224 46 58MB
German Pages 213 [216] Year 1984
Linguistische Arbeiten
141
Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Jürgen Lenerz
Syntaktischer Wandel und Grammatiktheorie Eine Untersuchung an Beispielen aus der Sprachgeschichte des Deutschen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1984
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lenerz, Jürgen: Syntaktischer Wandel und Grammatiktheorie : e. Unters, an Beispielen aus d. Sprachgeschichte d. Dt. / Jürgen Lenerz. - Tübingen : Niemeyer, 1984. (Linguistische Arbeiten ; 141) NE: GT ISBN 3-484-30141-1
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1984 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.
INHALTSVERZEICHNIS
\forbemerkung
VII
Einleitung 1. Sprachvandeltheorien des 20. Jahrhunderts Überblick und eigene Standortbestitnmung 1.1. Einleitung 1.2. Die junggratnmatische Tradition 1.3. 'Triebkräfte1 des Sprachwandels 1.4. Strukturalisnus 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4.
Allgemeines 'drift 1 Martinet Coseriu
1.5. Generative Transforrtaticnsgrainrtatik 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3. 1.5.4. 1.5.5.
Allgemeines Phonologischer Wandel (Kiparsky) Syntaktischer Wandel (Klima, Traugott) Einwände Lightfoot
1.6. Reaktion auf die Behandlung des Sprachwandels in der generativen Granmatik 1.6.1. 1.6.2. 1.6.3. 1.6.4. 1.6.5. 1.6.6.
Analogie Andersens Sprachwandelmodell Zum Verhältnis von Spracherwerb und Sprachwandel Sprachliche Heterogenität Zu 'funktionalen 1 Erklärungen des Sprachwandels Verschiedene Grammatikmodelle
1 5 5 8 13 16 16 17 19 20
23 23 25 26 30 34
39 39 43 45 46 49 50
1.7. Eigene Standortbestlmnung 2. Zur 'Entwicklung' der Nebensätze im Deutschen 2.1. Einleitung
51 55 55
2.2. Traditionelle Entstehungstheorien
56
2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4.
Einleitung Zur Entstehung der daß-Sätze Zur Entstehung der Relativsätze im Deutschen Adverbialsätze
2.3. Zu den Begriffen 'Hauptsatz1 und 'Nebensatz', 'Koordination1 und 'Subordination'
56 57 58 68
69
VI
2.4. Generative Analyse der Haupt- und NebensatzStruktur im Deutschen
72
2.4.1. Allgemeines 2 . 4 . 2 . Zur syntaktischen Struktur des Deutschen
72 77
2.5. Die generative Analyse in ihrer Anwendung auf die 'Entwicklung' der Nebensätze im Deutschen
2.6. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.
99
2.5.1. Zu daß-Sätzen, Relativsätzen, Adverbialsätzen 2.5.2. Probleme der Kasuszuweisung bei Relativsätzen
100 116
Zusammenfassung und Bewertung Zur 'Entwicklung' der nhd. Verbstellung Einleitung Überblick über die Verbstellung im Nhd Überblick über die Entwicklung der Verbstellung im Deutschen Theorien zur Entwicklung der Verbstellung im Deutschen
124 126 126 127 129 132
3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4.
132 135 137
Die Junggrammatiker Fourquet Fleischmann Der typologische Ansatz; die Sprachwandeltheorie von Vennemann 3.4.5. Erwerb der Verbstellung durch Kinder
3.5. Ein generativer Erklärungsversuch 3.5.1. 3:5.2. 3.5.3. 3.5.4. 3.5.5. 3.5.6. 3.5.7. 3.5.8.
Allgemeines Die zugrundeliegende Verbstellung Die Anfangsstellung des finiten Verbs Die Zweitstellung des finiten Verbs Die Endstellung des finiten Verbs Zur Stellung der Pronomina in der 'Wackernagel'-Position ... Die Ausklammerung Die Verb-Umstellung
138 143
145 145 150 151 154 157 164 169 172
3.6. Abschließende Bemerkungen
179
Zusanmenfassung und Ergebnis Siglen und Abkürzungen
182 187
Verzeichnis der zitierten Quellen Literaturverzeichnis
188 191
VORBEMERKUNG
Die vorliegende Arbeit stellt die stark gekürzte Fassung einer Untersuchung dar, die im Januar 1983 vom Fachbereich 11 (Germanistik) der Westfälischen WilhelmsUniversität in Münster als Habilitationsschrift anerkannt wurde. Im Interesse eines möglichst raschen Erscheinens wurde auf eine eingehendere Überarbeitung verzichtet; ein Kapitel zur Einführung in die 'revised extended Standard theory' und ein Kapitel zur Syntax des expletiven es in der Geschichte des Deutschen wurden gestrichen, die übrigen Kapitel gekürzt. Das ursprüngliche Manuskript wurde im Sornner 1982 abgeschlossen; auf seitdem erschienene Literatur konnte jeweils nur kurz verwiesen werden. Die Belegbeispiele aus älteren Sprachstufen sind in der Regel der angegebenen Sekundärliteratur entnoirmen. Herrn Betram Dick danke ich dafür, daß er Zitate und Stellenangaben sorgfältig überprüft und gegebenenfalls nach den neuesten Ausgaben korrigiert hat. Wo die in der älteren Literatur angegebenen Ausgaben nicht mehr verfügbar waren, ist das jeweils vermerkt, zu weiteren Einzelheiten vgl. das Verzeichnis der zitierten Quellen. Ohne die vielfältige Unterstützung von Kollegen, Freunden und neiner Familie wäre die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt, insbesondere Herrn Frof. Dr. Klaus Grubniiller, der mich stets großzügig unterstützt und hilfreich beraten hat.
Minster, October 1983
Jürgen Lenerz
EINLEITUNG
Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, vornehmlich anhand von Beispielen aus der Sprachgeschichte des Deutschen syntaktische Veränderungen mit den Mitteln der generativen Grammatik zu beschreiben. Das erscheint aus zweierlei Gründen notwendig: Zum ersten existieren so gut wie keine umfangreicheren generativen Untersuchungen zur syntaktischen Struktur früherer Sprachstufen des Deutschen, so daß die Beschreibung an sich schon ein Desiderat darstellt. Zum ändern aber ist es für die Fräzisierung und eine möglicherweise notwendige MDdifizierung der zugrundegelegten Grammatiktheorie unumgänglich, sie an Daten zu prüfen, die nicht auf das Englische beschränkt sind, wie das in vergleichbaren Arbeiten bisher im wesentlichen der Fall ist. Aus dieser Grundsituation ergibt sich das Erkenntnisinteresse der Arbeit: Es sollen sowohl im Rahmen neuerer Vorschläge der generativen Grannatiktheorie überzeugende Darstellungen der syntaktischen Veränderungen im Deutschen gemacht werden als auch Argumente für die angemessene Form der Granmatiktheorie selber aus diesen Untersuchungen gewonnen werden. In den meisten Fällen, in denen ein Sprachwandel beschrieben werden soll, ergibt sich nämlich (und das nicht nur im Rahmen traditioneller Theorien), daß mehrere unterschiedliche 'Erklärungen1 für den jeweils zu beobachtenden Wandel zur Verfügung stehen. Um unter solchen konkurrierenden Darstellungsmöglichkeiten eine begründete Entscheidung treffen zu können, müßte man über allgemeine Prinzipien des Sprachwandels verfügen. Solche Prinzipien, die allgemeingültig und zugleich konkret genug sind, um für Einzelfälle eine Entscheidung zugunsten der "richtigen" Beschreibung des Sprachwandels zu ermöglichen, liegen m.E. nicht vor. Worauf man sich aber stützen kann, sind die im Rahmen einer allgemeinen Grammatiktheorie vorgeschlagenen Prinzipien, denen jede Grairratik einer Einzelsprache genügen muß. Diese Prinzipien sind als Universalien zu interpretieren, die sich auf allgemeine, möglicherweise angeborene Strukturen menschlicher Sprach- und Sprachlernfähigkeit zurückführen lassen. Insofern stellen diese Prinzipien der Grammatiktheorie einen äußeren Rahmen für möglichen Sprachwandel dar, da keine Beschreibung eines Sprachwandels Strukturen postulieren darf, die den universellen Bedingungen für "mögliche Grammatiken menschlicher Sprachen" widersprechen.
Als der wohl weitestgehende und am präzisesten ausformulierte Vorschlag einer derart umfassenden Sprachtheorie muß auf dem Gebiet der Syntax m.E. zur Zeit das Gramnatikmodell angesehen werden, wie es sich in den neueren Versionen der von Chomsky und seinen Schülern erarbeiteten sogenannten 'Revised Extended Standard Theory1 .(REST) und der sogenannten 'Pisa Theorie1 darstellt., Dieses Modell wird den Untersuchungen zugrundegelegt. Dabei sind neben relativ festgelegten und damit kaum veränderlichen Strukturprinzipien menschlicher Sprachen, die in diesem Modell angenommen werden, auch Bereiche vorgesehen, innerhalb derer sich sowohl synchrone wie diachrone Variation erfassen läßt. Neben den allgemeinen Regelschemata, die zu der sogenannten 'core grammar1 gehören, müssen also einzelsprachlich jeweils unterschiedlich zu fixierende Parameter sowie idiosynkratische Filter u.a. angenommen werden. Itöglicherweise tritt diachroner Wandel nur in den Bereichen auf, in denen auch synchrone Variation zu beobachten ist,
während grundlegende syntak-
tische Strukturen wesentlich weniger einer diachronen Veränderung unterliegen. In diesem Sinne ergibt die Untersuchung also nicht nur neue Beschreibungen für an sich bekannte syntaktische Veränderungen des Deutschen, sondern es soll sich anhand der ausführlichen Diskussion der unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten im rahmen der zugrundegelegten Theorie zeigen, welche Struktureigentümlichkeiten jeweils als relativ oder absolut stabil und welche als mehr oder weniger leicht veränderlich anzusehen sind. Damit kann die diachrone Betrachtung in diesem Zusammenhang als Beitrag zur Bestiirmung 'markierter' versus 'unmarkierter1 Strukturen dienen. Dies bildet die Grundlage zu einer Bewertung der Prinzipien der allgemeinen Grannatiktheorie, die ja die jeweilige Form der diskutierten einzelsprachspezifischen Grammatiken bestimmen. Insofern stellt die Untersuchung also nicht nur einen Beitrag zur diachronen Grammatik des Deutschen, sondern auch zur Fräzisierung der allgemeinen Grammatiktheorie dar. Dabei ergeben sich zusätzlich Beschreibungen der Struktur der deutschen Gegenwartssprache, welche nicht nur historisch begründet sind, sondern sich aus den durch die diachrone Untersuchung bestätigten allgemeinen Prinzipien der Grammatiktheorie ableiten und wahrscheinlich machen lassen. Ausgangs- und Endpunkt der Untersuchung ist also stets die aus der diachronen Veränderung entstandene syntaktische Struktur des Nhd.
Die untersuchten syntaktischen Veränderungen werden ganz bewußt als
'autonom
1
syntaktisch angesehen, d.h. im wesentlichen unabhängig von den mit den Formen jeweils verbundenen semantischen Interpretationen. Das soll keineswegs bedeuten, daß der enge Zusammenhang zwischen Form und Funktion geleugnet würde: Es handelt sich hier zunächst um eine methodische Abgrenzung bei der Untersuchung der jeweils relevanten Strukturen. So wird es sich z.B. bei der Betrachtung der Verb-
Stellung ergeben, daß sich in diesem Sinne rein syntaktisch vemutlich relativ wenig geändert hat. Beispielsweise sind Verb-Erst-, -Zweit- und -Endstellung sowohl in den ältesten Sprachstufen wie im gegenwärtigen Deutsch zu beobachten; lediglich ihre jeweilige hauptsächliche Funktion, die der Identifizierung von Entscheidungsfrage, Haupt- oder Nebensatz dient, hat sich möglicherweise gegenüber der früherer Sprachstufen verschoben, wenn sich auch noch Reste älterer Verwendung finden lassen, wie etwa bei Verb-Erststellung in Aussagesätzen bei bestaunten Erzählstilen. Aus dieser und ähnlichen Beobachtungen ist der Schluß ableitbar, daß sich Sprachwandel insgesamt weniger im Bereich der Syntax als im Bereich der semantischen oder pragmatischen Verwendung syntaktischer Formen abspielt. Dies jedoch scheint mir ein Ergebnis zu sein, das im Einklang mit verschiedenen traditionellen und modernen Sprachwandeltheorien steht, die in diesem Zusammenhang besonders die pragmatischen und soziolinguistischen Aspekte betonen. Die strenge Abgrenzung eines autonom syntaktischen Bereichs der Sprachstruktur erlaubt es also, sprachliche Veränderungen im Rahmen der gesamten Sprachstruktur genauer zu lokalisieren. Dabei scheint sich zu ergeben, daß der vielfach vertretene Glaube an strukturiirmanente Wandeltendenzen zumindest stark relativiert werden muß zugunsten eines Bildes, das die Beständigkeit der wesentlichen Strukturen betont, aber den Wandel der jeweiligen Interpretation, Funktion und Verwendung dieser Strukturen hervorhebt. Die Arbeit geht wie folgt vor: - Im 1. Kapitel werden verschiedene theoretische Standpunkte zum Sprachwandel im allgemeinen und zum syntaktischen Wandel im besonderen referiert und kritisch diskutiert. Dabei gehe ich vor allem auf unterschiedliche Positionen bei den Junggrammatikern, im Strukturalismus und in der generativen Grammatik ein. (Typologische Ansätze werden im Kapitel 3 behandelt.) Es schließt sich eine Darstellung meines eigenen Standpunktes an, der sich in den Untersuchungen der folgenden Kapitel ausführlicher an empirischem Material erläutert findet. Es erweist sich nämlich, daß für weite Bereiche der Syntax überhaupt kein Wandel angenonmen zu werden braucht, so daß sich folglich auch eine spezielle Iheorie syntaktischen Wandels weitgehend als überflüssig erweist. Lediglich in der sprachspezifischen Wahl bestimmter Parameter, die die "core grammar' offen läßt, sowie im Bereich ohnehin variabler stilistischer Regeln und im Lexikon (strikte Subkategorisierung) ist ein Wandel zu beobachten, der aber weitgehend der auch synchron vorliegenden Variabilität entspricht. - Kapitel 2 befaßt sich mit der sogenannten 'Entstehung1 der Nebensätze und kontrastiert die traditionellen Beschreibungen mit einer generativen Darstellung der Struktur des Nhd. Es ergibt sich, daß von einer 'Entstehung' von Nebensätzen so-
wohl aus rein terminologischen wie aus allgemein strukturellen Gründen nicht gesprochen werden kann: Eingebettete Sätze hat es stets gegeben, und ihre Beschreibung leitet sich für das And., Mid. und Fnhd. aus den gleichen zugrundeliegenden Strukturen ab wie die der nhd. Nebensätze. Ein Wandel besteht aus dieser Sicht lediglich in der strikten Subkategorisierung satzeinleitender Elemente sowie bei bestimmten sprachspezifisch festgelegten 'markierten1 Erscheinungen. - Das 3. Kapitel wendet sich der Verbstellung zu. Hier wird neben traditionellen Theorien und dem 'strukturalistischeren' Ansatz Fourquets auch der typologische Erklärungsversuch Vennemanns behandelt. Eine eigene generative Darstellung legt die gleiche Struktur zugrunde, die für die Beschreibung der Nebensätze entwickelt wurde. Auch hier ergibt sich, daß sich die Verhältnisse im Ahd., Mid. und Fnhd. auf der Grundlage der gleichen syntaktischen Struktur beschreiben lassen wie das Nhd. Scheinbare Veränderungen betreffen Bereiche, die auch synchron variabel sind, vor allem die Ausklammerung und die Umstellung des finiten Verbs bei doppeltem Infinitiv u.a. Lediglich im Bereich der Endstellung des Verbs läßt sich ein Wandel in der Festlegung bestimmter sprachspezifischer Parameter feststellen, der seine Erklärung möglicherweise in allgemeinen typologischen Erscheinungen findet.
SPRACHWANDELTHEORIEN DES 2 0 . JAHRHUNDERTS ÜBERBLICK UND EIGENE STANDORTBESTIMMUNG.
1.1.
Einleitung
In diesem Kapitel wird der eigene, in der vorliegenden Arbeit vertretene Standpunkt skizziert, der sich aus der generativen Graitmatik ableitet. Das geschieht vor dem Hintergrund verschiedener theoretischer Positionen zum Problem des Sprachwandels, die im 20. Jahrhundert von Bedeutung gewesen sind. Aus Platzgründen kennen jedoch die Auffassungen der Junggranmatiker, der sich an sie anschließenden traditionellen Grammatik, des Strukturalismus, der generativen Graitmatik und der (meist strukturalistisch geprägten) Kritik an letzterer nur überblickartig und stark verkürzt behandelt werden. Das Phänomen des Sprachwandels muß von jeder ernstzunehmenden Sprachtheorie erfaßt werden; die in der Geschichte der Sprachwissenschaft dazu vertretenen Positionen unterscheiden sich insbesondere darin, welchen Stellenwert sie dem Sprachwandel grundsätzlich zuerkennen. Eine Frage, die in den verschiedenen sprachwissenschaftlichen Schulen jedoch kaum gestellt und ernsthaft erforscht worden ist, ist die Frage nach den grundsätzlichen rein linguistischen B e s c h r ä n k u n g e n sprachlichen Wandels. Diesem Problem wendet sich die vorliegende Arbeit, bezogen auf die Ebene der syntaktischen Struktur, zu. Es soll nämlich untersucht werden, ob sich generelle und sprachspezifische strukturelle Bedingungen feststellen lassen, die den Rahmen festlegen, innerhalb dessen sich eine Sprache im Bereich der Syntax überhaupt verändern kann. Um diese kurz skizzierte Fragestellung etwas ausführlicher zu erläutern, möchte ich mich auf eine logische Verklärung beziehen, die Coseriu seiner Arbeit (1974) zugrundegelegt hat. Er unterscheidet bei der Untersuchung des Sprachwandels zwischen drei grundsätzlichen Problemen (S. 56): "a) dem rationalen Problem des Wandels (warum sich die Sprachen verändern, das heißt, warum sie nicht unveränderlich sind); b) dem generellen Problem der Veränderungen, das [...] nicht ein 'kausales 1 , sondern ein 'konditionales1 Problem ist (unter welchen Bedingungen Veränderungen in den Sprachen gewöhnlich auftreten); und c) dem historischen Problem eines bestimmten Wandels."
Womit sich die vorliegende Arbeit befaßt, ist ein Teilproblem des unter b) genannten generellen Problems. Maine Fragestellung lautet: Welche Veränderungen
der syntaktischen Struktur einer Sprache sind bei einem synchronen Zustand A überhaupt möglich und welche nicht? Als Beispiel sollen bestimmte syntaktische Veränderungen in der Geschichte des Deutschen ausführlicher behandelt werden. Das Ergebnis der Arbeit kann dabei als vorsichtiger Beitrag zur Bestimmung substantieller Universalien angesehen werden, wie sie im sprachtheoretischen Rahmen angenommen werden, der durch die verschiedenen (und z.T. leicht unterschiedlichen) Arbeiten Chomskys abgesteckt wird. Aus diesen Bemerkungen ergibt sich auch, welche Probleme in der vorliegenden Arbeit nur am Rande behandelt werden. Die Frage, warum Sprachen sich wandeln, wird in einer Übersicht über forschungsgeschichtlich bedeutsame Ansichten zur Ursache sprachlichen Wandels kurz diskutiert, aber auf sie kann und will diese Untersuchung keine Antwort geben, - dies u.a. auch deshalb, weil ich der Ansicht Coserius folge, daß es sich bei einer bestimmten, häufig anzutreffenden kausalen Interpretation der nationalen Frage (a) im Grunde um ein Scheinproblem handelt. Ebensowenig sollen meine Untersuchungen als Beiträge zum historischen Problem (c) verstanden werden. Untersuchungen, die diesem Aspekt gewidmet sind, liegen zu Teilbereichen in relativ großer Zahl vor; sie bilden in der Regel die Grundlage für die Sprachgeschichtsschreibung, in der die sprachlichen ^feränderungen häufig parallel zu allgemein geschichtlichen (d.h. politischen, wirtschaftlichen, kulturellen usw.) Entwicklungen betrachtet und auf diese bezogen werden. Das erweist sich in bestimmten Bereichen, insbesondere dem des Lexikons, grundsätzlich als sinnvoll, da sich dort häufig ein kausaler Zusammenhang zwischen allgemein historischen und sprachgeschichtlichen Erscheinungen herstellen läßt, während das auf anderen Gebieten (Lautwandel, syntaktischer Wandel) wahrscheinlich nur bedingt gilt. Zu solchen sprachgeschichtlichen Untersuchungen jedoch soll die 2 vorliegende Arbeit keinen Beitrag liefern; vielmehr bedient sie sich der Etgebnisse vorliegender sprachgeschichtlicher Untersuchungen, die sie einer Analyse unterzieht, aus der sich die zentrale Frage nach den Beschränkungen syntaktischen Wandels einer Antwort näher bringen läßt. Welcher Art sind nun diese "Beschränkungen", denen der Sprachwandel speziell im Bereich der Syntax unterliegt, und die (wenn man Weinreich/Labov/Herzog (1968,99f.) folgt) die Kernaussage einer "Sprachwandeltheorie" darstellen? Als ich mit den Voruntersuchungen zu dieser Arbeit anfing, schwebte mir vor, be1 Vgl. dazu u.a. Chomsky (1965, 1975, 1980a, 1981a); die in der vorliegenden Arbeit relevanten Universalien werden von Kanngießer (1973) als 'Typ 2-Universalien" bezeichnet. 2 Vgl. Vennemanns (1976a) kritische Bemerkungen zum Verhältnis von Sprachgeschichtsschreibung und Linguistik.
stimnte Typen syntaktischen Wandels mit bestiitittten Regel Veränderungen in Zusammenhang zu bringen und Beschränkungen zu formulieren, denen diese RegelVeränderungen unterliegen. So schien es z.B. möglich, den Verlust bestimmter Tilgungsregeln als möglichen syntaktischen Wandel grundsätzlich auszuschließen. Das träfe etwa auf Fälle zu, in denen ein ursprünglich fakultativ auftretendes Element im Verlauf der Sprachgeschichte inner häufiger vorkommt und schließlich obligatorisch wird. Rein technisch ließe sich ein solcher Wandel, wie er etwa durch die Zunahme des expletiven es im Deutschen oder die Entstehung des periphrastischen do im Englischen belegt ist (vgl. Lenerz 1979 und 1982) , durch den Verlust einer zunächst fakultativen Tilgungsregel erfassen. Solch eine Beschreibung erscheint allerdings intuitiv unangemessen, da es sich offenbar bei diesen Fällen darum handelt, daß ein Element im verlauf der Sprachgeschichte in bestintnten syntaktischen Positionen immer häufiger auftritt. Es erscheint deshalb widersinnig, für diese A u s b r e i t u n g einer syntaktischen Erscheinung die A b n a h m e und schließlich den V e r l u s t einer Tilgungsregel anzunehmen. Aufgrund dieser und ähnlicher Beobachtungen erschien also eine Verschärfung und Verfeinerung der Beschränkungen, denen die Veränderung des syntaktischen Regelsystems unterliegt, sinnvoll. Es erwies sich zudem, daß einige entscheidende Entwicklungen der Theorie der generativen Grammatik, die unter der Bezeichnung 'Revised Extended Standard Theory' (REST) zusammengefaßt werden, eine andere Darstellungsmöglichkeit eröffneten, ja erzwangen: Dadurch, daß diese Theorie zwischen einem unmarkierten Kernbereich (core) und einem mehr oder weniger markierten Randbereich (fringe) von grammatischen Erscheinungen unterscheidet, erlaubt sie u.a. die Darstellung innersprachlicher (dialektaler, soziolektaler, idiolektaler usw.) Variation. Damit genügt sie in einer bestimmten Weise den immer wieder zu Recht erhobenen Forderungen, eine adäquate Sprachtheorie müsse in der Lage sein, die Heterogenität eines (synchronen) Sprachsystems zu erfassen. Durch diese von der Grammatiktheorie zugelassene Variationsbreite (oder: Heterogenität) einzelsprachlicher Grammatiken sind aber nicht nur Grenzen und Miglichkeiten synchroner Variation festgelegt, sondern es sind zugleich die tßglichkeiten und die Beschränkungen diachroner Variation bestimmt. Denn diese Grammatiktheorie erfaßt nicht nur die vom Kembereich der Grammatik "abweichenden" markierten Erscheinungen, sondern sie enthält zugleich (vornehmlich synchron begründete) Einschränkungen, die genau stark genug sind, nur prinzipiell mögliche Variation zuzulassen. Die Entdeckung solcher generellen Einschränkungen, die formaler und substantieller Art sind, stellte ja seit dem Erscheinen der 'Aspects' das wesentliche Forschungsprogramm der generativen Granratik dar. Es erwies sich nun im Laufe der Untersuchung, daß
8
(zumindest für einen überraschend großen Bereich) diachrone syntaktische Veränderungen genau denselben Beschränkungen unterliegen, die auch für synchrone syntaktische Variation gelten. Das soll im einzelnen in den folgenden Kapiteln gezeigt werden. Mit dieser (hier knapp skizzierten und vorweggenommenen) Schlußfolgerung reduziert sich also der Bereich, den eine spezifische 'Sprachveränderungstheorie' erfassen müßte, da sich offenbar wesentliche Beschränkungen, die eine solche Theorie zu formulieren hätte, bereits notwendig in der allgemeinen Grammatiktheorie finden bzw. aus ihr aufgrund der einzelsprachlichen Grammatik deduktiv ableitbar sind. Dieses Ergebnis hat zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen legt es nahe, bei allen diachronen syntaktischen Veränderungen zunächst nach solchen synchronen Analysen zu suchen, aus denen sich der diachrone Wandel ohne die Annahme mehr oder weniger radikaler struktureller Veränderungen ableiten läßt. Zum anderen aber findet die zugrundegelegte Grammatiktheorie, die weitgehend aufgrund synchroner Analysen erstellt wurde, auf überzeugende Weise eine zusätzliche Bestätigung durch den Nachweis ihrer diachronen Tauglichkeit. Bevor wir uns jedoch eingehender mit den in diesem Zusanmenhang auftretenden Fragen befassen, sollen kurz in einem forschungsgeschichtlichen Überblick die wesentlichen Standpunkte zur Diachronie, insbesondere auf dem Gebiet der Syntax, sowie die jeweils besonders hervorzuhebenden Probleme einzelner Positionen dargestellt werden. 1.2.
Die junggrammatische Tradition
Als große theoretische Summa des junggrairmatischen Standpunktes gelten allgemein Hermann Pauls 'Prinzipien der Sprachgeschichte1. Die Grundzüge der Panischen Sprachwandeltheorie stellen sich wie folgt dar: Eine Sprache existiert allein im individuellen Sprachgefühl von Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft, ist also eine als 'Sprachusus1 bezeichnete Abstraktion über individuell leicht unterschiedliche reale psychische Repräsentationen. Die Sprache manifestiert sich jeweils nur im sprachlichen Handeln der Individuen, welches eine gewisse Variation erlaubt, die in der Freiheit des Individuums, seinen Ausdrucksabsichten, der Einstellung auf den Kommunikationspartner und in seinem Idiolekt sowie durch das Spannungsverhältnis zwischen individuellem Sprachgefühl und allgemeinem 'Sprach3 Als Handbücher seien u.a. erwähnt: Arens (1969), Lepschy (1969), Heibig (1971), Boretzky (1977), Bynon (1977, dt. 1981) (vgl. dazu Lenerz demn.), Amirova/Ol'chovikov/RoXdestvenskij (1980), Scaglione (1981) sowie die Einzeldarstellungen in Sebeok (1975); neuere Literatur findet sich auch in Cherubim (1980a).
usus1 begründet ist. Durch diese Variation, durch das ständige Wechselspiel zwischen Sprachusus und Sprechtätigkeit sowie durch die ständige "Neuerzeugung" der Sprache in der Spracherlemung durch Kinder unterliegt die Sprache einem ständigen Wandel. Exemplifiziert wird das vornehmlich an den 'Sprachlauten1 und ihrer Veränderung (vgl. Paul 1920, Kap. 3, S. 49-73). Die Gesetzmäßigkeit des Lautwandels sieht Paul dabei anders bestimmt als in den Naturwissenschaften (S. 68): "Das Lautgesetz sagt nicht aus, was unter gewissen allgemeinen Bedingungen immer wieder eintreten muß, sondern es konstatiert nur die Gleichmäßigkeit innerhalb einer Gruppe bestimmter historischer Erscheinungen." Es zeigt sich also, daß die Suche nach prinzipiellen strukturellen Bedingungen oder Beschränkungen des Lautwandels (über die rein physiologischen oder psychologischen Bedingungen 4 hinaus) für Paul offenbar kein Erkenntnisziel darstellt. Das gilt auch für den Bereich der Syntax, wenn auch die Bemerkungen Pauls zum syntaktischen Wandel insgesamt gesehen und im Vergleich zu seinen Ausführungen zum Lautwandel wenig explizit sind und weitgehend im Allgemeinen und Spekulativen verharren. Das hängt wohl hauptsächlich damit zusammen, daß den Junggrartnatikem keine differenzierte Syntaxtheorie zur Verfügung stand. Paul bezieht sich vor allem auf die Beziehung syntaktischer Erscheinungen zu den als zugrundeliegend angenommenen 'psychologischen1 oder 'logischen' (S. 282) Relationen zwischen den auszudrückenden Sachverhalten. Dabei definiert er (S. 121ff., Kap. VI) den Satz wie folgt: "der Satz ist der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafür, daß sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in der Seele des Sprechenden vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen."
Zum sprachlichen Ausdruck dieser Verbindung von Vorstellungen unterscheidet er zwischen Mitteln der Wortstellung, der Intonation und der grammatischen Kennzeichnung mittels 'Verbindungswörtern' und Flexion (S. 123f.). Syntaktischer Wandel entsteht seiner Ansicht nach dadurch, daß ein "Gegensatz zwischen dem psychologischen (logischen) Verhältnis der Satzbestandteile untereinander und ihrem rein grammatischen Verhältnis entstehen kann" (S. 282). Zwar beruht das grammatische Verhältnis der Satzglieder zueinander auf der Grundlage des Psychologischen (S. 124), - da aber die grammatischen Beziehungen in gewisser Weise festliegen (usuell sind), während bei den psychologischen Verhältnissen "die alte, nie ganz zu vernichtende Freiheit in der Verknüpfung der Begriffe 4 Zur Diskussion des Paulschen Lautwandelbegriffes sowie des Lautgesetzes vgl. u.a. Weinreich/Labov/Herzog (1968), Venneraann/Wilbur ( 1 9 7 2 ) , Reis (1974a, 1978), Cherubim (1980a).
10
waltet" (S. 282), ergeben sich u.U. "neue Kcnstruktionsweisen", wann der "Widerspruch" zwischen grammatischer und psychologischer Gliederung "usuell wird" (S. 282). Neben diesem Mechanismus sieht er auch Analogie (S. 110ff.) sowie Sprach- oder Dialektmischung (Kap. 22) als Ursachen syntaktischen Wandels an. Unklar bleibt an Pauls Konzeption vieles, vor allem, was die zugrundeliegenden "psychologischen Kategorien" (S. 263ff.) eigentlich sind. Das gleiche Problem findet sich in den meisten sogenannten 'funktionalen' Auffassungen der Syntax und des syntaktischen Wandels bis in die jüngste 'traditionelle' Literatur, ohne daß die in den meist ungenügend reflektierten oder unausgesprochen vorausgesetzten theoretischen Grundannahmen liegenden Gründe erkannt wären. Es ist allerdings hier auch die unterschiedliche, fast "autonom syntaktisch1 zu nennende Position von Ries (1894) zu erwähnen, die jedoch offenbar nicht genügend Einfluß auf die Forschung gehabt zu haben scheint. Ries setzt sich kritisch mit den theoretischen Grundlagen der Beiträge zur Syntax im 19. Jahrhundert auseinander.
Er kritisiert vor allem die häufig anzutreffende teilweise Gleich-
setzung von Syntax und Bedeutungslehre,
die sich ja z.B. auch in den einleiten-
den Bemerkungen zu den Syntax-Bänden von Pauls (1919) Deutscher Grammatik findet, wo es heißt (S. 3): "Die Syntax ist ein Teil der Bedeutungslehre, und zwar derjenige, was schon das Wort besagt, dessen Aufgabe es ist, darzulegen, wie die einzelnen Wörter zum Zwecke der Mitteilung zusanmengeordnet werden." Demgegenüber stellt Ries heraus, daß man in der Syntax (wie auch in der Wortlehre) zwei Aspekte zu unterscheiden hat: den formalen und den bedeutungsmäßigen. Zwar leugnet Ries nicht, daß es auch Aufgabe der grammatischen Beschreibung ist, die Funktion (Bedeutung) syntaktischer Formen zu erfassen, - er betont jedoch ausdrücklich die Notwendigkeit, beide Aspekte methodisch voneinander zu trennen (S. 127f.): "Andererseits muß, auch wenn sich die Trennung der Formenlehre von der Bedeutungslehre der Wortgefüge für die D a r s t e l l u n g nicht oder nur selten empfehlen sollte, an der Forderung aufs strengste festgehalten werden, daß diese Trennung bei der F o r s c h u n g selber niemals versäumt werde. Nur bei der sorgfältigsten Beobachtung des methodischen Grundsatzes, der in der analytischen Grammatik das Ausgehen von der Form zur Pflicht macht, ist die Gefahr unberechtigter Übertragung der syntaktischen Gesetze einer Sprache auf die andere zu vermeiden."
5 Zur Geschichte des Satzbegriffes vgl. u.a. Delbrück (1900) , Reis/Wunderlich ( 3 1 9 2 4 ) , Ries ( 1 9 3 1 ) , Seidel ( 1 9 3 5 ) , Skala (1962) sowie Jellinek (1913/14), Glinz (1947) u . a . 6 Aus der zeitgenössischen Literatur sowie aus Ries' eigenen Formulierungen geht im übrigen hervor, daß der Begriff 'Bedeutungslehre' nicht mit 'Seraantik 1 gleichgesetzt werden kann, sondern sich vielmehr auf den 'Gebrauch' oder die 'Funktion' der formalen Mittel bezieht, vgl. Ries (1927,70 u. 80f. sowie 186, Anm. zu S. 102, Absatz.)
11
iAls zu erstrebendes Ziel einer derart verstandenen Syntax sieht er dabei "die Aufstellung vollständiger Formenschemata der in einer Sprache gebildeten Wbrtgefüge" (S. 138) sowie eine Analyse der Mittel zur Bildung solcher Wbrtgefüge. Erst aus dieser formalen Betrachtung, die sich auch formaler Darstellungsmittel (S. 138) bedienen soll, ergibt sich die Möglichkeit sowohl der Bedeutungsbestimmung wie auch des Vergleichs historisch sich verändernder Formen. Daß eine solche zunächst formal orientierte vorgehensweise sich auch für die historische Darstellung eignet, wird zudem in den 1927 für die 2. Auflage angefügten ergänzenden Bemerkungen (S. 175ff.) ausdrücklich verteidigt. Welcher Art jedoch die formale Beschreibung syntaktischer Phänomene sein soll, bleibt unklar. Deutlicher ist hier Blümel (1914) , der sich Ries im wesentlichen anschließt. Im 'Versuch eines Aufbaus der Syntax1 wird van. der Form ausgehend ein Entwurf einer Syntax gegeben, die in Ansätzen das kreative (generative) Moment wie auch eine gewisse hierarchische Strukturierung syntaktischer Gebilde enthält. So sagt er (S. 71f.): "Die schöpferische Tätigkeit der Analogie ist also notwendig, um ein wirkliches, echtes syntaktisches Gebilde, z.B. einen echten Satz entstehen zu lassen". Die Rolle der Analogie besteht darin, neue Sätze nach dem Muster bekannter Sätze zu bilden. (Auf den Analogiebegriff und die mit ihm verbundene Problematik kommen wir unten zurück.) Dabei können solche Muster z.T. auch fälschlicherweise übertragen werden. Durch derartige "falsche" Analogie (S. 72) kann schließlich auch syntaktischer Wandel bedingt sein (vgl. S.237ff.). Dieser und andere Mechanismen syntaktischen Wandels werden durch anschauliche Beispiele illustriert, aber insgesamt bleiben die Bemerkungen zum syntaktischen Wandel doch eher allgemein. Von einer differenzierten Theorie des syntaktischen Wandels kann jedenfalls in verschiedener Hinsicht nicht die Rede sein. Vor allem bleibt etwa beim Wandel durch Analogie unklar, aus welchen Gründen der vermeintliche Wandel sich gerade in der angegebenen Richtung vollzieht und nicht umgekehrt, d.h. welche von zwei konkurrierenden Formen als das Master der Analogiebildung angesehen wird und aufgrund welcher Bedingungen. Auch ist der Begriff der syntaktischen Form undeutlich, da von den andeutungsweise entwickelten Mitteln zur (teilweise hierarchischen) Strukturbeschreibung (S. 17ff.), die den Baumgraphen strukturalistischer Grannatiken ähneln, kaum Gebrauch gemacht wird. Eine differenzierte Strukturbeschreibung wird nicht entwickelt. Da eine solche ausführlichere Beschreibung vorhandener syntaktischer Strukturen weitgehend un-
7 Vgl. zu einer stammbaumartigen Darstellung Blümel (1914, 1 7 f . ) ; dort findet sich auch ansatzweise ein Transformationsbegriff (S. 108: "Verwandlung"), der z.B. auch auf die Aktiv-Passiv-Konverse bezogen wird.
12
terbleibt, kann natürlich auch die Frage nach der Beschränkung syntaktischen Wandels nicht gestellt werden. Die Frage, was auf der Grundlage einer vorhandenen syntaktischen Struktur also überhaupt nur als "möglicher Wandel" anzusehen ist, kann nicht diskutiert werden, - sie wird auch nicht gestellt. Eine derartig "autonome1 Begriffsbestimmung und inhaltliche Abgrenzung der 2 Syntax, die Ries (1894, 1927) gibt, steht jedoch einigermaßen vereinzelt da. Sie hat vergleichsweise wenig Einfluß auf die Praxis gehabt, die sich weiterhin an der unreflektiert übernommenen Gliederung der klassischen Grammatiken orientierte. Die Kritik, die Ries an Syntax-Darstellungen des 19. Jahrhunderts übte, läßt sich deshalb ohne weiteres auch auf die in der junggrammatischen Tradition stehenden Arbeiten zur Syntax übertragen, die z.T. bis heute als Standardwerke gelten. Als Beispiele seien etwa Paul (1919, 1920), Reis/Wunderlich (1924) und - in der Fortsetzung dieser Tradition - Dal (1962) genannt. Vor allem aber gilt das für die an Stoffülle und treffenden Einsichten in die verschiedensten Probleme der synchronen und vor allem diachronen Syntax des Deutschen bis heute nicht übertroffene Gesamtdarstellung von Benaghel (1923ff.). Ungeachtet ihres nicht zu leugnenden Wertes muß doch festgestellt warden, daß dieses Werk ohne den Versuch einer eigenen theoretischen Standortbestimmung auszukommen glaubt und sich als ein voluminöses 4bändiges Beispiel einer von Ries kritisierten "Mischsyntax" darstellt.8 Hinsichtlich der traditionellen (hier weitgehend junggrammatischen) Sprachwissenschaft ergibt sich also insgesamt folgendes Bild: Mangels eines ausreichenden syntaktischen Strukturbegriffes ist sie darauf angewiesen, Veränderungen rein oberflächenstrukturell zu beschreiben und dabei z.T. recht erhebliche Umordnungen anzunehmen; - das wird in Kap. 2 und 3 an einigen Beispielen deutlicher werden. Die Erklärung der so beschriebenen syntaktischen Veränderungen geschieht dabei im wesentlichen durch funktionale, semantische oder psychologische Hypothesen, für deren Plausibilität in der Regel keine unabhängigen Kriterien angegeben sind. Darüberhinaus ist es m.E. unklar, in welchem Maße semantische oder psychologische (d.h. hier meist: wahrnehmungspsychologische) Kriterien zur 8 Behaghel ( 1 9 2 3 f f . ) behandelt im 1. und 2. Band "Die Wortklassen und Wortformen", im 3. Band "Die Satzgebilde" und im 4. Band "Wortstellung. Periodenbau". Der Vorschlag von Ries (1927, 172) sieht demgegenüber folgende Gliederung vor: I. Lehre von den Wortgruppen, II. Lehre von den Sätzen, III. Lehre von den Gefügen aus Wort und Satz, IV. Lehre von den Satzgefügen. Auf verschiedene Versuche, diese rein syntaktisch-formale Gliederung in einer deskriptiven Grammatik anzuwenden, verweisen Reis/Wunderlich ( 3 l 9 2 4 ) .
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Erklärung einer rein formalen syntaktischen Umstrukturierung herangezogen werden sollten, - wenn überhaupt. Im Vordergrund sollte doch zunächst die Beschreibung und die daraus ableitbare formale Beschränkung des formalen Wandels selber
ste-
hen, - eine Forderung, die schon Blümel (1914a, 97ff.) für die Syntaxforschung insgesamt aufstellte. Von diesem Ausgangspunkt aus scheinen mir grundsätzlich solche Theorien vorzuziehen zu sein, die syntaktische Veränderungen auch so weit wie möglich im Rannen und mit den Mitteln einer (autonomen) syntaktischen Theorie zu erklären in der Lage sind und die nur minimalen Gebrauch machen müssen von nicht-syntaktischen oder gar von außerlinguistischen Begriffen. Diesen Ansprüchen kann die traditionelle Linguistik nicht genügen, wie sich an Arbeiten bis in die jüngste Zeit nachweisen ließe, und es ist zu bezweifeln, ob sie sie überhaupt als relevante Kriterien ansähe. 1.3.
"Triebkräfte1 des Sprachwandels
Aus der funktionalen und psychologisierenden Betrachtungswaise von Syntax, wie man sie typischerweise in junggrammatischen Darstellungen findet, leiten sich verschiedene Versuche zur Erklärung syntaktischen Wandels ab. Ihnen ist gemeinsam, daß sie den etwa von Paul (1920) skizzierten Mechanismus stärker differenziert darstellen, indem sie Tendenzen herausarbeiten, die den ständigen Ausgleich zwischen überlieferter Form und aktuellem Ausdrucksbedürfnis bestimmen. Das gilt im Grunde für alle traditionell orientierten Arbeiten, wenn sie sich nicht mit der reinen Deskription begnügen. Dabei werden die zur Erklärung syntaktischen Wandels postulierten 'Tendenzen' a priori aufgestellt, im wesentlichen bloß intuitiv begründet und in ihrer Wirksamkeit und in ihrem Zusammenwirken nur mehr oder weniger anekdotisch dargestellt, so daß sich keine explizite Theorie syntaktischen (oder allgemein: grantnatischen) Wandels ergibt. Die wohl umfassendste Darstellung der für den syntaktischen Wandel verantwortlichen Faktoren findet sich in Havers (1931) , über den auch spätere Ausführungen (vgl. Admoni (1973, 1977), Moser (1967), Koenraads (1953) u.a. mehr) nicht hin9 ausgehen. Havers trennt zwischen 'Bedingungen1 des Sprachwandels sowie den "Triebkräften'; durch das Ineinandergreifen beider ergibt sich die tatsächliche sprachliche Entwicklung. Als 'Bedingungen1 bezeichnet er die "in der äußeren Sprachform liegenden", die "in der psycho-physischen Beschaffenheit des Menschen liegenden" sowie die "Bedingungen der Unweit". Dar größte Raum seiner Aus9 Als Vorläufer ist die Schrift von Bredsdorff (1821, jetzt in dt. Übers. 1970, 21975) zu erwähnen (vgl. Jankowski 1976, 2 7 0 ) . Vgl. zu Havers (1931) auch die unterschiedliche Bewertung in den Rezensionen von Bloomfield (1934) und Behaghel (1932a).
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führungen ist den Bedingungen gewidmet, die in der psycho-physischen Beschaffenheit des Menschen liegen, und hier unterteilt Havers in solche, die "durch die Volkspsyche" gegeben sind und solche, die zu syntaktischen Fehlern führen. Sie werden illustrativ dargestellt, - es ist aber zugleich deutlich, daß die gegebene Liste im Prinzip recht beliebig ist und grundsätzlich wohl leicht ergänzbar oder veränderbar wäre. Es werden jedenfalls (bei aller scheinbaren Plausibilität einzelner 'Bedingungen') keine allgemeinen Prinzipien genannt, aus denen sich zwangsläufig die gewählten Bedingungen und nur diese als die einzig relevanten ergäben. Das gleiche gilt für die "Triebkräfte1. Auch hier ist keine prinzipielle Einschränkung erkennbar, so daß die Wahl der für den syntaktischen Wandel verantwortlich gemachten 'Bedingungen' und "Triebkräfte1 beliebig erscheinen muß. Zudem fehlt eine deutliche Abgrenzung, die bei den teilweise gegenläufigen 'Bedingungen' oder "Triebkräften1 angäbe, unter welchen Voraussetzungen genau welche Tendenzen wirksam werden. Es wird lediglich post faetum illustriert, wie die Bedingungen und Triebkräfte im jeweiligen Einzelfall ineinandergreifen. Eine weitere Arbeit, die die syntaktischen Auswirkungen derartiger funktionaler Tendenzen behandelt, ist Koenraads (1953). Koenraads setzt als bestimmende Prinzipien "Ökonomie1 und 'Efficiency' an, die einander derart ergänzen, daß durch sie jede syntaktische Erscheinung und jede Veränderung erfaßt werden kann. Dabei wird es als 'Efficiency' bezeichnet, wenn die gleiche Ausdrucksfähigkeit mit möglichst geringen Mitteln erreicht wird (S. XV). Das ergänzende Prinzip der Sprachökonomie dagegen drängt stets auf Vereinfachung der sprachlichen Ausdrucksmittel. Am Beispiel der Fixierung der Endstellung des finiten Verbs in der Geschichte des Deutschen (Kap. 2, bes. S. 95f.) sowie anhand einer Analyse eines Textes im modernen Deutsch (Kap. 3) zeigt sich jedoch die Zirkularität des 'Vorgehens, die m. E. dem gesamten Erklärungsprinzip anhaftet: Der Ausdruckszweck, hinsichtlich dessen in dem Textbeispiel 'Efficiency1 bestehen soll, wird erst nachträglich definiert. Es scheint insgesamt, als seien 'Ökonomie' und 'Efficiency' derart einander ergänzende Prinzipien, daß sich durch sie sozusagen alles 'erklären' läßt: Wenn ein Sprachwandel nicht 'ökonomisch' ist, wird behauptet, daß der 'ökonomische' Abbau von Ausdrucksmitteln zum Verlust eines differenzierten Ausdrucks geführt hätte, so daß die Erreichung des Ausdruckszwecks eine scheinbar 'unökonomische1 aber eben 'effiziente' Verkomplizierung der Ausdrucksmittel erforderlich machte. Auch hier erweist sich, daß eine solchermaßen unrestringierte und nicht explizite 'Theorie' im Grunde empirisch nicht angreifbar ist, da sie für jeden vorliegenden Fall je nach Lage der Dinge eines der beiden 10 Dieser Aspekt wird etwa auch von der modernen 'Fehlerlinguistik 1 wiederaufgenommen, vgl. Fromkin (1980), Bierwisch (1970), Cherubim (1980b) u.a.
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entgegengesetzten Prinzipien zur Erklärung heranziehen kann, ohne daß die Voraussetzungen klar sind, unter denen das eine bzw. das andere Gültigkeit beanspruchen kann. Es bleibt also festzuhalten: Die Postulierung von 'Triebkräften1 oder entsprechenden, den Sprachwandel bedingenden oder steuernden Prinzipien allein bedeutet solange keinen wesentlichen Fortschritt für das Verständnis sprachlichen Wandels, wie die genauen Bedingungen, denen die Wirksamkeit dieser Triebkräfte im Einzelfall gehorchen, nicht definiert werden.
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Die Mängel der syntaktischen Konzeption, wie sie sich beispielhaft in den Syntax-Darstellungen der Junggramratiker und der folgenden traditionellen Grammatiken zeigen, sind also die folgenden: 1) Es fehlt die Möglichkeit zur ausreichenden Darstellung der hierarchisch und linear gegliederten syntaktischen Struktur. Dieses Manko wird durch das Beibehalten der heterogenen syntaktischen Grundbegriffe bedingt, deren Zusammenstellung sowohl in ihrer historischen Entstehung wie in ihrem logischen Gefüge nur mehr 12 oder weniger zufällig genannt werden kann. Relationale Begriffe (Subjekt, Prädikat etc.) stehen neben kategorialen (Adjektiv, Verb etc.) und funktionalen (psychologisches Subjekt etc.), ohne daß das Verhältnis dieser Begriffe untereinander geklärt wäre und ohne daß ihre Anständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Abgrenzung in jedem Fall gewährleistet wäre (vgl. z.B. die Überschneidung von Nomen und Adjektiv, Verb und Kopula etc.). 2) Die zugrundeliegenden Prinzipien, die den Bau und die Veränderung der Syntax bestimmen, sind auf ähnliche Weise im Grunde in der Auswahl beliebig (unvollständig und sich überschneidend) sowie in ihrem Zusaittnenwirken unerklärt. Beide Aspekte lassen sich in der Feststellung zusammenfassen, daß die traditionelle Grammatik keine Theorie der Grammatik und speziell keine autonome Theorie der Syntax entwickelt hat. Das hat u.a. zur Folge, daß verschiedene Beschreibungen und Erklärungen für gleiche syntaktische Strukturen und gleichen syntak11 Das gilt auch für die insgesamt wenigen Bemerkungen Behaghels, insbesondere, was das Zusammenwirken der von ihm aufgestellten allgemeinen 'Gesetze' angeht (1932, 3 f f ) . So heißt es (S. 5 ) : "Die [...] Gesetze können zusammenwirken in derselben Richtung" und: "Beide Gesetze können aber auch sich entgegenarbeiten." Bedingungen dafür, wann das eine, wann das andere geschieht, werden nirgends gegeben; vielmehr sind die folgenden Bemerkungen Behaghels ähnlich unbestimmt. 12 Vgl. hier u.a. Jellinek (1913/14), Glinz ( 1 9 4 7 ) , Skala ( 1 9 6 2 ) , Pinborg ( 1 9 6 4 ) , Forsgren ( 1 9 7 3 ) , Cherubim ( 1 9 7 5 ) , Vesper (1980) sowie die einschlägigen Handbücher wie Arens (1969), Amirova/Ol'chovikov/Rozdestvenskij (1980). Instruktiv sind hier auch die Einleitungen einiger junggrammatischer Syntaxdarstellungen, die einen forschungsgeschichtlichen Rückblick enthalten, so besonders Reis/Wunderlich ( 1 9 2 4 ) , Wackernagel (1926), Delfa rück (1893), Delbrück (1919).
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tischen Wandel vorliegen, die einander widersprechen, ohne daß eine prinzipielle Qitscheidung zwischen derart konkurrierenden Darstellungen möglich wäre. Als Beispiel sei hier auf die verschiedenen traditionellen Hypothesen zur Entstehung der Nebensätze hingewiesen, die ausführlicher in Kap. 2 behandelt werden. Um kein Mißverständnis aufkoimen zu lassen, sei abschließend noch folgendes betont: Die hier geäußerte Kritik an der Syntaxkonzeption der traditionellen Grammatik ist keineswegs als Abqualifizierung gedacht, sondern lediglich als vergleichende Feststellung, die vom heutigen Iheorieverständnis ausgeht. Dabei sollen insbesondere die Leistungen der traditionellen Forschung ausdrücklich gewürdigt werden, die auf dem Gebiet der Zusammenstellung und Beschreibung umfassenden Datenmaterials, vor allem aus dem Bereich der älteren Sprachstufen erbracht worden sind und ohne die auch die vorliegende Arbeit nicht möglich wäre. 1.4.
Strukturalismus
1.4.1. Allgemeines Die auf de Saussure (1916) zurückgehende Trennung von Synchronie und Diachronie sowie die Auffassung von Sprache als einem System von Zeichen sind die wohl grundlegenden Kennzeichen des sogenannten sprachwissenschaftlichen Strukturalismus. Für die Erforschung syntaktischen Wandels ergibt sich daraus jedoch erstaunlich wenig. Zwar werden nun erstmals stärker strukturierte und kohärentere Entwürfe zur Fundierung der Syntax entwickelt, - aber diese sind so statisch, daß sie so gut wie keine Anwendung auf Phänomene des Sprachwandels erlauben. Den wesentlichen Syntaxkonzeptionen (Konstituenten- und Dependenzgrammatiken) ist gemeinsam, daß sie über die rein lineare Gliederung hinausgehend eine hierarchische Struktur ansetzen, - wenn diese auch z.T. unterschiedlich interpretiert wird. Dabei spielen mehr oder weniger starke 'funktionale' oder bedeutungsmäßige Gesichtspunkte bei der hierarchischen Gliederung eine Rolle: Vor allem die dependenziellen Beziehungen etwa zwischen dem Verb und seinen nominalen 'Mitspielern ', aber auch die entsprechenden Relationen zwischen Operator und Operand in Kategorialgrammatiken oder die Kasus in Filimores (1968) Modell sind weitgehend semantisch bestimmt. Dagegen sind für die hierarchische Gliederung in Konstituentenstruktursystemen im wesentlichen rein distributioneile Kriterien bestimmend. Folglich sind es auch die letzteren Systeme, die eine methodisch klare Trennung zwischen Form und Funktion ermöglichen. Hier wird deutlich zwischen der Klassenzugehörigkeit der Konstituenten (N, V, Adj. etc.) und den syntaktischen Relationen (Subjekt-vonv Cbjekt-von, Prädücat-von usw.) unterschieden. Diese Tatsache erscheint mir gerade bei der in der vorliegenden Arbeit vorzunehmenden Analyse syntaktischen Wandels von großer Bedeutung, da sie es erlaubt,
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die jeweilige Art des Wandels (rein formal oder funktional) exakter zu bestimmen, als das in dependenziellen Systemen möglich ist, die Form und Funktion gemeinsam darstellen. Dieser Punkt gilt insbesondere hinsichtlich noch stärker funktionsorientierter und formal weniger strukturierter Syntaxversionen, wie sie etwa in der Prager Schule, der inhaltsbezogenen Grairmatik in Deutschland und der funktionalen Grammatik vorliegen. Diesen Ansätzen ist gegenüber den expliziteren Konstituenz- und Dependenzgraninatiken gemeinsam, daß sie in der Strukturierung kaum über eine rein lineare Gliederung in 'Stellungsfelder1 hinausgehen, wie sie schon für das Deutsche von Drach (1937) und Boost (1955) entwickelt worden waren. ° Daneben aber wird in den genannten Madellen jede formale Charakterisierung stets mit einer 'inhaltsbezogenen1 oder 'funktionalen* (was immer das im einzelnen ist) gekoppelt. Daraus resultieren dann u.U. spekulative Bewertungen, wie sie sich in manchen materialreichen und an sich sehr sorgfältigen diachronen Untersuchungen finden (vgl. Fleischmann 1973). Insgesamt aber bleibt festzuhalten, daß sämtliche 'strukturalistischen' Richtungen dem Sprachwandel im Grunde nur wenig Beachtung geschenkt haben. Der wohl entscheidende Grund für die Nichtbeachtung des Sprachwandels liegt gerade in der Betonung des Systemcharakters von Sprache, die eine der wesentlichen Errungenschaften des Strukturalismus darstellt. Wie WeinreichAabov/Herzog (1968) hervorheben, wurde der Begriff der Systematizität häufig mit * ~ Vorstellung der Homogenität des Sprachsystems verbunden. Zudem ließen die zur Verfügung stehenden Beschreibungsmöglichkeiten im wesentlichen nur die Darstellung statischer Systeme zu, so daß eine dynamisch sowohl synchron variierende wie diachron sich verändernde heterogene Sprachstruktur weitgehend außerhalb dessen lag, was sich durch die gerade erst entwickelten strukturalistischen Theorien erfassen ließ. 1.4.2. 'drift'
Allerdings ist hier auf das von Sapir (1921, Kap. 7) entwickelte Prinzip der drift 'Strömung' hinzuweisen, durch das Gesetzmäßigkeiten bei der diachronen Veränderung sprachlicher Systeme (insbesondere im Bereich der Morphologie und der Syntax) erfaßt werden sollen. 14 Sapir arbeitet folgende 'Tendenzen1 des Sprachwandels heraus: 13 Vgl. jetzt dazu Reis (1980) und Thümmel (1980), der auf die einschlägigen Arbeiten der skandinavischen Linguistik verweist. 14 Eine zusammenfassende und weiterführende Darstellung gibt Vennemann (1975), der neben Sapirs Konzept auch die Ansätze von Fries (1940) und R. Lakoff (1972) ausführlich bespricht. Vgl. jetzt auch Malkiel (1981) zur ' d r i f t ' .
