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German Pages 513 Year 1975
FESTSCHRIFT FUR KURT BALLERSTEDT
Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975
herausgegeben von
Werner Flume, Peter Raisch, Ernst Steindorff
DUNCKER & ßUMBLOT / BERLIN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft aus Sondermitteln des Bundesministeriums für Forschung und Technologie
Alle Rechte, auch die des auszugswelsen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Prlnted In Germany ISBN 3 428 03519 4
Zum Geleit Kurt Ballerstedt, dessen Person und Werk Autoren und Herausgeber mit dieser Festschrift ehren wollen, hat sich große Verdienste um die Rechtswissenschaft erworben. Besonders das Handelsrecht und das Wirtschaftsrecht verdanken ihm wesentliche Impulse. So hätte sich das Unternehmensrecht ohne die vielseitigen Bestrebungen Ballerstedts, beginnend mit seinem bahnbrechenden Aufsatz "Unternehmen und Wirtschaftsverfassung" (JZ 1951, 486 ff.), wohl nicht so, wie geschehen, formen und entfalten können. Sein Bemühen galt seit je der Entwicklung einer Unternehmensverfassung, an der er als Mitglied der vom Bundesminister der Justiz eingesetzten Unternehmensrechtskommission auch gegenwärtig leidenschaftlich mitarbeitet. Im Jahre 1962 übernahm der Jubilar zusammen mit Ernst Steindorff die Herausgeberschaft der von Levin Goldschmidt begründeten "Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht". Die Herausgeber nahmen das Wirtschaftsrecht in das Programm der Zeitschrift auf und setzten damit die Tradition im Sinne Goldschmidts fort mit der Verpflichtung und "dem Willen, den großen Aufgaben der ZHR als des deutschen wissenschaftlichen Zentralorgans für die Dogmatik des Handels- und Wirtschaftsrechts nach besten Kräften zu dienen", wie es in der Einführungsbemerkung zum 124. Band heißt. Dieses erweiterte Aufgabenfeld der Zeitschrift, auf deren Akzentsetzung Kurt Ballerstedt maßgeblichen Einfluß nimmt, spiegelt, wenn auch nur unvollkommen, das breite Spektrum des Interessen- und Arbeitsgebietes des Jubilars wieder. Die Vielfalt der Themen, die sein schriftstellerisches Werk ausmacht, zeugt von der Universalität seines Wirkens als Dogmatiker des Zivil-, Handels- und Wirtschafts rechts. Nach Savigny wird das wissenschaftliche Recht bestimmt durch "diejenigen Rechtslehrer, die im Ruf besonnener und gründlicher Forschung stehen". Kurt Ballerstedt gehört zu ihnen. Bonn, im Dezember 1975
Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis Wirtschafts-, Unternehmens- und Arbeitsrecht Kurt H. Biedenkopf Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen
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Konrad Duden Mitbestimmung und Kapitalbeteiligung .
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Otto Kahn-Freund Das britische Gesetz über die Arbeitsbeziehungen von 1971. Eine kritische Würdigung . .... ... . . . . . . . .. .................. 51 Wolfgang Kartte Energiewirtschaft und Marktwirtschaft .
71
Otto Kunze Zum Begriff des sogenannten Tendenzbetriebes ...
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Fritz Rittner Bankenaufsicht und Gesellschaftsrecht
.. . ..... . ..... 105
Ernst Steindorff Kommanditgesellschaft auf Aktien und Mitbestimmung ........ . ... 127
Gesellschafts- und Konzernrecht earl Hans Barz Verschmelzung von Personengesellschaften Wilhelm F. Bayer Mehrstuftge Unternehmens verträge
........... . ...... 143
........... . . . .. . . . ... 157
Günther Beitzke Pftegschaften für Handelsgesellschaften und juristische Personen .... 185 Werner Flume Die Abftndungsklauseln beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . .. 197
Inhaltsverzeichnis
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Ernst Geßler Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 219 Brigitte Keuk-Knobbe Das Klagerecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft wegen gesetzes- und satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung . . .. 239 Wolfgang Schilling Gesellschafterbeschluß und Insichgeschäft .......................... 257 Peter Ulmer Das Vorbelastungsverbot im Recht der GmbH-VorgeselJschaft - notwendiges oder überholtes Dogma? .................................. 279
Bürgerliches Recht und Handelsrecht Marianne Bauer Erweiterung der Gefährdungshaftung durch Gesetzesanalogie . . . . . . .. 305 Ulrich Huber Zur Konzentration beim Gattungskauf .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 327 Horst Heinrich Jakobs Der Architektenvertrag im Verhältnis zum Dienst- und Werkvertragsrecht .............................................................. 355 Alexander Knur Dekretverfahren als Mittel zur Reform des Adoptionsrechts ..... . . . .. 383 Karl Larenz Bemerkungen zur Haftung für "culpa in contrahendo" .............. 397 F. A.Mann Gewerbliche Schutzrechte, mengenmäßige Beschränkungen und EWGVertrag. Eine Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes .............................................................. 421 Pet er Raisch Bedeutung und Wandlung des Kaufmannsbegriffs in der neueren Gesetzgebung ........................................................ 443 Stefan A. Riesenfeld Dingliche Sicherungsrechte an beweglichem Vermögen nach der Neufassung des Einheitlichen Handelsgesetzbuches für die Vereinigten Staaten ............................................................ 469 Jürgen Schmude Verbraucherschutz und Vertragsfreiheit ........... . ................ 481
Inhal tsverzeichnis
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Bibliographie J osef Stotzem Verzeichnis der rechts wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Kurt Ballerstedt ........................................................ 501
Verzeidtnis der Mitarbeiter
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Wirtschafts-, Unternehmensund Arbeitsrecht
Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen Von Kurt H. Biedenkopf Als die britischen Konservativen die Wähler im Februar 1974 mit der Frage konfrontierten: "Wer regiert Großbritannien, die Regierung oder die Gewerkschaften?", hielten viele, insbesondere ausländische Beobachter diese Formulierung für überspannt und spleenig, kurz: für "typisch britisch". über das eigentliche Problem der Fragestellung wurde erstaunlich wenig gesprochen, die Berechtigung der Frage wurde kaum ernsthaft in Zweifel gezogen. Das Ergebnis jener Wahl entscheidung spiegelte die Ratlosigkeit wider, die die Wähler angesichts dieser Fragestellung befiel. Die Briten entschieden sich ziemlich genau mit jeweils der Hälfte der Stimmen für die eine und für die andere Alternative. Für viele kam diese Entscheidung unerwartet, verwunderlich war sie nicht. Selbst die konservative Partei mußte nach der Wahl selbstkritisch eingestehen, daß sie die Wähler mit der Fragestellung überfordert hatte. Man hatte sie - unzureichend vorbereitet - mit einer der wichtigsten, zugleich aber auch schwierigsten und ungeklärtesten Probleme der modernen Industriegesellschaft konfrontiert. Man hatte von der Bevölkerung erwartet, daß sie durch eine politische Wahl einen grundlegenden Konflikt jeder freiheitlichen Ordnung würde beantworten können: den Konflikt zwischen der Autorität der Regierung, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Sachverhalte eigenständig zu regeln und zu entscheiden, und dem Anspruch gesellschaftlicher Gruppen, ihre eigene Vorstellung in diesen Bereichen durchzusetzen. Die Wähler fühlten sich zur Lösung dieses Problems nicht berufen. Sie verweigerten die Antwort. Doch die Frage bleibt bestehen: Wer regiert und führt ein Land? Wie ist das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen zu ordnen? Die Aktualität dieser Fragen kann auch für die Bundesrepublik Deutschland nicht bestritten werden. Auch bei uns haben sich in den letzten Jahren die Anlässe gemehrt, die uns danach fragen ließen, welche Regeln, Gesetze und Zielvorstellungen das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bestimmen oder zumindest bestimmen sollten. Einer dieser Anlässe war zu Beginn des Jahres 1974 der Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr auf der einen und dem Bund, den Ländern und den Gemeinden auf der anderen Seite.
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Kurt H. Biedenkopf
Die Auseinandersetzung war eine eindringliche Demonstration der Möglichkeiten gesellschaftlicher Gruppen, durch die angedrohte Vorenthaltung wichtiger und mitunter unentbehrlicher Leistungen für die Gesamtheit der Bürger einen Einfluß auf die staatliche Willensbildung zu nehmen, der in keinem Verhältnis zur Legitimation und politischen Verantwortung der organisierten Gruppen steht. Viele Bürger beobachteten damals mit Unbehagen, daß eine einzelne gesellschaftliche Gruppe den Staat zur Durchsetzung ihrer Sonderinteressen unter Druck setzen kann und - wenn es politisch möglich ist - auch unter Druck setzt. Von einer ähnlichen Bedeutung war ein halbes Jahr zuvor der sogenannte Bummelstreik der deutschen Fluglotsen. Dieser Streik demonstrierte, daß in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft eine vergleichsweise kleine Gruppe von Experten dank ihrer Kontrolle von technologischen Schaltstellen und öffentlichen Einrichtungen der breiten Mehrheit des Volkes ihren Willen aufzwingen kann. Die Regierung zeigte sich als Gegenspieler der Fluglotsen in einem monatelangen Ringen außerstande, wirksam gegen den in dieser Form offensichtlich unberechtigten Ausstand vorzugehen und die Streikenden für die von ihnen verursachten Schäden in Anspruch zu nehmen. Das Ende der im Jahre 1973 von der Bundesregierung angestrengten Gerichtsverfahren ist bis heute nicht abzusehen. 1.
Der Streik der britischen Bergarbeiter, der im Frühjahr 1974 zum Sturz der konservativen Regierung führte, und die weniger dramatischen, aber gleichfalls ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen der ÖTV oder den Fluglotsen auf der einen und der Bundesregierung auf der anderen Seite sind Beispiele für ein zentrales gesellschaftliches Problem. In allen Fällen geht es um das Verhältnis des Staates zu den gesellschaftlichen Gruppen. Dieses Verhältnis hat die wissenschaftliche Arbeit des Jubilars immer wieder beschäftigt. Ob im Zusammenhang mit der Frage der Mitbestimmung oder der Kontrolle wirtschaftlicher Macht, stets ging es Ballerstedt um das diesen Konflikten zugrundeliegende allgemeine Problem der zutreffenden verfassungsrechtlichen und politischen Einordnung gesellschaftlicher Macht in den Gesamtzusammenhang einer rechtsstaatlich verfaßten Staats- und Gesellschaftsordnung. Diese Fragestellung bestimmt die Entwicklung des modernen Wirtschaftsrechts in den 20er Jahren und die politische Auseinandersetzung um den verfassungsrechtlichen Ort und die rechtliche und politische Funktion der Verbände. Sie bestimmte bereits die Auseinandersetzung über die Ausgestaltung der Wirtschaftsdemokratie in der Weimarer Verfassung und sie wurde erneut aktuell, als die neue Wirtschafts- und
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Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland Gestalt annahm. Schon 1957 formulierte Theodor Eschenburg: "Kein Mensch streitet sich in Deutschland nur darüber, daß wir in der modernen demokratischen Massengesellschaft die Verbände brauchen. Nicht die Existenzberechtigung der Verbände steht in Frage; das Problem besteht vielmehr in den Mitteln, die sie anwenden, und darin, daß der Staat nicht stark genug ist, sich dieser Mittel zu erwehren, weil er in höchst komplizierter Verzahnung durch seine Träger in Staatsführung, Legislative und weiten Bereichen der Verwaltung mittelbar oder unmittelbar von den Verbänden abhängig ist." Und weiter: "Die richtige politische Lösung liegt in einer sachgerechten Regelung und hier ergibt sich die Frage: Wie weit weicht Machtgerechtigkeit von Sachgerechtigkeit ab?" (Der Staat und die Verbände, 1957, Seite 30). In jüngster Zeit hat die Frage nach dem Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen durch die Erörterung des Gedankens der Sozialpflichtigkeit autonomer Gruppen zusätzliche politische Bedeutung erlangt. Als eines der jüngsten politischen Dokumente befaßt sich die "Mannheimer Erklärung" des Bundesvorstandes der eDU mit diesem Problem. Zur Rolle der gesellschaftlichen Gruppen heißt es dort, daß mit der Verwirklichung der freiheitlichen und demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik die Bedeutung autonomer Verbände und Organisationen ständig gewachsen ist. "Sie gehören heute zu den unverzichtbaren verfassungsrechtlich gesicherten Bestandteilen unserer offenen und pluralistischen Gesellschaft. Sie nehmen bestimmte Interessen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen wahr, bilden wirksame Gegengewichte gegen andere organisierte Interessen, die Ansammlung wirtschaftlicher Macht und gegenüber dem Staat. In ihnen vollziehen sich für die Funktion einer arbeitsteiligen Wirtschaft und Gesellschaft wesentliche Meinungs- und Willensbildungen. Damit strukturieren sie den Prozeß gesellschaftlicher Willensbildung und vermitteln zugleich zwischen den staatlichen Institutionen und dem Bürger." Die Erklärung stellt in diesem Zusammenhang fest, daß Unternehmensverbände und Gewerkschaften, Großunternehmen, Interessenverbände und Selbstverwaltungsorganisationen, wenn sie wirksam sind, über gesellschaftliche Macht verfügen. Diese Macht - so heißt es - "ist notwendig, wenn die Gruppe ihre legitime Aufgabe erfüllen soll. Sie kann jedoch den gesellschaftlichen Machthaushalt auch nachhaltig stören und die Funktionsfähigkeit des Staates in bestimmten Teilbereichen beeinträchtigen. Dies gilt für die Auseinandersetzung organisierter Gruppeninteressen untereinander ebenso wie für das Verhältnis der Gruppen zum Staat und zur Allgemeinheit. Der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ist dafür ebenso Beispiel wie der Ausstand organisierter Spezialisten zum Nachteil der Allgemeinheit".
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Besondere Erheblichkeit hat der Erklärung zufolge, die Verbindung organisierter zu Lasten nichtorganisierter Interessen. "Beispielhaft dafür ist die Verbindung der gemeinsamen Interessen von Anteilseignern, Gewerkschaften und Management zu Lasten der Verbraucher und der Allgemeinheit." Mehr denn je gewinnt deshalb "die Aufgabe des Staates an Bedeutung, seine gesamte Verantwortung gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen durchzusetzen und die Interessen der Allgemeinheit zu wahren. Dem demokratisch legitimierten Staat ist es aufgegeben, den Rahmen zu setzen, in dem die Gruppen sowohl im Inneren wie nach außen tätig werden". Die Macht organisierter Interessen berührt dabei nicht nur das Verhältnis zum Staat, "sondern auch die Stellung des einzelnen zur organisierten Gruppe. Große gesellschaftliche Gruppen und Wirtschaftsorganisationen haben heute gegenüber dem einzelnen vielfach eine faktische Macht, die mit der hoheitlichen Macht des Staates vergleichbar ist. Im Gegensatz zu staatlichem Handeln unterliegt sie jedoch keiner wirksamen politischen oder rechtlichen Kontrolle. Daraus ergeben sich weitreichende Folgen für den einzelnen, den Staat, aber auch die Gruppe selbst". Mit diesen Feststellungen berührt die "Mannheimer Erklärung" die verschiedenen Dimensionen der rechtlichen und politischen Beziehungen, die zwischen dem Staat und seinen Institutionen, den gesellschaftlichen Gruppen und dem einzelnen Bürger bestehen. In ihren politischen Schlußfolgerungen geht die Erklärung vor allem auf die Notwendigkeit ein, die autonomen Gruppen und Verbände in das Ganze und das Gemeinwohl einzuordnen. Diese Einordnung sieht sie als Ausdruck des allgemeinen sozialstaatlichen Grundsatzes, nach dem alle vom Staat gewährte Autonomie den Anforderungen der Gemeinwohlverträglichkeit unterworfen ist. "Mit der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips wurde der Gedanke der Sozialpflichtigkeit von Eigentum auf alle Formen gesellschaftlicher Machtpositionen erstreckt. Zugleich ist die Einordnung der autonomen Gruppen in das gesellschaftliche Ganze Ausdruck ihrer begrenzten Legitimation. Im Gegensatz zum Staat, der von der Gesamtheit aller Bürger legitimiert ist, vertreten die autonomen Gruppen immer nur gesellschaftliche Teilbereiche und deren Sonderinteressen. Aus dieser unterschiedlichen Legitimation folgt, daß ein Sozialvertrag zwischen Staat und autonomen Gruppen nicht möglich ist und daß der Staat seine Autorität nicht mit den Gruppen teilen kann." Umgekehrt, so heißt es weiter, "können die Gruppen Verletzungen ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie durch den Staat zurückweisen. Dies heißt allerdings nicht, daß der Staat die autonomen Gruppen gänzlich sich selbst überlassen darf. Die veränderte Stellung des einzelnen in der autonomen Gruppe erfordert vielmehr, daß unsere Rechtsordnung auch hinsichtlich der demokratischen Gestaltung der
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Gruppen und des Verhältnisses der Verbände zu ihren Mitgliedern durchgesetzt wird. Dies gilt insbesondere in den Bereichen des Minderheitenschutzes, der Verbandspublizität, der Schiedsgerichtsbarkeit und der Sicherung der demokratischen Willensbildung im Verband. Die berechtigten Interessen und Bedürfnisse des einzelnen müssen auch im Rahmen des Verbandes berücksichtigt bleiben". II.
Um das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen zutreffend zu erfassen, müssen einige Vorfragen geklärt werden. Die erste Frage, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist, ist die Frage nach der Zuständigkeit: Wer ist wofür zuständig? Welche Bereiche sind ganz oder vorwiegend dem Staat und welche Bereiche sind gesellschaftlichen Gruppen zuzuordnen? Wo und wann werden Zuständigkeiten überschritten und welche Sanktionen lösen derartige Überschreitungen aus? Dürfen gesellschaftliche Gruppen zu allen politisch relevanten Fragen mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit Stellung nehmen? Und wie werden bestimmte Zuständigkeiten überhaupt begründet, und können sie sich im Laufe der Zeit verändern? Doch das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen ist nicht auf Zuständigkeitsfragen beschränkt. Wie die eingangs geschilderten Konflikte zeigen, ist auch das Problem der politischen und rechtlichen Bindung von Staats- und Gruppenmacht von erheblicher Bedeutung. Welches ist der Ursprung einer solchen Bindung, wo sind ihre Grenzen? Welches ist die Quelle der rechtlichen und faktischen Macht von Staat und gesellschaftlichen Gruppen in einer freiheitlichen Ordnung? Welche legitimen Aufgaben haben die Gruppen gegenüber dem Staat und den Bürgern? Und schließlich: Welche Regeln und Gesetze bestimmen die inneren Strukturen der gesellschaftlichen Gruppen? In welchem Umfang ist der Staat berechtigt oder verpflichtet, die Stellung und innere Ordnung der Gruppen zu gestalten und ihnen konkrete Aufgaben zuzuweisen? Selbst mit diesen Fragen wird der Themenkreis Staat und gesellschaftliche Gruppen nur lückenhaft umrissen. Die Fülle der Fragen verdeutlicht jedoch bereits, welch schwierigen und zum großen Teil ungelösten Aufgaben wir gegenüber stehen. Wenn es nicht gelingt, diese Aufgaben in absehbarer Zeit zu bewältigen, werden wir mit Sicherheit die politische Verbindlichkeit und damit die Stabilität unserer freiheitlichen Ordnung verlieren. In gewisser Weise läßt sich die Frage nach der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und gesellschaftlichen Gruppen der Bedeutung - wenn auch nicht dem Inhalt - nach mit der "Sozialen Frage" des ausgehenden 19. Jahrhunderts vergleichen. So wie damals die gesellschaftspolitische Leistungsfähigkeit und damit die politische 2 Festschrift fOr Kurt Ballerstedt
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Stabilität des Staates von der Lösung der Arbeiterfrage abhing, so hängt heute die Leistungsfähigkeit und die politische Glaubwürdigkeit Unserer Verfassungs- und Gesellschaftsordnung auch VOn einer befriedigenden Regelung des Verhältnisses von Staat und gesellschaftlichen Gruppen ab. III. Für die Regelung dieses Verhältnisses ist es nützlich, sich auf die Grundfunktionen zu besinnen, die die organisierten Gruppen in einer modernen und freiheitlich geordneten Industriegesellschaft wahrnehmen. Die Gruppe war und ist in erster Linie eine Schutz- und Leistungsgemeinschaft. Die Verbesserung individueller Sicherheit und die Steigerung individueller Leistungsfähigkeit sind für die Entfaltung und Selbstverwirklichung des Menschen von elementarer Bedeutung. Im Verlauf der neueren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung wurde die Erfüllung dieser Aufgaben in immer stärkerem Maße von Gruppen ergänzt und zum Teil übernommen. Unser heutiges System der sozialen Sicherung ist in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen ein typisches Beispiel für den in Gruppen organisierten Schutz des Individuums. Zahlreiche soziale Funktionen der Gesellschaft, die mehrheitlich nichts anderes als Schutzfunktionen sind, werden ganz oder überwiegend durch organisierte Gruppen erfüllt. Ähnliches gilt für die gesellschaftliche Gruppe als Leistungsgemeinschaft. Die gemeinsame Bewältigung bestimmter Probleme war von jeher die Aufgabe kurz- oder langfristig angelegter Gruppen. Ihre Bedeutung hat in neuerer Zeit ständig zugenommen. Die heutige arbeitsteilige Gesellschaft ist ohne solche "Leistungsgruppen" schon begrifflich undenkbar. In diesem Sinne sind auch moderne Großunternehmen als Leistungsverbände oder Leistungsgruppen anzusehen, weil sie Produktions- und Dienstleistungen erbringen, die nur als Gemeinschaftsleistung erbracht werden können. Eine dritte Funktion der gesellschaftlichen Gruppen, die die beiden anderen weitgehend überdeckt, obwohl sie geschichtlich gesehen neueren Datums ist, ist die gemeinschaftliche Interessenvertretung. Die gemeinschaftliche Vertretung und Wahrung spezifischer Interessen ist in einer freiheitlichen Gesellschaft immer dann angezeigt, wenn der einzelne wegen seiner wirtschaftlichen, politischen oder rechtlichen Stellung nicht in der Lage ist, seine Interessen individuell durchzusetzen. Unter Bedingungen einer modernen arbeitsteiligen Industriegesellschaft ist dies in der Regel der Fall, wenn berechtigte Interessen des einzelnen nicht als Rechtsansprüche bei Gericht durchgesetzt werden können. Beispiele dafür sind wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Interessen, die sich entweder nicht oder noch nicht zu einem Rechtsanspruch verdichtet haben oder die einer rechtlichen Regelung überhaupt nicht zu-
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gänglich sind. Solche Interessen können in der Regel nur gemeinschaftlich wirksam vertreten werden. Im Gegensatz zu den von der Sache her zwingenden und in der geschichtlichen Entwicklung verankerten Schutz- und Leistungsfunktionen der Gruppe ist ihre Funktion als gemeinschaftliche Interessenvertretung im Grundgesetz und in anderen westlichen Verfassungen besonders gesichert. In Artikel 9 Absatz 3 GG heißt es, daß jedermann das Recht habe, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die Zielrichtung dieses Grundrechts ist eindeutig. Dem einzelnen Bürger soll durch die Möglichkeit des Zusammenschlusses die Wahrung von Interessen ermöglicht werden, die er individuell nicht durchsetzen könnte. Diese besondere verfassungsrechtliche Absicherung der gemeinschaftlichen Interessenvertretung durch organisierte Gruppen hat - abgesehen von einer Reihe konkreter historischer Gründe - allgemeinere Bedeutung. Zum einen können wichtige individuelle Grundrechte wie die allgemeine Handlungs- oder die Berufsfreiheit oder die Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Interessen ohne organisierte Gruppen nur in beschränktem Umfang ermöglicht werden. Noch wichtiger aber ist, daß die durch Gruppen organisierte Interessenvertretung der Bürger ein tragender Bestandteil der freiheitlichen Ordnung eines Gemeinwesens ist. Nur in einer freiheitlichen Ordnung können sich Bürger zur Durchsetzung bestimmter legitimer Interessen organisieren. In Diktaturen sind aus offensichtlichen Gründen Interessenorganisationen ausgeschlossen. Die Aufgaben der Gruppen sind hier auf Leistungs- und - in gewissem Umfang - auf Sozialfunktionen beschränkt. Im übrigen sind sie Transmissionsriemen des zentralen Willens des Staates oder der politischen Partei. Gruppenorganisierte Interessenvertretungen sind deshalb zu Recht als konstitutives Element einer freiheitlichen Gesellschaft in der Verfassung besonders gewährleistet. IV. Mit der Beschreibung der wichtigsten Gruppenfunktionen sind zugleich zentrale Aufgaben des Staates oder genauer der staatlich verfaßten Gemeinschaft angesprochen. Das Verhältnis des Staates zu den gesellschaftlichen Gruppen wird durch diese zentralen staatlichen Aufgaben bestimmt. Auf die Beschreibung dieser Aufgaben kann hier nicht näher eingegangen werden. Deshalb sollen nur zwei der vielfältigen staatlichen Aufgaben Erwähnung finden. Die eine ist im Bereiche der internationalen Beziehungen angesiedelt und betrifft die Vertretung der nationalen Interessen gegenüber anderen staatlich verfaßten Gemeinschaften. Konkret erfüllt der Staat diese Aufgabe durch Pflege internationaler Beziehungen, durch die Wahrung seiner Handlungs- und Wirtschaftsinteressen und nicht zuletzt durch die Aufrechterhaltung der ge-
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botenen Verteidigungsbereitschaft. Nach innen gewandt ist der Staat als staatlich verfaßte Gemeinschaft eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer Hochkultur und Zivilisation. Von ihr hängt in hohem Maße die Wirtschaftskraft eines Volkes ab. Sie erbringt Leistungen, die einzelne Gruppen nicht erbringen können, wie beispielsweise die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit durch Wahrung des Rechtsfriedens. Im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit berühren sich Leistungs- und Schutzfunktionen des Staates. Der Staat erfüllt seine Schutzfunktion in erster Linie durch die Erhaltung des inneren und äußeren Friedens. Dabei ist die Erhaltung des inneren Friedens im wesentlichen abhängig von der Fähigkeit des Staates, sozialen Konflikten durch eine gerechte Verteilung der Lebensgüter im weitesten Sinne vorzubeugen und Konflikte, die dennoch eintreten, wirksam zu schlichten oder die für ihre Beilegung notwendigen Einrichtungen zu schaffen und zu sichern. Die für ein geordnetes und stabiles Gemeinwesen erforderliche Führungs- und Schlichtungsfunktion des Staates wiederum hat zur Voraussetzung, daß sich der Staat insoweit .nicht auf einer Ebene der Gleichordnung mit Individuen, Gruppen und Verbänden befindet. Seine Legitimation und rechtliche Qualität ist von der der Gruppen und Verbände verschieden und ist diesen übergeordnet. Diese tlberordnung ist in der freiheitlichen Demokratie in der besonderen Legitimation des Staates und seiner Organe begründet. Nur der Staat ist im Gegensatz zu jeder anderen gesellschaftlichen Institution oder Organisation durch die Gesamtheit aller Bürger legitimiert. Aus dieser umfassenden Legitimation erwachsen dem Staat bestimmte nur ihm zugeordnete Rechte. Gleichzeitig ist sie auch der Grund für die besonderen Pflichten des Staates gegenüber den einzelnen Bürgern und den gesellschaftlichen Gruppen.
