Es kann deshalb der Eindruck entstehen, die Staatsgewalt sei gleichsam substanzhaft vorgegeben und verfügbar, so daß sie lediglich auf schon vorhandene Machtgruppen oder noch zu schaffende Organe verteilt werden müsse. Tatsächlich sind aber zunächst nur die einzelnen Menschen vorhanden, die sich i n abgrenzbaren Gruppen oder i n einem umfassenden staatlichen Verband zusammenschließen. Dazu bedarf es der Organisation. Richtig verstanden muß die Gewaltenteilung als staatliches Organisationsprinzip deshalb neben der Teilung auch den Aufbau der Staatsgewalt umfassen und beide m i t einander verbinden. Die Hervorbringung und Aufrechterhaltung der staatlichen Gewalt als Gesamtheit ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie die differenzierende Abgrenzung und balancierende Verschränkung der einzelnen staatlichen Organe und Aufgaben. Dementsprechend erscheint die Gewaltenteilung nicht als eine nachträglich und von außen an die Staatsgewalt herangetragene Beschränkung, sondern als ein immanentes Strukturprinzip der staatlichen Organisation 227 . Als solches steht es i m Dienst der materiellen Werte und Ziele der Verfassung, verkörpert aber gerade deshalb auch einen eigenen Wert 2 2 8 . Dieser besteht für eine als umfassendes Organisationsprinzip wirkende Gewaltenteilung allerdings nicht einfach i n einer trennscharfen Aufteilung der Staatsgewalt und einem isolierten Gegeneinander verschiedener Teilgewalten 2 2 9 . Er entfaltet sich vielmehr i n einer ver227 Vgl. dazu insbesondere Bäumlin, Kontrolle, 227 f.; ders., Demokratie, 368 f.; ders., Rechtsstaat, 2048; Hesse, Verfassungsrecht, 196 f. 228 So auch Hahn, JöR 1965, 24 - 27. 229 Dagegen auch B ä u m l i n (Anm. 227); Böckenförde, Richterwahl, 62 f.; K e wenig (Anm. 225), 21; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 267. — A u d i die Konzeption Montesquieus entspricht d e m nicht, w u r d e allerdings durch spätere Dogmatisierung i n diese Richtung umgedeutet; dazu Kägi, V o n der klassischen Dreiteilung, 157 -161.

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fassungsgemäßen, d. h. auf die Verwirklichung der materiellen Werte und Ziele der Verfassung ausgerichteten, gleichermaßen differenzierenden wie balancierenden Zuordnung der staatlichen Organe und Aufgaben. Bedeutet Gewaltenteilung unter dem Grundgesetz m i t h i n nicht schematische Aufteilung der Staatsgewalt und Zuteilung der Teilgewalten an reale Mächtegruppierungen 230 , so zielt sie doch wie alle i h r vorausgehenden Bemühungen — und insoweit läßt sich von einem „zeitlosen" Prinzip der Gewaltenteilung sprechen — durch die gegliederte Zuordnung von staatlichen Organen und Aufgaben auf eine gemäßigte Ausübung der Staatsgewalt und letztlich auf die Verwirklichung einer menschen-gerechten Gemeinschaftsordnung 231 . b) Organadäquanz und Funktionsgerechtigkeit als Zuordnungsmaßstäbe Nach Klärung der begrifflichen und der rechtlichen Bedeutung der Gewaltenteilung unter dem Grundgesetz kann nunmehr ihre Leistungsfähigkeit für eine verfassungsgemäße Einordnung der Staatsleitung i n die Aufgaben- und Organordnung des Grundgesetzes überprüft werden. Die Weite der Zielrichtung erschwert zwar eine nähere Konkretisierung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, nimmt i h m jedoch nicht die verfassungsrechtliche Aussagekraft. Gleiche Schwierigkeiten treten bei ähnlich umfassenden Verfassungsgrundsätzen auf, wie etwa dem Demokratie·, dem Hechtsstaats- oder dem Sozialstaatsprinzip, ohne daß diese deshalb als inhaltsleer und unbeachtlich beiseitegeschoben werden dürften. Die von dem Grundsatz der normativen Gewaltenteilung des Grundgesetzes geforderte, gleichermaßen differenzierende wie balancierende Zuordnung der staatlichen Aufgabenbereiche und Organe verbietet eine Lösung des Einordnungsproblems über eine weitere Eingrenzung des gewonnenen konkret-verfassungsrechtlichen Begriffs der Staatsleitung 2 3 2 , indem etwa der sachlich geprägte Aufgabenbereich der Staats230 Deshalb mag fraglich erscheinen, ob an der Bezeichnung „Gewaltenteil u n g " festgehalten werden sollte; vgl. auch oben, Abschnitt 1 a, bei A n m . 2, i n diesem Kap. 231 Vgl. auch von Unruh, D Ö V 1975, 656; zumeist w i r d — verkürzend — auf die „individuelle Freiheitssicherung" verwiesen; vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Küster, AöR 1949, 403 f.; Imboden, Gewaltenteilung, 491; K ä g i (Anm. 229), 154, m i t Bezug auf das umfassendere Verständnis der „liberté politique" schon bei Montesquieu (De l'Esprit des L o i x , X I 2 - 4). — Z u m Freiheitsverständnis insgesamt vgl. zuletzt Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht (1976). 232 Oben, Abschnitt 4 c i n diesem Kap.

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leitung begrifflich auf den Zuständigkeitsbereich der Regierung (im organisatorischen Sinn), des Parlaments oder irgendeines anderen Verfassungsorgans beschränkt w i r d 2 3 3 . Ein solches Verfahren verkoppelt nicht nur heterogene Begriffselemente, sondern schaltet vor allem das grundlegende Problem der Zuordnung von Verfassungsaufgabe und Verfassungsorgan schon auf der begriffstechnischen Ebene aus. Die begriffliche Beschränkung der Staatsleitung auf den Zuständigkeitsbereich eines bestimmten Verfassungsorgans weicht der entscheidenden Rechtsfrage aus. Die verfassungsgemäße Zuordnung bleibt dadurch günstigstenfalls i m Ungewissen, schlimmstenfalls fällt sie einer Präjudizierung zum Opfer. Der sachlich geprägte Begriff der Staatsleitung w i r d nämlich entweder gespalten und umfaßt lediglich diejenigen staatsleitenden Aufgaben, die dem bevorzugten Verfassungsorgan zukommen, so daß für die restlichen staatsleitenden Aufgaben, die einem anderen Verfassungsorgan obliegen, ein besonderer Begriff gebildet werden muß; oder aber der Begriff der Staatsleitung w i r d zu einem „politischen Postulat-Begriff" 2 3 4 erhoben, wonach sämtliche Staatsleitungsaufgaben ohne weitere Begründung unmittelbar kraft Verfassungsbegriffs einem bestimmten Verfassungsorgan zufallen. Der gespaltene Staatsleitungsbegriff wäre, w e i l für denselben sachlichen Bereich der Staatsgewalt zwei verschiedene Begriffe gebraucht würden, lediglich verwirrend und deshalb als unpraktisch abzulehnen. Ein politischer Postulat-Begriff der Staatsleitung wäre hingegen verfassungsrechtlich unzulässig. Er liefe auf eine verschleierte Bildung und Zuweisung von Rechtstiteln 235 zugunsten eines bestimmten Verfassungsorgans hinaus. Das jedoch ist — anders als etwa i m konstitutionell-monarchischen Staate — i m entwickelten Verfassungsstaat des Grundgesetzes, der für jede staatliche Zuständigkeitswahrnehmung eine verfassungsrechtlich begründete Zuweisung verlangt 2 3 6 , ausgeschlossen. Statt über eine begriffliche Eingrenzung muß die Organzuständigkeit für die Verfassungsaufgabe der Staatsleitung deshalb aus der i m Grundgesetz getroffenen und nachweisbaren Aufgaben- und Organzuordnung ermittelt werden. Die Annäherung an den konkreten Inhalt der normativen Gewaltenteilung kann dementsprechend nur mehrspurig erfolgen: von der Unterscheidung der staatlichen Organe, von der Unterscheidung der staatlichen Aufgaben und von der beiderzeitigen Zuordnung her. Dabei lassen sich die einzelnen Aspekte wegen ihres inneren Zusammenhangs allerdings nicht stets völlig unabhängig behandeln. 233 Entsprechend für den Bereich der Organisationsgewalt: Böckenförde, O r ganisationsgewalt, 37 f.; dort auch zum folgenden. 234 Dazu Böckenförde (Anm. 233), 37. 235 Böckenförde, ebd. 236 Dazu oben, Abschnitt 4 b cc i n diesem Kap.

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I I . Staatsleitung als Verfassungsaufgabe

Die soziologische Gewaltenteilung stellt hauptsächlich auf die tatsächliche Machtbalance zwischen den vorhandenen gesellschaftlichen Kräften ab. Die innere Gestaltung der an der Staatsgewalt beteiligten Gruppen und der von ihnen wahrgenommenen Aufgabenbereiche treten demgegenüber i n den Hintergrund 2 8 7 . Zugespitzt ausgedrückt besteht die Gewaltenbalance für die soziologische Betrachtungsweise entweder vor der Verfassung oder überhaupt nicht. Die normative Gewaltenteilung ist hingegen auf sich selbst angewiesen. Eine wirksame Gewaltenbalance entfaltet sich für sie erst und nur aufgrund der Verfassung. Dafür genügt noch nicht das Vorhandensein mehrerer Organe und verschiedener Aufgaben. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, wie die Organe und Aufgaben verfassungsrechtlich i m einzelnen ausgestaltet, daß sie vor allem einander „organadäquat" und „funktionsgerecht" zugeordnet sind. Organadäquanz 238 und Funktionsgerechtigkeit 2 3 9 der Zuordnung als grundlegende Elemente der normativen Gewaltenteilung ergeben sich dabei aufgrund der inneren Struktur, der Besetzung und der Arbeitsweise der Verfassungsorgane einerseits und aus dem Inhalt und dem Zuschnitt der Verfassungsaufgaben andererseits 240 . Das begrenzte Anliegen der hier verfolgten Untersuchung nötigt nicht dazu, die aufgeworfene Problematik i n ihrer gesamten Breite zu erörtern. Es geht lediglich u m die Einordnung der Staatsleitung i n den Bereich der übrigen Verfassungsaufgaben unter dem besonderen Aspekt der Parlamentszuständgkeit. Da die Staatsleitung i m Grundgesetz ausdrücklich weder als Aufgabe umschrieben noch einem bestimmten Organ zugewiesen ist, muß ihre Einordnung mittelbar aus der ausdrücklichen oder zweifelsfreien Zuordnung anderer Verfassungsaufgaben an die verschiedenen Verfassungsorgane, insbesondere das Parlament, geschlossen werden. Die von der normativen Gewaltenteilung geforderte Organadäquanz und Funktionsgerechtigkeit bilden die dabei zu beachtenden Leitlinien, die sich wiederum auszurichten haben an den materiellen Werten und Zielen der Verfassung, letztlich also an der anzustrebenden Verwirklichung einer menschen-gerechten Gemeinschaftsordnung. Dementsprechend kommt es i m folgenden darauf an, zum einen die besondere verfassungsrechtliche Struktur des Parlaments, wie sie sich vor allem 237 Vgl. zur geringen Funktionsausgestaltung schon bei Montesquieu: oben, bei A n m . 218. 238 Diese Bezeichnung findet sich bei H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 102; vgl. i m übrigen die weiteren Nachweise i n A n m . 240. 239 Diese Bezeichnung findet sich bei Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 55; vgl. i m übrigen die weiteren Nachweise i n A n m . 240. 240 Vgl. schon Küster, AöR 1949, 402 f.; ferner Hesse, Verfassungsrecht, 198 f.; Böckenförde, Richterwahl, 79 f.; J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 133; Krawietz, Das positive Recht, 57; Noll, Gesetzgebungslehre, 53 f.; P. Schneider, AöR 1957,19 f.; Weiß, Auswärtige Gewalt u n d Gewaltenteilung, 26.

5. Staatsleitung u n d Gewaltenteilung

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aus seiner Wahl, Zusammensetzung und inneren Ordnung ergibt, und zum anderen die besondere verfassungsrechtliche Aufgabenzuordnung an das Parlament herauszuarbeiten, u m daraus die erforderlichen A n haltspunkte für die organadäquate und funktionsgerechte Zuordnung der Staatsleitung unter dem Grundgesetz zu gewinnen.

Drittes Kapitel

Das Parlament ale Verfassungsorgan

Das Parlament stellt ebensowenig einen rechtlichen A-priori-Begriff dar wie die Gewaltenteilung 1 . Organisation und Funktion des Parlaments ergeben sich allein aus der konkreten Verfassung. I m Grundgesetz sind allerdings nur die Umrisse festgelegt, so daß ein weiter Rahmen besteht, welcher der Konkretisierung durch die Verfassungspraxis bedarf. Aufgabe des vorliegenden Kapitels ist es, die Besonderheiten des Parlaments als Verfassungsorgan innerhalb der Organstruktur des Grundgesetzes festzustellen. Dazu muß einleitend auf das Verhältnis des Parlaments zu den anderen Verfassungsorganen eingegangen werden, insbesondere auf die Bedeutung der organisatorischen Gliederung für die Verfassungsstruktur des Grundgesetzes und auf den Kreis der an der Staatsleitung „potentiell" beteiligten Organe (Abschnitt 1). Anschließend sind die Einzelheiten der Abgrenzung des Parlaments als Verfassungsorgan, vor allem i m Verhältnis zur Regierung als dem „potentiellsten" anderen Staatsleitungsorgan, herauszuarbeiten. Als die drei bedeutsamsten Unterscheidungsmerkmale stehen dabei i m Vordergrund die Wahl des Parlaments und seine demokratische Legitimationsfunktion (Abschnitt 2), die Zusammensetzung des Parlaments und seine demokratische Repräsentationsfunktion (Abschnitt 3) sowie die innere Ordnung des Parlaments und seine demokratische Kommunikationsfunktion (Abschnitt 4). 1. Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen Außer dem Parlament sieht das Grundgesetz eine Anzahl weiterer Organe für die Erfüllung der Verfassungsaufgaben vor. Da die normative Gewaltenteilung eine organadäquate und funktionsgerechte Zuordnung der staatlichen Organe und Aufgaben anstrebt, sind erste Hinweise für eine verfassungsgerechte Zuordnung aus der organisatorischen Gliederung des Grundgesetzes zu erwarten. I m vorliegenden Abschnitt ist 1

Achterberg, DVB1. 1974, 695 f.

1. Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen

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deshalb zunächst das Verhältnis des Parlaments zu anderen Verfassungsorganen zu beleuchten und der Kreis der „potentiell" staatsleitenden Verfassungsorgane näher abzugrenzen. a) Verfassungsorgane

und Verfassungsaufgaben

Organisation und Organe sollen den Staat handlungsfähig machen und es i h m ermöglichen, die gestellten Aufgaben zu bewältigen 2 . Es kommt deshalb nicht auf eine beliebige, sondern auf eine den besonderen Bedingungen und Anforderungen des konkreten Staates gerecht werdende organisatorische Gliederung an. Dementsprechend begnügen sich die Verfassungen nicht mit einer Angabe der materiellen Ziele und Aufgaben des Staates. Vielmehr widmen sie dem organisatorischen Aufbau des staatlichen Gemeinwesens mindestens die gleiche Aufmerksamkeit. Auch das Grundgesetz beschränkt sich nicht auf die allgemeine Aussage, daß die staatlichen Funktionen der Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung durch „besondere Organe" ausgeübt werden (Art. 20 II). I n den weiteren Abschnitten folgen zusätzliche Einzelregelungen, i n denen das Grundgesetz die unentbehrlich erscheinenden Organe selbst benennt und — i n abgestufter Ausführlichkeit — auch ausgestaltet. Eine bloße Benennung erfährt etwa die Bundesbank, die der Bund als Währungs- und Notenbank „errichtet" (Art. 88). Regelmäßig w i r d jedoch darüber hinaus zumindest die A r t und Weise der Organbesetzung, vor allem das Kreationsorgan 3 und sein Verfahren, i n den Grundzügen festgelegt; so etwa die Wahl der Bundestagsabgeordneten (Art. 38), des Bundespräsidenten (Art. 54), des Bundeskanzlers (Art. 63) oder der Richter des Bundesverfassungsgerichts (Art. 94), die Bestellung der Bundesratsmitglieder (Art. 511) oder die Ernennung der Bundesminister (Art. 64). Teilweise finden sich ferner Bestimmungen über die innere Organisation der Organe; so etwa die Einrichtung bestimmter Ausschüsse des Bundestages (Art. 40 I, 45 a - c) oder die Untergliederung der Bundesregierung i n Bundeskanzler und Bundesminister (Art. 62). Schließlich enthält das Grundgesetz auch Vorschriften über Verfahrensgrundsätze, welche die Organe zu beachten haben; so etwa über die Öffentlichkeit der Verhandlungen und die erforderlichen Abstimmungsmehrheiten i m Bundestag (Art. 42), die Abstimmungen i m Bundesrat (Art. 51 III), die Gegenzeichnung von Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten (Art. 58), die Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern (Art. 65 S. 3) und vor allem das Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff.). 2 3

Dazu oben, Kap. I I 3, bei A n m . 113. Z u diesem Begriff vgl. G. Jellinek, Staatslehre, 545.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsrgan

Schon diese wenigen Beispiele, welche die Fülle der organisatorischen Vorkehrungen des Grundgesetzes auch nicht annähernd wiedergeben, bestätigen die zuvor allgemein gewonnene Erkenntnis, daß die normative Gewaltenteilung des Grundgesetzes sich keinesfalls auf ein einfaches Schema zurückführen läßt. Dennoch darf über den Einzelheiten nicht der Grundsatz aus dem Blickfeld verloren werden, wonach auch die organisatorische Gliederung i m Dienste eines höheren Gesamtziels, der Schaffung einer menschen-gerechten Ordnung steht 4 . Insoweit muß auch der Staat „effizient" sein, müssen die i h m verfügbaren M i t t e l „ökonomisch" eingesetzt werden und seine Organe „rationell" arbeiten 5 . Die Maßstäbe dafür, was als effizient, ökonomisch und rationell gilt, liefert das Grundgesetz als verfassungsrechtliche Rahmenordnung nur i n den Grundzügen. U m so mehr kommt es deshalb auf die Organisation und Arbeitsweise der m i t der näheren Ausgestaltung beauftragten Organe an. Weite und Offenheit der Ziele und Maßstäbe stehen dabei i n einem umgekehrten Verhältnis zu dem Aufwandsbedürfnis der organisatorischen Gliederung und Festlegung. Je klarer und eindeutiger das Ziel oder der Maßstab vorgegeben ist, um so geringere Anforderungen brauchen an die Organisation gestellt zu werden. Diese kann sich dann weitgehend darauf beschränken, das Ziel zu erreichen bzw. den Maßstab zu befolgen. Bedürfen jedoch das Ziel oder der Maßstab noch der Festlegung, so erfordert deren Erkenntnis und Bildung zusätzliche Bemühungen. I m Staat als der umfassenden menschlichen Organisation bedeutet dies eine möglichst umfassende Aufdeckung und Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen und Forderungen 6 . Die staatliche Organisation muß deshalb nicht nur eine weite Aufnahmekapazität besitzen, sondern zugleich auch über eine ausreichende Verarbeitungskapazität verfügen, um die aufgenommenen Informationen gegeneinander abzuwägen, anhand der — wenn auch weiten — Ziele und Maßstäbe der Verfassung zu bewerten, i n Entscheidungen umzusetzen und diese durchzuführen 7 . Als rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel stellt das Grundgesetz seine Ziele und Maßstäbe nicht fertig anwendbar bereit. Es ist nicht auf unmittelbaren Verfassungsvollzug, sondern zunächst 4

Dazu oben, Kap. I 2, bei A n m . 15. „Produktionseffizienz"; vgl. dazu u n d zum Gegenprinzip der „Zielerreichungseffizienz" Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, insbesondere 48 - 56; ferner Hesse, Rechtsstaat, 83: „Rationalisierung des öffentlichen Gesamtzustandes"; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 20; Kaiser, Entwicklungsplanung, I 9; Brohm, JuS 1977, 500. β Dazu Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 172 f.; Brohm, JuS 1977, 500. 7 Vgl. auch Steiger (Anm. 6), 163 - 165: „ . . . notwendige funktionale Innendifferenzierung des (staatlichen) Handlungsgefüges" (164). 5

1. Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen

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darauf angelegt, daß die nur umrißhaft und punktuell festgelegten Ziele und Maßstäbe entfaltet und entwickelt werden, bevor ihre Durchsetzung erfolgen kann 8 . Da das Grundgesetz keine erstarrende Ausfüllung und Verabsolutierung seiner weiten Ziele und Maßstäbe anstrebt, handelt es sich einerseits u m ein nicht-endliches Verfahren der Auseinandersetzung über die „richtige" Verfassungsordnung i m allgemeinen. Da das Grundgesetz aber auch einen ständigen Entscheidungsbedarf befriedigen muß, handelt es sich andererseits um eine jeweils endgültige Regelung einzelner Fälle anhand des i m konkreten Augenblick für die Beurteilung verfügbaren Entwicklungsstandes der Ziele und Maßstäbe 9 . Die organisatorische Gliederung unter dem Grundgesetz muß beiden Aufgaben — der allgemeinen Ziel- und Maßstabsgewinnung wie der konkreten Entscheidungsfindung und -durchsetzung — gewachsen sein. Eine einseitige Betrachtung und Betonung entweder der Auseinandersetzung u m die Ziel- und Maßstabsbildung oder der Befriedigung des Entscheidungsbedarfs würde deshalb die umfassende Aufgabe der organisatorischen Gliederung unter dem Grundgesetz verkennen. b) „Potentiell"

staatsleitende Verfassungsorgane

Zu den vom Grundgesetz selbst benannten und i n besonderen A b schnitten näher geregelten Organen, die deshalb auch als „unmittelbare Verfassungsorgane" bezeichnet werden 1 0 , gehören außer dem Bundestag (Abschnitt III) vor allem der Bundesrat (IV), der Bundespräsident (V), die Bundesregierung (VI) und das Bundesverfassungsgericht (IX) 1 1 . A n gesichts der Bedeutung, die das Grundgesetz diesen Organen durch die verfassungsunmittelbare Regelung zumißt, kann davon ausgegangen werden, daß ihnen — entweder gemeinsam oder einem oder mehreren von ihnen — die Bewältigung der Staatsleitung als des Aufgabenbereichs der umfassenden und grundlegenden Planung, Feststellung und Durchführung der staatlichen Organisation, Ziele und Aufgaben sowie Rechtsordnung unter dem Grundgesetz obliegt. Insofern läßt sich von den unmittelbaren Verfassungsorganen als den „potentiell" staatsleitenden Verfassungsorganen sprechen. 8

Dazu oben, Kap. I 4; I I 4 b cc. Dazu oben, Kap. I 6. 10 W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht I I , 63; G. Jellinek, Staatslehre, 544. — Geläufig ist auch die Bezeichnung „oberste Bundesorgane" ; vgl. ζ. B. Bundesverfassungsgericht, Denkschrift, JöR 1957, passim. 11 Der Gemeinsame Ausschuß (Abschnitt I V a) ist demgegenüber auf den „a-normalen" Verteidigungsfall zugeschnitten; die ebenfalls i n Abschnitt I X geregelten obersten Gerichtshöfe des Bundes treten i n den „potentiell" staatsleitenden Verfassungsstreitfragen gegenüber dem B V e r f G zurück. — Z u r m i ß verständlichen Bezeichnung der politischen Parteien als „Verfassungsorgane" vgl. Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 170 f., 182. 9

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

Die weiterführende Frage, ob alle diese unmittelbaren Verfassungsorgane — verneinendenfalls welches oder welche von ihnen — an der Staatsleitung beteiligt sind, gestaltet sich demgegenüber erheblich schwieriger. Sie läßt sich nicht abstrakt aus der Organordnung der Verfassung beantworten, etwa durch den Nachweis, daß alle diese Organe aufgrund ihrer Verfassungsunmittelbarkeit gleichgeordnet seien, oder durch den umgekehrten Nachweis, daß eines dieser Organe aufgrund seiner „Organsouveränität" allen anderen übergeordnet sei 12 . Die weitere Eingrenzung des Kreises der potentiell staatsleitenden Verfassungsorgane muß vielmehr auf einer weniger abstrakten Ebene versucht werden. Ein auch nur flüchtiger Blick auf die ihnen vom Grundgesetz ausdrücklich übertragenen Aufgaben und Aufgabenbereiche zeigt, daß keines dieser Organe von staatsleitenden Aufgaben offensichtlich ausgeschlossen ist. Der Bundespräsident, der i m Vergleich zum Präsidenten der Weimarer Republik über insgesamt weitaus geringere Befugnisse verfügt, kann i n einzelnen Situationen — insbesondere bei knappen Mehrheitsverhältnissen oder bei einem Kräftegleichgewicht i m Bundestag — entscheidendes Gewicht erlangen und entsprechenden Einfluß nehmen, so etwa bei der Parlamentsauflösung (Art. 63 IV, 68) oder bei der Kabinettsbildung (Art. 63 I, 64 I) 1 3 . Der Bundesrat, durch den die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes m i t w i r k e n (Art. 50 I), besitzt allein schon deshalb erhebliches Gewicht, weil ohne i h n keine Änderung des Grundgesetzes und kein zustimmungsbedürftiges Gesetz zustande kommt (Art. 78, 79 II). Das Bundesverfassungsgericht verfügt über eine herausragende Stellung unter den übrigen Verfassungsorganen, w e i l es letztinstanzlich u. a. zur Entscheidung über den verfassungsmäßigen Umfang der Rechte und Pflichten dieser Organe und über die Vereinbarkeit von Bundes- und Landesrecht mit dem Grundgesetz berufen ist (Art. 93). Trotz ihres schwerwiegenden Gewichts für die staatliche Ordnung unter dem Grundgesetz heben sich diese drei unmittelbaren Verfassungsorgane doch insofern von Bundestag und Bundesregierung als den beiden anderen potentiell staatsleitenden Organen ab, als ihre Aufgaben i n der Verfassung verhältnismäßig klar umrissen und abgrenzbar sind 1 4 . Ausdeutungsprobleme treten — wie bei jeder Normkonkretisierung — auch bei ihnen auf, beschränken sich jedoch mehr auf Randbereiche. Diese mögen teilweise erhebliche Bedeutung erlangen, wie etwa das 12

Vgl. dazu näher unten, Kap. I V 1. Vgl. dazu die Nachweise bei Hemmrich, in: von Münch (Hrsg.), G r u n d gesetz-Kommentar I I , A r t . 54, Randnr. 3. 14 So auch f ü r den Bundespräsidenten ζ. B. Maunz, Staatsrecht, 372 ; f ü r den Bundesrat ζ. B. Hesse, Verfassungsrecht, 246; Frowein, Beziehungen des B u n desrates, 115 - 126; f ü r das BVerfG vgl. die Nachweise unten, A n m . 16. 13

.

a

des Parlaments u n d demokratische

etation

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Problem der parteipolitischen Ausrichtung des Bundesrates 15 oder des „judicial self-restraint" des Bundesverfassungsgerichts 16 . Aus dem Bereich der Staatsleitung als Verfassungsaufgabe lassen sich diese Organe und diese Probleme deshalb nicht ausklammern 17 . Gegenstand der vorliegenden Abhandlung ist jedoch nicht die Staatsleitung insgesamt, sondern lediglich der Anteil des Parlaments an ihr. Es geht i m wesentlichen um die allgemeine Verteilung der Staatsleitung zwischen dem Parlament und den anderen Verfassungsorganen. Soweit diesen i m K e r n klar umrissene und nur i n Handbereichen ausdeutungsbedürftige Aufgaben zugewiesen sind, stellt sich die Frage der allgemeinen Verteilung nicht oder doch nur zweitrangig gegenüber einer Ausdeutung der Kernzuweisung. Entsprechend ihrem Ziel und Gegenstand kann sich die vorliegende Untersuchung nach alledem für die Zuordnung der Staatsleitung auf das Verhältnis des Bundestages zur Bundesregierung als den beiden potentiell staatsleitenden Verfassungsorganen beschränken, deren Aufgabenbereiche i m Grundgesetz weit weniger klar umrissen und abgegrenzt sind, als diejenigen der anderen unmittelbaren Verfassungsorgane.

2. Wahl des Parlaments und demokratische Legitimation Bundestag und Bundesregierung sind zwar beide gleichermaßen unmittelbare Verfassungsorgane. Ihre Besetzung m i t Organwaltern 1 8 — Parlamentsabgeordneten bzw. Regierungsmitgliedern — unterscheidet sie jedoch insofern voneinander, als die Abgeordneten unmittelbar durch das Volk gewählt werden (Art. 38 GG), der Kanzler und die Minister hingegen volksmittelbar durch das Parlament gewählt bzw. den Bundespräsidenten ernannt werden (Art. 63, 64 GG). Andererseits erfolgt eine Annäherung der unterschiedlichen Besetzungsverfahren dadurch, daß infolge der M i t w i r k u n g der Parteien bei der politischen Willensbil15 Dazu Leibholz / Hesselberger, Stellung des Bundesrates, 99-113; Fehlentwicklungen i m Verhältnis von Bundesrat u n d Bundestag?, m i t Referaten von G. Jahn u n d R. Herzog sowie anschließender Diskussion, Z P a r l 1976, 291 - 316. 16 Dazu zuletzt vor allem Delbrück, Quo vadis Bundesverfassungsgericht?, 85-92, 103- 105; Eckertz. Der Staat 1978, 183-203; Achterberg, D Ö V 1977, 649-659; Blumenwitz, DVB1. 1976, 464-469; Kriele, N J W 1976, 777-783; Starck, Bundesverfassungsgericht (1976). 17 F ü r einen — begrenzten — A n t e i l dieser Organe an der Staatsleitung ζ. B. auch Hesse, Verfassungsrecht, 248 (Bundesrat), 259 (Bundespräsident), 263 (BVerfG). 18 Z u m Begriff W o l f f /Bachof, Verwaltungsrecht I I , 57 f.; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 6 7 - 6 9 ; vgl. auch die anschauliche Bezeichnung „personelle Träger der obersten politischen Staatsorgane" (BVerfGE 44, 125,139).

7 Magiera

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dung des Volkes (Art. 21 GG) die Volkswahl neben der unmittelbaren Besetzung der Regierung vor allem die Person des Kanzlers weitgehend mitbestimmt. Der Trennung von unmittelbarer Parlamentswahl und mittelbarer Regierungswahl bzw. -ernennung steht damit eine Uberbrückung durch die umfassende Parteien- oder Kanzlerwahl gegenüber. Es bedarf deshalb näherer Uberprüfung, ob und inwieweit bei der Besetzung von Bundestag und Bundesregierung die trennenden oder die verklammernden Elemente überwiegen, u m aus dem Ergebnis erste A n haltspunkte für die Zuordnung der staatsleitenden Aufgaben unter dem Grundgesetz zu gewinnen.

a) Das Erfordernis demokratischer Legitimation für die Ausübung staatlicher Gewalt Nach A r t . 20 I I GG geht alle Staatsgewalt vom Volk aus, w i r d aber von i h m nur i n Wahlen und Abstimmungen, i m übrigen von besonderen Organen ausgeübt. Damit hat sich das Grundgesetz für das „demokratische Prinzip" als normativen Verfassungsgrundsatz entschieden 19 . Obw o h l es gegenwärtig kaum noch Staaten gibt, die sich nicht auf dieses Prinzip berufen, unterscheiden sich seine normative Ausgestaltung und seine tatsächliche Umsetzung i n den einzelnen Staaten so stark 2 0 , daß es — jedenfalls für eine verfassungsrechtliche Untersuchung — wenig gewinnbringend erscheint, nach einem allgemeingültigen normativen oder empirischen Inhalt zu forschen 21 . Auch das demokratische Prinzip steht nicht a priori fest, sondern muß der konkreten Verfassungsordnung entnommen werden 2 2 . Das Grundgesetz verwendet die Bezeichnung „demokratisch" mehrfach, vor allem allgemein als Merkmal der staatlichen Grundordnung in A r t . 20 I („demokratischer und sozialer Bundesstaat") und i n A r t . 28 I („demokratischer und sozialer Rechtsstaat"), ferner i m besonderen Zusammenhang m i t dem Schutzobjekt der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" i n A r t . 10 II, 11 I I , 18, 21 II, 73 Ziff. 10 b, 87 a I V und 19 Dazu insbes. von Simson u n d Kriele, Demokratisches Prinzip, m i t anschließender Diskussion, W D S t R L 29 (1971), 3 - 135; zuletzt Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Abschnitt I I , Randnr. 1 - 125 (Neufassung 1978). 20 Ubersicht bei Hättich, Demokratie, 11-25. 21 Dies stellen auch die Politikwissenschaftler fest, ohne allerdings die Suche nach einer allgemeinen Demokratietheorie aufzugeben; vgl. z. B. Kielmannsegg, Volkssouveränität (1977); N a r r / Naschold, Theorie der Demokratie (1971); Naschold, Organisation u n d Demokratie (1971); Pelinka, Dynamische Demokratie (1974); Scharpf, Demokratietheorie (1970). 22 Vgl. auch Doehring, Staatsrecht, 121; Hesse, Verfassungsrecht, 52; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 159 f. ; Leibholz, Strukturwandel, 79 f.

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91 I, schließlich als besonderes Erfordernis der inneren Ordnung der Parteien, die nach Art. 21 I „demokratischen Grundsätzen" entsprechen muß. Auch wenn das Grundgesetz keine Definition oder unmittelbare Erläuterung enthält, gestattet doch der Zusammenhang, i n den das Wort „demokratisch" gestellt ist, eine erste Folgerung. Das demokratische Prinzip des Grundgesetzes bildet danach ein grundlegendes Element der gesamten Verfassungsordnung und gehört vor allem zu den fundamentalen, auf verfassungsmäßigem Weg nicht abänderbaren (Art. 79 I I I ) Grundsätzen der staatlichen Organisationsordnung i m engeren Sinn 2 8 . Dementsprechend bedarf die Ausübung jeglicher Staatsgewalt unter dem Grundgesetz der Rückführung auf das demokratische Prinzip, der demokratischen Legitimation 2 4 . Eine zweite Folgerung ergibt sich aus der schon angeführten Bestimmung des A r t . 20 I I GG. Indem alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, w i r d jeder Herrschaftsanspruch zurückgewiesen, der sich nicht vom Volk herleitet und auf die vom Volk gegebene Verfassung stützt 2 5 . Vom Volk geht die Staatsgewalt aber nicht schon dann aus, wenn die Verfassung ihren Ursprung aus einer Entscheidung des Volkes empfangen hat. Andernfalls wäre A r t . 20 I I 1 GG lediglich eine Wiederholung aus der Präambel, i n der es heißt, das Volk habe das Grundgesetz „beschlossen". Der Erlaß einer Verfassung durch das Volk und die Bestimmung von Aufgaben und Organen i n ihr genügen noch nicht, um eine verfassungs-gemäße Durchführung i m Sinne des Volkes zu gewährleisten 26 . Dem ersten Schritt muß ein zweiter folgen: Die gestellten Aufgaben bedürfen der konkreten Erfüllung durch reale Handlungen, die vorgesehenen Organe bedürfen der konkreten Besetzung m i t realen Personen. Dieser zweite Schritt besitzt u m so mehr Gewicht, als das Grundgesetz kein m i t seinem Erlaß fertiges Verfassungssystem, sondern eine hinsichtlich der materiellen Aufgaben wie der formalen Organisationsordnung relativ offene, i m geschichtlichen Wandel ständig zu entwickelnde rechtliche Grundordnung darstellt. Demokratische Legitimation unter dem Grundgesetz erschöpft sich deshalb nicht i n der einmaligen Bestimmung von Aufgaben und Organen durch die Verfassungsgebung des 23 Vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 74 f.; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 367 f. 24 Ossenbühl, VerwaltungsVorschriften, 196; Böckenförde, Richterwahl, 71; Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 45; Steiger (Anm. 22), 161. 25 Insoweit besitzt das demokratische Legitimationsprinzip v o r allem A b w e h r f u n k t i o n gegen dualistische u n d absolutistische Souveränitätsansprüche; vgl. J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 198. 26 Doehring, Staatsrecht, 120, der an das „Ermächtigungsgesetz" von 1933 (RGBl. I 141) erinnert; vgl. auch Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 36.

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Volkes, sondern erfordert die stete Beteiligung des Volkes (der „ A k t i v bürger") 2 7 an der staatlichen Aufgabenerfüllung und Organbesetzung 28 . Eine dritte Folgerung findet ihren Ausgang ebenfalls i n der Bestimmung des A r t . 20 I I GG. Wenn die Ausübung der Staatsgewalt dem Volk selbst und zugleich besonderen Organen obliegt, so entspricht das demokratische Prinzip des Grundgesetzes nicht einer reinen — unmittelbaren oder mittelbaren — Form, sondern einer aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten „Mischform" 2 9 . Für die mittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch Einschaltung besonderer Organe lassen sich vor allem drei Gründe anführen: einmal der Umfang des personalen und territorialen Staatsbereichs sowie die Kompliziertheit der zu bewältigenden Staatsaufgaben, die einer Selbsterledigung aller Gemeinschaftsangelegenheiten durch das Volk zeitliche und fachliche Grenzen setzen 30 ; ferner der Entlastungebedarf und -wünsch des einzelnen, der neben allgemein-,,politischen" auch individuell-,,private" Angelegenheiten zu besorgen hat 3 1 ; schließlich die Gefahr eines Dezisionismus infolge der Allzuständigkeit eines einzigen Entscheidungsgremiums, gegen den nicht schon eine volksunmittelbare, sondern nur eine organisatorisch gegliederte und sich gegenseitig hemmende Herrschaftsausübung schützt 32 . Für die unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk selbst spricht demgegenüber das besondere Bedürfnis, einer Verselbständigung der Herrschenden gegenüber den Beherrschten (Oligarchisierung) vorzubeugen 33 , sowie der allgemeine Wunsch, die Selbstver27

Badura (Anm. 26), Randnr. 37; BVerfGE 20, 56,113. Hierüber besteht zwar grundsätzlich Einvernehmen, nicht jedoch darüber, ob daran unterschiedliche Folgen für die Kompetenzordnung zu knüpfen sind; vgl. dazu eher verneinend: Böckenförde, Organisationsgewalt, 7 9 - 8 1 ; aber ders., Richterwahl, 74; Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, 93 f.; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 89; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 196-200; demgegenüber eher bejahend: Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 171, 205; J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 196- 199; Pietzner, Petitionsausschuß, 84 f. 29 Allgemein zur „Mischung von Repräsentation u n d I d e n t i t ä t " vgl. insbesondere Manti, Repräsentation u n d Identität, 188- 198; zur Rechtslage unter dem Grundgesetz vgl. vor allem Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 159 - 163 ; Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 45 ; Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 1, Ziff. 2 (S. 11 f.). 80 Dazu etwa Steiger (Anm. 29), 163- 165; zur Notwendigkeit der Arbeitsteilung schon Kelsen, Staatslehre, 314 f., 344; weitere Nachweise bei Manti, Repräsentation u n d Identität, 321 A n m . 301; Scharpf, Demokratietheorie, 58 f.; Pelinka, Dynamische Demokratie, 33 - 46. 31 Dazu Scharpf (Anm. 30), 5 7 - 6 3 ; M a n t i (Anm. 30), 262 f., 328 f. 32 Z u r Organisationsumgehung: M a n t i (Anm. 30), 318 f.; zum Verhältnis von repräsentativer Demokratie u n d Gewaltenteilung: Scheuner, Das repräsentat i v e Prinzip, 230 - 232. 28

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wirklichung des einzelnen durch eine Beteiligung an den Gemeinschaftsangelegenheiten zu fördern 3 4 . Die M i t w i r k u n g soll es jedem einzelnen ermöglichen, seine Vorstellungen und Interessen selbst einzubringen und zu vertreten. Sie stellt damit eine hervorragende Chance, zugleich aber auch eine Last m i t nicht zu unterschätzenden Gefahren für den einzelnen und die Gemeinschaft dar. Da eine Vertretung der Unmittelbarkeit entgegensteht, handelt ein jeder allein für sich selbst. Beteiligt er sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht an den Gemeinschaftsangelegenheiten, so kann er nicht darauf zählen, daß die anderen seine Interessen mitberücksichtigen. Versuche, die Enthaltsamkeit durch Aufklärung oder Belehrung zu überwinden, bringen die Gefahr einer Erziehungsdiktatur m i t sich 35 . Erziehung h i l f t zudem nicht gegen eine Uberforderung durch ständige Höchstbeanspruchung 36 , die zu Enttäuschung und Resignation sowie einem Verzicht auf jegliche Beteiligung der weniger Interessierten und Befähigten zugunsten der Eifrigen und Ausdauernden führen kann 3 7 . Da wegen der Ablehnung mittelbarer Herrschaftselemente kein Auswahlmechanismus als Auffangvorrichtung eingeplant ist, besteht schließlich keine Absicherung dagegen, daß eine Minderheit oder ein einzelner der A k t i v e n die Herrschaftsausübung unkontrolliert an sich zieht. Infolgedessen erscheint das Element der Mittelbarkeit als ein unentbehrlicher Baustein und nicht als ein zu überwindender Mangel des demokratischen Prinzips 3 8 . Mittelbarkeit allein vermag allerdings nicht, demokratische von nicht-demokratischer Herrschaftsausübung zu unterscheiden 39 . Hier wie dort entscheiden einige, nicht alle, und auch nichtdemokratische Herrschaftsausübung beruft sich regelmäßig darauf, für 33 Z u r Oligarchisierungsgefahr grundlegend Michels, Z u r Soziologie des Parteiwesens, insbesondere 341 -378; ferner Steiger (Anm. 29), 163; Fraenkel, Die repräsentative u n d die plebiszitäre Komponente, 10. — Z u m Zusammenhang m i t der Elitetheorie vgl. H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 171 f.; M a n t i (Anm. 30), 250; Scharpf (Anm. 30), 29 - 65. 34 Habermas, Politische Beteiligung, 319; M a n t i (Anm. 30), 254 m. w. N.; Naschold, Organisation u n d Demokratie, 19; Scharpf (Anm. 30), 66 f. — Z u r Verbindung von Demokratie u n d Menschenwürde vgl. insbesondere H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 75 f., 110, u n d den Diskussionsbeitrag von H. H. K l e i n , 153, aber auch von Merten, 136 f. ; ferner Bull, Staatsaufgaben, 82 f. („humaner Ansatz"); Scheuner (Anm. 32), 222 f.; H.-P. Schneider (Anm. 33), 379 f., 388-391; Häberle, AöR 1973, 123 f.; Herzog, Staatslehre, 202 f.; Smend, Deutsche Staatsrechtswissenschaft, 460. 35 Fraenkel (Anm. 33), 9; Scharpf (Anm. 30), 63 („totalitärer Zwang zur Partizipation"); M a n t i (Anm. 30), 263 f. 36 Dazu Hättich, Demokratie, 60 f. 37 M a n t i (Anm. 30), 264; Naschold (Anm. 34), 94; Scharpf (Anm. 30), 62. 38 Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 161 - 165; Kriele, Demokratisches Prinzip, 55, 60; ders., Staatslehre, 238 - 240. 39 Vgl. auch BVerfGE 5, 85, 195 f.

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alle oder doch i m Interesse aller zu handeln. Neben dem Element der Mittelbarkeit stellt deshalb auch das Element der Unmittelbarkeit einen notwendigen Bestandteil des demokratischen Prinzips dar. Eine Berücksichtigung beider Elemente findet sich sowohl bei den Befürwortern von mehr „Partizipation" und (unmittelbarer) „Demokratisierung" 4 0 , wenn sie ihre Forderungen auf Teilbereiche der Gemeinschaftsangelegenheiten 4 1 oder — gegenüber einer „Maximierung" — auf eine durch „Effizienz" angereicherte „Optimierung" 4 2 beschränken, wie auch bei den Vertretern einer mehr mittelbaren Herrschaftsausübung, wenn sie für eine erweiterte Einfiußmöglichkeit des Volkes bei der Wahlentscheidung 4 3 , innerhalb der Parteien und Verbände 4 4 oder über die öffentliche Meinungsbildung 4 5 eintreten. Nach alledem läßt sich das demokratische Prinzip und damit die demokratische Legitimation nicht als qualitative Alternative, sondern nur als quantitative Abstufung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Elementen verstehen. Es erscheint deshalb auch nicht zulässig, die verschiedenen Ausformungselemente i m Grundgesetz gegeneinander auszuspielen 46 . Unmittelbare u n d mittelbare Demokratie-Elemente stehen einander nicht unversöhnlich gegenüber. Sie ergänzen sich gegenseitig zum demokratischen Prinzip des Grundgesetzes und vermitteln der Ausübung von Staatsgewalt zusammen die erforderliche demokratische Legitimation. Der Maßstab der zutreffenden Mischung muß durch eine Abwägung gewonnen werden zwischen der notwendigen Arbeitsteilung i m modernen Staat und einer entsprechenden Entlastung des einzelnen einerseits und der ebenso notwendigen Rückbindung der Herrschaftsausübung an das Volk und einer entsprechenden M i t w i r k u n g des einzelnen andererseits 47 . Das Problem der unmittelbaren Beteiligung des Volkes an der 40 Zusammenfassend m i t umfangreichen Nachweisen: M a n t i (Anm. 30), 247 - 334. 41 Dazu Scharpf (Anm. 30), 63 f., 6 6 - 7 5 ; Naschold (Anm. 34), 11; weitere Nachweise bei M a n t i (Anm. 30), 260. 42 Dazu Naschold (Anm. 34), 10, 45 f., 53 f.; Scharpf (Anm. 30), 6 6 - 9 3 ; Steffani, Parlamentarische Demokratie, 1 8 - 2 2 ; zum Auseinanderfallen von M a x i m u m u n d O p t i m u m auch Kriele, Staatslehre, 229. 48 Vgl. etwa den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 1 (S. 9 - 21). 44 Dazu — unter dem Gesichtspunkt demokratischer Homogenität — Krüger, D Ö V 1976, 620 f.; ferner Fraenkel (Anm. 33), 5 6 - 5 8 ; Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 46 f.; allgemein auch Trautmann, Innerparteiliche Demokratie (1975); Wolfrum, Innerparteiliche demokratische Ordnung (1974). 45 Vgl. dazu Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, 6 2 - 6 7 ; weitere Nachweise bei Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, 156 - 176; zur Rechtsprechung des BVerfG: H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 367 - 372. 46 Vgl. auch Steiger (Anm. 38), 160.

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Erledigung staatlicher Sachaufgaben bedarf hier keiner Vertiefung. Es geht lediglich um die demokratische Legitimation der mittelbaren Ausübung von Staatsgewalt durch Parlament und Regierung als besonderen Organen. Deshalb kommt es vor allem auf die personelle R ü c k b i l dung der Organwalter an das Volk an, um eine Oligarchisierung zu verhindern und eine Aufgabenwahrnehmung i m Interesse aller zu gewährleisten. Insoweit bildet der Grad der personellen Rückbindung, die Volksnähe, den Maßstab für die demokratische Legitimation der mittelbaren Ausübung von Staatsgewalt durch das Parlament und die Regierung als Verfassungsorgane. b) Die Vermittlung demokratischer Legitimation durch die Wahl des Parlaments Demokratische Legitimation durch personelle Rückbindimg an das Volk bedeutet nach dem Grundgesetz die konkrete — i m Gegensatz zu einer lediglich generellen — Herleitung der Organwalterstellung aus einer Entscheidung des Volkes 4 8 . Dafür genügt nicht die Konstituierung des Organs einschließlich seines Aufgabenbereichs und Besetzungsverfahrens durch die vom Volk gegebene Verfassung 49 . Vielmehr muß jeder Organwalter als natürlich-reale Person jeweils besonders i n sein A m t berufen werden; er darf nicht, etwa aufgrund einer Erbfolgeordnung, von vornherein allgemein als Amtsinhaber feststehen 50 . Die Berufung erfolgt entweder unmittelbar durch das Volk selbst oder mittelbar durch vom Volk bestellte Organwalter, so daß sich eine ununterbrochene „Legitimationskette" 5 1 vom Volk über die „volksnächsten" bis h i n zu den „volksentferntesten" Organwaltern ergibt. Außerhalb dieser Legitimationskette stehende natürliche Personen besitzen keine demokratische Legitimation zur Ausübung von Staatsgewalt 52 , was allerdings nicht bedeutet, daß sie damit ausgeschlossen sind von einer Einflußnahme auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die legitimierten Organwalter 5 3 . Unmittelbar vom Volk werden auf Bundesebene 54 nur die Abgeordneten des Bundestages — i n allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und 47 Dazu B u l l , Staatsaufgaben, 87; Böckenförde, Diskussionsbeitrag, 132 f.; H. Meyer, Wahlsystem, 202 f.; Schlußbericht (Anm. 43), Kap. 1, Ziff. 2.2 (S. 11). 48 Böckenförde, Richterwahl, 73; Herzog, Staatslehre, 208-214; Kriele, Demokratisches Prinzip, 63; J. Ipsen, Richterrecht u n d Verfassung, 199. 49 Vgl. oben, bei A n m . 26. 50 Herzog, Staatslehre, 210 f. 51 Scheuner, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 16 (1958), 124; Böckenförde (Anm. 48), 73 f.; Herzog (Anm. 50), 214; BVerfGE 47, 253, 275. 52 Herzog (Anm. 50), 214 m i t A n m . 54; BVerfGE, ebd., 272 f. 53 K r i e l e (Anm. 48), 65. 54 F ü r die Länderebene vgl. A r t . 28 I GG.

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geheimer Wahl (Art. 38 GG) — bestellt. Alle übrigen Organwalter werden volksmittelbar durch das Parlament, durch vom Parlament bestimmte Organwalter usw. berufen. Dies gilt auch für die Mitglieder der Bundesregierung, von denen der Bundeskanzler — auf Vorschlag des Bundespräsidenten — vom Bundestag gewählt (Art. 63 I GG) und die Bundesminister — auf Vorschlag des Bundeskanzlers — vom Bundespräsidenten ernannt werden (Art. 641 GG). Insoweit stehen die Abgeordneten dem Volk „näher" als die Regierungsmitglieder, so daß das Parlament gegenüber der Regierung als demokratisch „höher" legitimiert erscheint 55 . Hierbei handelt es sich jedoch um eine noch unvollständige Betrachtung des demokratischen Auswahlverfahrens von Amtswaltern. Wahlen und Ernennungen von Parlaments- und Regierungsmitgliedern i m modernen Staat des Grundgesetzes kommen nicht zustande aufgrund zeitlich und persönlich isolierter Spontanentscheidungen, sei es von Wählern über Abgeordnete, sei es von Abgeordneten über Regierungsmitglieder. Sie bilden lediglich den — wenn auch besonders markanten und gewichtigen 56 — formell-momentanen Kristallisationspunkt und Entscheidungsakt innerhalb eines materiell-kontinuierlichen Prozesses demokratischer Willensbildung 5 7 . Die nächste Wahl beginnt m i t A b schluß der vorhergehenden 58 . Als ständiger Legitimationsprozeß m i t periodischen 59 Zwischenentscheidungen empfängt das demokratische Auswahlverfahren seinen orientierenden Gehalt vorwiegend 6 0 aus den gemeinsamenAnstrengungen und Leistungen der i n den politischen Parteien wirkenden und auf sie bezogenen Kräfte 6 1 . Der Einfluß der Parteien entspricht nicht nur ihrer 55

Vgl. dazu die Nachweise oben, A n m . 28, u n d unten, Kap. I V 1. Dazu BVerfGE 1, 14, 33; 3, 383, 392 ; 20, 56, 98; 41, 399, 414; Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 35, 38; H. Meyer, Wahlsystem, 20, 201; Kriele, Staatslehre, 229. 57 Vgl. Fraenkel, Strukturdefekt, 393; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 134; K r i e l e (Anm. 48), 52; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 151; Trautmann, Innerparteiliche Demokratie, 41; Wolfrum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 47. 58 V o n Münch, i n : ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 38, Randnr. 2. 59 Z u m Erfordernis periodischer Wahlen vgl. schon BVerfGE 1, 14, 33; ferner Rauschning, Das parlamentarische Regierungssystem, 219; BVerfGE 44, 125, 139. 60 Daneben besteht vor allem die Konkurrenz der Massenmedien u n d großen Verbände; vgl. Seifert, Die politischen Parteien, 40 f.; T r a u t m a n n (Anm. 57), 46 - 50; W o l f r u m (Anm. 57), 61. 81 BVerfGE 20, 56, 113 f. m. w. N.; 44, 125, 137, 145; Frowein, AöR 1974, 79 f.; grundlegend Hesse u n d Kafka, Die verfassungsrechtliche Stellung der p o l i t i schen Parteien i m modernen Staat, m i t anschließender Diskussion, W D S t R L 17 (1959), 11 - 117. 56

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tatsächlichen Bedeutung, sondern auch der normativen Anlage des Grundgesetzes. Volkswahl der Abgeordneten und M i t w i r k u n g der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes sind i n der Verfassung grundsätzlich verankert und i n der von ihr vorgesehenen Gesetzgebung näher bestimmt worden® 2. Erst die Bündelung und Ausrichtung der Meinungsvielfalt i n unterschiedlichen Parteien ermöglicht eine personale Wahl, die eine sachinhaltliche Parallelität zwischen Wählern und Gewählten vermittelt. Das personale Element 6 3 w i r d jedoch nicht von allen Parteikandidaten gleichermaßen, sondern vorwiegend von den Spitzenkandidaten geprägt, die nach außen für die persönliche Qualität aller Bewerber der Partei stehen. Das sachinhaltliche Element besteht aus dem zukunftsorientierten Parteiprogramm 6 4 und den vergangenheitsorientierten Parteileistungen 65 . Spitzenkandidaten, Parteiprogramme und Parteileistungen geben dem Wähler sichtbare, aber nicht unbedingt sichere Anhaltspunkte für seine Entscheidung 66 . Die Spitzenkandidaten stellen nur einen Teil des personalen Parteipotentials; das Parteiprogramm enthält — aus wahltaktischen, aber auch aus anderen Gründen, wie der mangelnden Zukunftserkennbarkeit, der Weite des Wählerspektrums oder der innerparteilichen Kompromißbildung — lediglich Grund- und Rahmenaussagen; die Parteileistungen schließlich hängen gewöhnlich eng mit den Leistungen anderer Parteien zusammen, so daß ein bestimmter Urheber nicht i m mer klar hervortritt. U m zu einer Entscheidung zu gelangen, muß der Wähler die verschiedenen personalen und sachinhaltlichen Elemente i n ihrer Gesamtheit heranziehen, untereinander abwägen und auf einen gemeinsamen Nenner bringen 6 7 . Das parteigeprägte Wahlverfahren besteht deshalb aus sich gegenseitig ergänzenden und nicht aus einander widersprechenden Elementen, die nur notdürftig als Regel-Ausnahme-Verhältnis zusammengefaßt oder als Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit gegeneinander aus62

Vgl. A r t . 21 und 38 GG sowie die dazu ergangenen Ausführungsgesetze. Dieses w i r d hervorgehoben etwa von Hennis, Amtsgedanke, 13, 23 f.; H ä t tich, Demokratie, 48 f.; weitere Nachweise bei Manti, Repräsentation u n d Identität, 180; vgl. ferner Scheuner, D Ö V 1958, 644; ders., Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, 394. 84 Dazu Kaack, Parteiensystem, 401 - 403. 65 Vgl. H. Meyer, Wahlsystem, 19; L u h m a n n (Anm. 57), 170. 88 Z u r Abstraktheit der K o m m u n i k a t i o n zwischen Parteien u n d Wählern vgl. L u h m a n n (Anm. 57), 165 f.; Scharpf, Demokratietheorie, 79; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 179 f. 87 Z u den damit verbundenen Schwierigkeiten f ü r eine rationale Wahlentscheidung vgl. Steiger (Anm. 66), 176 - 180 m. w . N. — Unterschiede bei der Erst- u n d Zweitstimmenabgabe bestehen praktisch k a u m ; vgl. dazu Reese u. a., Einstellungswandel, 7; Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 70 m i t A n m . 49. 83

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gespielt werden können 6 8 . Es läßt sich weder m i t den idealtypisch bestimmten Maßstäben einer Honoratioren-Persönlichkeitswahl oder einer unmittelbaren Sachentscheidung angemessen beurteilen noch i n eine dieser Kategorien zwängen. Der Wähler entscheidet sich nicht für das fertig-anwendbare Sachprogramm eines aus anonym und i h m gleichgültigen Personen zusammengesetzten Parteiapparats oder umgekehrt für eine hermetisch-abgeschlossene Spitzengruppe von Parteifunktionären, denen er die Ausarbeitung und Durchsetzung eines beliebigen Sachprogramms pauschal überläßt. Parteiwahl bedeutet vielmehr die Auswahl zwischen organisierten Personengruppen sowohl aufgrund des personalen Eindrucks vor allem ihrer Spitzenkandidaten wie auch aufgrund des sachinhaltlichen Eindrucks der von ihnen i n der Vergangenheit erbrachten Leistungen 69 . Parteiwahl ist deshalb Sach- und Personenwahl zugleich 70 . Dementsprechend bieten sich die Parteien als personal- und sachinhaltlich verwobene Komplexe zur Wahl an. Der Wähler kann sich als solcher 71 nur für eines der Pauschalangebote entscheiden oder alle ablehnen 72 . Die starre Parteiliste, die ausschlaggebende Zweitstimme für die Parteiliste 7 3 und die infolge der überwiegend „sicheren" Wahlkreise geringe Bedeutung der Erststimme 7 4 beschränkt einerseits die Wahlentscheidung auf eine Bestimmung des Sitzanteils der Parteien i m Parlament 7 5 . Das m i t dem ausdrücklichen Ziel einer stabilen Regierung auch rechtlich geförderte 76 Wenige-Parteien-System 77 erweitert andererseits 68

Dazu unten, Abschnitt 4 d i n diesem Kap. Ähnlich Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 12 f. (Parteiprogramm u n d Parteiführer). 70 I m Ergebnis ebenso ζ. B. Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 40 f.; Fraenkel, Strukturdefekte, 392; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 2 5 - 2 7 ; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 134; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 86; Scheuner, D Ö V 1958, 644; Trautmann, I n n e r parteiliche Demokratie, 33 f. ; W o l f rum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 57. 71 Anders, w e n n er sich u m M i t w i r k u n g innerhalb einer Partei bemüht, worauf er einen grundsätzlichen Anspruch hat; dazu Magiera, D Ö V 1973, 764 bis 768 m. w . N.; i m übrigen Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 46 f.; T r a u t m a n n (Anm. 70), 34; W o l f r u m (Anm. 70), 58. 72 Vgl. auch H. Meyer (Anm. 70), 90 f.; Scheuner, Das repräsentative P r i n zip, 239. 78 Vgl. § 6 B W a h l G ; zum „Stimmensplitting": H. Meyer, Wahlsystem, 240 bis 246; zur Praxis: Vogel / Nohlen /Schultze, Wahlen i n Deutschland, 233-236. 74 Gewinnchancen haben n u r die beiden Großparteien, von denen i n Z w e i d r i t t e l n der Wahlkreise jeweils die eine so stark vorherrscht, daß die andere keine Erfolgsaussicht besitzt; vgl. dazu Kaack, Parteiensystem, 574 f.; Magiera, JöR 1973, 623 A n m . 4; Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem, 13 f. 75 Lohmar, Das Hohe Haus, 141; H. Meyer (Anm. 70), 86, 91 f. 78 Insbesondere durch die 5-°/o-Sperrklausel, § 6 I V B W a h l G (dazu H. Meyer, Wahlsystem, 225 - 236) u n d die beschränkte Erstattung von Wahlkampfkosten, 89

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das A n g e b o t insofern, als sich die p a r l a m e n t s f ä h i g e n P a r t e i e n — a l l e i n oder i n A b s p r a c h e m i t e i n a n d e r — n e b e n d e r A b g e o r d n e t e n l i s t e f ü r d e n F a l l i h r e s Wahlsieges a u f eine L i s t e v o n R e g i e r u n g s m i t g l i e d e r n festlegen. D e r W ä h l e r entscheidet deshalb n i c h t n u r ü b e r die p a r t e i m ä ß i g e Z u s a m m e n s e t z u n g des Bundestages, s o n d e r n auch ü b e r d i e j e n i g e d e r B u n d e s r e g i e r u n g u n d v o r a l l e m ü b e r d i e P e r s o n des B u n d e s k a n z l e r s 7 8 . P a r t e i w a h l i s t deshalb P a r l a m e n t s - u n d R e g i e r u n g s w a h l z u g l e i c h 7 9 . D i e V e r k n ü p f u n g v o n P a r l a m e n t s - u n d R e g i e r u n g s w a h l scheint v e r lorenzugehen, w e n n e i n Regierungswechsel w ä h r e n d d e r W a h l p e r i o d e s t a t t f i n d e t 8 0 . E i n e unterschiedliche B e u r t e i l u n g e r g i b t sich aber n u r , w e n n der demokratische Legitimationsprozeß p u n k t u e l l auf den Tag der allgemeinen W a h l reduziert w i r d , u n d zwar allein auf den zurückliegenden, a n s t a t t d e n g e s a m t e n V e r l a u f einschließlich des nächstfolgenden Wahltags der „ A b r e c h n u n g " zu berücksichtigen 81. Die ständige A r b e i t v o r d e m W ä h l e r u n d d i e periodische W i e d e r k e h r d e r W a h l z w i n g e n d i e P a r t e i e n , v o r a l l e m b e i so g r u n d l e g e n d e n E n t s c h e i d u n g e n w i e d e r R e g i e r u n g s b i l d u n g , d i e W ä h l e r m e i n u n g w ä h r e n d d e r W a h l p e r i o d e ebenso i n Rechnung zu stellen w i e bei der allgemeinen W a h l 8 2 . Ob die Rücksicht§ 18 I I ParteienG (zu den Bedenken gegen eine staatliche Parteienfinanzierung vgl. Kewenig, D Ö V 1964, 836 - 840). 77 Von Münch, i n : ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 21, Randnr. 23. 78 Sog. Kanzlerwahlen; dazu Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 65 f.; Lohmar (Anm. 75), 140 f.; Vogel u. a. (Anm. 73), 239; H. Meyer (Anm. 73), 23 f.; Böckenförde, Organisationsgewalt, 80 f.; Badura (Anm. 70), A r t . 38, Randnr. 17; demgegenüber etwa Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 95: „Der Kanzler ist das Geschöpf des Parlamentes". — Z u r bisherigen Praxis: Thaysen (Anm. 74), 1 2 - 1 5 ; Loewenberg, Parlamentarismus, 265 - 276. — I m staatsrechtlichen Schrifttum w i r d das Problem vorwiegend unter dem — praktisch k a u m bedeutsamen — B l i c k w i n k e l des Vorschlagsrechts des Bundespräsidenten erörtert; vgl. etwa Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 232-245; Lippert, Bestellung u n d Abberufung der Regierungschefs, 254 - 293; weitere Nachweise bei Liesegang, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 63, Randnr. 2 - 5 ; vgl. auch die folgenden Anmerkungen. 79 Das Ergebnis der Bundestagswahl ist f ü r die K a n z l e r w a h l durch den B u n destag u n d das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten zwar nicht rechtlich bindend, w i e Steiger (Anm. 78), 240, zutreffend feststellt, aber w o h l mehr als „ n u r ein A n h a l t s p u n k t " ; diese Geringschätzung des Wahlergebnisses w i r k t u m so erstaunlicher, als gerade Steiger, ebd., u n d entsprechend auch L i p p e r t (Anm. 78), 272, den Bundespräsidenten f ü r rechtlich verpflichtet halten, dem Bundestag den Kandidaten der Bundestagsmehrheit als Kanzler vorzuschlagen; vgl. demgegenüber Henke, Das Recht der politischen Parteien, 162 f. 80 So etwa L o h m a r (Anm. 75), 140; zur Praxis vgl. Günther, Regierungswechsel auf Raten, 105 - 123. 81 Wolf rum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 47; H. Meyer, W a h l system, 207 A n m . 53. 81 Dazu Günther (Anm. 80), 109 f.; ders., Kanzlerwechsel, 50 - 64, 99 - 108 u n d passim, der insbesondere auf die W i r k u n g der zwischenzeitlichen Landtagswahlen verweist; vgl. auch Loewenberg, Parlamentarismus, 271, aber 273; ferner Kewenig, Diskussionsbeitrag, 172.

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nähme insgesamt ausreicht und befriedigt, kann i n diesem Zusammenhang offenbleiben, weil die Frage das Verhältnis zwischen Wählern und Parteien allgemein 8 3 und unabhängig von Zeit und Umständen der Regierungsbildung betrifft. Nach alledem empfangen Parlamentsabgeordnete und Regierungsmitglieder ihre demokratische Legitimation aufgrund eines kontinuierlichen Legitimationsprozesses i n periodisch wiederkehrenden Parteiwahlen. I n diesen entscheiden die Wähler zwischen den Pauschalangeboten der Parteien, die sowohl personale wie sachinhaltliche Elemente umfassen und i n ihrer komplexen Verwobenheit zugleich für die Parlaments- und die Regierungsarbeit gelten. Die unterschiedlichen Wahl- und Ernennungsverfahren für Parlamentsabgeordnete und Regierungsmitglieder erscheinen deshalb nur einer isoliert-punktuellen Betrachtung als i m Verhältnis zum Volk abgestufte Legitimationsvorgänge. Demgegenüber zeigt eine umfassende Betrachtung des demokratischen Auswahlverfahrens als ständiger Legitimationsprozeß m i t periodisch wiederkehrenden Z w i schenentscheidungen i n Parteiwahlen, wie sie sich i n dem Wenige-Parteien-System unter dem Grundgesetz herausgebildet haben, daß Parlament und Regierung i m Hinblick auf das Verfahren ihrer personellen Besetzung gleichermaßen demokratisch legitimiert sind. Differenzierende Anhaltspunkte für die Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis der beiden Verfassungsorgane lassen sich daraus nicht herleiten.

3. Zusammensetzung des Parlaments und demokratische Repräsentation Bundestag und Bundesregierung unterscheiden sich ferner i n ihrer personellen Zusammensetzung, so daß auch insoweit zu fragen ist, ob sich daraus Anhaltspunkte für die Zuordnung der Staatsleitung unter dem Grundgesetz ergeben. Die Bildung und Beauftragung von Verfassungsorganen führt notwendig zu einer personellen Verengung der am sachinhaltlichen Entscheidungsprozeß Beteiligten. Soll die Staatsgewalt dennoch w i r k l i c h vom Volk ausgehen und diese verfassungsrechtliche Forderung des A r t . 20 I I GG keine Fiktion bleiben, so muß — gerade weil und insoweit das Volk die Sachaufgaben nicht selbst bewältigen kann — gewährleistet sein, daß die personelle Verengung nicht zu einer 83 Sie w i r d insbesondere i n der Diskussion zum freien/gebundenen/generellen Mandat aufgeworfen; vgl. dazu Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 5 1 - 5 5 ; Achterberg, Das rahmengebundene Mandat (1975); Steiger (Anm. 78), 184 - 202; auch Reese u. a., Einstellungswandel, 4 - 8 (zum V e r hältnis Wähler - Gewählte).

3. Zusammensetzung des Parlaments u n d demokratische Repräsentation 109

Vernachlässigung oder gar Unterdrückung sachinhaltlicher Alternativen führt. Das Wahlverfahren bietet keinen ausreichenden Schutz. Es beschränkt sich auf die Gegenüberstellung relativ allgemein gehaltener Sachprogramme, die nicht beliebig verdichtet werden können und deshalb auch wichtige Einzelheiten offenlassen und einem Änderungsvorbehalt infolge unvorhersehbarer Entwicklungen unterstehen 84 . Sachauseinandersetzung und Sachentscheidung erfolgen dementsprechend vorwiegend auf der Ebene der Verfassungsorgane. Damit erhält der Willensbildungsund Entscheidungsprozeß innerhalb der Verfassungsorgane hervorragende, wenn nicht ausschlaggebende Bedeutung. Welche sachinhaltlichen Vorstellungen und Interessen i n diesen Prozeß einfließen und sich i n ihm durchsetzen, hängt wiederum von dem konkret-personellen Bestand der i n i h m wirkenden Organwalter ab. Die Zusammensetzung der Verfassungsorgane w i r d folglich zu einem entscheidenden Problem der Repräsentation des Volkes durch die von i h m berufenen Organwalter. Diesem Problem soll i m vorliegenden A b schnitt für die Zusammensetzung des Parlaments i m Vergleich zur Regierung nachgegangen werden, zunächst i m Hinblick auf die Mitglieder von Parlament und Regierung und sodann i m Hinblick auf die beiden Verfassungsorgane selbst.

a) Die Annäherung von Abgeordneten-

und Regierungsamt

Nach dem Grundgesetz üben sowohl die Abgeordneten des Bundestages (Art. 48 II) wie die Mitglieder der Bundesregierung (Art. 64 II, 69 II) ein „ A m t " aus. Ein „ A m t " haben auch der Bundespräsident (Art. 54 II, 57, 61 II, 115 h I), die Richter (Art. 96 II, 97 II, 98 II, 115 h I, 132 I) und nicht zuletzt die Beamten (Art. 1321) inne. Von einem „ A m t " der Reichstags- und Landtagsmitglieder sprach ebenfalls die Weimarer Verfassung (Art. 39 I), nicht jedoch die Reichsverfassung von 1871. A m t und Mandat wurden i n der konstitutionellen Monarchie entsprechend der dualistischen Grundstruktur zwischen Staat und Gesellschaft streng geschieden. Folgerichtig zählten Reichskanzler und Minister („Staatssekretäre") zu den „Beamten", die „ j e d e r z e i t . . . einstweilig i n den Ruhestand versetzt werden" konnten 8 5 . Sie waren „Statusinhaber" aufgrund monarchischer Verleihung 8 6 . Der Abgeord84

Vgl. oben, Abschnitt 2 b i n diesem Kap., bei A n m . 66 f. Vgl. § 25 des ReichsbeamtenG v o m 31. 3. 1873, RGBl. 61; ebenso i n der Bekanntmachung v o m 18. 5.1907, RGBl. 245. 86 Dazu Röttgen, Abgeordnete u n d Minister, 200. 85

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

nete hingegen besaß als „Mann aus dem V o l k " die „schlichte Rechtsstellung" des freien Bürgers 8 7 , der „keine Besoldung oder Entschädigung" 88 beziehen durfte und „dem Staate juristisch zu nichts verpflichtet" 8 9 sein sollte. Dieses Staatsverständnis, dem spätestens m i t dem Ende der konstitutionellen Monarchie der verfassungsrechtliche Boden entzogen w a r 9 0 , erfuhr unter der Weimarer Verfassung erst gegen Ende der Republik und auch nur insofern eine Wandlung, als durch das Reichsministergesetz von 1930 91 eine formelle Trennung zwischen Kabinett und Beamtentum eingeführt wurde 9 2 . Für den Abgeordneten blieb es hingegen bei der zurückhaltenden Wendung, daß er „eine A r t gesellschaftliches Ehrenamt" innehabe 93 , jedenfalls nicht zum Bereich der Staatsorgane gehöre 94 . Unter der Geltung des Grundgesetzes ist nunmehr allgemein anerkannt, daß auch der Abgeordnete ein öffentliches A m t bekleidet 9 5 . Wie andere staatliche Amtsinhaber nimmt er nicht seine persönlichen oder irgendwelche privat-„gesellschaftlichen" Interessen wahr, sondern erfüllt eine öffentliche Aufgabe i m Rahmen rechtlich geregelter Wahrnehmungszuständigkeiten 96 . Als Inhaber eines „obersten Staatsamts" 97 , das ihm einen „verfassungsrechtlichen Status" 9 8 verleiht, unterscheidet 87

Köttgen, ebd., 197 f. So A r t . 32 der Reichsverfassung von 1871 i n seiner ursprünglichen Fassung, der — i m Vergleich zu verschiedenen Landesverfassungen jener Zeit — m i t BVerfGE 20, 56, 104 als „Rückschritt auch innerhalb des Staatsrechts des repräsentativen Parlamentarismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts" bezeichnet werden k a n n ; vgl. dazu auch Hatschek, Parlamentsrecht, 604 - 628. 89 So die Ansicht von Laband (Staatsrecht I, 1. Aufl., 237; 5. Aufl., 241) i n der — kritischen — Formulierung von G. Jellinek (System, 172). 90 Köttgen (Anm. 86), 198. 91 Gesetz über die Rechtsverhältnisse des Reichskanzlers u n d der Reichsminister (ReichsministerG) v o m 27. 3.1930, RGBl. I 96. 92 Köttgen (Anm. 86), 195. 93 So Tatarin-Tarnheyden, Die Rechtsstellung der Abgeordneten, 415; auch Anschütz, Kommentar, A r t . 40, A n m . 2. 94 Vgl. Tatarin-Tarnheyden, ebd.: „ . . . weder Organ, noch Vertreter oder Repräsentant des Deutschen Reichs." 95 Ruland, Der Staat 1975, 467-470; Henke, Das Recht der politischen Parteien, 120-124; v o n Mangoldt / Klein, A r t . 38, A n m . I V 2 (S. 888); Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 38, Randnr. 8 (zu b) ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 69; Wiese, AöR 1976, 548 f.; BVerfGE 40, 296, 314 u n d passim; a. Α . früher Schack, M D R 1953, 515; aber nunmehr ders., M D R 1968, 188; ferner Achterberg, Parlamentsrecht, 31; nunmehr ders., D Ö V 1975, 842; weniger w e i t Häberle, N J W 1976, 539 (öffentliche, aber nicht staatliche Aufgabenerfüllung) ; zum Amtsbegriff vgl. Wolff /Bachof, Verwaltungsrecht I I , 2 7 - 3 2 ; vgl. auch den Bericht zur Seminartagung „ P o l i t i k als Beruf? — Das Abgeordnetenbild i m historischen Wandel" (1978). 98 W o l f f / Bachof, ebd., 29; Steiger, ebd. 97 Giese, Grundgesetz, A r t . 38, Erl. I I 1. 88

3. Zusammensetzung des Parlaments u n d demokratische Repräsentation

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er sich i n seiner Rechtsstellung nicht mehr grundsätzlich von der eines Regierungsmitgliedes, dem ebenfalls die Wahrnehmung eines verfassungsrechtlich zugewiesenen und bestimmten Bereichs öffentlicher A u f gaben obliegt". Eine Annäherung zwischen Abgeordneten- und Regierungsamt zeigt sich außer i n dieser allgemeinen rechtlichen Qualifizierung auch i n wesentlichen Einzelheiten der tatsächlichen Entwicklung, die nicht ohne erheblichen Einfluß auf die rechtliche Ausgestaltung und i h r Verständnis geblieben sind. Als Musterbeispiel lassen sich die Abgeordnetendiäten anführen, die sich trotz des traditionellen Wortlauts des Grundgesetzes i n A r t . 48 I I I — „Anspruch auf eine . . . Entschädigung" — von einer besonderen (Aufwandsentschädigung zu einer „(Voll-)Alimentation" des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse gewandelt haben 1 0 0 . Seine neue Bedeutung hat A r t . 48 I I I GG i m Lichte der „nicht zufälligen, sondern notwendigen und innerlich folgerichtigen, schwerlich reversiblen Entwicklung" gewonnen 1 0 1 . Als prägende Merkmale, die eine Annäherung von Abgeordneten- und Regierungsamt bewirkt haben, treten — auf dem Hintergrund der Entwicklung vom monarchisch-liberalen Bewahrungsstaat zum demokratisch-sozialen Gestaltungsstaat — vor allem drei grundlegende Veränderungen hervor, die eng miteinander zusammenhängen: die Abhängigkeit der Regierung von dem Ausgang der Volkswahl des Parlaments, das Anwachsen des Abgeordnetenmandats zu einem politischen (Haupt-) Beruf und der Zusammenschluß von Parlaments- und Regierungsmitgliedern i n dauerhaft organisierten Parteien. 98 BVerfGE 2, 143, 164, 166; 20, 56, 103; von Mangoldt / K l e i n , A r t . 38, A n m . I V 1 a (S. 887); Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 56; Häberle, N J W 1976, 538 („Drei-Status-Lehre") ; zum Status des Abgeordneten zusammenfassend BVerfGE 40, 296, 311, 319, 321 u n d passim. — Z u r Notwendigkeit, das von i h m sog. „Amtswaltergrundverhältnis" i n ein A m t s w a l t e r und ein engeres (personales) Statusverhältnis aufzuschlüsseln, vgl. Steiger (Anm. 95), 74 m i t A n m . 31 sowie 76 - 81, der aber selbst hervorhebt, daß für das Abgeordnetenverhältnis alle drei Rechtsverhältnisse derart zusammenfallen, „daß bereits das Grundverhältnis selbst alle Rechte u n d Pflichten der A b geordneten festlegt" (75); zurückhaltend gegenüber dem Begriff des „ G r u n d verhältnisses" auch Achterberg, D Ö V 1975, 842 m i t A n m . 79. 99 Z u r Annäherung von Abgeordneten- u n d Ministeramt i n der demokratischen Verfassungsordnimg des Grundgesetzes vgl. insbesondere Köttgen (Anm. 86), 195, 207 f., 213 f. u n d passim, dem allerdings nicht gefolgt werden kann, wenn er die Statusinhaber w e i t e r h i n als „spezielle Würdenträger" i n Differenzierung zur allgemeinen Menschenwürde auffassen w i l l ; dagegen auch Steiger (Anm. 95), 73; Badura (Anm. 98), A r t . 38, Randnr. 50. — Z u r m i t der Rechtsstellung des Abgeordneten notwendig verbundenen Pflichtenstellung vgl. Wiese, AöR 1976, 552, 561 - 570. 100 BVerfGE 40, 296, 314-316 u n d passim; zur Abgeordnetenentschädigung auch von A r n i m , Abgeordnetenentschädigung u n d Grundgesetz (1975). 101

BVerfGE, ebd., 315.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

U m ihr Programm kontinuierlich und erfolgreich verwirklichen zu können, bedarf eine Regierung i m demokratischen Staat des Grundgesetzes einer sie beständig und verläßlich unterstützenden Abgeordnetenmehrheit i m Parlament 1 0 2 . Abgeordnetenmehrheit und Regierung sind aufeinander angewiesen 103 . Diese durch die periodisch wiederkehrende Volkswahl bedingte unentrinnbare Abhängigkeit hat folgerichtig zur sog. Kanzlerwahl 1 0 4 geführt. Die Bezeichnung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich nicht so sehr um eine Wahl zwischen freischwebenden und selbstherrlichen Einzelpersönlichkeiten (Individualwahl) handelt als vielmehr um eine Wahl zwischen parteilich organisierten Gruppen, die sich durch allgemeine Sachprogramme und herausgehobene Spitzenkandidaten oder „Führungsmannschaften" voneinander abzuheben suchen (Gruppenwahl) 1 0 6 . Das gemeinsame Macht- und Sachinteresse, das sich i n der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit nicht aufspalten läßt 1 0 8 , weil demokratisch legitimierte (Mehrheits-)Macht unentbehrliche Vorbedingung für die Durchsetzung von Sachprogrammen ist, bildet die einigende Grundlage für die nach Parteien gruppierten Personen, die sich i n der Volkswahl um Abgeordneten- und Regierungsämter bemühen 1 0 7 . Das Wahlerfordernis zwingt jedoch nur zu einer Einigkeit, welche die Erringung der Parlamentsmehrheit und die Besetzung der Regierungsstellen gewährleistet. Insoweit stehen sich die konkurrierenden Parteigruppen — sei es allein, sei es i n Koalition — um der gegenseitigen Abgrenzung und Profilierung w i l l e n nach außen h i n möglichst geschlossen und blockartig gegenüber 108 . Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß jede Parteigruppe für sich wiederum aus Untergruppen, weiteren Untergruppen usw., letztlich aus einzelnen Personen besteht. Diese rivalisieren unter102

Scheuner, D Ö V 1958, 643; Gehrig, Regierung - Parlament - Opposition, 124 f.; Schäfer, Der Bundestag, 26. 103 Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 68; Loewenberg, Parlamentarismus, 316 bis 318; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 86; Trautmann, I n n e r parteiliche Demokratie, 59; Wolf rum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 36. 104 Dazu oben, Abschnitt 2 b i n diesem Kap., A n m . 78. 105 Jarass (Anm. 103), 66; oben, Abschnitt 2 b. — Z u r idealtypischen U n t e r scheidung zwischen I n d i v i d u a l - u n d K o l l e k t i v w a h l vgl. Schütt, ZfP 1976, 262-267; zum „Gruppenparlamentarlsmus" Gehrig (Anm. 102), 123 m. w. N.; Borchert, AöR 1977, 215. 106 Selbst die Macht „ u m ihrer selbst w i l l e n " dient einem weiteren Ziel: dem „Prestigegefühl"; vgl. M . Weber, P o l i t i k als Beruf, 9. 107 Jarass (Anm. 103), 6 5 - 7 2 ; Kaack, Parteiensystem, 687; Schütt, ZfP 1976, 267-269; Steffani, Parlamentarische Demokratie, 36; T r a u t m a n n (Anm. 103), 59. 108 Das galt m i t gewissen Einschränkungen selbst f ü r die Zeit der „Großen K o a l i t i o n " ; vgl. K n o r r , Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen K o a l i t i o n 1966 bis 1969, 264 - 267.

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einander, wenn auch regelmäßig innerhalb des von den Hauptgruppen gezogenen allgemeinen Rahmens, u m die personellen und sachlichen Positionen, welche der jeweiligen Hauptgruppe offenstehen 109 . Da stets mehr Sachalternativen denkbar als realisierbar und mehr Bewerber vorhanden als unterzubringen sind, besteht grundsätzlich ein ständiger Wettbewerb um Sachentscheidungen und Personalbesetzungen 110 . Das gilt auch und gerade für die Führungspositionen i n der einzelnen Parteigruppe selbst und i n den von i h r aufgrund der Wahl zu besetzenden Verfassungsorganen. Ob jemand Mitglied des Parlaments oder der Regierung wird, bestimmt sich deshalb nicht mehr nach i n der Gesellschaft vorgegebenen Merkmalen, sondern nach der Zugehörigkeit zu einer Parteigruppe und nach der Stellung u n d Durchsetzungskraft i n i h r 1 1 1 . K a r rieremuster und Berufsbild 1 1 2 der Parlaments- und Regierungsmitglieder, die sich i n der konstitutionellen Monarchie nahezu konträr gegenüberstanden und auch noch i n der Weimarer Republik stark voneinander abwichen 113 , haben sich unter dem Grundgesetz einander angenähert 114 . Die personelle Trennlinie zwischen der „ersten" und der „zweiten" Gewalt verläuft deshalb immer weniger zwischen dem Parlament einerseits und der Regierung einschließlich der Ministerialbürokratie andererseits, als vielmehr zwischen den Mitgliedern des Parlaments und der Regierung, deren Verbindung durch das vermittelnde A m t des parlamentarischen Staatssekretärs augenfällig hervorgehoben w i r d 1 1 5 , auf der einen Seite und der Ministerialbürokratie auf der anderen Seite, wobei allerdings die hohen („politischen") Beamten eher der ersten Gruppe zugerechnet werden müssen 110 . 109 Vgl. Gehrig (Anm. 102), 120- 123, zur Willensbildung i n der F r a k t i o n ; T r a u t m a n n (Anm. 103), 201. Innerparteiliche Auseinandersetzungen werden jedoch i m allgemeinen eher negativ bewertet, vgl. dazu auch H. Meyer (Anm. 103), 96 m i t A n m . 78. — Allgemein zur innerparteilichen Opposition vgl. Raschke, Organisierter K o n f l i k t (1977). 110 Hierbei vermag die Schutzvorschrift des A r t . 38 I GG zugunsten des A b geordneten auch w e i t e r h i n eine wichtige F u n k t i o n zu erfüllen; vgl. dazu etwa Haungs, Z P a r l 1973, 509 f.; ferner unten, Abschnitt 4 d, bei A n m . 290 - 297, i n diesem Kap. 111 Rausch (Anm. 108), 89 f. 112 V o n „Abgeordnetenberuf" sprachen schon die A r t . 37 I I u n d 38 I der W e i marer Reichsverfassung; vgl. ferner BVerfGE 40, 296, 314: „ f u l l - t i m e - j o b " ; dazu — einschränkend — Häberle, N J W 1976, 538; Abelein, Die Rechtsstellung des Abgeordneten, 788; vgl. auch Loewenberg, Parlamentarismus, 153 -156; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 71 f. 113 Dazu Köttgen, Abgeordnete u n d Minister, 195 - 203. 114 Dazu Jarass (Anm. 103), 7 4 - 7 6 ; Kaack (Anm. 107), 663 - 685. 115 Vgl. Schäfer, Der Bundestag, 36: „ . . . eine neue Verbindungslinie, ein Zwischenglied" zwischen Regierung u n d Parlament. 118 Vgl. auch Reese u. a., Einstellungswandel, 12; dies widerspricht auch einer kategorialen Gegenüberstellung v o n „ P o l i t i k " u n d (Ministerial-) „Bürokratie",

8 Magiera

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

Die Austauschbarkeit und Fluktuation 1 1 7 von Amtsinhabern i n Parlament und Regierung w i r d bedingt und erleichtert durch die gemeinsame Parteimitgliedschaft, die weitere mehr oder minder formell organisierte Kontakte vermittelt 1 1 8 . Darunter fallen Sitzungen der Parteigremien, zu denen Parlaments- und Regierungsmitglieder gehören oder geladen werden, aber auch Sitzungen der Fraktionen und Arbeitskreise, an denen Regierungsmitglieder teilnehmen 1 1 9 , oder umgekehrt Kabinettssitzungen, bei denen Fraktionsmitglieder zugegen sind 1 2 0 . Die Begegnungen werden dadurch gefördert, daß die Regierungsmitglieder i m Gegensatz etwa zur Weimarer Z e i t 1 2 1 regelmäßig zugleich Parlamentsmitglieder 1 2 2 und damit „Fleisch vom Fleische des Parlaments" 1 2 3 , beide zusammen „Fleisch vom Fleische der sie stützenden Partei" sind 1 2 4 . Insgesamt zeigt der vergleichende Uberblick somit eine weitgehende Annäherung von Abgeordneten- und Regierungsamt auf der personellen Seite der Amtsinhaber, die — bedingt durch die periodisch wiederkehrende Volkswahl des Parlaments und die von ihrem Ausgang abhängige Regierungsbildung — i h r Macht- und Sachinteresse erfolgreich nur gemeinsam i n organisatorisch dauerhaften Parteigruppierungen durchsetzen können. Eine individuelle Betrachtung der einzelnen Organwalter von Parlament und Regierung läßt somit keine Unterschiede i n der demokratischen Repräsentation erkennen, die einer differenzierenwie sie insbesondere v o n Jarass (Anm. 103), passim, als „neue" Gewaltenteil u n g befürwortet w i r d . 117 Ressortwechsel innerhalb der Regierung sind i n der Bundesrepublik — etwa i m Vergleich zu Großbritannien — i m m e r noch selten; dazu Armbruster, Z P a r l 1973, 95-114; von Beyme, Ministerverantwortlichkeit, 128 f.; dennoch läßt sich nicht v o n einem „Fachmänner-Kollegium" sprechen (Domes, M e h r heitsfraktion u n d Bundesregierung, 83). 118 Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 119f.; Jarass, P o l i t i k und Bürokratie, 71 f.; Kaack, Parteiensystem, 663-685; Loewenberg, Parlamentarismus, 214, 297 f.; Schäfer, Der Bundestag, 27; Seifert, Die politischen Parteien, 36 - 39. 119 Vgl. dazu Reese u. a., Einstellungswandel, 26; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 111. 120 Schäfer, Der Bundestag, 26, 139, 143; Schüle, Koalitionsvereinbarungen, 103 - 107 ; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 9, der ferner auf die Beauftragung v o n Abgeordneten m i t diplomatischen Aufgaben i m Ausland hinweist; dazu auch K n u t h , Z P a r l 1971, 48 f. 121 Vgl. die tabellarische Übersicht bei Schmidt-Jortzig, Z P a r l 1972, 343 - 346. 122 H i e r i n w i r d sogar eine gewohnheitsrechtliche K o m p a t i b i l i t ä t gesehen, w e n n auch teilweise erörtert w i r d , ob eine I n k o m p a t i b i l i t ä t rechtspolitisch wünschenswert wäre; vgl. dazu Sturm, Die I n k o m p a t i b i l i t ä t , 9 1 - 9 6 ; SchmidtJortzig (Anm. 121); ferner auch von Beyme (Anm. 117), 127 f.; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 34 f.; Hess, Z P a r l 1971, 262-276; Kaack, Parteiensystem, 565, 670f.; Loewenberg, Parlamentarismus, 293-316; D i t t m a n n , ZRP 1978, 52 - 55. 123 H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 86. 124 Varain, PVS 1964, 347 (betr. Regierung).

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d e n Z u o r d n u n g d e r S t a a t s l e i t u n g zwischen b e i d e n V e r f a s s u n g s o r g a n e n als A n h a l t s p u n k t e d i e n e n k ö n n t e n .

b) Der Unterschied zwischen Parlamentsund Regierungszusammensetzung V o n d e r p e r s o n e l l e n A n n ä h e r u n g d e r M i t g l i e d e r des P a r l a m e n t s u n d d e r R e g i e r u n g l ä ß t sich n i c h t a u f eine g l e i c h e r m a ß e n s t a r k e A n n ä h e r u n g d e r b e i d e n Verfassungsorgane selbst s c h l i e ß e n 1 2 5 . D i e R e g i e r u n g s t e l l t eine e r h e b l i c h e personelle V e r e n g u n g g e g e n ü b e r d e m P a r l a m e n t dar, d i e n i c h t vernachlässigt oder g a r ü b e r s e h e n w e r d e n d a r f 1 2 6 . Dies g i l t selbstverständlich u n d unbestritten gegenüber der P a r l a m e n t s m i n d e r h e i t , also d e r oder d e n v o n d e r R e g i e r u n g g ä n z l i c h ausgeschlossenen F r a k t i o n ( e n ) . H i e r b e i g e h t es n i c h t l e d i g l i c h u m eine m e h r oder m i n d e r u n v e r m e i d b a r e V e r z e r r u n g z w i s c h e n d e r r e p r ä s e n t i e r t e n u n d d e r r e p r ä s e n t i e r e n d e n G r u p p e , w i e sie j e d e R e p r ä s e n t a t i o n 1 2 7 — sofern n i c h t z u F i k t i o n e n g e g r i f f e n w i r d — a u f w e i s t 1 2 8 u n d w i e sie i m V e r h ä l t n i s zwischen V o l k u n d P a r l a m e n t n u r a u s n a h m s w e i s e 1 2 9 zulässig 125 F ü r eine Annäherung spricht jedoch die Wandlung des Parlaments zu einem ständig präsenten (nicht: ständigen) Verfassungsorgan; vgl. die Neufassung des A r t . 39 I GG durch das Änderungsgesetz v o m 23. 8. 1976, BGBl. I 2381, u n d dazu den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 3, Ziff. 1 f. (S. 33 - 39). ΐ2β y g i j j . Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 89, 102; Schäfer, Der Bundestag, 31; Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, 390. — Diesen Aspekt vernachlässigen Gehrig, Parlament Regierung - Opposition, u n d auch Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, bei dem aus der mangelnden „sozialen Distanz" zwischen Regierung u n d Parlamentsmehrheit u n v e r m i t t e l t eine fehlende Konfrontation zwischen Regierung u n d Parlament w i r d (S. 79). 127 Wenn man sie nüchtern als „Vergegenwärtigung einer Gesamtheit durch Vertretung" auffaßt; vgl. Scheuner, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 33 (1975), 121; vgl. auch Böckenförde, ebd., 132: „Repräsentation i m organisationstheoretischen Sinn als reale politische Repräsentation" ; zur K r i t i k an der traditionellen Repräsentationstheorie — w i e sie v o r allem vertreten w i r d von C. Schmitt, Verfassungslehre, 204 - 216, u n d Leibholz, Das Wesen der Repräsentation (1929) — vgl. insbesondere H. Meyer, Wahlsystem, 197 - 206; ders. (Anm. 126), 7 8 - 8 2 ; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, 222-246; zur geschichtlichen E n t w i c k lung vor allem H. Hofmann, Repräsentation (1974); zusammenfassend etwa Manti, Repräsentation u n d Identität (1975); Oppermann, D Ö V 1975, 763-766; Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 2 - 34. 128 So auch Häberle, N J W 1976, 542; Zahlen für den Bundestag z. B. bei Kaack, Parteiensystem, 646-662; Loewenberg, Parlamentarismus, 115-165; Strukturelle Gliederung des Deutschen Bundestages (1971). 129 Vgl. die Notwendigkeit der Begründung f ü r eine Sperrklausel i m W a h l recht; dazu H. Meyer, Wahlsystem, 225 -236; zuletzt BVerfGE 41, 399, 421; BVerfG, EuGRZ 1979, 320.



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ist 1 3 0 . Der Ausschluß der Parlamentsminderheit von der Regierung geschieht vielmehr bewußt und i m Einklang sowohl m i t der formalen Bestimmung des Grundgesetzes, das eine Mehrheitswahl des Bundeskanzlers genügen läßt (Art. 63, 67, 68 m i t 121), wie auch m i t der allgemeinen „politischen K u l t u r " i n der Bundesrepublik, die eine „Große Koalition" oder gar eine „Allparteienregierung" als Ausnahmelösung betrachtet 131 . Eine personelle Verengung der Regierung findet aber auch gegenüber der Parlamentsmehrheit, also der oder den die Regierung tragenden und sie regelmäßig auch stellenden Fraktion(en), statt. Selbst wenn man die „vermittelnden" parlamentarischen Staatssekretäre zum weiteren Kreis der Regierung hinzurechnet und von den üblichen knappen Mehrheitsverhältnissen, somit von einer relativ kleinen Parlamentsmehrheit, ausgeht, gehören nicht mehr als etwa 10 bis 15 Prozent der Mehrheitsabgeordneten der Regierung an 1 3 2 . Schon aus diesem Grunde begegnet eine unbesehene Gleichsetzung von Regierung und Parlamentsmehrheit und eine Ersetzung des „alten" Dualismus zwischen Regierung und Parlament durch einen „neuen" Dualismus zwischen Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit (Opposition) Bedenken 1 3 3 . Die personelle Verengung der Regierung gegenüber dem Parlament w i r d allerdings i m Verhältnis zur Parlamentsmehrheit durch eine gewisse „Pluralisierung" der Regierung abgemildert 1 3 4 . Die Regierungsbildung geschieht zwar formell durch Ernennung der Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers (Art. 64 I GG). Das Erfordernis der Bundeskanzlerwahl durch das Parlament bietet jedoch der Parlamentsmehrheit die Möglichkeit, auf die Zusammensetzung des Kabinetts Einfluß zu nehmen 1 3 5 . U m die notwendige Zusammenarbeit zwischen Regierung 130 Vgl. Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 33 (1975), 121: „Der Sinn eines Parlaments liegt darin . . . , daß es i n seiner Personenzahl u n d Vielfalt eine breiter gefächerte Repräsentation darstellt, als dies eine Regierung oder ein Monarch sein können. Der Pluralismus der Repräsentation bildet die eigentliche Stärke des Parlaments." 131 Z u r tatsächlichen Einschätzung der „Großen K o a l i t i o n " von 1966 -1969 vgl. K n o r r , Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen K o a l i t i o n 1966 bis 1969, 1 5 - 2 5 ; Kaack, Parteiensystem, 318 f.; f ü r Denninger, Staatsrecht, 42, sind „Große Koalitionen" u n d „Allparteienregierungen" isogar „ v o n der N o r m a t i v i t ä t des Grundgesetzes aus gesehen — typusfremde E n t wicklungen" ; ähnlich H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 101 f., 399 (zur Rechtsprechung des BVerfG), 407 f. 132 Vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 97. iss vorsichtig auch Scheuner, D Ö V 1974, 437; H. Meyer (Anm. 132), 97 f.; vgl. näher unten, Kap. V 2 a. 134

Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 69. Loewenberg, Parlamentarismus, 283-318; v o n Beyme, Ministerverantwortlichkeit, 126 f.; Domes, Mehrheitsfraktion u n d Bundesregierung, 8 3 - 9 3 ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 313 - 318. — Die Mitglieder der Parlamentsmehrheit und der Kanzlerkandidat stehen ihrerseits unter Beein135

3. Zusammensetzung des Parlaments u n d demokratische Repräsentation

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und Parlamentsmehrheit zu sichern, werden regelmäßig die i n der Parlamentsmehrheit vertretenen sozialen, regionalen und — bei Koalitionsmehrheiten — parteilichen Gruppierungen entsprechend ihrem Kräfteverhältnis und Durchsetzungsvermögen durch „ihre" Minister i n die Regierung aufgenommen oder wenigstens durch „ihre" parlamentarischen Staatssekretäre näher an die Regierung herangeführt 1 3 6 . Dennoch können nicht alle Abgeordneten und sämtliche Richtungen auf diese Weise stets gleichmäßig und zufriedenstellend berücksichtigt werden 1 8 7 . Die Regierung stellt deshalb nicht notwendig ein zwar verkleinertes, aber getreues Spiegelbild der Parlamentsmehrheit dar 1 3 8 . Die Unterschiede werden auch nicht durch die gemeinsame Parteizugehörigkeit der Mitglieder von Parlamentsmehrheit und Regierung aufgehoben. Abgesehen davon, daß eine derartige Verklammerung 1 3 9 bei den üblichen Koalitionsmehrheiten und -regierungen ausscheidet 140 , läßt sich eine zentrale Steuerung der Regierungs- und Fraktionsmitglieder auch derselben Partei nicht feststellen 141 . Eine zentrale Steuerung von außen würde eine den i n Parlament und Regierung vertretenen Parteimitgliedern überlegene Parteikraft voraussetzen. Dem widerspricht jedoch, daß sich die maßgebliche Führungselite der Parteien i m wesentlichen aus den Parlaments- und Regierungsmitgliedern selbst zusammensetzt 142 . flussungsversuchen, ζ. B. von Interessenverbänden u n d natürlich der eigenen Partei; vgl. etwa Domes, ebd., 8 4 - 8 6 ; Steiger, ebd., 317 m i t A n m . 32 f. 136 Kaack, Parteiensystem, 671 f.; Loewenberg (Anm. 135), 299-316; A r m bruster, Z P a r l 1973, 1051; zu den Gruppen innerhalb der Fraktionen vgl. Lohmar, Das Hohe Haus, 149 f. ist V g l e Domes (Anm. 135), 86 - 88. 138 Scheuner, D Ö V 1974, 438; Rausch / Oberreuter, Parlamentsreform, 146 f.; Wolfrum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 38. 139 F ü r Loewenstein, Verfassungslehre, 195, ist die Partei „die eiserne K l a m mer, die Parlament (?!) u n d Regierung zusammenhält"; vgl. auch Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 126 m. w . N. 140 H i e r macht sich i m Gegenteil die „Bereichsopposition" bemerkbar; dazu Kirchheimer, V o m Wandel der politischen Opposition, 128; ferner H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 101 f. — Dieser Aspekt w i r d insbesondere von Gehrig (Anm. 139) vernachlässigt; vgl. auch die Besprechung von Giesing, N J W 1971,185. 141 I m Ergebnis ebenso ζ. B. Haungs, Z P a r l 1973, 510-514; Lohmar, Das Hohe Haus, 142 f.; Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem, 50; Wolf r u m (Anm. 138), 59 f.; a. A . insbesondere Gehrig (Anm. 139), 118 - 128, der die F r a k tion als „ I n s t r u m e n t " bzw. „Organ" (119 m. w . N.) der Partei bezeichnet, ohne klarzustellen, wer denn „die" Partei eigentlich ist; ähnlich auch Bermbach, ZParl 1970, 355; gegen diesen Haungs, Z P a r l 1973, 510 m i t A n m . 52. 142 Kaack, Parteiensystem, 663-685; Domes (Anm. 135), 4 6 - 4 8 , 162- 165; Haimgs, Z P a r l 1973, 511-513; Loewenberg, Parlamentarismus, 216 f. (CDU/ CSU-Fraktion), 227 f. (SPD-Fraktion), 231 (FDP-Fraktion); Schatz, Der Parlamentarische Entscheidungsprozeß, 125; Thaysen (Anm. 141), 50. Anders Wildenmann, Partei u n d Fraktion, 154 - 160; gegen i h n jedoch Seifert, Die politischen Parteien, 38 A n m . 109.