18 1. "Die erste der drei [Unterströmungen] besteht in der oft beobachteten Tendenz zur Nivellierung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes. Es handelt sich hier in der Tat um eine späte Phase des stetigen Abbaus des alten indogermanischen Kasus-Systems" (1961, 150, Original 1921, 163). 2. "Tendenz [ . . . ] , der Stellung des Wortes im Satz die Hauptrolle beim Ausdruck der syntaktischen Beziehungen anzuweisen" (1961, 151, Original 1921, 166). 3. "Tendenz zum unveränderlichen Wort" (1961, 152, Original 1921, 168).
Als Beispiel aus dem Englischen wählt Sapir die offensichtlich schwindende Akzeptabilität des normativ "korrekten1 whom in Sätzen wie Whom did you see?, das mehr und mehr durch who ersetzt wird. Er belegt die oben genannten Tendenzen durch eine Analyse der paradigmatischen Stellung des whom im System der Personalpronomina des Englischen. Was hier zum Konzept "drift1 festzuhalten bleibt, ist folgendes: Es handelt sich um langfristige Tendenzen des graitmatischen Wandels, die vermutlich universellen Charakter haben, aber je nach der spezifischen Struktur einer Sprache in der ein oder anderen Weise wirksam werden, so daß sich daraus möglicherweise ein Kreislauf in der typologischen Veränderung von Sprachen über lange Zeiträume hinweg ableiten läßt. Die Tendenzen, die syntaktische Veränderungen betreffen, sind dabei vermutlich durch die morphologische Umgestaltung bedingt, welche ihrerseits wiederum durch phonologischen Wandel begründet ist. Sämtliche derart einander bedingende Veränderungen dienen dem einen Ziel, im Gesamtsystem einer Sprache stets ausreichende Mittel zum Ausdruck der Relationen bereitzustellen, die zur Aufrechterhaltung der Konmunikation erforderlich sind. Allerdings muß festgehalten werden, daß es sich bei "drift" um eine Abstraktion handelt, da man ja nicht von einer gleichsam der Sprache innewohnenden Kraft sprechen kann, denn "Sprachen sind ja Abstraktionen und keine real existierenden Entitäten, ganz zu schweigen davon, daß man ihnen realiter keine irgendwie gearteten dynamischen 'Eigenschaften1 zusprechen kann. Insgesamt jedoch bleiben die von Sapir formulierten "Tendenzen" zu allgemein, um für weitere konkrete Entwicklungen, z.B. auch in der Sprachgeschichte des Deutschen eine Erklärung liefern zu können. Zudem bleiben die "Tendenzen", auch darin den "Triebkräften" vergleichbar, selber erklärungsbedürftig: Es ist unklar, wieso gerade sie und nicht andere oder etwa auch entgegengesetzte Tendenzen den Sprachwandel bestimmen. Alles, was sie leisten, ist lediglich eine richtige Beschreibung der Grundzüge sprachlicher Veränderungen, ohne daß sich die Tendenzen selber aus allgemeineren Prinzipien ableiten ließen. Allerdings gilt ähnliches auch für die hier zugrundegelegte Grammatiktheorie der generativen Grammatik, die noch ebensowenig wie andere dazu in der Lage ist,
die
Ursache-Folge-Beziehungen explizit auszudrücken, die zwischen phonologischem Wandel und morphologischer und syntaktischer Umstrukturierung bestehen. Die Darstel-
19
lung solcher Beziehungen in der Graitmatiktheorie ist zweifellos ein Desiderat, das m.E. jedoch erst sinnvoll zu erfüllen ist,
wenn man sich über andere Aspekte
der Grantnatiktheorie deutlicher im klaren ist,
als es zur Zeit noch der Fall
ist.
1.4.3. Martinet Eine weitere Ausnahme von der ansonsten zu konstatierenden diachronen Enthaltsamkeit des Strukturalismus stellen die Arbeiten von Martinet dar, der die ermittelten Sprachstrukturen nicht lediglich als (mehr oder weniger willkürliche) Beschreibungen bewertet wissen will (hoous pocus linguistics) , sondern sie als dynamisch wirkende Realitäten ansieht, (God's truth linguistics) (1952,1). So sind z.B. phonologische Systeme für Martinet in gewisser Weise als Abbilder mentaler Strukturen aufzufassen. Dadurch werden Veränderungen phonologischer Systeme nicht nur im junggraitnatischen Sinn als rein physiologisch bedingte Erscheinungen beschreibbar, sondern sie werden gleichermaßen in ihrem Ablauf und in ihrer "Gerichtetheit1 erklärbar, da sie bestimmten psychologisch gegebenen Restriktionen unterliegen. Martinet entwickelt diesen Gedanken an vielen Beispielen, indem er zeigt, daß phonologischen Systemen gewissermaßen eine Tendenz zur Symmetrie innewohnt, die bei der Veränderung eines oder mehrerer Phoneme zu einer Umstrukturierung des gesamten Systems führen kann. Als Ursachen der Veränderung sieht er externe wie interne Faktoren. Neben der (externen) Beeinflussung durch andere Sprachen oder Dialekte spielt die stets zu beobachtende Variation (von Sprecher zu Sprecher wie auch bei ein und demselben Sprecher in verschiedenen Situationen, zu verschiedenen Zeiten usw.) eine entscheidende Rolle beim Sprachwandel. Dabei erscheinen Martinet variation through time und variation through space, also zeitliche Variation (Sprachwandel) und dialektal/soziolektale Variation, lediglich zwei einander bedingende notwendige Eigenschaften menschlicher Sprachen zu sein: "linguistic change, i.e., variation in time is hardly conceivable without variation in space from one section of the community to another" (1964, 521) und: "structural variety through space is of course a result of structural variety through time" (522). Der sich ergebende Wandel selbst kann sich nur innerhalb bestimmter Grenzen abspielen, die durch die vorliegende Sprachstruktur gegeben sind. Im Falle der Phänologie exemplifiziert Martinet das am System der phonologischen Oppositionen und an der funktionellen Belastung dieser Oppositionen. Beide Faktoren stellen also die Beschränkungen dar, denen phonologischer Wandel unterliegt. Martinets Theorie des Sprachwandels läßt sich, wie ich glaube, in ihren Grundzügen auch auf die Beschreibung syntaktischen Wandels übertragen. Insbesondere scheint mir der Gedanke fruchtbar, diachrone und synchrone Variation als lediglich zwei Erscheinungsformen des gleichen Phänomens zu betrachten.
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1.4.4. Coseriu Der wohl bedeutendste theoretische Beitrag zu einer realistischen Betrachtung des Sprachvandels im Rahmen des Strukturalisnus stammt von Coseriu. Er setzt bei einer Klärung der Begriffspaare Synchronie - Diachronie und langue - parole an. In der landläufigen Interpretation wurden Synchronie und Diachronie häufig als zwei Erscheinungsformen der Sprache angesehen, die unabhängig voneinander untersucht werden könnten. Demgegenüber betont Coseriu (1974, 9f.) , daß diese Begriffe lediglich der Beobachtungsebene angehören, also Abstraktionen der Sprachwissenschaft sind, die in der Realität der Sprache selbst keine direkten Entsprechungen haben. Als beobachtbar und damit als real ist nur das 'Sprechen1 (parole) gegeben, in dem sich die abstrakte 'Sprache* (langue) dokumentiert. Dabei vereinen sich die Aspekte der langue und der parole im Sprechen, da die parole die langue voraussetzt und sie gleichzeitg zum Ausdruck bringt. Das Sprechen aber ist notwendig ein geschichtliches Ereignis, so daß damit (ganz im Sinne Pauls, vgl. Coseriu 1980, 145) in der Sprachwirklichkeit keine 'Synchronie der Sprache1 vorliegt, sondern stets nur die 'Diachronie des Sprechens'. Ausgehend von diesem Sprachbegriff werden 3 allgemeine Fragen zum Sprachwandel gestellt, auf die oben einleitend schon kurz eingegangen wurde (Coseriu 1974, 56): - die rationale Frage danach, warum sich Sprache überhaupt wandelt, - die generelle Frage, wie sich Sprache wandelt - und die historische Frage, wann sich welcher Wandel in einer gegebenen Sprache vollzogen hat. Die kausale Frage nach dem 'Warum1 des Sprachwandels wird als falsch gestellt zurückgewiesen; es handele sich hier um ein Scheinproblem, da diese Fragestellung ja von der Vorstellung eines sich idealerweise nicht ändernden Sprachsystems ausgehe. Das aber sei eine Fiktion, da das System einer Sprache nicht statisch gegeben, sondern stets zweckgebunden final sei, d.h. daß die Sprache kein System sei sondern daß sie ein System besitze um zu funktionieren (1974, 23f.). Infolgedessen stellt sich Sprachwandel als rationale Notwendigkeit dar (S. 58), die daraus resultiert, daß das Sprechen (in dem allein sich ja die Sprache manifestiert) stets eine kreative Handlung ist, die das System einer Sprache benutzt und dabei entweder der tradierten Norm entspricht oder diese dem jeweiligen Koimunikationszweck entsprechend verändert. Jede individuelle \feranderung der Norm im konkreten Sprechakt wird von Coseriu (1974, 67f.) als "Neuerung1 bezeichnet; solche Neuerungen sind außer durch die Konttunikationsabsicht durch verschiedene Faktoren bedingt, so etwa durch die sprachliche Solidarität mit dem Hörer, durch psychophysische Gegebenheiten u.a.m. Ein 'Wandel1 ergibt sich bei Ausbreitung und Verallgemeinerung einer Neuerung bei Übernahme durch die Sprachgemeinschaft.
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Hinsichtlich der generellen Frage des Sprachwandels führt Coseriu im wesentlichen aus, daß die innersprachlichen Bedingungen dafür durch das 'System' einer Sprache gegeben sind, das in bestimmten Bereichen eine gewisse 'Variation' zuläßt und teilweise unvollständig und damit erweiterbar ist. Daneben aber scheint jedes Sprachsystem in gewisser Weise auf ein inneres Gleichgewicht hin zu tendieren, das durch die (wiederum final bedingte) möglichst gleichmäßige Ausnutzung einer möglichst geringen Anzahl von funktioneilen Oppositionen bestimmt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß verschiedene Oppositionen unterschiedliche Funktionalitätsgrade besitzen. Daraus und aus einem möglichen Konflikt zwischen syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen sowie aus Interaktion und möglichen Widersprüchen von 'Norm* und 'System' können sich teilweise instabile Zustände ergeben, deren Ausnutzung bzw. deren Abbau im Sinne des jeweiligen Komnunikationszwecks liegen kann. Insgesamt gesehen läßt sich also bei einer Sprache von einer 'dynamischen Interdependenz' der Elemente eines Systems sprechen, durch die die Bedingungen des Sprachwandels gegeben sind. Die historische Frage nach dem wann und wie sprachlicher Veränderungen bezieht sich im wesentlichen auf soziale, kulturelle, politische und ähnliche Bedingungen, ist also im strengen Sinn außerlinguistisch. Hiermit befassen sich die gängigen sprachgeschichtlichen Darstellungen. Die Begriffe 'Norm' und 'System', die für die generelle Frage des Sprachwandels so zentral sind, weil sie in gewisser Weise die Beschränkungen sprachlichen Wandels erfassen, entwickelt Coseriu (1970a) aus einer Kritik der Saussureschen Unterscheidung in langue und parole, in der er unterschiedliche Aspekte vermengt sieht. Außer auf eine psychologische Repräsentation in den Psychen der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft bezieht sich Saussures langue-Begri£f sowohl auf eine sozial verbindliche Norm wie auf ein funktionelles System. Coseriu schlägt deshalb vor, bei langue zwischen diesen beiden Aspekten der 'Norm' (langue I) und des 'Systems' (langue II) zu unterscheiden. Im Begriff der 'Norm1 liegt die Möglichkeit, bei Beibehaltung eines statischen Strukturbegriffs (in dem die Sprache als System von Oppositionen verstanden wird) sprachliche Heterogenität innerhalb einer Sprachgemeinschaft zu erfassen (vgl. dazu auch Coseriu 1980). Synchron gesehen bedeutet das, daß man verschiedene Normen (dialektaler, soziolektaler, funktionaler, stilistischer, idiolektaler Art u.a.) anninmt, die alle dem gleichen System zugeordnet sind. In diachroner Hinsicht heißt das, daß Normen im Rahmen des sie definierenden Systems veränderbar sind, wenn das durch eine bestimnte Kcmrunikationsabsicht, durch psycho-physische Gegebenheiten oder andere Faktoren erforderlich erscheint. In diesem Sinn erweisen sich also ähnlich wie bei Martinet synchrone Variation und diachrone Neuerung (von der Norm-Verletzung bis hin
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zum sozial akzeptierten Wandel, der das Entstehen einer neuen Norm bedeutet) als zwei Erscheinungsformen des gleichen Phänomens. In "Synchronie, Diachronie und Typologie" (1970b, 71-08, auch in Cherubim 1975, 135-149) zeigt Coseriu das, indem er die Differenzierung in Rede-Norm-System um den übergeordneten Begriff des Sprach-'Typs' ergänzt, der folgendermaßen durch die vorgegebenen Begriffe bestirtmt ist: Die 'Norm' erfaßt die Menge der tatsächlich realisierten Formen (auf der Grundlage der überhaupt realisierbaren); das 'System1 als Mange der funktionellen Oppositionen und Regeln umfaßt und definiert die Menge der möglichen 'Normen'; der 'Typ' ist entsprechend als Menge von allgemeinen Strukturprinzipien anzusehen, durch die die Msnge der in ihm möglichen 'Systeme1 definiert ist. Folglich sind Änderungen der 'Norm' nur in dem vom 'System' gegebenen Rahmen möglich; Änderungen des 'Systems' aber,wie sie sich ja insbesondere langfristig in der Sprachgeschichte beobachten lassen, sind ihrerseits nur im Rahmen des übergeordneten und das 'System' definierenden 'Typs' möglich. Über weitergehende Änderungen des 'Typs1 und einen sich möglicherweise daraus ergebenden infiniten Regress übergeordneter Kategorien spekuliert Coseriu (1970b, 85). An diesem Punkt wäre allerdings zu überlegen, ob sich nicht sämtliche möglichen 'Typen1 menschlicher Sprachen durch eine Menge universeller Prinzipien definieren lassen, durch die die menschliche Sprachfähigkeit in ihren Möglichkeiten und Begrenzungen erfaßt wird. Änderungen dieser letzten Prinzipien, die man sich als genetisch festgelegt denken könnte, wären danach nur in langen Zeiträumen durch die Evolution und gemäß deren Grundgesetzen möglich. Durch die Bestimmung eines klar definierten logisch-begrifflichen Gerüsts weist Coseriu einen in: wesentlichen selbst strukturalistischen Weg zur Überwindung der Schwierigkeiten, in die sich der Strukturalismus durch allzu starre und doktrinäre Begriffsbildungen gebracht hatte, und öffnet den Blick für eine realistischere Auffassung vom Wesen der Sprache. Die Kritik an Coserius Ansatz kann nicht seine innere Logik betreffen (die mir kaum widerlegbar erscheint), sondern lediglich seine fehlende Explizitheit, die die substantiellen Prinzipien (etwa der unterschiedlichen Sprachsysteme und -typen) weitgehend offen läßt. So bleiben die für ein spezifisches Sprachsystem charakteristischen Bedingungen, die die Veränderung bzw. die Variationsbreite der 'Norm1 definieren, weitgehend unklar. Gleiches gilt entsprechend für Prinzipien des 'Typs'. Eine explizite empirisch begründete und damit inhaltlich gefüllte Theorie einzelner 'Systeme' oder 'Typen' wird nicht entwickelt. Das gilt trotz der stellenweise anschaulichen Beispiele, die mehr punktuell-illustrierend als empirisch-kontrollierend sind und deren Stellenwert einigermaßen unklar bleibt, solange eine ausgearbeitete Grammatiktheorie weitgehend fehlt. 15 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Coserius TG-Kritik kann hier nicht gegeben werden; angesichts der doch inzwischen deutlich veränderten Gestalt
23 Welche Folgerungen lassen sich daraus für eine Syntaxtheorie ableiten, die syntaktischen Wandel erfassen kann? Erstens muß eine solche Syntaxtheorie dynamisch sein und Variation zulassen, gleichzeitig aber Beschränkungen enthalten, die die Grenzen möglicher Variation bestimmen und damit die syntaktische Struktur einer Sprache nicht als zufällige Sammlung syntaktischer Mister beschreibt, die prinzipiell beliebig veränderbar oder ergänzbar wären. Vielmehr liegt der wesentliche Zug einer Syntaxtheorie ja gerade darin, sämtliche möglichen Strukturen als Realisierungen einer zugrundeliegenden Struktur zu erweisen. Zum ändern ist es daher erforderlich, Beziehungen zwischen verwandten Strukturen explizit darzustellen. Das Mittel dazu wird von Harris durch den Begriff der syntaktischen "Iransformation1 entwickelt, die allerdings bei ihm weniger eine Folie zur theoretischen Erfassung der syntaktischen Struktur einer Sprache spielt, sondern vielmehr zur Beschreibung der Beziehung zwischen solchen syntaktischen Formen dient, die bei gleicher Semantik unterschiedliche textuelle Verwendung finden. Harris' Transformationsbegriff ist also primär textlinguistisch orientiert. Erst Chomskys (1957) Verwendung von "Iransformationen1 als syntaktische Regeln ermöglichte es, die rein syntaktische Beziehung zwischen bestimmten Strukturen zu erfassen. Damit erweist sich erst die generative Transformationsgrammatik als stark genug, eine dynairische syntaktische Struktur darzustellen, die (im Sinne ifertinets) die Bedingungen syntaktischen Wandels ausdrücken kann. Zudem tritt in Chomskys mentalistischer und stark theoretisch orientierter Einstellung zum ersten Mal die Forderung nach Entwicklung einer syntaktischen Theorie in den Vordergrund, durch die allein ja sowohl synchrone wie diachrone syntaktische Erscheinungen erklärt werden können. 1.5.
Generative Transformationsgrammatik
1.5.1. Allgemeines Die generative Transformationsgrammatik, stellt in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Neuerung in der modernen Linguistik dar: Zum einen gründet sie sich auf einer allgemeinen Sprachtheorie, die in wesentlichen Punkten mit den Vorstellungen des Behaviorismus bricht, die dem taxonomischen Strukturalismus zugrundeliegen. Hier ist insbesondere die mentalistische Komponente zu nennen, die von Chomsky stets hervorgehoben wird: das Erkenntnisziel ist nicht in Deskriptionen der generativen Grammatik wäre sie ohnedies nur von forschungsgeschichtlichem Interesse; vgl. Coseriu (1968; 1975). Weitere strukturalistische Ansätze dienen der Rekonstruktion, vgl. dazu jetzt Gulstad (1974) , Jeffers (1976) und Ramat (1980).
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oder gar nur Deskriptionsverfahren linguistischer Strukturen erschöpft.™ Vielmehr steinen die mentalen Strukturen, aufgrund derer Menschen (und nur Menschen) in der Lage sind, natürliche Sprachen so relativ problemlos zu erlernen, im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Daneben ist die wissenschaftstheoretische Fundierung der generativen Grammatik gegenüber der des taxonomischen Strukturalismus als wesentliche Neuerung anzusehen. Daraus leitet sich der Aufbau einer fontialisierten und erstmals mathematisch ausführlich begründeten Grammatiktheorie ab, die stark genug ist, auf allen linguistischen Teilbereichen eine adäquate Beschreibung der dort jeweils vorhandenen Strukturen zu geben. Für den Bereich der Syntax ist dabei vor allem der Transformationsbegriff von Bedeutung, da er es gestattet, syntaktische Strukturen miteinander in Beziehung zu setzen, und zwar in einer rein
f o r m a l e n
Weise. Für die diachrone Syntax ist vor allem von Interesse, daß im generativen Graitratikmodell die Satzstrukturen einer Sprache nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern durch die verschiedenen generativen Regeln als unterschiedliche, aber verwandte Ausprägungen einer zugrundeliegenden syntaktischen Struktur angesehen werden kennen. Einzelne Satzstrukturen sind damit aufeinander beziehbar, und zwar vor allem in zweierlei Hinsicht: Einerseits stehen bestinmte Strukturen wie etwa die von Aktiv- und Passivsätzen in einer Paraphrasebeziehung, die im Standardrtodell durch Transformationen ausgedrückt wird. Andererseits sind auch semantisch voneinander unabhängige Strukturen über die Phrasenstruktur(PS-)Regeln in gewisser Weise einander zugeordnet, und zwar in dem Sinne, daß die Menge aller PS-Regeln zusammen als Ausdruck der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur einer Sprache angesehen werden kann. Um die Aussagekraft sowohl der Transformationen wie der PS-Regeln generell so zu beschränken, daß sie nur genau die möglichen Strukturen menschlicher Sprachen definieren, hat man sich bemüht, empirisch begründete allgemeine und sprachspezifische Bedingungen für diese Regeln zu formulieren, wie sie etwa in der X-Theorie oder in den Regelbeschränkungen für Transformationen vorliegen. Ein derart differenziertes Modell zur Beschreibung und zur deduktiven Erklärung syntaktischer Strukturen ermöglicht es nun auch, diachrone Veränderungen nicht als willkürliche Ersetzungen der Satzformen einer historischen Sprachstufe durch andersgeartete Satzformen darzustellen, sondern sie als Entwicklungen zu erfassen, in denen spezifische Regeln einzeln oder in einem gewissen Zusammenspiel einem Wandel unterliegen. Für jede Art eines solchen Wandels läßt sich 16 Vgl. dazu vor allem Chomskys (1959) Skinner-Rezension. Zur wissenschaftstheoretischen Diskussion, insbesondere auf das Problem des Sprachwandels bezogen, vgl. Lass (1980).
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nach den ihn bestinmenden Prinzipien suchen, durch die Wandel insgesamt klassifizierbar und darüberhinaus möglicherweise auch dadurch motivierbar wird, daß man diese Prinzipien zu generellen, den Sprachwandel erklärenden Grundsätzen in funktionale Beziehung setzt. 1.5.2. Phonologischer Wandel (Kiparsky) Die hier kurz allgemein formulierten Gedankengänge sind vor allem im Bereich der generativen Phonologie durch eine Anzahl von konkreten Vorschlägen zu exemplifizieren. Vergleichbare Untersuchungen zum syntaktischen Wandel liegen zwar auch vor, allerdings in weitaus geringerer Zahl; zudem sind sie deutlich von den in der diachronen generativen Phonologie entwickelten Msdellen abgeleitet. Hier sind vor allem die Untersuchungen von Kiparsky zu nennen, in denen er sich bemüht, verschiedene Arten des Pegelwandels zu definieren und ihre Bedeutung für verschiedene Typen des Sprachwandels zu bestimmen. Halle (1962) hatte gezeigt, daß sich Lautwandel durch die Hinzufügung einer neuen phonologischen Regel am Ehde der phonologischen Ableitung, also unmittelbar vor dem Output', der phonetischen Repräsentation, darstellen läßt. Eine solche oberflächennahe Regel wird entweder von Sprechern folgender Generationen übernommen oder in bestimmten Fällen derart generalisiert, daß sie als Umstrukturierung der zugrundeliegenden morphonologischen Repräsentation im Lexikon aufgefaßt wird. Bleibt die Regel jedoch erhalten, so kann sie durch neu hinzukommende Regeln (die oberflächennäher, also ihr nachgeordnet sind) allmählich immer früher im Ableitungsablauf angeordnet werden und damit inmer abstraktere phonologische Repräsentationen erfassen. Kiparsky (1965) untersucht die Auswirkung der Regelhinzufügung auf die phonologische Komponente der Grammatik ausführlicher. Er unterscheidet (1968) zwischen Regelvereinfachung als Generalisierung und Simplifizierung der Grammatik und der Umordnung von zwei verschiedenen Typen der Regelordnung, die er feeding order und bleeding order· nennt. Die feeding order, bei der eine Regel A eine Regel B dadurch gewissermaßen 'füttert 1 , daß sie Strukturen erzeugt, auf der Regel B operieren kann, tendiert sprachgeschichtlich gesehen dazu, bevorzugt zu werden. Demgegenüber besteht eine Tendenz zur Minimierung einer bleeding order, also einer Anordnung zweier Regeln A und B, bei der die zuerst anzuwendende Regel A solche Strukturen umformt, auf denen B ohne die Einwirkung von A hätte operieren können. Die Regel A 'blutet' also die Regel B gewissermaßen aus. Beide Tendenzen faßt Kiparsky (1968, 200) zu einem gemeinsamen Prinzip zusammen: "Rules tend to shift into the order which allows their fullest utilization in the grammar."
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Dabei stellt er die Maximierung der feeding order als generative Entsprechung dessen dar, was traditionell als extension (Ausdehnung oder Polarisierung) bezeichnet wird. Die Minimierung einer bleeding order ist andererseits als generatives Äquivalent für levelling (Angleichung) anzusehen. Hier war nun der Fall gegeben, daß sich der formale Mechanismus der generativen Grammatik in offensichtlicher Weise auf die zu beobachtenden Typen des Lautwandels beziehen ließ. In diesem Sinne konnten die formalen Mechanismen als adäquate Darstellung diachroner Entwicklungen angesehen werden, - ja es ließ sich sogar spekulieren, daß der Formalismus mit einzelnen Regeln und einer Regelordnung dadurch in gewisser Weise als MDdell realer mentaler Strukturen aufzufassen sei.
Mehrere Beobachtungen nachten allerdings eine Modifizierung und
fräzisierung der bisher herausgearbeiteten Prinzipien erforderlich; Kiparsky (1971) gelang es, generellere Prinzipien aufzustellen, aus denen sich sowohl die oben genannten Tendenzen wie vermeintliche Gegenbeispiele ableiten ließen. Er definierte ein Konzept der rule opacity, der Unerkennbarkeit einer Regel, die dann vorliegt, wenn sich der Effekt einer Regel nicht eindeutig an den Gberflächenformen ablesen läßt (S. 621f.). Widersprüche in der Anwendung der oben genannten Tendenzen bei der Unordnung von feeding und bleeding order werden nun durch das übergeordnete Prinzip der "Transparenz1 gelöst, das eben (im Gegensatz zur Opacity1) die Erkennbarkeit eines Regeleffektes als erstrebenswert ansieht: (S. 623): "Rules tend to be ordered so as to become maximally transparent".
Ein weiterer wesentlicher Faktor bei der Beschreibung des Lautwandels wird in der möglichst großen Gleichartigkeit verschiedener Wortformen im Paradigma gesehen (Kiparsky 1971, 596ff.). Die hier diskutierten Fälle sind im wesentlichen mit dem vergleichbar, was von den Junggrammatikern durch das Wirken der 'Analogie' erklärt wurde (vgl. auch Kiparski 1974). 1.5.3. Syntaktischer Wandel (Klima, Traugott). Die zur Erfassung des Lautwandels entwickelten formalen Darstellungsmethoden sind zu einem großen Teil mutatis mutandis auch auf die Beschreibung syntaktischen Wandels im Rahmen der generativen Grammatik übertragen worden. Das soll im folgenden an einigen Beispielfällen kurz gezeigt werden: Schon im Jahre 1964 machte Klima den Versuch, syntaktischen Wandel mit den Mitteln der Transformationsgrammatik zu beschreiben; dabei lag diesem Ansatz noch das Modell von Chomskys Syntactic Structures (1957) zugrunde. Klima (1964)
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betrachtete die je nach Sprachstil unterschiedliche Verwendung der flektierten Formen einiger Fronomina im Englischen. Dazu untergliederte er das moderne Englisch in vier Soziolekte, die sich rein formal durch die unterschiedliche Verwendung von who vs. whom, I vs. me, he vs. him usw. in verschiedenen syntaktischen Konstruktionen unterscheiden. Als zugrundeliegend betrachtet er dabei das System des literarischen Englisch (L-|) (S. 3) . Diese Entscheidung wird dadurch begründet, daß im Vergleich der 4 Soziolekte L-|, L 2 , Lß und 14, die sich normativ gesehen durch zunehmende Regelverstöße definieren ließen, das literarische Englisch am einfachsten darzustellen sei und auch der Vergleich sich so am einfachsten gestalte. Wesentliches Kriterium zur Bewertung der Einfachheit ist dabei die Kürze der notwendigen Regeln (S. 2 ) . Der Vergleich zwischen den Grammatiken ergibt, daß sie sich alle der gleichen transformationellen Regeln bedienen, aber eine schrittweise Umordnung vornehmen. Die vornehmlich synchron orientierte Untersuchung ist insofern auf die Diachronie übertragbar, als sich die unterschiedlichen Soziolekte L·)-!^ als synchron noch vorhandene Stufen eines diachronen Wandels erweisen, in dem das literarische Englisch (L·)) die älteste Form bewahrt hat, während die zunehmend weniger formellen Soziolekte I^-I^ den Trend zum Verlust der morphologischen Unterscheidung bei den Pronomina widerspiegeln, der zum Vorherrschen von who, me, him usw. als teilweise einzig möglichen Formen geführt hat. Die Eegelumordnung erwies sich also als ein geeignetes Mittel zur Beschreibung sowohl syntaktischen Wandels wie der syntaktischen Unterschiede zwischen verschiedenen Soziolekten, Dialekten etc. Daneben spielt nach Halles (1962) Hypothesen die Hinzufügung einer neuen Regel eine Rolle. Dadurch lassen sich 'Innovationen' erfassen, die einen mehr oder weniger punktuellen Wandel darstellen. Erst wenn Kinder aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Daten bei der Spracherlernung eine 'Innovation' nicht mehr als solche erkennen, gelangen sie u.U. zu einer Analyse der Daten, die sich im Vergleich mit der Grammatik ihrer Eltern als umfassende Re-Analyse erweist. 17 Halle nimmt an, daß derartige Re-Analysen, die sich dann als Grammatik-'Mutationen1 darstellen, relativ sel-
17 Es ist jedoch, wie van Coetsem (1975) zeigt, zu bezweifeln, ob nur Kinder zu einer derartigen Re-Analyse befähigt sind. Auch liegt der Vergleich mit der Unterscheidung in 'Neuerung' und 'Wandel 1 nahe, die Coseriu (1974) t r i f f t ; eine Gleichsetzung ist allerdings nicht möglich, da 'Innovationen' im Gegensatz zu 'Neuerungen' von Halle (1962) nicht als individuelle Veränderungen der parole aufgefaßt werden, sondern schon auf eine Veränderung des grammatischen Systems (der Kompetenz) bezogen sind.
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ten -vorkommen, daß vielmehr 'Innovationen' den Nontalfall sprachlichen Wandels darstellen. Am Beispiel der Entwicklung des Systems der Hilfsverben in der Geschichte des Englischen zeigt jedoch Closs (1965), daß sich im wesentlichen 'Mutationen' beobachten lassen und daß diese, wenigstens im Bereich der Syntax, offenbar keineswegs so selten sind, wie Halle annahm. Zudem erweist es sich, daß auch Halles Vorschlag, Regelhinzufügung nur an den Kontaktstellen zwischen verschiedenen Subkonponenten der Gramtatik anzunehmen, durch die untersuchten Fälle syntaktischen Wandels im wesentlichen keine Bestätigung erfährt. Daß sich das Verhältnis miteinander verwandter syntaktischer Systems durch Regelhinzufügung bei ansonsten gleichem Regelinventar und gleicher zugrundeliegender Struktur am angemessensten beschreiben ließe, wird allerdings von Loflin (1969) ausdrücklich bestritten. Es gelingt ihm zu zeigen, daß sich die Unterschiede im Auxiliarsystem zwischen Negro Nonstandard English (NNE) und Standard English (SE) am angemessensten beschreiben lassen, wenn man für beide Systeme unterschiedliche zugrundeliegende Strukturen (Tiefenstrukturen) ansetzt. Er kritisiert dabei vor allem das methodische Vorgehen von Closs (1965), der er vorwirft, die Granmatiken des Ae. und . nicht allein auf der Grundlage von Daten des Ae. bzw. We. erstellt zu haben, sondern stets schon unter Berücksichtigung des grammatischen Systems des Ne. (Loflin 1969, 77). Loflin betrachtet diachrone wie synchrone Unterschiede gleichermaßen als 'dialektale' Varianten und fordert vor allem, daß Grammatiken für jeden Dialekt unabhängig konstruiert werden müssen, da sich nur so die jeweils einfachste Beschreibung ergäbe. Erst auf dieser Grundlage sei ein Vergleich grammatischer Systeme möglich, dessen Ergebnis jedoch nicht durch eine Annahme präjudiziert werden dürfe, die eines der Systeme als primär auszeichnet und das andere durch Regelhinzufügung davon ableitet. Dieses Argument scheint auf den ersten Blick sehr überzeugend, gilt jedoch m.E. nur im Rahmen einer Granmatiktheorie, die zur Beschreibung eines grammatischen Systems mehrere Möglichkeiten zuläßt und kein eindeutiges Kriterium zur Bewertung der beobachtungsadäquaten Beschreibungen besitzt; auch das häufig beschworene Einfachheitskriterium ist nicht anwendbar, da das Maß für die 'Einfachheit' nicht eindeutig bestimmt ist. Allerdings stand gerade in der Frühzeit des 'Aspects'-Modells, der sogenannten 'Standard Theory", ein naives Vertrauen auf die Bewertbarkeit der 'Einfachheit' einer Beschreibung auch hinter vielen versuchen zur Darstellung syntaktischen Wandels. Erst weitere Entwicklungen, insbesondere in der 'Markiertheitstheorie' (vgl. Lakoff 1965, Chomsky/Halle 1968 u.a.m.) zwangen hier zu einer stärkeren Differenzierung. In dem für lange Zeit richtungweisenden Aufsatz von Traugott (1969, dt. in Cherubim 1975, 276-304) steht das Einfachheitskriterium auch als den Sprachwandel ge-
29 wissermaßen begründendes noch im Vordergrund. Allerdings spricht sie von zwei beim Sprachwandel einander ergänzenden Tendenzen, der Vereinfachung und der Elaboration (1969, 6 f f . ) . Bei der Vereinfachung unterscheidet sie mit Kiparsky (1968, 200ff.) zwischen der Vereinfachung der Eingabebedingungen einer Regel und der Vereinfachung der Operation, die eine Regel durchführt. Beide Typen von Vereinfachung lassen sich wie oben ausgeführt als analoge Ausbreitung bzw. als analoge Angleichung interpretieren. Daneben erwähnt Traugott allerdings mehrere Beispiele aus der Sprachgeschichte des Englischen, die als andere Typen der Grammatikveränderung aufzufassen sind, so insbesondere die Elaboration. Außerdem erwägt sie die ^ßglichkeit, daß ursprünglich transformationell ableitbare Strukturen in einer Sprachstufe funktional so an Bedeutung gewinnen und derart häufig werden, daß sie schließlich als basisgeneriert umzuinterpretieren sind. Auch deutet Traugott die Möglichkeit an, daß obligatorische Regeln im Laufe der Sprachgeschichte optional werden können (S. 22). Aus der Vielzahl der sich abzeichnenden Beschreibungsroöglichkeiten für syntaktischen Wandel leitet sie die Forderung ab, in einer zu erstellenden Theorie der Granmatikveränderung zwischen verschiedenen Typen des Wandels zu unterscheiden (S. 23). In der Folgezeit wuchs mit dem Interesse der generativen Syntax an diachronen Problemen auch die Anzahl der als möglich erachteten Arten von Graitmatikwandel. So wurden u.a. folgende Machanismen vorgeschlagen: - Regelhinzufügung, - RegelVerlust, - Regelvereinfachung a) in der Strukturbeschreibung (d.h. im ' i n p u t ' ) , b) im Strukturwandel (d.h. im O u t p u t ' ) , - Regelkomplizierung, - Regelumordnung,
- Regelverschwörung, - Änderung in der Tiefenstruktur, -
Änderung in den Tiefenstrukturfiltern, Änderung der lexikalischen Redundanzregeln, Änderung in Oberflächenstrukturfiltern, optionale Regeln werden obligatorisch, obligatorische Regeln werden optional.
Es würde zu weit führen, auf alle Arten der Granmatikveränderung im einzelnen einzugehen; ausführlichere Diskussionen finden sich etwa in King (1969), einer Arbeit, die als Zusaimienfassung der Überlegungen zum Sprachwandel im Paradigma 1fi der 'Standard Theory1 angesehen werden kann. 18 Vgl. dazu u.a. auch Bynon (1977, dt. 1981), Lightfoot (1976b, 2 1 ) , Traugott ( 1 9 7 4 ) ; auf Lösungsvorschläge im Rahmen der generativen Semantik wird hier nicht eigens eingegangen; zur Regelkomplizierung vgl. Chumbow ( 1 9 7 5 ) , Thomason ( 1 9 7 6 ) , zur Regelumordnung Vennemann ( 1 9 7 2 a ) , Klausenburger ( 1 9 7 4 ) ;
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1.5.4. Einwände Die bisher besprochenen generativen Arbeiten zur diachronen Syntax (wie auch zur diachronen Phonologie) gehen nicht über die 'Standard Theory1 hinaus. Gegen diese und weitere bis in die frühen 70er Jahre erschienenen Ansätze sind u.a. folgende grundsätzliche Einwände erhoben worden: 1 - Die Graimatiktheorie war zu wenig restringiert, so daß sie sowohl synchron wie diachron zu viele konkurrierende Beschreibungsitöglichkeiten erlaubte. Zudem konnte sie keine überzeugenden Kriterien für eine vergleichende Bewertung vorlegen. 2 - Daraus resultiert u.a., daß sich insbesondere auch für frühere Sprachstufen grammatische Beschreibungen erstellen lassen, die zwar die überlieferten Daten erfassen, aber hinsichtlich der Grammatikalität nicht belegter Formen u.U. falsche Aussagen machen. 3 - Eine "Erklärung" sprachlicher Fakten wurde synchron wie diachron häufig allein in der formalen Beschreibung gesehen. 4 - Der rein formalistische Ausgangspunkt verführte dazu, Sprachwandel als Gramymatikwandel aufzufassen. 5 - Die zu stark betonte Homogenitätsannahme machte es unmöglich, synchrone Heterogenität zu erfassen, die als eine der entscheidenden Bedingungen für diachronen l'fetndel anzusehen ist. Diese wesentlichen Kritikpunkte an der diachronen generativen Grammatik der Standardtheorie sollen im folgenden kurz erläutert werden: ad 1: Die mangelnde testriktion der Grammatiktheorie der 'Standard Theory', vor allem im Bereich der Syntax, ist schon früh festgestellt worden. Sie resultiert daraus, daß das formale Mittel transformationeller Ableitung zwar einerseits erforderlich erschien, um die Syntax menschlicher Sprachen adäquat darzustellen, daß aber andererseits durch Transformationen die Grammatik prinzipiell dazu in der Lage ist, auch solche Strukturen zu erzeugen, die nachweisbar nicht in menschlichen Sprachen vorkommen. Synchron standen also in der 'Standardtheorie1 eigentlich für jede Struktur mehrere Beschreibungsitöglichkeiten zur Verfügung. Aufgabe einer 'erklärungsadäquaten1 Grammatiktheorie ist es aber, unter diesen konkurrierenden Beschreibungen die 'beste', d.h. die 'beschreibungsadäquate1 herauszusuchen. Dazu bot jedoch der gegebene Rahmen keine Möglichkeit. Zwar wurden, vor allem in der Phonologie, bestimmte Bewertungsverfahren vorgeschlagen und bis zu einer differenzierteren 'terkiertheitstheorie' weiterentwickelt, - es ergab sich an Versuchen, übergeordnete Prinzipien zu erstellen, hat es nicht gefehlt, vgl. u.a. Kiparsky ( 1 9 7 1 ) , Foley ( 1 9 7 2 ) , Traugott ( 1 9 7 4 ) ; zur generellen Kritik an diesen Ansätzen vgl. Anttila ( 1 9 7 7 ) .
31 jedoch kein substantieller und empirisch begründeter allgemein anerkannter Vorschlag, wann nan von einigen mehr tastenden Versuchen in dieser Richtung absieht. Der zu großen synchronen Reichhaltigkeit von Beschreibungsmitteln entspricht die diachrone. Die oben kurz aufgelisteten Vorschläge zur Grammatikveränderung ziehen im wesentlichen für jeden Regeltyp der Grammatik alle denkbaren Veränderungen in Betracht, so daß sich ausgehend von mehreren konkurrierenden synchronen Beschreibungen für jede auch mehrere Darstellungen des diachronen Wandels ansetzen lassen. Für einzelne Untersuchungen bedeutet das, daß Grammatiken früherer Sprachstufen im Hinblick darauf erstellt werden, daß aus ihnen auf möglichst einfache Weise die als am einfachsten angesehenen Beschreibungen der modernen Sprachen abzuleiten sind. Die dabei zugrundegelegten Einfachheitskriterien sind jedoch im wesentlichen nicht explizit gemacht, begründen sich also eher in subjektiven Bewertungen des jeweiligen Autors. Es ergab sich dabei häufig, daß sich der untersuchte Sprachwandel auch formal (wann auch in einem mehr intuitiven Sinn) als Vereinfachung darstellte. Dabei scheint es sich jedoch um eine Täuschung zu handeln, die mit der Verwechslung von vermeintlichem Grammatikwandel und realem Sprachwandel zu begründen ist.
Der betrifft allerdings nur eine Lösung im
Rahmen der hier diskutierten unrestringierten 'Standardtheorie'. Neuere, wait restringiertere Grammatiktheorien erlauben es m.E. dagegen, von synchronen Beschreibungen moderner Sprachen auszugehen und für ältere Sprachstufen sehr ähnliche, wenn nicht identische Strukturen anzusetzen, so daß nur verhältnismäßig wenige und unbedeutende Veränderungen anzunehmen sind. ad 2:
Die fehlende Restriktion der 'Standardtheorie1 erlaubte es u.a. auch, für
frühere Sprachstufen Grammatiken aufzustellen, die zwar mit den belegten Daten in Einklang stehen, die aber hinsichtlich nicht belegter Daten z.T. falsche 19 Aussagen machen. So kann es dazu kommen, daß durch eine rekonstruierte Grammatik möglicherweise nur zufällig nicht belegte Strukturen als 'ungrammatisch1 ausgeschlossen werden. Dies beruht darauf, daß die zugrundegelegte Grammatiktheorie nicht restringiert genug ist;
eine restringierte Grairmatlktheorie dürfte 1
solche Grammatiken, die 'unnatürliche , d.h. in menschlichen Sprachen nicht vorkommende (oder nur ausnahmsweise und als 'markiert' vorkommende) Strukturkombinationen beschreiben, überhaupt nicht oder nur als hochgradig markierte Grammatiken zulassen. (Damit soll jedoch nicht über das generelle Problem der Belegbarkeit, also der empirischen Grundlage für Grammatiken historischer Sprachstufen hinweggetäuscht werden.) 19 Dieser Punkt wird von Lightfoot (1979, 2 8 f f . ) in seiner Kritik an Traugotts (1965; 1969) Grammatik des Ae. hervorgehoben.
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ad 3: Die Möglichkeit, formale Beschreibungen von synchronen Strukturen und von diachronen Veränderungen dieser Strukturen zu erstellen, verführte verschiedentlich dazu, diese Beschreibungen als 'Erklärungen1 auszugeben, insbesondere dann, wenn sie im Vergleich mit alternativen Darstellungsweisen als besonders einfach oder elegant erschienen. Hier liegt, wie Anttila (1974) im Grunde richtig bemerkt, ein häufig zu beobachtender Fehler in der Praxis der linguistischen Argumentation. Eine 'Erklärung1 wird ja allenfalls durch empirisch fundierte allgemeine Prinzipien der Grammatiktheorie gegeben, aus denen die am höchsten bewertete ("einfachste1) Beschreibung einer spezifischen Struktur deduktiv ableitbar ist. Wenn man den eben erläuterten Erklärungsbegriff von Chomsky (1965, passim) zugrundelegt, sind Erklärungen für sprachliche Erscheinungen sowohl synchron wie diachron nicht durch die grammatischen Beschreibungen selbst gegeben, sondern durch bestimmte Prinzipien der Grammatiktheorie, wie z.B. durch Bewertungskriterien zur Ermittlung der "einfachsten1 Grammatik. ad 4: Es hat auch, wie oben gezeigt, nicht an Vorschlägen für übergeordnete Prinzipien gefehlt. In diesem Zusammenhang muß vor allem auf die Kritik von Anttila (1977) verwiesen werden, der darin lediglich eine 'Wiederentdeckung' des traditionellen Analogiebegriffes sieht. Dieser Deutung kann ich mich, wie unten zu zeigen ist, nicht anschließen, wohl aber seinem Vorwurf, daß in den meisten generativen Arbeiten die Erklärung für Sprachwandel im Grammatikwandel gesehen wurde. Wie sich aus dem unten erläuterten Sprachwandelmodell von Andersen (1973, 1974) ergibt, besteht Sprachwandel ja in Veränderungen, die sich in Äußerungen nachweisen lassen, liegt also primär, wie auch Coseriu (1958, dt. 1974) es zeigte in der parole. Erst durch die Systematisierung der beobachteten Daten in der Spracherlernung (also in der Erstellung einer Grammatik) liegt die nur indirekt vorhandene 'Grammatikveränderung', ein Begriff, der also lediglich als abkürzende linguistische Abstraktion aufzufassen ist. Man vergleiche dazu das unten ausführlicher erläuterte Sprachwandelmodell nach Andersen (1973): (1)
Grammatik G j
vermeintlicher
Grammatik G2
des Sprechers Sj
Grammatikwandel
des Hörers/Sprechers 82
"Sprachwandel"
Menge von Äußerungen A2
Menge von Äußerungen A
l
Insofern stellt eine Grammatikveränderungstheorie nur dann einen realistischen Beitrag zur Erklärung der einschränkenden Bedingungen des Sprachwandels dar,
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wenn sie eine ausreichend restringierte allgemeine Gramnatiktheorie zur Grundlage hat. Erst unter dieser Voraussetzung ist nämlich der Grad der Abweichung von G1 und der (vermeintlich besseren, weil 'einfacheren') Reanalyse in G2 bestimmbar. Genau diese Möglichkeit war aber in der relativ unrestringierten 'Standardtheorie1 nicht gegeben, so daß alle Ansätze zu einer Grammatikveränderungstheorie mehr oder veniger formale Spielereien bleiben mußten, die mehr über den formalen Apparat, seine Grenzen und Möglichkeiten aussagten als über die Sprachveränderung selber, die durch Ihn ja erfaßt warden sollte. Die Motivation für die stellenweise Gleichsetzung von Sprachveränderung mit Granmatikveränderung, die auch Lightfoot (1979, 34) ausführlicher am Beispiel der Arbeiten Traugotts kritisiert, lag dabei darin, daß der Formalismus es erlaubte, diachronen Wandel im synchronen System sozusagen in 'gefrorener' Form abzubilden. Angesichts der historischen Genese synchroner Systeme ist die Erscheinung 'gefrorener1 Diachronie im synchronen Sprachsystem ja an sich nicht überraschend, wie sich deutlich etwa im Bereich des Lexikons, der Phonologie und Morphologie nachweisen läßt. ad 5: Die Annahme eines idealen Sprecher/Hörers in einer homogenen Sprachgemeinschaft ist eine der zentralen Voraussetzungen der Standardtheorie der generativen Transformationsgrammatik. Es ist unbestritten, daß eine Iheorie nur aufgrund gewisser Idealisierungen möglich ist. Auf diese Weise werden faktisch stets zusätzlich wirksame, aber für den Gegenstandsbereich der Theorie irrelevante (oder als irrelevant erklärte) Faktoren ausgeklammert, so daß von deren Einwirken auf die für den Gegenstandsbereich als relevant betrachteten Erscheinungen abgesehen werden kann. Für die Standardtheorie ist die Idealisierung der Kompetenz eines idealen Sprecher/Hörers notwendig mit ihrem Erkenntnisziel verbunden: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erkenntnisziel einer mentalistischen Sprachtheorie erreichbar, die die interne spezifische Strukturierung eines 'Sprachbewußtseins' als eines bestimmten und gegenüber anderen psychischen Fähigkeiten abgegrenzten mentalen Bereichs darstellen will, der dem Menschen artspezifisch und wohl weitgehend genetisch vorstrukturiert gegeben ist. Allerdings scheint die Annahms einer weitgehend homogenen Sprachgemeinschaft, die ja auch im Strukturalismus eine große Rolle spielte, keine für die Standardtheorie unbedingt erforderliche Idealisierung zu sein. Grundsätzlich muß eine realistische Sprachtheorie gerade die nicht in die Performanz zu verweisenden Varianten unterschiedlicher Kompetenzen erfassen und als miteinander in Beziehung stehende Spielarten eines sie umfassenden Sprachsystems ansehen; dieses Sprachsystem (etwa: Deut s oh, Englisch, usw.) seinerseits ist dann als übergeordnete neue, nun allerdings realistisch
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fundierte Idealisierung anzusehen.
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Auf die Notwendigkeit zum Verzicht auf die
Homogenitätsannahme haben zuerst mit Nachdruck Vfeinreich/Labov/Herzog (1968) hingewiesen. Sie zeigen, welche Fehleinschätzungen sowohl in synchroner wie in diachroner Betrachtung aus ihr erwachsen. Vor allem Labovs (1972) Arbeiten führten zur Entwicklung eines Konzepts der Variablenregel, die ihre Tauglichkeit für die Darstellung synchroner, vor allem soziolinguistisch aufgefaßter Variation erwies. Weinreich/Labov/Herzog (1968) zeigen an verschiedenen Beispielen, daß und wie sie sich die Übertragung dieses Beschreibungsverfahrens auf Sprachwandelphänomene vorstellen, die letztlich lediglich als diachrones Gegenstück zur synchronen Variation aufgefaßt werden. In der weiteren Entwicklung der generativen Grammatik hat sich jedoch eine alternative Möglichkeit zur Variablenregel herausgebildet: Durch das in den folgenden Kapiteln ausführlicher erläuterte Konzept der Parairetrisieruhg der Grammatik sowie durch den Markiertheitsbegriff wird sprachliche Heterogenität nicht nur als (mehr oder weniger) zufällig variabel erfaßt, sondern darüberhinaus sowohl hinsichtlich des Ortes in der Grammatik wie hinsichtlich des Maßes der Variabilität und deren Bewertung als Abweichung von einem als umtarkiert aufgefaßten Normalfall charakterisiert. In diesen Bemerkungen sind die m.E. wesentlichen Einwände gegen die diachronen Untersuchungen im Rahmen der Standardtheorie der generativen Transformationsgrammatik zusamnengefaßt. Bei dieser Kritik sollte jedoch der positive Beitrag dieser Arbeiten nicht übersehen werden, der darin besteht, daß in ihnen in weiten Bereichen erstmals eine differenzierte und weitgehend formalisierte Grammatiktheorie auf die bekannten Fälle diachronen Wandels angewandt wurde. Dabei zeichnet sich erstmals die IVBglichkeit ab, den rein formalen Bereich der syntaktischen Veränderungen überhaupt ausreichend differenziert und im Rahmen einer übergreifenden Theorie darzustellen. An vielen Analysen ist scharfe Kritik geübt worden, - aber erst durch die explizitere Fassung der vorgeschlagenen Analysen wurden diese Kritik und die daraus ableitbaren alternativen theoretischen Zugänge überhaupt möglich. 1.5.5. Lightfoot Aus der oben genannten Kritik erwuchs der erste zusammenfassende Versuch einer Deutung syntaktischen Wandels im Rahmen der 'Extended Standard Theory1, den Lightfoot (1979) vorlegte. Diese Arbeit war aus mehreren Einzelstudien (vor allem zur diachronen Syntax des Englischen) erwachsen, in denen an verschiedenen 20 Vgl. dazu Lieb ( 1 9 7 0 ) , Kanngießer ( 1 9 7 2 ) ; zur Dialektologie vgl. u . a . Luelsdorff (1975) und zu einer entsprechenden Anwendung auf die Stilistik Kany6 ( 1 9 7 6 ) .
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Positionen vergleichbarer Untersuchungen der Standardtheorie Kritik geübt wurde. Eine ausführlichere Besprechung dieses Buches habe ich in Lenerz (1981b) gegeben. Ich fasse im folgenden kurz die wesentlichen Punkte zusaitmen: Lightfcot zeigt, daß eine eigene Granmatikveränderungstheorie weder notwendig noch überhaupt sinnvoll erstellbar ist.
Alle zu beobachtenden Veränderungen
in den Granmatiken aufeinanderfolgender Generationen der Sprachgemeinschaft
lei-
ten sich lediglich aufgrund der Grainmatiktheorie ab, welche ja ihrer Konzeption gemäß die für die veränderten Daten jeweils angemessene Beschreibung bestiitmt. Mit dieser Auffassung ist ein wichtiger Schritt zur Überwindung der oben genannten Probleme der Standardtheorie gemacht, ifenn die Granmatiktheorie also den Begriff 'mögliche grammatische Beschreibung einer menschlichen Sprache1 definiert, dann reduziert sich zudem die Aussage einer Sprachwandeltheorie auf folgende Annahmen, die für das Fodell (1) zu machen sind (vgl. Lightfcot 1979, 149f.): - Sprachwandel kann nur so weit gehen, daß die Verstehbarkeit zwischen aufeinander folgenden Generationen einer Sprachgemeinschaft stets gewährleistet bleibt; - Sprachwandel besteht nicht in 'Prophylaxe1, sondern in "Therapie1; - diese "Iherapie1 besteht darin, daß eine nichtoptimale Grammatik so re-analysiert wird, daß eine Gramrratik entsteht, die die Daten in optimaler Weise erfaßt; - bestimmte therapeutische Veränderungen sind wahrscheinlicher als andere. Zu diesen von mir leicht paraphrasierten Grundsätzen der Sprachwandeltheorie von Lightfoot sind einige Bemerkungen erforderlich: Die Forderung nach der 'Verstehbarkeit1 (aornmunicabil-ity)
ist insofern wich-
tig und richtig, als durch sie jeder Sprachwandel auf seine empirische Grundlage bezogen wird, die ja in Neuerungen in individuellen Äußerungen besteht (s.o. Coseriu 1974). Auf der anderen Seite aber ist der Begriff der 'Verstehbarkeit1, den schon Halle (1962) verwendet, m.W. nicht definiert und auch wohl kaum in ausreichendem teße definierbar. Die Forderung nach 'Verstehbarkeit' gilt ja nicht nur diachron, sondern vor allem stets bei der Kommunikation auf der Grundlage eines synchronen Systems. Ein Problem stellt hier die synchrone Variation zwischen unterschiedlichen Dialekten, Soziolekten, stilistischen Registern usw. dar, durch die eben die 'Verstehbarkeit' nicht gefährdet werden darf; - ist sie gegeben, so lassen sich die Varianten als zu einer gemeinsamen Sprache gehörig betrachten. Hier liegen allerdings mehrere Probleme: So ist es etwa erstens denkbar, daß ein Dialekt A zwar von Sprechern des Dialektes B verstanden wird, aber nicht umgekehrt. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn A soziolinguistisch gesehen eine größere Bedeutung hat als B, wenn also A etwa im
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Gegensatz zu B gleichzeitig als überregionale Verkehrssprache oder als Prestigedialekt fungiert. Entsprechendes gilt ja für das Verhältnis von Hochsprache und regional eingeschränkten Dialekten. Zweitens muß eine direkte 'Verstehbarkeit' zwischen verschiedenen Dialekten nicht von vornherein gegeben sein; - sie kann aber u.U. leicht passiv 'erlernt1 werden, ohne daß deshalb auch eine aktive Beherrschung des 'verstandenen' Dialektes gegeben wäre. Diese Beobachtung läßt sich leicht von verschiedenen Dialekten einer Sprache auf den Fall zweier verschiedener, ja sogar genetisch miteinander nicht verwandter Sprachen ausdehnen, wie er etwa in zweisprachigen Gemeinschaften vorliegt (vgl. Bynon 1977, dt. 1981 für Beispiele und weitere Literatur). Auch hier ist grundsätzlich eine 'Verstehbarkeit' gegeben. Drittens aber kann sich sowohl synchron wie diachron im Generationenwechsel die Situation ergeben, daß eine Verstehbarkeit zwischen verschiedenen Gruppensprachen n i c h t
gegeben ist und auch durch bestimmte
sprachliche Veränderungen gerade verhindert werden soll. Vielfach ist es ja die Funktion bestirtitrter Gruppensprachen, zwar die Verständigung innerhalb der Gruppe zu gewährleisten, sie jedoch für gruppenfremde Individuen unmöglich zu machen. Gleichwohl liegen u.U. in solchen Neuerungen Quellen für den Sprachwandel. Viertens schließlich bleibt völlig unklar, ob und wie sich 'Verstehbarkeit1 in Begriffe der Graimatiktheorie übersetzen läßt. Hinsichtlich der zweiten von Lightfoot aufgestellten Bedingung des Sprachwandels läßt sich folgendes anmerken: Zunächst erscheint es sinnvoll, im Sprachwandel keine Prophylaxe gegenüber zukünftig etwa zu erwartenden Schwachstellen oder Asymmetrien im Sprachsystem zu sehen. Sprachen sind ja keine vorausschauend planenden Organismen, die sich gegen einen Funktionsverlust in bestimmten Bereichen wappnen könnten, indem sie vorsorglich alternative Ausdrucksmittel entwickeln. So ist also z.B. nicht zu erwarten, daß eine Sprache eine feste Wortstellung entwickelt, weil ein weitgehender Verlust der flexivischen Unterscheidung durch phonologische Prozesse droht. Gleichwohl aber läßt sich z.B. an der Geschichte des Englischen beobachten, daß eine Verfestigung der Wortstellung schon einsetzt, bevor der Verlust der morphologischen Unterscheidung der Satzglieder so weit fortgeschritten ist, daß er das Erkennen der jeweiligen syntaktischen Funktion der Satzglieder unmöglich machte. Wenn man hierin einen schon frühzeitig einsetzenden therapeutischen Wandel sieht, so erscheint das zwar realistisch, erfordert jedoch ein weitaus differenzierteres Verständnis des Iheinandergreifens von einander funktional ergänzenden Bereichen der Grammatik, als es in vorliegenden Grammatiktheorien möglich ist. Darüber sollten auch die ja bloß allgemeinen Hinweise auf die 'Funktionalität1 nicht hinwegtäuschen, wie sie im europäischen Strukturalismus gelegentlich erhoben werden: sie sind weit entfernt da-
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von, eine explizite Theorie dieser Zusanmenhänge zu geben. Zudem ergibt sich in dieseir. Zusammenhang die Frage, wie es überhaupt dazu kommen kann, daß Sprachwandel zu einem derartigen Funktionsverlust führt, daß eine Therapie nötig wird. Diese Fragen können hier nur aufgeworfen werden, ihre Beantwortung erscheint mir allerdings mit den derzeitigen Theorien noch nicht möglich, weshalb ständige Rückgriffe auf vortheoretische und z.T. mystifizierende Begriffe wie 'drift', 'Entwicklungstendenzen', 'perceptual strategies' usw. in der Literatur nicht selten sind. Solche Konzepte stehen aber für nicht explizierte Bereiche der Sprachtheorie und dürfen letztlich nicht als erklärende Prinzipien für Sprachwandel herangezogen werden, wie sowohl Coseriu (1974, Kap. 6) als auch Lightfoot (1979, Kap. 7) von unterschiedlichen Standpunkten aus hervorheben. An diese Bemerkungen schließt sich ein Einwand gegen die letzte von Lightfoots einschränkenden Bedingungen des Sprachwandels an: Die Grammatiktheorie muß explizieren, welche therapeutischen Maßnahmen bei welchen Veränderungen einsetzen und wieso bestimmte Therapien häufiger auftreten als andere, auf den ersten Blick logisch gleichwertige. Auch hier liegt eine weitere umfangreiche empirische Aufgabe linguistischer Forschung, die uns einen deutlicheren Einblick in das Wesen der Sprache vermitteln kann, als es mit den z.Z. vorliegenden Theorien möglich
ist.