V. Die konkrete Ausformung der Rechte und Pflichten des Staates im Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Gruppen folgt aus den möglichen Konfliktslagen der Gruppen selbst. Solche Konfliktslagen bestehen im Verhältnis von Individuum und Gruppe, im Verhältnis der Gruppen untereinander und im Verhältnis von Gruppen und Staat. Das Verhältnis von Individuum und Gruppe ist gekennzeichnet durch ein mehr oder weniger ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis des Individuums zur Gruppe. Wie bereits ausgeführt, kann der einzelne nur mit Hilfe der Gruppe bestimmte Aufgaben lösen, soziale Bedürfnisse befriedigen und legitime Interessen wirksam vertreten. Diese faktische Abhängigkeit des einzelnen bei der Verwirklichung seiner Persönlichkeit und seiner Interessen von der organisierten Gruppe ist solange un-
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problematisch, als die Gruppenorganisation sich nicht gegenüber dem einzelnen verselbständigt und eine Eigengesetzlichkeit entfaltet. Solange die Gruppe Objekt der Willensbildung ihrer Mitglieder ist, ist eine Gefährdung der Stellung des einzelnen durch die Gruppe ausgeschlossen. Jede Gruppe hat jedoch die Tendenz, ein Eigenleben zu entwickeln, sich zu verselbständigen und sich damit aus der dienenden Funktion gegenüber ihren Mitgliedern zu lösen. Als Folge verkehrt sich das Verhältnis von Organisation und Mitglied. Aus dieser Umkehr des Objekt/SubjektVerhältnisses ergeben sich in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft grundlegende Probleme. Zu ihnen gehört die Frage, ob der Bürger, dessen Menschenwürde und Freiheit gegenüber dem Staat verfassungsrechtlich geschützt ist, einen entsprechenden Schutz auch gegenüber der Gruppe genießt. Denn unbestreitbar können organisierte Gruppen - vom Sportverein über das Unternehmen bis zur berufsständischen Organisation oder der Gewerkschaft - die Freiheit und Individualität des einzelnen in einer Weise einschränken, die die Frage nach der Wahrung der Grundrechte und selbst nach der Wahrung der Menschenwürde ernsthaft aufwerfen kann. Welche Probleme in diesem Rahmen praktisch zu lösen sind, zeigt beispielhaft die Auseinandersetzung und die Zuständigkeit des Deutschen Fußballbundes, insbesondere die Schiedsgerichtsbarkeit des Verbandes. Dabei geht es um die Frage, ob eine gesellschaftliche Gruppe aufgrund ihrer faktischen Rechtsrnacht über das Lebensschicksal eines Menschen entscheiden darf, ohne daß dieser durch die staatlichen Gerichte wirksam gegen die Verbandsmacht geschützt werden könnte. Das Verhältnis von Schiedsgerichtsbarkeit der Verbände und staatlicher Gerichtsbarkeit dokumentiert besonders anschaulich eine mögliche Konfliktslage zwischen dem einzelnen und der Gruppe. Die Regelung von Konfliktslagen im Verhältnis von Individuum und Gruppe ist jedoch nicht nur für das Individuum selbst von Bedeutung. Je ungeklärter die Stellung des Individuums in der Gruppe ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Konflikte zu Lasten des Schwächeren, in aller Regel also zu Lasten des Individuums entschieden werden. Das wiederum bedeutet, daß die Macht der Gruppe im Inneren praktisch nicht kontrolliert wird. Umgekehrt gilt, daß die rechtlich gesicherte Stellung des Individuums in der Gruppe die Gruppenmacht beschränkt und damit zur rechtsstaatlichen Eingliederung der Gruppe in den Gesamtzusammenhang der Verfassungsordnung insgesamt beiträgt. Mit anderen Worten: die Durchsetzungsfähigkeit der Gruppe gegenüber anderen Gruppen und dem Staat ist abhängig von der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Organisation gegenüber den Mitgliedern und damit von der rechtlichen Gestaltung der Stellung der Mitglieder in der Gruppe.
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Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen die Konflikte der Gruppen untereinander. Der bedeutsamste ist der Konflikt zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, der Tarifkonflikt. Konflikte dieser Art werden im allgemeinen Sprachgebrauch als Verteilungskämpfe bezeichnet. Sie sind Wesensmerkmale einer freien und pluralistischen Gesellschaft. Mit der verfassungsrechtlich abgesicherten Entscheidung für gruppenorganisierte Interessenvertretungen hat sich unsere Rechtsordnung gleichzeitig dafür entschieden, bestimmte Verteilungsprobleme im Wege des offen ausgetragenen Konflikts zu lösen. Dies gilt auch für die Verteilungskämpfe, die nur mittelbar zwischen den Gruppen ausgetragen werden. So konkurrieren etwa Gewerkschaften mit Bauernverbänden oder den Organisationen der Unternehmer um Anteile an den öffentlichen Haushalten: die Gewerkschaften fordern höhere Sozialleistungen, die Bauernverbände größere Subventionen und die Unternehmer niedrigere Steuern. Der unmittelbare Konflikt besteht hier nur zwischen den jeweiligen Gruppen und dem Staat. Mittelbar ist jedoch auch dieser Konflikt ein Teil des Verteilungskampfes der Gruppen untereinander, da er immer nur auf Kosten der Forderungen der einen oder anderen Gruppe gelöst werden kann. Als Adressat konkurrierender Forderungen hat der Staat in diesen Fällen lediglich darüber zu befinden, welche Interessen er zu Lasten anderer allgemeiner oder gruppenspezifischer Interessen anerkennen und damit befriedigen will. Wohl am vielschichtigsten und besonders klärungsbedürftig sind die Konfliktslagen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und dem Interesse der Allgemeinheit oder kurz: zwischen Gruppen und Staat. Einige dieser Konflikte sind offensichtlich, andere bedürfen der näheren Prüfung. Offensichtlich ist zum Beispiel, daß die Interessen eines Großunternehmens, eines Arbeitgeberverbandes, eines Bauernverbandes oder einer Ärztekammer erheblich von den Interessen der Allgemeinheit abweichen können. Zielsetzungen, die sich aus der Sicht eines Unternehmens oder einer organisierten Gruppe vernünftig ausnehmen, können aus der Sicht der Allgemeinheit nicht nur unvernünftig, sondern mit dem Allgemeinwohl schlechthin unvereinbar sein. So spricht die Rationalität des einzelnen Verbandes, etwa eines Unternehmens, für die Abwälzung des unternehmerischen Risikos auf die Allgemeinheit durch Abschluß von Kartellverträgen oder mitHilfe einer marktbeherrschendenStellung. Mit der Rationalität des Ganzen ist eine solche Verhaltensweise nicht zu vereinbaren. Sie widerspricht dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung offener Märkte und an der Belastung des unternehmerischen Entscheidungsträgers mit dem Risiko unternehmerischer Entscheidungen. Dieser mögliche Widerspruch zwischen Rationalität des
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Ganzen und der Rationalität seiner Teile ist eine ständige Quelle von Konflikten zwischen Gruppen und Staat. Schwieriger zu erkennen sind die Konflikte, die sich daraus ergeben, daß Gruppen im Interesse des Allgemeinwohls ständig gezwungen sind, ihre Besitzstände zu überprüfen und zu verändern. Die staatlich verfaßte Gemeinschaft kann ihren Bestand nur dann sichern, wenn es ihr gelingt, sich laufend an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und den Wandel der Umweltbedingungen damit zu beherrschen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn auch die Gruppen innerhalb der Gesellschaft ihre angestammten Besitzstände, sei es in der Wirtschaft, im Markt, in der Produktion, im Export oder im Bereich der Arbeitsplätze, ständig neu gestalten oder neu abgrenzen. In diesem Bereich, den man mit der generellen Aufgabe: Anpassung an veränderte Umweltbedingungen bezeichnen kann, kollidiert das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der Lebens- und Existenzfähigkeit der Gesellschaft durch ständige Anpassung an veränderte Bedingungen mit dem Interesse der Teilgruppen, an ihrem Besitzstand festzuhalten und möglichst geringe Anstrengungen zum Zwecke der Anpassung zu leisten. Dabei erhöht sich der Widerstand der Gruppe gegen jegliche Veränderung mit dem Grad ihres wirtschaftlichen und politischen Einflusses, der wiederum zu einem wesentlichen Teil von der Struktur der Gruppe, insbesondere vom Grad ihrer Zentralisation abhängt. Die unterschiedliche Anpassungsfähigkeit des zentral organisierten deutschen Bergbaus und der hochgradig dezentralisierten deutschen Textilindustrie bietet dafür ein gutes Beispiel. Konflikte zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen ergeben sich auch aus der Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen an staatlichen Entscheidungsprozessen. Diese Beteiligung kann entweder unmittelbar in Parlamenten, Gemeindevertretungen oder anderen Organisationen staatlicher Willensbildung erfolgen - eine Beteiligungsform, die bei uns nur ansatzweise erkennbar ist - oder mittelbar durch die Beteiligung der Gruppen an allgemeinen politischen, namentlich wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Für letzteres ist die konzertierte Aktion charakteristisch. In diesen Fällen stellt sich die Frage nach der Legitimation der jeweils beteiligten Gruppen zur Teilnahme an der konkreten staatlichen Willensbildung. Diese Frage ist bisher noch keineswegs beantwortet. Die in den 60er Jahren geführte Diskussion über das allgemeine politische Mandat der verfaßten Studentenschaften behandelte nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtproblems. Zu Recht wurde jedoch auch in dieser Diskussion die Frage aufgeworfen, ob es zulässig sei, daß Vertreter der Studentenschaft im Namen aller Studenten zu allen politisch relevanten Fragen mit der Autorität der Gesamtorganisation Stellung nehmen, eine Frage, die sich übrigens nicht nur bei verfaßten Organisationen, sondern auch dort stellt, wo die Mitgliedschaft in der Organisation zwar freiwillig
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ist, die Organisation aber Kraft ihrer faktischen Bedeutung großes Gewicht in der Gesellschaft hat. Eine Antwort setzt die Klärung der Frage voraus, ob und wie sich die Zuständigkeit der organisierten Gruppen von der des Staates unterscheidet; insbesondere, ob organisierte Gruppen für den von ihnen gestalteten Bereich die gleiche Zuständigkeit haben sollen wie der Staat, der durch die Gesamtgesellschaft legitimiert ist, oder ob ihre Zuständigkeit auf bestimmte gesellschaftliche Teilaspekte oder Teilfunktionen beschränkt bleiben muß. Gemeint ist dabei nicht die Berechtigung einer organisierten Gruppe, sich an der öffentlichen Erörterung beliebiger politischer Themen zu beteiligen, sondern ihre Kompetenz, zu allen politischen Fragen mit Wirkung und Verbindlichkeit für ihre Mitglieder Stellung zu nehmen. Beispiele hierfür sind etwa Beschlüsse eines Gewerkschaftstages zu Fragen der Außenpolitik oder zu § 218.
VII. Die Konflikte im Verhältnis von Gruppe und Individuum, der Gruppen untereinander, vor allem aber im Verhältnis von Gruppe und Staat waren Gegenstand unterschiedlicher Lösungsversuche. Der weitreichendste beseitigt Spannungen zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen dadurch, daß er - wie die Französische Revolution - die Gruppen auflöst oder zumindest ihre Organisation unterdrückt. Das Ziel ist die Reduktion des komplexen Verhältnisses von Staat und Gesellschaft auf das scheinbar transparentere und "regierbarere" Verhältnis von Staat und Bürger. Zu diesem Zweck sollen die sogenannten gesellschaftlichen Zwischengewalten, also jene Organisationsstrukturen, die zwischen der Summe der Individuen und der staatlich verfaßten Gemeinschaft angesiedelt sind, ausgeschaltet werden. Nicht nur die Französische Revolution, auch moderne Staats- und Gesellschaftsformen, vornehmlich zentralistisch und diktatorisch orientierte Ordnungen versuchen immer wieder, gesellschaftliche Gruppen nachhaltig zu schwächen, ihre Aufgaben möglichst auf Leistungsgemeinschaften zu beschränken. Beispiele finden sich in allen kommunistischen Staaten ebenso wie in Rechtsdiktaturen. Für freiheitliche und pluralistische Gesellschaften sind solche Antworten auf die Konflikte zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppen unannehmbar. Die Geschichte und die politische Praxis zeigen, daß die gesellschaftlichen Gruppen in einer modernen freiheitlichen Massengesellschaft unverzichtbare Funktionen erfüllen, und zwar sowohl gegenüber dem Individuum und der Gesellschaft als auch gegenüber dem Staat. Aus der Sicht des Individuums gliedern gesellschaftliche Gruppen die Massengesellschaft in überschaubare Einheiten. Die Verweisung des
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einzelnen auf den Staat, auf ein Gebilde von 60 Millionen Menschen und einen außerordentlich verzweigten arbeitsteiligen Prozeß wäre gleichbedeutend mit seiner weitgehenden Vereinzelung und Anonymisierung in der Masse. Erst die Gruppen geben dem einzelnen in Genossenschaften, Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden und wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen die Möglichkeit, sich in einem Rahmen zu bewegen, der für ihn überschaubar und begreifbar ist, und in dem er seine besondere Identität bewahren und entfalten kann. Neben die bereits erwähnte Funktion gesellschaftlicher Gruppen bei der Verwirklichung bestimmter Grundrechte tritt somit ihr Beitrag zur praktischen Wahrnehmung der allgemeinen Freiheits- und Menschenrechte durch den Bürger. Die Gliederung der Massengesellschaft in Gruppen ist aber auch für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft selbst unverzichtbar. Die Gruppenstruktur ist Voraussetzung der gesellschaftlichen Pluralität. Wichtiger noch ist, daß nur eine durch Gruppen mitgestaltete Massengesellschaft in sich und gegenüber dem Staat handlungsfähig ist. Die Zerschlagung gesellschaftlicher Gruppen durch die Diktaturen bezweckt die Beseitigung dieser Handlungsfähigkeit. Eine gruppenstrukturierte Gesellschaft bildet ein ungleich größeres Gegengewicht gegen staatliche übermacht und Willkür als eine umstrukturierte Masse. Auch aus der Sicht eines freiheitlichen Staates sind gesellschaftliche Gruppen unverzichtbar. 60 Millionen Menschen sind in einer freiheitlichen Geesllschaftsordnung nicht ohne Gruppenstrukturen regierbar. Die gesellschaftlichen Gruppen unterstützen den Staat bei seinen Lenkungs- und Schlichtungsfunktionen durch ihre Mitwirkung an der allgemeinen Konsensbildung. Durch die Formulierung und Darstellung von Verteilungskonftikten leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Spannugen. Wichtige Konftiktsbereiche und der Tarifvertragsbereich sind ganz der Regelung durch die nächstbeteiligten Gruppen überlassen. Die Gruppen gliedern die Gesellschaft in überschaubare Willens- und Entscheidungsträger. Gemeinsam mit diesen Entscheidungsträgern kann der Staat die Gesellschaft in einem fruchtbaren Wechselspiel steuern und lenken. Aus der Bedeutung der gesellschaftlichen Gruppen für die einzelnen Bürger, die Gesellschaft und den Staat folgt, daß in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht die Frage zur Entscheidung ansteht, ob es überhaupt gesellschaftliche Gruppen geben sollte, sondern nur wie die als unverzichtbar erkannten Gruppen gestaltet sein müssen, um dem einzelnen und dem Ganzen so gut wie möglich zu dienen. Mit anderen Worten: Es geht um die Einordnung der gesellschaftlichen Gruppen in das gesellschaftliche Ganze und um ihre Bindung an das Allgemeinwohl. Die Be-
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wältigung dieses Problems ist für den einzelnen Bürger von eben solcher Bedeutung wie für die Gesellschaft und den Staat. Die politische Behandlung dieses Problems in der gegenwärtigen Diskussion hat erneut zu der Frage geführt, ob zur Ordnung des Verhältnisses von Staat und gesellschaftlichen Gruppen ein Verbandsgesetz notwendig ist. Da es sich um ein für die freiheitliche Gesellschaft konstitutionelles Problem handelt, liegt eine gesetzgeberische Lösung nahe. Andererseits setzt die gesetzliche Regelung Sachverhalte voraus, die ausreichend eindeutig und typisierbar sind, um Gegenstand gesetzlicher Normen sein zu können. Für die Komplexität und Vielfalt der Beziehungen zwischen staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen fehlt es an dieser Voraussetzung gesetzlicher Regelung weitgehend. Zu Recht wird deshalb eine allgemeine Verbandsgesetzgebung überwiegend als gangbarer Weg für die Lösung der beschriebenen Konflikte abgelehnt. Das bedeutet allerdings nicht, daß auf jegliche überlegung, auch im Bereich der Gesetzgebung, verzichtet werden sollte. Das Argument vieler gesellschaftlicher Gruppen, das insbesondere ihr Verhältnis zum Mitglied nicht geregelt werden müsse, weil es jedem frei stehe, bei etwaigen Unzuträglichkeiten die Gruppe zu verlassen, ist nicht stichhaltig. Es übersieht, daß in wichtigen gesellschaftlichen Gruppen die Mitgliedschaft zwar formell freiwillig ist, der einzelne aber praktisch nicht ohne Inkaufnahme wesentlicher Nachteile ausscheiden kann. Dies gilt z. B. dann, wenn die Zugehörigkeit zu einer Gruppe die praktisch unverzichtbare Voraussetzung für die Berufsausübung ist. Es gilt auch, wenn das Mitglied durch längere Mitgliedschaft in der Organisation gewisse Rechte, Ansprüche oder sonstige Vorteile gegenüber der Gruppe oder gegenüber Dritten erworben hat. Da die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft im konkreten Fall also wesentlich eingeschränkt sein kann, muß die Rechtsstellung des einzelnen in der gesellschaftlichen Gruppe so definiert werden, daß die Gruppe nicht frei über die Mitgliedschaft verfügen kann. Unverzichtbare Rechtspositionen des einzelnen in der Gruppe sollten deshalb rechtlich geregelt werden. Ähnliches gilt für den Kernbereich des Grundrechtsschutzes des einzelnen und für die Anforderungen, die hinsichtlich des Grundsatzes der demokratischen Gestaltung der inneren Verfassung der organisierten Gruppen bestehen. Zu Recht geht das kollektive Arbeitsrecht davon aus, daß nur solche Koalitionen tariffähig sind, deren innere Organisation den Anforderungen demokratischer Willensbildung entspricht. Dieser Grundsatz ist durchaus verallgemeinerungsfähig. Er ist auf alle Organisationen anwendbar, die ihrer Stellung, ihrer Bedeutung oder ihrer Funktion nach in den Bereich des öffentlichen Interesses reichen. Im Ergebnis darf die Rechtsstellung des Bürgers innerhalb und gegenüber
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organisierten Gruppen nicht schwächer sein als gegenüber staatlicher Macht. Ebenso eindeutig muß entschieden werden, welche Zuständigkeiten und Aufgaben gesellschaftliche Gruppen innerhalb der Gesellschaft und gegenüber dem Staat wahrnehmen sollen. Zu dieser Frage sind zwei grundlegend verschiedene Auffassungen denkbar. Die eine geht davon aus, daß die gesellschaftlichen Gruppen zwar dem Staat untergeordnet sind, im übrigen aber die gleiche Zuständigkeit haben. Der Staat konkurriert in allen Fragen mit den gesellschaftlichen Gruppen und bildet mit diesen eine Art Föderation. Er ist lediglich ein Dach über einer Vielzahl von Organisationen, die sämtlich kraft eigener Kompetenz jede politische Frage entscheiden können, für die sie sich zuständig erklären. Man kann diese Auffassung als ständestaatliches oder syndikalistisches Organisationsprinzip bezeichnen. Die Allzuständigkeit organisierter Gruppen im Sinne der Freiheit der beliebigen Zweckwahl und -verwirklichung wird von der zweiten Auffassung entschieden bestritten. Sie geht davon aus, daß die Zuständigkeit organisierter Gruppen begrenzt ist und allein der Staat eine Allzuständigkeit in allen Angelegenheiten hat, die das Volk als Ganzes betreffen. Gegenüber dem Staat haben die gesellschaftlichen Gruppen nach dieser Ansicht nur begrenzte, eben gruppenspezifische Zuständigkeiten. Dabei ist es unerheblich, ob diese Zuständigkeiten auf staatlicher Delegation oder auf autonomer Zielsetzung der Gruppen selbst im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte beruhen. Die praktischen Auswirkungen beider theoretischen Grundpositionen sind erheblich. Folgt man der ersten Auffassung und gesteht den gesellschaftlichen Gruppen ein Mitspracherecht bei allen staatlichen Entscheidungen zu - falls sie ein solches Recht wirklich in Anspruch nehmen so muß man die Gruppen - ähnlich wie Gebietskörperschaften - als "Interessenkörperschaften" betrachten. Daraus ergeben sich, wenn man den Grundgedanken demokratischer Willensbildung erhalten will, wichtige Konsequenzen für ihre rechtliche Stellung und ihre innere Verfassung. Konsequent zu Ende gedacht, müßten die gesellschaftlichen Gruppen bei der Verwirklichung des Prinzips öffentlich-rechtliche Satzungen und insbesondere das Recht zur Zwangsmitgliedschaft erhalten. Darüber hinaus müßte die Bevölkerung, die von den Entscheidungen solcher "Interessenkörperschaften" betroffen wäre, berechtigt sein, auch diese Körperschaften politisch zu kontrollieren, ähnlich wie dies bei der politischen Gebietskörperschaft der Fall ist. Als Konsequenz würde sich die rechtliche Stellung der organisierten Gruppen von Grund auf verändern. Aus freiwilligen Zusammenschlüssen zur Verfolgung bestimmter autonom gewählter Zwecke würden von Staats wegen geschaffene Gebilde, die - ähnlich wie die Gebietskörper-
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schaften - bestimmte Aufgaben erfüllen. "Interessenkörperschaften" dieser Art hätten mit den gesellschaftlichen Gruppen in einer freiheitlichen Gesellschaft wenig gemeinsam. Im Ergebnis würde eine solche Ordnung das Ende der gegenwärtigen Pluralität, Flexibilität und relativen Spontaneiät der gesellschaftlichen Strukturen bedeuten. Sie wird deshalb auch nicht ernsthaft politisch gefordert, wenngleich Ansätze zu einer solchen Entwicklung in den überlegungen etwa zur Schaffung eines Wirtschafts- und Sozial rates als einer Art Kammer der "Interessenkörperschaften" enthalten sind. Die beschriebenen rechtlichen und verfassungspolitischen Konsequenzen für die Organisation und rechtliche Verfaßtheit organisierter Gruppen können nur vermieden werden, wenn die gesellschaftlichen Gruppen sich im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Teilfunktionen bewegen und nicht ein allgemeines politisches Mandat beanspruchen. Nach der zweiten Grundauffassung, die nach meiner überzeugung den Anforderungen unserer demokratischen Rechtsstaatlichkeit alleine entspricht, können der Staat und die gesellschaftlichen Gruppen im Bereich des allgemeinen politischen Mandats nicht miteinander konkurrieren. Zwischen ihnen besteht ein qualitativer Unterschied, der sich aus der unterschiedlichen Form der Legitimation des Staates und der freiwillig gebildeten gesellschaftlichen Organisation ergibt. Für die politische Praxis bedeutet dies, daß die Regierung als staatliche Institution ihre allgemeine politische Verantwortung mit den gesellschaftlichen Gruppen nicht teilen kann. Aus diesem Grund kann sie auch keinen Stabilitätspakt mit gesellschaftlichen Gruppen schließen oder gesellschaftliche Gruppen an staatlichen Entscheidungsprozessen beteiligen. Voraussetzung für einen solchen Pakt wäre nämlich, daß der Staat und die gesellschaftlichen Gruppen auf der gleichen Ebene miteinander verhandeln und kontrahieren können. Da dies nicht der Fall ist, kann die Regierung den gesellschaftlichen Gruppen zwar bestimmte Maßnahmen und Entscheidungen in Aussicht stellen und sie im Rahmen von Konsultationsprozessen an der Bildung des staatlichen Willens beteiligen. Sie kann sich ihnen gegenüber jedoch nicht verpflichten, in einer bestimmten Weise zu handeln. Anderenfalls würde die Regierung das ihr von den Wählern übertragene Mandat unzulässig an bestimmte gesellschaftliche Teilinteressen binden. Eine Einbeziehung der gesellschaftlichen Gruppen in die staatlichen Entscheidungsprozesse ist deshalb nur im Bereich vorbereitender Konsultation, nicht aber im Bereich der eigentlichen Entscheidung möglich. Aber selbst im Bereich der Konsultation bedarf die Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen einer allgemeinen grundsätzlichen Regelung, um sicherzustellen, daß sich aus ihr keine faktische Beteiligung mit Verbindlichkeit für das Handeln der Regierung ergibt.