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Einer zentralen Steuerung von innen durch die engere, i n Regierung und Parlament vertretene Parteiführung wiederum steht entgegen, daß sich diese auf die Regierungsmitglieder einerseits und die Fraktionsspitze andererseits — also ohne Ämterkumulation 1 4 3 — verteilt 1 4 4 und daß die nicht zu dieser engeren Parteiführung gehörenden Abgeordneten aufgrund der dezentralisierten Wahlnominierung von der engeren Führungsspitze weitgehend unabhängig sind 1 4 5 . Das Nominierungsverfahren w i r d zwar nicht vom „Parteivolk" 1 4 6 , aber auch nicht von den zentralen Parteiinstanzen beherrscht, sondern von den lokalen Parteiführungen auf Wahlkreisebene für die Wahlkreiskandidaten und ihren Vertretungen auf Landesebene für die Listenkandidaten 1 4 7 . Trotz weitgehender Annäherung von Abgeordneten- und Regierungsamt auf der personellen Seite der Amtsinhaber unterscheiden sich Parlament und Regierung als Verfassungsorgane nach ihrer Zusammensetzung auch weiterhin erheblich voneinander 1 4 8 . Das Parlament stellt eine grundsätzlich umfassende personelle Gesamtrepräsentation des Volkes dar, die Verzerrungen vermeiden soll und Ausschlüsse nur verfassungsbegründet und ausnahmsweise zuläßt. Die Regierung weist demgegenüber eine erhebliche personelle Verengung auf. Die Parlamentsminderheit ist gänzlich von i h r ausgeschlossen, aber auch die sie stellende und tragende Parlamentsmehrheit ist i n ihr nur zu etwa 10 bis 15 Prozent vertreten. Auch die Parteizugehörigkeit verklammert Regierung und Parlamentsmehrheit nicht zu einer personellen Einheit, weil es bei Koalitions-, aber auch bei Einparteienregierungen und -mehrheiten an einer zusammenschließenden zentralen Parteisteuerung fehlt. Damit hat der Vergleich der personellen Zusammensetzung von Parlament und Regierung i n ihrer jeweiligen Gesamtheit einen verfassungsrechtlich beachtlichen Unterschied i n der demokratischen Repräsentation aufgedeckt, der erste Hinweise für die Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis der beiden Verfassungsorgane bietet.

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Loewenberg (Anm. 142), 297 f. Eine Ausnahme verzeichnet Gehrig (Anm. 139), 125 m i t A n m . 98, für Bayern. — Allgemein zur nicht unbedenklichen K u m u l a t i o n von Parteiämtern: Trautmann, Innerparteiliche Demokratie, 274 - 279. 145 Lohmar (Anm. 141), 141 f.; Thaysen (Anm. 141), 13 f. 146 Dazu Magiera, JöR 1973, 657 - 660; T r a u t m a n n (Anm. 144), 280 f.; W o l f rum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 185 f. 147 Kaack, Parteiensystem, 595 - 603, 621 -637; Haungs, Z P a r l 1973, 511; Henkel, Parlamentsbewerber, 33 - 41. 148 Z u den A u s w i r k u n g e n auf die praktische Arbeitsweise i m Verhältnis von Parlament u n d Regierung vgl. etwa Braunthal, The West German Legislative Process, 234; Loewenberg, Parlamentarismus, 449 f.; Väth, Z P a r l 1974, 229. 144

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4. Innere Ordnung des Parlaments und demokratische Kommunikation Bundestag und Bundesregierung unterscheiden sich weiterhin aufgrund ihrer inneren Ordnung hinsichtlich Organisation und Verfahren. Ein darauf bezogener Vergleich könnte zusätzliche Anhaltspunkte für die Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis der beiden Verfassungsorgane ergeben. Schon eine grobe Sichtung der Argumente läßt aufschlußreiche Erkenntnisse erwarten. Während nämlich die Regierung i m allgemeinen als grundsätzlich geeignet angesehen wird, die ihr obliegenden Aufgaben einschließlich derjenigen staatsleitenden Charakters organisatorisch und verfahrensmäßig ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen, werden dem Parlament insoweit vielfach erhebliche Zweifel entgegengebracht. So gelten etwaige Mängel, die bei der Aufgabenerledigung auftreten, hinsichtlich der Regierung eher als Folge einzelner behebbarer Schwächen, hinsichtlich des Parlaments jedoch eher als A n zeichen eines allgemeinen unabänderlichen Versagens i n dem betreffenden Aufgabenbereich. Eine solche Einschätzung nach zweierlei Maß, die der Regierung Anpassungsfähigkeit und damit ein breites Eignungsspektrum bescheinigt, dem Parlament hingegen diese Eigenschaften nicht zubilligt, erweckt Bedenken, weil sie das Parlament hindern könnte, die i h m verfassungsrechtlich gestellten Aufgaben und anvertrauten Befugnisse voll zu entfalten und auszuschöpfen. Diesen Bedenken ist i m vorliegenden Zusammenhang nachzugehen, u m festzustellen, ob und inwieweit die innere Ordnung des Parlaments i m Vergleich zur Regierung verfassungsrechtliche Besonderheiten aufweist, die sich auf die Zuordnung der Staatsleitung zwischen beiden Verfassungsorganen auswirken. a) Parlamentarische

Entscheidung und parlamentarisches Verfahren

Der Bundestag t r i t t i n seinen Entscheidungen nach außen einheitlich als Verfassungsorgan des Bundes auf 1 4 9 . Rechtlich werden seine Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland als der staatlichen Organisation des unter dem Grundgesetz vereinigten Volkes zugerechnet 160 . Seine 149 Die Entscheidungen sind nicht etwa Maßnahmen der einzelnen F r a k t i o nen; vgl. BVerfGE 1, 144, 147. 150 Eine Aufspaltung i n eine rechtliche (gegenüber dem Staat) u n d eine politisch-ideologische (gegenüber dem Volk) Zurechnung (so Badura, i n : B o n ner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 33) erscheint zwar nicht unmöglich, aber auch nicht erforderlich (vgl. etwa Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 56 f.; auch Maunz, i n : Maunz / D ü r i g J Herzog/ Scholz, A r t . 38, Randnr. 2), w e i l sich daraus jedenfalls keine konkreten rechtlichen Aussagen f ü r das V e r h ä l t nis zwischen V o l k u n d Parlament ergeben. Vgl. auch weiter i m Text.

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Beschlüsse binden den Staat und die Gesamtheit des i n ihm organisierten Volkes unabhängig davon, ob die Abgeordneten ihnen einstimmig oder lediglich m i t der erforderlichen Mehrheit 1 5 1 zugestimmt haben oder ob das Volk m i t ihnen einverstanden ist oder nicht 1 5 2 . Dies folgt nicht aus allgemeinen Rechts- oder gar Wesensbegriffen, etwa daraus, daß die A b geordneten i n Wahrheit „Repräsentanten" und nicht „Vertreter" des Volkes sind 1 5 3 , sondern aus positiven Verfassungsbestimmungen 154 , insbesondere aus A r t . 38 I 2 GG, wonach die Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind 1 5 5 . Die Freistellung der Abgeordneten bei ihrer Teilnahme an der parlamentarischen Willensbildung 1 5 6 rechtfertigt sich aus ihrer demokratischen Legitimation aufgrund der Volkswahl und ihrer allgemeinen Abhängigkeit vom Wählerwillen 1 5 7 . Insofern stellt es auch keine Fiktion dar 1 5 8 , wenn die Beschlüsse des Parlaments Staat und Volk zugerechnet werden, ohne daß i m Einzelfall eine Willensübereinstimmung zwischen Abgeordneten und Volk besteht. A l l gemein und auf Dauer darf jedoch eine grundsätzliche Verständigung, ein Grundkonsens 159 , nicht fehlen, und zwar aus tatsächlichen Gründen, weil Volk und Verfassungsorgane sich sonst entfremden und die gemeinsame Herrschaftsgrundlage entfällt 1 6 0 , wie aus rechtlichen Gründen, weil 151 „Gesetze werden nach A r t . 77 Abs. 1 GG nicht von der Mehrheit, sondern v o m Bundestag beschlossen" (BVerfGE 2, 143, 161); vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 94. 152 Hierüber besteht Einvernehmen, w e n n auch die Begründungen voneinander abweichen; vgl. z. B. Badura (Anm. 150), A r t . 38, Randnr. 33; Maunz (Anm. 150), A r t . 38, Randnr. l f . ; Steiger (Anm. 150), 57. 153 Scheuner, Das repräsentative Prinzip, 227 f., hebt zutreffend hervor, daß der „heute so scharf betonte Unterschied der Repräsentation zu einer Vertretung . . . geschichtlich nicht gleichermaßen ausgeprägt" ist; vgl. auch Ch. M ü l ler, Mandat, 78 - 85. 154 Unentschieden Maunz (Anm. 150), A r t . 38, Randnr. 1, w e n n er sich einerseits auf die „Repräsentation" i m Anschluß an Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, beruft u n d andererseits auf einer A b l e i t u n g „ u n m i t t e l b a r aus der Verfassung" besteht; ähnlich auch Badura (Anm. 150), A r t . 38, Randnr. 31 u n d 33. 155 Vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 94, 112 (These 17); Friauf, Diskussionsbeitrag, 130. is· jyfe Freistellung äußert sich auch i n der Sanktionsfreiheit f ü r parlamentarische Äußerungen u n d Abstimmungen, v o n der lediglich die V e r a n t w o r t u n g für verleumderische Beleidigungen ausgenommen ist; vgl. A r t . 46 I GG. 157 Vgl. auch Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 56f.; ders., Verantwortung u n d Kontrolle, 395; BVerfGE 44, 125, 141 f. 158 So aber Kelsen, Staatslehre, 312-316; gegen i h n Badura (Anm. 150), A r t . 38, Randnr. 31; vgl. auch Ch. Müller, Mandat, 228 f. 159 Z u r Bedeutung des Grundkonsenses f ü r das Mehrheitsprinzip vgl. insbesondere Scheuner, Mehrheitsprinzip, 54f.; ders., Das repräsentative P r i n zip, 226; ders., Diskussionsbeitrag, W D S t R L 33 (1975), 122; ders., Konsens u n d Pluralismus, 53 f., 6 1 - 6 6 ; ferner Häberle, J Z 1977, 243; Isensee, N J W 1977, 545; Kaltefleiter, Demokratische Legitimation, 30.

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die demokratische Legitimation des Grundgesetzes eine reale Rückbindung der personalen Herrschaftsausübung voraussetzt 161 . Damit stellt sich die bedeutsamste und zugleich schwierigste Frage für die demokratisch legitimierte Herrschaftsausübung unter dem Grundgesetz: Wie aus der Vielheit der Interessen und Meinungen die Einheit allgemein verbindlicher und beachteter 162 Entscheidungen entsteht. Einheitlichkeit der Interessen und Meinungen kann ebensowenig vorausgesetzt werden wie Einheitlichkeit des Willens — weder für „das" Volk, noch für „das" Parlament, noch für „die" Regierung. Sie muß jeweils erst hergestellt werden. Dabei darf die vorhandene Vielheit als solche allerdings nicht verlorengehen und zu einer homogenen Einheit auf Dauer verschmelzen, soll nicht der totale Staat heraufbeschworen werden. Vielheit muß vielmehr grundsätzlich erhalten bleiben und dennoch zu den notwendigen einheitlichen, d. h. die Gesamtheit bindenden Entscheidungen gelangen können. Vielheit und Einheit, Spannungen und Integration 1 6 8 , gehören gleichermaßen und dauerhaft zur Verfassungsordnung des Grundgesetzes. I h r einander ergänzendes Verhältnis läßt sich weder nach der einen noch nach der anderen Richtung einseitig auflösen. Allgemeinverbindliche Entscheidungen müssen jeweils aus der Vielheit entstehen und ständig aus i h r bestätigt und bestärkt werden. I m Verhältnis zwischen Volk und Verfassungsorganen soll die kontinuierliche Verständigung — wie erörtert — vor allem über die wiederkehrende Parlamentswahl erfolgen, aber auch über andere i n der Verfassung vorgesehene Wege, insbesondere über die politischen Parteien, über die Verbände und über die öffentliche Meinungsbildung i m allgemeinen. Die Offenheit des politischen Prozesses ist damit unentbehrliche Voraussetzung für das Entstehen von Einheit aus Vielheit 1 6 4 . Auch die Abgeordneten i m Parlament stellen zunächst eine Vielheit von mehreren hundert Einzelpersönlichkeiten dar, die zum „Parlamentswillen" erst zusammenfinden müssen. Dabei macht es nur einen graduellen Unterschied, daß der Parlamentswille durch Mehrheitsentscheid und nicht durch allgemeine Einigung gebildet wird. Da für sein Zustandekommen nicht alle Einzelmeinungen erforderlich sind, läßt sich ein Mehrheitsentscheid zwar verhältnismäßig leichter erreichen; aber auch ιβο 2,ur „Entfremdungsthese" vgl. auch Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 39. 181 Dazu oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. 162 N o r m a t i v i t ä t allein gewährleistet die Rechtsgeltung noch nicht; vgl. oben, Kap. I 5, bei A n m . 78 - 83. 188 Dazu vor allem Göldner, Integration u n d Pluralismus (1977). 184 Dazu auch Scheuner, Mehrheitsprinzip, 5 7 - 5 9 ; Häberle, J Z 1977, 243; BVerfGE 44, 125, 142.

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er bedarf der Einigung der daran Beteiligten 1 6 6 . Ebenso wichtig wie die Entscheidung selbst erscheint deshalb ihre Voraussetzung, das Verfahren der Entscheidungsgewinnung 166 .

b) Parlamentarisches Verfahren und parlamentarische Aufgabenstellung Das parlamentarische Verfahren erfährt seine rechtliche Prägung i m wesentlichen durch die parlamentarische Praxis. Das Grundgesetz beschränkt sich auf einige grundlegende Regelungen, die sich vor allem i m Abschnitt über den Bundestag, aber auch i n anderen Abschnitten finden. Dazu gehören, die Bestimmungen über die Wahl und die Befugnisse des Parlamentspräsidenten (Art. 40), über die Öffentlichkeit der Verhandlungen und die erforderlichen Beschlußmehrheiten (Art. 42), über die Untersuchungs- und einige andere Ausschüsse sowie den Wehrbeauftragten (Art. 44 - 45 c), über die Stellung der Abgeordneten (Art. 38, 46 - 48), über die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63) und über das Verfahren der Gesetzgebung (Art. 76 ff.). Schon diese wenigen Beispiele, ferner die Bestimmungen der A r t . 38 I I I , 41 I I I , 45 b Satz 2, 45 c I I und 48 I I I 3, die ausdrücklich eine nähere gesetzliche Regelung der Stellung der Abgeordneten, der Wahlprüfung, zum Wehrbeauftragten und zum Petitionsausschuß vorsehen, vor allem aber die Bestimmung des A r t . 40 I 2, wonach der Bundestag sich eine Geschäftsordnung gibt, zeigen die besondere Bedeutung, die das Grundgesetz dem inneren Parlamentsbereich beimißt. Wenn das Recht der parlamentarischen Geschäftsordnung i n der deutschen Staatsrechtslehre dennoch „eher einen vernachlässigten Gegenstand" bildet 1 6 7 , so entspricht dies weder seiner tatsächlichen noch seiner rechtlichen Tragweite für das Staats- und Verfassungsrecht 168 . Die verbreitete Zurückhaltung scheint ihre Ursache vornehmlich i n einem „allgemeinen Unverständnis für die inneren Gesetze des parlamentarischen Lebens", aber auch i n den Nachwirkungen der positivistischen Staatsrechtstradition zu finden 169, für die die Regelungen des inneren Parla165 Mehrheiten gibt es nicht a p r i o r i ; dazu Hauenschild, Fraktionen, 102, 105 - 107; Ch. Müller, Mandat, 213. 166 Vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 84 f.; Hesse, Verfassungsrecht, 58; Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 60; ferner BVerfGE 1, 144, 154, zum „Eigenwert" der Gesetzesberatung. 187 Scheuner, Parlamentarisches Verfahren, 143. 188 H. Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen, 303 - 319. Auch das B V e r f G (E 1, 144, 148) spricht von „ i h r e r (der parlamentarischen Geschäftsordnung) großen Bedeutung f ü r das materielle Verfassungsrecht u n d das Verfassungsleben"; ebenso BayVerfGHE 8 (1955) 91, 100.

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mentsbereichs — m i t Ausnahme der Verfassungsbestimmungen selbst 170 — keine (objektiven, „echten") Rechtssätze darstellen 1 7 1 . Die Beschränkung des Rechtsbegriffs auf das allgemeine Verhältnis zwischen Staat und Bürger und die damit verbundene Ausklammerung der staatsorganisations-internen Angelegenheiten aus dem Rechtsbereich kann als überwunden gelten 1 7 2 . Auch i m „Innenbereich" der staatlichen Organisation, i m Verhältnis der Staatsorgane untereinander (Inter-Organbereich), bestehen Rechtsbeziehungen („Innenrecht") 1 7 3 . Für die Geschäftsordnungen der obersten Bundesorgane findet dies eine Bestätigung i n Art. 93 I Nr. 1 GG, der u. a. Verfassungsstreitigkeiten mit Beteiligten aufführt, „die durch dieses Grundgesetz oder i n der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind" 1 7 4 . Bei den internen Parlamentsregeln handelt es sich deshalb nicht nur um formale Spielregeln oder technische Reglements 176 . Aufgrund der i h m i n A r t . 40 I 2 GG gewährten Befugnis zur Regelung seiner Geschäftsordnung eröffnet sich dem Parlament bei der Ausgestaltung seines Verfahrens, wie seiner inneren Gliederung und Ordnung überhaupt, ein von der Verfassung i n den Grundzügen vorgezeichneter, konkretisierungsfähiger und -bedürftiger Rahmen 1 7 6 . Soweit das Parlament seinen internen Organbereich regelt, schafft es danach ergänzendes (sekundäres) Verfassungsrecht 177 , das weder als „autonome Satzung" noch als Rechts- oder Verwaltungsverordnung aufgefaßt werden d a r f 1 7 8 und am ehesten als „Verfassungssatzung" bezeichnet werden 169 Scheuner (Anm. 167), 143 - 145 (Zitat auf S. 145). Dafür läßt sich auch das größere Interesse der vorpositivistischen Staatsrechtslehre i m 19. Jahrhundert anführen; vgl. dazu die Nachweise bei H. Schneider (Anm. 168), 304 - 306. 170 Dies gelang der positivistischen Staatsrechtslehre n u r m i t einer — i n sich widersprüchlichen — Argumentation v o m Ergebnis her; vgl. dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, 64 f. 171 Vgl. etwa Laband, Staatsrecht I, 344 f.; Hatschek, Parlamentsrecht, 42. 172 Böckenförde (Anm. 170), 125; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 37 - 40. 173 Böckenförde (Anm. 170), 74 f.; Rupp, Grundfragen, 19-103; Wahl, Stellvertretung, 6 7 - 7 1 ; vgl. auch unten, Kap. I V 3 d cc. 174 Vgl. dazu BVerfGE 2, 143, 159 f. 175 Dagegen auch Scheuner (Anm. 167), 145; H. Schneider (Anm. 168), 304; ebenso f ü r die Geschäftsordnung der Bundesregierung Böckenförde (Anm. 170), 119; W a h l (Anm. 173), 99; vgl. auch B V e r f G E 2, 143, 161: „Besteht ein Organ aus mehreren Personen, so muß das Recht Regeln aufstellen, nach denen der W i l l e des Organs gebildet w i r d " (Hervorhebung hinzugefügt). 176 Scheuner (Anm. 167), 145 f.; W a h l (Anm. 173), 98 f.; BVerfGE 1, 144, 148: „Die parlamentarische Geschäftsordnung sichert das geordnete Funktionieren des Parlaments i m Staats- u n d Verfassungsleben" ; ebenso f ü r die Geschäftsordnung der Bundesregierung Böckenförde (Anm. 170), 119, 123. 177 Dazu A l t m a n n , D Ö V 1956, 753; Scheuner (Anm. 167), 144 f.; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 44; W a h l (Anm. 173), 99 f.; ebenso für die Geschäftsordnung der Bundesregierung Böckenförde (Anm. 170), 119.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

kann 1 7 9 . Als unmittelbar verfassungsermächtigtes Recht ist dieses „ i n nere Parlamentsrecht" 1 8 0 der Verfassung nachgeordnet 181 , nicht jedoch den Gesetzen oder Rechtsverordnungen, denen gegenüber keine Rang-, sondern eine Kompetenzabgrenzung besteht 182 , weil Geschäftsordnungsrecht bzw. Gesetzes- und Verordnungsrecht unterschiedliche Sachmaterien betreffen und eine unterschiedliche Ermächtigungsgrundlage besitzen 183 . Die Besonderheit des Innenrechts gegenüber dem Außenrecht besteht vor allem darin, daß sich seine Wirkungen grundsätzlich auf die Interbzw. Intra-Organbeziehungen beschränken 184 . Dementsprechend vermag das Geschäftsordnungsrecht des Bundestages nur die Parlamentsabgeordneten — i n ihrer Stellung als Organwalter — zu binden, nicht aber Rechte und Pflichten für andere Verfassungsorgane oder gar für die Staatsbürger zu begründen 1 8 5 . Eine Auswirkung erscheint jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Insbesondere läßt sich nicht mehr ohne weiteres annehmen, daß Beschlüsse von Verfassungsorganen, die unter Verletzung von Geschäftsordnungsbestimmungen zustande kommen, ausnahmslos gültig sind 1 8 6 . Dabei w i r d man auf ddie Schwere des Verstoßes 178 Nachweise u n d K r i t i k zu diesen Einordnungsverfahren bei K . F. A r n d t , Parlamentsrecht, 136- 156; vgl. ferner Böckenförde (Anm. 170), 120- 122; Steiger (Anm. 177), 41 - 4 3 ; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 233 f. 179 So (für die Geschäftsordnung der Bundesregierung) Böckenförde (Anm. 170), 122 f.; ferner W o l f f /Bachof, Verwaltungsrecht I, 137; Steiger (Anm. 177), 43 f., m i t der zutreffenden Bemerkung, daß über dem Wortbestandteil „ . . . Satzung" nicht das ungeschriebene Parlamentsrecht unberücksichtigt bleiben dürfe. 180 Ausdruck nach Pereis, Geschäftsgang u n d Geschäftsordnung, 449, der von „innerem Reichstagsrecht" spricht. 181 A l l g . Meinung; vgl. etwa B V e r f G E 1, 144, 148; Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 40, Randnr. 22 m. w . N. 182 So die i m Vordringen befindliche Ansicht; vgl. dazu Steiger (Anm. 177), 44 f.; Herzog/ Pietzner, Geschäftsordnung, 835; A r n d t (Anm. 178), 121 - 125, m i t Nachweisen auch zur bisher h. M., der sich auch das B V e r f G (E 1, 144, 148) angeschlossen h a t ; w i e hier auch Böckenförde (Anm. 170), 124 f. (zur Geschäftsordnung der Bundesregierung). 183 Anders als die Gesetze erläßt der Bundestag seine Geschäftsordnung ohne M i t w i r k u n g anderer Verfassungsorgane; vgl. A r t . 40 I 2 G G gegenüber A r t . 76 ff. GG. 184 Dazu u n d zu Ausnahmeregelungen allgemein Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 484 - 552. 185 BVerfGE 1, 144, 148; K . F. A r n d t , Parlamentsrecht, 110 f.; Maunz (Anm. 181), A r t . 40, Randnr. 18; auch Böckenförde (Anm. 170), 124 (zur Geschäftsordnung der Bundesregierung); etwas anders Herzog/Pietzner (Anm. 182), die eine Rechtsbegründung zugunsten D r i t t e r für möglich halten. 186 So auch Scheuner (Anm. 167), 144 f.; Lechner / Hülshoff, Parlament u n d Regierung, A n m . 1 vor § 1 G O ß T (S. 186); Böckenförde (Anm. 170), 126; zweifelnd auch Versteyl, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 40, Randnr. 18; anders die w o h l noch h. M., z.B. Maunz (Anm. 181), A r t . 40,

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abzustellen haben 1 8 7 und den Bewertungsmaßstab jeweils für den Einzelfall aus den i n der Verfassung unmittelbar zum Ausdruck gebrachten Verfahrensgrundsätzen gewinnen müssen 188 . Neben diesen Problemen der Kennzeichnung und Wirkung des inneren Parlamentsrechts bereitet auch seine Erkenntnis Schwierigkeiten. Dies hat seinen Grund i n dem allmählichen Ubergang zwischen tatsächlichem Parlamentsbrauch und verbindlichem Parlamentsrecht. Soweit Angelegenheiten des inneren Parlamentsbereichs i n der Verfassung selbst oder i n Gesetzen geregelt sind 1 8 9 , bestehen allerdings keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen. Es handelt sich eindeutig um Rechtsnormen, selbst wenn sie nach ihrem Inhalt unbestimmt und konkretisierungbedürftig sind. Gleiches gilt nicht für die übrigen Regelungen des inneren Parlamentsbereichs. Zwar hat sich der Bundestag eine schriftliche Geschäftsordnung gegeben 190 ; diese enthält jedoch weder alle aufgrund der Ermächtigung des Art. 40 I 2 GG ergangenen Regelungen, noch enthält sie nur solche Regelungen. Zum einen faßt der Bundestag auch zur generellen Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten Beschlüsse, die nicht in den kodifizierten Text der Geschäftsordnung aufgenommen, i h m jedoch als Anlage beigefügt werden 1 9 1 . Zum anderen beschließt der Bundestag auch für den Einzelfall ad hoc über sein Verfahren, wobei mitunter unklar bleibt und auch unklar bleiben soll, ob eine Ergänzung oder Ausnahme für eine einmalige Situation gemacht oder eine generelle Neuentwicklung eingeleitet wird. Entscheidungen dieser A r t werden zudem nicht immer ausdrücklich, sondern vielfach stillschweigend getroffen 1 9 2 . Randnr. 23 m. w . N. ; differenzierend Maunz, Unverrückbarkeit parlamentarischer Beschlüsse, 303. 187 So Scheuner (Anm. 167), 144; Lechner / Hülshoff (Anm. 186). 188 So i m Ansatz auch Böckenförde, Organisationsgewalt, 126, der den Maßstab („von der Verfassung unmittelbar gefordert") aber so eng faßt, daß es sich bei der GeschäftsordnungenVerletzung „zugleich u m eine Verfassungs Verletzung" handelt, w o m i t ihre Eigenständigkeit entfällt. 189 Beispiele oben, am Anfang dieses Abschnitts. Da es sich u m unterschiedliche Sachmaterien u n d Ermächtigungsgrundlagen handelt (vgl. oben, bei A n m . 182 f.), steht es dem Bundestag jedoch nicht frei, Geschäftsordnungsangelegenheiten durch Gesetz oder aufgrund des A r t . 40 I 2 G G zu regeln; ebenso A r n d t (Anm. 185), 121 - 125; a. A . Herzog / Pietzner (Anm. 181); zu den Formen parlamentarischer A u f gaben Wahrnehmung vgl. auch allgemein unten, Kap. I V 2. 190 Nunmehr i n der Fassung der Bekanntmachung v o m 22. 5. 1970, BGBl. I 628; zu früheren Fassungen vgl. Lechner / Hülshoff, Parlament u n d Regierung, A n m . 2 vor § 1 GOBT (S. 186). — Nach h. M. gibt sich jeder Bundestag eine eigene Geschäftsordnung; praktisch w i r d jeweils die Geschäftsordnung des vorhergehenden Bundestages übernommen; vgl. dazu A r n d t (Anm. 185), 126 - 130. 191 Vgl. dazu Trossmann, Parlamentsrecht, 934 - 965 ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 35. 192 Dazu A r n d t (Anm. 185), 94 - 99.

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Dies geschieht auch i n Fällen, i n denen der Bundestag von seiner kodifizierten Geschäftsordnung abweicht. Nach § 127 können Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung i n einzelnen Fällen zwar nur m i t Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden; praktisch w i r d das erforderliche Einverständnis jedoch vorausgesetzt, wenn sich kein Widerspruch gegen die Abweichung erhebt 1 9 3 . Die kodifizierte Geschäftsordnung des Bundestages weist somit nicht die gleiche Unverbrüchlichkeit 1 9 4 wie das Gesetzesrecht auf, das strikte Beachtung gebietet, solange es nicht ausdrücklich abgeändert ist oder soweit es nicht besondere Ausnahmen gestattet. Dennoch ist sie mehr als eine rechtlich unverbindliche „Konventionairegel" 1 9 5 . Dies w i r d deutlich, sobald sich Widerspruch gegen eine Abweichung i m Einzelfall oder gegen eine generelle Änderung der kodifizierten Geschäftsordnung erhebt. Findet sich weder die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Einzelabweichung 196 noch die erforderliche einfache Mehrheit für die allgemeine Änderung 1 9 7 , so gilt die Geschäftsordnung i n der bisherigen Fassung weiter. E i n ihr widersprechender Beschluß kommt nicht ordnungsgemäß zustande und kann, je nach dem verfassungsrechtlichen Gewicht der verletzten Bestimmung 1 9 8 , i m Einzelfall die Gültigkeit des Beschlusses beeinträchtigen. Der Bereich des parlamentarischen Verfahrens zeigt sich insgesamt — i m Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundlegung — als ein besonderes Versuchsfeld, auf dem i m Zwischenbereich von Verfassungsrecht (constitutio lata) und Verfassungspolitik (constitutio ferenda) ständig Neuland beschritten w i r d und beschritten werden muß 1 9 9 . Aussagen darüber, was noch Praxis und was schon (oder nicht mehr) Rechtsnorm ist, fallen deshalb nicht immer leicht. Theoretisch läßt sich Parlamentsbrauch als „bloße" Praxis zwar unschwer von Parlamentsrecht als einer von „allgemeiner Rechtsüberzeugung" (opinio iuris/necessitatis) getragenen Praxis unterscheiden 200 . Tatsächlich ist die Grenzlinie jedoch weit 193

6.

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So A r n d t (Anm. 185), 9 6 - 9 9 ; anders Trossmann (Anm. 191), § 127 Randnr.

Z u diesem Begriff vgl. schon O. Mayer, Verwaltungsrecht I, 72. So aber insbesondere Hatschek, Parlamentsrecht, 18 - 45. 196 Vgl. § 127 GOBT. A r n d t (Anm. 185), 106, w i l l demgegenüber auch eine einfache Mehrheit genügen lassen, begründet dies jedoch n u r damit, daß E i n zelabweichungen als zulässig erachtet werden, w e n n sich kein Widerspruch dagegen erhebt; zur Feststellung der erforderlichen Mehrheit vgl. Trossmann (Anm. 191), § 127 Randnr. 3. 197 Das Erfordernis einfacher Mehrheit folgt aus A r t . 40 I 2, 42 I I 1 GG. 198 Dazu oben, bei A n m . 187 f. 199 Vgl. auch BVerfGE 1, 144, 149. 195

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weniger deutlich erkennbar. Sie verläuft jedenfalls nicht einfach zwischen kodifizierter Geschäftsordnung als Recht und ungeschriebenen Regeln als Praxis. Das Grundgesetz ermächtigt das Parlament i n A r t . 40 I 2, sich „eine Geschäftsordnung" zu geben, fordert jedoch keine bestimmte Form, etwa die schriftliche Niederlegung 2 0 1 . Geschriebenes und ungeschriebenes Parlamentsrecht stehen deshalb grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Der Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit wegen ist eine Kodifizierung allerdings kaum zu entbehren und durch den Bundestag wie durch seine Vorgänger auch stets erfolgt. A m konkreten Fall ad hoc erprobte Entscheidungen zur Regelung parlamentarischer Verfahrensfragen dürfen jedoch, selbst bei gelegentlicher Wiederholung, nicht voreilig als generelle Normierung für alle entsprechenden Zukunftsfälle aufgefaßt werden. Dadurch könnte die Freiheit des Parlaments zur Gestaltung seiner inneren Ordnung, die i m Grundgesetz weitgehend offengelassen ist, zu sehr eingeengt und die erforderliche Reaktionsfähigkeit gegenüber neuen und unvermutet eintretenden Situationen zu sehr beeinträchtigt werden. Die Aufnahme i n die kodifizierte Geschäftsordnung hebt demgegenüber die Bedeutsamkeit hervor, die der Bundestag der betreffenden Verfahrensweise beimißt. Die Vermutung einer entsprechenden „allgemeinen Rechtsüberzeugung" unter den Abgeordneten über die einfache parlamentarische Praxis hinaus liegt dabei zumindest nahe, jedenfalls näher als bei einer nicht besonders niedergelegten Ad-hoc-Praxis. Eine endgültige Aussage w i r d sich jedoch regelmäßig nur für den jeweiligen Einzelfall treffen lassen 202 . Nach alledem läßt sich feststellen, daß dem Parlament verfassungsrechtlich ein weiter Spielraum für die Gestaltung seiner inneren Ordnung eingeräumt ist, der es i h m ermöglicht, seine Organisation und sein Verfahren nach den besonderen Bedürfnissen der i h m übertragenen Aufgaben und anvertrauten Befugnisse auszurichten. Damit erweist sich zugleich die zu Beginn dieses Abschnitts 2 0 3 erwähnte Einschätzung, die dem Parlament i m Gegensatz zur Regierung eine ausreichende organisatorische und verfahrensmäßige Anpassungsfähigkeit abspricht, als unzutreffend. I m folgenden ist den verfassungsrechtlichen und auch tat200 U n d zwar unabhängig davon, ob es sich u m Gewohnheitsrecht oder anderes ungeschriebenes Recht handelt; vgl. dazu Germann, Rechtsfindung, 136 f.; Steiger (Anm. 191), 4 5 - 4 8 ; Voigt, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 37 f. („Rechtswillen"). 201 So auch Steiger (Anm. 191), 34, u n d i m Ergebnis auch K . F. A r n d t , Parlamentsrecht, 103, obwohl er der geschichtlichen Entwicklung entnimmt, daß A r t . 40 I 2 GG den Erlaß einer geschriebenen (kodifizierten) Geschäftsordnung meint (ebd., 85 m i t 43 - 49). 202 Ebenso Steiger (Anm. 191), 45. 203 Vgl. oben, vor a i n diesem Abschnitt.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

sächlichen Grenzen dieser Anpassungsfähigkeit der innerparlamentarischen Ordnung an die parlamentarische Aufgabenstellung i m einzelnen nachzugehen, um nähere Anhaltspunkte für die Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis von Parlament und Regierung zu gewinnen.

c) Das Ineinandergreifen

von Plenum, Fraktionen und Ausschüssen

Theoretisch denkbar wäre eine parlamentarische Entscheidungsbildung der Abgeordneten jeweils ad hoc zu den einzelnen Sachfragen. Praktisch durchführbar erscheint eine erfolgreiche Parlamentsarbeit jedoch nur, wenn sich die Abgeordneten zu mehr oder weniger dauerhaften Gruppierungen zusammenschließen. Hierfür sprechen die geschichtlichen Erfahrungen, aber auch die sachlichen Anforderungen an die moderne Parlamentsarbeit. Grundsätzlich läßt sich zwischen einer (partei-)politischen Parlamentsgliederung i n Fraktionen und einer Parlamentsgliederung nach sachbestimmten Arbeitsbereichen i n Ausschüsse unterscheiden. Die Fraktionsgliederung geht der außerparlamentarischen Parteigliederung geschichtlich voraus 2 0 4 . Schon die aufgrund ihres persönlichen Ansehens gewählten „unabhängigen" Abgeordneten des „Honoratioren-Parlaments" der Frankfurter Nationalversammlung schlossen sich — getrennt nach ihren Grundanschauungen zu den wichtigsten politischen Fragen — i n gemeinsamen „Fraktionen", „Clubbs" oder „Parteyen" zusammen 205 . Z u Fraktionsbildungen kam es von Anfang an auch i n den parlamentarischen Versammlungen der deutschen Einzelstaaten, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs. Ähnlich weit reichen die Anfänge der parlamentarischen Ausschüsse zurück 2 0 8 . Zur vollen Entfaltung ihrer Wirksamkeit gelangte die parlamentarische Fraktions- und Ausschußgliederung allerdings erst nach dem Ubergang von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Demokratie 2 0 7 . Unter dem Grundgesetz bilden Fraktionen wie Ausschüsse tat204 Z u r geschichtlichen Entwicklung der Fraktionen vgl. Hauenschild, F r a k tionen, 2 1 - 3 3 ; Kramer, Fraktionsbindungen (1968); Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 3 - 8 . 205 Z u m Vormärz vgl. K r a m e r (Anm. 204), 16 - 73. 208 Dazu Frost, AöR 1970, 45 f.; Dechamps, Ausschüsse, 55 - 59. 207 I n der konstitutionellen Monarchie w u r d e n die Fraktionen w e i t h i n als negative Erscheinungen betrachtet; vgl. Hauenschild, Fraktionen, 30 m. w. N.; Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 6. — M i t der A u f w e r t u n g des Parlaments nach dem Ende der konstitutionellen Monarchie gewann das Ausschußwesen an Bedeutung, v o r allem durch die vermehrte Einrichtung von ständigen Ausschüssen; vgl. Frost, AöR 1970,46; Dechamps, Ausschüsse, 60 f.; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 122 Anm. 71.

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sächlich und rechtlich fest verankerte Einrichtungen innerhalb des Parlaments. Die Fraktionsbildung unter dem Grundgesetz läßt sich zurückführen auf die Notwendigkeit der Volkswahl des Parlaments und der Parlamentswahl der Regierung sowie auf das Erfordernis einer dauerhaften Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit zur Durchsetzung einer kontinuierlichen Regierungspolitik. Die Abgeordneten finden sich deshalb nach Fraktionen zusammen, die entweder die Regierung wählen und grundsätzlich unterstützen oder sie grundsätzlich ablehnen 208 . Da parteilose Bewerber keine aussichtsreiche Chance haben, i n den Bundestag zu gelangen, stehen aufgrund der Parteizugehörigkeit der Abgeordneten mit der Wahl sowohl die Fraktionen fest als auch regelmäßig — wegen der vor der Wahl verabredeten Zusammenarbeit zwischen den Parteien — ihre Einordnung als Regierungs- oder als Oppositionsfraktion(en) 209 . Von einem „freiwilligen", gleichsam beliebigen Zusammenschluß der gewählten Abgeordneten zu Fraktionen kann deshalb unter den Bedingungen des Grundgesetzes für die Wahl des Parlaments und für die Erledigung der i h m übertragenen Aufgaben nicht gesprochen werden 2 1 0 . Die Entscheidung der Abgeordneten für „ihre" Fraktion fällt m i t dem Entschluß zusammen, für eine Partei zu kandidieren 2 1 1 . Folgerichtig umschreibt § 10 I der Geschäftsordnung des Bundestages die Fraktionen als Vereinigungen von Mitgliedern des Bundestages, „die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele i n keinem Land miteinander i m Wettbewerb stehen", und macht Ausnahmen von diesen Regelfällen von der Zustimmung des Bundestages abhängig 2 1 2 . 208 Steiger (Anm. 207), 83 f. Die Fraktionen werden deshalb auch als „Gesinnungsgemeinschaften" bezeichnet; vgl. z.B. Lohmar, Das Hohe Haus, 150; vorsichtiger Apel, Z P a r l 1970, 224. 209 So auch Borchert, AöR 1977, 229 f.; Steiger (Anm. 207), 106, 108. Dem entspricht, daß die Parteifraktionen über ihre B i l d u n g selbst entscheiden u n d dem Bundestagspräsidenten davon n u r M i t t e i l u n g machen; vgl. § 10 I, I I G O B T ; dazu auch Schäfer, Der Bundestag, 132. 210 So auch Borchert, ebd. — H i e r liegt auch der Grund, w a r u m es — insbesondere angesichts der Wahlrechts-Sperrklauseln — so fragwürdig geworden ist, ob einer Gruppe von Abgeordneten derselben Partei, welche die Sperrklausel überwunden hat, der Fraktionsstatus i m Parlament vorenthalten w e r den darf; dagegen vor allem W. Schmidt, Der Staat 1970, 481 - 500; dafür die h. M., vgl. zuletzt R. Schmidt, Fraktionsstatus, 1179- 1192 m. w . N.; differenzierend H. W. A r n d t / Schweitzer, Z P a r l 1976, 71 - 85; vgl. auch unten, A n m . 358. 211 Vgl. auch § 1 I Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsifraktion v o m 4. 5.1971; § 1 I Geschäftsordnung der FDP-Bundestagsfraktion v o m 13.11.1969 (abgedruckt bei Ritzel / Bücker, Handbuch, Anhang). 212 Vgl. dazu Hauenschild, Fraktionen, 173 f. ; Tschermak v o n Seysenegg, Fraktionen, 167 - 170.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

Dementsprechend stellen die Fraktionen Abgeordnetengruppen mit gemeinsamen politischen Grundanschauungen dar, die eine auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Teilung und Konzentration der Arbeitslast sowie eine Steigerung und Verbesserung der Aufgabenerledigung ermöglichen 2 1 3 und denen eine zweifache Aufgabe obliegt. Zunächst müssen sie zum Volk h i n den demokratischen Legitimationszusammenhang vermitteln, indem sie sich während der Wahlperiode — sei es m i t der Regierung, sei es gegen sie — genügend profilieren, u m bei der folgenden Wahl als deutliche Alternativen i n Erscheinung zu treten 2 1 4 . I n soweit stellen die Fraktionen unentbehrliche Glieder i n der Legitimationskette dar, die vom Volk über die Parteien zu den Staatsorganen — wie auch umgekehrt — verläuft 2 1 5 . Dadurch werden die Fraktionen i n das von „ihrer" Partei zur Wahl gestellte personelle und sachliche Programm für die Regierungspolitik einbezogen. Entsprechend bestätigt § 1 I I des i n Ausführung zu Art. 21 GG ergangenen Parteiengesetzes, daß die Parteien u. a. „auf die politische Entwicklung i n Parlament und Regierung Einfluß nehmen" 2 1 6 . Des weiteren müssen die Fraktionen i m Parlament zu dessen Arbeitsfähigkeit beitragen und an dessen Aufgabenwahrnehmung m i t w i r k e n 2 1 7 . I h r Zusammenhalt muß sich erstmals bei der Kanzlerwahl bewähren, die ohne Aussprache durch den Bundestag erfolgt (Art. 63 I GG) und damit informelle Absprachen unter den Abgeordneten voraussetzt 218 . Er muß sich aber auch während der Wahlperiode fortsetzen, wenn das politische Programm der Regierungsparteien) erfolgreich durchgesetzt bzw. i h m eine Alternative der Oppositionsparteien) wirksam entgegengesetzt werden soll. Dementsprechend bemühen sich die Fraktionen nach außen u m eine geschlossene Haltung zur Durchsetzung ihrer Regierungs- bzw. Oppositionspolitik 2 1 9 . Damit gewinnt die Frage der innerfraktionellen Willens213 Vgl. BVerfGE 10, 4, 14: „Die Parlamentsfraktionen sind notwendige E i n richtungen des Verfassungslebens"; ferner BVerfGE 2, 143, 160; 20, 56, 104; 38, 258, 273 f.; 43, 142, 149; 44, 308, 318. 214 Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 18. 215 Vgl. auch Borchert, AöR 1977, 223; Hauenschild, Fraktionen, 77; W. Schmidt, Der Staat 1970, 487 f.; Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 94 - 96; Sobolewski, Politische Repräsentation, 429: Repräsentation nicht als „Zustand der Übereinstimmung", sondern als „Prozeß der Angleichung" zwischen staatlichen Entscheidungen u n d Meinungen der Regierten. 218 Gegen eine Isolation u n d scharfe Trennung von Partei u n d F r a k t i o n auch H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 224, 356. 217 Dementsprechend verfügen sie über rechtliche Kompetenzen i m parlamentarischen Verfahren, die vor allem i n der Geschäftsordnung des Bundestages niedergelegt sind; vgl. neben A r t . 53 a GG etwa §§ 3, 10-12, 60 I, 68 GOBT. — Einzelheiten bei Hauenschild (Anm. 215), 8 1 - 9 9 ; Tschermak von Seysenegg (Anm. 215), 15 - 24. 218 Wolfrum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 34. 219 Abweichungen einzelner Abgeordneter sind daher „relativ selten"; so Lohmar, Das Hohe Haus, 151 ; vgl. auch Hauenschild, Fraktionen, 128.

4. Innere Ordnung des Parlaments u n d demokratische K o m m u n i k a t i o n

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bildung hervorragende Bedeutung. I h r kann hier nicht i m einzelnen nachgegangen werden. Untersuchungen der Praxis 2 2 0 lassen erkennen, daß geschlossenes Auftreten der Fraktionen nach außen, vor allem i m Plenum 2 2 1 , aber auch i n den Ausschüssen, nicht einfach gleichgesetzt werden darf mit einer Beschränkung oder gar Vergewaltigung der W i l lensfreiheit des einzelnen Abgeordneten. Zwar sind Einflüsse der Parteien auf die Fraktionen von außen 222 wie auch ein erhöhtes Gewicht der Fraktionsführung gegenüber der Fraktionsgesamtheit i m Innern 2 2 3 nicht zu leugnen; sie bedeuten jedoch nicht eine einheitliche Steuerung der Fraktion durch einige wenige, führende Partei- oder Fraktionsmitglieder 2 2 4 . Solchen Vereinfachungen steht vor allem der komplexe W i l lensbildungsprozeß innerhalb des Parlaments entgegen, der keineswegs eindimensional zwischen Volk, Parteien, Fraktionen, Ausschüssen, Regierung und einzelnen Abgeordneten verläuft 2 2 5 . Grundlegende Bedeutung für die innerfraktionelle Auflockerung, die eine kooperative Fraktionsdisziplin fördert und einem hierarchischen Fraktionszwang zuwiderläuft 2 2 6 , kommt dabei dem Angewiesensein der Fraktionen auf den i m modernen Staat unentbehrlichen Sachverstand zu. JDie Kompliziertheit der Sachprobleme führt zu einer Abhängigkeit der Fraktion von ihren Abgeordneten, genauer: der i n der Fraktion zusammengeschlossenen Abgeordneten untereinander 2 2 7 . Die sachlich beding220 Vgl. dazu die Arbeiten von Domes, Mehrheitsfraktion u n d Bundesregierung (1964); Loewenberg, Parlamentarismus, 193-247; Lohmar, Das Hohe Haus, 145 - 161; Schäfer, Der Bundestag, 131 - 150. 221 Neben der A b s t i m m u n g spielen insbesondere das Antragsrecht, das i n wichtigen Angelegenheiten n u r von Abgeordneten i n „Fraktionsstärke" ausgeübt werden k a n n (vgl. z. B. §§ 97, 100, 105, 110 GOBT), u n d die Redezeit, die regelmäßig zwischen u n d i n den Fraktionen ausgehandelt w i r d (vgl. z.B. §§ 33, 39 G O B T ; BVerfGE 10, 4; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 98-101; Trossmann, Parlamentsrecht, Erl. zu § 39, S. 237-246), eine Rolle; weitere Beispiele bei Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 75. 222 W o l f r u m (Anm. 218), 58 - 60. Eine Zusammenarbeit zwischen Partei u n d F r a k t i o n ist sogar praktisch notwendig; dazu Tschermak von Seysenegg, F r a k tionen, 101 - 104. Rechtlich sind die Fraktionen unabhängig von den Parteien; dazu Seifert, Die politischen Parteien, 345 - 347. 228

Vgl. ζ. B. Schatz, Der Parlamentarische Entscheidungsprozeß, 66 f. Dafür spricht auch die relative Stabilität der Besetzung von Führungspositionen; vgl. dazu Lohmar, Das Hohe Haus, 153 f. 224 Dazu oben, Abschnitt 3 b, bei A n m . 142 - 145, i n diesem Kap. 225 Gegen eine Schematisierung auch M. Hirsch, D i k t a t u r des Establishments?, 93. 226 Z u r tatsächlichen (und auch rechtlichen) Schwierigkeit u n d letztlich E n t behrlichkeit der Abgrenzung zwischen Fraktionsdisziplin u n d Fraktionszwang vgl. Trachternach, DVB1. 1975, 8 5 - 8 8 ; soweit eine F i x i e r u n g erfolgt, geht sie i m allgemeinen nicht über die Selbstverständlichkeit hinaus, daß der Abgeordnete zu einer bestimmten Stimmabgabe nicht verpflichtet werden k a n n ; vgl. dazu Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 4 1 - 5 0 m. w . N. 227 Schäfer, Der Bundestag, 109; Loewenberg, Parlamentarismus, 191 f., 213. — Diese Abhängigkeit besteht ferner bei knappen Parlamentsmehrheiten, die *

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ten Gemeinsamkeiten der Fachleute und der Interessenvertreter unter den Abgeordneten können sogar über die Grenzen der Fraktionen und des Parlaments hinweg, insbesondere zur Regierung 2 2 8 und zu den Interessenverbänden hin, zu einer Zusammenarbeit i n Spezialfragen führen, die nicht immer i n Einklang m i t den allgemeinen Grundprinzipien der einen oder anderen Fraktion steht 2 2 9 . Dabei kommt es, bevor die Angelegenheit das Parlamentsplenum oder auch nur die Gesamtfraktion erreicht, vor allem auf der Ausschußebene des Parlaments und der entsprechenden Arbeitskreis- und Arbeitsgruppenebene der Fraktionen 2 8 0 nicht selten zu mehr als lediglich vorläufigen Weichenstellungen durch Absprachen der Experten untereinander 2 8 1 . Die „sacharbeits-geprägte" Ausschußebene darf deshalb für die Erkenntnis des parlamentarischen Willensbildungsprozesses ebensowenig vernachlässigt werden wie die „parteipolitik-geprägte" Fraktionsebene. I m Gegensatz zu den nach Parteizugehörigkeit der Abgeordneten gebildeten Fraktionen richtet sich die Gliederung i n Ausschüsse nach den Sachaufgaben, die das Parlament zu bewältigen hat 2 8 2 . Vor allem die ständigen (Fach-)Ausschüsse 288 , die vom Bundestag zur „Vorbereitung der Verhandlungen" eingesetzt werden (§61 GOBT), lehnen sich an die nach Sachgebieten geordnete Ressorteinteilung der Bundesregierung an 2 8 4 . Damit ist eine Verminderung der Ausschußzahl gegenüber der Anfangszeit des Bundestages eingetreten, i n der eine Zersplitterung der Ausschußarbeit und Kompetenzüberschneidungen zu verzeichnen waren 2 8 5 . den Fraktionsausschluß als härtestes Sanktionsmittel gegen einen Abgeordneten zur zweischneidigen Waffe machen. 228 Z u r Teilnahme von Regierungsmitgliedern u n d Ministerialbeamten an den Ausschußberatungen vgl. Schäfer (Anm. 227), 116 f., 121 f.; Schatz (Anm. 223), 97; Loewenberg (Anm. 227), 387, 391 f. 229 Vgl. Loewenberg (Anm. 227), 394-397; Schäfer (Anm. 227), 130 f.; Dichgans, Der Bundestag, 37 f. 230 Z u den fraktionellen Arbeitskreisen u n d -gruppen vgl. Schäfer (Anm. 227), 142 - 144; Apel, Z P a r l 1970, 223 - 232; Dexheimer / Hartmann, Z P a r l 1970, 232-236; vgl. auch das Fraktionsschema bei Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem, 52. 231 y g i Thaysen (Anm. 230), 53 f.; Majonica, E i n Parlament i m Geheimen?, 115 f.; Schulte, Manipulateure am Werk?, 76. 232 Z u r Abgrenzung der Ausschüsse v o n den Fraktionen u n d anderen Parlamentsgremien vgl. Frost, AöR 1970, 40 f., 82 f. — Eine Aufstellung der Ausschüsse des Bundestages findet sich i n : Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages (1973). 233 Z u r Einteilung der Ausschüsse vgl. Frost, AöR 1970, 5 2 - 5 7 ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 119-123; Achterberg, Die ständigen Ausschüsse (1978). 234 Dazu Schäfer, Der Bundestag, 115; Frost (Anm. 233), 53; Steiger (Anm. 233), 121.

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Die Zusammensetzung der Ausschüsse regelt sich nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen (§§ 12, 60 I, 68 I GOBT) 2 3 6 . Dieses wiederum hat — neben dem Gegenstand und der Bedeutung der Ausschußarbeit — erheblichen Einfluß auf die Festlegung der Ausschußgröße, die eine jeweils angemessene Beteiligung der Fraktionen sichern soll 2 3 7 . Die Widerspiegelung der parteimäßigen Plenumsgliederung i n den Ausschüssen bildet die Voraussetzung dafür, daß die Ausschußarbeit grundsätzlich Anerkennung i m Plenum finden kanm 238 . Dies hat sich frühzeitig i n den parlamentarischen Versammlungen des 19. Jahrhunderts gezeigt, als die durch Losentscheid besetzten Abteilungen keine Bedeutung zu entfalten vermochten und die Vorarbeiten alsbald auf die nach Fraktionsstärke beschickten Kommissionen übergingen 2 8 9 . Die Besetzung der Ausschüsse erfolgt durch die Fraktionen, die ihre Ausschußmitglieder benennen (§ 68 I I GOBT) und auch abberufen 240 . Die Ausschußvorsitze werden nicht, wie es die Mehrheitsverhältnisse erlauben würden, von der (oder den) Mehrheitsfraktion(en) allein eingenommen, sondern ebenfalls entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen verteilt, wobei der (oder den) Oppositionsfraktion(en) traditionsgemäß der Vorsitz i m Haushaltsausschuß überlassen w i r d 2 4 1 . Die Auswahl innerhalb der Fraktionen stellt einen schwierigen Balanceakt zwischen den Wünschen der einzelnen Abgeordneten und den Interessen der Gesamtfraktion dar 2 4 2 . Ob ein Abgeordneter den von i h m begehrten Ausschußsitz erhält, hängt vorwiegend von seinem persönlichen Einfluß i n der Fraktion ab, der wiederum von einer Vielzahl von K r i terien bestimmt wird, wie etwa der Bedeutung oder dem Prestige des Ausschusses, der Sachkenntnis, der Anciennität oder der Hausmacht des Abgeordneten 243 . Für die Fraktion wesentlich ist vor allem eine möglichst ausgeglichene Besetzung der Ausschüsse m i t fachlich-spezialisierten 235 Vgl. dazu Loewenberg, Parlamentarismus, 188 - 190; Dechamps, A u s schüsse, 6 2 - 6 6 ; Steiger (Anm. 233), 121 A n m . 69. 236 Dabei schwankt der Bundestag zwischen den Verfahren nach d'Hondt u n d nach Hare; vgl. H.-P. Schneider, Z P a r l 1970, 442-447; Lohmann, Der Deutsche Bundestag, 77; Steiger (Anm. 233), 123 f. 237 Vgl. Scheuner, Parlamentarisches Verfahren, 149; Loewenberg (Anm. 235), 190 f. 238 Dazu Schäfer (Anm. 234), 101 f. 239 Dazu Dechamps, Ausschüsse, 57 f.; Hauenschild, Fraktionen, 3 0 - 3 8 ; H a t schek, Parlamentsrecht, 225 - 248. 240 Dazu L o h m a n n (Anm. 236), 76; Schäfer (Anm. 234), 110. 241 Vgl. § 69 GOBT u n d dazu Steiger (Anm. 233), 128 f.; Lohmar, Das Hohe Haus, 147; zur rechtlichen Stellung des Ausschußvorsitzenden vgl. Bernzen, ZParl 1977, 36-41. 242 Dazu Loewenberg, Parlamentarismus, 234 - 239; L o h m a r (Anm. 241), 147 149; Schatz, Der Parlamentarische Entscheidungsprozeß, 55 - 60. 243 A n m . 242 ; ferner Dechamps, Ausschüsse, 145 f.

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Sachkennern wie mit mehr allgemein-orientierten Politikern 2 4 4 . Andernfalls besteht die Gefahr, daß i n den Ausschüssen fachlich-isolierte Vorentscheidungen fallen, die m i t der politischen Grundlinie der Fraktion nicht i n Einklang zu bringen sind. Die Gefahr wiegt um so schwerer, als die isolierte Behandlung von Sachproblemen i n den Fachausschüssen mit einer isolierten Interessenwahrnehmung verbunden sein und zu einer einseitigen Interessenbevorzugung führen kann 2 4 5 . Die von den Fraktionen für die Ausschußsitzungen bestimmten politischen Richtlinien 2 4 6 lassen sich nicht immer durchsetzen 247 . Die Einflußrichtung scheint insgesamt eher von den Ausschüssen — einschließlich der innerfraktionellen Arbeitskreise und Arbeitsgruppen 2 4 8 — zu den Fraktionen h i n zu verlaufen als umgekehrt 2 4 9 . „Als vorbereitende Beschlußorgane des Bundestages haben die Ausschüsse die Pflicht, dem Bundestag bestimmte Beschlüsse zu empfehlen, die sich nur auf die ihnen überwiesenen Vorlagen und Anträge oder mit diesen i n unmittelbarem Sachzusammenhang stehenden Fragen beziehen dürfen" (§ 60 I I 2 GOBT). Die Ausschußempfehlungen müssen daher so gefaßt sein, daß der Bundestag über sie abstimmen kann 2 5 0 . Damit werden die Entscheidungen des Plenums nicht notwendig festgelegt, aber doch weitgehend „vorgeformt" 2 5 1 . Durch die Hereinnahme von Fragen, die m i t den überwiesenen Vorlagen und Anträgen „ i n unmittelbarem Sachzusammenhang" stehen, können die Ausschüsse ferner den Umfang des Gegenstandes, zu dem sie Empfehlungen abgeben, zumindest mitbestimmen, w e i l ihnen auch das durch die Geschäftsordnungsreform von 1969 252 eingefügte beschränkende Merkmal „unmittelbar" einen Interpretationsspielraum beläßt 2 5 8 . Auch i n zeitlicher Hinsicht steht den Ausschüssen ein nicht geringer Spielraum offen. Zwar 244

Schäfer, Der Bundestag, 109 f.; Apel, Z P a r l 1970, 223 f.; Majonica (Anm. 231); Loewenberg (Anm. 242), 235. 245 Apel, Z P a r l 1970, 224 f.; Dechamps (Anm. 243), 103, 148; Loewenberg (Anm. 242), 240-244; Schatz (Anm. 242), 94 f. 246 Z u r V o r - u n d Parallelberatung von Ausschußangelegenheiten i n den Fraktionen u n d Arbeitskreisen vgl. Frost, AöR 1970, 60; Scheuner (Anm. 237), 146; Schäfer (Anm. 244), 121, 144. 247 Loewenberg, Parlamentarismus, 244 - 247 ; Dechamps, Ausschüsse, 149 f. 248 Vgl. dazu Sträter, Z P a r l 1977, 27 - 36. 249 Vgl. Apel, Z P a r l 1970, 226; Loewenberg (Anm. 247), 397. Dies g i l t insbesondere f ü r hochspezialisierte Ausschüsse; vgl. Schatz (Anm. 242), 59 f. 250 Schäfer, Der Bundestag, 113; Trossmann, Parlamentsrecht, § 60, Randnr. 7.1. 251 Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 130; BVerfGE 44, 308, 318. 252 Beschluß v o m 18. 6.1969, B G B l . I 776; dazu BT-Drucks. V/4373, S. 8. 253 Vgl. Steiger (Anm. 251), 131 f.; Lechner / Hülshoff, Parlament u n d Regierung, A n m . 7 zu § 60 GOBT (S. 213); Trossmann (Anm. 250), § 60, Randnr. 7.2: „Letzten Endes muß über diese Tatfrage (?!) das Haus entscheiden" (S. 421).

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sind sie zu „baldiger Erledigung der ihnen überwiesenen Aufgaben verpflichtet" (§ 60 I I 1 GOBT); Antragsteller aus der Mitte des Hauses können jedoch auch nach der Geschäftsreform von 1969 254 einen Ausschußbericht an das Plenum erst „sechs Monate nach Überweisung des von ihnen eingebrachten Antrags verlangen" (§ 60 I I I 1 GOBT). Die Geschäftsordnungsreform hat schließlich ein bis dahin bestrittenes Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse gebilligt, wonach diese andere — nicht vom Plenum überwiesene — Fragen aus ihrem Geschäftsbereich beraten dürfen (§ 60 I I 3 GOBT) 2 5 5 . Soweit Beschlüsse des Bundestages, wie etwa i m Gesetzgebungsverfahren, durch das Plenum erforderlich sind, gelangen die Ergebnisse der Ausschußarbeit wenigstens i n der Form von — begründeten 2 5 6 — Empfehlungen an das Plenum. I m übrigen besteht dafür keine Gewähr, w e i l den Ausschüssen grundsätzlich 257 keine Berichtspflicht gegenüber dem Plenum obliegt 2 5 8 . Dennoch entfalten die Ausschüsse, insbesondere wenn die Regierung ohne parlamentarische Ermächtigung handlungsbef ugt ist, eine rege Tätigkeit. Dabei kommt es zu häufigen und engen Kontakten zwischen Fachausschüssen und Vertretern „ihres" Regierungsressorts, selbst wenn die Regierung formell keine Parlamentsermächtigung benötigt, sich aber bei den fachlich „zuständigen" Abgeordneten absichern möchte 259 . Insgesamt haben die Ausschüsse einen Grad der Verselbständigung erreicht, der erheblich über ihre i n der Geschäftsordnung bescheiden als „Vorbereitung der Verhandlungen" des Bundestages bezeichneten A u f gabe hinausgeht 2 6 0 . Betroffen sind nicht etwa nur die i n der Verfassung selbst m i t eigenen Aufgaben betrauten Parlamentsausschüsse 261 , son254

Zuvor mußte der Bericht „binnen angemessener Frist" erfolgen; vgl. BVerfGE 1,144, 154. 255 Vgl. BT-Drucks. V/4373, S. 8; dazu Scheuner, Parlamentarisches V e r fahren, 154; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 13; Schäfer (Anm. 250), 113f.; Steiger (Anm. 251), 132 f.; Thaysen, Parlamentsreform, 205. 258 Vgl. § 74 GOBT; dazu Trossmann (Anm. 250), § 74, Randnr. 2. 257 Vgl. aber § 60 I I I GOBT, wonach Antragsteller aus der M i t t e des B u n destages sechs Monate nach Uberweisung des von ihnen eingebrachten A n trages einen sog. Sachstandisbericht (dazu Trossmann, Parlamentsrecht, § 60, Randnr. 10) des Ausschusses an das Plenum verlangen können. 258 Dazu Schäfer (Anm. 250), 113. F ü r die Auferlegung einer allgemeinen B e richtspflicht: ebd., 114 f.; Steiger (Anm. 251), 135. 259 Vgl. Schäfer (Anm. 250), 107, 114; Kewenig (Anm. 255), 14- 16; Steiger (Anm. 251), 133 f. m i t A n m . 108. — Daneben aber zählen insbesondere auch die informellen Kontakte zwischen Ausschuß- u n d Regierungsmitgliedern; vgl, dazu Schatz, Der Parlamentarische Entscheidungsprozeß, 108 - 115. 280 Dazu Dechamps, Ausschüsse, 104 -106 (auch zur geschichtlichen T r a d i tion, 94 - 97); Kewenig (Anm. 255), 12, 14, 49 u n d passim; Scheuner (Anm. 255), 143; Steiger (Anm. 251), 129 - 140.

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dern auch die lediglich aufgrund einfacher Gesetze oder der Geschäftsordnung des Bundestages eingerichteten ständigen (Fach-)Ausschüsse 262 . Die Verselbständigung der Ausschüsse geht zu Lasten des Plenums, aber auch der Gesamtfraktionen. Sie berührt ferner die Stellung der einzelnen Abgeordneten, allerdings mit unterschiedlicher Wirkung, je nachdem, ob die Abgeordneten an der Arbeit und den Ergebnissen des Ausschusses beteiligt sind oder nicht. Entsprechend verteilen sich die Einflußmöglichkeiten der Abgeordneten. Soweit der Abgeordnete i n einem Ausschuß mitarbeitet, erscheint sein Einfluß relativ stark, i m übrigen jedoch relativ schwach, es sei denn er nimmt eine hervorragende Stellung i n der Fraktionsführung ein, bei der die Fäden regelmäßig zusammenlaufen und die über ihre Koordinierungstätigkeit i n die Ausschüsse, Arbeitsgruppen und Arbeitskreise hineinwirken kann 2 6 3 . Angesichts der nicht zu leugnenden und i m modernen Staat auch kaum ohne die Gefahr eines Machtverlustes an andere Verfassungsorgane zu behebenden Arbeitslast des Parlaments müssen die Ausschüsse jedoch i n erster Linie eine Entlastung des Plenums durch Arbeitsteilung herbeiführen. Dies kann nur dadurch geschehen, daß sich das Plenum i n Gruppen aufgliedert und die Gruppen für das Plenum handeln. Soll eine wirkliche Entlastung stattfinden — und nur eine solche ist überhaupt erwägenswert —, so erscheint es unausweichlich, daß i n den Ausschüssen eine Vorklärung und Alternativenreduzierung erfolgt sowie Vorentscheidungen fallen, die das Plenum grundsätzlich nicht mehr aufrollen und erneut verhandeln muß. Die Frage lautet deshalb nicht, ob die Ausschüsse Vorentscheidungen treffen dürfen, sondern i n welchen Fällen dies zulässig ist und inwieweit die Ausschüsse dem Plenum über ihre Verhandlungen zu berichten haben 2 6 4 . Darüber hinaus müssen die Ausschüsse vor allem für eine Begegnung und Auseinandersetzung der i m Parlament vertretenen und vom Volk 261 Vgl. z. B. A r t . 45 a GG (Ausschüsse f ü r auswärtige Angelegenheiten und f ü r Verteidigung); A r t . 45 c (Petitionsausschuß). 282 Vgl. z.B. § 6 B V e r f G G (Wahlmännerausschuß) ; weitere Beispiele bei Berg, Der Staat 1970, 21 f.; Frost, AöR 1970, 47 f.; Steiger (Anm. 251), 120, 135. 283 Dazu Schatz (Anm. 259), 66; Schäfer (Anm. 250), 140 f.; Loewenberg, Parlamentarismus, 215 f., 221. 284 Vgl. dazu insbesondere Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 43 - 52, der auf die Notwendigkeit einer Einzelfall-Analyse hinweist, da „weder u n mittelbar aus dem Grundgesetz noch aus prinzipiellen Überlegungen ein alle Falle von vornherein erfassendes Verbot abzuleiten ist" (51 f.) ; i h m folgend etwa Linck, D Ö V 1973, 517. — Z u r Übertragbarkeit von Aufgaben des Bundestages auf seine Ausschüsse vgl. ferner Berg, Der Staat 1970, 21 - 42 ; Goltz, D Ö V 1965, 605 - 616; Kreuzer, Der Staat 1968, 183-206; Kunz, Delegation (1976); von Lucius, AöR 1972, 568-595; Pietzner, Petitionsausschuß, 5 9 - 9 9 ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 135 - 140. — Z u r Berichtspflicht vgl. oben, A n m . 258.

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bestätigten politischen Grundanschauungen sorgen. Während die Fraktionen die anstehenden Sachprobleme aufgrund ihrer jeweiligen parteipolitischen Einstellung vorklären und entsprechend verengen 265 , bieten die Ausschüsse die Gelegenheit und zwingen sie zugleich dazu, die parteipolitisch verschieden aufbereiteten Problemlösungen i m kleinen Kreis von zumeist sachverständigen Abgeordneten unter M i t w i r k u n g zusätzlichen Sachverstandes aus dem Bereich der Regierung, der Verbände und anderer Quellen einander gegenüberzustellen, miteinander abzuwägen und voreinander zu rechtfertigen. Nach alledem weist das Parlament keineswegs die einfache Struktur einer aus mehreren hundert Persönlichkeiten zusammengesetzten Versammlung auf, die i m Plenum ihre Beratungen abhält und ihre Beschlüsse faßt. Vielmehr handelt es sich um ein komplex gegliedertes Verfassungsorgan, i n dem sich die Abgeordneten vor oder neben den Plenarsitzungen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten i n mehr oder minder formellen Gruppen und Untergruppen zusammenfinden und dort Verhandlungen führen und Entscheidungen treffen, die für das Plenum weitgehend vorherbestimmend sind oder auch gar nicht i n das Plenum gelangen. Damit hat sich das Parlament unter Nutzung des i h m verfassungsrechtlich eingeräumten Spielraums ein reichhaltiges und anpassungsfähiges Instrumentarium zur Erledigung seiner Aufgaben geschaffen. Es bleibt zu untersuchen, ob die tatsächliche Ausgestaltung der innerparlamentarischen Ordnung den normativen Anforderungen des Grundgesetzes entspricht, insbesondere den Grundsätzen der Abgeordnetenunabhängigkeit und der Verfahrensöffentlichkeit gerecht wird.

d) Die Unabhängigkeit des Abgeordneten im Geflecht der innerparlamentarischen Ordnung Die i n der Praxis des Bundestages entwickelte parlamentarische Gruppenbildung und Gruppenarbeit i n Fraktionen und Ausschüssen, die über eine lediglich technische und unverbindliche Vorbereitung der Plenarverhandlungen hinausgeht, könnte der Bestimmung des A r t . 38 I 2 GG widersprechen, nach der die Abgeordneten „Vertreter des ganzen Volkes" sind, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Diese Regelung besitzt, ohne i n ihrem Wortlaut wesentlich verändert zu sein 2 6 6 , eine lange verfassungsrechtliche Tradition, die i n die Zeit zurückreicht, als die Bindung der Mitglieder ständischer Versammlungen an die Instruktionen der von ihnen Vertretenen 265 Dies übersieht Hauenschild, Fraktionen, 182, w e n n er meint, die „ F r a k tionen verkörpern das Parlament", u n d sie insoweit dem Plenum gleichsetzt. 266 Vgl. dazu Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 51.

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aufgehoben und zugunsten einer von besonderen Interessen unabhängigen Verpflichtung auf die Allgemeinheit abgelöst wurde. Dahinter stand auch das Bedürfnis, die Versammlungen durch Freistellung ihrer Mitglieder von allen Instruktionen verhandlungs-, kompromiß- und entscheidungsfähiger zu machen 267 . Aus Furcht, i n Nachfolge der alten ständischen Gruppen könnten sich neue Sonderinteressen bilden und auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile durch Einflußnahme auf die Abgeordneten erlangen, übersteigerte die liberale Theorie allerdings das durch Ablösung des „imperativen" zugunsten des „freien" Mandats eingeführte Verbot der besonderen I n pflichtnahme zu einem Gebot isolierter Unabhängigkeit der Abgeordneten 2 6 8 . Dementsprechend sollen sich alle Abgeordneten i m Plenum versammeln, ihre selbständig gewonnenen Ansichten miteinander austauschen und nach Ausräumung von Irrtümern zu der einzig richtigen Entscheidung i m Sinne des allgemeinen Wohls gelangen. Dem isoliertunabhängigen Abgeordneten entspricht ein einphasiger parlamentarischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß, der sich allein i m Plenum verwirklicht. Arbeitsteilung und Vorklärung der Probleme i n kleinen Gruppen erscheinen, wenn nicht als überflüssig oder gar suspekt, so doch als für das Plenum unverbindlich. Die Unabhängigkeit des Abgeordneten bedingt seine Allzuständigkeit; die Diskussion aller A b geordneten i m Plenum gewährleistet wahre und gerechte Parlamentsentscheidungen 269 .

267 Der Beginn der modernen Entwicklung setzte auf dem Kontinent m i t der französischen Revolution ein; vgl. dazu Ch. Müller, Mandat, 5 0 - 5 3 (Frankreich), 53 - 60 (Deutschland), 6 7 - 7 1 (zur früheren Entwicklung i n England); ferner Badura (Anm. 266), A r t . 38, Randnr. 2 - 22 ; Scheuner, Das imperative Mandat, 147 -161. 268 Ihre klassische, bis heute fortwirkende (vgl. die Nachweise bei Badura, ebd., Randnr. 27) Formulierung hat diese Theorie, die sich selbst gern als „unpolitisch" bezeichnete (vgl. etwa C. Schmitt, Parlamentarismus, Vorbem e r k u n g zur 2. Aufl., S. 5), tatsächlich aber insbesondere gegen die politischen Parteien w i r k t e (vgl. dazu Badura, ebd., Randnr. 25 f. ; Ch. Müller, Mandat, 7 -10), i m Deutschland der Weimarer Zeit vor allem durch Leibholz (Das Wesen der Repräsentation, 1929), u n d C. Schmitt (Parlamentarismus, 1. Aufl., 1923, 2. A u f l . 1926; ders., Verfassungslehre, 1. A u f l . 1928) erfahren (vgl. auch Scheuner, Das repräsentative Prinzip, 226); charakteristisch ist die Zusammenfassung i n der führenden Kommentierung zu A r t . 21 WeimRV, dem V o r gänger zu A r t . 38 I 2 GG, bei Anschütz (Kommentar, A n m . 2) : „ . . . i n voller Unabhängigkeit gegenüber jedermann: gegenüber der Partei, Gesellschaftsklasse, Interessengruppe, der er angehört, namentlich auch gegenüber seinen Wählern." 269 C. Schmitt, Parlamentarismus, 6 f., 9 - 13, 4 1 - 6 3 ; ders., Verfassungslehre, 212 - 214, 216 - 220, 303 - 319; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, 9 2 - 9 7 ; ders., Gestaltwandel, 211-218; ders., Strukturwandel, 7 9 - 8 5 ; vgl. auch die Nachweise zur B i l d u n g von „ M e i n u n g " i m 19. Jahrhundert bei Krüger, Staatslehre, 439 f.; ferner Kreuzer, Der Staat 1968, 183 - 189; Goltz, DÖV 1965, 615.

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Das Ideal des allzuständigen Plenarabgeordneten der liberalen Theorie zeigt insoweit eine bemerkenswerte Parallele zu dem Ideal des allzuständigen Volksangehörigen der unmittelbar-demokratischen Theorie, obwohl beide Theorien grundlegend verschiedene Vorstellungen von der Ausübung der Herrschaftsgewalt vertreten 2 7 0 . Die liberale Theorie weist zwar den Gedanken der unmittelbar-demokratischen Theorie von der Selbstherrschaft des Volkes entschieden zurück und t r i t t für eine mittelbare Herrschaftsausübung durch Repräsentanten des Volkes ein; dennoch übernimmt sie die Grundthese der unmittelbar-demokratischen Idee von der gleichgeordneten Selbsterledigung aller gemeinschaftlichen Angelegenheiten durch alle Betroffenen und wechselt lediglich das Volk durch die Repräsentanten aus. Dementsprechend hält die liberale Theorie jeden Abgeordneten für geeignet und aufgerufen, jede i m Parlament anfallende Aufgabe gleichermaßen wie jeder andere Abgeordnete mitzuerledigen 2 7 1 . Ob eine Unabhängigkeit des Abgeordneten i m Sinne der liberalen Theorie jemals der Wirklichkeit entsprochen hat, erscheint aufgrund der geschichtlichen Erfahrung mehr als zweifelhaft 2 7 2 . Die Fragestellung nach der historischen Wirklichkeitsbezogenheit mag jedoch hier auf sich beruhen 2 7 3 . Unter dem Grundgesetz könnte die übersteigerte Forderung der liberalen Theorie nach isolierter Unabhängigkeit 2 7 4 und Allzuständigkeit der Abgeordneten auch dann keine Gültigkeit als Maßstab beanspruchen, wenn sie zu verwirklichen wäre 2 7 5 . Sie vernachlässigt die demokratische Legitimationskette zwischen Volk und Parlament und verstellt vor allem den Blick für ein verfassungsgemäßes Verständnis der parlamentarischen A r b e i t 2 7 6 . A u f diese Weise droht das anti-ständische 270 A u f die Ähnlichkeit m i t dem identitären Denken Rousseauscher Prägung weist auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 49, h i n ; vgl. ferner Scheuner, D Ö V 19-65, 578; Bäumlin, Kontrolle, 310: „Das Plenum als Einheit — vielfach sogar als »monolithische Einheit' bezeichnet — ist kennzeichnend für die bloß akklamierenden Versammlungen des autoritären oder gar totalitären Staates." 271 Z u m Verhältnis von unmittelbarer u n d mittelbarer Demokratieform vgl. oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. 272 So auch Birke, Die Souveränität, 65 f., 71; Jäger, Öffentlichkeit u n d Parlamentarismus, 17 - 28 u n d passim; Scheuner, D Ö V 1965, 577 m i t A n m . 5; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 31. 273 Eingehend dazu Jäger (Anm. 272), 29 - 50. 274 Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 16 f., hält deshalb den v e r breiteten Terminus „freies Mandat" f ü r „schlicht falsch"; kritisch auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 94; Henke, Das Recht der politischen Parteien, 126; zur gegenwärtigen Praxis vgl. Kaltefleiter / Veen, ZParl 1974, 250 - 263. 275 Gegen eine Umdeutung zeitgebundener Vorstellungen i n angeblich absolute Maßstäbe wenden sich insbesondere Kewenig (Anm. 270), 48 f.; Scheuner, DÖV 1965, 577 f.; ders., Das repräsentative Prinzip, 226; ders., D Ö V 1957, 634. 276 Nicht Unabhängigkeit, sondern Verbindung sind f ü r die Repräsentation wesentlich; vgl. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regie-

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i n ein anti-demokratisches Argument und eine sinnvolle, weil erfüllbare Norm i n eine unerreichbare und damit entmutigende Utopie umzuschlagen 277 . Die Einbindung der Abgeordneten i n die parlamentarische Gliederung nach Fraktionen und Ausschüssen ergibt sich weniger aufgrund einzelner Bestimmungen, wie etwa der Erwähnung der Fraktionen i n A r t . 53 a oder der Ausschüsse i n A r t . 42 ff., als aus dem Gesamtzusammenhang, i n dem das Grundgesetz das Verhältnis von Volk, Parteien, Parlament, A b geordneten und Regierung normiert hat. Grundlegend dafür ist das verfassungsrechtliche Erfordernis einer vom Parlament und letztlich vom Volk getragenen und i h m verantwortlichen Mehrheitsregierung sowie eines den Anforderungen i m modernen Staat des Grundgesetzes entsprechenden parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses. Zum einen beruhen Existenz und Aufgabenerfüllung der Regierung unabdingbar auf der Wahl und ständigen Unterstützung durch die Parlamentsmehrheit, diese wiederum auf der Parlamentswahl als dem periodischen Zwischenergebnis i m ständigen politischen Willensbildungsprozeß des Volkes. Die erforderliche Mehrheitsbildung kann, soll sie eine stabile und kontinuierliche, damit verantwortungsvolle und rechenschaftsfähige Aufgabenwahrnehmung gewährleisten, nicht spontan und von Fall zu Fall aufgrund eines mehr oder minder zufälligen Zusammenfindens der einzelnen Staatsbürger bzw. Abgeordneten erfolgen. Vielmehr bedarf es hinreichend gefestigter und profilierter Gruppen, die i n der Lage sind, die Vielzahl der personellen Alternativen für die Besetzung des Parlaments und der Regierung sowie die Unzahl der sachlichen Alternativen i m modernen Staat auf ein überschaubares Maß so zu verringern, daß eine überlegte und sinnvolle Auswahl überhaupt möglich wird. Zum anderen ist es angesichts der an Umfang und Kompliziertheit gegenüber dem liberalen Zeitalter des 19. Jahrhunderts wesentlich veränderten parlamentarischen Aufgabenstellung selbst für den rungssystems, 395 f. Z u r „absorptiven" Repräsentation vgl. Ch. Müller, Mandat, 223 - 227, 234; zur Unterscheidung zwischen k o m m u n i k a t i v e r u n d organisatorischer F u n k t i o n des Abgeordnetenmandats vgl. Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 186, 188 - 197; Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 287 - 291. 277 Vgl. etwa Laband, Staatsrecht I, 298 A n m . 1 : „Das Verbot des imperativen Mandats hat den Partikularismus der S t ä n d e . . . überwunden, aber es berührt nicht den Partikularismus der Parteien u n d F u n k t i o n e n " ; dazu auch Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 28; vgl. ferner Loewenberg, Parlamentarismus, 71: „Das liberale Ideal u n d die Frustration, die es hervorr u f t . . . " ; ferner M ü l l e r (Anm. 276), 216: „Legende"; Vogel, Diskussionsbeitrag, 120: „ . . . man bemüht sich, das Ideal aufzuwerten, u m dadurch die Realität i n Frage zu stellen . . . " ; Bäumlin, Kontrolle, 219 f.; Jäger (Anm. 272), 59 - 7 5 ; Kewenig (Anm. 270), 9 f.; Scheuner (Anm. 276), 387.

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zum Berufspolitiker gewordenen Abgeordneten nicht möglich, alle vom Parlament zu erledigenden Aufgaben gleichermaßen vollständig zu überblicken, sorgfältig abzuwägen und selbständig zu beurteilen 2 7 8 . Auch das Parlament und die Abgeordneten können nicht dem Erfordernis der A r beitsteilung ausweichen, die durch die Gliederung des Plenums i n Fraktionen und Ausschüssen ermöglicht wird, wenn sie die ihnen verfassungsrechtlich übertragenen Aufgaben erfüllen wollen 2 7 9 . Der Zusammenschluß der Abgeordneten zu parlamentarischen Fraktionen aufgrund gemeinsamer politischer Uberzeugungen und die B i l dung parlamentarischer Ausschüsse zur besseren Bewältigung der anfallenden Sachaufgaben stellen kein zufälliges Ergebnis parlamentarischer Gliederung dar, das sich nur „rein tatsächlich" so und nicht anders, möglicherweise gar gegen das Verfassungsrecht entwickelt hat. I n den Grundzügen, wenn auch nicht notwendig i n der einzelnen Ausgestaltung, entspricht die Gliederung des Bundestages i n Fraktionen und Ausschüsse vielmehr der verfassungsrechtlichen Anlage des Regierungssystems i m Grundgesetz. Ebenso wenig wie die Unabhängigkeit des Abgeordneten darf jedoch die Gruppengliederung des Parlaments, gleichsam i n Umkehrung der liberalen Theorie, einseitig übersteigert und i n „reiner" Form als Verfassungsnorm ausgegeben werden 2 8 0 . Die Zugehörigkeit des Abgeordneten zu einer Parteifraktion oder einem Fachausschuß, seine Konzentration auf eine politische Grundanschauung oder einen umgrenzten Sachaufgabenbereich bedingt weder eine Degradierung des Abgeordneten zu einem Befehlsempfänger 281 seiner Partei oder Fraktion noch eine 278 V o n Lucius, AöR 1972, 586 f.; Versteyl, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 43, Randnr. 19; Pietzner, Petitionsausschuß, 75; Schäfer, Der Bundestag, 219; ferner zur Arbeitsbelastung der Abgeordneten etwa Dichgans, Der Bundestag, 31 f. ; Kevenhörster / Schönbohm, Z P a r l 1973, 1 8 - 3 7 ; Lohmar, Das Hohe Haus, 188- 194; P. Schindler, Z P a r l 1973, 3 - 9 ; ders., Z P a r l 1977, 143 - 158. 279 Ebenso Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 124; Kewenig (Anm. 270), 49; Scheuner, D Ö V 1957, 637; Badura (Anm. 277), A r t . 38, Randnr. 15, 70; vgl. auch BVerfGE 2, 143, 160; 43, 142, 149. Anders Hennis, Die Rolle des Parlaments, der insoweit am „klassischen" Parlamentarismus festhält (104 f.), obwohl er dies an Leibholz, C. Schmitt u n d Habermas scharf kritisiert (88); ebenso ders., Bundestagsarbeit, 150 f.; vgl. dagegen Bäumlin, Kontrolle, 310: „ K e i n Parlament, das handlungsfähig, seinen Aufgaben gewachsen sein w i l l , k a n n ohne die A r b e i t von parlamentarischen Kommissionen auskommen." 280 Andernfalls w i r d aus dem sachlich unzutreffenden Idealtyp „Repräsentation" durch Negation der ebenso unzutreffende Idealtyp „Parteienstaat"; vgl. Ch. Müller, Mandat, 219. 281 So aber Leibholz, Gestaltwandel, 228: „Gesehen unter dem B l i c k p u n k t einer logisch zu Ende gedachten parteienstaatlichen D e m o k r a t i e . . . erscheint nämlich der Abgeordnete als grundsätzlich fremdem W i l l e n unterworfen . . . " ; ders., Strukturwandel, 94 f.

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A u f l ö s u n g des P a r l a m e n t s i n fachlich spezialisierte u n d das P l e n u m e r ü b r i g e n d e Ausschüsse 2 8 2 . Das D e n k e n i n „ r e i n e n " F o r m e n unterscheidet z w i s c h e n U n a b h ä n g i g k e i t u n d A b h ä n g i g k e i t des A b g e o r d n e t e n oder zwischen P l e n u m u n d U n t e r g l i e d e r u n g des P a r l a m e n t s als sich gegenseitig ausschließenden A l t e r n a t i v e n , ohne Ü b e r g ä n g e u n d Z w i s c h e n s t a t i o n e n a n z u e r k e n n e n 2 8 3 . Tatsächlich bestehende A r b e i t s t e i l u n g u n d A b h ä n g i g k e i t e n , d i e z u r W i r k l i c h k e i t des menschlichen Z u s a m m e n l e b e n s g e h ö r e n 2 8 4 , w e r d e n d a d u r c h ü b e r eine A r g u m e n t a t i o n v o m E r g e b n i s h e r e n t w e d e r i g n o r i e r t oder p e r h o r r e s z i e r t . U n v e r m i t t e l t steht so d e r u n a b h ä n g i g e H o n o r a t i o r e n a b g e o r d n e t e d e m a b h ä n g i g e n P a r t e i a b g e o r d n e t e n u n d das „ r e d e n d e " Plenarparlament dem „arbeitenden" Ausschußparlament gegenüber 285. W i r d dieses V o r v e r s t ä n d n i s a n das Grundgesetz h e r a n g e t r a g e n , so e r scheint d i e V e r f a s s u n g i n sich w i d e r s p r ü c h l i c h , d a sie i n A r t . 21 d e n P a r t e i a b g e o r d n e t e n u n d das G r u p p e n p a r l a m e n t , i n A r t . 38 h i n g e g e n d e n H o n o r a t i o r e n a b g e o r d n e t e n u n d das P l e n a r p a r l a m e n t n o r m i e r e 2 8 6 . U m d e n W i d e r s p r u c h aufzulösen, m u ß e n t w e d e r e i n Gegensatz z w i s c h e n V e r 282 Dagegen auch Frost, AöR 1970, 85. ses Dagegen auch Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 17, der nicht zwischen „Freiheit" u n d „Unfreiheit", sondern n u r einem „ M e h r " oder „ W e n i ger" an Freiheit unterscheiden w i l l ; vgl. ferner M ü l l e r (Anm. 280), 6 f.; Scheuner, D Ö V 1965, 577 f.; allgemein gegen die „verengte Problemstellung traditioneller Dichotomien" : H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 1 f. 284 y g i Frost, AöR 1970, 41; Hauenschild, Fraktionen, 122-126, der aber mißverständlich von „natürlich gewachsene(n) Gruppen" (124) spricht; dazu auch oben, Kap. I I 5 a. — Allgemein zu den Herrschaftsstrukturen auch i n der Gesellschaft: Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 188 f. 285 Die „Modelle" Rede- u n d Arbeitsparlament werden vielfach als h i l f reiche oder gar unentbehrliche Orientierung, insbesondere f ü r Reformüberlegungen, betrachtet (vgl. dazu Steffani, Amerikanischer Kongreß u n d deutscher Bundestag, 230-248; ders., Redeparlament, 418-420; Rausch, Parlamentsreform, 363; Liesegang, Parlamentsreform, 10, 12f., 22f.); als „ p r a k tisches Ergebnis" w i r d f ü r den Bundestag jedoch zumeist eine „Mischform" festgestellt. Z u welchen Komplikationen dies f ü r das Verfassungsverständnis führen kann, zeigt etwa die Erkenntnis von Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 398, f ü r den hinter dieser „Funktionenhäufung" (!) „die strukturelle Z w i t t e r stellung des Regierungs- u n d Verfassungssystems steht" u n d „letztlich eine systemüberlebensgefährdende Funktionsûbérlastung des Parlaments" bew i r k t . Vgl. demgegenüber die zutreffende K r i t i k bei Achterberg, DVB1. 1974, 705 („Scheinproblem"); ders., D Ö V 1975, 834 f.; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 43 („Vereinseitigungen u n d Scheinalternativen"); Bäumlin, Kontrolle, 310. 286

So vor allem Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, 98 -123; ders., Gestaltwandel, 224 - 240; ders., Verfassungsrecht u n d Verfassungswirklichkeit, 249 - 271; ders., Strukturwandel, 93-120; ders., Der moderne Parteienstaat, 6 8 - 9 4 ; i h m folgend BVerfGE 2, 1, 72 („prinzipielle Unvereinbarkeit"); abgem i l d e r t BVerfGE 5, 85, 233 ( „ i n einem gewissen Spannungsverhältnis"); n u r noch referierend BVerfGE 40, 296, 311; dazu Häberle, N J W 1976, 542; aber wiederum BVerfGE 41, 399, 416 („Spannungsverhältnis"); vgl. auch Rinck, Parteienstaat, 307 - 309, 317 - 319.

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fassungsrecht und Verfassungswirklichkeit 2 8 7 oder ein Regel-AusnahmeVerhältnis 2 8 8 angenommen werden 2 8 9 . E i n solcher Notbehelf ist jedoch vermeidbar. Der Widerspruch beruht nicht auf der Verfassung, sondern hat seine Ursache i n dem an sie herangetragenen Vorverständnis, das deshalb der Uberprüfung bedarf. Die schroffe Entgegensetzung sich ausschließender Alternativen verkennt die Zwischenstufungen und verfehlt damit das entscheidende Problem der erforderlichen Abgrenzung zwischen verfassungsrechtlich zulässiger und unzulässiger Abhängigkeit des Abgeordneten bzw. Arbeitsteilung des Parlaments. Die tatsächlichen Abhängigkeiten des Abgeordneten — angefangen bei seinem Familien- und Freundeskreis, über seine Berufs· und Verbandszugehörigkeit, seine Partei- und Wählerverbundenheit, bis zu seinen Abgeordnetenkollegen und zu Regierungsmitgliedern — dürfen ebenso wie die tatsächliche Arbeitsteilung i m Parlament — zwischen Plenum, Fraktionen und Ausschüssen — weder pauschal geleugnet oder verurteilt, noch müssen sie pauschal hingenommen oder anerkannt werden. Die Norm des A r t . 38 I 2 GG erscheint keineswegs als überholt oder nur notdürftig haltbar 2 9 0 , wenn sie nicht i m Sinne der liberalen Idealvorstellung, sondern entsprechend den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses unter dem Grundgesetz verstanden w i r d 2 9 1 . Das ganze Volk, dessen Vertreter die Abgeordneten sein sollen, handelt als solches — abgesehen von unbedeutenden Ausnahmen für Abstimmungen 2 9 2 — nur i n den 287

So insbesondere Leibholz, ebd. So etwa Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 38, Randnr. 20 m. w. N. 289 Dagegen schon Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 22 f.; ferner etwa Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 1 0 - 1 2 ; Badura, i n : Bonner K o m mentar, A r t . 38, Randnr. 28 f., 6 5 - 7 2 ; Haungs, Z P a r l 1973, 502-514; Kriele, Demokratisches Prinzip, 69; Manti, Repräsentation u n d Identität, 175- 182; Scheuner, Das imperative Mandat, 162 - 167; ders., Das repräsentative Prinzip, 238 - 241 ; Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 167 - 169 ; Wolfrum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 2 2 - 2 5 . 290 I n jenem Sinn w o h l am deutlichsten Morstein M a r x , A ö R 1926, 439, der die entsprechende N o r m des A r t . 21 W e i m R V als „ein fossiles Requisit aus der verfassungsgeschichtlichen Steinzeit" bezeichnete; ebenso f ü r A r t . 38 I 2 GG etwa Dreher, N J W 1950, 661. 291 So auch Abelein, Die Rechtsstellung des Abgeordneten, 790 f.; Badura (Anm. 289), A r t . 38, Randnr. 29, 52; Hesse, Verfassungsrecht, 241; Maunz (Anm. 288), A r t . 38, Randnr. 70; Scheuner (Anm. 289); Schlußbericht der EnqueteKommission Verfassungsreform, Kap. 2, Ziff. 3 (S. 23 - 25) ; Seifert, Die p o l i tischen Parteien, 337; a. A . Bermbach, Z P a r l 1970, 353-361, der bezeichnenderweise auf den Begriff der unmittelbaren Demokratie abstellt; vgl. dazu auch Steiger (Anm. 289), 169, u n d oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. 292 v g l . A r t . 29 GG, auch i n der Neufassung des Änderungsgesetzes v o m 23.8.1976, BGBl. I 2381; ferner — den inzwischen gegenstandslosen — A r t . 118 GG. 288

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Parlamentswahlen m i t rechtlich bindender Wirksamkeit. I m übrigen kann und soll die politische Willensbildung zwar ebenfalls i m und durch das Volk geschehen; dafür stehen jedoch nur Einzel- und Gruppenaktionen über Parteien, Verbände, Demonstrationen, Petitionen, die öffentliche Meinung usw. zur Verfügung 2 9 3 . Keine von ihnen — auch nicht eine parteimäßig organisierte — kann beanspruchen, für das Volk insgesamt und mit rechtlicher Verbindlichkeit zu sprechen 294 . Deshalb erscheint ,es auch i m demokratischen Staat des Grundgesetzes folgerichtig, wenn die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sein sollen und wenn die Beachtung dieser Verfassungsnorm des A r t . 38 I 2 GG durch flankierende Maßnahmen geschützt und gefördert w i r d 2 9 5 . Dazu gehören Abwehrmaßnahmen, wie etwa die rechtliche Unwirksamkeit jeglicher, den Abgeordneten von i r gendeiner Seite auferlegten oder abgerungenen Verpflichtungen, welche die Ausübung ihres Amtes betreffen, seien sie spezieller oder genereller N a t u r 2 9 6 . Dazu gehören ferner Unterstützungsmaßnahmen, wie etwa eine angemessene materielle Absicherung, welche die Abgeordneten gegenüber wirtschaftlichen Versprechungen oder Pressionen unempfindlicher macht 2 9 7 , oder ein wissenschaftlicher und technischer Parlamentsdienst, welcher die Abgeordneten bei ihrer Aufgabenwahrnehmung entlastet. Derartige Vorkehrungen vermögen lediglich, die Abgeordneten i n ihren Bemühungen zu unterstützen, sich einen Freiraum gegenüber einer Inpflichtnahme durch besondere Gruppen und Interessen offenzuhalten. Gewährleisten können sie einen solchen Erfolg nicht, insbesondere wenn ein Abgeordneter sich freiwillig oder nach außen nicht erkennbar unterwirft. Hierbei handelt es sich jedoch um ein von der Ausprägung des Staates als „liberal-demokratisch" oder „massen-demokratisch" unab293 Vgl. auch E. Stein, Staatsrecht, 9 1 - 9 9 ; Henke, DVB1. 1973, 559; ferner unten, Abschnitt e, bei A n m . 341. 294 Vgl. dazu Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 1 0 - 1 2 ; Hauenschild, Fraktionen, 187 f.; Seifert (Anm. 291), »36 f.; Steiger (Anm. 289), 190 f., 193, der zutreffend auf die Notwendigkeit hinweist, auch die nicht lautstark u n d m i t Gruppendruck vorgetragenen Interessen zu berücksichtigen. — Dem würde auch eine „Abberufung" des Abgeordneten durch seine Partei w i d e r sprechen. Z u m Mandatsverlust vgl. insbesondere den Zwischenbericht der Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform, T e i l I I , A (S. 62 - 79) m i t Beiträgen von Dichgans, Kewenig, Sandtner, Schäfer, Böckenförde; Schlußbericht, Kap. 2 (S. 22 - 31); ferner Trachternach, DVB1. 1975, 87 m. w. N. 295 A r t . 4 6 - 4 8 GG; ferner etwa Seifert (Anm. 291), 339-342. Vgl. auch Meessen, Berater Verträge, 431 - 453. 29β p ü r dig Zulässigkeit eines generellen Mandats hingegen Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 36 u n d passim; w o h l auch Oppermann, Parlamentarisches Regierungssystem, 5 2 - 5 5 ; dagegen Hesse, Verfassungsrecht, 243; Maunz (Anm. 288), A r t . 38, Randnr. 70; Seifert (Anm. 291), 338 f. m i t A n m . 16. 297

Vgl. A r t . 48 I I I GG; ferner oben, Abschnitt 3 a i n diesem Kap., bei A n m . 101; auch von A r n i m , Abgeordnetenentschädigung u n d Grundgesetz, 33.