Ein Begriff, der sich jedoch m.E. im Rahmen der hier zugrundegelegten Grammatiktheorie klären läßt, ist der in Lightfoots dritter Bedingung genannte: der mit Sprachwandel einhergehende (scheinbare) Grammatikwandel beruht wesentlich auf der ständigen Re-Analyse der als 'wohlgeformt1 angesehenen Daten. Als einziges Prinzip der Grammatiktheorie, das alternative Analysen erforderlich macht, postuliert Lightfoot ein sogenanntes "Transparenzprinzip1 (transparency principle). Es besagt im wesentlichen folgendes: Derivationen sollen so wenig komplex wie möglich sein, so daß die zugrundeliegenden Strukturen so nah wie möglich an den zu beobachtenden Oberflächenstrukturen anzusetzen sind (S. 121) . Lightfoot vernutet, daß sich dieses "Transparenzprinzip' ähnlich wie andere Prinzipien der Grammatiktheorie letztlich auf allgemeine Perzeptionsstrategien bei der Analyse sprachlicher Daten zurückführen läßt. Durch das 'Transparenzprinzip' soll der Punkt bestinmt werden, an dem die durch einzelne lokale Veränderungen bedingte 'Komplexität1 oder 'Undurchsichtigkeit1 (opacity) einer Ableitung oder die Anzahl der Ausnahmsn zu einer Regel einen Grad erreicht haben, der für das Kind, das die Sprache erlernt, nicht mehr tolerabel ist,
so daß es eine neue Analyse
vornimmt, durch die die Daten eine einfachere Erklärung finden. Das "TransparenzPrinzip1 legt also im wesentlichen nur die Toleranzgrenze fest, bei der eine Veränderung der Gramrratik erforderlich wird, über Art und Weise der im Einzelfall
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erforderlichen Re-Analyse macht es keine Aussagen. Lightfoot nimmt aber an, daß die Umstrukturierung einer Grammatik in einem plötzlichen völligen Umbruch ("a sudden, cataclysmic, wholesale re-structuring", S. 122) besteht, wenn die Komplexität die Ibleranzgrenze überschreitet. Abgesehen von mehr illustrierenden Bemerkungen läßt Lightfoot das Transparenzprinzip jedoch im wesentlichen unerklärt, da er eine Präzisierung beim gegenwärtigen Stand der Forschung für verfrüht hält (S. 344f.). Das ist angesichts der zentralen Rolle dieses Prinzips für Lightfcots Buch allerdings bedauerlich. Solange nämlich der versuch einer Klärung ausbleibt, kann das "Transparenzprinzip' lediglich als eine Bezeichnung für die Tatsache verstanden werden, daß unter bestürmten, aber weitgehend unklaren Bedingungen eine Umstrukturierung der Grammatik einer Sprache postuliert werden kann, die zu einer als 'einfacher1 bewerteten Grammatik führt. Ein solcher Begriff kann aber kaum den zentralen Platz in einer Theorie des Sprachwandels bzw. in einer Grammatiktheorie einnehmen, den Lightfoot ihm zuweisen will. Insgesamt läßt sich zudem bemerken, daß Lightfcots Vorschläge bei allem Bekenntnis zu einer fortentwickelten Grammatiktheorie (der 'Extended Standard Theory1) zu wenig eingeschränkt sind. So erlaubt er als Möglichkeiten des Grammat ikwandels die Einführung neuer Kategorien, neuer Phrasenstrukturregeln, neuer Transformationsregeln, neuer Oberflächenstrukturfilter, neuer Prinzipien der serrantischen Interpretation, neuer Anwendungsbedingungen von Regeln sowie den Wandel lexikalischer Redundanzregeln (vgl. auch Lightfoot 1976b, 21). Zwar behauptet er, daß sich 'Grammatikwandel1 formal nicht beschränken lasse, sondern daß sich Beschränkungen einzig in der Grammatiktheorie ergeben; - es bleibt jedoch unklar, auf welche Weise die oben aufgezählten itxjlichkeiten zur Umstrukturierung einer Grammatik durch die Granmatiktheorie prinzipiell eingeschränkt sein sollen. Gerade in der Ermittlung derartiger Restriktionen scheint mir eine wesentliche Aufgabe insbesondere der diachronen generativen Linguistik zu liegen. Msine kritischen Bemerkungen sollten jedoch nicht mißverstanden werden: Abgesehen von den gemachten Einwänden halte ich Lightfcots Beiträge zur diachronen generativen Syntax für im wesentlichen richtige Ansätze, die zur Überwindung vieler Probleme der diachron angewandten Standardtheorie führen. Insbesondere ist dabei hervorzuheben, daß Lightfoot ausdrücklich die Unnötigkeit und die Unmöglichkeit einer formalen Grammatikveränderungstheorie nachweist. Auch lehnt er m.E. zu Recht unabhängige und zusätzliche Sprachwandelprinzipien (wie drift usw.) außerhalb der Grammatiktheorie ab; die Aufgabe der Grantnatiktheorie muß jedoch darin bestehen, eine Erklärung für die unter den Begriffen
'drift',
1
"Tendenz , usw. erfaßten Phänomene zu liefern. Es ist hervorzuheben, daß Lightfoot den Grundsatz von der Autonomie der Syntax auch auf syntaktischen Wandel überträgt, den er damit gleichermaßen als autonom und deshalb autonom untersuchbar definiert.
39
1.6.
Reaktion auf die Behandlung des Sprachwandels in der generativen Grammatik.
Im folgenden Abschnitt werden kurz mehrere Ansätze besprochen, die sich aus der (meist strukturalistisch bestimmten) Kritik an der Behandlung des Sprachwandels in der generativen Grarrmatik ergeben haben. Dabei werden die folgenden Aspekte herausgehoben: Das Konzept der Analogie (1.6.1.), das Sprachwandelmodell Andersens (1.6.2.) zusanmen mit einer kurzen Diskussion der Rolle des Spracherwerbs beim Sprachwandel (1.6.3.), das Problem der sprachlichen Heterogenität (1.6.4.) , die Position des (amerikanischen) sogenannten Funktionalisnus (1.6.5.) sowie der neuerdings erschienene kommunikationstheoretische Ansatz von Lüdtke (1980c) (1.6.5.) ; auf weitere Grannatikinodelle, die auf die diachrone Syntax angewandt worden sind, wird in 1.6.6. kurz hingewiesen. 1.6.1. Analogie Die Rolle der Analogie in der Sprache, insbesondere beim Spracherwarb und beim Sprachwandel·, ist von den verschiedensten Richtungen der Sprachwissenschaft unterschiedlich beurteilt worden. Die Problematik wird schon in der Auseinandersetzung zwischen "Analogie1 und 'Anomalie1 in der antiken Sprachwissenschaft deutlich. In der modernen Sprachwissenschaft wird der Analogiebegriff von .den Junggrammatikern aufgenoitmsn, erscheint jedoch hier in einer deutlich sekundären Funktion; die (im wesentlichen morphologisch-paradigmatisch verstandene) Analogie wirkt dort, wo die an sich ausnahmslos geltenden Lautgesetze nicht durch die Daten bestätigt werden. Insofern "kommt der Analogie bei den Junggrartnatikem eine Art Lückenbüßerfunktion zu", wie Nkyerthaler (1980, 81) hervorhebt, - ihre Bedeutung liegt andererseits darin, daß sie als zentrales psychologisch zu verstehendes Prinzip sowohl bei Sprachwandel wie Spracherwarb und Spracherzeugung anzusehen ist. Insbesondere erhält die Analogie eine entscheidende Rolle beim Spracherwarb durch Kinder, der ja im wesentlichen als Nachahmung und analoge Übertragung aufgefaßt wird. Auch für den Strukturalismus ist der Begriff der Analogie von Bedeutung, vor allem, wo es um die Erklärung paradigmatischer Regularitäten in Marphologie (Flexion und Wortbildung) und Phonologie geht. Insbesondere die Arbeiten von Kurylowicz und ^fe czak bemühen sich um eine Erhellung des Analogiebegriffes. Sie versuchen eine Klassifizierung ver2l Vgl. dazu u.a. Boretzky (1977, 129-142), Bynon (1977, dt. 1981, 2 8 f f . ) Christmann (1979) und als forschungsgeschichtliche Überblicke Best ( 1 9 7 3 ) , Esper ( 1 9 7 3 ) , Anttila ( 1 9 7 7 ) , sowie Anttila/Brewer (1977) und Mayerthaler (1978) als (kommentierte) Bibliographien und Mayerthaler (1980) als kritische Bestandsaufnahme, vgl. auch Venneraann (1972b, 1974b) und Vincent (1974).
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schiedener Typen der Analogie zu geben, was letztlich auf eine differenziertere und psychologisch zu fundierende Definition des Analogiebegriffes abzielt. Die Entwicklung und theoretische Bedeutung des Analogiebegriffes in linguistischen Arbeiten der 60er und 70er Jahre unseres Jahrhunderts stellt Anttila (1977) in einem temperamentvollen und kenntnisreichen 'State-of-the-Art Report1 dar. Allerdings vermag Anttila nicht darzulegen, worin der erklärende Gehalt des Analogiebegriffes für die Linguistik genau besteht. Zwar sieht er (m.E. völlig zu Recht) die Analogie als eines der Grundprinzipien der menschlichen Erkenntnisfähigkeit an: "Man is an analogical animal" (S. 85) und: '"Die only candidate for conscious or unconscious systernatization is analogy, a sameness of similarities and differences, expressed in proportions." Dieses Zitat zeigt deutlich, wo die eigentlichen Probleme einer expliziten Theorie der Analogie liegen: Weder ist nämlich klar, worin die "sameness of similarities and differences" eigentlich bestehen soll, noch, ob sie notwendigerweise in Proportionen auszudrücken ist. Zudem ist unklar, wann welche Proportion als ausschlaggebend anzusehen ist: "... such proportions m a y (meine Hervorhebung, JL) involve form, form and function, meaning, syntactic function, etc." (S. 23). Beispiele zur überblickartigen Darstellung verschiedener Typen von Analogie fehlen nicht (Kap. 3), doch muß Anttila schon einleitend zugestehen (S. 66): "There are almost as many suggestions for classifying analogical change as there are linguists who have written on the topic [...]." Der sich anschließende tiberblick zeigt, wie unverbindlich die bisher vorliegenden Ansätze zu einer Theorie der (sprachlichen) Analogie im Grunde noch sind. Was unklar bleibt, ist, welche innere Struktur dieses vermeintliche Konzept hat, - eine Struktur, aus der sich erklärte, unter genau welchen Bedingungen welche Formen nach welchen anderen (Leit-)Formen analog gebildet werden. In diesem Punkt geht auch Anttila nicht über die bekannte Metapher von Kuryiowicz (1949) hinaus,.die besagt, mit einer Theorie der Analogie verhalte es sich ähnlich wie mit Regenrinnen: diese bestimmen, in welchen Wegen das Regenwasser verläuft, wenn es tatsächlich regnet. Um im Bild zu bleiben: Was man m.E. eigentlich wissen möchte, ist, wo sich diese Regenrinnen genau befinden, wohin sie führen und wieso sie sich genau dort befinden, wo sie sich befinden. Aus diesem Grunde wurde von der generativen Granmatik seit ihren Anfängen der Erklärungsgehalt des Analogiebegriffes für die Linguistik bestritten. Hier liegt einer der wesentlichen Kritikpunkte von Chomskys (1959) Rezension von B.F. Skinners Buch Verbal Behavior (New York 1957): Chomsky zeigt u.a. (S. 55f.), daß es nicht ausreicht zu behaupten, Kinder bildeten neue Äußerungen in Anlehnung an bereits gehörte (similarity) oder sie leiteten aus gehörten Äußerungen be-
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stimmte Generalisierungen ab. Die entscheidende Frage, die eine linguistische Theorie zu beantworten hat, ist eben, welcher Art die Ähnlichkeiten sind und welche Generalisierungen als relevant anzusehen sind. Erst auf diese Vfeise würde der ansonsten völlig leere Begriff der Analogie inhaltlich sowohl formal wie substantiell gefüllt. Kurz: die Rolle der Analogie bei Spracherwerb und Sprachwandel soll keineswegs bestritten werden; es wird lediglich behauptet, daß der weitgehend undifferenzierte Begriff 'Analogie1 keinerlei Erklärung beinhaltet, da er nicht zu prädiktiven Aussagen führt. Stets bleibt nämlich offen, in Analogie w o z u
sich
eine gegebene sprachliche Form entwickeln wird. Dieser Punkt wird besonders deutlich von Mayerthaler (1980) hervorgehoben, dessen kurze und klare Darstellung m.E. den z.Zt. besten Überblick über Probleme und Aufgaben der Analogietheorie darstellt, ffeyerthaler betont, daß eine Analogietheorie zwei Teiltheorien enthalten müsse, die auf folgende Fragen Auskunft geben (S. 85): "D Welche Klassen von Formen werden von welchen Typen analogischer Prozesse erfaßt?, und 2) Welche Richtung nehmen analogische Prozesse und welche Faktoren determinieren die jeweilige Richtung?" Eine Analogietheorie versteht er dabei weder als "strikt deterministisch" noch als "statistisch-probabilistisch" (vgl. Manczak 1957, Best 1973) sondern als "implikational" (S. 86) in dem Sinne, daß sie Prognosen der folgenden Art ermöglicht: "Wenn sich durch Sprachwandel für die Formklasse v die Bedingungskonstellation w ergibt, dann tritt Analogie mit der Richtung y ein, falls nicht durch eine in der Grammatik übergeordnete Bedingung z suspendiert oder durch eine außergrammatische Bedingung z' ( z . B . normativer Druck) blockiert wird."
Im Anschluß an eine Kritik der proportionalen Analogie (S. 87ff., vgl. auch S. 124ff.) beschreibt er als einen Typ der Analogie ausführlich den paradigmatischen Ausgleich. Dabei zeigt er zweierlei: Erstens erweist sich die "Selbstgenügsamkeit traditioneller Linguisten bei der Analyse analogischen Wandels" (S. 83) als ungerechtfertigt, die glauben, als Linguist habe man "seinen Teil geleistet, wenn ein gegebener Wandel als analogisch 'erkannt1 bzw. klassifiziert oder gar eine entsprechende Proportion angegeben wird." Dies ist deshalb nicht ausreichend, weil es "gutgläubig präsupponiert", daß die "Assoziationspsychologie zur Begründung einer Analogietheorie in der Lage ist"
(S. 84). iteyer-
thalers Analyse des paradigmatischen Ausgleichs zeigt beispielhaft, daß zur Erfassung des Ablaufs eines solchen analogen Wandels eine differenziertere Beschreibung der als 'analog1 bezeichneten Übertragungen erforderlich ist,
als
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sie in traditionellen Arbeiten gemeinhin geleistet wird. Zum zweiten aber wird nachgewiesen, "daß eine adäquate Analogietheorie auf der Grundlage einer generativen Konzeption des Sprachwandels entwickelt werden sollte." (S. 129). Hiermit bezieht Mayerthaler ausdrücklich Stellung gegen rein oberflächenorientierte Darstellungen, da sich aus dem untersuchten Fall ergibt, daß sowohl Cberflächenformen wie Grammatik von Bedeutung für die 'Analogie1 sind. Erst eine derartig differenzierte linguistisch interpretierte Analogietheorie kann den Erklärungsanspruch erfüllen, den man an eine explizite prädiktive Theorie stellen muß. Es scheint mir allerdings, daß sich auf das Konzept der 'Analogie1 als Axiom einer Sprachtheorie völlig verzichten läßt. Hier liegt der entscheidende Punkt in der Auseinandersetzung Anttilas mit der generativen Grammatik, die sich letztlich in wesentlichen Unterschieden der zugrundegelegten erkenntnistheoretischen (und daraus resultierenden wissenschaftstheoretischen) Vorstellungen begründet. 22 Die generative Grammatik geht davon aus, daß das Sprachbewußtsein als eine autonome Komponente der geistigen Fähigkeiten des Menschen anzusehen ist.
Entsprechend bemüht sie sich, die mentale Struk- ·
tur dieser Komponente zu beschreiben, die sich vor allem beim Spracherwerb als gegenüber dem übrigen Erkenntnisapparat autonom und intern zu einem großen Teil spezifisch strukturiert erweist. Im Gegensatz zu dieser Auffassung bestreitet Anttila ausdrücklich die Existenz eines autonomen Spracherwerbsapparates (language acquisition device = LAD, S. 19). Stattdessen geht er davon aus, daß sich sprachliche Fähigkeiten des Menschen (und die daraus ableitbare Sprachstruktur) ebenso wie andere geistige Fähigkeiten aus einer allgemeinen Erkenntnisfähigkeit ableiten lassen, deren wesentlicher Teil durch das alltagslogische Schlußverfahren der Abduktion und den Analogiebegriff erfaßt wird. Die hier angesprochene Streitfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung nicht nur für die Linguistik, sondern für weite Bereiche der Psychologie, Biologie, der Verhaltensforschung und anderer Disziplinen, die eine Erkenntnistheorie voraussetzen. Die gegensätzlichen Positionen einer modularisierten (Chomsky) und konstruktivistischen
(Piaget) Erkenntnistheorie finden sich ausführlich
in dem überaus interessanten Streitgespräch zwischen Piaget und Chomsky (sowie anderen Vertretern beider oder vergleichbarer Standpunkte in der Biologie, Mathe22 Vgl. dazu u.a. Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Bd. 1: Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, Berlin 1969, insbes. S. 131-137. Mayerthalers (1978,18) Kommentar: "Stegmüller spricht Analogiemodellen explanativen Wert ab, gesteht ihnen jedoch einen gewissen "psychologischen Reiz' zu."
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ratlk,
künstlichen Intelligenzforschung, Psychologie, u.a.) dargestellt. Auf
diese von Piattelli-Palnarini (1979/1980) herausgegebene Diskussion kann hier nur verwiesen werden. Wenn man sich jedoch der Ansicht Chomskys anschließt, nach der die Sprachfähigkeit des Menschen gewissermaßen als autonom strukturiertes 'mentales Organ' (vergleichbar den ebenfalls autonom strukturierten Organen des Körpers) anzusehen ist, dann ergeben sich entscheidende Konsequenzen für das wissenschaftliche Vorgehen. Vor allem bedingt das eine deutliche, empirisch zu begründende Trennung spezifisch sprachlicher Erscheinungen von außersprachlichen. Für das zur Diskussion stehende Konzept der Analogie bedeutet das, daß sämtliche innersprachlich-strukturellen Aspekte des Spracherwerbs und des Sprachwandels ohne Rückgriff auf einen hypothetischen allgemeinen Analogiebegriff als spezifisch linguistische Prozesse zu beschreiben sind. Somit enthält die Sprachtheorie Prinzipien und Regeln, die man als Explikation eines Begriffs der 'sprachlichen Analogie' ansehen könnte, welcher jedoch nicht eigens stipuliert zu werden braucht, sondern aus den ohnehin linguistisch erforderlichen Größen der Sprachtheorie deduktiv ableitbar wäre. Mit diesen letzten Bemerkungen ist auch die Position umrissen, die in der vorliegenden Arbeit vertreten wird: Vfenn die Gesetzmäßigkeiten und Beschränkungen syntaktischen Wandels ausdrücklich formuliert sind, so wird dadurch u.a. der Begriff der Analogie in diesem Bereich vollständig erfaßt. 1.6.2. Andersens Sprachwandelmodell Anttila (1977, 80f.) betrachtete Andersens (1974 u.a.) Modell der Analogie im Sprachwandel als wichtigsten Beitrag der 70er Jahre zur diachronen Linguistik. Auch wenn man sich dieser Bewertung nicht unbedingt anschließt, so muß man doch feststellen, daß das Schema (1) (s.o. S. 32) in der Tat in kaum einem neueren Handbuch zur diachronen Linguistik fehlt. Wie Anttila (1977, 20) bemerkt, betrachteten die Vorstrukturalisten Sprachwandel im wesentlichen oberflächenstrukturorientiert als Beziehung von output l (0-|) zu output 2 (C^) , während die diachrone generative Grammatik der 60er Jahre Sprachwandel hauptsächlich als Granmatikwandel von grammar l (G·^) zu grammar 2 (62) untersuchte. Insofern stellt das differenzierte Schema ( 2 ) , wenn auch abstrahiert, ein realistisches Modell des Sprachwandels dar. (2)
44
Dabei handelt es sich bei der Ableitung 'laws of language - grammar - output' logisch gesehen um eine Deduktion. Demgegenüber spielt beim Spracherwerb der Schluß Output l - laws of language - grammar 2' die entscheidende Rolle, - und hier handelt es sich um eine sogenannte 'Abduktion1 im Sinne -van Peirce, einem nicht notwendigerweise wahrheitsbewahrenden Schlußverfahren, das vor allem in der 'Alltagslogik1 und im phantasievoll-produktiven Danken eine besondere Rolle zu spielen scheint (Andersen 1973, 775f.). Insgesamt ist diesem Modell wohl zuzustimmen, wenn man es als Idealisierung der an sich wohl recht komplexen Verhältnisse beim Spracherwerb in einer heterogenen Sprachgemeinschaft versteht und auch auf 'Spracherwerb' im Erwachsenenalter bezieht, auf Fälle also, in denen z.B. bestimmte Prestigedialekte, regionale Dialekte, Sprachstile etc. sekundär erlernt werden. Ärmlich wie die Aussagen Coserius bilden aber auch Andersens Überlegungen lediglich einen logischen Rahmen für die Untersuchung des Sprachwandels.
über eine Klassifizierung gehen
sie letztlich nicht hinaus und belassen vor allem die wesentlichen (universellen) Gesetzmäßigkeiten, denen auch Sprachwandel unterliegt, unerforscht. Die entscheidende Frage, die sich mit diesem Modell verbindet, ist nämlich die folgende: Wie kann es überhaupt dazu können, daß sich G- von G^ unterscheidet, d.h. wieso ist abduktiver Wandel überhaupt möglich? Diese zentrale Frage wird von Andersen mit dem Hinweis auf die der Abduktion innewohnende Möglichkeit zum Fehlschluß nicht ausreichend beantwortet. Denn wenn Abduktion falsche Schlüsse erlaubt, wieso differieren dann G- und G- (G-...G ) nicht in beliebiger Weise? Wieso sind nach allem, was wir über O_ erschließen können, G., und G2 in wesentlichen Funkten identisch? Der Grund ist zweifellos in der zweiten Prämisse der Abduktion, in den laws of language in (2) zu sehen, in den Universalien also, vermöge derer jemand, der eine Sprache erlernt, überhaupt eine Grammatik2 auf der Grundlage von Output, konstruieren kann. Diese laws of language, die Andersen nirgendwo näher erläutert, stellen sicherlich die Bedingungen dar, die die weitgehende iüinlichkeit aller mit Output- verträglichen Grammatiken garantieren, die aber andererseits offenbar genügend Spielraum für leicht differierende Analysen des Output1 geben. Die zentrale Aufgabe der Linguistik, die über die bloße Konstatierung der Existenz solcher Universalien hinausgeht, ist es also, festzustellen, welcher Art diese Bedingungen im einzelnen sind. Aus-
23 Ebert (1976b) deutet an einigen Beispielen aus der diachronen Syntax des Deutschen an, wie sich Andersens Modell (abduktiver vs. deduktiver Wandel) und Coserius Unterscheidung in ' T y p ' , 'System' und 'Norm' zur Bestimmung syntaktischen Wandels nutzbar machen lassen.
45 sagen über Form und Substanz der Bedingungen, die als laws of language anzusehen sind, stellen nach meiner Auffassung das Ziel systemlinguistischer Forschung dar, und genau in diesem Punkt sehe ich die Aufgabe der vorliegenden Arbeit, die einige dieser Bedingungen auf dem Gebiet der Syntax aus einer diachronen Betrachtung des Deutschen zu erfassen versucht. 1.6.3. Zum Verhältnis von Spracherwerb und Sprachvandel In diesem Zusammenhang scheinen einige Bemerkungen zum Verhältnis von Sprachvandel und Spracherwsrb angebracht. Es ist schon gelegentlich darauf hingewiesen worden, daß ein einfaches 'Generationenmodell1 sicherlich eine Idealisierung darstellt, da ja irr. Leben einer Sprachgemeinschaft keine 'Generationen1 aufeinander folgen, sondern jedes Kind stets für sich in eine teilweise heterogene Sprachgemeinschaft hineinwächst. Dabei scheinen sich zudem Kinder, zumindest ab einem gewissen Alter, stärker am Sprachverhalten von Gleichaltrigen oder wenig älteren Kindern zu orientieren (peer-groups) als an dem ihrer Eltern (vgl. Baron 1977, 2 4 f . ) . Die im einzelnen hier wirksam werdenden soziolinguistischen Faktoren sind komplexer Natur (vgl. dazu u.a. Bailey 1977). Daneben ist zudem zu bemerken, daß sich Sprachwandel sicherlich auch im Erwachsenenalter beim Erwerb neuer Sprachstile, Prestigedialekte, Gruppen- und Fachsprachen sowie beim Versuch der Anpassung an neue regionale Dialekte, bei Zweisprachigkeit usw. ergibt. Es ist dabei grundsätzlich ungeklärt, ob sich die Fähigkeit zum Spracherwerb im Erwachsenenalter überhaupt substantiell von der bei Kindern unterscheidet. Sollte das der Fall sein, wäre natürlich zu fragen, worin dieser Unterschied besteht und ob sich daraus Konsequenzen für die Art des möglicherweise resultierenden Sprachwandels ergeben, etwa derart, daß etwa Erwachsene (um ein willkürliches Beispiel zu konstruieren) im Gegensatz zu Kindern nicht oder nicht im gleichen Maße zu abduktiven Veränderungen befähigt wären. Auf all die hier nur kurz angerissenen Fragen lassen sich z.Z. keine empirisch abgesicherten Antworten geben. Beobachtungen wie die zum Zwaitsprachenerwerb oder zur Bildung von Creol24 sprachen sind in diesem Zusammenhang wichtig und könnten bei einer detaillierteren Analyse zu einem besseren Verständnis führen, das über solch apodiktische Ansichten wie die von Halle (1962) hinausgeht, der Erwachsenen generell die Fähigkeit zu einer Umstrukturierung ihrer internalisierten Grammatik abspricht. Ein weiteres Problem liegt im Verhältnis von Sprachwandel und Spracherwerb selbst begründet: Soll man z.B. annehmen, daß der Spracherwerb von Kindern in 24 Vgl. u.a. van Coetsem ( 1 9 7 5 ) , Traugott (1974, 2 6 6 f f . ) , Robson (1973) und Bailey ( 1 9 7 7 ) .
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gewisser Weise Rückschlüsse auf historische Entwicklungen der Sprache erlaubt, wie das etwa Baron (1977) versuchsweise annintnt (vgl. auch Range 1975)? Sollte sich zumindest in Teilbereichen eine Parallelität zwischen historischem Sprachwandel und synchronem Spracherwerb durch Kinder nachweisen lassen, so ergäbe sich die Frage, wie das zu erklären ist und welche Rückschlüsse das möglicherweise auf eine Iheorie hat, die die allgemeine Sprach(lern)fähigkeit des Menschen beschreiben will. Auf diese Frage wird unten (3.2.6.) im Zusammenhang mit Theorien zur Entwicklung der Verbstellung im Deutschen noch ausführlicher einzugehen sein. Aus Barons Untersuchung ergibt sich im wesentlichen, daß diachrone Entwicklungen ontogenetisch gegebene Bedingungen des Spracherwerbs spiegeln; sie zeigt an der historischen Entstehung der kausativen periphrastischen Konstruktionen mit make, have und get in der Geschichte des Englischen, daß diese offensichtlich ännliche Stadien durchläuft, wie sie sich bei der Erlernung dieser Strukturen durch Kinder nachweisen lassen. 1.6.4. Sprachliche Keterogenität Es ist wiederholt und von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, daß Sprachen heterogene Systeme sind, deren Regularitäten eine gewisse Variabilität aufweisen. Weinreich/Labov/Herzog (1968) vertraten entschieden die These, daß auf eine derartige Idealisierung, wie Chomsky (1965) sie seiner Grannatiktheorie zugrundegelegt hatte (vgl. jetzt wieder Chomsky 1981a, 8 u. 16) , verzichtet werden'müsse, da sich insbesondere die Erscheinungen bei Sprachkontakt und Sprachwandel nur adäquat erfassen ließen, wenn man von einer geordneten Heterogenität sprachlicher Systeme ausginge. Zudem wiesen sie auf das von Labov entwickelte Konzept der 'Variablenregel1 hin, das die Beschreibung einer solchen Heterogenität ermöglichte. Auf die soziolinguistische Erfassung des Sprachwandels soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Das Konzept der von Labov (1972) entwickelten Variablenregel ist zudem von verschiedener Seite kritisiert worden, insbesondere hinsichtlich der Aussagekraft rein statistisch begründeter Anwendungsbedingungen. So ist vor allem darauf verwiesen worden, daß an deren Stelle Implikationshierarchien von linguistischen Bedingungen treten müssen, um die Itöglichkeit einer linguistischen Erklärung der beobachteten unterschiedlichen Anwendungshäufigkeiten zu eröffnen. 26 25 Barons Arbeit ist von Lightfoot (1980) scharf kritisiert worden; allerdings sind Lightfoots Argumente falsch, die sich auf den Erwerb der Verbstellung u . a . im Deutschen stützen, vgl. dazu jetzt Clahsen ( 1 9 8 2 ) . 26 Zum Konzept und zu Problemen der Variablenregel vgl. u . a . Unsold (1977) , Kay/McDaniel ( 1 9 7 7 ) ; als empirische Untersuchung, auf die Sprachgeschichte des Deutschen bezogen vgl. Ebert (1980; 1981).
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Von anderer Seite geht Kanngießer (1972, 1973) das Problem der sprachlichen Hetercgenität an. Er entwickelt (damit Coserius Ansatz vergleichbar, s.o.) ein logisches System, das in der Lage ist, die Inhomogenität innerhalb einer Sprache so weit zu erfassen, daß die darauf aufbauende Grammatiktheorie sowohl empirisch adäquat wie andererseits idealisiert genug ist, um generelle Aussagen über Sprache zu erlauben. Kanngießer (1972) geht von der extremen Idealisierung Chomskys (1965, 3) aus, die die Kompetenz eines idealen Sprecher/Hörers in einer homogenen Sprachgemeinschaft zum Untersuchungsgegenstand der Linguistik erklärt. Kanngießer weist nach, daß diese Idealisierung insbesondere in ihrer Homogenitätsannahme für eine realistische Beschreibung menschlicher Sprachen zu weit geht. Folglich erarbeitet er eine abgeschwächte Idealisierung niederen Grades, die seiner Ansicht nach als Grundlage einer realistischen und prinzipiell empirisch überprüfbaren Grammatiktheorie dienen kann. Gleichzeitig aber werden bestürmte Idealisierungen beibehalten. Insbesondere werden weiterhin endlich viele in sich jeweils homogene Gruppen von idealen Sprecher/Hörern angenommen, deren Sprachkenntnisse es zu untersuchen gilt. Dabei werden auch die Prozesse grammatischer Interaktion zwischen diesen Gruppen zum Gegenstand der Theorie gemacht. Die Inhomogenität einer Sprache sieht Kanngießer synchron wie diachron gegeben. Dabei sind synchrone und diachrone Inhomogenität zwar intensional verschieden, müssen aber extensional als äquivalent angesehen werden (Kanngießer 1972, 135ff.; 1973, 37). Hinsichtlich des Problems des Sprachvondels gelangt Kanngießer (1972) auf anderer wissenschaftstheoretischer Grundlage zu ähnlichen Folgerungen wie Coseriu (1974). Die Durchsetzung einer sprachlichen Innovation sieht er im wesentlichen als pragmatisches und soziolinguistisches Problem an. Die Frage nach dem W i e
eines Sprachwandels hält er für lin-
guistisch lösbar, während ihm die Frage nach dem W a r u m eines Sprachwandels als nicht mit rein linguistischen Mitteln zu beantworten zu sein scheint. Insgesamt gesehen handelt es sich bei Kanngießers Untersuchung um eine logische Klärung der Grundlagen einer Graimiatiktheorie, die sprachliche Inhomogenität angemessen widerspiegeln kann. Diesen Überlegungen ist im Prinzip nicht zu widersprechen; weitergehende explizit-substantielle Angaben über die Art der jeweils wirksamen Universalien oder der zu beobachtenden unterschiedlichen Variabilität einzelner Bereiche der Grammatik usw. werden jedoch nicht gemacht, so daß sich aus der wissenschaftstheoretischen Untersuchung Kanngießers keine direkten Konsequenzen für die in der vorliegenden Arbeit versuchte Analyse syntaktischen Wandels ergeben. Zudem verdient ein anderer Punkt hervorgehoben zu werden: Kanngießer (1972) geht es offenbar (ähnlich wie Weinreich/Labov/Herzog 1968) um die Adäquatheit von G r a m m a t i k e n als realistische Be-
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Schreibungen weitgehend inhomogener menschlicher Sprachen. Chomskys Ziel ist es demgegenüber, eine adäquate Grammatik t h e o r i e
zu entwickeln, die die men-
tale Struktur der menschlichen Sprachfähigkeit (und Sprachlernfähigkeit) definiert. Dabei kann die Möglichkeit zur Erstellung realistischer Grammatiken zur Beschreibung der Heterogenität menschlicher Sprachen in tatsächlichen Sprachgemeinschaften außer Betracht bleiben. In diesem Sinne (der die tatsächliche sprachliche Inhomogenität keineswegs leugnet) mag Chomskys Idealisierung nach wie vor gerechtfertigt erscheinen, wie er neuerdings wieder betont hat (Chomsky 1981a, 8 u. 16). Ein weiterer Ansatz zur theoretischen Erfassung sprachlicher Inhomogenität und sprachlichen Wandels liegt in Lieb (1970) vor. Es handelt sich um eine axiomatisierte und weitgehend mathematisierte Sprachtheorie auf einem allgemeinen kommunikationstheoretischen Hintergrund, in der die Begriffe der Synchronie und Diachronie ebenso wie die der langue und parole expliziert werden. Zum Problem der substantiellen sprachinternen Bedingungen des Sprachwandels ergibt diese Untersuchung jedoch wenig, weshalb sie in meinen weiteren Überlegungen ebenso außer Betracht bleiben kann, wie die darauf aufbauenden allgemeinen Bemerkungen von Bartsch/Vennemann (1973b, 1982). So sehr ich im Prinzip der Auffassung zustimme, daß Sprachen· eine geordnete Heterogenität aufweisen, so scheint mir doch andererseits die Darstellung dieser Heterogenität allein, auch wenn sie soziolinguistisch interpretiert wird, wenig zur Sprachtheorie beizutragen, wenn sie sich nicht gleichzeitig um die Erstellung einer Markiertheitstheorie bemüht. Erst dadurch, daß die innerhalb der Variabilität einer Regel erlaubten Strukturen nach ihrer 'Natürlichkeit1 oder 'Markiertheit1 bestimmt werden, gelangen wir zu einer Bewertung dieser Daten im Hinblick auf ihre universelle oder sprachspezifische Relevanz. Erst im Rahmen einer solchen Markiertheitstheorie, wie sie z.B. von der generativen Grammatik gefordert wird (vgl. u.a. Belletti/Brandi/Rizzi 1981) ist sprachliche Variabilität daraufhin bewertbar, ob sie zum Kembereich einer Grammatik gehört oder nicht. Aussagen dieser Art aber lassen sich u.a. aus diachronen Beobachtungen ableiten, wenn nan unterstellt, daß sich universell oder einzelsprachlich in der Kerngrammatik festgelegte Strukturen nicht bzw. nicht so leicht ändern wie periphere und daß Sprachwandel sich wenn möglich in Richtung auf weniger markierte 'natürlichere' Strukturen bewegt. In diesem Sinne versucht auch die vorliegende Arbeit zwischen unmarkierten (und damit diachron stabilen) und markierten (und diachron variierenden) Strukturen zu unterscheiden.
49
1.6.5. Zu 'funktionalen1 Erklärungen des Sprachwandels Mit dem Wort "Funktionalismus" werden verschiedene Richtungen in der Sprachwissenschaft bezeichnet. 27 Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie sich bemühen, Sprachstrukturen unter dem Aspekt zu verstehen, daß sie auf ihre 'Funktion1 bezogen werden, die darin zu sehen ist, daß sie die intendierte Kommunikation am besten gewährleisten. In unserem Zusammenhang interessieren vor allem solche funktionalistischen Betrachtungen, die sich mit dem Sprachwandel befassen. Sie sehen die Funktion des Sprachwandels im wesentlichen in folgendem: Wenn bestimmte unterscheidende Merkmale - im allgemeinen durch phonetische 'Abschleifung' so weit verlorengegangen sind, daß dadurch Ambiguitäten und Mißverständnisse gehäuft auftreten, müssen andere, bislang nicht systematisch funktional genutzte Unterscheidungen die disambiguierende Funktion der verlorengegangenen übernehmen Beispiele aus der Phonologie und Morphologie sind in großer Zahl bekannt. In unserem Zusammenhang ist insbesondere an die Iheorie Vennemanns zu denken, der die Umstrukturierung einer SOV-Sprache zu einer SVO-Sprache im Verlust ausreichender morphologischer Unterscheidung von Subjekt und Cbjekt sieht (zu Einzelheiten s.u. Kap. 3 ) . Weitere "funktionale1 Modelle zur Erklärung des Sprachwandels können hier nur kurz erwähnt werden, so vor allem die psycholinguistisch bestimmte Betrachtungsweise, wie sie von Bever, Langendoen u.a. in den USA vertreten wird. So scheint syntaktischer Wandel z.T. dadurch erklärbar, daß bestimmte an sich grammatisch zulässige Strukturen diachron gesehen vermieden werden, wenn sie (etwa beim Verlust eindeutiger kasusunterscheidender Morphologie) perzeptuelle Schwierigkeiten bieten, also zunehmend zunächst falsch oder überhaupt ambig interpretiert werden. Bever/Langendoen (1971, wiederabgedruckt 1972, 1976) versuchen das in einem programmatischen Aufsatz am Beispiel der abnehmenden Tilgbarkeit des Relativpronomens in der Geschichte des Englischen nachzuweisen. Auch können, wie Bever/Carroll/Hurtig (1976) zeigen, auf entsprechende Weise neu entstehende Strukturen erklärt werden: Neubildungen entstehen aus ungrammatischen Strukturen, die analog zu grammatischen gebildet und interpretiert werden, wenn sie kommunikativ erforderlich sind und sich der beabsichtigte kommunikative Zweck auf andere Weise überhaupt nicht oder nur perzeptuell komplizierter erreichen ließe. Andererseits werden grammatisch an sich mögliche Formen im Laufe 27 Vgl. Kanngießer (1977) als Überblick über weitere verschiedene Richtungen des 'Funktionalismus 1 in der Sprachwissenschaft. Auf diese sowie auf die "funktionale 1 Grammatiktheorie von Dik (1978) wird im folgenden nicht eigens eingegangen; zum amerikanischen 'Funktionalismus' vgl. auch Grossmann/San/Vance (1975) (=CLS 11, Parasession on Functionalism).
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des Sprachwandels als 'inakzeptabel' ausgeschieden, wenn ihre Interpretation große perzeptuelle Schwierigkeiten mit sich bringt. In diesem Sinne ist also der psycholinguistische Ansatz von Bever und anderen 'funktional', wobei, wie gesagt, die Systeme von Sprachproduktion und -perzeption als mit der Grammatik im engeren Sinne
i n t e r a g i e r e n d
angesehen werden.
Problematisch ist bei diesem Ansatz die Bestimmung des Verhältnisses der perzeptuellen Strategien zur Grammatiktheorie im engeren Sinne. 28 U.a. zeigt sich das auch darin, daß bei den Neubildungen aus bisher 'ungrammatischen' Äußerungen ja sichergestellt sein muß, daß sie prinzipiell ja von der Grammatiktheorie als 'mögliche Strukturen1 definiert sein müssen. In diesem Zusammenhang ist auch eine weitere als 'funktional' zu bezeichnende Ansicht des Sprachwandels zu behandeln, die in ihm bestimmte kommunikationstheoretisch begründbare 'Tendenzen1 erkennt. Lüdtke (1980) weist in zwei Aufsätzen darauf hin, daß neben der in Sprachen "angelegten Variabilität" im konkreten Kommunikationsakt ein "Optimierungsstreben" zu beobachten sei, durch das eine Degeneration des Zeichensystems Sprache weitgehend verhindert werde. Aus dem Zusamtnenspiel dieser Kräfte erkläre sich Sprachwandel. Allerdings bleiben Lüdtkes Bemerkungen insgesamt eher allgemein und in den Beispielen auf Phonologie und Marphologie beschränkt. Vor allem fehlt (ähnlich wie bei Coseriu und den Analogietheoretikern) eine in sich kohärente und explizite Graitmatiktheorie, die das Zusammenspiel unterschiedlicher Strukturen (und deren Veränderungen) deduktiv erklärte. Die vorangeschickten
"theoretischen1 Bemerkungen
(1980b) sind im wesentlichen allgemein sprachphilosophischer und konmunikationstheoretischer Art. Sie grenzen das Phänomen 'menschliche Sprache1 allenfalls nach außen ab gegenüber anderen Zeichensystemen, indem sie Sprache diesen logisch über- und genetisch vorordnen. Eine Sprachtheorie im substantiellen Sinne stellen diese Bemerkungen allerdings nicht dar. 1.6.6. Verschiedene Grammatikmodelle Eine prinzipielle Auseinandersetzung mit konkurrierenden Grammatikmodellen ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu leisten. Die Gründe für die Wahl der generativen Graitmatik als Beschreibungsmodell sind verschiedentlich bereits angeklungen. Unter den mir bekannten z.Z. vorliegenden Entwürfen erscheint mir die generative Grammatik als explizite und theoretisch am besten fundierte Theorie, die zudem in stetiger empirisch motivierter und theoretisch reflektierter MDdifikation eine Annäherung an das Idealziel einer empirisch adäquaten und 28 Vgl. auch Bever (1975) zur grundsätzlichen Problematik mancher funktionalistischen Ansätze.
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damit erklärenden Grammatiktheorie erstrebt. Darüberhinaus erscheinen mir die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Sprachtheorie Chomskys grundsätzlich ebenso plausibel wie das mit Ihr verbundene Erkenntnisinteresse. Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß auch solche Bereiche des Phänomens 'Sprache1, die von dieser Theorie bewußt ausgeklammert werden, insgesamt erforschens- und grundsätzlich beachtenswert sind. Ihre Ausklanmerung begründet sich lediglich methodisch darin, daß sich die Strukturen solcher Bereiche der Sprache aus anderen Theorien ableiten lassen, so etwa aus einer allgemeinen Kommunikationstheorie, einer Handlungstheorie (Pragmalinguistik), aus physikalischen und physiologischen Theorien (Phonetik), aus sozialen Theorien (weite Bereiche der Soziolinguistik) u.a. (vgl. dazu Bartsch/Vennemann 1973a). Mit dieser Entscheidung, die in keiner Weise die Relevanz dieser Bereiche verkennt und die keinerlei Wertung beinhaltet, geht auch eine Bestimmung des von mir angenommenen Erkenntniszieles einher: Als Gegenstand der Sprachtheorie werden in dem hier vertretenen engen Sinn lediglich solche Erscheinungen angesehen, deren Struktur sich nicht aus Theorien über andere Bereiche menschlichen Handelns oder menschlicher Intelligenz erklären lassen. Soviel sei hier kurz zur Begründung der getroffenen Wahl des Grammatikrtodells der generativen Graitmatik gesagt. Neben dieser theoretischen Begründung steht eine praktische: Alternative Grammatikinodelle sind in aller Regel nicht vergleichbar weit explizit formuliert und entwickelt wie die generative Graimttik. Zudem fehlt ihnen häufig eine Anwendung auf die Diachronie, insbesondere auf die diachrone Syntax. Einige Ausnahmen, die mir bekannt geworden sind, sind die folgenden Arbeiten: Christie (1974) und Durham (1974) stellen Versuche dar, Sprachwandel im Rahmen der 'Stratifikationsgranratik' zu beschreiben; Bossuyt (1979) versucht Diks (1978) "Funktionale Grammatik1 auf die historische Sprachwissenschaft zu übertragen; Li (1977) vereinigt mehrere, an verschiedene Theorien gebundene Ansätze; Bennett (1980) beschreibt syntaktischen Wandel im Bereich des englischen Passivs im Rahmen der 'Relational Grammar'; Greule (1982) enthält Aufsätze, die den Stand der valenzgrammatischen Arbeiten zur diachronen Syntax repräsentieren, die durch Heringer (1968) eingeleitet wurden. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten oder mit anderen, z.T. umfassenderen Ansätzen (Lieb demn.) muß jedoch hier unterbleiben, da sie den Rahmen der vorliegenden Arbeit erheblich überschreiten würde. 1.7.
Eigene Standortbestinming
Der in der vorliegenden Arbeit vertretene Standpunkt wird in Ansätzen schon aus den vorangegangenen Bemerkungen erkennbar. Das Phänomen des syntaktischen Wandels
52
soll in einer autonomen Syntaxtheorie erfaßt werden, die Teil einer allgemeinen Graitmatiktheorie ist. Die Syntaxtheorie ist insofern autonom, als sie die möglichen syntaktischen Strukturen einer Sprache unabhängig von ihren jeweiligen seinantischen und pragmatischen Funktionen beschreibt und unabhängig von diesen Funktionen zu erklären versucht. Dabei wird es als 'Fjrklärung' angesehen, wenn sich die Strukturen aus allgemeinen Prinzipien der Gramnatiktheorie deduktiv ableiten lassen. Als eine derartige autonome Syntaxtheorie mit ausreichender deduktiver Struktur wird in der folgenden Untersuchung die generative Grammatik zugrundegelegt. Die für uns wichtigen Züge dieser Graitmatiktheorie bestehen in der Unterscheidung in einen Kernbereich und in Randbereiche der Grammatik sowie in der Modularisierung und Parametrisierung, wodurch sich die Komplexität und Heterogenität (Variabilität) der sprachlichen Fakten auf einfache generelle Gesetzmäßigkeiten im Kernbereich der Grammatik zurückführen lassen. Durch die Unterscheidung in einen Bereich der 'Kerngrammatik' und in Randbereiche wird die Tatsache erfaßt, daß bestimmte Strukturen synchron keine Variation aufweisen, während andere eine ziemlich starke Variation zeigen. Dem entspricht völlig die unterschiedliche Anfälligkeit zur diachronen Veränderung: Der Kembereich der Graitmatik umfaßt die Bereiche der grammatischen (in unserem Fall syntaktischen) Struktur, die synchron wie diachron eine große Stabilität aufweisen. Ihre Beschreibung ergibt sich deduktiv aus möglichst wenigen und möglichst generellen Prinzipien der allgemeinen Graitmatiktheorie. Demgegenüber werden bestimmte andere Bereiche mit großer synchroner wie diachroner Instabilität durch eine geeignete Msdularisierung und Parametrisierung der Gramtatik erfaßt. Dabei können komplexe Erscheinungen durch die Modularisierung der Grammatik als das Ergebnis mehrerer interagierender Regeln aufgefaßt werden, die jeweils als einfache und generelle Gesetzmäßigkeiten zu formulieren sind. Insbesondere ist so eine Unterscheidung zwischen stabilen und variablen Eigenschaften komplexerer Fakten möglich, indem sie zu jeweils verschiedenen Bereichen der Grammatik in Beziehung gesetzt werden. Entsprechendes gilt für die Parametrisierung: synchrone wie diachrone Variation lassen sich als das Ergebnis unterschiedlicher Festlegung freier Parameter in ansonsten gleichbleibenden generellen Regeln interpretieren. Auf Einzelheiten dieser hier nur kurz skizzierten Konzepte wird in den folgenden Kapiteln jeweils ausführlicher eingegangen. So wird die sprachliche Heterogenität auf eine prinzipiell geordnete Weise erfaßt, die die Heterogenität als regelgeleitet und nicht zufällig, sondern intern strukturiert erkennen läßt. Diese stellt sich nämlich dar als das Ergebnis 'erlaubter1 und von der Graitmatiktheorie definierter Variation oder Ab-
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weichung vom unmarkierten Fall, der im Kernbereich der Grammatik beschrieben wird. Die empirische Aufgabe der Linguistik besteht in dieser Hinsicht darin, die jeweils erforderliche Entscheidung begründet zu treffen, auf welche Weise die Daten zu beschreiben sind, d.h. welche Erscheinungen man dem Kembereich zuordnet und wie die Modularisierung und Parametrisierung der Granmatik im einzelnen anzusetzen ist. Es ist klar, daß empirische Daten in diesem Sinne nur als entscheidende K o n t r o l l e der Theorie sinnvoll sind; sie dienen im wesentlichen dazu, Argumente für die Entscheidung zwischen konkurrierenden Beschreüxmgsmöglichkeiten zu liefern. Das ist nur möglich, wenn nicht sprachliche Äußerungen als solche als empirische Daten anerkannt werden, sondern erst, wenn sie im Sinne der konkurrierenden Hypothesen analysiert sind. Nur so lassen sich nämlich Unterschiede zwischen konkurrierenden Hypothesen empirisch nachweisen, so daß ggf. die Inadäquatheit einzelner Hypothesen zu beweisen ist. Demgegenüber stellen positiv bestätigende Daten keine empirische Kontrolle der Theorie dar, sondern dienen lediglich der Exemplifizierung dessen, was sich aus der Theorie ohnehin deduzieren läßt. In diesem Sinne versucht die vorliegende Arbeit Argumente für den angemessenen Aufbau einer Syntax des Deutschen beizutragen. Dabei dienen die aus der Sprachgeschichte des Deutschen herangezogenen Beispiele dem oben genannten Ziel: sie sollen es ermöglichen, empirisch begründete Entscheidungen für die jeweils angemessene Analyse zu treffen. Insbesondere bei der adäquaten Scheidung zwischen Kern- und Randbereichen der Syntax des Deutschen ergibt sich aus dem Befund der diachronen Variation empirische Evidenz. Darüber hinaus aber stellt das Ergebnis der vorliegenden Arbeit auch einen vorsichtigen Beitrag zur allgemeinen Gramnatiktheorie dar. Das Erkenntnisinteresse der Linguistik erschöpft sich nämlich nicht lediglich in der Erfassung und Beschreibung der sprachlichen Fakten, sondern ist darüberhinaus darin zu sehen, daß angemessene Beschreibungen es erlauben, generelle Prinzipien zu erschließen, aus denen sich die einzelnen Analysen ableiten lassen. In diesem Sinne ist die allgemeine Graimatiktheorie als MDdell der menschlichen Sprachfähigkeit anzusehen, deren mentale Struktur es letztlich zu erforschen gilt. Auch hierzu können m.E. diachrone Untersuchungen wie die folgende beitragen, indem sie zeigen, welche Bereiche der Sprachstruktur als stabil anzusehen und deshalb vermutlich bis zu einem gewissen Grade aus genetisch vorgegebenen Strukturen der menschlichen Sprachfähigkeit ableitbar sind. Die vorliegende Arbeit gliedert sich wie folgt: Im Kap. 2 wird die 'Entwicklung1 der Nebensätze besprochen und eine Analyse vorgeschlagen, die der Darstellung der traditionellen diachronen Grammatik gegenübergestellt wird. Kap. 3 behandelt die diachrone 'Entwicklung1 der Verbstellung und erarbeitet eine gene-
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rative Analyse, die mit den Deutungen der traditionellen wie der strukturalistischen und typologischen Forschung verglichen wird. Bei diesen Einzelanalysen zeigt sich zweierlei: Die behandelten Bereiche der Syntax hängen in der von mir entwickelten Analyse eng miteinander zusammen, und der syntaktische Wandel ist jeweils als äußerst gering anzusehen. Insbesondere ist es möglich, einen Kernbereich zu definieren, innerhalb dessen die syntaktische Struktur des Deutschen in seiner gesamten Sprachgeschichte als nahezu unverändert anzusehen ist. Was sich daneben als "Wandel1 beobachten läßt, wird gemäß der vorgeschlagenen Analyse in unterschiedlichen Bereichen der Grammatik erfaßt, in denen man ohnehin eine große Variation und Inhomogenität erwartet. Neben der unterschiedlichen Fixierung freier Parameter und der markierten Abweichung vom kerngrammatisch definierten Normalfall werden die variablen Randbereiche der diachronen Syntax des Deutschen in sprachspezifischen Tilgungsregeln und Filtern, in stilistischen Regeln und im Lexikon beschrieben. All dies sind Bereiche der Grammatik, die bekanntermaßen auch synchron relativ variabel und (auf die Sprachgemeinschaft bezogen) relativ inhomogen sind. Das Ergebnis, daß für zentrale Bereiche der
s y n t a k t i s c h e n
Struk-
tur kaum ein Wandel angenommen werden muß, ist insofern von besonderem Interesse, als es die Aufgabe einer unabhängigen Sprachwandeltheorie zumindest auf dem Gebiet der Syntax erheblich reduziert: Wo sich nichts verändert, braucht eine Sprachwandeltheorie nichts zu beschreiben oder gar zu erklären. Dabei soll selbstverständlich nicht bestritten werden, daß es syntaktischen Wandel gibt: Er ist z.T. bei den besprochenen Strukturen zu finden, so etwa bei der Entwicklung der Verbstellung. Hier läßt sich aber der Wandel im Rahmen dessen beschreiben, was als unterschiedliche Festlegung freier Parameter von der Grammatiktheorie definiert ist
(s.u. 3.5.5.). Zudem bleiben große Bereiche der Syntax des Deutschen
in der vorliegenden Arbeit unberücksichtigt, so insbesondere die Entwicklung infiniter Ergänzungen. Aber auch wenn sich möglicherweise in diesem oder in anderen Gebieten der Syntax ein deutlicherer struktureller Wandel nachweisen läßt, so bleibt doch eine Theorie syntaktischen Wandels weitgehend überflüssig, da sich die wandelnden Strukturen alle im Rahmen der allgemeinen Grammatiktheorie erklärt finden, die den Begriff 'mögliche Struktur einer menschlichen Sprache1 definiert. In diesem Sinne ist eine Theorie syntaktischen Wandels als Teil einer (ohnehin erforderlichen) allgemeinen Syntaxtheorie anzusehen, da jeder mögliche Strukturwandel sich innerhalb der Grenzen bewegen muß, die die möglichen Strukturen menschlicher Sprachen definieren.