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Die Bestimmung der Zuständigkeit gesellschaftlicher Gruppen als Repräsentanten gesellschaftlicher Teilaspekte oder Teilfunktionen wirkt allerdings nicht nur gegen diese. Sie bindet vielmehr auch den Staat, die legitimen Zuständigkeiten der gesellschaftlichen Gruppen zu respektieren. Die Sicherung der allgemeinen politischen Zuständigkeit des Staates und der Ausschluß des Staates aus den Zuständigkeitsbereichen der gesellschaftlichen Gruppen sind zwei Seiten derselben Medaille. Hier liegt unter anderem die Begründung für den Anspruch der Tarifparteien gegen den Staat nicht in den Bereich der Tarifautonomie einzugreifen. Die Teilautonomie der gesellschaftlichen Gruppe führt zu der Frage nach ihrer Einbindung in das gesellschaftliche Ganze. Bei dieser Fragestellung geht es um nichts anderes als um die Anwendbarkeit des allgemeinen Grundsatzes der Gemeinwohlbindung aller gesellschaftlich relevanten Macht. Dieser Grundsatz, der im Zusammenhang mit dem grundrechtlichen Schutz des Eigentums ausdrücklich formuliert wird, durchzieht unsere Verfassung wie ein roter Faden. Er besagt, daß alle gesellschaftlichen Kräfte, die - gleichgültig aus welchen Quellen - über soziale Macht verfügen, in der Handhabung dieser Macht an die Interessen des gemeinen Wohls gebunden sind. Diese Bindung, insbesondere auch der machtvollen gesellschaftlichen Gruppen, die die Freiheitsrechte des einzelnen und ihrer Konkurrenten, aber auch die Sicherheit des Gemeinwesens bedrohen können, verleiht dem Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums eine umfassende gesellschaftspolitische Dimension. Ein so umfassender Gedanke wie die Gemeinwohlbindung aller gesellschaftlichen Macht im Rahmen einer freiheitlichen Verfassung kann schon wegen der Komplexität und Verschiedenheit der Sachverhalte nicht durch Gesetz verwirklicht werden. Eine allgemeine gesetzliche Regelung des Gedankens der Sozialpflichtigkeit ist bereits beim verhältnismäßig begrenzten Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Privateigentums nicht möglich. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß sich die Bestimmung des Allgemeinwohls jeder gesetzlichen Fixierung entzieht, da Allgemeinwohl keine statische Größe, sondern das Ergebnis eines dynamischen politischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozesses ist. Es läßt sich nur in einem Prozeß kontinuierlicher öffentlicher Auseinandersetzung bestimmen und durchsetzen. Für die praktische Politik bedeutet dies, daß nicht nur die verfaßte Öffentlichkeit, sondern auch der einzelne Bürger bereit sein muß, an der Durchsetzung der Interessen des Ganzen gegen die Interessen organisierter Teile mitzuwirken. Von der Bereitschaft des Bürgers, Teilinteressen den Gesamtinteressen unterzuordnen, ist sowohl die Macht und Ohnmacht des Staates, wie die Macht und die Begrenzung der gesellschaftlichen Gruppen abhängig, denn die Funktionsfähigkeit beider, des Staa..;
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tes und der gesellschaftlichen Gruppen, ist in einer freiheitlichen De~ mokratie letztlich davon abhängig, ob und in welchem Umfang die Be~ völkerüng bereit ist, eher das Gruppeninteresse oder das Gemeinwohl als höherrangig zu unterstützen. Ist die Bevölkerung davon überzeugt, daß die Ziele einer Gruppe gerechtfertigt und die bei einer Verfolgung dieser Ziele eingesetzten Mittel angemessen sind, so ist es für eine de~ mokratisch legitimierte Regierung außerordentlich schwierig, gegen eine solche Gruppe vorzugehen. Die Tarifkonflikte zu Beginn des Jahres 1974 veranschaulichen die Abhängigkeit von Gruppenmacht, aber auch die Abhängigkeit organisierter Gruppen und der staatlichen Institutionen von der öffentlichen Meinung. Die öffentliche Meinung ist der entschei~ dende Machtfaktor, den gesellschaftliche Gruppen gegen den Staat mobi~ lisieren können. Die öffentliche Meinung, der "common sense" der Bürger ist aber auch das wichtigste und zugleich wirksamste Regulativ zur orga~ nisierten Gruppenmacht selbst. Für die politische Führung eines Staates kommt es deshalb entschei~ dend darauf an, die öffentliche Meinung durch umfassende Information und Motivation für die Sicherung des Gemeinwohls nutzbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, daß die Regierung nicht selbst in der Abhängig~ keit von einer oder mehreren Gruppen steht. Sie muß von der gesamten Bevölkerung gleichermaßen als Autorität anerkannt sein. Dazu muß sie von allen gesellschaftlichen Gruppen eine ausreichende Distanz wahren. Sie darf nicht mit der einen oder anderen gesellschaftlich erheblichen Gruppe oder Organisation identifiziert werden. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist die Autorität der Regierung ihre Stärke und die Grundlage ihrer Macht. Diese Autorität beruht nicht nur auf den Bestimmungen der Verfassung. Die Legitimität staatlicher Macht und damit staatlicher Autorität beruht in der politischen Wirklichkeit auch auf dem ständig neu gefällten Urteil der Bürger über die Objek~ tivität der staatlichen Funktionen, vor allem der Regierung und ihre Fähigkeit zu unvoreingenommener Verwirklichung des Allgemeinwohls. Eine Regierung, die auf diese Objektivität achtet, leistet einen wichti~ gen Beitrag zur Aufrechterhaltung jenes lebendigen Spannungsverhält~ nisses zwischen den Gruppen und dem Ganzen, das für die Entwicklungs~ und Leistungsfähigkeit einer freiheitlichen Gesellschaft von größter Be~ deutung ist. Aus diesem Spannungsverhältnis erwachsen den demokra~ tischen Gesellschaften wichtige Impulse. Diese Spannung zwischen den Gruppen und dem Ganzen ist es, die unsere Gesellschaft wesentlich vor~ antreibt. Aber sie ist nur konstruktiv, wenn der Staat in der Lage ist, das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen im Gleichgewicht zu halten. Das ausgewogene Verhältnis zwischen Staat und gesellschaftlichen Grup~ pen ist eine zentrale Bedingung für eine freiheitlich verfaßte Gesell~ schaft.
Mitbestimmung und Kapitalbeteiligung* Von Konrad Duden I.
Untemehmens-Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer einer,seits, Möglichkeit der (mehr als schuldvertraglichen) Verbindung von Unternehmen andererseits sind zwei heute in unserm Lande weithin anerkannte Postulate. Das erste hat möglicherweise in gewissem Umfang Verfassungsrangi. Für das andere kann man das im Sinne einer "institutionellen Garantie" wohl nicht annehmen; aber me Auflösung der vielen bestehenden "Verbindungen" könnte Verfassungsfragen aufwerfen, vielleicht nach Art. 14 GG. Jedenfalls ist me Nützlichkeit der Verbindung von Unternehmen, ·me ihre wirtschaftlichen Kräfte steigert, ohne die dezentrale Gliederung ihrer Führung aufzuheben, so weitgehend anerkannt, daß me Forderung gerechtfertigt ist, keinem derbeiden Postulate, wo sie miteinander in Kollision geraten, grundsätzlich einen Vorrang einzuräumen, sondern sie so zu erfüllen, daß beiden der geringstmögliche Abbruch .geschieht. Unter "Verbindung" verstehen wir dabei nicht nur die Fälle des § 15 AktG, sondern auch andere Verhältnisse, die das Unternehmen an dem Punkte berühren, auf den auch die ArbeitnehmerMitbestimmung zielt, nämlich an der Or.ganisation und Kontrolle ihrer Leitung. Dazu gehört jede Beteiligung des Unternehmens A am Unternehmen B, da sie ja A als Mitglied die Teilnahme an der Willensbildung in B gewährt. Für me Möglichkeiten der Lösung ·dieses Problems: Harmonisierung von Mitbestimmung und Unternehmensverbindung, macht es offensichtlich einen wesentlichen Unterschied, ob der "andere Faktor", das Kapital, gleichmäßig auf beiden Seiten zum Einsatz kommt, oder ob ein Kapitaleinfluß von A auf B, aber nicht von B auf A stattfindet. Im ersten Fall, z. B. bei einem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG), mit oder ohne sich "neutralisierende" wechselseitige Beteiligung, erscheint das Mitbestimmungsproblem, verstanden als Aufeinanderabstimmen von Kompe• Der Beitrag ist in Zuneigung und großem Respekt Kurt Ballerstedt gewidmet, der sich um die Möglichkeit unternehmerischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer in unserem Lande so verdient gemacht hat. 1 VgI. z. B. Mitbestimmungsbericht 1970, BTDs VI/334, unter IV 1 ff.
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tenzen aus Kapitaleinsatz und aus Arbeit im Unternehmen, nicht prinzipiell anders gelagert als im einzelnen Unternehmen: Die Kompetenzen beider Seiten werden sich irgendwie in die zusammenfassende Organisation hinein fortsetzen und sind hier in -angemessener und praktikabler Weise zu vereinen. Die folgenden Bemerkungen befassen sich nicht mit der Frage, wie .dergleichen am besten zu bewerkstelligen ist. Sie handeln vielmehr nur von der anderen Grundkonstellation: Zwei Unternehmen, in beiden Mitarbeiter, in beiden auch ein Kapitaleinsatz, aber mit der Besonderheit, .daß ein Teil des Kapitaleinsatzes in B, im Extremfall der ganze, nicht durch sonstige Kapitalgeber, sondern durch A, das andere Unternehmen erfolgt. Es gibt zwei Belegschaften, denen Mitbestimmung zukommt, der Belegschaft A in bezug auf die Beschlüsse im Unternehmen A, der Belegschaft B in bezug auf die Beschlüsse im Unternehmen B. Es lassen sich aber .demgegenüber nicht in gleicherWeise klar getrennt zwei Kapitaleignergruppen unterscheiden, die auf Mit- (oder Rest-Allein-) Bestimmung einerseits in A, andererseits in B Anspruch erheben können, sondern in einem gewissen Umfang wird ein und derselbe Kapitaleinsatz einmal unmittelbar im Unternehmen A wirksam, ein zweites Mal mittelbar in B, durch die Beteiligung von A an B. Es gibt zwei Belegschaften, denen Mitbestimmung zukommt, aber nicht in gleicher Weise zwei Kapitaleinsätze. Es liegt in dieser Situation nahe, daß -die A-Kapitaleinleger, die zunächst der Mitbestimmung durch die A-Belegschaft konfrontiert sind, wenn sie beobachten, daß das Unternehmen A sodann als Kapitalgeber des Unternehmens B bei der Willensbildung in B auf die B-Belegschaft stößt, geneigt sind, sich über eine "Potenzierung" der Mitbestimmung zu beschweren, die sie doppelt schwäche. Wird aber, um dem abzuhelfen, die Ausübung der A-Beteiligungsrechte in B der Mitbestimmung durch die A-Belegschaft entzogen, so kann sich diese über eine Teil-Wiederentziehung ihres Mitbestimmungsrechts in A-Sachen beklagen, da ja die Ausübung der A-Rechte in B auch eine A-Sache ist; und die B-Belegschaft könnte rügen, daß sie sich mit Gesellschaftern ·auseinandersetzen müsse, die das in Wahrheit gar nicht sind, denn das A-Unternehmen ist etwas anderes als die A-Gesellschafter. Mit dieser Aporie wollen sich die folgenden Bemerkungen auseinandersetzen.
H. Eine einschlägige Bestimmung enthält § 15 MbErgG 1956. Sie betrifft die Ausübung von Beteiligungsrechten eines Unternehmens, in dem die sog. "Montan";..Mitbestimmung, nach dem MbG 1951 oder nach dem MbErgG selbst, gilt (A), in einem -anderen Unternehmen (B). Ist A an B zu mindestens einem Viertel beteiligt, so wird bei der Beschlußfassung
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in A über die Ausübung des mit der Beteiligung ·verbundenen Stimmrechts von Ain der Aktionär- oder Gesellschafter-Versammlung von B die Mitbestimmung der A-Belegsch'aft in bezug auf gewisse, B betreffende Entscheidungenausgeschaltet,und zwar in bezug auf (1) die Bestellung (auch die Entlastung und gegebenenfalls Abberufung) der "Verwaltungsträger" von B, also wenn B eine AG ist: die Wahl der AnteilseignerVertreter im B- Aufsichtsrat, und (2) gewisse besonders einschneidende Beschlüsse betreffend den Bestand von B: Auflösung, Verschmelzung, Umwandlung, Fortsetzung nach Auflösung, Vermögensübertragung. In bezug auf diese Beschlüsse wird die Entscheidung über die Ausübung des Stimmrechts von A dessen Vorstand (Geschäftsführung) genommen und, mit Durchbrechung der sonst geltenden Kompetenzordnung, dem A-Aufsichtsrat übertragen, und in diesem stimmen in diesen Fällen allein die Anteilsvertreter. Der Vorstand (die Geschäftsführung) hat diese Entscheidung bei der (weiter durch ihn erfolgenden) Stimmabgabe zu befolgen. Diese Anordnung des MbEG 1956 war das Ergebnis einer lebhaften Auseinandersetzung, die von folgendem sehr besonderen Sachstand ausging: Das MbG 1951 hatte die Mitbestimmung in der seither als "Montanmodell" bekannten Weise in 24 Unternehmen des Bergbaus und der Eisen- und Stahlerzeugung eingeführt. Schon bei Erlaß dieses Gesetzes wurde die Frage gestellt, wie es mit der Mitbestimmung stehe, wenn solche Unternehmen von andern beherrscht würden, die ihrerseits nicht unter das Gesetz fielen; es kam damals nicht zur eindeutigen Einbeziehung dieser Fälle. Die Frage wurde sowohl de lege lata2 wie de lege ferenda weiter diskutiert und zwar um so lebhafter als nach 1951 eine Reihe von Montan-Holdinggesellschaften gegründet wurden, insbesondere zur Herbeiführung der "wirtschaftlichen Zusammenarbeit von Kohle und Eisen", was die Mitbestimmung in den abhängigen Montan-Unternehmen" weitgehend ausschaltete". Das Gesetz von 1956, die "Holdingnovelle", hat das dann ausgeglichen3 • Es führte für die Holdinggesellschaften, die auf Grund eines "Organschaftsverhältnisses" ein MontanUnternehmen beherrschen, in dem Mitbestimmung nach dem Gesetz von 1951 besteht, eine ähnliche qualifizierte Mitbestimmung ein, beschränkte sie aber durch den § 15 in der angegebenen Weise. Sonst könnte, wurde gesagt', "der Einfluß der Arbeitnehmer so verstärkt werden, daß der dem Mitbestimmungsrecht zugrunde liegende Grundsatz der Gleichberechtigung zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern nicht mehr gewahrt wäre". Im Bundestag wollte der Wirtschaftspolitische Ausschuß VgI. z; B. Kunze, AuR 1954, S. 33 ff. VgI. den Eingang der BegrUndung des Regierungsentwurfs der Novelle, BTDs 986 der 2. Wahlperiode, vom 15. 11. 1954. 4 Zum § 10 des Entwurfs, der dem § 15 des Gesetzes entspricht. 2
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3 FestSchrift für Kurt Ballerstedt
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die Mitbestimmung bei allen Beschlüssen des herrschenden Unternehmens, die ,sich auf die Ausübung seines Stimmrechts bei dem ahhängigen bezogen, ausschalten. Eine Minderheit des Ausschusses für Arbeit hielt das "allenfalls" für die Beschlüsse betr. die "Verwaltungsträger" für gerechtfertigt; die Mehrheit dieses Ausschusses entschied sich mit der Regierung und dann dem Plenum für den Mittelweg. Aus der Vorlage wurde aus dem Katalog der für die Mitbestimmung gesperrten Entscheidungen nur die Eingehung einer Gewinngemeinschaft gestrichen, zum al eine solche vom abhängigen Unternehmen in der Regel mit dem herrschenden, nicht einem dritten, eingegangen werde, was doch die Entscheidung des Vorstands des herrschenden Unternehmens nötig mache 5 • Man fand die "Potenzierung der Mitbestimmung" darin, daß. im Anteilseignerorgan des abhängigen Unternehmens, d. i. dessen Gesellschafterversammlung, a}s Vertreter des an ihm beteiligten herrschenden Unternehmens Personen sitzen, die ihre Legitimation - durch Bestellung, Aufsicht, Abberufungsmöglichkeit, Wiederbestellungschance - nicht nur von der Seite der Anteilseignerdieses, sondern infolge der in ihm geltenden Mitbestimmung von einem Aufsichtrat beziehen, der Repräsentanten des Kapitals und der Belegschaft vereint. Es würden dadurch "Mit'bestimmungsfaktoren" im "legitimen Instrument des Anteilseignereinflusses" , der GeseHschafterversammlung, des abhängigen Unternehmens wirksam. U. ,a. entfalle dadurch die Gewähr, daß in dieser Versammlung bei der Bestellung der Verwaltung die Holding-Stimmen für "echte Unternehmervertreter" abgegeben würden. Die Ausschaltung der in der Verfassung des herrschenden Unternehmens begründeten Mitbestimmung in diesen Fällen, wenigstens den wichtigsten Fällen solcher Art, mache überhaupt erst ,die Einführung einer qualifizierten Mitbestimmung in diesem möglich6 • Die Gegenseite verwies auf die Verpflichtung aller Aufsichtsratsmitglieder, Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, gleich von wem der Einzelne in das Amt bestellt ist, auf das Unternehmenswohl, ihre Gleichstellung in Rechten und Pflichten, insbesondere in bezug auf die Sorgfaltspflicht'bei ihrer Amtsführung, und ihre Freistellung von Aufträgen und Weisungen (Vgl. §§ 70 Abs. 1, 84, 99 AktG 1937, § 4 Abs. 3 MitbG 1951)1. Doch wurde eingeräumt, daß in dem Unternehmen,an dem die Beteiligung besteht, das "Arbeitnehmerelement zweimal zum Zuge" komme, wenn hier ein mit Mitbestimmung bestellter Vorstand der OberG Vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit, BTDs 2387 der 2. Wahlperiode, zu § 10 des Entwurfs. s s. v. a. ausführlich Kötter, MbErgG, vor § 1 (S. 3/4) Und § 15 Anm. 1 (S. 106 ff.); vgl. auch Kötter, MbG Einf. S. XV und § 1 Anm. 19 d. 7 Vgl. Hessel, BB 1953, S. 896, Bender, NJW 1953, S. 1494, Kunze, AuR 1954, S. 38. Abw. Boldt, BB 1953, S. 895, Kötter, MbG § 1 Anm. 19.