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hängiges Problem 2 9 8 , dem weniger durch eine Neutralisierung des einzelnen Abgeordneten als durch eine Ausbalancierung der Gesamtheit der Abgeordneten begegnet werden kann. Insoweit erscheint die Unabhängigkeit eher als ein Problem des Ausgleichs der verschiedenen A b hängigkeiten und damit mehr eine Forderung an das Parlament insgesamt denn an den einzelnen Abgeordneten 299 . Aus einer solchen Kollektivrepräsentation, für die sich — i m Gegensatz zur Individualrepräsentation — die Mehrzahlbildung („die" Abgeordneten) i n A r t . 38 I 2 GG anführen ließe, folgt allerdings kein Argument gegen die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten 300 . Auch die Kollektivrepräsentation umf aßt nicht notwendig alle Gruppen i m Volk, so daß die Abgeordneten weiterhin über ihren Gruppenhorizont hinausblicken müssen 301 . Gegenüber der ständischen Versammlung unterscheidet sich das demokratische Parlament deshalb weniger durch etwaige tatsächliche Abhängigkeiten des einzelnen Abgeordneten von besonderen Interessen — obwohl die Verfassungsordnung des Grundgesetzes auch hiergegen vorzubeugen sucht — als vielmehr dadurch, daß der Ausgleich der verschiedenen Meinungen und Interessen rechtsverbindlich allein und erst i m Parlament durch die Verhandlungen und Beschlüsse der an keinerlei außer- oder vorparlamentarische Gruppenentscheidungen rechtlich gebundenen oder bindbaren Abgeordneten zustande kommen soll 3 0 2 . Die i n Art. 38 I 2 GG normierte Unabhängigkeit der Abgeordneten besteht nicht um ihrer selbst willen, sondern soll den Willensbildungs298 Diese von C. Schmitt, Parlamentarismus, 5 - 23, 30-41, behauptete U n vereinbarkeit von Liberalismus u n d Demokratie ergibt sich n u r bei Zugrundelegen der Utopie eines unmittelbar-identitären Demokratiemodells; dagegen schon oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. 299 Vgl. auch Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, 390 m i t A n m . 23; ders., Das repräsentative Prinzip, 241; ders., DÖV 1965, 579, der zutreffend hervorhebt, daß es sich u m eine parlamentarische Versammlung handelt; ferner Bordiert, AöR 1977, 224 m i t A n m . 54; BVerfGE 44, 308, 316: nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament als G a n z e s . . . übt die v o m V o l k ausgehende Staatsgewalt aus" ; zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Achterberg (Anm. 296), 25 m. w . N. — Demgegenüber genügt für die Individualrepräsentation auch ein einziger Repräsentant, etwa der absolute Monarch; vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, 60, 140. 300 Anders Morstein M a r x , AöR 1926, 434 f., der damit das imperative M a n dat f ü r zulässig betrachtet; i h m folgend Achterberg (Anm. 296), 26, für das rahmengebundene Mandat. 301 „Die Summierung der Interessen ergibt keine Vertretung des nationalen Ganzen" (Scheuner, Das repräsentative Prinzip, 244); Häberle, öffentliches Interesse, 125 A n m . 195. Dies g i l t auch für die Parteien; vgl. auch von Münch, i n : ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 21, Randnr. 15. 302 So auch Hesse, Verfassungsrecht, 242; Badura, i n : Bonner Kommentar, A r t . 38, Randnr. 30; Henke, Das Recht der politischen Parteien, 130; ders., DVB1. 1973, 559 f.; Scheuner (Anm. 301), 240: „ . . . g e b i l d e t w i r d der Staatsw i l l e i m P a r l a m e n t . . . " (und nicht von den Parteien unmittelbar).

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und Entscheidungsprozeß des Parlaments ermöglichen und fördern 3 0 3 . Dazu gehört unter den Bedingungen der Aufgabenlast des Parlaments i m modernen Staat des Grundgesetzes neben den Plenarverhandlungen auch die Fraktions- und Ausschußarbeit. Die Einbindung der Abgeordneten i n die parlamentarische Gruppenbildung und Gruppenarbeit kann deshalb nicht gleichgesetzt werden m i t einer Inpflichtnahme der Abgeordneten durch besondere Gruppen und Interessen, die von außerhalb des Parlaments auf die Abgeordneten unmittelbaren Zugriff nehmen wollen 3 0 4 . Plenums-, Fraktions- und Ausschußtätigkeit bilden ein zusammenhängendes Verfahren, i n dem das Parlament durch Reduzierung und Konkretisierung der möglichen Alternativen Schritt für Schritt zu seinen Entscheidungen gelangt 3 0 5 . Dies läßt sich nur durch Arbeitsteilung und gegenseitige Abhängigkeit, nicht durch isoliertes Nebeneinander der einzelnen Abgeordneten erreichen. Bei gleich intensiver Beschäftigung eines jeden Abgeordneten m i t jeder zu entscheidenden Angelegenheit wäre das Parlament zu einer oberflächlichen Aufgabenwahrnehmung verurteilt und fremdem Sachverstand, insbesondere dem umfangreichen bürokratischen Apparat der Regierung, ausgeliefert 308 . Innerhalb des Parlaments, i m Verhältnis der Abgeordneten untereinander, t r i t t deshalb das Erfordernis der Unabhängigkeit zurück gegenüber dem Erfordernis einer gleichgeordneten und gleichberechtigten A b hängigkeit 3 0 7 . Alle Abgeordneten müssen die Möglichkeit haben, gleichermaßen auf den parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß Einfluß zu nehmen 3 0 8 . Das aber läßt sich nicht durch Allzuständigkeit der Abgeordneten, sondern nur dadurch verwirklichen, daß jeder Abgeordnete i m Verhältnis zu jedem anderen Abgeordneten einen für das Gesamtverfahren gleich gewichtigen Einzelbeitrag leistet 3 0 9 . Da303 v g l < a u d l Badura (Anm. 302), A r t . 38, Randnr. 69 f. Vgl. auch Henke (Anm. 302), 150; Ch. Müller, Mandat, 220. 805 Gegen eine strikte Trennung von Plenum, Fraktionen u n d Ausschüssen auch Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 198; vgl. auch Badura (Anm. 302), A r t . 38, Randnr. 55; Hauenschild, Fraktionen, 105 - 107; Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 11 f.; W o l f rum, Innerparteiliche demokratische Ordnung, 32 f.; BVerfGE 44, 308, 316 f.; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 32, der das Verhältnis von Plenum u n d Ausschüssen jedoch zu eng als bloße „Frage der besten Arbeitstechnik" ansieht; dagegen Partsch, Parlament u n d Regierung, 84; Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L 16 (1958), 125. 306 Auch der Zeitfaktor spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle; vgl. dazu etwa Hauenschild, Fraktionen, 115 f. 307 Unabhängigkeit u n d Gleichordnung bedingen einander: „Freiheit durch Gleichheit" (Häberle, N J W 1976, 538f.); vgl. auch H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 94 f. 808 Z u r (formalen) Gleichstellung der Abgeordneten vgl. BVerfGE 40, 296, 318; dazu Häberle, N J W 1976, 538 f.; vgl. auch Steiger (Anm. 305), 124; Tscherm a k von Seysenegg (Anm. 305), 221 - 224. 304

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zu gehört vor allem die gleichberechtigte M i t w i r k u n g aller Abgeordneten i n den Plenarverhandlungen, aber auch bei der Fraktions- und Ausschußarbeit 310 . A n denAusschluß eines Abgeordneten aus seiner Fraktion müssen deshalb mindestens ebenso strenge Anforderungen gestellt werden wie an einen Parteiausschluß 311 . Der Ausschluß eines Abgeordneten — sei er Fraktionsangehöriger oder nicht — von jeglicher Ausschußarbeit dürfte überhaupt unzulässig sein 3 1 2 ; wegen der erforderlichen Kräftekonzentration und der damit verbundenen Pflichten erscheint hingegen ein Recht auf Mitarbeit und Stimme — anders als auf Anwesenheit und Äußerung — i n mehr als einem Ausschuß nicht geboten 313 . Demnach umschreibt A r t . 38 I 2 GG nicht den isoliert-unabhängigen und allzuständigen, allein i m Plenum wirksamen Honoratiorenabgeordneten liberal-idealer Vorstellung. Vielmehr normiert die Verfassungsbestimmung einen durch außerparlamentarische Gruppenentscheidung auch weiterhin rechtlich nicht bindbaren Parlamentsabgeordneten, der i n gleichgeordneter und gleichberechtigter Arbeitsteilung m i t allen anderen Abgeordneten am parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß i m Plenum wie i n den Parteifraktionen und Fachausschüssen als dessen unentbehrlichen Untergliederungen m i t w i r k t . Die gegenseitige Abhängigkeit der Abgeordneten untereinander, wie sie i m Rahmen der Arbeitsteilung zwischen Plenum und Untergliederungen des Parlaments entsteht, widerspricht nach alledem nicht dem Grundsatz der Abgeordnetenunabhängigkeit. Sie erscheint i m Gegenteil als das folgerichtige Ergebnis der verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zeitgemäße parlamentarische Aufgabenerledigung, das bei der Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis von Parlament und Regierung beachtet werden muß. 309 v g l . auch von A r n i m , Abgeordnetenentschädigung u n d Grundgesetz, 31 f.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip, 240f.; Steiger (Anm. 305), 124f.; BVerfGE 44, 308, 315 f. — Z u m Zusammenhang zwischen Spezialisierung u n d Einfluß der Abgeordneten vgl. Althammer, Politiker oder Spezialisten?, 63. 310 Dem entspricht auch das Erfordernis innerparteilicher u n d v o r allem innerfraktioneller Demokratie; vgl. dazu Friesenhahn (Anm. 305), 24; Häberle, N J W 1976, 538; Haungs, ZParl 1973, 509 f.; Henke, Das Recht der politischen Parteien, 152. 311 Vgl. auch Tschermak von Seysenegg, Fraktionen, 218 f.; BVerfGE 10, 4, 15. — Z u m Fraktionsausschluß Henke (Anm. 310), 154f.; Hauenschild, F r a k tionen, 201 f. 312 So auch Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 79,125 f. m i t A n m . 82; w o h l auch Hauenschild (Anm. 311), 111. 313 Dem entspricht auch die Praxis der größeren Fraktionen; dazu Lohmar, Das Hohe Haus, 147 f.; Schäfer, Der Bundestag, 109 f. — E i n Recht auf einen bestimmten Ausschuß k a n n es jedoch — schon aus praktischen Gründen — nicht geben, auch nicht gegenüber der eigenen Fraktion. E i n „Rückruf" u n t e r liegt jedoch dem Mißbrauchsverbot; i n dieser Richtung etwa Steiger (Anm. 312), 126 f.; enger H. H. Klein, D Ö V 1972, 329 - 331 (Rückruf gegen den W i l l e n des Abgeordneten n u r bei Fraktionsausschluß). 10*

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e) Die Öffentlichkeit des parlamentarischen Verfahrens und die Gewährleistung demokratischer Kommunikation Die i n der Praxis des Bundestages entwickelte Fraktions- und Ausschußtätigkeit könnte ferner dem i n A r t . 42 GG niedergelegten Grundsatz der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen (Verhandlungsöffentlichkeit) 3 1 4 widersprechen. Die Zweifel ergeben sich, weil grundsätzlich nur das Plenum, nicht aber die Ausschüsse 315 oder gar die Fraktionen 3 1 6 des Bundestages öffentlich verhandeln. Diese Praxis kann sich auf den Wortlaut des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung des Bundestages berufen. Nach A r t . 42 1 1 GG verhandelt der Bundestag öffentlich. Die Unsicherheit darüber, ob unter „Bundestag" nur das Plenum oder auch seine Untergliederungen zu verstehen sind, werden durch A r t . 42 I I I GG ausgeräumt, der öffentliche Sitzungen „des Bundestages und seiner Ausschüsse" getrennt ausweist 317 . Die Geschäftsordnung des Bundestages greift diese Unterscheidung auf und führt sie i n § 73 I I 1 dahin näher aus, daß die Beratungen der Ausschüsse „grundsätzlich nicht öffentlich" sind. Von der i m Jahre 1969 eingeführten Möglichkeit, die Öffentlichkeit durch Beschluß zu ihren Beratungen zuzulassen (§ 73 I I 2) 3 1 8 , machen die Ausschüsse — i m Gegensatz zu den schon immer möglichen öffentlichen Informationssitzungen 319 — kaum Gebrauch 320 . Die Geschlossenheit stellt daher für die Ausschußberatungen ebenso den Regelfall dar, wie es umgekehrt die Öffentlichkeit für die Plenarverhandlungen ist. Die insoweit unterschiedliche Verfahrensweise i n Plenum und Ausschüssen ist angesichts der zunehmenden Arbeitsteilung und Aufgabenverlagerung innerhalb des Parlaments keineswegs selbstverständlich und stößt deshalb auch auf erheblich voneinander abweichende Beur314 Die Verhandlungsöffentlichkeit läßt sich i n Sitzungs- u n d Berichtsöffentlichkeit unterteilen; vgl. A r t . 42 I gegenüber A r t . 42 I I I GG. — Vgl. auch unten, A n m . 360. 315 Eine Ausnahme gilt nach A r t . 44 I GG für die Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse, nach § 8 I WahlprüfungsG für die mündliche Verhandl u n g des Wahlprüfungsausschusses. 316 H i e r i n w i r d i m allgemeinen nicht einmal ein Problem gesehen; vgl. jedoch die Andeutungen bei Lohmar, Das Hohe Haus, 103. 317 Entsprechend hält die ganz h. M. n u r das Plenum zur grundsätzlich öffentlichen Verhandlung f ü r verpflichtet; vgl. etwa BVerfGE 1, 144, 152; Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog/ Scholz, A r t . 42, Randnr. 2; Versteyl, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar I I , A r t . 42, Randnr. 3. 318 I n der Fassung der Bekanntmachung v o m 25.6.1969, B G B l . I 776; zur umstrittenen Vorgeschichte des neuen § 73 I I 2 GOBT vgl. Trossmann, Parlamentsrecht, § 73 Randnr. 2 m. w. N. 319 Sog. Hearings; vgl. dazu § 73 I I I G O B T ; ferner Appolt, „Hearings", 44 - 47, 118 - 123; P. Schindler, Z P a r l 1973, 10 - 17. 320 Lohmar (Anm. 316), 102.

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teilungen und Schlußfolgerungen. Unbeschadet aller Einzelheiten und Ubergänge i n der Argumentation lassen sich vier Hauptrichtungen erkennen. Eine resignierend-destruktive Auffassung sieht i n der innerparlamentarischen Arbeitsteilung und Aufgabenverlagerung eine i n der modernen „Massendemokratie" unvermeidliche und tiefgreifende, deshalb den „liberalen" Parlamentarismus wesentlich verändernde und schließlich zerstörende Wandlung. „ A l l e spezifisch parlamentarischen Einrichtungen und Normen erhalten erst durch Diskussion und Öffentlichkeit ihren Sinn 3 2 1 ." Diese Voraussetzungen können jedoch allein i m liberalen Plenarparlament, nicht i m modernen Ausschußparlament ihre Wirkung entfalten. Daher sind „Öffentlichkeit und Diskussion i n der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden", und man muß einsehen, „daß der Parlamentarismus dadurch seine geistige Basis aufgibt" 3 2 2 . Eine restaurativ-reformerische Ansicht bemüht sich demgegenüber i m Sinne eines „Zurück ins Plenum" durch Straffung und Rückverlagerung von Parlamentsaufgaben um eine Wiederbelebung der öffentlichen Plenarverhandlungen und eine Zurückdrängung der nicht-öffentlichen Ausschußberatungen. „Unter dem Aspekt der Funktion des Bundestages als Forum der Nation ist die i n den Ausschüssen geleistete Arbeit für nichts und wieder nichts getan. Nur was i m Plenum geschieht, zählt i n dieser Hinsicht 3 2 3 ." Eine apologetisch-konservative Auffassung betrachtet die Ausschußtätigkeit weiterhin als für das Plenum lediglich vorbereitend und unverbindlich und versucht, die Geschlossenheit aufgrund der Andersartigkeit der Ausschußberatungen gegenüber den Plenarverhandlungen zu rechtfertigen. Als Begründung w i r d angeführt, die nicht-öffentlichen Ausschußberatungen schafften i m Gegensatz zu den öffentlichen Plenarverhandlungen die erforderliche „vertrauliche Atmosphäre", damit die Abgeordneten frei von äußerem Druck und persönlichem Geltungsdrang zunächst „ins Unreine" sprechen, nüchtern-sachlich statt politisch-polemisch miteinander nach Problemlösungen suchen und ohne Furcht vor einem „Gesichtsverlust" Kompromisse finden könnten. „Die NichtÖffentlichkeit erscheint i n solchen Fällen sachgerecht, da die Ausschußarbeit wesentlich i n der Diskussion von Sachverständigen besteht, die durch Abschirmung von äußeren Ereignissen — insbesondere auch ohne den 321 C. Schmitt, Parlamentarismus, 5 - 23, 41 - 63 (Zitat: 7); ders., Verfassungslehre, 208 f. 322 C. Schmitt, Parlamentarismus, 60 - 63 (Zitate: 63 u n d 62). 323 Hennis, Die Rolle des Parlaments, 104 f. (Zitat) ; ders., Bundestagsarbeit, 151; vgl. auch Hereth, Die parlamentarische Opposition, 144-151; Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 331.

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psychischen Druck, bei dem Vortrag von Sachargumenten stets i m Blickfeld des Wählers zu stehen — wesentlich an Effizienz zu gewinnen vermag, und die Entscheidungen selbst erst i n der — öffentlich verhandelnden — Vollversammlung fallen 3 2 4 ." Eine radikal-reformerische Auffassung schließlich befürwortet angesichts des innerparlamentarischen Bedeutungswandels eine Ausweitung der grundsätzlichen Öffentlichkeit der Plenarverhandlungen auf die Ausschußberatungen. „Wenn sich das Öffentlichkeitsgebot seinem Wesen nach auf die konkreten politischen Entscheidungsprozesse des Parlaments richtet — die historische Auseinandersetzung u m die Publizität der Parlamentsverhandlungen läßt keinen anderen Schluß zu —, bedarf es seiner Anwendung auf die Parlamentsausschüsse, sobald sich diese Prozesse mehr und mehr dorthin zurückziehen 325 ." Auch wenn die aufgeführten Einschätzungen zu abweichenden Schlußfolgerungen gelangen, gehen sie doch von einem gemeinsamen Maßstab der Öffentlichkeit aus, an dem die Verhandlungen i n Plenum und Ausschüssen zu messen sind. Diese Öffentlichkeit ist nach den drei zuerst genannten Ansichten plenarfixiert und deshalb entweder hinfällig geworden, wiederzubeleben oder unvermindert gültig geblieben, nach der zuletzt genannten Ansicht hingegen auch auf Ausschüsse übertragbar. Damit stellt sich die Frage nach dem Inhalt dieses Maßstabes, die nicht zu trennen ist von der Frage nach der Funktion der Öffentlichkeit für die Verhandlungen des Parlaments i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Öffentlichkeit bedeutet i n einem zunächst rein tatsächlichen Sinn die allgemeine — „unbestimmt welchen und wie vielen Personen ί < 3 2 β mögliche — Zugänglichkeit oder Wahrnehmbarkeit von beliebigen Gegenständen und Vorgängen 3 2 7 . Parlamentsverhandlungen sind danach öffentlich, wenn ihnen ein i m vornherein nicht feststehender Personenkreis beiwohnen kann 3 2 8 . Ausschußsitzungen bleiben deshalb auch dann nicht324 Achterberg, Parlamentsrecht, 71 (Zitat); ebenso die w o h l h. M.; vgl. etwa Frost, AöR 1970, 61, »5; Linck, D Ö V 1973, 513-520; Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, 69; Partsch, Parlament u n d Regierung, 79, 83; Starck, Gesetzesbegriff, 161 ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses f ü r Wahlprüfung, I m m u n i tät u n d Geschäftsordnung v o m 12. 6.1965, BT-Drucks. V/4373, S. 8 f. (zu § 73). 325 Oberreuter, ZParl 1975, 79 (Zitat); ferner Appolt, „Hearings", 100 f.; auch — differenzierend — Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 141 - 144; ders., Z u r F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 731; Häberle, öffentliches Interesse, 125; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 117 (These 37). 326 So schon RGSt 21, 254, 255. 327 Martens (Anm. 324), 4 2 - 4 9 ; Marcie, Öffentlichkeit, 275-277; Smend, Z u m Problem des öffentlichen, 12. 328 Z u r Frage, ob sich daraus eine Pflicht zur Zulassung von H ö r f u n k - und Fernsehübertragungen ergibt, vgl. (verneinend) Martens (Anm. 324), 70, bejahend Dieterich, F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 118 - 120.

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öffentlich, wenn an ihnen — wie es § 73 V I I GOBT als Regelfall vorsieht — Mitglieder des Bundestages teilnehmen können, die dem Ausschuß nicht angehören. Öffentlichkeit umfaßt weiterhin einen normativen Gehalt 3 2 9 . Er läßt sich auf die allgemeine Erkenntnis zurückführen, daß Gegenstände und Vorgänge, die unmittelbar wahrgenommen werden, eine überzeugendere Wirkung entfalten als wenn sie lediglich durch andere Personen vermittelt werden. Unmittelbare Anteilnahme, sei es passiv durch Beobachtung oder gar aktiv durch Mitwirkung, gewinnt dadurch einen Wert an sich. Von daher bedeutet es nur noch einen kleinen Schritt, i n der Öffentlichkeit eine Garantie von Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit zu erblicken 3 3 0 . Folgerichtig erhebt sich die Forderung nach Öffentlichkeit aller Gegenstände und Vorgänge, die für die Betroffenen von I n teresse und Wichtigkeit sind. Diese können dann durch kritische Beobachtung und Stellungnahme i m Wege allgemeiner Diskussion Irrtümer verhindern und dem allgemein richtigen und besten Ergebnis zum Durchbruch verhelfen. Diskussion und Öffentlichkeit, besser: Diskussion i n der Öffentlichk e i t 3 3 1 w i r d somit zu einer A r t Wundermittel, das gegen alle Mängel und Bedrückung i m menschlichen Zusammenleben eingesetzt werden kann und über den gesellschaftlichen Bereich hinaus auch i m staatlichen Bereich Erfolg verheißt 3 3 2 . Die öffentliche Parlamentsdiskussion erscheint als Zwiegespräch vor und m i t der Öffentlichkeit zur Beeinflussung des staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses 333 , der aus dem Arkanbereich der Regierung herausgeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Ideell von dem Glauben an die allgemeine Vernunft und uneigennützige Einsichtsfähigkeit des Menschen getragen, praktisch gegen die zur Unmündigkeit verurteilende Arkanpolitik der absolutistischen Staatsmacht gerichtet 334 , ist die normative Ausprägung der Öffentlichkeit, wie sie sich insbesondere u m die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert ent329 Z u m Zusammenhang zwischen faktischer u n d normativer Öffentlichkeit vgl. Martens (Anm. 324), 44; Krüger, Staatslehre, 443 f.; Marcie (Anm. 327), 277; Smend (Anm. 327), 14 - 18. 330 Vgl. dazu Smend (Anm. 327), 14f.; Marcie (Anm. 327), 275-279; K r ü g e r (Anm. 329), 442 - 444; Martens (Anm. 324), 51 f.; C. Schmitt, Parlamentarismus, 9, 43 - 50. 381 C. Schmitt (Anm. 330), 47: „ . . . e s k o m m t weniger auf die öffentliche Meinung als auf die Öffentlichkeit der Meinung an." 332 Dazu Martens (Anm. 324), 51 f.; K r ü g e r (Anm. 329), 444. 333 Z u m Zusammenhang zwischen dem „Räsonnement der Privatleute" und dem „deliberierenden Parlament" vgl. Jäger, Öffentlichkeit u n d Parlamentarismus, 16. 334 Dazu Martens (Anm. 324), 51.

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faltet hat 3 3 5 , selbst i n ihrer Überhöhung für jene Zeit verständlich. A n gesichts der zwischenzeitlichen Erfahrungen m i t der „öffentlichen" Politik, der gewachsenen tatsächlichen Anforderungen i m und an den modernen Staat sowie dessen gewandelter Verfassungsordnung darf der früher gewonnene, scheinbar allgemeingültige Maßstab der Öffentlichkeit jedoch nicht unbesehen auf das parlamentarische Verfahren unter dem Grundgesetz übertragen werden 3 3 6 . Wie so häufig führt auch hier die Verabsolutierung des Prinzips zu seiner Wirkungslosigkeit oder gar Pervertierung 3 3 7 . Nicht „als solche" vermag Öffentlichkeit die ihr i m demokratischen Staat des Grundgesetzes obliegende Wirkung zu entfalten, sondern nur i m Rahmen der übrigen Verfassungsprinzipien. So dürfte kaum zu bestreiten sein, daß das Öffentlichkeitsprinzip seine Schranken etwa an der Privatsphäre des einzelnen oder an den Sicherheitsbedürfnissen des Gemeinwesens findet, wobei der genaue Grenzverlauf selbstverständlich unter Berücksichtigung und sorgfältiger A b wägung der Umstände des Einzelfalls gefunden werden muß 3 3 8 . Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen ist deshalb anhand der i m Grundgesetz niedergelegten Verfassungsprinzipien zu entwickeln und nicht einem real-historischen Vorbild oder einem geistesgeschichtlichen Vorverständnis zu entnehmen 339 . Das Parlament als das einzige vom Volk unmittelbar gewählte Staatsorgan des Bundes bedarf i n besonderern Maße der demokratischen Rückbindung. Als Wähler ist das Volk auf die Kenntnis der personellen und sachlichen Alternativen angewiesen, die i m und für das Parlament vertreten werden und durchsetzbar erscheinen. Der Wahlakt, obzwar die formal wichtigste Entscheidung, stellt lediglich einen zeitlich bestimmten Ausschnitt i m permanenten Willensbildungsprozeß des Volkes dar, der eine ständige Information und grundlegende Informiertheit der Wähler und Bürger erfordert 3 4 0 . Der einzelne muß die Möglichkeit erhalten, aufgrund selbstgewonnenen Urteils während der Wahlperiode über die i m Grund335 Z u r historischen Entwicklung des Öffentlichkeitsprinzips vgl. Dieterich (Anm. 328), 2 3 - 5 0 ; Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, 112-171; Martens (Anm. 324), 24 - 36 (Begriffsgeschichte); C. Schmitt (Anm. 330), 4 7 - 5 0 ; Steiger, Z u r F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 725 f. 336 Kriele, Demokratisches Prinzip, 56 f.; Martens (Anm. 324), 52 f.; Rauschning, Verfassungsrecht, 183 f.; Stolleis, V e r w A r c h 1974, 15. 337 Vgl. etwa die Polemik gegen das Wahlgeheimnis bei C. Schmitt, Verfassungslehre, 244 - 246; dazu Jacobi, Z u m geheimen Stimmrecht, 141 - 153. — Gegen eine Verabsolutierung etwa Bäumlin, Kontrolle, 239; Häberle, ZfP 1969, 277; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 50 f.; Kriele (Anm. 336), 67. 338 So auch Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, 61. 339 So auch Dieterich (Anm. 328), 82; Häberle, ZfP 1969, 277; Martens (Anm. 338), 39, 53 f., 68. 340 BVerfGE 20, 56, 100; 44, 125, 147 f.; Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, 83; Steiger, Zur F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 725 f.

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gesetz vorgesehenen M i t t e l und Wege der Einflußnahme — insbesondere über die Parteien und Verbände, die Meinungsfreiheit, die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Petitionsrecht 3 4 1 — seinen Beitrag zur politischen Willensbildung zu leisten und am Wahltag über die personellen und sachlichen Alternativen m i t zubestimmen 342 . Ein allgemeines Zugänglichmachen des gesamten Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses der staatlichen Organe oder auch des Parlaments müßte angesichts der modernen Ausweitung der staatlichen A n gelegenheiten zu einer fachlichen und zeitlichen Uberforderung des einzelnen führen. Gegen eine auf umfassender und unmittelbarer Kenntnisnahme beruhende, von und m i t allen geführte Diskussion, die i n allseits durchdachte und abgewogene Entscheidungen münden soll, sprechen die gleichen Bedenken wie gegen eine Selbsterledigung der Gemeinschaftsangelegenheiten durch das Volk i m Sinne der unmittelbar-demokratischen Theorie 3 4 3 oder gegen eine Allzuständigkeit jedes einzelnen Abgeordneten i m Sinne der liberalen Theorie 3 4 4 . Maximierung von Information bedeutet nicht Optimierung der Informiertheit. Uberinformation kann ebenso zur Unmündigkeit und Orientierungslosigkeit führen wie Informationsmangel 3 4 5 . Die eindimensionale Zielvorgabe, wonach Öffentlichkeit gleichsam selbständig Informiertheit und Urteilsfähigkeit bewirke, lenkt von der Gefahr einer Verwirrung durch Uberhäufung mit Information und damit von dem tieferliegenden Problem ab, wie der Bürger und Wähler die für seinen Beitrag zur politischen Willensbildung und für seine Wahlentscheidung notwendige und ausreichende Kenntnis, die „relevante" Information, erhält. Damit t r i t t das Problem der Öffentlichkeit und unmittelbaren Zugänglichkeit zurück gegenüber dem umfassenderen Problem der demokratischen Informationsselektion 346 . Erforderlich ist eine Aufbereitung der Tatsachen und Meinungen durch ordnende Strukturierung und bündelnde Thematisierung 3 4 7 . Aus der Vielzahl der denkbaren Möglichkeiten müssen die realisierbaren Alternativen herauskristallisiert und zu 341

BVerfGE 20, 56, 98, 114. Vgl. auch Steiger (Anm. 340), 730. 343 Dazu oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. 344 Dazu oben, Abschnitt 4 d i n diesem Kap. 345 Vgl. auch Naschold, Organisation u n d Demokratie, 30 („Konfusion"). 348 Vgl. auch Kriele, Demokratisches Prinzip, 52. 347 Dazu Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, 194-198; Jäger, Öffentlichkeit u n d Parlamentarismus, 69 f.; Luhmann, PVS 1970, 2 - 2 8 ; Marcie, Ö f fentlichkeit, 287 f.; Naschold (Anm. 345); Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 87 f. 342

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demokratisch legitimierten Entscheidungen geformt werden 3 4 8 . I m Verhältnis zwischen Parlament und Volk erscheint ein Vorgang nicht schon dann als relevant, wenn es sich um eine Meinungsäußerung oder Erörterung i m Parlament oder von Abgeordneten handelt. Relevanz erhält der Vorgang erst m i t seiner Aufnahme durch eine für den Willensbildungsund Entscheidungsprozeß zwischen Parlament und Volk maßgebliche Abgeordnetengruppe 349 . Eine solche Stellung und Vermittlungsfunktion kommt i m parlamentarischen System des Grundgesetzes, wie die Erörterung der demokratisch legitimierten Wahl und Arbeitsweise des Parlaments gezeigt hat, den Parteifraktionen zu 3 5 0 . A l l e i n die Fraktionen vermögen i m Zusammenwirken m i t ihren Parteien ein sachlich und zeitlich dauerhaftes Programm zu entwickeln und i m parlamentarisch-politischen Prozeß entweder durchzusetzen oder doch als glaubhafte Alternative herauszustellen 3 5 1 . Für den Bürger und Wähler, der seine Zustimmung oder Ablehnung i m politischen Willensbildungsprozeß wegen der allgemein begrenzten Aufnahme- und Verarbeitungskapazität möglichst sach- und zeitökonomisch einsetzen w i l l und muß, steht deshalb die politische Grundeinstellung und allgemeine Ausrichtung der Parteifraktionen i m Vordergrund. Die Haltung des einzelnen Abgeordneten oder die Einzelargumentation zu bestimmten Fragen verliert demgegenüber an Gewicht und Bedeutung 3 5 2 . Die Besonderheit, die das Parlament gegenüber den anderen Verfassungsorganen — insbesondere auch gegenüber der Regierung — heraushebt, nämlich seine Eigenschaft als gemeinsame Plattform der grund348 Staatswillensbildung als Meinungsbildung m i t dem Ergebnis verbindlicher Dezision (Kriele, Demokratisches Prinzip, 56) ; vgl. auch H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 403: „Reduktion von K o m p l e x i t ä t auf v e r w e r t bare Alternativen." 349 Vgl. auch Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems. 390 f. 350 So auch — unter besonderer Hervorhebung der parlamentarischen Opposition — etwa H.-P. Schneider (Anm. 348), 175, 394; Hennis, Bundestagsarbeit, 153, 156, 159; Loewenberg, Parlamentarismus, 460; Oberreuter, Einleitung, 9 f.; Steiger (Anm. 340), 729 f.; vgl. i m übrigen oben, Abschnitt 2 b, 3 b, 4 c in diesem Kap. 351 H i e r i n zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen parlamentarischer Öffentlichkeit u n d demokratischem Legitimationserfordernis; dazu auch Dieterich, F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 98 -101. — Selbstverständlich k o m m t den Parteien u n d Fraktionen kein Monopol i n F o r m einer n u r über sie verlaufenden „Kanalisierung" der öffentl. Meinung zu; vgl. Krüger, Staatslehre, 452. 352 Dennoch besitzt auch der einzelne Abgeordnete einen nicht zu unterschätzenden „Öffentlichkeitsstatus"; dazu Häberle, N J W 1976, 539-542. Deshalb erscheint es fraglich, ob eine fraktionsbemessene Redezeitaufteilung „ v o n Verfassungs wegen" n u r paritätisch zulässig ist, w i e Lipphardt, Die k o n t i n gentierte Debatte, 65, annimmt, oder ob nicht die Proportionalität des Stärkeverhältnisses stets mitberücksichtigt werden muß.

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sätzlichen Befürworter und der grundsätzlichen Gegner der Regierungspolitik 3 5 3 , von Regierungs- und Oppositionsfraktionen, schlägt sich nach alledem „systemkonform" auch i m normativen Verständnis der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen nieder. Diese Öffentlichkeit soll dazu dienen, dem Bürger und Wähler die Voraussetzungen für seine Einflußnahme auf die politische Willensbildung und seine Wahlentscheidung zu verschaffen, indem sie die grundlegenden politischen Standpunkte der Parteifraktionen vermittelt. Dazu erscheint es nicht erforderlich, daß der parlamentarische Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß i n allen Einzelheiten vor der Öffentlichkeit abläuft. Vielmehr kommt es auf den für die politische Willensbildung der Wähler und Bürger bedeutsamen Verfahrensabschnitt an, i n dem die Fraktionsstandpunkte nach fraktionsinterner Aussprache und interfraktioneller Expertenkonfrontation i n den Ausschüssen schon so weit geklärt sind, daß die jeweilige Grundposition erkennbar hervortritt. M i t dem Erreichen der Grundposition ist zwar nicht selten der A b schluß der fraktionellen und — wegen der entsprechenden Mehrheitsverhältnisse — auch der parlamentarischen Willensbildung i m wesentlichen vollzogen, so daß der faktischen Entscheidung i n den Fraktionen und Ausschüssen lediglich die formale Bestätigung i m Plenum folgt. Wegen ihrer Abhängigkeit vom Volk, die sich spätestens i n der nächsten Wahl voll auswirkt, sind die Fraktionen jedoch gezwungen, die parlamentarischen Entscheidungen — wo auch immer sie fallen — vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen oder zu verurteilen 3 5 4 . Der Begründungsabschnitt des parlamentarischen Verfahrens stellt deshalb keinen bloßen „Schaukampf" dar, der als lästige Pflichtübung abgetan oder als undemokratisches Verschleierungsmanöver abgewertet werden darf 3 5 5 . Als zugleich zukunfts- und vergangenheitsorientiert nimmt er i m Gegenteil die Schlüsselstellung i m Gesamtablauf des parlamentarischen Verfahrens und i m Kommunikationsprozeß zwischen Parlament und Volk ein. Er w i r k t meinungsbildend und entscheidungs353 Vgl. auch BVerfGE 10, 4, 12 f. (Bundestag als „ F o r u m für Rede u n d Gegenrede"). 354 Z u m engen Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit, Rechtfertigung u n d demokratischer Legitimierung vgl. insbesondere B ä u m l i n , Kontrolle, 238; Kriele, Demokratisches Prinzip, 52, 61; Hesse, Verfassungsrecht, 61 f.; Steff ani, Parlamentarische Demokratie, 35; auch schon G. Jellinek, Staatslehre, 586. 355 Dazu neigen etwa Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, 188 f.; Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, 244 f.; Agnoli, Die Transformation der Demokratie, 6 3 - 6 5 ; eine eher negative Bewertung auch bei Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 190; vorsichtiger Steiger, Z u r F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 719; w i e hier Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 31 f.; Lohmar, Das Hohe Haus, 91 f.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

bestimmend sowohl auf das nachfolgende Verhalten der Wähler und Bürger i m politischen Willensbildungsprozeß zwischen Volk und Parlament als auch auf das vorangehende Verhalten der Fraktionen i m W i l lensbildungs- und Entscheidungsprozeß des Parlaments 3 5 6 . Vor vollendete Tatsachen, auf deren Zustandekommen er keinen oder nicht den erwünschten Einfluß hat, scheint der Bürger und Wähler nur dann gestellt, wenn man :— ähnlich wie bei der Verkürzung des politischen Willensbildungsprozesses auf die periodisch wiederkehrenden Wahlentscheidungen — den permanenten Kommunikationsprozeß zwischen Parlament und Volk als eine zufällige und unverbundene Aufeinanderfolge isolierter Einzelentscheidungen auffaßt und darüber die ständige Wechselwirkung zwischen den Entscheidungen des Parlaments und dem dazugehörigen tatsächlichen und erwarteten Verhalten der Bürger und Wähler vernachlässigt 357 . Erst die Gegenüberstellung der fraktionell vorgeklärten Grundpositionen mit den dafür und dagegen vorgebrachten Gründen ermöglicht dem Bürger und Wähler eine sachlich und zeitlich zu bewältigende Meinungsbildung, die er i n politisch wirksames Verhalten — durch Unterstützung oder Ablehnung der Fraktionspositionen, insbesondere i n der folgenden Wahl — umsetzen kann. Die näheren Umstände, wie Ort, Zeit und Ausmaß der interfraktionellen Auseinandersetzung vor dem Bürger und Wähler spielen gegenüber dem Erfordernis, daß die Fraktionen ihre Grundpositionen deutlich hervorkehren und gegeneinander abheben, eine geringere Bedeutung. I m Verhältnis zwischen Parlament und Volk, für die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, kommt es nach alledem auf die wesentlichen Gründe an, die von den Fraktionen und ihren Parteien für und gegen die Parlamentsentscheidungen vorgetragen werden. Die Argumentation i n ihren technischen Einzelheiten, die Diskussion i n ihren Feinheiten des Für und Wider w i r d damit weder hinfällig noch für das parlamentarische Verfahren entbehrlich. Sie erst ermöglicht es den Fraktionen, i m internen Kreis und i n der interfraktionellen Expertenkonfrontation i n den Ausschüssen die eigene Grundposition i n einem 356 Eine eindimensionale Ausrichtung des Kommunikationsflusses v o m V o l k zu den Staatsorganen oder auch umgekehrt erscheint weder zulässig noch erstrebenswert; bedenklich deshalb BVerfGE 20, 56, 99, einerseits (differenzierend nunmehr BVerfGE 44, 125, 139 f., 147 f.) u n d Krüger, Staatslehre, 453 f., andererseits. F ü r eine Diskussion des Parlaments vor u n d m i t dem P u b l i k u m : Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 88; Loewenberg, Parlamentarismus, 451 f.; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 381 f.; auch schon Laband, Staatsrecht I, 345 („fortwährende Wechselwirkung"). 357 Wobei der Wettbewerb unter den Parteien u n d die sonstigen Informationsquellen i n einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen, insbesondere über die Presse, eine wesentliche Rolle spielen; vgl. auch Dieterich, F u n k tion der Öffentlichkeit, 96 f.

4. Innere Ordnung des Parlaments und demokratische K o m m u n i k a t i o n

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demokratisch legitimierten Verfahren auf- und auszubauen. Wegen des zeitlichen Aufwands und der technischen Kompliziertheit ist diese zumeist noch tastende Einzelerörterung jedoch nicht auf eine allgemeine Kommunikation hin angelegt, und kann sich deshalb auf parlamentsinterne, nicht-öffentliche Beratungen beschränken. Die Nicht-Öffentlichkeit parlamentarischer Ausschußberatungen unterscheidet sich insofern grundlegend von der Arkanpraxis absolutistischer Zeit und auch von der Nicht-Öffentlichkeit heutiger Regierungsberatungen. Die Ausschüsse setzen sich zunächst wie das Plenum aus Vertretern der Regierungs- und der Oppositionsfraktionen zusammen; darüber hinaus muß das Ergebnis ihrer Arbeit für das Kräfteverhältnis i m Parlament repräsentativ sein, wenn es für die Fraktionen i m Plenum und vor der Öffentlichkeit verwertbar sein soll 3 5 8 ; vor allem aber besteht für die Fraktionen, insbesondere für die Oppositionsfraktion(en) die Möglichkeit, ihnen wichtig erscheinende Fragen und Probleme, wo immer diese i m parlamentarischen Verfahren auftreten, i n das Plenum und vor die Öffentlichkeit zu bringen 3 5 9 . Den Schlußfolgerungen der eingangs aufgeführten Hauptrichtungen zum Problem der Parlamentsöffentlichkeit kann deshalb nicht beigepflichtet werden. Ihre Orientierung an einer Parlamentsöffentlichkeit, die von einer Anteilnahme des Volkes an der gesamten parlamentarischen Auseinandersetzung ausgeht, entspricht nicht den Anforderungen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes an die parlamentarische Aufgabenbewältigung. M i t der Verlagerung parlamentarischer Entscheidungsfindung i n die grundsätzlich nicht-öffentlichen Fraktions- und Ausschußberatungen und der Beschränkung der grundsätzlich öffentlichen Plenarverhandlungen auf eine Darlegung der fraktionellen Grundpositionen zu weitgehend vorgeprägten Entscheidungen hat sich das parlamentarische Verfahren entsprechend den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer innerparlamentarischen Aufgabenteilung entwickelt. Das Neuverständnis parlamentarischer Öffentlichkeit zeigt, daß die grundsätzlich unterschiedene Verfahrensweise von Plenum und Ausschüssen sich ergänzt, nicht ausschließt oder gar widerspricht. Daher ist es weder überzeugend, die Parlamentsöffentlichkeit resignierend als sinnentleert zu bezeichnen, noch erstrebenswert, die Parlamentsverhand358 Dies spricht für eine Beteiligung aller Fraktionen an der Ausschußarbeit u n d darüber hinaus für eine grundsätzliche Zuerkennung des F r a k tionsstatus an alle Parteigruppen i m Parlament; vgl. dazu die Kontroverse zwischen Linck, DÖV 1975, 689 - 694, u n d Dellmann, D Ö V 1976, 153 - 156, m i t Schlußwort von Linck, D Ö V 1976, 156 f.; ferner die Nachweise oben, Anm. 210. 359 Z u r Notwendigkeit, die Öffentlichkeit erst zu schaffen bzw. zu erzwingen, vgl. H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 79, 331, 404; zur Praxis vgl. Schäfer, Der Bundestag, 217.

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I I I . Das Parlament als Verfassungsorgan

lungen reformerisch i n das Plenum zurückzuverlagern oder i n den Ausschüssen allgemein zugänglich zu machen, noch schließlich erforderlich, die faktische Entscheidungstätigkeit der Ausschüsse gleichsam beschwichtigend als nur vorbereitend anzusehen. K r i t i k und Reform sollten sich weniger einseitig auf die Frage der Sitzungsöffentlichkeit richten und mehr dem umfassenden Problem einer ausreichenden Darlegung der grundlegenden Fraktionspositionen zuwenden, die der Öffentlichkeit durch parlamentarische Sitzungen unmittelbar, aber auch etwa durch parlamentarische Ausschußberichte*® 0 mittelbar zugänglich gemacht werden können 8 6 1 . Nach alledem erweist sich auch die differenzierte Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen i n Plenum und Ausschüssen, wie schon die Arbeitsteilung zwischen Plenum und Untergliederungen des Parlaments, als eine der Aufgabenstellung des Parlaments i m modernen Staat des Grundgesetzes entsprechende Ausgestaltung des parlamentarischen Verfahrens, die bei der Zuordnung der Staatsleitung i m Verhältnis von Parlament und Regierung ebenfalls zu berücksichtigen ist.

360 Diese „Erklärungsöffentlichkeit" (so Steiger, Z u r F u n k t i o n der Öffentlichkeit, 716, der aber i m Ergebnis, 731, der Verhandlungsöffentlichkeit den Vorzug gibt) unterscheidet sich von der „Berichtsöffentlichkeit" (vgl. oben, A n m . 314) dadurch, daß der Bericht die Öffentlichkeit herstellt u n d nicht nur vermehrt. m Z u r Berichtspflicht der Ausschüsse vgl. oben, Abschnitt 4 c, A n m . 258, i n diesem Kap. — Vgl. auch BVerfGE 1, 144, 152: „Die Möglichkeiten, die Öffentlichkeit über aktuelle Fragen der Gesetzgebung durch Presse u n d Rundfunk zu unterrichten, sind nahezu unbegrenzt."

Viertes

Kapitel

Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Neben der besonderen verfassungsrechtlichen Struktur des Parlaments, wie sie sich vor allem aus seiner Wahl, seiner Zusammensetzung und seiner inneren Ordnung ergibt, verspricht die besondere verfassungsrechtliche Aufgabenzuordnung an das Parlament weitere Hinweise für eine organadäquate und funktionsgerechte Bestimmung des parlamentarischen Anteils an der Staatsleitung. Dementsprechend sollen nunmehr die Grundsätze herausgearbeitet werden, die für die Zuständigkeit des Parlaments zur Wahrnehmung von Verfassungsaufgaben nach dem Grundgesetz maßgebend sind 1 . Dabei sind zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten der verfassungsrechtlichen Aufgabenzuordnung zu überprüfen. Zum einen könnte dem Parlament aufgrund der Besonderheiten seiner demokratischen Legitimations-, Représentations- und Kommunikationsfunktion, wie sie das vorangegangene Kapitel aufgezeigt hat, eine den anderen Verfassungsorganen, insbesondere der Regierung, überlegene „Parlamentssuprematie" zukommen m i t der möglichen Folge, daß i h m die Staatsleitung allgemein oder zumindest grundsätzlich zusteht (Abschnitt 1). Zum anderen könnten i n der verfassungsrechtlichen Zuordnung einzelner Aufgaben an das Parlament Hinweise für die organadäquate und funktionsgerechte Zuordnung der Verfassungsaufgaben i m allgemeinen und damit auch der Staatsleitung i m besonderen enthalten sein. Als Ansatzpunkt für die Aufdeckung des i n den Einzelzuordnungen verborgenen allgemeinen Zuordnungsschlüssels ließe sich zurückgreifen auf die Unterscheidung zwischen dem Gesetzesbeschluß und dem schlichten Beschluß als den beiden Äußerungsformen des Parlaments (Abschnitt 2) m i t den ihnen zugeordneten Aufgabenbereichen des Parlamentsgesetzes (Abschnitt 3) und des schlichten Parlamentsbeschlusses (Abschnitt 4).

1

a. E.

Z u m Erfordernis dieses Untersuchungsgegenstandes vgl. oben, Kap. I I 5 b,

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

1. Parlamentarischer Aufgabenbereich und Parlamentssuprematie Eine allgemeine oder doch grundsätzliche Zuordnung der Staatsleitung zum Parlament würde schwierige Fragen der Einzelabgrenzung erübrigen oder erheblich erleichtern, weil i n Zweifelsfällen die Zuständigkeit des Parlaments anzunehmen wäre 2 . Für eine solche Zuordnung ließe sich anführen, bei der Staatsleitung handele es sich um den grundlegenden Aufgabenbereich und bei dem Parlament um das demokratisch am unmittelbarsten durch das Volk legitimierte Staatsorgan i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Die Staatsleitung falle deshalb i n den Aufgabenbereich des Parlaments. Diesem gebühre aufgrund der Organsouveränität unter dem Begriff der Parlamentssuprematie der Vorzug gegenüber allen anderen Verfassungsorganen 3 . Damit stellt sich die Frage nach Inhalt und Bedeutung des Begriffs der Souveränität für die Zuordnung von Aufgaben und Organen unter dem Grundgesetz. I m folgenden soll daher — ausgehend von der Souveränitätslehre — zunächst das Verhältnis von Staats- und Organsouveränität sowie die Bedeutung der Organsouveränität i n der demokratischen Verfassungsordnung erörtert werden und daran anschließend die Rangordnung der Staatsorgane unter Berücksichtigung der Einheit der Staatsgewalt und der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung untersucht werden. a) Staatssouveränität

und Organsouveränität

Souveränität ist kein absoluter, a priori festliegender, sondern ein historisch bedingter Begriff 4 . Er dient zur Bezeichnung einer Eigenschaft des Staates und seiner Gewalt (Staatssouveränität), aber auch zur Kennzeichnung einer Eigenschaft des Inhabers dieser Gewalt i m Staat (Organsouveränität) 5 . Als souverän gilt die nach außen gegenüber anderen 2 Zwischen den Begriffen „Zuständigkeit" u n d „Kompetenz", die i m allgemeinen gleichbedeutend verwendet werden, w i r d auch hier nicht näher unterschieden; vgl. i m übrigen Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I I , 14 f. 3 Dafür insbesondere Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 92 - 101 („Das Parlament ist das höchste Staatsorgan; i h m k o m m t die Organsouveränität zu", 99); daran anschließend Hansen, Fachliche Weisung, 61; ferner etwa Achterberg, DVB1. 1974, 696 f. ( „ i n der Demokratie . . . »organsouverän 4 ") ; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 33 A n m . 62 („Verfassungsrechtlich hat jedenfalls das Parlament den Vorrang") ; R. Hoffmann, Haushaltsvollzug u n d Parlament, 32 („Die — zumindest subsidiär — umfassende politische Prärogative l i e g t . . . beim Parlament"); Mußgniug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 354 („Supremat des Parlaments" als „dem tragenden Fundament der Demokratie"). 4 Dagtoglou, Souveränität, 2321; G. Jellinek, Staatslehre, 435 f. 5 Jellinek, ebd., 474; Herzog, Staatslehre, 238 f.; Kewenig, Grenzen der Souveränität, 138; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 23 - 25

1. Aufgabenbereich und Parlamentssuprematie

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Staaten unabhängige und die i m Innern des Staates gegenüber anderen Machtinhabern höchste Gewalt 6 . Die Frage der äußeren Souveränität (Staatssouveränität nach außen), deren Merkmale der Unabhängigkeit infolge der Wandlungen i n den tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen der Staaten von der Independenz zur Interdependenz immer mehr an Aussagekraft verliert, kann hier auf sich beruhen 7 . Die Frage der inneren Souveränität (Staatssouveränität nach innen) betrifft das Verhältnis der Staatsgewalt zu anderen, „gesellschaftlichen" Machtinhabern i m Staat, insbesondere zu den wirtschaftlich-sozialen Verbänden und Interessenträgern, die unter den Bedingungen des modernen Industrie- und Sozialstaats über ihre Einflußnahme auf die Staatsorgane hinaus unmittelbare Teilhabe an der Entscheidungsgewalt i m Staat parallel und konkurrierend zur Gewalt der Staatsorgane zu erlangen beginnen 8 . Dieser Problemkreis kann jedoch ebenfalls ausgeklammert bleiben, w e i l es hier u m das Verhältnis der Staatsorgane untereinander und nicht u m das Verhältnis der Staatsgewalt zu anderen Machtinhabern i m Staat geht. M i t der äußeren und der inneren Staatssouveränität hängt die Frage der Organsouveränität (Inhaberschaft der Staatssouveränität) insofern eng zusammen, als die souveräne Staatsgewalt der Wahrnehmung durch einen bestimmten Inhaber bedarf. Die A n t w o r t gestaltet sich einfach, solange und soweit — wie i m Modell der absoluten Monarchie, auf welche die moderne Souveränitätslehre ihrem Ursprung nach zugeschnitten ist 9 — tatsächlich und auch rechtlich nur eine Person als Inhaber der souveränen Staatsgewalt i n Betracht kommt. Es genügt, die Ansprüche anderer Prätendenten — geschichtlich handelt es sich vor allem u m die K i r che, das Reich und die Stände 10 — auf einen selbständigen A n t e i l an der Staatsmacht auszuschalten. Die Souveränität des Alleinherrschers läßt sich folglich ohne weiteres auf den Ausschluß anderer Machtinhaber von der Staatsgewalt gründen. Alle Staatsgewalt liegt bei dem absoluten Herrscher und w i r d nach seiner freien Entscheidung von i h m i n eigener Person ausgeübt oder zur unselbständigen und jederzeit widerruflichen Ausübung auf andere Personen übertragen 11 . Verfassungsrechtlich bin6

So Jellinek (Anm. 4), 475; vgl. auch von Simson, Souveränität, 220 - 226. Vgl. dazu näher Delbrück, Regionale Zusammenschlüsse, 457-461; ders., Souveränität u n d Nationalstaat, 669 - 675; K e w e n i g (Anm. 5), 138 - 140; Menzel, Das Völkerrecht u n d die politisch-sozialen Grundstrukturen der modernen Welt, 410 - 424. 8 Dazu insbesondere Böckenförde, Der Staat 1976, 457-483; Dichgans, Der Staat 1977, 201 - 214; W. Schmidt, Der Staat 1978, 244 - 271. 9 Grundlegend Bodin, Les Six Livres de la République, insbes. I 8 - 1 0 (122 - 251); vgl. auch Jellinek (Anm. 4), 455; Meyer / Anschütz (Anm. 5), 23 m i t A n m . 6; Quaritsch, Staat u n d Souveränität, 255 - 272. 10 Jellinek (Anm. 4), 440-454; Quaritsch (Anm. 9), 269. 11 Quaritsch (Anm. 9), 266 - 272. 7

il Magiera

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

dende Herrschaftsschranken bestehen weder für den rechtlichen Inhalt noch für die verfahrensmäßige Erledigung der Staatsgeschäfte 12 . Souveräne Staatsgewalt und souveräne Herrschergewalt erscheinen i n der Person des absoluten Monarchen vereint und einzig seinem Gutdünken — sei es von Gottes Gnaden, sei es durch Unterwerfungsvertrag vom Volk — auf Dauer überantwortet. Souveränität i m Staat der absoluten Monarchie ist damit formell gleichbedeutend m i t Herrschaftssouveränität und materiell gleichbedeutend m i t verfassungsrechtlich unbeschränkter Staatsgewalt. Die m i t der Herrschersouveränität bewirkte Identifizierung von Souveränität und Staatsgewalt erweist sich jedoch als unzulänglich 13 , sobald sich gegenüber dem Anspruch des absoluten Monarchen auf Alleinherrschaft Forderungen der Untertanen nach Beteiligung an der Gestaltung der staatlichen Ordnung erheben. Eine echte M i t w i r k u n g i m Sinne eines selbständigen Anteils des Volkes an der Staatsgewalt widerspricht der Vereinigung von souveräner Staats- und Herrschergewalt, die ein Nebeneinander verschieden legitimierter Gewalten i m Staat nicht duldet. Die Wünsche der Untertanen müssen deshalb von dem Monarchen einseitig entweder durch wohlwollendes Nachgeben erfüllt oder durch machtvolle Zurückweisung unterdrückt werden. Lassen sich die Forderungen nach Mitgestaltung auf diese Weise nicht mehr auffangen, so bleibt nur die Ablösung der Alleinherrschaft des Monarchen durch das Volk. Monarchischer und demokratischer Herrschaftsanspruch stehen sich unter dem Dogma der Identität von Staats- und Herrschersouveränität unversöhnlich gegenüber. Die Frage der Souveränität mündet damit unvermeidlich i n die Alternative zwischen Fürstensouveränität und Volkssouveränität 14 . Für den Zustand des tatsächlichen Gleichgewichts zwischen monarchischen und demokratischen Kräften, wie er dem Modell des konstitutionellen Staates zugrunde liegt 1 5 , läßt sich die Identität von Staats- und 12 Etwaige Bindungen an göttliches oder natürliches Recht lagen insofern auf einer anderen Ebene, als es der Souveränitätslehre seit B o d i n v o r allem u m die Befreiung v o n Rechtsregeln irdischer Instanzen ging; vgl. dazu Quaritsch (Anm. 9), 41, 265 f., 383 - 394 (dort auch zur Auflösung der Wahrheitsfrage i n eine Mehrheitsfrage, 392) ; ferner Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, 167 ; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 386 f.; einschränkend Erichsen, G r u n d lagen, 24 - 53, der jedoch f ü r die hier interessierenden „landesrechtlichen B i n dungen" praktisch zum gleichen Ergebnis k o m m t (30 f., 52 f.) ; vgl. auch von Unruh, Subjektiver Rechtsschutz, 1 f. 13 Sie w i r d von Jellinek (Anm. 4), 461, als schwerwiegender Fehler betrachtet; vgl. zum Problem auch Meyer / Anschütz (Anm. 5), 23. 14 Einen — gewundenen u n d letztlich nicht überzeugenden — Versöhnungsversuch (so Heller, Die Souveränität, 70 f.) u n t e r n i m m t insbesondere Hegel, Philosophie des Rechts, § 279. 5 oben, Kap. I I .

1. Aufgabenbereich u n d Parlamentssuprematie

163

Herrschersouveränität nicht aufrechterhalten 16 . Der absolute Monarch geht mit der Konstitution eine rechtliche Bindung gegenüber dem Volk ein. Unabhängig davon, ob diese Bindung als einseitiges Zugeständnis des Monarchen an das Volk oder als zweiseitige Vereinbarung zwischen dem Monarchen und dem Volk aufzufassen ist, erhält das Volk ein selbständiges und vom Monarchen nicht einseitig zurücknehmbares Hecht auf M i t w i r k u n g an der Staatsgestaltung. Die Staatsgewalt w i r d damit zwischen Monarch und Volk aufgeteilt. Darüber helfen auch Konstruktionen nicht hinweg, welche dem Monarchen weiterhin die Inhaberschaft der Staatsgewalt, dem Volk hingegen lediglich eine Beteiligung an deren Ausübung zugestehen wollen 1 7 . Die Souveränität i m Sinne einer verfassungsrechtlich unbegrenzten, höchsten Gewalt liegt deshalb i m konstitutionellen Staat weder beim Monarchen noch beim Volk. Folgerichtig müßte sie als zwischen beiden Kräften geteilt angesehen werden. Dies würde jedoch dem Hauptanliegen der Souveränitätslehre widersprechen, der es gerade auf die Uberwindung des Neben- und Gegeneinanders unterschiedlicher Herrschaftsansprüche und auf die Durchsetzung einer einzigen höchsten Gewalt i m Staat ankommt. Zur Erhaltung dieser Grundlage des Souveränitätsdogmas muß deshalb die Identifizierung von Staats- und Herrschersouveränität aufgegeben werden und eine Trennung zwischen souveräner Staatsgewalt und ihrer Innehabung erfolgen. Von nun an gilt der Staat als selbständige juristische Person und Subjekt der souveränen Staatsgew a l t 1 8 ; Monarch und Volksvertretung gelten lediglich als Organe des Staates, denen die Ausübung der souveränen Staatsgewalt obliegt 1 9 . Als auf den Staat und seine Gewalt beschränkte Eigenschaft bleibt die Souveränität damit dogmatisch widerspruchsfrei ungeteilt. Monarch und Volksvertretung stehen sich nicht mehr unvermittelt, gleichsam vor dem Staat, als faktische Rivalen um die unteilbare Herrschaftssouveränität gegenüber, sondern erscheinen als verfassungsrechtlich gemeinsam gebundene Organe innerhalb der staatlichen Kompetenzordnung. Der dem konstitutionellen Staat zugrunde liegende Legitimationskonflikt läßt sich durch eine solche logisch-juristische Operation allerdings nicht beseitigen 20 . Das Problem der unteilbaren Souveränität w i r d 16

Dazu auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 81. So auch Jesch (Anm. 16), &2 f.; Quaritsch (Anm. 9), 483 - 485; ferner oben, Kap. I I 2 a. 18 Laband, Staatsrecht I, 95 f.; Jellinek (Anm. 4), 552; vgl. dazu auch Heller (Anm. 14), 73. 19 Vgl. Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 271 f. m. w . N., 329 f. m. w. N.; auch Jesch (Anm. 16), 83; Quaritsch (Anm. 9), 471-505; grundlegend A l brecht, Rezension (1837). 20 Vgl. auch Jesch (Anm. 16), 80. 17

11»

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

vielmehr von der allgemeinen Herrscherebene auf die speziellere Organebene abgedrängt. Dort taucht es m i t unverminderter Heftigkeit unter der neuen Bezeichnung der „Organsouveränität" als Frage nach dem höchsten Staatsorgan wieder auf 2 1 . Die Organsouveränität des konstitutionellen Staates unterscheidet sich dennoch nicht unerheblich von der Herrschersouveränität des absoluten Staates. Die Herrschersouveränität ist absolut i m Sinne einer allgemeinen verfassungsrechtlichen Ungebundenheit hinsichtlich des sachlichen Inhalts ebenso wie hinsichtlich der verfahrensmäßigen Erledigung der Staatsangelegenheiten. Die Organsouveränität ist konstitutionell i m Sinne einer grundlegenden verfassungsrechtlichen Bindung der Organkompetenzen. Soweit diese Bindung reicht, verliert der Begriff der Souveränitätseine besondere Bedeutung als Eigenschaft einer unbeschränkten Gewalt. Nur soweit die Verfassung eine Kompetenzregelung nicht — auch nicht hilfsweise — enthält, vermag die Eigenschaft als höchstes Organ i m Staat eine selbständige dogmatische Wirkung zu entfalten. Aufgrund der Organsouveränität fallen dem höchsten Organ alle Kompetenzen zu, welche die Verfassung nicht oder nicht eindeutig einem bestimmten Organ überträgt. Die Organsouveränität erweist sich somit als Kompetenzvermutung zugunsten eines Staatsorgans für verfassungsrechtlich nicht geregelte Fälle 2 2 . Die Maßstäbe zur Ausfüllung der Kompetenzvermutung und zur Feststellung des höchsten Staatsorgans ergeben sich jedoch nicht unmittelbar aus der Verfassung. Zur näheren Bestimmung muß vielmehr auf die Grundlagen der Verfassung zurückgegriffen werden. Diese aber sind für den konstitutionellen Staat, der auf einem Kompromiß zwischen monarchischem und demokratischem Prinzip beruht, umstritten, so daß die Frage der Organsouveränität ebenso unbeantwortet bleiben muß wie die Frage der Herrschersouveränität. Hinter dem Begriff der Organsouveränität verbirgt sich deshalb infolge des ungelösten Legitimationskonflikts i m Gewand der Kompetenzvermutung letztlich ein Uberrest verfassungsrechtlich unbewältigter Staatsgewalt 23 . 21 Vgl. G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 207: „Jeder Staat muß mindestens ein u n m i t t e l b a r selbständiges Organ besitzen. Es k a n n i h m aber auch eine Mehrheit derselben gegeben sein. Alsdann w i r d aber, soll die Staatsordnung nicht i n V e r w i r r u n g stürzen, einem von ihnen der höchste, i m eventuellen Streite der Organe definitiv entscheidende W i l l e zukommen. Dieses einzige oder höchste unmittelbare u n d selbständige Organ des Staates w i r d als das souveräne bezeichnet"; vgl. auch Jesch (Anm. 16), 83; Ossenbühl, V e r w a l tungsvorschriften, 46; Quaritsch (Anm. 9), 502 - 505. — Als weiteres M i t t e l der Problemverdrängung diente der Begriff des „Trägers" der Staatsgewalt; vgl. dazu Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 19 f., 272 f. 22 Jesch (Anm. 16), 88; Quaritsch (Anm. 9), 505. 23 Dies zeigte sich i n aller Deutlichkeit an dem preußischen Budgetkonflikt: „Das Staatsrecht hört hier auf" (so Anschütz, i n : Meyer / Anschütz, Deutsches

1. Aufgabenbereich u n d Parlamentssuprematie

b) Organsouveränität

und demokratischer

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Verfassungsstaat

M i t der endgültigen Uberwindung des monarchischen Prinzips ist die Frage nach der Organsouveränität für den Staat m i t dem allein verbliebenen demokratischen Prinzip nicht verstummt. Gegenüber den Verfassungsgrundlagen des absoluten und des konstitutionellen Staates weist die Verfassungsstruktur des demokratischen Staates Ähnlichkeiten und zugleich Abweichungen auf. Je nachdem, ob und inwieweit die Organsouveränität m i t dem monarchischen Prinzip verbunden ist, eröffnen sich der Einordnung i n die demokratische Verfassungsordnung unterschiedliche Möglichkeiten! Zur Beantwortung der Souveränitätsfrage müssen deshalb die Grundlagen der Verfassungen und ihre Legitimationsvoraussetzungen herangezogen und gegeneinander abgewogen werden. M i t dem Staat der absoluten Monarchie verbindet den demokratischen Staat die monistische Legitimationsgrundlage. K n ü p f t man an dieses Merkmal an, so steht die Souveränität als umfassende Herrschersouveränität allein dem Volk zu, ist Demokratie als absolute Demokratie zu verstehen. Die gesamte Staatsgewalt liegt dann beim Volk und w i r d von i h m selbst i n Vollversammlung ausgeübt oder zur unselbständigen und jederzeit widerruflichen Ausübung auf Volksbeauftragte übertragen 24 . Ob und inwieweit ein solches, an dem Ideal einer radikal-unmittelbaren Demokratie ausgerichtetes absolut-demokratisches Staatsmodell Verwirklichungschancen besitzt oder nicht vielmehr alsbald den Gefahren eines Umschlags i n eine vom Volk losgelöste Minderheits- oder Einzelherrschaft erliegt, bedarf hier keiner weiteren Erörterung 2 5 . Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes nimmt keinen Rückgriff auf das Modell des absoluten Staates, indem sie etwa lediglich das monarchischmonistische gegen das demokratisch-monistische Prinzip austauscht und den Monarchen durch das Volk ersetzt 26 . Das demokratische Prinzip des Grundgesetzes legitimiert keine absolute, nach W i l l k ü r ausgeübte Herrschaft des Volkes oder seiner Beauftragten, sondern eine inhaltlich und verfahrensmäßig durch die Verfassung begründete und geregelte Staatsgewalt. Diese bedarf allerdings einer realen Rückbindung an das V o l k 2 7 ; aber sowohl die Voraussetzungen für die Rückbindung als auch die KomStaatsrecht, 906); dazu Böckenförde, Der deutsche Typ, 128 m. w. N. i n A n m . 56; ferner i m hier interessierenden Zusammenhang insbesondere Boldt, Verfassungskonflikt, 75-102; auch Friauf, Staatshaushaltsplan, 223 - 229, 268 m i t A n m . 96; Quaritsch (Anm. 9), 505. 24 Kritisch dazu Bäumlin, Kontrolle, 207 - 217, 233 - 237; vgl. auch C. Schmitt, Verfassungslehre, 304. 25 Vgl. dazu oben, Kap. I I I 2 a. 26 Vgl. auch Kriele, Staatslehre, 224 - 227. 27 Vgl. oben, Kap. I I I 2 a.

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

petenzen der m i t der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Organe beruhen auf verfassungsrechtlicher Festlegung. Dies gilt auch für das Volk selbst, das — soweit es an der Ausübung von Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen m i t w i r k t — ebenfalls der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung unterliegt 2 8 . Eine Herrschersouveränität i m Sinne eines Vorbehalts oder einer Ermächtigung einer nach Inhalt oder Verfahren verfassungsrechtlich unbeschränkten Ausübung von Staatsgewalt, wie sie dem absoluten Staat zugrunde liegt, kennt das Grundgesetz weder zugunsten des Volkes noch zugunsten eines Staatsorgans. Herrschersouveränität und absoluter Staat bilden eine untrennbare Einheit, aus der sich für die demokratische Verfassungsordnung des Grundgesetzes keine Folgerungen herleiten lassen. Entsprechend dem konstitutionellen Staat besitzt der demokratische Verfassungsstaat verschiedene Organe m i t verfassungsrechtlich bindend festgelegten Kompetenzen. Geht man von dem Vorhandensein mehrerer Staatsorgane aus, so stellt sich auch für die demokratische Verfassungsordnung das Problem der Kompetenzvermutung, wenn eine verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung fehlt oder nicht eindeutig feststellbar ist. Der Begriff der Organsouveränität setzt jedoch nicht nur das Vorhandensein mehrerer Staatsorgane und eine unvollkommene Kompetenzzuweisung voraus. I h m liegt darüber hinaus vor allem der von der Verfassungsordnung des konstitutionellen Staates nicht bewältigte Gegensatz zwischen monarchischem und demokratischem Legitimationsprinzip zugrunde. Diesen Grundkonflikt löst die Organsouveränität nur scheinbar durch eine Kompetenzvermutung auf; i n Wahrheit bleibt die Kompetenzfrage wegen der Unbestimmtheit des höchsten und damit souveränen Staatsorgans jedoch offen und weiterhin der außer verfassungsrechtlichen Machtauseinandersetzung überlassen 29 . A n einem derartigen Grundkonflikt fehlt es i m demokratischen Verfassungsstaat infolge der Überwindung des monarchischen Prinzips. Da nunmehr alle Staatsgewalt demokratisch legitimiert sein muß und rivalisierende Legitimationsansprüche ausgeschlossen sind, lassen sich Kompetenzkonflikte unter den verschiedenen Staatsorganen nicht mehr auf die Alternative zwischen demokratischer und anderweitiger Legitimation zurückführen. M i t dem Wegfall des Wahlerfordernisses zwischen unvereinbaren Legitimationsprinzipien der Verfassung und m i t der Durchsetzung eines einheitlichen Legitimationsprinzips entfällt auch die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Begriffs der Organsouveränität als Ventil und zugleich Einfallstor für eine außerverfassungsrechtliche 28 Vgl. Kriele (Anm. 26), 111 - 116 („ . . . es gibt innerhalb des Verfassungsstaats keinen Souverän", 112). 29 Vgl. oben, Abschnitt 1 a, bei Anm. 23, i n diesem Kap.

. Aufgabenbereich u n d

arlamentssure

167

Machtauseinandersetzung. Die Organsouveränität als begrifflicher Uberrest verfassungsrechtlich unbewältigter Staatsgewalt ist m i t dem zwischen monarchischem und demokratischem Prinzip schwebenden konstitutionellen Staat untrennbar verbunden und auf die allein das demokratische Prinzip zugrunde legende Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht übertragbar.

c) Einheit der Staatsgewalt und Rangordnung der Staatsorgane Verbietet sich somit die Anwendbarkeit der auf den absoluten und den konstitutionellen Staat zugeschnittenen Begriffe der Herrscher- und der Organsouveränität i n der demokratischen Verfassungsordnung des Grundgesetzes, so bleibt doch die Frage, ob sich nicht aus den Anforderungen an den modernen Staat i m allgemeinen ein Bedürfnis nach einem höchsten Staatsorgan ergibt. Der moderne Staat zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er eine einheitliche und i n sich widerspruchsfreie Rechtsordnung gewährleisten soll 3 0 . Bei Vorhandensein mehrerer Staatsorgane besteht demgegenüber die Möglichkeit widersprüchlicher Entscheidungen. U m dieser Gefahr entgegenzuwirken, muß das Verhältnis und Zusammenwirken der Staatsorgane untereinander so gestaltet sein, daß etwaige Widersprüche möglichst ausgeschlossen oder zumindest auflösbar sind. Unter dem Einfluß des Souveränitätsdogmas scheint das Problem nur lösbar, wenn alle Staatsgewalt entweder überhaupt bei nur einer Person bzw. einem Organ liegt oder zwar bei mehreren Organen, von denen aber eines über sämtlichen anderen steht 31 . Hierbei w i r d zunächst stillschweigend vorausgesetzt, daß der Alleinherrscher bzw. das höchste Organ stets einheitlich und widerspruchsfrei entscheidet. Dies muß jedoch keineswegs der Fall sein 32 . Ferner w i r d gegenüber dem Erfordernis der formalen Widerspruchsfreiheit das nicht weniger bedeutsame Erfordernis der inhaltlichen Gerechtigkeit der Verfassungsordnung vernachlässigt. Die unabdingbare Widerspruchsfreiheit muß jedoch ergänzt werden durch Vorkehrungen, die eine Mäßigung und Kontrolle, vor allem eine organisatorisch und verfahrensmäßig gegliederte Ausübung der Staatsgewalt bewirken, damit die verschiedenen Interessen i m staatlichen Regelungsbereich berücksichtigt, abgewogen und miteinander aus30

Vgl. oben, Kap. I I 3 b. F ü r ein höchstes Organ i n jedem Staat etwa G. Jellinek, Staatslehre, 554, nachdem er die Forderung nach einem Organ als „politisch" abqualifiziert h a t ; vgl. auch ders., Gesetz u n d Verordnung, 207 (Zitat oben, A n m . 21). Demgegenüber h ä l t Kelsen, Staatslehre, 307 - 310, sowohl die Forderung nach einem w i e die Forderung nach einem höchsten Organ f ü r eine „politische Entgleisung". 32 Kelsen (Anm. 31), 308. 31

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

geglichen werden 3 3 . Dies w i r d nicht schon durch die einseitige Überlegenheit eines Alleinherrschers oder eines «allen anderen gegenüber vorrangigen Staatsorgans erreicht. Dazu bedarf es vielmehr eines ausgleichenden Nebeneinanders verschiedener Kräfte 3 4 . Schließlich und entscheidend spricht jedoch gegen die These von der angeblichen Untrennbarkeit und gegenseitigen Abhängigkeit einer w i derspruchsfreien Rechtsordnung und der Notwendigkeit eines höchsten Staatsorgans, daß sie i m Ergebnis zu einer Leugnung jeglicher rechtlich bindenden Kompetenzordnung führen muß 3 5 . Unterschiedliche und m i t einander nicht vereinbare Regelungsvorstellungen über verfahrensmäßige Kompetenzen wie über sachinhaltliche Normierungen lassen sich bei einem Vorhandensein mehrerer Staatsorgane auch durch eine noch so sorgfältige Verfassungsgebung nicht ausschließen. W i r d diesem unvermeidbaren Mangel dadurch begegnet, daß i n allen Zweifelsfällen die letzte Entscheidung einem höchsten, allen anderen vorgeordneten Staatsorgan zufällt, so steht die Verfassungsordnung zur Verfügung dieses Organs. Eine solche dispositive Verfassung stellt das Grundgesetz jedoch nicht dar 3 6 . Auch wenn es als Grund- und Rahmenordnung i m geschichtlichen Wandel auf eine i n sich geschlossene, vollendete Systematik verfahrensmäßiger und sachinhaltlicher Einzelregelungen nicht angelegt ist, enthält es doch i n den Grundzügen feste und teilweise sogar unabänderliche Normierungen. Dies zeigt sich deutlich an den Voraussetzungen, die es für seine eigene Änderung und für Notstandslagen aufstellt, für zwei Bereiche also, die gern zum Nachweis des Vorhandenseins oder der Erforderlichkeit eines höchsten Staatsorgans herangezogen werden 3 7 . Die Verfassungsänderung unterliegt einer mehrfachen Sicherung, indem sie verfahrensmäßig die qualifizierte Zustimmung zweier Staatsorgane, des Bundestages und des Bundesrates, voraussetzt (Art. 79 I I GG), inhaltlich bestimmte absolute Schranken nicht überschreiten darf (Art. 79 I I I GG) und darüber hinaus der nachträglichen Überprüfung durch ein drittes Staatsorgan, das Bundesverfassungsgericht, ausgesetzt ist (Art. 33

Oben, Kap. I 6. Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 238; ferner oben, Kap. I I 5 a. 35 Besonders deutlich Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 40: „Der V e r such zur definitiven Beantwortung der Frage nach der obersten Gewalt ist das Kennzeichen des absoluten S t a a t e s . . . i n der Gegenwart vor allem auch des totalitären Staates." Ferner Kriele, Staatslehre, 112: „Die Vorstellung eines Souveräns ist revolutionärer Sprengstoff gegen den Verfassungsstaat." 36 Vgl. auch Kröger, D Ö V 1973, 441 f. 37 So insbesondere v o n Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 100 (Verfassungsänderung), u n d C. Schmitt, Politische Theologie, 11 („Souverän ist, w e r über den Ausnahmezustand entscheidet"); dazu auch Herzog, Staatslehre, 238 - 241; Kriele, Staatslehre, 111 - 116. 34

. Aufgabenbereich und

arlamentssure

169

93 GG). Auch die verfassungsrechtliche Regelung für Notstandsfälle, i n denen die regelmäßigen Staatsorgane nicht oder nicht v o l l funktionsfähig sind, t r i f f t Vorkehrungen, daß die Staatsgewalt nicht einem einzigen Organ zufällt 8 8 . So können i m Gesetzgebungsnotstand nach A r t . 81 GG Gesetze zwar ohne den Bundestag, aber nur i m Zusammenwirken von Bundespräsident, Bundesregierung und Bundesrat ergehen, wobei zusätzlich sachliche und zeitliche Grenzen bestehen. Selbst i m Verteidigungsfall bleibt die Grundstruktur der Gewaltenunterscheidung aufrechterhalten, vor allem die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts (Art. 115 g GG) und des Parlaments, an dessen Stelle zwar der Gemeinsame Ausschuß (Art. 53 a GG) treten kann, der aber als Rumpfparlament das Grundgesetz nicht antasten darf (Art. 115 e GG) und i n dem keine zugleich der Bundesregierung angehörenden Abgeordneten vertreten sein dürfen (Art. 53 a 12 GG) 8 9 . Auch wenn man die Regelung der sog. Notstandsverfassung unberücksichtigt läßt, weil die Argumentation m i t dem Ausnahmezustand für den Normalzustand Bedenken erweckt 40 , ergibt sich allein aus der Regelung der verfassungsändernden als der — neben der verfassungsgebenden — am wenigsten gebundenen Gewalt deutlich die Ablehnung eines höchsten, allen anderen vorrangigen Staatsorgans durch das Grundgesetz. Da eine Verfassungsänderung der gleichberechtigten Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bedarf, diese dabei der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen, das wiederum nur eine Verfassungsänderung verhindern, nicht aber selbst durchsetzen kann 4 1 , läßt sich eine allgemeine Vorrangstellung eines dieser Organe gegenüber den anderen aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht rechtfertigen 42 . d) Kompetenzzuweisung

und

Kompetenzvermutung

Als Verfassungsordnung, die eine demokratische Legitimation aller Staatsgewalt verlangt und eine i m K e r n feste und teilweise unabänderliche Kompetenzordnung normiert, kennt das Grundgesetz nach alledem 38

Vgl. auch Kriele, Staatslehre, 114 f. Dazu Delbrück, i n : Bonner Kommentar, A r t . 53a, Randnr. 3 6 - 4 0 ; A r t . 115 e, Randnr. 55 - 57. 40 Vgl. auch Dagtoglou, Souveränität, 2326 f. 41 Diese Einschränkung vernachlässigt Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit, 19, für den das Bundesverfassungsgericht „ u n t e r den Institutionen der Bundesrepublik die entscheidende Position nach (?) der Bundesregierung (!)" und „die Vorrangstellung" innehat. 42 Vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Denkschrift, JöR 1957,145: „ . . . steht das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich dem Bundestag, dem B u n desrat u n d der Bundesregierung ebenbürtig (!) zur Seite." 39

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

k e i n „ s o u v e r ä n e s " oder „höchstes" Staatsorgan, d e m i m Z w e i f e l die E n t scheidungsgewalt zufällt u n d letztlich die Verfassungsordnung zur Disp o s i t i o n s t e h t 4 3 . E i n e aus d e r O r g a n s o u v e r ä n i t ä t h e r g e l e i t e t e u n d a u f d e n B e g r i f f d e r „ P a r l a m e n t s s u p r e m a t i e " gebrachte a l l g e m e i n e P r ä r o g a t i v e des P a r l a m e n t s gegenüber a l l e n a n d e r e n S t a a t s o r g a n e n e r w e i s t sich deshalb u n t e r d e m G r u n d g e s e t z als u n z u l ä s s i g 4 4 . Sie liefe a u f d i e v e r schleierte B i l d u n g u n d Z u w e i s u n g eines verfassungsrechtlich n i c h t v o r gesehenen Rechtstitels h i n a u s 4 5 . D a m i t e n t f ä l l t auch d i e M ö g l i c h k e i t , d e m P a r l a m e n t a u f g r u n d e i n e r umfassenden V o r r a n g s t e l l u n g d i e S t a a t s l e i t u n g als g r u n d l e g e n d e n A u f g a b e n b e r e i c h a l l g e m e i n oder z u m i n d e s t grundsätzlich zuzuordnen. D i e Z u o r d n u n g v o n P a r l a m e n t u n d S t a a t s l e i t u n g m u ß deshalb a n die B e s o n d e r h e i t e n d e r verfassungsrechtlich b i n d e n d e n K o m p e t e n z o r d n u n g a n k n ü p f e n . D a eine F e s t l e g u n g d u r c h das G r u n d g e s e t z n u r i n d e n G r u n d zügen, n i c h t i n d e n E i n z e l h e i t e n e r f o l g t ist, b e d a r f es zunächst e i n e r A u s d e u t u n g d e r d e n verschiedenen S t a a t s o r g a n e n a u s d r ü c k l i c h z u g e w i e senen K o m p e t e n z e n . U n t e r v e r g l e i c h e n d e r H e r a n z i e h u n g dieser K o m p e t e n z z u w e i s u n g e n müssen sodann die G r u n d s ä t z e u n d R e g e l n h e r a u s 43 So w e i t w i l l anscheinend nicht einmal Jesch gehen, der sich unter dem Grundgesetz w o h l am stärksten für „das Parlament als das höchste Staatsorgan" eingesetzt hat; denn „ w o es u m echte politische Entscheidungen auf Regierungsebene geht, hat die Exekutive eine verfassungsrechtliche H a n d lungskompetenz . . . " (Gesetz u n d Verwaltung, 171). 44 Ebenso i m Ergebnis H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 102 (keine „Kompetenz-Kompetenz des Parlaments"); Kröger, D Ö V 1973, 439, 441 f. („keine umfassende politische Prärogative des Bundestags") ; Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge i m deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 149 f. m i t A n m . 261; Böckenförde, Organisationsgewalt, 81 f., 84 f., 289 m i t A n m . 11; Brunner, Kontrolle, 144; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 26 f.; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 110 f.; von Mangoldt / K l e i n , A r t . 38, Vorbem. I I I 2 c (S. 870f.); Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / S c h o l z , A r t . 38, Randnr. 4; Merk, ZgesStW 1958, 707 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 199, aber auch 201 ; Peters, Die V e r w a l t u n g als eigenständige Staatsgewalt, 12f., 29f.; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 392; Schwan, Zuständigkeitsregelungen, 5 0 - 5 7 ; nunmehr auch BVerfGE 49, 89, 124 f. („Das Grundgesetz spricht dem Parlament nicht einen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen z u . . . Die konkrete Ordnung der Verteilung u n d des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen w i l l , darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus i n F o r m eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen w e r d e n . . . " ) ; anders noch B V e r f G E 34, 52, 59 ( „ N u r das Parlament besitzt die Legitimation zur politischen Leitentscheidung"). — Z u r Gegenansicht, die sich auf das unzureichende A r g u m e n t aus dem Demokratieprinzip (dazu oben, Abschnitt l b i n diesem Kap.) stützt, vgl. die Nachweise oben, A n m . 3. — Auch f ü r Großbritannien, der Heimat der „Parlamentssouveränität", werden i n jüngster Zeit erhebliche Zweifel gegenüber der Parlamentsallmacht angemeldet; vgl. dazu Dike, Public L a w 1976, 283 - 297 („ . . . i f Parliament were to be t r u l y sovereign, i t w o u l d necessarily be above the l a w . . . " , 297). 45

Dazu oben, Kap. I I 5 b.

2. Aufgabenbereich und parlamentarische Beschlußarten

171

gearbeitet werden, die eine Kompetenzbestimmung i n den offengebliebenen oder zweifelhaften Fällen ermöglichen (KompetenzVermutungen). Dieses Verfahren unterscheidet sich insofern von demjenigen unter dem Einfluß des Souveränitätsdogmas, als die nicht zweifelsfrei zugewiesenen Kompetenzen nicht einem einzigen Staatsorgan zufallen, sondern jeweils demjenigen, dessen ausdrücklich zugewiesene Kompetenzen den offengebliebenen oder zweifelhaften am nächsten verwandt erscheinen. Dieses Ergebnis stimmt m i t den Erkenntnissen über die normative Gewaltenteilung überein, wonach das Grundgesetz die verschiedenen Organe und Funktionen einander i n der Weise zuordnet, daß sich die Struktur der Verfassungsorgane, wie sie sich aus dem Verfahren ihrer Besetzung, ihrer Zusammensetzung und ihrer inneren Ordnung ergibt, einerseits sowie Inhalt und Zuschnitt der ihnen übertragenen Verfassungsaufgaben andererseits entsprechen 46 .

2. Parlamentarischer Aufgabenbereich und parlamentarische Beschlußarten Erweist sich demnach der Versuch, die Zuordnung von Parlament und Staatsleitung aus dem allgemeinen Verfassungserfordernis der demokratischen Legitimation des Parlaments herzuleiten, als unergiebig, so bleibt die Möglichkeit, die Zuordnung aus einer Untersuchung der dem Parlament von der Verfassung i m einzelnen zugewiesenen Aufgaben zu klären. Damit stellt sich die Frage, welche besonderen Aufgaben das Grundgesetz dem Parlament, vor allem i m Verhältnis zur Regierung, übertragen hat. Als rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel legt das Grundgesetz die Zuständigkeit der Verfassungsorgane zwar grundsätzlich, aber umfangmäßig nicht i n allen Einzelheiten und auf Dauer nicht völlig unveränderlich fest 47 . Dennoch fordert die Rechtssicherheit als ein tragender Bestandteil umfassender Gerechtigkeit, daß sich die Zuständigkeiten der verschiedenen Organe i m entscheidenden Zeitpunkt ihrer Wahrnehmung sicher und eindeutig feststellen lassen. Die Zuständigkeitsordnung steht der Sachordnung als Garant einer gerechten Verfassungsordnung nicht nach, sondern bildet ihre unentbehrliche Ergänzung. Das Grundgesetz hat den Verfassungsorganen einzelne Zuständigkeiten ausdrücklich zugewiesen, die hier für das Parlament näher untersucht werden sollen. Ziel dabei ist es, neben den einzeln niedergelegten 46 47

Vgl. oben, Kap. I I 5 b. Vgl. dazu oben, Kap. I.

172

IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Zuständigkeiten allgemeine Grundsätze aufzufinden, die eine Zuordnung auch der nicht ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben gestatten. Dieses Verfahren erscheint insofern gerechtfertigt, als das Grundgesetz keine zufällige und dezisionistische Ansammlung materieller Rechtsgrundsätze und formeller Zuständigkeitsregelungen darstellt. Vielmehr soll es eine dauerhafte und i n sich widerspruchsfreie Grundordnung für ein menschen-gerechtes Zusammenleben und Zusammenwirken i n der staatlichen Gemeinschaft gewährleisten. Zuständigkeitsordnung und Sachordnung müssen deshalb auch dem i m Zeitpunkt der Verfassungsgebung nicht erkannten oder erkennbaren Regelungsbedarf genügen. Dies nötigt zu einer Aufdeckung der hinter den ausdrücklichen Einzelfestlegungen verborgenen allgemeinen Grundsätze, ohne welche das Grundgesetz als rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel seinen normativen Auftrag nicht erfüllen könnte und auf Dauer nicht überlebensfähig wäre. U m die Untersuchung auf eine möglichst sichere Verfassungsgrundlage zu stützen, empfiehlt es sich, von den i m Grundgesetz niedergelegten Bestimmungen über die Form der parlamentarischen Aufgabenwahrnehmung auszugehen. Demnach gilt es zunächst festzustellen, wie sich der Gesetzesbeschluß und der schlichte Beschluß als die beiden Äußerungsformen des Parlaments voneinander unterscheiden. Daran anschließend können die der jeweiligen Form zugeordneten Aufgabenbereiche des Parlamentsgesetzes und des schlichten Parlamentsbeschlusses näher bestimmt werden. a) Gesetzesbeschluß und schlichter Beschluß als parlamentarische Äußerungsformen Die Form, i n der das Parlament nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes seine Meinung und seinen Willen als Kollegialorgan erkennbar und verbindlich feststellt, insbesondere seine Entscheidungen trifft, ist der Beschluß 48 . Allgemein heißt es dazu lediglich i n A r t . 42 I I GG, daß zu einem Beschlüsse des Bundestages grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Darüber hinaus enthält die Bestimmung weder eine Aussage über die Zulässigkeit oder die W i r kung der vom Bundestag gefaßten Beschlüsse noch über die Voraussetzungen, unter denen solche Beschlüsse ergehen müssen bzw. nicht ergehen dürfen 4 9 . 48 Z u r Reichsverfassung von 1871 vgl. Laband, Staatsrecht I, 298-309; zur Weimarer Verfassung vgl. zusammenfassend Stier-Somlo, Zuständigkeit des Deutschen Reichstages, 407 - 413; Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 221 236. 49 Demgegenüber w i l l eine verbreitete Ansicht — vgl. etwa von Mangoldt / Klein, A r t . 42, A n m . I V 2 (S. 930); Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog /Scholz,

2. Aufgabenbereich u n d parlamentarische Beschlußarten

173

Nach dem Verfahren des Zustandekommens unterscheidet das Grundgesetz zwei grundlegend verschiedene Arten von Beschlüssen des Bundestages. Zum einen handelt es sich um die — von der Verfassung selbst so bezeichneten — Gesetzesbeschlüsse (vgl. A r t . 77 I I 1, 5 GG), die i n dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren der Gesetzgebung nach A r t . 76 ff. GG ergehen; zum anderen u m die übrigen — i m Schrifttum und i n der Praxis zumeist so genannten — einfachen oder schlichten Parlamentsbeschlüsse 50 , die außerhalb des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens, wenn auch nicht notwendig ohne Bezug auf ein bestimmtes Gesetz 51 , gefaßt werden 5 2 . Die beiden Beschlußarten unterliegen einer unterschiedlichen Behandlung innerhalb des parlamentarischen Verfahrens, das für Gesetzentwürfe regelmäßig drei Beratungen, für andere Vorlagen hingegen regelmäßig nur eine Beratung vorsieht (§ 77 I GOBT). Der Gesetzesbeschluß des Parlaments zeichnet sich ferner dadurch aus, daß er Teil eines Verfahrens ist, an dem neben dem Bundestag von Verfassungs wegen regelmäßig auch die Bundesregierung, der Bundesrat und der Bundespräsident beteiligt sind (Art. 76 ff. GG). Er erstarkt nur dann zu der erstrebten Wirksamkeit als verfassungsmäßiges Gesetz, wenn die Zuständigkeiten der anderen Verfassungsorgane gewahrt werden. Gegen den W i l len des Bundestages können die anderen beteiligten Verfassungsorgane dieses Erstarken allerdings nur dann verhindern, wenn das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf (Art. 78, 1. A l t . GG) oder wenn es nicht „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande (gekommen)" und damit vom Bundespräsidenten nicht auszufertigen und zu verkünden ist (Art. 82 GG). Der schlichte Parlamentsbeschluß hingegen ergeht i n einem Verfahren des Bundestages, an dem die anderen Verfassungsorgane keine Beteiligungsrechte besitzen. Ausnahmsweise kann aber auch der schlichte Parlamentsbeschluß des Antrags oder der Zustimmung eines anderen Verfassungsorgans bedürfen, um die i n der Verfassung vorgesehenen Wirkungen zu entfalten (vgl. etwa A r t . 115 a I I , 115 111, I I 1 GG). A r t . 42, Randnr. 14, aber auch 15; F. Klein, Gemeinsame Entschließung, 110 f. A n m . 14 a. E., der diese Ansicht unzutreffend als i m Fachschrifttum einhellig bezeichnet; auch Hamann / Lenz, A r t . 42, A n m . Β 2 — den sog. Entschließungen des Bundestages die Qualität von Beschlüssen i. S. des A r t . 42 I I G G absprechen; dagegen zutreffend Linck, Einflußnahme des Bundestages, 73; Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse, 15 f.; vgl. auch BVerfGE 2,143,161. 50 Z u r Terminologie vgl. K l e i n (Anm. 49), 110 f.; ferner von Mangoldt / Klein, A r t . 42, A n m . I V 2 (S. 929 f.); Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, 15; Criegee, Ersuchen des Parlaments, 6 - 1 0 ; Obermeier (Anm. 49), 1 - 3 ; Thoma (Anm. 48), 221. 51 Vgl. die Entschließungen zu Gesetzen oder zu Teilen des Haushaltsplans nach § 89 GOBT. 52 Z u dieser grundlegenden Unterscheidung schon Thoma (Anm. 48), 221; ferner K l e i n (Anm. 49), 111 f. m. w. N.

174

I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

b) Erfordernis

einer inhaltlichen

Abgrenzung der Beschlußarten

Soll es nicht zu einem unzulässigen Formenmißbrauch kommen 5 8 , so muß der formellen eine inhaltliche Unterscheidung der beiden Arten von Parlamentsbeschlüssen entsprechen. Dafür spricht zum einen das unterschiedliche innerparlamentarische Verfahren für die einzelnen Beschlußvorlagen, auch wenn es nur für den Regelfall gilt und nur i n der Geschäftsordnung des Bundestages niedergelegt ist 5 4 , zum anderen und vor allem aber der unterschiedliche Kreis der beteiligten Verfassungsorgane. Stände es dem Bundestag frei, bei Wahrnehmung der i h m obliegenden Aufgaben jeweils zwischen den Formen des Gesetzesbeschlusses und des schlichten Beschlusses zu wählen, so hätte er es i n der Hand, über die Beteiligungsrechte anderer Verfassungsorgane und damit über deren verfassungsrechtlich gewährleisteten Zuständigkeiten zu bestimmen. Dies wäre jedenfalls dann unzulässig, wenn eine dem Gesetzgebungsverfahren vorbehaltene Materie durch schlichten Parlamentsbeschluß erledigt und dadurch das Beteiligungsrecht der anderen Verfassungsorgane umgangen würde. Aber auch die Erledigung einer dem schlichten Parlamentsbeschluß vorbehaltenen Materie durch Gesetz wäre nicht unbedenklich, weil der Bundestag die i h m verfassungsrechtlich eingeräumte Entscheidungsfreiheit möglicherweise unzulässig selbst beschränken würde. Darüber wie sich die beiden Beschlußarten inhaltlich unterscheiden, welche sachlichen Materien also durch Gesetzesbeschluß und welche durch schlichten Beschluß des Parlaments wahrzunehmen sind, findet sich i m Grundgesetz — jedenfalls ausdrücklich — keine allgemeine Bestimmung. Deshalb ist es erforderlich, die Verfassung daraufhin zu untersuchen, welche Materien sie dem Parlament i m einzelnen zur Erledigung durch Gesetzesbeschluß oder durch schlichten Beschluß übertragen hat, um auf diese Weise entsprechend dem hier verfolgten Ziel zu einer übergreifenden und allgemeingültigen Erkenntnis zu gelangen.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes a) Zur Bezeichnung

„Parlamentsgesetz"

Nach den i n Abschnitt V I I des Grundgesetzes niedergelegten Verfahrensvorschriften der A r t . 76 ff. kommt ein „Gesetz" zustande, wenn es vom Bundestag beschlossen ist und die Beteiligungsrechte des Bundesra53 54

Dazu allgemein Pestalozza, „Formenmißbrauch" des Staates (1973). Vgl. auch Jekewitz, Der Staat 1976, 537 - 552.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

175

tes gewahrt sind (Art. 78), und treten die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen „Gesetze" i n Kraft, wenn sie vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung — durch den Bundeskanzler oder den zuständigen Bundesminister (Art. 58 S. 1) — ausgefertigt und i m Bundesgesetzblatt verkündet sind (Art. 82). Das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren erfordert somit stets einen Gesetzesbeschluß des Parlaments, wenn auch dieser allein für das Zustandekommen und Inkrafttreten eines Gesetzes nicht ausreicht. Die den schlichten Begriff „Gesetz" erläuternde Bezeichnung „Parlamentsgesetz", die das Grundgesetz selbst nicht verwendet, bedeutet somit keine Gleichsetzung von Parlament und Gesetzgeber. Sie rechtfertigt sich aber aufgrund der unentbehrlichen und maßgeblichen M i t w i r k u n g des Parlaments am verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahren 5 5 und erscheint vor allem deshalb erforderlich, weil dem einfachen Begriff „Gesetz" i n der deutschen 56 Verfassungsrechtsdogmatik eine unterschiedliche Bedeutung beigelegt w i r d 5 7 , die auch i m Text des Grundgesetzes anklingt 5 8 . Das Wort „Gesetz" kommt selbständig oder i n Zusammensetzungen etwa 300mal i m Grundgesetz vor 5 9 . Neben dem zumeist verwendeten einfachen Ausdruck „Gesetz" (z. B. A r t . 2 I I , 3 I, 20 I I I , 25 S. 2, 28 II, 56, 78, 80 I, 82, 97 I, 100 I, 113 I) und seinen Abwandlungen durch inhaltlich erläuternde Zusätze, wie „allgemeines Gesetz" (Art. 5 II), „allgemeines Strafgesetz" (Art. 103 III), „Haushaltsgesetz" (Art. 110 I I 1) oder auch „Bundesgesetz" (z. B. A r t . 4 I I I 2, 21 I I I , 38 I I I , 80 II, 83, 115 1 III) findet sich an zwei Stellen das Erfordernis der „Form" eines Gesetzes (Art. 59 I I 1) bzw. eines „förmlichen" Gesetzes (Art. 10411). Da die Verfassung eine i n sich widerspruchsfreie Rechtsordnung gewährleisten soll, darf erwartet werden, daß die i n ihr verwendeten Begriffe grundsätzlich eine einheitliche Bedeutung besitzen 60 . Bei Zugrundeliegen eines einheitlichen Gesetzesbegriffs müßten alle Gesetze i m Sinne des Grundgesetzes i m „förmlichen" Gesetzgebungsverfahren gemäß A r t . 76 ff. und damit i n der „Form" eines Gesetzes ergehen. Das ausdrückliche Erfordernis der „Form" eines Gesetzes bzw. eines „förmlichen" Gesetzes — anstatt einfach eines „Gesetzes" — i n den A r t . 59 und 104 GG muß deshalb entweder als unbeachtlicher tautologischer Zusatz, etwa zur feierlichen Hervorhebung, oder aber als Hinweis darauf verstanden werden, daß die 55

Dazu näher unten, Abschnitt 3 b i n diesem Kap. Dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, 61 m i t A n m . 2; Vogel, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 149. 57 Dazu näher unten, Abschnitt 3 d i n diesem Kap. 58 Vgl. auch BVerfGE 1, 184, 189. 59 Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 17; Starck, Gesetzesbegriff, 21. 80 Vgl. oben, Kap. I 5. 58

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IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Verfassung nicht einen einheitlichen, sondern zwei verschiedene Gesetzesbegriffe enthält — einen formell durch die A r t des Zustandekommens und einen auf andere Weise, nämlich materiell durch den Inhalt des Gesetzes bestimmten. Ob dem Grundgesetz ein einheitlicher oder ein doppelter (gespaltener) Gesetzesbegriff zugrunde liegt, gehört trotz oder gerade wegen dieser knappen Andeutungen i m Verfassungstext zu den umstrittensten dogmatischen und wegen der damit verbundenen Kompetenzproblematik zugleich zu den wichtigsten praktischen Fragen des gegenwärtigen Verfassungsrechts 61 . Angesichts des ungelösten Streitstandes bietet die Bezeichnung „Parlamentsgesetz" gegenüber dem herkömmlichen Begriff des „formellen" (oder „förmlichen") Gesetzes, unter dem jeder i m verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommene W i l lensakt der Gesetzgebungsorgane ohne Rücksicht auf seinen Inhalt verstanden w i r d 6 2 , mehrere Vorteile. Zunächst hebt die Bezeichnung den Unterschied des Parlamentsgesetzes zum schlichten Parlamentsbeschluß und zum Gesetzesbeschluß des Parlaments deutlich hervor, weist aber auch auf den Zusammenhang zwischen allen drei Begriffen hin. Weiter steht sie — anders als der Ausdruck „formelles" Gesetz — nicht schon von der Terminologie her i n einem Gegensatz zum „materiellen" Gesetz und damit von vornherein auf einer der beiden Seiten der seit mehr als einem Jahrhundert währenden Auseinandersetzung u m den doppelten Gesetzesbegriff 68 . Schließlich und vor allem verleitet sie nicht wie der Ausdruck „formelles" Gesetz zu dem möglichen Kurzschluß, bei dem verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahren handle es sich um eine „bloße" Form, die für den Inhalt keinerlei Bedeutung besitze 64 . Vielmehr hält sie die Frage offen, ob das Parlamentsgesetz lediglich eine Form ohne Rücksicht auf den I n halt darstellt oder nicht doch mehr umfaßt. 61 Vgl. insbesondere Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz (1976) ; Hansen, Fachliche Weisung (1971); Starck, Gesetzesbegriff (1970); Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes (1969) ; Vogel / Herzog, Gesetzgeber u n d V e r w a l t u n g (1966) ; Rupp, Grundfragen (1965); K . Huber, Maßnahmegesetz (1963); Zeidler, Maßnahmegesetz (1961); Jesch, Gesetz u n d V e r w a l t u n g (1961); Böckenförde, Gesetz (1958); H. W. Kopp, I n h a l t u n d F o r m der Gesetze (1958); Menger / Wehrhahn, Das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme (1957). 62 Vgl. W o l f f / B a c h o f , Verwaltungsrecht I, 120; von Mangoldt / Klein, A r t . 70, Vorbem. I I 3 a (S. 1335); Maunz, i n : Maunz J D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 124; Starck, Gesetzesbegriff, 21; B V e r f G E 14, 174, 186f.; Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 126 f.; mißverständlich Jesch, Gesetz u n d V e r waltung, 9: „jeder Parlamentsakt i n Gesetzesform"; vgl. i m übrigen unten, Abschnitt 3 d bb i n diesem Kap. 63 Grundlegend, w e n n auch nicht ohne Vorläufer, Laband, Budgetrecht (1871); zur E n t w i c k l u n g vgl. vorläufig Böckenförde (Anm. 61), 226 - 329; Kopp (Anm. 61), 12 - 139; weitere Einzelheiten unten, Abschnitt 3 d i n diesem Kap. 64 Vgl. dazu unten, Abschnitt 3 d cc, bei A n m . 204, i n diesem Kap.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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Der vorliegenden Untersuchung geht es allerdings nicht um den Gesetzesbegriff als solchen, sondern lediglich um seine Bedeutung für den Bereich der Parlamentsaufgaben, letztlich für die Beteiligung des Parlaments an der Staatsleitung. Nur insoweit erfordern deshalb die umfangreichen Probleme, die der Gesetzesbegriff wegen seiner Schlüsselstellung i n der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung trotz zahlreicher sorgfältiger Untersuchungen immer wieder von neuem aufgibt, i n diesem Zusammenhang eine eingehendere Erörterung. b) Eingrenzung durch die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens im Grundgesetz Wegen der Doppeldeutigkeit des Gesetzesbegriffs i n der Verfassungsrechtsdogmatik und auch i m Verfassungstext läßt sich der Inhalt und damit der Bereich des Parlamentsgesetzes nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz ablesen. Soll die Bestimmung dennoch dem geltenden Verfassungsrecht und nicht nur einem verfassungstheoretischen Idealbild entsprechen, so müssen für sie zumindest konkretisierbare Anhaltspunkte i m Grundgesetz selbst gefunden werden. Diesem Anspruch vermag eine Herleitung des Gesetzesinhalts unmittelbar aus der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung oder aus den allgemeinen Verfassungsprinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats oder des Sozialstaats nicht zu genügen. Die verfassungsgeschichtliche Betrachtung, selbst wenn sie zu einem — angesichts der bewegten deutschen Entwicklung kaum zu erwartenden 6 5 — eindeutigen Ergebnis führte, ließe immer noch die nicht minder wichtige Frage offen, ob das Ergebnis Eingang i n das Grundgesetz gefunden hat 6 6 . Die allgemeinen Verfassungsprinzipien bedürfen von ihrer Anlage her selbst der Ausdeutung und Aufbereitung durch speziellere Verfassungssätze, so daß sie — jedenfalls unmittelbar — eine Konkretisierung ähnlich weiter anderer Begriffe, wie des Gesetzes, nicht zulassen 67 . Dementsprechend muß von konkreteren Anhaltspunkten i n der Verfassung ausgegangen werden. Als ein solcher bietet sich zunächst das Gesetzgebungsverfahren an, das aufgrund seines verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Ablaufs und Beteiligtenkreises Hinweise für den I n halt des Parlamentsgesetzes enthalten könnte. Damit ließe sich die A b grenzung des Bereichs des Parlamentsgesetzes auf eine zuverlässige und überzeugende Grundlage i n der Verfassung selbst stützen 68 . 85 86 87 88

Vgl. dazu oben, Kap. I I 2; ferner die oben, A n m . 61, Genannten. Vgl. oben, Kap. I I 1 a, bei A n m . 7. Dazu oben, Kap. I 1. Z u m Zusammenhang zwischen Verfahren u n d I n h a l t des Gesetzes vgl.