2.
ZUR 'ENTWICKLUNG 1 DER NEBENSÄTZE IM DEUTSCHEN
2.1.
Einleitung
In diesem Kapitel, das sich mit der Diachronie der Nebensätze im Deutschen befaßt, kenne ich zu folgendem Ergebnis: Die syntaktische Entwicklung der Nebensätze läßt sich im Rahmen der von mir angenommenen Grannatiktheorie in einer Weise beschreiben, die die Postulierung jeglichen Wandels in der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur überflüssig macht. Die tatsächlich in der Sprachgeschichte des Deutschen zu beobachtenden und in der traditionellen Literatur ausführlich dokumentierten Veränderungen erscheinen unter dem von mir gewählten Blickwinkel als relativ geringfügige itodifizierungen peripherer Regeln, insbesondere der Subkategorisierungsregeln satzeinleitender Elemente. Dieser Wandel ist im Lexikon zu beschreiben, in einem Bereich also, der bekanntermaßen sowohl synchron wie diachron ein erhebliches Maß an Variation bzw. Veränderung auf weist. Zudem ergibt sich aus der Annahme diachron gleichbleibender zugrundeliegender Strukturen folgerichtig, welche Veränderungen in der Subkategorisierung überhaupt nur möglich sind. Aus dieser Beobachtung läßt sich somit eine Erklärung für die oberflächenstrukturellen Verschiebungen ableiten, die in traditionellen Arbeiten lediglich beschrieben sind. Dies folgt insofern, als die zugrundeliegende Struktur den Rahmen dessen festlegt, was als oberflächenstrukturelle Veränderung möglich ist. Es wird wie folgt vorgegangen: Nach der Darstellung der wesentlichen traditionellen Theorien zur Entstehung der Nebensätze im Deutschen in 2.2. folgt eine kurze Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Begriffen der Parataxe/Hypotaxe (Koordination/Subordination), die die Grundlage zur Unterscheidung in Haupt- und Nebensatz bilden. Es erweist sich in der Begriffsgeschichte wie in der Untersuchung der relevanten Kriterien im Nhd. (2.3.), daß die gewünschte Unterscheidung nicht haltbar ist und daß deshalb auch die Grundvorstellung von der 'Entstehung1 der Nebensätze aus parataktischen Hauptsätzen zumindest als terminologisch fragwürdig zu bewerten ist. Es folgt in 2.4. die ausführlichere Darstellung meines Vorschlages zur synchronen Analyse der relevanten Strukturen in Haupt- und Nebensätzen im Nhd. In 2.5.1. wird diese Analyse schließlich auf die diachronen Daten übertragen. Hier wird gezeigt, daß
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sich die oberflächenstrukturellen Veränderungen auf ähnliche Weise aus der synchron erarbeiteten zugrundeliegenden Struktur ableiten und erklären lassen, wie das für die synchrone Variation galt. In 2.5.2. wird speziell auf Probleme der Kasuszuweisung bei Relativpronomina eingegangen. Nach einer kurzen Zusaimenfassung des Argurnentationsganges erläutert der Abschnitt 2.6. schließlich die theoretischen Implikationen dieses Ergebnisses für die Sprachwandeltheorie. Kurz gesagt lautet der Schluß: Wenn sich der oberflächenstrukturelle Wandel im Grunde nicht als syntaktische Veränderung, sondern lediglich als folgerichtige lexikalische Ausprägung der stets gleichbleibenden zugrundeliegenden syntaktischen Struktur erfassen läßt, dann besteht keine Notwendigkeit für eine unabhängige Iheorie des syntaktischen Wandels. Denn: wo sich im Grunde nichts verändert, braucht keine Veränderung erklärt zu werden. 2.2.
Traditionelle Entstehungstheorien
2.2.1. Einleitung In diesem Abschnitt sollen kurz die Theorien zusammenfassend referiert werden, die in der traditionellen Sprachwissenschaft zur Entstehung der verschiedenen Nebensatzarten im Nhd. diskutiert wurden. Dabei soll uns zunächst die Entstehung der daß-Sätze interessieren. Dann wenden wir uns den Relativsätzen zu, um schließlich kurz auf die noch verbliebene Restgruppe der Adverbialsätze einzugehen. Bei den nebensatzeinleitenden Wörtern lassen sich verschiedene Ursprünge feststellen. So scheint es schon vor der Entstehung der uns bekannten nebensatzeinleitenden Konjunktionen in den Vorstufen der rezenten germanischen Sprachen Partikeln gegeben zu haben, deren Funktion im wesentlichen in der Einleitung eines eingebetteten Satzes und damit sowohl in seiner Abgrenzung gegenüber dem ^trixsatz als auch in seiner Kennzeichnung als 'untergeordnet1 oder 'abhängig' bestanden haben wird. Auch in der historisch überblickbaren Entwicklung der einzelnen germanischen Sprachen treten immer wieder neue nebensatzeinleitende Partikeln oder neue Konjunktionen auf, wobei die synchrone Variation z.T. beträchtlich ist (vgl. Eisenmann 1973). Insbesondere bei den Partikeln läßt sich in der Regel keine eindeutige semantische Bedeutung feststellen, so daß ihre wesentliche Funktion in der syntaktischen Unterordnung besteht. Hier ist z.B. l Vgl. zu diesem Problem u.a. Hermann (1895) ; Wunder (1965, 4 5 7 f f . ) mit kritischer Darstellung von Erdmanns (1874) Auffassungen (S. 4 6 5 f f . ) ; Helgander (1971, 33ff. sowie Literaturangaben in Anm. l, S. 290) ; Fleischmann (1973, 308ff.) ; Bednarczuk (1980).
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an die Relativpartikeln wie som in einigen nordgermanischen Sprachen oder that 2 im Englischen, aber auch an nhd. wo oder got. -ei und andere zu denken. Ihr Gebrauch, auf den ich hier nicht näher eingehen kann, ist sicher ein Indiz dafür, daß nan satzeinleitend eine syntaktische Position anzunehmen hat, die von diesen Partikeln besetzt wird; diese Position scheint es zu sein, die schließlich auch von anderen nebensatzeinleitenden Konjunktionen eingenommen wird, welche ursprünglich als Satzglieder des vorangehenden Matrixsatzes anzusehen sind, aus dem sie im Verlauf ihrer Entwicklung zu echten Konjunktionen in den Nebensatz 'übertreten'. Daneben lassen sich einige nebensatzeinleitende Elemente feststellen, die ihrem Ursprung nach mit großer Wahrscheinlichkeit als Satzglieder des eingebetteten Satzes anzusehen sind. Helgander (1971, 42ff.) hat das insbesondere für Interrogativa wie ob, wann usw. zu erhärten versucht. Msiner Ansicht nach gehören dazu auch die Relativpronomina, wie ich unten zeigen werde. 2.2.2. Zur Entstehung der cizß-Sätze. Die von Möller/Frings (1959) auf der Grundlage umfangreichen Belegnaterials aufgestellte Theorie zur Entstehung der daß-Sätze ist im wesentlichen unbestritten. Danach entsteht nhd. daß als rein orthographische Variante zum Nom. /Akk. Sg. Neutr. des Demonstrativpronomens das (vgl. Michel 1957). Daß ist also ursprünglich in seiner pronominalen oder deiktischen Funktion Element des übergeordneten Satzes, das auf den nachfolgenden untergeordneten Satz verweist, durch den es inhaltlich spezifiziert wird. So drückt etwa der 'Nebensatz1 als 'Inhaltssatz' (Sitta 1971) den Inhalt des durch das im Matrixsatz vertretenen Satzgliedes aus, das meist ein Subjekt oder ein direktes Cbjekt ist. In den frühen and. Denkmälern nuß thaz z.T. als Element des Matrixsatzes angesehen werden. Das ergibt sich aus der Interpunktion oder aus der Stellung im Vers. Aus dieser ursprünglichen Position soll thaz dann in den folgenden Nebensatz übergetreten sein, wie es (1b) zeigt: (la) ...,/ (Ib) ...,/
joh gizälta in sar thaz, thiu sälida untar In was. ( 0 . 2 , 2 , 8 ) Gizellet in ouh filu främ, theih selbo hera in worolt quam, /... (0.5,16,25) (theih = thaz ih)
Entsprechende Beispiele finden sich auch noch bei Notker:
2 Vgl. dazu u.a. Helgander (1971, Kap. 7 sowie S. 156ff., 1 8 1 f f . ) ; Fleischmann (1973, 1 8 5 f f . ) ; Wunder (1965, 4 0 f f . , bes. 4 1 f f . und 103ff. zu tho und thar) ; Sadock (1972) zu som im Dän.; Music (1929) zu got. ei und ßei.
58 (2)
Chit man däz. ieht si in present! geuuaro. täz ist so. Chit man in futuro sämo geuuäro. däz iz uuerde morgene so uuirdet iz. ( N . 6 , 3 7 f . ( N i . 5 2 8 , 2 4 f f . ) ) . Sagt man in der Gegenwart wahrheitsgemäßt das, (daß) etwas sei, so ist es. Sagt man in bezug auf die Zukunft ebenso wahr, daß es morgen geschehen werde, so wird es geschehen.
Die Verbstellung scheint im And. zunächst noch recht variabel gewesen zu sein, wenn sich auch eine zunehmende Bevorzugung der Späterstellung des f initen Verbs in daß-Sätzen beobachten läßt (vgl. Müller/Frings 1959, U f f . ,
Wunder, 1965,
482ff.). Ursprünglich sind also sowohl die Strukturen (3a) wie (3b) nebeneinander möglich: (3a) (i)
[HS ... thaz [ NS X V fin ...]]
(V-Zweitstellung)
(ii)
[HS ... thaz [NS X ... V fin . . . ] ]
(iii)
[ HS ... thaz [ NS X ... V f i n ]] (V-Endstellung)
(3b) (i)
[HS ...
[ NS thaz X V fin
(V-Späterstellung)
...]]
(ii)
[HS ... [ NS thaz X ... Vfi n · · · ] ]
(iii)
[ HS ... [ NS thaz X ... V f i n ]]
2.2.3. Zur Entstehung der Relativsätze im Deutschen Anders als bei der neberisatzeinleitenden Konjunktion daß herrscht in der traditionellen Literatur zur Entstehung der Relativsätze und insbesondere der Relativpronomina keine entsprechende Übereinstimmung: Hier ist sowohl an eine Entstehung des Relativpronomens aus einem deiktischen Pronomen oder einem (nachgestellten) Artikel im Matrixsatz gedacht worden wie andererseits daran, es aus einem an die Satzspitze gestellten Pronomen des Nebensatzes selbst abzuleiten. Zunächst sollen kurz die verschiedenen fCglichkeiten zur Bildung von Relativsätzen dargestellt warden, wie sie sich in der Sprachgeschichte des Deutschen und verwandter Sprachen dokumentiert finden. Daran schließt sich eine kritische Betrachtung der verschiedenen Entstehungstheorien an. 2.2.3.1. Verschiedene Typen von Relativsätzen Folgende itöglichkeiten zur Bildung von Relativsätzen gibt es in der Geschichte des Deutschen: - asyndetische Relativsätze, - Relativsätze mit d-Relativpronomen (der, die, das . . . ) , - Relativsätze mit w-Relativpronomen (welahev, welohe, welches...) - Relativsätze mit Relativpartikel.
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A. Asyndetische Relativsätze. Dieser des Relativsatzes findet sich hauptsächlich im Ahd., aber auch im Mid. und Fnhd., gelegentlich noch in älteren Formen des Nhd. (4d): (4a) ahd.:
in droume sie in zelitun then weg sie färan scoltun; ... (0.1, 17,74) (4b) mhd.: wir müezen morgen an iu sehen/den jämer unz an dise vrist/ an manegem hie geschehen ist. (Iw. 6 3 4 6 f f . ) (4c) fnhd.: Mein speiß die was/Allein das fleisch der thier, ich a ß , / . . . (Hans Sachs, Fabel von der Löwin und ihren Jungen, Bd. 5, LV 1 0 6 , 8 2 , 2 7 f . ) (4d) nhd.: ..., dießes war woll Eine Von den grosten freüden Ich mein Leben entpfunden... (Elis. v. Orleans, 360)
Es läßt sich eine deutliche Abnahme bis zum Nhd. verzeichnen, wo asyndetische Relativsätze überhaupt nicht mehr vorkorrmsn. Bei der Analyse solcher asyndetischen Relativsätze ist fraglich, welche strukturelle Position die Bezugs-NP einniimt, die ja als Satzglied des Matrixsatzes und des Relativsatzes fungiert. So könnte man sie sowohl im Matrixsatz (5a) wie im Relativsatz (5b) ansetzen, und auch die Möglichkeit 'gleichzeitiger1 Zugehörigkeit zu beiden Sätzen (5c) im Sinne einer
kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Allerdings
bieten herköitmliche Strukturbeschreibungen keine Möglichkeit, diese Alternative eindeutig darzustellen. Vermutlich liegt das gerade daran, daß eine solche Analyse eine Konstruktionsvermischung darstellt: (5a) (5b) (5c)
[... then weg [ Sie färan scoltun]] [... [then weg sie färan scoltun]] [ . ~ [tSen^^Weg]__S_ie_ färan_ sc oLtun]
Insgesamt scheinen verschiedene Beschränkungen für die asyndetischen Relativsätze vorzuliegen, so etwa ihre Häufigkeit beim Bezug auf Personalpronomina oder die von Wunder (1965, 395) bei Otfrid beobachtete Tatsache, daß die betreffende NP fast inner als Cfojekt des Relativsatzes fungiert. Bei den Belegen Behaghels läßt sich feststellen, daß die Fälle überwiegen, in denen die NP in Matrix-Satz und Relativsatz die gleiche Satzgliedrolle spielt. B. Relativsätze mit d-Pronomina Entsprechend ließen sich auch Beispiele wie die folgenden als 'asyndetische' 3 Entsprechendes gilt auch für andere idg. Sprachen, vgl. Kurzovä (1981, 92) und Klima (1964) sowie Bever/Langendoen (1971) für die Geschichte des Englischen. Allerdings scheint es in den ältesten Quellen des Ae. und in den nordgerm. Sprachen keine asyndetischen Relativsätze gegeben zu haben (vgl. Einenkel 1891f. und Behaghel 1928, 7 4 3 ) , so daß man sie durch die später mögliche Auslassung einer Relativpartikel erklären muß. 4 Vgl. dazu u.a. Delbrück ( 1 9 2 2 ) , Meritt (1938), Minis ( 1 9 5 2 ) , Gärtner (1969)
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Relativsätze analysieren, die sich auf ein Demcnstrativprcncxnen im Matrixsatz beziehen: (6a) and.:
...aer ant uurta demo zaimo sprah. (Mons. 7,24) (6b) mhd.: der bewist in des er suochte. (Iw. 988) (6c) fnhd,: die bevogtet werden sollen mit dem nechsten vattermagen oder dem dazu erkoren wird, ... (Weist. 1,65 (1483), zit. nach Behaghel 1928, 761) (6d) nhd.: Diese Handlung der Merope gefalle wem da will: ... (Lessing 5,204,12f.) Das in (6) jeweils hervorgehobene Deitmstrativpronomen (nhd. (6d) das unbestiitittte Pronomen wem) steht in einem Teil der Fälle in dem Kasus, den es als Satzglied des Matrixsatzes erfordert, - nicht jedoch in dem Kasus, den es als Satzglied des Relativsatzes aufweisen müßte. Diese als 'Kasus-Attraktion1 bezeichnete Erscheinung kann man wohl als den wesentlichen Grund für die Überzeugung ansehen, das Pronomen als Satzglied des Matrixsatzes aufzufassen. Es wurde nun angenommen, daß dieses Demcnstrativum an den Anfang des Relativsatzes 'übertrat' (Dal 1962, 191) , wie es (7) zeigt: (7a) ..., gebe themo ni eigi;... ( 0 . 1 , 2 4 , 7 ) (7b) "thiz ist then sie zellent..." (0.3,16,50)
So soll eine erneute Setzung einer NP im Matrixsatz möglich geworden sein wie in (8) und (9): (8a) Thes thigit worolt ellu thes ih thir hiar nu zellu, ... (0.5,23,53). (8b) ..., hug es ubar äl thes ih thir nu sägen seal, ... (0.4,13,13) (9a) ..., in festiz datun ... mit wörton zältun. (0.1.17.37f.)
then er thie ältun f&rasagon
(9b) Bigän tho druhtin redinon then selben zuelif theganon,/then thar umbi inan sazun, ... ( 0 . 4 , 1 0 , l f . )
Erst, als keine Kasus-Attraktion des relativsatzeinleitenden Pronomens mehr vorlag, ist das Pronomen als Relativpronomen uminterpretiert worden, wie im Beispiel (10), das dem nhd. gängigen Typus entspricht: (10a) "Ist thiz ther betalari in war ther hiar saz bllnter ubar j ä r , . . . (0.3,20,31) (lOb) ..., Lazarus uuas ein thero thie mit imo sazun.
(Tat. 137,5)
Da neben der Kasus-Attraktion auch Fälle von Kasus-Assimilation vorliegen, in denen die Bezugs-NP im Matrixsatz den Kasus des entsprechenden Satzgliedes im 5 Vgl. dazu (und zur Assimilation) u.a. Behaghel (1928, 755) , Seiler (1960) , Helgander (1971), Kurzovä (1981, 2 0 f . ) .
61
Relativsatz auf weist, ist jedoch auch angenommen worden, das Relativpronomen sei von Anfang an als vorangestelltes Satzglied des eingebetteten Satzes anzusehen (Behaghel 1928, 766). Diese Auffassung stiitmt völlig mit der synchronen Analyse von Relativsätzen durch die generative Transformationsgrammatik überein, in der ja Relativpronomina durch eine 'Umstellungstransformation1 an ihre satzeinleitende Position gestellt werden, wie es (11) veranschaulicht: ( H ) ... der Mann- [den^ Paul *£
j_ gesehen hat} ... |
Bei einer derartigen diachronen Analyse kann folglich auf -die Annahme einer syntaktischen Veränderung völlig verzichtet werden. C. Relativsätze mit w-Pronomina. Eine entsprechende Entstehung ist für diejenigen Relativpronomina wahrscheinlich, welche vom gleichen Wbrtstamm abgeleitet sind wie die indefiniten Fragepronotnina: (12a) Ich weiß, wer das getan hat. (12b) Das ist der Mann, welcher das getan hat.
Ungeachtet der verschiedenen möglichen semantischen Interpretationen ist das -tronomen rein syntaktisch betrachtet stets als Satzglied des (Teil-)Satzes anzusehen, in dem es vorkommt. D. Relativsätze mit Eelativpartikeln. Neben den bereits behandelten asyndetischen Relativsätzen und denen, die mit einem Relativpronomen eingeleitet werden, gibt es solche, die eine einleitende Partikel enthalten, deren wesentliche Funktion darin besteht, den durch sie eingeleiteten Relativsatz zu kennzeichnen. Entsprechend können einige dieser Partikeln ohne zusätzliches Relativpronomen auftreten, während andere fakultativ auf ein Relativpronomen folgen. In den germanischen Sprachen treten solche Relativpartikeln in den verschiedensten, etymologisch nicht miteinander verwandten Formen auf, so etwa im Gotischen die Partikel ei, die als Relativpartikel in der Regel enklitisch an ein Demonstrativpronomen angehängt wird (vgl. u.a. Braune/ Ebbinghaus 1966, 93; Helgander 1971, 113, 178ff., 271ff.): (13a) ... gabaurans ist ... nasjands, saei ist Xristus frauja, ... (Wulfila, Luk. 2,11) (geboren ist ... der Heiland, der ist Christus, der Herr.)
6 Über die Verhältnisse in anderen idg. Sprachen, die ein Pronomen vom *Kwi/*Kwo-Stamm als Relativpronomen verwenden, informiert Kurzovä (1981] zur semantischen und wortgeographischen Entwicklung von welcher vgl. Beyschlag (1938).
62 (13b) f>at-ist waurstw gudis, ei galaubjaifj fcammei insandida jains. ( W u l f i l a , Joh. 6 , 2 9 ) (das ist Gottes Werk, damit ihr an den glaubt, den er gesandt hat.)
Wie (13b) zudem zeigt, fungierte alleinstehendes ei als Konjunktion (daß, damit). Vergleichbare Partikeln begegnen uns u.a. im Ae. ($e - 3e) und im An. (er) (vgl. Allen 1980, 266, 270 und Heusler, 1964, §483ff.): (14a)
Ae. Gemyne he
(d-/w-, COMP , . . . ) S
(49e) S
->
NP
(49f) INFL (49g) COMP
-> ->
[a Tps] [a Tps] [a W]
(49h) X 1 '
-*
t- w]
(49i)
[+ W]
-^
oil, »arum, . . .
[- w]
—->
da/3, veil, . . .
(49j)
X"
-»
VP
l
INFL
es, NP, Ad j
,
, ...
Dabei bezeichnet eine über den Satz selber hinausgehende Äußerungseinheit, gewissermaßen einen 'Satz' im textlinguistischen Sinn; X 1 , X2 sind in ihrer syntaktischen Kategorie nicht näher bestimmt, sie können 'Sätze' sein, aber auch von der gleichen Kategorie wie X 1 ' , wenn es sich um eingebettete Strukturen handelt. Darch diese Regeln läßt sich die folgende Struktur generieren: 13 13 Die folgende Analyse übernimmt wesentliche Züge des in Lenerz (1981a) gemachten Vorschlages, der auf Ideen von Koster ( 1 9 7 5 ) , den Besten (1977)
78 (50)
den Mann. Interj.: Konj .: X: TOPIC: d-/w-: COMP: ...:
habe-
ich tj_
gesehen t.
also:, ach, na ja, so gesehen, wenn Sie meinen, ... un'd, oder, sondern, aber,... NP, A d j P , AdvP, ... topikalisiertes Satzglied ( X ) , sowie: allerdings, dennoch, jedoch, weder ... noch, ... d-Pronomina, w-Pronomina: der, den, ... wer, wen, ... ( ' C o m p l e m e n t i z e r ' ) ) : daß, ob, wenn, ... oder: finites Verb 'Wackernagel-Position' eigentliche Proposition ' S p u r 1 , die von einer umgestellten Konstituente hinterlassen wird, mit dieser koindiziert.
Zu dieser Struktur ist folgendes erläuternd zu bemerken: Die Regeln (49a-c) betreffen z.T. Erscheinungen der 'Diskurs-Syntax1, die über den eigentlichen Rahmen der 'Sätz-Syntax' (49d-h) hinausgehen. So sind die Positionen 'Interj. 1 und 'Konj. 1 durch unterschiedliche, aber außerhalb des Satzrahmens stehende Interjektionen bzw. Konjunktionen zu besetzen: (51a) (51b)
I n t e r j . : also, ach, naja, ... Konj.: Lind, oder, sondern, aber, ...
Es ist unklar, ob es überzeugende Argumente für die hierarchische Gliederung oberhalb von X-| gibt. Deshalb soll diese Frage hier offen bleiben - die folgende Argumentation wird davon nicht wesentlich berührt. Die Position der Interjektion ist insofern problematisch, als zwar Interjektionen vor Nebensätzen in Satzgliedfunktion stehen können, nicht jedoch beiordnende 'echte' Konjunktionen (Konj.), wie die folgenden Sätze zeigen: (52a) (52b)
Er sagte mir, na ja, daß er nicht mehr mitmachen wolle. *Er sagte mir, aber daß er nicht mehr mitmachen wolle.
und Thiersch (1978) aufbaut. Die Veränderungen, die sich demgegenüber ergeben haben, gehen auf unveröffentlichte Arbeiten von den Besten zurück. Sie betreffen vor allem die d/w-Position und den Verzicht auf eine doppelt füllbare COMP-Position (Reinhart 1981). Zu weiteren Einzelheiten vgl. auch Olsen (1982) und als kritischen Überblick Olsen (1984) sowie Platzack (1983) und grundsätzlich kritisch Reis ( 1 9 8 3 ) . Eine weitaus stärkere hierarchische Gliederung schlagen Clement/Thümmel (1975) vor, allerdings ohne empirische Argumente zu geben.
79
Daraus läßt sich schließen, daß eingebettete Sätze nicht vom Knoten ^ dcmi~ niert werden können, sondern nur von X-|, der dann vermutlich als S 1 ' (= S) anzusehen ist.
Diese Beobachtung könnte als Argument für die hierarchische Glie-
derung von X-j und ^ angesehen werden, während sie gleichzeitig auf die in (50) nicht erkennbare Sonderstellung der Interjektionen hinweist, deren Auftreten in Beispielen wie (52a) wohl eher kontextuell-pragmatisch und im Rahmen einer Diskurssyntax zu beschreiben
ist.
Für koordinierte Sätze ergibt sich also eine Struktur wie (53): (53)
Die mit Strichen versehenen Symbole S ' , S 1 1 , ...
(- S, S, ...
= S , S , ...) be-
zeichnen verschiedene hierarchische Strukturebenen der gleichen syntaktischen Kategorie, wie es in der X-bar-Theorie (vgl. Jackendoff 1977) angenommen wird. Auf eine entsprechende Bezeichnung der Knoten X.. und X_ ist
in (50) verzichtet
1
worden. X.. entspricht wohl X ' ', das als oberster Kategorienknoten für jede beliebige syntaktische Kategorie (also etwa für NP, VP, AP, PP) anzusehen
ist.
Unter X stehen alle topikalisierten Elemente; außer NP's oder PP's können hier also auch AP's (Adjektivphrasen) oder Teile des Verbalkomplexes stehen: (54a) Deinen Bruder mag ich nicht. (54b) Auf diese Art von Begrüßung kann ich gern verzichten. (54d) Angekommen sind wir gestern.
Aber auch sogenannte 'unechte' Konjunktionen, die im Mittelfeld als Adverbien auftreten, sind an diese Position topikalisierbar, wie die folgenden Beispiele zeigen: (55) {Also/allerdings/hingegen/jedoch...} will ich dazu keine Stellung nehmen. Diese Elemente sind von Engel (1970b) als
'Situativa' bezeichnet und in ihren
Stellungsmöglichkeiten im Mittelfeld wie auch ansatzweise in ihrer Kombinierbarkeit untersucht worden. Auch im Vorfeld können sie zusammen mit einer anderen topikalisierten Konstituente auftreten. Ebenso sind sie in gewissen Maße untereinander kombinierbar: (56a) Das Bild aber wurde für 4 . 0 0 0 , — DM verkauft. (56b) Peter jedoch kommt dafür nicht in Frage. (56c) Allenfalls aber könnten Sie mich am Montag telefonisch zu erreichen versuchen. (56d) Dagegen jedoch kann ICH Ihnen versichern, daß
...
Eine Überprüfung der von Clement (1977) untersuchten 'unechten' Konjunktionen ergab allerdings, daß im Vorfeld in der zweiten Position (X
V £ . ) zwischen
80
einem topikalisierten Element X und dem finiten Verb nur eine Teilmenge der an sich topikalisierbaren Adverbien vorkommen kann. Es ergibt sich nach msiner Untersuchung die in (57) zusammengefaßte Verteilung. Dabei werden folgende Positionen unterschieden: A.# : X V f . ... = satzeinleitend mit folgender Intonationspause wie in (i) Na ja, deinen Vater habe ich gesehen —: B.#
X Vp.
... =
X
V
fin ·'·
satzeinleitend vor einer vorangestellten Konstituente, aber nicht durch eine Intonationspause getrennt: (ii) Aber deinen Vater kenne ich nicht. X Vfin ,....
C.#X_ Vf .
...
=
zwischen einem vorangestellten Satzglied und dem finiten Verb, wie in: (iii) Das Haus aber hat Paul gebaut. X
D.# _
Vp.
...
=
—
V
fin
als vorangestelltes Satzglied satzeinleitend unmittelbar vor dem finiten Verb wie in (iv) Allerdings glaubt das keiner
E. # ... V,.
... =
'Wackernagel-Position ' unmittelbar hinter dem finiten Verb; wie in (v) Deinen Vater hat dann niemand mehr gesehen Vf ^ _
(C. scheint durch eine stilistische Umstellung aus B. abgeleitet zu sein.) Aus der folgenden Tabelle ergibt sich für die syntaktische Subkategorisierung beiordnender (hauptsatzeinleitender) Konjunktionen folgendes: - Nahezu alle Konjunktionen (bis auf auch, noch und weder) können als vorangestellte 'Interjektion' in Position A vorkommen. - Als sogenannte 'echte' Konjunktionen können diejenigen bezeichnet werden, die in der Position B ohne folgende Intonationspause vorkommen können. Es handelt sich um aber, denn, doch, entweder, oder, sondern, und. Für doch und entweder scheinen bestimmte Bedingungen hinsichtlich des topikalisierten Satzgliedes (X) zu gelten. Auch scheint in dieser Position eher attributiven Charakter zu haben: Auch deinen Vater· kenne iah. Aber, doch, entweder gehören außerdem anderen Konjunktionsklassen an. - Die in der Position D als vorangestellte Satzglieder auftretenden Konjunktionen werden meist als 'unechte' Konjunktionen bezeichnet.
81
- Eine Teilklasse dieser 'unechten' Konjunktionen kann darüberhinaus auch in der Position C auftreten. Eöbei ist es unklar, welche Funktion sie bei dieser 'doppelten Vorfeldbesetzung' erfüllen. Man könnte sie als Satzadverbien bezeichnen, die aus der 'Wackernagel-Position1 E vorgezogen worden sind und eine sehr starke, fast attributive Bindung mit dem vorangestellten Satzglied (X) eingegangen sind: (i) Diesen Hund jedoch kannst du nicht zur Hundeschau anmelden.
- Eine auffällige Ausnahmestellung niitmt aber ein, das in allen Positionen außer in D (also nicht als 'unechte' Konjunktion) auftreten kann. (57) :X
aber allerdings also auch dagegen daher demnach denn dennoch doch entweder hingegen indessen j edoch noch oder sondern und weder
_. . f in
„
XV-....
#—
fin
nX
V, .
# — f in
. . .
#— f i n . . .
#
. .· V . fi
+ + + + + + + + + + + + + + + +
Am Beispiel dieser Übersicht wird klar, daß es illusorisch ist,
eine einfache
Subkategorisierung der hauptsatzeinleitenden Konjunktionen aufgrund eines und nur eines syntaktischen Merkmals zu erwarten. Wie bei allen lexikalischen Elementen muß auch hier mit mehrfachen idiosynkratischen Stellungsmöglichkeiten und damit entweder mit mehrfacher Klassenzugehörigkeit oder mit Homonymie gerechnet werden. Bestimmte Kombinationen sind dabei wohl aus semantischen Gründen nicht möglich; die hier wirksam werdenden Gesetzmäßigkeiten sind jedoch weitgehend unbekannt.
14 Zum Problem der sogenannten "doppelten Vorfeldbesetzung' vgl. u.a. Benes (1971) Ulvestad ( 1 9 7 2 ) , Lee (1975) und van de Velde ( 1 9 7 9 ) .
82
In der durch (49a-c) generierten Struktur werden sämtliche in (58) kursiv gesetzten Satzglieder als vor dem eigentlichen Satzrahmen befindlich analysiert. (58)
£ -
/ Int er j .
/
^
^^"X1
Kon j ·
/ ^
/
X' '
Ach ja Na Also:
abe r uno abe r
den Mann dann dennoch
(den) habe ich gesehen, (da) kam der Elefant, sollte er kommen.
Für die folgende Argumentation ist es von besonderer Bedeutung, daß das vorangestellte Satzglied X 1 ' außerhalb von S 1 steht und gemeinsam mit S 1 von einem Knoten X1 (= X ' ' ' ) dominiert wird. Auf diese Vfeise lassen sich auch Relativsätze und Adverbialsätze angemessen beschreiben (zu Einzelheiten s.u.). Die angesprochene Unterscheidung in 'Herausstellung1 (59b) und "Links-Versetzung1 (59a) wird in der angenommenen Struktur durch die fakultative Tilgung des dPronomens in der c?-/w-Position erfaßt: (59a) Den Mann, den habe ich gesehen. ('Links-Versetzung') Tilgung (59b) Den Mann
4-
habe ich gesehen. ("Herausstellung 1 )
Dieses Pronomen ist fakultativ zusammen mit der Intonationspause (Komma) auslaßbar, wie es auch die folgenden umgangssprachlichen oder telegrammstilartigen Beispiele zeigen: (60a) 0 Kenn' ich längst! (60b) A: Was ist mit Paul? B: 0 Kommt morgen. 0 Ist heute entlassen worden.
Diese d-/w- Position ist für korrelative Pronomina definiert, die ein vorangestelltes Satzglied wiederaufnehmen; die Bezeichnung d-/w- Position ist willkürlich, da nicht nur d- oder w- Pronomina in dieser Position auftreten können, sondern z.B. auch so und andere Pro-Formen, wie die Beispiele (62) zeigen (vgl. auch Sandig 1973 und Wichter 1980): 15 15 Probleme ergeben sich mit bestimmten indefiniten Pronomina und bestimmten Adverbien. Was die indefiniten Pronomina (niemand, jemand, man u s w . ) angeht, so unterliegt ihr Auftreten im 'Vorfeld' ohnehin bestimmten Restrik-
83 (61)
d-/V-:
(62a) (62b) (62c)
d-Pronomina: der, den, ... w-Pronomina: wer, wen, ... andere Pro-Formen: so, da, wo, als, ... Diesen Halunken, den möcht ich mal zwischen die Finger bekommen. ...: wann dein gebet das ist derhSrt. (Luk. 1,13, Mentelbibel l, 196) Kaum war die Sünde geschehen, so entdeckte sich, daß diejenige [ . . . ] seine ... Schwester war. (Deutsche Sagen (Grimm), 164)
Auf die d-/w- Position folgt die Konstituente CQMP; es soll hier offenbleiben, ob man sie außer bei finiten Sätzen auch in infiniten Ergänzungen (Infinitivkonstruktionen mit oder ohne zu etc.) annehmen soll - bei einleitenden Elementen wie ohne ... zu, um... zu, als... zu usw. erscheint es u.U.
sinnvoll, CQMP
mit dem Merkmal [-Tps] zu generieren, das durch die 'Complementizer1 ohne, um .. etc. lexikalisch repräsentiert wird. Sie tragen das Merkmal [-Tps] und stehen in Zusammenhang ir.it dem ebenfalls als
[-Tps] ausgezeichneten Element zu, welches
unter INFL eingesetzt würde. Demgegenüber könnten Infinitive ohne zu ohne CQMP und INFL generiert werden. CQMP und INFL müssen auf jeden Fall das gleiche Merkmal [a Tps] tragen und sind in gewisser Weise als ein diskontinuierliches abstraktes Element aufzufassen, das die Finitheit der jeweiligen Ergänzung definiert: Sind COMP und INFL als
[+ Tps] markiert, so liegt ein finiter Satz vor,
sind jedoch beide [- Tps], so haben wir eine infinite Ergänzung mit zu vor uns. Auf die Probleme, die sich in der Verfolgung dieser Idee für die Beschreibung infiniter Ergänzungen ergeben, soll hier nicht näher eingegangen werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein COMP [+ Tps] von Interesse. Es ist eine syntaktische Konstituente, die in Nebensätzen für satzeinleitende Konjunktionen (daß, weil, ob, . . . ) definiert ist.
In Hauptsätzen ist sie nicht lexikalisch
durch eine Konjunktion gefüllt, und zwar einfach deshalb, weil es im Deutschen keine entsprechenden hauptsatzeinleitenden 'Complementizer1 gibt. Aufgrund einer allgemeinen Konvention werden nicht-lexikalisierte Konstituenten durch das (leere) 'Identitätselement' 'e' terminal expandiert, so daß sich für tionen. Insbesondere gilt, daß sie in ihrer unspezifischen Lesart keine (appositiven) Relativsätze zu sich nehmen können, was man als Indiz dafür ansehen könnte, sie in der d/w-Position zu generieren. In der spezifischen Lesart erlauben sie (restriktive) Relativsätze, sind also in der X ' ' - P o s i t i o n . Bei den Adverbien gelten ähnliche Beschränkungen. So sind nur Zeit- und Ortsadverbien durch ein d/w-Pronomen wiederaufnehmbar, - nicht jedoch Modal- oder Satzadverbien, so daß sich die Möglichkeit der Generierung unter X ' 1 und die Wiederaufnahme durch ein d/w-Pronomen von der unterschiedlichen Satzgliedrolle her erklären läßt. Die hier kurz angesprochenen Probleme sind jedoch bisher in keiner Weise gelöst.
84
Hauptsätze im Deutschen die folgende basisgenerierte Struktur ergibt:
(63)
x. NP
diesen Halunken
d-/w- COMP den
[ + Tps] e
INFL
ich
hereingelegt
[+ Tps]
Eine derartige Struktur würde von den interpretativen Pegeln als nichtwohlgeformt ausgefiltert. Hier trifft ein vermutlich generelles Prinzip zu, das nicht-indizierte Leerstellen ausschließt Cerrpty category filter1, vgl. u.a. Koster 1978, (64)
Chomsky 1981a):
*[e] = Ein leerer Knoten "e" kann innerhalb der ihn regierenden Kategorie nicht frei sein. (= Markiere jede Struktur mit einer nicht ordentlich gebundenen Leerstelle "e" als ungrammatisch.)
Da COMP in Hauptsätzen nicht durch eine Lexikcnregel gefüllt werden kann und andererseits von keiner gleichartigen Konstituente regiert wird, mit der es koindiziert werden könnte, bleibt zur Rettung von Strukturen wie (63) nur eine transformationelle lexikalische Füllung durch 'move
' übrig. Die Struktur-
erhaltungshypothese von Emends (1976) besagt, daß eine Transformation nur dann strukturerhaltend ist, wenn sie eine Konstituente C an eine Position umstellt, die ihrerseits von einem Knoten C besetzt wird. Diese Bedingung läßt sich m.E. im Sinne der Bedingung für lexikalische Einsetzung (Chomsky 1965, 106ff.) verallgemeinern, die man ja rein technisch gesehen auch als 'strukturerhaltende1 Regel vom Typ 'move ' ansehen kann. Man braucht lediglich zu fordern, daß die Position, die transformationeil zu besetzen ist, durch Merkmale definiert ist, welche von denen der umzustellenden Konstituente nicht distinkt sind. Damit werden alle von Emonds erwähnten Fälle erfaßt. Für CQMP bedeutet das, daß diese Position nur durch ein Element besetzt werden kann, welches auch das Markmal [+ Tps] auf weist; - dafür kommen neben den lexikalischen Elementen daß, weil, ob usw. (die finite Sätze einleiten und deshalb [+ Tps] sind) nur finite Verben in Frage. Letztere sind durch eine lokale Regel aus dem letzten V und INFL wie folgt entstanden:
85 (65a) INFL
[+ Tps] [a Pers] [ß Num]
hab[a Pers] [3 Num]
finites Verb
(INFL kopiert [a Pers] und [ Num] von der Subjekt-NP; die interne Struktur von V ist hier nicht diskutiert, vgl. den Besten/ Ednondson (1981) zu einem ausführlicheren Vorschlag.) (65b)
hat
betrogen
(finites Verb)
Wann inner also eine nicht in der Basis lexikalisch gefüllte Position vorliegt, erfordert (64) die Anwendung von 'move ", wobei ' ' hier aufgrund der Strukturerhaltungshypothese im oben modifizierten Sinn eine Konstituente mit dem Merkmal [+ Tps] sein muß. Folglich kann nur das finite Verb INFL/V an die Position CQMP treten: (66)
COMP
[+ 'TPS]
INFL/V [+ Tps]
hat
'move
1
86 Damit sind im Prinzip alle Fälle der Verbstellung erfaßt: - Wenn COMP lexikalisch durch daß, weil, ob usw. gefüllt ist, ergibt sich VerbEndstellung, da keine Voranstellung in COMP iröglich ist. - Ist COMP in der Basis nicht lexikalisiert, wird das finite Aferb in diese Position umgestellt. Daraus resultiert Verb-Erst- oder Verb-Zweitstellung. - Die Verb-Zweitstellung ergibt sich aus zusätzlicher Voranstellung eines Satzgliedes X" [- Tps] in die Position
vor
COMP.
Es kann hier hoffenbleiben, ob die Besetzung von X 1 ' in der Basis oder durch 'move
' geschieht. Gegen eine transformationeile Ableitung wie in (67a) spricht,
daß dadurch der sogenannte 'tensed S constraint' oder 'prepositional island constraint' (PIC, vgl. ( 4 6 ) f . ) verletzt würde: S 1 und S sind als
'tensed S 1 =
'finiter Satz1 anzusehen, so daß eine Regel, die X 1 1 mit einer Position innerhalb von S verbindet, über eine Domäne 'finiter Satz' hinaus operierte: (67a)
'finiter Satz'
. . t . . . . INFL [+ Tps]
\
T Wenn man dagegen S 1 als
* 'move
'
'finiten Satz1 definiert (mit COMP = [+ Tps] , das die-
ses Merkmal an INFL· weitergibt), dann verletzte 'nove a' in die d-/w-Position den PIC nicht, vgl. (67b):
(67b) finiter Satz'
Diese d-/w-Position (oder COMP, s.u.) kann nun als 'Notausstiegsluke'
(escape
87 hatch) für die notwendige Koreferenzbeziehung zwischen dem d-Pronomen und X 1 ' dienen, wobei von X 1 ' angenommen wird, es sei in der Basis lexikalisiert worden: (67c)
Koindizierung
Auf die Position COMP können (durch Punkte angedeutet) eine Reihe von z.T. enklitisch mit dem Finitum oder der subordinierenden Konjunktion verbundenen schwachtonigen Partikeln, Pronomina usw. folgen. Es handelt sich hier um die sogenannte 'Wackernagel-Position1 (vgl. Wackernagel 1892, 335ff., bes. 405, 425) (68) Trotzdem hat's da dann aber [Peter nicht lange ausgehalten].
In (50) werden innerhalb von S durch ' t . 1 bzw. ' t . 1 die 'Spuren' (traces) bezeichnet, die die ursprüngliche Position der koindizierten, vorangestellten Elemente bezeichnen. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß S als normierte syntaktische Struktur, welche sämtliche relevanten Informationen über die Argumentstruktur der Proposition enthält, als Grundlage für die (wohl letztlich modell-theoretisch vorzustellende) semantische Interpretation des Satzes verwendet werden kann. Die Struktur von S selber dient als Grundlage zur Erstellung der 'logischen Form1 (LF) im sogenannten T-MDdell (45) , also zur semantischen Interpretation im engeren Sinne. Die Besetzung der Vorfeldpositionen dagegen scheint mehr die illokutionäre Rolle des Satzes zu bestimmen. Der Status der sogenannten Wackemagel-Position ist unklar: manches spricht dafür, sie nicht strukturell als 'Konstituente1, sondern rein positionell als den 'linken Rand von S 1 zu definieren, vgl. Lenerz (1984) . Gegenüber den Aussagesätzen zeichnen sich Fragesätze dadurch aus, daß in ihnen entweder ein Fragepronomen topikalisiert ist oder gar kein Element. Wir erhalten so Ergänzungsfragen (69a) bzw. Entscheidungsfragen (69b): (69a) Wen^ hast du t^ gesehen? (69b) 0 Hast du ihn gesehen?
88
Die zugehörigen syntaktischen Strukturen entsprechen der jeweiligen semantischen Interpretation. In (69a) wird der Inhalt der Proposition (du hast t^ gesehen) als gegeben vorausgesetzt, d.h. entweder ausgesagt oder zumindest präsupponiert. Es wird lediglich durch das als Thema des Satzes herausgestellte Fragepronomen werij_ gefragt, um wen es sich bei t^ in S handelt, - also bezüglich welcher Person, die als Akkusativobjekt in S in Frage koitmt, die ausgedrückte Proposition als wahr zu bewerten ist. Chne hier auf Einzelheiten einzugehen, ist die Ableitung der entsprechenden logischen Form aus der syntaktischen Struktur von (69a) in ihren Grundzügen klar. In Entscheidungsfragen dagegen steht sozusagen der Wahrheitsgehalt der gesamten Proposition in Frage. Das wird syntaktisch dadurch ausgedrückt, daß kein Element topikalisiert und dadurch als Thema herausgestellt wird. Wieder entspricht die logische Form der syntaktischen Struktur von (69b), wobei hinzuzufügen ist, daß die Verwendung von Strukturen wie (69b) als Entscheidungsfrage oder (uneingeleiteter) Konzessiv- oder Konditionalsatz durch pragmatische, kontextbezogene Faktoren gesteuert wird. Es scheint, als stehe sozusagen der Wahrheitsgehalt der Proposition insgesamt zur Disposition, wobei es kontextuell geregelt ist, in welcher Weise das zu interpretieren ist, - als Frage, konzessiv oder konditional. Damit stellen sich die Möglichkeiten der mit (49) und "move 1 ableitbaren Strukturen in Aussagesätzen (HS) und Fragesätzen (FS) wie in (70) dar: (Siehe Tabelle S. 89). Wenden wir uns nun den eingeleiteten Nebensätzen zu, die Endstellung des finiten Verbs (rechte Satzklanrner) auf weisen, wenn ihre linke Satzklammer durch ein Relativpronomen, eine subordinierende Konjunktion, eine Partikel o.a. besetzt ist. Gleichzeitig ist (mit wenigen unten zu besprechenden Ausnahmen) eine Topikalisierung eines Satzgliedes nicht möglich. Eine Begründung dafür läßt sich im Rahmen der angenommenen Theorie leicht geben, wenn man die in (50) dargestellte Struktur ebenso für Nebensätze ansetzt, wie es oben für Hauptsätze geschehen ist. Die strukturellen Positionen der nebensatzeinleitenden Elemente stellen sich also wie in (71) dar: (Siehe Tabelle S. 90). Zur Frage, welche Positionen die nebensatzeinleitenden Elemente besetzen, müssen folgende Überlegungen angestellt werden: Bei den einfachen nebensatzeinleitenden (subordinierenden) Konjunktionen wie daß, ob, weil, wenn usw. scheint es klar, daß sie die Position COMP besetzen, die ja für sie definiert ist. 16 Vgl. zu einer ähnlichen Deutung auch Schmidt-Radefeldt/Todt (1982).
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Dagegen könnt die im folgenden von mir bevorzugte Analyse (84) ohne eine entsprechende Sonderbedingung in der Syntax aus. Was sie erfordert, ist lediglich eine Erweiterung der strikten Subkategorisierung im Lexikoneintrag der entsprechenden Pronomina, so daß sich die gesamte in (84) erfaßte Variation im Lexikoneintrag (86) wie folgt darstellt: (86)
der [phonol. Matrix] ^semantische Merkmale] verschiedene syntaktische Verwendungen, z.B. als Artikel: / [ N] NP Demonstrativpronomen: / [ ]
NP
Relativpronomen:
COMP
COMP
Eine wie in (86) dargestellte teilweise idiosynkratische und vielfältige Subklassifizierung ist typisch für den syntaktisch-taxonomischen Teil von Lexikoneinträgen, also für die Subkategorisierung von Lexemen, vgl. Höhle (1978, 13ff.) Entsprechend lassen sich die 'doppelten' Konjunktionen (87) wie in (88) analysieren. (87)
solange soweit daher dadurch deswegen
(88)
wie/bis/als wie daß daß weil X
= AdvP
X''=Adv. solange
Der Pfeil deutet an, daß sich die Konjunktion wie historisch gesehen aus einem Pronomen in der d-/w- Position ableitet, das sich auf X ' ' = Adv. zurückbezieht.
97
Neben dieser Gruppe "trennbarer1 und damit nur scheinbar 'doppelter1 Konjunktionen gibt es mehrere Gruppen von nicht trennbaren 'doppelten' subordinierenden Konjunktionen. Ihre Struktur ergibt sich in dem angenontnenen Modell relativ problemlos, wenn wir uns die oben kurz skizzierten Überlegungen vor Augen halten, die für die Struktur (79) sprechen. Auch hier ist die standardsprachlich anzusetzende Struktur (89) durch eine im wesentlichen mit (79) übereinstimmende üminterpretation zustandegekommen. (89)
Präp
Daß eine derartige Uminterpretation vorliegt, die bei den betreffenden zusammengesetzten Konjunktionen z.T. noch in synchroner Variation zu beobachten
ist,
zeigt eine häufig zu beobachtende Unsicherheit bei der Zeichensetzung, die Möglichkeit der Zusammenschreibung und ein Wechsel der Betonung. So wird betontes so in Beispielen wie (90a) deutlich als Satzglied des Matrixsatzes ausgezeichnet, während es in (90b) Teil der nebensatzeinleitenden Konjunktion ist, die laut Duden, Rechtschreibung (1973, 635) in der österreichischen Schriftsprache stets als sodaß zusammengeschrieben wird: (90a) (90b)
Er tat es so (= auf eine solche Weise), daß alle staunten. Er tat es, sodäß alle staunten.
(Zur historischen Herleitung des so daß in (90b) aus Beispielen wie (90a), vgl. Rudolph 1981). Weitere Beispiele wie als ob, kaum daß, nur daß, bloß daß sind entsprechend zu analysieren. Schließlich gibt es 'doppelte' Konjunktionen, bei denen beide Elemente für sich schon als subordinierende Konjunktionen auftreten kannten, wie z.B. wie wenn, zumal da, bis daß usw. In diesem Fall bietet sich eine Analyse an, die beide Konjunktionen gewissermaßen als eine Konjunktion auffaßt, also beide unter COMP ansetzt:
(91)
COMP
wie
wenn
(= als ob, als daß, bis daß,
...)
Die immer wieder auftretende Unsicherheit in der Zuweisung der strukturellen Positionen der nebensatzeinleitenden Elemente läßt sich auch bei den Konjunktio-
98
nen beobachten, die historisch gesehen aus ehemligen 'Korrelaten1 entstanden zu denken sind, wie etwa nachdem, trotzdem, indem usw. (vgl. Schulz/Griesbach, 1972, 311 für trotzdem daß). Dialektal sind die Formen trotzdem daß, nachdem daß, indem daß usw. noch gebräuchlich. Sie zeigen, daß trotzdem, nachdem, indem usw. historisch gesehen ursprünglich vor der OOMP-Position standen. Wieder bietet sich eine Uniinterpretation von (78) als (79) an. Der hier nur kurz angedeutete diachrone Prozeß, auf den wir unten etwas ausführlicher eingehen werden, läßt sich in der synchronen Variation bei trotzdem und insofern beobachten, auch hier mit Betonungswechsel: (92)
Trotzdem: man kann ihm nicht trauen. ( I n t e r j . ) Trotzdem kann man ihm nicht trauen. ( X 1 1 ) ... trotzdem daß man ihm nicht trauen kann. (d-/w-) ...trotzdem man ihm nicht trauen kann. (COMP). (dialektal möglich)
Es scheint also der Fall vorzuliegen, daß sich eine Konjunktion von der Interjektions-Position über die folgenden Positionen bis zur nebenordnenden Position in OOMP diachron gesehen 'einschleicht1. Der damit einhergehende diachrone Wandel ist syntaktisch gesehen gleich Null: Alles, was sich ändert, ist die strikte Subkategorisierung der Konjunktion trotzdem. Der Weg scheint dabei vorgezeichnet zu sein durch die (diachron relativ stabile) Struktur (50). Ähnliche Zugehörigkeit zu mehreren positionell zu bestimmenden Klassen von Konjunktionen wie bei trotzdem in (92) läßt sich bei einer Reihe von Elementen beobachten, in deren Lexikoneintrag man folglich mehrere (teilweise wohl soziolektal gesteuerte) Subkategorisierungsangaben verzeichnen muß. Einen knappen Überblick über einige solcher Konjunktionen bietet (93): (93) Interj . allerdings
'echte 1 Konj. außer
insofern -
'unechte' Kon j .
+ COMP
in COMP
allerdings insofern soweit als
außer daß sofern daß soweit wie als ob
sofern soweit
Abschließend seien noch kurz solche zusammengeschriebenen Konjunktionen besprochen, deren Ursprung aus zwei Elementen etymologisch deutlich ist, wie z.B.: (94)
obzwar, obgleich, obschon, obwohl, wenngleich,
...
An diesen Beispielen ist zu beobachten, daß in ihnen das erste Element eine ursprünglich subordinierende Konjunktion ist, so daß man hier an ein Zusammentreten aus Konjunktion und einem in der 'Wackernage-Position' unmittelbar folgenden Adverb denken sollte, vgl. Behaghel (1928, III, 49):
99 (95a) COMP
"Wackernagel-Position"
ob
schon
Paul gelogen hat
S1
(95b)
COMP
"W.-Pos."
ob schon
Fassen wir kurz zusaimen: Für die verschiedenen Fälle zusammengesetzter Konjunktionen im Nhd. wird eine Analyse wie (79) angenommen, wenn sich nicht der erste Konjunktionsteil
ein-
1
deutig als "Korrelat erweist, das zum Matrixsatz gehört. In diesen Fällen wird die Analyse (78) angenommen, die in der Regel als historischer Ursprung der meisten zusammengesetzten Konjunktionen anzusetzen ist.
Eine andere Analyse
erfordern Zusammensetzungen wie (94) , in der eine Partikel aus der unmittelbar auf COMP folgenden Position enklitisch an die ursprüngliche Konjunktion antritt. Relativpronomina werden als COMP analysiert, wenn sie (wie das standardsprach18 lieh der Fall ist) ohne nachfolgende Relativpartikel IM auftreten. 2.5.
Die generative Analyse in ihrer Anwendung auf die "Entwicklung1 der Nebensätze im Deutschen.
Die oben von mir zugrundegelegte Struktur (50) ist durch die verschiedenen satzeinleitend möglichen Konstruktionen im Nhd. synchron nachgewiesen. Eine Bestätigung erfährt sie dabei vor allem dadurch, daß sich in ihr auch die synchron im Nhd. trotz des stark normierenden Einflusses der Standardsprache noch vorhandene dialektal oder soziolektal nachweisbare Variation erfassen läßt. Es sind oben Gründe dafür genannt worden, diese Variation durch die Subkatego-
18 Zu syntaktischen und pragmatischen Unterschieden zwischen appositiven und restriktiven Relativsätzen vgl. Becker (1978) bzw. Lötscher ( 1 9 7 2 ) ; zu 'freien Relativen 1 vgl. Bresnan/Grimshaw (1978) und Woolford (1978). Als generative Untersuchungen zu Relativsätzen seien genannt: Lees ( 1 9 6 0 ) , Smith ( 1 9 6 4 ) , Lakoff ( 1 9 6 5 ) , Ross ( 1 9 6 7 ) , die Zusammenstellung in Stockwell/Schachter/Partee ( 1 9 6 8 ) , Thompson ( 1 9 7 1 ) , M . D . Smith ( 1 9 7 4 ) , Vergnaud ( 1 9 7 4 ) u. a. Zur Relativierung im Ae. vgl. Bresnan ( 1 9 7 6 ) , Maling (1977; 1978), Allen (1980, 1981) und Chomsky/Lasnik (1977) sowie Vat (1978) zur Kritik an diesen Vorschlägen. Eine typologische Betrachtung von Relativsätzen findet sich z.B. in Maxwell ( 1 9 7 9 ) .