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gesellschaft Anteilseignerrechte ausübt und ferner im Aufsichtsrat unmittelbar Arbeitnehmervertreter dieses Unternehmens mitwirken; "praktisch" allerdings komme dieser "Potenzierung" keine Bedeutung ZU8. Bei der Erwägung einer differenzierenden Lösung, die verschiedene Entscheidungsfälle verschieden behandelt, wie dann im Gesetz ,geschehen, standen in der Diskussion an erster Stelle die auf die "Verwaltungsträger" im abhängigen Unternehmen bezüglichen Entscheidungen. Sodann unterschied man "strukturändernde" Entscheidungen - s. die erwähnten, in § 15 dann aufgeführten Fälle - und nicht strukturändernde, z. B. Kapitalerhöhung und -herabsetzung'. Wie erwähnt wurde im Bundestag dann auch die Eingehung einer Gewinngemeinschaft hierru geschlagen. Im Ergebnis wurden 'somit, etwas überraschend, gerade eine Reihe speziell den Kapitaleinsatz und Kapitalgewinn ,betreffende Entscheidungen nicht den Anteilseignern reserviert, sondern dem angenommenen Risiko sachfremden Arbeitnehmereinflusses ausgesetzt. Die Praxis ist anscheinend mit § 15 MbErgG zurechtgekommen. Da die Vorschrift nicht darauf abhebt, daß in dem Unternehmen (B), an dem das andere Unternehmen CA) beteiligt ist, Montanmitbestimmung, überhaupt irgend eine Art von Mitbestimmung in Gesellschaftsorganen gilt, ist sie keineswegs nur in den "Holding"-Fällen anwendbar, für die sie in erster Linie geschaffen wurde, sondern auch bei jeder Art von andern (über 25 % hinausgehenden) Beteiligungen der "Holding", und ebenso auf Beteiligungen der "Montan"-Unternehmen selbst, z. B. an kleineren Unternehmen (u. U. Ausgrundungen für bestimmte Einzelaufgaben: Verkauf, Forschung usw.), wie sie in der großen Wirtschaft überall die Anhängsel der Großunternehmen bilden. Zu der vom Vorstand vorzunehmenden Ausübung der Beteiligungsrechte bedarf dieser in allen diesen Fällen eines ihn anweisenden Aufsichtsratsbeschlusses (der nur mit den Anteilseigner-Stimmen gefaßt wird)! Man hat sich anscheinend der Lästigkeit dieser Kompetenzspaltung entzogen und die Vorschrift praktikabel gemacht, indem man in den Aufsichtsräten (mit den Anteilseignerstimmen) Globalermächtigungen der Vorstände beschließen ließ, die Beteiligungsrechte nach pflichtgemäßem Ermessen ohne spezielle Aufsichtsratsweisung auszuüben, was gesellschaftsrechtlich offenbar problematich ist, da es sich um zwingende Zuständigkeitsregeln des Gesetzes handelt lO • So Kunze, AuR 1956, S. 261. VgI. Kötter zu § 15 MbErgG. - Der Regierungsentwurf hatte diese Abgrenzung nicht näher begründet. - s. hierzu auch Fitting, BABI. 1956, S. 510, GeBIer, BB 1956, S. 631. 10 Die Anwendung des § 15 außerhalb ihrer Hauptanwendungsfälle, d. h. der erwähnten "Holding"-Verhältnisse, von denen man beim Aushandeln dieser Regelung ausging (vgI. oben), scheint allerdings in der Praxis keine groBe Rolle gespielt zu haben und ist darum nicht gründlicher diskutiert worden. 8
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III. Im Entwurf eines Mitbestimmungsgesetzes von 1974 (BT-Ds 7/2172) ist nun § 29 exakt dem § 15 MbErgG nachgebildet. Die Begründung des Entwurfs 1974 sagt dazu nur, man wolle mit dieser Bestimmung "U. a." die Möglichkeit ausschließen, daß "durch eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten bei der Unternehmen die Arbeitnehmer kraft des Einflusses, den sie über das herrschende Unternehmen in dem abhängigen Unternehmen ausüben können, in dessen Aufsichtsrat ein übergewicht erhalten". Was die Bestimmung sonst noch leisten soll, wird nicht gesagt. Weitergehende, in diesem Satz nicht beschriebene Effekte ergeben sich aber ohne weiteres daraus, daß die Bestimmung, wie § 15 MbErgG, keineswegs nur Fälle betrifft, in denen bei beiden beteiligten Unternehmen ein Aufsichtsrat besteht, erst recht nicht nur Fälle, in denen beiderseits die qualifizierte, " paritätische " Mitbestimmung besteht, und nicht nur das Verhältnis zwischen "herrschenden" und "abhängigen" Unternehmen, 'sondern jede mindestens ein Viertel betragende Beteiligung. Die Stellungnahme des Bundesrats und die Gegenäußerung der Bundesregierung (a.a.O. S. 31 ff.) sagen zu dieser Bestimmung nichts. Die Übernahme des § 15 MbErgG 1956 in den Entwurf 1974 ist problematisch, weil die jetzt anstehende Regelung von einer 'ganz anderen Situation ausgehen muß als ,die damals getroffene. Damals war der Fixpunkt die bestehende und unstreitig aufrechtzuerhaltende, gegenüber derjenigen in anderen Wirtschaftsbereichen qualifizierte. Mitbestimmung der aktiven Montanunternehmen. Es ging darum, diese Mitbestimmung vor Aushöhlung zu schützen, die ihr von der Verlagerung der Führung in nicht so mitbestimmte Holdinggesellschaften drohte. Man fand den Weg, in diesen eine ähnliche Mitbestimmung einzurichten, jedoch mit gewissen Beschränkungen gegen eine befürchtete "Potenzierung" der Mitbestimmung (s.o.). Im Zusammenhang des Entwurfs 1974 muß mandagegen gerade umgekehrt als Fixpunkt die nach seinen §§ 6 ff. einzurichtende verstärkte Mitbestimmung in selbständigen Großunternehmen ansehen. Keineswegs ist die Mitbestimmung in abhängigen Unternehmen die feste Größe. Wenn man also bei Unternehmensverbindungen eine Modifizierung der Mitbestimmung zur Diskussion stellt, sollte man nicht beim herrschenden - in aller Regel auch größeren - Unternehmen ansetzen, sondern umgekehrt beim abhängigen, anders als 1956. Wenn man mit der Begründung des E 1974 (s.o.) mindestens ein wichtiges Ziel der in § 29 vorgeschlagenen Regelung darin sieht, daß ein Arbeitnehmer-"übergewicht" im Aufsichtsrat abhängiger Unternehmen vermieden 'werden soll, wäre die erste Frage, ob auch Fälle erfaßt werden sollen, in denen das abhängige Unternehmen keinen "mitbestimmten" Aufsichtsrat hat, v. a. der einer GmbH mit weniger als 500 Arbeit-
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nehmern. In der Tat ist nicht einzusehen, warum gemäß § 29 die Mitbestimmung im herrschenden u.nternehmen eingeschränkt und eine Kompetenzverlagerung von dessen Vorstand auf seinen Aufsichtsrat erfolgen soll, wenn im abhängigen Unternehmen gar keine unternehmerische Mitbestimmung stattfindet. Hier sollte die Einwirkung auf dieses, einschließlich der Entscheidungen über seine Leitung und über "Strukturänderungen", ebenso Sache des Vorstands bleiben, 1,Lnter der Aufsicht des gemäß dem neuen Gesetz mitbestimmten Aufsichtsrats, wie die Regelung der Dinge in unselbständigen Abteilungen. Daß das Maß der Einwirkungsmöglichkeit in Beteiligungsverhältnissen geringer und sehr unterschiedlich sein kann, macht für die Mitbestimmungsfrage keinen Unterschiedl1 • § 29 ist danach 'auf jeden Fall dahin einzuschränken, daß er nicht ,gilt, wenn im Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, keine Mitbestimmung in Gesellschaftsorganen besteht. Entsprechendes gilt m. E. 'auch, wenn im Unternehmen, an dem die fragliche Beteiligung besteht, zwar unternehmerische Mitbestimmung nicht fehlt, aber nicht die qualifizierte nach dem neuen Gesetz - oder die nach dem MbG und MbErgG 1951/6 - gilt, wenn es also insbesondere eine AG unterhalb der Größenschwelle des E 1974 ist oder eine GmbH mit mehr als 500 Beschäftigten, jedoch unter dieser Schwelle. Zur Situationvon 1956 hat man konsequent gesagt: In solchem Falle er,gebe sich durch die Einführung der qualifizierten Mitbestimmung in der Obergesellschaft zwar "kaum ein übergewicht" der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der andern, aber "doch auch eine Verschiebung" zu ihren Gunsten1Z, und rechtfertigte damit die Anwendbarkeit des einschränkenden § 15 MbEG auch in diesem Falle. Aber damals war Zweck des Gesetzes insgesamt nur Schutz der Mitbestimmung im Montanbereich vor Aushöhlung durch die Holdinggründungen. Im Einklang mit dieser beschränkten Aufgabe konnte man ablehnen, außerhalb dieser Fälle auch nur eine Verschiebung der Mitbestimmungsverhältnisse in anderen Situationen zu akzeptieren. Jetzt ist es der gesetzliche Grundgedanke - gewissermaßen nicht defensiv, sondern offensiv -, in allen Unternehmen oberhalb der Größenschwelle, ,grundsätzliCh natürlich für alle in ihnen zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen, die qualifizierte Mitbestimmung einzuführen. Die Argumentationslast kehrt sich um: Warum soll diese Grundforderung des Gesetzes zurückgenommen werden, wenn 11 Ähnlich gegen die Kompetenzverlagerung vom Vorstand zum Aufsichtsrat: Hoffmann, GmbHR 1974, S. 77, der vorschlägt, speziell für den Bereich der Personal- und Organisationspolitik im Vertriebssystem der Großunternehmen, daß ein Aufsichtsratsausschuß vorweg Pauschalermächtigungen erteilt oder - besser - § 29 dahin geändert werde, daß der Aufsichtsrat auch auf Vorlage durch den Vorstand entscheiden könne, wobei durch Satzungsbestimmung diese Vorlage für gewisse Fälle vorgeschrieben werden könne. IZ s. Kötter, MbErgG (1958), vor § 1 (5. 3/4) und § 15 Anm. 1 (5. 106) ..
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das Großunternehmen an einem anderen beteiligt ist, in dem zwar schon eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht, aber nicht die neue große, sondern die ältere schwächere nach dem BVG 1952? Darf man ausrechnen: Der nach dem neuen Gesetz bestellte A-Vorstand sei zu 50 fJ/ o Anteilseigner-, zu 50 Ofo Arbeitnehmerorgan; wenn er im B-Aufsichtsrat Anteilseignermandate besetzen kann (was von der Höhe der Beteiligung abhängt), ergebe sich eine Verschiebung des hier vom BVG 1952 vorgeschriebenen 2/3-1/3-Verhältnisses zugunsten "der Arbeitnehmer"? Steht dieser Rechnung nicht die Einheitlichkeit der Verpflichtung des A-Vorstands auf das A-Unternehmensinteresse entgegen, in dem auch ein Arbeitnehmer-Interesse enthalten ist, aber das der A-Arbeitnehmer, nicht das der B~elegschaft,die jetzt erst, im B-Aufsichtsrat zum Mitbestimmungszuge kommt? Kann man A-Belegschafts-Interesse und B-Belegschafts-Interesse zusammenrechnen und dem nur einmal zählbaren A-Kapital-Interesse - das zugleich ein B-Kapital-Interesse ist - ,gegenüberstellen? Schließlich lassen sich dieselben Fragen dann für den Fall stellen, der den eigentlichen Test-Fall bilden dürfte: Beide Unternehmen sind Großunternehmen i. S. des neuen Gesetzes, für beide gilt grundsätzlich dieselbe, "paritätische" Mitbestimmungsregelung. A ist an B in irgendeinem Maße, nicht ganz unwesentlich, beteiligt, so daß A durch seine Beteiligungsrechte auf die Willensbildung in B Einfluß nehmen kann. Was ist hier die richtige Aufeinander-Abstimmung von Mitbestimmung und Kapitalbeteiligung? Das ist keine ganz leichte Frage. In Fällen der Beherrschung der B durch A fand auch ein Befürworter der Mitbestimmung vom Range Kunzes, jedenfalls hinsichtlich der "Verwaltungsträger"-Bestellung in der B, die Rede von der "Potenzierung" der Mitbestimmung nicht ganz abwegig13. IV. Versteht man mit einer verbreiteten, insbesondere wohl dem E/MbG 1974 zugrundeliegenden Auffassung das Unternehmen als eine Organisation, die Kapitaleinsatz und Arbeit zu gemeinsamer Leistung zusammenfaßt, und dessen Vert)assung auf der Grundlage prinzipieller Gleichwertigkeit beider Kraftbeiträge geordnet werden soll, so ist m. E. TestFrage für die Lösung des Problems die folgende: Wem ist der von A in B geleistete Kapitaleinsatz als rechtsbegründend zuzurechnen: dem als Einheit gedachten Unternehmen A oder dessen Kapitalgebern? Und dies hängt von der weiteren Frage ab: wer hat dieses, nämlich das von A in B eingesetzte Kapital geschaffen: das Unternehmen A oder seine Anteilseigner (gleich wie)? War es schon vorhanden, als es so in die Verfügung von A kam, daß A es B geben konnte, oder ist es ein Erzeugnis erst der 13
AuR 1956, S. 261.
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Leistung des Unternehmens A? In diesem Falle wären wohl besondere Ansprüche der A-Kapitalgeber in bezug auf die Rechte aus diesem A-Kapitaleinsatz in B nicht zu ,begründen. Im anderen Falle dagegen wären sie es. Vom Standpunkt der Aufbringung des einzusetzenden Kapitals gesehen lautet die Frage: Wie wurde die Beteiligung des Unternehmens A am Unternehmen B finanziert? Man kann hierbei wohl etwa folgende Finanzierungsweisen unterscheiden, die auch nebeneinander oder, bei Aufbau der Beteiligung sukzessiv in Teilen, nacheinander angewandt sein können: aus ursprünglichem Ei,genkapital (I), aus Gewinnen oder Rücklagen (II), aus Fremdmitteln (III). In den Fällen II und III ist 'Schwer zu sehen, warum die auf die BeteiHgung bezüglichen Entscheidungen im beteiligten Unternehmen A, insbesondere diejenigen betreffend die Bestellung der "Verwaltungsträger" der B oder betreffend den Bestand der Beteiligung (vgl. die in § 29 E 1974 wie in § 15 MbErgG aufgeführten Fälle) in einer anderen Kompetenz liegen sollten als entsprechende in bezug auf einen Zweig des eigenen Unternehmens, z. B. solche über die Leitung eines Zweigwerks oder über dessen Bestand: diese Entscheidungen liegen inder Hand des A-Vorstands, der im unterstellten Falle im mitbestimmten Verfahren gemäß dem neuen Gesetz gebildet worden ist. Die Gewinne oder Rücklagen (Fall II) sind vom Unternehmen, durch die in ihm vereinten Kräfte von ,,~apital" und "Arbeit", Menschen und Mitteln, geschaffen. Die Fremdmittel (F1all nI) sind von Dritten im Vertrauen auf dieselben Kräfte dem Unternehmen ·gegeben. Die Sache ist nicht anders, als wenn auf einem der beiden Wege eine Investition im eigenen Unternehmen finanziert wird. In allen diesen Fällen ist es gleich sachgerecht, die auf solche Beteiligung oder Investition bezüglichen Entscheidungen den allgemeinen für die Verfassung des Unternehmens geltenden Vorschriften zu unterstellen. Nur im Fall I (Finanzierung aus ursprünglichem Eigenkapital), am klarsten, wenn etwa von vornherein bei Gründung des Unternehmens das Stammkapital oder ein Teil davon gar nicht zum Aufbau eines eigenen Unternehmens, sondern zum Erwerb der Beteiligung bestimmt wurde, läßt sich argumentieren: die Mitbestimmung der A-Belegschaft sei von dieser Beteiligung fernzuhalten, weil zu ihrem Erwerb keine Leistung der Belegschaft beigetragen habe; das Hineinlegen der B-Beteiligung in die A sei eine reine Eigentümerveranstaltung, die mitbestimmungsfre1 zu bleiben habe. Bei nachträglicher Bildung einer "Holding", in die man Beteiligungen an schon bestehenden Unternehmen einbringt, ist dieselbe Betrachtungsweise möglich. In der Tat spielte in der Diskussion über das MbErgG, das es mit solchen Konstruktionen zu tun hatte (vgl. oben), dieser Gedanke eine Rolle: Die Holding-Gesellschaften seien im Grunde Eigentümer-Organisationen, die eine "technische Erleichte-
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rung und Verfeinerung in der Ausübung der Funktion des Hauptorgans einer Körperschaft (der Anteilseignerversammlung) ermöglichen", also nach dem Grundgedanken der Mitbestimmung gar kein Ort für diese und von ihr freizuhalten 14 • M. E. kann man Holding-Situation15 und Finanzierungsweise I in unserem Sinne (aus ursprünglichem Eigenkapital) für die Zwecke dieser Überlegung gleichachten: Kennzeichnend ist, daß die von A in B einzusetzenden Mittel nicht von der A-Belegschaft (mit-)geschaffen sind, sondern wirtschaftlich allein von den A-Kapitalgebern kommen. Nur in diesem Falle erscheint die Ausschaltung der Mitbestimmung der A-Belegschaft bei Ausübung der Beteiligungsrechte in B gerechtfertigt. Eine zweite Frage ist, wie dieser zweite Fall legiferabel und justiziabel bestimmt werden kann. Denkbar wäre, vom Verhältnis des Werts der Beteiligung A-B zum Gesamtvermögenswert von A auszugehen, also die Ausnahme Platz greifen zu lassen bei Beteiligungen, deren Wert im Verhältnis zum Gesamtvermögen des beteiligten Unternehmens (A) eine bestimmte Größe überschreitet - vielleicht 1/2? -, weil bei solchem Sachverhalt im Durchschnitt der Fälle eine Abzweigung vom ursprünglichen Eigenkapital ,gegeben sein könnte, die eine entsprechende Einschränkung der Mitbestimmung der Belegschaft des quasi-"Holding"-Unternehmens rechtfertigt. Eine Ausnahmevorschrift also für gewisse Situationen auf der Seite des beteiligten Unternehmens, im Gegensatz zu der Einschränkung des § 15 A:bs. 2 MbErgG und § 29 Abs. 2 E 1974, bei der es sich um die Größe der Beteiligung im Verhältnis zum Gesamtkapital des anderen Unternehmens (B) handelt. Dieses Größenverhältnis ist m. E. für die Frage der Mitbestimmung bei einschlägigen Beschlüssen des beteiligten Unternehmens (A) unerheblich. In allen Fällen außerhalb dieser Ausnahme aber bliebe es bei der Ausübung der Beteiligungsrechte durch den A-Vorstand ohne Beschränkung der Mitbestimmung der A-Belegschaft bei der Vorbereitung oder Kontrolle der in A in bezug auf die Beteiligung zu fassenden Beschlüsse. Andererseits: Wenn man sich zu einer solchen Ausnahmevorschrift auf der Linie des § 15 MbErgG und des § 29 E 1974 entschließt, hat es m. E. nicht viel Sinn, die Einschränkung wieder einzuschränken, indem man unter den in Frage kommenden, die Beteiligung betreffenden Beschlüssen Unterscheidungen trifft. Die Regelung der beiden Bestimmungen ist in ·dieser Hinsicht wenig überzeugend. Sie beziehen z. B. nicht die Verfügung über die Beteiligung selbst ein; der Vorstand entscheidet selbst über ihre Veräußerung, allenfalls braucht er dazu die Aufsichtsratszustimmung nach § 111 Abs. 4 AktG; dabei handelt es sich nicht um AusKötter, MbG § 1 Anm. 19 d, S. 28, § 15 Anm. 1, S. 108. Solange die Holding nicht das andere Unternehmen leitet. Ist das der Fall: s. VI. 14 15
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übung eines "auf Grund der Beteiligung" dem beteiligten Unternehmen zustehenden Rechts. Gegebenenfalls sollte man solcherlei Beschlüsse m. E. einbeziehen und etwa sagen: "Entscheidungen über die Ausübung von Rechten aus einer Beteiligung, die ... , oder über den Bestand einer solchen Beteiligung ... ". Um mehr als eine Ausnahme, das sei wiederholt, für Beteiligungen, die im Vermögen des beteiligten Unternehmens ungewöhnliches Gewicht haben und dem Unternehmen insoweit HoldingCharakter geben, dürfte es sich aber m. E. nicht handeln.
V. Im Regelfall sollte also m. E. die Beteiligung eines Unternehmens A an einem Unternehmen B nichts daran ändern, daß in beiden diejenige Mitbestimmung der Mitarbeiter stattfindet, die sich für jedes aus den auf es anwendbaren Mitbestimmungsvorschriften ergibt, und ohne eine Einschränkung bei Beschlüssen in den Organen des Unternehmens A, die sich auf die Beteiligung an B beziehen. Die mitbestimmungsrechtliche Eigenständigkeit sollte durch die Beteiligung grundsätzlich nicht 'beeinträchtigt, die Kompetenzordnung der Unternehmensorgane nicht durchbrochen weroen. An dieser Situation ändert sich noch nichts, wenn die Beteiligung A-B Mehrheitsbeteiligung (§ 16 AktG) wird. Die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 und die auf ihr aufbauende Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG können m. E. nicht Platz greifefl oder sind als widerlegt anzusehen, wenn im Unternehmen B die qualifizierte Mitbestimmung nach dem E 1974 (oder dem MbG 1951 oder MbErgG 1956) gi}t1'. Diese Vermutungen sind ohnehin problematisch: 51 % der Aktien einer AG geben ihrem Inhaber nach dem AktG nicht das Recht, dem Vorstand der AG Weisungen bezüglich der Leitung der Gesellschaft zu erteilen. Das Gegenteil klarzustellen, bemüht sich das AG mit Sorgfalt (5. v. a. §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 1, 4, 119 Abs. 1, 2). Diejenigen haben m. E. recht, die den "faktischen" Konzern nicht aufgrund einseitiger Inanspruchnahme der Leitung durch das mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (A), sondern nur aufgrund einer Vereinbarung zwischen ihm und dem Vorstand des anderen (B) für möglich halten, zu der dieser im Rahmen seines Leitungsermessens berechtigt ist, wenn die Akzeptierung solcher Führung ihm für sein Unternehmen vorteilhaft erscheint. Es entsteht eine "Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung", die dem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG) ähnelt, nur daß die Leitung nicht oberhalb und gesondert von beiden, sondern in dem einen (A) mit Effekt für heide etabliert wird. Die Vereinbarung hat G. b. R.-Charakter (§§ 705 ff. 18 Vgl. Biedenkopf-Koppensteiner, AktG (Kölner K.), § 17 Rn. 25 und jüngst Biedenkopf, Festschrift L. Raiser 1974, S. 351.