12 M a g i e r a

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Das i n den A r t . 76 ff. geregelte Gesetzgebungsverfahren nimmt seinen Ausgang 69 bei der Gesetzesinitiative, die neben den Mitgliedern des Bundestages (in Fraktionsstärke, § 97 GOBT) 7 0 auch der Bundesregierung und dem Bundesrat zusteht (Art. 76 I GG). Somit können die politischen und fachlichen Besonderheiten dieser Verfassungsorgane unmittelbar und als geschlossene Vorlage 7 1 i n den Gesetzgebungsprozeß einfließen 72 . Entsprechend dem Grundsatz der Offenheit der Verfassung 73 ist das Gesetzgebungsverfahren dadurch möglichst unterschiedlichen Anregungen erschlossen, so daß aus breit gestreuten Quellen und Vorstellungen ausgewählt und der Hegelungsbedarf befriedigt werden kann. Insofern erscheint das Initiativrecht aller drei Verfassungsorgane 74 als rechtlich gleichrangig und sachlich gleichwertig 7 5 . I n der Verfassungswirklichkeit bleibt das Initiativrecht aus der Mitte des Bundestages, gemessen an der Zahl der Gesetzesvorlagen, gegenüber demjenigen der Regierung allerdings erheblich zurück 76 . Da die parlamentarischen Gesetzesvorlagen zudem hauptsächlich von der Opposition stammen, ist ihnen auch seltener Erfolg beschieden als den Vorlagen der Regierung, die i m allgemeinen die Billigung der Parlamentsmehrheit finden. Die dadurch bewirkte faktische Vorrangstellung der Regierung scheint das gleichrangige und gleichwertige Initiativrecht des Parlaments zu gefährden, wenn nicht gar zu beseitigen. Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit bedeuten jedoch nicht, daß die beteiligten Verfassungsorgane i h r Initiativrecht auf die gleiche A r t und Weise ausüben müssen. Ein solches Verlangen nach Gleichartigkeit der Gesetzesinitiativen würde die unterschiedliche Zusammensetzung, A r beitskapazität und Verfahrensweise der Verfassungsorgane unberücksichtigt lassen und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der funktionsStarck, Gesetzesbegriff, 157 - 175; Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 278 - 291; auch schon Haenel, Gesetz, 158 f.; neuestens Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung, 173 - 188. 69 Z u den Vorstufen, insbesondere der Erarbeitung der Gesetzesentwürfe, vgl. Kloepfer, V o r w i r k u n g von Gesetzen, 12-19. 70 Vgl. auch BVerfGE 1, 144, 153. 71 Dazu von Mangoldt / Klein, A r t . 76, A n m . I I I 1 c (S, 1718). 72 „Das Initiativrecht hat zum Inhalt, daß das Gesetzgebungsorgan sich m i t dem Gesetzesvorschlag beschäftigt, d. h. darüber berät u n d beschließt" (BVerfGE 1, 144 = Leitsatz 3 b, 153; 2, 143, 173). 73 Dazu oben, Kap. I 6. 74 Dem Bundestag steht das Initiativrecht allerdings nicht „als solchem" zu; vgl. dazu BVerfGE 1, 144, 153; v o n Mangoldt / Klein, A r t . 76, A n m . I I I 2 b (S. 1722 f.), V 1 v o r a (S. 1735). 75 Vgl. auch BVerfGE 1, 144, 161. 76 Vgl. zuletzt die Aufstellung bei P. Schindler, Z P a r l 1977, 144 f., 149; ferner etwa von Mangoldt / K l e i n , A r t . 76, A n m . I I I 2 e (S. 1725), V 7 (S. 1737 f.) m. w. N.; Quick, Wissenschaftliche Beratung, 42 - 44 m. w . Ν .

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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gerechten und organadäquaten Aufgabenteilung widersprechen 77 . Diese gebietet eine gegenseitige Ergänzung und nicht eine leerlaufende Verdoppelung der Zuständigkeitswahrnehmung von Parlament und Regierung. Entscheidend kann nicht sein, daß das Parlament der Regierung nacheifert, um aus sich heraus ebenso geschlossene und i n den Einzelheiten ausgefeilte Gesetzentwürfe zu erarbeiten wie die ganz anders ausgestattete Ministerialbürokratie, oder daß umgekehrt die Regierung sich auf die Vorlage unfertiger Gesetzespläne beschränkt, um das Parlament nicht i n einen Annahmezwang zu bringen. Eine solche Alternative zwischen angeblich gleichartigen Gesetzesvorlagen von Parlament und Regierung erweist sich als eine unzulässige Verengung des Problems der Gesetzesinitiative. Ausschlaggebend muß vielmehr sein, daß jedes der mit der Gesetzesinitiative betrauten Organe sich entsprechend seiner verfassungsgeprägten, eigen-artigen Zusammensetzung, Arbeitskapazität und Verfahrensweise entfaltet und den i h m danach gebührenden Einfluß ausübt. Das setzt ein sich ergänzendes Zusammenwirken und Ineinandergreifen, nicht eine unverbundene Parallelarbeit oder gar ein Gegeneinander von Parlament und Regierung i m Stadium der Gesetzesinitiative voraus. Das Initiativrecht der Bundesregierung und der i m Bundesrat vertretenen Landesregierungen stellt deshalb nicht lediglich einen vielleicht bedauerlichen Uberrest aus einer vergangenen Verfassungsepoche dar, als die Gesetzesinitiative noch bei der monarchischen Exekutive monopolisiert war 7 8 . Der weitere Gang des Gesetzgebungsverfahrens steht ebenfalls i m Zeichen des Zusammenwirkens der wichtigsten Verfassungsorgane. Vorlagen der Bundesregierung sind vor ihrer Einbringung beim Bundestag regelmäßig 79 zunächst dem Bundesrat zuzuleiten, der zu ihnen Stellung nehmen kann (Art. 76 I I GG); Vorlagen des Bundesrates sind dem Bundestag durch die Bundesregierung zuzuleiten, die hierbei ihre Auffassung darzulegen hat (Art. 76 I I I GG). Nach ihrer Annahme durch den Bundestag sind die Gesetze unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten (Art. 77 I GG). Stimmt dieser zu, so kommt das Gesetz zustande; andernfalls kann ein Vermittlungsverfahren durchgeführt werden; bringt dieses keine Einigung, so kann der Bundestag den Bundesrat bei Einspruchs-, nicht jedoch bei Zustimmungsgesetzen überstimmen (Art. 77 I I - IV, 78 GG). 77

Dazu oben, Kap. I I 5 b. Dazu Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 659 f. 79 Der E n t w u r f des Haushaltsgesetzes w i r d Bundestag u n d Bundesrat gleichzeitig zugeleitet; vgL A r t . 110 I I I GG i n der Fassung des 20. Änderungsgesetzes v o m 12. 5.1969, B G B l . I 357. 78

12*

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Während der Gesetzesberatungen können der Bundestag und seine Ausschüsse die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen (Art. 43 I GG); die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse Z u t r i t t ; sie müssen jederzeit 8 0 gehört werden (Art. 43 I I GG). Die Mitglieder der Bundesregierung haben ferner das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse teilzunehmen; sie müssen jederzeit gehört werden; der Bundesrat ist von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten (Art. 53 GG). Nach ihrem Durchgang durch Bundestag und Bundesrat werden die Gesetze vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung — durch den Bundeskanzler oder 8 1 den zuständigen Bundesminister (Art. 58 S. 1 GG) — ausgefertigt und i m Bundesgesetzblatt verkündet, sofern sie nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen sind (Art. 82 I 1 GG). Auch das abschließende Stadium 8 2 des GesetzgebungsVerfahrens erschöpft sich somit nicht i n einer formellen Ausführungshandlung der Bestätigung des Gesetzestextes und seiner Verlautbarung nach außen. Es stellt vielmehr einen eigenständigen, über eine formell- und materiellrechtliche Prüfungszuständigkeit des Bundespräsidenten und der gegenzeichnenden Regierungsmitglieder m i t dem übrigen Verfahren verbundenen Abschnitt dar 8 3 . Ebensowenig wie ihr Recht zur Gesetzesinitiative darf deshalb die Einbeziehung der Regierung i n die Schlußphase des Gesetzgebungsverfahrens als ein systemwidriges „Überbleibsel" — gleichsam i n Fortführung der monarchischen Gesetzessanktion 84 — aus der konstitutionellen Verfassungsepoche aufgefaßt werden 8 5 . Der durch die vielseitigen verfahrensrechtlichen Verknüpfungen der regelmäßig beteiligten Verfassungsorgane bewirkte Kooperations- und 80

Z u m Mißbrauchsverbot als Schranke vgl. BVerfGE 10, 4, 18. Vgl. auch § 29 I 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (abgedruckt z.B. bei L e c h n e r / H ü l s h o f f , Parlament u n d Regierung, 355), wo das „oder" verschärfend durch „ u n d " ersetzt ist. I m Zweifel gibt allerdings die Verfassungsbestimmung den Ausschlag; vgl. dazu Hallier, AöR 1960, 401. 82 Z u r Verkündung als „integrierender" bzw. „wesentlicher" Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens vgl. BVerfGE 7, 330, 337; 16, 6, 17; auch von M a n goldt / Klein, A r t . 82, A n m . I I 3 (S. 2028). 83 Einzelheiten zu dieser rechtlichen, nicht politischen, Prüfungszuständigkeit m i t zahlreichen Nachweisen — auch zur entgegenstehenden Mindermeinung — vgl. bei von Mangoldt / Klein, A r t . 82, A n m . I I I 2 (S. 2029 f.), I I I 5 d (S. 2034 f.) (betr. Regierungsmitglieder); A n m . I I I 7 (S. 2037 - 2044) (betr. B u n despräsidenten). 84 Dazu insbesondere Laband, Staatsrecht I I , 4 - 9 ; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 312 - 341; ferner Pieroth, Der Staat 1977, 557 - 567. 85 So aber Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 71 (Leitsatz I I 9); ferner Ellwein, Regierungssystem, 268. 81

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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Kontrolleffekt w i r d dadurch verstärkt und abgerundet, daß auch das Bundesverfassungsgericht — allerdings nur auf Antrag — i n das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden kann. Die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2, 100 I 1 GG) beschränkt sich zwar grundsätzlich auf schon verkündete Gesetze 86 ; allein die Möglichkeit der späteren Überprüfung — etwa auch i m Rahmen einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4 a, b GG) — kann jedoch mittelbar auf das Gesetzgebungsverfahren „ v o r w i r k e n " 8 7 . Unmittelbar kann das Bundesverfassungsgericht auf den Gesetzgeber einwirken, wenn es bei Organstreitigkeiten — auch schon vor Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens — über den Umfang der Rechte und Pflichten der beteiligten Verfassungsorgane angerufen w i r d (Art. 931 Nr. 1 GG) 8 8 . Dem knappen Uberblick lassen sich zusammenfassend wesentliche A n haltspunkte für die Bestimmung des Bereichs des Parlamentsgesetzes entnehmen, ohne daß weitere Einzelheiten des Gesetzgebungsverfahrens herangezogen werden müßten. Nach dem Kreis der an i h m beteiligten Verfassungsorgane wie nach seinem Ablauf stellt das Gesetzgebungsverfahren das aufwendigste Verfahren der Staatswillensbildung innerhalb der Verfassungsordnung des Grundgesetzes dar. Neben dem Bundestag sind an i h m mit dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Bundespräsidenten und dem Bundesverfassungsgericht alle wichtigen Verfassungsorgane beteiligt. Unter ihnen nimmt der Bundestag zwar insofern die hervorragende Stellung ein, als sein Gesetzesbeschluß stets 89 unentbehrlich und — bis auf die der Zustimmung des Bundesrates bedürftigen oder den Vorschriften des Grundgesetzes nicht entsprechenden Gesetze — allein entscheidend ist. Aber auch soweit die anderen Verfassungsorgane den Bundestag an der Durchsetzung seines Gesetzgebungswillens nicht hindern können, darf weder der normative Auftrag der ihnen verfassungsrechtlich eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse übersehen noch das damit verbundene faktische Gewicht unterschätzt werden. Erst das verfassungsrechtlich gebotene und tatsächlich erfolgende Zusammenwirken der verschiedenen Verfassungsorgane macht das förmliche Gesetzgebungsverfahren i n seiner Gesamtheit aus. Seine Gleichsetzung 86 Vgl. Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / Scholz, A r t . 93, Randnr. 20, A r t . 100, Randnr. 8. Eine Ausnahme i m Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nach A r t . 93 I Nr. 2 GG g i l t für die sog. Vertragsgesetze i. S. von A r t . 59 I I GG; dazu grundlegend B V e r f G E 1, 396, 410, 413; kritisch Söhn, Die abstrakte N o r menkontrolle, 314 f. m. w . N. 87 Z u V o r w i r k u n g e n auf den Gesetzgeber i m allgemeinen vgl. Kloepfer, V o r w i r k u n g von Gesetzen, 36 f. 88 Maunz (Anm. 86), A r t . 93, Randnr. 15; weitere Einzelheiten bei Lorenz, Der Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht, 225 - 259. 89 Die Ausnahmesituation des Gesetzgebungsnotstands (Art. 81 GG) u n d der Notstandsgesetzgebung (Art. 115 e GG) können hier außer Betracht bleiben.

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

mit dem Gesetzesbeschluß des Parlaments wäre für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes eine ebenso unzulässige Verkürzung, wie es die Gleichsetzung des Gesetzes m i t dem Gesetzesbefehl des Monarchen für die konstitutionelle Monarchie w a r 9 0 . Die hohen Anforderungen, die das Grundgesetz an das Gesetzgebungsverfahren stellt, deuten darauf hin, daß den i n diesem Verfahren ergehenden Regelungen eine besondere Bedeutung zukommt. Als rechtliche Grundordnung i m geschichtlichen Wandel vermittelt das Grundgesetz selbst nur eine ausfüllungs- und entwicklungsbedürftige Rahmenordnung für das menschliche Zusammenleben i m Staat. Die ständig erforderlichen Ergänzungen müssen, soll der menschlichen W i l l k ü r w i r k sam vorgebeugt werden, i n dem von der Verfassung vorgesehenen offenen und gegliederten Verfahren erfolgen 01 . Unterscheidet das Grundgesetz dabei zwischen mehr und weniger aufwendigen Verfahrensarten, so erscheint es folgerichtig, wenn — mangels entgegenstehender Anhaltspunkte — die bedeutsamen Regelungen i n dem aufwendigsten Verfahren, die weniger bedeutsamen Regelungen hingegen i n den weniger aufwendigen Verfahren zustande kommen. Dementsprechend ergibt sich eine Proportionalität zwischen der Aufwendigkeit des Erzeugungsverfahrens und der Bedeutsamkeit des Regelungsgegenstandes. Das Gesetzgebungsverfahren als das aufwendigste Erzeugungsverfahren des Grundgesetzes umfaßt danach den Bereich der bedeutsamen Regelungen i m Rahmen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes 92 . Es bleibt zu prüfen, ob die aus dem Gesetzgebungsverfahren gewonnene Erkenntnis i n den Bestimmungen des Grundgesetzes, die eine gesetzliche Regelung vorsehen, ihre Bestätigung findet und dadurch gefestigt werden kann. c) Eingrenzung durch den Inhalt der Gesetzgebungsmaterien im Grundgesetz Das Grundgesetz verweist i n zahlreichen Bestimmungen ausdrücklich auf eine nähere Regelung durch Gesetz, so daß sich die Frage stellt, ob und inwieweit sich daraus weitere Aufschlüsse über den Inhalt und Bereich des Parlamentsgesetzes ergeben. 00 Vgl. insbesondere Laband, Staatsrecht I I , 4 - 9 : „Das Hoheitsrecht des Staates oder die Staatsgewalt k o m m t nicht i n der Herstellung des Gesetzesinhaltes, sondern n u r i n der Sanktion des Gesetzes zur Geltung; die Sanktion allein ist Gesetzgebung i m staatsrechtlichen Sinne des Wortes" (6). V o r sichtiger hingegen G. Jellinek (Anm. 84), 314 - 321; dagegen schon Haenel, Gesetz, 150 f.; weitere Nachweise zum damaligen Streitstand bei Laband, ebd., 5 A n m . 2. 91 Oben. Kap. I 6. 92 Vgl. auch Starck, Gesetzesbegriff, 169-171; Hesse, Verfassungsrecht, 205.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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Ein sicherer Hinweis auf das Parlamentsgesetz findet sich zunächst i n den beiden schon erwähnten Vorschriften des Grundgesetzes, die das Erfordernis der „Form" eines Gesetzes (Art. 59 I I 1) bzw. eines „förmlichen" Gesetzes (Art. 10411) aufstellen. Zuverlässige Hinweise enthalten aber auch solche Bestimmungen des Grundgesetzes, die für ein Gesetz die Beschlußfassung des Bundestages oder die Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich vorsehen. Hierzu zählen vor allem die Änderung des Grundgesetzes, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern sowie der Haushalts- und Finanzbereich. Eine Änderung des Grundgesetzes kann nur durch Gesetz erfolgen, das die qualifizierte Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erhält (Art. 79 I 1, II). Einer Zustimmung des Bundesrates bedürfen Bundesgesetze, welche die Einrichtung oder das Verfahren der Länderbehörden bei der Ausführung von Bundesgesetzen regeln (Art. 84 I, 85 I), welche den Ländern Aufgaben zur Auftragsverwaltung übertragen (Art. 87 c, 87 d II), welche die Verteilung von Aufgabenlasten und Einnahmequellen sowie die Organisation der Finanzverwaltung zwischen Bund und Ländern regeln (Art. 104 a I I I , V, 105 I I I , 106 I I I - VI, 107 1,108 II, IV, V), welche das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei den Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a II) und bei der Haushalts Wirtschaft (Art. 109 I I I , IV) betreffen. Eine ausdrückliche Erwähnung findet die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat i n den Vorschriften des Grundgesetzes über die Feststellung des Haushaltsplanes durch das Haushaltsgesetz, dessen Vorlage „ m i t der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestag eingebracht" w i r d (Art. 110 I I 1, I I I 1), und über die — i m Vergleich zu den Haushaltsvorschlägen der Regierung — ausgabenvermehrenden oder einnahmemindernden Gesetze, bei denen die Bundesregierung verlangen kann, „daß der Bundestag die Beschlußfassung . . . aussetzt" oder „erneut Beschluß faßt" (Art. 113 I, II). Die Bedeutsamkeit der von den genannten Bestimmungen des Grundgesetzes erfaßten Regelungsgegenstände erscheint so offensichtlich, daß sich eine nähere inhaltliche Bestimmung des Begriffs an dieser Stelle erübrigt 9 3 . Dies gilt vor allem für Änderungen der Verfassung selbst (Art. 79) und für Beschränkungen der Freiheit der Person (Art. 104), die als körperliche Bewegungsfreiheit 94 zu den grundlegendsten „verfassungsfest" geschützten Menschenrechten überhaupt gehört (Art. 1, 79 III); es gilt aber auch für Regelungen i m Bund-Länder-Verhältnis, das i n seinen Grundzügen gleichfalls durch die „Nichtberührungsklausel" des A r t . 79 I I I gewährleistet ist, sowie i m Haushalts- und Finanzbereich, der schon immer zu den Schwerpunkten staatlicher Aufgabenwahrneh03 04

Vgl. dazu unten, Abschnitt 3 e i n diesem Kap. BVerfGE 22, 21, 26.

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I V . Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

mung zählte und i m modernen Sozialstaat eine Schlüsselfunktion einnimmt, wie schließlich für die i n Art. 59 I I 1 bezeichneten Verträge m i t auswärtigen Staaten, die der Zustimmung oder M i t w i r k u n g der „Gesetzgebungskörperschaften" i n der Form eines Gesetzes bedürfen. Darunter fallen nur solche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, nicht jedoch „Verwaltungsabkommen", für welche die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend gelten. Folgerichtig versteht das Bundesverfassungsgericht unter „politischen Beziehungen" solche, „die wesentlich und unmittelbar den Bestand des Staates oder dessen Stellung und Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemeinschaft betreffen" 9 5 , sich also nicht nur „ganz allgemein m i t öffentlichen Angelegenheiten, dem Gemeinwohl oder den Staatsgeschäften" befassen 96 , und sieht es den Gegenbegriff zur „Bundesgesetzgebung" i n der Bundesverwaltung und nicht etwa i n der Landesgesetzgebung 97 . Ein zuverlässiger Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Bedeutsamkeit des Regelungsgegenstandes und dem Inhalt des Parlamentsgesetzes läßt sich schließlich der Bestimmung des A r t . 80 I entnehmen. Danach können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen durch „Gesetz" ermächtigt werden, „Rechtsverordnungen" zu erlassen, wobei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung i m Gesetz bestimmt werden müssen. Auch nach der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff ergibt sich aus der Gegenüberstellung zur Rechtsverordnung, die als „materielles" Gesetz g i l t 9 8 , daß unter „Gesetz" in A r t . 80 das „formelle" Parlamentsgesetz zu verstehen ist. Die eng begrenzte Ermächtigungsmöglichkeit, welche dem Gesetz die Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß vorbehält und die Rechtsverordnung auf die verbleibende Ausführung beschränkt, zeigt an, daß das Schwergewicht und damit der bedeutsame Teil der Regelung dem Parlamentsgesetz zukommt 9 9 . Auch zahlreiche andere Bestimmungen des Grundgesetzes, deren Gegenstände i m Vergleich zu den genannten Bereichen nicht minder bedeutsam erscheinen, verweisen auf eine Regelung durch Gesetz. Sie finden sich i m Bereich der staatlichen Organisation ebenso wie i m Bereich 95

BVerfGE 1, 372, 382. Ebd., 381. 97 Ebd., 388 - 390. 98 Vgl. vorläufig Laband, Staatsrecht I I , 87 ; Jacobi, Die Rechtsverordnungen, 237; Jesch, Gesetz und Verwaltung, 142 m. w. N.; i m übrigen unten, Abschnitt 3 d cc i n diesem Kap. 99 Ebenso Starck, Gesetzesbegriff, 172 f. 96

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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der Grundrechte. Eine nähere Regelung durch (Bundes-)Gesetz sieht das Grundgesetz u. a. vor i m Bereich des Bundestages für die Abgeordnetenwahl (Art. 38 III), die Wahlprüfung (Art. 41 III), den Wehrbeauftragten Art. 45 b S. 2), den Petitionsausschuß (Art. 45 c II) und die Abgeordnetenentschädigung (Art. 48 I I I ) ; i m Bereich des Bundespräsidenten für das Wahlverfahren (Art. 54 VII); i m Bereich der bundeseigenen Verwaltung für die Einrichtung und das Verfahren von Behörden (Art. 86 f.); i m Bereich der Rechtsprechung für die Organisation und die Zuständigkeit der Gerichte sowie die Rechtsstellung der Richter (Art. 93 II, 94 II, 95 I I I , 96 II, V, 97 II, 98 I); i m Bereich des Haushaltswesens für über- und außerplanmäßige Ausgaben (Art. 112 S. 3), die Befugnisse des Bundesrechnungshofes (Art. 114 II) und die Kreditbeschaffung (Art. 115). Besonders reichhaltig und differenziert sind die Verweise auf gesetzliche Regelungen i m Bereich der Grundrechte. Dort finden sich Vorbehalte u. a. zugunsten einer näheren Ausgestaltung durch Gesetz, etwa für den Kriegsdienst m i t der Waffe (Art. 4 III), die Stellung der unehelichen Kinder (Art. 6 V), die Berufsausübung (Art. 12 I 2) und den Ersatzdienst (Art. 12 a II), sowie zugunsten von Eingriffen und Beschränkungen durch Gesetz, etwa für das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person (Art. 2 II), das Versammlungsrecht unter freiem Himmel (Art. 8 II), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 II), die Freizügigkeit (Art. 11 II), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 II) sowie das Eigentum und das Erbrecht (Art. 14 I I I , 15). Wegen der Bedeutsamkeit der von ihnen erfaßten Gegenstände deuten zwar auch diese „schlicht-gesetzlichen" Regelungserfordernisse auf das aufwendige Verfahren des Parlamentsgesetzes hin, lassen aber angesichts der Doppeldeutigkeit des Gesetzesbegriffs keine eindeutige Schlußfolgerung zu 1 0 0 . U m zuverlässigen Aufschluß zu erlangen, bedarf es eines näheren Eingehens auf die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Gesetz. Dabei gilt es festzustellen, ob und inwieweit der doppelte Gesetzesbegriff das bisher gewonnene Ergebnis einer Proportionalität zwischen der Bedeutsamkeit des Regelungsgegenstandes und der Aufwendigkeit des Erzeugungsverfahrens zu stützen oder zu widerlegen vermag. d) Eingrenzung durch den doppelten Gesetzesbegriff? aa) Die traditionelle Trennung zwischen formellem und materiellem Gesetzesbegriff „Das Wort Gesetz hat i n der Rechtswissenschaft eine doppelte Bedeutung, welche man als die materielle und formelle bezeichnen kann." 100 Anders anscheinend Starck (Anm. 99), 175, hinsichtlich der dort i n den beiden letzten Absätzen angeführten Beispiele. — Dazu, daß „Bundes-" bzw.

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Dieser Satz, m i t d e m P a u l L a b a n d w i e s e l b s t v e r s t ä n d l i c h das K a p i t e l ü b e r d i e Gesetzgebung i n seinem „ S t a a t s r e c h t des Deutschen Reiches" e i n l e i t e t 1 0 1 , g i b t k n a p p u n d präzise d i e u n t e r d e r d a m a l i g e n k o n s t i t u t i o nellen w i e u n t e r der heutigen demokratischen Staatsordnung ü b e r w i e g e n d v e r t r e t e n e A u f f a s s u n g z u m verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriff w i e d e r 1 0 2 . L a b a n d s L e h r m e i n u n g w a r n i c h t ohne V o r g ä n g e r 1 0 3 , doch h a t er sie — i m N a c h k l a n g des s t a a t s e r s c h ü t t e r n d e n preußischen B u d g e t k o n f l i k t s 1 0 4 — n a c h d e n W o r t e n G e o r g J e l l i n e k s „ z u scharf j u r i s t i s c h e r F o r m u l i r u n g , z u a l l g e m e i n e r K e n n t n i s u n d systematischer B e d e u t u n g e r h o b e n " 1 0 5 ; sie w a r auch n i e u n b e s t r i t t e n 1 0 6 , doch noch i m m e r g i l t die F e s t s t e l l u n g A l b e r t Haenels, „dass h e u t e N i e m a n d umfassendere U n t e r suchungen i m G e b i e t e des deutschen Staatsrechtes a n s t e l l e n k a n n , ohne m i t i h n e n (seil. L a b a n d u n d seiner „ S c h u l e " ) i n eine v o l l e u n d offene A u s e i n a n d e r s e t z u n g ü b e r d e n n e u g e b i l d e t e n B e g r i f f des Gesetzes e i n zutreten"107. „Reichsgesetz" bei Anerkennung eines doppelten Gesetzesbegriffs kein formelles (Parlaments-) Gesetz sein muß, vgl. Laband, Staatsrecht I I , 64 - 68. 101 Laband, Staatsrecht I I , 1; ähnlich beginnt Anschütz, Gesetz, 212, seinen Wörterbuch-Artikel. 102 Aus der konstitutionellen Epoche seien genannt: G. Jellinek, Gesetz und Verordnung (1887) ; Anschütz, Kritische Studien zur Lehre v o m Rechtssatz und formellen Gesetz (1891); ders., Die gegenwärtigen Theorieen (2. A u f l . 1901); Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht (6. A u f l . 1905), § 155; weitere Nachweise bei Laband, Staatsrecht I I , 63 A n m . 2, I V , 577 - 586. — F ü r die Weimarer Zeit vgl. zusammenfassend: Thoma, Grundbegriffe u n d Grundsätze, 124-127 m. w. N. i n A n m . 36. — F ü r die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. u. a. von Mangoldt / Klein, A r t . 70, Vorbem. I I 3 a (S. 1335), I I 7 b (S. 1343); Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 125; Forsthoff, V e r w a l tungsrecht, 125; W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht I, 114-120. — Z u r E n t w i c k l u n g insgesamt vgl. insbesondere Achterberg, Funktionenlehre, 1 2 - 3 3 ; Böckenförde, Gesetz, 226-329; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 9 - 2 3 ; Kopp, I n h a l t u n d F o r m der Gesetze I, 12 - 139; Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 157 - 228; Starck, Gesetzesbegriff, 77 - 107. 108 Insbesondere Schmitthenner u n d von Stockmar; vgl. dazu K o p p (Anm. 102), 1 2 - 2 5 ; auch Haenel, Gesetz, 99 f. 104 Labands grundlegendes „Budgetrecht" erschien 1871; zum Budgetkonflikt selbst vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I I I , 269-377; Friauf, Staatshaushaltsplan, 235 - 238; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 160- 164. — I n w i e w e i t der Theorie politische M o t i v e zugrunde lagen (wogegen sich Laband, Budgetrecht, 1 f., selbst verwahrte), k a n n hier offenbleiben, da es allein u m ihre Richtigkeit — u. z. f ü r die gegenwärtige Verfassungsordnung — geht; vgl. auch Jesch (Anm. 102), 21 A n m . 55; i m übrigen Kopp (Anm. 102), 27 - 31. 105 Gesetz u n d Verordnung, 252. 106 Aus der Z a h l der Gegner seien hervorgehoben: von Gierke, Labands Staatsrecht (1883); Haenel, Gesetz (1888); Heller, Der Begriff des Gesetzes (1928); aus neuester Zeit: Hesse, Verfassungsrecht, 204 - 207; Starck, Gesetzesbegriff, 166 - 168, 172 - 175, 186 - 194 u n d passim; vgl. ferner etwa Jesch (Anm. 102); 23; Krawietz, D Ö V 1969, 127 f.; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung, 19 f.; zur E n t w i c k l u n g insbesondere: Böckenförde, Gesetz, 282-309; K o p p (Anm. 102), 7 3 - 8 3 ; Starck (Anm. 102), 98 - 107. 107 Gesetz, 104; vgl. auch Heller (Anm. 106), 100 f.

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Laband selbst umschrieb das „Gesetz i m formellen Sinne" als „eine Form, i n welcher der staatliche Wille erklärt wird, gleichviel, was der Inhalt dieses Willens i s t " 1 0 8 , und das „Gesetz i m materiellen Sinne" als „die rechtsverbindliche Anordnung eines Bechtssatzes" 109 . Beide Begriffe „verhalten sich daher zu einander nicht wie Gattung und A r t , wie ein weiterer und ein i h m untergeordneter engerer Begriff, sondern es sind zwei durchaus verschiedene Begriffe, von denen jeder durch ein anderes Merkmal bestimmt wird, der eine durch den Inhalt, der andere durch die Form einer Willenserklärung" 1 1 0 . Das „Gesetz" bildet also nicht etwa den Oberbegriff über zwei Teilbegriffe; formelles und materielles Gesetz stehen vielmehr grundsätzlich nebeneinander, können sich aber teilweise decken und sind insoweit zwei „sich schneidende Begriffe" 1 1 1 . Insgesamt lassen sich deshalb drei Arten von „Gesetzen" unterscheiden: materielle Gesetze i n Gesetzesform bzw. formelle Gesetze m i t materiell-gesetzlichem Inhalt ( = materiell-formelle bzw. formellmaterielle Gesetze), materielle Gesetze außerhalb der Gesetzesform ( = nur-materielle Gesetze) und formelle Gesetze ohne materiell-gesetzlichen Inhalt ( = nur-formelle Gesetze) 112 . Damit stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck dieser umständlich anmutenden Aufschlüsselung des verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriffs. I h r Ursprung i n der konstitutionellen Verfassungsordnung 113 , die einen Kompromiß zwischen Monarch und Volk bildete 1 1 4 , und insbesondere i m Zusammenhang m i t dem preußischen Budgetkonflikt 1 1 5 läßt ahnen, daß es sich bei dieser Lehre nicht lediglich um eine akademische Begriffsübung handelt 1 1 6 , sondern um eines der grundlegenden Verfassungsprobleme der damaligen Zeit 1 1 7 . Für den realistisch denkenden Georg Jellinek 1 1 8 ist die Erkenntnis des Unterschiedes zwischen materiellem und formellem Gesetz „von der grössten theoretischen und praktischen Bedeutung" 1 1 9 . 108 Staatsrecht I I , 62; vgl. auch die Formulierung von Anschütz, Gesetz, 213: „ . . . ohne Rücksicht auf ihren I n h a l t " . 109 Staatsrecht I I , 2; Budgetrecht, 3. 110 Staatsrecht I I , 63. 111 Haenel, Gesetz, 110; vgl. auch Anschütz, Gesetz, 215. 112 Vgl. auch die Systematisierung bei Haenel, Gesetz, 105, 110; M e y e r / A n schütz, Deutsches Staatsrecht, 647. 113 Dazu Laband, Budgetrecht, 3 - 5 ; Haenel, Gesetz, 143; Anschütz, Gesetz, 213. 114 Dazu oben, Kap. I I 2 a, bei Anm. 27 f. 115 Vgl. oben, Anm. 104. 119 Z u r Frage, ob dabei politische Motive mitspielen, vgl. oben, A n m . 104. 117 Vgl. auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 18 m i t A n m . 44; ferner oben, Kap. I I 2 b. 118 Dazu Böckenförde, Gesetz, 242. 119 Gesetz u n d Verordnung, 252.

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Ob und inwieweit diese Einschätzung auch für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes gilt, das den Dualismus zwischen Volk und Monarch nicht mehr kennt, muß die weitere Untersuchung zeigen. Dabei stehen zwei Probleme i m Vordergrund: zum einen, wie sich die Unterscheidung zwischen nur-formellem und materiell-formellem Gesetz erklärt, wenn i n der Form des Gesetzes der staatliche Wille erklärt werden kann, „gleichviel, was der Inhalt dieses Willens i s t " 1 2 0 (Problem des formellen Gesetzesbegriffs), und zum anderen, wie sich die Einheitlichkeit des materiellen Gesetzes erklärt, obwohl es gleichermaßen innerhalb und außerhalb der Gesetzesform erscheinen kann (Problem des materiellen Gesetzesbegriffs).

bb) Das Versagen des formellen Gesetzesbegriffs Das formelle Gesetz kann nicht nur materielle Gesetze enthalten, sondern ist „auch anwendbar auf solche staatliche Willensakte, welche nicht die Anordnung von Rechtsregeln zum Inhalte haben" 1 2 1 . Es umfaßt „neben wirklichen Gesetzen politische Thesen, Lehrsätze, Einteilungen, Definitionen, Konstruktionen, Konstatierungen von Tatsachen oder A n sichten, erläuternde oder begriffsentwickelnde Ausführungen und namentlich instruktionelle Vorschriften . . . Es gibt m i t einem Wort keinen Gegenstand des gesamten staatlichen Lebens, j a man kann sagen, keinen Gedanken, welcher nicht zum Inhalte eines Gesetzes gemacht werden könnte" 1 2 2 . Nach diesem weiten Verständnis ist das formelle Gesetz auch als nurformelles Gesetz, d. h. ohne materiell-gesetzlichen Inhalt, keineswegs „inhaltsleer", zumal es keine Form ohne Inhalt g i b t 1 2 3 ; aber insgesamt ist es „inhaltsindifferent" und letztlich unbegrenzt, weil es jeglichen Inhalt i n sich aufnehmen kann. Das bisher gewonnene Untersuchungsergebnis von der Proportionalität zwischen dem Erzeugungsverfahren und dem Inhalt des Gesetzes 124 bliebe von einem solchen Gesetzesbegriff zwar unberührt, wäre aber auch unmaßgeblich, weil das formelle Gesetz bedeutsame wie unbedeutsame Regelungen gleichermaßen enthalten kann. Es fragt sich deshalb, ob ein so weiter Gesetzesbegriff überhaupt eine verfassungsrechtliche Funktion erfüllt oder nicht mangels Differenzierungsfähigkeit als „verwirrend", ja als „geradezu täuschend" be120

Vgl. oben, bei A n m . 108 (Hervorhebung hinzugefügt). Laband, Staatsrecht I I , 61. 122 Laband, ebd., 63; ähnlich G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 232, 240. 123 Dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 9 f.; ferner Kopp, I n h a l t u n d F o r m der Gesetze I I , 457 - 469; auch schon Haenel, Gesetz, 111. 124 Oben, Abschnitt 3 b u n d c i n diesem Kap. 121

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trachtet werden muß 1 2 5 , weil er zur Verwechslung zwischen (tatsächlich) möglichem und (verfassungsrechtlich) erlaubtem, gebotenem oder unzulässigem Gesetzesinhalt (ver-)führt. Gegen die weite Ausdehnung des Gesetzesbegriffs zur „ Aller weltsForm" durch Gleichsetzung der Form des Gesetzes „ m i t Allem, was überhaupt der sprachlichen Darstellung fähig i s t " 1 2 6 , hat sich heftige K r i t i k erhoben 127 . Bestritten wurde vor allem, daß es „unverbindliche" Gesetze m i t rechtlich irrelevantem Inhalt oder „unvernünftige", „auf Unverstand oder auf Bosheit" beruhende Gesetze geben könne 1 2 8 . Die Form des Gesetzes habe vielmehr „den Rechtssatz zu dem i h r notwendigen I n h a l t " 1 2 9 . Selbst wenn man berücksichtigt, daß sich eine scheinbar irrelevante oder unvernünftige Gesetzesbestimmung i m Gesamtzusammenhang und durch Auslegung vielfach als durchaus relevant und vernünftig erweisen w i r d 1 3 0 , läßt sich nicht leugnen, daß angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit des Gesetzgebers auch rechtlich Irrelevantes und Unvernünftiges i n der Form eines Gesetzes ausgedrückt werden kann 1 3 1 . Zwar räumen auch die Gegner eines weiten (formellen) Gesetzesbegriffs ein, „dass es auch unvernünftige Gesetzgeber gegeben hat und geben wird, solange es unvernünftige Menschen g i e b t " 1 3 2 ; sie wehren sich jedoch gegen einen Gesetzesbegriff, „der das rechtliche Irrelevante als seinen möglichen Inhalt einbezieht und mit seinen wesentlichen Merkmalen für verträglich erachtet" 1 3 3 . Demgegenüber beharren die Befürworter eines weiten Gesetzesbegriffs darauf, daß unvernünftige Gesetze „eben auch Gesetze" seien 1 3 4 . Vordergründig scheint es bei der Streitfrage lediglich u m die begriffliche Abgrenzung zu gehen, ob ein rechtlich irrelevantes oder unvernünftiges „sprachliches und schriftliches Dokument" 1 3 5 als Gesetz zu 125 So Haenel, Gesetz, 110, der die Lehre v o m doppelten Gesetzesbegriff f ü r eine „künstliche Terminologie" hält. 126 Haenel, Gesetz, 115,169. 127 Neben Haenel (Anm. 126) vor allem von Gierke, Labands Staatsrecht, 1097 - 1195; Heller, Der Begriff des Gesetzes, 98 - 135. 128 Haenel (Anm. 126), 159 - 173; Heller (Anm. 127), 113 f.; zur Gegenmeinung etwa G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 232; Laband, Staatsrecht I V , 592 f. 129 So das Ergebnis der Untersuchung von Haenel, Gesetz, 354. 130 Dazu Haenel, Gesetz, 163 - 169, u n d Heller, Der Begriff des Gesetzes, 113 f., selbst; ferner etwa Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 9 m i t A n m . 4. 131 Vgl. auch Jesch, ebd., 9 f.; Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 163 f. 132 Haenel, Gesetz, 171. 133 Ebd., 172. 134 Laband, Staatsrecht I V , 592, dem Heller (Anm. 130), 112, insoweit einen „ungewöhnlichen Radikalismus" bescheinigt. 135 Haenel, Gesetz, 169; vgl. auch die plastisch-drastische Formulierung bei

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

bezeichnen ist oder nicht richtiger festgestellt werden muß, „daß i n diesem Falle Kundgebungen irgendwelcher A r t das Gesetzeskostüm mißbraucht haben" 1 3 6 . Dahinter verbirgt sich jedoch ein grundlegendes Verfassungsproblem. Es leuchtet auf, wenn man die Gegner eines weiten Gesetzesbegriffs danach fragt, wie sich und vor allem wer das rechtlich Relevante und Vernünftige, das den Gesetzesinhalt und zugleich den Gesetzesbegriff ausmachen soll, von dem insoweit rechtlich Irrelevanten und Unverünftigen scheidet 137 . Es w i r d vollends sichtbar, wenn man die von den Befürwortern eines weiten Gesetzesbegriffs vorgetragenen „ W i r k u n g e n " 1 3 8 des formellen Gesetzesbegriffs i n Betracht zieht. Die „überaus große praktische Wichtigkeit des formellen Gesetzesbegriffes" soll nämlich auf der „formellen Gesetzeskraft" beruhen, die — wie bei einem Rechtsgeschäft — „zu den materiellen, auf dem Inhalt des Gesetzes beruhenden Wirkungen . . . keine Beziehung" hat und darin besteht, „daß ein i n der Form des Gesetzes ergangener Willensakt des Reiches nur i m Wege der Reichsgesetzgebung wieder aufgehoben oder abgeändert werden kann und seinerseits allen m i t i h m i m Widerspruch stehenden älteren Anordnungen derogiert" 1 3 9 . Erst dieser Blickwinkel eröffnet m i t aller Deutlichkeit das rechtliche Problem, u m das es geht: ob nämlich einem möglichen Gesetzesinhalt Wirkungen allein deshalb zukommen, weil er i n die Form eines Gesetzes gekleidet ist, oder ob dies nur auf bestimmte Gesetzesinhalte zutrifft. I n beide Richtungen weisen Anhaltspunkte. Es läßt sich weder feststellen, daß das formelle Zustandekommen eines Gesetzes keinerlei Wirkungen aus sich heraus entfaltet, noch umgekehrt, daß diese Wirkungen völlig unabhängig von dem Inhalt des Gesetzes bestehen. Von Wirkungen der Form des Gesetzes und damit von einer „formellen Gesetzeskraft" kann insofern gesprochen werden, als ein formell erlassenes Gesetz so lange Anspruch auf Befolgung erhebt, wie es besteht. I n der konstitutionellen Verfassungsordnung war dies bis zur Aufhebung durch ein neues formelles Gesetz der F a l l 1 4 0 . I n der VerfasRoellecke (Anm. 131), 271: „ . . . nichts als eine Häufung von Druckerschwärze auf Papier". 156 Heller (Anm. 130), 113; vgl. auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 9f.; Kelsen, Staatslehre, 235. 187 Vgl. auch Roellecke (Anm. 131), 164, der zutreffend darauf aufmerksam macht, daß sich der scheinbare „Unsinn" (Haenel, Gesetz, 172) bisweilen als durchaus sinnvoll erweisen kann, wie ζ. B. für die Auslegung des Begriffs „Gesetz" i n A r t . 100 I GG. 138 So die Bezeichnung bei Laband, Statsrecht I I , 68. 139 Laband, Staatsrecht I I , 68; vgl. auch G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 248 f.; Anschütz, Gesetz, 213. 140 Vgl. statt aller Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 645.

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sungsordnung des Grundgesetzes ist zwar die Aufhebungsmöglichkeit durch das Bundesverfassungsgericht hinzugekommen; an dem Befolgungsanspruch bis zur Aufhebung hat sich jedoch nichts geändert 141 . Da jeder Inhalt i n die Form eines Gesetzes gekleidet werden kann, läßt sich somit nicht ausschließen, daß auch rechtlich Irrelevantes und Unvernünftiges, ja selbst Hechtswidriges formelle Gesetzeskraft erlangt. Begriffliche Ausklammerungen, wie sie die Gegner eines weiten Gesetzesbegriffs vornehmen wollen, vermögen diese Gefahr nicht auszuräumen. Selbst wenn man unerwünschte Inhalte allgemein aus dem Gesetzesbegriff ausnähme, könnte sich i n jedem Einzelfall die Frage stellen, ob der Gesetzgeber das rechtlich Relevante, Vernünftige oder Rechtsgemäße getroffen oder verfehlt hat. Die formelle Gesetzeskraft ist deshalb unentbehrlich, u m einer Unsicherheit über die Gesetzesgeltung überhaupt zu begegnen. Die formelle Gesetzeskraft läßt sich jedoch nicht von dem Inhalt des Gesetzes ablösen, wie die Befürworter des weiten Gesetzesbegriffs meinen 1 4 2 . Auch das formelle Gesetz schöpft seine Substanz und gewinnt seine Bedeutung aus inhaltlichen Elementen. Eine inhaltsunabhängige Gesetzeskraft müßte dem Gesetzgeber eine „mystische Wunderkraft" verleihen 1 4 3 , m i t deren Hilfe er wirksam jede Kompetenz an sich ziehen und jede Anordnung treffen könnte. Ein solches „Dogma von der Transsubstantiation" 1 4 4 würde nicht nur die Kompetenzordnung, sondern die Verfassungsordnung insgesamt gefährden oder gar auflösen 146 . Dieser Konsequenz läßt sich nicht dadurch entgehen, daß der Form des Gesetzes jegliche „Befugnisse" abgesprochen werden, solange zugleich an der inhaltsunabhängigen und damit lediglich auf die Form des Gesetzes rückführbaren formellen Gesetzeskraft festgehalten w i r d 1 4 6 . 141

300 f.

Vgl. dazu näher Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 39, auch 28 - 32,

142 Dagegen neben Haenel, Gesetz, 111-115, auch schon O. Mayer, V e r w a l tungsrecht I, 72 f. m i t A n m . 7; vgl. ferner Böckenförde, Gesetz, 231. — Bezeichnend erscheint der Selbstwiderspruch, i n den sich G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, verstrickt, w e n n er zunächst die formelle Gesetzeskraft aller formellen Gesetze behauptet (250), sie jedoch später den „unverbindlichen Gesetzen" abspricht (337 f.); dazu auch Böckenförde, ebd., 243 m i t A n m . 9. 143 Diese Konsequenz erblickt Laband, Staatsrecht I V , 593, i n dem Gesetzesbegriff Haenels, entgeht i h r jedoch selbst ebenfalls nicht; vgl. dazu weiter i m Text. 144 Laband, ebd. 145 Dazu Böckenförde, Gesetz, 230; Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 167; C. Schmitt, Verfassungslehre, 151 f. — Vgl. auch Haenel, Gesetz, 100, zu der „ m i t seltener Geschicklichkeit gehandhabten D i a l e k t i k " von Stockmars, der zu dem Ergebnis gelangt sei: „Die verfassungswidrige N o r m hat i n Preußen gerade dieselbe W i r k u n g w i e die verfassungsmäßige" (!). 148 So aber der Versuch Labands, der sich dadurch i n einen Selbstwiderspruch verstrickt, zumal er die formelle Gesetzeskraft f ü r geeignet hält, die Regierung zu entlasten (Staatsrecht I I , 62, gegenüber 69; IV, 593 f.).

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IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Ebensowenig wie sich die formelle Gesetzeskraft durch inhaltliche Ausklammerungen auf rechtlich relevante, vernünftige oder rechtmäßige Gesetze begrenzen läßt, kann die Transsubstantiation aller möglichen i n entsprechend wirksame Gesetzesinhalte bei Aufrechterhaltung einer inhaltsunabhängigen formellen Gesetzeskraft ausgeschlossen werden. Form und Inhalt des Gesetzes gehören vielmehr unlösbar zusammen, bilden zwei Aspekte desselben Gegenstandes. Die Form des Gesetzes kann zwar jeden Inhalt aufnehmen und grundsätzlich so lange einen Befolgungsanspruch erheben, wie sie besteht. Die gegenseitige Abhängigkeit von Form und Inhalt des Gesetzes zeigt sich aber nicht nur darin, daß die Form nicht ohne Inhalt wie umgekehrt der Inhalt nicht ohne Form Gestalt erlangt, sondern vor allem darin, daß nur der Inhalt Auskunft darüber gibt, ob der Befolgungsanspruch gerechtfertigt ist. Äußerstenfalls ist es weder unvorstellbar noch — wie die Erfahrung leider gelehrt hat — praktisch unmöglich, daß „Gesetze m i t einem solchen Maße von Ungerechtigkeit und Gemeinschädlichkeit erlassen (werden), daß ihnen jede (!) Geltung als Recht abgesprochen werden muß" 1 4 7 . Der an die Form des Gesetzes anknüpfende Befolgungsanspruch rechtfertigt sich deshalb nicht schon, weil die Gesetzesform tatsächlich jeden beliebigen Inhalt aufnehmen kann, sondern weil erwartet und deshalb vermutet wird, daß sie einen bestimmten, nämlich den verfassungsmäßigen, Inhalt aufgenommen hat. Eine solche Vermutung kann, wie i n der konstitutionellen Monarchie, i n der ein formelles Gesetz nur durch ein neues formelles Gesetz aufgehoben werden konnte, verfassungsrechtlich unwiderleglich sein oder, wie unter dem Grundgesetz m i t der zustimmenden Uberprüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht, verfassungsrechtlich unwiderleglich werden. Dennoch handelt es sich stets um einen Kompromiß zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit, das eine verbindliche Entscheidungsgrundlage hic et nunc und dam i t eine positiv-formale Festlegung verlangt, und dem Prinzip der Gerechtigkeit, das wegen der menschlichen Unzulänglichkeit vom Gesetzgeber verfehlt werden kann und damit einer positiv-formalen Festlegung widerstrebt. Diese gegenseitige Bedingtheit geht verloren, wenn die formelle von der inhaltlichen Seite des Gesetzes getrennt und das Gesetz vorwiegend oder allein als fertiger Zustand statt zugleich als ständige Aufgabe verstanden w i r d 1 4 8 . 147

BVerfGE 6, 132, 198; vgl. auch BVerfGE 3, 225, 232 (betr. den Verfassungsgesetzgeber); 23, 98, 106. 148 Vgl. auch Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 271 - 274, der zutreffend die D i a l e k t i k des Gesetzes hervorhebt u n d es als „das unbestimmt Bestimmte" bezeichnet (273), dabei allerdings den Schwerpunkt auf die sprachliche Faßbarkeit legt. — Vgl. auch Scheuner, Gesetzgebung u n d Politik, 898 f., zur Bedeutung des Gesetzes als Ergebnis politischer Auseinandersetzung.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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Damit öffnet sich zunächst der Blick für die Form des Gesetzes in ihrer Gesamtheit, die neben ihrer textlich fixierten Erscheinung das Erzeugungsverfahren mitumfaßt 1 4 9 und dadurch erst den tieferen Sinn, die eigentliche Legitimation der formellen Gesetzeskraft offenbart. Sie beruht auf dem Vertrauen i n das Gesetzgebungsverfahren und i n den Gesetzgeber. Diesem w i r d von Verfassungs wegen zugetraut, den nach der Verfassungsordnung erwünschten Gesetzesinhalt i n der Gesetzesform niederzulegen. Dabei kann das Vertrauen unterschiedlich weit reichen, je nachdem ob und inwieweit das Parlament allein oder nur zusammen mit anderen Verfassungsorganen, etwa dem Monarchen oder dem Bundesrat, handeln kann und/oder einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. Damit öffnet sich ferner der Blick für den Inhalt des Gesetzes, der nicht nur dem für die Uberprüfung zuständigen Verfassungsgericht, sondern auch dem Gesetzgeber selbst den erforderlichen Maßstab für seine Aufgabe liefert. Dieser Maßstab muß dem Gesetzgeber — wie dem überprüfenden Verfassungsgericht — vorgegeben sein. Andernfalls stände dem Gesetzgeber die Verfassungsordnung zur Disposition 1 5 0 , und wäre die Prüfungszuständigkeit des Verfassungsgerichts entweder ein Widerspruch i n sich oder auf die Einhaltung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt 151 . Der Maßstab steht allerdings weder i n der Verfassungsordnung noch anderweit eindeutig bestimmt und abrufbereit zur Verfügung, sondern muß teilweise erst i m Rahmen der Verfassungsordnung entwickelt wer149 Trotz gelegentlich verbaler Gleichsetzung von formellem Gesetz u n d „Weg der Gesetzgebung" (etwa Staatsrecht I I , 61, 68; Budgetrecht, 9) sowie u m fangreicher Analyse dieses Weges (Staatsrecht I I , 23-61) berücksichtigt L a band diese Zusammengehörigkeit i n der Sache nicht genügend; bezeichnend auch die Feststellung von Anschütz, Kritische Studien, 41: „ . . . das Zustandekommen der gesetzgeberischen Willensäußerung interessiert hier (für die Gesetzesform) nicht"; vgl. dazu auch Roellecke (Anm. 148), 165; Starck, Gesetzesbegriff, 89. 150 Anders — für den konstitutionellen Staat — ausdrücklich Meyer / A n schütz, Deutsches Staatsrecht, 644: „ . . . es besteht bei uns keine besondere . . . verfassungsgebende Gewalt . . . die Verfassung steht demnach nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben"; ebd., 739 - 744, auch zum richterlichen Prüfungsrecht, das auf die formelle Seite des Gesetzes beschränkt sei. 151 A n dieser Hürde muß jeder rein formalistische, inhaltlich offene Gesetzesbegriff scheitern, w e n n man nicht die Offenheit selbst absolut setzt, w i e ζ. B. Roellecke (Anm. 148), 281 f. (vgl. dazu aber unten, A n m . 152), oder für eine Organsouveränität des Parlaments eintritt, wie ζ. B. Achterberg, D Ö V 1973, 297 (vgl. dazu aber oben, Abschnitt 1 d, insbesondere bei A n m . 43 f., i n diesem Kap.); i n sich widersprüchlich deshalb z.B. Görliz, i n : E l l w e i n / G ö r litz / Schröder, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, 153, nach dem Gesetze „beliebige Inhalte" haben u n d dennoch ihre „Schranke" u. a. an der „ K o m p e tenzabgrenzung" finden sollen.

13 M a g i e r a

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den 1 5 2 . Insofern haben der Gesetzgeber wie das überprüfende Verfassungsgericht, obwohl vorherbestimmt, zugleich einen nicht zu unterschätzenden eigenbestimmenden Einfluß auf den Gesetzesinhalt 153 . · Nach alledem erweist sich der formelle Gesetzesbegriff als einseitig verengte Momentaufnahme, die eine verfassungsrechtlich relevante Aussage nicht zuläßt. Die Feststellung, das formelle Gesetz könne jeden sprachlich ausdrückbaren Inhalt i n sich aufnehmen, läßt sich zwar nicht leugnen, gilt aber ebenso für jeden anderen formellen Staatsakt. I n einer Verfassungsordnung, die verschiedene Formen von Staatsakten vorsieht, kommt es jedoch nicht entscheidend darauf an, welchen Inhalt der einzelne Staatsakt (tatsächlich) haben kann, sondern welchen Inhalt er (verfassungsrechtlich) haben soll bzw. haben darf. Auch die Feststellung, dem formellen Gesetz komme bis zu seiner Aufhebung eine W i r kungskraft zu, gilt für andere formelle Staatsakte, wie ζ. B. Gerichtsentscheidungen 154 . Eine Verfassungsordnung, die der Rechtssicherheit und zugleich der Gerechtigkeit verpflichtet ist 1 5 5 , darf jedoch nicht bei der an die äußere Form anknüpfenden Wirkungskraft stehenbleiben. Sie muß sich vielmehr auch darum bemühen, daß diese Wirkungskraft stets von ihrem Inhalt her verfassungsgemäß ist. Die beiden weiterführenden Fragen nach dem verfassungsgemäßen Inhalt und nach der verfassungsgemäßen Wirkungskraft des Gesetzes, die der Begriff des formellen Gesetzes nicht zu erfassen vermag, lassen sich nur durch eine Zusammenschau von Form, einschließlich Erzeugungsverfahren, und Inhalt als den beiden untrennbaren Seiten des einheitlichen Gesetzes erkennen und beantworten 1 5 6 . Als Zwischenergeb152 Wobei zu berücksichtigen ist, daß die Verfassung zwar selbst — menschlich bedingtes — Gesetz ist, aber dennoch — für den einfachen Gesetzgeber — auch inhaltliche Vorherbestimmungen t r i f f t . Demgegenüber w i l l Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, i n den Bestimmungen des Grundgesetzes nur eine Bestätigung seiner These von der absoluten Offenheit des Gesetzgebungsverfahrens (vgl. oben, A n m . 151) erkennen, muß aber hinsichtlich A r t . 79 I I I GG zugestehen: „ . . . die Unantastbarkeit müssen (!) w i r so als gegeben h i n nehmen, w i e w i r die reale (!) Existenz der Bundesrepublik als gegeben h i n nehmen müssen . . . " (300). 153 „ . . . gehört die Bestimmung des Gesetzes notwendig zum Begriff selbst" (Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 272). 154 Vgl. dazu die übersichtliche Darstellung bei Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 413 - 423, 442 - 448. 155 Die gegenseitige Bedingtheit dieser beiden Elemente der Rechtsidee w i r d zutreffend herausgearbeitet u n d hervorgehoben von H. Henkel, Rechtsphilosophie, 444 f. 156 F ü r einen einheitlichen Gesetzesbegriff haben sich unter dem Grundgesetz ausgesprochen insbesondere Hesse, Verfassungsrecht, 204 - 207 ; K r a wietz, D Ö V 1969, 127 f.; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung, 20; Starck, Gesetzesbegriff, 166 - 168, 172 - 175, 186 - 190 u n d passim; zu der Auffassung von Achterberg u n d Roellecke vgl. oben, Anm. 151.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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nis gilt es somit festzuhalten, daß der formelle Gesetzesbegriff infolge seiner Unzulänglichkeit das bei der Untersuchung des Gesetzgebungsverfahrens gewonnene vorläufige Ergebnis von der Proportionalität zwischen der Bedeutsamkeit des Regelungsgegenstandes und der A u f wendigkeit des Erzeugungsverfahrens nicht zu erschüttern vermag. cc) Das Versagen des materiellen Gesetzesbegriffs Wie das formelle Gesetz allein durch seine Form, so ist das materielle Gesetz allein durch seinen Inhalt bestimmt. „Gesetz i m materiellen Sinne ist jede Rechtsnorm, gleichviel von wem und wie sie gegeben ist, woher sie stammt, welches Gewand sie trägt 1 5 7 ." Damit bestätigt sich die bei der Erörterung des formellen Gesetzesbegriffs gewonnene Erkenntnis, daß es einen Inhalt ohne Form ebensowenig gibt wie eine Form ohne I n h a l t 1 5 8 . Das materielle Gesetz ist deshalb zwar nicht „form-los", aber, da es unabhängig von einer bestimmten Form i n Erscheinung treten kann, letztlich ebenso „formindifferent", wie das formelle Gesetz „ i n haltsindifferent" ist 1 5 9 . Folglich läßt sich der Satz, daß ein formelles Gesetz jeglichen Inhalt aufnehmen kann, entsprechend dahin abwandeln, daß ein materielles Gesetz jegliche Form annehmen kann. Das bisherige Untersuchungsergebnis von der Proportionalität zwischen dem Erzeugungsverfahren und dem Inhalt des Gesetzes bliebe durch einen solchen Gesetzesbegriff ebenfalls unberührt, aber auch ohne Aussagekraft, weil das materielle Gesetz — gleichgültig, ob es durch die Bedeutsamkeit seines Inhalts gekennzeichnet ist oder nicht — i n Gesetzesform wie i n jeder anderen Form auftreten kann. Deshalb fragt sich auch hier, ob ein solcher Gesetzesbegriff überhaupt eine verfassungsrechtliche Funktion zu erfüllen vermag. Ein materieller, von einer bestimmten Erscheinungsform unabhängiger Gesetzesbegriff setzt voraus, daß sich sein Inhalt ungeachtet der besonderen Form, i n der er Gestalt gewinnt, stets gleich bleibt. Der Inhalt muß der Form unabänderlich vorgegeben sein, der materielle Gesetzesbegriff m i t h i n a priori festliegen 160 . I n diese Richtung weisen auch die Erläuterungen des materiellen Gesetzes, unter dem die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff „den Ausspruch eines Rechtssatzes" 161 , „die (rechtsverbindliche) Anordnung eines Rechtssatzes" 162 , „jede Norm des 157

Anschütz, Gesetz, 212; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 639 f. Oben, Abschnitt 3 d bb, nach A n m . 146, i n diesem Kap. 159 Vgl. oben, Abschnit 3 d bb, bei A n m . 123, i n diesem Kap. ιβο v g l . dazu auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 18 f.

158

161 162

13*

Laband, Budgetrecht, 3. Laband, Staatsrecht I I , 2; G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 231, 240.

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

objektiven Rechts, jede(n) Rechtssatz" 163 versteht. Zwar sind die Begriffe des Rechtssatzes und der Rechtsnorm nicht viel bestimmter als der Begriff des materiellen Gesetzes. Dennoch zeigt ihr Bestandteil „Recht" an, worauf die Begriffsbildung abzielt. Für die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff sind materielles „Gesetz und Recht. . . Wechselbegriffe" 164 , ist jedes materielle Gesetz ein Satz, eine Norm des Rechts. Das Gesetz i m materiellen Sinn gilt als „ein Begriff nicht eigentlich des Staatsrechtes, sondern der allgemeinen Rechtslehre . . . erhaben über den Wandel der Staatsformen und Staatsverfassungen,. . . unabhängig von dem Wechsel der Auffassungen über das Verhältnis des Staates zum Recht. . ." 1 6 5 . Der danach für den materiellen Gesetzesbegriff maßgebliche Rechtssatzbegriff hat innerhalb der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff unterschiedliche Ausdeutungen erfahren, von denen sich drei Ansätze nachhaltig auf die Diskussion u m den verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriff ausgewirkt haben. Nach der „Freiheit und Eigentum "-Formel 1 6 6 ist es „die Eigenschaft jedes Gesetzes i m materiellen Sinne, daß es der persönlichen Freiheit i m allgemeinen, dem Eigentum i m besonderen Schranken zieht" 1 6 7 . Nach der „Willenssphären"- oder „Schrankenziehungs"Theorie 1 6 8 setzt das Recht „seinem Wesen nach eine Mehrheit von W i l lensträgern voraus, die miteinander kollidieren können" ; i h m kommt die Bedeutung zu, „die durch das gesellige Zusammenleben der Menschen gebotenen Schranken und Grenzen der natürlichen Handlungsfreiheit des Einzelnen zu bestimmen" 1 6 9 . „Hat ein Gesetz den nächsten Zweck, die Sphäre der freien Thätigkeit von Persönlichkeiten gegeneinander abzugrenzen, ist es der socialen Schrankenziehung wegen erlassen worden, so enthält es die Anordnung eines Rechtssatzes, ist daher auch ein Gesetz i m materiellen Sinne 1 7 0 ." Nach der „Allgemeinheits"-Klausel 1 7 1 163 164

we 186

Anschütz, Gesetz, 212. Anschütz, ebd. ; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 640. W i e

A n m


Hauptvertreter w a r Anschütz i m Anschluß an M. von Seydel; vgl. dazu vorläufig Böckenförde, Gesetz, 271 - 281; i m übrigen den folgenden Text. 187 Anschütz, Gesetz, 214 (dort auch die Bezeichnung „Freiheit u n d Eigentum"-Formel) ; ders., Die gegenwärtigen Theorieen, 169; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 657. 188 Hauptvertreter waren Laband u n d G. Jellinek sowie ursprünglich A n schütz; vgl. dazu vorläufig Böckenförde, Gesetz, 226-259; Kopp, I n h a l t u n d F o r m der Gesetze I, 26 - 64 ; i m übrigen den folgenden Text. 180 Laband, Staatsrecht I I , 181, 73; vgl. auch schon ders., Budgetrecht, 12. 170 G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 240; ders., System 193 („Alles Recht ist Beziehung von Persönlichkeiten") ; ferner Anschütz, Kritische Studien, 34 - 39. 171 Hauptvertreter waren G. Meyer u n d E. Seligmann; vgl. dazu vorläufig Böckenförde, Gesetz, 259 - 271; Kopp, I n h a l t u n d Form der Gesetze I, 6 8 - 7 3 ; i m übrigen den folgendèn Text.

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„gehört es zum Wesen des Rechtssatzes, und demnach auch zum Wesen eines Gesetzes i m materiellen Sinne, dass es eine allgemeine Regel enthält" 1 7 2 . Dem äußeren Anschein nach stellen sich diese Einzelausdeutungen ebenso wie die Grundbestimmung des Rechtssatzbegriffs durch die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff als allgemeingültige Umschreibungen dar. Dies gilt insbesondere für die formale Auffassung des Rechtssatzes als „allgemeine" Regel, aber auch für die beiden anderen Auffassungen, die entweder ausdrücklich auf die „natürliche" Handlungsfreiheit oder mittelbar durch den Schrankenhinweis auf ein vor-staatliches Freiheitsund Eigentumsverständnis abstellen. Demnach scheint es der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff weniger um eine konkrete verfassungsrechtliche als um eine abstrakte rechtstheoretische Fragestellung zu gehen. Begibt man sich auf die damit vorgezeichnete Diskussionsebene, so läßt sich über die Begriffe der Allgemeinheit, der Freiheit und des Eigentums ebenso trefflich streiten wie über den Rechtsbegriff selbst. Der sich „durch alte und neue Zeiten" hindurchziehenden Auffassung von dem Gesetz als dem A b b i l d des Rechts 173 wäre dementsprechend die nicht minder traditionelle Auffassung von dem Gesetz als dem Ergebnis der Herrschermacht gegenüberzustellen 1 7 4 und daran anschließend zu untersuchen, ob eine der beiden Thesen allein oder jede zum Teil zutrifft. Entsprechend theoretisch wären die Begriffe der Allgemeinheit, der Freiheit und des Eigentums zu behandeln. Eine solche rechtstheoretische Erörterung liegt jedoch nur bei einer vordergründigen Betrachtung der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff nahe. Dies zeigt sich schon daran, daß ihre Vertreter sich i m Rahmen der Staatsrechtslehre eingehend m i t dem Gesetzesbegriff beschäftigt und dieses Feld nicht etwa der Verfassungstheorie oder der Rechtsphilosophie überlassen haben. Trotz des vordergründigen Anspruchs auf eine A l l gemeinverbindlichkeit ihrer Begriffe 1 7 5 haben sie sich — ob bewußt oder unbewußt, kann hier offen bleiben — dabei weniger um die abstrakte 172

G. Meyer, Grünhuts Zeitschrift 1881, 15. Vgl. Anschütz, Gesetz, 212 f., der zur Stütze seiner These auf das r ö m i sche, das kanonische und das alte deutsche Recht verweist. 174 A u f diese mögliche Gegenposition zu Anschütz, die sich ebenfalls auf das römische Recht zurückverfolgen läßt, macht insbesondere Heller, Der Begriff des Gesetzes, 101 f., aufmerksam; vgl. auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 19 m i t Anm. 47. 175 Als typisch gelten die einleitenden Bemerkungen Labands zur zweiten Auflage seines Staatsrechts des Deutschen Reiches (vgl. Laband, Staatsrecht I, 5. Aufl., S. V I I - X ) ; vgl. auch Böckenförde, Gesetz, 211 - 220; Starck, Gesetzesbegriff, 81 f.; Hansen, Fachliche Weisung, 28 f. 173

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I V . Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Auffüllung ihrer Begriffe als um deren konkrete Einpassung i n das Verfassungsrecht bemüht 1 7 8 . Die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff knüpft deshalb m i t ihrer Gleichsetzung von (materiellem) Gesetz und (objektivem) Recht nur scheinbar an die traditionelle Vorstellung vom Gesetz als dem „gefundenen" und nicht einem „gesetzten" Recht an, die selbst i m Mittelalter nicht ausnahmslos galt und i m Zeitalter des Absolutismus immer mehr verblaßt w a r 1 7 7 . Letztlich geht es nicht um den Nachweis eines vorgegebenen Rechts, das i m materiellen Gesetz seinen Ausdruck findet 1 7 8 , sondern um das Problem der Kompetenz zum Erlaß der verbindlichen Regelungen i m staatlichen Gemeinwesen. Die hervorragendste Bedeutung der Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetz soll deshalb darin liegen, „dass sie allein den Weg weist zu einer Lösung eines der schwierigsten Probleme des constitutionellen Staatsrechts, der Abgrenzung der Competenz der constitutionellen Gesetzgebung von der Verordnungs- und Verfügungsgewalt der Regierung" 1 7 9 . Die Schwierigkeit des Problems ist zwar offensichtlich, die Eignung des doppelten Gesetzesbegriffs zu seiner Lösung jedoch zu bezweifeln. Für den formellen Gesetzesbegriff haben sich die Zweifel schon bestät i g t 1 8 0 , für den materiellen Gesetzesbegriff haben sie sich ebenfalls schon angedeutet, bedürfen aber noch genauerer Prüfung. Dabei läßt sich am besten von den Konsequenzen ausgehen, zu denen die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff selbst gelangt, insbesondere wenn man sie an ihrem eigenen Anspruch mißt, daß sie „einen Massstab an die Hand gibt, um die Befugnisse der einzelnen Staatsorgane zu regeln" 1 8 1 . A n ihrem selbstgesetzten Anspruch scheitert vor allem die formale Auffassung von dem Rechtssatz als einer „allgemeinen" Regel. Sie vermag lediglich den gemeinsamen generell-abstrakten Charakter von Gesetz, Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung aufzuzeigen 182 , 179 Starck, ebd., 88, spricht treffend von einem „Rückzug auf das richtige Gespür der Staatspraxis". 177 Dazu insbesondere Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 13, 15 f., 19 - 21, 25, 27, 29, 37, 51, 58 f., 63, 67, 69 - 71, 76, 78 f.; ferner Grawert, Der Staat, 1972, 2 f., 5 - 16. 178 Treffend spricht Böckenförde, Organisationsgewalt, 62, von einer insoweit „unter falscher Flagge" geführten Diskussion. 179 So G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 254, unter Bezugnahme auf G. Meyer (zu diesem vgl. unten, A n m . 181); vgl. auch Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 647. 180 Vgl. oben, Abschnitt 3 d bb i n diesem Kap. 181 So G. Meyer, Grünhuts Zeitschrift 1881, 25; vgl. auch G. Jellinek (oben, A n m . 179). 182 Generell hinsichtlich des betroffenen Adressatenkreises, abstrakt h i n sichtlich des geordneten Sachverhalts; vgl. dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung,

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nicht jedoch deren nach Voraussetzungen und Wirkungen verfassungsrechtlich positivierten Unterschiede zu erklären, auf die es wegen der unterschiedlichen Beteiligung von Parlament und Regierung gerade ankommt. U m insoweit überhaupt Aussagekraft zu erlangen, müssen ihre Vertreter deshalb andere Merkmale heranziehen 183 , damit aber zugleich ihren Anspruch aufgeben, die Gesetzgebung materiell abgrenzen zu können 1 8 4 . Keinen geringeren, wenn auch verdeckteren, Schwierigkeiten begegnet die Auffassung von dem Rechtssatz als „Schrankenziehung" zwischen verschiedenen „Willensträgern". Da nach ihr auch der Staat selbst als (impermeable) Willenseinheit, als „Staatspersönlichkeit", g i l t 1 8 5 , erklärt sie alle Regelungen zwischen den einzelnen Bürgern sowie zwischen den Bürgern und dem Staat zu Rechtssätzen, alle Regelungen innerhalb des Staates zu Nicht-Rechtssätzen 186 . Eine Aufteilung zwischen staatlichen Rechtssätzen und staatlichen Nicht-Rechtssätzen erscheint zwar rechtstheoretisch unhaltbar, ist jedoch — abgesehen von der mißverständlichen Terminologie — verfassungsdogmatisch i m Ansatz vertretbar, wenn damit lediglich gemeint sein soll, daß „Rechtssätze" i m Wege der Gesetzgebung, „Nicht-Rechtssätze" hingegen i n einem anderen Verfahren erlassen werden 1 8 7 . Dennoch entgeht die Schrankenziehungstheorie nicht der eigenen Inkonsequenz, weil sie nicht nur solche staatsorganisatorischen Regelungen, die zugleich nach „außerhalb" i n den Bereich der Bürger wirken und somit noch der Schrankenziehung zwischen verschiedenen „Willensträgern" dienen mögen, als Rechtssätze qualifiziert, sondern auch solche Regelungen, die lediglich den innerorganisatorischen Aufbau der „Staatspersönlichkeit" festlegen, wie etwa das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander oder die Gerichtsorganisation 188 . 13 f., der auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs der Allgemeinheit hinweist. — Z u m (hier nicht betroffenen) materialen Begriff der Allgemeinheit vgl. insbesondere Starck, Gesetzesbegriff, 109 - 142, 195 - 250; ferner Kopp, I n h a l t u n d Form der Gesetze I I , 383 - 442. 183 So G. Meyer selbst, der seinen Rechtssatzbegriff dahin ergänzt, daß n u r solche allgemeinen Vorschriften gemeint seien, „welche den Rechtszustand der Unterthanen betreffen" (Grünhuts Zeitschrift 1881, 26, aber 31 f.), u n d damit auf die Schrankenziehungstheorie zurückgreift; vgl. dazu auch Böckenförde, Gesetz, 260 f. 184 Andere bedeutende Vertreter der Lehre v o m doppelten Gesetzesbegriff lehnen die Allgemeinheit als kennzeichnendes M e r k m a l des materiellen Gesetzesbegriffs ausdrücklich ab; so insbesondere Laband, Staatsrecht I I , 2 („nur ein Naturale, nicht ein Essentiale") ; G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 239; Anschütz, Kritische Studien, 22 - 26. 185 Anschütz (Anm. 184), 73 f.; Jellinek (Anm. 184), 192 f.; Laband, Staatsrecht I, 56 f., 65; vgl. dazu auch Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, 124 - 165. 189 Anschütz (Anm. 184), 7 4 - 7 6 ; Jellinek (Anm. 184), 194, 233; Laband (Anm. 184), 181 f.; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 655. 187 Vgl. schon Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes, 176 f.

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IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Eine i n sich widerspruchsfreie und verfassungsnähere Rechtssatzbestimmung scheint hingegen die „Freiheit und Eigentum "-Klausel zu bieten. I m Gegensatz zu den beiden vorerwähnten Auffassungen kann sie sich unmittelbar an den Text der Verfassungen anlehnen 189 . Jedoch findet sich weder dort noch i n dem zugrunde liegenden Freiheitsdenken eine eindeutige Abgrenzung ihrer Schlüsselbegriffe 190 . Bei näherer Betrachtung erweist sich die Widerspruchsfreiheit der Klausel deshalb lediglich als Folge ihrer großen Weite, die „dem Dafürhalten offensteht" und die genauere Abgrenzung des Rechtssatzbegriffs letztlich i m Ungewissen läßt 1 9 1 . W i r d die Klausel eng verstanden, so beschränkt sich der Rechtssatzbegriff auf die körperliche Bewegungsfreiheit und das Sacheigentum sowie auf Eingriffe i n diese Güter; w i r d sie hingegen weit verstanden, so umfaßt der Rechtssatzbegriff die allgemeine Handlungsfreiheit und das gesamte Vermögen sowie alle diese Güter betreffenden oder berührenden Regelungen 192 . Die Berechenbarkeit verflüchtigt sich zusätzlich durch die Verknüpfung der Klausel m i t der Schrankenziehungstheorie, die eine nicht konsequent abgrenzbare Beschränkung des Freiheits- und Eigentumsbereichs und damit des Rechtssatzbegriffs auf das „allgemeine" („außerstaatliche") i m Gegensatz zu dem „besonderen" („innerstaatlichen") Gewaltverhältnis mit sich bringt 1 0 3 . 188 Vgl. Anschütz (Anm. 184), 7 6 - 8 0 ; Laband (Anm. 184), 183 - 185; Jellinek (Anm. 184), 243 f., 261 ; ders., System, 233 f., m i t der bezeichnenden Folgerung, „dass der Staat i n seinen Organen seine einheitliche ( !) Persönlichkeit gleichsam spaltet (!}" (228); zur K r i t i k insbesondere Haenel, Gesetz, 214-234 (zu Laband: „Das ist der dichteste Nebel der Metaphysik", 230), 255 - 262 (zu J e l l i nek); ferner Böckenförde, Gesetz, 235 -238 (zu Laband: „Gedankensprung", 235), 245-249 (zu Jellinek: „einigermaßen verwirrend", 248), 256-258 (zu Anschütz). 189 Vgl. die Nachweise bei Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 123 - 129; Böckenförde, Gesetz, 71 -84, 220 - 226. 190 Ebenso Böckenförde, Gesetz, 75 ; vgl. auch Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 17-21. 191 Böckenförde, Organisationsgewalt, 67 Anm. 19; ders., Gesetz, 271. 192 Z u Interpretationsbreite u n d - w a n d e l vgl. schon F. J. Stahl, Rechts- und Staatslehre, 335 f.; ferner insbesondere Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 129 - 132 (Weite des Freiheits- u n d Eigentumsbegriffs), 143 - 146 (Verhältnis von „eingreifen" u n d „betreffen" bzw. „berühren"); vgl. auch Böckenförde, Gesetz, 272 f.; ders., Organisationsgewalt, 67 f.; Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 60 - 64. 193 Die Unsicherheit der Grenzziehung w i r d von den Vertretern der Schrankenziehungstheorie selbst eingestanden, w e n n etwa Laband aus der „Geschichte" entnimmt, „daß die Grenzen zwischen dem Gebiet des (materiellen) Gesetzes u n d dem der (materiellen) Verordnung keine unwandelbaren, j a überhaupt nicht festbestimmte sind" (Staatsrecht I I , 86); ähnlich G. Jellinek, der daraus folgert: „Eine solche genaue Abgrenzung beider Gebiete herbeizuführen ist auch nicht Aufgabe der Jurisprudenz" (Gesetz u n d Verordnung, 412). — Z u Anschütz vgl. die treffende Analyse bei Böckenförde, Gesetz, 273 275. — Vgl. ferner die Bemerkung von Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes, 177: „Dabei ist die Grenzlinie wiederum übereinkömmlich ungewiß . . . "

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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Die verschiedenen Ansätze der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff führen somit bei der Bestimmung des Rechtssatzbegriffs zu einer Reihe von Widersprüchen und anderen Unzulänglichkeiten. Es fragt sich deshalb, ob es sich dabei lediglich um behebbare Schwierigkeiten handelt, wie sie auch andere rechtlich-dogmatische Abgrenzungsversuche mit sich bringen und die hier infolge einer mißverständlichen Verknüpfung zwischen konkretem Ziel, der Bewältigung des positiven Verfassungsrechts, und abstraktem Mittel, der Begrifflichkeit der allgemeinen Rechtstheorie, entstanden sein können, oder aber, ob ein entscheidender Mangel i n dem Ansatz der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff selbst vorliegt. Die Antwort setzt eine nähere Prüfung der angeblichen Unabhängigkeit des materiellen Gesetzes von seiner Erscheinungsform voraus. Gegen die Form-Unabhängigkeit des materiellen Gesetzes spricht zunächst die Begrenzung der Formen, i n denen es nach der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff erscheinen kann 1 9 4 . Genannt werden das formelle Gesetz, ferner die Rechtsverordnung 195 , die autonome Satzung 1 9 6 und das Gewohnheitsrecht, dessen materiell-gesetzliche Eigenschaft allerdings innerhalb der Lehre selbst heftig umstritten ist. Sie w i r d von allen denjenigen abgelehnt, die das materielle Gesetz als „Ausspruch" oder „Anordnung" eines Rechtssatzes auffassen und darin ausdrücklich einen Gegensatz zum Gewohnheitsrecht erblicken als dem „Inbegriff der i m Volksbewußtsein lebenden Rechtsnormen, die von der Staatsgewalt nicht fixirt und ausgesprochen worden sind" 1 9 7 . Gegen die Form-Unabhängigkeit des materiellen Gesetzes spricht ferner die Differenzierung zwischen den Formen, i n denen es nach der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff enthalten sein kann. Obwohl als „zwei durchaus verschiedene Begriffe" 1 9 8 betrachtet, soll für das formelle und das materielle Gesetz der Satz gelten, „daß Anordnungen von Rechtssätzen von Rechts wegen der Regel nach nur auf dem verfassungsmäßig bestimmten Wege (der Gesetzgebung) erfolgen dürfen" 1 9 9 , sich beide Be194 Vgl. auch den „Negativ-Katalog" schon bei Laband, Budgetrecht, 3: „Es w i r d niemals Jemandem i n den Sinn kommen, ein richterliches Erkenntniß oder die Verfügung einer Verwaltungsbehörde als ,Gesetz4 zu bezeichnen . . . " 195 Dazu Laband, Staatsrecht I I , 85 - 113; zusammenfassend auch Jacobi, Die Rechtsverordnungen, 236 - 255. 196 Dazu Laband, ebd., 11; zusammenfassend H. Peters, Die Satzungsgewalt innerstaatlicher Verbände, 264 - 274. 197 Insbesondere Laband, Budgetrecht, 3; a. A. ausdrücklich Anschütz, Gesetz, 215; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 639; zum Problem auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 10, 32. 198 Laband, Statsrecht I I , 63; dazu oben, Abschnitt 3 d aa, bei A n m . 110, i n diesem Kap. 199 Laband, ebd., 64.

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I V . Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

griffe also grundsätzlich decken müssen 200 . Dadurch w i r d nicht nur das rein formelle Gesetz als Gesetz ohne Rechtssatzinhalt zur Ausnahme erklärt, sondern auch die Rechtsverordnung, obwohl sie als materielles Gesetz den gleichen formunabhängigen Inhalt haben soll wie das „regelmäßige" Gesetz m i t Rechtssatzinhalt. Folglich erscheint das nur-formelle Geestz als eine Grenzüberschreitung des dem Gesetzgeber „an sich zukommenden, naturgegebenen Gebietes" 2 0 1 . N u r negativ, als Nicht-Rechtssätze i n Gesetzesform, werden damit so grundlegende Staatsakte wie die Verabschiedung des Haushaltsplans oder die Bestimmung über Krieg und Frieden erfaßt 2 0 2 . Dies bedarf zwar — weil verfassungsrechtlich ausdrücklich festgelegt — angeblich „keiner weiteren Erörterung" 2 0 3 , hindert aber nicht den Vorwurf gegenüber dem Verfassungsgeber (!), es sei „ein einfacher Kunstgriff sprachlicher Technik und nichts mehr, wenn verfassungsgesetzlich bestimmt wird, daß solche politischen A k t e ,in der Form des Gesetzes' zustande kommen" 2 0 4 . Umgekehrt erscheint die Rechtsverordnung als Grenzüberschreitung der Regierung i n den Bereich des Gesetzgebers 205 . Sie bedarf deshalb einer besonderen Ermächtigung 2 0 6 , die aber trotz ihres Ausnahmecharakters nicht ausdrücklich i n der Verfassung vorgesehen sein muß, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt w i r d 2 0 7 . Als „Verordnungen, welche Rechtssätze enthalten und sich materiell durchaus nicht von Gesetzen unterscheiden, welche gewissermaßen nur zufällig (!) statt i n der Form des Gesetzes i n der der Verordnung ergan200 Laband, ebd., 89; ders., Budgetrecht, 5; Anschütz, Kritische Studien, 63; ders., Die gegenwärtigen Theorieen, 166, 174; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 647, 655; G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 255; G. Meyer, G r ü n huts Zeitschrift 1881, 25 f. 201 So treffend Jesch, Gesetz und Verwaltung, 22, der auf die K r i t i k schon von E. K a u f m a n n (Verwaltung, Verwaltungsrecht, 696) an dieser A - p r i o r i Argumentation verweist; ferner Roellecke, Begriff des positiven Gesetzes, 162; Heller, Der Begriff des Gesetzes, 106 f. 202 Vgl. die Aufzählung bei Laband, Staatsrecht I I , 62 f.; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 646 f. 203 Anschütz, Gesetz, 214. 204 C. Schmitt, Verfassungslehre, 144; ebenso Menger, Das Gesetz als N o r m und Maßnahme, 14 f.; Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, 96; Hansen, Fachliche Weisung, 253 m i t A n m . 5. 205 Anschütz, Die gegenwärtigen Theorieen, 174; Laband, Staatsrecht I I , 89, 96 f., 106 f.; Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 672; G. Meyer, Grünhuts Zeitschrift 1881, 26. 208 Z u m Ermächtigungserfordernis vgl. Laband, Budgetrecht, 5; ders., Staatsrecht I I , 8 9 - 9 7 ; zur Form der Ermächtigung — formelles/materielles Gesetz, Gewohnheitsrecht (?) — Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 32 m. w. N. 207 Laband, Staatsrecht I I , ebd. ; vgl. auch Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 227 ; Jacobi, Die Rechtsverordnungen, 240 - 244.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

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gen sind" 2 0 8 , entbehren die Rechtsverordnungen jedoch eines inhaltlichen Abgrenzungsmerkmals gegenüber den formell-materiellen Gesetzen. Damit fehlt es aber auch an einer überzeugenden Begründung für die Grenzüberschreitung und zugleich für das Ermächtigungserfordernis der Rechtsverordnung. Dementsprechend kommt es nach der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff nur auf das formale Vorhandensein einer Ermächtigung an, während der Umfang der Ermächtigung unbestimmt bleibt. Die Rechts Verordnung muß sich zwar „innerhalb der von dem delegierenden Gesetz gezogenen Grenzen halten" 2 0 9 , der Gesetzgeber „noch übersehen können, welche Gegenstände der Exekutive zur rechtlichen Ordnung übertragen werden" 2 1 0 ; i m übrigen aber steht „die schrankenlose Delegationsbefugnis des schrankenlosen Gesetzgebers . . . außer Zweifel" 2 1 1 . Als Folge ergibt sich eine i n der Praxis nicht begrenzbare Verlagerung des „materiellen Gesetzes" von der Gesetzes- i n die Verordnungsform und eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Prinzips 212 . Hinter der weiten These der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff, wonach das materielle Gesetz jegliche Form annehmen könne 2 1 3 , verbirgt sich somit ein eng begrenzter Formenschatz, und auch dieser ist für das materielle Gesetz keineswegs gleich-gültig, wie es eine wirkliche FormUnabhängigkeit vorausgesetzt. Der Streit um die Einbeziehung des Gewohnheitsrechts i n den materiellen Gesetzesbegriff deutet an, was die Differenzierung zwischen dem formellen Gesetz und der Verordnung als den beiden Hauptformen des materiellen Gesetzes offenkundig macht. Das materielle Gesetz als „Anordnung" eines Rechtssatzes, aber auch als „Ausspruch" eines Rechtssatzes unter gleichzeitiger Verneinung des Gewohnheitsrechts als eines möglichen Rechtssatz-Anspruchs durch das Volk weist von dem Gesetz als einem abbildgetreuen Satz unveränderlichen Rechts weg und auf das Gesetz als einen menschlich gestalteten A k t der Rechtsetzung hin. Erst diese Erkenntnis gestattet eine Differenzierung von materiellen Gesetzen i n Gesetzes- und i n Verordnungsform, die bei der Annahme eines form-unabhängigen Inhalts unverständlich bleiben müßte. 208

385. 209

Laband, Staatsrecht I I , 85; vgl. auch G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung,

Laband, ebd., 107; ebenso Jellinek, ebd., 371, 382. Jacobi (Anm. 207), 242; vgl. auch Thoma (Anm. 207). 211 So — stark pointiert — C. Schmitt, ZaöRV 1936, 261 A n m . 21; ebenso F. Klein, Verordnungsermächtigungen, 13; ferner B ö k e n f ö r d e , Gesetz, 219, der von einer „Zuflucht zu dem juristischen K u n s t g r i f f beliebiger KompetenzDelegationen" spricht; vgl. auch Hasskarl, Die Begrenzung exekutiver Rechtssetzungsbefugnis, 11 f. 212 Dies w i r k t e sich insbesondere i n der Weimarer Zeit aus; vgl. dazu Klein, ebd., 1 1 - 1 5 ; Hasskarl, ebd., 14 - 27. 213 Vgl. oben, bei A n m . 157. 210

204

I V . Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Daraus w i r d ersichtlich, daß auch die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff den Zusammenhang zwischen dem materiellen Gesetz und seiner Erscheinungsform nicht lösen kann. M i t der grundsätzlichen Gleichsetzung von materiellem Gesetz und Rechtssatz wie bei der Abgrenzung des Rechtsatzes i m einzelnen knüpft sie nur scheinbar an einen vorgegebenen, form-unabhängigen Gesetzesinhalt an. I n Wirklichkeit sucht sie mit dem materiellen Gesetzesbegriff als „archimedische(m) P u n k t " 2 1 4 die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung dogmatisch zu erfassen. Dabei gelangt sie statt zu einem „theoretisch-logisch(en)" zu einem „historischkonventionell(en)" Rechtssatzbegriff 215 . Die Verbindung von abstrakter Begrifflichkeit und konkreter Verfassungsdogmatik führt jedoch teilweise zu widersprüchlichen, teilweise zu unbestimmten Aussagen, die nicht lediglich behebbare Abgrenzungsschwierigkeiten darstellen, sondern auf einem grundlegenden Mangel i m Ansatz der Lehre selbst beruhen. Die Isolation des materiellen Gesetzes von seiner Erscheinungsform führt zu einer scharfen Unterscheidung des Gesetzesinhalts i n Rechtssätze und Nicht-Rechtssätze und zugleich zu einer NichtUnterscheidbarkeit des Inhalts von Rechtsverordnungen und Gesetzen mit Rechtssatzinhalt. Dementsprechend w i r d der Kompetenzbereich des Gesetzgebers durch den materiellen Gesetzesbegriff einerseits zweigeteilt, andererseits mit dem Kompetenzbereich der Regierung vermengt. Dem drohenden Leerlaufen des materiellen Gesetzesbegriffs als Abgrenzungsmerkmal zwischen Gesetzgeber und Regierung soll dadurch begegnet werden, daß materielles und formelles Gesetz sich i n der Regel decken müssen 216 . Damit w i r d der Ansatz von der Form-Unabhängigkeit des materiellen Gesetzes verlassen und der Zusammenhang zwischen materiellem und formellem Gesetz indirekt zugestanden, ohne daß jedoch daraus weitere Folgerungen gezogen werden. Grund und Grenzen des Regel-Ausnahme-Prinzips bleiben deshalb i m Ungewissen, und der „Grundsatz" erschöpft sich i n einer Leerformel, die das „nur-formelle" Gesetz ebenso wie die „materiell-gesetzliche" Rechtsverordnung, obwohl beide als verfassungsrechtlich normierte und unentbehrliche Handlungsformen des Gesetzgebers bzw. der Regierung erkannt werden 2 1 7 , 214

Böckenförde, Gesetz, 233 (zu Laband). Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes, 176. 218 Dazu oben, bei A n m . 199 f. 217 So „entlastet sich (die Regierung) dadurch von ihrer Verantwortlichkeit", daß sie den Weg der (formellen) Gesetzgebung beschreitet, „ w e i l diese Formen die Genehmigung der Volksvertretung i n sich schließen" (Laband, Staatsrecht I I , 69, 62; vgl. auch G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 256 f.). — Ohne die Verordnung „wäre die Schnelligkeit u n d Sicherheit der Verwaltung, w i e sie der moderne Staat erfordert, schlechterdings unmöglich . . . (weil der) W i l l e des 215

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

205

als verfassungsdogmatisch unbewältigte Fremdkörper erscheinen läßt 2 1 8 . Damit bleibt aber auch das angeblich durch den doppelten Gesetzesbegriff gelöste Problem der verfassungsrechtlichen Kompetenzabgrenzung 2 1 9 offen, das eine dogmatische Zuordnung von Form und Inhalt der verschiedenen Staatsakte voraussetzt. Nach alledem erweist sich das von seiner Form isolierte materielle Gesetz ebenso wie das von seinem Inhalt gelöste formelle Gesetz als ungeeignet, den Bereich des Gesetzes und die Zuständigkeit zum Erlaß von Gesetzen innerhalb der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung zu bestimmen. Somit vermag auch der Begriff des materiellen Gesetzes das bisher gewonnene Ergebnis von der Proportionalität zwischen der Bedeutsamkeit des gesetzlichen Kegelungsgegenstandes und der Aufwendigkeit des gesetzlichen Erzeugungsverfahrens nicht zu erschüttern. e) Die Bedeutsamkeit der Regelung als Abgrenzungsmerkmal für den Bereich des Parlamentsgesetzes M i t der Erkenntnis von der Unmaßgeblichkeit des doppelten Gesetzesbegriffs entfällt die Doppeldeutigkeit des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz. Das aus der Untersuchung des Gesetzgebungsverfahrens und der Gesetzgebungsmaterien des Grundgesetzes gewonnene Ergebnis, wonach der Bereich des Parlamentsgesetzes die bedeutsamen Regelungen i m Rahmen der Verfassung umfaßt, hat sich demnach insofern gefestigt, als auch die „schlicht-gesetzlichen", aber inhaltlich bedeutsamen, Regelungsmaterien 220 i n den Bereich des Parlamentsgesetzes fallen. Bemerkenswert an diesem Ergebnis ist die aus den aufgeführten Beispielen 2 2 1 ersichtliche, gleichmäßige Verteilung der gesetzlichen Regelungsmaterien über das gesamte Grundgesetz, welche die traditionelle, i n der konstitutionellen Monarchie entwickelte scharfe Trennung zwischen „staatlichem" Organisationsbereich und „gesellschaftlichem" Rechtsbereich 222 überbrückt. Bedeutsame Regelungen gehören i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes zum Bereich des ParlamentsgeGesetzgebers einer Ergänzung durch die Organe der V e r w a l t u n g bedarf, u m den durch das Gesetz beabsichtigten Zweck v o l l u n d sicher zu erreichen" (Jellinek, ebd., 382; vgl. auch Laband, ebd., 88). 218 Vgl. dazu die einprägsame Darstellung bei Böckenförde, Organisationsgewalt, 6 1 - 6 9 ; ferner Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 25. 219 Vgl. oben, bei A n m . 179. 220 Vgl. oben, Abschnitt 3 c, bei A n m . 100, i n diesem Kap. 221 Vgl. oben, Abschnitt 3 c i n diesem Kap. 222 Dazu oben, Kap. I I 2; ferner Abschnittt 3 d cc, bei Anm. 185 bis 188, i n diesem Kap.