100
risierungsbedingungen der betroffenen satzeinleitenden Elemente (Konjunktionen, Pronomina, Partikeln) zu beschreiben. Es ist weiter an unterschiedlichen Stellen schon angedeutet worden, daß sich die vorgeschlagene Analyse nicht nur zur Darstellung der synchronen Variation eignet, sondern auch zur Beschreibung der diachron feststellbaren Veränderungen, die in diesem Modell zudem eine Erklärung finden. Dies soll im folgenden im Zusammenhang ausführlicher dargestellt werden. 2.5.1. Zu cfoß-Sätzen, Relativsätzen, Adverbialsätzen. Wenden wir uns zunächst den daß-Sätzen zu. Hier muß man wohl - ganz im Sinne der oben besprochenen traditionellen Darstellung - davon ausgehen, daß ein übertritt des ursprünglichen Pronomens das aus dem Matrixsatz an die Spitze des eingebetteten Satzes (Gliedsatz) stattgefunden hat. Was in der traditionellen Darstellung unklar blieb, war, wieso genau dieses eine Element überhaupt in den Nebensatz übertritt und an welche Stelle es tritt. Besteht dazu eine Notwendigkeit, und wenn ja, worin besteht sie? Auf diese entscheidenden Fragen, die sich ja direkt auf die Mativation des syntaktischen Wandels beziehen, bietet eine Analyse im Sinne der oben zugrundegelegten Struktur eine Antwort: Eine wesentliche kontextuell bedingte Einschränkung von in einen Hauptsatz integrierten und (im oben kritisch diskutierten 'inhaltlichen1 Sinn) untergeordneten 'Nebensätzen1 besteht ja darin, daß sie im wesentlichen kein eigenes "Ihema1 haben können. Diese als 'Synsemantizität' bezeichnete und vielfach diskutierte Eigenschaft findet in der syntaktischen Struktur darin ihre Entsprechung, daß aufgrund genereller Bedingungen wie PIC (s.o. (46)) im allgemeinen bei Vorhandensein eines 'complementizers' (also: einer nebensatzeinleitenden Konjunktion) in CQMP keine Referenzbeziehung zwischen der Position X' ', d-/w- und einer koindizierten Leerstelle innerhalb von S möglich ist. Wenn hingegen keine nebensatzeinleitende Konjunktion vorliegt, muß OOMP durch das finite Verb besetzt werden, und es ist eine Topikalisierung möglich, die dem Satz eine eigene Thema-RhemaStruktur gibt, die ihn im wesentlichen als selbständig auszeichnet, vgl. (67) . Aus dem Vorhandensein eines Knotens COMP in der zugrundeliegenden Struktur eines jeden finiten Satzes sowie aus der Funktion dieser Kategorie folgt also, daß sie durch eine Konjunktion besetzt sein muß, wenn der durch sie eingeleitete Satz als 'untergeordnet' (und damit themalos, also ohne topikalisiertes Satzglied) gekennzeichnet werden soll. Ein solches unterordnendes Element in OQMP fehlt aber in der historischen Vorstufe der daß-Sätze (96a) ebenso wie in nhd. Beispielen (96b): (96a)
joh gizalta in sar thäz, thiu sälida untar in was. (0.2, 2, 8)
101 (96b)
Ich verspreche dir das: Diesen Schlawiner werde ich noch entlarven.
Da in diesen Fällen kein unabhängiges unterordnendes Element vorhanden
ist,
ist es naheliegend, das dem Satz unmittelbar vorangehende Pronomen das als lexikalische Realisierung von COMP aufzufassen; in der Oberflächenstruktur
ist
nämlich eine Unterscheidung der folgenden beiden hypothetischen zugrundeliegenden Analysen (97a) und (97b) nicht möglich:
(97a)
S' .^£= Nebensatz?)
das
d-/w-
COMP 0
0
(97b)
^^-^ S
S' (= Hauptsatz)
S NP.
S ' . ( = Nebensatz!) d-/w-
COMP
0
das
~~
S
Aufgrund allgemeiner Bedingungen wie PIC aber kann nur die zugrundeliegende Analyse (97b) eine Tbpikalisierung im 'Nebensatz' verhindern: Wenn COMP durch eine Konjunktion lexikalisch besetzt ist,
ist im allgemeinen keine Koreferenz-
beziehung möglich, die über COMP hinwegreicht, wie es (98) zeigt:
(98) d-/wtMJ . ^
1
COMP uu
du
t.
1
getroffen
hast .
T (Auf einige markierte Ausnahmen zu dieser Bedingung werden wir noch zurückkönnen.) Damit ist in der zugrundegelegten Struktur die Begründung für den traditionell postulierten 'Übertritt' des das in den eingebetteten Satz gefunden. Zugleich ist durch das Vorhandensein der unabhängig motivierten Position GOMP erklärt,
102
an welche Stelle das > daß 'übertreten1 kann. Alles, was als diachrone Veränderung beschrieben warden muß, ist also die Uminterpretation von (97a) als (97b) , wie sie von generellen Prinzipien der Grammtik erfordert wird, vgl. (99):
(99)
diachrone Re-Interpretation Es bleibt lediglich die Frage, wieso das nicht in die d-/w- Position in (99) 'übertreten1 kann. Das scheint mir durch die Referenz von das. verhindert zu sein, das sich ja auf den folgenden eingebetteten Satz S 1 . bezieht. Im Gegensatz dazu ist es die Funktion von Pronomina in der d-/w- Position, sich auf eine Leerstelle im folgenden S zu beziehen, wie das in Hauptsätzen (COMP = Vf.. ) ohne Verletzung des 'tensed S constraint' (PIC) möglich ist.
Da durch das = daß
aber eine solche Referenz weder intendiert noch möglich ist,
ist eine Analyse
wie (97c) nicht haltbar:
(97c)
d-/wdas . i
t
COMP
(keine Leerstelle)
Damit bietet die in (99) gegebene Umstrukturierung eine Explikation der traditionellen Darstellung. Ein 'syntaktischer Wandel' ist dabei lediglich in der abgeleiteten Cberflächenstruktur feststellbar; er besteht in der veränderten strikten Subkategorisierung von das, das zu seinen ohnehin erforderlichen Subkategorisierungsangaben zusätzlich den Eintrag (100) erhält: (100) das > daß: / (cQKp
]
Dadurch wird es als 'complementizer', also als 'nebensatzeinleitende Konjunktion' gekennzeichnet. Eine Veränderung der zugrundeliegenden Struktur braucht ebenso- ·
103 venig postuliert zu warden wie irgendwelche Regel Veränderungen oder Regelumordnungen. Die veränderte Subkategorisierung von das = daß ergibt sich dabei zwangsläufig daraus, daß auf diese Weise durch lexikalisches COMP in (97b) die ansonsten generell gültigen Bedingungen der Grammatik auf einfachste Weise erfüllt werden. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für andere nebensatzeinleitende Konjunktionen, die aus Elementen des Matrix-Satzes entstanden sind. Dabei zeigt schon ein Blick auf die Etymologie der meisten dieser Konjunktionen, daß sie aus Präpositionen oder Adverbien des Matrixsatzes entstanden sind, die inhaltlich durch einen folgenden untergeordneten Satz näher spezifiziert werden. Dieser Nebensatz enthält ursprünglich eine unterordnende Konjunktion ('complementizer') in CQMP (daß, ehe, als, so, usw.), welche nach dem übertritt der Präposition oder des Adverbs in die OQMP-Position schließlich getilgt wird. Die syntaktische Veränderung vollzieht sich entsprechend zu der in (96a > b) dargestellten. Dazu
ist
es insbesondere eine Voraussetzung, daß der ursprüngliche kategorielle Status der adverbiellen Bestimmungen unklar geworden ist.
Ein typisches Beispiel ist
während, das vermutlich wie in (101) zunächst vom Partizip zur Präposition uminterpretiert worden ist,
worauf es dann bei Wegfall der folgenden NF und des
daß zur nebensatzeinleitenden Konjunktion werden konnte, wie es (102) zeigt: (101)
[währendes [Tages]] > [während [des Tages]]
(lOla) Adj
(= Partizip) I währendes
Tages
(lOlb) Präp Det
während (102a)
1
des
N
1
Tages
PP,
d-/wl
0
(102b)
COMP l
daß.
104
Diese Veränderung in der Subkategorisierung läßt sich an vielen Beispielen illustrieren. Die folgenden Beispiele zeigen in ihrer diachronen Streuung, daß von einer gradlinig verlaufenden 'Entstehung1 der Konjunktionen wohl kaum gesprochen werden kann. Vielmehr läßt sich in verschiedenen Epochen der Sprachgeschichte des Deutschen die gesamte Variationsbreite nachweisen, ddß sich in den Beispielanalysen (101)-(102) findet. Die stilistische Bewertung der Varianten mag dabei jeweils bestinmte Verwendungsweisen bestirnten. Man vergleiche etwa weil, dessen altertümlich-gestelzt klingende ^fariante alldieweil sich auch im Nhd. noch findet. Insofern ist also nicht nur synchron, sondern auch diachron von \foriation zu sprechen. 19 (an)statt (Behaghel 1928, 72f.): (103a) anstatt, daß ich glaubte, Julchen heute als meine Braut zu sehen, so merke ich, ... (Geliert, 3, 11, zit. nach Behaghel 1928, 73) (Dieser Satz entspricht der Analyse (102a).) (103b) so fällt das Bollwerk ... in unsere Hand, statt daß daran die vereinigten Kräfte Österreichs ... zerschellen konnten. (Hohenlohe-Ingelfingen 3, 147, zit. nach Behaghel 1928, S. 73) (Entspricht der .Analyse (102b); statt daß ist insgesamt als COMP zu analysieren.) (103c) So will in Scherz ich mich ergehn, in Possen,/Anstatt ich jetzt mich bloß an Tränen labe, ... (Platen 3, 2 0 2 f . ) (Nach Tilgung von daß ist anstatt die unterordnende Konjunktion in COMP; diese "Entwicklung 1 hat sich im Nhd. nicht durchgesetzt.)
bis (Behaghel 1928, 89f.): Bis als Präposition tritt zur Konjunktion daß .(104a); als unterordnende Konjunktion (104b) können ihm Adverbien in der 'Wackernagel-Position' folgen (104c) ; er kann aber wiederum auch selber weitere 'neue1 Konjunktionen (als < al + so (in der d-/w-Pos.) an sich ziehen (104d): (104a) ..., biz daz daz dagedinc guam ...
(Eneide 13100 H) (Behaghel,
(104b) ... und trüte sl sus unde s5,/biz sl ze Jungesten do/zir selber kam baz unde baz/
... (Trist. 1447ff.)
(104c) weib und kind versorgen, jbisz so lang die sich selbst versorgen können, ... (Magdeb. Weist. 123 ( 1 4 2 2 ) , zit. nach Behaghel 1928, 89) (Bei diesem Beispiel mag es sich allerdings auch um eine stilistische Umstellung aus so lange bis handeln.) (104d) Nicht länger wollen diese Lieder leben,Als Ms ihr Klang ein fühlend Herz erfreut,/... (Schiller 11, 48, 11)
19 Die folgende Beispielauswahl stützt sich auf die Arbeiten von Behaghel (1928, 48-355), Paul (1920, 2 4 1 f f . ) , Schieb (1970; 1974; 1978), Handschuh (1964) und Rieck ( 1 9 7 7 ) .
105
gleich (Behaghel 1928, 180f.) < diu geliche als: Der von gleich abhängige Nebensatz erscheint in (105a) noch ausgeklatmiert; in (105b) treten diu geliche und der mit als eingeleitete Nebensatz zusammen; in (105c) ist gleich als eine Konjunktion geworden; sie ist nebenordnend, wie schließlich auch gleich in (105d), welches jedoch auch unterordnend auftreten kann (105e), - eine Verwendung, die sich im Nhd. nicht mehr findet: (105a) ...: er tet dem geliche schln,/sam im leidete daz leben,/... (Oest. Rchr., 2, 64855) (105b) des antwurte im her iwein/diu geliche als er waer verzaget... (Iw. 6620f.) (105c) gleich als were er einer der vornembsten Mitwissern. (Sueton 280, zit. nach Behaghel 1928, 181) (105d) ..., er tritt in die adelichen fußstapffen, glich wer er von adelichen eiteren geboren. (Wickram 2 (Knabenspiegel), 12, 1) (105e) erzeigt sich gegen jeden gleich er ein Herr deß -Schloß were. (Sonnenritter 27, zit. nach Behaghel 1928, 181)
indem (Behaghel 1928, 189ff.): Indem kann, nachdem es selber zur Konjunktion geworden ist, sowohl bei- wie unterordnend sein: (106a) Joh theih thir hiar nu ziaro in mina zungun thiono/(ouh in äl gizungi, in thiu thaz in iz kunni), ... (0. l, 2, 4 1 f . ) (106b) ...,/begunde der tohter bitten./innen diu chomen die sune, / do ne wart diu bete frume. (adt. Gen. 3 2 1 O f f . ) (106c) In dem er aber also gedachte, sihe, da erschein jm ein Engel des HERRN im trawm, ... (Luth., Matth., l, 20; I, 6, 17)
inzwischen (Behaghel 1928, 194f.): Bei dieser Konjunktion läßt sich an zwei Belegen durch die unterschiedliche Interpunktion der Übertritt vom Matrixsatz in den Nebensatz zeigen; als unterordnende Konjunktion hat sich inzwischen jedoch nicht durchsetzen können: (107a) Der Gedanke inzwischen, daß sich vielleicht ..., ist auch nicht zu verachten. (Less. 9, 238, zit. nach Behaghel 1928, 195) (107b) Ein feiner laurender Zug, ..., schien mehren als nur dem Elfenbeinenen König zu drohen. Inzwischen daß Adel und Freundlichkeit ... herrschten, ... (Goethe I, 39, 49, 22)
nachdem (Behaghel 1928, 211ff.): Nachdem ist zusammen mit verschiedenen unterordnenden Konjunktionen (daß, als, so) belegt, ja sogar mit unterordnendem und1. Als unterordnende Konjunktion tritt es nach Fortfall von daß schon früh auf (108d): (108a) ... sines uuillen mare tougeno infant nah diu daz älliu ding Gote lebent... (N. 3, 758, l O f . (Np. 452, 15)) (108b) machst guoten frid in allen landen nach dem als er künig ward, ... (Älteste Jahrb. d. Stadt Zürich 58, 24, zit. nach Behaghel 1928, 2 1 2 )
106 (108c) ... wie ein groz wirdekeit/wart kurzelich an sie geleit/ nach dem unde si tot gelac. (Passional 184, 74) (108d) An sinero inmortalitate überreichende älliu mortalia. Nah diu iz chit. (N. 3, 491, I f . (Np. 283, 1 9 ) )
seit (Behaghel 1928, 244ff.): Auch bei seit ist der übertritt in den Nebensatz aus dem seit dem, daß schon früh zu beobachten, ohne daß sich die Form mit daß deshalb völlig verloren hätte: (109a) ...: /wander gap in manegen herten streich,/sit daz im diu helfe entweich. (Iw. 6789f.) (109b) Sid er tharinne bädota, then brunnen reinota: / sid wächeta allen männon thiu sälida in then ündon. (0.1, 26, 3 f . ) (109c) ..., /Sit dem male [.../] ich der lieben staete ervant /.../ do gienk miner saelden schibe, rehte als ich ez wünschen w o l t ' : / . . . (MSH. III, 441a) (109d) Seit daß ich hinweg bin kommen, /Seit daß wir geschieden sein, /Sang er, hat des Mondes Schein/Viermal ab und zugenommen;... (Opitz, Tittmann 33, 7 f f . )
In (109b) ist zudem gleichzeitiger Gebrauch von bei- und unterordnendem seit zu beobachten, also als Konjunktion und als Adverb (seitdem). trotzdem (Behaghel 1928, 304f.): Der schwankende Gebrauch von trotzdem als bei- und unterordnende Konjunktion ist im Nhd. dialektal zu beobachten; auch trotzdem daß ist Nhd. belegt (vgl. Schulz/Griesbach 1972, 311): (HOa) Trotzdem wollte Friedrich Wilhelm seine Großmuth zeigen, ... (Treitschke, deutsche Gesch. im 19. Jh. 5, 60, zit. nach Behaghel 1928, 304) ( I l O b ) trotzdem daß sich unser Theater noch in seinen Anfängen befindet, so könnte doch schon jetzt das Publikum an das Poetische gewöhnt werden, ... (Platen, ( B l . ) zit. nach Behaghel 1928, 304) ( H O c ) gegen die Kirchbäuerin ... blieb sie, trotzdem sie jetzt todt war, in ihrem alten Urtheile. (Auerbach, Neues Leben, zit. nach Behaghel, 1928, 304f.)
während (Behaghel 1928, 326f.): Als Belege für die in (101)f. schematisch gezeigte synchrone und diachrone Variation, die zur 'Entstehung' der unterordnenden Konjunktion während führt, mögen die folgenden Beispiele dienen: ( l i l a ) während dessen, daß man zu Ryswik mit Schließung des Friedens beschäftigt war, ... (Struve, Reichshistorie (1720) 1306, zit. nach Behaghel 1928, 326) ( l l l b ) Mährend dem, daß man im Staatsrath die große Frage abhandelte, ob die Nation elend werden sollte, oder nicht, während daß ihre beeidigten Sachwalter alle Gründe der Vernunft ... aufboten, [ . . . ] setzte sich ein Theil der Nation in Handlung, ... (Schiller 7, 177, 2 2 f f . )
107 (1 l i e ) während dem der Offizier seine Zeche bezahlte, ... (Hebel 3, 113, zit. nach Behaghel 1928, 327) ( l l l d ) ...; während die Furie auf dem Drachenwagen in die Luft zog. (Goethe I, 27, 239, 2 7 f f . )
weil (Behaghel 1928, 339ff.): Die Entstehung des weil aus einer adverbiellen Bestinmung ( einem erläuternden Nebensatz (so/do/daz)
die wild) mit
geht aus den folgenden Beispielen
deutlich hervor; die große Variation ist dabei seit den frühesten Belegen bis ins Nhd. nachzuweisen: (112a) wanda al die wila so wir in demo lichamin pin, so wellen wir geellindot föne Gote, ... (N. 3, 612, 7f. (Ps. 8 5 , 7 ) ) (112b) ..., /Wunniz unti Spiri/Diesi worhtin al die wili/Dü Cesar dar in lante was/ ... (Annolied xxx= S. 34, 5 f f . ) (112c) ...: /daz mahtü mir ze kurzewile erlouben gerne, /die vile unz ich din beiten sol. (Walth. 51, l, 5) (112d) Hette der mensche ein kunigriche, das wer ..., und enhindert in nüt der enpfenglicheit Gotz alle die wile das dis menschen gemSte enkein vergenglich ding zu rasten ... mag gesetzen, ... (Tauler 37, 6) (112e) ... den unsir vorderen habeten/die wile daz si lebeten. (Exod. 2639f.) (112f) ...daz pulli coruorum des touues lebeen, die uuila sie uulz sint... (N. 3, 1042, I f f . (Np. 599, 10))
Gleichzeitig ist auch koordinierender Gebrauch des weil (die wile) belegt: (112g) die wile lebt Günther, so kundez nimmer ergän. (Nib. 816, 4) (112h) si klagete unz an ir ende, die wile werte ir lip. (Nib. 1105, 3)
Auf die Entstehung zusanmengesetzter Konjunktionen wie obwohl, obgleich, obzwar usw. ist oben schon kurz eingegangen worden. Hier ist daran zu denken, daß sich ein in der 'Wackernagel-Position' stehendes Adverb oder eine Partikel (wohl, gleich, zwar) enklitisch an die unmittelbar vorangehende Konjunktion ob anschließt, so daß die in (113a > b) dargestellte Urninterpretation vorliegt (vgl. Behaghel 1928, III, 4 9 f f . ) :
gleich
108
(H3b)
Beispiele dafür finden sich bei verschiedenen Konjunktionen (vgl. Benaghel 1928, 48-355): (114a) Jacob der was glatt an dem Leib, und Esau was harig, als dann ein mensch hariger ist als der ander, ... (Geiler 15b, zit. nach Behaghel 1928, 115) (114b) Alsbald wir uns auf die reis begeben haben, hat stracks die erste Nacht angefangen besser zu werden. (Publ. a.d. preuß. Staatsarch. 68, 9, zit. nach Behaghel 1928, 275) (115) dann der Schildbürger Weisheit ward in viel Jahren bekandt, da dargegen jhre Thorheit durch die Welt erschallet. jSchildb. (1598), zit. nach Behaghel 1928, 177) (116) Ob in thaz irwellu, thiz irdisga iu gizellu,/noh nihein nirwelit thäz, thaz thoh giloube bi thaz:... (0. 2 , 12, 57f.)
In den folgenden Beispielen ist das Herantreten des Adverbs an die Konjunktion deutlich zu beobachten, da sich jeweils auch die Stellung im Satzinneren belegt findet (117a), während es in der 'Vfeckernagel-Position1 (117b) mit der vorangehenden Konjunktion zu einem Element verschmelzen kann (vgl. auch (117c) versus (117d)): (117a) Ob ich gleich nit bin reich an gut,/So bin ich aber reich an tugent, /... (Hans Sachs X I I , LV 140(1879), 265, 2 6 f f . ) (117b) ...obgleich her Pauls Schmidl dy almußherren geraaindt n e t , . . . , so... (Chr. dtsch. St. XV, 59, 19f.) (117c) ...; nun mag sie doch nit leben, ob ir schon sunst nüt gepräst, so müest sie hungers sterben. (Manuel 226, I f . ) (117d) alle krankheiten heilet, obschon vor der weit augenerzten weder hilff noch rath zu finden ist... (Mathesius IV, 405, 25, zit. nach Behaghel 1928, 52)
Als weitere Beispiele erwähnt Behaghel (1928, 51) die zusamnengesetzten Konjunktionen ob wohl, ob zwar, so auch, wenn auch, wenn gleich, wenn schon u.a., vgl. auch Behaghel (1928), zu so (S. 250ff.), sofern, soweit, sowohl und die entsprechenden Bildungen mit wie (S. 349) und wo (S. 349ff.): wiefern, wofern, womöglich usw. Auch hier zeigt sich diachron betrachtet eine starke Variabilität, die, wie bereits gesagt, im Grunde nicht von der synchron zu beobachtenden Variation zu trennen ist, wie sie sich etwa auch aus der Untersuchung von Eisenmann (1973) ergibt, die den südwestdeutschen alemannischen Dialektbereich
109
erfaßt. Insgesamt erweist sich hier, daß es sich bei Entstehung, Bedeutungsund Gebrauchsänderung wie beim Ausstarben von Konjunktionen um eine rein lexikalische Erscheinung handelt, durch die die Syntax nicht betroffen wird (vgl. auch Henriksen 1978, 61ff.) . Im Gegenteil: die syntaktische Struktur steckt den Rahmen für die möglichen und teilweise erforderlichen Veränderungen im Bereich der Subkategorisierung der betr. lexikalischen Elemente ab, die zu Konjunktionen werden. Durch diese Bemerkungen wird das Problem der diachronen Veränderung in dem behandelten Bereich nun keineswegs aus der Syntax in das Lexikon 'abgeschoben', sondern zu Recht dem lexikalischen Bereich zugewiesen, in dem ja allgemein ein starker diachroner Vtechsel des lexikalischen Materials einer Sprache festgestellt und beschrieben werden muß. Entsprechendes ist in den einschlägigen Arbeiten seit Ende des vorigen Jahrhunderts zu den Konjunktionen auch stets geschehen, indem die etymologischen Aspekte der Veränderung in der Lautgestalt und in der Bedeutung stets im Vordergrund standen. Ein echter syntaktischer Wandel findet jedenfalls in diesem Bereich wie gesagt nicht statt. Wenden wir uns nun den Verhältnissen bei der 'Entstehung' der Relativpronomina zu, die oben schon aus traditioneller Sicht beschrieben worden sind. Im Rahmen des von mir zugrundegelegten Modells ergibt sich folgende Beschreibung: Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Voranstellung eines Satzgliedes in einem eingeleiteten Nebensatz als eine markierte Ausnahme zu ansonsten allgemein gültigen Bedingungen anzusehen ist. Dies gilt für Beispiele wie (118) : (118a) Den Mann, (den) wenn ich erwische, der mein Bier ausgetrunken hat, der kann was erleben! (118b) Das ist der Mann, der wo mein Bier ausgetrunken hat. (118c) Weißt du, wer daß mein Bier ausgetrunken hat?
Dabei zeigt (118b) eine dialektal im Süddeutschen häufig anzutreffende Kontamination zwischen der dialektal bedingten Verwendung einer Relativpartikel und einem wohl durch die Standardsprache hinzugefügten Relativpronomen. Gleichzeitig aber zeigt diese Form die für Relativsätze typische, konstitutive Situation: Entgegen der im allgemeinen für 'Nebensätze1 gültigen Bedingung, die keine Voranstellung eines Satzgliedes erlaubt (vgl. (67) S. 8 6 f . ) , erfordern Relativsätze einen Bezug zwischen einem vorangestellten Satzglied (der Bezugs-NP) und einer Leerstelle innerhalb des Relativsatzes. Zur expliziten Herstellung dieses Bezuges kann nun ein Pronomen in der d-/w- Position dienen, die ja auch in Hauptsätzen diese Funktion übernimmt. Für Hauptsätze und Relativsätze gilt also hier im Prinzip die gleiche zugrundeliegende syntaktische Struktur, die die gleichen semantischen Beziehungen erfaßt:
110
(119)
Der einzige Unterschied zwischen Hauptsätzen und Relativsätzen besteht in der Cberflächenstruktur darin, daß die Position OOMP in Hauptsätzen durch das finite Verb gefüllt wird. Dadurch kann die erwünschte Koreferenzbeziehung zwischen den. und t. in (119) ohne Verletzung des ansonsten gültigen 'tensed S-constraint' (PIC, s. o. ( 4 6 ) ) hergestellt werden. Das syntaktisch-seroantische Dilemma bei den Relativsätzen im Deutschen besteht also in folgendem: Das Relativpronomen muß auf eine Leerstelle im von ihm eingeleiteten Satz referieren, - gleichzeitig aber muß dieser Satz durch die lexikalische Besetzung der COMP-Position als syntaktisch untergeordnet gekennzeichnet sein. Dieses Element verhindert aber in der Regel gerade die Herstellung der erforderlichen Koreferenzbeziehung zwischen der d-/w- Position und der Leerstelle in S. Die gleichzeitig notwendige Verletzung des "tensed-Sconstraints1 zwingt nun zu einem der dialektal wie in verwandten Sprachen belegbaren 'Auswege', die in (120-122) schematisch erfaßt sind: (120) Hauptsächlich in den nordgermanischen Sprachen, aber z.T. auch im Ae., Ahd., Got. zu beobachten: kein Relativpronomen, sondern nur eine Relativpartikel. 2 theoretische Analysemöglichkeiten (i) und ( i i ) : (i)
der Mann i.
COMP
Si
Relati vpartik el
4—— t
f 'unbounded controlled deletion' (ii) = (121) mit zusätzlicher Tilgung des d-/w-Pronomens ('ghost wh-movement', vgl. Allen 1980).
In beiden Analysen (120) ist zudem fakultative Tilgung der Rslativpartikel möglich, wodurch sich 'asyndetische' Relativsätze ergeben.
111 (121)
der Mann i.
n or ma le Korefer enzbeziehung
d-/w-
1 den .
Tf1
COMP
1
Relativpartikel
^ 'wh-moveme Koreferenz in LF hergestellt: die Relativpartikel in COMP dient als 'escape hatch".
Beispiele finden sich u.a. im Ae., Got., And. und dialektal im Nhd.: ... der Mann, den wo ich gesehen habe... (122)
Dies stellt die nhd. standardsprachlich einzig zulässige Möglichkeit dar: den ist zugleich Relativpronomen (das referiert) und subordinierende Konjunktion, d.h. die d-/w- Position und die CQMP-Position fallen zusammen. In (122) löst sich das oben beschriebene Dilemma dadurch, daß dem Relativpronomen gleichzeitig zwei Aufgaben zufallen: die des d-/w- Pronomens und die der nebensatzeinleitenden Konjunktion in OOMP: (123)
Folgt man dieser Argumentation, dann ist damit auch die diachrone 'Entstehung1 der Relativpronomina im Rahmen des zugrundegelegten und unabhängig motivierten Grammatikitiodells beschrieben und erklärt: Auch diachron hat man davon auszugehen, daß das vorangestellte d-/w- Pronomen, das sich auf eine Leerstelle im folgenden Satz bezieht, als Vorläufer des Relativpronomens anzusehen ist. Es stellt ebenso wie bei Links-Ausklanroerung in Hauptsätzen die explizite Beziehung zur Bezugs-NP her. Auf der Grundlage dieser syntaktischen Struktur findet also
112
offenbar in der Geschichte des Deutschen in der nhd. Standardsprache eine Uminterpretaticn des Relativpronomens in der in (124) dargestellten Art statt: (124) COMP
d-/w-
z
t .-
den . i
Der Wandel drückt sich dabei also nicht in der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur aus, die im wesentlichen unverändert bleibt, sondern in der zusätzlichen strikten Subkategorisierung (125) , die für d- und w- Pronomina gilt, also für Relativpronomina (der, das, ...) , Fragepronomina bei indirekten Fragen (wer, was, . . . ) und unbestimmte Relativpronomina (welchen, welche, . . . ) : (125)
(i)
d-:
/[
Auch für die Konjunktionen, die aus sogenannten 'relativen Adverbien1 entstanden sind, ist eine entsprechende Herleitung wie bei den Relativpronomina möglich. Es handelt sich um die nhd. Konjunktionen als, da, wie, wo sowie um die inzwischen ausgestorbene subordinierende Verwendung von so (vgl. Paul 1919, IV, 237ff.). Sie stehen wohl ursprünglich in der d-/w- Position, die übrigens auch für die Vergleichspartikeln als und so definiert sein muß, da auch diese Partikeln eine vorher genannte Konstituente als Proform wiederaufnehmen. Da sie sich gleichzeitig auf eine Leerstelle im folgenden S beziehen, entsteht die gleiche Schwierigkeit wie bei den Relativpronomina. Dialektal finden sich gelegentlich zusätzliche Konjunktionen in der CQMP-Position: als bis, als daß, als ob, da wo, wie daß usw.. Fehlen diese Konjunktionen aber, so werden die betreffenden relativen Adverbien als subordinierende Konjunktionen interpretiert und 'rutschen' gleichsam in die GOMP-Position. Auf diese Vfeise läßt sich auch die Entstehung der verschiedenen Relativpartikeln so, da, wo (und entsprechender Partikeln in den verwandten synchronen und historisch belegten germanischen Sprachen) erklären, die ja etymologisch mit relativen Adverbien oder Vergleichspartikeln zusammenhängen. Hier ist wiederum keine Veränderung der syntaktischen Struktur anzunehmen, sondern lediglich eine Veränderung der strikten Subkategorisierung der betreffenden Lexeme, wie sie in (99) und (124) dargestellt ist. Ähnliches gilt für und, das in der Sprachgeschichte des Deutschen zuweilen auch als Relativpartikel auftritt und entsprechend in seiner Subkategorisierung variiert. Beispiele für diese Verwendung von als, da, so
113
finden sich häufig (vgl. Behaghel 1928, 48-355): Bei thar>/tho (die lautlich im nhd. da zusammmenfielen) läßt sich die 'korrelative1 Vervendung in der d-/w- Position mit Verb-Zweitstellung beobachten (126a-c), aus der der übertritt in die OOMP-Position gemäß (124) angenommen wird, so daß sich ein Nebensatz mit Verb-Endstellung ergibt (126d-f): (126a) . . . z e Norwaege in der marke; da funden si den degen. (Nib. 739, 3) (126b) ..., ze Breziljan in den wait./da warn die wege manecvalt:... (IW. 2 6 3 f . ) (126c) ich reit gegen dem bürgetor:/da stuont ein riter vor. (Iw. 281f.) (126d) ...in dhea chiheizssenun lantscaf, dhar honec endi miluh springant, ... (Isid. 540f.) (126e) gemach daz ist der eren tot, da mans ze lange und ouch ze vil in der kintheite pflegen wil. (Tristr. 4230, zit. nach Behaghel 1928, 96) (126f) endlich kam der Tag, da die blaue Pagode eingeweiht werden sollte. (Wiel. 6, 282, zit. nach Behaghel 1928, 96)
Im Beispiel (126f) zeigt sich zudem die Umdeutung des da von der relativen Verwsndung zur konjunktional-konditionalen. Es ergeben sich also .die folgenden Analysen für (126a) ( = 127) und (126d) (=128): (127)
[ze Norwaege in der marke].
funden.
sie den degen t.
t.
(128)
[in dhea chiheizssenun lantscaf],
honec endi miluh t. springant
Entsprechendes gilt für temporales do: (129a) So dioterih mit temo uuorte ze italia chäm ... to neteta er ze erest nieht über däz ... (N. 1,5, 2 4 f f . (Nb 6 , 4 f f . ) ) (129b) E daz der edel Rüedeger ze Bechelaren reit/ ... do waren in ir kleit/... üf den soumen körnen. (Nib. 1164, I f f . ) (129c) In der selben zite do was ir seif gegan/der bürge also nahen, ... (Nib. 389, I f . )
114
(129d) Tho Krist in Galilea quam, ward thaz tho m ä r i . . . (0. 3, 2, 1) (129e) Do die apostoli begondon gratiam euangelii predicare. do uuaron sumellche proceres synagoge. (Willir. 41, I f f . ) (129f) do der tag hatt ein ende genomen, do kam der erste ritter klug, ... (Dioclet. Leben 5424, zit. nach Behaghel 1928, 106)
Im Beispiel (129d) lassen sich beide Verwendungen von do beobachten: im Vordersatz ist es COMP, im Nachsatz steht es in der d-/w- Position. Entsprechendes gilt für dannen (130) und für so (131): (130a) ..., Her screif diu bürg ci Cristis eigine; /Dannin santir dri heilige m a n / . . . (Annolied 538f) (dannin in d-/w- Position, Verb in COMP) (130b) ... an dero bürg eo, dännän du burtig pist? (N. l, 47, 6 (Nb 41, 2 6 ) ) (dannan in COMP, so daß das Verb in Endstellung verbleibt.) (131a) So si daz höubet hoho üf-erbüreta, so überslüog iz ten himel, ...Unde so troug si dero s£a äna-uuärtenton ougen. (N. l, 10, 5ff (Nb. 9, 2 5 ) ) (Erstes so in COMP und Verb-Endstellung; zweites und drittes so in der d-/w- Position mit Verb in COMP, d.h. Verb-Zweitstellung.) (131b) Ällero dingolih haltet daz imo geuället. ... Also iz 6uh tara-gägene disiu doset, tiu imo uuideruuärtlg sint. (N. l, 219, 2 8 f f . (Nb. 203, 1 6 f f . ) ) (also in COMP.) (131c) min geselle was her GSwein,/als mir in minem troume schein. (Iw. 3533f.) (131d) Daz begunde dem recken/sine brüst bede erstrecken,/so die senwen tuot daz armbrust. ( P z . 35, 2 9 f f . )
Fassen wir kurz das Ergebnis zusammen: Es erweist sich in der von mir angencitmnenen Analyse, daß bei den Nebensätzen des Deutschen diachron gesehen weder eine Veränderung der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur anzunehmen ist, noch insgesamt von einer "Entstehung1 der Nebensätze gesprochen werden kann. Es ist lediglich zu beobachten, daß bestimmte Elemente in der d-/w- Position oder in der Position X 1 ' (also als vorangestellte Satzglieder NP, AP, PP) dazu tendieren, in die COMP-Position überzutreten; ebenso können sich Elemente aus der ' Wackemagel-Position' enklitisch an eine vorangehende Konjunktion in COMP anschließen. In allen Fällen bedeutet das einen Wandel des syntaktischen Status (d.h. der Subkategorisierung) und u.U. auch der Semantik der betreffenden Elemente. Dabei zieht COMP diese Elemente wohl deshalb an, weil durch seine Besetzung durch eine "Konjunktion1 im Deutschen die für Nebensätze typische Endstellung des Verbs garantiert wird, und weil die betreffenden Sätze dadurch zudem der für untergeordnete Sätze charakteristischen Einschränkung in der Topikalisierbarkeit von Satzgliedern genügen. Es ergibt sich also diachron gesehen für lexikalische Elemente, die zu Konjunktionen werden, folgendes Bild:
115
(132) 1
('Korrelat', koreferent zu S.)
COMP +
(WackernagelElemente)
(wiederaufnehmendes Pronomen, koreferent zu t. in S)
Von einer 'Entstehung1 von Nebensätzen kann m.E. deshalb nicht gesprochen werden,
weil eingebettete Sätze im Grunde die gleiche syntaktische Struktur auf-
weisen wie unabhängige Hauptsätze; insofern hat es 'Nebensätze1 inner gegeben, auch wenn sie sich u.U. an der syntaktischen Cberflache nicht von Hauptsätzen unterscheiden, wie das, um ein naheliegendes Beispiel zu nennen, etwa im Ne. der Fall ist: Dort weisen Nebensätze nach der einleitenden Konjunktion die gleiche Struktur auf wie Hauptsätze. Bitsprechendes zeigt sich in den frühesten Belegen von Inhaltssätzen (daß)
und Adverbialsätzen, deren Konjunktionen ja
in der Regel aus Satzgliedern des Matrixsatzes (PP, AdvP) entstanden sind (nachdem, weil, während usw.). In diesen Fällen ist der erläuternde (abhängige) Satz ursprünglich asyndetisch angeschlossen und könnte als Hauptsatz interpretiert werden, insbesondere, wenn er von dem Bezugselement (Korrelat) im Matrixsatz getrennt auftritt und seinerseits die Voranstellung eines Satzgliedes erlaubt. Durch diese letztgenannte Eigenschaft weist sich ja ein Satz in der Regel als
'selbständig' aus, wie es etwa auch Wunder (1965, 156f.,
437ff.) für die Unterscheidung in koordinierende und subordinierende Konjunktionen bei Otfried feststellt. In diesem Sinne könnte also von einer 'Entstehung1 der betreffenden Nebensätze geredet werden, - wobei diese 'Entstehung' allein darin besteht, daß in diesen ursprünglich asyndetisch angeschlossenen Sätzen die Position COMP durch das ursprüngliche
"Korrelat1 besetzt wird. In
diesem Fall muß ja tatsächlich, wie oben erläutert, von einem 'übertritt1 des ursprünglichen 'Korrelats' (nachdem.) in den folgenden Satz S ' . gesprochen werden. Als für das Nhd. typisches Zeichen syntaktischer Unterordnung gilt die Endstellung des finiten Verbs (dazu s.u. Kap. 3 im einzelnen). Sie hängt, wie gesagt, davon ab, ob COMP lexikalisch durch eine Konjunktion realisiert ist. Ist das der Fall, so folgen daraus wiederum die spezifischen kontextuellen oder semantischen Eigenarten von untergeordneten Sätzen. Wenn COMP durch eine Konjunktion besetzt ist, ist im allgemeinen keine Voranstellung eines Satzgliedes möglich, und die betreffenden Sätze sind in gewissem Sinne 'themalos'
116
und damit semantisch oder kontextuell 'abhängig', 'synsemantisch' (vgl. Anm. 10, S. 70). Das Fehlen einer Möglichkeit zur Topikalisierung oder besonderen Thematisierung folgt dabei aus generellen Prinzipien, denen eine entsprechende ümstellungstransformation bzw. eine Koreferenzregel unterliegt. Die wichtigste systematische Ausnahme zu dieser Regel stellen Relativsätze dar, deren satzeinleitend herausgestelltes Relativpronomen vermutlich deshalb zur Konjunktion wird, um die Markiertheit dieses Satztyps zu reduzieren. 2.5.2. Probleme der Kasuszuweisung bei Relativsätzen. Es ist oben (2.2.3.) gezeigt worden, daß sich schon im And., aber z.T. auch noch im Mhd. und im Nhd. Fälle finden, in denen das Relativpronomen nicht den Kasus auf weist, den es als Satzglied des eingebetteten Satzes haben müßte. Vielmehr steht es zuweilen im Kasus des Satzgliedes im Matrixsatz, auf das sich der Relativsatz bezieht. Hierbei handelt es sich um die sogenannte 'Kasus-Attraktion': (133a) ...: sendida m i h . . . z i dheodom, dhem euuuih biraubodon. (Isid. 218f.) (133b) mit worton then er thie ältun forasagon zältun. (0.1.17,38) (133c) ...then selben zuelif theganon,/then thär umbi inan sazun,... (O.'4,10,l) (133d) sie gedaht' ouch maniger leide, der ir da heime geschach. (Nib.1391,4) (133e) ...alles des gebetes ein teil,/des hiute wirt gesprochen,... (R.v.Zw. 416,11,2)
Bis ins Nhd. finden sich Beispiele, bei denen offenbar die Matrix-NP fehlt ('Relativsatz ohne Stütze1, Behaghel 1928, 759ff.). Auch hier kann das Relativpronomen den Kasus der Matrix-NP annehmen, die es gleichzeitig vertritt (Beispiele aus Behaghel 1928, 761): (134a) ...aer ant uurta demo zaimo sprah. (Mons. 7, 24) (134b) der bewist in des er suochte. (Iw. 988) (134c) die bevogtet werden sollen mit dem nechsten vattermagen oder dem dazu erkoren wird. (Weist, l , 65, zit. nach Behaghel 1928, 761) (134d) . . . , / D e m Wandrer zu bieten Schutz und Rast,/Und wen's auch sei, zu wärmen und zu laben. (Redwitz, Amaranth, 79)
Andererseits treten auch Fälle sogenannter 'Kasus-Assimilation' auf, in denen die Bezugs-NP im Matrixsatz den Kasus des Relativpronomens anninmt (Behaghel 1928, 756): (135a) Altan nid, theih redota, then Cain io häbeta,/ther si uns leid in wara, ... (0. Hartm. 135f.) (135b) den schilt den er vür bot,/der wart schiere zeslagen. (Iw. 6 7 2 2 f . ) (135c) den liebsten bulen, den ich hab, der leit beim wirt im keller. (Uhl. Volksl. 585, zit. nach Behaghel 1928, 757) (135d) den Anzug, den ich Ihnen neulich schenkte für Ihren Mann, paßt er ihm? (Flieg. Bl. 5. April 1901, zit. nach Behaghel 1928, 757)
117
Beide Erscheinungen, Attraktion und Assimilation, sind durch ihr deutlich restringiertes Erscheinen im Deutschen (wie auch in anderen Sprachen, vgl. Kurzova 1981, Seiler 1960) als markierte Phänomene anzusehen, die vom universell abzuleitenden Schema der 'core grammar1 abziehen. Im Rahmen der Kasustheorie, wie sie ansatzweise im Grainmatikmodell der REST entwickelt·worden ist, steht eine Beschreibungsmöglichkeit zur Verfügung, die im folgenden kurz erläutert werden soll. Für die korrekte Kasuszuweisung im Deutschen hat Zeh (1980) ins einzelne gehende Vorschläge gemacht. Danach sind im Deutschen folgende Konfigurationen für die Kasustheorie wichtig: (136a)
[+Nominativ] (136b)
[^Akkusativ] (136c)
PP
Präp [-N, -V] [+Dativ] (136d)
[+Genitiv] 20 Auf der Basis von Vorschlägen, die Chomsky (1980b) gemacht hatte, ergab sich eine Diskussion über Möglichkeiten und Konsequenzen der Kasuszuweisung in Rouveret/Vergnaud (1980), Belletti/Brandi/Rizzi (1981), Chomsky (1981b), Lasnik/Freidin (1981), den Besten (1981b). Eine knappe Zusammenfassung findet sich bei Chomsky (1981a). Zum Deutschen vgl. jetzt auch Haider (1984).
118
Diese lediglich grob skizzierten konfigurationellen Bedingungen der Kasuszuweisung setzen voraus, da das regierende Element (= eine Konstituente = c) das regierte 'c- kormandiert'. Es handelt sich bei der 'c-Koimando-Relation1, die zuerst von Reinhart (1976, 32) formuliert wurde, um folgendes: (137a) "Eine Kategorie Ot c-kommandiert eine Kategorie 3, wenn keine die andere dominiert und wenn der erste verzweigende Knoten, der α dominiert, auch 3 dominiert." (Zeh 1980,4)
Um den lall verschiedener c-konmandierender Konstituenten auszuschlie en, wurde von Chomsky in den 'Pisa-Lectures' der Begriff des 'minimalen c-Kommandos' definiert (137b), durch den sich die f r die KasusZuweisung relevante Beziehung des 'Regierens' (government) (137c) festlegen l t (vgl. den Besten 1981a, nach Bennis/Groos 1980): (137b) α c-kommandiert
3 minimal =
Def α c-kommandiert 3, und es gibt kein γ so da α β c-kommandiert, γ 3 c-kommandiert und γ nicht α c-kommandiert. (137c) α regiert ("governs") 3 genau dann, wenn et 3 minimal c-kommandiert und weder ein S noch eine NP zwischen α und 3 auftritt (f r α, γ {[ί N, ± v ] , [+ Tense]}.)
Durch diese Definitionen werden eindeutig solche strukturellen Konfigurationen wie in (136) bezeichnet, in denen eine NP durch [+ Tense], ein V, eine Pr p, ein Mj. oder ein N regiert wird. Die Bedingung in (137c), da S oder NP nicht zwischen α und 3 intervenieren d rfen, verhindert Kasuszuweisung ber Satzgrenzen oder NP-Klammern hinweg: (138a)
(138b)
Wir wollen ohne weitere Diskussion die S-Struktur als geeignete Ebene f r diese Regeln ansehen. 21 Mit den erw hnten Festlegungen stellt die normale Kasus21 Durch NP-movement wird eine NP in die Position des Subjekts bewegt und er-
119
Zuweisung bis auf zwei Fälle kein Problem dar. Zusätzliche und sicher als markiert anzusehende Regeln sind lediglich für Fälle von 'move " (139) und den Akkusativ des Subjekts eingebetteter Infinitive (Acl) bei bestimmten Matrixverben (140) zu entwickeln: (139a) [ [ D i e s e n Mann]. (139b) [ LNP TT Wem] . l
r
DcLt
kenne, ich t.
hast,] du t.l
^
US u
nicht t . ]
das Buch geschenkt t .J] ?
(140a) Ich lasse [ dich hier arbeiten] S AKK (140b) Ich höre [ dich kommen] S
Vorschläge zur richtigen Kasuszuweisung in (140) werden von Zeh (1980, 85ff .) diskutiert. Die Lösung besteht im wesentlichen darin, daß der in (137c) erwähnte S-Knoten, über den hinaus normalerweise keine Kasuszuweisung geschehen kann, bei bestimmten in Lexiken markierten Verben ausnahmsweise für die Kasuszuweisung 'durchlässig' wird (vgl. S-deletion, Chomsky 1981a, 66f .) . Solche Verben sind im Deutschen einige Verben der Wahrnehmung (sehen, hören, aber nicht rieohen, beobachten, wahrnehmen usw.) sowie lassen und in einigen altertümlich wirkenden Konstruktionen auch wissen und glauben'. (141a) Ich sah/hörte/*roch/*beobachtete/*lauschte/. . . [ihn kommen]. (141b) Ich weiß/glaube [ihn gesund (* (zu) sein)] .
Auffällig ist, daß die Menge diesbezüglicher Verben einzelsprachlicher und historischer Variation unterliegt; das spricht dafür, daß es sich um eine lexikalisch zu markierende Ausnahme handelt. Wodurch sie zu begründen ist, ist unklar; es springt lediglich ins Auge, daß es sich in verschiedenen Sprachen um Verben aus den gleichen semantisch zu bestimmenden Bereichen handelt und daß es zudem Verben sind, die im Gegensatz zu Kontrollverben (142) keine subjektlose Infinitivergänzung erlauben: (142a) Ich. versprach [PRO. zu kommen]. (versprechen 'kontrolliert 1 PRO und weist ihm den Index des Matrix-Subjekts zu.) (142b) Ich. überredete ihn. [PRO. zu kommen] . (überreden 'kontrolliert 1 PRO und weist ihm den Index des Matrix-Objekts zu.) hält erst dort die richtige Kasuszuweisung [Nominativ]; folglich sollte die KasusZuweisung nach'move- 1 angeordnet sein, also auf der Ebene der S-Struktur. (Ein anderes Verfahren wird allerdings z.B. in Chomsky 1980b, 26 erwogen.) Die Kasustheorie ist im übrigen ein gutes Beispiel dafür, wie traditionelle Vorstellungen in die formalisierte Sprachtheorie der generativen Grammatik umgesetzt werden. Dabei wird u.a. versucht, durch die Unterscheidung in kerngrammatische und markierte Phänomene sowie in strukturell und lexikalisch-idiosynkratisch bedingte Erscheinungen eine Theorie mit angemessener deduktiver Struktur zu entwickeln, aus der sich die Daten ableiten und hinsichtlich ihrer universalgrammatischen 'Natürlichkeit 1 gewichten lassen. Vgl. jetzt auch Haider ( 1 9 8 4 ) .
120
(142c) Es ist wichtig [PRO , zu kommen]. 9.3T.D (PRO ist nicht 'kontrolliert' und erhält einen arbiträren Index ' a r b ' . )
Im Deutschen hängt die Unterscheidung zwischen (141) und (142) zudem mit dem Auftreten der Infinitivpartikel 'zu' zusammen. Eine ausführliche und überzeugende Iheorie, die diese Ihfinitivkomplemente erfaßt, liegt im Rahmen der REST für das Deutsche noch nicht vor. In unserem Zusairanenhang ist nur von Belang, daß für die Kasuszuweisung offenbar eine Durchlässigkeit der S-Grenze in bestimmten lexikalisch markierten Fällen angenommen werden muß. Man beachte, daß die Subjekte der Infinitivkomplemente, wie sie von den betreffenden Verben wohl aufgrund ihrer semantischen Lesart verlangt werden, ohne eine solche Lockerung der 'government'-Bedingung (137c) keinen Kasus zugewiesen bekämen, da sie innerhalb ihres S nicht von [+Tense] regiert werden. Folglich scheint sich die Kasuszuwsisung durch das Matrixverb in (143) als Rettung zu erweisen, da die entsprechenden Sätze sonst wie das Beispiel (144) als ungrammatisch bewertet werden müßten, da sie den allgemein geltenden Kasusfilter (145) verletzen: (143a)
Ich
hörte
NP [-Tense]
Akk
* = keine Kasuszuweisung möglich, da [-Tense] (143b) Ich hörte
[ihn kommen]. j· Akk
22 Es sei hier lediglich auf die einschlägigen Arbeiten von Evers (1975), Huber (1980), Ebert (1976a), Reis (1976), Esau ( 1 9 7 3 ) , Thiersch (1978) u. a. verwiesen.
121
(144a)
roch
NP
"L· *s.
[-Tense]
kommen
.
(144b) *Ich roch [er/ihn kommen]
(145)
Markiere ein N, das keinen Kasus aufweist, als *!
Welchen besonderen Bedingungen die markierte Durchlässigkeit von S für Kasuszuweisung auch im einzelnen unterliegen mag: - durch (141) ist ihre Notwendigkeit für die Grammatik des Deutschen nachgewiesen. Damit lassen sich die Fälle von Kasus-Attraktion bei Relativsätzen auf ähnliche Weise erklären: Legen wir die oben angenommene Struktur für Relativsätze zugrunde, so 'sickert1 der Kasus der Bezugs-NP nicht nur auf die unmittelbaren Konstituenten und ihre lexikalische Realisierung durch, sondern durch die ausnahmsweise durchlässige S-Grenze auch auf das d-Pronomen des Relativsatzes:
(146)
NP
[+Kasus.]
Det Artikel
[+Kasus . [+Kasus.
Dies scheint umsomehr dadurch motivierbar zu sein, als das d-Pronomen ohnehin nicht auf einem der durch (136) exemplifizierten 'normalen' Wege kasusmarkiert werden kann, weil es in der angenommenen Struktur nicht von einem kasuszuweisenden Element (+Tense, V, Adj, N) regiert wird. Dies gilt auch bei Voranstellung des flektierten Verbs, das nach unserer Analyse ja von CQMP dominiert wird. Nach der Definition (137a oder b) regiert V unter COMP jeweils nur innerhalb der 'Domäne1 des unmittelbar dominierenden Knotens COMP. Unter der Annahme, daß Kasuszuweisung auf der S-Struktur, also n a c h 'moveot1 stattfindet, führt das zum richtigen Ergebnis: Stände nämlich das d-Pronomen in der COMP-Position , so würde es von [+Tense] oder (nach 'movea') von V regiert und erhielte so jeweils einen möglicherweise falschen Kasus zugewiesen.
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Da aber in der zugrundegelegten Analyse das d-Pronomen nicht von V oder [+Tense] regiert wird, kann es auch nicht durch diese Elemente direkt kasusmarkiert warden. Vielmehr erhält es den gleichen Kasus wie die 'Spur1 im Satzinnem, mit der es koindiziert ist, es 'erbt1 also gewissermaßen nicht nur den Index der 'Spur', sondern auch deren Kasus. Wie bei Fragesätzen (147a) so gilt auch bei Relativsätzen (147b) , daß das vorangestellte Pronomen den Kasus der koindizierten Spur im Satzinnern aufweist: (147a)
[- [wenj L +Akkl A
[
hast.] [ d u t ± gesehen t . ] ] ? 3 -1
*
l_
l 1
movea ' und: Kasus-Erbschaft (147b) den Mann. [- [den.] i o i [+Akk]
[„-.„„ 0] L· COMP s
t_
du t
· gesehen hast]] i [+Akk]
l
1
moved ' und: Kasuserbschaft
Entsprechendes ist auch für linksversetzte Satzglieder anzunehmen, und zwar unabhängig davon, ob man sie als basisgeneriert ansieht oder durch ' movea' ableitet. Äinlich wie die Koindizierung ohne Verletzung der einschlägigen Beschränkungen das d-Pronomen und (über seine Position) das linksversetzte Satzglied mit der Spur verbinden kann, ist auch die 'Kasus-Erbschaft' ohne Verletzung des SSC oder des PIC möglich, da die d-Position sozusagen als 'Notausstiegsluke1 (escape hatch) dient: (147c)
[Den Mam^ [ - [den^ X [+Akk] T"
[cOMp habe.] [ich t. gesehen t . ] ] ]
[+Al·ck] \ VT
'KasusErbschaft I I '
[+Akk] 1 'Kasus-Erbschaft I'
'Notausstiegsluke'
Allerdings zeigen die oben angesprochenen Fälle schwankenden Kasusgebrauchs (und damit fehlender Kasusgleichheit von linksversetzter NP und d-Pronomen), daß die 'Kasus-Erbschaft II' in (147c) als markiert anzusehen ist. (Vgl. die alternative Interpretation als 'freies Ihema1, Altmann 1981, 48ff.). Die links herausgestellte NP wird in diesen Fällen von keinem kasuszuweisenden Element 23 Durch 'move- ' selber kann kein Kasus mitbewegt werden, da Kasuszuweisung wegen der in Anm. 21 skizzierten Argumentation erst nach 'move- 1 erfolgen kann. Zur 'Kasus-Erbschaft' vgl. Chomsky (1880b) und (1881a, 173ff. , 263ff. und passim).
123 regiert, so daß sie entweder über "Kasus-Erbschaft II 1 kasusrrarkiert wird oder aber (per allgemeiner Konvention) den unmarkierten Kasus 'Nominativ1 zugewiesen erhält, um dem Kasusfilter (145) zu entgehen (= 'nominativus pendens'). Die Kasusmarkierung durch 'Kasus-Erbschaft II' ist auch für die Fälle von Assimilation anzunehmen, in denen offenbar die Kasusrolle der herausgestellten NF im (auf den Relativsatz) folgenden f!atrixsatz noch nicht festgelegt
ist.
Grammatisch läßt sich das dadurch ausdrücken, daß in diesem Fall zwei Kasuszuweisungen durch "Kasus-Erbschaft1 möglich sind, von denen sozusagen die näherliegende aus dem unmittelbar folgenden Relativsatz vorgezogen wird: C148)
[[[Den Mann ± ] [-[den [+Akk] a)T
±]
[COMp01 [ g du t ± gesehen hast] ]],
[+Akk] [+Akk]
11
[+Akk] l [+Nom]
[der.] [•t-Nom] +Nom
[ist.] [t. abgereist t . ] ] [+Nom]
*
Es ist deutlich erkennbar, daß es sich um die Entscheidung zwischen zwei ohnehin als markiert anzusehenden Verfahren der Kasuszuweisung handelt, deren jede die nicht kasusregierte NP den Mann in (148) davor bewahrt, ohne Kasus zu bleiben. Es ergibt sich also, daß sowohl für d-Pronomina in satzeinleitender Position wie für linksversetzte NF s eine normale Kasuszuweisung deshalb nicht möglich ist,
weil sie nicht von einem Kasuszuweiser regiert werden. Als Rettung bie-
tet sich entweder an, daß sie ihren Kasus aus dem eingebetteten Satz 'ererben' oder daß der Kasus der dominierenden NP auf das d-Pronomen "durchsickert". Beide Mechanismen sind markiert und führen u.U. zu Konflikten, so daß sich hier eine Variation ergibt, die neben der uns im Nhd. geläufigen Lösung auch 'Kasus-Assimilation1 (durch 'percolation') oder 'Kasus-Assimilation' (durch nächstliegende 'Kasus-Erbschaft') umfaßt. Auf diese Weise finden nicht nur die angesprochenen Phänomene eine Darstellung, es folgt aus der Darstellung auch, daß 'Attraktion1 und 'Assimilation' als markierte Erscheinungen anzusehen sind, was ihr verhältnismäßig seltenes Auftreten in der Sprachgeschichte des Deutschen verständlich macht.