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BGB); sie ist insbesondere von jeder Seite grundsätzlich jederzeit wieder lösbar, nur nicht "zur Unzeit" (§ 723 BGB). Ein Gesellschaftsverhältnis i. S. der §§ 705 BGB ist durchaus in der Weise mögliC'h, daß das eine Unternehmen sich der Führung durch das andere zu gemeinsamem Nutzen anvertraut, bei voller Respektierung des Bestands beider und Möglichkeit der Lösung dieses Verhältnisses nach den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Die im Wirtschafts-Slang in diesen Fällen gebräuchliche Bezeichnung "Zusammenarbeit" trifft auch rechtlich das richtige1T • Sind die beiden Unternehmen gemäß dem Entwurf 1974 "paritätisch" mitbestimmt, muß dies erst recht gelten. Das so mitbestimmte Unternehmen hat gegenüber einem Großaktionär verstärkte Autonomie, aber es ist auch nicht gehindert, sich in eine solche (kündbare) Zusammenarbeit, in der der andere Teil führt, zu begeben. Was die Kompetenz zur Eingehung einer solchen Zusammenarbeit unter fremder Führung betrifft, so ist sie nach dem AktG in erster Linie Vorstandssache. Die Aktionärversammlung ist in der Regel nicht beteiligt. Der Aufsichtsrat kann nach § 111 Abs. 4 ein Zustimmungsrecht haben, etwa wenn im Zustimmungskatalog "Eingehung einer dauernden Zusammenarbeit" mit einem anderen Unternehmen verzeichnet ist, was m. W. öfter vorkommt. Der überwachung durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG) unterläge der Vorstand in jedem Falle auch mit einem solchen Akt. Es liegt nahe, sich ein unternehmensrechtlich weiterentwickeltes Aktienrecht zu denken, in dem die Eingehung dauernder Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen zwingend der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf und damit der Mitbestimmung der Belegschaftsrepräsentanten unterworfen wird, entsprechend etwa Art. 66 Abs. 1 des EWG-S. E.-Entwurfs18 • Für die Form solcher Kooperations-Unterstellungs-Erklärung an die Adresse eines Aktionär-Unternehmens und die Annahme der Erklärung durch dieses ist nichts vorgeschrieben. Wird demgemäß auf der Basis einer Beteiligung A-B ein faktisches Konzernverhältnis begründet, so hat das nach heutigem Recht auf die Ordnung der Mitbestimmung in der Gruppe zunächst die Auswirkung, 17 VgI. Harms, "Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen", 1968, S. 147 ff. Dagegen v. a. E. Rehbinder, "Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht", 1969, S. 76 ff., jüngst u. a. Bälz, Festschrift L. Raiser 1974, S. 323, 333. - Ich begrüße daher, daß die §§ 311, 317 AktG zunehmend so interpretiert werden, daß sie keineswegs zusätzliche Einwirkungsrechte gewähren, sondern nur Modalitäten der Haftung aus einer den "abhängigen Unternehmen" nachteiligen Einflußnahme regeln, wenn solche stattflndet. VgI. dazu z. B. jüngst Geßler, Festschrift f. H. Westermann 1974, S. 145 ff., Martens, ZHR 1974, S. 185, Bälz, Festschrift L. Raiser 1974, S. 306 ff., m. w. N. 18 s. Bull. 8-1970 der EG, Sonderbeilage, und neuerlich ABI. 7. 8. 1974 mit den Beschlüssen des Parlaments der EG. - Zu dieser Problematik vgI. Martens, DB 1973, S. 1118 ff.; Th. Raiser, Festschrift L. Raiser 1974, S. 371 ff.; H. P. Westermann, Festschrift H. Westermann 1974, S. 574.
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daß ein Konzernbetriebsrat eingerichtet werden kann (§ 54 BVG 1972), der freilich, weil eine engere Verbindung der .heiden Unternehmen - wie bei Abschluß eines Vertrags gemäß §§ 291 ff. AktG - noch nicht besteht, juristisch etwas in der Luft hängttV • Außerdem gewährt § 76 Abs. 4 BVG 1952 nach der jetzt wohl überwiegenden Auslegung!O auch schon in diesem Falle, nur unter Ausschaltung der Vermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG, der B-Belegschaft die Teilnahme an der Bildung des A-Aufsichtsrats, also an der Bildung einer Mitarbeiter-Repräsentation der ganzen Gruppe in der "Konzernspitze" . Im MbG 1951 und MbErgG 1956 gibt es keine entsprechende Anoronung. Nun will § 5 E 1974 klarstellen, daß auch schon in diesen Fällen die Zusammenfassung der Belegschaften bei Bildung des A-Aufsichtsrats erfolgt. Die Begründung beschränkt sich dazu ·auf den Hinweis auf § 54 BVG 1972 (s.o.). Ich bezweifle die Weisheit dieser Lösung. Sie ist verständlich, weil das faktische Konzernverhältnis heute u. U. ohne Bele.gschafts-Mitbestimmung begründet werden kann (s.o.) und, solange dies so bleibt, die Mitbestimmung (in B) in diesen Fällen ausgehöhlt werden kann, ohne daß die Belegschaft dabei mitspricht. Die richtige Lösung wäre aber wohl umgekehrt: In bezug auf die Eingehung dieses Verhältnisses gilt Mitbestimmung (vgl. oben). Vielleicht ist auch als übergangsregelung eine Art von Bestätigung, mit BelegschaftsteiInahme, der bestehenden "faktischen" Konzernverhältnisse nötig. Ist es aber mit Mitbestimmung begründet, so ;behalten in dem relativ losen, jedenfalls kündbaren Kooperations-Subordinations~rhältnis beide Unternehmen auch mitbestimmungsrechtIich ihre Eigenständigkeit. Die selbständige Mitbestimmung von der Seite der B-Belegschaft bleibt weiterhin wirksam bei der Durch~ führung dieser Zusammenarbeit und auch ständig in bezug auf die immer aufwerfbare Frage ihrer Beendigung. Hierfür kann m. E. auch erwogen werden: Es ist nicht zweckmäßig, von der "Arbeit"-Seite her autonome Unternehmen zu verkoppeln, die von der "Kapital"-Seite her noch nicht eindeutig und dauerhaft miteinander verbunden sind. In dubio pro Autonomie der Unternehmen. Dieser Leitsatz sollte gerade hier, wo die richtigen Formen der Zusammenordnung von "Kapital" und "Arbeit" bedacht werden, gelten. Denn diese Zusammenordnung schafft ja auch - notwendig oder möglicherweise, immer oder unter ,gewissen Umständen, das kann hier dahingestellt bleiben - eine vereinigte Kraft mit Wirkung gegen Dritte: den Markt, die Verbraucher, die "Allgemeinheit". Nicht zu Unrecht besorgen realistisch urteilende Beobachter von der paritätischen Mitbestimmung, ent1t Vgl. Biedenkopf, Festschrift P. Sanders 1972 (Deventer-den Haag), S. 1 ff.; Martens, ZfA 1973, S. 297 ff.; Götz Hueck, Festschrift H. Westermann 1974, S. 241 ff.; Bälz, Festschrift L. Raiser 1974, S. 334 ff. 20 Vgl. z. B. Mertens, AktG, Kölner Komm., Anh. § 96, Rn. 49.
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gegen den gängigen vordergründigen Einwendungen, keineswegs eine Schwächung der Unternehmen oder auch der Kapital-Interessenwahrung in den Unternehmen, sondern eher gewisse Gefahren für jene Dritt- oder Allgemein-Interessen21 • Werden z. B. die nächsten "abgestimmten" Preiserhöhungen vielleicht noch schwieriger vom Kartellamt und den Gerichten zu bekämpfen sein als die früheren, wenn hinter ihnen auch die neue Autorität d~r Belegsch,afts-Repräsentationen steht? Wer die Mitbestimmung, auch die jetzt diskutierte "paritätische", in den Großunternehmen für ein gesellschaftspolitisches Postulat ersten Ranges und eine große Chance für unsere Gesellschaft hält, wird sich in diesem Urteil durch solche Besorgnisse nicht irremachen lassen, aber er wird alles zu tun versuchen, solche Auswirkungen abzumildern. Dazu gehört, daß man nicht durch Mitbestimmungsregelungen Unternehmensverbindungen noch fördert, daß man sie vielmehr hierbei eher zu bremsen sucht. In einer entwickelten Mitbestimmungsordnung werden ja für Entstehung und Intensität der Unternehmensverbindungen keineswegs nur die Kapitalverhältnisse, sondern auch die Ordnung der Dinge auf der Seite der Belegschaften maßgebend sein. Natürlich ist dieses Bremsen in erster Linie Sache der Fusions- und sonstigen Kontrollen nach dem GWB (§§ 23 ff.). Aber das Bestehen dieser Kontrollen und ihre zu begrüßende Verschärfung durch die GWBNovelle 1973 entbinden nicht von der Pflicht, im Falle anderer Neuregelungen zu überlegen, ob man nicht durch sie in unerwünschter Weise Zusammenschlüsse wieder fördert. M. E. ist das durch § 5 E 1974 in gewissem Maße der Fall. Der Feststellung eines Konzernverhältnisses aufgrund bloßer Kapitalbeteiligung - ohne konzernbildenden Vertrag soll ohne weiteres, neben der Möglichkeit der Bildung eines Konzernbetriebsrats, die obligatorische Zusammenfassung der Belegschaften zur Mitbestimmung in der Konzernspitze folgen. Verständlich, wie gesagt, solange bei der Herstellung, Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Verhältnisses Mitbestimmung nicht stattfindet oder nicht notwendig stattfinden muß. Nicht mehr m. E. geboten, sobald dies der Fall ist, und wegen des damit verbundenen Zusatz-Konzentrationseffekts m. E. besser abzulehnen22 • Konsequent erschiene dann auf den ersten Blick, auch die (fakultative) Bildung des Konzernbetriebsrats nach § 54 BVG 1972 für diese Fälle wieder zu streichen. Doch hat der Konzernbetriebsrat im Verhältnis zu den Gesamtbetriebsräten oder Betriebsräten der Konzernunternehmen nicht Leitungs-, sondern nur ergänzende oder auch Koordinierungs-Auf21 s. die etwa auf dieser Linie liegenden Erwägungen von Biedenkopf, Festschrift L. Raiser 1974, S. 350 fi. n Ähnlich verstehe ich die Tendenz der Ausführungen von Martens, ZHR 1974, S. 197 ff.
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gaben (§ 58 BVG). Mit diesen Aufgaben ist er bei Bestehen des eigenartigen Kooperations-Subordinations-Verhältnisses, als welches der "faktische Konzern" unter ("paritätisch") mitbestimmten Unternehmen an· zusehen ist, wohl nützlich und seine Bildung möglich, ohne daß man sich dem erörterten Vorwurf unzweckmäßiger Zusammenschluß-Förderung aussetzt.
VI. Die Zusammenführung von Unternehmen durch Kapitalbeteiligung erreicht ihre dritte Stufe, wenn aufgrund der Beteiligung der Vertragskonzern (§ 18 Abs. 1 S. 2 AktG) gebildet wird. Für diesen Fall wurde zweifelsfrei schon in § 76 Abs. 4 BVG 1952, sodann in § 6 MbErgG 1956 die Zusammenfassung der Belegschaften zur Organisation der Mitbestimmung in der Konzernspitze vorgesehen. Der E 1974 ändert daran nichts, und es wird wohl nicht bezweifelt, daß diese Regelung hier sachgerecht ist. Problematisch ist hier dagegen erst recht die geplante Einschränkung durch § 29 E 1974 nach dem Vorbild des für den Holding-Fall geschaffenen § 15 MbErgG: Im Vertragskonzern erscheint noch mehr als beim "faktischen" und bei der schlichten Kapitalbeteiligung die Herausnahme z. B. der Personalentscheidungen in bezug auf das Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, aus der Mitbestimmung am Sitze des Kapitaleinflusses ungerechtfertigt. Viel eher kann m. E. in Frage gestellt werden, ob im Vertragskonzern die Mitbestimmung in den abhängigen Unternehmen am Platze istl!3. In den Niederlanden hat man bei Neuregelung der Großunternehmens-"Struktur" 1971 kurzerhand alle Gesellschaften im Mehrheitsbesitz anderer aus der Mitbestimmung herausgenommen!'. M. E. ist in der Tat im Grunde hier kein Raum für eine Mitbestimmung der Belegschaften der abhängigen Unternehmen in deren Aufsichtsräten neben ihrer Mitbestimmung in der Leitung der Gruppe durch die Teilnahme an der Bestellung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens. Dezentralisiert bleibt die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung. Soll aber auch die unternehmerische Mitbestimmung dezentral organisiert bleiben, nachdem man die unternehmerische Führung U Schon zum MbErgG wurde die Ansicht vertreten, im Falle der damals nicht sicheren, 1965 geschehenen - endgültigen rechtlichen Anerkennung der Möglichkeit einer Unternehmensabhängigkeit im Grade der sog. "Organschaft" werde eine "unternehmensbezogene" Lösung des Mitbestimmungsproblems auf Mitbestimmung - wie auf Organverantwortung i. S. der §§ 84, 99 AktG 1937 (§§ 93, 116 AktG 1965) - im abhängigen Unternehmen ganz verzichten und sie nur für die Konzernspitze adäquat regeln ·können (Kötter, MbErgG, vor § 1, S. 5/6). 24 Art. 52 c Abs. 3, a) WvK n. F.
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in aller Form und rechtsverbindlich in die Zentrale gelegt hat (vgl. § 308 AktG)? Die Bestellung der Einzelunternehmens-Leitung gehört m. E. hier, wie die von Werks- oder Abteilungsleitern, sachgerecht in die Zuständigkeit der (ihrerseits in paritätischer Mitbestimmung durch alle Konzern-Mitarbeiter bestellten) Konzernspitze. Die Geschäftsführung der Einzelunternehmensleiter wird von der Zentrale gesteuert. Die Aufsichtsräte der Einzelunternehmen können weitgehend nur die Befolgung der Weisungen der Zentrale kontrollieren. In der Konzernspitze wird Mitbestimmung auch hinsichtlich der Personal- und Sozialsachen der -abhängigen Unternehmen wirksam, neben deren autonomer betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmung. In der durch Verträge straff zusammengefaßten Gruppe, einem "polykorporativen Unternehmen"25, scheint mir für einen dritten oder, wenn es auch einen Konzernbetriebsrat (§ 54 BVG) gibt, vierten Ansatz der Mitbestimmung eigentlich kein Raum zu sein. Dagegen ist die Bildung des Konzernbetriebsrats, deren Angemessenheit im Falle des "faktischen Konzerns" in Zweifel gezogen werden konnte, wenn lauch solche Zweifel m. E. nicht durchschlagen (s.o.), hier selbstverständlich ohne weiteres als sachgerecht anzuerkennen, ungeachtet der Art der Abgrenzung seiner Kompetenzen von denen der Gesamtbetriebsräte oder Betriebsräte der Einzel-Unternehmen. Voraussetzung der Streichung der eigenständigen Vertretung der BBelegschaft im B-Aufsichtsrat ist allerdings, daß die vertragliche Unterwerfung (§ 291 AktG) auf einer Kapitalbeteiligungberuht, die mindestens eine Mehrheit umfaßt, mit der dauerhaft die Anteilseignermandate in den Aufsichtsräten der abhängigen Gesellschaften, die Rechtsformder AG unterstellt, besetzt werden können, gleich wie die zum Abschluß des Vertrags erforderliche Mehrheit (§ 293 Abs. 1 AktG) zustandegekommen ist. Der Vertragskonzern auf (Mehrheits-) Beteiligungsbasis und der (seltene) ohne solche Grundlage sind unter Mitbestimmungsgesichtspunkten nicht gleich zu bewerten: Gegenüber den Repräsentanten dritter Kapitalgeber im Kontrollorgan des-abhängigen Unternehmens (B) könnte auf die Repräsentation von dessen Belegschaft in diesem Organ nicht verzichtet werden. Nur wenn dieser Rat (B) (ganz) durch das herrschende (A) besetzt wird, ist das möglich, weil in dessen Leitung, die diese Bestellungen vornimmt, die B-Belegschaft über ihre Teilnahme an der Bestellung des A-Kontrollorgans schon zum Mitbestimmungszuge gekommen ist. Soweit überhaupt noch unter dem Vertragsregimeautonome Entscheidungen in B in Frage kommen, sind sie also der B-Belegschaft nicht entrückt. Sie ist insofern nur durch die Konzern-Mitbestimmungsregelung mediatisiert, wie die Teilbelegschaft innerhalb eines Unternehmens in bezug auf speziell ihren Unternehmensteil betreffende Entscheidungen durch die Zusammenfassung der (unternehmerischen) Mit25
Bälz, Festschrift L. Raiser 1974, S. 320.
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bestimmung in der Unternehmensspitze. Es zeigt sich hier für die Mitbestimmungsproblematik unter verbundenen Unternehmen wichtig, daß das AktG bei der Aufsichtsrätewahl durch die Aktionäre strenge Mehrheitswahl und keine Minderheitsvertretung vorsieht. Die Ausübung dieser Mehrheitsmacht durch das herrschende Unternehmen macht die Zentralisierung der Mitbestimmung, jenseits derjenigen nach dem BVG, in der Gruppe möglich, ist aber auch deren Voraussetzung. Als eine mittlere Lösung erschiene möglich, im abhängigen Unternehmen (B) die besondere Belegschaftsrepräsentation im Kontrollorgan einzurichten, neben der Teilnahme der B-Belegschaft an der Mitbestimmung in der Konzernspitze und ohne eine Einschränkung i. S. des § 15 MbErgG und § 29 E 74, aber für bestimmte Entscheidungen diese Mitbestimmung (im B-Aufsichtsrat) auszuschalten, über die Ausschaltung hinaus, die im Interesse der einheitlichen Konzernführung schon durch § 308 AktG erfolgt. Dabei müßte es 'sich vornehmlich um die Bestellung des B-Vorstands handeln. Wird, entgegen dem vorher Gesagten, auch der B-Aufsichtsrat gemäß dem E 1974 "paritätisch" gebildet, sollte die Bestellung des B-Vorstands allein durch die in ihm sitzenden Anteilseigner-Vertreter erfolgen, d. h. die von der Konzernleitung, ,die ihrerseits "paritätisch" 'bestellt wurde, in der B-Aktionärsversarnmlung dorthin Gewählten. Also eine Mittellösung in einem zu § 29 E 1974 genau gegenläufigen Sinne: Die mitbestimmte Konzernspitze entscheidet über die Leitung der Einzelunternehmen, ohne Mitbestimmung durch die Einzelunternehmensbelegschaft; nicht entscheiden hierüber, in einer eigenartigen Verknüpfung, welche die Konzern-Mitbestimmung gleichsam überspringt, die Konzern-(Oberunternehmens-) Anteilseignervertreter mit Mitbestimmung nur der EinzelunternehmensbelegSchaft. Während im "faktischen Konzern" (5. 0.) m. E. mitbestimmungsrechtlich die Eigenständigkeit der Unternehmen gewahrt werden sollte, ist hier im Vertragskonzern m. E. umgekehrt der zentralen Mitbestimmung der Vorrang zu geben immer, wie bemerkt, unbeschadet der vollkommenen dezentral zu organisierenden Betriebsverfassung (nach dem BVG) -, also entsprechend der Ordnung im einheitlichen Unternehmen mit mehreren Betrieben. Offen bleibt natürlich auch die Möglichkeit einer anderen Differenzierung, die sich daraus ergibt, daß heute in den durch Beherrschungsvertrag fremder Leitung unterstellten Aktiengesellschaften schon eine unternehmerische Mitbestimmung 'besteht, nämlich die nach § 76 BVG 1952. Man könnte die abhängigen Unternehmen aus der Mitbestimmung nach dem E 1974 herausnehmen, aber diejenige nach dem BVG 1952 für sie bestehen lassen. Das wäre allerdings m. E. keine ganz schlüssige Anwendung des neuen "Paritäts"-Prinzips, das der E 1974 einführen will. Die vorstehenden Bemerkungen jedenfalls wollen zur Klärung beitragen, wie dieses neue Prinzip sachgerecht durchgeführt werden kann,
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wenn unter Unternehmen, die je für sich in seinen Anwendungsbereich fallen, eine Kapitalbeteiligung besteht, in dieser oder -jener Höhe und ohne oder mit der Verstärkung durch einen Beherrschungsvertrag. VII. Zusammengefaßt haben die vorstehenden überlegungen ergeben: 1. Im Falle einer Kapitalbeteiligung die Mitbestimmung im beteiligten Unternehmen nach Art des § 15 MbErgG und § 29 E 1974 einzuschränken, ist im allgemeinen nicht gerechtfertigt. § 15 MbErgG betraf sehr besonders gelagerte Fälle. Nur für "Holding"-Situationen der Art, mit der es das MErgG zu tun hatte, (aber ohne Leitung des anderen Unternehmens durch das beteiligte) könnte ausnahmsweise auch in anderen Fällen eine Einschränkung der Mitbestimmung im beteiligten Unternehmen erwogen werden, dann allerdings wahrscheinlich, ohne weitere Unterscheidungen, für alle Entscheidungen mit Bezug auf den Bestand der Beteiligung und die Ausübung der Rechte aus ihr. Eine Ausnahme solcher Art könnte aus praktischen Gründen vielleicht so umschrieben werden, daß es auf das Wertverhältnis zwischen der Beteiligung und dem Gesamtvermögen des beteiligten Unternehmens ankommt, derart daß nur eine Beteiligung, die einen Teil x (etwa 1/2) dieses Gesamtvermögens übersteigt, unter die Ausnahmevorschrift fällt.
2. Mindestens unter "paritätisch" mitbestimmten Unternehmen ist der auf Beteiligung beruhende heute sogenannte "faktische Konzern" nur noch als ein Kooperationsverhältnis besonderer Art möglich, das als Gesellsch-aft bürgerlichen Rechts angesehen werden kann und dessen Eingebung, Durchführung und Lösung im Rahmen der Geschäftsführungsentscheidungen beider Unternehmen liegen, an denen auf jeder Seite die betroffene Belegschaft mitbestimmend teilhat. Die Teilnahme der Belegschaft des -geführten Unternehmens an der Mitbestimmung in dem führenden gemäß § 6 E 1974 erscheint in diesem Verhältnis nicht sachgerecht. Gegen -die Bildung eines Konzernbetriebsrats (§ 54 BVG) bestehen keine Bedenken, solange ihm, entsprechend dem geltenden Recht, gegenüber den Betriebsräten der beteiligten Unternehmen nur ergänzende und koordinierende Aufgaben zukommen. 3. In der durch Beherrschungsvertrag, auf Grund einer Mehrheitsbeteiligung zusammengefaßten Gruppe ist die Mitbestimmung aller Einzelbelegschaften in der Konzernspitze geboten, nicht dagegen neben dieser zentralen unternehmerischen Mitbestimmung (und derjenigen nach dem ~VG in allen Einzelunternehmen) auch die der Einzelbelegschaften in den Organen der Einzelunternehmen. Allenfalls könnte die paritätische Mitbestimmung in den Einzelunternehmen eingerichtet, aber, abgesehen von der schon aus § 308 AktG folgenden Einschränkung, auch für
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bestimmte weitere Entscheidungen, insbesondere die Bestellung der Leiter der Einzelunternehmen, ausgeschaltet werden, um diese Entscheidungen der Konzernspitze vorzubehalten, in der bei Streichung des § 29 E 1974 (so. zu 1) volle Mitbestimmung der ganzen Konzernbelegschaft besteht. Vom geltenden Recht ausgehend wäre auch der Kompromiß möglich, für diese abhängigen Unternehmen die Mitbestimmung nach dem BVa 1952 (gegebenenfalls) bestehen zu lassen, sie aber aus der (vollen) Mitbestimmung nach dem E 1974 herauszunehmen.