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I V . Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

setzes unabhängig davon, ob sie die staatliche Organisation allein oder i n ihrem Verhältnis zum Bürger oder die Beziehungen der Bürger untereinander betreffen. Die hiermit gewonnenen Erkenntnisse über das Parlamentsgesetz — daß es zu seiner Abgrenzung eines inhaltlichen Merkmals bedarf, daß dieses i n der Bedeutsamkeit der Regelung liegt und daß sein I n halt untrennbar mit seinem Erzeugungsverfahren zusammenhängt — vermitteln nur erste, allerdings grundlegende Anhaltspunkte für die verfassungsrechtlich zutreffende Erfassung der besonderen Aufgabenzuordnung an das Parlament sowie des dahinter verborgenen allgemeinen, auch für die Verteilung der Staatsleitungsaufgaben maßgeblichen Zuordnungsmaßstabs. Während zur Staatsleitung der durch die Verfassung begründete und begrenzte Bereich umfassender und grundlegender Staatsaufgaben gehört 2 2 3 , unterfallen dem Bereich des Parlamentsgesetzes die zur Ausfüllung und Entwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung erforderlichen bedeutsamen Regelungen. Vorbehaltlich aller Einzelheiten der Abgrenzung zeigt sich i n der verfassungsunmittelbaren Aufgabenstellung, die den grundlegenden bzw. bedeutsamen staatlichen Tätigkeitsbereich erfaßt, ein die Staatsleitung und das Parlamentsgesetz verbindendes inhaltliches Merkmal. Damit rückt der Begriff der Bedeutsamkeit des Regelungsgegenstandes i n den Vordergrund der verfassungsrechtlichen Betrachtung zum Bereich des Parlamentsgesetzes. Uber diesen Begriff gibt es wenig K l a r heit und noch weniger Einigkeit. Die Zweifel beginnen bei der Terminologie, setzen sich fort über die Verwendbarkeit i m allgemeinen und enden bei der Bestimmung des Inhalts i m einzelnen. Neben dem hier verwendeten Ausdruck „bedeutsam" 2 2 4 w i r d zur Umschreibung des Regelungsbereichs des Parlamentsgesetzes u. a. von „grundlegenden" 2 2 5 , von „wichtigen" 2 2 6 oder von „wesentlichen" 2 2 7 Ent223

Vgl. oben, Kap. I I 4 c. So auch Kewenig, Z P a r l 1973, 432 („politisch bedeutsame u n d langfristig wirkende Entscheidungen"); ferner Ossenbühl, Entwicklungplanung, Β 77 („Bedeutsames"); Scheuer, DÖV 1969, 591 („Bedeutung des Falles"); Sinn, Die Änderung gesetzlicher Regelungen durch einfache Rechtsverordnung, 6 9 - 7 2 („Bedeutsamkeit"); Starck, Gesetzesbegriff, 170 („allgemein bedeutsam"); BVerfGE 2, 307, 316 („Bedeutung" der Gerichtsbezirksgrenzen). 225 Hesse, Verfassungsrecht, 205 („grundlegende Fragen des Lebens des Gemeinwesens, die die Verfassung offen gelassen hat u n d die der Normierung bedürfen"); N. Henke, DÖV 1977, 44 („grundlegende Entscheidungen"); K e w e nig, ZParl 1973, 430 („Treffen der grundlegenden, der staatsleitenden Entscheidungen"); Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 75 m. w. Ν. i n A n m . 94; BVerfGE 33, 303, 346 („daß der Gesetzgeber die grundlegenden Entscheidungen selbst verantworten soll"); BVerfGE 40, 237, 249 (alle „grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen"); vgl. auch BVerfGE 33, 125, 157 f., 163. 224

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

207

Scheidungen g e s p r o c h e n 2 2 6 , ohne daß sich zwischen d e n e i n z e l n e n B e zeichnungen, die v i e l f a c h auch k u m u l a t i v v e r w e n d e t w e r d e n 2 2 9 , sachliche Unterschiede feststellen l a s s e n 2 3 0 . D e r ü b e r g r e i f e n d e Gedanke, d e r h i n t e r dieser T e r m i n o l o g i e steht, t r i t t jedoch d e u t l i c h h e r v o r . Es g e h t u m d i e besondere S t e l l u n g des Parlamentsgesetzes i m V e r g l e i c h z u a l l e n a n d e r e n Staatsakten. D i e B e s c h r ä n k u n g des Parlamentsgesetzes a u f das Bedeutsame, das G r u n d l e g e n d e , das W i c h t i g e , das W e s e n t l i c h e s o l l das aufwendigste V e r f a h r e n der Staatswillensbildung i n der Verfassungso r d n u n g des Grundgesetzes v o n a l l e m Nebensächlichen e n t l a s t e n u n d a u f das Entscheidende k o n z e n t r i e r e n 2 3 1 . D e m e n t s p r e c h e n d erscheint das P a r lamentsgesetz n i c h t als m ö g l i c h s t umfassender u n d d a m i t w e r t - l o s e r , s o n d e r n als a u s g e w ä h l t e r u n d m ö g l i c h s t h o c h w e r t i g e r Regelungsmechanismus. D e m B e g r i f f des „ B e d e u t s a m e n " f e h l t es i n seiner a l l g e m e i n e n W o r t b e d e u t u n g a n d e r k l a r e n u n d e i n d e u t i g e n B e s t i m m t h e i t . Seine v e r f a s sungsrechtliche V e r w e n d b a r k e i t w i r d deshalb t e i l w e i s e b e z w e i f e l t 2 3 2 , teilweise überhaupt verneint 233. I n der Unbestimmtheit u n d Offenheit 228 Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, 77 („die für das politische Gemeinwesen ,wichtigen 4 Entscheidungen"); Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 21 („nach Maßgabe der Wichtigkeit"); Starck, Gesetzesbegriff, 169 („Wichtigkeit der Regelung"); Weyreuther, DVB1. 1976, 858 („das wahrhaft Wichtige"). 227 Oppermann, öffentliches Schulwesen, C 49 („alle wesentlichen' Entscheidungen"); Kisker, N J W 1977, 1317 f.; BVerfGE 33, 303 („Die wesentlichen E n t scheidungen über . . . hat der Gesetzgeber selbst zu treffen" = Leitsatz 4) ; BVerfGE 34, 165, 192 („daß die gesetzlichen Vorschriften . . . die wesentlichen Merkmale . . . festlegen"); BVerfGE 41, 251, 259 („gesetzliche Regelungen für wesentliche Maßnahmen"); vgl. auch BVerfGE 45, 400, 417 f.; 47, 46, 78 f.; 48, 210, 221; 49, 89, 126 f.; B V e r w G E 47, 194, 197; 201, 203; 48, 305, 308. 228 Weitere Nachweise bei Grimm, Z P a r l 1970, 464 Anm. 84; Magiera, Der Staat 1974, 25 A n m . 129; Oberndörfer, Politische Planung, 331 f. m i t Anm. 195 (S. 382). 229 Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 77 („Wesentliches, Wichtiges, Bedeutsames"); Hollerbach, Diskussionsbeitrag, 233 (allgemeines Gesetz „ i m Sinne des für das Gemeinwesen Wichtigen, Grundlegenden u n d Richtungweisenden"); Starck, Gesetzesbegriff, 171 (Gesetze, „die wichtige, grundlegende u n d bedeutsame Regelungen zum I n h a l t haben"). 280 Vgl. dazu auch Oppermann, öffentliches Schulwesen, C 53, der selbst die „Vokabel der ,Wesentlichkeit'" vorzieht, da sie den materiellen Aspekt besonders akzentuiere. 231 Hier liegt ein Schwerpunkt der neueren Beschäftigung m i t dem Gesetzesbegriff; vgl. etwa Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 292 f.; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 21; Görlitz, i n : E l l w e i n / Görlitz /Schröder, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, 153; Grimm, ZParl 1970, 464; Kewenig, ZParl 1973, 424-434; Rausch, ZfP 1967, 288; Schaumann, Staatsführung und Gesetzgebung, 331; Starck, Gesetzesbegriff, 169 - 175; Weyreuther, DVB1. 1976, 858. 232 G r i m m , AöR 1972, 516 f.; ders., ZParl 1970, 465 f.; Boldt, Z P a r l 1973, 544 f.; Hansen, Fachliche Weisung, 204 f. m i t Anm. 10; Triepel, Delegation, 113. 238 Achterberg, DVB1. 1972, 843 f.; Erichsen, V e r w A r c h 1978, 395 f.; ders., VerwArch 1976, 100 f.; ders., Besonderes Gewaltverhältnis, 244; Fuß, DÖV 1972,

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IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

liegt jedoch kein Mangel oder auch nur eine Besonderheit, sondern geradezu das Kennzeichen der verfassungsrechtlich grundlegenden Begriffe 2 8 4 , zu denen derjenige des Gesetzes unbestreitbar zählt. Unbrauchbar wäre ein solcher Begriff lediglich, wenn er nicht nur unbestimmt, sondern darüber hinaus auch unbestimmbar wäre. Dies t r i f f t auf den Begriff des „Bedeutsamen" jedoch nicht zu, wie seine Konkretisierung durch die staatsrechtliche Lehre und Praxis zeigt. Das Beispiel der „politischen" Verträge mit auswärtigen Staaten wurde schon erwähnt, weitere Beispiele sind etwa die Bestimmung der „allgemeinen" Gesetze i n Art. 5 I I G G 2 3 5 und insbesondere die erfolgreichen Bemühungen um die Uberwindung der sog. gesetzesfreien Räume, vor allem der besonderen Gewaltverhältnisse, durch die Herausarbeitung faßbarer Kriterien für die „wesentlichen", vom Parlamentsgesetz selbst zu treffenden Entscheidungen i n „grundrechtsrelevanten" Bereichen 236 . Entbehrt der Begriff des „Bedeutsamen" somit nicht grundsätzlich der Bestimmbarkeit, so darf andererseits nicht erwartet werden, daß sich aus ihm allgemeingültige Maßstäbe gewinnen lassen, die gleichsam zeit- und ortsungebunden für alle denkbaren Fallgestaltungen fertig anwendbar bereitstehen und aus sich heraus eindeutig ablesbare Abgrenzungsergebnisse gewährleisten 237 . Damit würde seine grundlegende Bedeutung für das Grundgesetz als Verfassungsordnung i m geschichtlichen Wandel verkannt. Diese Funktion steht einer die Anpassungsfähigkeit aufhebenden Erstarrung des Begriffs entgegen, verhindert oder erübrigt jedoch nicht jegliche Verfestigung. Die Bemühungen, einzelne Elemente des „Bedeutsamen" festzustellen, sollten deshalb nicht von vornherein als aussichtslos betrachtet werden 2 3 8 . Vermehrte Ansätze finden sich allerdings erst i n jüngerer Zeit, seitdem sich die staatsrechtliche Lehre und Praxis allmählich aus der mächtigen Tradition der konstitutionellen Dogmatik zu lösen beginnt und zu grundsätzlichen Neuentwicklungen vorstößt 2 3 0 . 770; Oberndörfer, Politische Planung, 331 f.; Schenke, DÖV 1977, 30; differenzierend Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 108-110; Hug, Regierungsfunktion, 62 f. 234 Dazu Kap. I 5, bei Anm. 105 bis 109. 235 Vgl. etwa Starck, Gesetzesbegriff, 62 - 66. 238 Dazu insbesondere Oppermann, öffentliches Schulwesen, C 46 - C 62 m. w. N.; BVerfGE 33, 125, 158; 303, 337, 346; BVerfGE 49, 89, 126 f.; kritisch Roellecke, N J W 1978,1778. 237 Vgl. dazu Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 209, 253; auch E h m ke, Wirtschaft u n d Verfassung, 77 f.; Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, 40; Hug, Regierungsfunktion, 6 2 1 ; Kisker, N J W 1977, 1317 f.; Lerche, D B 1969, Beilage Nr. 6, 3 f. 238 Vgl. auch Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 21 Anm. 22, der die angebliche Unbrauchbarkeit des K r i t e r i u m s der Wichtigkeit als ein altes V o r u r t e i l der Rechtswissenschaft bezeichnet, die aber dennoch bewußt oder u n bewußt darauf zurückgreife; ferner Kisker, N J W 1977, 1318.

3. Der Bereich des Parlamentsgesetzes

209

Die Elemente des „Bedeutsamen" werden zwar vor allem aus dem jeweiligen Regelungsbereich zu entwickeln sein, wobei die einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes, die eine gesetzliche Regelung vorsehen, weiterführende Hinweise geben 240 . Insbesondere i m Grundrechtsbereich finden sich, wie etwa die jüngste Diskussion um den Gesetzesvorbehalt i m Schulverhältnis gezeigt hat, wertvolle Anhaltspunkte 2 4 1 . Ä h n liches gilt für andere Bereiche, wofür neben der erwähnten Eingrenzung der politischen Verträge die Bemühungen um den Gesetzesbegriff i m Bereich der Haushaltsplanung ein eindrucksvolles Beispiel darstellen 2 4 2 . Darüber hinaus dürften sich aber auch übergreifende Elemente entwickeln lassen, die wiederum nach dem Grad ihrer Bestimmtheit zu ordnen wären. Allgemein könnten dazu etwa — soweit nicht schon i n der Verfassung selbst geschehen — Regelungen gehören, welche die Voraussetzungen des Willensbildungsprozesses zwischen Volk und staatlichen Organen sowie innerhalb des staatlichen Organbereichs festlegen, welche den Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik nach außen sowie zwischen Bund und Ländern i m Innern abgrenzen, welche die Rechtsstellung der einzelnen Bürger intensiv, dauerhaft oder hinsichtlich eines großen Adressatenkreises betreffen, welche für das staatliche Gemeinwesen eine hohe finanzielle Belastung, einen umfangreichen organisatorischen Aufwand oder eine weitreichende politische, wirtschaftliche oder soziale Neuorientierung mit sich bringen 2 4 3 . Selbst wenn es gelingen sollte, dem Begriff des „Bedeutsamen" durch Herausarbeitung einer Reihe näher bestimmter Elemente eine stärkere „objektive" Verfestigung zu verleihen, w i r d ein nicht geringer Spielraum 239 Z u früheren Ansätzen vgl. die Nachweise bei Zeidler, Maßnahmegesetz, 135- 144; dazu auch Schaumann, Staatsführung u n d Gesetzgebung, 326 f.; ferner Stratenwert, Verordnungen, 70 f. 240 Vgl. i n dieser Richtung etwa Scheuner, Der Bereich der Regierung, 286 290; Kisker, N J W 1977, 1318f.; Sinn, Die Änderung gesetzlicher Regelungen durch einfache Rechtsverordnung, 6 9 - 7 2 ; BVerfGE 40, 237, 249; speziell f ü r die Leistungsverwaltung etwa Starck, Gesetzesbegriff, 285 f. 241 Dazu Oppermann, öffentliches Schulwesen, C 48 - C 62; ders., JZ 1978, 292 f.; BVerfGE 34, 165, 192 f.; 41, 251, 259; 45, 400, 417 f.; 47, 46, 79 f. m. w. N.; Hess. VGH, JZ 1977, 233 m i t Anm. Rupp, ebd., 226 f.; ferner Evers, JuS 1977, 804 - 808. 242 Z u m Haushaltsbereich etwa Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, passim; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 292. — Z u A r t . 24 I GG vgl. Rojahn, JZ 1979,121 - 123. 243 Vgl. dazu Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 21 f. m i t A n m . 22; Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 40; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, 78; Kisker, N J W 1977, 1318 f.; Lerche, D B 1969, Beilage Nr. 6, 4; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 286-290; ders., D Ö V 1969, 590 f.; Sinn (Anm. 240); OVG Münster, Vorlagebeschluß v o m 18. 8.1977 — DÖV 1977, 854 = DVB1. 1978, 62 u n d dazu Listi, DVB1. 1978, 12- 15; Rengeling, N J W 1978, 2218 f.; Roellecke, N J W 1978, 1777 f.; BVerfGE 49, 89, 124 - 127.

1

Magiera

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

für „subjektive" Wertungen i n den einzelnen Anwendungsfällen verbleiben 2 4 4 . Auch hierbei handelt es sich jedoch um eine selbstverständliche Erkenntnis für eine den unvermeidlichen geschichtlichen Wandel einbeziehende Verfassungsrechtsordnung. Hinter den Bezeichnungen „objektiv" und „subjektiv" verbirgt sich in Wahrheit das Kompetenzproblem, welche Person oder welches Organ i m Zweifel über die Reichweite des „Bedeutsamen" und damit über den materiellen Inhalt des Gesetzesbegriffs entscheidet 245 . Schutz gegen menschliche W i l l k ü r — auch gegen Interpretationswillkür — bieten die Normen des Verfassungsrechts nur durch ein offenes und zugleich gegliedertes Verfahren der staatlichen Willensbildung. Da an dem Gesetzgebungsverfahren als dem aufwendigsten Verfahren der staatlichen Willensbildung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes alle wichtigen Verfassungsorgane — einschließlich des Bundesverfassungsgerichts — beteiligt sind, erscheint dieses Verfahren zur Klärung von Zweifelsfragen über die Grenzen des „Bedeutsamen" am geeignetsten und auch am besten legitimiert246. Läßt sich der Begriff des Bedeutsamen nicht ein für allemal eindeutig bestimmbar festlegen, ist er vielmehr i n der Zeit und von Fall zu Fall wandelbar, so erschwert sich die Abgrenzung des Bereichs des Parlamentsgesetzes. Einen Gewinn weiterer Anhaltspunkte verspricht die nähere Aufklärung des anderen Bereichs parlamentarischer Beschlußtätigkeit, des Bereichs des schlichten Parlamentsbeschlusses, der nunmehr zu untersuchen ist.

4. Der Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses a) Eingrenzung aufgrund des Beschlußverfahrens und der Beschlußmaterien des Grundgesetzes Das Grundgesetz enthält eine nicht geringe Anzahl von Bestimmungen, die eine Regelung durch einen schlichten — nicht i m Gesetzgebungsverfahren ergehenden — Beschluß des Bundestages vorsehen. Sie betreffen i m wesentlichen den inneren Organisationsbereich des Bundesta244 Vgl. Schaumann, Staatsführung u n d Gesetzgebung, 326; auch BVerfGE 1, 372, 383. 245 Dies übersieht Hansen, Fachliche Weisung, 204 f. A n m . 10, w e n n er Obj e k t i v i t ä t m i t Justitiabilität u n d Subjektivität m i t Belieben gleichsetzt; vgl. demgegenüber schon die — allerdings nicht weiter verfolgte — Erkenntnis von der Unsicherheit jeglicher „Grenzziehung" durch Laband u n d G. Jellinek (oben, A n m . 193). 248 So auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 241; Schaumann (Anm. 244), 329f.; Starck, Gesetzesbegriff, 230-233; weiter Nachweise bei Magiera, Der Staat 1974, 25.

4. Der Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses

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ges, das Verhältnis des Bundestages zu anderen Verfassungsorganen und einige besondere, vor allem eilbedürftige Staatsangelegenheiten. Zum inneren Bereich des Bundestages gehören insbesondere der Erlaß der Geschäftsordnung (Art. 40 I 2), ferner die Festlegung der Sitzungen (Art. 39 III), die Wahl des Präsidenten, seiner Stellvertreter und der Schriftführer (Art. 40 I 1), die Wahlprüfung (Art. 41 I 1), der Ausschluß der Öffentlichkeit von den Verhandlungen (Art. 42 I 2), die Entscheidung über den Verlust der Mitgliedschaft und die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten (Art. 41 I 2, 46 I I - I V ) , die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen (Art. 44), die Bestellung des Auswärtigen, des Verteidigungs- und des Petitionsausschusses (Art. 45 a I, 45 c I) sowie die Berufung des Wehrbeauftragten (Art. 45 b S. 1). I m Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen sind schlichte Parlamentsbeschlüsse vorgesehen für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 I, 67 I, 68 I 2), der vom Bundestag zu benennenden Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses (Art. 53 a I 2), des Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 I 2) und der Richterwahlausschüsse für die obersten Gerichtshöfe des Bundes (Art. 95 II), ferner für die Herbeirufung der Mitglieder der Bundesregierung (Art. 43 I), die Aufhebung der Immunität und die Anklage des Bundespräsidenten (Art. 60 IV, 61 I), die Zustimmung zur Ausübung bestimmter Nebentätigkeiten durch die Regierungsmitglieder (Art. 66) sowie für das Verlangen nach Aufhebung von Rechtsverordnungen der Bundesregierung i m Bereich der gesamtstaatlichen Haushalts Wirtschaft und Finanzplanung (Art. 109 I V 4). Zu den besonderen Angelegenheiten, die einen schlichten Parlamentsbeschluß voraussetzen, gehören die Feststellung des Eintritts des Spannungsfalls (Art. 80 a I) und — auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates — des Verteidigungsfalls (Art. 115 a I) einschließlich der entsprechenden Aufhebungsverfahren (Art. 80 a II, I I I , 115 11, II), ferner das Verlangen auf Einstellung des Einsatzes der Streitkräfte i m Innern (Art. 87 a I V 2) und — m i t Zustimmung des Bundesrates — die Errichtung bestimmter bundeseigener Mittel- und Unterbehörden (Art. 87 I I I 2). Die Zusammenstellung der Bestimmungen des Grundgesetzes, die eine Regelung durch schlichten Parlamentsbeschluß vorsehen 247 , läßt ein die Gesamtheit oder einzelne Teilbereiche übergreifendes Leitprinzip oder gemeinsames Merkmal schwerlich erkennen. Der parlamentsinterne Bereich unterliegt teilweise auch der näheren Regelung durch Gesetz, so 247 Vgl. auch die Zusammenstellungen bei Hamann / Lenz, A r t . 42, A n m . Β 2 ; von Mangoldt / Klein, A r t . 42, A n m . I V 2 (S. 929 f.); Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse, 4 f.

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

etwa hinsichtlich der Abgeordnetenwahl (Art. 38 III), der Wahlprüfung (Art. 41 I I I ) oder der Abgeordnetenentschädigung (Art. 48 I I I 3). Gleiches gilt für das Verhältnis des Bundestages zu anderen Verfassungsorganen, so etwa hinsichtlich der Wahl des Bundespräsidenten (Art. 54 VII) oder der Verfassung und des Verfahrens des Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 II), sowie für die aufgeführten besonderen Angelegenheiten, so etwa hinsichtlich des Friedensschlusses nach Beendigung des Verteidigungsfalls (Art. 115 1 III) oder der Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden (Art. 87 I I I 1). Eine systematische Ordnung schimmert hinter diesen Einzelbestimmungen nur ansatzweise und sehr schwach hervor. Zum einen erscheint der schlichte Beschluß, mit dem sich der Bundestag aufgrund der allgemeinen Zuweisung des Art. 40 I 2 GG insbesondere seine Geschäftsordnung gibt, für den parlamentsinternen Bereich eher als die Regelform, für die anderen Bereiche hingegen eher als eine Ausnahmeform parlamentarischer Entscheidung; zum anderen erscheint der schlichte Beschluß vorwiegend als die Entscheidungsform des Parlaments für diejenigen bedeutsamen Regelungsgegenstände i m Rahmen der Verfassung, für die das aufwendige Gesetzgebungsverfahren sich entweder wenig eignet, wie etwa für Wahlen oder für eilbedürftige Angelegenheiten, oder kaum lohnt, wie etwa für die Errichtung von Mittel- und Unterbehörden i m Gegensatz zu Oberbehörden des Bundes.

b) Das Erfordernis parlamentarischer Einflußnahme als Abgrenzungsmerkmal für den Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses Dieser wenig ergiebige Befund, der sich den Bestimmungen des Grundgesetzes entnehmen läßt, findet seine Entsprechung i n der staatsrechtlichen Lehre und Praxis, die sich — i m Gegensatz zum Gesetzesbegriff — m i t dem Begriff des schlichten Parlamentsbeschlusses zumeist nur am Rande beschäftigt 248 . I m allgemeinen begnügt sie sich mit der Feststellung, schlichte Parlamentsbeschlüsse außerhalb der i m Grundgesetz vorgesehenen Anwendungsfälle seien zwar allgemein zulässig, aber — sofern sich ihre Verbindlichkeit nicht ausnahmsweise aus der Geschäftsordnung des Bundestages oder einem Gesetz ergebe 249 — rechtlich nicht verbindlich 2 5 0 . Dazu zählen vor allem als schlichte Parlamentsbeschlüsse 248 Vgl. aber F. Klein, Gemeinsame Entschließung, 105 - 126; ders., JuS 1964, 181 - 190; ferner die Dissertationen von Linck, Einflußnahme des Bundestages (1970); Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß (1966); Criegee, E r suchen des Parlaments (1965) ; Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse (1965). 249 Beispiele bei Obermeier (Anm. 248), 5 f.; zur Verbindlichkeit des Geschäftsordnungsrechts vgl. oben, Kap. I I I 4 b.

4. Der Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses

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ergehende Meinungs- und Willensäußerungen des Bundestages, die sich i n — adressatenlose — „Entschließungen", „Resolutionen" u. ä. und in — an die Regierung gerichtete — „Ersuchen", „Aufforderungen", „Weisungen" u. ä. einteilen lassen 251 . I n der Praxis des Bundestages finden sich zahlreiche Beispiele, von denen i n jüngerer Zeit vor allem die sog. Gemeinsame Entschließung 252 (aller Fraktionen) vom 17. Mai 1972 zu den Ostverträgen von 1970 besondere Aufmerksamkeit erlangt hat 2 5 3 . Die verbreitete Ansicht von der allgemeinen Zulässigkeit, aber ebenso allgemeinen rechtlichen Unverbindlichkeit derjenigen schlichten Parlamentsbeschlüsse, die keine ausdrückliche Grundlage i m Grundgesetz haben und sich auch nicht auf die Geschäftsordnung des Bundestages oder ein Gesetz stützen, ist allerdings nicht selbstverständlich und unbestritten 2 5 4 . Die scharfe Trennung zwischen Zulässigkeit und rechtlicher Unverbindlichkeit birgt zunächst die Gefahr eines Zirkelschlusses i n sich, wonach schlichte Parlamentsbeschlüsse zulässig erscheinen, weil sie angeblich rechtlich unverbindlich sind 2 5 5 , und umgekehrt ihre rechtliche Verbindlichkeit ausgeschlossen erscheint, weil sie angeblich unbeschränkt zulässig sind. Darüber hinaus bleibt unberücksichtigt, daß unter dem Grundgesetz alles Handeln staatlicher Organe einer verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisung bedarf 2 5 6 und daß dieses Handeln, selbst wenn und soweit es rechtlich unverbindlich sein sollte, nicht auch rechtlich unerheblich sein muß 2 5 7 . 250 Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / Scholz, A n m . 42, Randnr. 14; von Mangoldt / Klein, A r t . 38, Vorbem. I I I 3 j (S. 872 f.); Hamann / L e n z , A r t . 42, Anm. Β 2 ; weitere Nachweise bei Obermeier (Anm. 248), 100 A n m . 1 ; Sellmann (Anm. 248), 2 4 - 2 7 (Schrifttum), 2 8 - 3 1 (Rechtsprechung); Linck (Anm. 248), 2 9 - 3 1 ; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 95 f. m i t A n m . 107. 251 Dazu F. Klein, Gemeinsame Entschließung, 110; ders., JuS 1964, 184; zur Terminologie vgl. die Nachweise oben, A n m . 50. 252 Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, Stenogr. Berichte, Bd. 80, S. 10943 (B) m i t Umdruck 287, S. 10960 (B) f. 253 Weitere Beispiele bei Obermeier (Anm. 248), 17 - 2 6 ; Linck (Anm. 248), 2 7 - 2 9 ; Sellmann (Anm. 248), 18 - 22; Criegee (Anm. 48), 32 - 43. 254 Abweichend vor allem Sellmann (Anm. 248), passim, m. w. Ν . (zur Z u lässigkeit, 23; zur Verbindlichkeit, 28) ; vgl. auch F. Klein, JuS 1964, 187 m. w . N. 255 Vgl. etwa die bekannte Formulierung Thomas, Der Vorbehalt der Legislative, 221, Anm. 1: „Juristisch unverbindliche Beschlüsse (die politisch von großer Bedeutung sein können) darf ein Parlament immer fassen"; dagegen insbesondere Criegee (Anm. 248), 11 - 20 m. w. N. 256 Dazu oben, Kap. I I 4 b cc, nach A n m . 170. 257 Gegen die schroffe Gegenüberstellung von rechtlicher u n d „ n u r " p o l i t i scher oder tatsächlicher B i n d u n g durch die h. M. (dazu etwa Linck, Einflußnahme des Bundestages, 19-21, 29 m. w. N.; Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, 31 f., 3 5 - 3 7 ; Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 42, Randnr. 14; Criegee, Ersuchen des Parlaments, 29-31) zu Recht F. Klein,

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I V . Parlament u n d verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

Insbesondere auf der hier untersuchten Ebene der Staatsleitung, wo es vorwiegend um die Ausgestaltung und Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung geht, erwachsen rechtlich verbindliche Entscheidungen nach der normativen Anlage des Grundgesetzes regelmäßig nicht unvermittelt aus isolierten Ad-hoc-Dezisionen, sondern allmählich aus einem offenen und gegliederten Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß. I n diesem Prozeß verfügt jedes Verfassungsorgan nur über einen begrenzten und auf Ergänzung durch die anderen Verfassungsorgane angewiesenen Anteil an Mitwirkungs- und Entscheidungsbefugnissen 268 . Die Begrenztheit der einzelnen Verfassungsorgane bedingt eine gegenseitige Abhängigkeit und erfordert eine loyale Zusammenarbeit und Rücksichtnahme i m Rahmen der jeweils besonderen Organausstattung und -Zuständigkeit 259 . Jedes einzelne Verfassungsorgan muß daher bemüht sein, die anderen von seinen Vorstellungen i n Kenntnis zu setzen und zu entsprechenden Überlegungen zu veranlassen, um gemeinsam und i n Ergänzung m i t ihnen die offenstehenden Möglichkeiten abzuklären und zu ausgewogenen Gesamtergebnissen vorzustoßen. Der von der Verfassung geforderte offene und gegliederte Willensbildungs· und Entscheidungsprozeß unter den Verfassungsorganen 2®0 könnte einerseits nicht umfassend zustande kommen, wenn sich das Parlament daran nicht weitmöglichst beteiligte. Als Kollegialorgan kann das Parlament nur durch Beratung und Beschlußfassung zu einer eigenen Meinungs- und Willensbildung und damit zu den Voraussetzungen für eine Teilnahme an dem gemeinsamen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß unter den Verfassungsorganen gelangen 261 . Von diesem Erfordernis her ist der überwiegenden Ansicht i n der staatsrechtlichen Lehre und Praxis deshalb insoweit grundsätzlich zuzustimmen, als sie von der allgemeinen Zulässigkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse ausgeht 2 6 2 . Der von der Verfassung geforderte offene und gegliederte Willensbildungs· und Entscheidungsprozeß unter den Verfassungsorganen w ü r JuS 1964, 189 f.; vgl. auch BVerfGE 8, 104, 114; Kewenig, AöR 1965, 194: „ . . . i n einem geschlossenen Rechtssystem (kann es) ein Verhalten, das ,eo ipso rechtlich irrelevant' wäre, überhaupt nicht geben". 258 Dazu oben, Kap. I I I 1 a. 259 Allgemein zum Gebot loyalen Zusammenwirkens u n d gegenseitiger Förderung aller staatlichen Organe vgl. Schenke, Verfassungsorgantreue (1977); W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht I, 181 f.; BVerfGE 45, 1, 39; vgl. auch oben, Kap. I I 5 a (nach A n m . 229) u n d b (nach A n m . 237). 280 Vgl. dazu oben, Kap. I 6. 261 Dazu insbesondere Obermeier, Die schlichten Parlamentsbeschlüsse, 137 f., 156. 202 U m eine Begründung der von i h r angenommenen Zulässigkeit bemüht sich die h. M. allerdings k a u m ; vgl. dazu vor allem Obermeier (Anm. 261), 100- 157; Criegee, Ersuchen des Parlaments, 54-81.

4. Der Bereich des schlichten Parlamentsfbeschlusses

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de andererseits vorzeitig abgebrochen werden, wenn die Beteiligung des Parlaments ohne weiteres eine rechtliche Bindung der anderen Verfassungsorgane herbeiführte. Das Parlament könnte den anderen Verfassungsorganen, ohne auf sie Rücksicht nehmen zu müssen, jederzeit einseitig seinen Willen auferlegen, soweit sich i n der Verfassung keine ausdrückliche Begrenzung fände. Damit wäre die grundsätzliche Pflicht der Verfassungsorgane zu loyaler Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme weitgehend i n das Belieben des Parlaments gestellt und zur Ausnahme herabgemindert. Hinzu käme die Gefahr eines Formenmißbrauchs 263 . Das Parlament könnte um das umständlichere — vor allem durch die regelmäßige Einschaltung der anderen Verfassungsorgane gekennzeichnete — Gesetzgebungsverfahren zu vermeiden, auf das einfachere Beschlußverfahren zurückgreifen 264 . Dies läge um so näher, als die durch Parlamentsgesetz und durch schlichten Parlamentsbeschluß zu regelnden Materien nach dem Grundgesetz nur schwer voneinander abgrenzbar erscheinen 265 . Eine rechtliche Bindungswirkung schlichter Parlamentsbeschlüsse ergibt sich auch nicht, wie teilweise angenommen w i r d 2 6 6 , aus der Zuständigkeit des Parlaments zur M i t w i r k u n g an den grundlegenden Staatsangelegenheiten. Gerade wenn die Staatsleitung, worauf sich diese Stimmen berufen 2 6 7 , Parlament und Regierung gemeinsam zusteht, würde es der Gleichrangigkeit beider Verfassungsorgane widersprechen, wenn das Parlament die Regierung einseitig seinem Willen unterwerfen und rechtlich bindend festlegen könnte 2 6 8 . I m Ergebnis ist der überwiegenden Ansicht i n der staatsrechtlichen Lehre und Praxis deshalb auch insoweit grundsätzlich zuzustimmen, als sie von der allgemeinen rechtlichen Unverbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse ausgeht. Weder darf jedoch die rechtliche Unverbindlichkeit m i t einer rechtlichen Unerheblichkeit noch die allgemeine Zulässigkeit m i t einer unbeschränkten Zulässigkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse gleichgesetzt werden. Auch die Befugnis des Parlaments, schlichte Parlamentsbe293 Nicht ausreichend erscheint hingegen die Berufung auf so allgemeine Grundsätze w i e die Gewaltenteilung, die Gleichrangigkeit von Parlament und Regierung oder das Gesetzmäßigkeitsprinzip; vgl. dazu Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, 4 7 - 6 2 ; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 95 f. Anm. 107. 284 Diese Gefahr bestände nicht n u r i m Vorbehaltsbereich des Parlamentsgesetzes, für den die rechtliche Unverbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse unbestritten ist (vgl. Sellmann, ebd., 5 3 - 5 6 m. w. N.; F. Klein, Gemeinsame Entschließung, 114 f.), sondern ebenso i n dem Bereich, der dem Parlamentsgesetz über das Vorrangsprinzip offensteht. 285 Vgl. dazu oben, Abschnitte 3 e u n d 4 a i n diesem Kap. 288 So v o r allem Sellmann (Anm. 263), 67 - 69, 7 4 - 7 9 ; K l e i n (Anm. 264), 125. 287 Sellmann, ebd., 58, 65; Klein, ebd. 288 So auch Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 86.

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IV. Parlament und verfassungsrechtliche Aufgabenordnung

schlüsse zu fassen, ist eine verfassungsrechtliche Kompetenz, die — wie jede andere Kompetenz staatlicher Organe unter dem Grundgesetz — rechtliche Erheblichkeit besitzt und rechtlicher Begrenzung unterliegt 2 6 9 . Ihre rechtliche Erheblichkeit liegt darin, daß die Äußerungen des Parlaments — ungeachtet aller unmittelbaren rechtlichen Bindungswirkung — schon deshalb auf die Ausgestaltung und Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung wie auf das Verhalten der anderen Verfassungsorgane und selbst der Bürger wirksamen Einfluß auszuüben vermögen, weil das Parlament seinem Willen letztlich über seine Schlüsselstellung i m Gesetzgebungsverfahren und als Wahlorgan der Regierung Nachdruck m i t unmittelbaren rechtlichen Folgen verleihen kann 2 7 0 . Diese rechtliche Erheblichkeit bedingt zugleich die Begrenzung der schlichten Beschlußfassung des Parlaments. Wegen des Gewichts, das seine Äußerungen ungeachtet jeglicher unmittelbaren rechtlichen Verbindlichkeit besitzen, muß das Parlament jedenfalls dort zurückhaltend sein oder ganz schweigen, wo anderen Verfassungsorganen eine unabhängige oder doch von außerhalb möglichst unbeeinf lußte Entscheidungsgewalt eingeräumt ist 2 7 1 . Dazu gehören insbesondere die Ausübung der Gerichtsbarkeit, aber auch etwa der Gesetzesvollzug der Verwaltung gegenüber dem Bürger, während die allgemeinen justiz- und verwaltungs„politischen" Probleme, die eine Lösung i m Gesamtrahmen der Verfassung erfordern, der Erörterung und Beschlußfassung des Parlaments offenstehen 272 . Nach alledem stellen die schlichten Parlamentsbeschlüsse, soweit sie nicht i m Grundgesetz, der Geschäftsordnung des Bundestages oder einem Gesetz eine besondere Regelung erfahren haben, ein Ausdrucksmittel der parlamentarischen Meinungs- und Willensbildung dar. Sie sollen es dem Parlament ermöglichen, an dem von der Verfassung geforderten offenen und gegliederten Prozeß der Ausgestaltung und Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung mitzuwirken. Obgleich sie keine rechtliche Verbindlichkeit i m Sinne einer unmittelbaren Bindung der anderen Verfassungsorgane oder gar der einzelnen Staatsbürger entfalten, besitzen die schlichten Parlamentsbeschlüsse wegen der Einflußmöiglichkeit des Parlaments über das Gesetzgebungsverfahren und die Wahl der Regierung eine nicht zu unterschätzende rechtliche Be269 Vgl. auch Lerche, N J W 1961, 1759; Krüger, Staatslehre, 105 m. w. N. i n A n m . 108,110 f.; ferner BVerfGE 8,104,114. 270 Vgl. auch Criegee (Anm. 262), 82 - 114. 271 Z u weiteren Differenzierungen vgl. Criegee, ebd., 54-81. 272 Vgl. auch Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 36 Anm. 70; Criegee (Anm. 262), 71 - 77; a. A . Sellmann (Anm. 263), 109 - 111.

4. Der Bereich des schlichten Parlamentsbeschlusses

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deutung. Sie sind deshalb auch nicht unbegrenzt zulässig, sondern finden ihre Schranken an den verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten der anderen Verfassungsorgane, soweit diesen — wie insbesondere den Gerichten und den gesetzesvollziehenden Verwaltungsbehörden gegenüber dem Bürger — eine unabhängige oder von außen möglichst unbeeinflußte Entscheidungsgewalt eingeräumt ist.

Fünftes Kapitel

Staateleitung als kooperativer Prozeß zwischen Parlament und Regierung Das Grundgesetz kennt, wie das vorangegangene Kapitel ergeben hat, keine den anderen Verfassungsorganen übergeordnete Parlamentssuprematie, die es rechtfertigen könnte, die grundlegende Verfassungsaufgabe der Staatsleitung dem Parlament allgemein oder zumindest grundsätzlich zuzuordnen. Zur Lösung der Zuständigkeitsfrage mußte vielmehr auf die einzelnen, dem Parlament ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen zurückgegriffen werden. Hierzu hat die Untersuchung des Gesetzesbeschlusses und des schlichten Beschlusses als der beiden Äußerungsformen des Parlaments weiterführende Hinweise für die Bestimmung des parlamentarischen Anteils an der Staatsleitung erbracht. Eine Verbindung zwischen Parlament und Staatsleitung besteht danach sowohl über den Gesetzesbeschluß, der als unentbehrliche Voraussetzung für das Zustandekommen eines Parlamentsgesetzes den Bereich der bedeutsamen Regelungen zur Ausgestaltung und Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung erfaßt, als auch über den schlichten Beschluß, der die Teilnahme des Parlaments an dem von der Verfassung geforderten offenen und gegliederten Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß unter den Verfassungsorganen sicherstellen soll. Dementsprechend müssen nunmehr die bisher gewonnenen einzelnen Grunderkenntnisse — über die Verfassung als normativen Bezugsrahmen für Parlament und Staatsleitung, über die Staatsleitung als Verfassungsaufgabe und das Parlament als Verfassungsorgan sowie über den Standort des Parlaments innerhalb der verfassungsrechtlichen Aufgabenordnung — zusammengeführt und dabei so weit fortentwickelt werden, daß sich der Anteil des Parlaments an der Staatsleitung abgrenzen läßt. Zunächst sollen deshalb die verfassungsrechtlich prägenden Merkmale der Staatsleitung sowie des Verhältnisses von Parlament und Regierung zusammenfassend und weiter präzisierend aufgegriffen werden (Abschnitte 1 und 2). Sodann können die Grundsätze des Zusammenwirkens der beiden Verfassungsorgane i m Bereich der Staatsleitung näher herausgearbeitet und schließlich der Anteil des Parlaments an der Staatsleitung i m einzelnen bestimmt werden (Abschnitte 3 und 4).

1. Staatsleitung als Entscheidungsverfahr en

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1. Staatsleitung als rationales und legitimiertes Entscheidungsverfahren Die Anforderungen an die Staatsleitung spiegeln die Erwartungen an den Staat wider, welche ihrerseits bedingt sind durch die tatsächlichen und normativen Möglichkeiten und Grenzen, wie sie aus dem Zusammenspiel der vermeintlichen und wirklichen Sachzwänge mit den Geltungsansprüchen der verfassungsrechtlichen Sollensordnung hervorgehen. Der Anteil des Parlaments an der Staatsleitung bestimmt sich deshalb nach der konkreten Ausgestaltung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Als Verfassungsaufgabe erfährt die Staatsleitung ihre allgemeine Prägung durch die Wechselwirkung von Entscheidung und Rechtfertigung i m staatlichen Aufgabenbereich und ihre besondere Ausgestaltung in den Merkmalen ihrer Kontinuität sowie ihrer Rationalität und Legitimität. a) Entscheidung und Rechtfertigung

im staatlichen Aufgabenbereich

Die staatliche Aufgabenwahrnehmung dient keinem Selbstzweck, sondern dem menschlichen Zusammenleben i m Staat. Solange sich dieses Zusammenleben weitgehend i n kleineren, verhältnismäßig selbstgenügsamen Gruppen vollzog, bestand wenig Bedarf für eine übergreifende staatliche Betätigung. Initiative und Ausführung lagen vorwiegend bei den einzelnen und den Gruppen, die ihr Zusammenleben selbst gestalteten. Der Staat konnte sich darauf beschränken, die Verhaltensregeln, die sich durch und für das menschliche Zusammenleben gleichsam von selbst herausbildeten, anzuerkennen und zu schützen. Die Verfassungsordnung erschöpfte sich i n bestätigenden und konfliktregelnden Normen 1 . Das Recht war nicht von den Zufälligkeiten der tatsächlichen Entwicklung i m zwischenmenschlichen Verhalten gelöst, entfaltete aber dennoch eine stabilisierende Kraft. Seine Richtigkeit bewegte sich zwar i m Rahmen der Normativität aus dem Faktischen, wirkte aber zugleich als Normativität für das Faktische. Indem es bestimmte — anerkannte — Verhaltensweisen billigte und bestimmte andere — nicht anerkannte — Verhaltensweisen ablehnte, übernahm das Recht durch entlastende Generalisierung eine ordnende Funktion innerhalb der vielfältigen Verhaltensmöglichkeiten. Ein Wandel dieser „stehenden Ordnung" 2 war nicht ausgeschlossen, jedoch erschwert und wurde vom Staat nicht bewußt angestrebt, sondern lediglich registrierend gekennzeichnet. 1 2

Dazu Ryffel, Rechtssoziologie, 159 - 163. Ryffel, ebd., 147 - 158.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

M i t dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik erweiterten sich die tatsächlichen Verhaltensmöglichkeiten; mit der Zunahme der Bevölkerung und dem Zusammenrücken der Gruppen vermehrte sich das Konfliktpotential. Beide Entwicklungen zusammen bewirkten einen erhöhten Regelungsbedarf, der nicht mehr durch allmähliches, „natürliches" Wachstum, sondern nur durch bewußte Entscheidung befriedigt werden konnte. Zu den Bestätigungs- und Konfliktnormen traten die Änderungs- und Steuerungsnormen 3 . Die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens wandelte sich scheinbar von einer vorgegebenen i n eine bewußt gestaltete. I n Wahrheit beruht jede menschliche Ordnung auf menschlicher Gestaltung 4 . Nur die sehr viel langsamere, über Generationen ohne größere Veränderungen sich vollziehende Aus- und Umprägung vermochte der früheren Ordnung den Anschein unbeeinflußter Vorgegebenheit zu verleihen. Nicht die Tatsache des Entscheidungsbedarfs und des Entscheidungszwangs für die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens ist deshalb neu i m modernen Staat. Neu ist allein — neben der Erweiterung der Verhaltensmöglichkeiten — das Entscheidungsbewußtsein, das die Verantwortung des Menschen für sich und seine Mitmenschen mit all seiner erschreckenden, aber auch verheißungsvollen Deutlichkeit offenbart. Ordnung als bewußte Entscheidung bedarf — anders als eine scheinbar vorgegebene Ordnung — der Rechtfertigung, gleichgültig ob ihr Bestand verteidigt oder ihre Änderung befürwortet w i r d 5 . A l l e i n auf den gesollten Inhalt kommt es an; der verteidigte alte Inhalt kann i h m ebenso entsprechen oder widersprechen wie der befürwortete neue Inhalt. Die Beharrung um der Beharrung willen entbehrt der Überzeugungskraft nicht weniger als die Veränderung um der Veränderung w i l len. Ordnung und Fortschritt können, müssen jedoch nicht i n einem „dialektischen" Verhältnis zueinander stehen 6 . Damit verlagert sich das Gewicht der Auseinandersetzung von dem unfruchtbaren Streit um die Erhaltung oder Erneuerung der jeweiligen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens auf das wesentliche Problem der Entscheidung über diese Ordnung und der Rechtfertigung dieser Entscheidung. Dementsprechend bedarf vor allem der staatliche A u f gabenbereich als der Bereich derjenigen Aufgaben, die der staatlichen 3 Ryffel, ebd., 159, 163- 165; Böckenförde, Der Staat 1972, 431: „sog. Planungszwang (Steuerungsnotwendigkeit)"; Vitzthum, Parlament u n d Planung, 4 6 - 5 9 : „Unentbehrlichkeit der politischen Planung". 4 Vgl. oben, Kap. I I 3. 5 Z u r Begründungsbedürftigkeit staatlichen Handelns insbesondere Bäumlin, Kontrolle, 238 f. 8 Dazu Schreckenberger, V e r w A r c h 1977, 29 f.

1. Staatsleitung als Entscheidungsverfahr en

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Organisation — i m Gegensatz zu den einzelnen Staatsbürgern — obligatorisch oder fakultativ obliegen 7 , menschlicher Bestimmung und Begründung 8 . Abgesehen von echten Sachzwängen, die unabhängig von menschlicher W i l l k ü r bestehen, muß die Abgrenzung deshalb normativ erfolgen, wobei der Verfassungsordnung des konkreten Staates die grundlegende Entscheidung über die Verteilung der Aufgaben zwischen Staat und Bürgern sowie innerhalb der staatlichen Organisation zukommt 9 . Auch das Grundgesetz hat obligatorische und fakultative staatliche Aufgaben vorgesehen. Entsprechend seiner Grundstruktur als Verfassung eines Bundesstaates teilt es die staatlichen Aufgaben zunächst zwischen Bund und Ländern auf (Art. 30) 10 . I m übrigen lassen sich die staatlichen Aufgaben nach Tätigkeitsmodalitäten — Gesetzgebung, Vollziehung, Rechtsprechung (Art. 20 II, III) — und nach Tätigkeitsbereichen — ζ. B. Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (Art. 32 I), L u f t verkehrsverwaltung (Art. 87 d), Ausbau und Neubau von Hochschulen (Art. 91 a I) — einteilen. Die Aufgaben können ausdrücklich aufgeführt sein, wie etwa hinsichtlich der Verteidigung (Art. 87 a), der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a, b), der Finanz- und Haushaltswirtschaft (Art. 109) oder der Notstandsbewältigung (Art. 115 äff.); Hinweise enthalten auch die Kompetenzbestimmungen, vor allem die an sich der Abgrenzung zwischen Bund und Ländern dienenden Kataloge für die Gesetzgebung (Art. 73 ff.) und die Verwaltung (Art. 87 ff.); schließlich besitzen auch die Grundrechte und die allgemeinen Verfassungsgrundsätze, insbesondere das Rechtsstaats- und das Sozialstaatsprinzip, erhebliche Aussagekraft für die Bestimmung des staatlichen Aufgabenbereichs 11 . Hinter diesen grundsätzlichen Bemerkungen verbergen sich schwierige Konkretisierungs- und Abgrenzungsprobleme. Selbst die ausdrückliche Erwähnung einer staatlichen Aufgabe erübrigt nicht die Frage, ob und inwieweit die staatlichen Organe zu ihrer Erledigung verpflichtet oder nur ermächtigt sind bzw. ob und inwieweit die einzelnen Staatsbürger dadurch von den betreffenden Tätigkeitsbereichen ausgeschlossen sein sollen. So ist für die Aufstellung der Streitkräfte zur Verteidigung (Art. 87 a I), eine nach dem Grundgesetz offenkundig ausschließ7 Vgl. dazu Bull, Staatsaufgaben, 47-50, 6 4 - 6 9 ; Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, 131. 8 Vgl. oben, Kap. I I 3. 9 Vgl. oben, Kap. I I 4 b. 10 Z u r Abgrenzung von staatlichen Aufgaben u n d staatlichen Befugnissen i. S. dieser Bestimmung vgl. Bull, Staatsaufgaben, 52 - 55. 11 Vgl. auch Bull, Staatsaufgaben, 149 - 189.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

liehe Staatsaufgabe, nicht unbestritten, ob und inwieweit es sich um eine verpflichtende oder lediglich um eine ermächtigende Aufgabenzuweisung handelt 1 2 . Die freiheitliche demokratische Grundordnung i m Sinne des Art. 20 GG, deren Aufrechterhaltung eine ebenso offenkundige Staatsaufgabe darstellt, darf, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, auch von den (deutschen) Staatsbürgern durch Wahrnehmung ihres Rechts zum Widerstand verteidigt werden (Art. 20 IV) 1 3 . Die Rechtsprechung als nicht minder bedeutsame Staatsaufgabe kann i n bestimmten Fällen auch durch ein privates Schiedsgericht ausgeübt werden (§§ 1025 ff., 1040 ZPO). Der weite Spielraum für die Entscheidung über das „Ob" und das „Wie" staatlicher Aufgabenerledigung w i r d noch deutlicher bei einem Blick i n die Gesetzgebungs- und Verwaltungskataloge der A r t . 73 ff. und 87 ff. GG 1 4 . Danach gehören beispielsweise zu den Gesetzgebungsmaterien „die auswärtigen Angelegenheiten" (Art. 73 Nr. 1), „das bürgerliche Recht" (Art. 74 Nr. 1), „die öffentliche Fürsorge" (Art. 74 Nr. 7), „das Recht der Wirtschaft" (Art. 74 Nr. 11) und zu den Verwaltungsmaterien „der Auswärtige Dienst . . . die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schiffahrt" (Art. 87 I 1), die Aufstellung der „Streitkräfte zur Verteidigung" (Art. 87 a I), die Errichtung einer „Währungs- und Notenbank" (Art. 88) 15 . Über Umfang und Intensität der jeweiligen Gesetzesregelungen und Verwaltungsmaßnahmen geben diese Bestimmungen keine nähere Auskunft. Die Schwierigkeiten nehmen zu, wenn nach dem Sinn und Zweck der Grundrechte gefragt wird. Die Würde des Menschen ist von der staatlichen Macht nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen (Art. 1 1 GG). Damit stellt sich das i n den einzelnen Grundrechtsbestimmungen wiederkehrende Problem, ob der Staat den an i h n gestellten Anforderungen genügt, wenn er sich auf ein grundsätzliches Nicht-Eingreifen i n den gleichsam vorstaatlichen Bereich seiner Bürger beschränkt (Grundrechte als Abwehr gegen den Staat), oder ob der Staat nicht (auch) zu einer Förderung des Wohls seiner Bürger berechtigt und verpflichtet ist (Grundrechte — auch — als Gewährleistung durch den Staat) 16 . 12

Dazu Lutz / Rittberger, Abrüstungspolitik und Grundgesetz (1976). Dazu statt vieler Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 211 ff. 14 Z u m Zusammenhang von Kompetenz u n d Aufgabe vgl. Ehmke, W i r t schaft u n d Verfassung, 111; ders., Verfassungsinterpretation, 90; Bull, Staatsaufgaben, 152 - 155 m. w. N. 15 Z u A r t u n d Umfang der staatlichen Verwaltungsaufgaben vgl. näher Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht 1,18 - 25. 16 Z u m Wandel des Grundrechtsverstänisses vgl. die Nachweise oben, Kap. I I 4 b cc, Anm. 191. 13

1. Staatsleitung als En tschei dungs ver fahr en

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Eine letzte Steigerung erfahren die Schwierigkeiten, wenn nach der Bedeutung der allgemeinen Verfassungsgrundsätze, insbesondere des Sozialstaatsprinzips, aber auch des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips, gefragt wird. Letzteres erscheint nur dann als i m Vergleich zum Demokratie- und vor allem zum Sozialstaatsprinzip eindeutiger bestimmt, wenn seine formale Seite („Rechtssicherheitsstaat") unter A b trennung und Zurückdrängung seiner materialen Seite („Gerechtigkeitsstaat") einseitig hervorgehoben wird, so daß — mangels inhaltlicher Orientierungsmerkmale — der konstitutionell-, ja selbst der absolut-monarchische Staat ebenso als „Rechtsstaat" bezeichnet werden kann wie der demokratische und soziale Bundesstaat des Grundgesetzes 17 . Zu den Konkretisierungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten aufgrund der normativen Offenheit der Verfassung kommt die Schwierigkeit des Entscheidungszwangs aufgrund der tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten hinzu, die sich dem modernen Staat infolge der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung i n zunehmendem Maße bieten. M i t der Möglichkeit der Aufgabenwahrnehmung durch den Staat stellt sich zugleich das Problem ihrer Zuständigkeit, „Wünschbarkeit" oder Gebotenheit. Die Fülle der tatsächlichen Möglichkeiten und die Weite der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung erschweren es dem modernen Staat des Grundgesetzes, seine Grenzen gegenüber dem Tätigkeitsbereich seiner Bürger abzustecken, gestatten es i h m aber auch, alle diejenigen A u f gaben zu übernehmen, welche die einzelnen Bürger nicht oder nur unzulänglich wahrnehmen können oder wollen, deren ständige und zureichende Erfüllung jedoch für das menschliche Zusammenleben i m Staat unentbehrlich erscheint. Damit bleibt der Umfang des staatlichen Aufgabenbereichs wandelbar und bedarf — unabhängig davon, ob es um seine Erweiterung oder um seine Einschränkung geht — der näheren Festlegung und Begrenzung i m Rahmen des verfassungsrechtlich vorgesehenen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses 18.

17 Z u r „Reduktion auf einen sog. formellen Rechtsstaatsbegriff" i m 19. Jahrhundert, insbesondere durch die spätkonstitutionelle Staatslehre, vgl. etwa Böckenförde, Rechtsstaatsbegriff, 7 0 - 7 6 ; Bäumlin, Rechtsstaat, 2044 f., 2047, 2050 f.; Weber-Fas, Rechtsstaat, 20 f.; Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, 141 -146. 18 So auch das Ergebnis der eingehenden Untersuchung von Bull, Staatsaufgaben, 403 f. ; ferner Ossenbühl, Die E r f ü l l u n g von Verwaltungsaufgaben durch Private, 153 f.; B. Tiemann, Der Staat 1977,184 f.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

b) Kontinuität

der Staatsleitung

Wie i m menschlichen Leben allgemein, so besteht auch i m staatlichen Bereich ständiger Entscheidungszwang; selbst die „Nicht"-Entscheidung — etwa i m Staat des „laissez faire" — stellt insoweit eine Entscheidung dar 1 9 . Die einzelnen Entscheidungen oder „Nicht"-Entscheidungen gleichen mehr oder minder großen und dauerhaften Steinen i n einem nur grob vorgezeichneten und mit einem weiten Rahmen versehenen Mosaik. Ihre Wirkung beruht auf ihrer Güte, die sich wiederum nach der Einpassungsfähigkeit i n die echten Sachzwänge, i n die verfassungsrechtlichen Vorentscheidungen und i n die Erwartungen der Adressaten bemißt. Soll die Erfüllung dieser Anforderungen nicht dem Zufall überlassen bleiben, womit sich etwa ein auf „Intuition" vertrauender Dezisionismus begnügen muß, so dürfen die staatlichen Entscheidungen nicht als isolierte Spontanakte einer Ad-hoc-Machtentfaltung aufgefaßt werden. Vielmehr muß jede Entscheidung i n ihrem unlösbaren Zusammenhang mit allen anderen Entscheidungen einschließlich der „Nicht"-Entscheidungen und ihren eigenen Bedingungen und Wirkungen gesehen werden. Auch dieses Problem, das i n jüngster Zeit i n der Diskussion um die staatliche Aufgabenplanung große Aufmerksamkeit erlangt hat, scheint eine Besonderheit des modernen Staates, vor allem i n seinem jetzigen hochentwickelten Stadium, zu sein. Aber ebenso wie bei dem Entscheidungsbedarf und -zwang handelt es sich bei der Entscheidungsplanung und -kontrolle weniger um ein neues Problem als um ein gewandeltes Problembewußtsein 20 . Für einen Staat, dem die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens als vorgegeben gilt und der sich deshalb mehr als Vollziehender denn als Entscheidender empfindet, hat die Frage der Entscheidungsvorbereitung und -Überwachung keine offenkundige Bedeutung. Entwicklung und Ergebnisse des „freien" Zusammenlebens der Staatsbürger werden dem Staat nicht zugerechnet, obwohl seine Ordnung gerade dieses Zusammenleben schützt und fördert, so daß er die Auswirkungen mitgestaltet und für sie nicht unverantwortlich bleibt. Da alle staatliche Regelung, jegliche staatliche Aufgabenwahrnehmung oder -Unterlassung das menschliche Zusammenleben i m Staat beeinflußt und (mit-)gestaltet, bedürfen nicht nur die Änderungs- oder Steuerungsnormen, sondern auch die Bestätigungs- und Konfliktnormen der Planung und Kontrolle i m Sinne einer Bewertung ihrer Tauglichkeit 19

Vgl. auch — vom Standpunkt der Entscheidungstheorie — Bohret, E n t scheidungshilfen, 17. 20 Z u r Frage der modernen staatlichen Planung als gesteigerter Quantität oder neuer Qualität vgl. etwa Forsthoff, Uber M i t t e l u n d Methoden moderner Planung, 21 f.; ferner Böckenförde, Der Staat 1972, 430; Dobiey, Politische Planung, 38 - 40.

1. Staatsleitung als Entscheidungsverfahren

225

für dieses Zusammenleben 21 . Staatliche Aufgabenerledigung erschöpft sich nicht i n einer lockeren Aneinanderreihung unverbundener Entscheidungen und ihrer Ausführung 2 2 . Sie ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozeß, i n dem durch sorgfältig vorbereitete Entscheidungen und bewußte „Nicht"-Entscheidungen eine Ordnung für das menschliche Zusammenleben i m Staat geschaffen wird, die der ständigen Uberprüfung auf ihre Eignung bedarf und deshalb der ständigen Abänderung und A n passung unterliegt 2 8 . Dieser Prozeß läßt sich theoretisch zwar i n klar unterschiedene Phasen aufteilen, etwa i n die Vorbereitung (Planung), die Festlegung („eigentliche" Entscheidung), die Durchführung (Vollziehung) und die Kontrolle (Überwachung) 24 ; praktisch sind die einzelnen Phasen jedoch so eng miteinander verflochten, daß sie ohne gegenseitige Berücksichtigung und Abstimmung nicht ihre volle Wirksamkeit entfalten können. So dient die Kontrollphase nicht nur der Uberprüfung vergangener Handlungsabläufe, sondern auch der Unterrichtung über zukünftige Handlungsmöglichkeiten. Ebenso können i n der Durchführungsphase Erkenntnisse eintreten, die zu einer Entscheidungsänderung oder völligen Neuplanung führen 2 5 . Die Verflechtung 2 6 betrifft grundsätzlich die gesamte staatliche A u f gabenwahrnehmung, gewinnt jedoch hervorragende Bedeutung für die Staatsleitung als den durch die Verfassung begründeten und begrenzten Aufgabenbereich umfassender und grundlegender Planung, Festlegung und Durchführung der Organisation, Ziele und Aufgaben sowie der Rechtsordnung des Staates 27 . Als kontinuierlicher Lern- und Steuerungsprozeß zur Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Verfassungsordnung des Grundgesetzes muß die Staatsleitung den Ansprüchen eines offenen und zugleich gegliederten verfassungsrechtlichen Willensbil21 Vgl. speziell zur Rechtsetzung u n d Gesetzgebung Eichenberger, Rechtssetzung, 23 - 26. 22 Vgl. Scheuner, Konsens u n d Pluralismus, 33 f. 23 Z u m Prozeßcharakter der staatlichen Aufgabenwahrnehmung vgl. K e w e nig, D Ö V 1973, 26; Bäumlin, Kontrolle, 220-230; Dobiey, Politische Planung, 23 - 25 m. w. N. ; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 32 - Β 35 m. w. Ν. ; Scheuner, Politische Koordination, 899 f. ; Brünner, Politische Planung, 140 145; Lanz, Politische Planung, 2 1 - 2 5 ; V i t z t h u m , Parlament u n d Planung, 7 1 - 8 1 ; zum Entscheidungsprozeß vgl. Hug, Regierungsfunktion, 91 - 99. 24 Vgl. auch Stern, Rationale I n f r a s t r u k t u r p o l i t i k , 77 f.; Ossenbühl (Anm. 23), Β 35 - Β 37; Dobiey (Anm. 23), 1 6 - 2 1 ; Siegmund, Planungskompetenzen, 20, 24 - 142,199 - 206; Lanz (Anm. 23), 30 - 32. 25 Z u diesem Rückkoppelungserfordernis vgl. ζ. B. Schreckenberger, V e r w A r c h 1977, 39 f.; Frank, Politische Planung, 36 - 38. 26 Bäumlin, Kontrolle, 245 f. 27 Z u r Staatsleitung als allgemein-staatswissenschaftlichem u n d als konkretverfassungsrechtlichem Begriff vgl. oben, Kap. I I 3 b und 4 c.

15 M a g i e r a

226

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

dungs- und Entscheidungsprozesses gerecht werden 2 8 . Neben der Kontinuität kommt es deshalb auf die Qualität der Staatsleitung an. c) Rationalität

und Legitimität

der Staatsleitung

Die Staatsleitung muß wie jede Verfassungsaufgabe i m Staat des Grundgesetzes vom Volk her legitimiert sein 29 . Der verfassungsrechtlich geforderte offene und gegliederte Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß bedingt nicht nur die unmittelbare oder mittelbare Rückbindung aller staatlichen Gewaltausübung an eine Wahlentscheidung des Volkes, sondern auch die Durchschaubarkeit der staatlichen Gewaltausübung durch das Volk, die erst eine sinnvolle Wahl ermöglicht. Rechtfertigung staatlicher Entscheidungen unter dem Grundgesetz bedeutet deshalb Volks-Verständlichkeit i m Sinne allgemeiner Erklärbarkeit und Einsehbarkeit 30 . Es genügt nicht, daß eine staatliche Entscheidung nach irgendwelchen Maßstäben als „richtig" bezeichnet werden kann; vielmehr kommt es darauf an, daß sie gerade i m verfassungsrechtlichen W i l lensbildungs- und Entscheidungsprozeß als „richtig" erkannt und anerkannt w i r d 3 1 . Damit w i r d die Wandelbarkeit des Richtigkeitsverständnisses sichtbar. Eine auf das Spekulative und Mystische i n ihrem allgemeinen Dasein vertrauende Gesellschaft w i r d diese Elemente für den staatlichen Bereich ebensowenig ausschließen, wie umgekehrt eine auf das Berechenbare und Überprüfbare abstellende Gesellschaft diese Erkenntnisquellen dem staatlichen Bereich vorenthalten wird. Der Staat kann nur, muß aber auch auf der Höhe seiner Zeit und dem Entwicklungsstand seiner Bürger sich bewegen und entfalten. Kennzeichen des modernen Staates 32 , zu dem sich die Verfassungsordnung des Grundgesetzes bekennt, ist die Abkehr von der lediglich individuell erfahrbaren Offenbarung und die Hinwendung zur allgemein nachvollziehbaren Rationalität 3 8 . Tradition und — wenn auch i n geringerem Maße 34 — Innovation werden nicht mehr einfach deshalb aner28 Z u r Offenheit u n d Gliederung des verfassungsrechtlichen Willensbildungs· u n d Entscheidungsprozesses vgl. oben, Kap. I 6. 29 Dazu oben, Kap. I I I 2 a. 30 Vgl. auch Schaumann, Staatsführung und Gesetzgebung, 330; BVerfGE 44, 125,147 f. 31 Vgl. auch Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 177 ; Bohret, Entscheidungshilfen, 15, 4 1 - 4 3 ; Albert, Kritische Vernunft, 180 f. 32 Z u m modernen Staat vgl. oben, Kap. I I 3 b. 33 Bull, Staatsaufgaben, 106-109; Kriele, Rechtsgewinnung, 182-186; Krüger, Staatslehre, 53 - 61; vgl. auch Frank, Politische Planung, 7 - 1 1 . 34 Vgl. aber etwa die Auseinandersetzung u m die (friedliche) Nutzung der Kernenergie i n jüngster Zeit.

1. Staatsleitung als Entschei dungs verfahr en

227

kannt, weil sie alt oder neu sind, sondern müssen sich jeweils erst i m Rationalitätstest bewähren. Die Rationalität i m modernen Staat ist ausgerichtet an dem (natur-) wissenschaftlichen und technischen Ideal quantifizierbarer und reproduzierbarer Prozeßhaftigkeit. Ihre Einbeziehung i n den staatlichen Entscheidungsablauf ist nicht mehr hinwegzudenken und i m Grundsatz auch nicht mehr umstritten 3 5 . Problematisch erscheinen jedoch die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den staatlichen Bereich, vor allem i m Hinblick auf die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses. Wissenschaftliche und technische Rationalität ist selbst entwicklungsfähig und -bedürftig 3 6 , so daß auch sie nur Teilantworten bereithält 3 7 ; zudem und vor allem aber beschränken sich ihre Aussagen auf die Ausführung und Abwägung vorgegebener Ziele, vermögen jedoch nicht die Ziel vorgäbe selbst zu ersetzen 38 . Neben diesen immanenten Grenzen der wissenschaftlichen und technischen Rationalität bestehen externe Grenzen, die ihre Wirkungskraft zusätzlich einschränken. Dazu gehören die auch i m staatlichen Bereich vorhandenen subjektiven menschlichen Schwächen, wie Befähigungsmangel, Voreingenommenheit, Autoritätsgläubigkeit oder Eigensucht, und objektive Hindernisse, wie Zeitmangel, Ressourcenknappheit, Repräsentationsverzerrung oder Kompromißbedürftigkeit 3 9 . Soll die staatliche Willensbildung angesichts dieser Grenzen der wissenschaftlichen und technischen Rationalität nicht i n Entscheidungswillkür umschlagen, so muß wegen des staatlichen Entscheidungszwanges, der auch die „Nicht"-Entscheidung zur Entscheidung werden läßt 4 0 , auf eine erweiterte Form der Rationalität abgestellt werden 4 1 . I n einer demokratisch legitimierten Verfassungsordnung, die von der grundsätzlichen Gleichberechtigung aller Staatsbürger ausgeht 42 , kann dies nur bedeuten, daß alle Werte und Interessen, soweit sie sich nicht aufgrund streng wissenschaftlicher und technischer Rationalität befriedigen las35

Vgl. oben, Kap. I I 4 a. Vgl. oben, Kap. I I 4 a. 37 Z u r Teilantwort vgl. oben, Kap. I 6. 38 Bull, Staatsauf gaben, 110; Waterkamp, Interventionsstaat u n d Planung, 2 4 - 2 7 ; Bohret, Entscheidungshilfen, 19-25 („Sozialtechnik"); Harnischfeger, Planung, 38 - 42 (Mittel- u n d Zweckrationalität) ; vgl. auch oben, Kap. I I 4 a. 39 Dazu Kriele, Rechtsgewinnung, 186 - 191; ferner Bohret (Anm. 38), 31 - 33 (zum nicht-rationalen Entscheidungsmodell) ; Noll, Gesetzgebung^lehre, 144 f. ; Vitzthum, Parlament u n d Planung, 6 1 - 7 1 (zu den Grenzen von Information und Prognose sowie des Rationalitätsprinzips i m Bereich der Planung). 40 Vgl. oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap. 41 So auch Bull, Staatsaufgaben, 110 f.; Fiedler, Sozialer Wandel, 50 f. 42 Vgl. oben, Kap. I I I 2 a. 38

15*

228

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

sen, i n den verfassungsrechtlichen Willensbildungsprozeß eingebracht und dort nach sorgsamer Abwägung entschieden werden 4 3 . Deshalb kommt es ausschlaggebend darauf an, daß dieser Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß sowohl der wissenschaftlichen und technischen Rationalität den ihr möglichen und gebührenden Einfluß einräumt als auch darüber hinaus geeignet ist, die anderweit auszugleichenden Werte und Interessen i n sich aufzunehmen, abzuwägen und befriedend zu regeln. Staatsleitung als rationales und legitimiertes Entscheidungsverfahren bedeutet nach alledem, unter voller Nutzung der Einsatzmöglichkeiten von Wissenschaft und Technik i m Rahmen des verfassungsrechtlich geforderten offenen und gegliederten Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses zu einem befriedenden Ausgleich der konkurrierenden Werte und Interessen zu gelangen. Damit bleibt die Verfahrens- und Organisationsstruktur festzustellen, die das Grundgesetz zur Bewältigung dieser Anforderungen an eine verfassungsgemäße Staatsleitung vorsieht, wobei sich das Erkenntnisinteresse i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf das Parlament, insbesondere i m Verhältnis zur Regierung, beschränken muß. 2. Parlament und Regierung als sich ergänzende Verfassungsorgane a) Parlament und Regierung zwischen Organ- und Parteiendualismus Das Verhältnis von Parlament und Regierung erscheint i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes mehrdeutig bestimmbar und deshalb einer funktionsgerechten und organadäquaten Aufgabenzuordnung nur schwer zugänglich. Je nachdem, ob die Organ- oder die Parteienstruktur i n den Vordergrund der verfassungsrechtlichen Betrachtung gerückt wird, läßt sich eine Trennlinie entweder deutlicher zwischen Gesamtparlament und Regierung oder zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung einerseits und Parlamentsminderheit andererseits ausmachen. Der Organdualismus 44 zwischen Parlament und Regierung entsprach der dualistischen Verfassungsstruktur der konstitutionellen Monarchie, i n der sich Volk und Monarch tatsächlich und rechtlich geschieden gegen43 Vgl. auch Harnischfeger, Planung, 41; ferner B u l l , Staatsaufgaben, 112 f.; Kriele, Rechtsgewinnung, 191 - 194. 44 Die Terminologie ist uneinheitlich; statt des hier gebrauchten Gegensatzpaares Organ- u n d Parteiendualismus finden sich etwa „klassischer" u n d „neuer" Dualismus (Morscher, Die parlamentarische Interpellation, 17), „ k o n stitutioneller" u n d „demokratischer" Dualismus (Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 111) oder „institutioneller" („horizontaler") u n d „funktionaler" („zeitlicher") Dualismus (Frank, Politische Planung, 85).

2. Gegenseitige Ergänzung von Parlament u n d Regierung

229

überstanden 45 . Er w i r d deshalb vielfach für die demokratische Verfassungsstruktur des Grundgesetzes, i n der alle Gewalt allein vom Volk ausgeht, als überholt betrachtet. A n seine Stelle sei der Parteiendualismus 4 6 getreten, der i n dem neuen Gegenüber von Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit zum Ausdruck komme und den Organdualismus zur bloßen Fiktion mache 47 . Insgesamt bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen dem klassischen Dualismus von Parlament und Regierung, der als „Verfassungsrecht" der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung i n der traditionellen Diktion des Grundgesetzes entspreche, und dem modernen Dualismus von Regierung und Opposition, der sich i n der „Verfassungswirklichkeit" des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems herausgebildet habe 48 . Wie die Untersuchung der Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise des Parlaments i m Vergleich zur Regierung aufgezeigt hat 4 9 , läßt sich ein Wandel i n dem Verhältnis der beiden Verfassungsorgane von einem trennenden Gegeneinander zu einem teilweise ineinandergreifenden Miteinander nicht leugnen. Formal w i r d das Parlament vom Volk, die Regierung (oder noch formaler: der Kanzler) vom Parlament gewählt; tatsächlich handelt es sich bei der Volkswahl um eine parteigeprägte Sach- und Personalwahl, i n der als periodischem Kristallisationspunkt innerhalb eines kontinuierlichen Prozesses demokratischer Willensbildung Parlamentsabgeordnete wie Regierungsmitglieder gleichermaßen bestimmt werden 5 0 . Formal haben Abgeordnete und Regierungsmitglieder verschiedenartige „ Ä m t e r " 45

Dazu schon oben, Kap. I I 2; ferner unten, Kap. V I 1 c. „Parteiendualismus" kann, muß jedoch nicht das Gegenüber von n u r zwei Parteien bedeuten; vgl. dazu oben, Kap. I I I 2 b, 4 e, u n d unten, Kap. V I 1 c; ferner etwa Lipphardt, Die kontingentierte Debatte, 99 f. 47 Vgl. etwa Stein, Staatsrecht, 65; W. Weber, Spannungen u n d Kräfte, 25, 38, 141 („bloße Fassade"), 160 f. u n d passim; Gehrig, Parlament - Regierung Opposition, 87 - 93, 124 - 128, 234 - 243, 251 - 260 u n d passim; G r i m m , AöR 1972, 511; Hennis, Die Rolle des Parlaments, 77, 111 u n d passim; Herzog, Staatslehre, 235; L i p p h a r d t (Anm. 46), 98 - 103; Quick, Wissenschaftliche Beratung, 4 0 - 4 2 ; auch Brunner, Kontrolle, 140, aber 309 A n m . 6; Frank, Politische Planung, 85 f., aber 84. 48 Einen Gegensatz von „Verfassungsrecht" u n d „Verfassungswirklichkeit" vermerken i n diesem Zusammenhang etwa Gehrig (Anm. 47), 251 - 257 u n d passim; Dobiey, Politische Planimg, 120 f.; Morscher (Anm. 44), 221 (für Österreich); Quick (Anm. 47), 41 f.; auch Fauser, Die Stellung der Regierungsmitglieder, 135; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 111; Scheuner, D Ö V 1974, 437 (aber auch ders., Kontrolle, 56); Steiger, Parlamentarisches Regierungssystem, 83. — Z u r K r i t i k an dieser Entgegensetzung vgl. L i p p h a r d t (Anm. 46), 92 f. m i t Anm. 8; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 10, 13 - 16 u n d passim; ferner allgemein oben, Kap. I 5. 40 Oben, Kap. I I I . 50 Vgl. oben, Kap. I I I 2 b. 48

230

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

inne; tatsächlich besteht infolge des parteigeprägten Wahl Verfahrens eine weitgehende Annäherung ihrer Rechtsstellungen durch die Abhängigkeit der Regierungsbildung von dem Ausgang der Parlamentswahl, durch das Anwachsen des Abgeordnetenmandats zu einem politischen Hauptberuf und durch den Zusammenschluß von Parlaments- und Regierungsmitgliedern i n beständigen Parteiorganisationen 51 . Damit führen die Möglichkeit und die Notwendigkeit der parteiwahlbedingten Regierungsbildung, wie sie sich i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes entwickelt hat, zugleich zu einer Spaltung und einer Zusammenfügung der politischen Kräfte i n zwei dauerhafte und festgefügte (Haupt-)Lager, je nachdem, ob sie an der Einsetzung und Unterstützung der Regierung grundsätzlich m i t w i r k e n oder nicht 5 2 . Andererseits hat die Untersuchung des Parlaments als Verfassungsorgan i m Vergleich zur Regierung auch Anhaltspunkte für ein Fortbestehen der Trennlinie zwischen Parlament und Regierung ergeben. I n der Zusammensetzung unterscheidet sich die Regierung vom Parlament nicht nur durch den Ausschluß der gegen sie opponierenden Parlamentsminderheit, sondern auch durch eine erhebliche Verengung gegenüber der sie tragenden Parlamentsmehrheit 53 . I n der Arbeitsweise unterscheidet sich die Regierung vom Parlament durch ihre grundsätzliche Oppositionsfreiheit, während sich das Parlament zwar i n (Partei-)Fraktionen aufteilt, zugleich jedoch i m Plenum und i n den (Fach-)Ausschüssen als Forum für die Begegnung und Auseinandersetzung der parteigeprägten Standpunkte dient 5 4 . Auch i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ermöglicht das Parlament als ständig verfügbarer und genutzter Organisationsrahmen die Herausarbeitung, aber zugleich auch den Ausgleich unterschiedlicher Zielvorstellungen i n einem geordneten Verfahren, das zur Rechtfertigung der Mehrheitsentscheidung gegenüber der Minderheit und vor der Öffentlichkeit zwingt und einem unbefragten Dezisionismus vorbeugt 5 5 . Demnach entspricht das Verhältnis von Parlament und Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes weder dem Modell eines reinen Organdualismus noch dem Modell eines reinen Parteiendualismus 56 . 51

Dazu oben, Kap. I I I 3 a. Vgl. auch L i p p h a r d t (Anm. 46), 103; Schneider (Anm. 48), 117 - 122, 160165, 341 - 348, 354-356, 383 - 385 und passim; Steiger (Anm. 48), 84. 53 Vgl. oben, Kap. I I I 3 b. 54 Vgl. oben, Kap. I I I 4 c. 55 Vgl. oben, Kap. I I I 4 e. 56 Ebenso, w e n n auch teilweise m i t unterschiedlicher Akzentuierung u n d i n unzutreffender Entgegensetzung von Verfassungsrecht u n d Verfassungswirklichkeit (dazu oben, A n m . 48), etwa Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 397; ders., DÖV 1974, 437; Dobiey, Politische Planung, 120 f.; Friesenhahn, 52

2. Gegenseitige Ergänzung von Parlament und Regierung

231

Vielmehr finden sich i n beiden Richtungen Anhaltspunkte, und zwar sowohl i n der normativen Verfassungsstruktur als auch i n der von ihr geprägten Wirklichkeit. Organ- und Parteiendualismus lassen sich deshalb auch nicht gegeneinander ausspielen. Weder ist das Gegenüber von Parlament und Regierung als Verfassungsorganen ein überholter und auszumerzender Uberrest konstitutioneller Staatlichkeit, der nur noch als „formales" Verfassungsrecht fortlebt, noch ist das Gegeneinander von Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit der allein zu verzeichnende und zu fördernde Gegensatz demokratischer Staatlichkeit, der bisher lediglich als „politische" Wirklichkeit besteht. Der i m Grundgesetz vorausgesetzte offene und gegliederte Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß zwischen Volk und Verfassungsorganen sowie zwischen den Verfassungsorganen bedarf der parteigeprägten periodischen Wahl ebenso wie der parteigestützten permanenten Kommunikation, die beide zusammen zur Legitimation und zur Effektivität der Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise von Parlament und Regierung beitragen. Der Parteiendualismus ermöglicht durch die Aufbereitung relevanter Alternativpositionen eine legitimitätsfördernde informierte und überlegte Wahlentscheidung des Volkes 5 7 . Der Organdualismus ermöglicht durch Bereitstellung unterschiedlich ausgestatteter Arbeitsebenen eine effektivitätssteigernde Aufteilung der Aufgabenlast zwischen dem Parlament als dem Begegnungsfeld der relevanten Alternativen und der Regierung als der homogeneren Spitze des bürokratischen Sachverstandes 58 . Eine funktionsgerechte und organadäquate Aufgabenzuordnung i m Verhältnis von Parlament und Regierung erfordert nach alledem eine Differenzierung, die den Organdualismus zwischen Parlament und Regierung ebenso berücksichtigt wie den Parteiendualismus zwischen Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit 59 . I m Sinne einer normativen Leitlinie steht dabei der Parteiendualismus mehr i m Vordergrund des demokratisch zu legitimierenden Rückkoppelungsverhältnisses zwischen Volk und Verfassungsorganen, das eine Orientierung an programmatischen Alternativen und profilierten ParteigrupParlament u n d Regierung, 35; Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 7, 311 (für Österreich); Kewenig, DÖV 1973, 30; ders., Parlamentarische Mitregierung, 27; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 97 - 101 ; Ossenbühl, E n t w i c k lungsplanung, Β 111; Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 185 ; Väth, Z P a r l 1974, 229. 57 Dazu oben, Kap. I I I 2 b ; ferner — allerdings zu einseitig pointiert — zuletzt Lipphardt, Die kontingentierte Debatte, 90-97. 58 Dazu oben, Kap. I I I 4 e; ferner Badura, Finanzplanung, 13. 59 Dazu insbesondere H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 97 101.

232

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

pierungen voraussetzt, während der Organdualismus eher Bedeutung i m demokratisch zu effektivierenden Ergänzungsverhältnis zwischen den Verfassungsorganen gewinnt, das eine Ausrichtung an einer sachlich angemessenen und arbeitstechnisch wirksamen Aufgabenverteilung erfordert. Es bleibt zu untersuchen, welche verfassungsrechtliche Ausprägung die für eine organadäquate und funktionsgerechte Zuordnung der Staatsleitung entscheidende Leistungsstruktur der beiden Verfassungsorgane durch die Überschneidung von Organ- und Parteiendualismus i m einzelnen aufweist. b) Der Informationsvorsprung

der Regierung

Die Zunahme der Staatsaufgaben, zu denen auch die Entscheidung darüber gehört, ob und inwieweit der Staat eine Aufgabe übernehmen soll oder nicht, und die Steigerung der qualitativen Anforderungen an die Erledigung der Staatsaufgaben, welche die wissenschaftliche und technische Entwicklung m i t sich bringt, haben zu einem ständig wachsenden Informationsbedarf des Staates geführt 6 0 . Zugleich w i r d den Staatsorganen ebenso wie den Staatsbürgern 61 der Überblick über die vorhandenen und die erforderlichen Informationen mehr und mehr erschwert. Das Informationsproblem kann deshalb i n einem Mangel, aber auch i n einem Uberfluß an Informationsmaterial bestehen 62 . Ausschlaggebend für den Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß unter den Staatsorganen — wie auch für die Beteiligung des Bürgers daran — ist deshalb nicht allein die Menge, sondern vor allem die Relevanz der Information 6 8 . Damit t r i t t die Informationsauswahl gleichgewichtig neben die Informationserfassung. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die Regierung als „par excellence die informierte Gewalt" 6 4 i m Staat, weil i h r der umfangreiche A p parat der Ministerialbürokratie zur Verfügung steht, um die erforderlichen Informationen zu sammeln, zu sichten und abrufbereit vorzuhalten 6 5 . Empirische Untersuchungen, obwohl noch i n den Anfängen, haben jedoch Zweifel an der weit verbreiteten Vorstellung von der zureichen60 Ellwein, Regierung als politische Führung, 171 - 182, m i t dem Hinweis (171 A n m . 5) auf eine entsprechende Feststellung schon von Justus Leist (Lehrbuch des Teutschen Staatsrechts, Göttingen 1803, 266 f.). 61 Vgl. dazu oben, Kap. I I I 4 e. 82 Z u r „Informationsexplosion" vgl. Bohret, Entscheidungshilfen, 141 - 143; K e l l e r / Raupach, Informationslücke, 65. 83 Bohret, ebd., 142 f. m. w. N. 84 Leisner, J Z 1968, 729. 85 Vgl. auch Scheuner, D Ö V 1974, 438; Schäfer, Der Bundestag, 173; Brohm, Sachverständige u n d Politik, 48; Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 300.

2. Gegenseitige Ergänzung von Parlament u n d Regierung

233

den Informiertheit der Regierung hervorgerufen 66 . Das Vorhandensein von Informationen i m Exekutivbereich und die Möglichkeit des Exekutivapparats, Informationen zu erlangen, bedeuten noch nicht, daß diese Informationen für die Regierung i m erforderlichen — nämlich für sie entscheidungsrelevanten — Maß verwendbar sind. Dazu bedarf es eines hohen Organisations- und Kommunikationsgrades zwischen Regierung und Verwaltungsapparat sowie innerhalb des Verwaltungsapparats, der gegenwärtig nicht sicher gewährleistet und vor allem nicht spezifisch auf die modernen Informationsbedürfnisse zugeschnitten ist 6 7 . Solange die Grundlagen der innerexekutiven Informationsaufbereitung nicht hinreichend geklärt sind, bleibt auch die zutreffende Einordnung der — umfangreich genutzten — wissenschaftlichen Beratung der Regierung ungelöst 68 . Trotz dieser Mängel und der damit verbundenen Entscheidungsunsicherheiten ist jedoch die Informationslage der Regierung derjenigen des Parlaments weit überlegen 69 . Das „enorme Informationsgefälle" 7 0 zwischen den beiden Verfassungsorganen verschafft der Regierung einen erheblichen Informationsvorsprung gegenüber dem Parlament. Selbst wenn also die Informationslage der Regierung für sich genommen nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden kann, so erscheint doch diejenige des Parlaments als noch dringender verbesserungsbedürftig. Bevor aber der Weg einer Reform beschritten und eine Angleichung der Informationsunterschiede zwischen Parlament und Regierung — möglichst auf erhöhtem Niveau — versucht wird, muß die Vorfrage geklärt werden, welche Informationen das Parlament zur Erfüllung seiner Aufga66 Vgl. Steinmüller u.a., Das Informationsrecht des Parlaments, 178f.; Bebermeyer, Planung i m Bereich der Bundesregierung, 83 - 87; Frank, Politische Planung, 27 - 3 0 ; ferner die Vorträge u n d Diskussionsbeiträge i n : Organisation der Ministerien des Bundes u n d der Länder (1973); A k t u e l l e Probleme der Ministerialorganisation (1972). 67 Vgl. etwa Laux, Eignung der herkömmlichen Organisation der Ministerien, 19 - 36; Wagener, Die Organisation der F ü h r u n g i n den Ministerien, 56 f.; Derlien, Erfolgskontrolle, 25 - 29; Frank, Politische Planung, 176 - 204; Friauf, Aufgabenkoordinierung i m Bereich der Bundesregierung, 549 - 561; Jochimsen, B u l l e t i n 1970, 949 f.; Karehnke, D Ö V 1976, 544 f.; Scheuner, Politische Planung, 379 - 381. 68 Z u r wissenschaftlichen Beratung der P o l i t i k vgl. u. a. Brohm, Sachverständige u n d Politik, 37 - 75; H. Friedrich, Staatliche V e r w a l t u n g u n d Wissenschaft (1970); Lompe, ZfP 1969, 223 - 260; weitere Nachweise bei K e l l e r / R a u pach, Informationslücke, 69 A n m . 40. 69 B r o h m (Anm. 68), 48; Ellwein, i n : E l l w e i n / Görlitz / Schröder, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, 250 f. ; F r i a u f / Stephan, Politische Ziel- u n d Mittelplanung, 656; Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 300; Lohmar, Das Hohe Haus, 65, 77; Schäfer, Der Bundestag, 173; Scheuner (Anm. 67), 382; ders., DÖV 1974, 438; Steinmüller u. a. (Anm. 66), 174; Vitzthum, Parlament u n d Planung, 357 - 360. 70 Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 27.

234

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

ben i m Rahmen des staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses benötigt 7 1 . Der parlamentarische Informationsbedarf hängt von den verfassungsrechtlichen Leistungsanforderungen an das Parlament ab, die vor allem aus der verfassungsrechtlichen Struktur dieses Staatsorgans i m Vergleich zu den anderen Staatsorganen, insbesondere zur Regierung, entwickelt werden müssen 72 . c) Der Wertungsvorsprung

des Parlaments

Die i m staatlichen wie allgemein i m Zusammenleben der Menschen auftretenden Wert- und Interessenkonflikte 73 lassen sich angesichts der immanenten und externen Grenzen wissenschaftlicher und technischer Rationalität nur beschränkt „objektiv" durch quantifizierbare und reproduzierbare Verfahren lösen 74 . Soll jenseits dieses Bereiches nicht die Anarchie und damit die Macht des (der) Stärkeren oder — milder gewendet — die normative Kraft des Faktischen beginnen 75 , so bedarf es zusätzlicher Verfahrensvorkehrungen zur Konfliktregelung 7 6 . Konflikte treten nicht nur zwischen „guten" und „schlechten" Werten und darüber auf, welche Werte die eine oder die andere Eigenschaft besitzen. Auch allgemein als „gut" empfundene und anerkannte Werte — wie etwa Jugendförderung und Altenversorgung oder Wirtschaftswachstum und Umweltschutz — können aufgrund besonderer Umstände — zumeist infolge unzureichender materieller Ressourcen — miteinander i n Widerstreit geraten. Diese Fälle „unechter" Wertkonflikte dürften in der Praxis gegenüber den Fällen „echter" Wertkonflikte, i n denen es um eine abstrakte Rangordnung von Werten geht, sogar häufiger sein 77 . Das tiefgehende und vielerörterte Problem, ob sich eine widerspruchsfreie Wertskala aufstellen läßt, die als „objektiver Maßstab" zur Beurteilung von Wert- und Interessenkonflikten dienen könnte 7 8 , berührt deshalb die staatsrechtliche Praxis weniger als vielleicht zu erwarten wäre, 71 Keller / Raupach (Anm. 68), 86; B r o h m (Anm. 68), 48 f.; Egloff, Informationslage, 16 - 18, 43 - 53, 73 f.; Leisner, JZ 1968, 729. 72 Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 268; ferner oben, Kap. I I 5 b. 73 Z u m Verhältnis von Wert und Interesse (Zweck) vgl. H. Henkel, Rechtsphilosophie, 309 - 355, insbesondere 314, 318, 320. 74 Realinteressen gleichen sich — rechtlich — nicht etwa „durch ihren Kräfteaustrag, sozusagen i n einem mechanischen Transformationsakt" aus; dazu Henkel, ebd., 315 f.; vgl. i m übrigen oben, Abschnitt 1 c i n diesem Kap. 75 Dagegen oben, Kap. I 4. 78 Vgl. auch Noll, Gesetzgebungslehre, 62; Henkel (Anm. 73), 328. 77 Vgl. auch Noll, ebd., 125 f., 134- 140; Henkel, ebd., 331, 340, 344 f., 349, 351 f. 78 Dazu Henkel (Anm. 73), 322 - 325 m. w. N.

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zumal die „kulturell-soziologischen Vorgegebenheiten" 79 einen umfangreichen Bestand an Vor-Wertungen enthalten, die das konkrete Zusammenleben jeder staatlichen Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung zumindest i n den Grundzügen prägen 80 . Die staatsrechtliche Praxis steht vielmehr vor der Aufgabe, die von den einzelnen Staatsbürgern gehegten und vertretenen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen, die konkret miteinander i n Konflikt geraten, überhaupt zu erkennen und aufzugreifen 81 , sie sodann einzeln und i m Gesamtzusammenhang gegenüberzustellen und abzuwägen sowie schließlich positiv oder negativ zu bescheiden. Dabei können wissenschaftliche und technische Rationalität, etwa durch Aufdecken von i m Volk vorhandenen Wertvorstellungen und I n teressenrichtungen oder durch Berechnung der Auswirkungen geplanter Maßnahmen auf das Zusammenleben des Volkes, hilfreiche Unterstützung leisten, so daß die staatlichen Handlungsalternativen klarer hervortreten und sicherer abschätzbar werden. Wissenschaft und Technik erweitern und befestigen aber nicht nur die Handlungsmöglichkeiten des Menschen, sondern lassen sich für ganz unterschiedliche Zielrichtungen i n seine Dienste stellen 82 . Auch i m staatlichen Bereich bedürfen sie der normativen Vorgabe und Steuerung 83 . Dementsprechend muß der verfassungsrechtlich zur Offenheit verpflichtete staatliche Willensbildungsund Entscheidungsprozeß 84 nach seiner organisations- und verfahrensmäßigen Ausrichtung die wissenschaftliche und technische Hilfe zwar nutzen können, vor allem aber zur Aufnahme und Verarbeitung der von den einzelnen Staatsbürgern gehegten und vertretenen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen geeignet sein. Nicht alle Staatsbürger können i m gleichen Maße und mit gleicher Wirksamkeit an der Einbringung und Durchsetzung der von ihnen bevorzugten Werte und Interessen unmittelbar selbst teilhaben. Die A u f gabe, die Wertvorstellungen und Interessen aller Staatsbürger zu berücksichtigen, gehört deshalb bei zunehmender Komplizierung des Zusammenlebens i m modernen Staat vorwiegend auch zu den Obliegenheiten der Staatsorgane 85 . Folglich kommt es i m Verhältnis zwischen Staats79 Henkel (Anm. 73), 354; vgl. auch Scharpf, Demokratietheorie, 16 („soziokulturelle Bedingtheit"). 80 Vgl. auch oben, Kap. I 3. 81 Hier ergibt sich vor allem das sog. Randgruppenproblem; dazu etwa N o l l (Anm. 76), 56. 82 Vgl. oben, Kap. I I 4 a; ferner N o l l (Anm. 76), 134 - 137; Harnischfeger, Planung, 49 f. ; Waterkamp, Interventionsstaat u n d Planung, 24 f. 83 Dazu oben, Kap. I I 4 a. 84 Dazu oben, Kap. I 6. 85 Vgl. oben, Kap. I I I 2 a.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

bürgern und Staatsorganen darauf an, daß die Aufnahme- und Verarbeitungskapazität der Staatsorgane für die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen der Staatsbürger möglichst weit gehalten und nicht einseitig zugunsten oder zu Lasten einzelner Bevölkerungsteile verengt wird. Die neben den Leistungen der wissenschaftlichen und technischen Rationalität notwendige zusätzliche Wert- und Interessenberücksichtigung erscheint um so zuverlässiger gewährleistet, je mehr das verfassungsrechtlich dafür vorgesehene Staatsorgan der Bevölkerungsstruktur entspricht. Auch wenn infolge der Individualität der Staatsbürger Repräsentationsverzerrungen zwischen der Gesamtbevölkerung und den Staatsorganen unvermeidbar sind 8 6 , so bestehen doch — gemessen an dem Grad der Entsprechung — Repräsentationsunterschiede zwischen den einzelnen Staatsorganen 87 . Von den normativen Anforderungen des Grundgesetzes wie von den tatsächlichen Möglichkeiten her verfügt das Parlament insoweit über die günstigsten Voraussetzungen für die Einbringung und Verarbeitung unterschiedlicher Wertvorstellungen und Interessenrichtungen. Als „Organ der Vielen" 8 8 ist es durch sein breites personelles Spektrum, vor allem durch den Einschluß der oppositionellen Kräfte, herausgehoben 89 und besitzt dadurch, insbesondere gegenüber der Regierung, einen erheblichen Wertungsvorsprung. Dieser ermöglicht es ihm, nicht lediglich die Mehrheit oder einen fiktiven Mehrheitswillen, sondern die Gesamtheit des Volkes zu repräsentieren, für das ein gemeinsamer Wille unter möglichst umfassender Berücksichtigung der i m Volk vorhandenen unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen erst gebildet und nicht einfach gefunden oder berechnet werden muß 9 0 . Das Parlament ist jedoch nicht mit einer A r t Wunderkraft ausgestattet, die alle Wert- und Interessenkonflikte unter den Staatsbürgern i n harmonische Gemeinsamkeiten aufzulösen vermag 9 1 . Seine Besonderheit liegt darin, daß es die i m Volk vorhandenen unterschiedlichen Wertvor86

Dazu oben, Kap. I I I 3 b. Z u m hier interessierenden Verhältnis von Parlament und Regierung vgl. oben, Kap. I I I 3 b. 88 Bäumlin, Kontrolle, 268; auch Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, 390; ders., Diskusisonsbeitrag, V V D S t R L 33 (1975), 121; Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 41; Zacher, Freiheitliche Demokratie, 28. 89 Vgl. dazu H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 89 f., 102; oben, Kap. I I I 3 b. 90 Vgl. auch Egloff, Informationslage, 41; H. Henkel, Rechtsphilosophie, 320, 354 f.; Scheuner, DÖV 1957, 635; ferner oben, Kap. I I I 3 b, 4 a. dl Dazu auch oben, Kap. I I I 3 a. 87

2. Gegenseitige Ergänzung von Parlament u n d Regierung

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Stellungen und Interessenrichtungen möglichst vollständig und unverfälscht i n den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß einführt, dort zur Sprache bringt und zur Entscheidung stellt. Ob der einzelne Abgeordnete als Vertreter individueller oder allgemeiner Werte, eigener oder fremder Interessen, als selbstsüchtiger Lobbyist oder als Anwalt des Gemeinwohls auftritt, erscheint dabei angesichts der Unvermeidbarkeit persönlicher Schwächen und subjektiver Wertungen ein weniger dringliches Problem als die möglichst vielfältige und alternativenklare 9 2 Zusammensetzung des Parlaments insgesamt: Wertungs- und Interessenausgleich durch Wertungs- und Interessenkonfrontation statt durch Wertungs- und Interessenneutralität 93 . Damit kann und soll das Parlament die wissenschaftliche und technische Rationalität nicht ersetzen oder zurückdrängen 94 , sondern nur ergänzen und stärker wirksam machen; es kann und soll auch nicht alle im Volk vorhandenen unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen gleich-gültig behandeln, sondern gegeneinander abwägen und — positiv oder negativ — bescheiden. Der Wertungsvorsprung des Parlaments hebt nicht den staatlichen Entscheidungszwang auf 9 5 ; er soll jedoch einer Verengung oder gar Ausschaltung von im Volk vorhandenen Wertvorstellungen und Interessenrichtungen entgegenwirken, bevor diese i n den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß gelangen und dort in gegenseitiger Konfrontation abgewogen und beschieden werden können 96 .

d) Gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit bei der Aufgabenwahrnehmung Setzt die Staatsleitung als rationales Entscheidungsverfahren eine informierte ebenso wie eine wertungsfähige Ausübung der Staatsgewalt voraus, so fragt sich, ob der Informationsvorsprung der Regierung und der Wertungsvorsprung des Parlaments als verfassungsmäßige Ausprägungen der Organstruktur des Grundgesetzes anzunehmen und zu fördern oder als verfassungswidrige Entwicklungen zurückzuweisen und zu unterdrücken sind. Das Ineinandergreifen von Informations- und Wertungsbedarf i m Bereich der Staatsleitung läßt es jedenfalls nicht zu, 92

Dazu oben, Kap. I I I 4 e. Vgl. auch oben, Kap. I I I 4 d. 94 Dazu Noll, Gesetzgebungslehre, 54 - 58. 95 Z u m Entscheidungszwang vgl. oben, Abschnitt 1 a i n diesem Kap. 96 Bevor nach „ A l t e r n a t i v e n " zum Parlament gerufen w i r d (vgl. etwa Scharpf, Demokratietheorie, 90 f.), muß deshalb — soweit ein Leistungsdefizit des Parlaments festgestellt w i r d — gefragt werden, ob die Möglichkeiten des Parlaments v o l l ausgeschöpft sind; ebenso Oberreuter, Einleitung, 9 f. 93

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Parlament und Regierung einander i n der Weise gegenüberzustellen, daß eines der beiden Verfassungsorgane als das vorrangige erscheint — etwa das Parlament als das wertungsfähige und „eigentlich" demokratische oder die Regierung als das informierte und „eigentlich" rationale 97 . . Wissenschaftlich-technische Rationalität und demokratisch legitimierte Wertung sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander und müssen zueinander i n Beziehung gesetzt werden. Wertentscheidungen ohne wissenschaftlich-technisch aufbereitete Informationsgrundlage genügen den Anforderungen des Grundgesetzes an eine moderne und zugleich demokratische Staatsleitung ebenso wenig wie wissenschaftlich-technische Informationsverarbeitung ohne Wertvorgabe. Eine trennscharfe Grenzlinie zwischen den Bereichen wissenschaftlich-technischer Rationalität und wertungsbedürftiger Entscheidung läßt sich i n der Praxis jedoch nicht durchführen 9 8 und entspricht deshalb auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Aus diesem Grund verbietet sich eine Zuordnung von Parlament und Regierung, die den Wertungsvorsprung des einen und den Informationsvorsprung des anderen Verfassungsorgans um der klaren Abgrenzung willen zu einem Wertungs- bzw. Informationsmonopol ausbaut. Die praktisch schwierige Grenzziehung hebt andererseits nicht den Unterschied zwischen wissenschaftlich-technischer Rationalität und wertungsbedürftiger Entscheidung auf, zumindest wenn auf den jeweiligen Entwicklungsstand von Wissenschaft und Technik abgestellt w i r d 9 9 . Die Grenzlinie mag sich mit der Zeit verschieben und für einen bestimmten Zeitpunkt nicht eindeutig feststellbar sein, bedeutungslos w i r d sie deshalb nicht. Aus diesem Grund ist es auch nicht zwingend erforderlich, den Wertungsvorsprung des Parlaments und den Informationsvorsprung der Regierung so abzugleichen, daß alle Unterschiede eingeebnet werden, um beide Verfassungsorgane gleichermaßen informiert wie wertungsfähig zu machen. I m Ergebnis — sofern es erreichbar wäre — ständen sich zwei gleichartige Verfassungsorgane gegenüber. Dadurch würde nicht nur eine fragliche Organverdoppelung gefördert, sondern vor allem die Gefahr einer unlösbaren Rivalität zwischen zwei gleichermaßen umfassend ausgestatteten Verfassungsorganen heraufbeschworen. Jedes der beiden Organe wäre sich allein genügsam, und keines wäre auf das andere angewiesen. 07 Damit bestätigt sich die aus anderen Gründen gewonnene Ablehnung der Parlamentssuprematie; vgl. dazu oben, Kap. I V 1 a und Abschnitt 1 i n diesem Kap. 98 Vgl. dazu oben, Abschnitt 1 c i n diesem Kap. we Vgl. dazu oben, Kap. I I 4 a.