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2.6.
Zusammenfassung und Bewertung.
Der am Beginn dieses Kapitels stehende kurze Überblick (2.2.) über die wesentlichen traditionellen Theorien zur 'Entstehung1 der Nebensätze im Deutschen ergab folgendes: In der Regel gehen diese Iheorien davon aus, daß die in einem insgesamt recht unklaren Sinn bestimmte Subordination von Sätzen aus einer sprachgeschichtlich früheren Koordination entstanden sei, die häufig als 'primitiver' bewertet wird. Das leitmotivartig wiederkehrende, als evident vorausgesetzte Dogma lautet: 'Hypotaxe entsteht aus Parataxe1. Zur Erklärung der damit einhergehenden syntaktischen Veränderungen werden verschiedene Strukturen und unterschiedliche Umstrukturierungen angenommen. Aus der Begriffsgeschichte der relevanten Termini Koordination/Subordination, Parataxe/Hypotaxe, Hauptsatz/Nebensatz ergibt sich, daß diese keineswegs klar bestimmt sind und es im Grunde nie waren. Zudem ist wahrscheinlich, daß das oben zitierte 'Dogma' ("Parataxe1 ist ursprünglicher als 'Hypotaxe') erst aufgrund einer Mißinterpretation des Begriffs der 'Parataxe1 entstehen konnte und ursprünglich keineswegs im sprachhistorischen Sinne zu verstehen war. Aus dieser Situation folgt, daß die traditionelle Überzeugung von der 'Entstehung1 der Nebensätze insgesamt wohl nur auf einer terminologischen Fehlbewertung der betreffenden Begriffe beruht. Aber auch für das Nhd. erweist sich eine entsprechende Begriffsbestimmung zur klaren Trennung von Haupt- und Nebensätzen als überaus problematisch. Eine Definition ist auf keiner linguistischen Strukturebene eindeutig möglich, insbesondere nicht aufgrund der syntaktischen Struktur oder der semantisch/pragmatischen Eigenschaften. Keine der feststellbaren Indizien ist für sich oder in Kombination mit anderen eindeutig und ausreichend genug für die intendierte Unterscheidung in Koordination und Subordination. Den Grund für das Scheitern solcher Definitionsversuche kann man darin sehen, daß es keine 'Realien1 gibt, die der gewünschten Differenzierung entsprechen, daß also keine 'Realdefinition1 möglich ist. Daraus ziehe ich für den vorliegenden Fall den Schluß, daß auch die Unterscheidung in Haupt- und Nebensätze (sowie die damit verbundenen Begriffe der Koordination und Subordination, resp. Parataxe-Hypotaxe) nur im Sinne einer Nominaidefinition zu treffen ist. Eine solche Nominaldefinition läßt sich auf der uns hier interessierenden syntaktischen Ebene nur aufgrund eines expliziten Vorschlags zur syntaktischen Struktur der betroffenen Sätze ableiten. Der von mir vorgelegte Vorschlag zeichnet sich dadurch aus, daß er Hauptund Nebensätzen die gleiche zugrundeliegende Struktur zuweist. Dadurch werden die oberflächenstrukturellen Unterschiede, etwa in der Verbstellung oder der
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Vorfeldbesetzung, aufgrund allgemeiner Prinzipien der Granmatiktheorie ebenso vorhersagbar wie die für eine traditionelle Begriffsbildung problematischen Grenz- und Übergangsfälle, in denen vermeintliche Hauptsätze eine Nebensatzstruktur aufweisen und umgekehrt. Dieser Vorschlag wurde ausführlich diskutiert, und es wurden auch dialektale syntaktische Varianten mit einbezogen. Die synchron im Nhd. vorhandenen Strukturtypen sind auch diachron feststellbar. Daraus folgt, daß rein syntaktisch gesehen in der 'Entwicklung1 der Nebensätze, die in Abschnitt 2.5. ausführlicher im Rahmen meiner Analyse beschrieben wurde, in der Sprachgeschichte des Deutschen kein syntaktischer Wandel postuliert zu werden braucht. Die zu konstatierenden unterschiedlichen Subkategorisierungen verschiedener satzeinleitender Elemente werden dabei beschrieben und durch die strukturellen Gegebenheiten der angenommenen zugrundeliegenden Struktur erklärt. Dies führte insbesondere auch für Relativsätze zu einer geradezu zwingenden Analyse, da diese typischerweise gegen den ansonsten geltenden 'tensed S constraint1 (PIC, vgl. (46)) verstoßen müssen. Damit ist eine Entstehung der Relativpronomina aus vorangestellten anaphorischen Fronomina in der d/w-Position anzunehmen. Die Probleme mit verschiedentlich anzutreffender KasusAssimilation und -Attraktion wurden anschließend im Rahmen einer Theorie der Kasuszuweisung im Deutschen auf allgemeinerer Grundlage gelöst.
ZUR
3.1.
' E N T W I C K L U N G ' DER N H D . VERBSTELLUNG
Einleitung
Die Veränderungen im Bereich der Verbstellung und die Entwicklung der für das Nhd. geltenden Regularitäten stellen seit den Arbeiten der Junggramtatiker ein zentrales Thema der diachronen Syntax des Deutschen dar . Die damit verbundenen Fragen spielen bis in jüngste Zeit eine wesentliche Rolle sowohl für synchron orientierte Graimatiktheorien wie insbesondere für Sprachwandeltheorien. Hier ist vor allem auf die typologisch orientierte Theorie von Vennemann (1974a 2 u. a.) zu verweisen. Was den meisten Beschreibungen der Verhältnisse jedoch fehlt, ist eine deduktive Theorie, aus der sich die synchronen Fakten verschiedener Sprachstufen des Deutschen seit dem Germanischen und die diachrone Entwicklung ableiten ließen. Was das vorliegende Kapitel zeigen soll, ist, daß sich die Regularitäten der Verbstellung des Deutschen im einzelnen sowohl synchron wie diachron deduktiv aus allgeneinen strukturellen Bedingungen der Graitmatiktheorie und der Syntax des Deutschen ableiten lassen. Als Ergebnis für die diachrone Syntax des Deutschen folgt, daß ein im engeren Sinne syntaktischer Wandel im wesentlichen wohl nicht stattgefunden hat. Zwar verändert sich zumindest in Kernbereichen die funktionale Zuordnung bestimmter Verbstellungen zu bestimnten illokutionären oder pragmatosemantischen Prototypen wie Aussage, Frage, Nebensatz, aber die verfügbaren strukturell-syntaktischen Grundmuster bleiben im wesentlichen vom Germ, bis zum Nhd. gleich. Was dabei an Veränderung geschieht, ist als Variation innerhalb solcher Parameter zu deuten, die von der Kemgraitnatik nicht festgelegt sind und die z.T. stilistischen, soziolinguistischen und außerlinguistischen Faktoren (also z.B. möglicherweise auch dem Einfluß des Lateins) unterliegen. Ein wesentlicher Zug der vorzuschlagenden Analyse besteht dabei neben der Parametrisierung in der Madularisierung der Grammatik: Die Stellungs1 2
Vgl. die Zusammenfassungen der Diskussion bei Fleischmann (1973, 33-65) und bei Scaglione (1981, 117-139). Vgl. dazu Dean ( 1 9 7 4 ) , Klein ( 1 9 7 5 ) , Sasse (1977) sowie als kritische Sichtung Zemb ( 1 9 7 8 ) ; zu neueren typologischen Ansätzen s. Abraham/Scherpenisse (1983).
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regularitäten werden nicht als das Ergebnis e i n e r Regel verstanden, sondern als das Resultat des Zusairrnenwirkens mehrerer einfach zu formulierender Regeln mit unterschiedlichem Status, nämlich der Verb-Voranstellung, der Ausklainmerung, der Verb-Anhebung und der Verb-Umstellung. Ich werde wie folgt vorgehen: Nach einer knappen Darstellung der synchronen und diachronen Fakten der Verbstellung irr. Deutschen sollen kurz verschiedene Deutungen der diachronen Entwicklung skizziert werden, bevor eine eigene Lösung vorgeschlagen und diskutiert wird. 3.2.
Überblick über die Verbstellung im Nhd.
Die normative schriftsprachliche Regelung der nhd. Verbstellung läßt sich einfach beschreiben: Das finite Verb kann folgende Positionen einnehmen: ( l a ) Das finite Verb kann am Satzanfang stehen; ( I b ) Das finite Verb kann an der zweiten Stelle im Satz stehen, d . h . es geht ihm ein Satzglied voraus,· de) Das finite Verb kann am Satzende stehen.
Infinite Elemente des verbalen Komplexes (trennbare Präfixe, Partizip Präteritum, Infinitiv) stehen in einer festen Reihenfolge am Satzende, u. U. (1c) gefolgt vom finiten Verb. Die Position vor dem finiten Verb in Zweitstellung wird 'Vorfeld' genannt; das finite Verb in Erst- oder Zweitstellung (bzw. eine nebensatzeinleitende Konjunktion) und die End-Position des finiten Verbs (die bei Erst- und Zweitstellung leer bleibt) bilden die sogenannte 'Satzklammer1, die das 'Mittelfeld1 umschließt. Dazu kommen folgende Ausnahmefälle: ( 2 a ) Das in Endstellung befindliche Verb ( I c ) tritt unter bestimmten Bedingungen vor die von ihm abhängigen infiniten Verben ('Ersatzinfinitiv 1 und 'Verb-Umstellung' ( 4 a ) vgl. den Besten/Edmondson 1981) (2b) Unter bestimmten Bedingungen textueller oder stilistischer Art können auf die am Satzende stehenden verbalen Elemente noch weitere nichtverbale Elemente folgen ('Ausklammerung' ( 4 b ) ) . ( 2 c ) Das 'Vorfeld' kann scheinbar doppelt oder gar mehrfach besetzt sein, also mehr als ein Satzglied enthalten ( ( 4 c ) , vgl. van de Velde 1979).
Beispiele für die genannten Wortstellungsmöglichkeiten finden sich in (3) und
(4): (3a) Hast du die Zeitung gelesen? (3b) Du hast die Zeitung gelesen. (3c) ..., weil du die Zeitung gelesen hast. ( 4 a ) ..., weil du die Zeitung nicht hast lesen können. (4b) . . . , weil du die Zeitung nicht gelesen hast am letzten Freitag. (4c) Die Zeitung am Freitag hast du nicht gelesen.
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Mit diesen wenigen Bemerkungen sind im wesentlichen alle Verbstellungsmöglichkeiten des Deutschen erfaßt. Die Strukturen (1a, b, c) warden gewöhnlich zu bestimmten Satztypen in funktionale Beziehung gesetzt. So zeigt die Erststellung des finiten Verbs in der Regel an, daß es sich um eine Entscheidungsfrage oder einen Imperativ handelt. Die Zwaitstellung des Finitums ist für Aussagesätze und die Endstellung für eingeleitete Nebensätze typisch. Das Verhältnis von Form und Funktion ist aber auch hier keineswegs eindeutig; Abweichungen von dem normalerweise gültigen funktionalen Mister sind bekanntlich nicht selten: vorangestellte Konzessiv- und Konditionalsätze weisen Verb-Erststellung auf (5a), uneingeleitete Nebensätze zeigen Verb-Zweitstellung (5b) und Fragesätze \ferb-Zwaitstellung (als Echofragen) (5a) (5b) (5c) (5d)
(5c) oder Verb-Endstellung (5d) usw.:
Kommst du heut' nicht, kommst du morgen. Ich glaube, heute kommt er nicht mehr. Paul kommt doch morgen? Ob Paul morgen kommt"?
Dazu kommen in poetischen Texten u. U. von der standardsprachlichen funktionalen Zuordnung abweichende Möglichkeiten der Verbstellung: (6a) Sah ein Knab' ein Röslein stehn, / . . . (Goethe I, l , 16) (6b) Seit der hohe Gott der Lieder/ Mußt' in Liebesschmerz erbleiben, ... (Uhland l, 176) (6c) ..., /Mit Staunen auf die Frau sie wiesen, /... (Uhland l, 285)
Es zeigt sich also, daß eine deutliche Unterscheidung zwischen syntaktischer Form und ihrer jeweiligen Verwendung sinnvoll ist.
Das erweist sich auch bei
der folgenden Betrachtung der diachronen Verhältnisse. Damit ergibt sich insgesamt folgendes Bild für die Beschreibung der Wbrtstellungsmöglichkeiten des Deutschen, insbesondere der Verbstellung: (7)
i
Vorfeld
Ausklammerung
Voranstellung
~ V
fin Konj .
1 1
1 1
1.
,
V-Umstellunq & 1
Mittelfeld
V, .
|
T
fin
I Nachfeld
l
verbaler l Komplex
WackernagelPosition
V-Voranstellung (linke Satzklammer)
(rechte Satzklammer)
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Als Umstellungsmöglichkeiten werden also folgende einzelnen Regeln angenommen: ( ( { (
8a) 8b) 8c) 8d)
Voranstellung eines Satzgliedes ins Vorfeld; Verb-Voranstellung (des finiten Verbs in die linke Satzklammer); Ausklammerung eines Satzgliedes ins Nachfeld; Verb-Umstellung (des finiten Verbs vor infinite Verben).
Dazu treten bestimmte Umstellungsmöglichkeiten im Mittelfeld, die jedoch hier nicht eigens behandelt werden (vgl. Lenerz 1977, 9 7 f f . ) . 3.3.
Überblick über die Entwicklung der Verbstellung im Deutschen
Bei der Entwicklung der Verbstellung vom Ahd. bis zum Nhd. ergibt sich folgendes Bild: Das finite Verb tritt schon im Ahd. in denselben Positionen auf wie im Nhd., nämlich in Erststellung, Zweitstellung und Endstellung (vgl. Behaghel 1932, 13ff., 27ff., 43; 1928, 431; Biener 1922, 170ff). ( 9a) ( 9b) (lOa) (lOb) (lla) (lib)
UUarun thö hirta in thero lantskeffi uuahhante. (T. 6,1) Bigonda the Phariseus ... queden. (T. 8 3 , 1 ) kalih ist katan himilo rihhi. (Mons. 15,5) Ih huuirfu in miin hus danan ih uz fuor. (Mons. 7 , 1 3 ) erino portun ih firchnussu. (Isid. 6 , 2 ) min tohter ubilo fön themo tiuvale giuueigit ist. (T. 8 5 , 2 )
Die Endstellung begegnet vor allem in Nebensätzen, z. T. auch ohne konjunktionale Einleitung (Behaghel 1932, 4 4 f . ) : (12a) (12b) (12c) (12d)
daz mir got alle mine schulde virge.be. (MSD. 307, 20) der die menige des liutes hat. (Willir. 143, 3) er chit, wola so tuon muosi. (N. I, 58, 27) Unde chäd er sie iu forn geminne därümbe gefristet häbeti. (N. I, 728, 19 ( N c . 45, 1 3 f . ) )
Aber auch in Hauptsätzen findet sich Endstellung, so bei lat. Einfluß, aber auch in der Dichtung und in Nachsätzen, wo sie als germ. Erbe anzusehen ist: (13a) ter man einer stuntwilo zergat. (Memento mori 6, 8) (13b) Druhtin Krist sar zi imo sprah, ... (O. II, 7, 35) (14a) inti fön mir selbomo ni quam, oh her uuär ist ther mih santa. (T. 104, 8) (gegen Original: sed est verus) (14b) getaten sie mih pogen unde iro werch ieo ze erdo sahen. (N. II, 216, 14 (Np. 368, 1 5 ) )
Die >Bglichkeit, das finite Verb vor infinite Elemente des verbalen Komplexes umzustellen (15) oder Satzglieder auszuklammern (16), ist dabei stärker als im Nhd. ausgeprägt (vgl. Behaghel 1932, 88ff., 108ff., 78, 14): (15a) ... die mit tügede sih uuellen füre-nemen...
(N. l , 127, 28f. (Nb. 117, 9 ) )
130
(15b) (16a) (16b)
..., dher dhar scoldii chiboran uuerdan? (Isid. 4 2 1 f . ) ..., dhazs dhu firstandes heilac chiruni. (Isid. 159) ..., inti min quena fram ist gigangan in ira tagun. (T. 2, 8)
Damit ist die Bildung einer Satzklanrner, wie es z.B. Bolli (1975) und Sorter (1982) für Notker im einzelnen zeigen, sehen im Ahd. belegt, wenn sie z. T. auch durch Umstellungen des finiten Verbs oder durch Ausklammerung an der syntaktischen Cberflache verschleiert sein kann. Eine funktionale Zuordnung der verschiedenen Stellungsmöglichkeiten des Verbs ist im Ahd. ähnlich der nhd. Regelung zu erkennen: Hauptsätze zeigen vorwiegend Zweitstellung des Finitums, während Erststellung für Fragesätze, Konditional- und Konzessivsätze typisch ist, gelegentlich aber auch in Aussagesätzen auftritt ( 9 ) , wo es Ausdruck einer speziellen textuellen Funktion ist
(Emphase, Ihemawechsel oder Einleitungs-
sätze) . Endstellung des f initen Verbs liegt bei eingeleiteten Nebensätzen vor, z. T. auch bei uneingeleiteten (12c, d) , ist jedoch, wie gesagt, aufgrund verschiedener Umstellungen häufig nicht als solche erkennbar, weshalb die meisten Autoren die Bezeichnung 'Spät(er)Stellung1 oder 'Nicht-Zweitstellung1 bevorzugen und hervorheben, daß "der relative oder konjunktioneile Nebensatz durch eine spätere Stellung des V. f . gekennzeichnet [ist], die wenigstens um ein Satzglied von der des Aussagesatzes unterschieden ist." (Fourquet 1974, 319f.) Die gegebene Darstellung zeigt ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen der Verbstellung des Ahd. und des Nhd. Die keinesfalls zu leugnenden Unterschiede sind dabei durch verschiedene Möglichkeiten zur (stilistisch zu bewertenden) Umstellung zu erfassen. Dabei zeigt sich im Verlauf des Ahd. und insbesondere bei Notker eine deutliche Festigung des beschriebenen Masters: Die Verb-Erststellung und die Endstellung in Aussagesätzen gehen deutlich zurück. Die KLammerbildung wird weniger durch Umstellungen oder Ausklaitmerungen verwischt, als noch in früheren Textzeugnissen. Das Bild im Nhd. ist ähnlich: Hauptsätze zeigen Verb-Zweitstellung; Erststellung ist in Aussagesätzen nicht mehr möglich, sondern beschränkt sich auf wenige Fälle, insbesondere auf Fragesätze und vorangestellte Konditional- oder Konzessivsätze; eingeleitete Nebensätze weisen Endstellung des Finitums auf. Allerdings wird besonders von der itöglichkeit der Umstellung des f initen Verbs und der infiniten Verben Gebrauch gemacht ( 1 7 ) , häufig auch (und z. T. zusätzlich dazu) von der Ausklammerung (18) (vgl. Behaghel 1932, 108f., 79f.; vgl. auch zu weiteren Belegen Behaghel 1900). (17a) ... daz drle tage solte hän gewert, ... (Berth. I, 10, 20) (17b) ... von der Got volt geboren werden. (St. Georg. Pred. 2 2 2 , 8) (18a) Wä got vindet glicheit dirre ordenunge in der sele, ... (Eckhart 3, 120, 4 f . ) (18b) ..., wie er ainen ritter hett an seinem satelpogen sehen füeren Lantziletz haupt. (Lanz. Füetr. 160)
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Die Umstellung der infiniten Verben untereinander (17) , wie sie im Nhd. nicht mehr möglich, im Nl. aber verbindlich ist, herrscht dabei im Mhd. vor. Die Ausklairtrerungsrnöglichkeiten haben jedoch seit dem Ahd. abgenommen. Die Tendenz zur Einschränkung von Ausklairanerungen wirkt im Fnhd. fort, offenbar unterstützt durch den stark normierenden Einfluß der Kanzleisprache. Finite Hilfsverben treten immer häufiger in a b s o l u t e r Endstellung auf; Verb-Umstellung und Ausklammerung unterbleiben (19) (vgl. Maurer 1926a, Behaghel 1932, 105ff.); entsprechendes gilt auch für infinite Verbteile am Ende des Hauptsatzes (20) . Die Kanzleisprache zeigt Verzicht auf Ausklammerungen und V + Aux - Abfolge deutlich früher als andere Texte, auf die sie offenbar normbildend eingewirkt hat (Ebert 1981, 237) ; Endstellung des Finitums ist im Kanzleistil teilweise deshalb nicht zu beobachten, weil finites werden, haben oder sein häufig getilgt wird (vgl. Ebert 1981, 235). Umstellungen und Ausklainnerungen können jedoch insgesamt noch auftreten (21) , insbesondere, wenn, auf den betreffenden Satz noch ein nachgestellter Satz folgt (22), - eine Beobachtung, die sich schon für das Ahd. machen läßt (Behaghel 1932, 108): (19)
... fenster und glaßwerck, das dann die benanten sein Vormunden im czu seliger, ewiger gedechtnüsse gemacht lassen haben. ( 1 4 5 7 , nach Kettmann 1971, 43) (20) Wir haben Ewer Liebden schriffliehen Bericht belanngend..., Alles mit ferrer ausfuerung solches F. L. Schreibens aigentlich vernomen, ... (Karl V . , 1546, Kettmann 1971, 30) (21a) Ez sal kuntlich sin allen den die nu sint oder her noch kumen, daz ... (1368, Würzburg, Kettmann 1971, 37) (21b) Wir Wenzlab ... bechennen vnd tQn chunt offenleich/ an diesem brief / Das ... (Prag 1341, Kettmann 1971, 48) (22a) ... so-uuäz er uuile haben ze rehte, aide ze unrehte, unde souuen er haben uuile ze noxio... (N. l , 80, 16ff. (Nb. 71, 2 5 ) ) . (22b) ob min gesell lentz oder bachis unrechter hab getan, und wilhes mer gesünt habe. (Eyb. II, 2 7 , 5, zit. nach Behaghel 1932, 108)
Eine weitere typische Eigenart des Fnhd. ist die Zunahme der Anfangstellung von verba dicendi, wie sie Maurer (1924, 161, 163) beobachtet (vgl. Behaghel 1932, 37f.): (23a) (23b)
Sprichet sant Paulus: ... (St. Georg. Pred. 164, 17) Sprach ein maget: "die wil ich gerne hoeren, / . . . (Neidh. (Wiesner/Fischer), Nr. 20, IV)
Als Ursprung wird die 'Versteinerung1 des auf direkte Rede folgenden oder in sie eingeschobenen Matrixsatzes "...", sagte er, "..." angesehen, die nach murer stark unter lat. Einfluß steht (vgl. teurer 1924, 1 7 4 f f . ) . Als vermeintlich volksliedhafte Eigentümlichkeit findet sich die Erststel3 Maurer (1926a) und Behaghel (1932, 17, 21, 87) vermuten lat. Einfluß, der aber von anderen Forschern bestritten wird, vgl. Fleischmann ( 1 9 7 3 , 3 4 f f . ) , Scaglione 1981, 1 2 2 f . ) , Ebert (1980, 388)
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lung weiter in der Dichtung (24) (Sturm und Drang, Expressionismus, vgl. tourer 1926a, 206ff.) , aber stets auch vor allem umgangssprachlich in bestimmten Erzählstilen (25), etwa auch bei Witzen (vgl. Behaghel 1932, 38f.): (24a) (24b) (25a) (25b)
Sah ein Knab 1 ein Röslein stehn, /... (Goethe I, l, 16) Kommt ein Vogel geflogen, ... Erzählt mir der die ganze Geschichte noch einmal! War das ein Wetter!
Auch Endstellung des Verbs in Hauptsätzen oder Zwaitstellung in Nebensätzen ist in poetischen Texten bisweilen im Nhd. möglich (Dal 1962, 175): (26) ...,/Und keiner den Becher gewinnen will. (Schiller 11, 220, 18)
Mit der Festigung der Endstellung des f initen Verbs bzw. mit der Endstellung der infiniten Elemente des verbalen Komplexes im Hauptsatz ist im wesentlichen der oben skizzierte Zustand des normierten Nhd. erreicht. Allerdings sind hier, .wie gesagt, soziolektale, stilistische, poetische u.a. Varianten zu beachten, in denen Abweichungen sowohl vom strikten Schema der Verbstellung wie auch von der üblichen funktionalen Zuordnung der Stellungstypen zu Satzarten vorkonmen können. 3.4.
Theorien zur Entwicklung der Verbstellung im Deutschen.
3.4.1. Die Junggrammatiker Die wesentlichen Theorien zur Entstehung der nhd. Verbstellung aus der ahd. und dieser aus einer zu erschließenden germanischen oder gar indogermanischen sind mit den Namen Delbrück und Behaghel verbunden. Sie stellen allerdings m. E. kaum einen unüberbrückbaren Gegensatz dar, zumal sie sich im \ferlauf einer mehrere Jahrzehnte andauernden Diskussion vielfältig veränderten und einander annäherten. Im wesentlichen reduzieren sich die Unterschiede zwischen den Positionen Delbrücks und der von Behaghel auf die folgenden Punkte: Delbrück (1878, vgl. 1911) ging davon aus, daß die Endstellung des finiten Verbs die ursprüngliche Wortstellung gewesen sei, die sich schon im Altindischen finde und ebenso für das Germanische als zugrundeliegend angesehen werden müsse. Das finite Verb habe sich jedoch im Germanischen in Hauptsätzen an das betonte erste Satzglied angeschlossen, wodurch sich schon früh die typische Verbzwaitstellung ergeben habe. Diese Vermutung wurde durch V7ackernagels (1892) Untersuchung gestützt, die ergab, daß im Ai. das Verb im Hauptsatz unbetont gewesen sei und deshalb von der von schwachbetonten Elementen bevorzugten zweiten Position angezogen worden sei - im Gegensatz zum betonten Verb im Nebensatz, das in Endstellung verblieb. Bei der Entstehung der Nebensätze (die Delbrück für die frühesten Stufen etwa des Germ, noch nicht anninmt) soll dann nach Delbrück das finite Verb deshalb (wieder) ans Satzende gerückt sein, weil es durch die
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meist aus dem vorangehenden, übergeordneten Satz an die Satzspitze des Nebensatzes übertretende nebensatzeinleitende Konjunktion (oder: Relativpronomen) gewissermaßen verdrängt worden sei. Diese Vorstellung enthält m. E. einen im wesentlichen richtigen Kern (vgl. Scaglione 1981, 131f.) , wie sich in der von mir vorgeschlagenen Analyse zeigen wird, in der ja gerade die lexikalische Besetzung der satzeinleitenden Position COMP eine Voranstellung des finiten Verbs verhindert. Mas bei Delbrücks Darstellung fehlt, ist jedoch eine Syntaxtheorie, in der sich für die Positionen des finiten Verbs ein erklärender Zusammenhang ergibt. Insofern erschien Delbrücks Vorschlag schon Ibmanetz (1879) als zu komplizierte Erklärung für die Entstehung der Verbstellung im Nebensatz (vgl. Scaglione 1981, 119, Anm. 11). Ibmanetz (1879) und Erdmann (1886) gehen stattdessen davon aus, daß die Zweitstellung des Verbs im Hauptsatz als die ursprüngliche Abfolge anzusehen sei und daß die Endstellung in Nebensätzen als spätere Entwicklung auftrete. Allerdings können sie für diese Endstellung selber keine überzeugende Erklärung angeben. Dafür sorgt jedoch Behaghel (1892, 1900, 1929) , der nachweist, daß das Verb in Nebensätzen zwar schon im Ahd. regelmäßig später auftrat als in Hauptsätzen, daß sich die im Nhd. als Norm geltende a b s o l u t e
Endstellung jedoch
erst im Laufe des Fnhd. herausgebildet hatte. Als Ursache dafür sah er den Einfluß des Humanistenlateins an, - eine Hypothese, die weitgehend in die Handbuchliteratur eingegangen ist, obwohl sie, wie Fleischmann (1973) nachweist, manche Ungereimtheiten aufweist, die auch Behaghel selber bewußt waren (vgl. Behaghel 1932, 21 f . , 87). Davon abgesehen betonte Behaghel (1929), daß sich schon im Idg. Kaupt- und Nebensätze in der verbstellung unterschieden hätten, und zwar in der Kegel dadurch, daß das Verb im Nebensatz später stehe als irr. Hauptsatz, so daß für den Hauptsatz 'Mittelstellung' und für den Nebensatz 'Späterstellung', 'Nachstellung' oder 'Endstellung' vorliege. Im Deutschen ist es somit nur die absolute Endstellung, die einer gesonderten Erklärung (durch lat. Einfluß)bedarf; - Zweitstellung und Nicht-Zweitstellung sind als ererbte Stellungsmöglichkeiten anzusehen. Gleiches gilt damit auch für die Ausklammerung, die als "echt deutsche Art" (Behaghel 1892, 267) bezeichnet wird. Behaghel (1900) belegt das ausführlich an mundartlichen und fnhd. Beispielen seit dem 13. Jahrhundert. Die zentrale Frage ist also: Soll man für das Germanische Verbzweitstellung oder Verbendstellung ansetzen? Hier zeigt sich, daß die Iheorien von Delbrück und Behaghel wohl letztlich nicht so weit auseinanderlagen, wie es manche forschungsgeschichtliche Darstellung insinuiert: Schon 1878 hatte Behaghel darauf hingewiesen, daß man schon früh eine Verbendstellung anzunehmen habe, da sich
134
nur so die Abfolge "Adverb - Verb" erkläre, aus der sich schließlich die zusammengesetzten \ferben des Deutschen entwickelt haben (durch faran > durchfahren, vgl. Scaglione 1981, 134). In diesem Licht betrachtet zeigt sich, daß Benaghels Iheorie vom Einfluß des Lat. auf die absolute Endstellung des finiten Verbs, die seit dem Fnhd. als schriftsprachliche Norm gilt, hinsichtlich einer ursprünglichen Zweit- oder Endstellung letztlich keine Position zu beziehen braucht. Ja, wenn sie mit Ttomanetz und Erdmann von ursprünglicher Verb-Zweitstellung ausgegangen wäre, dann böte sie keine Erklärung dafür, daß das Verb schon im And. in Nebensätzen 'Nichtzweitstellung' oder 'Späterstellung' auf wies. Dementsprechend nimmt Behaghel (1932, 11 f . , 43f.) zwar für Hauptsätze ursprüngliche (d. h. idg.) Zweitstellung an, aber Späterstellung für Nebensätze. Ein erklärender Zusammenhang zwischen beiden Verbstellungen und der Anfangsstellung wird bei ihm nicht hergestellt, ja kann mangels einer übergreifenden Syntaxtheorie nicht hergestellt werden; - in den Überlegungen von Wackernagel, Delbrück (und Biener 1922, 173) findet sich zumindest der Versuch einer derartigen Erklärung (der im übrigen im Einklang mit der unten zu entwickelnden Theorie steht). Aus einem harmonisierenden Überblick über die wesentlichen junggrammatischen Theorien zur Entstehung der Verbstellung im Deutschen ergibt sich also, daß sich aus einer möglicherweise ursprünglichen Endstellung (oder: Späterstellung) des Verbs die Zweitstellung in Hauptsätzen durch Wackemagels Gesetz ableiten läßt, nach dem die zweite Position 'schwachbetonte' Elemente (in diesem Fall das flektierte Verb im Hauptsatz) an sich zieht. Demgegenüber verbleibt das Verb in Nebensätzen in seiner ursprünglichen Position, da es 'betont1 ist oder da die nebensatzeinleitende Konjunktion ein Vorantreten in die 'Wackernageltosition' verhindert (Delbrück 1920, 7 0 f . ) . Die 'Späterstellung1, die also nicht als absolute Endstellung anzusprechen ist,
könnet dadurch zustande, daß
dem Verb noch Satzglieder folgen können, und zwar vornehmlich nicht-notwendige Ergänzungen und längere oder gewichtige Satzglieder gemäß dem Behagheischen Gesetz der wachsenden Glieder (vgl. Behaghel 1932, 6 ) . Die weitgehend durchgeführte absolute Endstellung des Verbs in der nhd. Schriftsprache ist demgegenüber als jüngere Entwicklung anzusehen, die sich erst im Fnhd. durchsetzte. Die Annahme ursprünglicher Zweitstellung des Verbs vermag seine Späterstellung und schließliche Endstellung in Nebensätzen sowie die Endstellung infiniter Verben nicht zu erklären. Neuere Untersuchungen (Lehmann 1972 u. a.) scheinen zudem die Endstellung als für das Idg. und Germ, bestaunende Verbstellung auch unter typologischen Gesichtspunkten zu bestätigen.
4
Eine prinzipiengeleitete Entscheidung zwischen konkurrierenden Theorien ist 4 Vgl·. aber schon Schneider (1938) , jetzt Friedrich (1976) (dazu kritisch Vennemann 1976) und als kritische Bestandsaufnahme Braunmüller ( 1 9 8 2 ) .
135 im junggrammatischen Paradigma nicht möglich, und zwar deshalb, weil eine übergreifende Sprachtheorie und insbesondere eine Syntaxtheorie mit ausreichender deduktiver Stnilctur im wesentlichen fehlt. Stattdessen werden 'psychologische Kräfte1 der unterschiedlichsten Art (etwa rhythmische Gründe bei Maurer 1926a, 150ff.) oder die Wirkung der 'Analogie1 (so bei Biener 1922, 170f.) beschworen, jedoch ohnö eine Explikation dieser als erklärend betrachteten Prinzipien. So wird etwa mit unterschiedlichen Analogiewirkungen in den verschiedenen germ. Sprachen gerechnet (Biener 1922, 139), ohne daß sich diese prinzipiell vorhersagen ließen. Eine Erklärung ist so jedenfalls nicht zu gewinnen. Zudem verhindert das Fehlen eines Begriffs der syntaktischen Struktur weitgehend eine Beschreibung der Erscheinungen, aus der sich eine Erklärung ableiten ließe: Da die Syntax lediglich als lineare Abfolge von Elementen (Satzgliedern) gesehen wird, kann z.B. eine strukturelle Unterscheidung zwischen der besonders hervorgehobenen zweiten Position bzw. der Endposition und der 'Späterstellung' des finiten Verbs nicht getroffen werden. Folglich treten unterschiedliche Umstellungsmechanismen (Voranstellung des Verbs in die 1. bzw. 2. Position, Umstellung vor infinite Verbteile, Nachstellung (= Ausklammerung) oder Voranstellung nicht-verbaler Satzglieder usw.) kaum als beschreibungs- oder erklärungsrelevante Kategorien in Erscheinung. Was allein interessiert, ist die tatsächlich zu beobachtende lineare Abfolge, ohne daß hinter ihr eine hierarchische Struktur oder eine Derivation gesehen würde. Es ist insofern allerdings erstaunlich, daß sowohl Delbrück als auch Wackernagel eine strukturelle Erklärung für die \ferb-Zweitstellung versuchen, indem sie diese Position gegenüber anderen in der rein linearen Abfolge hervorheben als den Platz für wenig betonte Elemente, die sich quasi enklitisch an die 1. Position anlehnen. In gleicher Weise ist auch Delbrücks Einsicht zu bewerten, daß das'finite Verb in Nebensätzen bei deren vermeintlicher 'Entstehung' durch das nebensatzeinleitende Element wieder an seine ursprüngliche Position am Satzende verdrängt wird. 3.4.2. Fourquet In einem structuralistisch orientierten Neuansatz versuchte Fourquet (1938) die Frage nach der ursprünglich im Germanischen vorliegenden \ferbstellung und ihrer späteren Entwicklung erneut anzugehen, vgl. auch Fourquet (1974). Danach stellt sich die Entwicklung wie folgt dar: Die urtümlichste uns erreichbare Stufe des Germanischen ist im Beowulf repräsentiert (System I): Hier steht das 5 Einen ersten Schritt zur Erfassung der Struktur deutscher Sätze stellt die Entdeckung des 'Satzrahmens 1 und der verschiedenen 'Stellungsfelder 1 dar (Drach 1937; vgl. jetzt Reis 1980). Auf die Diachronie bezogen gibt es dazu einige Untersuchungen, vgl. Schildt (1972, 1 9 7 6 ) , Brandt ( 1 9 7 7 ) , Bolli ( 1 9 7 5 ) , jetzt auch Borter ( 1 9 8 2 ) .
136
Verb innerhalb des zentralen Teils des Satzes am Ende; "periphere Bestandteile" (S. 316) wie Umstandsangaben oder auch das Subjekt können als Thema voranstehen, aber auch nachfolgen, etwa wenn sie besonders gewichtig sind. Diese Abfolge wird als die unmarkierte angesehen, der eine markierte Abfolge mit dem Verb in Anfangsstellung gegenübersteht. Letztere dient zur Hervorhebung des gesamten Satzinhalts. Die Abfolge der Elemente ist: pronominale Satzglieder vor nominalen Satzgliedern. (27a) (27b)
pp ... nn ... v v pp ... nn ...
(Fourquet 1974, 316). (markiert)
In einer auf das System I folgenden ' Zwischenstufe', die durch den ersten Teil der ae. Sachsenchronik
(bis 891) und vom äs. Heliand repräsentiert wird, wird
die Zweitstellung des Verbs in Hauptsätzen vorherrschend, während es in eingeleiteten Nebensätzen in seiner Endstellung im zentralen Teil des Satzes verbleibt, d.h. in einer Späterstellung, der noch periphere Satzglieder folgen können. In dieser Zwischenstufe können pronominale Elemente zwischen dem vorangestellten Satzglied und dem Verb stehen, das also noch keine strikte Zweitstellung auf weist (Fourquet 1974, 316) : (28a) se papa hine hebt Petrus. (der Papst ihn nannte Petrus)
Zweitstellung tritt dagegen nur bei nominalen Satzgliedern (se cyning), aber nicht bei pronominalem Element (he} auf: (28b) (28c)
ilcan geare for se cyning to Rome. (in diesem Jahr fuhr der König nach Rom) £y ilcan geare he for to Rome.
Der merkmalhaften, markierten Konstruktion mit Verb-Erststellung im 'System I 1 entspricht auf dieser 'Zwischenstufe1 zum 'System II' die Voranstellung einer satzeinleitenden Partikel fsa/faer (da) . (28d)
p'a/p'aer for he to Rome.
Erst im 'System II 1 , das z.B. im zweiten Teil der ae. Sachsenschronik
(891-925),
der an. Edda und im ahd. Isidor vorliegt, ist die Zweitstellung des Verbs im Hauptsatz so weit durchgeführt, daß auch pronominale Elemente meistens auf das Verb folgen (29a); - allerdings finden sich Feste der früheren Wortstellung (29b) , die sogar im Isidor noch überwiegen (vgl. Fourquet 1938, 127f.): (29a) (29b)
...: Ih saghem dhir dhazs ... (Isid. 620) ..., ih inan infahu. (Isid. 33o) (Vorlage: suscipiam eum)
Insgesamt ist aber das Bild, das die ahd. Texte bieten, im 'System II' zu beschreiben; es stellt sich nach Fourquet als Ergebnis eines Wandels dar, durch
137
den das Verb in Aussagesätzen aus einer Späterstellung in die Zweitstellung übergetreten war. Dieser Wandel scheint in allen germ. Sprachen seit dem 6. Jahrhundert aufzutreten und ist bis ca. 900 abgeschlossen; - für das Urgerm. wird demzufolge keine ZweitStellung des Verbs angenommen. Fourquet (1974, 322) selber sah im Rahmen seines strukturalistisch begründeten Ansatzes "... in der Klärung des W i e
[des Sprachwandels, JL] einen
wichtigen Fortschritt, insofern wir in den syntaktischen wie in den phonologischen Veränderungen eine strukturelle Kausalität erkennen, einen Druck des Systems. Das Besondere im Falle der Stellungsregeln ist, tive
daß sie die
r e l a -
Stellung der Satzkonstituenten zueinander betreffen: nun sind das aber
Daten, die nicht isoliert werden können, sondern erst in einem Netz von Oppositionen ihre Bedeutung bekommen. Das ist der Hauptgrund, warum der junggrammatische Atomismus hier versagte." Was jedoch auch Fourquets Darstellung nicht vermag, ist,
einen Grund dafür anzugeben, wieso das Verb im Übergang vom
System I zum System II gerade an die zweite Position im Satz tritt, - und nicht etwa an die dritte oder vorletzte usw. Dieser ^fangel beruht auf dem Fehlen einer Iheorie mit ausreichend hierarchischer syntaktischer Struktur, welche sich aus allgemeinen Prinzipien einer Syntaxtheorie ableiten lassen müßten. 3.4.3. Fleischmann Eine entsprechende Kritik trifft, wenn auch aus anderen Gründen, auf Fleischmanns Ansatz zu. Fleischmann (1973) geht in seiner Darstellung der Entstehung des deutschen Nebensatzes von der Theorie aus, die Weinrich (1964) aufgestellt hatte. Dabei hatte Weinrich die Rolle der Verbstellung im Deutschen vor allem in einer textgramtatisch verstandenen 'Reliefgebung1 gesehen, indem er die Zweitstellung des Verbs als Anzeichen für im 'Vordergrund1 stehende Information ansah, die Funktion der Nicht-Zweitstellung (vor allem der Endstellung) des Verbs aber darin, den 'Hintergrund' anzuzeigen. Diese Unterscheidung t
zwischen 'Vordergrund1 und 'Hintergrund' möchte Fleischmann als 'temporale Reliefgebung' (S. 241ff.) anstelle der Unterscheidung in Haupt- und Nebensatz ("logisches Relief) nicht nur auf die textgrammatische (und literaturwissenschaftlich verwendbare) Analyse nhd. lexte anwenden, sondern als grammatisch relevante Unterscheidung auf die Syntax des Ahd. beziehen. Für das And. ist seiner Ansicht nach die Unterscheidung in Haupt- und Nebensatz noch nicht anwendbar, da keine systematische Unterscheidung zwischen adverbiellem und konjunktionalem Gebrauch der meisten (neben-)satzeinleitenden Partikeln möglich erscheint. Die Entwicklung der Verbstellung interpretiert er folglich als Übergang von einer rein 'temporalen Reliefgebung' im Ahd. zu einer gleichermaßen temporalen (im Bereich der Textlinguistik) und logischen (im Bereich der Syntax), wie sie im Nhd. vorliegt.
138
Der Ansatz Fleischmanns ist in einem sorgfältig auf Textanalysen und Literaturkenntnis gestützten Buch ausgeführt. Die von Fleischmann aufgegriffene Theorie der Reliefgebung von Weinrich aber scheint mir insgesamt sehr spekulativ; sie hat m.W. keine weitere Ausarbeitung oder Anwendung gefunden. Durch sie läßt sich zwar eine Änderung in der Funktion der Verbstellung vom (Vor-) Ahd. bis zum Nhd. beschreiben; die theoretische Grundlage erscheint mir jedoch insgesamt wenig explizit und in vielen Einzelpunkten spekulativ und ad hoc. Fleischmann stellt das selber verschiedentlich heraus (S. 81ff., 253ff.). Er versucht zwar, durch gelegentliche genauere Definitionsansätze den insgesamt eher metaphorischen Charakter der Grundbegriffe von Weinrichs Theorie zu präzisieren, aber das theoretische Gebäude selbst bleibt doch insgesamt eher vage. Vor allem stellen sich zwei Probleme: 1. Das Konzept einer 'Reliefgebung1 in 'Vordergrund' und 'Hintergrund' ist kein grammatisches, vor allem kein syntaktisches. 2. Auch für die angesetzten Veränderungen selber wird keine überzeugende Syntaxtheorie vorgelegt. Vielmehr läßt sich schließen, daß Fleischmann (vgl. 1973, 241ff.) die Möglichkeit einer allgemeinen Syntaxtheorie insgesamt in Abrede stellt. Aus diesen Gründen erscheint mir Fleischmanns Ansatz letztlich als nicht geeignet für eine Theorie syntaktischen Wandels. 3.4.4. Der typologische Ansatz; die Sprachwandeltheorie von Vennemann. Entsprechende Einwände sind grundsätzlich auch gegen die typologisch orientierte Theorie des Sprachwandels vorzubringen, wie sie in den 70er Jahren von Vennemann auf der Grundlage der Untersuchungen von Greenberg (1963b) und Lehmann (1972) entwickelt wurde. Hier können weder die angenommenen funktionalen 'Ursachen' voll überzeugen, noch liegt eine Syntaxtheorie im eigentlichen Sinne vor. Nach Greenberg werden Sprachen nach der relativen Abfolge von Subjekt (S), Objekt (O) und Verb (V) im normalen Aussagesatz in sogenannte SOV-, SVO- oder VSO-Sprachen klassifiziert. SOV-Sprachen zeichnen sich unter anderem durch verschiedene meist korrelierende Eigenschaften aus, die als typologische Universalien bezeichnet werden. Lehmann (1972) schloß aufgrund der typischen Abfolge verschiedener Elemente, das Idg. und das Germ, seien SOV-Sprachen gewesen. Nun läßt sich beobachten, daß sich die germ, und rom. Sprachen zunehmend zu SVOSprachen entwickelt haben. Eine Erklärung dafür versuchte Vennemann in einer Reihe von Aufsätzen zu geben (vgl. vor allem Vennemann 1973 und 1974a). Dabei wurden verschiedene, z. T. schon von Behaghel (1932, 3-9) entdeckte Gesetzmäßigkeiten im kategorialgrammatischen Rahmen formalisiert. Von zentraler Bedeutung ist das Prinzip der sogenannten 'natürlichen Serialisierung', das bei
139
der Linearisierung kategorial-graitratischer, rein hierarchisch gegliederter Strukturen zum Tragen kommt. Die entscheidende Einsicht war, daß offenbar semantisch ähnliche Verhältnisse zwischen zwei zusammengehörigen Satzgliedern vorwiegend durch die gleiche Abfolge dargestellt werden. So steht z.B. das spezifizierende Element (Operator) entweder stets vor dem spezifizierten (Operand) oder umgekehrt. Es ergab sich, daß OV-Sprachen (mit einigen Ausnahmen) die Abfolge Operator - Operand bevorzugen, während sich in VO-Sprachen vornehmlich die entgegengesetzte Abfolge findet. Der Schluß lag nahe, daß Abweichungen von diesem generellen Schema als markierte Strukturen anzusehen sein mußten, die einer gesonderten Erklärung bedurften. Das Prinzip der "natürlichen Serialisierung1 selber konnte als Grundsatz der Universalgrammatik angesehen werden, aus dem sich die jeweiligen unitarkierten Abfolgen der Satzglieder ableiten lassen (vgl. Vennemann 1974a, 347):
f [Operator [Operand]]:
in XV-Sprachen
[[Operand] Operator]:
in VX-Sprachen
{Operator ( {Operand} )} ,
'
Das heißt, daß in Sprachen, in denen im normalen Aussagesatz das Verb am Ende des Satzes steht, also nach allen Ergänzungen, der Operator stets dem Operanden vorausgeht. Entsprechend gilt die Abfolge Operand - Operator für VX-Sprachen, in denen das Verb vor allen Ergänzungen steht. Ein Beispiel aus dem Deutschen und Englischen zeigt das: s
>
[Apfel {Äpfel ( {essen} )}
[essen]] : im Deutschen
==> [[eat] apples]
: im Englischen
(Apfel = Operator, spezifiziert den Operanden = essen, also: 0 ( V ) ) .
Das Schema stellt eine generelle Aussage über die 'natürliche Serialisierung' sämtlicher Satzglieder dar, die im Operator- Operand - Verhältnis zueinander stehen. Zur Ermittlung dessen, welches von zwei aufeinander bezogenen Satzgliedern jeweils als Operator bzw. Operand anzusehen ist, dient das Prinzip der sog. 'Kategorienkonstanz1, welches im Rahmen der Kategorialgrammatik zu definieren ist. Abweichungen von einer konsistenten Serialisierung im Sinne dieser allgemeinen Gesetzmäßigkeit sind nun nach Vennemann als Ergebnisse von Sprachwandel zu betrachten. Auf den uns speziell interessierenden Fall bezogen stellt sich seiner Ansicht nach die Entwicklung wie folgt dar: Das Idg. kann nach Lehmann (1972) als SOV-Sprache angesehen werden, die entsprechend Greenbergs Universalie 41 (1963b, 96) über ein Kasussystem verfügt, das eine ausreichende morphologische Differenzierung verschiedener nominaler Satzglieder, also insbesondere von Subjekt und Objekt erlaubt. Wenn nun ein Satzglied als Ihema vorangestellt
140
wird oder um es kontextuell besonders hervorzuheben, ergeben sich folgende Sequenzen in SVX-, VSX- und SXV-Sprachen :(nach Vennemann 1974a, 355f.}: Type "Unmarked" order
NP S
NP
"Marked" order
NP 0
NP S
VSX
SVX
SXV
V V
(topical or Same focused object)
NP S
V
NP 0
NP S
NP
V
NP
NP
S
Different
V
NP 0
V
NP S
Different
Diese Voranstellung eines nominalen Satzgliedes führt in SXV-Sprachen nur dann nicht zur Anbiguität zwischen SXV- und XSV-Abfolge, wann S und X durch eine ausreichende Kasusmorphologie eindeutig unterschieden sind. Wenn nun in einer SXV-Sprache die Kasusunterscheidung durch phonologischen Wandel verloren geht, so müssen andere formale Mittel die Unterscheidung zwischen rrarkierter XSVund unnarkierter SXV-Struktur übernehmen. Dies kann nach Vennemann dadurch geschehen, daß das Verb zwischen das topikalisierte Satzglied (T) und das folgende Subjekt tritt. Es ergeben sich dann folgende Strukturen: SXV TVSX
mit Subjekt als Thema sonst.
Eine derartige Sprache nennt Vennemann eine TVX-Sprache; die Verb-Zweitstellung in TVSX setzt sich dann seiner Meinung nach analogisch durch und erfaßt auch unmarkierte Strukturen mit thematischem Subjekt, so daß sich schließlich die folgenden Strukturen ergeben: SVX unmarkiert, Subjekt ist Thema TVX markiert; Thema t Subjekt.
Da nach Vennenanns (1974a, 360) Ansicht in der Mehrzahl Subjekte als Thema fungieren, wird dieses TVX als SVX-Struktur uminterpretiert, so daß sich damit eine SXV-Sprache über eine TVX-Sprache schließlich zu einer SVX-Sprache gewandelt hätte (Vennemann 1974a, 361, 371). Dabei ist der erste Schritt dieses Wandels (SXV ·> TVX) f u n k t i o n a l erklärt, während der zweite {TVX ->· SVX) als a n a l o g e r Wandel gesehen wird. Wie aber soll man sich den Übergang von einer SOV-Abfolge zu einer SVO-Abfolge vorstellen? An diesem Punkt bietet die *afterthought-Hypothese' von Hyman (1975) eine Erklärung an. Es ist in einer SOV-Sprache zunächst als reine Performanz-Erscheinung zu bewerten, wann man nach Nennung des Verbs noch ein Satzglied nachträgt, das man vergessen hat und das einem für das Verständnis des jeweiligen Satzes als wichtig erscheint. Diese Möglichkeit des 'Nachtrags'
141
kann dann als zunächst rein stilistische Alternative schließlich voll grammatikalisiert werden, wodurch auf das Verb immer häufiger Satzglieder folgen, Bas liegt z.B. in der sogenannten Ausklammerung vor, die in der Sprachgeschichte des Deutschen eine große Pollc spielt. Textgrairmatisch ist zudem ein solcher 'Nachtrag1 nach Sasse (1977, 128ff.) vorteilhaft, da er es erlaubt, sprachliches Iteterial ans Satzende zu stellen, welches im Folgesatz als thematisch wiederaufgenonmen wird, vgl. auch Dressler (1969) . Auf diese Weise wird also ein ungestörtes Fortschreiten im Diskurs ermöglicht. Entsprechend hatte auch Vennemann (1974a) die Ausklammerung als wesentliches Mittel bei der Umstellung von SOV zu SVO angesehen. Dies erweist sich jedoch am Beispiel der Sprachgeschichte des Deutschen nicht als überzeugend, da sich hier ein Abnehmen der Ausklammerung seit dem Ahd. beobachten läßt (vgl. Kavanagh 1970), so daß man - ganz im Gegensatz zu Vennenanns Voraussage - wohl eher von einer entgegengesetzten Tendenz zur Verfestigung einer SOV-Abfolge ausgehen müßte. Dafür spricht auch das Entstehen von Postpositionen im Fnhd. (vgl. Scaglione 1981, 173) , die ja in einem konsistenten CSV-Typ zu erwarten sind. Unsere unten entwickelte Barstellung zeigt darüber hinaus, daß die Ausklamrerung wohl nur als eine von verschiedenen syntaktischen Möglichkeiten (V-Voranstellung, V-Anhebung, V-Umstellung) anzusehen ist, die erst in ihrem Zusammenspiel zu einer entsprechenden Umstrukturierung von einer SOV-Abfolge zu einer SVO-Abfolge führen. Diese Theorie der Körtstellungsveränderung erscheint auf den ersten Blick plausibel und wird in manchen Details überzeugend vorgetragen. Dennoch sind bei näherem Hinsehen manche Dinge unklar und spekulativ, so z. B. die Frage, wieso sich einerseits die Verbzweitstellung in TVX auch auf Fälle mit Subjekt-Thema (SOV) analog ausbreitet, während andererseits der analoge Wandel von TVX zu SVX stattfinden soll. Beide Veränderungen beruhen doch offenbar auf der Uminterpretation (oder: Re-Analyse) einer Struktur im Sinne einer anderen, die als Modell wirkt. So scheint TVX als Kbdell für die Fälle SOV zu wirken. Wieso? Soll man annehmen, daß die Fälle mit TVX besonders häufig auftraten, etwa häufiger als Fälle mit topikalisiertem Subjekt, das ja keine Verb-Zweitstellung verlangt? Vtenn das aber der Fall ist, wie kann man dann behaupten, Subjekte seien in der Mehrzahl als Themata anzusehen, weshalb im zweiten Schritt TVX als SVX analog interpretiert wird? Daneben gibt es mehrere grundsätzliche Einwände. So scheint insbesondere die Disambiguierungshypothese unhaltbar, nach der das Verb zwischen ein topikalisiertes Satzglied und das Subjekt tritt, um bei Verlust einer eindeutig unterscheidenden Kasusmarkierung eine Disambiguierung zwischen XSV (=> XVS) und SXV zu ermöglichen. Diese Vorstellung stimmt aus mehreren Gründen nicht mit
142
den tatsächlichen Verhältnissen überein: Zum einen stehen einer Sprache gewöhnlich auch andere ißglichkeiten zur Hervorhebung eines Iheitas zur Vergütung als die Voranstellung des betreffenden Satzgliedes, so daß eine Ambiguität trivialerweise deshalb nicht aufzutreten braucht, veil die möglicherweise ambige Struktur XSV vermieden wird (vgl. Klein 1975, 54). Fassivbildung, Cleft-Konstruktionen, morphologische und intonatorische Markierung des Themas sind nur einige alternative r-öglichkeiten (vgl. Sasse 1977, 88). Zudem scheint Anbiguität desungeachtet absolut tragbar, wie z. B. die TVX-Konstruktion des Nhd. zeigt: Die Mutter T a ) b)
S O
küßte V V V
die
Tochter X O S
Die gewöhnlich zu beobachtende Bevorzugung der SvO-Interpretation scheint dabei rein pragmatisch begründet, da offenbar die Deutung 'actor - action - goal1 als 'normale' Wortstellung bevorzugt wird (vgl. Höhe 1979, 430). Davon abgesehen aber sind beide Lesarten im Nhd. weder durch Intonation noch auf sonst eine Vfeise disambiguiert oder disambiguierbar. Entsprechendes ist verschiedentlich an Beispielen von Sprachen gezeigt worden, die SOV-Wörtstellung und Voranstellung aufweisen, aber keine ausreichend differenzierende Kasusmqrphologie besitzen (vgl. Sasse 1977). Weitere Kritik ist an den unscharfen Definitionen der grundlegenden Begriffe der SOV- bzw. SVO-Sprache sowie des Prinzips der Kategorienkonstanz geübt worden. Zur Begründung der Ausbreitung bestinmter Strukturen berufen sich typologische Ansätze im wesentlichen auf das Konzept der Analogie (vgl. Vennemann 1974b, auch Sasse 1977, 126f.). Hierzu sind m. E. folgende Einwände zu machen: Durch die Berufung auf die Analogie wird jede Sprachwandeltheorie im Grunde empirisch unangreifbar, solange keine überzeugende und differenzierte Analogietheorie vorliegt (vgl. dazu Mayerthaler 1980) : Jeder beobachtete Wandel ist post faction als 'analog' zu bezeichne^, und zwar entweder, indem man die sich neu durchsetzende Form als Analogie zu besonders häufig auftretenden 'normalen1 oder 'unmarkierten' Formen ansieht oder - falls das versagt - dadurch, daß man für eine offenbar als Mister für die Analogie geltende 'markierte1 Form annimmt, sie sei aus irgendeinem Grund
f u n k t i o n e l l
so günstig gewe-
sen, daß sie ihren besonders markierten Ausdruckswert verloren habe und damit gleichsam als neue Variante der ursprünglichen unmarkierten Form zu betrachten sei. Wie ich oben ausgeführt habe, wird die Wbrtstellungsveränderungstheorie Vennemanns durch dieses zweigleisige Verfahren gekennzeichnet, das sich je nach Lage stets eine der alternativen >ßglichkeiten der Analogiebildung offenhält.