Das britische Gesetz über die Arbeitsbeziehungen von 1971 Eine kritische Würdigung Von Otto Kahn-Freund A. Einführende Bemerkungen Selbst für den britischen Juristen oder Sozialwissenschaftler bietet die jüngste Entwicklung des britischen Arbeitsrechts ein verwirrendes Bild. Das im Jahre 1971 erlassene und im Jahre 1974 aufgehobene Gesetz über die Arbeitsbeziehungen1 war der tiefste Eingriff des Gesetzgebers in die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, den Großbritannien bis jetzt erfahren hat. Das Gesetz von 19742 und die weiteren im Augenblick noch schwebenden Maßnahmen3 stellen einen scharfen Rückschlag des Pendels dar: Das Prinzip der Nichteinmischung des Rechts in die Arbeitsbeziehungen ist wieder hergestellt worden und wird, wenn die vorliegenden Entwürfe und Pläne 4 Wirklichkeit werden, in der Zukunft noch stärker betont werden als in der Vergangenheit. Es wäre ein Fehler, in diesen Vorgängen nicht mehr zu sehen als eine Widerspiegelung der politischen Kämpfe der letzten Jahre. Gewiß ist es richtig, daß das Gesetz von 1971 die unmittelbare Folge des konservativen Wahlsieges von 1970 war, gewiß ist es ebenso richtig, daß seine Aufhebung der Regierungsbildung durch die Labour Party im Februar 1974 folgte, und daß die noch nicht verabschiedete Novelle zu dem Aufhebungsgesetz5 dem Wahlerfolg der Labour Party vom Oktober 1974 entstammt. Es darf aber nicht übersehen werden, daß zu Beginn des zweiten Wahlkampfes von 1974 die konservative Opposition ihren Entschluß bekannt gab, im Falle eines konservativen Wahlsieges das Gesetz von 1971 unter keinen Umständen wieder herzustellen. Man geht also nicht zu weit, wenn man sagt, daß über das Scheitern des Experiments von 1971 kein I
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Industrial Relations Act, 1971. Trade Union and Labour Relations Act, 1974. Trade Union and Labour Relations (Admendment) Bill. Employment Protection Bill, 1975. Oben 3. Diese Zeilen wurden im Frühjahr 1975 geschrieben.
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Streit mehr besteht, so heftig auch der Meinungskampf über die Ursachen dieses Scheiterns sein mag. In dieser Situation mag es angebracht sein, Rückschau zu halten, und sich die Frage vorzulegen, welche Bedeutung diesem Experiment und seinem Fehlschlag im Rahmen des vergleichenden Arbeitsrechts beigemessen werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage muß man das Werden und Vergehen dieses Gesetzes in ihrem sozialen Zusammenhang sehen. Dies ist deshalb vielleicht ein Gegenstand, der dem Denken unseres Jubilars nahe liegen mag: denn wie kaum ein anderer hat er es stets verstanden, rechtliche Vorgänge aus ihren gesellschaftlichen Ursachen zu erklären und in den Rahmen ihrer gesellschaftlichen Wirkungen zu stellen. Dieser bescheidene Versuch einer vorläufigen Analyse komplizierter Phänomene sei ihm deshalb in Freundschaft und Verehrung zu seinem 70. Geburtstag gewidmet. B. Das Ende des "Consensus" und seine Folgen Daß das Gesetz von 1971 gegen den entschiedenen und sehr deutlich artikulierten Widerstand der Gewerkschaften verabschiedet worden ist, ist allgemein bekannt. Ob und wie weit dieser Widerstand berechtigt war, steht hier nicht zur Erörterung. Er ist eine historische Tatsache. In der Gesetzgebung über das kollektive Arbeitsrecht spielt in einer entwickelten und demokratisch organisierten Industriegesellschaft das Element des "Consensus" der kollektiven Mächte eine erhebliche Rolle. Manchmal ist das Gesetz nichts anderes als die rechtliche Formulierung eines übereinkommens der beiderseitigen Organisationen. So war es in Deutschland 1918 und 19196 , so war es in Frankreich 19367 • Was immer die ursprüngliche Haltung der Arbeitgeber und ihrer Verbände und der Gewerkschaften gegenüber der britischen arbeitsrechtlichen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts und der ersten 70 Jahre des 20. gewesen sein mag, man kam zu guter letzt zu einem modus vivendi, und ein Wechsel der Regierung führte im allgemeinen nicht zu einer Aufhebung getroffener Maßnahmen. "Im allgemeinen", denn es gab zumindest eine wichtige Ausnahme. Das war das nach dem Generalstreik von 1926 verabschiedete gewerkschaftsfeindliche Gesetz von 19278, das im Jahre 19469 unter der Regierung Attlee widerrufen wurde. Dieses Gesetz von 1927 berührte aber die tägliche Praxis des Arbeitslebens - die normalen Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern - nur am Rande: sein für 8
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Legien-Stinnes Abkommen. Accord Matignon. Trade Disputes and Trade Unions Act, 1927. Trade Disputes and Trade Unions Act, 1946.
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die Praxis wesentlicher Einfluß betraf die hier nicht zu erörternden finanziellen Verflechtungen zwischen den Gewerkschaften und der Labour Party l0, die Sonderbehandlung der Verbände öffentlicher Bediensteter im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft im Spitzenverband (Trades Union Congress: T.U.C.)11 und das Verbot der Beschränkung der Koalitionsfreiheit und des Koalitionszwangs im öffentlichen Dienst!2. Die durch dieses Gesetz vorgesehene Rechtswidrigkeit gewisser Sympathiestreiks, politischer Streiks13, und gewisser Formen der Nötigung beim Streikpostenstehen14 scheint in den neunzehn Jahren der Geltung dieses Gesetzes keine praktischen Wirkungen ausgeübt zu haben. Die Absicht des Gesetzgebers von 1971 dagegen war, den gesamten Arbeitsbeziehungen einen neuen "Rahmen" zu geben, und zu diesem Zweck - zum ersten Mal in der Geschichte des britischen Arbeitsrechts ein System von Normen und Sanktionen zu errichten, innerhalb dessen die hergebrachten Einrichtungen des kollektiven Arbeitslebens - Tarifverträge und Arbeitskämpfe, Koalitionen, Koalitionsfreiheit und Koalitionszwang - ihren Platz finden würden. Also - eine "Reformation an Haupt und Gliedern", eine bewußte und sorgfältig geplante Ausdehnung der Sphäre des staatlich gesetzten "Rechts", d. h. der den Verwaltungsbehörden und Gerichten zur Verfügung stehenden Zwangsmittel, zwecks Regelung von Verhaltensweisen, die bislang rein gesellschaftlichen Normen und gesellschaftlichen Sanktionen überlassen waren. Dieser Versuch ist zum größten Teil gescheitert. Unter den Ursachen seines Scheiterns steht obenan, wie gesagt, der zähe und ebenfalls bewußt und systematisch geplante Widerstand der etwa 45 Prozent aller Erwerbstätigen umfassenden Gewerkschaftsbewegung. Die Wirksamkeit dieses Widerstandes rührte daher, daß das Gesetz selbst auf die willige Mitarbeit der Gewerkschaften bei der Durchführung ausgerichtet war. Das Fehlen des "Consensus" also bedeutete mehr als einen politischen, auf Gesetzesänderung zielenden Protest: er bedeutete die Paralysierung eines Gesetzes, dessen Autoren mit der Überwindung des gewerkschaftlichen Widerstandes gerechnet - und somit falsch gerechnet - hatten. Man kann dem Gesetzgeber von 1971 nicht vorwerfen, daß er sich der Notwendigkeit der aktiven Mitwirkung der Verbände auf beiden Seiten bei der Durchführung eines solchen Gesetzes nicht bewußt gewesen sei. Was man ihm vorwerfen kann, ist, daß er die 10 d. h. das Problem des "politischen Fonds" der Gewerkschaften, siehe Trade Union Aet, 1913, seet. 3 - 6, und die aufgehobenen Bestimmungen in seetion 4 des Gesetzes von 1927. 11 Seetion 5. 11 Seetion 6. I' Seetions 1, 2, 7. 14 Seetion 3.
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praktischen Möglichkeiten einer solchen Mitwirkung falsch einschätzte. Daß diese politische oder soziale Diagnose zutrifft, läßt sich erweisen durch eine kurze Betrachtung der beiden Gruppen von Maßnahmen, die gleichsam die Grundsteine des neuen Gebäudes darstellten: der Registrierung der Verbände und der Schaffung eines neuartigen Gerichts und eines neuen Typs des rechtswidrigen Verstoßes gegen die Normen des Arbeitslebens. I. Die Gewerkschaftsregistrierung und ihr Fehlschlag
Es hat in Großbritannien niemals eine Zwangsregistrierung von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden gegeben. Im Jahre 1871 15 wurde die freiwillige Registrierung eingeführt, deren wesentliche praktische Bedeutung in der Publizität lag, die sie der Finanzgebarung der registrierten Verbände gab 16, sowie in einem Einkommensteuerprivileg für gewisse Sozialleistungen (Kranken- und Unfallgeld, Altersrente etc.) registrierter Gewerkschaften für ihre Mitglieder17 • Bei Erfüllung der rein formellen Bedingungen hatte die Gewerkschaft einen - wie man in Deutschland sagen würde - öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Registrierung18 • Fast alle größeren Gewerkschaften waren registriert - 85 Ofo aller Gewerkschaftsmitglieder waren vor 1971 Mitglieder einer registrierten Gewerkschaft19 • Arbeitgeberverbände waren im allgemeinen nicht registriert. Auch unter dem Gesetz von 1971 behielt die Registrierung ihren "freiwilligen" Charakter. Jedoch wurden nun an die Registrierung entscheidende und schwerwiegende Folgen geknüpft. Die bei weitem wichtigste war die Privilegierung der Arbeitskämpfe, die von registrierten Gewerkschaften oder in deren Namen geführt wurden20 : die seit 190621 bestehende Immunität einer Arbeitskampfhandlung von der Deliktshaftung wegen Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch wurde durch die in der Praxis wichtigste Vorschrift des Gesetzes auf registrierte Gewerkschaften beschränkt. Die Führung eines Streikes ohne Bruch von Arbeitsverträgen ist in der Praxis im allgemeinen unmöglich und bei Begehung Trade Union Act, 1871, sect. 6 ff. Sect. 14 und Sect. 16 des Gesetzes von 1871 und der Anhang (First Schedule). 17 Income and Corporation Taxes Act, 1970, sect. 338 eine aus früheren Gesetzen stammende Vorschrift. 18 R. v. Registrar 01 Friendly Societies (1872), L. R. 7 Q. B. 741, d. h. das Gericht konnte die Registerbehörde durch Order 01 Mandamus anweisen, die Registrierung vorzunehmen. I' Royal Commission on Trade Unions and Employers Associations Report, 1968, ("Donovan Report"), Cmnd. 3623, Para. 789. 20 Sect. 96. 21 Trade Disputes Act, 1906, sect. 3. 15 IS
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des Zivildelikts der Verleitung zum Vertragsbruch können Unterlassungsurteile (und vor allem einstweilige Verfügungen auf Unterlassung) ergehen. Ihre Nichtbefolgung ist "Ungehorsam gegenüber dem Gericht" (contempt of court) und wird mit Freiheitsstrafen oder Geldbußen geahndet, deren Höhe im Ermessen des Gerichts steht. Man geht also nicht zu weit wenn man sagt, daß die rechtliche Streikfreiheit durch das Gesetz von 1971 auf registrierte Gewerkschaften und deren Repräsentanten beschränkt wurde. Was der Gesetzgeber damit beabsichtigte, war aber radikal verschieden von dem was er erreichte. Beabsichtigt war eine Maßnahme gegen nichtgewerkschaftliche, " wilde " Streiks, und die Möglichkeit des Vorgehens gegen innergewerkschaftliche Minderheiten, die ohne die Autorisation der Gewerkschaftsleitung Arbeitskämpfe führten. Erreicht wurde die in der Praxis undurchführbare und auch nicht gewollte Unterdrückung des Streikrechts der Gewerkschaften selbst: die Brücke zwischen Gesetzesabsicht und Gesetzeswirklichkeit wäre die Registrierung der Gewerkschaften gewesen, die aber ausblieb. Was für die Streikfreiheit gilt, gilt auch für die zugrunde liegende Koalitionsfreiheit. Das Gesetz von 1971 proklamierte das Recht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, einer Gewerkschaft beizutreten und sich für sie zu betätigen!! - vorausgesetzt, daß es sich um eine registrierte Gewerkschaft handelte. Gegenüber dem Staat besteht die Koalitionsfreiheit seit 1824!3, gegenüber dem Arbeitgeber sollte sie - dem amerikanischen Muster!4 folgend - durch das Gesetz von 1971 als rechtliche Institution erstmals eingeführt werden, allerdings mit sehr dürftigen, mit dem amerikanischen Modell nicht entfernt vergleichbaren Sanktionen25 • Die Beschränkung der rechtlich garantierten Koalitionsfreiheit auf registrierte Verbände beraubte sie der praktischen Wirkung - von wenigen untypischen Ausnahmen26 abgesehen. Die Voraussetzung des Seet. 5 (1) (a) und (e). Combination Laws Repeal Aet, 1824. !C National Labor Relations Aet, 1935, jetzt Teil des Labor Management Relations Aet. 2lI National Labor Relations Aet (Labor Management Relations Aet, 1947, amended in 1959), Title I, Seet. 10. Während in den Vereinigten Staaten der National Labor Relations Board eine, wenn nötig durch gerichtliche Verfügung erzwingbare, Zurücknahme einer Entlassung anordnen kann, beschränkte das britische Gesetz von 1971 das Recht des Arbeitnehmers ausdrücklich auf eine begrenzte Entschädigung. Siehe seetions 101, 106, 116, 118. 21 Beispiel einer solchen Ausnahme: Post Office v. Union of Post Office Workers (1974) Industrial Court Reports 378: In diesem Fall beanspruchten Mitglieder eines kleinen, registrierten, aber vom Arbeitgeber nicht als Verhandlungspartner anerkannten Verbandes qualifizierter Angestellter die in seet. 5 (1) (e) verbrieften gewerkschaftlichen Betätigungsrechte, die ihnen der Arbeitgeber (die Postbehörde) deshalb versagt hatte, weil er lediglich mit dem Industrieverband der Postangestellten in Beziehung stand. Dieser Fall zeigt, daß das Gesetz dazu angetan war, der Gewerkschaftssplitterung Vorschub zu leisten. !!
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Funktionierens der gesetzlichen Bestimmungen strierung der Gewerkschaften - trat nicht ein.
die freiwillige Regi.,.
Ebenso war durch das Gesetz die rechtliche Durchsetzung des Anspruchs der Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber auf Anerkennung als Tarifverhandlungspartner7 an die Registrierung geknüpft, und das gleiche galt für die Ausnahmen von dem durch das Gesetz eingeführten Verbot des vereinbarten Koalitionszwangs (Absperrklausel, closed ShOp)28. Auch dieses Recht, mit den Arbeitgebern oder ihren Verbänden die herkömmlich vereinbarte Beschränkung der Beschäftigung auf Gewerkschaftsmit.,. glieder fortzusetzen oder sie neu einzuführen, stand nur registrierten Gewerkschaften offen, und dies hatte die praktische Folge, .daß eine kleine Minderheit von Gewerkschaften, deren Existenz von der Absperrklausel abhängt, sich in der Tat registrierten. Diese Gewerkschaften aber mußten die Registrierung mit dem temporären Ausschluß aus dem gewerkschaftlichen Spizenverband - dem T.U.C. - bezahlen, es handelt sich z. B. um die Gewerkschaften der Seeleute, der BankangestelltenZ9 und des Bühnenpersonals. Die bei weitem überwiegende Anzahl aller Gewerkschaften - einschließlich der großen Gewerkschaften der Transportarbeiter, Metallarbeiter, Eisenbahner, Elektriker, Bauarbeiter, Bergleute usw. - handelten gemäß der Instruktion des T.U.C., ihre Registrierung zu streichen. Sie taten es, obgleich es für einzelne von ihnen den empfindlichen Verlust des erwähnten Steuerprivilegs bedeutete. Während der gesamten Geltungsdauer des Gesetzes standen also die Gewerkschaften im offenen Kampf gegen seine Anwendung, und dies bedeutete, daß gewisse Teile des Gesetzes nicht und andere in verzerrter Form zum Zuge kamen. Weit wichtiger ist, daß (wie man ohne große Prophetengabe von vornherein voraussehen konnte, die Verfasser des Gesetzes aber augenscheinlich nicht voraussahen) die praktische Auswirkung des Gesetzes auf die Arbeitsbeziehungen minimal blieb, weil weder Gewerkschaften noch Arbeitgeber gewillt waren, tief eingewurzelte Verhaltensweisen einem von Juristen erdachten System von Geboten, Verboten und Sanktionen zu opfern. Für die Politik des T.U.C., den angeschlossenen Verbänden das Fernbleiben vom Register30 zur Pflicht zu machen, gab es Gründe, die in dem Sect. 44 ff. d. h. (siehe unten) die Erlaubnis des "agency shop" (Solidaritätsbeitrag) (sect. 6, 11 ff.) und des "approved closed shop" (Genehmigter Koalitionszwang) (sect. 17 f.). H Für sie allerdings war nicht der "closed shop" maßgebend, sondern die Möglichkeit, sich durch rechtlich garantierte Anerkennung einen Platz gegenüber den im Bank- und Versicherungsgewerbe noch vorkommenden (häufig registrierten) "Hausverbänden" zu sichern. 30 Technisch war es in den meisten Fällen ein Akt der Deregistrierung eingetragener Gewerkschaften, da bei Unterlasung der Deregistrierung die EinZ7
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Gesetz selbst lagen: das Gesetz hatte eine neue Registerbehörde geschaffen und ihr sehr weitgehende Aufsichtsbefugnisse über registrierte Verbände und deren Satzungen übertragen31 • Die Gewerkschaften lehnten diesen Eingriff in ihre Autonomie ab. Dies aber war für sie nicht das entscheidende Moment. Dieses lag in der Existenz des durch das Gesetz geschaffenen Zwangsapparates, und vor allem in der Schaffung eines eigens zur Überwachung der Arbeitsbeziehungen geschaffenen neuen Gerichts, des NationalIndustrial Relations Court (N.I.R.C.). Anders ausgedrückt: der Widerstand der Gewerkschaften entstammte nicht in erster Linie dem Wunsch, den nachteiligen Folgen der Registrierung zu entgehen (die sich mit denen der Nichtregistrierung nicht entfernt vergleichen ließen), sondern der - wie die Ereignisse zeigten - gerechtfertigten überzeugung, daß durch einen hartnäckig geführten opfervollen "Stellungskrieg" das ganze Gesetz aus den Angeln gehoben werden konnte. Um dies zu verstehen, muß man den zweiten Grundstein des Gebäudes etwas näher betrachten. II. Ein neuartiger DeUktstyp und ein neuartiges Gericht Es kann kaum ein britisches Gesetz geben, das so stark von ausländischen Vorbildern beeinflußt war, wie das Gesetz von 1971. Das wichtigste Vorbild war das amerikanische. Seit dem National Labor Relations Act von 1935 gibt es in den Vereinigten Staaten den Begriff der "unfair labor practice"3Z - den das britische Gesetz (unter völliger Veränderung seiner Bedeutung) als "unfair industrial practice" übernahm33 • Der Ausdruck ist auch mit größter Mühe nicht übersetzbar. Das Wort "unfair" entstammt der Sphäre des Sports und kennzeichnet eine Verletzung der herkömmlichen Spiel- oder Kampfregeln. Im Rahmen des Gesetzes aber handelte es sich nicht (wie im Sport) um die Verletzung vorgegebener Regeln, sondern um Nichtbefolgung von Gesetz selbst geschaffener Vorschriften. Zumindest war das die Bedeutung der "unfair industrial practice" im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts (zum Unterschied von dem individuellen Kündigungsschutz)". Wenn z. B. oben gesagt wurde 35 , nur regitragung unter der früheren Gesetzgebung mit nunmehr veränderten Wirkungen bestehen blieb. 31 Sect. 81 - 83; Schedule 4. 3t National Labor Relations Aet, Seet. 8. 33 Die Voraussetzungen und vor allem die Folgen einer "unfair industrial praetice" waren allerdings von denen des amerikanischen Musters grundlegend verschieden. 34 Sect. 22 ff.: Durch diese Bestimmungen wurde (im Anschluß an die Empfehlung 119 der Internationalen Arbeitsorganisation von 1963 und der Vorschläge der Donovan Commission [Kapitel 9]) zum ersten Mal ein beschränkter Schutz gegen unbillige Entlassungen eingeführt. 35 Text zu Fußnoten 20 und 21. Es handelt sich um seet. 96 des Gesetzes.