2. Gegenseitige Ergänzung von Parlament u n d Regierung

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Einer solchen Angleichung der Verfassungsorgane steht die normative Gewaltenteilung des Grundgesetzes entgegen 100 , nach der die Verfassungsorgane eine jeweils besondere, normativ bedingte Struktur besitzen, die vor allem auf eine eigen-artige Zusammensetzung und A r beitsweise zurückführt. Diese besondere Struktur verleiht jedem Verfassungsorgan eine besondere Fähigkeit zur Aufgabenwahrnehmung. Insoweit zu verzeichnende Unterschiede zwischen den einzelnen Verfassungsorganen stellen daher keine einzuebnenden Unzulänglichkeiten aufgrund tatsächlicher Fehlentwicklungen dar, sondern zu bewahrende Ausprägungen aufgrund verfassungsrechtlicher Anforderungen. Der normativen Gewaltenteilung des Grundgesetzes entspricht die Ergänzungsbedürftigkeit der einzelnen Verfassungsorgane infolge ihres gegenseitigen Aufeinanderangewiesenseins, nicht ihre Selbstgenügsamkeit mit der Folge rivalisierender Auseinandersetzung um die Vorherrschaft unter ihnen. Dementsprechend lassen sich der Informationsvorsprung der Regierung und der Wertungsvorsprung des Parlaments zutreffend nur unter den normativen Gesichtspunkten der besonderen Struktur und der gegenseitigen Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Verfassungsorgane beurteilen. Aus beiden Blickwinkeln rechtfertigt sich der jeweilige Vorsprung i m Grundsatz. Die bessere tatsächliche Informiertheit der Regierung folgt aus ihrer verfassungsrechtlich abgesicherten Stellung als Spitze des Verwaltungsapparates 101 , die bessere tatsächliche Wertungsfähigkeit des Parlaments beruht auf dem verfassungsrechtlich verbürgten Einschluß der oppositionellen Kräfte 1 0 2 . Das Ineinandergreifen von Informations- und Wertungsbedarf bedingt die gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit von Parlament und Regierung. Damit der vorhandene und grundsätzlich zulässige Vorsprung an Informiertheit bzw. Wertungsfähigkeit nicht von gegenseitiger Ergänzungsbedürftigkeit i n einseitige Vorherrschaft und Abhängigkeit umschlägt, bedarf es jedoch einer verfassungsrechtlichen Aufgabenzuordnung, die den erforderlichen Ausgleich des Informationsbedarfs des Parlaments und des Wertungsbedarfs der Regierung unabdingbar macht. Dementsprechend muß — i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung beschränkt auf den Bereich der Staatsleitung — festgestellt werden, ob die beiden Verfassungsorgane nach der normativen Gewaltenteilung des Grundgesetzes getrennte Aufgabenbereiche wahrzunehmen oder nur unterscheidbare Teilbeiträge zu gemeinsamen Aufgabenbereichen zu leisten haben. 100 101 102

Dazu oben, Kap. I I 5. Vgl. dazu oben, Abschnitt 2 b i n diesem Kap. Vgl. dazu oben, Abschnitt 2 c i n diesem Kap.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament und Regierung a) Sonderung nach getrennten

Aufgabenbereichen

Für getrennte Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung spricht der an das traditionelle Verständnis der Gewaltenteilung anknüpfende Wortlaut des Grundgesetzes i n den grundlegenden Bestimmungen der Art. 1 I I I und 20 II, I I I 1 0 3 . Danach gliedert sich die Staatsgewalt i n die durch besondere Organe wahrzunehmenden Aufgabenbereiche der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Die rechtsprechende Gewalt ist nach A r t . 92 GG ausdrücklich „den Richtern" anvertraut, so daß die Zuordnung von Aufgaben- und Organbereich insoweit eindeutig festliegt und nur fraglich werden kann, ob eine bestimmte Aufgabe als Rechtsprechung oder ein bestimmtes Organ als Richter anzusehen ist. Eine solche einfache und klare Zuordnung scheint nach dem traditionellen Gewaltenteilungsverständnis auch für die beiden anderen Aufgabenbereiche zu gelten, indem die Gesetzgebung dem Parlament und die Vollziehung der aus Regierung und Verwaltung bestehenden „Exekutive" zukommt 1 0 4 . U m jeden Zweifel darüber auszuschließen, daß auch die Aufgabenwahrnehmung durch die Regierung i n dieses Schema gehöre und nicht etwa davor oder darüber schwebe, wurde der Gesetzgebung und Rechtsprechung von den Verfassungsgebern die „vollziehende Gewalt" und bewußt nicht die „Verwaltung" gegenübergestellt 105 . Uber diese Klarstellung hinaus haben die verwendeten Begriffe jedoch keine nähere Erläuterung erfahren und bedürfen deshalb der Konkretisierung aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes 106 . Für das Verhältnis von Gesetzgebung und Parlament ergibt sich grundsätzlich keine Deckungsgleichheit i n dem Sinn, wie sie das Grundgesetz ausdrücklich zwischen Rechtsprechung und Richtern vorsieht. Weder nimmt das Parlament nur die Aufgaben der Gesetzgebung wahr, noch w i r d die Aufgabe der Gesetzgebung allein vom Parlament wahrgenommen. Unabhängig davon, ob man von einem einheitlichen oder einem i n formelle und materielle Elemente gespaltenen Gesetzesbegriff ausgeht, lassen sich einerseits diejenigen Aufgaben nicht als Gesetzge103

Dazu oben, Kap. I I 1 a, 5 a. Dazu Kägi, Gewaltenteilungsprinzip, 158- 164, 195 -204; ders., Von der klassischen Dreiteilung, 157-161; Bäumlin, Kontrolle, 259; Eichenberger, Die oberste Gewalt i m Bunde, 19 f.; Friauf / Stephan, Politische Ziel- u n d M i t t e l planung, 629 f. ; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 265. 105 Vgl. dazu Frotscher, Regierung, 173 - 177. 108 Vgl. auch oben, Kap. I I 1 a. 104

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

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bung auffassen, welche das Grundgesetz dem Parlament zur Erledigung durch schlichten Beschluß ausdrücklich übertragen hat, wie insbesondere die Wahl des Bundeskanzlers und von Mitgliedern anderer Verfassungsorgane, die Entscheidung über eine Reihe besonderer Staatsangelegenheiten sowie die Gestaltung der eigenen Geschäftsordnung 107 , oder stillschweigend anvertraut hat, wie insbesondere die Teilnahme an dem W i l lensbildungs- und Entscheidungsprozeß unter den Verfassungsorganen 1 0 8 . Andererseits läßt sich die Gesetzgebung, wie aufgezeigt, weder von der verfassungsrechtlichen Konzeption noch von der tatsächlichen Ausgestaltung her allein als Aufgabe des Parlaments verstehen, w e i l an ihr auch andere Verfassungsorgane, insbesondere die Regierung durch ihr Initiativ-, Anhör- und Gegenzeichnungsrecht, mitbeteiligt sind 1 0 9 . Problematisch kann deshalb nur das Ausmaß und Gewicht, nicht hingegen der Grundsatz der Beteiligung und des Einflusses der anderen Verfassungsorgane auf die Gesetzgebung sein. Auch für das Verhältnis von vollziehender Gewalt und Regierung einschließlich Verwaltung läßt sich eine Deckungsgleichheit nicht feststellen. Diese Aussage w i r d allerdings durch das unterschiedliche Verständnis des Begriffs der Vollziehung erschwert. I n einem weiten Sinn w i r d die Vollziehung zu einem Sammelbegriff für alle Staatsaufgaben, die nicht zur Gesetzgebung oder Rechtsprechung gehören. Bei Deckungsgleichheit dieses weiten Vollziehungsbegriffs m i t dem Aufgabenbereich von Regierung und Verwaltung w i r d die „Exekutive" zur Auffanggewalt für alle den Organen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung nicht ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben 1 1 0 . Eine solche Aufgabenzuordnung hat auf den ersten Blick den Vorteil, daß die Gewaltendreiteilung immer „restlos aufgeht" und auch i n Zweifelsfällen immer ein zuständiges Organ feststeht. Bei näherem Zusehen erweist sich der Vorteil jedoch als mächtiger und gefährlicher Hebel, der geeignet ist, die Gewaltenteilung insgesamt aus dem Gleichgewicht zu bringen oder ganz aus den Angeln zu heben. Der Grund dafür liegt weniger i n der dogmatischen Subtraktionsmethode selbst als i n der von ihr vorausgesetzten Grundlage. Diese besteht darin, daß innerhalb der Dreiteilung der Gewalten zwei klar umrissene Aufgabenbereiche angenommen werden können, aus deren Bestimmung der dritte als „Rest" gleichsam von selbst hervorgeht, Zweifelsfälle somit nur selten und i n weniger bedeutsamen Randbereichen auftreten. Tatsächlich jedoch fehlt es an der angenommenen Voraussetzung. Zumindest der Bereich der Ge107 108 109 110

Vgl. oben, Kap. I V 4 a. Vgl. oben, Kap. I V 4 b. Oben, Kap. I V 3 b. Dazu oben, Kap. I I 2 b.

16 M a g l e r a

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

setzgebung liegt, wie die Untersuchung gezeigt h a t 1 1 1 und worauf die Stichwörter Maßnahmegesetz, Haushaltsgesetz, Organisationsgewalt, allgemeines und besonderes Gewaltverhältnis, Eingriffs- und Leistungsverwaltung hinweisen, keineswegs so klar abgegrenzt fest, daß er nur i n seinen Randzonen zweifelhaft, i n seinem Kernbereich hingegen eindeutig bestimmt erscheint. Aufgrund der tatsächlichen Voraussetzungen erhält die Auffanggewalt unter dem dogmatischen Deckmantel der Subtraktionsmethode zumindest potentiell eine Vorrangstellung gegenüber den anderen Gewalten. Der Begriff der Vollziehung i m weiteren Sinn erstarkt damit zu einem politischen Postulat-Begriff und läuft auf eine verschleierte Bildung und Zuweisung von Rechtstiteln an die m i t der Vollziehung betrauten Staatsorgane hinaus. Dies mochte der Verfassung der konstitutionellen Monarchie entsprechen, entbehrt jedoch der Grundlage i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, das für jede staatliche Aufgabenwahrnehmung eine begründete Zuweisung verlangt 1 1 2 . I n einem engeren Sinn beschränkt sich die Vollziehung auf die Ausführung anderweit bestimmter Anweisungen und Ermächtigungen 113 . Regierung und Verwaltung haben danach als „Exekutive" nur den W i l len des Gesetzgebers oder des Verfassungsgebers zu erkennen und durchzusetzen, nicht jedoch eigenschöpferische Leistungen zu erbringen. Dem steht zunächst die Schwierigkeit entgegen, daß sich trotz aller dogmatischen Bemühungen bisher keine eindeutigen Merkmale haben finden lassen, die eine prinzipielle und nicht nur eine graduelle Unterscheidung zwischen gesetzgeberischer Vorausbestimmung und exekutivischer Vollziehung ermöglichen 114 . Dies zeigte sich schon i n der Zeit der positivistischen Staatsrechtslehre, der eine solche logisch-formale Konstruktion des Verhältnisses von Gesetzgebung und Vollziehung noch am nächsten lag 1 1 6 . So bekennt sich Laband, der Hauptvertreter der positivistischen Staatsrechtslehre, zwar grundsätzlich sowohl zum Gegenüber von Gesetzgebung als staatlichem Wollen und Vollziehung als staatlichem Handeln 1 1 6 wie zur Subsumtion als einer „logischen Operation, die durch einen gegebenen Obersatz und Untersatz und die allgemeinen i n der mensch111

Oben, Kap. I V 3. Vgl. oben, Kap. I I 4 b u n d 5 b. 113 Dazu oben, Kap. I I 2 b u n d c. 114 Dazu Noll, Gesetzgebungslehre, 249 - 258; Bäumlin, Kontrolle, 245; Egloff, Informationslage, 2 2 - 2 9 ; Grimm, ZParl 1970, 453; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 287; Soell, Ermessen, 141-149; Starck, Gesetzesbegriff, 251-269; Tsatsos, Gewaltenteilung, 77 f. 115 Vgl. dazu Böckenförde, Gesetz, 211 - 220; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 261 f., 265; Starck, Gesetzesbegriff,'254 - 257. 116 Laband, Staatsrecht I I , 176. 112

3. Staatsleitung als Zusammenwirken v o n Parlament u n d Regierung

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liehen Natur begründeten Denkgesetze beherrscht w i r d " 1 1 7 . I n der näheren Erläuterung bleibt die Vollziehung jedoch weder auf den Bereich der Gesetzgebung noch auf einen reinen Erkenntnisakt beschränkt. Neben der Vollziehung habe der Staat „noch andere Aufgaben", die sich nicht „durch bloße Handhabung von Rechtsregeln" erfüllen ließen; daher müsse der Begriff der Vollziehung „erweitert werden zum Begriffe der Verwaltung" 1 1 8 . Diese Erweiterung stellt sich bei Laband nicht nur als notwendige Konsequenz des verengten Gesetzesbegriffs und der dogmatischen Subtraktionsmethode dar, sondern führt zur Aufgabe des Subsumtionsideals für die „Verwaltung" überhaupt. Der Anwendungsbereich der Subsumtion, die „ w i e jeder logische Schluß vom W i l len unabhängig" sei, beschränke sich nämlich auf „rechtliche Entscheidungen", unter denen Laband die Akte der (materiellen) Rechtsprechung versteht 1 1 9 . I m Gegensatz dazu ist der „Verwaltungsakt" für i h n „die Herbeiführung eines gewollten Erfolgs" 1 2 0 , der auch „ i m freien W i l len der Verwaltung" — und nicht nur des Gesetzgebers — stehe 121 . Zwar könne es sich bei einem Verwaltungsakt „ u m die Anwendung eines Rechtssatzes handeln; aber nicht wie bei der Entscheidung i n dem logischen Sinne, daß ein Rechtssatz als Obersatz auf einen Tatbestand als Untersatz angewendet w i r d . . . " 1 2 2 . Die Vollziehung bzw. die Verwaltung steht deshalb für Laband als staatliches Handeln der Gesetzgebung als staatlichem Wollen gegenüber, ist aber selbst nicht ohne eigenen „freien" Willen. Auch Haenel bekennt sich grundsätzlich zum Subsumtionsideal, verw i r f t es jedoch nicht wie Laband für die Verwaltung, sondern wendet sich lediglich dagegen, das Wort „Vollziehung", das er dem Wort „Verwaltung" wegen dessen „schillernde(r) Vieldeutigkeit" vorzieht, zu mißbrauchen, „ u m die reiche und vielgestaltige Thätigkeit des Staates, die der Gesetzgebung gegenübersteht, m i t logischer Subsumtion und m i t starrer Gebundenheit zu identifiziren" 1 2 3 . Gesetzgebung und Vollziehung als „regulative und ausführende Willensbestimmungen" 1 2 4 bzw. „Willenshandlungen" 1 2 5 grenzten sich nur relativ voneinander ab 1 2 6 . Ausführungshandlungen seien „nicht nur diejenigen, welche auf Grund der 117 118 119 120 121 122 128 124 125 126

16*

Ebd., 178. Ebd., 177. Ebd., 178. Ebd. Ebd., 179. Ebd. Haenel, Gesetz, 186 f. Ebd., 193. Ebd., 196. Ebd.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

logischen Subsumtion des einzelnen Willensaktes unter eine allgemeine oder individualisirte Regel, sondern auch diejenigen, welche i n relativ freier Willenssetzung innerhalb vorgezeichneter Grenzen und i n einer durch Zwecksetzungen bestimmten Richtung bewerkstelligt werden" 1 2 7 . Die differenzierten und diffizilen Abhängigkeiten zwischen Gesetzgebung und Vollziehung, die somit der Sache nach, wenn auch unvollkommen und eher unsystematisch, der positivistischen Staatsrechtslehre dogmatische Zugeständnisse abverlangten, sind aufgrund der neueren Methodendiskussion deutlicher hervorgetreten 1 2 8 . Danach hat auch der Gesetzgeber Vorgaben zu erkennen und zu berücksichtigen, wie sie sich aus echten Sachzwängen, verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen und nicht zuletzt aus der schon vorhandenen Gesetzgebung ergeben, i n welche die neue Gesetzgebung eingepaßt werden muß 1 2 9 . Umgekehrt beläßt die Gesetzgebung, wenn auch i n unterschiedlichem Maße 1 3 0 , einen ausfüllungsbedürftigen Spielraum für eigenschöpferische Leistungen bei der Ausführung, der sich entweder zwangsläufig aufgrund sprachlicher Grenzen oder bedingter Voraussehbarkeit oder auch aus gewollter Zurückhaltung zugunsten der besonderen Sachnähe des Vollziehenden zum Einzelfall ergeben kann 1 3 1 . Gehen Gesetzgebung und Vollziehung, Vorausbestimmung und Ausführung somit ineinander über, so läßt sich die Vollziehung nicht als gesonderter Aufgabenbereich von einem ebenso gesonderten Aufgabenbereich der Gesetzgebung dogmatisch klar und wirksam abtrennen. W i r d dies dennoch versucht, so kommt es zu „Durchbrechungen" des Gewaltenteilungsgrundsatzes 132 , die entweder um den Preis fraglicher Fiktionen verschleiert oder um den Preis ebenso fraglicher Ausnahmen geduldet werden müssen 133 . Der Ruf nach Verabschiedung eines so „antiquierten" Verfassungsgrundsatzes liegt unter solchen Umständen nicht fern, obwohl zunächst gefragt werden müßte, ob die Ursache für die Enttäu127

Ebd., 195. Vgl. die Nachweise oben, A n m . 114. 129 Dazu Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 1 7 - 1 9 ; Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 31. 130 v g l . die anschauliche Aufschlüsselung i n „kompakte" u n d „diffuse" N o r men bei Herzog, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 191. 128

131

Vgl. auch Starck, Gesetzesbegriff, 260 - 269; Scheuner, D Ö V 1969, 591. Vgl. z. B. BVerfGE 1, 351, 369; 18, 52, 59; dazu auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 8 f. 133 Vgl. auch Leisner, D Ö V 1969, 406 („Die Dogmatik der Trennung von L e gislative u n d Exekutive ist heute w e i t h i n lediglich — die Lehre von deren Durchbrechungen"); ferner Bäumlin, Kontrolle, 229; Böckstiegel, N J W 1970, 1718; Friauf / Stephan, Politische Ziel- u n d Mittelplanung, 631 f., aber auch 620 - 622; Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 4; Kewenig (Anm. 132), 23; Scheuner, D Ö V 1957, 636. 132

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

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schung nicht eher i n dem unzureichenden Verständnis als i n einem Mangel des Grundsatzes zu suchen ist 1 3 4 . Selbst wenn sich jedoch entgegen der bisherigen Erfahrung innerhalb der graduellen Abstufungen zwischen Gesetzgebung und Vollziehung „wesentliche" Abgrenzungsmerkmale fänden 1 3 5 , ließe sich jedenfalls der Aufgabenbereich der Regierung 1 3 6 , um dessen Abgrenzung gegenüber dem Aufgabenbereich des Parlaments es hier vorwiegend geht, nicht auf die Vollziehung i m engeren Sinn des Begriffs beschränken 137 . Dies hat sich schon bei der Erörterung des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahrens gezeigt. Durch ihr I n i t i a t i v - und Anhörrecht soll die Regierung aus ihrer Sicht und aufgrund ihrer Erfahrung Impulse i n die Gesetzgebung einbringen, die sich nicht lediglich als der mehr oder minder vorherbestimmte Vollzug anderweitiger Willensentscheidungen darstellen 1 3 8 . Selbstverständlich ist die Regierung dabei an die Verfassung und das bestehende Recht „gebunden" 1 3 9 ; zugleich muß sie jedoch die Möglichkeit und Notwendigkeit von Gesetzes- und auch Verfassungsänderungen prüfen und gegebenenfalls entsprechende Ä n derungsvorschläge i n den verfassungsrechtlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß einbringen. Unter diesem Blickwinkel gehen auch die „Richtlinien der Politik", die der Bundeskanzler zu bestimmen und jeder Bundesminister zu beachten hat (Art. 65 GG), über den Begriff der Vollziehung i m engeren Sinn hinaus 1 4 0 . Umgekehrt vermag das Parlament über die Gesetzgebung, aber auch durch schlichte Beschlüsse, auf die Aufgabenwahrnehmung der Regierung, insbesondere auf die Richtlinien der Politik, Einfluß zu nehmen 1 4 1 . Alle diese i m Bereich der Staatsleitung als der Ebene umfassender und grundlegender Aufgabenwahrnehmung entwickelten und zu entfaltenden Tätigkeiten lassen sich nicht durch eine scharfe Trennung zwischen 134

Vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, 195; K e w e n i g (Anm. 132), 7, 9 f . ; Weiß, Auswärtige Gewalt u n d Gewaltenteilung, 20. iss Davon geht Noll, Rechtssetzung u n d Rechtsanwendung, 257-268, aus. 136 Z u r V e r w a l t u n g vgl. etwa Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 187 - 196; Bachof, Verwaltung, 2773. 187 So auch Badura, Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, 19; Eichenberger, Die oberste Gewalt i m Bunde, 24; Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 33; Grimm, AöR 1972, 522; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 81,102; Schambeck, Parlamentarische Kontrolle, 296; Scheuner, Der Bereich der Regierung, 254 f., 258, 278, 283; selbst Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 171, der i m ü b r i gen stets eine legislative Ermächtigung der E x e k u t i v e fordert; ferner F r o t scher, Regierung, 222 f., der sich grundsätzlich gegen jede Unterscheidung z w i schen Regierung u n d V e r w a l t u n g als materiellen Staatsaufgaben wendet. 138 Vgl. oben, Kap. I V 3 b. 189 Vgl. oben, Kap. I I 4 b. 140 Vgl. auch Friesenhahn, Parlament u n d Regierung, 33. 141 Vgl. auch oben, Kap. I V 4 b.

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V . Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Gesetzgebung und Vollziehung als gesonderten Aufgabenbereichen von Parlament und Regierung erfassen 142 . Dieses eindimensionale Schema erlaubt grundsätzlich nur die, gleichsam aus dem Nichts zu schaffende, Programmierung der Staatstätigkeit durch Verfassung oder Gesetzgebung einerseits und die sich daran anschließende, fremdgesteuerte und befehlsgetreue, Vollzugsautomatik andererseits. Nicht i n dieses Schema hineinpassende Tätigkeiten von Parlament und Regierung, wie die Gesetzesinitiative oder die Richtlinienbestimmung der Regierung oder die Verabschiedung schlichter Beschlüsse des Parlaments zu grundlegenden Staatsangelegenheiten, bereiten, obwohl verfassungsrechtlich vorgesehen, Einordnungsprobleme und erscheinen als verfassungsdogmatische Fremdkörper, die bestenfalls als rechtlich unverbindliche Äußerungen oder Anregungen zu dulden, schlimmstenfalls als verfassungswidrige Grenzüberschreitungen einzudämmen sind. Angesichts dieser Unzulänglichkeiten, die eine strenge Sonderung der Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung m i t sich bringt, verblassen die Vorzüge, die i n einer strikten Gewaltentrennung und der dam i t angeblich gewährleisteten eindeutigen und rechtssichernden Zuordnung von Verfassungsaufgaben und Verfassungsorganen liegen sollen 1 4 6 . Es bleibt deshalb zu fragen, ob dem Hauptanliegen der Gewaltenteilung, durch die gegliederte Zuordnung staatlicher Aufgaben und Organe auf eine gemäßigte Ausübung der Staatsgewalt und letztlich auf die Verwirklichung einer menschen-gerechten Gemeinschaftsordnung hinzuwirken 1 4 4 , nicht durch ein anderes Verständnis der Aufgabenverteilung zwischen Parlament und Regierung besser gedient werden kann. b) Verbindung durch gemeinsame Aufgabenwahrnehmung (Staatsleitung als „kombinierte Gewalt" und „zur gesamten Hand") Die verfassungsdogmatischen Unzulänglichkeiten, zu denen die formal-konstruktiven Versuche einer Sonderung der Aufgabenbereiche von 142 Vgl. auch Scheuner, D Ö V 1969, 5891; ders. (Anm. 137), 267; ders., K o n trolle, 30; Bäumlin, Staat, Recht u n d Geschichte, 39 f.; ders., Kontrolle, 245; Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 25 f.; Kewenig, Parlamentarische M i t regierung, 16 - 23; Stern, Rationale I n f r a s t r u k t u r p o l i t i k , 77. Achterberg, F u n k tionenlehre, 178, w i l l dem Grundgesetz hingegen wenigstens „die Anordnung einer grundsätzlichen Funktionentrennung" entnehmen. Auch Frotscher, Regierung, 224, w i l l einen grundsätzlichen Unterschied annehmen, w e i l die Gesetzgebung nach A r t . 20 I I I GG n u r an die Verfassung, die vollziehende Gew a l t jedoch an Recht u n d Gesetz gebunden sei; vgl. demgegenüber jedoch oben, Kap. I I 4 b. 148 Ebenso Leisner, D Ö V 1969, 406, 409; Bäumlin, Kontrolle, 227-230; K e wenig, Parlamentarische Mitregierung, 18, 21; Kägi, V o n der klassischen Dreiteilung, 163 f.; auch schon Haenel, Gesetz, 182. 144 Dazu oben, Kap. I I 5 a.

3. Staatsleitung als Zusammenwirken v o n Parlament u n d Regierung

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Parlament und Regierung auf der Ebene der Staatsleitung führten und die schon von der positivistischen Staatsrechtslehre selbst verspürt w u r den, hatten — wie aufgezeigt 145 — insbesondere nach dem Ende der konstitutionellen Monarchie die Bemühungen u m eine zutreffendere Einordnung der Staatsleitung bzw. der „Regierung" (als Staatsaufgabe) i n den Aufgabenbereich von Parlament und Regierung (als Staatsorgan) (wieder-)belebt 14e . Dabei wurde zwar der Bereich der „Regierung" als positiv-inhaltlich zu bestimmende und verfassungsdogmatisch einzuordnende Staatsaufgabe erkannt, eine befriedigende Lösung des Problems bis zum Ende der Weimarer Republik jedoch nicht gefunden. Die Zuordnung wurde vielmehr entweder i n Verbindung m i t dem konventionell verengten Gesetzesbegriff über die nicht mehr tragfähige Subtraktionsmethode kurzgeschlossen („Regierung" durch die Regierung) oder überhaupt offengelassen (Staatsleitung als nicht weiter faßbare Gewaltenüberschreitung). Unter der Geltung des Grundgesetzes hat es zunächst vor allem Ulrich Scheuner unternommen, den von der positivistischen Staatsrechtslehre weitgehend verschütteten und von einem Teil der Weimarer Staatsrechtslehre wiederentdeckten „Bereich der Regierung" i n seiner auch für die Verfassungsordnung des demokratischen Staates hervorragenden Bedeutung aufzuzeigen 147 . Für das Verhältnis von Parlament und Regierung auf der Ebene der Staatsleitung kommt er schon Anfang der fünfziger Jahre zu dem, wenn auch — worauf er später selbst hinweist 1 4 8 — vielleicht nicht stark genug betonten Ergebnis: „Legislative und Regierung zusammen formen i m verfassungsrechtlichen System der Gesetzgebung und der gegenseitigen Hemmungen die obersten Entscheidungen, den ,Willen des Staates 4149 ." Zumeist werde übersehen, „daß bei grundlegenden rechtlichen Entscheidungen des Staates Exekutive und Legislative oft gemeinsam handeln müssen" 1 5 6 . Es entspreche jedoch „der Notwendigkeit der Bildung einer obersten Einheit der Staatsleitung, daß das Verfassungsrecht i n erheblichem Umfang Rechtshandlungen kennt, zu denen Parlament und Regierung zusammenwirken müssen" 1 5 1 . 145

Oben, Kap. I I 2 c. Vgl. auch Scheuner, Der Bereich der Regierung, 253 f., 259 f.; ferner oben, Kap. I I 3 a. 147 Scheuner, Der Bereich der Regierung, i n : Festschrift f ü r Rudolf Smend (1952), 253 - 301; vgl. auch schon ders., Grundfragen des modernen Staates, i n : Recht, Staat u n d Wirtschaft I I I (1951), 126 - 165. 148 Scheuner, Das Wesen des Staates, 260. 149 Scheuner, Der Bereich der Regierung, 278; auch schon ders., Grundfragen des modernen Staates, 146. 150 Scheuner, Der Bereich der Regierung, 267 f, 151 Ebd., 285. 146

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Eine nähere Aufschlüsselung der Anteile von Parlament und Regierung erfolgt i n dieser Phase, i n der es Scheuner vorwiegend u m die Überwindung der „positivistisch-konstruktiven Methode i m Staatsrecht" 1 6 2 und um die Befreiung aus dem einengenden Schema von „Gesetzgebung und Gesetzesausführung (Vollziehung)" 1 5 3 geht, noch nicht. „Da der Begriff der Regierung auf das Ganze des Staates, auf seine Zielsetzung und Leitung abstellt, reicht er i m Kerne über die Unterscheidung der Gewalten hinaus 1 6 4 ." Damit nimmt Scheuner zu Beginn der demokratischen Neuordnung durch das Grundgesetz den Leitfaden auf, den Thoma i n seinem Beitrag zum Handbuch des Deutschen Staatsrechts am Ende der Weimarer Republik zusammenfassend und zugleich zukunftsweisend hinterlassen hatte 1 6 5 . Wenig später leitete Eberhard Menzel i n seinem Mitbericht zur Staatsrechtslehrertagung 1953 eine ähnlich folgenreiche Neuorientierung des Verhältnisses von Parlament und Regierung für einen wichtigen Teilbereich der Staatsleitung, das Gebiet der „auswärtigen Gewalt", ein 1 5 6 . Bis dahin stand es, wie noch der Berichterstatter Wilhelm Grewe hervorhob, für die traditionelle deutsche Staatsrechtsauffassung fest, „daß die auswärtige Gewalt zwar möglicherweise von anderen exekutiven Funktionen inhaltlich verschieden sei, aber jedenfalls doch ihrem ganzen Wesen nach i n die Hände des Trägers der vollziehenden Gewalt gehöre und i n enger Verbindung m i t den übrigen Funktionen der Exekutive bleiben müsse" 1 6 7 . Menzel hingegen kommt aufgrund einer anderen Gewichtung der Verfassungstradition und der Regelung i m Grundgesetz zu einem abweichenden Ergebnis, indem er „nicht auf den Träger der täglichen Routinearbeit" abstellt, sondern darauf, „wer die qualitativ schwerwiegendsten Entscheidungen zu fällen hat" 15 ®. Unter diesem „Gesichtspunkt des qualitativen Schwergewichts der Entscheidungen" erscheine — wie der A b schluß von Verträgen i n Gesetzesform (Art. 24, 59 GG), die Entscheidung über „hochpolitische A k t e " und die Einflußnahme auf die Außenpolitik durch die sogenannten „Entschließungen des Bundestages" zeigten, hinter denen „die Durchsetzungsmöglichkeit auf dem Wege des Mißtrauensvotums" stehe — „die M i t w i r k u n g der parlamentarischen K ö r 152

Ebd., 262. Ebd., 265. 154 Ebd., 268; auch schon ders., Grundfragen des modernen Staates, 146. 155 Dazu oben, Kap. I I 2 c. 156 Menzel, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, W D S t R L 12 (1954), 179 - 220. 157 Grewe, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, 131; zurückhaltend auch Mosler, Die auswärtige Gewalt, 269, 292 - 297. * 5 8 Menzel (Anm. 156), 195. 153

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

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perschaften keineswegs als zweitrangig oder exzeptionell" 1 5 9 . Die Ausübung der auswärtigen Gewalt könne deshalb nicht mehr als Angelegenheit der Exekutive m i t geringen und eng zu interpretierenden Ausnahmen zugunsten der Legislative aufgefaßt werden. Die Eigenart der auswärtigen Gewalt i m modernen Staat des Grundgesetzes bestehe vielmehr gerade darin, „daß sie zwei Funktionsträger hat — die Exekutive und die Legislative — und sich m i t h i n als eine ,kombinierte Gewalt' darstellt" 1 6 0 . Ersichtlich geht es auch Menzel vorwiegend u m die Uberwindung des traditionellen Verständnisses, das die auswärtige Gewalt einseitig der Regierung zuordnet, und u m die grundlegende Wegbereitung für eine Einbeziehung des Parlaments i n diesen Teilbereich der Staatsleitung. Eine Aufschlüsselung der „kombinierten Gewalt" nach den Anteilen von Parlament und Regierung i m einzelnen erfolgt deshalb nicht. Einen vorläufigen Abschluß fand die Neuentwicklung des Verständnisses der Staatsleitung, welche die positivistisch-konstruktive Trennung der Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung zu überwinden suchte, m i t dem Bericht von Ernst Friesenhahn zur Staatsrechtslehrertagung 1957 161 . Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Parlament und Regierung könne „weder nach dem Grundsatz der strengen Gewaltenteilung, noch auch nur unter dem Aspekt einer Balance vorgenommen werden" 1 6 2 . Zwar gebe es gewisse Reservatbereiche, wie die Rechtsetzung unter dem Vorbehalt der Delegation zugunsten des Parlaments oder die laufende Verwaltung zugunsten der Exekutive; nicht aber gebe es ein! gleichermaßen verfassungskräftiges Vorbehaltsgebiet für die Regierung. Die Staatsleitung stehe vielmehr „Regierung und Parlament gewissermaßen zur gesamten Hand z u " 1 6 3 . Aber auch Friesenhahn kommt es i m wesentlichen auf den Grundsatz des Zusammenwirkens von Parlament und Regierung an, nicht auf die Anteile der beiden Verfassungsorgane i m einzelnen. Eine nähere Bestimmung hält er insoweit weder für möglich noch für unentbehrlich. Parlament und Regierung lebten vielmehr „ i n ständiger Durchdringung und gegenseitiger Abhängigkeit, und gerade diese fortdauernde Zusammenarbeit, die sich einer genauen Analyse entzieht (!), und i n der die Akzente von M a l zu M a l anders gesetzt sein können, ermöglicht eine gute,Staatsführung'" 1 6 4 . 159

Ebd., 196 f. Ebd., 197. 161 Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L 16 (1958), 9 - 73. 1 M Ebd., 37. 1 M Ebd., 37 f. 164 Ebd., 36. 180

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Die „Gesamthand"-Formel i e 5 w i r d alsbald — wie auch die Formel von der „kombinierten Gewalt" für den Teilbereich der auswärtigen Angelegenheiten — zum Symbol für das Neuverständnis des Verhältnisses von Parlament und Regierung i m Gesamtbereich Ber Staatsleitung. Während sich die Erörterung i n den sechziger Jahren mehr i n ruhigen Bahnen vollzieht und auf den engeren Kreis der Staatsrechtslehre beschränkt 1 6 6 , gerät sie zu Beginn der siebziger Jahre i n die zunehmende Auseinandersetzung u m den verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Standort der staatsleitenden Planung 1 6 7 innerhalb der verschiedenen Staatsaufgaben und der Funktionsbereiche der einzelnen Staatsorgane. Das auf eine scharfe Trennung der Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung zugeschliffene Instrumentarium des traditionellen Gewaltenteilungsverständnisses erwies sich schon bald als weitgehend unbrauchbar. Die staatsleitende Planung läßt sich weder einfach der Gesetzgebung und dem Parlament noch ohne weiteres der Vollziehung und der Regierung zuordnen 1 6 8 , obwohl entsprechende Versuche, wenn auch nicht immer ohne Bedenken und eher mangels überzeugender Alternativen, anfänglich unternommen wurden 1 6 9 . Eine überzeugendere Lösung des Zuordnungsproblems versprach demgegenüber die Fortentwicklung des unter den Kennworten „Gesamthand" und „kombinierte Gewalt" eingeleiteten Neuverständnisses der Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung. Nachdem K a r l Heinrich Friauf noch 1969 zu dem Ergebnis gekommen war, das Parlament sei zwar durch Kontrolle und M i t w i r k u n g am Planungsprozeß zu beteiligen, dabei sei aber „stets der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Planung als solche i n der Kompetenz der Regierung l i e g t " 1 7 6 , gelangt Klaus Stern, der 1967 das Wort geprägt hatte, Konjunkturpolitik sei 185 Vgl. auch schon die Begriffsbildung v o m „staatsleitenden Gesamtakt" bei Heckel, Reichshaushaltsgesetz, 392; dazu auch oben, Kap. I I 2 c. lee v g l . dazu Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 5 f. 167 Die Terminologie schwankt zwischen „staatsrechtlicher", „politischer" u n d „zentraler" Planung; vgl. etwa Scheuner, Verfassungsrechtliche Probleme einer zentralen staatlichen Planung, 70; Böckenförde, Der Staat 1972, 429 A n m . 1 ; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 26 f. ; Vitzthum, Parlament und Planung, 53 m i t A n m . 25; Brünner, Politische Planung, 110 - 112. 168 So schon frühzeitig Kölble, Pläne i m Bundesmaßstab, 119; Herzog, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 204; vgl. ferner Kewenig, D Ö V 1973, 26 f.; Herzog, Regierungsprogramme, 52; Dobiey, Politische Planung, 40 - 46. 169 I n dieser Richtung etwa F r i a u f / Stephan, Politische Ziel- u n d M i t t e l p l a nung, 644 - 646, 653 (Planung „dem Grundsatz nach" bei der Regierung), aber auch 678-681 (kritisch dazu Wahl, D Ö V 1971, 46 f.); Harnischfeger, Planung, 90 (Plan „ n u r i n der F o r m einer parlamentarischen Entscheidung"), aber auch 114; Redeker, J Z 1968, 538 („Planung ist vornehmlich Aufgabe der Regierung"). 170 Friauf (unter M i t a r b e i t von Stephan), Politische Ziel- u n d Mittelplanung, 681 ; weitere Nachweise zu dieser, soweit ersichtlich, inzwischen nicht mehr ver-

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

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„sachlogisch gouvernemental" 1 7 1 , 1971 zu dem Schluß, es bestehe „weder ein Planungsmonopol der Regierung noch des Parlaments. Parlament und Regierung teilen sich i n die auf das Staatsganze bezogene oberste Staatsleitung. Sie üben sie nicht nach Bruchteilen, sondern zur gesamten Hand aus" 1 7 2 . Ähnlich stellt Ernst-Wolf gang Böckenförde 1972 fest, die politische Planung zwischen Parlament und Regierung müsse „als eigener, nach A r t und Charakter neuartiger Funktionsbereich begriffen werden, der nicht bereits Parlament oder Regierung zugeteilt ist, sondern allererst gemäß der von der Verfassung intendierten Zuordnung beider Organe zwischen ihnen zu verteilen i s t " 1 7 3 . Dabei sei an erster Stelle die verfassungsrechtliche Stellung und Funktion des Parlaments von Bedeutung, die entsprechend der Gesamthands-Formel geprägt sei. „ A n t e i l an der politischen Führung ist keine Grenzüberschreitung, sondern eine verfassungsrechtliche Kompetenz des Parlaments 1 7 4 ." Ebenso kommt Wilhelm A. Kewenig 1973 zu dem Ergebnis, daß die besonders wichtigen — staatsleitenden — Entscheidungen „aus dem Gewaltenteilungsschema, aus der strikten Funktionstrennung herausgenommen, dieser praktisch vorgeordnet und als solche Regierung und Parlament,quasi zur gesamten Hand* übertragen werden. Die betroffenen Funktionsträger können insoweit nur gemeinsam, i n einem Zustand gegenseitiger Abhängigkeit, tätig werden. Das bedeutet, daß auch i n einem grundsätzlich gesetzesfreien Bereich wie dem der politischen Planung das Parlament ein originäres Beteiligungsrecht hat. Langfristige Planung obliegt den Funktionsträgern Regierung und Parlament zur gesamten H a n d " 1 7 6 . Als Abschluß dieser Grundsatzdiskussion kann das Gutachten von Fritz Ossenbühl für den Deutschen Juristentag 1974 herangezogen werden. Da zentrale Planung einen „staatsleitenden A k t " darstelle und die Staatsleitung nach geltendem Verfassungsrecht der entscheidenden M i t w i r tretenen Auffassung, oben, A n m . 169; ferner bei Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 63 A n m . 34. 171 Stern, D Ö V 1967, 660. 172 Stern, Rationale I n f r a s t r u k t u r p o l i t i k , 77; zu früheren Ansichten i n dieser Richtung vgl. die Nachweise oben, A n m . 168; vgl. ferner Badura, Finanzplanung, 13; Grimm, Z P a r l 1970, 454. 173 Böckenförde, Der Staat 1972, 443 f. 174 Ebd., 444; vgl. auch Böckenförde, Organisationsgewalt, 288; ders., i n : Parlamentarische K o n t r o l l e der Regierungsplanung, 15; Rietdorf, D Ö V 1972, 517; ders., i n : Parlamentarische K o n t r o l l e der Regierungsplanung, 41; Z w i schenbericht der Enquete-Kommission f ü r Fragen der Verfassungsreform, 1. Teil, Abschnitt V, Ziff. 2.1 (S. 46 f.). 175 Kewenig, DÖV 1973, 29 ; vgl. auch Herzog, Regierungsprogramme, 52.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

kung des Parlaments bedürfe, sei staatsleitende Planung als „kombinierte Gewalt" eine Aufgabe, „die Regierung und Parlament zur gesamten Hand zusteht und von beiden Organen i n gemeinschaftlichem Zusammenwirken erfüllt werden m u ß " 1 7 e . Damit hat sich für die staatsleitende Planung als einen neueren Teilbereich der Staatsleitung zu Anfang der siebziger Jahre eine ähnliche Entwicklung vollzogen, wie sie Menzel für die auswärtige Gewalt als einen traditionellen Teilbereich der Staatsleitung zu Beginn der fünfziger Jahre eingeleitet hat. Durch Aufdecken der Unzulänglichkeiten des trennenden Gewaltenteilungsverständnisses ist es gelungen, eine einseitige Zuordnung der staatsleitenden Planung zu verhindern, wie es damals gelang, die einseitige Zuordnung der auswärtigen Gewalt zu überwinden 1 7 7 . Das von Thoma gegen Ende der Weimarer Republik vorbereitete und von Scheuner sowie Friesenhahn i m ersten Jahrzehnt der verfassungsrechtlichen Neuordnung unter dem Grundgesetz fortgeführte Neuverständnis der Gewaltenteilung i m Bereich der Staatsleitung hat sich somit auf zwei wichtigen Teilgebieten i n harter Auseinandersetzung bewährt. Nach seiner „Feuerprobe" i m Rahmen der Planungsdiskussion dürfte sich das neue Gewaltenteilungsverständnis i m Grundsatz nimmehr endgültig durchgesetzt haben. Die Staatsleitung gilt als „kombinierte Gewalt", die Parlament und Regierung „zur gesamten Hand" zusteht 1 7 8 .

c) Unterscheidung aufgrund ineinandergreif ender Auf gab enteilbeiträge (Staatsleitung als „kooperativer Prozeß") Die Erkenntnis von der Staatsleitung als gemeinsamer Verfassungsaufgabe zwischen Parlament und Regierung überwindet zwar die beiden Extrempositionen, welche die Staatsleitung entweder allein der Regierung oder allein dem Parlament zuweisen und das jeweils andere Ver176 Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 79; vgl. ferner Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 11, Ziff. 6.3.2 (S. 177); auch Frank, Politische Planung, 103 - 108; V i t z t h u m , Parlament u n d Planung, 26 - 29, 94 - 97, 259 - 264. 177 Z u r weiteren E n t w i c k l u n g der Formel von der „kombinierten Gewalt" i m Bereich der auswärtigen Angelegenheiten vgl. Kewenig, Auswärtige Gewalt, 37 - 43 m. w . N.; auch L i n k , PVS-Sonderheft 2/1970, 362, 367 - 376; Baade, Parlament u n d Regierung, 115 - 121. 178 Außer den i n den vorangegangenen A n m . Genannten vgl. auch Badura, Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, 18; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 88 f.; ferner Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 23 f. m i t A n m . 25; Hesse, Verfassungsrecht, 237; Kröger, D Ö V 1973, 442; Pietzner, Petitionsausschuß, 42; Herzog/Pietzner, Planung, 1824; Scheuner, Kontrolle, 52 bis 55. — Z u den von Frotscher, Regierung, 213, geäußerten Bedenken vgl. V i t z t h u m (Anm. 176), 258 A n m . 113.

3. Staatsleitung als Zusammenwirken v o n Parlament u n d Regierung

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fassungsorgan auf eine unter- oder doch nachgeordnete Stellung i m verfassungsrechtlichen Organgefüge beschränken wollen. Damit ist das verfassungsrechtliche Problem jedoch erst zum Teil gelöst. Unbeantwortet bleibt die weitergehende Frage nach der Zuordnung der Staatsleitung zu Parlament und Regierung i m einzelnen 179 . Sind insoweit überhaupt nähere Differenzierungen möglich oder sind Parlament und Regierung ununterscheidbar oder jedenfalls verfassungsrechtlich nicht bestimmbar an der Staatsleitung beteiligt? Dieses Folgeproblem hat i n der Diskussion um das neue Gewaltenteilungsverständnis bisher noch nicht die gleiche Aufmerksamkeit erfahren wie das Grundproblem, was sich daraus erklären mag, daß zunächst erhebliche Energie aufgewendet werden mußte, u m das infolge der mächtigen positivistischen Tradition tief verwurzelte Trennungsdenken zu überwinden. Daraus erklärt sich möglicherweise eine gewisse Scheu, neue Differenzierungen aufzufinden, die nur allzu leicht das unfruchtbare Trennungsdenken wiederbeleben könnten. Nicht gerade ermutigend dürfte auch die Äußerung Friesenhahns, des Schöpfers der „Gesamthand"-Formel, gewirkt haben, daß sich die fortdauernde Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung „einer genauen Analyse entzieht" 1 8 0 . Ähnlich stellten andere Befürworter einer Staatsleitung zur gesamten Hand fest, i n welcher Weise und vor allem m i t welcher Gewichtsverteilung die beiden Organe die gemeinsame Verantwortung der Staatsleitung wahrnähmen, sei „weitestgehend keine verfassungsrechtliche, sondern eine politische Frage" 1 8 1 . Eine solche eher resignierende Einschätzung der Möglichkeiten des neuen Gewaltenteilungsverständnisses konnte nicht ohne Widerspruch bleiben. Angesichts des bekannten Vorsprungs der Regierung gegenüber dem Parlament aufgrund ihres „realen Ubergewichts" 1 8 2 i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes muß eine Überantwortung der Gewichtsverteilung zwischen beiden Verfassungsorganen an politische, i m Gegensatz zu verfassungsrechtlichen Maßstäben auf Ablehnung stoßen 1 8 3 . Aber auch eine maßstabslose Zuordnung kann nicht befriedigen, weil sie letztlich das Gegenteil einer Zuordnung bewirkt, indem sie die Staatsleitung dem freien Zugriff von Parlament und Regierung über179 Vgl. etwa Kewenig, D Ö V 1973, 28; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 79; Frank, Politische Planung, 104; Kröger, D Ö V 1973, 442; ders., Ministerverantwortlichkeit, 28; V i t z t h u m (Anm. 176), 269 f. 180 Vgl. oben, Abschnitt 3 b, bei A n m . 164, i n diesem Kap. 181 So Herzog, Regierungsprogramme, 52; vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, 238; Partsch, Parlament u n d Regierung, 109; V i t z t h u m (Anm. 176), 245. 182 Vgl. etwa Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 163 - 165; Herzog, Staatslehre, 272 - 274; F r a n k (Anm. 179), 9 2 - 9 5 ; Scheuner, Kontrolle, 35 - 37. 183 Insoweit zutreffend Frotscher, Regierung, 213.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

läßt und sich m i t jedem Ergebnis des „Zusammenspiels" zufriedengeben muß. Zwar ließe sich der Grundsatz aufstellen, Staatsleitung zur gesamten Hand verlange jedenfalls ein Gleichgewicht der beteiligten Verfassungsorgane, so daß keines das andere verdrängen dürfe; eine solche Sicherung wäre jedoch i m Normalfall äußerst ungewiß und i m Zweifelsfall — wenn eines der Verfassungsorgane tatsächlich das Übergewicht zu erlangen droht — kaum wirksam 1 8 4 . Ebensowenig wie man der Verfassungsordnung des Grundgesetzes eine scharfe Trennung der Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung i m Bereich der Staatsleitung entnehmen kann, darf man ihr eine völlige Enthaltsamkeit i n der Aufgabenzuordnung unterstellen. Dem steht schon die ausdrückliche Zuweisung bestimmter Aufgaben an das Parlament bzw. die Regierung entgegen, vor allem aber die verfassungsrechtlich ausgestaltete unterschiedliche Organstruktur, die es überhaupt erst sinnvoll erscheinen läßt, daß es mehrere „besondere" Verfassungsorgane (Art. 20 I I 2 GG) gibt, die nicht beziehungslos nebeneinander oder gar konkurrierend gegeneinander, sondern ergänzend miteinander die zu erfüllenden Verfassungsaufgaben erledigen. Bevor allerdings voreilig eine Abwendung von dem neuen Gewaltenteilungsverständnis erfolgt und nach einem Zurück zum Trennungsdenken gerufen wird, was aufgrund der bisherigen Erfahrungen einen (Rück-)Schritt zur (tatsächlichen) Regierungsüberlegenheit bei (formaler) Parlamentssuprematie bedeuten müßte, sollte überprüft werden, ob die Staatsleitung zur gesamten Hand als kombinierte Gewalt zwischen Parlament und Regierung nicht doch faßbare Differenzierungen zuläßt. Das Erfordernis einer solchen Aufschlüsselung, die schon frühzeitig — wiederum von Scheuner 185 und insbesondere von Richard B ä u m l i n 1 8 6 — erkannt wurde, ist gleichfalls i m Rahmen der Erörterung u m die staatsleitende Planung i n den letzten Jahren stärker hervorgetreten 18 7 . Die gegenwärtig noch offene verfassungsrechtliche Kardinalfrage lautet deshalb nicht mehr, ob die Staatsleitung Parlament und Regierung gemeinsam zusteht, sondern wie die beiden Verfassungsorgane daran i m einzelnen zu beteiligen sind. 184

Vgl. auch Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 98. D Ö V 1957, 634. 186 Staat, Recht u n d Geschichte, 39 f.; Kontrolle, 229, 255 f.; auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 22. 187 Vgl. die Nachweise oben, A n m . 179; ferner Böckenförde, Der Staat 1972, 443 f.; ders., i n : Parlamentarische K o n t r o l l e der Regierungsplanung, 15; auch Dobiey, Politische Planung, 54 f., 60, der jedoch das „Gesamthand"-Konzept ablehnt, w e i l er es f ü r nicht weiter aufschlüsselbar h ä l t ; ähnlich auch Scheuner, Politische Planung, 383, w e i l der jeweilige A n t e i l v o n Parlament u n d Regier u n g an der Staatsleitung „vielmehr funktionell abgestuft u n d berechnet" sei (dazu auch unten, A n m . 200) ; V i t z t h u m (Anm. 176), 261 f. 185

3. Staatsleitung als Zusammenwirken von Parlament u n d Regierung

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Die nähere Aufschlüsselung kann sich zunächst an den Erfahrungen m i t dem positivistisch-konstruktiven Trennungsdenken orientieren. Danach erscheint eine streng klassifikatorische Abgrenzung der Aufgabenwahrnehmung von Parlament und Regierung — sei es nach sachlichen Materien, sei es nach verfahrensmäßigen Abschnitten — ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen 1 8 8 . Dies leuchtet für die Sachbereichsaufteilung unmittelbar ein, w e i l die Staatsleitung insgesamt Parlament und Regierung gemeinsam zusteht und nicht einzelne Teilbereiche — etwa die auswärtigen Angelegenheiten, das Finanzwesen oder sonstige Sachmaterien — dem einen oder dem anderen Verfassungsorgan ausschließlich anvertraut sind. Zutreffend weist Kewenig darauf hin, daß selbst eine scheinbar so klassische Parlamentsaufgabe wie die Strafrechtsreform nicht ohne Beteiligung des Bundesjustizministeriums zu bewältigen ist 1 8 9 . Aber auch die Aufteilung i n voneinander abgegrenzte Verfahrensabschnitte — etwa i n Vorbereitung, Entscheidung, Ausführ u n g — müßte auf der Ebene der Staatsleitung scheitern, w e i l diese einen kontinuierlichen Lern- und Steuerungsprozeß darstellt, der Entscheidungen lediglich zu formalen Zwischenstationen innerhalb andauernder Vorbereitung und Ausführung macht 1 9 0 . Die Folgen einer streng klassifikatorischen Aufteilung der Staatsleitung zwischen Parlament und Regierung lassen sich unschwer abschätzen. Zahlreiche „Durchbrechungen" wären unvermeidbar und müßten ständig als Ausnahmen gerechtfertigt oder durch Fiktionen überdeckt werden. Dadurch würde für den Bereich der Staatsleitung alsbald die gleiche Enttäuschung und Resignation eintreten, wie sie das Trennungsdenken für die Staatsgewalt insgesamt hervorruft 1 9 1 . Kaum erfolgversprechender als das Bemühen u m eine klassifikatorische Gewaltenteilung hat sich der als ein interessantes Gegenstück zu betrachtende Versuch erwiesen, das Verhältnis von Parlament und Regierung i m Sinne einer „quantitativen Gewaltenteilung" zu verstehen 192 . Die Forderung nach einem allgemeinen Gleichgewicht zwischen beiden 188 Ebenso Bäumlin, Kontrolle, 227-230, 254 f.; ders., Staat, Recht u n d Geschichte, 39; ferner Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 19 - 2 1 ; Leisner, DÖV 1969, 407, 409; Stern, Rationale I n f r a s t r u k t u r p o l i t i k , 77. 189 Kewenig (Anm. 188), 20 m i t A n m . 47; vgl.,auch Schmid, Parlament u n d Regierung, 236 f. 190 Dazu oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap.; ferner Leisner, D Ö V 1969, 410; Kewenig (Anm. 188), 20; Stern (Anm. 188); Dobiey (Anm. 187), 49 f.; F r a n k (Anm. 179), 111; Zwischenbericht der Enquete-Kommission für Fragen der V e r fassungsreform, 1. Teil, Abschnitt V, Ziff. 2.1.1 (S. 46). 191 Vgl. dazu oben, Abschnitt 3 a i n diesem Kap. 192 Dazu grundlegend Leisner, D Ö V 1969, insbesondere 409-411; ferner Kewenig (Anm. 188), 27 f.; Stern (Anm. 188), 77 f.; Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, 5 1 - 5 4 .

256

V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Verfassungsorganen bleibt mangels bestimmender Merkmale für die einzubringenden Einzelgewichte verfassungsrechtliche Leerformel 1 0 3 ; für eine präzisere Gewichtung 1 ® 4 fehlt es ebenfalls an aussagekräftigen Maßstäben 195 , zumal nicht lediglich ein Wägen, sondern ein Werten erforderlich sein soll 1 9 8 und damit letztlich auf eine „qualitative" Unterscheidung Bezug genommen werden muß 1 9 7 . Überhaupt fragt sich, ob eine Gegenüberstellung von qualitativen und quantitativen, von zu wertenden und zu wägenden Abgrenzungsmerkmalen nicht zusätzliche Schwierigkeiten heraufbeschwört, ohne die vorhandenen abbauen zu helfen, indem die breiter angelegte Suche nach Unterscheidungsmöglichkeiten auf quantitativ erfaßbare Merkmale beschränkt wird. Scheitert eine klassifikatorische Aufteilung, so muß sich die Suche nach Unterscheidungsmöglichkeiten m i t typologischen Merkmalen begnügen, wie sie i n der konkreten Verfassungsordnung enthalten sind 1 9 8 . Solche Merkmale weist das Grundgesetz zum einen dahin auf, daß es das Parlament und die Regierung als unterschiedlich strukturierte Verfassungsorgane ausgestaltet 199 , und zum anderen dahin, daß es jedem dieser Verfassungsorgane, wenn auch nur i n den Grundzügen und i n Einzelbereichen, verschiedene Aufgabenteilbeiträge zuweist 2 0 0 . Deshalb genügt es nicht, wenn die beiden Verfassungsorgane i m Bereich der Staatsleitung irgendwie gemeinsam tätig werden und ihren jeweiligen Anteil daran durch i h r „politisches Zusammenspiel" untereinander beliebig aushandeln. Infolge ihrer gegenseitigen Ergänzungsbedürftigkeit bei der Aufgabenwahrnehmung 2 0 1 müssen ihre jeweiligen Teilbeiträge vielmehr organadäquat abgestimmt und funktionsgerecht zusammengeführt werden, um die kontinuierliche Verfassungsaufgabe der Staatsleitung rational und zugleich legitimiert zu bewältigen. Die Staatsleitung 193

Dazu schon oben, bei A n m . 184. Eine solche hält Leisner, D Ö V 1969, 410, f ü r erforderlich. 195 Dies r ä u m t auch Leisner, ebd., 411, ein. 196 So Leisner, ebd. 197 So auch Egloff, Informationslage, 32 f.; vgl. ferner Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 98; Leisner selbst (DÖV 1969, 409) meint, die Gewaltenteilung sei „mehr (!) quantitativ als qualitativ". 198 So insbesondere Bäumlin, Kontrolle, 229, 255; ders., Staat, Recht u n d Geschichte, 40. 199 A u f das M e r k m a l der Organbesonderheit verweisen insbesondere B ä u m lin, Kontrolle, 268; ders., Rechtsstaat, 2049; Kewenig, Parlamentarische M i t regierung, 22: Leisner, D Ö V 1969, 410; H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 89; Weiß (Anm. 192), 46. 200 D a h i n dürfte Scheuner zu verstehen sein, w e n n er von Teilhabe an der Staatsleitung „ i n spezifischer Weise" (DÖV 1971, 5) oder davon spricht, der jeweilige A n t e i l sei „ f u n k t i o n e l l abgestuft u n d berechnet" (Politische Planung, 383); dazu auch oben, A n m . 187; ferner Scheuner, Kontrolle, 31. * 0 1 Dazu oben, Abschnitt 2 d i n diesem Kap. 194

4. Dér A n t é i l des Parlaments an der Staatsleitung

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zwischen Parlament und Regierung stellt sich danach als ein kooperativer Prozeß i n sich verschiedener, aber ergänzend ineinandergreifender Aufgabenteilbeiträge dar. Damit kommt die Untersuchung auf das allgemein zur Gewaltenteilung des Grundgesetzes festgestellte Ergebnis zurück, daß die verfassungsrechtliche Aufgaben- und Organzuordnung nach den Maßstäben der Organadäquanz und der Funktionsgerechtigkeit erfolgen muß 2 0 2 . A n hand dieser Maßstäbe ist nunmehr i m Anschluß an die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse über die verfassungsrechtliche Organstruktur 2 0 3 und Aufgabenordnung 2 0 4 der dem Parlament i m Verhältnis zur Regierung verfassungsrechtlich zukommende A n t e i l an der Staatsleitung näher zu bestimmen.

4. Der Anteil des Parlaments an der Staatsleitung a) Mitentscheidung als parlamentarischer Teilbeitrag zur Gewährleistung umfassender Wertberücksichtigung Die quantitative Zunahme der Staatsaufgaben i m modernen Staat des Grundgesetzes und die Steigerung der qualitativen Anforderungen an ihre Erledigung bedürfen nicht nur der tatsächlichen, sondern auch einer demokratisch legitimierten Bewältigung 2 0 5 . Daran scheitert das traditionelle Verständnis der Gewaltenteilung, das auf einer strikten Trennung der Aufgabenbereiche von Parlament und Regierung beruht 2 0 6 , dem Parlament die zukunftsordnende Entscheidung, der Regierung einschließlich der Verwaltung den Vollzug der Parlamentsentscheidung und schließlich dem Parlament die Kontrolle über den Entscheidungsvollzug zuweist 2 0 7 . Der Verflechtung von Planung, Festlegung und Durchführung der staatlichen Aufgaben i m Bereich der Staatsleitung 2 0 8 widerstrebt eine Aufstellung generell-abstrakter, i m einzelnen vollziehbarer Handlungsanweisungen des Parlaments an die Regierung. Eine Beschränkung des Parlaments auf vorausschaubare i m Gegensatz zu situationsbedingten 202

Dazu oben, Kap. I I 5 b. Dazu oben, Kap. I I I . 204 Dazu oben, Kap. I V . 205 Z u r demokratischen Legitimation der Staatsgewalt i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes vgl. oben, Kap. I I I 2 a. 208 Dazu oben, Abschnitt 3 a i n diesem Kap. 207 Vgl. dazu u n d zur K r i t i k v o r allem Bäumlin. Kontrolle, 236 u n d passim; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 23 f. 208 Vgl. oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap. 203

17 M a g i e r a

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Hegelungen 209 würde angesichts der sich ständig und rasch ändernden modernen Lebensverhältnisse eine erhebliche Beschränkung des parlamentarischen und eine entsprechend großzügige Erweiterung des „exekutivischen" Wirkungskreises bedeuten. Dies müßte selbst den traditionellen parlamentarischen Aufgabenbereich der „materiellen" Gesetzgebung beeinträchtigen, die ebenfalls immer weniger m i t allgemeinen und dauerhaften Regelungen auskommt, wie sie etwa i n den großen Kodifikationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts niedergelegt sind 2 1 0 . Soll das Parlament nicht aus der modernen Entwicklung des Rechts und vor allem aus der Staatsleitung „hinauskomplimentiert" werden 2 1 1 , so steht es vor der Wahl, angesichts seiner begrenzten Arbeitskapazität und seines unvollständigen Informationsstandes entweder nicht genügend abgesicherte Entscheidungen zu treffen, sich einen eigenen bürokratischen Apparat zuzulegen oder eine engere Zusammenarbeit m i t der Regierung einzugehen. Die erste Alternative bedürfte keiner Erwähnung, jedenfalls keiner Widerlegung, wenn sie nicht bisweilen zumindest mittelbar erwogen würde. A u f ihr beruhen diejenigen Überlegungen, die davon ausgehen, das Parlament entscheide „politisch" nach gesundem Menschenverstand, während der Regierung und ihrem bürokratischen Apparat die „technische" Vorbereitung und Ausführung dieser Entscheidungen obliege 212 . Damit w i r d jedoch verkannt, daß sich weder eine scharfe Trennlinie zwischen technischer und politischer Arbeitsweise ziehen noch ohne Kenntnis und Durchblick des technischen Bereichs politisch arbeiten und entscheiden läßt 2 1 3 . Neben seinem „politischen Verstand" braucht das Parlament zumindest so viel „technischen Sachverstand", daß es die Tätigkeit der Regierung und ihres Apparates zutreffend einschätzen und berücksichtigen kann, wenn es nicht zu Dilettantismus und Statistenrolle i m staatsleitenden Entscheidungsprozeß abgedrängt werden w i l l 2 1 4 . Aber auch die zweite Alternative birgt Gefahren i n sich und ist nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Ein parlamentseigener bü209

So etwa Kassimatis, Regierung, 32 - 35. Dies dürfte die Diskussion u m das sog. Maßnahmegesetz dargetan haben; vgl. dazu etwa Meessen, DÖV 1970, 314 - 321; Achterberg, Funktionenordnung, 7 2 - 7 9 ; Starck, Gesetzesbegriff, 4 9 - 6 7 ; K . Huber, Maßnahmegesetz (1963); Zeidler, Maßnahmegesetz (1961); Menger u n d Wehrhahn, Das Gesetz als N o r m u n d Maßnahme (1957). 211 Vgl. auch Schaumann, Staatsführung u n d Gesetzgebung, 314. 212 Vgl. dazu G r i m m , Z P a r l 1970, 460 - 463 m. w. N. 213 Vgl. oben, Abschnitt 1 c i n diesem Kap.; ferner Bäumlin, Kontrolle, 264 bis 266; weitere Nachweise bei Quick, Wissenschaftliche Beratung, 29 A n m . 88 f. 214 Vgl. auch Böckenförde, Der Staat 1972, 447 f.; ders., i n : Parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, 16 f. 210

4. Der A n t e i l des Parlamente an der Staatsleitung

259

rokratischer Apparat, der den Informationsbedarf des Parlaments unabhängig von der Regierung und ihrem Apparat decken soll, könnte sich zu einer Gegenbürokratie entwickeln, der das Parlament nicht m i n der ausgeliefert wäre als der Regierungsbürokratie selbst 215 . Auch bliebe fraglich, ob ein einziger Parlamentsapparat ausreichen würde, den unterschiedlichen Interessen von Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit gerecht zu werden, und deshalb nicht sogar zwei derartige Apparate aufgebaut werden müßten 2 1 6 . Neben diesen mehr praktischen Bedenken, zu denen noch das nicht zu unterschätzende Kostenproblem hinzukäme, spricht vor allem und entscheidend ein verfassungsrechtliches Argument gegen den Aufbau einer umfassenden Gegenbürokratie. Wenn das Grundgesetz Parlament und Regierung als unterschiedliche Verfassungsorgane ausstattet, das Parlament als Versammlung gleichberechtigter Abgeordneter, die Regierung als Spitze eines umfangreichen bürokratischen Apparates, so gilt es diese Unterschiede grundsätzlich aufrechtzuerhalten, nicht hingegen einzuebnen und gleichsam Doppelorgane zu schaffen 217 . Damit ist der Aufbau eines parlamentseigenen bürokratischen Hilfsapparates nicht ausgeschlossen218. Sein Umfang muß sich aber an den besonderen Bedürfnissen des Parlaments i m Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen ausrichten 219 . Diese Bedürfnisse bestehen i n einer Verfassungsordnung, die eine gegenseitige Ergänzung ihrer Organe anstrebt, nicht darin, daß das Parlament die Regierung und ihren Apparat möglichst umgeht und durch einen eigenen Apparat ersetzt, sondern darin, daß es die von der Regierung und ihrem Apparat geleistete Arbeit möglichst weitgehend nutzt. Allerdings darf das Parlament dabei nicht i n einseitige Abhängigkeit geraten, was der Fall wäre, wenn es den Angaben der Regierung und ihres Apparates mangels eigener Uberprüfungsmöglichkeiten blind vertrauen müßte. Ein parlamentseigener bürokratischer Hilfsapparat ist insoweit unentbehrlich, wie es eine sachverständige Aufbereitung und Überprüfung der Regierungsangaben erfordert, wobei auch das unterschiedliche Interesse 215 Frank, Politische Planung, 113,286 -293; Bäumlin, Kontrolle, 272; Böckenförde, Der Staat 1972, 448; Egloff, Informationslage, 78 f.; G r i m m , ZParl 1970, 459; Lohmar, Das Hohe Haus, 82; Partsch, Parlament u n d Regierung, 87 f.; Quaritsch, Die Wissenschaftlichen Dienste, 321; Rietdorf, i n : Parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, 42 ; Schäfer, Der Bundestag, 188 f. 218 Z u m Problem eines Hilfsapparats f ü r die Parlamentsminderheit vgl. Frank (Anm. 215), 293-306; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 304 bis 308; Quick (Anm. 213), 38 f., 54 - 56. 217 Dazu schon oben, Abschnitt 2 d i n diesem Kap. 218 Vgl. die Nachweise oben, A n m . 215. 219 Bäumlin, Kontrolle, 264; Egloff, Informationslage, 16, 43, 77 f.; Eichenberger, SchwJZ 1965, 288 f.; K e l l e r / Raupach, Informationslücke, 57 - 85.

17*

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

von Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit nicht außer acht gelassen werden darf. Damit leitet die zweite Alternative i n die dritte über. Auch die Zusammenarbeit von Parlament und Regierung i m Bereich der Staatsleitung w i r f t praktische Gefahren und verfassungsrechtliche Probleme auf. Diese werden nicht dadurch vermieden oder beseitigt, daß dem Parlament — wie es das Trennungsdenken nahelegt — die Entscheidung vorbehalten und die Regierung auf die Vorbereitung beschränkt wird. Dem steht zunächst die Verflechtung zwischen Vorbereitung und Entscheidung entgegen, die sich auf der Ebene der Staatsleitung i n einem kontinuierlichen Prozeß ablösen, wenn nicht überhaupt vereinen 2 2 0 . Zwar lassen sich formal „Entscheidungen" hervorheben und auch fällen, inhaltlich sind sie jedoch weitgehend durch das Vorbereitungsverfahren derart vorgeprägt, daß sie keine eigenständige Bedeutung entfalten. Zusätzlich zu diesen (unechten) Sachzwängen, welche die Alternativenreduzierung i m Verlauf des Vorbereitungsverfahrens hervorruft, kommt hinzu, daß der Parlamentsmehrheit aus parteipolitischen Gründen der Wille fehlt, umfängliche und mit den verschiedensten Interessen abgeklärte Vorbereitungen 2 2 1 „ihrer" Regierung zurückzuweisen, während es der Parlamentsminderheit an den erforderlichen Stimmen für eine erfolgreiche Ablehnung mangelt 2 2 2 . Das an das Trennungsdenken anknüpfende Bestreben, dem Parlament die Entscheidung vorzubehalten und die Regierung auf die Vorbereitung der Parlamentsentscheidung zu begrenzen, beschwört somit die Gefahr einer Präjudizierung des Parlaments durch die Regierung herauf. Die Entscheidung bleibt zwar formal bei dem Parlament, inhaltlich w i r d sie jedoch von der Regierung getroffen. Die Zurückstufung des Parlaments auf ein Ratifizierungsorgan fertiger Regierungskonzepte macht die Staatsleitung zu einer einseitigen Regierungsangelegenheit, weil der parlamentarische Beitrag, der auf dem Wertungsvorsprung des Parlaments gegenüber der Regierung beruht, nicht wirksam werden kann. Die Zusammenarbeit von Parlament und Regierung muß deshalb so angelegt sein, daß neben den Vorstellungen der Regierung auch die A n regungen des Parlaments i n das Konzept einfließen können 2 2 3 . Dies er220 Vgl. oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap.; ferner Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 41. 221 Dazu G r i m m , ZParl 1970, 455 f. 222 Vgl. auch Herzog, Regierungsprogramme, 50. 223 Kewenig, D Ö V 1973, 28 f.; Böckenförde, Der Staat 1972, 448; Frank, Politische Planung, 111-113; Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung, 110.

4. Der A n t e i l des Parlaments an der Staatsleitung

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fordert eine Einschaltung des Parlaments i n die Vorbereitungen der Regierung zu einem Zeitpunkt, i n dem sich die Regierung noch nicht so weit festgelegt hat, daß sie ohne einen „Gesichtsverlust" davon nicht mehr abweichen kann. Die Nichtablehnung weit vorangeschrittener und verfestigter Regierungsentwürfe durch die Parlamentsmehrheit muß nicht bedeuten, daß die Parlamentsmehrheit die Entscheidung innerlich billigt und es deshalb gleichgültig ist, ob die Regierung die Vorbereitungen i m Bereich der Staatsleitung allein t r i f f t oder ob das Parlament daran beteiligt wird. Hat sich die Regierung noch nicht festgelegt, so ist es für die Parlamentsmehrheit leichter und auch für die Parlamentsminderheit nicht ausgeschlossen, Einfluß auf das Ergebnis zu nehmen. Der Dualismus zwischen (Allein-)Entscheidung des Parlaments und Vorbereitung durch die Regierung muß deshalb, soll das Parlament nicht i m Bereich der Staatsleitung zu einem formalen Bestätigungsorgan für die Entwürfe der Regierung herabsinken 224 , einem beide Verfassungsorgane verbindenden Entscheidungsverfahren weichen. Das Parlament w i r d dadurch nur scheinbar von einem alleinentscheidenden auf ein lediglich mitentscheidendes Verfassungsorgan zurückgestuft. I n Wirklichkeit w i r d i h m auf diese Weise überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, auf die Staatsleitung wirksamen Einfluß zu nehmen und seinen spezifischen Wertungsvorsprung gegenüber der Regierung geltend zu machen 225 . Die parlamentarische Mitentscheidung dient somit dazu, eine umfassende Wertberücksichtigung zu gewährleisten 226 , für welche die Regierung wegen ihres Wertungsdefizits i m Vergleich zum Parlament nicht sorgen kann 2 2 7 . Mitentscheidung darf jedoch nicht i n der traditionellen 224 Z u den Gefahren einer „Ratifikationslage" des Parlaments vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 244; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 90 f. (für den Bereich der Planung „verfassungswidrig"!); Schaumann, Staatsführ u n g u n d Gesetzgebung, 330 f.; Badura, Finanzplanung, 15 f.; Stern, Diskussionsbeitrag, 128. F ü r das Ratifizierungsverfahren hingegen etwa von Peter, DÖV 1973, 339. 225 Z u r Mitentscheidung — statt Alleinentscheidung — des Parlaments vgl. etwa Eichenberger, Rechtssetzungsfunktion, 21, 25; Badura, Parlamentarismus, 15 f., 22 f.; Bäumlin, Kontrolle, 259-270, 307 u n d passim; Böckenförde, Der Staat 1972, 448 f.; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 30 f.; Scheuner, DÖV 1974, 438; Schmid, Parlament u n d Regierung, 236 - 240. 226 Z u r Einführung zusätzlicher Wertungsgesichtspunkte durch das Parlament i n den Prozeß der Staatsleitung vgl. oben, Abschnitt 2 c i n diesem Kap.; ferner — vornehmlich unter dem Aspekt eines erweiterten Kontrollbegriffs — Kewenig, D Ö V 1973, 31 m i t A n m . 52; Bäumlin, Kontrolle, 242; Eichenberger, SchwJZ 1965, 272. 227 Z u r — unzureichenden — Einschätzung der Regierung als „neutrales" Staatsorgan auch i m Rahmen moderner wissenschaftlich-technischer Aufgabenerledigung vgl. Badura, Parlamentarismus, 10; Bohret, Entscheidungshilfen, 19 f.; Harnischfeger, Planung, 49 f.; Jarass, P o l i t i k und Bürokratie, 83 - 87, 124; Kewenig, D Ö V 1973, 31; Scheuner, D Ö V 1965, 577; ders., D Ö V 1957, 633.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

Bedeutung des Trennungsdenkens verstanden werden, das Vorbereitung, Entscheidung und Vollzug voneinander isoliert. Mitentscheidung ist vielmehr vergleichbar m i t einer Beteiligung an einem ständigen Auswahlverfahren, i n dem verschiedene Gestaltungskonzepte für das menschliche Zusammenleben i m Staat ausgearbeitet, abgewogen, verworfen oder gebilligt werden, Alternativen eingebracht und ausgeschieden werden und auch formale Festlegungen — etwa i n Gesetzesform — erfolgen. Es wäre jedoch verfehlt, nur oder gerade letztere als „Entscheidungen", alles übrige hingegen lediglich als „Vorbereitungen" zu betrachten. Näher läge eine umgekehrte Zuordnung, obwohl sich beide Phasen zutreffend nur als untrennbare Bestandteile eines einheitlichen Entscheidungsverfahrens einordnen lassen. Damit scheidet i m Rahmen der staatsleitenden Aufgabenwahrnehmung auch die Möglichkeit aus, der Regierung die „vorbereitende" Tätigkeit zuzuweisen und dem Parlament bestimmte „entscheidende" Eingriffspunkte vorzubehalten. Solche Situationen lassen sich nicht nach abstrakten Merkmalen a priori festlegen, weil die Staatsleitung den Kurs für das menschliche Zusammenleben i m Staat — unter Beachtung, notfalls aber auch durch Änderung des Verfassungsrechts — den Bedürfnissen und Erwartungen der Staatsbürger entsprechend ausrichten und lenken soll. U m so mehr ist es erforderlich, daß Parlament und Regierung gleichermaßen über den jeweiligen Stand des Kurses und über die Möglichkeiten seiner Wahrung und Änderung unterrichtet sind 2 2 8 , damit sich die gemeinsame Aufgabe der Staatsleitung nicht schon infolge von I n formationsmängeln i n eine einseitige Angelegenheit verwandelt. Die parlamentarische Mitentscheidung vermag nur dann eine umfassende Wertberücksichtigung i m Rahmen der Staatsleitung zu gewährleisten, wenn der Informationsstand des Parlaments demjenigen der Regierung nicht qualitativ unterlegen ist. Damit t r i t t das Problem der zureichenden Information des Parlaments und ihrer Bedeutung für die demokratisch zu legitimierende Wahrnehmung der Staatsleitung i n den Blickpunkt der weiteren Betrachtung. b) Kontrolle als parlamentarischer Teilbeitrag zur Gewährleistung umfassender Informationsvermittlung Das Verhältnis von Parlament und Regierung steht nicht nur i m Bereich von Entscheidung und Vorbereitung i m Bann des traditionellen 228 Z u m Informationsbedarf vgl. oben, Abschnitt 2 b i n diesem Kap.; ferner — speziell i m Hinblick auf das Parlament — Dobiey, Politische Planung, 104 f.; Frank, Politische Planung, 242-252; Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 177,184 f., 188.

4. Der A n t e i l des Parlaments an der Staatsleitung

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Trennungsdenkens 229 , sondern ebenso i m Bereich von Entscheidung, Vollziehung und Kontrolle. Auch insoweit sollen beide Verfassungsorgane klar voneinander geschiedene Aufgaben wahrnehmen: das Parlament die Maßstabssetzung und die Regierung die Maßstabsanwendung, die das Parlament anschließend kontrolliert und m i t den verfassungsrechtlich vorgesehenen M i t t e l n — äußerstenfalls m i t dem Sturz der Regierung — sanktioniert. U m der deutlichen Abgrenzung w i l l e n sind dabei eine möglichst genaue Maßstabsvorgabe und eine möglichst getreue Maßstabsbefolgung anzustreben, denen die Kontrolle als einfacher Leistungsvergleich und die Sanktion als angemessene Leistungsabrechnung folgen 2 3 0 . A u f der Ebene der Staatsleitung läßt sich das traditionelle Trennungsmodell i m Bereich von Entscheidung, Vollziehung und Kontrolle wegen der Verflechtung von Planung, Festlegung und Durchführung der staatlichen Aufgaben 2 3 1 jedoch ebensowenig verwirklichen wie i m Bereich von Entscheidung und Vorbereitung. Staatsleitende Maßstäbe und Entscheidungen entwickeln sich kontinuierlich i m Laufe des verfassungsrechtlichen Verfahrens und werden durch scheinbar unverbindliche Vorbereitungshandlungen 232 gleichermaßen mitgeprägt wie durch scheinbar fremdbestimmte Ausführungshandlungen 2 3 3 vervollständigt. Infolge dieser Verflechtungen scheitert auch ein Verständnis der Kontrolle als nachträglicher Vergleich zwischen Maßstabsentscheidung und Maßstabsvollziehung 2 3 4 . W i r d der Maßstab erst mit der Aufgabenwahrnehmung entwickelt, so kann er nicht zugleich als für die Aufgabenwahrnehmung fest vorgegeben betrachtet werden 2 3 6 . Damit fehlt es letztlich an einer tragfähigen Vergleichsbasis und einer überzeugenden Sanktionsvoraussetzung. Das Scheitern des Trennungsmodells beruht jedoch nicht so sehr auf einer widerstrebenden „Verfassungswirklichkeit" als auf der i h m nicht 229

Dazu oben, Abschnitt 4 a i n diesem Kap. Kritisch zu diesem Modell v o r allem Bäumlin, Kontrolle, 233-237; K e wenig, Parlamentarische Mitregierung, 23 f., 29 f.; vgl. auch Eichenberger, SchwJZ 1965, 271 - 2 7 3 ; Moser, Die parlamentarische Kontrolle, 5 - 7 ; ferner — i m traditionellen Sinn — Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge i m deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 115 - 129; auch Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 27 f., 92 f. 231 Dazu oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap. 232 Dazu oben, Abschnitt 4 a i n diesem Kap. 233 Dazu oben, Abschnitt 3 a i n diesem Kap. 234 Z u m Ungenügen einer nachträglichen Kontrolle vgl. insbesondere B ä u m lin, Kontrolle, 238-257; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 2 9 - 3 1 ; Scheuner, D Ö V 1974, 438; Schwarze, DVB1. 1974, 894. 235 Dazu auch Eichenberger, SchwJZ 1965, 270 f.; Morscher, Die parlamentarische Interpellation, 189 -191, die jedoch nicht die Suche nach einem festen Maßstab aufgeben wollen; ferner Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 392; Ritter, Kontrolle, 226. 230

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

entsprechenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes selbst 236 . Das Trennungsverständnis baut auf einem unversöhnlichen Dualismus von Parlament und Regierung auf, indem es die Regierung entsprechend der konstitutionell-monarchischen Tradition als einen der Verfassungsordnung vorgegebenen staatlichen Machtapparat auffaßt, den es zum Schutz der Bürger durch das Parlament zu zähmen g i l t 2 3 7 . Der staatliche Machtapparat w i r d zwar nicht notwendig, aber doch potentiell als für den einzelnen gefährlich betrachtet und deshalb durch Verbote, Kontrollen und Sanktionen i n Schranken zu halten gesucht 238 . Den Grundtenor dieses Staats- und Machtverständnisses prägt ein fundamentales und permanentes Mißtrauen 2 3 9 der Bürger gegenüber dem als fremd empfundenen Staat, der i n der Regierung verkörpert erscheint und zum Bösen neigt, wenn er nicht sorgsam umzäunt und überwacht wird. Falls überhaupt, so nützt der staatliche Machtapparat nur dazu, vor noch schlimmerer Machtentfaltung anderer — sei es der Mitmenschen i m Staat, sei es der anderen Staaten — zu bewahren. Entsprechend dem Grundtenor gegenseitigen Mißtrauens stehen sich die Verfassungsorgane und i h r Instrumentarium i n argwöhnischer Frontstellung gegenüber. Das Parlament verteidigt den „gesellschaftlichen" Bereich der Bürger gegen „staatliche" Eingriffe der Regierung m i t Hilfe des Gesetzesvorbehalts 240 . Zugang zu diesem Bereich erhält die Regierung nur aufgrund besonderer Erlaubnis durch Parlamentsgesetz und nur i n dessen Rahmen, den sie streng einzuhalten hat. I m „staatlichen" Bereich darf die Regierung hingegen grundsätzlich „frei" handeln, soweit nicht ausnahmsweise eine verfassungsrechtliche oder eine gesetzliche Schranke entgegensteht. Das Verhalten der Regierung unterliegt der achtsamen Kontrolle des Parlaments, das — sofern keine offenkundige Übertretung der Verfassung oder eines Gesetzes vorliegt — besondere Untersuchungen einleitet 2 4 1 , wenn es Abweichungen der Regierung vom vorgeschriebenen oder vorgestellten Handlungsplan vermutet 2 4 2 . Die Kontrolle erscheint als Ausdruck des Mißtrauens, als M i t 236

So auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 30. Dazu oben, Kap. I I 2 a, 4 b. 238 Zur Wechselwirkung von Macht u n d Kontrolle vgl. Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 1 f.; Loewenstein, Verfassungslehre, 3 - 9 . 289 Dazu Bäumlin, Kontrolle, 185 - 189, 236. 240 „Kriegszustand zwischen Regierung u n d V o l k " (so Jellinek, Regierung u n d Parlament, 10). 241 Z u dem traditionellen K o n t r o l l i n s t r u m e n t a r i u m vgl. Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 24 f.; ferner Aschauer, Die parlamentarische K o n t r o l l e der Regierung (1967); Achterberg, Parlamentsrecht, 5 8 - 6 6 ; Bayer (Anm. 230), 123 - 129; Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, 295 - 313; Scheuner, Kontrolle, 37 - 49. 237

4. Der A n t e i l des Parlament an der Staatsleitung

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tel der Fehleraufdeckung und der Fehlerunterdrückung, als (negative) K r i t i k und Besserwissen 243 . Führen Abmahnungen des Parlaments nicht zum Erfolg, d. h. zu einem verfassungs- und gesetzestreuen Verhalten der Regierung, wie es sich das Parlament vorstellt, so w i r d die Regierung, sofern die Verfassimg es zuläßt, durch eine andere ersetzt 244 , und der Wettlauf zwischen beiden Verfassungsorganen, der eher dem Spiel von Räuber und Gendarm als einer verantwortlichen Erledigung von Verfassungsaufgaben ähnelt, kann von neuem beginnen. Einem solchen Staats- und Machtverständnis und den daraus abgeleiteten Folgerungen steht entgegen, daß staatliche Macht — i m Gegensatz zu tatsächlicher Macht von Einzelmenschen und Gruppen — für die Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht als gleichsam von Natur aus und selbstverständlich vorhanden anzunehmen, sondern erst durch den politischen Willensbildungsprozeß der sich i m Volk zusammenschließenden Menschen hervorzubringen ist 2 4 5 . Deshalb liegt die staatliche Macht auch nicht ursprünglich bei einem bestimmten Staatsorgan; vielmehr haben alle Verfassungsorgane an i h r teil, neben der Regierung insbesondere das Parlament selbst 246 . Ist Macht als potentiell gefährlich zu betrachten — und alle bisherige Erfahrung spricht dafür —, so kann ihr auf Dauer nicht dadurch begegnet werden, daß dem einen Verfassungsorgan nur Mißtrauen, dem anderen nur Vertrauen entgegengebracht wird. Vertrauen und Wachsamkeit gehören vielmehr zusammen und müssen die Tätigkeit aller Verfassungsorgane gleichermaßen begleiten 2 4 7 . Schutz vor Machtmißbrauch ist demnach zwar auch ein Anliegen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes; seine Verwirklichung geschieht jedoch nicht durch Verselbständigung von Macht und Kontrolle 2 4 8 , von 242 Dazu k a n n die K o n t r o l l e i m gesetzesfreien Bereich führen, w o die Regier u n g hinsichtlich des parlamentarischen Maßstabs weitgehend auf V e r m u t u n gen angewiesen ist, w e n n m a n von einem „vorgegebenen" Maßstab ausgeht. 243 Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 236; Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 188. 244 Bezeichnend Bayer (Anm. 230), 149 f., w e n n er feststellt, das Parlament „ k a n n die Regierung i n i h r e m A m t bestätigen oder stürzen, aber es k a n n nicht an Stelle der Regierung eigene politische Gestaltungsentscheidungen treffen". Wie sein Hinweis auf C. Schmitt (ebd., Anm. 281), das Parlament sei auch i m parlamentarischen Regierungssystem „nicht omnipotent", zeigt, gibt es für i h n n u r Herrschaft entweder der Regierung oder des Parlaments: „Denn der M i t telweg, die rein sachbezogene Änderung des Regierungskurses, liegt außerhalb seines (des Parlaments) Funktionsbereiches." — Ähnlich BVerfGE 1, 351, 370: die parlamentarische K o n t r o l l e könne i n einem Mißtrauensvotum nach A r t . 65 GG „ g i p f e l n " ; ferner BVerfGE 1, 372, 394. 245 Dazu oben, Kap. I I 3. 246 A u f den Wandel des Parlaments v o m K o n t r o l l - zum Herrschaftsorgan hebt auch Friauf, Diskussionsbeitrag, 129, ab. 247 Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 185 - 189. 248 So aber noch Bayer (Anm. 230), 144 - 153; Dobiey, Politische Planung, 129;

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

potentiell gefährlicher Regierung als Fremdbestimmung und potentiell eindämmendem Parlament als Selbstbestimmung, sondern durch Hervorbringung einer von vornherein begrenzten Staatsgewalt, welche Macht und Kontrolle i n sich vereinigt 2 4 9 . Anders als die konstitutionellmonarchische Verfassungsordnung, i n der sich Macht und Kontrolle als A b b i l d des Dualismus von Staat und Gesellschaft, verkörpert i n Regierung und Parlament, getrennt gegenüberstanden, kennt die demokratisch-parlamentarische Verfassungsordnung des Grundgesetzes nur eine vom Volk allein ausgehende und von Parlament und Regierung — zusammen m i t den anderen Verfassungsorganen — gemeinsam auszuübende kontrollierte Macht. Bedeutet kontrollierte Macht danach Einbeziehung der Kontrolle i n den kontinuierlichen Prozeß der Machtentstehung und Machtausübung statt nachträglicher Uberprüfung abgeschlossener Abschnitte des Machtentfaltungsprozesses 250 , so müssen Kontrolle und Machtgebrauch dennoch unterscheidbar bleiben, wenn nicht kontrollierte i n unkontrollierte Macht übergehen soll. Deshalb darf Kontrolle nicht zur Beherrschung des Machtentfaltungsprozesses führen, aber auch nicht i n (negativer) K r i t i k und (vermeintlichem) Besserwissen verharren 2 5 1 . Zwischen diesen beiden Polen liegt eine breite Skala von Wirkungsmöglichkeiten der Kontrolle 2 5 2 , die gerade für den Bereich der Staatsleitung m i t seinen Unvorhersehbarkeiten und Unwägbarkeiten den erforderlichen Raum für das „politische Zusammenspiel" von Parlament und Regierung eröffnen. Die Ausgestaltung dieses Spielraums unterliegt jedoch verfassungsrechtlichen Maßstäben. F r i a u f / Stephan, Politische Ziel- u n d Mittelplanung, 652; Leibholz (Anm. 241), 298; w o h l auch Brunner, Kontrolle, 144; ferner BVerfGE 1, 372, 394, aber auch 395; abschwächend BVerfGE 9, 268, 279 („gegenseitig kontrollieren"); 10, 4, 17 (Parlament als „oberstes" Kontrollorgan). — Aus der Weimarer Zeit vgl. etwa Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems, 510. 249 So Bäumlin, Kontrolle, 238, 249, 254, 307 u n d passim; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 31; Pietzner, Petitionsausschuß, 4 0 - 4 3 ; Ritter, K o n trolle, 227; u n k l a r etwa Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 136 gegenüber 241 f. 250 Z u r Wandlung von der „nachträglichen" zur „mitlaufenden", „begleitenden" oder „vorgängigen" Kontrolle vgl. insbesondere Bäumlin, Kontrolle, 244 bis 257; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 31; ders., D Ö V 1973, 25; Leisner, D Ö V 1969, 409-411; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 398 bis 402; ders., Kontrolle, 11, 27, 31, 51 u n d passim. 251 Z u r K o n t r o l l e zwischen K r i t i k u n d Beherrschung vgl. Gehrig (Anm. 249), 3 - 5 ; Gerlich, Parlamentarische Kontrolle, 46; Bäumlin, Kontrolle, 249, 253; Eichenberger, SchwJZ 1965, 270, 272 f.; Morscher, Die parlamentarische I n t e r pellation, 187. 252 „Die Bezeichnung K o n t r o l l e ist w e i t u n d elastisch aufzufassen" (Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 390); ders., Kontrolle, 9; vgl. auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 30 f. ; Ritter, Kontrolle, 225 f. ; ferner Schwarze, DVB1.1974, 896 - 901.

4. Der A n t e i l des Parlaments an der Staatsleitung

267

I n einer Verfassungsordnung, i n der alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und i n einem offenen und gegliederten Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß auszuüben ist, muß der staatliche Machtentfaltungsprozeß, wie er sich i m Bereich der Verfassungsorgane vollzieht, für den m i t der grundlegenden Wahlentscheidung betrauten und belasteten Staatsbürger insgesamt durchschaubar und stets beeinflußbar bleiben. Die Qualität der Machtentfaltung bemißt sich deshalb weniger an der Güte des Ergebnisses für das Staatsvolk als an der Volksnähe und Volksempfindlichkeit des Verfahrensablaufs. Dazu genügt es nicht, den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß i n und zwischen den Verfassungsorganen möglichst öffentlich vor dem Volk abzuwickeln. Die vermehrte Offenbarung von Informationen allein bewirkt noch keine zureichende Informiertheit. Die I n formationen bedürfen vielmehr der sinnvollen Aufbereitung nach ihrer Wichtigkeit i m einzelnen und ihrer Bedeutung i m Gesamtzusammenhang, um für die politische Willensbildung des Volkes und vor allem für die Wahlentscheidung des Staatsbürgers ihren politischen Wert und ihre staatsrechtliche Verwertbarkeit zu erlangen 2 5 3 . Zu der erforderlichen bürger- und wählerrelevanten Informationsaufbereitung ist von den Staatsorganen nach seiner verfassungsrechtlichen Struktur vor allem das Parlament berufen 2 5 4 , das als Begegnungsfeld von regierungstragender Mehrheit und regierungsoppositioneller Minderheit die wahlentscheidenden politischen Kräfte des Volkes gleichermaßen umfaßt. Die „oppositionsfreie" Regierung hingegen empfiehlt sich infolge ihrer größeren Homogenität und aufgrund des i h r unterstehenden Verwaltungsapparates eher für die Festlegung einheitlicher Richtlinien und deren Absicherung i m einzelnen. Damit beginnen sich i m Rahmen des kontrollierten Machtentfaltungsprozesses unterscheidbare Teilbeiträge von Parlament und Regierung aufgrund ihrer jeweils besonderen Organstruktur herauszuschälen. Der homogeneren und informierteren Regierung obliegt es, die Bedürfnisse und Möglichkeiten für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens innerhalb der Verfassungsordnung des Grundgesetzes zu einem i n sich schlüssigen Programm zusammenzufassen und i n den Einzelheiten realisierbar zu machen. Das vielfältiger zusammengesetzte und wertungsoffenere Parlament ist demgegenüber dazu aufgerufen, i n seinem vor allem um die oppositionellen Kräfte erweiterten Forum die 258

Vgl. oben, Kap. I I I 4 e. 254 z u r „Offenlegungsfunktion" des Parlaments i m Wege der Kontrolle vgl. Steinmüller u. a., Das Informationsrechts des Parlaments, 188; Bäumlin, K o n trolle, 238 f.; Eichenberger, SchwJZ 1965, 271; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 29 f.; ferner oben, Kap. I I I 4 e.