143 Angesichts dieser hier nur kurz referierten Kritik (vgl. Anm. 2, S. 126) fällt es schwer, Vennemanns universell gedachte Iheorie der Wortstellungsveränderung beizubehalten. 3.4.5. Erwerb der Verbstellung durch Kinder. Sowohl für die typologisch fundierte Theorie der Wortstellungsveränderung wie für transformationsgraituratische Ansätze zur Ermittlung einer 'zugrundeliegenden1 Wortstellung im Deutschen sind Untersuchungen zum kindlichen Syntaxerwerb herangezogen worden. Die ersten Studien dazu zeigen z. T. widersprüchliche Ergebnisse und sind nach Clahsen (1982) methodisch anfechtbar, da sie entweder nicht über ausreichende Daten verfügen, oder an zweisprachig aufgewachsenen Kindern durchgeführt wurden. Zudem unterstellten sie teilweise eine semantische Erklärbarkeit der bevorzugten syntaktischen Muster. Clahsen zeigt demgegenüber, daß der Erwerb der Verbstellung im Deutschen als autonom syntaktisch zu betrachten ist und nach strengen Entwicklungsgesetzen verläuft. Er stellt folgende Stadien beim Erwerb der Verbstellung fest: Nachdem zunächst konsequent die Verb-Endstellung bevorzugt wird und keine Trennung zusammengesetzter Elemente zu beobachten ist, treten etwa ab dem 29. Monat finite Verben auch in Zweitstellung auf. Alle zusammengesetzten Elemente verbleiben in Endstellung. Etwa ab dem 37. Monat werden zusammengesetzte Elemente ggf. getrennt, und das finite Verb (oder der finite Verbteil) tritt in Zweitstellung auf. Damit ist die richtige Verbstellung für Hauptsätze ausgehend von absoluter Endstellung in zwei Stadien erlernt worden, die sich als Erwerb zweier Verbstellungsrestriktionen formulieren lassen (Clahsen 1982, 6 1 ) : 1) Verbstellungsrestriktion I: "Verbale Elemente, die nicht-tempustragende verbale Bestandteile enthalten, stehen am Satzende." 2) Verbstellungsrestriktion II: "Tempustragende Verben und tempustragende Bestandteile zusammengesetzter verbaler Elemente stehen an der zweiten Position im Satz." (Vom Erwerb der Verb-Erststellung im Fragesatz etc. ist hier abgesehen worden; sie folgt offenbar einer entsprechend umformulierten Restriktion II.) Verbstellungsrestriktion II impliziert Verbstellungsrestriktion I, ist also als präzisere Fassung der ersten, noch unscharfen Hypothese zu betrachten. Dabei ist jedoch entscheidend, daß schon mit der Verbstellungsrestriktion I alle rein syntaktisch gesehen nicht-akzeptablen Abfolgen konsequent ausgefiltert werden: Die Abfolge mit nicht-tempustragendem verbalen Element in zweiter Position ist unmöglich. Damit treten verbale Elemente in diesem Stadium des Syn-
144
taxerwerbs nur noch an Positionen auf, die sie in der Zielsprache, dem Nhd. der Erwachsenen, auch tatsächlich einnehmen können. Diese Übereinstiitinung mit der Vfortordnung der perzipierten Sprache ist allerdings rein syntaktisch zu sehen; - eine funktionale Differenzierung nach Hauptsatz- und Nebensatz-Wortstellung findet noch nicht statt. Da in diesem Stadium des Spracherwerbs noch keine eindeutig als solche erkennbaren Nebensätze produziert werden, ist der einzig mögliche Fehler der, daß Hauptsätze noch mit Nebensatzwortstellung auftreten können. Erst durch den Erwerb der Verbstellungsrestriktion II ist die richtige Verbstellung in Hauptsätzen garantiert. Überraschend ist folgende Feststellung: Die anfangs vorherrschende Endstellung sämtlicher verbaler Elemente wird schrittweise zugunsten der Zweitstellung des finiten Verbs (oder Verbteils) im Hauptsatz aufgegeben. Etwa vom 40. Monat ab werden bewußt Nebensätze produziert; in ihnen läßt sich kein Fehler der Verbstellung anchweisen: von Anfang an wird das finite Verb ans Satzende gesetzt (S. 68), und zwar auch dann, \«nn eine satzeinleitende Konjunktion gelegentlich ausgelassen wird. Eine Ubergeneralisierung der (mit Verbstellungsrestriktion II) erlernten Kauptsatz-Verbstellung, die, für den Zweitsprachenerwerb geradezu typisch ist, läßt sich beim Erstsprachenerwerb nicht beobachten! Clahsen weist nach, daß die Erklärung für dieses Phänomen nicht in mangelnden Daten oder in falschen Erhebungsmethoden liegen kann. Er folgert daher, daß die Nebensatz-Verbstellung offenbar schon vor der Erlernung der Hauptsatz-Verstellung erworben ist,
so daß Kinder beim Erwerb von Nebensätzen lediglich die
funktionale Zuordnung von Verb-Endstellung als Anzeichen der syntaktischen Unterordnung erlernen müssen. Aus diesen Ergebnissen läßt sich für uns folgendes ableiten: 1) Syntaxerwerb bei Kleinkindern ist in einem gewissen Grade a u t o n o m : Verbstellungen werden zunächst unabhängig von ihrer Funktion erlernt; eine funktionale Festlegung erfolgt erst später, z. T. (Nebensätze) gegenüber der Beherrschung der Form selber stark verzögert. 2) Die Verb-Endstellung scheint die ursprünglich erlernte Form zu sein; VerbZweitstellung wird schrittweise in zwei jeweils präziseren Hypothesen (Verbstellungsrestriktion I und II) später erlernt. 3) Ein Beweis für die vermutete Analogiewirkung der Hauptsatzwortstellung auf Nebensätze (Vennemann 1974a) ist nicht erbracht; im Gegenteil: Nebensätze weisen konsequent Verb-Endstellung auf, obwohl sie erst nach Hauptsätzen erlernt werden. In diesen Schlußfolgerungen sehe ich ein Indiz für die Richtigkeit einer zugrundeliegenden SOV-Struktur in der Basis sowie für die darauf aufbauende ^ 3glichkeit der (transformationellen) Umstellung des Verbs, die zudem an das Merkmal [+Tps]
145
gebunden ist. Auch sprechen sie gegen die von Vennemann (1974a) behauptete Tendenz des Deutschen, sich zur SVO-Wbrtstellung hin zu entwickeln. Zumindest der Spracherwerb bietet kein Indiz für diese Annahme. 3.5.
Ein generativer Erklärungsversuch
3.5.1. Allgemeines Im folgenden soll versucht werden, die Entwicklung der Verbstellungsregularitäten bis zum Nhd. im Rahmen der REST darzustellen. Dabei gehe ich von der Erfassung der Verbstellung im Nhd. aus, die, wie bereits oben (Kap. 2) angedeutet wurde, auf diese Weise deduktiv erklärt wird. Diese Iheorie wird auf die diachrone Entwicklung übertragen. Dabei wird zu zeigen sein, daß sie im Prinzip alle Strukturen früherer Sprachstufen erfaßt. Wo sich Abweichungen ergeben, lassen sich diese durch geeignete Wahl sprachspezifischer Parameter beschreiben, so daß der im engeren Sinne syntaktische Wandel als Veränderung in solchen Bereichen dargestellt wird die auch synchron einer vergleichbaren Variation unterliegen. Ich gehe von der in Kap. 2 entwickelten Struktur (30) aus:
( 3 °)
x" '
^ , NP, pp, ...}
fin
"move
1
fakultative Tilgung
Wenn man diese Analyse auf die diachrone Entwicklung der Verbstellung im Deutschen überträgt, ergibt sich folgendes: Für die betreffende syntaktische Entwicklung seit dem Ahd. müssen keine wesentlichen strukturellen Veränderungen angenommen werden. Lediglich die vor dem Ahd. neu aufkommende Erst- bzw. Zweit-
146
Stellung des finiten Verbs ist möglicherweise als struktureller Wandel aufzufassen, der darin besteht, daß bestimmte Parameter auf der S-Ebene neu festgelegt werden. Dieser autonom syntaktische Wandel wird im letzten Abschnitt (3.6.) im Hinblick auf eine typologische Theorie in manchen Aspekten diskutiert. Zum besseren Verständnis der im folgenden dargestellten Beschreibung sollen einige Aspekte nochmals kurz hervorgehoben werden, die schon bei dem knappen Abriß der geschichtlichen Entwicklung ihren Niederschlag fanden. Es handelt sich um die grundlegenden Konzepte der M o d u l a r i s i e r u n g und der P a r a m e t r i s i e r u n g :
Die Beschreibung wird insofern modularisiert,
als im Gegensatz zu früheren Darstellungen gerade nicht versucht wird, sämtliche Aspekte der Verbstellung gemeinsam in einer Regel zu erfassen. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß sich die Stellungsregularitäten aus dem Zusammenspiel mehrerer, jeweils für sich einfach zu formulierender, miteinander interagierender Regeln ablieten lassen. Ausgangsstruktur ist stets eine basisgenerierte Struktur mit Endstellung des finiten Verbs:
(31!
^—^ ^—^ INFL [+Tps]
finites Verb
Auf der Grundlage dieser Struktur kann eine 'Voranstellung1 des \ferbs in die basisgenerierte Position GCKF auf der S-Ebene stattfinden: 6 Die Ableitung des finiten Verbs aus dem abstrakten Element INFL und dem unmittelbar vorhergehenden Verb wird hier nicht näher behandelt, da sie für die Argumentation nicht wesentlich ist; zu Einzelheiten vgl. u.a. Safir ( 1 9 8 2 ) , den Besten/Edmondson (1981) sowie die dort erwähnte Alternative von Gazdar/Pullum/Sag ( 1 9 8 1 ) , vgl. Pullum/Wilson ( 1 9 7 7 ) . In der vorliegenden Arbeit wird folgende Lösung angenommen: INFL ist ein abstraktes Element, das die Merkmale [Tps], [Person] und [Numerus] enthält. Die beiden letzten stehen in Kongruenz zum Subjekt, [aTps] ist in Kongruenz zu COMP. Die Bildung des finiten Verbs geschieht durch eine lokale Regel, d i e ' ( i ) in (ii) ableitet: (i)
(ii)
S
INFL
>
VP"
"iNFL/V l
Die korrekte Form von INFL/Vj wird durch morphonologische Regeln festgelegt. Alternative Analysen werden von Platzack (1983) und Haider (1982) vorgeschlagen.
147 (32) COMP
'V-Voranstellung' (move a)
Die Konstituente CQMP ist durch das Merkmal [+Tps] als 'Landeplatz' für diese Voranstellung ausgezeichnet, die als Anwendung der kemgrammatisch vorgegebenen Regel 'move 1 anzusehen ist. Die einzelsprachlich vorgenommene Parametrisierung besteht darin, daß 'a' im Deutschen neben Elementen mit dem Merkmal [+W] (W-Phrasen, Fragepronomina) oder [-W] (NPs) auch solche mit dem Merkmal [+Tps] umfaßt. Hinzu kommt die (fakultative) Möglichkeit, ein anderes Satzglied (X") voranzustellen; diese Position ist vermutlich basisgeneriert. Sprachspezifische Unterschiede in der Topikalisierungsmöglichkeit und der sog. 'Inversion' (etwa zwischen dem Engl. und dem Dt.) lassen sich durch leicht unterschiedliche Definitionen der satzeinleitenden Positionen X" und CQMP erfassen, (vgl. dazu Fiatzack 1983) , also durch eine geeignete 'Parametrisierung'. Zusätzlich werden die so erhaltenen Möglichkeiten der Verbstellung durch folgende stilistische Umstellungen betroffen: Es können Satzglieder über die rechte Satzgrenze hinaus ausgeklammert werden; dadurch erscheinen finite Verben bzw. die am S-Ende verbleibenden infiniten Verbteile in scheinbar vorgezogenen Positionen, was den u. a. von Behaghel verwendeten Begriff der 'Späterstellung1 des Verbs (im Gegensatz zur absoluten 'Endstellung') motiviert hat. über die genaue Struktur nach der Ausklammerung liegen m. W. für das Deutsche keine überzeugenden Argumente vor; in Anlehnung an Beschreibungen des Englischen (Emonds 1976) nehme ich "Chomsky-Adjunktion1 an. Auf die weitere Argumentation hat diese Entscheidung m. W. keinen Einfluß; - es muß lediglich festgehalten werden, daß Verb-Voranstellung in COMP und Ausklammerung von X" voneinander unabhängige Umstellungsoperationen sind. Manche Indizien bei der sprachstufenspezifischen und stilspezifischen Auswahl der Elemente, die ausgeklammert werden können, sprechen dafür, diese Regel als rein stilistische Umstellungsregel anzusehen. Andererseits übt sie einen Effekt auf die logische Form (LF) des Satzes aus. Ich lasse die Frage hier offen, ob Ausklammerung als 'move ' oder als rein stilistische Umstellungsregel anzusehen ist.
148
Schließlich gibt es im Deutschen die Möglichkeit, ein am Satzende verbliebenes Verb unter bestimmten Bedingungen v o r infinite Elemente des verbalen Komplexes umzustellen. Ich nenne diese Regel 'Verb-Umstellung1 (im Gegensatz zur 'Verb-Voranstellung1, die Anfangs- bzw. Zweitstellung bewirkt). Sie erfaßt ggf. auch infinite Verbteile und ist im wesentlichen eine stilistische Umstellungsregel: sowohl synchron wie diachron unterliegt sie starker Variation und dient in der Gegenwartssprache im allgemeinen als stilistisches JVterkmal bestimmter Dialekte. Im Hochdeutschen tritt sie bei sogenanntem 'doppeltem Infinitiv1 (oder: 'Ersatzinfinitiv') obligatorisch auf, ist aber auch in diesem Fall z. T. abhängig von Art und Anzahl der beteiligten Verben. (33a)
'Verb-Umstellung' (33b)
... weil er mich hat sehen wollen— . t
;
l
(33c) Er wird mich haben sehen wollen -| .
Damit ist die für die Beschreibung der Verbstellung wesentliche Msdularisierung gegeben. Die daneben erforderliche Parametrisierung betrifft folgende Aspekte: Wie schon angedeutet, wird 'a 1 in der allgemeinen und von der Kerngrammatik gegebenen Anweisung 'move
', durch die sich bestimmte für die LF relevante Um-
stellungen erfassen lassen, im Deutschen auch auf Elemente mit dem Merkmal [+Tps] (also finite Verben) bezogen. Das war möglicherweise in früheren Sprachstufen des Germ, mit konsequenter Endstellung des Verbs nicht so, so daß ein Teil des syntaktischen Wandels, der zur heutigen Verbstellung führte, mit dieser Erweiterung der Definition des Parameters 'a' um [+Tps] erfaßt wird. Weitere Festlegungen von Parametern, die in der Kerngrammatik unspezifiziert bleiben, sind im X-System der Basis vorzunehmen. So erscheint es auf den ersten Blick so, als sei diachron gesehen im Germ. (Fourquet, 1938; 1974 'System I ' ) eine Regel S —> COMF S hinzugefügt worden, durch die eine Position CQMP für die Anfangsstellung des Verbs geschaffen wurde. So betrachtet hätten wir es mit einer relativ unmotivierten Pegel-Hinzufügung
zu tun, also einem Typ syn-
taktischen Wandels, der an sich nicht durch die Kerngrammatik als Möglichkeit gegeben ist.
Da eine Regelhinzufügung nicht im Rahmen der Gramnatiktheorie de-
finiert ist,
erforderte dieser Mechanismus eine allgemeine Sprachwandeltheorie,
aus der er sich als möglicher Typ des Grammatikwandels ableiten ließe. Zudem
149
müßte spezifiziert warden, wieso etwa Pegeln irgend einer anderen Art (S —> CQMP S COMP; S —> COMP COMP COMP S etc.) nicht einer Grammatik hinzugefügt werden können, also keine mögliche Art syntaktischen Wandels repräsentieren. Wenn es uns dagegen gelingt, die vermeintlich 'neue' Regel S -> GOMP S aus allgemeinen Prinzipien der Grammatiktheorie selber abzuleiten, so erübrigt sich die Notwendigkeit einer eigenen Theorie syntaktischen Wandels in diesem Bereich. Genau das scheint mir durch eine geeignete Parametrisierung kerngrammatisch gegebener Möglichkeiten erreichbar. So sind ja insbesondere die Basisregeln durch die X-Theorie in ihrer prinzipiell möglichen Form festgelegt. Dazu gehört vor allem das Prinzip, daß eine nicht-minimale Kategorie (d. h.
, nXD)
sich stets in eine Hauptkonstituente (head, 'Nukleus') vom gleichen Typ und eine fakultative modifizierende Konstituente (specifier,
'Satellit') expandie-
ren läßt: (34) Xn —> (Spec)
-1
oder: x" —> x"'1 (Spec)
Dieses allgemeine Prinzip der X-Theorie läßt mehrere Parameter offen, die einzelsprachlich zu fixieren sind, so etwa Vorhandensein und Art des Satelliten (Spec) je nach kategorieller Stufe (n) und Art des Nukleus ( X ) . Als Beispiel mag die Festlegung bei der Regel im Nhd. dienen, die NP expandiert: NP —> (Det) N (im X-System: N —> (Det)N). Das spezifizierende Element 'Det* ist hier fakultativ, kann also völlig fehlen, etwa bei Eigennamen. Es steht zudem vor dem Nomen und nicht hinter ihm wie z.B. in den skandinavischen Sprachen. Zusätzlich gilt, daß 'Det1 phonologisch getilgt wird, wenn es [+P1, -spez.j ist: Im Gegensatz zum Frz. fehlt das unbestiimtte Pronomen im Plural (des tables 0 Tische). Vergleichbare sprachspezifische Festlegungen offener Parameter liegen in dem uns interessierenden Fall der Regel S. —> (CCMP) S vor. Die allgemeine Form der Regel ist in der X-Theorie (als Teil der Grammatiktheorie) gemäß (34) vorgegeben, wobei die Linearisierung zunächst offen bleibt. SOV-Sprachen weisen in der Regel eine Nachstellung von Konjunktionen, Relativpartikeln und ähnlichen satzspezifizierenden Elementen auf, wenn sie solche Elemente überhaupt besitzen. Wenn aber das Germ, zumindest in Grundzügen als eine SOVSprache anzusehen ist, I
1
dann ergibt sich, daß es beim Übergang zum sog. 'System
(Fourquet 1938, 1974) mit der markierten Möglichkeit der Verberststellung
(und der zu satzeinleitenden Partikeln) einen Wandel in der Festlegung der linearen Abfolge von COMP und S vollzogen hat. Es wurde also durch andere Festlegung des in (34) offenen Parameters 'Reihenfolge' die Regel (35) angenommen: (35) S —> (COMP) S
150
Zusätzlich ist
'Spec1 als COMP festgelegt worden, das mit dem Merkmal [+Tps]
sowohl satzeinleitende Konjunktionen wie finite Verben dominieren kann. Von einer 'Eegelhinzufügung' ist also in dieser Sicht nicht zu sprechen, sondern lediglich von einer veränderten Festlegung freier Parameter in einer an sich von der Grammatiktheorie vorgegebenen Regel. Dieser Wandel, der sich im Rahmen der Möglichkeiten abspielt, die von der Grammatiktheorie gegeben sind, ist möglicherweise geringer als hier dargestellt. So ist wohl schon für das Germ, mit dem Vorhandensein satzeinleitender Partikeln zu rechnen, - zumindest läßt das Auftreten von satzeinleitenden Partikeln, Konjunktionen und Relativpronomen in anderen idg. Sprachen (Lat., Gr.) ein höheres Alter der Abfolge GQMP S vermuten. Trifft das auch für das Germ, zu, dann besteht der Wandel zum System I lediglich in der Festlegung von [+Tps] als Merkmal von COMP, wodurch die Voranstellung finiter Verben ermöglicht wurde (zu Einzelheiten vgl. Lenerz 1984). Weitere Parametrisierungen betreffen die Klasse der jeweils einzelsprachlich einer Kategorie zuzurechnenden Lexeme. Die Subkategorisierung von Konjunktionen verändert sich z. T. sehr rasch, vgl.
Kap.
2.
Mit diesem Überblick sind die Prinzipien der Modularisierung und der Parametrisierung, auf denen sich die folgende Darstellung der Bitwicklung der Verbstellung im Deutschen gründet, in ihren wesentlichen Zügen angesprochen. Wenden wir uns nun der Beschreibung der jeweils möglichen Strukturen im einzelnen zu: 3.5.2. Die zugrundeliegende Verbstellung Die Endstellung des finiten Verbs scheint im Idg. und im Germ, die Regel gewesen zu sein, wie Lehmann (1972) es in seiner Rekonstruktion der idg. und germ. Syntax auf der Grundlage der Universalien von Greenberg (1963b) nachwies. Davon ging auch Fourquet aus, der erkannte, daß das finite Verb im Germ, im "zentralen Teil" (1974, 31) des Satzes am Ende stand. Diese Endstellung kann allerdings, wie gesagt, dadurch verschleiert sein, daß bestimmte Konstituenten dem Verb nachgestellt werden. Diese für das Germ, geltende Beschreibung ist voll auf die Endstellung der späteren Sprachstufen des Deutschen übertragbar, gilt also vom Germ, bis zum Nhd., wobei vom Fnhd. an die schriftsprachliche Normierung Ausklammerungen weitestgehend untersagt; in nicht-normiertem Sprachgebrauch sind sie jedoch in vergleichbarem Maße nachweisbar wie in älteren Sprachstufen. Es werden also als Expansion von S zunächst Basisregeln angesetzt, die vom Germ, bis zum Nhd.
unverändert bleiben. Die dadurch generierte zugrundeliegende
SOV-Abfolge findet sich in Nebensätzen des Nhd. beispielhaft erfüllt. Fast alle
151
Fälle absoluter Endstellung des finiten Verbs von Germ, bis zum Nhd. sind so durch die gleiche Struktur erfaßt. Lediglich eine bestiimtte ißglichkeit der Verb-Endstellung, wie sie in poetischen Texten und in fnhd. erzählender oder berichtender Prosa (nicht jedoch in Gesprächspartien, vgl. Behaghel 1932, 20) auftritt, erfordert eine andere Analyse auf der Grundlage einer nicht durchgeführten Zweitstellung des finiten Verbs (dazu s. u. 3.5.5.). 3.5.3. Die Anfangsstellung des finiten Verbs Folgt man der Analyse von Fourquet (1938; 1974), so besteht die entscheidende Veränderung der syntaktischen Struktur im frühesten Ae. (Beowulf) gegenüber dem Urgerm. darin, daß das Verb nun auch in der Spitzenposition am Satzanfang auftreten kann. Zusätzlich bleibt die alte Späterstellung des Verbs erhalten. Dabei hat die Anfangsstellung gegenüber der unmarkierten Späterstellung eine besondere Punktion, meist als Indikator für Satzfrage, Imperativ (bei gleichzeitiger Subjekt-Tilgung) und zur "Hervorhebung des Satz I n h a l t s
(nicht des Verbs
allein!)" (Fourquet 1974, 316) . Eine solche Voranstellung des finiten Verbs ist im Fahrnen der hier zugrundegelegten Theorie nur durch 'move
1
möglich und soll-
te als solche eine strukturerhaltende Regel im Sinne von Emonds (1976) sein, da es sich nicht um eine 'minor movement rule' oder eine stilistische Regel handelt VJie ausführlicher in Lenerz (1981a) gezeigt wurde, ergibt sich im Nhd. die strukturerhaltende Eigenschaft der Verb-Voranstellung ebenso wie die Nichtanwendung dieser Regel in eingeleiteten Nebensätzen aus der zugrundegelegten Struktur auf der S-Ebene, wenn man annimmt, daß es sich bei COMP und dem finiten Verb um Konstituenten mit dem gleichen Merkmal t+Tps] handelt, vgl. 2.4.2. Nebensatzeinleitende Konjunktion und satzschließendes finites Verb sind also in gewisser Hinsicht als
ein
diskontinuierliches Element anzusprechen.
Um nun eine Voranstellung des finiten Verbs im Germ, des 'Systems I 1 plausibel zu machen, also etwa auf der Sprachstufe, die durch den ae. Beowulf repräsentiert wird, muß eine Struktur (32) angenoirmen werden. COMP hat dabei in finiten Sätzen das Merkmal [+Tps]. Wenn man annimmt, daß das Germ, vor diesem Stadium eine Voranstellung des Verbs nicht kannte, dann ist die neue Struktur (32) als Re-Analyse einer durch stilistische Voranstellung generierten Struktur (36) zu interpretieren (zum Idg. vgl. Dressler 1969). (36a)
(36b)
S 1
ChomskyAdjunktion '
Voranstellung
152
Diese Struktur ist identisch mit der basisgenerierten Struktur (32); dabei ist die Regel durch die Grammatiktheorie als 'mögliche syntaktische Regel1 vorgegeben. Die Re-Analyse ist also wie in (37) zu deuten: Re-Analyse
(37a)
(37b)
fin
stilistische Voranstellung
'move
1
Allerdings erscheint mir die Frage nach der Genese ähnlich der nach Henne und Ei: Die 'Chomsky-Adjunktion1 in (36a) scheint ihrerseits wohl nur möglich aufgrund der kerngrammatisch gegebenen Struktur (32) = (37b), so daß Voranstellung des Verbs in (36) und die Peanalyse in (37) Hand in Hand gehen und einander bedingen (vgl. Baltin 1982). Vor allem gibt es Grund zur Annahme, daß das Germ, eine satzeinleitende Position COMF (als Platz für Konjunktionen) besaß, so daß der einzig zu postulierende VJandel zum 'System I 1 mit Verb-Anfangsstellung in der Festlegung von COKE· als [+Tps] zu bestehen scheint. Über die Ursachen dieses Vandels läßt sich nur spekulieren. Auffällig ist, daß es sich bei der Voranstellung des Verbs vermutlich um eine im 6. Jhd. in mehreren Sprachen gleichzeitig auftretende Erscheinung handelt, also vermutlich um ein Sprachbund-Phänomen, das auf Entlehnung beruhen mag (vgl. Fourquet 1974). Festzuhalten ist, daß sämtliche Fälle mit Verb-Erststellung vom Ahd. bis zum Nhd. sich syntaktisch auf die gleiche Vfeise beschreiben lassen, nämlich als Voranstellung des finiten Verbs (INFL/V) in die mit dem Merkmal [+Tps] ausgezeichnete basisgenerierte Eosition COMP. Diese \foranstellung durch 'move ' ist somit strukturerhaltend und nur möglich, wenn COMP nicht anderweitig lexikalisch gefüllt ist, also nicht durch eine (nebensatzeinleitende) Konjunktion besetzt ist. Für die syntaktische Struktur bei Verb-Erststellung braucht also in der Geschichte des Deutschen keine Änderung angenommen zu werden. VIas sich ändert, ist lediglich die V e r w e n d u n g von Sätzen mit Erststellung des finiten Verbs, also die funktionale Zuordnung der syntaktischen Form zu bestimnten semantischen oder illokutionären Pollen. Diese Zuordnung ist nicht zufällig, aber in gewissem Grade veränderbar. So stellt die Anfangsstellung des Verbs in
153
Fourquets 'System I' (Beowulf) , aber auch im Aisl. und z.T. noch im And. eine Möglichkeit dar, die gesamte folgende Proposition insgesamt als rhematisch hervorzuheben. Entsprechend wird Anfangsstellung in der Prosa in einleitenden Sätzen, in emphatischer Erzählung oder bei Vfechsel des Gegenstandes (vgl. Fourquet 1974, S. 316, Anm. 5) verwendet; Reste dieses Gebrauches sind bis ins Nhd. nachzuweisen, wo Anfangsstellung bei bestiitntten Erzählstilen vorkommt (s. o. ( 9 ) , ( 2 4 ) , (25); zu weiteren Beispielen vgl. Maurer 1924; 1926a, 198ff.; Behaghel 1932, 2 7 f f . ) . Verwendungen der Anfangsstellung zum Ausdruck der Satzfrage oder bei Konditional- oder Konzessivsätzen sind auf ähnliche Weise pragmatisch erklärbar: Ifenn durch Voranstellung des Verbs der gesamte Satzinhalt als rhematisch ausgezeichnet wird, dann folgt daraus, daß der entsprechende Satz kein thematisches Element besitzt. Insofern kann die Aussage nicht als Aussage über ein bestiimttes Thema angesehen werden, so daß sie gewissermaßen als Ganzes zur Debatte steht. Aus dieser Situation läßt sich unter bestirtmten Unständen konversationeil ableiten, daß die gesamte Satzaussage in Frage gestellt wird (Satzfrage) bzw. als hypothetisch aufgefaßt wird (Konditional- oder Konzessivsatz) , wenn sie mit einem Folgesatz verbunden ist, für den sie selber als Thema dient. Bestimmte konventionalisierte Intonationsmuster steuern dabei die entsprechende Interpretation. Die vorliegende Skizze einer Ableitung der semantisch/pragmatischen Funktion von Sätzen mit Anfangsstellung des Verbs kann selbstverständlich nur als grober Entwurf einer entsprechenden Theorie der Satzverwendung angesehen werden (vgl. dazu auch Platzack 1983). Die Verwendung der Anfangsstellung des Verbs in Aussagesätzen ging, wie Maurer (1924) zeigte, vom And. bis zum Mhd. fast völlig zurück (vgl. Behaghel 1932, 37ff.). Nur bei verba dioendi tritt sie, wie oben gezeigt, ab dem späten Mid. wieder auf (23) und breitet sich später auch auf andere Verben aus. Daneben besteht die Verwendung der Anfangsstellung in hypothetischen Vordersätzen und Entscheidungsfragen weiter. Vom rein syntaktischen Standpunkt ist die Frage nach der Entstehung der Anfangsstellung seit dem Fnhd. irrelevant, da sämtliche Beispiele die gleiche syntaktische Struktur aufweisen: Das finite Verb steht in COM. Es ist zu vermuten, daß die in Aussagesätzen gewöhnlich besetzte Position vor dem finiten Verb in Beispielen wie (24) und (25) entweder überhaupt nicht lexikalisch gefüllt wurde oder aber daß ein in der d/w-Position generiertes satzeinleitendes expletives Element getilgt werden konnte, wie es die Beispiele (38a) und (38b) vermuten lassen (Behaghel 1932, 38): (38a) Werden die gesellen stechen, rennen ... (Steinhausen, Pravatbriefe l, Nr. 236) (38b) Do werden die gesellen rennen und stechen... (Steinhausen, Privatbriefe l, Nr. 238)
154
3.5.4. Die Zweitstellung des finiten Verbs Das Charakteristikum der Zweitstellung besteht darin, daß dem finiten Verb ein Satzglied vorausgeht, welches dadurch in irgendeiner Weise von den anderen Satzgliedern unterschieden wird, ifeist handelt es sich um das Thema des Satzes, wobei auf das finite Verb die rhematischen Satzglieder folgen; gelegentlich kann das vorangestellte Satzglied jedoch auch emphatisch hervorgehoben sein; auch adverbielle Bestiimrungen und satzeinleitende (adverbielle) Konjunktionen können die Position vor dem finiten Verb einnehmen (vgl. Behaghel 1932, 48ff., 51f., 57ff. ; 125, 255): (39a) (39b) (39c) (39d) (39e) (39f) (39g) (39h)
(die sunna) Föne iro chrefte uuerdent sie retrograde. (N. 4, 23, 13 (Nc. 707, 2 2 ) ) . . . , daz ist ein erber bihter. Den bihter sullen wir prüeven har an. (Myst. II, 448, 34) ... singen sie ettliche psalmen latinisch, ... Nach den psalmen lesen die knaben.. . (Luther, Schriften 19, 80, 5 f f . ) Aber du got pist min infängare, ... Min hominem name du an dih deum. (N. 3, 8, 6 f f . (Piper III, 7, 1 2 ) ) Ze Rom waz ein gepieter... (Gest. Rom. 49) Änderis nemähti siu nlo man sehen ... (N. 5, 80, 3 (Nk. 436, 1 5 ) ) ...;/ anders muoz er sterben, ... (Nib. C, 432, 4) ..., doch sol er aussen seyner hutten sieben tage bleyben, ... (Luther, 3. Mos. 14, 8; I, 8, 372)
Gewöhnlich steht nur ein Element vor dem finiten Verb; das folgt aus der pragmatischen Funktion der Voranstellung in die 1. Position: Es ergibt normalerweise keinen Sinn, über mehr als ein Ihema zu reden. Gelegentlich kommt jedoch eine scheinbare Verdopppelung (vgl. Benes" 1971, van de Velde 1979, Lee 1975) dieser Anfangsposition vor; das ist jedoch fast inner als stilistische Besonderheit zu erklären, hauptsächlich als NP mit einer Apposition (Ulvestad 1972) , welche selber ein Nebensatz sein kann. Auf diese Weise findet sich zuweilen eine dem Lat. nachgebildete Konstruktion (vgl. auch Maurer 1926a, 194): (40a) Milites fortiter pugnantes victi sunt. (40b) Die Soldaten, obwohl sie tapfer kämpften, wurden besiegt.
Entsprechende Beispiele mit Nachahmung der lat. itortfolge finden sich in der Sprachgeschichte des Deutschen in Übersetzungen häufig (vgl. Behaghel 1932, 14, 16): 7 (41a) Thaz giscrib iz eristen uuard gitan in Syriu... (Haec descriptio prima fasta est a praeside Syriae Cyrino, ...
7 Besonders findet sich diese Erscheinung in Chroniken, vgl. 1 9 4 f . ) , so auch im Ae., wie Bean (1976, 2 3 5 f f . ) zeigt.
(T. 5,11)
Maurer (1926a,
155 (41b)
In mitteru naht ruoft uuard gitan: . . . (Media autem nocte clamor factus est: . . . ) (T. 148, 3)
Auch stehen gelegentlich Adverbiale zusätzlich zu anderen Satzgliedern in der 1. Position (Behaghel 1932, 1 4 f f . ) : ( 4 2 a ) Des nähtes an minemo bette uorderöta in minen uuine. (Willir. 48, 1) (42b) Und an zweifei pei dem liwen ist ze versten der t e u f e l . . . (Gest. Rom. 142) (42c) in Gallierland ain schmid mit namen Victorinus wurd auch zu ainem Kaiser aufgeworfen, ... (Aventin IV, 2, 958, 27, zit. nach Behaghel 1932, 16)
Ebenso stellt sich die sog. 'Späterstellung in der Dichtung', die Behaghel (1932, 24) behandelt, venrutlich als doppelte Vorfeldbesetzung dar, die gemäß (45) zu analysieren
ist:
(43a) Dar na den stundin, /Rothere wart gebundin; ... (43b) In tugentllchen zühten si rümte ir eigen lant. (Nib. 526, 1)
(Roth. 4 0 1 5 f . )
Für die angenommene Analyse spricht u. a. die Tatsache, daß das vorangestellte erste Satzglied in (43a, b) durch den Einschnitt des Versendes vom nachfolgenden Satz (Rothere ward gebundin) intonatorisch getrennt ist.
Bei diesen Bei-
spielen ist teilweise eine Ärmlichkeit zu Fällen zu bemerken, in denen das vorangestellte Adverb als satzeinleitende Konjunktion in der Position also
vor
der 1. Position (X") zu bewerten
'Konj.',
ist:
(44a) (44b)
. . . , uz ir ni mugut iz fortragan: ... (T. 173, 1) ... daz er einen pfennig unrehtes guotes nette, mer er behielt ez unreht. (Myst. I, 265, 5 f . ) (44c) Leider viele Dramen sind nur dialogirte Romane, ... (Goethe I, 22, 177, 20)
Behaghel faßt diese Fälle eindeutig als vorangestellte, interjektionsartige oder adverbielle Konjunktionen auf, die z.T. durch eine Intonationspause vom folgenden Satz getrennt waren: (45) Konj .
t. behielt. D
ez unreht t .
156
Demgegenüber sind die folgenden Fälle nicht als doppelte Vorfeldbesetzung zu bewerten: hier wird das vorangestellte Satzglied pronominal durch ein 'korrelatives1 Pronomen in der d/w-Fosition wiederaufgenonmen; dabei kann das vorangestellte Satzglied auch ein Nebensatz sein (vgl. dazu Behaghel 1932, 24, 49f., 53f., 260ff., Behaghel 1928, 781ff.): (46a) (46b)
Täz k6t allere dingo herro güot st, des iihet männoliches sin. (N. l , 197, 2 9 f . (Nb. 181, 19)) ...; waz aber diu sünde si des enweiz er nit, ... (Myst. I, 275, 5)
Allerdings gibt es daneben auch die Möglichkeit, den Nebensatz (wohl durch eine Intonationspause getrennt) ebenso voranzustellen wie die Konjunktionen in der Analyse (45) (Behaghel 1932, 54): (47a) (47b)
Dhar ir quhad "christ iacobes gotes", chiuuisso meinida ir dhar sunu endi fater. (Isid. 273f.) svie er och si in siner gotelichen magenchrefte, er wartet iedoch... (Trudp. Hohes Lied 32, 1)
Abgesehen von diesen etwas komplexeren Strukturen für Fälle sogenannter 'doppelter Vorfeldbesetzung' ergibt sich die Besetzung der 1. Position vor dem finiten Verb sowohl im And. wie im Mhd. und Nhd. aus der Anwendung des Regelschemas 'move ' auf ein Satzglied X". Zur historischen Entstehung ist folgendes zu bemerken: Vfenn man die Verb-Zweitstellung nicht schon mit Behaghel (1929, 276ff.) und Biener (1922) als germ, vorgegebene Möglichkeit ansetzen will, muß nan sie im Sinne von Fourquet (1938, 1974) als Neuerung beim Übergang vom 'System I 1 zum "System II1 ansehen. Fourquets Darstellung enthält jedoch keine strukturelle Grundlage, aus dem sich der postulierte Wandel (Entstehung der VerbZweitstellung) aus allgemeinen Prinzipien der syntaktischen Struktur als möglicher Wandel ableiten ließe. Demgegenüber erscheint eine derartige Deduktion in dem von mir angenommenen Rahmen möglich: Wir können annehmen, daß die Voranstellung eines Satzgliedes, die möglicherweise zunächst rein stilistischer Art war und der Hervorhebung dieses Satzgliedes oder seinem textuellen Anschluß an vorher Erwähntes diente (vgl. Dressler 1969) , in einer 'ChomskyAdjunktion1 wie in (48) bestand: (48a)
(48b) COMP
1
Z
Chomsky-
\ Adjunktion' 1M-A 1 f -x . -
V
i
fin
Voranstellung
Voran stellung
157
Die so erzeugte Struktur (48b) entspricht einer Struktur, die im Eahmen der X-lheorie basisgeneriert werden kann. Sie unterliegt in der Geschichte des Deutschen keinem Wandel: Sehen im Ahd. lassen sich die gleichen Konstituenten voranstellen wie im Nhd. Einer Veränderung unterliegt im Dt. lediglich die strikte Subkategorisierung bestirnter satzeinleitender Elemente, die gelegentlich als Instanzen voranstellbarer Satzglieder, also als X" anzusehen sind; so z. B. anders, doch, und usw., vgl. auch (49). (Nach Behaghel 1932, 57ff., 31ff.) und s. o. Kap. 2: (49a) (49b) (49c) (49d) (49e) (49f)
... doh neirta ih in is nieht. (N. 1,33, 19f. (Nb. 30, 3 ) ) ...,/ ledoch kuster se an den raunt: / . . . (Pz. 176, 9) allein hat er sy von meinent wegen also lieb gehebt, ... (Tristpr. 105, 18, zit. nach Behaghel 1932, 57) Sie nemügen diu iro geuueneten ougen dero finstri, üf ze llehte erneuen. ... Unde sint sie dien fogelen gelih,... (N. l, 283, I f f . (Nb. 262, 7 f f . ) ) ...ir... lät ez ob einander fülen...Unde hat ez iedoch got geschaffen... (Berth. I, 59, 1 2 f f . ) Doch nein! gewichen bin ich her a n ' s Licht, und sollt/ Ihr weiter nicht mich treiben,... (Goethe I, 15.1, 183, 8657)
Der Gebrauch von und mit Inversion hält sich umgangssprachlich und in Kanzleiund Geschäftssprache bis ins 20. Jahrhundert (vgl. Behaghel 1932, 34f.). Zweifelhaft ist es jedoch bei einigen Beispielen, ob man sie nicht als und plus Verb-Erststellung analysieren soll, also ohne Vorfeldbesetzung. Nach Behaghels Analyse, die und im Sinne eines adversativen Satzadverbs demgegenüber deutet (1932, 31), erscheint das jedoch nicht erforderlich; vielmehr steht und in diesem Sinne ebenso in der X"-Position 'im Vorfeld wie jedoch, allerdings, hingegen usw. Bestimmte andere Konjunktionen befinden sich dagegen, wie die Beispiele (44) zeigen, offenbar außerhalb des Satzrahmens (vgl. Behaghel 1932, 49), also vor der X"-Position. Mit diesen Bemerkungen ist die >ßglichkeit zur Besetzung der 1. Position in Aussagesätzen strukturell erfaßt. 3.5.5. Die Endstellung des finiten Verbs Die Endstellung des finiten Verbs ist seit den frühesten Formen des Deutschen belegt. In der von mir angenonmenen Analyse ist sie als basisgenerierte Abfolge anzusehen, die dann an der syntaktischen Cberflache erscheint, wenn keine Voranstellung des finiten \ferbs durch 'move 1 in die ebenfalls basisgenerierte Position COMP erfolgt. Diese Voranstellung ist genau dann blockiert, wenn COKP anderwsitig lexikalisch gefüllt ist, also durch eine nebensatzeinleitende Konjunktion, ein Relativpronomen oder eine Relativpartikel. Darüber hinaus kann
158
es vorkeimen, daß Ausklammerung oder Verb-Umstellung die Endstellung des Verbs an der syntaktischen Oberfläche verhindern. Ich gehe davon aus, daß die Elemente des verbalen Komplexes in der Basis in der Reihenfolge generiert werden, in der sie an der Oberfläche auftreten, wenn keine Umstellungsregeln angewandt werden. Damit ist für die Endstellung des finiten Verbs für die Sprachgeschichte des Deutschen kein syntaktischer Wandel anzusetzen. Was sich möglicherweise in gewissem Rahmen ändert, ist lediglich die funktionale Zuordnung von Endstellung (bzw. Späterstellung bei Ausklainrerung oder Verb-Umstellung) als Ausdruck der Subordination in Nebensätzen. Aber auch hier scheint mir bei gleichzeitigem Vorhandensein einer satzeinleitenden Konjunktion eher ein terminologisches Problem vorzuliegen als ein grammatisches: Der Begriff der 'Unterordnung1 ist zu unscharf und zudem wohl kaum unabhängig vom Kriterium der Verb-Endstellung definierbar, so daß ein funktionaler Bezug zwischen den Begriffen 'Unterordnung1 und 'Verb-Endstellung1 wohl in sich zirkulär ist. Dies wird insbesondere bei den folgenden Beispielen deutlich, in denen das Verb des mit und eingeleiteten Nachsatzes in Endstellung auftritt, - im Gegensatz zu den Beispielen (49). (Behaghel 1932, 25f., vgl. auch Maurer 1926a, 189) (50a) (50b) (50c)
(50d) (50e)
. . . f ö n mir selbomo ni quam, oh her uuar ist ther mih santa,... (T. 104, 8) (gegen Original: sed est verus.) Vnde getäten sie mih pogen, ..., unde iro uuerch io ze erdo sähen. (N. 3, 368, 15ff. (Np. 216, 1 4 f . ) } Im wart daz guot gar genomen unde dar nach siniu kint unde sin eigen ; und er dehein widermüete an slnem übe nie gewan dar umbe. (Berth. I, 2 2 7 , 1 7 f f . ) Das hat der selb techant fürbas dem techant Blesenser ecclesie geoffenbaret, und er das mir gesagt hatt. (Hartlieb, Dialogus 210, 2 2 f . ) so wird der Stockfisch alle gefangen, und große Scheunen voll sind. (Diez 168, zit. nach Behaghel 1932, 26)
Dazu stimmen auch Beispiele aus dem An. und dem Ae., wie Behaghel (1932, 13, 25) im Anschluß an Untersuchungen von de Boor zeigt. Durch diese Parallelen ist die Erscheinung als alt erwiesen. In all diesen Fällen verhindert das und als 'subordinierende' Konjunktion in COMF die Voranstellung des Verbs, wie es (51) schematisch zeigt: (51) COMP
und
159
Dazu paßt, daß in dem auf und folgenden Satz keine Topikalisierung vorgenommen wird: die Satzglieder weisen in sämtlichen Beispielen die Abfolge auf, die für das Mittelfeld typisch ist. Vor das Subjekt können in einigen Fällen lediglich Pronomina und schwachtonige Adverbien treten, die sich in der 'WackernagelPosition1 enklitisch an das satzeinleitende und in GOMP anlehnen (Behaghel 1932, 2 5 f . ) ; vgl. auch (50d): (52a) (52b)
nü haben wir niwan dri wochen da hin, daz [ . . . ] unde sich Simeon so lange daz zuo bereite,... (Berth. I, 567, 3 f f . ) . . . , Und wo man drauff zeiget, so mus man sagen: Das ist ein Engel, und doch solchs "Das" auff die gestalt des Engels zeiget. ( L u t h . , Schriften 26, 441, 3 4 f . )
Eine Voranstellung eines Satzgliedes (X") vor das durch und lexikalisch gefüllte COMP ist nicht möglich. Die ' Satzklantner' wird also von und und dem finiten Verb in Endstellung gebildet. In diesem Sinne sind die betreffenden Beispiele also als 'subordiniert' im rein syntaktischen Sinn zu bewerten, wenn auch eine entsprechende semantisch interpretierbare "Unterordnung1 vermutlich nicht vorliegt: (53a) (53b) (53c)
Hierumb ich on ende schreien wil: ... (Ackermann aus B. 3, 19) Allermassen sie sich sehr geschäftiget um den Prinzen erwiese. (Banise, 22, 10, zit. nach Behaghel 1932, 18) sonst er wohl darauf bestanden haben würde, ... (Lessing (Lachm.-M.) 10, 63, zit. nach Behaghel 1932, 19)
Die Tatsache, daß die betreffenden Lexeme im Nhd. keine subordinierende Funktion haben, darf nicht verwirren. Der "Wandel" besteht hier lediglich in der strikten Subkategorisierung dieser Lexeme (h-ierumbe, allermaßen, sonst usw.) , die in den Beispielen (53) in COMP eingesetzt sind, so daß sie dort eine Voranstellung des finiten Verbs verhindern. Neben der Verb-Endstellung in solchen Beispielen tritt seit den frühesten Quellen Endstellung ohne satzeinleitende Konjunktion auf. Sie ist offenbar germ. Ursprungs, findet sich in frühen Zeugnissen und geht im allgemeinen bis auf ihr Weiterleben in poetischen Texten deutlich zurück (Behaghel 1932, 13, 15, 2 3 f . ) : (54a) (54b) (54c) (54d) (54e) (54f)
ek Hlewagastir holtingar horna tawido,... (Runeninschrift, Hörn von Gallehus, zit. nach Behaghel 1932, 13) Got der reht rihtäre ist... (N. 3, 26, 6 (Np. 1 8 , 2 6 ) ) Er in den wait an stige drabet. (Virginal 104, 1) . . . / E r doch gott und sein wort veracht,... (Hans Sachs 15, LV 173 ( 1 8 8 5 ) , 138, 37) . . . / I h m längst von böser Schadenlust/die schwarze Seele schwoll. (Schiller 11, 246, 4 9 f . ) ...,-/lch ganz alleine stehen blieb. (Heine (Windfuhr) I, l, 32, 52 / Säkularausgabe l , 2 1 , 52)
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Entsprechende Sätze treten im Fnhd. in erzählender Prosa wieder auf. Behaghel (1932, 20ff.) und Maurer (1926a) ventuten hier lat. Einfluß. Das wird u. a. damit begründet, daß die fnhd. Beispiele sich offenbar auf erzählende Partien beschränken, aber in Gesprächspartien völlig fehlen. Diese Deutung mag zutreffen oder nicht: Die Belege, die aus lat. Grammatiken, aus lat. Texten und aus lat./dt. Mischprosa stanttEn, sind keineswegs eindeutig, wie Fleischnann (1973) nachgewiesen hat (vgl. dazu auch Scaglione 1981, 122ff.). Die Beschränkung auf erzählende Partien mag zudem eine rein stilistische Funktion haben. Wie dem aber auch sei: Die von mir angenommene Analyse braucht hinsichtlich des vermeintlichen lat. Einflusses keinen Standpunkt zu beziehen. Sie zeigt lediglich, daß die anzusetzende syntaktische Struktur im Deutschen stets verfügbar war. Es handelt sich um Sätze mit basisgenerierter Abfolge, insbesondere mit basisgenerierter Position des finiten Verbs. Eine Voranstellung in COMP hat nicht stattgefunden. Zur Erklärung bieten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder ist COMP in diesen Fällen fakultativ nicht generiert worden wie in (55) oder es ist zwar generiert und lexikalisch gefüllt, aber mit einem phonologisch 'leeren' Element wie in (56): (55)
S fin
"move
" nicht möglich, da kein 'Landeplatz' COMP vorhanden
(56)
S'
COMP
fin
'move 1 nicht möglich, da COMP lexikalisch durch das (phonologisch leere) Element 0 gefüllt ist.
Beide Ableitungsmöglichkeiten sind problematisch. Die ausführlichere Diskussion dazu in Lenerz (1984) soll hier kurz zusammengefaßt werden. Zwar erscheint die Lösung (56) mit phonologisch 'leerem' complementizer zunächst ad hoo, da sie auf den ersten Blick lediglich diejenigen Fälle erfaßt, für die sie 'erfunden1
161
wurde. Sie besitzt jedoch einen wesentlichen theoretischen Vorteil gegenüber anderen Analysen: Auf diese Weise lassen sich die uneingeleiteten Sätze mit VerbEndstellung durch die gesamte Sprachgeschichte des Deutschen hindurch auf die gleiche Weise erklären wie alle anderen Verbstellungsmuster: lexikalisch besetztes COMF bedingt Endstellung, nicht besetztes COMP dagegen Anfangsstellung. Unter dieser Annahme brauchte man also für den in Frage stehenden Bereich keinen syntaktischen Vendel anzunehmen. Zudem sprechen einige empirische Argumente für eine derartige Analyse. Sie sind z.T. schon oben (Kap. 2.5.1.) angeklungen.
Hier sei nochmals daran erinnert, daß Beispiele für phonologisch nicht re-
alisiertes, 'unhörbares1 OQMF nicht selten sind, so etwa bei getilgten Relativpartikeln im Englischen, aber auch in asyndetischen Relativsätzen im Ahd. (vgl. Chomsky/Lasnik 1977; zu Beispielen aus der Sprachgeschichte des Deutschen vgl. Behaghel 1928, 742ff.): (57a)
in droume sie in zelitun then weg sie färan scoltun; ... (0. l, 17, 74) (Relpron + 0) (57b) ...diu sich geliehen künde/der grözen sül da zwischen stuont. (Pz. 589, 2 8 f . ) (Relpron. -»· 0) (57c) ..., dießes war woll Eine Von den grosten freüden Ich mein Leben entpfunden... (Elis. v. Orleans, 360) (Relpron. -* 0) (57e) This is the man I met yesterday, (that, who -*· 0) (57f) I know I can do it. (that -»· 0)
Eine phonologische Tilgung bestimmter syntaktisch wirksamer Elemente in der Position COMP muß also offenbar unabhängig von den zu erklärenden Beispielen (54) ohnehin als markierter Mechanismus angenommen werden. Dafür spricht folgende Beobachtung: Eine Gruppe von Beispielen weist offenbar Vorfeldbesetzung auf, beläßt das Verb aber gleichwohl in Endstellung. Diese Konstruktion ist geradezu typisch für die Dichtung "von der germanischen Zeit bis zur Gegenwart" (Behaghel 1932, 23): (58a) (58b) (58c) (58d) (58e) (58f)
eines liedes si begunden, ... (Ezzolied l, 5) Ein ir höhesten mäc diu vrouwe bl ir sach,... (Nib. 523, 1) vor in allen er des jach. (Pz. 334, 13) eins römeschen künges tochter sy w a s , . . . (Diocletians Leben 7, zit. nach Behaghel 1932, 23) ..., /gros macht und viel/list sein grausam rßstung ist,/... (Luth. (Berger) III, 305, 7) Vom Strand das Licht des Erkers w i n k t , / . . . (Meyer, C. F., l, 38, 27)
Soweit man das beurteilen kann, weisen die auf das erste, vorangestellte SatzQ
glied folgenden Elemente die normale Abfolge im Mittelfeld auf;
insbesondere
8 Eine Untersuchung von über 1000 einschlägigen Sätzen im Mhd. ergab, daß dort die gleichen Regularitäten für die Abfolge im Mittelfeld gelten wie im N h d . , vgl. Lenerz (1984).
162
stehen schwachtonige Pronomina am Beginn des Mittelfeldes (58a, c). Ich nehrre Q
deshalb für diese Beispiele die folgende Strukturanalyse an:
(59)
ein ir hohsten mage
diu vrouwe bi ir sach
Für diese Analyse läßt sich zudem als zusätzliche Evidenz das folgende Beispiel heranziehen, das Vorfeldbesetzung, lexikalisch präsentes CQMP und Ehdstellung des finiten Verbs aufweist: (60)
ir beider liebe doch vil sorgen truoc,/si pflagen minne an allen haz. (MF 3, l , Wolfram v. Eschenbach, Lied I)
Für dieses Beispiel nehme ich die Struktur (61) an: (61)
ir beider liebe
doch
vil Sorgen truoc
Entsprechend sind Fälle ohne Vorfeldbesetzung zu beurteilen, in denen das unterstrichene Element als lexikalische Pealisierung von CQMP anzusehen
ist,
durch das die Voranstellung des finiten Verbs verhindert wird: (62a) Dar nach er eine zuht begienc: ... ( P z . 100, 19) (62b) Also das gantze land verdarb. (Hans Sachs 15, LV 173, 138, 12) (62c) Jetzt ich also nichts mehr weiß, /... (Opitz, Teutsche Poemata 47, 34)
Auch ist,
wie oben (Kap. 2.5.1.) gezeigt wurde, die Entstehung neuer subor-
dinierender Konjunktionen darin zu sehen, daß sie aus benachbarten Positionen in die Position COMF· 'übertreten', also als COMP re-analysiert werden. Eos aber setzt das Vorhandensein eines Knotens CQMF für diese Fälle voraus. Ebenso sprechen u. U. ahd. und irihd. Sätze mit waenen für ein 'leeres1 CQMP, da sich hier mehrfache W-Bewegung feststellen läßt: ein Fragepronomen des unter waenen eingebetteten Satzes tritt an die Spitze des Katrixsatzes: 9 Eine umfangreiche Untersuchung zu Sätzen dieses Typus bietet Horacek (1964) ,· dort wird der stilistische Wert dieser Sätze im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Deutung ermittelt.