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strierte Gewerkschaften seien von der Deliktshaftung wegen Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch frei gewesen, so war das (bewußt) ungenau: die Haftung beruhte nicht auf dem (dem common law entstammenden) Zivildelikt selbst, sondern auf einem im Gesetz nach dem Muster des Zivildelikts formulierten Typ der" unfair industrial practice". Auch viele andere Arbeitskampfverbote erschienen nicht, wie herkömmlich, als Zivildelikte, sondern als "unfair industrial practices", so etwa der Arbeitskampf zur Erreichung oder Durchführung einer Absperrklausel 36 oder zur Erreichung der Anerkennung einer Gewerkschaft während schwebenden Anerkennungsverfahrens 37 - dies sind nur willkürlich herausgegriffene Beispiele aus der langen Liste von "unfair industrial practices". Die Verwandlung der zivildeliktsrechtlichen in spezifisch arbeitsrechtliche Sanktionen, d. h. der Typen von "torts" in Typen von "unfair industrial practices" (ganz zu schweigen von der Schaffung zahlreicher solcher Typen, die keinem "tort" entsprachen), hatte vor allem - aber nicht ausschließlich - verfahrensrechtliche Bedeutung. Denn dem neuen Typ des rechtswidrigen Verhaltens entsprach ein neues Gericht, der National Industrial Relations Court. Es war die klar ausgedrückte Absicht des Gesetzgebers 38 , das Recht der zivilrechtlich unerlaubten Handlungen (" torts") und die Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte in allen Fragen des kollektiven Arbeitsrechts zu beseitigen, und durch das materielle Rechtsgebäude der "unfair industrial practices" sowie die Zuständigkeit der speziellen " Arbeitsgerichte " zu ersetzen. Man muß aber betonen, daß unter dem Gesetz von 1971 die Struktur dieser "Arbeitsgerichte" von der der deutschen Institutionen dieses Namens grundverschieden war. Arbeitsgerichte des deutschen Typs ("industrial tribunals") gibt es seit 196439 : ihre wichtigste, aber nicht ihre einzige Funktion ist die Entscheidung von Streitigkeiten über die durch ein Gesetz von 1965 geschaffenen gesetzlichen Abfindungsentschädigungen bei Entlassung wegen Betriebsstillegungen oder Betriebsveränderungen {"redundancy payments")40. Hinzu kommen nun Streitigkeiten über das durch das Gesetz von 1971 U geschaffene und durch das Aufhebungsgesetz von 197442 ausSect.33. Sect. 54, 55. 38 Sect. 131, 132. 39 Sie wurden zuerst durch den Industrial Training Act, 1964, eingeführt, mit zunächst ganz beschränkten Zuständigkeiten unter diesem Gesetz. Später wurde in anderen Gesetzen ihre Zuständigkeit sehr erheblich ausgedehnt. Sie haben aber (noch) keine Zuständigkeit über Arbeitsvertragsverletzungen im allgemeinen. 40 Redundancy Payments Act, 1965. 41 s. oben Note 34. 42 Trade Union and Labour Relations Act, 1974, Sect.! (2); Schedule 1, Part 11. 38
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drücklich aufrechterhaltene Recht auf Entschädigung bei unbilliger Entlassung. Die "industrial tribunals" haben aber keine kollektivrechtliche Zuständigkeit. Für die Entscheidung über "unfair industrial practices" von Arbeitnehmerseite 43 und auch für gewisse andere, im wesentlichen mit dem kollektiven Arbeitsrecht zusammenhängende Funktionen der streitigen44 wie der freiwilligen45 Gerichtsbarkeit) schuf das Gesetz von 1971 den National Industrial Relations Court, der auch als Revisionsinstanz gegenüber den "industrial tribunals" fungierte 46 • Sowohl in seiner erstinstanzlichen als auch in seiner revisionsgerichtlichen Funktion war der N.I.R.C. ein "höheres" Gericht (während die "industrial tribunals" ein "unteres" Gericht sind). Der N.I.R.C. konnte deshalb Unterlassungsverfügungen erlassen und ihre Befolgung mit den Zwangsmitteln des "contempt of court" Verfahren durchsetzen. Es war ein "gemischtes" Gericht mit einem Richter als Vorsitzenden und Personen mit spezieller Erfahrung auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen als Beisitzern. Da aber die Gewerkschaften das Gericht boykottierten und die Benennung von Beisitzern ablehnten, so waren die Beisitzer im wesentlichen den Arbeitgeberkreisen entnommen. Diesen Boykott erstreckten die Gewerkschaften während der Geltungsdauer des Gesetzes von 1971 auch auf die "industrial tribunals", gegen deren Funktionen sie (von Ausnahmen abgesehen) keine sachlichen Einwendungen hatten, und selbst auf die schon vor Erlaß des Gesetzes geschaffene und durch das Gesetz reorganisierte "Commission on Industrial Relations"47, deren Aufgabe die Reform des Tarifvertragswesens und die Förderung der Anerkennung der Gewerkschaften war. Eine - nur eine - Gewerkschaft, die Amalgamated Union of Engineering Workers (Metallarbeiterverband, die zweitgrößte Gewerkschaft) ging so weit, jedes Auftreten vor den speziellen Arbeitsgerichten abzulehnen, und die Urteile in contumaciam ergehen zu lassen (was aber keineswegs den Erlaß von Versäumnisurteilen, sondern eine einseitige Verhandlung bedeutete). Der Schaffung des N.I.R.C. - und darüber hinaus dem gesamten Gebäude des Gesetzes von 1971 - lag eine zum Teil individualistische, zum Teil patriarchalische Vorstellung von den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit zugrunde. Die individualistische Tendenz kommt zum AusSect.10l. z. B. hinsichtlich der in Sect. 138 ff. des Gesetzes vorgesehenen Notmaßnahmen ("Abkühlungspause" und Zwangsabstimmung bei Arbeitskämpfen). 45 z. B. hinsichtlich der Genehmigung eines "approved closed shop" und anderer den Koalitionszwang betreffende Genehmigungen und Anordnungen, und hinsichtlich der Anordnung einer Gewerkschaftsanerkennung (sect. 49). 48 Sect. 114: es war eine "Revision" (im deutschen Sinn), keine "Berufung". Der N.I.R.C. war auch Berufungsinstanz gegenüber der Registerbehörde : s.115. 47 Sect. 120 - 123. 43
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druck in den Bestimmungen über die Absperrklausel, von denen noch zu reden sein wird, in der Gestaltung des Verfahrens überwiegt der patriarchalische Zug. Anders ausgedrückt: das Element der "materiellen Rationalität" (im Sinne Max Webers) überwog in der Vorstellung des Gesetzgebers und - dies ist nicht unwichtig - in der Praxis des N.I.R.C. gegenüber der "formalen Rationalität". Im Falle einer Klage wegen "unfair industrial practice" war es die Aufgabe des N.I.R.C., dem Anspruch dann und nur dann stattzugeben, wenn es dies für "recht und billig" ("just and equitable") hielt48 - die Kriterien von "Recht und Billigkeit" blieben in nubibus. Diese entscheidende Bestimmung des Gesetzes (die dem N.I.R.C. einen von dem der ordentlichen Gerichte sehr verschiedenen Charakter gab) ist der Schlüssel für das Verständnis der" unfair industrial practice". Der Zweck der Trennung der arbeitsrechtlichen von den allgemeinen zivilrechtlichen Verhaltensnormen war es, die "Auflockerung" der formalen Rechtsbegriffe durch die "materielle Rationalität" von "justice" und "equity" sicherzustellen. Ist es notwendig, die deutschen Leser dieser Zeilen auf die Parallelen in der Geschichte und Gegenwart des deutschen Arbeitsrechts ausdrücklich aufmerksam zu machen? Die praktische Gestaltung des Verfahrens vor dem N.I.R.C., vor allem durch den Ersten Vorsitzenden, Sir J ohn Donaidson, entsprach dieser Absicht des Gesetzes. Die äußeren Formalien des englischen Gerichtsverfahrens wurden beseitigt - keine Perücken, keine "Richterbank" , keine formalen Anreden - und in den Urteilsbegründungen erschien das pädagogische Element mit erdrückender Deutlichkeit. Es ist zu früh, die Reaktion der Gewerkschaftskreise auf diese Dinge gewissermaßen psychologisch zu untersuchen - man kann nur die unbeweisbare Vermutung aussprechen, daß es gerade diese Abwandlung des Gerichts zu Katheder oder Kanzel war, die ihnen so ganz besonders "auf die Nerven fiel". Wenn aus dem gescheiterten Experiment von 1971 eine Lehre für fremde Nationen gezogen werden kann, so ist es die, daß ein Gesetz kein Evangelium und nicht einmal ein Lehrbuch des Wohlverhaltens, und daß ein Gerichtsurteil keine Predigt und nicht einmal eine moralphilosophische Vorlesung sein kann. Es war die Absicht des Gesetzes, die gütliche Erledigung von Gesamtwie von Einzelstreitigkeiten nach Kräften zu fördern 49 , und es ist - unter den gegebenen Umständen - erstaunlich, wie weit dies in der Tat erreicht wurde. Darüber hinaus unternahm man den Versuch,einen rechtlich nicht durchsetzbaren Kodex von Normen zu schaffen, deren Innehaltung guten Arbeitsbeziehungen förderlich sein würde50 - dieser "Code of 48 4t
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Sect. 101 (2). Sect.146; Sched. 3 Part II Paragraph 18 (3). Sect. 2 - 4. Der "Code" selbst ist nicht in dem Gesetz enthalten.
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Practice" ist noch51 und bleibt auChu in Kraft. Seine Verletzung macht eine Handlung nicht rechtswidrig, seine Innehaltung ist kein Rechtfertigungsgrund. Jedoch war es die Pflicht des N.I.R.C. und der "industrial tribunals", und bleibt es die Pflicht der "industrial tribunals "53 , die Regeln des "Code of Practice", wenn immer angebracht, bei der Beurteilung des Verhaltens einer Partei in Rechnung zu stellen. Dieser Versuch einer teilweisen Formalisierung von Kriterien der materiellen Rationalität - er ist dem Highway Code, d. h. den Regeln über sachgemäßes Verhalten im Straßenverkehr, nachgebildet - wird in Zukunft bei der praktischen Handhabung des Kündigungsschutzes auch weiter eine Rolle spielen. Seine Rolle in der nun der Vergangenheit angehörenden rechtlichen Handhabung der Verhaltensregeln in Kollektivstreitigkeiten war bescheiden. Man kann nicht sagen, daß der "Code of Practice" sehr wesentlich dazu beigetragen hätte, dem vagen Kriterium von "Recht und Billigkeit" eine konkrete Gestalt zu verleihen. Der "Code" konnte das Scheitern des Experiments von 1971 nicht verhindern. Zusammenfassend sei noch einmal unterstrichen, daß der gewerkschaftliche Widerstand sich mehr gegen die Regulierung ihres Verhaltens durch das System der "unfair industrial practices" und seine Handhabung durch ein patriarchalisch orientiertes Gericht wendete als gegen die (damit verglichen harmlose) Kontrolle durch die Registerbehörde. Der Widerstand aber manifestierte sich nicht nur in der Ablehnung der Registrierung, sondern auch und vor allem in der "non-co-operation" mit den Gerichten. Man übertreibt, aber nicht gar zu sehr, wenn man in dieser passiven Resistenz eine Parallele zu Gandhi's Strategie in Indien sieht. Jedenfalls teilt sie mit ihr den Erfolg. Trotzdem wäre es ganz verfehlt, in diesem gewerkschaftlichen Widerstand die einzige Ursache des Scheiterns des Experiments zu sehen. Es gab zumindest noch eine andere, nicht weniger wichtige.
C. Außerrechtlicher Brauch und ungebräuchliches Recht Das Gesetz von 1971 war ein bewußter Versuch der Umgestaltung der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit. Er ging weit hinaus über eine Förderung des Arbeitsfriedens - wenngleich dies eines seiner wesentlichen Ziele war. Zum ersten Mal in der Geschichte des britischen ArbeitsTrade Union and Labour Relations Act, 1974, Sched. 1 Part 1. Seine Beseitigung ist in der dem Parlament vorliegenden Novelle zu dem Gesetz von 1974 nicht vorgesehen, obgleich seine Beibehaltung in diesem Gesetz gegen den Willen der damaligen Regierung durch eine Parlamentsmehrheit erzwungen wurde. 53 Trade Union and Labour Relations Act, 1974, Sched. 1 Part I Para. 3. 51
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rechts sollte das staatlich gesetzte Recht dazu verwendet werden, alt eingewurzelte autonome Bräuche umzustülpen und durch heteronome Rechtsnormen zu ersetzen. Die beiden wichtigsten Beispiele sind die obligatorische Wirkung der Tarifverträge und das Problem des vereinbarten Koalitionszwangs.
I. Die tarifvertragliche Friedenspflicht Wenn über das Nichtvorhandensein einer vertragsrechtlichen Wirkung der Tarifverträge in Großbritannien ein Zweifel bestehen konnte, so wurde er zuerst durch den Bericht der Königlichen Kommission über Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ("Donovan Commission") von 196854 und dann durch ein grundlegendes Urteil von 196955 beseitigt. Der Verfasser dieser Zeilen hat versucht darzulegen56 , daß die praeter legem Natur der Tarifverträge (über die sich kein Mitglied der Royal Commission im Zweifel war) tief in der Geschichte und vor allem in der Struktur der britischen Kollektivverhandlungen und Kollektivvereinbarungen begründet ist. Dies ist nicht der Ort, das Gesagte zu wiederholen. Während der von der Labour Regierung im Jahre 1970 kurz vor ihrem Sturz vorgelegte Gesetzentwurf diesen Tatbestand durch eine nur mittels ausdrücklicher schriftlicher Vereinbarung widerlegbare Vermutung des außerrechtlichen Charakters der Vereinbarung rechtlich zu formulieren suchte57 , tat das Gesetz von 1971 das Umgekehrte. Es sah vor, daß ein schriftlicher Tarifvertrag unwiderlegbar als Vertrag im Rechtssinne galt, insoweit sein Vertragscharakter nicht durch ausdrückliche schriftliche Erklärung des gegenteiligen Willens der Parteien ausgeschlossen war5s. Also eine Vermutung des Willens zum Vertragsschluß in einer Situation in der nach communis opinio tatsächlich ein solcher Wille nicht bestand. Rein juristisch gesehen konnte diese Vorschrift des Gesetzes eine bemerkenswerte Anomalie erzeugen: wenn eine Partei, z. B. die Gewerkschaftsseite, der anderen, also dem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband, erklärte, sie wolle keinen Vertrag im Rechtssinn schließen und schlage die Einfügung einer entsprechenden Klausel in den Vertrag vor, und die Gegenpartei lehnte dies ab, so konnte das Resultat ein "Vertrag" sein, dessen eine Partei mit Kenntnis der anderen des Vertragswillens ermangelte und nur ein "gentlemen's agreement" abschließen wollte. Diese - den Prinzipien des 5C
Cmnd. 3623, Kapitel VIII.
Ford Motor Co. v. Amalgamated Union of Engineering and Foundry Workers [1969] 2 Q.B. 303. 51 Labour and the Law, Hamlyn Lectures 24th Series, London (Stevens), 1972, pp. 129 ff. 55
57 Industrial Relations Bill, 1970, Clause 29 (Dieser Gesetzesentwurf war ein totgeborenes Kind). 58 Sect. 34, 35.
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englischen Vertragsrechts59 widersprechende - Situation ist allerdings während der Geltungsdauer des Gesetzes bestimmt niemals eingetreten. Denn die Rechtswirklichkeit sprach der Gesetzesabsicht Hohn. Die ausdrückliche Abgeltung der "Vertragsnatur" der Kollektivvereinbarung wurde "common form", d. h. eine jener Klauseln die - so wie etwa in England Schiedsklauseln in gewissen Typen kommerzieller Verträge fast automatisch in diese Vereinbarungen hineingesetzt wurden. Die hierüber angestellten rechtstatsächlichen Untersuchungen haben ergeben, daß sich die Arbeitgeberseite dem Verlangen der Gewerkschaften, die "Abgeltungsklausel" in den Vertrag einzufügen, so gut wie niemals widersetzte, und daß dieser Punkt nicht einmal Verhandlungsgegenstand wurde. Mit anderen Worten, es entsprach dem beiderseitigen Willen, die Rechtswirkung des Tarifvertrages auszuschalten, und die Arbeitgeber oder ihre Verbände nahmen die neue Gesetzesvorschrift nicht einmal zum Anlaß, von den Gewerkschaften als Gegenleistung für die Vereinbarung der Abgeltungsklausel anderweitige Konzessionen zu erreichen60 • In ihrem Bericht für 1972 erklärte die "Commission on Industrial Relations"61, daß nach ihren Untersuchungen dieser Gegenstand in den Verhandlungen keine Rolle spiele, in dem Bericht für 197362 wurde die Materie - als offenbar zu unwesentlich - nicht einmal mehr gestreift. Alles deutet darauf hin, daß es fast immer der Vergeßlichkeit oder Nachlässigkeit der Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter zuzuschreiben war, wenn eine solche Klausel in der Vereinbarung fehlte 63 . Dieses - man kann wohl stagen totale - Scheitern einer der Absichten des Gesetzgebers von 1971 hatte also nichts mit der passiven Widerstandspolitik der Gewerkschaften zu tun. Hier liegt etwas anderes vor, nämlich ein Zusammenstoß zwischen "Recht" und "Brauch" oder " Sitte" . Man denkt an naheliegende Parallelen, so wie etwa das Schulbeispiel des Zusammenstoßes zwischen Spiel- und Wettgesetzgebung und Börsengebräuchen. Dort aber erzwingt die "Sitte" die Einhaltung von Verträgen, denen das "Recht" den bindenden Charakter zu nehmen versucht - in unserem Fall erzwang die "Sitte " nicht nur die Einhaltung des Vertrages, sondern den Ausschluß der rechtlichen Bindung, die das Gesetz an ihn zu knüpfen suchte. Für den Rechtssoziologen liegt hier ein neuartiger Typ der "Grenzen des Rechts" vor: die gewollte und vereinbarte Verweisung Siehe etwa Treitel, Law of Contract, 3. Auf!. (1970), pp. 120 ff. In ihrem in der folgenden Note zitierten Bericht über das Jahr 1972 schreibt die Commission on Industrial Relations (Para. 114): "We did not find any evidence that the question had become a significant bargaining issue." 11 Annual Report for 1972 (Report No. 37), Para. 110 - 114. le Annual Report for 1973 (Report No. 65). 13 Weekes, Mellish, Dickens and Lloyd, Industrial Relations and the Limits of Law. The Industrial Effect of the Industrial Relations Act. 1971 (Warwick Studies in Industrial Relations), Oxford (Blackwell) 1975), pp. 155 ff. 59
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rechtlicher Sanktionen in die ihnen durch den gesellschaftlichen Brauch gesetzten Grenzen. In den Arbeitsbeziehungen erscheint in Großbritannien das "Recht" weitgehend als ein Störungsfaktor, den man auszuschalten bestrebt ist. Aus diesem Grund erwies sich auch eine andere Gruppe der Vorschriften des Gesetzes von 1971 als eip Schlag ins Wasser. Hier 64 handelt es sich um eine Art Zwangsschlichtung sehr spezieller Art. Unter gewissen - sehr einschränkenden - Voraussetzungen konnte der National Indl,lstrialRelations Court den Parteien, d. h. einem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft, ein sogenanntes "procedure agreement" auferlegen, d. h. 65 einen rechtlich bindenden88 Vertrag, der die Innehaltung gewisser Verfahrensweisen bei kollektiven Verhandlungen über Löhne und andere Arbeitsbedingungen, bei Kündigungs- und Disziplinarmaßnahmen, bei der Gestaltung von Gewerkschaftsrechten in den Betrieben usw. vorsah. Diese Bestimmungen sind offensichtlich während der Geltungsdauer des Gesetzes überhaupt nicht zum Zuge gekommen, und dies muß daran gelegen haben, daß sich kein Arbeitgeber ihrer zu bedienen versuchte. Sie waren als ein Schutz gegen spontane und betriebsgefährdende Streiks und ähnliche Aktionen gedacht87 und dienten als solche einem Zweck, über dessen Wünschbarkeit wohl kaum Zweifel bestehen können. Aber es bestand ein deutliches Mißverhältnis zwischen Mittel und Zweck. Auch hier erwies sich, daß das Recht als eine unter vielen technischen Methoden der Sozialgestaltung nur begrenzte Funktionsmöglichkeit hat. Kein vernünftiger Arbeitgeber konnte daran denken, durch Ingangsetzung dieses Zwangsverfahrens mißratene Arbeitsbeziehungen noch vollends zu vergiften. Wäre ein solches Zwangsverfahren zur gütlichen Erledigung streitiger Gegenstände je zustande gekommen, so hätte es, ebenso wie der rechtlich bindende Tarifvertrag, den Parteien eine mit rechtlichen Sanktionen erzwingbare Friedens- und Einwirkungspflicht68 auferlegt: das Gesetz bezeichnete in einer den Kenner der Geschichte des deutschen Arbeitsrechts" gespensterhaft anmutenden Weise die auferlegten "Verfahrens"vorschriften als fingierten Vertrag70 • Es scheint sich erwiesen zu haben, daß - zumindest bei dem gegenwärtigen Stand des TarifverhandIungswesens - die rechtlich erzwingbare Friedens- und Einwirkungspfticht, so Seetions 37 ff . Definition in seet. 166 (5). 88 Seet. 39 (3). 87 Seet. 37 (5). 88 Seet.36. '0 Schlichtungsverordnung von 1923. 70 Seet. 41 (2): Der diktierte Vertrag hatte die Wirkung "as if a eontraet eonsisting of those provisions had been made between those parties". 64
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wie sie in einzelnen, nicht in allen, Ländern des europäischen Kontinents besteht71 , nicht oder noch nicht in die britische Gesellschaftsordnung paßt.
11. Der vereinbarte Koalitionszwang Man hat geschätzt7 2 , daß etwa zwei Fünftel der britischen organisierten Arbeitnehmer, d. h. der in Arbeit stehenden Gewerkschaftsmitgleider, dem vereinbarten Koalitionszwang - dem "closed shop" - unterliegen. Dies muß richtig verstanden werden. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle ist der Zwang zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht Bedingung des Abschlusses des Arbeitsvertrages, sondern eine seiner Bestimmungen, wenn man will Inhalts- und nicht Abschlußnorm. Innerhalb einer gewissen Zeit muß der Arbeitnehmer der Gewerkschaft beitreten, wenn er seine Stellung behalten will. Die sozialen Wirkungen dieses "post-entry closed shop" (in Amerika "union shop" genannt) sind von denen das "pre-entry shop" deshalb sehr verschieden, weil unter dem letztgenannten System dem Arbeitgeber die Wahlfreiheit bei dem Einstellungsvorgang weitgehend entzogen ist. Verständlicherweise ist deshalb der Widerstand gegen das System des Koalitionszwangs als Abschlußbedingung ("pre-entry closed shop") besonders groß. Etwa 20 bis 25 % aller dem Koalitionszwang unterliegenden Arbeitnehmer müssen der Gewerkschaft angehören, um Zutritt zum Arbeitsplatz zu haben, die große Mehrheit ist lediglich verpflichtet, ihr nach Abschluß des Arbeitsvertrages beizutreten73 • Der Unterschied der beiden Typen des vereinbarten Koalitionszwangs erlangte unter dem Gesetz von 1971 vorübergehende juristische Bedeutung. Um aber das Gesetz und seine praktischen Wirkungen zu verstehen, muß man sich der problematischen Bedeutung des Ausdrucks "vereinbarter Koalitionszwang" bewußt werden. Denn in der weitaus überwiegenden Zahl aller Fälle74 handelt es sich durchaus nicht um eine formelle und schon gar nicht um eine schriftliche Vereinbarung. Es handelt sich um einen - oft unartikulierten - "Brauch", eine "Übung", "Gewohnheit", "Sitte", "coutume ouvriere", d. h. eine von der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern einseitig aufgestellte Regelung, die der Arbeitgeber stillschweigend akzeptiert und - darauf kommt es an - anwendet und im Zusammenwirken mit der Gewerkschaft erzwingt. Die Gründe, aus denen die Arbeitnehmerschaft auf dem Koalitionszwang besteht, sind verschiedenartig und wechseln häufig von Industrie 71 z. B. in der Bundesrepublik und in den skandinavischen Ländern, aber nicht in Frankreich oder in Italien. 72 McCarthy, The Closed Shop in Britain, 1964, p. 28. Donovan Commission Report (Cmnd. 3623), Paras. 588 ff. 73 McCarthy, loc. cit., pp. 37 ff. 74 Ibid., pp. 62 ff.
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zu Industrie. Man hat wohl mit Recht gesagt, daß das Argument: "wer nicht gesät hat, soll auch nicht ernten" eine sehr viel geringere Rolle spielt75 als gemeinhin angenommen wird. Sehr viel wichtiger ist die Sicherung der Gewerkschaftsdisziplin und des solidarischen Handeins. Darüber hinaus aber - und alle diese Dinge wurden unter dem Gesetz von 1971 rechtlich relevant - gibt es Gewerbezweige, in denen der Koalitionszwang für die Gewerkschaft eine Existenzbedingung ist, weil in Folge der Natur der Beschäftigung oder der großen Häufigkeit des Wechselns der Arbeitsstelle die normalen Methoden der Werbung oder Rekrutierung versagen. Dies gilt in beschränktem Umfang für Teile des Baugewerbes, aber es gilt ganz besonders für zwei sehr verschiedene Zweige des Wirtschaftslebens: die Seeschiffahrt und das Bühnen- und Konzertwesen. Dieser überaus gedrängten übersicht über die tatsächlichen Hintergründe des Koalitionszwanges müssen aber noch zwei Bemerkungen hinzugefügt werden, die von entscheidender Wichtigkeit sind. Die Erfahrung hat gezeigt, daß in dieser wie in vielen anderen Beziehungen das Element der "direkten Demokratie" in der britischen Wirtschaft sehr stark ist: d. h. es ist zuweilen - und vielleicht sehr oft - der Druck von unten, von der Belegschaft, sehr viel mehr als der Druck von oben, von der Gewerkschaftsleitung, der die Mitgliedschaft des einzelnen Arbeitnehmers erzwingt. Und ferner: nicht nur die Aussagen von Arbeitgebern vor der Donovan Commission76, sondern die praktischen Verhaltensweisen vieler - vor allem auch größerer - Unternehmen haben gezeigt, daß (nicht alle, aber viele) Arbeitgeber den "closed shop" nicht nur akzeptieren, sondern gutheißen, vor allem weil er zwischengewerkschaftliche Reibereien im Betrieb unterbindet, und für die Arbeitgeber sicherstellt, daß die Gewerkschaft, mit der sie verhandeln und zusammenarbeiten, auch wirklich alle relevanten Arbeitnehmer repräsentiert. Alles dies muß man wissen, um zu verstehen, was sich in den letzten drei Jahren ereignet - und vor allem was sich nicht ereignet - hat. Grundsätzlich war der "closed shop" in dem Gesetz von 1971 verboten77 • Der Koalitionszwang als Abschlußbedingung (pre-entry closed shop) war es schlechthin und ausnahmslos78 , jede auf ihn zielende Abrede war nichtig. Jeder Versuch, durch Streik, Streikdrohung, oder ähnliche Handlungen (z. B. passive Resistenz, Bummelstreik, überstundenverweigerung, vorausgesetzt, daß hierin ein Vertragsbruch lag), den Arbeitgeber zum Abschluß einer solchen Abrede oder zu ihrer Ausführung zu veranlassen, 75
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Ibid., p. 180. Cmnd. 3623, Para. 593. Sect.5 (1) (b). Sect. 7.