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V. Staatsleitung als kooperativer Prozeß

von der Regierung erarbeiteten Konzepte zur Diskussion zu stellen und auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen sowie ihnen die Vorstellungen von Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit ergänzend und abändernd hinzuzufügen oder alternativ entgegenzusetzen. Dabei muß das Hauptaugenmerk — neben der anzustrebenden Einwirkung auf die Regierung — darauf gerichtet sein, die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten und die dafür maßgeblichen Gründe i n einer verständlichen und i m entscheidenden Wahlverfahren verwendbaren Gegenüberstellung für das Volk aufzubereiten. Kontrollierte Macht i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes bedeutet nach alledem parlamentarisch vor dem Volk kontrollierte Regierungsmacht durch Herausarbeitung der relevanten Alternativen für den politischen Willensbildungsprozeß, u m diesen für das Volk durchschaubar und durch die Wahlentscheidung beeinflußbar zu machen. Parlamentarische Kontrolle dient dementsprechend dazu, die für den demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß erforderliche wechselseitige Informationsvermittlung zwischen Volk und Verfassungsorganen sowie zwischen den Verfassungsorganen umfassend zu gewährleisten.

Sechstes Kapitel

Parlament und kooperativer Staatsleitungsprozeß in der verfassungsrechtlichen Bewährung Angesichts der erforderlichen Ablösung des traditionellen Trennungsdenkens durch ein neues Verständnis parlamentarischer Mitentscheidung und Kontrolle i m Bereich der Staatsleitung erhebt sich abschließend die Frage nach der Bewährung einer derartigen „parlamentarischen Mitregierung" 1 i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Das kooperative Zusammenwirken von Parlament und Regierung darf weder die Verantwortlichkeit der Regierung verwischen (Abschnitt 1) noch die Handlungsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen (Abschnitt 2); es muß vielmehr die gegenseitige Informations- und Wertungsergänzung zwischen beiden Verfassungsorganen fördern (Abschnitt 3). 1. „Mitregierung" des Parlaments und Verantwortlichkeit der Regierung Die Einbeziehung des Parlaments i n den kooperativen Prozeß der Staatsleitung durch Mitentscheidung und (mitlaufende) Kontrolle führt zu einem engen Zusammenwirken von Parlament und Regierung, das die Gefahr einer „Verwischung der Verantwortlichkeiten" heraufbeschwört 2 . Es w i r d deshalb befürchtet, das Parlament könnte durch seine „Mitregierung" den notwendigen Abstand und die erforderliche Unbefangenheit gegenüber der Regierung verlieren, deren Tätigkeit es w i r k sam kontrollieren und deren Verantwortlichkeit es erfolgreich geltend machen soll 3 . „Kontrolle durch M i t w i r k u n g " 4 sei ein Widerspruch i n 1

Z u diesem Begriff vgl. Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 14, 42. Bäumlin, Kontrolle, 255. 3 Vgl. etwa Dobiey, Politische Planung, 115 f., 127 - 130; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 27 f., 92 f., 104; ders., DÖV 1973, 441; ders., Diskussionsbeitrag, 159 f.; Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, 298 f.; Seeger, i n : Parlamentarische K o n t r o l l e der Regierungsplanung, 27 f., 30; Vitzthum, Parlament u n d Planung, 336; BVerfGE 9, 268, 281 f.; differenzierend Scheuner, V e r antwortung u n d Kontrolle, 392, 401 f.; ders., D Ö V 1974, 438; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 395; ders., AöR 1974, 643 -645; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 234 f., 300 f., 374 f. 4 Dazu Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 11 A n m . 22, 30 f.; Bäumlin, Kontrolle, 244 - 249; Scheuner, Kontrolle, 31 u n d passim. 2

270 V

Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

5

sich , denn parlamentarische M i t w i r k u n g schließe parlamentarische Verantwortlichkeit aus e .

a) Begriff und dualistische Struktur verfassungsrechtlicher Verantwortlichkeit Angesichts des Erfordernisses eines offenen und gegliederten Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses setzt die demokratische und rechtsstaatliche Herrschaftsordnung des Grundgesetzes eine „erkennbare Verantwortlichkeit des Staates" und insbesondere eine „funktionsfähige und verantwortliche Regierung" voraus 7 . Da Verantwortung und Kontrolle Grundelemente der demokratischen Verfassungsordnung bilden 8 , muß das Problem der Verantwortungsverwischung unter dem Grundgesetz besonders ernst genommen werden 9 . Trotz der großen Bedeutung und häufigen Anrufung des Prinzips der Verantwortung (oder Verantwortlichkeit) 1 0 läßt sich jedoch eine gewisse Zurückhaltung der deutschen Staatsrechtslehre gegenüber dem Begriff nicht verkennen, was nicht zuletzt auf seiner engen Verwandtschaft m i t schwer faßbaren ethischen und philosophischen Assoziationen beruhen mag 1 1 . Das Grundgesetz verwendet den Begriff der Verantwortung/Verantwortlichkeit ohne ersichtliche Differenzierung oder nähere Erläuterung i n seiner Präambel („Verantwortung" des Deutschen Volkes „vor Gott und den Menschen"), ferner i m Zusammenhang m i t der Funktionssicherung des Bundestages (Freiheit von jeder „Verantwortlichkeit" für bestimmte Sitzungsberichte, A r t . 42 I I I ; Einschränkung der „Verantwortung" von Abgeordneten, A r t . 46 I, II), der Staatshaftung („Verantwortlichkeit" für Amtspflichtverletzungen, A r t . 34) und der Gemeindeautonomie (eigene „Verantwortung" für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, A r t . 28 II) sowie insbesondere bei der Bestimmung der Regierungsbefugnisse: Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die „Verantwortung"; innerhalb dieser Richtli5

So Dobiey, Politische Planung, 129. So Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 28, 94. 7 BVerfGE 9, 268, 281; Badura, Verfassung, Staat u n d Gesellschaft, 17 f.; auch Bäumlin, Kontrolle, 224 (verantwortliche Regierung als gegliederter Regierungsprozeß). 8 Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 384; ders., Kontrolle, 22; ferner Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, 40; Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung, 109. • Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 255. 10 Z u m wechselnden Sprachgebrauch vgl. Wilke, D Ö V 1975, 509, 511. 11 Vgl. dazu Wilke, D Ö V 1975, 509 m. w. N.; auch Scheuner, Verantwortung und Kontrolle, 379. 8

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r a t o l i c h t der Regierung

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nien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener „Verantwortung" (Art. 65 Satz 1,2) 12 . Auch bei einer zusätzlichen Heranziehung des einfachen Rechts erweist sich die Verantwortung oder Verantwortlichkeit nicht als ein festgefügtes Rechtsinstitut oder ein klarer Begriffskomplex 1 3 . Dennoch darf zur näheren Bestimmung des Begriffs — ebenso wie bei dem Begriff der Kontrolle („contre-rôle") — nicht einfach auf die semantische Herkunft des Wortes („verantworten") oder auf ein sonstiges a priori zurückgegriffen werden 1 4 . Die Bedeutung der verfassungsrechtlichen („politischen") 15 Verantwortlichkeit muß vielmehr aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes entwickelt werden. Ähnlich wie für die nähere Bestimmung des Verhältnisses von Vorbereitung und Entscheidung 16 oder von Entscheidung, Vollziehung und Kontrolle 1 7 kommt es auch für die genauere Umgrenzung des Begriffs der Verantwortlichkeit auf die Grundlagen des verfassungsrechtlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses an. Dabei zeigt sich eine enge Verbindung zwischen Verantwortlichkeit und Zuständigkeit einerseits und zwischen Verantwortlichkeit und Kontrolle andererseits, die jeweils korrespondierende Begriffe darstellen 18 . Ohne Zuständigkeit läßt sich keine Verantwortlichkeit bestimmen, ohne Kontrolle keine Verantwortlichkeit geltend machen. Dementsprechend gelangt das traditionelle Trennungsdenken auch für die Verantwortlichkeitsverteilung — wie schon für die Aufgabenzuordnung von Vorbereitung, Entscheidung, Vollziehung und Kontrolle — i m Bereich der Staatsleitung zu einer scheinbar einfachen und eindeutigen Lösung, welche die „Verantwortlichkeitsklarheit" i m Staat gewährleisten soll 1 9 . Danach nimmt die Regierung verfassungsrechtlich 12 Z u r „kargen Ausbeute" des Grundgesetzes vgl. Wilke, D Ö V 1975, 510; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 379. 18 Vgl. Wilke, DÖV 1975, 510 f. 14 Vgl. auch Bäumlin, Kontrolle, 231 f. 15 Z u diesem Begriff vgl. näher Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 1 4 - 1 7 ; ferner Eichenberger (Anm. 8), 112 f.; Bäumlin, Kontrolle, 243 f.; Scheuner, V e r antwortung u n d Kontrolle, 389 - 391; Wilke, DÖV 1975, 514. 16 Dazu oben, Kap. V 4 a. 17 Dazu oben, Kap. V 4 b. 18 Z u m Verhältnis von Verantwortlichkeit u n d Zuständigkeit vgl. Eichenberger (Anm. 8); Kröger (Anm. 15), 4; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 8, 29; Wilke, D Ö V 1975, 511 f. — Z u m Verhältnis von Verantwortlichkeit u n d K o n t r o l l e vgl. Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge i m deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 155; Gehrig, Parlament - Regierung Opposition, 25 f., 51. 19 Z u r Verantwortungsklarheit vgl. Dobiey, Politische Planung, 130 m. w. N.; weitere Nachweise bei Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung, 109.

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

festumrissene Zuständigkeiten wahr, wofür sie die Verantwortung zu tragen und Rechenschaft abzulegen hat. Anhand des Rechenschaftsberichts der Regierung und möglicher eigener Nachforschungen kontrolliert das Parlament anschließend, ob die Regierung die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt und die i h r gesetzten Grenzen eingehalten hat. Je nachdem, wie die Beurteilung ausfällt, erfolgen Lob, Tadel oder — i n letzter Konsequenz — die Amtsenthebung der Regierung durch das Parlament. Gemessen an den Anforderungen des Trennungsmodells weist die tatsächliche Ausprägung des Staatsleitungsprozesses zwischen Parlament und Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes eine weit weniger klare Verantwortlichkeit der Regierung und Sanktionserteilung durch das Parlament auf. Weder verfügt die Regierung i m Bereich der Staatsleitung über einen vom Parlament scharf abgegrenzten Zuständigkeitsanteil, noch beschränkt sich die Kontrolle des Parlaments auf eine nachträgliche Uberprüfung der Tätigkeit der Regierung, noch erfolgt am Ende eine konsequente Belobigung, Tadelung oder gar Amtsenthebung der Regierung durch das Parlament. Diese Entwicklungen müssen dem Trennungsdenken als Versagen des parlamentarischen Regierungssystems und als unzulässige Abweichung von der verfassungsrechtlich gebotenen Ordnung erscheinen, die zwar aufgrund der Verfassungswirklichkeit unvermeidbar, aber zugleich entschieden zu bekämpfen und möglichst einzudämmen sind. Bevor jedoch ein so hartes Urteil über die tatsächliche Ausprägung des Staatsleitungsprozesses i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes gefällt wird, das letztlich auf eine Verurteilung als verfassungswidrige Wirklichkeit hinausläuft, muß gefragt werden, ob dem Trennungsdenken überhaupt ein zutreffendes Verständnis der Verantwortlichkeit zugrunde liegt oder ob es nicht von überholten und dem Grundgesetz fremden idealtypischen Vorstellungen ausgeht 20 . Unabdingbare Voraussetzung für jede Verantwortlichkeit ist das Gegenüber eines Trägers der Verantwortlichkeit (des Verantwortlichen) und eines Adressaten der Verantwortlichkeit 2 1 . „ Z u einer Verantwortung gehören immer zwei Instanzen: eine, die verantwortlich ist, und eine, der sie verantwortlich ist 2 2 ." Insofern kann dem Trennungsdenken i n 20

Vgl. auch Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 7 f., 32. Eichenberger (Anm. 19), 118; Bäumlin, Kontrolle, 238, 240, 247; Gehrig (Anm. 18), 25, 52; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 384 f., 391; Wilke, D Ö V 1975, 513. — Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verantwortlichkeit v o r allem bei Wilke, ebd., passim; Scheuner, ebd., 391 - 393; Gehrig, ebd., 25 f.; auch C. Schmitt, Verfassungslehre, 339 f. 22 Nicolai H a r t m a n n (zitiert bei Eichenberger, Die politische V e r a n t w o r t lichkeit der Regierung, 118). 21

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a n l i k e i t der Regierung

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seinem dualistischen Ausgangspunkt beigepflichtet werden. Verfehlt erscheint jedoch die einseitige Fixierung des verantwortlichen Gegenübers auf das Organverhältnis von Parlament und Regierung, die zwar dem Staat des monarchischen Konstitutionalismus angemessen sein, mochte, aber nicht die vielfältigen Beziehungen zwischen Volk und Staatsorganen sowie zwischen den Staatsorganen i n der demokratischen Verfassungsordnung des Grundgesetzes erschöpfend zu erfassen vermag. Neben dem Organdualismus zwischen Parlament und Regierung müssen auch der Parteiendualismus zwischen Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit 2 3 sowie vor allem der „demokratische Dualismus" zwischen Volk und Staatsorganen i n das Netz der Verantwortlichkeit einbezogen und eingebunden werden 2 4 .

b) Das Volk als aktiver Adressat der Verantwortlichkeit (Demokratischer Dualismus) Die demokratische Verfassungsordnung des Grundgesetzes zeichnet sich gegenüber anderen Verfassungsordnungen nicht durch einen Fortfall staatlicher Herrschaft aus, sondern durch die demokratische Legitimation und Kontrolle der Herrschaftsausübung, durch deren verantwortliche Wahrnehmung gegenüber dem Volk. Auch unter dem Grundgesetz w i r d Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeübt 25 . Dieser demokratische Dualismus w i r d von jenen verkannt, die dem Wunschdenken einer Identität von Herrschern und Beherrschten anhängen 26 , aber auch von jenen verfehlt, die allein i n der Regierung das — verantwortliche — Herrschaftsorgan, i m Parlament hingegen lediglich das — die Verantwortlichkeit der Regierung geltend machende — Kontrollorgan erblikken 2 7 und damit zu einer Teilidentität von Herrschern und Beherrschten gelangen. I m Sinne des demokratischen Dualismus ist auch das Parlament — wie alle anderen Staatsorgane — Herrschaftsorgan, das der demokratischen Legitimation und Kontrolle bedarf und dem Volk für seine Aufgabenwahrnehmung verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist 2 8 . Die vollständige oder teilweise Dissimilierung oder Ignorierung des demokratischen Dualismus trübt den Blick für das wesentliche Problem, nämlich für die tatsächlich lückenlose Erfassung und die rechtlich zutreffende 13

Dazu oben, Kap. V 2 a. Z u r Dualismus-Terminologie vgl. oben, Kap. V 2 a, A n m . 44. 25 Vgl. dazu auch oben, Kap. I I 4 a. 26 Dazu insbesondere Bäumlin, Kontrolle, 207 - 217; ferner oben, Kap. I I I 2 a. 27 Dazu oben, Kap. V 4 b, m i t Nachweisen i n A n m . 248. 28 Vgl. dazu oben, Kap. V 4 b, bei A n m . 246; ferner Bäumlin, Kontrolle, 224 f., 240, 243 f., 255 f.; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 382, 387. 24

Magera

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

Einbindung der Herrschaftsvorgänge i n der demokratischen Verfassungsordnung. W i r d die Herrschaftsausübung eines Staatsorgans nicht erkannt oder nicht zur Kenntnis genommen, so entzieht sie sich zugleich der erforderlichen Kontrolle und Verantwortlichkeit. Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane gegenüber dem Volk bildet die notwendige Ergänzung, gleichsam das Gegengewicht jeder staatlichen Herrschaftsausübung i n der demokratischen Verfassungsordnung 29 . Das für das demokratische Verantwortlichkeitsverhältnis maßgebliche Gegenüber der Beteiligten besteht zwischen den Staatsorganen als den Trägern und dem Volk als dem Adressaten der Verantwortlichkeit 3 0 . Auch nach dem Trennungsdenken soll die Verantwortlichkeit der Regierung i m demokratischen Staat letztlich gegenüber dem Volk bestehen, das Parlament sie lediglich für das Volk geltend machen 31 . Die einseitige Fixierung der aktiven Verantwortlichkeitsbeziehung auf den Organdualismus zwischen Parlament und Regierung verdeckt jedoch nicht nur den Herrschaftsanteil des Parlaments, sondern komplimentiert vor allem das Volk aus dem entscheidenden Verantwortlichkeitszusammenhang hinaus, indem sie es ebenso einseitig auf eine wirkungsschwache Zuschauerrolle verweist. Demokratische Legitimation und mit ihr demokratische Kontrolle und Verantwortlichkeit erschöpfen sich unter dem Grundgesetz jedoch nicht i n einer Tätigkeit der Staatsorgane für das Volk. Sie erfordern zusätzlich eine reale Rückbindung aller Staatsgewalt an das Volk durch stete Beteiligung des Volkes an der staatlichen Aufgabenerfüllung und Organbesetzung 32 . Soll die Verantwortlichkeit der Staatsorgane gegenüber dem Volk Realität gewinnen und keine Leerformel bleiben, so muß das Volk als Verantwortlichkeitsadressat die Staatsorgane als Verantwortlichkeitsträger tatsächlich belangen können, d. h. imstande sein, die Verantwortlichkeit selbst wirksam geltend zu machen 33 . Neben den verschiedenen, teilweise i n der Verfassung ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeiten, auf den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß mittelbar einzuwirken, nimmt das Volk auch unmittelbar an der Ausübung der Staatsgewalt teil 3 4 . Da das Grundgesetz einer Sachentscheidungsgewalt des Volkes zurückhaltend gegenüber29

Scheuner, ebd., 384. Vgl. auch Scheuner, ebd., 394; Bäumlin, Kontrolle, 240, 243 f. 31 Vgl. dazu Dobiey, Politische Planung, 129. 32 Vgl. oben, Kap. I I I 2 a. 33 Vgl. allgemein zur Verantwortlichkeitsrealisierung Wilke, D Ö V 1975, 513 m. w. N. i n A n m . 56. 34 Dazu oben, Kap. I I I 2, 4 e. 30

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r a t o l i c h t der R e g i e r g

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steht, kommt der Wahlentscheidung für die demokratische Legitimation, Kontrolle und Verantwortlichkeit der Staatsorgane die entscheidende Bedeutung zu. Das repräsentative Regierungssystem des Grundgesetzes „eröffnet formell dem Volke nur die Wahl als Mittel, sein politisches Urteil zur Geltung zu bringen" 3 5 . Demokratische Wahl aber bedeutet — „zumindest mögliche — Alternative" 3 6 . Reale Verantwortlichkeit der Staatsorgane gegenüber dem Volk als Verantwortlichkeitsadressaten setzt deshalb eine Entscheidungsmöglichkeit voraus, die es dem Volk gestattet, die von i h m zu wählenden Organwalter 3 7 entsprechend ihren Leistungen zur Rechenschaft zu ziehen, i n ihrem A m t zu bestätigen oder durch andere Organwalter zu ersetzen. Dazu bedarf es der zureichenden Kenntnis über den tatsächlichen Verlauf des Staatsleitungsprozesses, die möglichen Alternativen und die dazu vertretenen Standpunkte der zur Wahl oder Wiederwahl stehenden Bewerber 3 8 . Transparenz der Staatsleitung und der an ihr beteiligten Kräfte ist danach unabdingbar für den demokratischen Wil-^ lensbildungs- und Entscheidungsprozeß, der sich permanent vollzieht und periodisch i n der Volkswahl kristallisiert 3 9 . Insoweit hat das Verlangen nach Verantwortungsklarheit seine volle Berechtigung 40 . Es bleibt jedoch zu beachten, „daß Transparenz, daß klare Fronten niemals Selbstzweck sein dürfen" 4 1 . Verantwortungsklarheit i m Bereich demokratisch legitimierter und kontrollierter Staatsleitung muß sich vielmehr ausrichten und bewähren an den Anforderungen des Wahlverfahrens als dem entscheidenden M i t t e l des Volkes zur Geltendmachung der Verantwortlichkeit der Staatsorgane i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Diesen Anforderungen genügt die einseitige Fixierung auf den Organdualismus nicht. Klarheit der Verantwortlichkeitsfronten zwischen der Regierung einerseits und dem Parlament andererseits schafft keine richtungsweisenden Maßstäbe für das Wahlverfahren, weil das Volk sich weder formal noch inhaltlich zwischen Regierung und Parlament 35

Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 394. Bäumlin, Kontrolle, 224; ferner H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 401, der eine „realisierbare Machtalternanz" verlangt. 37 Dazu oben, Kap. I I I 2 v o r a, zu A n m . 18. 38 Vgl. dazu oben, Kap. I I I 4 e, V 2 a. 39 Vgl. dazu oben, Kap. I I I 2 b. 40 Z u m Verhältnis von Verantwortlichkeit u n d Öffentlichkeit vgl. Bäumlin, Kontrolle, 225; Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung, 118 - 124; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 27; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 49 f. 41 Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 33; vgl. auch Bäumlin, K o n trolle, 239, 254 f. 36

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entscheiden kann 4 2 . Formal stehen allein die Abgeordneten des Parlaments zur Wahl, inhaltlich handelt es sich um ein parteigeprägtes Verfahren, das zugleich eine Sach- und Personenwahl wie eine Parlamentsund Regierungswahl darstellt 4 3 . c) Parlament und Regierung als Träger und Mittler der Verantwortlichkeit (Parteien- und Organdualismus) Das demokratisch-reale Rückkoppelungsverhältnis zwischen Staatsorganen und Staat'svolk, das von Verfassungs wegen und nicht nur aufgrund einer beliebigen „Verfassungswirklichkeit" eine Orientierung an programmatischen Alternativen und profilierten Parteigruppierungen erfordert, ist auf den Parteiendualismus zwischen Regierung/Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit angewiesen und an i h m ausgerichtet 44 . Für die Verantwortlichkeitsklarheit i m Bereich der Staatsleitung kommt es deshalb nicht so sehr auf die Eigenständigkeit der Leistungen der Regierung 45 i m Vergleich zu entsprechend eigenständigen Leistungen des Parlaments als Ganzen als vielmehr darauf an, daß sich die Leistungen der Regierung und der sie grundsätzlich tragenden Parlamentsmehrheit von den Leistungen der sie grundsätzlich ablehnenden Parlamentsminderheit abheben 46 . Der Organdualismus w i r d dadurch nicht verdrängt oder sonst hinfällig. Für die staatliche Aufgabenbewältigung „ i n sinnvoller Geschäftserledigung" 4 7 kommt i h m aufgrund der unterschiedlichen Organstrukt u r von Parlament und Regierung auch weiterhin eine unentbehrliche Schlüsselfunktion zu 4 8 . Sein Beitrag zur Herstellung der verfassungsrechtlich gebotenen Verantwortlichkeitsklarheit als Voraussetzung für 42 Vgl. auch BVerfGE 44, 125, 141, w o es — (zu?) scharf zugespitzt — heißt, m i t dem zeitlich begrenzten A u f t r a g von Bundestag u n d Bundesregierung sei es verfassungsrechtlich unvereinbar, „daß die i m A m t befindliche Bundesregierung als Verfassungsorgan sich gleichsam zur Wiederwahl stellt u n d dafür w i r b t , daß sie ,als Regierung wiedergewählt 4 w i r d " ; vgl. dazu auch Häberle, J Z 1977, 362 f. 43 Vgl. oben, Kap. I I I 2 b. 44 Vgl. schon oben, Kap. V 2 a.. 45 Z u r Eigenständigkeit bzw. Selbständigkeit der Regierung als V e r a n t w o r t lichkeitsgrundlage vgl. BVerfGE 9, 268, 281; Badura, Parlamentarismus, 25; Dobiey, Politische Planung, 127 - 130; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 25 f.; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 18; Schambeck, Ministerverantwortlichkeit, 44 f.; Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle, 391 f.; Wilke, D Ö V 1975, 512. 46 Z u r „Zweigleisigkeit" des demokratischen Prozesses vgl. insbesondere H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 397-405; vgl. ferner — zur Rolle der Opposition — Scheuner, Kontrolle, 56 - 66. 47 Vgl. Badura, Parlamentarismus, 25. 48 Vgl. oben, Kap. V 2 a u n d 4 b, jeweils a. E.

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die Geltendmachung der Verantwortlichkeit der Staatsorgane durch das Volk t r i t t jedoch gegenüber dem Parteiendualismus zurück. Dadurch lassen sich die Widersprüche vermeiden, i n die sich das auf den Organdualismus abstellende Trennungsdenken verstrickt, wenn es davon ausgeht, daß das Parlament die Regierung trägt und sich dennoch von ihr distanziert, daß das Parlament die Regierung i n ein enges Netz von Regelungen einbindet und ihr dennoch einen Freiraum zur eigenständigen Aufgabenwahrnehmung beläßt, daß das Parlament den I n ternbereich der Regierung achtet und sie dennoch aufgrund ausreichender Information kontrolliert. Anders als die blockartige Gegenüberstellung von Parlament und Regierung gestattet die Aufgliederung des Parlaments als Begegnungsforum der unterschiedlichen Kräfte von Mehrheit und Minderheit eine i m Verhältnis zur Regierung differenzierte und widerspruchsfreie Zuordnung der beiden Verfassungsorgane i m Bereich der Staatsleitung. Die Mitentscheidung des Parlaments ist als Folge des Mehrheitsprinzips unmittelbarer Ausdruck des grundsätzlich erforderlichen Einverständnisses zwischen der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit. Beide müssen tatkräftig zusammenarbeiten, damit sie aufgrund ihres Mehrheitsauftrages die gestellte Staatsleitungsaufgabe bewältigen können, und dafür auch gemeinsam die Verantwortung tragen. Das Problem liegt insoweit eher i n einer zu geringen M i t w i r k u n g der Parlamentsmehrheit m i t der Folge einer unzureichenden Informationsgrundlage und deshalb einer lediglich formalen Ratifikation der Regierungskonzepte. Die Wahlmöglichkeit zwischen zustimmender und ablehnender Mitentscheidung stellt zugleich eine Kontrolle der Parlamentsmehrheit gegenüber der Regierung dar, so daß eine besondere Form der Kontrolle insoweit weder zu erwarten ist noch unentbehrlich erscheint. Dementsprechend nimmt die Parlamentsmehrheit an der' Staatsleitung unmittelbar mitentscheidend und mittelbar kontrollierend teil. Die mitlaufende Kontrolle des Parlaments ist als Folge des Prinzips gemäßigter Staatsgewalt unmittelbarer Ausdruck der grundsätzlich erforderlichen Relativierung der Herrschaftsausübung durch Regierung und Parlamentsmehrheit 49 , die sich i n Auseinandersetzung m i t der Parlamentsminderheit ständig vor dem Volk rechtfertigen und periodisch i h m zur Wahl stellen müssen. Die Parlamentsminderheit muß sich zwar als potentielle Alternative von der Regierung deutlich abzuheben versuchen, kann dieses Ziel aber nur i n dauernder Auseinandersetzung m i t dem von der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit ein49

Vgl. dazu etwa H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 395.

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geschlagenen Kurs erreichen. Unter den Bedingungen des modernen Staates bedarf sie dazu vor allem der umfassenden Information, die auch für sie nicht ohne gründliche Einblicke i n die Tätigkeit der Regierung und damit nicht ohne ständige M i t w i r k u n g am Staatsleitungsprozeß zu erlangen ist. Der Einwand, die Parlamentsminderheit werde dadurch von der Entwicklung eigener grundlegender Alternativen abgehalten 50 , geht schon deshalb fehl, weil sich ohne eingehende Information über den Regierungskurs und seine Grundlagen weder kleine noch große Alternativen i n sich schlüssig entwickeln und mehrheitsgewinnend vertreten lassen 51 . Vor allem aber läßt der Einwand unberücksichtigt, daß die Entwicklung „großer" Alternativen um so schwieriger und unwahrscheinlicher wird, je überzeugender und wirksamer die Parlamentsminderheit ihre Alternativposition entfaltet. Trägt sie keine oder keine glaubhaften, weil etwa utopische, Gegenvorstellungen vor, so w i r d sie nicht ernst genommen und hat weder eine Chance, den Regierungskurs zu beeinflussen, noch die Aussicht, die Mehrheit der Wählerschaft für sich zu gewinnen. Trägt sie hingegen überzeugende Gegenvorstellungen vor, so muß sie damit rechnen, daß Regierung und Parlamentsmehrheit diese — wenn auch möglichst unauffällig — i n ihr eigenes Programm übernehmen, um die Minderheitsposition nicht zur „großen" — wahlentscheidenden — Alternative anwachsen zu lassen. Das Hervortreten grundlegender, sich auf Dauer einander nicht angleichender Alternativen erscheint deshalb i n einer demokratischen Verfassungsordnung m i t wählerwirksamer Parlamentsminderheit eher als Anzeichen eines krisenhaften denn eines normalen Verlaufs des Staatsleitungsprozesses 52 . Die Möglichkeit der informierten Äußerung zur Mehrheitspolitik und des realen Anwachsens zur neuen Mehrheit räumt der Parlamentsminderheit auch ohne unmittelbare Entscheidungsgewalt eine Einflußnahme 50

Vgl. dazu Bogs, Der Staat 1974, 215; H.-P. Schneider, AöR 1974, 645 f. Deshalb k a n n Verantwortlichkeit von Regierung u n d Parlamentsmehrheit auch keine Alleinherrschaft über den staatlich verfügbaren Informationsbestand rechtfertigen; vgl. dazu unten, Abschnitt 3 i n diesem Kap. 52 Vgl. auch H.-P. Schneider (Anm. 49), 409, der den verfassungsrechtlichen Sinn „realer Alternanz" als Machtwechsel sieht „bei einem legitimitätsgefährdenden Vertrauensschwund amtierender Regierungen aufgrund eklatanter politischer Mißerfolge bzw. Fehlleistungen oder bei zunehmender Erstarrung u n d Verengung des politischen Handlungsspielraums durch ständige technokratische Reduktion von sozialer K o m p l e x i t ä t " ; ferner Vitzthum, Parlament u n d Planung, 29 - 34, 379 - 389, der zutreffend darauf hinweist, daß die staatsleitende Planung auch m i t dem Wechsel der heutigen Minderheit zur morgigen Mehrheit rechnen müsse u n d deshalb „den Charakter gemeinsamer (,bi-partisan') P o l i t i k " annehme (32); Brünner, Politische Planung, 293-297; K a l t e fleiter, Präsentation realitätsbezogener Alternativen, 48 f., der vier Oppositionsstrategien unterscheidet. 51

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auf den Kurs der Staatsleitung ein, die sich um so mehr auswirkt, je überzeugender die Parlamentsminderheit ihre Vorstellungen i m demokratischen Rückkoppelungsprozeß glaubhaft zu machen versteht. Insofern nimmt die Parlamentsminderheit an der Staatsleitung unmittelbar kontrollierend, aber auch mittelbar entscheidend teil. Die Befürchtung, das Parlament werde durch seine „Mitregierung" zum nicht mehr abgrenzbaren „Mittäter" der Regierung, erscheint nach alledem infolge mangelnder Differenzierung zwischen den unterschiedlich ausgerichteten Kräften i m Parlament als nicht begründet. Die staatliche Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit w i r d weiterhin durch das Mehrheitsprinzip gewährleistet 53 , das es der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit gestattet, i h r Programm innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens auch gegen die Parlamentsminderheit durchzusetzen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Das ebenso wichtige Kontrollerfordernis w i r d durch die informative Einschaltung des Parlaments i n den kontinuierlichen Staatsleitungsprozeß gewährleistet, die auch der Parlamentsminderheit den unentbehrlichen Einblick i n die Tätigkeit der Regierung verschafft, den sie zur Entwicklung von Gegenvorstellungen und zur Profilierung als Alternative für die verantwortlichkeitsentscheidende Volkswahl benötigt. Der erweiterte Blickwinkel, der neben dem Organdualismus den Parteiendualismus und vor allem den demokratischen Dualismus i n die verfassungsrechtliche Betrachtung einbezieht, zeigt somit deutlich, daß die Verantwortlichkeit der Staatsorgane und m i t ihr die Verantwortlichkeit der Regierung durch die „Mitregierung" des Parlaments entgegen den Befürchtungen des Trennungsdenkens nicht gefährdet oder gar beseitigt wird. Mitentscheidung und mitlaufende Kontrolle ermöglichen es vielmehr dem Parlament, an der Staatsleitung wirksam teilzuhaben und — indem sich dabei die Parlamentsmehrheit als grundsätzliche Stütze, die Parlamentsminderheit als grundsätzliche Alternative zur Regierung profilieren kann — zugleich den Verantwortlichkeitszusammenhang zwischen Volk und Staatsorganen herzustellen und zu gewährleisten.

2. „Mitregierung" des Parlaments und Handlungsfähigkeit der Regierung Als weiteres Folgeproblem, das der kooperative Prozeß der Staatsleitung aufgibt, stellt sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Regierung i n ihrem Verhältnis zur „mitregierenden" Entscheidungs- und Kontrollgewalt des Parlaments. Mangels trennscharf gesonderter A u f 63

Z u m Mehrheitsprinzip vgl. oben, Kap. I I I 4 a,

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gabenbereiche könnte sich das Gewicht der Zuständigkeiten verfassungsrechtlich unkontrollierbar verschieben und somit der Vorherrschaft des einen und der Zurückdrängung des anderen Verfassungsorgans auf unzulässige Weise den Weg ebnen. Chancen und Gefahren eröffnen sich insoweit für beide Verfassungsorgane. Die Regierung könnte unter Umgehung des Parlaments durch ihr Handeln vollendete oder doch für eine folgerichtige Staatsleitung unumstößliche Tatsachen schaffen und dadurch den Regelungsspielraum des Parlaments einengen oder völlig beseitigen. Umgekehrt könnte das Parlament aufgrund von Vorbehalten und Zugriffen ein dichtes Netz von Einzelregelungen knüpfen und dadurch die Handlungsfähigkeit der Regierung beschneiden oder gar lähmen. I n beiden Fällen wäre die organadäquate und funktionsgerechte A u f gabenzuordnung zwischen Parlament und Regierung nicht mehr gewährleistet und damit der verfassungsrechtliche Grundsatz der normativen Gewaltenteilung gefährdet. Es bleibt deshalb zu untersuchen, ob derartige Befürchtungen begründet sind und inwieweit etwa bestehenden Gefahren i m verfassungsrechtlichen Rahmen begegnet werden kann.

a) Bindungskraft

des Regierungshandelns

Nach dem traditionellen, an dem Begriff des Rechtssatzes ausgerichteten Trennungsverständnis unterscheiden sich die Kompetenzen von Parlament und Regierung grundlegend dadurch, daß lediglich das Parlament, nicht hingegen die Regierung einschließlich der Verwaltung, Bindungswirkungen durch Rechtsetzung „originär" erzeugen, aufheben oder abändern darf 5 4 . Das Parlament verfügt insoweit über das Monopol der (originären) Rechtsetzung; die Regierung kann daran nur „derivativ", aufgrund parlamentarischer Ermächtigung 55 , teilhaben und ist i m übrigen auf rein „tatsächliches" Handeln beschränkt. Diese einfache und besonders rechtsstaatlich erscheinende Kompetenzaufteilung verdeckt jedoch verschiedene Möglichkeiten der Regierung, auch ohne oder m i t lediglich formaler Zustimmung des Parlaments rechtlich erhebliche Bindungswirkungen aus eigenem Antrieb zu schaffen und durchzusetzen. Bindungskraft entfaltet die Regierung zunächst i m Bereich derivativer Rechtsetzung, wo das Trennungsverständnis mangels inhaltlicher A b 54

Vgl. dazu oben, Kap. I V 3 d. Das Gewohnheitsrecht als — umstrittene —Ermächtigungsgrundlage kann hier außer Betracht bleiben; vgl. dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 10, 32 f., 114-116 m. w. N. 55

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grenzungsmerkmale zwischen Gesetz und Rechtsverordnung auch sog. Globalermächtigungen zuläßt, und i m sog. Nicht-Rechtsbereich, wo das Trennungsverständnis überhaupt keine parlamentarische Ermächtigung verlangt 5 6 . Der Gefahr einer Flucht des Parlaments aus seiner gesetzgeberischen Verantwortung, wie sie sich unter der Weimarer Verfassung verwirklicht hat, soll zwar nunmehr der ermächtigungshemmende A r t . 80 GG vorbeugen 57 , und auch der „Nicht"-Rechtsbereich ist als i n Wahrheit „echter" Rechtsbereich erkannt worden 5 8 ; aber das Problem einer quasi-selbständigen Rechtsetzung der Regierung ist dadurch keineswegs gelöst worden. Das Bundesverfassungsgericht hat i n mehr als der Hälfte der von i h m entschiedenen Fälle entgegen dem Parlament die gesetzliche ErmächtiguAgsgrundlage für den Erlaß von Rechtsverordnungen als die Regierung nicht genügend einbindend beanstandet 59 . Auch der NichtRechtsbereich hat, was die Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung anbetrifft, i m wesentlichen nur eine Umbenennung erfahren. Die bisher i n diesem Bereich anerkannte selbständige Regelungsbefugnis der Regierung w i r d nur für die sog. Sonderverordnungen wegen deren „Außenwirkung" bestritten, für die rein „innerorganisatorischen" Verwaltungsvorschriften hingegen weiterhin gebilligt 6 0 . Bindungskraft entfaltet die Regierung durch ihr Handeln weiter i m Bereich der originären Rechtsetzung und — unabhängig von dieser begrifflichen Eingrenzung — i m gesamten übrigen Bereich der parlamentarischen Gesetzgebung 61 . Die quantitativ und qualitativ gestiegenen A n forderungen an die Gesetzgebung i m modernen Staat des Grundgesetzes haben der Regierung durch die von ihrem umfangreichen bürokratischen Apparat erarbeiteten und vom Parlament benötigten Gesetzentwürfe einen zunehmenden A n t e i l an der inhaltlichen Gestaltung der Parlamentsgesetze selbst verschafft 62 . Alle Bemühungen um eine Zurückdrängung oder gar Überwindung der noch verbliebenen gesetzesfreien oder globalermächtigten Regierungsregelungen durch erweiterte oder strengere parlamentarische Ermächtigungserfordernisse müssen deshalb zu56 Z u r Nichttrennbarkeit zwischen Gesetz u n d Rechts Verordnung sowie zum Nicht-Rechtsbereich nach traditionellem Rechtssatzverständnis vgl. oben, Kap. I V 3 d cc. 57 Dazu F. Klein, Verordnungsermächtigungen, 13 - 15, 20 - 27. 58 Dazu insbesondere Rupp, Grundfragen, 19 - 103. 59 Vgl. Hasskarl, AöR 1969, 108; weitere Nachw. bei Magiera, Der Staat 1974,18 A n m . 97. 60 Dazu BVerfGE 33, 1; Böckenförde / Grawert, AöR 1970, 1 - 3 7 ; Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis, 219 - 246; Fuß, D Ö V 1972, 765 - 774; Krebs, V o r behalt des Gesetzes, 127 - 130; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 4 2 - 4 5 ; Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 134 - 136; jeweils m. w. N. 81 Z u r traditionellen Unterscheidung zwischen Rechtsetzung u n d Gesetzgebung bzw. zwischen materiellem u n d formellem Gesetz vgl. oben, Kap. I V 3 d. 82 Z u r Gesetzesinitiative vgl. oben, Kap. I V 3 b.

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gleich diesen wachsenden Regierungsanteil an der parlamentarischen Gesetzgebung i n Rechnung stellen. Eine erhöhte Abhängigkeit der Regierung von parlamentarischen Ermächtigungen, die ihrerseits einer erhöhten Einflußnahme der Regierung unterliegen, würde die Bindungskraft der Regierung nur verlagern, indem sie den Regelungsbereich des Parlaments scheinbar erweitert und verdichtet, i n Wahrheit jedoch zur Fassade des Regierungshandelns macht und damit die wirkliche Kompetenzverteilung zwischen beiden Verfassungsorganen verschleiert. Bindungskraft entfaltet die Regierung durch ihr Handeln schließlich i n Bereichen, die auch durch eine Ausweitung des Rechtssatzbegriffs nicht abzudecken sind, wenn dieser nicht jegliche Abgrenzungsfunktion verlieren soll. Durch seine Konzentration auf den Bereich der Rechtsetzung, so wichtig sie für die Verfassungsdogmatik sein mag, lenkt das Trennungsverständnis davon ab, daß die Regierung durch ihr Handeln rechtlich erhebliche Bindungswirkungen auch jenseits ihrer Beteiligung an der Rechtsetzung entfaltet, die eine nicht minder aufmerksame Beachtung durch die Verfassungsdogmatik erfordern. Indem es vornehmlich auf das Recht als ein Geflecht von wechselseitigen Ansprüchen und Verpflichtungen oder auf die rechtliche i m Sinne von gerichtlicher Durchsetzbarkeit abstellt, blendet das Trennungsverständnis die davor und daneben liegenden Bereiche des staatlichen Handelns weitgehend aus und bezieht sie erst und nur dann i n die Betrachtung ein, wenn sich rechtliche Beziehungen i n seinem verengten Sinn ausmachen lassen. Dennoch können i n jenen Bereichen Weichen gestellt und Entscheidungen getroffen werden, die für den Staat und seine Bürger erhebliche Bindungswirkungen entfalten, die durch das Trennungsdenken jedoch verfassungsdogmatisch nicht erfaßt werden und deshalb allenfalls faktische, aber keine rechtlichen Probleme aufzuwerf en scheinen. Insbesondere auf der Ebene staatsleitender Aufgabenwahrnehmung — neuestens i m Bereich der Planung, seit langem i m Bereich der auswärtigen Gewalt oder des Staatshaushalts — zeigt sich deutlich, daß das — i m Sinne des Trennungsverständnisses — „tatsächliche" Handeln oder auch Nichthandeln der Regierung Fakten schaffen kann, die unausweichliche Folgen i m Sinne unechter, aber auch echter Sachzwänge 63 m i t sich bringen, weil sich Alternativen i n einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten durchsetzen lassen. Nicht nur der Staat selbst und seine Organe, insbesondere das Parlament, sondern auch die einzelnen Bürger können auf diese Weise von der Regierung gebunden werden. Formal mag das Parlament i m Sinne des Trennungsverständnisses nicht verpflichtet sein, die von der Regierung m i t ihrem bürokratischen 63

Dazu oben, Kap. I I 4 a.

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Stab ausgearbeiteten, m i t anerkannten Sachverständigen abgeklärten und mit interessierten Verbänden abgesprochenen Planungen — etwa zur Förderung bestimmter Wirtschaftszweige oder -regionen, zur Sicherung des Energiebedarfs oder zum Ausbau von Bildungseinrichtungen —, den gleichermaßen sorgfältig ausbalancierten Haushaltsplan oder die ebenso mühevoll m i t auswärtigen Mächten ausgehandelten Vertragsentwürfe durch die notwendigen gesetzlichen Regelungen oder Mittelbewilligungen zu billigen und abzusichern; faktisch bleibt i h m jedoch kaum eine andere Wahl. Die Alternative des Neinsagens hat sich schon i m preußischen Budgetkonflikt als unbrauchbar erwiesen 64 . Auch wenn die Gefahr, daß sich die Regierung über das Parlament hinwegsetzt, angesichts der veränderten Verfassungsstruktur nicht mehr ernsthaft zu befürchten ist, so läßt sich doch die bloße Ablehnung der von der Regierung eingeleiteten und sorgfältig abgestimmten Planungen und damit das staatliche Nichthandeln i m modernen, Staats- und Bürgersphäre eng verflechtenden Gemeinwesen des Grundgesetzes nicht als glaubhafte Alternative vor Volk und Wählern vertreten. Formal mag auch der Bürger nach dem Trennungsverständnis nicht verpflichtet sein, staatlich angebotene Subventionen und Chancen wahrzunehmen und seine persönlichen Wirtschafts-, Ausbildungs- und sonstigen Verhältnisse daran auszurichten; faktisch kann er sich dem Angebotsdruck jedoch kaum entziehen, wenn er konkurrenzfähig bleiben, keine Verluste erleiden oder keine Gewinne versäumen w i l l . Ebensowenig mag der Staat formal verpflichtet sein, die einmal gemachten Angebote aufrechtzuerhalten oder gar auszuweiten; faktisch kann er sich jedoch kaum davon lösen, wenn etwa die Einstellung von Wirtschaftssubventionen zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet oder die Nichterweiterung von Ausbildungskapazitäten qualifizierte Bewerber vom Studium ausschließt. Nach alledem entfaltet die Regierung durch i h r Handeln eine Vielzahl von Bindungswirkungen. Dies geschieht unmittelbar durch Erlaß von Verwaltungsvorschriften, die — wie etwa die Sonderverordnungen — auch als quasi-selbständige Rechtsverordnungen w i r k e n können, mittelbar durch Erlaß pseudo-unselbständiger Rechtsverordnungen aufgrund von Globalermächtigungen, durch Einflußnahme auf den Inhalt der Parlamentsgesetze über Regierungsentwürfe oder durch Weichenstellungen auf der Ebene staatsleitender Aufgabenwahrnehmung. Alle diese Bindungswirkungen werden von dem traditionellen, an dem Begriff des Rechtssatzes ausgerichteten Trennungsverständnis dogmatisch weder vollständig erfaßt noch folgerichtig bewältigt. Entspre64

Vgl. dazu die Nachweise oben, Kap. I V 3 d aa.

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chend unsicher fällt die verfassungsrechtliche Bewertung der Bindungskraft des Regierungshandelns aus. Erfolgen die Bindungen aufgrund von Globalermächtigungen, i m Nicht-Rechtsbereich oder durch Gesetzesinitiativen der Regierung, so geraten sie einerseits i n den Verdacht, auszumerzende Uberreste der monarchischen Exekutivgewalt zu sein; andererseits sind ihrer völligen Beseitigung offensichtliche Grenzen dadurch gesetzt, daß der Verfassungstext selbst der Regierung die Gesetzesinitiative einräumt (Art. 76 I GG) und den Erlaß von Verwaltungsvorschriften — anders als von Rechtssverordnungen — nicht an ein gesetzliches Ermächtigungserfordernis knüpft (Art. 84 II, 85 II, 86, 87 b II, 108 V I I i m Vergleich zu A r t . 80 I, 109 I V GG) und daß die Ermächtigungsgrundlage der Regierung einen Spielraum gewähren muß, wenn die Rechtsverordnung vom Gesetz inhaltlich unterscheidbar sein soll. Erfolgen die Bindungen hingegen i m Bereich der Staatsleitung und begründen sie formal keine rechtlichen Ansprüche und Pflichten, so verbleiben sie außerhalb des Rechtssatzbegriffs und müßten konsequenterweise ignoriert werden; dem steht wiederum entgegen, daß die Tätigkeit der Regierung gerade i n diesem Bereich nicht zu übersehende Wirkungen auch auf die Rechtsetzung selbst ausübt. Ein zureichendes Verfassungsverständnis muß nicht nur die Frage aufwerfen, ob die aufgezeigte Bindungskraft des Regierungshandelns einer verfassungsrechtlich zulässigen Kompetenzwahrnehmung entspricht oder nur die Ausnutzung einer noch nicht geschlossenen „Lücke des Rechtsstaats" 65 darstellt, sondern auch eine i n sich widerspruchsfreie A n t w o r t darauf geben. Dazu reicht der Begriff des i m Bann des Trennungsverständnisses stehenden Rechtssatzes nicht aus, wenn sich die Neuzuordnung der Kompetenzen zwischen Parlament und Regierung nicht dem V o r w u r f einer „apokryphe(n) Verfassungswandlung durch Begriffsveränderung" aussetzen w i l l 6 6 . Anders als das Trennungsverständnis vermag das hier entwickelte kooperative Verständnis des Verhältnisses von Parlament und Regierung die vielfältigen Bindungswirkungen des Regierungshandelns voll zu erfassen, w e i l es nicht von einer scharfen Trennung der Aufgabenbereiche oder der Aufgabenwahrnehmung, sondern von einem — wenn auch nach Teilbeiträgen differenzierten — Zusammenwirken beider Verfassungsorgane ausgeht. Die Frage, ob und inwieweit diese von der Regierung entfaltete Bindungskraft verfassungsrechtlich zulässig ist, braucht deshalb auch nicht auf den Begriff der Rechtsetzung beschränkt 65

Forsthoff, Verwaltungsrecht, 130. Vgl. dazu kritisch Böckenförde / Grawert, AöR 1970, 17; Böckenförde, Organisationsgewalt, 69 ; ferner Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 93 - 96; Scheuner, Kontrolle, 30. ββ

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zu werden; vielmehr kann sie i m Zusammenhang und Vergleich mit der gesamten „mitregierenden" Entscheidungs- und Kontrollgewalt des Parlaments überprüft und beurteilt werden. b) Schlichter Parlamentsbeschluß

und Regierungshandeln

Angesichts der vielfältigen Bindungswirkungen, welche die Regierung durch i h r Handeln i n rechtlich erheblicher Weise zu erzeugen vermag, bleibt zu fragen, wie das Parlament die i h m i m Rahmen des kooperativen Staatsleitungsprozesses zukommenden Mitentscheidungs- und Kontrollbefugnisse einsetzen kann und muß, damit die Handlungsfähigkeit der Regierung weder durch die parlamentarische Einflußnahme gelähmt w i r d noch umgekehrt sich von dieser freimacht. Beides wäre verfassungsrechtlich nicht zulässig, w e i l dadurch die für eine organadäquate und funktionsgerechte Bewältigung der Staatsleitungsaufgabe erforderliche Informations- und Wertungsergänzung zwischen den beiden Verfassungsorganen gefährdet oder gar unterbunden würde. Als M i t t e l der Einflußnahme stehen dem Parlament der schlichte Beschluß und der Gesetzesbeschluß zur Verfügung 6 7 . Da der schlichte Parlamentsbeschluß grundsätzlich keine unmittelbaren rechtlichen B i n dungswirkungen entfaltet 6 8 , w i r d er von dem Trennungsverständnis und dessen verengten Rechtssatzbegriff i n diesem Zusammenhang ebensowenig erfaßt wie die Bindungswirkungen des Regierungshandelns. Dadurch entgeht der Verfassungsdogmatik ein weiter Bereich des tatsächlich stattfindenden und auch rechtlich erforderlichen Willensbildungsund Entscheidungsprozesses zwischen den Verfassungsorganen, der — wie gezeigt — nicht weniger Aufmerksamkeit verdient als sein Ergebnis, die rechtlich unmittelbar verbindliche Entscheidung selbst 69 . Seine besondere Wirksamkeit verdankt der schlichte Parlamentsbeschluß allerdings nicht zuletzt dem Umstand, daß sein Urheber i n der Lage ist, seinen „schlicht" geäußerten Vorstellungen regelmäßig durch einen unmittelbar verbindlichen Gesetzesbeschluß Nachdruck zu verleihen. Insoweit ergeben sich für das Parlament bei der Verabschiedung schlichter Beschlüsse Einschränkungen, wenn etwa ein Gesetz entsprechenden Inhalts verfassungsrechtlich unzulässig wäre, aber auch Erweiterungen, wenn etwa die Zeit für ein Gesetz noch nicht reif erscheint, das Parlament jedoch wenigstens die von i h m bevorzugte Entwicklungsrichtung kundmachen w i l l . 67 68 ββ

Vgl. dazu oben, Kap. I V 2 a. Dazu oben, Kap. I V 4 b. Vgl. oben, Kap. I V 4.

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Damit steht der schlichte Beschluß gewissermaßen i m Schatten der Gesetzgebung und solcher einfachen Beschlüsse, die aufgrund der Verfassung oder von Gesetzen unmittelbare rechtliche Bindungswirkungen besitzen 70 . Dennoch darf er nicht vernachlässigt oder gar außer acht gelassen werden, wenn die Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Einflußnahme auf die Handlungsfähigkeit der Regierung verfassungsrechtlich zutreffend erfaßt werden sollen. Die Rückbesinnung auf den schlichten Parlamentsbeschluß, die das Neuverständnis der Staatsleitung als eines kooperativen Prozesses m i t sich bringt, führt zu einer Entlastung des parlamentarischen Gesetzesbeschlusses und kann damit zugleich zu einer Lösung des Problems der Gesetzesbindung zwischen Parlament und Regierung beitragen, dessen Bewältigung dem traditionellen Trennungsverständnis nicht gelungen ist 7 1 . c) Parlamentsgesetz und Regierungshandeln aa) Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes Wie der Gesetzesbegriff 72 , so ist auch die Gesetzesbindung i n ihrer dogmatischen Ausformung wegen des insoweit wortkargen Grundgesetztextes durch das Nachwirken der positivistischen Staatsrechtsauffassung belastet. Diese prägte m i t der scharfen Unterscheidung zwischen dem Vorbehalt und dem Vorrang des Gesetzes einen ihrer vielen Dualismen, dem Otto Mayer bleibenden Ausdruck verliehen hat 7 3 . Aufgrund seines Vorrangs könne das Gesetz „rechtlich auf keinem andern Wege aufgehoben, abgeändert oder unwirksam gemacht werden" und hebe es seinerseits „alle bereits vorhandenen staatlichen Willensäußerungen auf, welche m i t anderem Inhalte i h m entgegenstehen" 74 . Der Vorbehalt mache das Gesetz „ f ü r gewisse besonders wichtige Gegenstände zur notwendigen Bedingung aller Staatsthätigkeit" und bewirke insoweit für die vollziehende Gewalt „den Ausschluß ihres selbständigen Vorgehens" 75 . I n dem vorbehaltenen Bereich könne das Gesetz selbst die Regelungen treffen, „aber auch von seiner K r a f t dadurch Gebrauch machen, daß es sie für gewisse Fälle überträgt an die vollziehende Gewalt, die Regierung und ihre Diener. Das sind die sogenannten gesetzlichen Ermächtigungen .. ." 7β. 70 71 72 73 74 75 76

Z u diesen Parlamentsbeschlüssen vgl. oben, Kap. I V 4 a. Dazu oben, Kap. I V 3 d, V 3 a. Dazu oben, Kap. I V 3. Verwaltungsrecht I, 71 - 77. Ebd., 72. Ebd., 74. Ebd., 76 (Hervorhebung i m Original).

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Beide Prinzipien, obwohl ursprünglich aus dem Verfassungsrecht der konstitutionellen Monarchie gewonnen, haben auch i n der Verfassungsordnung der Weimarer Republik und des Bonner Grundgesetzes Anerkennung gefunden. Der Vorrang des Gesetzes läßt sich, wenn auch nicht wörtlich, so doch dem Sinne nach, Art. 20 I I I GG entnehmen, wonach die vollziehende Gewalt neben der Rechtsprechung „an Gesetz und Recht gebunden" ist 7 7 . Der Vorbehalt des Gesetzes („Allgemeinvorbehalt") 7 8 hingegen hat keinen entsprechend deutlichen Niederschlag i m Text des Grundgesetzes gefunden. Damit erledigt sich das Problem jedoch ebensowenig wie bei dem ähnlich gelagerten Fall des Begriffs der Staatsleitung 7 9 . bb) Fortbestand, Erweiterung oder Preisgabe des Allgemeinvorbehalts? Die Nichterwähnung des (allgemeinen) Gesetzesvorbehalts auf gesamtstaatlicher Ebene entspricht deutscher Verfassungstradition. Auch die Weimarer Verfassung und die Reichs Verfassung von 1871 enthielten — i m Gegensatz zu einzelstaatlichen Verfassungen der konstitutionellen Epoche 80 — keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt. Die klassische Begründung für seine dennoch angenommene verfassungsrechtliche Geltung findet sich ebenfalls bei O. Mayer, wenn er feststellt, die Begriffe des Verfassungsrechts seien „uns so sicher und gang und gäbe, daß man nicht mehr ausführlich zu sein braucht" 8 1 . Entsprechende Gedankengänge lassen sich auch der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes entnehmen. Einen ausdrücklichen Gesetzes77 Vgl. statt vieler Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 128; BVerfGE 40, 237, 248 f. — F ü r die WeimRV, die allerdings keinen so deutlichen Hinweis enthielt, vgl. Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 222 A n m . 3. 78 Die Terminologie ist uneinheitlich; verwendet werden auch Bezeichnungen wie „(allgemeiner, rechtsstaatlicher) Gesetzesvorbehalt" oder „Parlamentsvorbehalt". Grundsätzlich geht es u m den Vorbehalt des Parlamentsgesetzes, so daß „Parlamentsvorbehalt", der auch den schlichten Parlamentsbeschluß umfaßt, oder „Gesetzesvorbehalt", der nach herkömmlichem Verständnis die Rechtsverordnung oder das Gewohnheitsrecht als „materielle" Gesetze u m faßt, zumindest der Klarstellung bedürfen. — Z u r Terminologie vgl. i m ü b r i gen Erichsen, V e r w A r c h 1978, 396; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 11 A n m . 1; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 31 f.; Hansen, Fachliche Weisung, 87, 319; Kisker, N J W 1977,1313 A n m . 1. 79 Vgl. dazu oben, Kap. I I 1 a. 80 Die bedeutendste u n d zugleich umstrittenste Ausnahme bildete die preußische Verfassung von 1850; dazu u n d zu den übrigen Verfassungen der Einzelstaaten vgl. Böckenförde, Gesetz, 220 - 226; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 123 bis 127; jeweils m. w . N. 81 Verwaltungsrecht I, 76 (zur Reichsverfassung 1871) ; vgl. auch Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 222 - 225.

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vorbehält sah zwar der Entwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee i n seinem A r t . 101 vor 8 2 ; die Bestimmung wurde jedoch i m Parlamentarischen Rat für entbehrlich gehalten, weil der Gesetzesvorbehalt i n den — überarbeiteten — A r t . 20 I I I und 21 IV, den Vorläufern des endgültigen A r t . 20 I I I GG, enthalten sei 83 . Wenn das Bestreben, den Gesetzesvorbehalt i m Grundgesetz zu verankern, i n der Endfassung des Art. 20 I I I GG auch nicht ausdrücklich seinen textlichen Niederschlag gefunden hat 8 4 , so lassen doch die Verhandlungen keinen Zweifel an der dahingehenden Absicht der Verfassungsschöpfer. Insofern besteht auch kein Gegensatz zwischen dem Grundgesetz und einigen um die gleiche Zeit entstandenen Landesverfassungen, i n die ein Gesetzesvorbehalt ausdrücklich aufgenommen wurde 8 6 , zumal dies zwar der einen, nicht aber der einzigen deutschen Verfassungstradition entsprach. Auch für Lehre und Praxis stand von Anfang an fest, daß i m Grundgesetz neben einzelnen Sondervorbehalten, vor allem i m Bereich der Grundrechte, der Allgemeinvorbehalt des Gesetzes verankert sei 86 . Diese Annahme erschien so selbstverständlich, daß die Frage nach dem „Ob" des Allgemein Vorbehalts kaum gestellt, jedenfalls aber gegenüber der Frage nach seiner Reichweite i n den Hintergrund gedrängt wurde 8 7 . I m Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand und steht bis i n die Gegenwart das Problem, ob die Verfassungsordnung des Grundgesetzes den 82 Die Bestimmung eröffnete den Abschnitt über die Gesetzgebung u n d lautete: „Jede Ausübung der Staatsgewalt bedarf der Grundlage i m Gesetz. Rechte u n d Pflichten der Bürger können n u r durch Gesetz begründet werden. Auch der Bundeshaushalt w i r d durch Gesetz festgestellt." — Text i n : Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 75; vgl. auch den D a r stellenden Teil, ebd., 46. 83 11. Sitzung v. 30. 11. 1948; vgl. dazu Doemming / Füßlein / Matz, JöR 1951, 456 m i t A n m . 15; Text des damaligen A r t . 20 I I I , ebd., 178, des damaligen A r t . 21 I V , ebd., 199; vgl. ferner Zoller, Über die Bedeutung des A r t . 80 GG, 54 f. 84 Z u r Unergiebigkeit des Wortlauts von A r t . 20 I I I GG vgl. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 190; Mallmann, W D S t R L 19 (1961), 182; Ossenbühl, V e r w a l tungsvorschriften, 228 ; Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, 227 A n m . 92. 85 Vgl. Bayern (1946), A r t . 70 I ; Bremen (1947), A r t . 3 I I I ; Hessen (1946), A r t . 2 I I ; Rheinland-Pfalz (1947), A r t . 2; Saarland (1947), A r t . 2; später auch Baden-Württemberg (1953), A r t . 58; B e r l i n (1950), A r t . 45 I ; Niedersachsen (1951), A r t . 32. 86 Z u r Unterscheidung zwischen Allgemein vorbehält u n d Sondervorbehalten des Gesetzes vgl. schon Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 221 - 226. 87 Vgl. etwa die Leitentscheidung BVerfGE 8, 155, 166 f.; bezeichnend auch die knappe Bemerkung von Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 134 f., i n seiner sonst sehr w e i t ausholenden Abhandlung, wonach sich der Allgemeinvorbehalt „aus den Grundrechten m i t Gesetzesvorbehalt" ergebe, obwohl Jesch selbst, worauf er ausdrücklich hinweist (ebd., A n m . 155), kurz zuvor an anderer Stelle eine Ableitung unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip angenommen hatte. — Vgl. auch Starck, Gesetzesbegriff, 288 A n m . 4: „eiserner Bestand der Staatsrechtsdogmatik" ; weitere Nachw. bei Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 12 A n m . 9.

5, Pârlamërît und Handlungsfähigkeit der Regiêruiîg

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Âllgémeifïvorbehalt i n seiner traditionellen Ausprägung beibehalten oder ob und inwieweit sie seinen Umfang auf andere staatliche Aufgabenbereiche ausgedehnt hat 8 8 . Nach traditionellem Verständnis sind dem Gesetz vorbehalten alle staatlichen Eingriffe i n Freiheit und Eigentum der einzelnen Bürger außerhalb des staatlichen Organisationsbereiches 89 . Gegen diese Abgrenzung w i r d vor allem eingewandt, daß sich bei staatlichen Maßnahmen weder zwischen Eingriffen und Nichteingriffen 0 0 noch zwischen staatsorganisatorischer und staatsbürgerlicher Sphäre 91 klar trennen lasse und daß die Grenzziehung zu verfassungsrechtlich unzulässigen Ausklammerungen, vor allem des besonderen Gewaltverhältnisses 92 und der Leistungsverwaltung 93 , führe. I n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes genüge eine Beschränkung des Gesetzesvorbehalts auf die Schutzgüter „Freiheit und Eigentum" i n ihrem traditionellen Verständnis als A b wehrrechte der Bürger gegenüber dem Staat nicht mehr 9 4 ; erforderlich sei vielmehr seine Erweiterung zu einem umfassenden Vorbehalt über die gesamte Rechtsstellung des einzelnen i m Staat 9 5 und über alle grundlegenden Gemeinschaftsangelegenheiten 96 . Eine ersatzlose Aufgabe sämtlicher der Abgrenzung des traditionellen Allgemeinvorbehalts dienenden Merkmale müßte das Gesetz zur not88 Das Schrifttum dazu ist nahezu unüberschaubar geworden; vgl. etwa die ausführlichen Zusammenstellungen bei Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 210-226; Achterberg, Funktionenlehre, 6 2 - 7 2 ; Starck, Gesetzesbegriff, 281287; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 102 - 110; Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 263 - 280; Stern, Staatsrecht I, 633 - 641. 89 Vgl. statt aller die zusammenfassende Darstellung bei Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 222 f.; ferner bei Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 143 f., 167 f. 90 Hierauf weist insbesondere die neuere Grundrechtslehre h i n ; vgl. etwa Häberle, Wesensgehaltsgarantie, 180-233; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 81 - 94,113 - 127; Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 55 - 60. 91 Kritisch schon Thoma, Der Vorbehalt des Gesetzes, 178 („Frage konstrukt i v e n Beliebens") ; vgl. ferner Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 290. 92 Vgl. dazu die Nachweise oben, A n m . 60. 93 Vgl. insbesondere Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 175 - 205; Rupp, G r u n d fragen, 113 - 146; ferner Krebs (Anm. 90), 119 - 127 m. w. N. 94 Dazu etwa Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 5 5 - 6 4 ; Krebs (Anm. 92), 110 - 130; Martens u n d Häberle, W D S t R L 30 (1972), 7 - 141. 95 Vgl. dazu die Nachweise i n den vorhergehenden Anm. ; ferner Achterberg, Funktionenlehre, 206-209; Schaumann, J Z 1966, 725 f.; ders., Diskussionsbeitrag, 215 f.; BVerfGE 40, 237, 249. 98 Dazu etwa Hesse, Verfassungsrecht, 207; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 240 f., 249, 269; ders., Entwicklungsplanung, Β 75; Oppermann, öffentliches Schulwesen, C 49 f. ; Schaumann, Staatsführung u n d Gesetzgebung, 324 - 328; N. Henke, D Ö V 1977, 45; auch Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 93 - 96 (Erweiterung des Gesetzesvorbehalts zum „Parlamentsvorbehalt").

19 M a g i e r a

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

wendigen Bedingung nicht nur „ f ü r gewisse besonders wichtige Gegenstände" 97 , sondern für die Gesamtheit der Staatstätigkeit machen. Ein solcher „Totalvorbehalt" 9 8 würde das schwierige Abgrenzungsproblem erübrigen, das die Vorbehaltsdiskussion von Anfang an belastet hat 9 9 , und das Gesetzgebungsverfahren als das aufwendigste und am sorgfältigsten abgesicherte Regelungsverfahren i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes 100 zum präventiven Prüfungsfilter aller Staatstätigkeit machen. Damit wäre die Regierung zwar nicht notwendig zum stumpfen „Befehlsempfänger" degradiert 1 0 1 , bedürfte aber für alle ihre Handlungen einer mehr oder minder weiten Ermächtigung durch Gesetz, und bei fehlender Ermächtigung wäre sie zur Untätigkeit verurteilt, gleichgült i g ob es sich u m wichtige oder unwichtige, voraussehbare oder nicht voraussehbare, aufschiebbare oder dringliche Angelegenheiten handelt 1 0 2 . Mangels näherer Maßstäbe für die Ermächtigungsvergabe und -begrenzung bestünde zudem die Gefahr, daß die gesetzgebende Gewalt der Regierung zu enge oder zu weite Handlungsspielräume zubilligt und dadurch sich entweder durch ängstliche Selbsterledigung überfordert 1 0 3 oder durch sorglose Globalermächtigung ihrer Verantwortung entzieht 1 0 4 . Die Unzulänglichkeiten eines Totalvorbehalts mögen selbst die Befürworter einer weiten Ausdehnung des Allgemeinvorbehalts, auch wenn 97

So die Begrenzung i n der Formulierung von O. Mayer, oben, bei A n m . 75. Z u diesem Begriff vgl. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 34: „ . . . k e i n E x e k u t i v a k t k a n n rechtmäßig ergehen, zu dem nicht ein Gesetz ermächtigt." — U n zutreffend daher ζ. Β . N. Henke, D Ö V 1977, 41, wenn er meint, der Lehre v o m Totalvorbehalt sei schon dann „eine Absage erteilt", w e n n ein Rechtssatz genüge, „der auf einem formellen Gesetz b e r u h t " ; § 31 A T - S GB muß entweder als — auf den Bereich des Sozialrechts beschränkter — Totalvorbehalt (bzw. „Teilvorbehalt" ; vgl. Jesch, ebd.) aufgefaßt werden oder aber — m. E. zutreffender — als durch den Gesetzgeber ausgeschöpfter Vorrang- bzw. Zugriffsbereich (vgl. dazu Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 241 f.; Wege, Positives Recht und sozialer Wandel, 285). 99 Vgl. dazu die Zusammenfassung bei Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 117 141 ; auch Hansen, Fachliche Weisung, 57 - 60. 100 Dazu oben, Kap. I V 3 b. 101 Vgl. aber die Bedenken von Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, 95, denen jedoch m i t entsprechend weiten Ermächtigungen begegnet werden könnte (vgl. dazu auch Starck, Gesetzesbegriff, 273 - 280). 102 Vgl. das B i l d von der ungeduldig „Gewehr bei Fuß" stehenden V e r w a l tung bei Herzog, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 183. 103 Dazu etwa Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 257 f., 273 f., 279 f., 284; Kewenig, Z P a r l 1973, 427 f.; Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, 227-229; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 217; auch BVerfGE 8,155,168. 104 Diese Gefahr liegt bei einem das Parlament überfordernden Totalvorbehalt besonders nahe. Vgl. zu den praktischen Erfahrungen i n Österreich, dessen Verfassung i n A r t . 18 I I I einen solchen Vorbehalt enthält, Böckenförde, Organisationsgewalt, 59 f. m i t A n m . 15 f.; Rüfner (Anm. 103), 224 m. w. N. 98

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sie es nicht immer offen aussprechen, dazu bewogen haben, die Abgrenzungsmerkmale der traditionellen Vorbehaltslehre teilweise unangetastet zu lassen. So muß das Parlament nach Dietrich Jesch der Exekutive i m Regierungs- und Verwaltungsbereich zwar „die erforderlichen Befugnisse zum Handeln, die sie ohne die gesetzliche Ermächtigung nicht hat", übertragen; aber dort, „wo es um echte politische Entscheidungen auf Regierungsebene geht, hat die Exekutive eine verfassungsrechtliche Handlungskompetenz und unterliegt hier nur der parlamentarischen Kontrolle, bedarf also nicht einer besonderen legislativen Ermächtigung" 1 0 5 . Die von Hans Heinrich Rupp vertretene Erweiterung führt nur zu einem auch die Leistungsverwaltung umfassenden Gesetzesvorbehalt, der also „lediglich die Beziehungen zwischen Verwaltung und B ü r ger deckt"; anders als i n diesem „Außenrechtsverhältnis" soll der Gesetzesvorbehalt i m staatsorganschaf tlichen „Innenrechtsverhältnis" nicht gelten 1 0 6 . Auch andere Befürworter eines erweiterten Gesetzesvorbehalts machen einschränkende Zugeständnisse 107 , die das Urteil von Fritz Ossenbühl bestärken, daß „Verfechter eines durchgehenden kompromißlosen Totalvorbehalts" bei genauerem Zusehen i n der deutschen Lehre nicht auffindbar sind 1 0 8 . Angesichts der Bedenken, die gegen die Abgrenzungsmerkmale des traditionellen Gesetzesvorbehalts erhoben werden, die aber auch gegen einen auf jegliche Abgrenzungsmerkmale verzichtenden Total vorbehält bestehen, kann es nicht verwundern, wenn i n jüngster Zeit vorgeschlagen wird, die Suche nach einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes überhaupt einzustellen. Dennoch erregte die von Klaus Vogel auf der Staatsrechtslehrertagung 1965 vorgetragene These, „daß nachdem heute das allgemeine Freiheitsrecht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts i n A r t . 2 GG, das Eigentum i n A r t . 14 GG gewährleistet ist, der ,Vorbehalt des Gesetzes* als ein besonderer Grundsatz neben dem Grundrechtssystem entbehrlich geworden i s t " 1 0 9 , großes Aufsehen. I n der an den Bericht unmittelbar anschließenden Diskussion, wie i n späteren Abhandlungen, stieß sie auf teilweise heftige Ablehnung 1 1 0 . Bei näherer Betrachtung 105

Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 171. Rupp, Grundfragen, 145 f. m i t 34. 107 Vgl. etwa Achterberg, Funktionenlehre, 207 f., der sich Rupp (vorige Anm.) anschließt, ähnlich auch Schwan, Zuständigkeitsregelungen, 69 - 74. 108 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 219; ders., Die Quellen des V e r w a l tungsrechts, 58 f. loe Vogel, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 151 (Hervorhebung i m Original). 106

110 Vgl. etwa die Diskussionsbeiträge von Badura, 212 f.; v. d. Heydte, ebd., 217 f.; Bachof, ebd., 225; Zacher, ebd., 235 f.; Bullinger, ebd., 239 f.; ferner etwa Starck, Gesetzesbegriff, 288 A n m . 3; Schwan (Anm. 107), 10 f.

1

292 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

leugnet jedoch Vogel, zumindest nach seinem eigenen Verständnis 1 1 1 , keineswegs das traditionelle Vorbehaltsprinzip. Die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes wiederhole nämlich „ i m Grunde nur, was sich auch unmittelbar bereits aus den Grundrechtsartikeln entnehmen l ä ß t " 1 1 2 . Vogel bemüht sich also lediglich darum, das i m Verfassungstext nicht ausdrücklich niedergelegte Vorbehaltsprinzip i n konkreten Verfassungsbestimmungen, insbesondere den A r t . 2 und 14 GG, nachzuweisen 113 . Für eine Aufgabe des „klassischen Vorbehaltsgrundsatzes" t r i t t auch Hans-Jürgen Papier i n seiner 1973 erschienenen Habilitationsschrift ein 1 1 4 . Anders als Vogel stützt er sich dabei jedoch nicht auf die Inhaltsgleichheit des Allgemeinvorbehalts m i t den Grundrechtsbestimmungen — „die ganze Fragestellung wäre dann auch rein theoretischer Nat u r " 1 1 6 —, sondern gerade auf die inhaltliche Unvereinbarkeit. Diese folge daraus, daß die Grundrechte keine einheitliche, „sondern eine differenzierte, i n den Anforderungen nach formalgesetzlicher Regelung die traditionelle Vorbehaltslehre teils übertreffende, teils hinter i h r zurückbleibende A n t w o r t geben" 1 1 6 . Z u unterscheiden seien drei Stufen von Gesetzesvorbehalten — der „unbedingt formelle Gesetzesvorbehalt", der eine Regelung nur durch (förmliches) Gesetz selbst zulasse, der „nicht zwingende Parlamentsvorbehalt", der auch eine Regelungsübertragung an die Exekutive gestatte, und der „schlichte Rechtssatzvorbehalt", der ein (förmliches) Gesetz — auch als Ermächtigungsgrundlage — nicht voraussetze 117 . Während die ersten beiden Stufen i m Einklang m i t dem von O. Mayer formulierten Vorbehaltsprinzip stehen 118 , scheint Papier mit der dritten Stufe den traditionellen Ansatz zu verlassen. Herkömmlich muß nämlich jeder staatliche Eingriff i n den Grundrechtsbereich, d. h. i n Freiheit und Eigentum der Bürger 1 1 9 , grundsätzlich auf ein „förmliches" Gesetz zurückzuführen sein, d. h. sich entweder unmittelbar oder mittelbar über eine ermächtigte Norm auf ein Parlamentsgesetz stützen lassen 120 . Nach 111 Diese Annahme ist allerdings wegen der unterschiedlichen Ausdeutbarkeit der Grundrechtsvorbehalte nicht zweifelsfrei; vgl. dazu näher unten, i n u n d zu A n m . 123 f. 112 Vogel, Gesetzgeber u n d Verwaltung, 151. 118 I m Ergebnis t r i f f t sich daher die These Vogels m i t der oben, A n m . 87, wiedergegebenen Ansicht von Jesch. 114 Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 27 - 45. 115 Ebd., 29. 116 Ebd., 30. 117 Ebd., 30 f. 118 Vgl. oben, A n m . 75 f. 119 Vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I, 75 f. 120 Vgl. statt aller Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 30, 127 -130; Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 223 f.; BVerfGE 8, 155, 166 f. — Z u den — ebenso

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der Regierung

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Papier soll diese Voraussetzung „vornehmlich für Einschränkungen der Grundrechte aus A r t . 2 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG" nicht gelten 1 2 1 . Die allgemeine Handlungsfreiheit ebenso wie das Eigentum stehe — bis auf Enteignungen nach A r t . 14 I I I und Vergesellschaftungen nach A r t . 15 GG — Beschränkungen und Eingriffen „durch jede Rechtsnorm (in materiellem Sinne)" offen 1 2 2 . Die Formulierungen Papiers deuten — anders als die These Vogels — nicht lediglich auf eine abweichende Begründung des Allgemeinvorbehalts, sondern auf seine Ablösung hin. Damit offenbart sich zugleich die Doppeldeutigkeit, die m i t der Einbeziehung des Vorbehaltsproblems i n die lebhafte Grundrechtsdiskussion verbunden ist 1 2 3 . Sollen Mißverständnisse vermieden werden, so w i r d eine Klarstellung dahin erforderlich, ob die Verankerung des Allgemeinvorbehalts i n den Grundrechtsbestimmungen auch den Grundsatz von dem Parlamentsgesetz als unentbehrlicher Ausgangsgrundlage für Eingriffe i n Freiheit und Eigentum der Bürger erfaßt oder nicht 1 2 4 . Während die bejahende Alternative i m Rahmen der traditionellen Vorbehaltslehre verbleibt, führt die verneinende Alternative zur Aufgabe oder doch erheblichen Einschränkung des Vorbehaltsprinzips, da sie der Regierung ein originäres Eingriffsrecht zugesteht. Bei näherer Betrachtung erweist sich die von Papier vertretene A n sicht trotz ihrer weiten Fassung allerdings ebensowenig als Ausdruck einer solchen, das traditionelle Vorbehaltsprinzip verneinenden A l t e r native wie die von Vogel vorgetragene These. Neben dem Parlamentsgesetz w i l l Papier als Ausgangsgrundlage für Eingriffe i n Freiheit und Eigentum der Bürger nur gelten lassen „ i n erster Linie gewohnheitsrechtliche Ermächtigungen, zum anderen aber auch die generell-abstrakten Regelungen i m Rahmen besonderer Gewalt-, einschließlich der A n staltsbenutzungsverhältnisse, die sogenannten Sonderverordnungen, nicht hingegen die (eigentlichen) Verwaltungsvorschriften" 1 2 5 . Damit hält sich Papier i m Rahmen der traditionellen Vorbehaltslehre, die für das besondere Gewaltverhältnis und — wenn auch nicht unbestritten — bei Vorliegen von Gewohnheitsrecht Ausnahmen von dem Ermächtigungserfordernis durch Parlamentsgesetz zuließ 1 2 6 . Das Festhalten an herkömmlichen — Ausnahmen gewohnheitsrechtlicher Ermächtigungen u n d i m besonderen Gewaltverhältnis vgl. unten, A n m . 126. 121 Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 31. 122 Ebd., 31 f. 128 Dazu ausführlich Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, passim, insbesondere 111 - 113; ferner Grabitz, Freiheit u n d Verfassungsrecht, 55 - 64. 124 Vgl. auch Stein, Staatsrecht, 50 f.; Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 282 f. 125 Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 33, auch 34 f., 45. 128 Vgl. dazu statt aller Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 10, 32 f., 114 -116

294 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

den Grundsätzen der traditionellen Vorbehaltslehre w i r d dadurch bestätigt, daß Papier den „eigentlichen" Eingriffsvorbehalten die „verfassungsunmittelbaren Schranken" und die „Ermächtigungen zur Inhaltsbestimmung" i m Grundrechtsbereich gegenüberstellt und die „schlichten Rechtssatzvorbehalte" auf diese nicht-eigentlichen Eingriffsvorbehalte bezieht 1 2 7 . Seine Ansicht wendet sich deshalb lediglich gegen eine Verneinung gewohnheitsrechtlicher Ermächtigungen, die allerdings praktisch kaum mehr eine Rolle spielen 128 , und vor allem gegen eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf den Bereich des traditionellen besonderen Gewaltverhältnisses, das m i t der Strafgefangenen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1972 weitgehend als verabschiedet betrachtet w i r d 1 2 9 . I m Ergebnis gelangt Papier somit nicht zu einer Aufhebung, sondern i m Gegenteil zu einer Bestätigung der Grundsätze der klassischen Vorbehaltslehre. Für eine „Preisgabe eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts zugunsten der i m Grundgesetz enthaltenen Spezialvorbehalte" t r i t t ferner Joachim Wege i n seiner 1977 veröffentlichten Dissertation ein 1 3 0 . M i t einem solchen Schritt werde nicht nur den Abgrenzungsschwierigkeiten des traditionellen oder eines erweiterten Gesetzesvorbehalts begegnet 131 , sondern vor allem den Gefahren vorgebeugt, die sich aus einer Uberforderung der gesetzgebenden Gewalt durch Überlastung m i t Bagatellregelungen und einem damit verbundenen Machtverlust durch Erschwerung der Konzentration auf das Wesentliche ebenso ergeben könnten wie aus einer Verurteilung der vollziehenden Gewalt zur Untätigkeit mangels gesetzlicher Ermächtigung 1 3 2 . Die Befreiung von den Fesseln eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts, aber auch eines — etwa auf allgemeine Regelungen — eingeengten Gesetzesbegriffs entlaste den Gesetzgeber und verschaffe i h m zugleich den erforderlichen Spielraum für eine Entscheidung der Frage, „ob die gesetzliche Vorprogrammierung des Exekutivhandelns unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Komplexität und Dynamik geboten i s t " 1 3 3 . Die notwendige Bindung der Exekutive sei auch (Gewohnheitsrecht), 206 f. (besonderes Gewaltverhältnis); Thoma, Der Vorbehalt der Legislative, 223 - 229. 127 Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, 38 f. 128 Auch die klassische Lehre betrachtete sie i m Grunde n u r als Übergangslösungen, die jedoch praktisch teilweise von sehr langer Dauer waren; vgl. dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 112 -116, der selbst darauf zurückgreift (ebd., 234 - 236); ferner Rupp, Grundfragen, 127 f. ^129 BVerfGE 33, 1; vgl. ferner die Nachweise oben, A n m . 60, i n diesem Kap. 130 131 132

Positives Recht u n d sozialer Wandel, 280 - 286. Ebd., 263 - 280. Ebd., 284 f.

* 3 3 Ebd., 284, 286.

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ohne Allgemeinvorbehalt durch die i m Grundgesetz vorgesehenen Spezialvorbehalte, die schon bestehenden Gesetze und das umfassende Zugriff srecht der Legislative gesichert 134 . So sehr das m i t einem solchen Verzicht auf einen Allgemeinvorbehalt verfolgte Bemühen u m eine Befreiung der Verfassungsdogmatik von schwierigen Abgrenzungsproblemen und um eine Entlastung des Gesetzgebers von allem Nebensächlichen zugunsten seiner Konzentration auf das Wesentliche zu begrüßen ist, so muß doch bezweifelt werden, daß diese Ziele m i t einer radikalen Verabschiedung von jeglichem Allgemeinvorbehalt erreicht werden können und die bisherigen Unsicherheiten i n der Kompetenzabgrenzung zwischen Parlament und Regierung dadurch entfallen. Die Anzeichen deuten eher i n die Richtung einer bloßen Problemverschiebung. So dürfte etwa die bisher schon lebhafte Auseinandersetzung u m das zutreffende Verständnis der Gesetzesvorbehalte i n den einzelnen Grundrechtsbestimmungen noch heftiger werden 1 3 5 , wenn es allein auf die Reichweite der Spezialvorbehalte ankäme. Auch das Problem einer etwaigen Verengung des Zugriffsrechts des Gesetzgebers zu einer Zugriffspflicht i n besonders wichtigen Fällen, das bisher mehr am Rande erörtert w i r d 1 3 6 , müßte sich verschärfen, wenn die Regierung grundsätzlich ohne gesetzliche Ermächtigung handeln dürfte. Der Einwand gegen den Allgemeinvorbehalt schließlich, daß die exakte Grenzziehung dessen, was der Gesetzgeber regeln muß, „ n u r durch die Verfassungspolitik, nicht aber durch Verfassungsgerichte" entschieden werden könne 1 3 7 , befriedigt schon deshalb nicht, weil sich Verfassungspolitik und Verfassungsrecht ebenso schwer voneinander unterscheiden lassen wie etwa Eingriffe von Nichteingriffen oder Außen- von Innenrechtsbeziehungen 138 . Vor allem aber w i r d dadurch nicht den Anforderungen des Grundgesetzes genügt, nach denen es zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts gehört festzustellen, ob sich der Gesetzgeber m i t seinen — auch „politischen" — Entscheidungen i m Rahmen der Verfassung hält. Dazu gehört auch die Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt, so daß insoweit auf 134

Ebd. iss v g l dazu schon oben, i n u n d zu A n m . 123 f. 136 Die Frage nach einer Pflicht zur Gesetzgebung — unabhängig von einer ausdrücklichen Niederlegung i m GG — findet sich schon bei Rupp, Grundfragen, 117 A n m . 31; vgl. ferner Schwan, Zuständigkeitsregelungen, 105 f.; Häberle, DVB1. 1972, 911; Sattler, Die Pflicht des Gesetzgebers, 325-344; auch BVerfGE 33,125,158 f. 137 So Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 286. 138 Z u r Verflechtung von Recht u n d P o l i t i k auf Verfassungsebene vgl. oben, Kap. I 3; zur Unterscheidung von Außen- u n d Innenrecht sowie zum Eingriffscharakter staatlicher A k t e vgl. oben, Kap. I V 3 d cç.

296

V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

materiell-verfassungsrechtliche kann 1 8 9 .

Maßstäbe

nicht

verzichtet

werden

Somit erweist sich das Vorbehaltsproblem i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes umstrittener als je zuvor. Die Bandbreite der vorgeschlagenen Lösungen erscheint nahezu unerschöpflich und reicht inzwischen von einer völligen Verneinung eines Allgemeinvorbehalts, über ein grundsätzliches Festhalten am traditionellen Gesetzesvorbehalt, bis zur Ausdehnung auf einen Totalvorbehalt hin. Die Skala der für die einzelnen Lösungsvorschläge vorgetragenen Begründungen ist nicht minder ausgedehnt und erstreckt sich von der schlichten Verfassungstradition und dem Gewohnheitsrecht 140 , über die allgemeinen Verfassungsprinzipien des Rechtsstaats, der Demokratie und des Sozialstaats 141 bis zu den konkreten Verfassungsbestimmungen der A r t . 20 I I I und 80 I GG 1 4 2 . Die Bezugnahme auf Verfassungstradition und Gewohnheitsrecht genügt jedoch deshalb nicht, weil der allgemeine Gesetzes vorbehält seit jeher umstritten w a r 1 4 3 und es gegenwärtig gerade fraglich ist, ob und inwieweit er sich infolge der geänderten Verfassungsordnung gewandelt hat. Auch der Hinweis auf die allgemeinen Verfassungsprinzipien des Rechtsstaats, der Demokratie oder des Sozialstaats 144 hilft deshalb wenig 1 4 5 , w e i l diese Grundsätze selbst ebenso ausdeutungsbedürftig sind wie das Vorbehaltsprinzip und vor allem für die gesamte Verfassungsordnung des Grundgesetzes gelten und sämtliche Verfassungsorgane binden, so daß sie deren Kompetenzbereiche nicht grundsätzlich zerschneiden können. Die Anknüpfung an konkrete Verfassungsbestimmungen, wie A r t . 20 I I I und 80 I GG, schließlich kann angesichts einer fehlenden ausdrücklichen Verankerung des Allgemeinvorbehalts i m 189

Vgl. auch oben, Kap. I V 3 d bb. Vgl. auch Starck, Gesetzesbegriff, 288 A n m . 4 ( „ . . . der Allgemeinvorbeh a l t i n seiner klassischen Ausprägung . . . g i l t auch heute noch — zu Recht! — als eiserner Bestand der Staatsrechtsdogmatik") ; Jesch, Gesetz u n d V e r w a l tung, 35 („Mischung aus geschriebenem Verfassungsrecht u n d Verfassungsgewohnheitsrecht") ; Schwan, Zuständigkeitsregelungen, 8 f. („Verfassungsgewohnheitsrecht") . 141 Vgl. etwa Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Randnr. 124 (Rechtsstaatsprinzip); Hansen, Fachliche Weisung, 87 (Demokratieprinzip); Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, 125 (Sozialstaatsprinzip, konkretisiert durch Grundrechte); BVerfGE 33,125,158 (Rechtsstaats- u n d Demokratieprinzip). 142 Vgl. dazu Hamann / Lenz, A r t . 20, A n m . Β 9 b (S. 346 f.) ; Abelein, ZfP 1967, 324; Hesse, Verfassungsrecht, 81 f.; BVerfGE 40, 237, 248 f.; 49, 89, 126 (Art. 20 I I I GG, mindestens mittelbar); Schenke, D Ö V 1977, 30, 32; Selmer, JuS 1968, 494 f.; Rupp, Grundfragen, 116,134 f. (Art. 80 GG). 148 Dazu zusammenfassend Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 141 - 169; Hansen, Fachliche Weisung, 57 - 60, 95 - 108. 144 Vgl. dazu oben, A n m . 141. 145 So auch Böckenförde, Organisationsgewalt, 91; zu pointiert hingegen Starck, Gesetzesbegriff, 282; dazu Wege, Positives Recht u n d sozialer Wandel, 275 m i t A n m . 834. 140

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Grundgesetz nicht von der Notwendigkeit einer Bewertung der einzelnen Bestimmungen i m Gesamtrahmen der Verfassung entheben, wie sich etwa i m Bereich der speziellen Grundrechtsvorbehalte zeigt 1 4 6 . Die Auseinandersetzung u m Bestand und Reichweite des allgemeinen Gesetzesvorbehalts leidet, wie eingangs erwähnt, unter den Nachwirkungen der positivistischen Staatsrechtsdogmatik mit ihrem dualistischen Trennungsdenken. Dieses verleitet bei der Beurteilung von Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes, ähnlich wie etwa bei der Einschätzung des Verhältnisses von Parlament und Regierung, zu einseitig positiven oder negativen Stellungnahmen, die der Verfassungsordnung der konstitutionellen Monarchie angemessen sein mochten, i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes jedoch überholt erscheinen. Aufgabe des Gesetzesvorbehalts sollte es nach der klassischen Formulierung von O. Mayer sein, das Gesetz für gewisse besonders wichtige Gegenstände zur Voraussetzung der Tätigkeit von Regierung und Verwaltung zu machen 147 . Damit war das Parlament, ohne dessen M i t w i r kung i n der konstitutionellen Monarchie kein Gesetz erlassen werden konnte, notwendig an der Regelung des Vorbehaltsbereiches beteiligt. I n den übrigen Bereichen konnten zwar auch Gesetze ergehen; aber weder waren sie dort erforderlich noch ohne die zustimmende „Sanktion" des Monarchen möglich 1 4 8 . N u r i m Vorbehaltsbereich war der Monarch gezwungen, sich m i t dem Parlament zu verständigen. Dies bewirkte die hervorragende Bedeutung des Gesetzesvorbehalts i n der konstitutionellen Monarchie, woraus sich auch erklären mag, daß ein Teil der Lehre Vorbehalts- und Gesetzesbegriff kurzerhand gleichsetzte 149 . M i t dem Wandel der Staatsform zur demokratischen Republik und dem Fortfall der monarchischen Gesetzessanktion endete der Grund für die einseitige Bevorzugung des Vorbehaltsprinzips gegenüber dem Vorrangprinzip. Dennoch hielten die Bemühungen u m eine Erweiterung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts auch unter der Geltung des Grundgesetzes zunächst m i t unverminderter K r a f t an, gleichsam u m die letzten Überreste monarchischer Exekutivgewalt der demokratisch-rechtsstaatlichen Legislativgewalt zu unterwerfen und i n der stillschweigenden A n nahme, dieses Ziel sei nur über eine Ausweitung des Gesetzesvorbehalts erreichbar 150 . 146

Dazu oben, i n u n d zu A n m . 123 f. Vgl. oben, zu A n m . 75. 148 Z u r monarchischen Gesetzessanktion vgl. die Nachweise oben, Kap. I V 3 b, A n m . 84. we V o r allem Anschütz, Gesetz, 214; ders., i n : Meyer / Anschütz, Deutsches Staatsrecht, 656 f.; dazu Rupp, Grundfragen, 20; Hansen, Fachliche Weisung, 40 f. 150 Vgl. etwa die Stufenfolge „vorbehaltsfrei" - „gesetzesfrei" - „rechts147

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

Das Vorrangprinzip m i t dem von i h m als weiteres M i t t e l gesetzgeberischer Bindungsmacht umfaßten Zugriffsrecht blieb demgegenüber zunächst i m Hintergrund und gelangte erst allmählich i n das Blickfeld verfassungsrechtlicher Betrachtung bei der Kompetenzabgrenzung von Parlament und Regierung 1 5 1 . Diese Zurückhaltung verwundert insofern, als sich nach dem Fortfall der monarchisch-exekutiven Gesetzessanktion die Frage geradezu aufdrängen mußte, ob dem Vorbehaltsprinzip neben dem Vorrangprinzip überhaupt noch eine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, wenn das Parlament i m Wege des gesetzlichen Zugriffs seine Vorstellungen auch ohne oder gegen den Willen der Regierung durchzusetzen vermag. Angesichts der geänderten Verfassungslage läßt sich — i n Umkehrung der einseitig vorbehaltsfixierten Argumentation — nicht minder folgerichtig eine ebenso einseitig vorrangfixierte Position aufbauen, wonach statt einer Erweiterung die Preisgabe des Allgemeinvorbehalts geboten sei, w e i l das Zugriffsrecht des Gesetzgebers — zusammen m i t den i m Verfassungstext verankerten Sondervorbehalten — die Aufgabe der Kompetenzabgrenzung zwischen Parlament und Regierung übernommen habe 1 5 2 . Wie jedoch die Untersuchung zum Total vorbehält und zum Verzicht auf jeglichen Allgemeinvorbehalt ergeben hat, vermag weder die einseitige Beharrung auf dem Vorbehaltsprinzip und seiner Erweiterung noch die ebenso einseitige Hinwendung zu dem Vorrangprinzip und dem von i h m umfaßten Zugriffsrecht den Anforderungen des Grundgesetzes gerecht zu werden. Keines der beiden Prinzipien kann für sich allein genommen das Problem des verfassungsgemäßen Ausgleichs zwischen der Handlungsfähigkeit der Regierung und der Regelungsgewalt des Parlaments überzeugend losen. Zur Vermeidung von Fehlschlüssen muß vielmehr eine Betrachtungsweise gewählt werden, die Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes gleichermaßen i n den verfassungsrechtlichen Blickwinkel nimmt. Dies macht eine Rückbesinnung auf das Gesetz und seine Funktion i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes erforderlich. Es bleibt zu prüfen, ob das hier entwickelte Verständnis des Parlamentsgesetzes und des kooperativen Zusammenwirkens von Parlament und Regierung das Vorbehaltsproblem, das gleichsam den „ K n o t e n p u n k t " 1 5 3 i n den Beziehungen der beiden Verfassungsorgane bildet, einer Lösung näher bringt. frei" bei Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 211 f.; Rupp, Grundfragen, 113; aus neuerer Zeit: Ehlers, D Ö V 1977, 742; dagegen etwa Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, 62. 151 Vgl. v o r allem die grundlegenden Ausführungen bei Böckenförde, Organisationsgewalt, 103 - 107 ; ferner Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 241 f. 152 So das Ergebnis v o n Wege (vgl. oben, zu A n m . 134). 158 Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 210.

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cc) Präventiv- und Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes Als Parlamentsgesetz, das sich nicht i n voneinander unabhängige formelle und materielle Elemente aufspalten läßt, bildet das Gesetz des Grundgesetzes eine komplexe Einheit, welche die bedeutsamen Regelungen i m Rahmen der Verfassung umfaßt, sofern das Grundgesetz nicht ausnahmsweise eine andere Zuweisung t r i f f t ; oder anders gewendet: alle bedeutsamen Regelungen i m Rahmen der Verfassung fallen grundsätzlich i n den Bereich des Parlamentsgesetzes 154 . Von dem damit umschriebenen Bereich des Parlamentsgesetzes darf jedoch nicht unmittelbar auf den Vorbehalt des Parlamentsgesetzes und den von diesem umfaßten Bereich geschlossen werden 1 5 5 . Eine solche Gleichsetzung würde außer acht lassen, daß bedeutsame Regelungen i m Rahmen der Verfassung über das Vorrangprinzip auch dem Zugriff des Parlamentsgesetzes unterliegen können. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Vorbehalts- und des Vorrangprinzips w i r d vielmehr erkennbar, daß sich der Bereich des Parlamentsgesetzes i n einen Vorbehalts- und einen Zugriffsbereich untergliedert. I m Vorbehaltsbereich ist das Parlamentsgesetz „notwendige Bedingung aller Staatstätigkeit" 1 5 6 . Bis auf die Gesetzesinitiative ist der Regierung ein Tätigwerden i n diesem Bereich entweder mangels parlamentsgesetzlicher Ermächtigung untersagt oder lediglich i m Rahmen parlamentsgesetzlicher Ermächtigung gestattet. Das Parlamentsgesetz besitzt hier eine präventive Sperr- und Ermächtigungswirkung (Präventivfunktion). Diese verringert die Regierungsalternativen und beschränkt die Handlungsfähigkeit der Regierung generell und ex ante. I m Zugriffsbereich hebt das Parlamentsgesetz alle staatlichen Willensäußerungen auf, „welche m i t anderem Inhalte i h m entgegenstehen" 157 . Die Regierung kann i n diesem Bereich zunächst ohne besondere Ermächtigung tätig werden, unterliegt jedoch der jederzeitigen Bindung durch parlamentsgesetzlichen Zugriff. Das Parlamentsgesetz besitzt hier eine sukzessive Verdrängungs- und Sperrwirkung (Sukzessivfunktion). Diese ermöglicht eine umfassende Entfaltung der Regierungsinitiativen und beschränkt die Handlungsfähigkeit der Regierung nur selektiv und ex post. 154

Vgl. oben, Kap. I V 3. Gegen eine Gleichsetzung von Gesetzes- u n d Vorbehaltsbegriff auch Starck, Gesetzesbegriff, 273 - 275. 158 Vgl. die Formulierung von O. Mayer, oben, zu A n m . 75; ferner etwa BVerfGE 8,155,169; 40, 237, 249. 157 Vgl. auch hierzu die Formulierung von O. Mayer, oben, zu A n m . 74; ferner etwa BVerfGE 8,155,169; 40, 237, 247. 155

300 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

Vorbehalts- und Zugriffsbereich unterscheiden sich deshalb danach, ob der Regierung ein Tätigwerden untersagt ist, solange keine ermächtigende Regelung durch Parlamentsgesetz vorliegt, oder ob ihr ein Tätigwerden gestattet ist, bis eine verdrängende Regelung durch Parlamentsgesetz erfolgt. Die beiden Teilbereiche stehen jedoch nicht unverbunden nebeneinander, wie es das Trennungsdenken nahelegt, etwa i n dem Sinn, daß der Vorbehaltsbereich grundsätzlich dem Parlamentsgesetz und dem Parlament zuzuordnen ist, während der Zugriffsbereich ebenso grundsätzlich vom Parlamentsgesetz freizuhalten und der Regierung zuzuordnen ist. I n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist weder das Parlamentsgesetz ausschließlich Angelegenheit des Parlaments noch der Bereich außerhalb des Parlamentsgesetzes ausschließlich Angelegenheit der Regierung. Wie die Regierung über ihr I n i t i a t i v - und Anhörrecht auf die Gestaltung des Parlamentsgesetzes Einfluß n i m m t 1 6 8 , so nimmt das Parlament über sein Beratungs- und Beschlußrecht Einfluß auf die Gestaltung der Regierungspolitik auch außerhalb des durch Parlamentsgesetz geregelten und regelbaren Bereichs 159 . Vorbehalts- und Zugriffsbereich ergänzen sich deshalb gegenseitig und dienen gemeinsam, wenn auch jeweils auf verschiedene Weise, dem Zusammenwirken von Parlament und Regierung. Die Unterscheidung zwischen Vorbehalts- und Zugriffsbereich entspricht nach alledem nicht einer Trennung zwischen Parlaments- und Regierungsbereich, sondern lediglich einer unterschiedlichen A r t des Zusammenwirkens der beiden Verfassungsorgane, die sich nach der jeweils spezifischen Funktion des Parlamentsgesetzes i n dem betreffenden Teilbereich bestimmt. I m Vorbehaltsbereich muß das Zusammenwirken von Parlament und Regierung zunächst ein Parlamentsgesetz hervorbringen, bevor weitere staatliche Aktivitäten, insbesondere der Regierung, entfaltet werden dürfen. I m Zugriffsbereich können solche Aktivitäten hingegen zunächst ohne parlamentsgesetzliche Grundlage erfolgen und später i m Zusammenhang m i t dem Parlament zu einem Parlamentsgesetz verdichtet und verfestigt werden. Die entscheidende Frage lautet deshalb — zugespitzt formuliert —, ob nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes das Regierungshandeln i n einem bestimmten Bereich grundsätzlich ausgeschlossen und nur i m gesetzlich festgelegten Rahmen zulässig sein soll — dann Vorbehalt und Präventivfunktion des Parlamentsgesetzes, oder ob es umgekehrt i n einem bestimmten Bereich grundsätzlich zulässig sein und nur i n einzelnen Fällen gesetzlich beschränkt werden soll — dann Zugriff und Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes. 158 159

Vgl. dazu oben, Kap. I V 3 b. Vgl. dazu oben, Kap. I V 4 b.