163 (63a) (63b) (63c) (63d) (63e)
ahd.: .../; Tho wän ih sie gisäzin, thäz sie saman ä z i n , / . . . (0. 5, 10, 15) ahd.: ...:/ Was wänet __ werde thänne themo umbitherben wälde, so sie beginnent terren bourne themo thürren?" (0, 4, 26, 5 1 f . ) ahd.: ...,-/waz wanist themo irgange ther anderan roubot thänne? (0. 5, 21, 10) mhd.: iuwer starkez eilen waen' im daz leben hat benomen." (Nib. 1567, 4) mhd.: ...,/swer mine varwe wolde spehn,/ diu waene ich ie erbliche/... ( P z . 299, 2 2 f . )
unter den üblichen Annahmen liegt hier eine 'Notausstiegsluke' aus dem eingebetteten finiten Satz vor, also ein COMF, welches phonetisch 'unhörbar1, aber dennoch syntaktisch vorhanden sein muß. (64)
[-[
S COMP
Waz. ] [ wänet [- [.,..„„ 0] [ „ t , werde thänne themo umbitherben * i S S COMP A S -i j ti T T l walde .. . ] ]
Allerdings ist diese Analyse nicht völlig eindeutig, da zumindest im Mhd. waen (ich) offenbar sehr stark lexikalisiert war und möglicherweise als parenthetische Partikel verwendet wird, also ähnlich wie bitte und danke. Vor allem aber Iä3t sich keine Evidenz für ein 'unhörbares1 COMP in unabhängigen Sätzen beibringen, so daß die Analyse (56) trotz einiger Flausibilität für eingebettete Sätze und trotz ihrer theoretischen Vorzüge wohl kaum für uneingeleitete Hauptsätze mit Verb-Endstellung aufrecht erhalten werden kann. Die Alternative (55) dagegen erscheint möglich, und der mit ihr verbundene 'syntaktische1 ländel spielt sich völlig irr. Pahmen dessen ab, was von der Grammatiktheorie als mögliche 'Parametrisierung' definiert wird, vgl. 3.5.1.. Details ergeben sich aus Platzacks (1983) Analyse von COMP und INFL im Rahmen einer vergleichenden Untersuchung verschiedener germ. Sprachen ('COMP/INFL-Parameter'). Daraus ließe sich für das Germ, als mögliche Festlegung des COMP/INFL Parameters eine Struktur wie (65) mit fakultativem COM3 wahrscheinlich machen. Insbesondere gilt, daß COMP kein Tempusmerkmal trägt: (65)
NP
VP
INFL [* Tempus]
Auf dieser Grundlage läßt sich (55) als mögliche Realisierung von (65) ansehen, und man kann annehmen, daß diese Struktur auch im Ahd.
und Mhd. weiter als
stilistisch ausgezeichnetes 'poetisches' Eelikt bewahrt wird, - ja, bis ins
164
Nhd. hinein! Die einzige Eigenschaft von COMP in (65) bestünde dermach darin, daß dort satzeinleitende Konjunktionen generiert werden können, - in der 1&t wohl die Eigenschaft, durch die COMP im wesentlichen definiert ist, daneben nag COMF auch als 'Notausstiegsluke1 für W-Bewegung gedient haben, wie die Beispiele (63) nahelegen. Für unabhängige, nicht eingeleitete Sätze braucht COMF jedenfalls nicht angenommen zu werden. Damit ist der folgende syntaktische Wandel vom Germ, bis zum Nhd. anzunehmen: Ursprünglich gab es wohl Sätze ohne COMP, - angesichts der starken SOV-Züge des Germ, keine ungewöhnliche Erscheinung, da SOV-Sprachen typischerweise kein satzeinleitendes COMP besitzen. Diese Sätze weisen notwendigerweise Verb-Endstellung auf, da das satzschließend generierte finite Verb (V + INFL) nirgendwohin bewegt werden kann: es gibt keinen geeigneten 'Landeplatz1, weil COMP nicht generiert ist. Andererseits kann COKP als satzeinleitende Position in eingebetteten Sätzen generiert und lexikalisch durch eine subordinierende Konjunktion realisiert werden. Diese syntaktische Struktur wird, wie auch das Entstehen neuer Konjunktionen zeigt, offenbar generalisiert. Die gelegentlich anzutreffende stilistische Voranstellung des finiten Verbs mag dabei auch als Realisierung eines satzeinleitenden COMP analysiert worden sein, so daß COMP nun zusätzlich Eigenschaften von INFL annimmt (± Tense) und damit als geeigneter 'Landeplatz1 für eine Voranstellung des finiten Verbs angesehen wird: eine stilistische voranstellung ist als 'strukturerhaltend1, also als 'move 1 re-analysiert worden. Damit sind uneingeleitete Sätze mit Verb-Endstellung vom Ahd. bis zum Nhd. als zunehmend markierte 'Ausnahmen1 anzusehen, die zudem deutlich einen antiquierten Charakter haben. In der Fegel verlangen nun nämlich alle Sätze obligatorisch ein COMP. Die stilistische Bewertung der uneingeleiteten Sätze mit VerbEndstellung und ihre sprachhistorisch abnehmende Verwendung sprechen für diese Annahme. Der syntaktische Wandel besteht daher offenbar darin, daß im Rahmen des COMP/INFL-Farameters eine Veränderung vorgenommen und schließlich generalisiert wurde, so daß die 'Ausnahmefälle' immer seltener und in immer restringierterer Funktion auftreten (zu weiteren Einzelheiten vgl. Lenerz 1984). 3.5.6. Zur Stellung der Pronomina in der 'Wackemagel-Position'. Ein bisher ausgeklammertes Problem bildet der Wandel in der Stellung der Pronomina seit dem frühesten belegten Zustand im sog. "System I' in den germ. Sprachen bis zum Nhd. Nach Fourquet (1974, 316) folgen irr. frühesten Ae. auf pronominale Satzglieder (p) die nicht-pronominalen (n) und das Verb (v) vgl. (66):
165 (66a) pp ... nn ... v (66b) (ae:) he him ap"as swor. (er ihm Eide schwor)
Durch Nachstellung der nicht-pronominalen Satzglieder soll das \ferb schließlich beim Übergang zum 'System II1 inner weiter nach vom gerückt sein, bis es schließlich zwischen pronominalen und nicht-pronominalen Satzgliedern zu stehen kam« (67a) (ae:) he him swor a§as. Die Abfolge ist nun wie in (6Tb) (67b) pp ... v nn ...
In diesem Ubergangsstadium von 'System I' zu 'System II1 findet also auch dann keine Inversion statt, wenn ein nicht-pronominales Satzglied vorangestellt wird: (68)
(ae:) py ilcan geare he for to Rome, (in diesem Jahr er fuhr nach Rom)
Die Zweitstellung des Verbs mit nachfolgenden Pronomina (d. h. mit Inversion bei Subjektpronomina) findet sich erst im 'System II 1 , das durch das spätere As. und das Ahd. belegt ist: (69a) (ae:) he for to Rome. (69b) (ae:) £a for he to Rome. (69c) (ae:) £a waes he ofslaegen. (da wurde er erschlagen)
Allerdings sind gelegentliche Überbleibsel der früheren Konstruktion (67b) z. T. bis ins Khd. hinein belegt, vgl. Behaghel 1932, 14, 23: (70a) (70b) (70c) (70d)
..., ih inan Erino portun eines liedes vor in allen
infahu. (Isid. 330) ih firchnussu, ... (Isid. 157) si begunden, /... (Ezzolied l, 5) er des jach. (Pz. 334, 13)
Bei Fourquets Deutung ist auffällig, daß die Entstehung der Verb-Zweitstellung letztlich aus der zunehmenden Nachstellung nicht-pronominaler Satzglieder abgeleitet wird: (71a) pp ... nn ... v-.==>
pp ... v nn ...
'Nachstellung'
Dabei miß für die Umstellung der Fronoirina hinter das Verb (' Inversion') ein zusätzlicher Wandel angenonmen werden: (71b) pp ... v_, „ nn ... => v pp ... nn ...
'Umstellung 1 Dies steht im Einklang mit traditionellen Darstellungen (vgl. Behaghel 1932,12f.)
166
Damit ist die Situation während des Übergangs von 'System I 1 zum 'System II' u. U. erfaßt; diese Strukturen stimmen auch überein mit dem sogenannten 'Gesetz der wachsenden Glieder", gemäß dem die längeren (nicht-pronominalen) Satzglieder am Ende, also hinter dem Verb stehen, die kürzeren aber davor (vgl. Behaghel 1932, 6, 44). Eine Erklärung für den Übergang zur Verb-Zweitstellung und der damit einhergehenden 'invertierten1 Stellung der Fronomina ist aber auf diese Weise nicht gewonnen, ja sie muß vielmehr geradezu als Verletzung der genannten Tendenzen angesehen werden, ein Umstand, der auch durch die Beschwörung "rhythmischer Neigungen" (vgl. u. a. Behaghel 1932, 44) kaum verdeckt werden kann. Auch Vennemann nimmt mit Hyman (1975) die 'Ausklammerung' als d e n Mechanismus an, durch den das Verb in Zweitstellung gerät. Aber auch er gibt keine Erklärung der 'Inversion1 die in seiner Darstellung als zusätzlicher (und zusätzlich unabhängig zu begründender) Mechanismus angenommen werden muß (vgl. Vennemann 1974a, 360). Interessant ist dabei, daß sich für Fourquet immerhin eine Möglichkeit ergeben hätte, eine Darstellung ohne die Zusatzannahme einer 'Inversion' zu geben, nämlich durch die unabhängig begründete Erststellung des finiten Verbs, die zur Hervorhebung des gesamten Satzinhaltes diente und die sich als Umstellung aus der Verb-Endstellung (66a) ableitet: (11 c) -s pp . . . nn ... v => v pp . . . nn . .. Voranstellung
Bei dieser Deutung ergibt sich keine zusätzliche Schwierigkeit mit der Stellung der Pronomina: Bei Nachstellung der nicht-pronominalen Satzglieder (71a) gehen sie dem Verb voraus; bei Voranstellung des Verbs (71c) jedoch folgen sie dem Verb, und zwar auch dann, wenn zusätzlich ein weiteres Satzglied vorangestellt wird: (71d)/i\ v pp ... nn ... => n v pp ... nn ...
t Topikalisierung
"Inversion1 von v und pp ... wie in (71b) braucht nicht angenommen zu werden, und zwar unabhängig davon, ob man (71a, c, d) als Darstellung einer diachronen Entwicklung oder einer synchronen (transfunrationellen) Ableitung auffaßt. Die folgenden schematischen Darstellungen der transformationeilen Veränderungen entsprechen den in (71a, c, d) erfaßten Umstellungen:
167 ( 7 2 ) Synchrone Umstellungen im N h d . : X
-Ausklammerung
Topikalisie rung V-Voranstellung
In diachroner Sicht ergibt sich folgendes Bild (W-Fos. = 'VfeckemagelPosition') : (73a)
S
'W-Pos.'
l
(73b) COMP
fin
W-Pos.
fin V-Voranstellung
(71c)
(73c)
Topikalisierung
(= 71d)
168
Entsprechend gilt für Pronomina, die vor dem Verb stehen:
(74a)
S
W-Pos.
(74b)
W-Pos. Ausklammerung (= 71a)
Der einzige Wandel ist also in der Möglichkeit der Vbranstellung des finiten Verbs in eine Position GOMF (73b) zu sehen. Entsprechend erklären sich die Fälle, in denen noch Pronomina vor dem Verb stehen, durch Ausklammarung und unterbliebene \foranstellung des \ferbs: (75)
fin
erino portun.
firchnussu
Entsprechendes gilt auch für den Fall, daß dem Verb (in basisgenerierter Ehdstellung) noch ein Satzglied folgt: (76)
Y"
Se papa.
hine
j
heht
Petrus,
10 Auf der Grundlage einer anderen Definition der Wackernagel-Position ergibt sich eine differenziertere und leicht abweichende Analyse, vgl. Lenerz (1984)
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Hervorzuheben ist, daß diese Darstellungsmöglichkeit das Ergebnis einer entsprechenden MDdularisierung ist, durch die die Voranstellung des finiten Verbs, die Ausklammerung und die Voranstellung (Ibpikalisierung) von Satzgliedern als vorwiegend unabhängige Umstellungen angesehen werden, durch deren Zusammenspiel sich die zu beobachtenden Wortstellungen ableiten lassen. Eine unabhängige "Inversion1 (71b) braucht als diachroner Wandel nicht postuliert zu werden. Die Fronomina bleiben fest in der sog. 'WackernagelFosition1; es unterliegt lediglich der einzelsprachlichen Pararnetrisierung, ob und unter welchen Bedingungen das finite Verb an die durch [+Tps] ausgezeichnete Position COMP umgestellt werden kann und ob bei der Expansion von S eine SÖV- oder eine SVO-Serialisierung vorliegt. 3.5.7. Die Ausklanmerung In sämtlichen historischen Sprachstufen des Deutschen hat es die NBglichkeit gegeben, Satzglieder über die rechte Satzklammer hinaus 'auszuklammern'. Die Bedingungen der Ausklammerung im Nhd. sowie deren jeweilige stilistische oder textuelle Funktion sind weitgehend erforscht. Aus den vorliegenden Untersuchungen ergibt sich, daß die nicht obligatorische Ausklanmerung einer starken stilistischen und soziolinguistischen Variation unterliegt. Das wird durch verschiedene statistische Erhebungen bestätigt, die sorohl synchrone wie diachrone Vergleiche anstellten. Insbesondere zeigen das die neueren Arbeiten von Lambert (1976) und Ebert (1980). Lambert (1976) weist auf der Grundlage eines Korpus von ca. 30.000 Sätzen des Nhd. Schwankungen zwischen der Ausklanmerung in gesprochener Sprache, geschriebener Sprache und (vorformulierten) politischen Peden nach und differenziert dabei zudem zwischen verschiedenen lextsorten sowie aufgrund unterschiedlicher grammatischer Parameter (Art und Umfang der Satzklammer im Verhältnis zu Art und Umfang der ausgeklammerten Elemente). Ebert (1980) zeigt in einer soziolinguistisch differenzierenden Untersuchung der Ausklamnerung in fnhd. Texten (1300-1600) aus Nürnberg, daß generell eine Abnahme der Ausklanmerung in diesem Zeitraum zu verzeichnen ist; dabei nimmt unter den ausklammerbaren Elementen der Erozentsatz von Präpositionalphrasen und komplexen (gewichtigen) 11 Vgl. zur Ausklammerung u. a. Benes ( 1 9 6 8 ) , Rath (1965) Belli (1975) und Borter (1982) sowie der kurze Forschungsbericht in Lambert ( 1 9 7 6 ) ; diachrone Untersuchungen sind: Grubac'ic ( 1 9 6 5 ) , Engel ( 1 9 7 0 c ) , Beyrich ( 1 9 6 7 ) , Kavanagh ( 1 9 7 0 ) ; Lambert (1976) und Ebert (1980) zeigen, daß die meisten früheren Arbeiten mit zu geringer Datenbasis arbeiten und zu statistisch nicht signifikanten Ergebnissen gelangen.
170
NPs zu, während die Nachstellung obligatorischer Satzglieder zurückgeht (vgl. Ebert 1980, 387f., 385). Gleichzeitig ist festzustellen, daß die Ausklaimerung als Variablenregel anzusehen ist, die von den soziolinguistischen Faktoren Zeitraum. Stil, Beruf und Erziehung abhängt (S. 387). Die Kontraste treten in Nebensätzen deutlicher hervor als in Hauptsätzen. Dabei scheint die geringe Zahl von Ausklammerungen in der Kanzleisprache für die Entwicklung des nhd. Sprachgebrauchs bestinrnend gewesen zu sein. Insbesondere stellt Ebert (S. 388) fest, daß sich bei der Bevorzugung des Satzrahmens keine Evidenz für direkten lateinischen Einfluß, typologische Erklärungen oder den Einfluß der gesprochenen Sprache finden läßt. Eberts Untersuchung liegen ca. 20.000 Sätze aus verschiedenen Texten zugrunde, und die einzelnen Ergebnisse sind statistisch abgesichert (vgl. S. 364ff.). Sie bestätigen in wesentlichen Punkten frühere Arbeiten, wie insbesondere die Studien von Schildt (1972, 1976). Schildt (1972) hatte festgestellt, daß eine Tendenz zur Pahmenbildung (und damit ein Abnehmen der Ausklammerung) in Bibelübersetzungen des 14. bis 16. Jahrhunderts vorliegt; dabei stehen gerade die Durchbrechungen der Satzklaitiner in frühen Übersetzungen unter lat. Einfluß. Seine spätere Untersuchung (1976) zieht ein größeres Textkorpus heran, das nach Textsorten und Dialekten differenziert aufgebaut ist. Auch dabei ergibt sich eine Abnahme der Ausklanmsrung, die im Ostmd. und Nd. früher zu beobachten ist als in anderen Dialektgebieten. Zudem wird bei Flugschriften am wenigsten, bei Fachprosa am häufigsten ausgeklammert. Darin zeigt sich deutlich eine stilistische Signalfunktion der Ausklannerung, wie sie in vergleichbarer Weise auch von Maurer (1926a) und Behaghel (1932, 19ff.) festgestellt wurde. Sie betonten, daß erzählende Partien fnhd. Texte eine geringere Anzahl von Ausklaimerungen aufweisen als Gesprächspartien. Deutlich erweist sich also die Ausklanmerung als stilistische Pegel; schon im Fnhd. um ca. 1500 besteht im wesentlichen Übereinstimmung mit den Verhältnissen des Nhd. (Schildt 1976, 282). In früheren Epochen des Deutschen wurde von der Möglichkeit zur Ausklanmerung häufiger Gebrauch gemacht als im normierten Nhd., nicht jedoch in gesprochener Sprache (vgl. Behaghel 1932, 144, 66ff., 125). In der Schriftsprache läßt sich nach Kavanagh (1970) ein Abnehmen der Ausklannerung seit dem And. zeigen. Wahrend das And. nur bei 50% aller Sätze absolute Endstellung eines Verbteils zeigt, erhöht sich diese Zahl im Mid. schon auf 80% und im Fnhd. auf mehr als 90%. Allerdings scheint sich die unterschiedliche Leichtigkeit, mit der sich verschiedene Satzglieder ausklarmern lassen, nicht wesentlich zu verändern: Am häufigsten finden sich nicht-notwendige Ergänzungen ausgeklammert, am seltensten notwendige; längere und gewichtige Satzglieder werden eher nachgestellt als kürzere; Personalpronomina stehen so gut wie nie nach der Satzklanmer. Gliedsätze und Infinitivkomplemente sind in der Regel obligatorisch ausgeklammert, Appositionen,
171 Vergleichssätze, Reihungsglieder und Nebensätze mit Korrelat innerhalb der Satzklammer werden bevorzugt ausgeklaimiert, können aber auch innerhalb der Klammer stehen. Dieses Ergebnis wird auch von Bolli (1975, 160f.) bestätigt, der in seiner Untersuchung von Notkers Boethius-Ubersetzung hervorhebt, daß Notker die Ausklanmerung als didaktisches Mittel zur Hervorhebung insgesamt häufiger benutzt, als das im normierten Nhd. geschieht, daß aber die Rangordnung ausklammerbarer Satzglieder im wesentlichen der nhd. gültigen entspricht (vgl. auch Sorter 1982).. Die nachfolgenden Beispiele sollen kurz die Ausklammerung von Subjekten/Cbjekten im Ahd., Mid., Fnhd. und Nhd. illustrieren: (vgl. Behaghel 1932, 66, 78ff.; Lambert 1976): (77a) ...daz des gotes sunes swanger wart diu sin kiuskista muoter magid ewiga sancta M a r i a , . . . (MSD 299, 3 2 f . ) (77b) dhazs dhu firstandes heilac chiruni. (Isid. 159f.) (77c) Alse diu sunne an sich ziuhet den fiuhten l u f t , . . . (Myst. II, 155, 40) (77d) . . . , daz daz glas enpfange die varwe des liehtes ... (Myst. II, 150, 32) (77e) ob nit überbliben sein fragmenta. (Eyb. II, 183, 16, zit. nach Behaghel, 1932, 66) ( 7 7 f ) ..., was dawidder sagen odder thun mfügen alle teuffeil abermal. (Luth., Schriften 10. 2, 15, 18f.) (77g) Jetzt hat diese Zeitung übernommen der Herr Kapfinger in München. (Lambert 1976, 191, gesprochene Sprache) (77h) Wir haben beschrieben ein Modell der BRD. (ebd.) Auch die Ausklaimerung von Präpositionalphrasen ist durch die gesamte Sprachgeschichte des Deutschen belegt (vgl. Behaghel 1932, 128ff.; Lairbert 1976): (78a) ..., thie thar quam in mittilgart. (T. 135, 16) (78b) ... diu drätost ferit, mit chleinero lutun. (N. 4, 38, 15 (Nc. 721, 2 5 ) ) (78c) ..., daz er niht uz get von dem vater in gebürte w i s e , . . . (Myst. II, 175, 3 6 f . ) (78d) Swer da bitet in dem namen gotes,... (Myst. I I , 165, 5) (78e) ..., wuchs denn ficht widder die Christliche eynfeltickeyt und eyntrechtickeyt, ... (Luth., Schriften 18, 418, 3 f . ) ( 7 8 f ) ..., daß sie nicht fragen von dt-r Gegenwärtigkeit Bluts und Fleisch Christi,... (Luth., Briefe (de Wette), 3, 47) (78g) Wir versprechen nicht Wohlstand für alle, der doch nur Wohlstand wäre in diesem Teil unseres Vaterlandes. (Lambert 1976, 164, politische Rede) (78h) Du solltest aufpassen auf Mutter und mich. (Lambert 1976, 179, Schriftsprache) Beispiele für nachgestellten Vergleich, Infinitive und Adverbialsätze und (obligatorisch nachgestellte) Gliedsätze sind in der ganzen Sprachgeschichte des Deutschen häufig und brauchen nicht eigens aufgeführt zu werden. Festzuhalten sind folgende Punkte: Die syntaktisch-strukturellen Bedingungen der Ausklaimerung ändern sich in der Sprachgeschichte des Deutschen nicht. Ein Wandel scheint lediglich in der Performanz vorzuliegen, insbesondere in der stilistischen und soziolinguistischen Bewertung der jeweiligen Ausklarnmerungen.
172
Entsprechend kann nan auch die deutliche Abnahme der Ausklammerung bestimmter Elemente seit dem Ahd. interpretieren. Es scheint angebracht, nochmals auf den Unterschied in der Darstellung hinzuweisen, der sich durch die von mir angenommene MDdularisierung in "Verb-Voranstellung1 und "Ausklammsrung ' ergibt. Durch die Ausklamrrerung rückt das finite Verb zwar linear nach links, behält aber strukturell seinen Platz als klarmerschließendes Element bei. Auf diese Weise ist lediglich eine scheinbare Zweitstellung zu erreichen. Durch die Verb-Voran Stellung jedoch ergibt sich eine strukturelle Veränderung: das finite Verb tritt vor die gesamte übrige Proposition in eine von der Grammatiktheorie gewissermaßen eigens dafür bereitgestellte syntaktische Position. Erst auf diese Weise sind die Stellungseigentümlichkeiten von Verb, Pronomina und satzeinleitenden subordinierenden Konjunktionen usw. zu erklären, da sie aus der angenommenen strukturellen Veränderung ableitbar sind. Aus einer rein linearen Umstellung, wie sie durch die Ausklaimerung bewirkt wird (vgl. ^fennemann 1974a) , lassen sich diese Erscheinungen dagegen nicht deduzieren. 3.5.8. Die Verb-Umstellung Wie bereits erwähnt, sollte die 'Verb-Umstellung' nicht mit der bereits besprochenen Voranstellung des finiten Verbs durch 'move " verwechselt warden. Die Voranstellung bewirkt die Erst- oder Zweitstellung des finiten Verbs in die Position COMP. Die 'Verb-Umstellung' betrifft dagegen im wesentlichen die Abfolge der Elemente des verbalen Komplexes untereinander, indem sie bestimmte basisgenerierte Hilfsverben unter bestimmten Bedingungen vor infinite Elemente des verbalen Komplexes oder z. T. auch vor nominale Elemente stellt. Das gilt z.B. und insbesondere für den sog. 'doppelten Infinitiv" oder 'Ersatzinfinitiv': (79a) ... [weil wir das wissen gemußt hätten] (79b) ... [weil wir das hätten wissen gemußt _
t_
]
|
Verb-Umstellung (79c)
... [weil wir das hätten wissen gemußt _ ~~]
(79d)
... weil wir das hätten wissen müssen.
Aus der zugrundeliegenden und eigentlich zu erwartenden Form (79a) mit finitem Verb (hätten) in Endstellung und einem davon abhängigen Partizip Präteritum gemußt wird durch 'Verb-Umstellung' (79b) abgeleitet; zusätzlich wird das Partizip gemußt durch den entsprechenden Infinitiv müssen ersetzt, so daß wir in (79d) die korrekte Oberflächenform im Nhd. vor uns haben. Sie weist das Hilfsverb haben in einer Position vor dem doppelten Infinitiv auf. Diese Darstellung
173
entspricht im wesentlichen der klassischen transforrationsgraiririatischen Ableitung, die Bierwisch (1963, 114) vorschlug (vgl. auch Kohrt 1979). Die Verb-Umstellung läßt sich als strikt lokale Regel formulieren, wenn man annimmt, daß die Elemente des verbalen Komplexes zuvor durch 'Verb-Anhebung1 (V-Raising) entsprechend umstrukturiert worden sind. Evers (1975) hat eine derartige Anhebungsregel für das Nl. und das Nhd. plausibel gemacht und in Evers (1981) zudem gezeigt, daß sie einen Fall von 'move 1 darstellt. Daraus folgt, daß die Verb-Umstellung nur eine stilistische Regel im linken Teil des Grammatikmodells der REST sein kann (vgl. Kap. 2.4.1. (45), S. 73): (80)
- Basis - "move O t ' : (V-Voranstellung; V-Anhebung; etc.)
\
Tilgungsregeln (u. U. Tilgung 1 der Partizipialmorphologie ' bei 'doppeltem Infinitiv 1 ; l Tilgung bestimmter 'Complel mentizer' etc.) l - Stilistische Regeln (Ausklamme1 rung (?) ,· Verb-Umstellung,
! l
etc
·'
- Filter (* [ I n f . I n f . V , . ] etc.) fin
4,
PR
l . l | I
l
*l
LF
Durch diese Ordnung der Teilkomponenten des Grammatikmodells ist die Anwendung von 'V-Anhebung1 nur v o r 'Verb-Umstellung' möglich, so daß sich die erwünschte Ableitung ergibt. Da jedoch alle Regeln fakultativ sind, muß z. B. die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß 'Verb-Umstellung' wegen einer Nicht-Anwendung von 'V-Anhebung1 nicht durchgeführt werden kann. Diese und ähnliche unerwünschte Ableitungen lassen sich durch rein sprachspezifische und strikt lokale Filter verhindern (vgl. den Besten 1981c). So gilt der Filter *[Inf. Inf. V^. ] nur für das Nhd., während in allen anderen Fällen eine Umstellung der Verben fakultativ ist und andere Sprachen und Dialekte entsprechend andere oder keine vergleichbaren Filter auf weisen. Dem weitgehend stilistischen und überaus variablen Charakter der Verb-Umstellungsregel, der im folgenden synchron wie diachron nachgewiesen werden soll, wird u. a. durch derartige unterschiedliche sprachspezifische Filter Rechnung getragen. Die Ergebnisse traditioneller und generativer Forschung zur Umstellung der verbalen Elemente untereinander, insbesondere beim 'Ersatzinfinitiv1 sind in Härd (1981) und bei den Besten/Edmondson (1981) zusammengefaßt. Beide Arbeiten
174 enthalten umfangreiches Beispielmaterial zur dialektalen \ind diachronen Variation im Bereich dieser Regel. Den Besten/Edmondson (1981) schlagen vor, die Verb-Umstellung insgesamt als Beispiel einer Variablenregel im Sinne von Labov (1972) aufzufassen. Sie stellen folgendes fest: Die Umstellungsregel erfaßt satzschließende Hilfs- oder Modalverben und stellt sie über ein oder mehrere vorhergehende infinite Verbformen voran. Dabei wird haben leichter von der Regel erfaßt als werden oder Modalverben (Term 2 in der SB von ( 8 1 ) ) . Zwei weitere variable Faktoren liegen in der A r t
und A n z a h l
der voran-
gehenden infiniten Verben. So wird die Umstellungsregel um so eher angewandt, je mehr infinite Verben vor dem voranzustellenden Verb stehen (Verb in Term 1 [INF] in ( 8 1 ) ) , und bei haben häufiger als bei ffodalverben, brauchen, lassen, oder verba sentiendi. Diese Beobachtungen finden sich in der folgenden Variablenregel zusammengefaßt (vgl. den Besten/Edmondson 1981, 4 5 ) : (81)
i-
hab [+INF]
-
< Modal
haben
OINF] (Verb ) [+INF]
brauchen
< werden
OINF] < lassen [+INF]
< Modal
< verba sentiendi
SB: SV:
Damit sind Beispiele wie die folgenden erfaßt, in denen das umgestellte Verb hervorgehoben ist
(aus den Besten/Edmondson 1981, 2 9 f f . ) :
(82a) Er wird nicht haben kommen können. (82b) ... weil er sich selbst wird helfen können. (82c) Die Lebensideen Goethes, die sich so nicht wollten vereinigen lassen. (83a) (83b) (83c) (83d) (83e)
Ich bezweifle, daß er so etwas würde behauptet haben. so etwas würde behaupten wollen. Ich bezweifle, daß er nicht hat zu kommen brauchen. ihn hat kommen lassen. ihn hat kommen sehen.
Voraussetzung für den lokalen Charakter der Verb-Umstellung (81) ist ja, daß Term 1 und 2 Schwesterkonstituenten sind. Das wird durch die V-Anhebung erreicht. Diese Regel enthält jedoch den einzelsprachlich unterschiedlich festlegbaren Parameter n in v , d. h. es variiert von Dialekt zu Dialekt, welche kategoriale
175
Ebene des Verbs (V°, V , V" etc.) von der Anhebung erfaßt wird. So sind im folgenden schweizerdeutschen Beispiel (Lötscher 1978, 8) sukzessive die VP es velo schänke (- V") zu V töörfe und dann die so neugebildete Konstituente V zu welen angehoben worden, welches darauf vor die derart abgeleitete Schwesterkonstituente umgestellt werden konnte: (84a) Mer hand em Hans welen es velo schänke töörfe. (84b)
(84c)
es velo
schänke
töörfe
welen
(84c)
(84d)
es velo
schänke
töörfe
welen
176 (84d)
(84e)
es velo
schänke
Verb-Umstellung
Verb-Uirstellung kann zudem u. U. mehrmals angewandt werden wie in (84e) (84e)
^
^VP
welen
Verb-Umstellung (84f) Mer hand em Hans welen töörfen
es velo schänke.
Entsprechende Beispiele mehrfacher Verb-Umstellung bzw. unterschiedlicher Schwester-Konstituenten, mit denen das Verb permutiert wird, finden sich häufig (vgl. den Besten/Edmondson 1981, 31ff.). Insgesairit zeigen die verschiedenen Dialekte des Nl. und des Dt. eine große Variation im Bereich sowohl der V-Anhebung wie der Verb-Umstellung. Das gilt auch in diachroner Hinsicht, wie sich u. a. aus den Belegen bei Behaghel (1932, 82-144) sowie aus den Untersuchungen von Hairmarström (1923), iäurer (1926a) und
177
neuerdings von Hard (1981) und Ebert (1981) ergibt. Ebert diskutiert die Kypothesen von teurer und Behaghel auf der Grundlage eines ausreichend großen Korpus fnhd. Texte (1300-1600) aus Nürnberg. In einer differenzierten statistischen Auswertung stellt er fest, daß die Vähl der Abfolge ('V+Aux' versus 'Aux+V') von rhythmischen, lexikalischen, stilistischen und sozialen Faktoren bestimmt wird (S. 236). Dabei scheint die Abfolge 'V+Aux' im. 15. Jhd. zunächst abzunehmen, um dann im 16. Jhd. stark zuzunehmen, und zwar zunächst in der Kanzleisprache, die hier (wie schon bei der Vermeidung der Ausklammarung) einen beispielgebenden Einfluß auf andere Sprachstile gehabt zu haben scheint (S. 233f., 236f.). Die lexikalische Variation betrifft die Auxiliarverben selber; so finden sich in abnehmender (>) Häufigkeit "p.p. + werden > p.p. + haben > inf. + modals/werden > p.p. + sein" (S. 235). teurer
(1926a) und Behaghel (1932, 87) hatten lat. Einfluß beim Vordringen
der Abfolge V+Aux vermutet. Sie nahmsn an, daß die lat.
Passivform (dictum est)
zunächst für die Nachstellung von sein und später (per Analogie) auch von haben als Vorbild gedient habe. Diese Hypothese wird durch Eberts (1981) Untersuchung nicht bestätigt (S. 231). Dagegen sprechen die Daten nach Eberts Auswertung deutlich für eine andere von Behaghel vermutete Tendez, die die Abfolge verbaler Elemente beeinfluß: Es scheint eine ziemlich klare "rhythmische Neigung" (Behaghel 1932, 87) zu bestehen, durch die ein Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben bevorzugt wird, obwohl "Unterschiede nach Zeiten und Personen" (S. 88) bestehen; mit diesen Ergebnissen scheint mir der Charakter der Verb-Umstellung als Variablenregel auch für das Fnhd. deutlich erwiesen. Das ergibt sich auch aus der umfangreichen Untersuchung von Hard (1981). Hier werden auf der Grundlage ausreichenden Materials statistische Ergebnisse vorgelegt und ausgewertet. Vor allem zeigt sich der Einfluß verschiedener rein grammatischer Faktoren auf die Entwicklung vom Fnhd. bis zum Nhd. (vgl. S. 168f.). Die iCglichkeit zur Voranstellung des finiten Verbs wird von der Zahl der Konstituenten des Verbgefüges, von der grammatischen Form der infiniten Konstituenten (Partizip II, Infinitiv) und dem Bedeutungsgehalt der Hilfsverben (haben/ sein/ werden, Modalverben) bestimmt (vgl. auch S. 58). Insgesamt ergibt sich, daß die Verb-Umstellung diachron gesehen deutlich zugunsten der normierten absoluten Endstellung des finiten Verbs abnimmt, wobei der entscheidende Umschwung beim Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert liegt. Diese Entwicklung zur konsistenten OV-Abfolge innerhalb des verbalen Komplexes widerspricht dabei deutlich der von Vennemann angenommenen Tendenz, die das Deutsche eher auf dem Wege zur VD-Sprache sieht (vgl. 167). Die folgenden Beispiele zeigen, daß sich irr. Bereich der Verb-Umstellung zu
178
allen Zeiten der deutschen Sprachgeschichte eine starke Variation beobachten läßt. Die (von der nhd. Norm abweichende, aber in rezenten Dialekten nachweisbare) Abfolge, in der das übergeordnete Verb vorausgeht, findet sich in früheren Sprachstufen häufig (vgl. Behaghel 1932, 82ff., weitere Beispiele 89ff.): (85a) (85b) (85c) (85d)
In dhes dagum seal iuda uuerdhan chihaldan... (Isid. 651f.) Ni mag bürg uuerdan giborgan... (T. 25,1) ..., habt ir icht gehört sagen, ... (Lanz. Füetr. 104) Also in aller widerwertikeit sol man leren striten. (Tauler 234, 13)
Diese Umstellung wird jedoch im Laufe der Zeit offenbar immer weniger angewandt, so daß die OV-Abfolge (das übergeordnete Verb folgt) sich schließlich hochsprachlich durchsetzt (vgl. Behaghel 1932, 82ff.): (86a) So solti ouch keanderlich6t uuerden... (N. 5, 139, 15f. (Nk. 492, 1 7 ) ) (86b) ..., der mentsch mag vil lihte dar an betrogen werden. (St. Georg. Pred. 224, 24) (86c) ..., das sol ... verswigen bliben. (Nik. v. B. 206) (86d) sollen von jugende auff gute leüt gewesen sein. (Eyb. II, 61, 9, zit. nach Behaghel 1932, 83) (86e) ... ha-te er auch die sämmtlichen angekommenen Schauspieler kennen lernen, ... (Goethe, I, 22, 122, l O f . )
Britsprechendes gilt für die Abfolge von infinitem und finitem Verb (vgl. Behaghel 1932, 88ff.) sowie bei mehrgliedrigem Verbkomplex. Dabei ist insbesondere die schon genannte rhythmische Tendenz zur Alternation von betonter und unbetonter Silbe zu beachten, die eine Anwandung der stilistischen Variablenregel der Verb-Umstellung bedingen kann. Die einzelsprachliche und diachrone Variation liegt also sowohl in der Festlegung der Verbhierarchie in Term 1 und Term 2 (in der Verb-Umstellungsregel (81)) wie in der Entscheidung, ob "Verb ' obligatorisch oder fakultativ sein soll und wieviele Verben dem umzustellenden Verb (Term 2) vorangehen müssen (Wert von n in 'Verb ' ) . Dazu kommt die Variation der Regel 'Verb-Anhebung1, die v als V°, V , V" usw. festlegen kann, so daß sich u. U. Anhebungen einzelner Verben oder ganzer Verbalphrasen ergeben. Diachrone Umstrukturierungen lassen sich allenfalls im Engl. und Nl. feststellen. Im Nl. ist die Verb-Umstellung obligatorisch geworden (vgl. den Besten/Edmondson 1981, 46, 48). Im Englischen ist die Umstrukturierung offenbar noch waiter gegangen, indem die VO-Abfolge der verbalen Elemente nicht mehr wie im Nl. transformationell aus einer zugrundeliegenden OV-Abfolge am Satzende (SÖV), sondern direkt von den Basisregeln generiert wird. Vergleichbare Umstrukturierungen brauchen für das Deutsche nicht angenommen zu werden. Iimerhin erweist es sich in diesem syntaktischen Bereich als Möglichkeit syntaktischen Wandels,
179
daß eine fakultative stilistische Umstellungsregel diachron gesehen voll graitmatikalisiert wird und sich schließlich als obligatorische transformationeile Umstellung oder sogar in der Umstrukturierung der Basisregeln niederschlägt. 3.6.
Abschließende Bemerkungen
Die Stellung finiter Verben in erster oder zweiter Position, wie sie sich in der Geschichte der germ. Sprachen typischerweise entwickelt, ist in rein linearen Syntaxmodellen nicht erklärbar. Das gilt insbesondere auch für den \forschlag von Vennemann. Die von ihm zugrundegelegte Graimatiktheorie enthält m. E. keine Syntaxtheorie mit ausreichend deduktiver Struktur. Für die "Natürliche Generative Grammatik' (NGG, vgl. Bartsch/Vennemann 1972) leitet sich die Syntax aus der semantischen Struktur von Sätzen ab. Als syntaktische Regeln werden 'Anhebung1 und 'Linearisierung1 angenommen; - beide Regeln sind jedoch auf keine Weise p r i n z i p i e l l
eingeschränkt; eine Ableitung syntaktisch
nicht-wohlgefonnter Strukturen läßt sich daher nur durch ad hoc eingeführte Bedingungen verhindern, die für den jeweils zu beschreibenden Einzelfall gelten. Zweifellos lassen sich auf diese Weise alle zu beobachtenden syntaktischen Phänomene beschreiben, aber die jeweiligen Beschreibungen weisen insofern keine deduktive Struktur auf, als 1) keine autonome syntaktische Struktur zugrundegelegt wird und 2) jede Erscheinung für sich beschrieben wird, ohne aus allgemeinen Prinzipien der Grammatik ableitbar zu sein. Damit handelt es sich bei der syntaktischen Komponente der NGG um eine reine Taxonomie. Der Verzicht der NGG auf eine autonome syntaktische Struktur hat also die Konsequenz, daß die Stellung finiter Verben in Erst- oder Zweitstellung, wie sie für die Geschichte der germ. Sprachen typisch ist, strukturell nicht erklärbar ist.
in diesem Madell rein
Die syntaktisch entscheidende Frage ist näm-
lich, wieso das Verb gerade an die zweite Stelle tritt. Wodurch ist diese Position strukturell gegeben? Wieso ist sie durch ein finites Verb besetzbar? Mangels einer autonomen syntaktischen Struktur können frühere Iheorien auf diese Fragen keine Antwort geben. Sie können zwar Vermutungen darüber äußern, wozu diese Umstellung des Finitums dient, sind aber nicht in der Lage zu erklären, aufgrund welcher struktureller Gegebenheiten es zu genau dieser Umstellung kommen kann. Demgegenüber setzt die von mir vorgeschlagene generative Darstellung die vom Verb zu besetzende Position als strukturell von der Kerngramtatik gegeben voraus Sie ergibt sich aus der X-lheorie als allgemeiner Iheorie über mögliche autonome basisgenerierte syntaktische Strukturen. Das Verb kann bei geeigneter Pa-
180
rametrisierung ( 'move
1
,
= [+lps] , CQMP = [+Tps]) in die Position COMP
treten, die wahrscheinlich als Satz-Cperand anzusehen ist.
Auf diese Weise
entsteht im Germ, im 'System I' ein Satztyp mit einer bestimmten Ausdrucksfunktion (Hervorhebung des Satzinhaltes) . Dadurch aber, daß diese Position COMP nun strukturell gegeben und durch ein finites Verb besetzbar ist, wird auch die verb-Zweitstellung ermöglicht, wenn ein thematisches Satzglied vorangestellt wird. Auf diese Weise sind Verb-Erststellung und Verb-Zweitstellung unabhängig von ihrer jeweiligen Funktion autonom syntaktisch erklärt. Die unterschiedlichen Funktionen (u. a. die vermeintliche Disairbiguierung von OVS und SVO) sind dann erst sekundär diesen Strukturen zuzuweisen. Es wurde oben kurz angedeutet, daß COMP vermutlich als Satz-Operand angesehen werden kann. Unter dieser Voraussetzung läßt sich in unserem Zusammenhang folgende vorsichtige Argumentation wagen, die das Ergebnis der generativen Darstellung unter typologischem Gesichtspunkt zu interpretieren versucht: Wenn X" als vorangestelltes Satzglied sowie COMP und INFL jeweils als Operanden anzusehen sind, dann weisen die ^ - bzw. die S-Ebene im Gegensatz zur S-Ebene eine VX-Serialisierung auf:
(92)
x" =
, NP, PP, ...}
INFL
l
VX
Diese VX-Serialisierung ist die automatische Konsequenz einer Ihema-Eheroa-Abfolge, wie sie für viele Sprachen als unmarkierter Fall anzusehen ist. Vfenn nun eine SOV-Sprache die Voranstellung von Satzgliedern zur Markierung der IhemaEhema-Struktur wählt, so entsteht zwangsläufig ein Serialisierungskonflikt: Zumindest auf der^-Ebene liegt VX-Serialisierung vor, während die S-Ebene XV-Serialisierung aufweist. Es wäre also denkbar, daß die Umstrukturierung einer SOV-Sprache zur SVO-Sprache ihren Grund in diesem Serialisierungskonflikt
181
zwischen textueller ^. -Ebene und propositionaler S-Ebene hat.12 Zudem sind in den idg. Sprachen satzeinleitende Elemente vorhanden; das setzt, wie gezeigt, eine syntaktische Position OQMP voraus, die der eigentlichen Proposition S vorausgeht. So liegt also auch auf der S-Ebene eine VX-Serialisierung vor. Sie als Ursache einer weiteren Umstrukturierung zu SVO auf der S-Ebene und/oder als Folge der VX-Serialisierung auf der ^ -Ebene anzusehen, bietet sich an, muß aber beim gegenwärtigen Forschungsstand Spekulation bleiben. Inroerhin läßt sich vermuten, daß sowohl die im 'System I 1 im Germ, zu beobachtende Voranstellung des Verbs (COMP S) wie die Voranstellung von Satzgliedern in 'System II' als VX-Serialisierungen eine weitere Umstrukturierung auf der S-Ebene bewirkt haben, wie sie etwa in der Geschichte des Englischen deutlich erkennbar ist. Damit ergäbe sich eine Motivation für die Festlegung des Parameters [+Tps] in COMP: Durch dieses Merkmal ist die syntaktische Grundlage für die VX-Serialisierung von INFL und der Proposition erst gegeben. Dieses Ergebnis konnte erst aufgrund der folgenden Voraussetzungen gewonnen werden: 1) Erst die Annahme einer autonomen syntaktischen Struktur, die sich aus einer allgemeinen Iheorie möglicher syntaktischer Strukturen ableitet, stellte die syntaktische Position (OOMP) zur Verfügung, durch die eine Voranstellung des finiten Verbs überhaupt erst syntaktisch motiviert ist. 2) Eine geeignete MDdularisierung in interagierende Teilregeln (V-Voranstellung, V-Umstellung, Ausklammerung) und eine geeignete Paramstrisierung (von COMP) erlauben eine Analyse der Daten, die ihnen vom And. bis zum Nhd. eine im wesentlichen unveränderte syntaktische Struktur zuweist. 3) Erst aufgrund der so gegebenen formalen Beschreibung kann eine Bestimmung der semantischen oder pragmatischen Funktion erfolgen, und zwar sowohl synchron wie im diachronen Wandel, der folglich weniger als syntaktisch aufzufassen ist, sondern wohl vornehmlich in der sich ändernden funktionalen Bewertung der relativ stabil bleibenden syntaktischen Formen besteht.
12 Zur textuellen Bewertung der Verb-Erststellung vgl. Dressler (1969).
ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNIS
Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stand die Frage nach der angemessenen Beschreibung syntaktischen Wandels. Die hier vertretene Hypothese war, daß sich die adäquate Beschreibung aus einer allgemeinen Grammatiktheorie ableiten lassen müsse, um erklärenden Charakter zu haben. Die allgemeine Grammatiktheorie ist primär durch synchrone Untersuchungen begründet. Dadurch, daß sich aus ihr auch die Beschreibung diachroner Phänomene ergibt, erfährt sie eine unabhängige Bestätigung. Um das Verhältnis von allgemeiner Grammatiktheorie und Sprachwandel genauer zu bestimmen, wurde im 1. Kapitel ein forschungsgeschichtlicher Rückblick gegeben, in dem die theoretischen Positionen zum Sprachwandel (insbesondere zum syntaktischen Wandel) bei den Junggraimatikern, im Strukturalismus und in der generativen Transformationsgrammatik sowie in einigen anderen Ansätzen dargestellt und kritisch beleuchtet wurden. Vor diesem Hintergrund hob sich der in dieser Arbeit vertretene Standpunkt ab, der behauptet, daß ein syntaktischer Wandel im Prinzip mit synchroner Variation vergleichbar und entsprechend beschreibbar ist. Folglich erübrigt sich eine besondere Theorie 'möglichen syntaktischen Wandels', da dieser in der allgemeinen GranmatiJctheorie erfaßbar ist, welche die 'mögliche syntaktische Variation' definiert. Eine eigene 'Sprachwandeltheorie' oder gar eine 'Grammatikwandeltheorie' sind überflüssig, wenn die Grenzen und Bedingungen syntaktischer Variation in der allgemeinen Grammatiktheorie festgelegt sind. Diese Position erschien möglich aufgrund neuerer Entwicklungen in der generativen Grammatik, die eine generellere und zudem weitaus restringiertere Theorie möglicher syntaktischer Strukturen ergeben als frühere Ansätze. An dieses grundsätzliche Kapitel schlössen sich zwei Kapitel an, in denen der vertretene Ansatz empirisch überprüft und exemplifiziert wurde. Das 2. Kapitel befaßte sich mit der 'Entwicklung' der Nebensätze im Deutschen. Dabei wurde die syntaktische Struktur erarbeitet, die Haupt- und Nebensätzen im Nhd. gleichermaßen zugrundeliegt. Die spezifischen Unterschiede zwischen beiden Satzarten ließen sich aus generellen Prinzipien ableiten, denen die Umstellungsanweisung 'move 1 unterliegt. Durch die leicht unterschiedliche Festlegung bestimmter
183
offener Parameter ist die in diesem Bereich feststellbare Variation erklärbar, die eine klare formale Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen unmöglich nacht. Die für das Nhd. ermittelte Struktur ließ sich ohne Veränderung auf die syntaktische Beschreibung früherer Sprachstufen des Deutschen übertragen. Dabei ergab sich, daß die 'Entstehung1 von Nebensätzen lediglich darin besteht, daß bestürmte pronominale (satz-kataphorische) oder adverbielle Elemente als satzeinleitende Konjunktionen re-analysiert werden. Es liegt also kein Wandel in der syntaktischen Struktur selber vor, sondern nur eine Veränderung der strikten Subkategorisierung der betreffenden lexikalischen Elemente. Die formalen Unterschiede zwischen Haupt- und Nebensätzen folgen aufgrund allgemeiner Prinzipien aus der jeweiligen strukturellen Position, die eine Konjunktion oder ein Relativpronomen einnehmen. Auch bei der in Kapitel 3 behandelten 'Entwicklung1 der Verbstellung im Deutschen zeigte es sich, daß kein Wandel der syntaktischen Struktur angenommen werden muß. Sämtliche Verbstellungsmöglichkeiten des Nhd. finden sich auch schon im And. Was sich diachron gesehen möglicherweise in gewissem Maß ändert, ist lediglich die funktionale Zuordnung bestimmter Verbstellungen zu bestimmten elementaren illokutionären Verwendungsweisen der betreffenden Sätze als Aussage-, Frage- oder Nebensatz. Zudem ist eine Variation bei einigen stilistischen Umstellungsregeln zu beobachten, die in früheren Sprachstufen des Deutschen u. U. größer war als im Nhd. Dieses Ergebnis ließ sich aufgrund der gleichen strukturellen Analyse deutscher Sätze erreichen, wie sie in Kapitel 2 erarbeitet worden war. Die unterschiedlichen Verbstellungsiröglichkeiten stellten sich als das Ergebnis weniger, voneinander unabhängiger Regeln dar, die miteinander interagieren. Diese Darstellungsweise entspringt dem allgemeinen Prinzip der 'MDdularisierung', die einen der typischen Züge des zugrundegelegten Graitmatikmodells darstellt. Daneben erwies sich auch die 'Parametrisierung1 als erfolgreich anwendbares Konzept, da durch die unterschiedliche Fixierung offener Parameter (z. B. bei der Definition von 'a 1 bei 'move a 1 als [+Tps]) sowohl synchrone wie diachrone Variation im Bereich der Voranstellung von Verben und topikalisierten Satzgliedern zu erfassen ist. Die Auswahl der behandelten Probleme (Nebensätze, Verbstellung) erlaubte es, die vorgeschlagene generative Analyse mit solchen anderer Sprachtheorien zu vergleichen. Kapitel 2 bot einen Vergleich zu einer junggrammatischen Analyse, die zwar von einem 'Übertritt' der betreffenden Elemente aus dem mtrix-Satz an den Beginn des Nebensatzes ausgeht, aber über keine Syntaxtheorie verfügt, die erklärte, wieso genau dieser Übertritt (oder eine 'Verschiebung der Satzgrenze1) geschieht. Demgegenüber bietet die von mir angenomnene Struktur zusam-
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men mit allgemeinen Prinzipien, die 'move
1
einschränken, eine Erklärung so-
wohl für die Entstehung nebensatzeinleitender Konjunktionen aus deiktischen oder adverbißllen Elementen des Hauptsatzes wie für die Entstehung von Relativpronomina . Die generative Analyse der Verbstellung in Kapitel 3 konnte mit verschiedenen traditionellen, einer strukturalistischen und einer typologischen Darstellung kontrastiert werden. Dabei ergab sich, daß die generative Behandlung wegen der Aufteilung in mehrere Regeln (Modularisierung), der variierenden Wahl der Parameter und der hierarchischen Struktur zu einer deduktiven Erklärung gelangt, wo traditionelle, strukturalistische und typologische Darstellungen rein deskriptiv bleiben mußten. Zudem ermöglichte es die generative Analyse, die Phänomene als autonom syntaktische zu betrachten, so daß die funktionale Deutung darauf aufbauen konnte. Demgegenüber mußte der typologische Ansatz die funktionale Deutung als Grundlage für die scheinbaren formalen Veränderungen ansehen, da er nicht über eine autonome Syntaxtheorie verfügt. Eine funktionale Deutung im Sinne eines typologischen Wandels von 0V- zu VO-Serialisierung, der scheinbar durch die Verbzweitstellung befördert wird, gelang auch in der vorgelegten generativen Analyse. Hier konnte allerdings von einer autonomen hierarchischen syntaktischen Struktur ausgegangen werden, die versuchsweise zu verschiedenen linguistischen Strukturebenen in Beziehung gesetzt wurde. So konnte die 'analoge' Ausbreitung einer VO-Serialisierung von einer textlinguistisch relevanten syntaktischen Strukturebene (^.) über die illokutionär zu interpretierende Satzebene (S 1 ) bis zur eigentlichen, semantischen Proposition (S) gedeutet werden, so daß das Konzept der 'Analogie1 durch die angenommene Strukturbeschreibung expliziert wurde. Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Ein im eigentlichen Sinne
s y n t a k -
t i s c h e r Wandel findet in weiten Bereichen nicht statt. Ein Wandel liegt im wesentlichen in der Subkategorisierung im Lexikon sowie in der Zuordnung bestimmter Formen zu bestimmten Ausdrucksfunktionen vor. Aus dem Wandel in der Subkategorisierung können sich u. U. Konsequenzen für bestimmte Umstellungsmöglichkeiten ergeben (z. B. fehlende Voranstellung von Satzgliedern in Nebensätzen), welche sich aus allgemeinen Prinzipien der Regelanwendung ableiten. Lediglich in der Abnahme der Verb-Endstellung in uneingeleiteten Sätzen liegt ein Wandel. Hier findet sich ein Relikt einer früheren (germ.) syntaktischen Struktur. Der Wandel selber aber spielt sich völlig im Rahmen dessen ab, was von der Grammatiktheorie als einzelsprachliche 'Parametrisierung' als Möglichkeit gegeben ist. über die Gründe für diesen Wandel läßt sich nur spekulieren. Ein Versuch in dieser Richtung wurde in 3.5.5. und 3.6. angedeutet: Möglicherweise handelt
185 es sich um die Verfestigung einer ursprünglich akzidentellen Verb-Voranstellung als habituell, wofür sich insgesajnt wohl eine typologische Erklärung finden läßt. Festzuhalten bleibt aber, daß eine derartige 'Erklärung' ihrerseits auf einer ausreichend expliziten Syntaxtheorie fußt, die die "alte1 und die 'neue1 Struktur unabhängig als mögliche Fixierungen eines Parameters definieren kann. Was dagegen die Funktion syntaktischer Formen angeht, so liegt kein syntaktischer Wandel vor, sondern lediglich ein Wandel in der V e r w e n d u n g der (im übrigen autonomen) syntaktischen Formen. Im übrigen scheint der diachrone 'Wandel1 auf dem Gebiet der Syntax seine genaue Entsprechung in synchroner Variation zu haben. Dieses Ergebnis wurde aufgrund der Untersuchung von zwei zentralen Problemen der diachronen Syntax des Deutschen ermittelt. Viele andere Bereiche der Syntax des Deutschen blieben dabei außer Betracht, so z. B. die Syntax der Nominalphrase (Artikel, Adjektive, Partizipial- und Genitivattribute usw.), der Verbalphrase, der periphrastischen Verbformen, der infiniten
Ergänzungen, der Ak-
tiv-Passiv-Konverse u. a. mehr. Es ist natürlich nicht von vornherein auszuschließen, daß sich in diesen Gebieten syntaktischer Wandel in größerem Ausmaß findet als in den behandelten Bereichen, - aber es erscheint aufgrund der bisherigen Ergebnisse und vor dem Hintergrund der vorliegenden strukturellen Analyse unwahrscheinlich. Dennoch kann und soll das Ergebnis der vorliegenden Arbeit nicht in dem Sinne mißverstanden werden, als würde die Existenz syntaktischen Wandels insgesamt abgestritten. Allein die Tatsache, daß sich Sprachen, die eine gemeinsame Wurzel haben, in historisch überblickbarer Zeit syntaktisch auseinanderentwickelt haben (wie etwa die germ. Sprachen), spricht dafür, daß syntaktischer Wandel existiert, wenn auch in einem eng umrissenen und eingeschränkten Bereich, der von der Grammatiktheorie definiert sein muß. Dabei ist davon auszugehen, daß sich bestimmte Veränderungen, etwa im Bereich der Subkategorisierung, mit der Zeit so summieren, daß sie eine Re-Analyse der syntaktischen Struktur bedingen. Das Konzept der Re-Analyse ist bislang weitgehend unklar. Sie kann sich nur innerhalb des relativ engen Rahmens abspielen, der von der Grammatiktheorie abgesteckt
ist
und durch den 'mögliche syntaktische Strukturen menschlicher Sprachen' definiert sind. Insbesondere scheint eine Re-Analyse dann möglich zu sein, wenn von der Grammatiktheorie zur Analyse bestimmter Ketten von syntaktischen Konstituenten mehrere Strukturbeschreibungen zur Verfügung gestellt werden. Beim oben behandelten Beispiel der Verbstellung scheint sich dabei eine akzidentelle Stellung als habituell durchzusetzen, so daß insgesamt eine neue Strukturbeschreibung verfügbar wird, die auch auf andere syntaktische Ketten verallgemeinernd übertragen
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werden kann und die sich gegenüber der 'alten1 durchsetzt. Über Gründe und einschränkende Bedingungen für eine derartige Re-Analyse kann derzeit nur spekuliert werden. Deshalb sollten veitere diachrone Untersuchungen hier ansetzen. Sie könnten einen wesentlichen empirischen Beitrag zur waiteren Ausarbeitung der allgemeinen Graintiatiktheorie darstellen.
SIGLEN UND ABKÜRZUNGEN
CLS DGfS DRLAV GAGL
GLOW IULC KBGL KLAGE
LAUT MIT NELS OBST UCLA WBG ZDU
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