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d) Die Handlungsfähigkeit der Regierung zwischen Parlamentsgesetz und schlichtem Parlamentsbeschluß Nach den i m vorliegenden Abschnitt gewonnenen Erkenntnissen gilt es, für das Problem der Handlungsfähigkeit der Regierung i m Verhältnis zur „mitregierenden" Entscheidungs- und Kontrollgewalt des Parlaments zu beachten, daß einerseits das Regierungshandeln Bindungskraft innerhalb und außerhalb des Bereichs des Parlamentsgesetzes, m i t und ohne Ermächtigung durch Parlamentsgesetz entfaltet 1 6 0 , und daß andererseits neben dem Vorbehalt der Zugriff des Parlamentsgesetzes B i n dungswirkungen gegenüber dem Regierungshandeln erzeugt 161 . U m die differenzierten Abhängigkeiten i n den Beziehungen von Parlament und Regierung organadäquat und funktionsgerecht aufschlüsseln und einander zuordnen zu können, bedarf die Verfassungsdogmatik deshalb eines reichhaltigen Instrumentariums, das über die einfache Wahlmöglichkeit des Trennungsdenkens zwischen scheinbar unverbundenen Alternativen — wie Gesetzesvorbehalt oder Gesetzesvorrang, gebundenes oder freies Regierungshandeln — hinausreicht. Anders als das traditionelle Trennungsdenken m i t seinen vereinfachenden Dualismen vermag das hier entwickelte Verständnis des Zusammenwirkens von Parlament und Regierung diesen Anforderungen gerecht zu werden, indem es die Bindungskraft des Regierungshandelns wie auch die Bindungswirkungen des Parlamentsgesetzes und des schlichten Parlamentsbeschlusses i n ihrer wechselseitigen Ergänzung und vielfältigen Abstufung erfaßt. Danach ordnen sich die Beziehungen der beiden Verfassungsorgane nach einer kontinuierlichen Skala von aufeinander abgestimmten, stärkeren und schwächeren gegenseitigen B i n dungen, nicht nach voneinander unabhängigen, gegenläufigen Dualismen. Die Skala beginnt i m Vorbehaltsbereich, wo die Präventivfunktion des Parlamentsgesetzes das grundsätzlich ausgeschlossene Regierungshandeln auf die Gesetzesinitiative und die Gesetzesausführung begrenzt; sie setzt sich fort über den Zugriffsbereich, wo die Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes das grundsätzlich umfassend zulässige Regierungshandeln jederzeit festlegen kann; und sie endet außerhalb des Bereiches des Parlamentsgesetzes, wo das Regierungshandeln den Einwirkungen des schlichten Parlamentsbeschlusses unterliegt. Die Handlungsfähigkeit der Regierung bewegt sich somit i n allmählicher A b stufung zwischen den präventiven und sukzessiven Bindungen des Parlamentsgesetzes und den Einwirkungen des schlichten Parlamentsbeschlusses. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, daß auch die Regie160 161

Vgl. oben, Abschnitt 2 a i n diesem Kap. Vgl. oben, Abschnitte 2 b u n d c i n diesem Kap.

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

rung ihrerseits über die Gesetzesinitiative und die Gesetzesausführung auf Verfahren und Inhalt des Parlamentsgesetzes Einfluß nimmt. Als Ergebnis des aufwendigsten staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses umfaßt das Parlamentsgesetz die bedeutsamen Hegelungen i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Damit weist es von seinem Inhalt her eine Parallele zu dem traditionellen Gesetzesvorbehalt auf, der sich — i n der zitierten Formulierung von O. Mayer 1 6 2 — auf „gewisse besonders wichtige Gegenstände" bezieht. Als i n diesem Sinne „besonders wichtig" galt entsprechend der dualistischen Struktur der konstitutionellen Monarchie der bürgerlich-gesellschaftliche Freiheits- und Eigentumsbereich, der gegen monarchisch-staatliche Eingriffe abgesichert werden sollte 1 6 3 . Diese grundlegende Konstellation zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Bereich ist trotz des Wandels von der monarchischen zur demokratischen Staatsform nicht fortgefallen. Auch i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes bestehen ein — demokratischer — Dualismus zwischen staatlicher Organisations- und gesellschaftlicher Privatsphär e 1 6 4 sowie die Möglichkeit von Eingriffen i n den Freiheits- und Eigentumsbereich der Bürger durch Maßnahmen staatlicher Organe. Hinzugekommen ist allerdings die Erkenntnis, daß dieser Bereich nicht mehr nur gegen, sondern auch durch die staatliche Organisation geschützt und gefördert werden muß. Ansätze dazu finden sich schon i m konstitutionellen Staat, der seine Tätigkeit auf den Schutz und teilweise die Förderung seiner Bürger erstreckte, etwa i m Polizei- und Strafrecht oder i m Bildungs- und Sozialversicherungswesen 165 . Infolge der zwischenzeitlich beschleunigten Entwicklung zur arbeitsteiligen Industriegesellschaft, der Umwälzung durch die beiden Weltkriege und der Wandlung zur demokratischen Staatsform hat die Verflechtung von bürgerlicher Privatsphäre und staatlicher Organisationssphäre erheblich zugenommen und ganz andere Ausmaße angenommen. „Besonders wichtig" ist für den Bürger i m modernen Staat des Grundgesetzes die Freiheits- und Eigentumssphäre nicht mehr allein i m Sinne eines staatlich unberührten Ausschlußbereiches, sondern ebenso i m Sinne eines staatlich zunehmend geregelten Schutz- und Förderungsbereiches. Nicht minder wichtig ist damit für i h n aber auch der staatliche Organisationsbereich selbst, i n dem diese Hegelungen ihre inhaltliche Ausgestaltung erfahren. A n dem Maßstab 162

Vgl. oben, zu A n m . 75. Vgl. oben, Kap. I I 2 a, I V 3 d cc u n d Abschnitt 2 c bb, zu A n m . 89, i n diesem Kap. 184 Z u m demokratischen Dualismus vgl. oben, Abschnitt 1 b i n diesem Kap. les v g l dazu etwa Wege, Positives Hecht u n d sozialer Wandel, 157 - 159 m. w. N. 183

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der Wichtigkeit oder der Bedeutsamkeit gemessen besteht somit i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes kein grundsätzlicher Unterschied zwischen staatlichen Eingriffen und Leistungen oder zwischen staatlicher Organisations- und bürgerlicher Privatsphäre 1 6 6 . Diese Erweiterungen des Bereichs der „besonders wichtigen Gegenstände" führen nach dem traditionell vorbehaltsfixierten Trennungsdenken scheinbar zwanglos zu einer entsprechenden Ausdehnung des Vorbehaltsbereichs. Die Folgen wären ein Totalvorbehalt des Parlamentsgesetzes m i t der schon aufgezeigten Gefahr einer Uberforderung des Parlaments und eine Vernachlässigung des von dem Vorrangprinzip des Parlamentsgesetzes umfaßten Zugriffsrechts. Betrachtet man die Kompetenzverteilung hingegen i m Lichte des hier entwickelten Verständnisses sich gegenseitig ergänzender, abgestufter Bindungswirkungen zwischen Parlament und Regierung, so zeichnet sich eine differenziertere Fragestellung ab, die neben der begrenzten Arbeitskapazität des Parlaments auch die unentbehrliche Initiativentfaltung der Regierung berücksichtigt 167 . Es muß geprüft werden, welche der i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes als bedeutsam einzustufenden staatlichen Handlungs- und Regelungsbereiche der Präventivfunktion und welche der Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes unterliegen oder — anders ausgedrückt — inwieweit das Regierungshandeln grundsätzlich ausgeschlossen und nur m i t parlamentsgesetzlicher Ermächtigung zulässig ist und inwieweit es umgekehrt grundsätzlich zulässig und nur nach parlamentsgesetzlicher Verdrängung ausgeschlossen ist. Dabei lassen sich die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung i m Verhältnis von Staat und Bürger sowie i m Bereich der Staatsleitung zwar unterscheiden, aber schon wegen der begrenzten Arbeitskapazität des Parlaments, die beide Teilbereiche abdecken muß, nicht unabhängig voneinander beurteilen. I m Verhältnis von Staat und Bürger, das weiterhin i m Vordergrund der Vorbehaltsdiskussion steht 1 6 8 , treffen unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen aufeinander, an denen kein Verfassungsverständnis vor1ββ Z u diesem Ergebnis gelangt insbesondere auch die neuere Rechtsprechung des B V e r f G (vgl. etwa E 34, 165, 193; 40, 237, 249; 47, 46, 79; 49, 89, 126 f. m. w. N.), unterscheidet dabei aber nicht genügend zwischen dem Bereich des Parlamentsgesetzes einerseits u n d dem Vorbehalts- bzw. Zugriffsbereich des Parlamentsgesetzes andererseits; dazu auch weiter i m Text. 167 Das Erfordernis einer solchen Differenzierung w i r d i n jüngerer Zeit immer deutlicher hervorgehoben; vgl. dazu Stern, Staatsrecht I , 638 („keine Patentregel") m. w. N. Das Problem w i r d auch i n der Rechtsprechung des BVerfG erkannt (vgl. etwa E 33, 125, 156; 37, 104, 118; 40, 237, 248 - 252; 41, 251, 265); dazu aber auch die Einschränkung i n A n m . 166. 168 So auch i n der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG zur „Wesentlichkeit s "-Theorie; vgl. die Nachweise oben, Kap. I V 3 e (Anm. 225, 227, 236), u n d dazu Vitzthum, Parlament u n d Planung, 305-307; Listi, DVB1. 1978, 12-15.

304 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

beigehen kann, wenn es sich nicht dem Vorwurf einer Problemverkürzung aussetzen w i l l . Einerseits wird, etwa i m Falle von Eingriffen und Belastungen, das Erfordernis einer Enthaltsamkeit oder Begrenzung der staatlichen Betätigung gegenüber dem Bürger erkennbar. Insoweit verspricht das Parlamentsgesetz i n seiner Präventivfunktion und damit der grundsätzliche Ausschluß oder zumindest die vorherige parlamentsgesetzliche Ermächtigung des Regierungshandelns den sichersten Schutz vor einem möglichen Mißbrauch staatlicher Macht. Andererseits wird, etwa i m Falle von Leistungen und Vergünstigungen, das Erfordernis einer Ingangsetzung oder Erweiterung der staatlichen Betätigung zugunsten des Bürgers sichtbar. Insoweit entspricht das Parlamentsgesetz i n seiner Sukzessivfunktion zusammen m i t dem schlichten Parlamentsbeschluß und damit die grundsätzlich umfassende, aber jederzeit beeinflußbare und bindbare, Entfaltung des Regierungshandelns die beste Gewähr für einen initiativenreichen Einsatz staatlicher Macht 1 6 9 . I m Bereich der Staatsleitung, i n dem ständig Neuland betreten werden muß, zeigt sich das Erfordernis einer initiativenreichen Entfaltung der Staatstätigkeit besonders deutlich. Eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf diesen Bereich würde das staatsleitende Zusammenwirken von Parlament und Regierung auf die Verabschiedung und Ausführung von Parlamentsgesetzen beschränken. Alle Initiativen zur Einleitung oder zur Weiterentwicklung staatsleitender Projekte müßten sich zunächst i n Gesetzentwürfen niederschlagen. Das Parlamentsgesetz würde gleichsam zum Nadelöhr des kooperativen Staatsleitungsprozesses zwischen Parlament und Regierung. Damit wäre zwar das Zusammenwirken der beiden Verfassungsorgane zwingend gewährleistet, w e i l die Regierung ohne parlamentsgesetzliche Ermächtigung nicht handeln könnte; dieser Vorteil, der an sich dem hier verfolgten Anliegen entspräche, wäre jedoch u m den Nachteil einer erheblichen Verengung der I n i t i a t i v entfaltung i m Bereich der Staatsleitung erkauft. Ausgeschlossen wären alle Regierungsinitiativen, die zunächst eine Herantastung an neuartige Problemlösungen oder eine erste Erprobung neuer Wege ermöglichen 169 Z u m Unterschied von Eingriff u n d Leistung trotz aller Annäherungen i n den Grenzbereichen vgl. insbesondere Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, 230: „Der Eingriff ist das gröbere, w e i l u n mittelbar w i r k e n d e Gestaltungsmittel. Die Leistung soll demgegenüber gerade der feineren Ausbalancierung dienen u n d ist deshalb f ü r eine starre Festlegung weniger geeignet." — Diese Differenzierung k o m m t auch — trotz verbaler Einebnung von E i n g r i f f u n d Leistung (vgl. dazu die Nachweise oben, A n m . 166) — w e i t e r h i n i n der Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck, w e n n das Gericht auf die „Intensität des Eingriffs" abstellt (E 33, 125, 160) oder die Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit bei Vergünstigungen f ü r geringer erachtet „als bei Eingriffsermächtigungen, w e i l deren G r u n d rechtsrelevanz erheblich gewichtiger ist" (E 48, 210, 222); vgl. auch BVerfGE 41, 251, 267.

2. Parlament u n d Handlungsfähigkeit der Regierung

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sollen, die aber für das aufwendige Gesetzgebungsverfahren noch nicht bedeutsam genug oder für einen Gesetzentwurf noch nicht ausgereift genug erscheinen. Eine so weitgehende Beschränkung der Handlungsfähigkeit der Regierung befürwortet, wie erwähnt, nicht einmal Jesch, der i m übrigen für eine weite Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts eint r i t t 1 7 0 . Sie ist auch nicht geboten, weil das Zusammenwirken von Parlament und Regierung i m Bereich der Staatsleitung nicht nur über das Vorbehaltsprinzip und die Präventivfunktion des Parlamentsgesetzes gewährleistet werden kann, sondern auch über das Vorrangprinzip und die Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes zusammen m i t dem schlichten Parlamentsbeschluß. Danach bleibt eine umfassende Entfaltung der Regierungsinitiative, die nicht einem Allgemeinvorbehalt unterliegt, jederzeit durch einen Zugriff des Parlaments beeinflußbar und bindbar. Der an der Präventiv- und der Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes ausgerichteten funktionellen Differenzierung entspricht demnach eine materiell bestimmte Unterscheidung zwischen Eingriffen des Staates gegenüber dem Bürger einerseits sowie Leistungen des Staates zugunsten des Bürgers und Maßnahmen der Staatsleitung andererseits. Damit scheint das hier entwickelte Verständnis der Kompetenzabgrenzung zwischen Parlament und Regierung i m Ergebnis auf den Eingriffsvorbehalt des Trennungsdenkens zurückzuführen und sich allen gegen dessen traditionelle Verankerung erhobenen Bedenken auszusetzen 171 . Diesem Einwand ist zunächst entgegenzuhalten, daß ein Verzicht auf sämtliche materiellen Abgrenzungsmerkmale i n die verfassungsrechtlich nicht haltbare Alternative zwischen einem Totalvorbehalt und einer Vorbehaltspreisgabe zwingt 1 7 2 . I h m ist weiter zu entgegnen, daß es trotz aller Bemühungen bisher nicht gelungen ist, die Grenzziehung zwischen Eingriff und Leistung oder zwischen staatlichem und bürgerlichem Bereich, so große Schwierigkeiten sie i m einzelnen bereitet, durch eine überzeugendere Differenzierung zu ersetzen. I h m ist schließlich und entscheidend entgegenzuhalten, daß den materiellen Abgrenzungsmerkmalen nach dem hier entwickelten Verständnis eines sich ergänzenden Zusammenwirkens von Parlament und Regierung eine andere Funktion als nach dem traditionellen Trennungsdenken zukommt, welche die bisherigen Bedenken entkräftet. Für das Trennungsdenken, das scharf zwischen einem „Eingriffsbereich", der grundsätzlich dem Parlamentsgesetz vorbehalten und der Regierung verschlossen sein soll, sowie einem „Restbereich" zu unterschei170 171 172

Vgl. oben, zu A n m . 105. Vgl. dazu oben, Abschnitt 2 c bb, zu A n m . 90 bis 96, i n diesem Kap. Dazu oben, Abschnitt 2 c bb i n diesem Kap.

20 M a g l e r a

306 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

den sucht, i n dem umgekehrt grundsätzlich die Regierung „frei" handeln und ein Parlamentsgesetz nur ausnahmsweise ergehen soll, bildet das Handeln der Regierung i m Eingriffsbereich ebenso einen dogmatischen und systematischen Fremdkörper wie der Erlaß eines Parlamentsgesetzes i m Restbereich. Da nach einem „Uberschreiten" der Trennlinie ein leitender Maßstab für die Begrenzung des Regierungshandelns i m Eingriffsbereich und der Parlamentsgesetzgebung i m Restbereich fehlt, kommt es dementsprechend entscheidend auf die Verläßlichkeit und Beachtung der materiellen Abgrenzungsmerkmale an 1 7 3 . Nach dem hier entwickelten Verständnis besitzen die materiellen A b grenzungsmerkmale für die Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung demgegenüber keine klassifikatorisch ausgrenzende, sondern eine typologisch zuordnende Bedeutung. Als Ergebnis des aufwendigsten staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsverfahrens umfaßt das Parlamentsgesetz grundsätzlich die bedeutsamen Regelungen, unabhängig davon, ob es sich um Eingriffe oder Leistungen des Staates oder u m staatsleitende Maßnahmen handelt. Dementsprechend erfolgen — anders als nach dem Trennungsdenken — i m Falle von Eingriffen weder grundsätzlich alle noch i m Falle von Leistungen oder von staatsleitenden Maßnahmen wahllos irgendwelche Regelungen durch Parlamentsgesetz. Der Unterschied liegt vielmehr darin, daß bei Eingriffen die bedeutsamen Regelungen durch Parlamentsgesetz erfolgt sein müssen, bevor die Regierung — auch i n minder wichtigen Angelegenheiten — tätig werden darf, während bei Leistungen und i m Bereich der Staatsleitung die bedeutsamen Regelungen durch Parlamentsgesetz dem — ständig durch schlichten Parlamentsbeschluß beeinflußbaren — Regierungshandeln nachfolgen können. Die damit bewirkte funktionell-materielle Differenzierung zwischen Präventiv- und Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes sowie schlichtem Parlamentsbeschluß einerseits, Eingriffen und Leistungen des Staates sowie staatsleitenden Maßnahmen andererseits löst eine Reihe von Zielwidersprüchen, i n die sich das Trennungsdenken verstrickt, wenn es etwa für eine möglichst weite Ausdehnung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts und zugleich gegen eine Überlastung des Parlaments oder gegen eine Initiativenbeschränkung der Regierung eintritt. I n gegenseitiger Ergänzung dienen die Präventivfunktion des Parlamentsgesetzes, nach der — auf einen knappen Nenner gebracht — die Stufenfolge „Ausschluß staatlicher Tätigkeit vor Parlamentsgesetz vor Regierungshandeln" gilt, dem erhöhten Sicherungsbedürfnis des Bürgers vor staatlichen Eingriffen und die — durch den schlichten Parlamentsbeschluß unterstützte — Sukzessivfunktion des Parlamentsgesetzes, nach der die 173

Vgl. dazu oben, Kap. I V 3 d cc.

3. Parlament u n d Informationspflicht der R e g i e r g

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umgekehrte Stufenfolge gilt, dem erhöhten Angewiesensein des B ü r gers auf staatliche Leistungen sowie dem allgemeinen Erfordernis einer initiativenreichen Entfaltung der Staatsleitung. Dementsprechend ist einerseits das Parlament grundsätzlich an allen bedeutsamen staatlichen Angelegenheiten beteiligt, ohne daß es durch eine Pflicht zur Regelung auch minder wichtiger Einzelheiten oder nicht ausgereifter Projekte überfordert w i r d ; andererseits ist die Regierung grundsätzlich der umfassenden Einflußnahme und Regelungsgewalt des Parlaments ausgesetzt, ohne daß sie durch einen Totalvorbehalt i n ihrer Initiativentfaltung beeinträchtigt oder durch einen Verzicht auf jeglichen Allgemeinvorbehalt von dem Erfordernis parlamentsgesetzlicher Ermächtigung generell freigestellt wird. Die nähere Aufschlüsselung des kooperativen Staatsleitungsprozesses offenbart nach alledem genügend funktionell und materiell bestimmte Abgrenzungsmerkmale, die einer unkontrollierbaren Zuständigkeitsverschiebung zwischen Parlament und Regierung entgegenstehen. Die Befürchtungen u m die Handlungsfähigkeit der Regierung oder umgekehrt den Regelungsspielraum des Parlaments erweisen sich somit als ebenso unbegründet wie die zuvor erörterte Besorgnis u m die Verantwortlichkeitsklarheit zwischen den beiden Verfassungsorganen.

3. „Mitregierung" des Parlaments und Informationspflicht der Regierung Neben dem Problem der Verantwortlichkeit und der Handlungsfähigkeit der Regierung w i r f t die „Mitregierung" des Parlaments die Frage nach der zureichenden Informations- und Wertungsergänzung zwischen den beiden Verfassungsorganen auf. Damit ist der verfassungsrechtliche Kern des kooperativen Staatsleitungsprozesses berührt. Ohne Teilhabe an dem Informationsvorsprung der Regierung kann das Parlament seinen Wertungsvorsprung grundsätzlich nicht wirksam einsetzen 174 . A b schließend sind deshalb die Informationsbeziehungen zwischen den beiden Verfassungsorganen, insbesondere i m Hinblick auf eine Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament, näher zu untersuchen. a) Die Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung als staatsleitender Dialog Uber die Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung, wie zwischen den Verfassungsorganen und den staatlichen Organen überhaupt, enthält das Grundgesetz nur spärliche und zudem ver174

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Z u diesen grundsätzlichen Erwägungen vgl. oben, Kap. V 2.

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

einzelte Aussagen. I m Vordergrund steht dabei das Zitierungsrecht des Art. 43 I, wonach der Bundestag und seine Ausschüsse die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Bundesregierung verlangen können. Ob und inwieweit die Verfassung darüber hinaus ein Fragerecht des Bundestages und seiner Ausschüsse (Interpellationsrecht) 175 sowie eine Antwortpflicht oder gar eine allgemeine Informationspflicht 1 7 6 der Bundesregierung gewährleistet 1 7 7 , läßt sich ihrem Wortlaut nicht m i t Sicherheit entnehmen. Diese Zurückhaltung des Grundgesetzes entspricht deutscher Verfassungstradition 1 7 8 . Während die nicht i n K r a f t getretene Paulskirchenverfassung ausdrücklich eine Erscheinungs- und Auskunftspflicht der Reichsminister vor jedem der beiden Häuser des Reichstages vorsah (§ 122) und die preußische Verfassung von 1850 jeder Kammer neben einem Zitierungsrecht immerhin das Recht zubilligte, „Adressen an den König zu richten" und von den Ministern „Auskunft über eingehende Beschwerden (zu) verlangen" (Art. 60 II, 811, III), enthielt die Reichsverfassung von 1871 insoweit keine Bestimmungen und die Weimarer Verfassung nur ein Zitierungsrecht (Art. 331). Eine streng auf den Wortlaut der Verfassungen abstellende Ansicht entnimmt der geschichtlichen Entwicklung eine scharfe Trennung zwischen dem Zitierungs- und dem Interpellationsrecht 1 7 9 . Verf assungsrecht175 Die Terminologie ist nicht einheitlich; teilweise w i r d das Interpellationsrecht weiter, als Oberbegriff f ü r Zitierungs- u n d Fragerecht, teilweise enger, als Große Anfrage, teilweise identisch m i t dem Zitierungsrecht verstanden; vgl. dazu etwa Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 292 A n m . 223; Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 43, Randnr. 1, 8; Kißler, Ö f fentlichkeitsfunktion, 151 f., 158; Schönfeld, Das Z i t i e r - , Z u t r i t t s - u n d Rederecht des A r t . 43 GG, 3 - 5 ; jeweils m. w . N. 176 E i n allgemeines „ A u s k u n f t s - u n d Informationsrecht des BT. gegenüber der BReg. hinsichtlich innen- oder (und) außenpolitischer Fragen" nehmen von Mangoldt / K l e i n , Vorbem. I I I 3 j vor A r t . 38 (S. 872), Vorbem. I I I 3 a vor A r t . 62 (S. 1195), an. — I n jüngster Zeit ist das Problem vor allem i m Zusammenhang m i t der staatsleitenden Planung erörtert worden; zur „Planungsinformationspflicht" der Regierung bzw. zum „Planungsinformationsanspruch" des Parlaments vgl. Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 86 - 90; Dobiey, Politische Planung, 109 f. m. w. N. i n A n m . 111; Frank, Politische Planung, 242252; Zwischenbericht der Enquete-Kommission f ü r Fragen der Verfassungsreform, 1. Teil, Abschnitt V, Ziff. 2.1.3, 2.2 (S. 47); Schlußbericht, Kap. 11, Ziff. 6.3.2 (S. 177). 177 Z u m Gebrauch der Begriffe „Recht" u n d „Pflicht" i n diesem Zusammenhang vgl. Morscher, Die parlamentarische Interpellation, 346 - 351 m. w. N. — Z u r Korrelation von Recht u n d Pflicht ebenfalls i n diesem Zusammenhang vgl. Schönfeld (Anm. 175), 4 f. m. w . N. 178 Z u r geschichtlichen E n t w i c k l u n g des Zitierungs- u n d Interpellationsrechts vgl. ζ. B. Fauser, Die Stellung der Regierungsmitglieder, 9 9 - 104; L u t terbeck, Parlament u n d Information, 121-125; Schönfeld (Anm. 175), 1 1 - 5 1 ; Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n der Großen, Kleinen u n d M ü n d lichen Anfragen i m Deutschen Bundestag, 1 4 - 3 9 ; jeweils m. w. N. 179 Vgl. Lutterbeck (Anm. 178), 124 f.; Witte-Wegmann (Anm. 178), 81.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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liehe Gewährleistung erfordert danach ausdrückliche Verankerung i m Verfassungstext. Andernfalls ist das Interpellationsrecht, wie es Laband formulierte, „weiter nichts als die allgemeine, recht vielen Menschen zukommende Fähigkeit, an die Regierung Fragen zu stellen, welche dieselbe je nach ihrem Belieben einer A n t w o r t würdigen oder unbeantwortet lassen kann. Politisch mag eine i m Reichstag gestellte Interpellation von der höchsten Wichtigkeit sein; staatsrechtlich ist sie vollständig wirkungslos und ohne alle Bedeutung" 1 8 0 . Eine dem Positivismus weniger verhaftete Betrachtungsweise erkennt demgegenüber einen engen Zusammenhang zwischen dem Zitierungsund dem Interpellationsrecht. Fragerecht des Parlaments und A n t w o r t pflicht der Regierung sind danach von dem Zitierungsrecht des Parlaments als dessen konkretisierende Ausprägungen mitumfaßt. Anwesenheit der Regierung i m Parlament bedeutet dementsprechend, nach den Worten von Anschütz, „nicht stummes Dabeisitzen, sondern Beteiligung an den parlamentarischen Verhandlungen, insbesondere die Pflicht der Minister, auf Anfragen des Reichstags Rede und A n t w o r t zu stehen" 1 8 1 . Dieser umfassenden Ausdeutung der geschichtlichen Entwicklung, die auch die Verfassungspraxis m i t einbezieht 182 , hat sich die überwiegende Lehre und Praxis unter dem Grundgesetz angeschlossen 183 . Z u einer überzeugenden Begründung aus der Verfassungsordnung des Grundgesetzes selbst ist sie jedoch bisher insofern nicht gelangt, als sie i n A n lehnung an die wenig systematische Verfassungsregelung 184 zu einer entsprechend isolierten Behandlung der i n Betracht kommenden einzel180

Laband, Staatsrecht I, 307. Anschütz, Kommentar, A r t . 33 A n m . 1. — A u f eine nahezu gleichlautende Formulierung schon bei E. Hubrich (Preußisches Staatsrecht, 1909, S. 209) macht Lutterbeck (Anm. 178), 122, aufmerksam. 182 Z u diesem Erfordernis vgl. oben, Kap. I 5. 183 Vgl. etwa von Mangoldt / Klein, A r t . 43, A n m . I I I 2 (S. 936); Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 43, Randnr. 1, 8; Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge i m deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 124; Brohm, Sachverständige u n d Politik, 63; Herzog / Pietzner, Gutachten, 73 f.; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 142. — Α. A . sind vor allem diejenigen, die eine scharfe Trennung zwischen dem Zitierungsrecht als parlamentarischem Mehrheitsrecht u n d dem Interpellationsrecht als Minderheitsrecht ziehen; vgl. dazu unten, Abschnitt 3 c. — Z u r praktischen Handhabung des Zitierungs- u n d Interpellationsrechts unter dem GG vgl. Scholler, Politische Studien 1970, 406-415; Thaysen, Z P a r l 1974, 459-469; Fauser (Anm. 178), 113 - 116; Schönfeldt (Anm. 175), 7 7 - 8 3 ; W i t t e - Wegmann (Anm. 178), 40 - 79. 184 Vgl. etwa das fragliche Verhältnis von A r t . 35 I u n d A r t . 44 I I I (dazu statt aller Rechenberg, i n : Bonner Kommentar, A r t . 44, Randnr. 24 m. w. N.) oder von A r t . 43 u n d A r t . 53 a I I (dazu statt aller Delbrück, i n : Bonner Kommentar, A r t . 53 a, Randnr. 34 f. m. w . N.) sowie den fraglichen systematischen Standort von A r t . 53 S. 3 (dazu Schüle, Die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat, 443, 452 f.). 181

310 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

nen Bestimmungen über die Informationsbeziehungen zwischen den staatlichen Organen, wie etwa der Art. 43, 44, 53 oder 53 a GG, neigt. Bei näherer Betrachtung weisen die scheinbar isolierten Einzelnormen jedoch durchaus Verbindungen auf, die lediglich infolge der Nachwirkungen des positivistischen Trennungsdenkens und wegen des allgemein knappen Stils verfassungstextlicher Aussagen einen sprachlich unvollkommenen Ausdruck gefunden haben 1 8 5 . Der Zusammenhang w i r d erkennbar auf dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Organ- und Funktionenordnung, die i m Bereich der Staatsleitung geprägt w i r d durch den Informationsvorsprung der Regierung als Spitze des Exekutivapparates und dem Wertungsvorsprung des Parlaments als Organ der Vielen 1 8 6 . Aufgrund dieses organadäquat bedingten Unterschiedes ist das Verhältnis der beiden Verfassungsorgane nicht auf ein unverbundenes Nebeneinander oder eine allmähliche Angleichung, sondern auf eine gegenseitige Informations- und Wertungsergänzung ausgerichtet 187 . Ohne ausreichende Information kann das Parlament seine Funktionen nicht wirksam wahrnehmen. I m modernen Staat des Grundgesetzes benötigen die Abgeordneten über ihren „gesunden Menschenverstand" und „politischen Instinkt" hinaus eine solide Informationsbasis für ihre Beratungen und Entscheidungen unabhängig davon, ob es sich u m die M i t w i r k u n g am staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß i m allgemeinen oder um die Aufgaben der Gesetzgebung i m besonderen handelt. Dies hat sich bei der Untersuchung der Mitentscheidung und Kontrolle des Parlaments ebenso gezeigt, wie bei der Erörterung der Verantwortlichkeit und der Handlungsfähigkeit der Regierung. Das Parlament muß informiert sein, vor allem über die Regierung und ihre Tätigkeit, wenn es — mitentscheidend oder kontrollierend, präventiv oder sukzessiv — seine Aufgaben i m differenzierten Zusammenwirken m i t der Regierung wirksam erfüllen soll 1 8 8 . Ausreichende Information bedeutet grundsätzlich umfassende Information. Ohne vollständige Information kann das Parlament weder aus der Fülle der möglichen Regelungen die bedeutsamen auswählen und i n Parlamentsgesetzen erfassen noch aus der Fülle der möglichen Stellungnahmen die richtungsweisenden herausarbeiten und i n schlichten Parlamentsbeschlüssen zum Ausdruck bringen. Ausreichende Informa185

Z u r Leistungsfähigkeit des Verfassungstextes vgl. oben, Kap. 15. — A u s führlicher sind demgegenüber einige Länderverfassungen (vgl. Bremen: A r t . 98,100; Hamburg: A r t . 23, 24; Saarland: A r t . 78). 188 Vgl. dazu oben, Kap. V 2 b u n d c. 187 Vgl. dazu oben, Kap. I I 5 b, V 2 d, 3. 188 Vgl. dazu oben, Kap. V 2 u n d 4 sowie die Abschnitte 1 c u n d 2 i n diesem Kap.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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tion bedeutet jedoch nicht einfach ein Mehr an Information 1 8 9 . Eine lediglich quantitative Steigerung der Information berücksichtigt weder die begrenzte Arbeitskapazität des Parlaments noch die Aufgabenverteilung zwischen den Verfassungsorganen. Der Informationsbedarf des Parlaments ist kein beliebig auffüllbares Vakuum, sondern eine i m Rahmen der verfassungsrechtlichen Aufgabenzuordnung nach den Maßstäben der Organadäquanz und der Funktionsgerechtigkeit zu bestimmende Größe 1 9 0 . Dementsprechend steht es weder i m Belieben des Parlaments, eine dem Exekutivapparat nacheifernde Gegenbürokratie zur regierungsunabhängigen Informationsversorgung aufzubauen, noch i m Belieben der Regierung, die m i t ihrem Exekutivapparat gewonnene oder zu gewinnende Information dem Parlament vorzuenthalten und für sich allein zu nutzen. Gegenseitige Informations- und Wertungsergänzung bedeutet vielmehr, daß die Regierung m i t ihrem dafür ausgestatteten Exekutivapparat die für den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß erforderliche Information grundsätzlich umfassend gewinnt, aber ebenso grundsätzlich umfassend m i t dem Parlament teilt, während das Parlament seinen Wertungsvorsprung durch Mitentscheidung und Kontrolle einbringt 1 9 1 . Die Informationsbeziehungen zwischen den beiden Verfassungsorganen stellen sich somit dar als ein Dialog i m Bereich der Staatsleitung, der gleichermaßen genährt w i r d durch den Informationsvorsprung der Regierung wie durch den Wertungsvorsprung des Parlaments. Diese i n Anknüpfung an die bisherigen Untersuchungsergebnisse gewonnene grundsätzliche Erkenntnis von den Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung als einem staatsleitenden Dialog bedarf der näheren Aufschlüsselung anhand der dafür i n Betracht kommenden einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes. b) Zur Ausgestaltung

des staatsleitenden

Dialogs

Der Ausgestaltung des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung dient — neben dem schon angeführten A r t . 43 I GG — zunächst A r t . 43 I I GG, der das Zutritts- und Anhörungsrecht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und seinen Ausschüssen gewähr189 Dagegen insbesondere auch Lutterbeck, Parlament u n d Information, 181 ; vgl. auch Frohn, Gesetzesbegriff u n d Gewaltenteilung, 132 m. w . N., der auf den Unterschied zwischen (bloßen) Daten u n d (entscheidungserheblicher) I n formation hinweist. 190 I m neueren Schrifttum w i r d der Zusammenhang von Informationsbedarf u n d F u n k t i o n des Parlaments zwar i m m e r deutlicher erkannt (vgl. etwa K e l l e r / R a u p a c h , Informationslücke des Parlaments, 57; Egloff, Informationslage, 21, 43), das M e r k m a l der Organadäquanz jedoch nicht genügend beachtet. 191 Vgl. oben, Kap. V 4.

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

leistet. Eine isolierte und wörtlich strenge Auslegung müßte auch bei dieser Bestimmung zu dem Ergebnis gelangen, daß dem Verpflichteten lediglich „stummes Dabeisitzen" obliegt. Parlament und Regierung könnten sich dann zwar gegenseitig zur Anwesenheit und zum Anhören ihrer Monologe zwingen, brauchten sich aber nicht auf einen Dialog einzulassen. Betrachtet man das unmittelbare Nebeneinander von Zitierungs-, Zutritts» und Anhörungsrecht hingegen als einen Ausdruck des kooperativen Zusamenwirkens von Parlament und Regierung 1 9 2 , so erscheint A r t . 43 GG als „Kardinalnorm des parlamentarischen Kontaktes" 1 9 3 , die es jedem der beiden Verfassungsorgane ermöglicht, die gegenseitig erforderliche Informations- und Wertungsergänzung durch die Kommunikationsmittel von Frage und Antwort, Rede und Gegenrede 194 jederzeit einzuleiten und notfalls auch zu erzwingen 1 9 5 . Für das Parlament stellen sich die dabei von der Regierung erlangten Auskünfte allerdings als gefilterte Fremdinformation dar, die nicht immer sogleich und i n vollem Umfang auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden kann 1 9 6 . Zur wirksamen Gegenkontrolle bedarf das Parlament daher zusätzlicher M i t t e l der Selbstinformation 1 9 7 . Der Ausgestaltung des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung dienen weiter die A r t . 44 und 45 a bis c GG. Danach können Untersuchungsausschüsse des Bundestages, denen Gerichte und Verwal192 Vgl. dazu Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 43, Randnr. 10 (Art. 43 I I als „Gegenstück" zu A r t . 43 I GG); Schönfeld, Das Z i t i e r - , Z u t r i t t s u n d Rederecht des A r t . 43 GG, 5 m. w . N. 193 So Herzog / Pietzner, Gutachten, 88 f., i m Anschluß an eine Formulierung von Scupin (Bonner Kommentar, A r t . 53, A n m . I I 1) ; ebenso Lutterbeck, Parlament u n d Information, 148; Dobiey, Politische Planung, 108; vgl. auch von Mangoldt / Klein, A r t . 43, A n m . I I 2 (S. 936); Maunz (Anm. 192), A r t . 43, Randnr. 1; ablehnend Schröder, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43, Randnr. 20. 194 Vgl. auch BVerfGE 10, 4, 13: Parlament als „ F o r u m für Rede u n d Gegenrede". — Z u r Pflicht der Regierung, dem Parlament neben mündlichen auch schriftliche Auskünfte zu erteilen, vgl. Herzog / Pietzner, Gutachten, 77 f. (bejahend); Achterberg, Parlamentsrecht, 61 (zweifelnd); Bogs, Der Staat 1974, 213 A n m . 11 (verneinend). 195 Die Erzwingung mag schwierig sein, erscheint jedoch nicht unmöglich (z.B. über Aktenvorlage m i t verfassungsgerichtlicher Hilfe); dies ist keine Besonderheit i m Bereich der Verfassungsorgane u n d nötigt nicht dazu, n u r eine „politische" Pflicht anzunehmen oder gar das eindeutig i m G G verankerte Zitierungsrecht als überflüssig abzuschaffen, w i e etwa Fauser, Die Stell u n g der Regierungsmitglieder, 110 - 113,117 f., vorschlägt. 198 Vgl. dazu Morscher, Die parlamentarische Interpellation, 197- 199; K r ö ger, Ministerverantwortlichkeit, 146; Ehmke, Untersuchungsausschüsse, E 22, 35; Partsch, Untersuchungsausschüsse, 190; Gehrig, Parlament - Regierung Opposition, 295. 197 Vgl. auch Partisch (Anm. 196), 13; Lutterbeck, Parlament u n d Information, 126; Gehrig (Anm. 196), 287; H.-P. Schneider, AöR 1974, 630; Herzog / Pietzner, Gutachten, 93.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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tungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet sind, „die erforderlichen Beweise erheben" (Art. 44 I, III), hat der Ausschuß für Verteidigung „die Rechte eines Untersuchungsausschusses" (Art. 45 a II), w i r d ein Wehrbeauftragter als Hilfsorgan des Bundestages „bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle" berufen (Art. 45 b) und bestellt der Bundestag einen Petitionsausschuß „zur Überprüfung von Beschwerden" (Art. 45 c II). Obwohl das Untersuchungsrecht des Parlaments ursprünglich gleichgewichtig auf die Erlangung „bloßer Information" 1 9 8 gerichtet w a r 1 9 9 , ist es immer mehr zu einem M i t t e l der Mißstandsaufdeckung und der Kontrolle der Regierung und Verwaltung i m Sinne von (negativer) K r i t i k geworden 2 0 0 . Dementsprechend w i r d das Untersuchungsrecht von der überwiegenden Meinung nicht nur auf die Parlamentsfunktionen beschränkt (sog. Korollartheorie) 2 0 1 , was i m Grunde selbstverständlich ist, sondern auch auf ein nachträgliches und lediglich konkrete Einzelfälle aufgreifendes Tätigwerden des Parlaments 2 0 2 . Zwar ist auch dafür eine solide Informationsbasis unabdingbare Voraussetzung, so daß die Untersuchungsrechte des Parlaments i m weiteren Sinn auf eine Informationsgewinnung abzielen; aber der ständige und umfassende, auch die zukünftige Entwicklung einbeziehende Informationsbedarf des Parlaments i m modernen Staat des Grundgesetzes läßt sich durch solche Ex-post- und Ad-hoc-Untersuchungen nicht befriedigen 203 . Selbst wenn sich diese Reduzierungen des parlamentarischen Untersuchungsrechts durch die herrschende Meinung nicht zwingend aus der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ergeben sollten 2 0 4 , wären seiner Erweiterung insofern 198 Z u r „bloßen Information" vgl. Morscher (Anm. 196), 342 - 344, der sie als Zweck der Interpellation u . a . m i t der „politischen" Begründung ablehnt, ausschließlich auf Information abstellende Anfragen an die Regierung v e r möchten das Ansehen des Parlaments zu schädigen, „ w e i l der Eindruck parlamentarischer Uninformiertheit entstehen k a n n " (!); dagegen zu Recht L u t t e r beck (Anm. 197), 152 f. 199 Dazu etwa Zweig, ZfP 1913, 269. 200 Vgl. etwa Partsch (Anm. 196), 21 f., 29; Schäfer, Der Bundestag, 277 - 279; Scheuner, Kontrolle, 43. — Einfluß auf diese Wendung nahm vor allem M. Weber, Parlament u n d Regierung, 341 - 348. 201 Zurückgehend auf Zweig, ZfP 1913, 267. 202 Vgl. zu den verschiedenen Beschränkungen Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 44, Randnr. 1 4 - 2 2 ; Lutterbeck, Parlament u n d I n f o r m a tion, 127 - 129; Partsch, Untersuchungsausschüsse, 15 - 20, 23; Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 182 f. 208 Vgl. auch Steinmüller u. a. (Anm. 202), 183 f., 188, die zutreffend darauf hinweisen, daß es nicht so sehr u m K r i t i k des Regierungskurses, „als vielmehr p r i m ä r u m Offenbarung eben dieses Kurses geht"; vgl. auch Lutterbeck (Anm. 202), 180 f.; Dobiey, Z P a r l 1974, 322; Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, 212 f.; Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 226 f. 204 Kritisch etwa Ehmke, Untersuchungsausschüsse, E 30, 32 f.; Steinmüller u. a. (Anm. 202), 183 f.

314 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

enge Grenzen gesetzt, als die Untersuchungsausschüsse „sinngemäß" an die Vorschriften über den Strafprozeß (!) gebunden sind und der Wehrbeauftragte sowie der Petitionsausschuß nur einen kleinen Ausschnitt des parlamentarischen Aufgabenbereichs abdecken 205 . Eine Reform, die dem Parlament die Informationsbeschaffung erleichtert, erscheint deshalb als besonders dringlich 2 0 6 . Neben dem Erfordernis einer ungefilterten Selbstinformation des Parlaments — vor allem durch unmittelbaren Zugriff auf A k t e n 2 0 7 und Datenbanken 2 0 8 i m Bereich der Regierung und ihres Exekutivapparats — w i r d dabei die begrenzte A r beitskapazität des Parlaments 2 0 9 und das Interesse der Regierung an einer ungestörten Aufgabenwahrnehmung zu berücksichtigen sein 2 1 0 . Da die Verfassungsordnung des Grundgesetzes den Ausbau des parlamentarischen Hilfsapparats zu einer Gegenbürokratie nicht zuläßt, kann die Selbstinformation des Parlaments die Fremdinformation durch die Regierung und ihren dafür ausgestatteten Exekutivapparat nicht ersetzen, sondern stets nur ergänzen, u m den Richtigkeitsund Vollständigkeitsgehalt der Regierungsinformation zu überprüfen und zu gewährleisten. Angesichts der zunehmenden Quantität und Komplexität moderner Staatsaufgabenbewältigung benötigt das Parlament über die Selbstinformation durch Untersuchung und Zugriff sowie die Fremdinformation durch Frage und A n t w o r t hinaus eine laufende Unterrichtung, um überhaupt die relevanten Fragen stellen und zielstrebige Untersuchungen einleiten zu können 2 1 1 . Damit erhebt sich das Problem einer Berichtspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament 2 1 2 .

205 v g l . auch — für die Untersuchungsausschüsse — Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 57 A n m . 126; Ehmke (Anm. 204), E 7 f., 35; Lutterbeck (Anm. 202), 130; Schäfer, Der Bundestag, 283. 208 I h r dienen v o r allem die Enquete-Kommissionen (vgl. dazu etwa den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 4, Ziff. 2, S. 5 7 - 6 0 ; Scheuner, Kontrolle, 44 f. m. w . N.) u n d die sog. Hearings (dazu etwa Appolt, Die öffentlichen Anhörungen („Hearings") des Deutschen Bundestages, 1971). 207 Vgl. dazu Bogs, Der Staat 1974, 209-238; H.-P. Schneider, AöR 1974, 628 - 646; Partsch, Untersuchungsausschüsse, 125 - 133. 208 v g l . dazu Dobiey, Z P a r l 1974, 316 - 325; Frohn, Gesetzesbegriff u n d Gewaltenteilung, 148-157; Scheuner, Kontrolle, 49; Schröder, i n : Bonner K o m mentar, A r t . 43, Randnr. 17 f. 209 Vgl. dazu schon oben, Kap. V 4; ferner Ehmke (Anm. 204), E 20 f., 32 f., 35; Schröder (Anm. 208), Randnr. 19. 210 Vgl. dazu unten, Abschnitt 3 c. 211 Vgl. Oberndörfer, Politische Planung, 333 f.; auch Dobiey, Politische Planung, 105; ders., Z P a r l 1974, 321; Bogs, Der Staat 1974, 212; Kempen (Anm. 203), 212 f. 212 Vgl. dazu allgemein den Überblick bei Derlien, Z P a r l 1975, 42 - 47.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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Der Ausgestaltung des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung dient ferner A r t . 53 a I I GG, der die Bundesregierung verpflichtet, den Gemeinsamen Ausschuß über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten, der aber ausdrücklich die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse nach A r t . 431 GG unberührt läßt. I n dem das Grundgesetz, wie diese Nichtberührungsklausel zeigt, von einer möglichen Überschneidung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Bundesregierung und des Bundestages einschließlich seiner Ausschüsse nach A r t . 53 a I I und A r t . 43 I ausgeht, setzt es zugleich voraus, daß dem Bundestag und seinen Ausschüssen neben einem Herbeirufungsrecht auch ein Informationsrecht gegenüber dem Bundesregierung zusteht bzw. dieser neben einer Erscheinungspflicht eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Bundestag und seinen Ausschüssen obliegt 21 «. Eine solche laufende Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament w i r d bestätigt durch A r t . 53 GG 2 1 4 , der unmittelbar nur das Verhältnis von Bundesregierung und Bundesrat regelt. Neben einem Z i tierungsrecht des Bundesrates und einem Anhörungsrecht der Bundesregierung enthält er die Pflicht der Bundesregierung, den Bundesrat „über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden zu halten" 2 1 5 . Nimmt man den Grundgedanken des Art. 35 I GG hinzu, wonach sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe zu leisten haben 2 1 6 , so erscheint es näherliegend, i n der Berichtspflicht des A r t . 53 GG die ausdrückliche Bestätigung einer allgemeinen Aufklärungspflicht der „informierten G e w a l t " 2 1 7 gegenüber den weniger informierten Verfassungsorganen zu sehen als eine einmalige Sonderregelung lediglich zugunsten eines dieser Organe 218 . Dafür spricht 213 Ebenso i m Ergebnis Herzog / Pietzner, Gutachten, 85; Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 53 a, Randnr. 66; vgl. auòh Delbrück, i n : Bonner Kommentar, A r t . 53 a, Randnr. 35. — A. A. Dobiey, Politische Planung, 110, der aber verkennt, daß es nicht u m eine Analogie zu A r t . 53 a GG geht, sondern u m das verfassungsauthentische Verständnis, das A r t . 43 I G G i n dieser Bestimmung gefunden hat; ablehnend auch Schröder (Anm. 208), Randnr. 16; Linck, D Ö V 1979,119. 214 So auch Herzog / Pietzner (Anm. 213); Herzog (Anm. 213), A r t . 53 a, Randnr. 61, 65. 215 Vgl. dazu grundlegend Schüle, Die Informationspflicht der Bundesregier u n g gegenüber dem Bundesrat, 441 -471. 216 F ü r eine Heranziehung des A r t . 35 I GG i n diesem Zusammenhang auch Herzog / Pietzner, Gutachten, 88; vgl. auch H.-P. Schneider, AöR 1974, 642. 217 Vgl. dazu oben, Kap. V 2 b. 218 So wegweisend Herzog / Pietzner, Gutachten, 9 0 - 9 2 ; ebenso Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 8 8 - 9 0 ; Dobiey, Politische Planung, 108; Lutterbeck, Parlament u n d Information, 133; V i t z t h u m , Parlament u n d Planung, 341; ferner die Enquete-Kommission Verfassungsreform, die i n ihrem Zwischenbericht (1. Teil, Abschnitt V, Ziff. 1.3, 2.2, S. 46 f.) noch eine Einfügung einer entspre-

316 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

vor allem, daß der Bundestag zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht minder auf eine Regierungsunterrichtung angewiesen ist als der Bundesrat. Die Möglichkeit des konstruktiven Mißtrauensvotums, die dem Bundestag anders als dem Bundesrat zur Verfügung steht, ändert daran insofern nichts, als dessen Handhabung eine zureichende Information über die Führung der Regierungsgeschäfte voraussetzt, nicht aber ersetzt. Insgesamt erweisen sich die einzelnen Bestimmungen über die Informationsbeziehungen als abgestufte Ausprägungen des· allgemeinen Ergänzungsverhältnisses zwischen Parlament und Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Diese verleiht den beiden Verfassungsorganen zwar eine unterschiedliche Struktur und bewirkt dadurch einen Informationsvorsprung der Regierung bzw. einen Wertungsvorsprung des Parlaments, sorgt aber zugleich für einen funktionsgerechten Ausgleich der beiderseitigen Defizite. I m Vordergrund steht dabei A r t . 43 GG, der die beiden Verfassungsorgane durch das unmittelbare Nebeneinander von Zitierungs-, Zutritts- und Anhörungsrecht zu einem Dialog, nicht lediglich zu parallelen Monologen verpflichtet; A r t . 53, 53 a I I und 35 I GG gehen ergänzend davon aus, daß die Regierung als die informierte Gewalt das Parlament über die Führung ihrer Geschäfte auf dem laufenden hält; A r t . 44 und 45 a bis c GG räumen dem Parlament schließlich die Möglichkeit der ergänzenden Informationsbeschaffung sowohl über die Regierung als auch unabhängig von ihr ein. Damit stellt sich abschließend die Frage nach den Grenzen des staatsleitenden Dialogs, insbesondere danach, ob und inwieweit die Regierung dem Parlament nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes Auskünfte verweigern darf. c) Grenzen des staatsleitenden

Dialogs

Die verfassungsrechtliche Tragweite des staatsleitenden Dialogs hängt weniger von der Anerkennung einer generellen Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament als von den speziellen Grenzen ab, auf welche sich die Regierung gegenüber einem Auskunftsverlangen des Parlaments zurückziehen kann. Von der herkömmlichen Lehre und Praxis w i r d überwiegend eine weite Ausdehnung dieser Grenzen befürwortet, was zu einer entsprechenden Zurückdrängung und letztlich zur chenden Verfassungsbestimmung vorschlug (Art. y, Abs. 1), dies aber i n ihrem Schlußbericht (Art. 28 a, neu; vgl. Kap. 11, Ziff. 1.2, S. 151) nicht mehr f ü r erforderlich hält. — Α. A. (ohne Begründung) Maunz, Staatsrecht, 365, auf den sich von Mangoldt / Klein, A r t . 53, A n m . I V 9 (S. 1057) — i m Widerspruch zu ihrer Annahme eines allgemeinen Auskunfts- u n d Informationsrechts des Bundestages gegenüber der Bundesregierung (vgl. dazu oben, A n m . 176) — berufen.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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Neutralisierung der zunächst grundsätzlich angenommenen allgemeinen Rede- und Antwortpflicht der Regierung f ü h r t 2 1 9 . So w i r d teilweise vertreten, die Regierung entscheide selbst über den Umfang der Parlamentsunterrichtung 2 2 0 ; damit verbleibt lediglich eine formelle Antwortpflicht 2 2 1 , die das Informationsrecht des Parlaments praktisch leerlaufen läßt. Eine nur scheinbare Besserstellung des Parlaments ist es, wenn der Regierung teilweise eine unmotivierte oder prinzipielle Antwortverweigerung abgesprochen w i r d 2 2 2 , solange Unklarheit darüber besteht, welche „Motive" eine Weigerung rechtfertigen. Auch der erläuternde Hinweis, daß es sich dabei um wichtige Gründe (Geheimhaltung u. a.) handeln müsse 223 , deutet nur die Problemrichtung an; i h m fehlt es jedoch an der notwendigen Präzisierung, die es verhindert, daß sich die Regierung dem Auskunftsverlangen des Parlaments unkontrollierbar entzieht. Ähnliche Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Tragweite des parlamentarischen Untersuchungsrechts, auf das die Vorschriften des Strafprozesses „sinngemäß" anzuwenden sind. Problematisch ist vor allem eine entsprechende Heranziehung der §§ 54 und 96 StPO 2 2 4 , die der Regierung, die vom Parlament kontrolliert werden soll, die Möglichkeit einräumen würde, die Aussage von öffentlichen Bediensteten oder die Vorlage von A k t e n zu verweigern. Die Schwierigkeiten, i n die sich die herkömmliche Lehre und Praxis mangels übergreifender Kriterien verstrickt, lassen sich bei den Grenzen — ebenso wie schon bei dem Grundsatz 2 2 5 — des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung nur lösen, wenn die i n Betracht kommenden Verfassungsbestimmungen i n ihrem Zusammenhang betrachtet und bewertet werden. Soll die grundsätzliche Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament nicht durch ein unbegrenztes Auskunftsverweigerungsrecht aufgezehrt werden, so bedarf es einer möglichst präzisen Umschreibung der Ausnahmetatbestände und zugleich eines möglichst zuverlässigen Verfahrens zur Feststellung ihres Vorliegens i n Zweifelsfällen. Solche Ausnahmetatbestände könnten verfassungsrechtlich zum einen dadurch begründet sein, daß 219 So auch Egloff, Informationslage, 65 f.; Gehrig, Parlament - Regierung Opposition, 292 f. 220 V o n Mangoldt / K l e i n , A r t . 43, A n m . I I I 2 (S. 937), 221 Dazu Morscher, Die parlamentarische Interpellation, 352 f. m. w. N. 222 Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 43, Randnr. 8. 225 Maunz, ebd. 224 Vgl. dazu von Mangoldt / Klein, A r t . 44, A n m . I I I 5 b (S. 948); Maunz (Anm. 222), A r t . 44, Randnr. 57; Rechenberg, i n : Bonner Kommentar, A r t . 44, Randnr. 26 f.; Partsch, Untersuchungsausschüsse, 125 - 144; jeweils m. w. N. 225 Vgl. oben, Abschnitt 3 a i n diesem Kap.

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V . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

der Regierung ein bestimmter „Geheimhaltungsbereich" allein zusteht, den sie m i t dem Parlament auch informationsmäßig nicht zu teilen braucht, und zum anderen daraus folgen, daß die Regierung nur dem Parlament insgesamt, also aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses, nicht jedoch aufgrund eines Minderheitsbegehrens zur Auskunft verpflichtet ist. Da kein Staat ohne Geheimhaltung auskommen k a n n 2 2 6 und ferner die Willensbildung der Regierung grundsätzlich vertraulich, diejenige des Parlaments hingegen ebenso grundsätzlich öffentlich stattfindet 2 2 7 , scheint es selbstverständlich, daß geheimhaltungsbedürftige Staatsangelegenheiten am besten i m Arkanbereich der Regierung aufgehoben sind. Dementsprechend hält die überwiegende Lehre und Praxis die Regierung nicht für verpflichtet, derartige Angelegenheiten dem Parlament mitzuteilen 2 2 8 . Damit besteht die Gefahr, daß sich die Regierung durch Berufung auf Geheimhaltungsbedürfnisse der M i t w i r k u n g und Kontrolle des Parlaments gerade i m geheimnisträchtigen Bereich der Staatsleitung entzieht. Teilweise w i r d deshalb eine sachliche Präzisierung und eine verfahrensmäßige Überprüfungsmöglichkeit der Geheimhaltungsgründe befürwortet. So schlägt etwa die Enquete-Kommission Verfassungsreform vor, den allgemeinen Begriff des Staatswohls 229 aufzuschlüsseln i n „die äußere, innere oder wirtschaftliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihre Beziehungen zu anderen Staaten" sowie zu verlangen, daß diesen Gütern „erhebliche" — nicht nur einfach — „Nachteile" drohen und daß die Regierung ihre Auskunftverweigerung gegenüber dem Parlament glaubhaft macht, indem sie Tatsachen anführt, „aus denen sich ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für die erhebliche Benachteiligung ergibt" 2 3 0 . Bei näherer Betrachtung vermag jedoch die herkömmliche Anschauung, die sich i n ihrem Grundsatz auf den Dualismus der konstitutionellen Monarchie zwischen Regierung und Parlament zurückführen läßt 2 3 1 , auch 226

Vgl. A r n d t , N J W 1960, 2040. Vgl. dazu oben, Kap. I I I 4 e. 228 Vgl. etwa von Mangoldt / Klein, A r t . 43, A n m . I I I 2 (S. 937) ; Maunz (Anm. 222), A r t . 43, Randnr. 8; Partsch (Anm. 224). Eine Ausnahme soll jedoch f ü r Untersuchungen nach A r t . 44 GG gelten; vgl. von Mangoldt / K l e i n , A r t . 44, A n m . I I I 5 b (S. 948); Maunz, A r t . 44, Randnr. 57; Rechenberg (Anm. 224), A r t . 44, Randnr. 27. 229 Die einschlägigen Vorschriften über den Strafprozeß, deren sinngemäße A n w e n d u n g hier i n Betracht k o m m t (vgl. dazu oben, i n u n d zu A n m . 224), sprechen regelmäßig v o m „ W o h l des Bundes oder eines deutschen Landes" (vgl. z. B. § 54 StPO m i t § 39 BRRG, § 96 StPO). 230 v g l . Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kap. 4, Ziff. 1.2 (S. 52), Ziff. 1.3.4 (S. 56): betr. Neufassung des A r t . 44 I I I GG nebst Begründung; vgl. auch ebd., Ziff. 2.3.1.4 (S. 59): betr. Enquete-Kommissionen. 227

281

So auch Herzog / Pietzner, Gutachten, 80.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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i m Falle ihrer Präzisierung den Anforderungen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht zu genügen. Nach Art. 53 a I I GG hat die Bundesregierung den Gemeinsamen Ausschuß über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten, wobei die Rechte des Bundestages und seiner Ausschüsse nach Art. 43 I GG unberührt bleiben. Damit geht das Grundgesetz, wie auch die A r t . 45 a I I (Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß) und 45 b (Wehrbeauftragter als Hilfsorgan bei der parlamentarischen Kontrolle) bestätigen, davon aus, daß der Bundestag i n seiner Information selbst von dem klassischen Geheimhaltungsbereich der äußeren Staatssicherheit nicht ausgeschlossen sein soll 2 3 2 . Nach Wortlaut und Sinn der Verfassung ist das Staatswohl der Bundesrepublik Deutschland — und entsprechend das allgemeine und individuelle Wohl der Staatsbürger — dem Bundestag nicht weniger anvertraut als der Bundesregierung. Auch die Befürchtung, daß der Bundestag infolge seiner Organisationsund Verfahrensstruktur zur Behandlung geheimhaltungsbedürftiger Staatsangelegenheiten nicht geeignet sei, erweist sich bei näherer Prüfung als einem überholten Ideal parlamentarischer öffentlichkeits- und Plenartätigkeit verhaftet. I n seinen organisatorischen wie i n seinen verfahrensmäßigen Möglichkeiten steht der Bundestag weder von Verfassungs wegen noch aus tatsächlichen Gründen hinter der Bundesregierung zurück, wenn es darum geht, sich den besonderen Bedingungen anzupassen, welche eine Behandlung geheimhaltungsbedürftiger Vorgänge erfordert 2 3 3 . Wie das Grundgesetz i n seinen A r t . 42, 45 a und 53 a zu erkennen gibt, müssen weder alle Angelegenheiten i m Bundestag öffentlich verhandelt noch sämtliche Abgeordnete unterschiedslos m i t allen Angelegenheiten befaßt werden. Differenzierungen dieser A r t mögen dem liberalen Ideal der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen und der Gleichheit der Abgeordneten widersprechen, bestätigen jedoch die grundsätzlich als pragmatisch erkannte Ausrichtung des Grundgesetzes 234 , die es überhaupt erst ermöglicht, das Parlament an den empfindlichsten Staatsangelegenheiten zu beteiligen, ohne den Staat selbst zu gefährden 235 . 232

Vgl. auch Herzog / Pietzner, ebd., 81; Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog/ Scholz, A r t . 53 a, Randnr. 66; ferner Delbrück, i n : Bonner Kommentar, A r t . 53 a, Randnr. 35; i. E. auch Schröder, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43, Randnr. 43a; Steinmüller u.a., Das Informationsrecht des Parlaments, 191; vgl. auch Bogs, Der Staat 1974, 224. 233 v g l , z u r grundsätzlichen Anpassungsfähigkeit der parlamentarischen Organisation u n d Arbeitsweise an die parlamentarische Aufgabenstellung oben, Kap. I I I 4 b. 234

Vgl. dazu oben, Kap. I I I 4 b. Vgl. auch Delbrück (Anm. 232), A r t . 53 a, Randnr. 14; Herzog / Pietzner, Gutachten, 81. 285

320 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

I n der Verfassungskonkretisierenden Praxis mehren sich die Beispiele, die zeigen, daß der Bundestag fähig und gewillt ist, die i m Grundgesetz vorgezeichneten Möglichkeiten einer differenzierten Beteiligung an der Staatsleitung zu nutzen, u m der Bundesregierung das Feld nicht allein zu überlassen 236 . Damit ergeben sich auch für die Regierung Möglichkeiten, von i h r als geheimhaltungsbedürftig betrachtete Angelegenheiten zunächst einem ausgewählten und sachverständigen Gremium des Parlaments vorzutragen und sodann m i t diesem gemeinsam über die Zulässigkeit und Modalität einer Veröffentlichung zu beraten. Hier könnten auch die Bemühungen u m eine Präzisierung und Objektivierung der Geheimhaltungstatbestände ihren Nutzen entfalten. Insgesamt bleibt demnach festzustellen, daß die Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes aus Gründen des Staatswohls dem Parlament keine Information vorenthalten darf. I m Gegenteil erfordert es das Staatswohl gerade i n Bereichen, die wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht — wie es das demokratische Prinzip verlangt — vor und mit der allgemeinen Öffentlichkeit erörtert werden können, daß eine möglichst umfassende und sorgsame Problemerörterung zumindest i m Wege des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung stattfindet. Z u unterscheiden von der Geheimhaltung aus Gründen des allgemeinen Wohls von Staat und Bürgern ist die Geheimhaltung zum Schutz der Regierung und ihrer Funktionsfähigkeit. I n einem weiteren Sinn mag auch die Funktionsfähigkeit der Regierung — wie der Staatsorgane überhaupt — zum Staats- und Gemeinwohl zählen; bei näherer Betrachtung weist sie jedoch Eigenheiten gerade i m Verhältnis zum Parlament auf, die eine besondere Behandlung erfordern 2 3 7 . Der Problemkreis, u m den es hierbei geht, w i r d unterschiedlich benannt — etwa als Kernbereich 2 3 8 , Eigenbereich 239 , I n i t i a t i v - 2 4 0 , Bera23β v g l etwa die Geheimschutzordnung, die der Bundestag aufgrund § 21 a seiner Geschäftsordnung als Bestandteil dieser Geschäftsordnung (Anlage 2) erlassen hat (i. d. F. v. 14. 4. 75, B G B l . I 992); das Gesetz zu A r t . 10 GG v. 13. 8. 68, BGBl. I 949; das Gesetz über die parlamentarische K o n t r o l l e nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes v. 11. 4. 78, BGBl. I 453; oder auch das Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages nach A r t . 45 c GG v. 19. 7. 75, B G B l . 11921. 237 Dies w i r d i n der Entscheidung des Hamb. Verfassungsgerichts, D Ö V 1973, 745, 746 (zu I I 4 b), nicht genügend berücksichtigt; kritisch dazu auch H.-P. Schneider, AöR 1974, 636 f. („Begriffsdenken"); differenzierend auch Bogs, Der Staat 1974, 225 („Regierungsberatungsgeheimnis i. e. S."). 238 BVerfGE 9, 268, 280; 34, 52, 59; von Mangoldt / K l e i n , A r t . 20, A n m . V 5 b (S. 599); M a u n z / D ü r i g , i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 20, Rdnr. 81; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, 475; Böckenförde, Organisationsgewalt, 84; Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, 94 f.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierimg

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tungs- 2 4 1 oder Entscheidungsbereich 242 der Regierung —, läßt sich jedoch i n der Fragestellung zusammenfassen, ob und inwieweit der Regierung von Verfassungs wegen ein interner Handlungsbereich gewährleistet ist, den sie auch dem Parlament gegenüber nicht zu offenbaren braucht. Überwiegend w i r d die Frage i n Lehre und Praxis unter Hinweis auf den Grundsatz der Gewaltenteilung bejaht 2 4 3 . Da aber Gewaltenteilung nicht nur Trennung, sondern auch „gegenseitige Abhängigkeit" der verschiedenen Gewalten bedeutet 2 4 4 , w i r f t dieser Begründungsversuch mehr Schwierigkeiten auf, als er lösen hilft. Dies zeigt sich insbesondere an den unterschiedlichen Maßstäben, an denen der Umfang des Kernbereichs der Regierung gemessen wird, und an den unterschiedlichen Ergebnissen, die dabei herauskommen 245 . Wie die Untersuchung ergeben hat, läßt sich eine Aufgabenteilung zwischen Parlament und Regierung i m Bereich der Staatsleitung weder nach sachlichen Materien noch nach verfahrensmäßigen Abschnitten durchführen 2 4 6 . Deshalb muß auch die Suche nach einem Kernbereich der Regierung, der sich von dem Aufgabenbereich des Parlaments nach bestimmten Sachgebieten oder Verfahrensabschnitten abgrenzt, ergebnislos bleiben 2 4 7 . Erfolgversprechend erscheint auch hier, wie bei der 289 Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge i m deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 150; Ossenbühl (Anm. 238), 229; ferner Böckenförde (Anm. 238), 83 f., der zwischen „Eigenbereich" u n d „gesetzesfestem Kernbereich" der Exekutive unterscheidet. 240 Hess. Staatsgerichtshof, D Ö V 1967, 51, 56 (zu I I I 3 c u n d d). 241 Hess. Staatsgerichtshof, ebd. (zu I I I 3 d); Hamb. Verfassungsgericht, DÖV 1973, 745, 746 (zu I I 4 b); Bogs, Der Staat 1974, passim. 242 Hamb. Verfassungsgericht, ebd. 243 von Mangoldt / K l e i n , A r t . 20, A n m . V 5 b (S. 599); M a u n z / D ü r i g , i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g / Scholz, A r t . 20, Randnr. 81; BVerfGE 9, 268, 280 f.; Hamb. Verfassungsgericht, D Ö V 1973, 745, 746 (zu I I 4 b); Hess. Staatsgerichtshof, D Ö V 1967, 51, 55 f. (zu I I 3 c); weitere Nachw. bei Herzog / Pietzner, G u t achten, 82 A n m . 1 - 3 . 244 Vgl. etwa v o n Mangoldt / Klein, ebd.; M a u n z / D ü r i g , ebd., A r t . 20, Randnr. 79; BVerfGE 9, 268, 279; weitere Nachw. bei Lutterbeck, Parlament u n d Information, 166 - 169. 245 Vgl. dazu i m einzelnen die K r i t i k bei Leisner, DÖV 1969, 407-409; Achterberg, Funktionenlehre, 200 f.; Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 1 8 - 2 1 ; Bogs, Der Staat 1974, 226; Egloff, Informationslage, 28 f.; Jarass, P o l i t i k u n d Bürokratie, 137 f.; Lutterbeck (Anm. 244), 169 - 173. 246 Vgl. oben, Kap. V 3 c, zu u n d i n A n m . 188 - 190. 247 Anders etwa Starck, Gesetzesbegriff, 195, 199 f., der aber — neben der V e r w a l t u n g — n u r ausdrücklich i m G G genannte Sondervorbehalte der Regierung (Art. 65, 65 a, 113) aufführt; vgl. dazu auch Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 268, 277 - 285. Die Unmöglichkeit, nach dem „Reifegrad" der Regierungsgeschäfte zu differenzieren, zeigt sich insbesondere i m Bereich der Planung; vgl. dazu die Bemühungen bei Böckenförde, i n : Parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung, 17 f.; Seeger, ebd., 30; Ossenbühl, E n t w i c k 21 M a g i e r a

322 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

Bestimmung des parlamentarischen Funktionsanteils, allein die Bückbesinnung auf die Zuordnungsmaßstäbe der Organadäquanz und der Funktionsgerechtigkeit 248 . Danach besitzen die einzelnen Verfassungsorgane eine unterschiedliche Struktur, um sich bei der Staatsaufgabenbewältigung gegenseitig besser ergänzen zu können, und nicht, um sich voneinander abzukapseln und isolierte Sonderbereiche zu besorgen. Aber auch Ergänzungsfähigkeit setzt zunächst eigenständige Willensbildungsund Entscheidungsfähigkeit voraus. Die Regierung muß — nicht anders als die übrigen Verfassungsorgane — i n der Lage sein, selbständig ihren Willen zu bilden und ihre Entscheidungen zu treffen, wenn sie einen ihrer besonderen Organstruktur entsprechenden Beitrag zur Staatsaufgabenbewältigung leisten soll 2 4 9 . Gerade i m Verhältnis zum Parlament, das — zumindest potentiell — einen durch verfassungsrechtliche Kompetenzen bewehrten Druck auf die Regierung ausüben kann, gehört es dazu, daß die Regierung die A r t und Weise ihrer Willens- und Entscheidungsbildung selbst festlegen und für sich behalten darf 2 5 0 . Dieser „Beratungsbereich" der Regierung bestimmt sich weder nach Sachmaterien (ζ. B. „hochpolitischer" Natur) noch nach Verfahrensabschnitten (ζ. B. Vorbereitungsstadium), sondern nach dem Verfassungsorgan „Regierung" und betrifft allein das Verfahren ihrer Amtsführung und Geschäftserledigung 251 . Selbstverständlich löst der Begriff des Beratungsbereichs der Regierung nicht auf magische Weise sämtliche Probleme, die sich aus der aufgeworfenen Fragestellung nach einem Vorbehaltsbereich der Regierung seit langem ergeben. Wie bei der „Bedeutsamkeit" als Abgrenzungsmerkmal für den Regelungsbereich des Parlamentsgesetzes, so handelt es sich auch bei dem Beratungsbereich der Regierung u m einen konkretisierungsbedürftigen Verfassungsbegriff, der lediglich die Richtung nicht aber gleichsam automatisch das Ergebnis i n jedem Einzelfall angeben kann 2 5 2 . lungsplanung, Β 95; Dobiey, Politische Planung, 114; ablehnend vor allem Herzog / Pietzner, Gutachten, 84; Lutterbeck, Parlament u n d Information, 169 f. 248 Vgl. oben, Kap. I I 5 b, V 3 c a. E. ; ferner H. Meyer, Parlamentarisches Regierungssystem, 102. 249 I m Ergebnis ähnlich H.-P. Schneider, AöR 1974, 644 f.; Bogs, Der Staat 1974, 226 m. w . N. i n A n m . 47; Schröder, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43 Randnr. 43 a; insoweit zutreffend auch BVerfGE 9, 268, 281. 250 Dazu insbesondere Bogs, Der Staat 1974, 227 u n d passim; i h m folgend Lutterbeck, Parlament u n d Information, 173. 251 Anders die Enquete-Kommission Verfassungsreform, die „einen besonderen Schutz des Beratungsergebnisses der Bundesregierung als solches ohne Rücksicht auf seinen sachlichen I n h a l t " ablehnt; vgl. den Schlußbericht, Kap. 4, Ziff. 1.3.4 (S. 56), und oben, i n u n d zu A n m . 230. 252 F ü r eine Differenzierung auch das Hamb. Verfassungsgericht, D Ö V 1973, 745, 746 (zu I I 4 b); H.-P. Schneider, AöR 1974, 645; Bogs, Der Staat 1974, 223 - 237.

3. Parlament u n d Informationspflicht der Regierung

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Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung lassen sich vornehmlich zwei Richtpunkte für die weitere Präzisierung ausmachen. Zum einen müssen es Beratungen der „Regierung" sein; diese Voraussetzung entfällt nicht dadurch, daß neben Kabinettsmitgliedern andere Personen hinzugezogen werden, ist aber auch nicht schon dann erfüllt, wenn der Exekutivapparat der Regierung tätig w i r d 2 5 3 . Zum anderen müssen es „Beratungen" der Regierung sein; diese Voraussetzung befreit die Regierung davon, die A r t und Weise ihrer Geschäftserledigung zu offenbaren, gestattet es ihr aber nicht, dem Parlament Informationen über bestimmte Sachmaterien allein deshalb zu verweigern, weil auch sie sich damit befaßt. Insgesamt gilt es danach festzustellen, daß der Regierung ein „Geheimhaltungsbereich", den sie mit dem Parlament nicht zu teilen braucht, zwar nicht aus Gründen des allgemeinen Staatswohls, aber zum Schutz ihrer Funktionsfähigkeit — als „Beratungsbereich" — zusteht. Eine weitere Grenze des staatsleitenden Dialogs könnte darin liegen, daß die Regierung ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament nur auf Verlangen einer Mehrheit, nicht hingegen auf Begehren einer Minderheit der Abgeordneten nachzukommen braucht. Infolge des neben dem Organdualismus zwischen Parlament und Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes gleichfalls angelegten Parteiendualismus zwischen der Regierung und der Parlamentsmehrheit einerseits sowie der Parlamentsminderheit andererseits 254 wäre die Opposition damit, was die Befriedigung ihres Informationsbedarfs anbetrifft, weitgehend auf die Unterstützung der Regierungsmehrheit angewiesen, die dazu jedoch, „wenn auch nicht weniger geeignet, so doch infolge der politischen Zusammengehörigkeit von Regierung und Regierungsmehrheit praktisch weniger geneigt sein dürfte" 2 5 5 . Das Grundgesetz wie die Geschäftsordnung des Bundestages enthalten Regelungen, wonach Informationsverlangen von der Mehrheit („dem Bundestag"), aber auch von einer Minderheit der Abgeordneten an die Regierung gerichtet werden können. A u f Antrag eines Viertels seiner Mitglieder hat der Bundestag nach A r t . 44 GG die Pflicht, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Entsprechend hat der Verteidigungs258 Z u w e i t hingegen das Hamb. Verfassungsgericht, ebd., das durch Einbeziehung des Exekutivapparats i n den Beratungsbereich der Regierung zu einer praktischen Aufhebung des parlamentarischen Informationsanspruchs gelangt; vgl. dazu ablehnend auch Bogs, Der Staat 1974, 223 f., 232 - 237; H.-P. Schneider, AöR 1974, 636. 254 Z u m Organ- u n d Parteiendualismus vgl. oben, Kap. V 2 a, V I 1 c. 255 So die Enquete-Kommission Verfassungsreform f ü r die Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollaufgaben; vgl. den Schlußbericht, Kap. 4, Ziff. 1.1 (S. 50).

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V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

ausschuß nach A r t . 45 a I I GG auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner Untersuchung zu machen. Als Minderheitsbegehren ausgestaltet sind ferner nach den Bestimmungen der §§ 105 - 111 GOBT die Großen und die Kleinen A n fragen, die jeweils Fraktionsstärke erfordern, sowie die Mündlichen A n fragen, die nach den Richtlinien für die Fragestunde von jedem Abgeordneten an die Regierung gerichtet werden können 2 6 6 . Eine Mehrheit der Abgeordneten muß hingegen entscheiden, wenn die Anwesenheit eines Mitglieds der Bundesregierung i m Bundestag oder i n einem seiner Ausschüsse verlangt w i r d (Art. 43 I GG, §§ 46, 71 GOBT) oder wenn die Bundesregierung dem Bundestag schriftlich Auskunft über die Ausführung seiner Beschlüsse erteilen soll (§115 GOBT) 2 5 7 . Soweit das Informationsbegehren, wie die verschiedenen Anfragen oder das Auskunftsverlangen über die Beschlußausführung, nur i n der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt ist, mißt i h m die herkömmliche Lehre und Praxis keinen Verpflichtungscharakter gegenüber der Bundesregierung bei, weil die Geschäftsordnung nur parlamentsintern, nicht aber i m Verhältnis zwischen Parlament und Regierung w i r k e 2 5 8 . Dies folge zudem ausdrücklich aus der Geschäftsordnung selbst. So werde die Bundesregierung bei der Mitteilung einer Großen Anfrage zur Erklärung aufgefordert, ob und wann sie antworten werde (§ 106 GOBT); lehne die Bundesregierung überhaupt oder für die nächsten drei Wochen die Beantwortung ab, so könne der Bundestag die Große A n frage zur Beratung auf die Tagesordnung setzen (§ 108 GOBT) 2 5 9 . Soweit das Grundgesetz, wie i n den A r t . 44 und 45 a II, einer Minderheit das Recht auf Einleitung von Untersuchungen einräumt, w i r d dies von der herkömmlichen Lehre und Praxis als eng begrenzte Sonderregelung verstanden. Das Minderheitsrecht sei grundsätzlich auf das Ingangsetzen eines Untersuchungsverfahrens beschränkt und deshalb weder auf andere Arten parlamentarischer Informationsgewinnung über256 Z u den parlamentarischen Minderheitsrechten vgl. den Überblick bei H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 236 - 243. 257 v g l . dazu i m einzelnen Achterberg, Parlamentsrecht, 62 f.; Kißler, ö f fentlichkeitsfunktion, 149-205; Kröger, Ministerverantwortlichkeit, 146f.; Scheuner, Kontrolle, 4 5 - 4 9 ; H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 238-242; ders., AöR 1974, 629 f.; Schönfeld, Das Z i t i e r - , Z u t r i t t s - u n d Rederecht des A r t . 43 GG, 9 f.; Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n der Großen, K l e i n e n u n d Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag, 40 - 79 u n d passim. 258 Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 44, Randnr. 32; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 295 A n m . 245; K . F. A r n d t , Parlamentsrecht, 112; K i ß l e r (Anm. 257), 162; Witte-Wegmann (Anm. 257), 81 f.; allgemein zum parlamentarischen Geschäftsordnungsrecht vgl. oben, Kap. I I I 4 b. 259 A r n d t , ebd.; Kißler, ebd.; Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 115 A n m . 256 a. E.; Witte-Wegmann, ebd., 82.

3. Parlament und Informationspflicht der Regierung

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tragbar 2 6 0 noch auf den Ablauf des Untersuchungsverfahrens ausdehnbar 2 6 1 . Angesichts des Informationsbedarfs gerade auch der parlamentarischen Oposition 2 6 2 w i r d dieses Ergebnis weithin als unbefriedigend empfunden und deshalb als reformbedürftig betrachtet 263 . Bevor jedoch der weite Bereich der Verfassungspolitik und der Verfassungsgesetzänderung betreten wird, bleibt zu prüfen, ob das geltende Verfassungsrecht tatsächlich so wenig Aussagekraft für eine zureichende Deckung des Informationsbedarfs der parlamentarischen Opposition besitzt, wie die herkömmliche Lehre und Praxis annimmt. Dazu besteht besonderer A n laß, weil der Oppositionsbereich verfassungsrechtlich noch wenig erforscht ist 2 6 4 , so daß sich eine behutsame Fortentwicklung der Stellung und Aufgaben der Opposition i m vorhandenen Verfassungsrahmen gegenwärtig eher empfiehlt als eine verfassungstextliche Verankerung i m einzelnen 265 . Da die Informationspflicht der Regierung und ein entsprechendes I n formationsrecht des Parlaments allgemein i n der Verfassung begründet sind 2 6 6 , geht es hier allein u m die Frage, ob und inwieweit das Parlament sein grundsätzlich bestehendes Auskunftsrecht gegenüber der Regierung i m verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen auch durch eine Minderheit seiner Abgeordneten wahrnehmen lassen kann. Die von der herkömmlichen Auffassung dagegen erhobenen Einwände führen nicht nur zu einem verfassungspolitisch unbefriedigenden Ergebnis für die I n 280 Z u r Beschränkung des parlamentarischen Untersuchungsrechts auf „ M i ß standsfälle" vgl. oben, zu A n m . 200. 281 Vgl. dazu die Darstellung bei Partsch, Untersuchungsausschüsse, 85 - 87. 282 Vgl. dazu schon oben, Kap. V 2 a, V I 1 c; ferner etwa H.-P. Schneider, AöR 1974, 629: „Effiziente Opposition ist deshalb i n erster L i n i e eine Frage umfassender u n d vollständiger Information durch die Regierung . . . " ; Herzog / Pietzner, Gutachten, 99. 283 Dazu etwa Enquete-Kommission Verfassungsreform, Zwischenbericht, 1. Teil, Abschnitt I, Ziff. 1.2.1 (S. 15), 2.4 (S. 18), Schlußbericht, Kap. 4, Ziff. 1.2 (S. 51 f.): betr. Beweisanträge i m Untersuchungsausschuß; Zwischenbericht, 1. Teil, Abschnitt V, Ziff. 1.3 (S. 46), 2.3.3 (S. 48), Schlußbericht, Kap. 11, Ziff. 1.2 (S. 151), 6.3.3 (S. 177 f.): betr. Planungsbereich; ferner Kewenig, Parlamentarische Mitregierung, 27 (weil „ n u r noch solche Kontrollmechanismen p r a k tische Bedeutung haben können, die als Minderheitenrechte ausgestaltet sind") ; Steinmüller, u.a., Das Informationsrecht des Parlaments, 186f.; weitere Nachw. bei H.-P. Schneider, AöR 1974, 639-641; Schröder, i n : Bonner K o m mentar, A r t . 43, Randnr. 48 - 50. 284 Dazu insbesondere H.-P. Schneider, Parlamentarische Opposition, 1 - 5 , 41 - 45 u n d passim. 285 Ebenso — unter Hinweis auf die Verankerung der Opposition i n der Hamb. Verfassung (Art. 23 a, eingefügt durch Gesetz v. 18. 2. 1971, GVB1. 21) — H.-P. Schneider, ebd., 266, 268; Scheuner, Kontrolle, 60 f. 288 Vgl. oben, Abschnitt 3 a u n d b i n diesem Kap.

326 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

formationslage der Opposition, sondern es mangelt ihnen auch an einer verfassungsrechtlich überzeugenden Begründung. Unzureichend ist zunächst der Hinweis darauf, daß das Parlament der Regierung durch seine Geschäftsordnung keine Verpflichtung aufzuerlegen vermag. Bei den §§ 105 ff. GOBT kann es sich nämlich ebenso um eine zulässige Konkretisierung des i n der Verfassung allgemein gewährleisteten Auskunftsrechts des Parlaments gegenüber der Regierung handeln 2 6 7 . Die §§ 106 und 108 GOBT, die angeblich das Nichtbestehen einer Antwortpflicht der Regierung bestätigen 268 , lassen sich auch dahin verstehen, daß sie lediglich die beabsichtigte Reaktion des Bundestages auf eine mögliche Antwortverweigerung der Bundesregierung regeln, nicht aber zur Zulässigkeit eines solchen Verhaltens der Bundesregierung Stellung beziehen 269 . Widersprüchlich erscheint es ferner, die Regelung der parlamentarischen Anfragen i n den §§ 105 ff. GOBT einerseits als Konkretisierung des i n Art. 43 I GG enthaltenen parlamentarischen Zitierungs- und Interpellationsrechts zu bezeichnen und andererseits eine Antwortpflicht der Regierung gegenüber Anfragen der parlamentarischen Minderheit — i m Gegensatz zu solchen der Mehrheit — zu verneinen 2 7 0 . Ebensowenig läßt sich jedoch aus der Erkenntnis dieses Widerspruchs ohne weiteres schließen, daß die §§ 105 ff. GOBT als Minderheitsrechte das allgemeine parlamentarische Fragerecht gar nicht konkretisieren können, w e i l Art. 43 I GG lediglich ein Mehrheitsrecht gewährleiste 2 7 1 . Eines Mehrheitsbeschlusses bedarf es ausdrücklich nur für die Herbeirufung eines Regierungsmitgliedes; ob für Auskunftsersuchen an die Regierung dasselbe gilt ober ob nicht aus dem Zusammenhang des A r t . 43 I mit anderen 267 Vgl. zum Verhältnis von Verfassungsrecht u n d parlamentarischem Geschäftsordnungsrecht i m allgemeinen oben, Kap. I I I 4 b. 268 Vgl. oben, bei A n m . 259. 269 Eindeutig hingegen § 6 I I I der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien — Besonderer T e i l (GGO II), abgedruckt ζ. B. bei Lechner / Hülshof f, Parlament u n d Regierung, 419: „Die Bundesregierung k a n n die Beantwortung überhaupt . . . ablehnen . . . " — Diese Bestimmung k a n n aber n u r Geltung beanspruchen, w e n n u n d soweit eine Antwortverweigerung verfassungsrechtlich zulässig ist; dazu weiter i m Text. 270 Vgl. etwa Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog / Scholz, A r t . 43, Randnr. 1 a. E., gegenüber A r t . 44, Randnr. 32 ; auch von Mangoldt / Klein, A r t . 43, Anm. I I I 2, gegenüber A n m . I I I 3 (S. 937); kritisch zu diesen Unklarheiten auch Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 115 A n m . 256. 271 So aber Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n der Großen, K l e i nen u n d Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag, 81 f.; Schönfeld, Das Zitier-, Z u t r i t t s - u n d Rederecht des A r t . 43 GG, 7 - 1 0 ; Schröder, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43, Randnr. 5 - 1 5 ; Kißler, Öffentlichkeitsfunktion, 153, 159 f.; K . F. A r n d t , Parlamentsrecht, 112; auch Scholler, Politische Studien 1970, 407 f.; Kempen, Öffentlichkeitsarbeit, 209 f., die aber i. E. aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes ein Informationsrecht der Parlamentsminderheit gegenüber der Regierung annehmen.

3. Parlament und Informationspflicht der Regierung

327

Bestimmungen des Grundgestzes etwas anderes folgt, ist damit noch nicht geklärt. Soweit die herkömmliche Auffassung den verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhang der Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung zu erfassen sucht, meint sie „eine gewisse Inkonsequenz i m Minderheitsschutz des Grundgesetzes" feststellen zu müssen, weil das „mildere M i t t e l " des Fragerechts nach A r t . 43 I GG nur der Mehrheit zustehe, während die Minderheit das „stärkere M i t t e l " der Einleitung eines UntersuchungsVerfahrens nach A r t . 44 GG jederzeit einsetzen könne 2 7 2 . Diese angebliche Inkonsequenz des Grundgesetzes (!) ist jedoch keineswegs zwingend, sondern folgt erst aus dem einengenden Verfassungsverständnis der herkömmlichen Lehre und Praxis 2 7 3 . Widerspruchsfrei und deshalb überzeugender läßt sich das Informationsrecht des Parlaments gegenüber der Regierung hingegen verstehen, wenn es grundsätzlich auch von einer Minderheit der Abgeordneten wahrgenommen werden kann. Als rechtliche Grundordnung, die zur Gewährleistung der erforderlichen Flexibilität i m geschichtlichen Wandel nur einen ausfüllungsbedürftigen und konkretisierungsfähigen Rahmen festlegt 274 , hat das Grundgesetz lediglich die intensiver wirkenden Informationsmittel des Parlaments selbst näher umgrenzt, indem es für die Herbeirufung von Regierungsmitgliedern nach A r t . 43 I einen Mehrheitsbeschluß verlangt und für die Selbstinformation des Parlaments nach A r t . 44, 45 a I I ein bestimmtes Quorum und Verfahren vorschreibt 2 7 5 . Für ein grundsätzliches Informationsrecht auch einer Minderheit von Abgeordneten gegenüber der Regierung, das lediglich i n besonderen Fällen ausgeschlossen bzw. verfahrensmäßig geregelt sein soll, läßt sich auch die Bestimmung des A r t . 53 a I GG anführen. Danach werden die Abgeordneten, die dem Gemeinsamen Ausschuß angehören und über die Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten sind, „vom Bundestage entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt". Wenn auch der Bundestag bei der Festsetzung der Fraktionsstärke über einen gewissen Spielraum verfügt 2 7 6 , dürfte das parlamentarische Ermessen doch dort enden, „ w o dies zu einer Verletzung des Rechts der parlamentarischen Minderheiten auf wirksame Ausübung ihres politischen Mandats als Opposition führen w ü r d e " 2 7 7 . 272 Vgl. Maunz (Anm. 270), A r t . 44, Randnr. 32; Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition, 293. 273 Vgl. dazu auch Herzog / Pietzner, Gutachten, 104 f. 274 Dazu oben, Kap. I. 273 So auch i. E. Herzog / Pietzner, Gutachten, 105. 278 Dazu oben, Kap. I I I 4 c, A n m . 210; I I I 4 e, A n m . 358. 277 Delbrück, i n : Bonner Kommentar, A r t . 53 a, Randnr. 9; vgl. auch Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / H e r z o g / Scholz, A r t . 53 a, Randnr. 14 m i t A n m . 2.

328 V I . Kooperative Staatsleitung i n der verfassungsrechtlichen Bewährung

Damit bestätigt sich am Beispiel des besonders empfindlichen Bereichs der äußeren Staatssicherheit für die Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung die allgemeine Erkenntnis, daß die parlamentarische Opposition i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes keine lästige Minderheit darstellt, sondern die Alternative zur jeweiligen Mehrheit. Beide zusammen erst gestalten, wenn auch durch verschiedenartige Beiträge, das gemeine Wohl 2 7 8 . Dürfen der oppositionellen M i n derheit danach Informationen selbst über geheimhaltungsbedürftige Staatsangelegenheiten nicht vorenthalten werden, so unterliegt sie doch als Teil des Gesamtparlaments den für die Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung i m allgemeinen geltenden Einschränkungen, nämlich den besonderen Schutzvorkehrungen für geheimhaltungsbedürftige Angelegenheiten sowie den Grenzen des Beratungsbereichs der Regierung 2 7 9 . Die staatsleitungsrelevante Information gehört nach alledem i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht zu einem Reservatbereich der Regierung, den diese allenfalls m i t der Parlamentsmehrheit und auf deren Verlangen teilen muß. Sie stellt vielmehr das Rohmaterial für die staatsleitende Aufgabenwahrnehmung insgesamt dar, an der Regierung und Parlament einschließlich der oppositionellen Parlamentsminderheit, wenn auch auf verschiedenartige Weise, beteiligt sind 2 8 0 . Deshalb kann grundsätzlich auch eine Minderheit von Abgeordneten, wie es i n den §§ 105 ff. GOBT verfassungskonkretisierend geregelt ist, den Informationsanspruch des Parlaments gegenüber der Regierung geltend machen 281 , 278 Vgl. dazu oben, Kap. V 2 a, V I 1 c; ferner etwa H.-P. Schneider, AöR 1974, 635, 645, der zutreffend die M i t v e r a n t w o r t u n g der parlamentarischen Opposition für das Gemeinwohlinteresse hervorhebt. 279 Dazu oben, am Anfang dieses Unterabschnitts; ferner etwa Bogs, Der Staat 1974, 224, der bezweifelt, ob „der Ausschluß aller Oppositionsabgeordneten selbst von streng vertraulichen Informationen i m m e r das verhältnismäßige M i t t e l der Staatswohlwahrung ist". 280 Vgl. dazu schon oben, Kap. V 4 b. sei einen Informationsanspruch der parlamentarischen Minderheit gegenüber der Regierung i. E. auch Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 187; Scholler, Politische Studien 1970, 407 f.; Kempen, Öffentlichkeitsarbeit, 210f.; u n k l a r von Mangoldt / K l e i n (vgl. dazu oben, A n m . 270). — Herzog / Pietzner, Gutachten, 105 f., w o l l e n lediglich der Mehrheit eine „Übernahmeverpflichtung" von Informationsbegehren der Minderheit i n besonderen Fällen zubilligen; dieser U m w e g erscheint jedoch n u r dann erforderlich, aber auch problematisch, w e n n das Grundgesetz — w i e etwa bei der Herbeirufung von Regierungsmitgliedern — einen Mehrheitsbeschluß verlangt. — Α. A. Kißler, JöR 1977,68 f. ; Lutterbeck, Parlament u n d Information, 178 f., der jedoch zu eng auf A r t . 43 I GG abstellt; auch Ossenbühl, Entwicklungsplanung, Β 115, der davor w a r n t , „nachdem dies bereits f ü r den Grundrechtsteil geschehen ist, auch den organisatorischen Abschnitt des Grundgesetzes m i t allerlei Methoden u n d Schlußverfahren zu überziehen u n d auf diese Weise zu verunsichern"; doch welche „Sicherheit" u n d auf welcher Grundlage bietet die herkömmliche Auffassung, die nicht einmal i n sich überzeugend w i r k t ?

3. Parlament und Informationspflicht der Regierung

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ohne daß dagegen Bedenken aus dem Prinzip der Mehrheitsherrschaft bestehen. Mehrheitsherrschaft i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes umfaßt die Möglichkeit der ständigen Regierungskontrolle und die Chance des jederzeitigen Regierungswechsels, die beide von einer zureichenden Information der oppositionellen Minderheit als der potentiellen Mehrheit abhängen 282 . Fehlt es daran, so droht die Gefahr einer Entartung der kontrollierten Herrschaft auf Zeit zu einer absoluten Herrschaft auf Dauer 2 8 3 . Umgekehrt beugt das Grundgesetz einer „Ersetzung des Mehrheits- durch das Minderheitsprinzip" 2 8 4 vor, indem es selbst — durch Anerkennung von Geheimhaltungserfordernissen und eines Beratungsbereichs der Regierung sowie durch die A r t . 43 I, 44 und 45 a I I — die Grenzen für die Wahrnehmung des parlamentarischen Informationsrechts gegenüber der Regierung durch eine Minderheit von Abgeordneten festlegt 2 8 5 . Insgesamt erweisen sich die verfassungsrechtlichen Grenzen des staatsleitenden Dialogs zwischen Parlament und Regierung als weitaus differenzierter als es die herkömmliche Auffassung erkennen läßt. Anders als das traditionelle Trennungsdenken vermag das hier entwickelte Verfassungsverständnis diese Differenzierungen, welche die „Mitregierung" des Parlaments ermöglichen, ohne die Verantwortlichkeit oder die Handlungsfähigkeit der Regierung zu beeinträchtigen, voll zu erfassen und verfassungsgerecht zu bewältigen. Damit bestätigt die spezielle Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Bewährung des kooperativen Staatsleitungsprozesses die allgemein gewonnene Erkenntnis 2 8 6 , wonach die A u f gabenzuordnung zwischen Parlament und Regierung i n der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht nach abstrakten Grundsätzen, wie etwa der Gewaltenteilung, dem parlamentarischen Regierungssystem oder der Mehrheitsherrschaft, erfolgt, sondern nach den konkreten Maßstäben der Organadäquanz und der Funktionsgerechtigkeit.

282

Vgl. dazu oben, Kap. I I 4 a, V 4 a u n d b, V I 1 c. Vgl. auch den Zwischenbericht, 1. Teil, Abschnitt I, Ziff. 2.4 (S. 18), u n d den Schlußbericht, Kap. 4, Ziff. 1.3.3 (S. 54), der Enquete-Kommission V e r fassungsreform, wo zutreffend festgestellt w i r d , daß trotz Mehrheitsherrschaft „doch i m Bereich der Sachaufklärung ausreichende Befugnisse der M i n derheit vorhanden sein" müssen. 284 Davor w a r n t Ehmke, Untersuchungsausschüsse, E 45; vgl. dazu auch Steinmüller u. a., Das Informationsrecht des Parlaments, 187. 285 Z u r Vorbeugung gegen einen Mißbrauch des Informationsanspruchs parlamentarischer Minderheiten vgl. auch Scholler, Politische Studien, 1970, 408. 286 Dazu oben, Kap. I I 5 b, V 3 c. 283

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