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war eine "unfair industrial practice"79. Diese aber konnte durch Unterlassungsgebote des National Industrial Relations Court mittels Gefängnisstrafen oder Geldbußen unterdrückt werden. Dies allerdings unter einer entscheidenden Voraussetzung: nämlich daß der Arbeitgeber bei dem Gericht Klage erhob. Auch der Koalitionszwang als Inhaltsnorm war grundsätzlich verboten. Ganz allgemein versuchte das Gesetz, die sogenannte "negative Koalitionsfreiheit" durchzusetzen, d. h. das Recht keiner Gewerkschaft (ob registriert oder nicht) anzugehörenso. Wenn der Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer diskriminierte, weil er keiner oder weil er nicht einer bestimmten Gewerkschaft angehörte, so machte er sich schadensersatzpflichtig81 - allerdings nur in einem sehr begrenzten Rahmen und ohne daß gegen ihn eine Verfügung zum Handeln oder Unterlassen ausgesprochen werden konnte s2 . Jeder Versuch einer Gewerkschaft (ob registriert oder nicht) oder von Arbeitnehmern, den Arbeitgeber durch Streik oder ähnliche Handlungen zu einem solchen Verhalten zu veranlassen, konnte durch den NationalIndustrial Relations Court mittels Unterlassungsverfügungen unterdrückt werdens3 , aber nur auf Klage des Arbeitgebers, und - was sich in der Praxis als wichtig erwies - nicht auf Klage des betroffenen Arbeitnehmerss4 . Dem Verfasser dieser Zeilen ist von einer Klage des Arbeitgebers gegen eine Gewerkschaft oder gegen Arbeitnehmer wegen Kampfhandlungen zwecks Durchsetzung des Koalitionszwanges nichts bekannt geworden. Von dem Verbot des "post entry closed shop" gab es zwei Ausnahmens5 , die aber nur zugunsten einer eingetragenen Gewerkschaft platzgriffen. Die eine war das System des "Solidaritätsbeitrages" oder "agency shop", ein in der Schweiz und auch in den Vereinigten Staaten wohlbekanntes System, unter dem alle Arbeitnehmer (mit Ausnahme der nachweisbar durch - vor allem religiöse - Gewissensskrupel motivierten) den Gewerkschaftsbeitrag zahlen müssen, ohne aber gezwungen zu sein, der Gewerkschaft beizutreten. Die andere Ausnahme war der "closed shop" mit besonderer Genehmigung des Gerichts für Gewerkschaften, die ohne Sect. 33 (3) (b), (c). Sect.5. 81 Sect. 106, 116, 118. 8! Vgl. Sect. 101 (3) mit Sect. 106( 3). Die Zuständigkeit des National Industrial Relations Court war ausdrücklich für alle Ansprüche des Arbeitnehmers wegen Diskriminierung oder unbilliger Entlassung ausgeschlossen (s. 101 [1] [b]), und das allein zuständige Industrial Tribunal hatte und hat kein Recht Unterlassungsverfügungen zu erlassen. 83 Sect. 33, sect. 101. 84 Sect.105. 85 Sect. 6, sect. 11 ff., sect. 17 and 18. 78 80
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ihn nicht auskommen konnten. Diese Ausnahme wurde in der Seeschifffahrt und im Bühnenwesen tatsächlich angewandt. Die vorstehenden Ausführungen vermitteln nur einen unzureichenden Eindruck von der Komplexität dieser Bestimmungen über den "closed shop". Hier handelte es sich (mehr als irgendwo anders in dem Gesetz) um einen gigantischen Versuch, durch Rechtszwang die Denk- und eingewurzelten Verhaltensweisen eines Volkes umzustülpen. Der Versuch ist gescheitert. Das Risiko von Schadensersatzklagen betroffener unorganisierter Arbeitnehmer vor dem "industrial tribunal" (das für sie zuständig war) war vorhanden, aber für die Arbeitgeber sehr erheblich geringer als das der Verletzung bestehender Abreden oder Bräuche, die die Beschäftigung auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkten. Gelinde gesagt, wäre für viele Arbeitgeber ein Versuch, das Gesetz anzuwenden, mit schweren Gefahren verbunden gewesen, Gefahren, denen sich die weitaus meisten Arbeitgeber nicht aussetzen wollten, schon deshalb nicht, weil viele von ihnen den "closed shop" nicht als Belastung, sondern unter Umständen als das Gegenteil empfanden. Das Verbot des "closed shop" blieb weitgehend ein toter Buchstabe. Die Gebräuche der Industrie änderten sich nicht. In der Automobilindustrie in den Chrysler Werken in Coventry - gab es einen gelernten Schweißer8S, der sich mit der Gewerkschaft auf Tod und Leben überwarf und sie verließ. Die Geschäftsleitung von Chrysler wollte weder einen Streik riskieren noch eine Klage wegen Diskriminierung, und zahlte dem Schweißer seinen Lohn, ohne ihn zu beschäftigen, und zwar durch Postüberweisung, nachdem sein Erscheinen am Zahltag zu Schwierigkeiten geführt hatte. Allerdings versuchte dieser geistige Nachfahre des Michael Kohlhaas eine ganze Anzahl von Prozessen (die hier nicht interessieren), aber das Prinzip des "closed shop" in der Automobilindustrie konnte er nicht aus den Angeln heben. Kurz und gut: wenn Geschäftsleitungen und Gewerkschaften sich einig sind, so haben die Juristen eine sehr geringe Aussicht, gesetzlich formulierte Normen gegenüber eingewurzelten Bräuchen durchzusetzen. Das Gesetz hat an der gesellschaftlichen Wirklichkeit nichts geändert. Der rechtsvergleichende Beobachter darf sich die Frage erlauben, inwieweit die in manchen - keineswegs in allen - Industrieländern87 be88 Langston v. Amalgamated Union of Engineering Workers (no. 1) [1973], Industrial Court Report 211; (1974), I.C.R. 180 (C.A.); (no. 2) r19741, I.C.R. 510. 87 Verbote bestehen z. B. in Belgien, in Frankreich und in der Bundesrepublik, aber nicht in den Niederlanden oder in den skandinavischen Ländern. Ein beschränktes Verbot besteht in den Vereinigten Staaten, kein Verbot besteht in Canada, und in Australien ist es sogar häufig, daß eine "union preference" Klausel in staatlichen verbindlichen Schiedssprüchen enthalten ist. Daß das Verbot des vereinbarten Koalitionszwangs ein Korrelat der Koalitionsfreiheit sei, ist eine höchst problematische Behauptung.
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stehenden Verbote des Koalitionszwanges der Rechtswirklichkeit entsprechen. Dies würde einen verlohnenden Gegenstand der vergleichenden Rechtstatsachenforschung bilden. Sicher ist, daß in Großbritannien der Versuch einer Einführung eines solchen Verbotes - einer eingewurzelten Bräuchen widersprechenden Rechtsnorm - von vornherein Schiffbruch erlitten hat. D. Gegenwart und Zukunft Viele Aspekte des Gesetzes können hier nicht berührt werden, vor allem nicht das so überaus wichtige Problem der Anerkennung der Angestelltengewerkschaften als Tarifpartner, die während der Jahre der Geltung des Gesetzes große Fortschritte gemacht hat, zum Teil als Folge des Gesetzes, zu einem großen Teil unabhängig davon. Dies bedürfte einer gesonderten Darstellung. Was ist von dem Gesetz übrig geblieben, und wie werden sich die Dinge weiter entwickeln? Durch den Trade Union and Labour Relations Act von 1974 wurde das Gesetz von 1971 mit Wirkung vom 31. Juli vorigen Jahres außer Kraft gesetzt. Eine Anzahl seiner Bestimmungen aber sind in dem neuen Gesetz fast wörtlich wiederholt worden, z. B. die Bestimmungen über den Kündigungsschutz, einschließlich der zugehörigen Verfahrensvorschriften und der Bestimmungen über das von dem Gerichtsverfahren getrennte Güteverfahren88 • Beibehalten, wenn auch leicht abgeändert, wurden die traditionellen Immunitäten von der Deliktshaftung, die das Prinzip der Streikfreiheit im Zivilrecht verkörpern. Hier allerdings fügte die Opposition in dem Parlament vom Februar 1974 gegen den Willen der Regierung zwei Amendements ein, die den Schutz gegen Haftung wegen Verleitung zum Vertragsbruch auf den Bruch von Arbeitsverträgen beschränkten89 und im Bereich multinationaler Unternehmungen den Schutz für Sympathiestreiks mit ausländischen Arbeitnehmern weitgehend ausschlossen9o • Die Beseitigung dieser Amendements ist einer der Hauptzwecke der gegenwärtig dem Parlament vorliegenden Novelle zu dem Gesetz von 197491 • Das Gesetz hat die Vermutung über den Vertragscharakter von Kollektivvereinbarungen umgedreht92 , und im übrigen fast den gesamten Inhalt des Gesetzes von 1971 beseitigt, einschließlich der "unfair industrial practices" und des "National Industrial Relations Trade Union and Labour RelationsAct, 1974, Schedule I, Part 111, Part IV. Und damit den Rechtszustand unter dem Trade Disputes Act, 1906 wieder herstellten: Trade Union and Labour Relations Act, 1974, Sect. 13 (1). 10 Ibid., Section 29 (3). 11 Trade Union and Labour Relations (Amendment) Bill, Clause 2 (2); Clause 1 (d). 8! Sect.18. 88
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Court", der Vorschriften über die Konsequenzen der Nichtregistrierung, über die Aufsichtsfunktionen der Registerbehörde und über die Absperrklausel. übrig geblieben ist allerdings das heißumstrittene Problem, ob ein wegen Nichtzugehörigkeit zur Gewerkschaft entlassener Arbeitnehmer den Kündigungsschutz genießen soll, wenn er aus irgendwelchen "vernünftigen Gründen" ("any reasonable grounds") der Gewerkschaft ferngeblieben ist oder sie verlassen hat, oder nur wenn er, wie die "ernsten Bibelforscher" , gegen jede Gewerkschaftszugehörigkeit religiöse Gewissensbedenken hat93 • Der Fall ist besonders deshalb akut geworden, weil manche von dem "closed shop" unter den Journalisten mit Recht oder mit Unrecht eine Gefährdung der Pressefreiheit befürchten, was von anderen auf das heftigste bestritten wird. über diese politische Frage läßt sich hier nur sagen, daß sie wohl - so oder so - ausgetragen sein wird, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen. Die weiteren Pläne der Regierung ergeben sich aus einem zweiten Gesetzentwurf94 , der erhebliche Maßnahmen auf dem Gebiet vor allem des Arbeitsvertragsrechts in Aussicht stellt, einschließlich einer Regelung des Betriebsrisikos, und eines sehr verbesserten Kündigungsschutzes. Aber auch die Anerkennung der Gewerkschaften und das Recht auf Information sollen unter anderem auf eine neue Grundlage gestellt werden. Diese Pläne lassen erkennen, daß die Rolle der Gesetzgebung in der Gestaltung der industriellen Arbeitsbedingungen keineswegs ausgespielt ist. Nicht um diese Funktion des Gesetzes handelte es sich in erster Linie bei dem gescheiterten Versuch von 1971, sondern um die Substituierung rechtlicher für gebräuchliche Verhaltensnormen in den kollektiven Arbeitsbeziehungen. Der Versuch und der Widerstand gegen seine Ausführung haben nicht nur Bitterkeit erzeugt - darüber kommt man hinweg -, sondern nach Ansicht des Verfassers dieser Zeilen niemandem mehr geschadet als dem Ansehen des Rechts selbst. Es gibt Anzeichen, daß dieses Unternehmen einer ab ovo zum Mißlingen verurteilten Ausweitung des Bereichs des Rechts einen Pendelschlag in die entgegengesetzte Richtung bewirken und das Recht mancher Funktionen berauben könnte, deren Ausübung im allgemeinen Interesse dringend geboten ist95 •
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Trade Union and Labour Relations Act, 1974, Schedule I, Part 11, Para. 6
(5); Trade Union and Labour Relations (Amendment) Bill, Clause 1 (e).
94 "Employment Protection Bill, 1975. Sie enthält Reformvorschläge in zahlreichen Zweigen des Arbeitsrechts. 95 Dies gilt insbesondere für gewisse Auswüchse in dem sogenannten "picketing", das ursprünglich Streikpostenstehen bedeutete, aber einem bedenklichen Bedeutungswandel unterworfen zu sein scheint.
Energiewirtschaft und Marktwirtschaft Von Wolfgang Kartte Marktwirtschaft, auf eine Kurzformel gebracht, heißt Dezentralisierung der Entscheidungsprozesse. Ökonomisch gesehen, ist dies Voraussetzung für eine optimale Steuerung der Marktabläufe und damit auch für die bestmögliche Versorgung der Verbraucher. Aus gesellschaftspolitischer Sicht brauchen wir diese Dezentralisierung, um Individualität und Freiheit in unserem Lande zu sichern. Unter diesem Aspekt ist Marktwirtschaft das Pendant zur politischen Demokratie 1 • Das ist nicht "Ideologie", sondern das ist eine aus bitteren Erfahrungen gewonnene Gewißheit. Viele reden gern von Marktwirtschaft und Wettbewerb, im konkreten Fall ist dann aber meistens "alles anders". Die Wettbewerbspolitiker haben die Erfahrung gemacht, daß fast immer ein bißchen weniger Planung nötig und ein bißchen mehr Wettbewerb möglich ist, als die jeweiligen Sachkenner wahrhaben wollen. Auf welche Grenzen stößt die Marktwirtschaft im Bereich der Energiewirtschaft? Erstens: Die Energiewirtschaft ist für die Gesamtwirtschaft ein so lebenswichtiger Faktor, daß staatliche Vorsorge und damit auch zentrale Planung nötig ist und vor allem auch von der politischen Öffentlichkeit verlangt wird2 • Staatliche Enthaltsamkeit und das Vertrauen auf marktwirtschaftliche Selbststeuerung stoßen im Energiebereich selbst dort leicht auf Unverständnis, wo die Marktwirtschaft durchaus spielen könnte und sollte3 . Auf seiten des Bundeswirtschaftsministers war ge1 Zur theoretischen und politischen Verknüpfung von freiheitlich demokratischer Rechtsstaatlichkeit als Gesellschaftsprinzip und marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung vgl. auch Kurt Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Bettermann - Nipperdey - Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, 3. Band, 1. Halbband, Berlin 1958, S. 1 ff. Z Vgl. hierzu das Energieprogramm der Bundesregierung, BundestagsDrucksache 7/1057 vom 3. 10. 1973, sowie Erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 7/2713, vom 30. 10. 1974. Zu dem rechtlichen Problem staatlicher Vorsorgemaßnahmen in der Energiewirtschaft vgl. auch Eiser - Riederer - Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, Kommentar, München 1974, sowie ferner Ludwig, Cordt, Stech, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Kommentar, Frankfurt/Main. 1972.
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radezu "Mut zum Markt" erforderlich, um bei Beginn der Ölkrise nicht in einen für die Mengenversorgung gefährlichen Preisdirigismus zu verfallen4 • Ein Beispiel für Energiedirigismus, über dessen ökonomische Vernunft man seinerzeit sicherlich streiten konnte, der sich allerdings nachträglich als nicht ganz falsch herausgestellt hat, ist die Kohlepolitik der fünfziger Jahre. Damals ging es um den vorwiegend sozialpolitisch motivierten Schutz der heimischen Steinkohle gegenüber dem Wettbewerb durch das wesentlich billigere Heizöl, aber auch gegenüber den ebenfalls billigeren Kohleimporten. Man versuchte, den Absatz der deutschen Kohle in einer bestimmten Höhe zu garantieren. Selbstbeschränkungsabkommen für Heizöl, Kohlezoll, Subventionen für die deutsche Kohle waren die wichtigsten Elemente dieser Politik. Dieser Versuch, der deutschen Kohle gegenüber dem neuen Energieträger Mineralöl entgegen den Marktkräften ein bestimmtes Absatzvolumen zu sichern, mißlang. In einer zweiten Phase seit 1967 war die Kohlepolitik darauf ausgerichtet, den unvermeidbaren Anpassungsprozeß durch "flankierende" staatliche Maßnahmen zu regulieren. Aber auch diese grundsätzlich marktwirtschaftlich orientierte neue Kohlepolitik erhielt für den Ordnungspolitiker einen bitteren Beigeschmack. Mit der Bildung der Ruhrkohle-Einheitsgesellschaft wurde ein praktisches Beispiel für die "Faszination der Unternehmensgröße" gegeben, die damals weit verbreitet war. Die späteren Erfahrungen mit diesem Unternehmen haben sicherlich nicht unerheblich zum Abbau der Vorstellung von den Vorteilen der "Unternehmensgröße an sich" beigetragen. Ein zweiter Grund, aus dem die Marktwirtschaft im Bereich der Energiewirtschaft auf Grenzen stößt: Die Technologie der Energiewirtschaft ist so kostspielig und die Investionsanforderungen sind dementsprechend so hoch, daß die wettbewerbspolitisch erwünschte Vielfalt der Entscheidungsträger auch von dieser Seite her nicht durchsetzbar ist. Es schmerzt den Wettbewerbspolitiker sehr, daß er beim Öl, beim Erdgas und jetzt auch bei der Kernenergie immer auf dieselben handelnden Personen stößt. Wettbewerbspolitisch liegt in der Verflechtung der alten und der neuen Energiebereiche das eigentliche Problem. Es gibt einen Satz, den man im Hinblick auf seine elementare Bedeutung als den 3 Zum Problem der wettbewerbsrechtlichen Behandlung der Energie- und Versorgungswirtschaft vgl. auch Niederleithinger, Ernst, Die Stellung der Versorgungswirtschaft im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht an der Universität zu Köln 18/19, Düsseldorf 1968; ferner Bericht der Bundesregierung über die Ausnahmebereiche des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BundestagsDrucksache 7/3206, vom 4.2.1975. 4 VgI.hierzu Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1973, Bundestags-Drucksache 7/2250, vom 14. 6.1975, S. 111.
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"Pytagoras der Wettbewerbspolitik" bezeichnen könnte. Er heißt: "Sind das alte und das neue Produkt in derselben Hand, so ist der vorstoßende Wettbewerb Neu gegen Alt insoweit ausgeschaltet." Gerade dieser Wettbewerb ist das Lebenselexier für die Marktwirtschaft. Welcher Newcomer könnte aber, so muß man fragen, die Investitionen finanzieren, die heute z. B. im Bereich der Kernenergie erforderlich sind? Drittens: Die ölproduzierenden Länder haben ein Angebotskartell aufgebaut, durch das beim Rohöl die eine Marktseite, was Abgabepreise und die Angebotsmengen anbetrifft, zementiert ist. Der Weltrohölmarkt ist gegenwärtig ein Bereich, in dem "Markt" klein und "Macht" großgeschrieben wird. Die interationalen Ölgesellschaften werden aus ihren Positionen in den Förderländern nach und nach verdrängt; sie haben ihre Funktion als Ölproduzenten weitgehend verloren und müssen sich in Zukunft mit der - sicher nicht unwichtigen - Rolle von Verteilern bescheiden. An ihre Stelle sind die Regierungen der Rohölländer mit ihren Staatsgesellschaften gerückt. Dieser "Substitutionsprozeß" ist zwar noch nicht völlig abgeschlossen, aber dies ändert nichts an der Tatsache, daß das Monopol der Förderländer seit Beginn der 70er Jahre die entscheidende Macht auf dem Weltrohölmarkt ist. Spätestens seit dem Herbst 1973 ist dieses Faktum der Weltöffentlichkeit bewußt geworden. Nun ist es gewiß nicht das erste Mal, daß Weltrohstoffmärkte in diesem Jahrhundert durch Kartellbildung monopolisiert worden sind. Vom Rohölsektor abgesehen, darf hier an die Rohstoffkartelle zwischen den Weltkriegen erinnert werden, die dann zum größten Teil in die staatlich bestimmten Rohstoffabkommen übergegangen sind (z. B. Zinn, Kautschuk). Aber von all diesen "Vorbildern" unterscheidet sich das Rohölkartell der Opec in mindestens zwei wesentlichen Punkten: 1. Niemals zuvor ist die in einem Rohstoffkartell vereinigte wirtschaftliche Macht so dezidiert zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt worden.
2. In keinem Fall war die Abhängigkeit der Verbraucherländer von dem Rohstoffkartell so groß, wie dies beim Rohöl zumindest für die westeuropäischen Länder und Japan -leider - der Fall ist. Daß diese besondere Situation auch besondere Strategien der Abnehmer erfordert, steht außer jedem ZweifelS. Aber welche Alternativen lassen sich unter marktwirtschaftlichen Aspekten in dieser Lage überhaupt vorstellen? Die "natürliche" Reaktion der Abnehmerseite auf verknappte Angebotsmengen und steigende Preise ist S Vgl. hierzu auch Simonet, Henri, Ölkrise: Folgerungen für Europa, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 54, Heft I, 1974, S. 9 ff., sowie Kebschull, Dietrich, Schoop, Hans-Günter, Rohstoffsicherung und Entwicklungsländer, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 54, Heft 111 1974, S. 121 ff.
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kurzfristig Einschränkung des Verbrauchs und Umstellung auf vorhandene Substitutionsprodukte, mittel- und langfristig forcierte Entwicklung neuer Substitutionsprodukte. Dieser Anpassungsprozeß ist im Gange. Im kurzfristigen Bereich, der sich heute bereits übersehen läßt, erfolgte bei uns die Reaktion rascher, als Viele bei Beginn der Krise angenommen hatten. Insofern war es richtig, die gestiegenen Produktenpreise, soweit sie durch die Rohölverteuerung bedingt waren, staatlicherseits nicht "herunterzudirigieren" . Der Preismechanismus hätte sonst nicht wirken können, und durch bloße verbale Sparappelle läßt sich das Verbraucherverhalten - als "aufgeklärter" Demokrat kann man das nur gutheißen - nicht steuern. Dieses Laufenlassen der Preise, verbunden mit einer Absicherung der sozial schwächeren Schichten durch Heizölkostenzuschüsse, war ein gutes Beispiel für marktwirtschaftliches Verhalten. Es war das richtige Mittel, um die große Stärke unseres marktwirtschaftlichen Systems, nämlich die Anpassungsftexibilität, zu fordern und dadurch eine möglichst rasche Umstellung bei möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten zu erreichen'. In anderen großen Verbraucherländern war das Vertrauen in marktkonforme Mittel schon nicht mehr groß genug, um spontan eine ähnlich "natürliche" Einstellung der staatlichen Wirtschaftspolitik zu ermöglichen. Man kann nur hoffen, daß die inzwischen etablierte Zunft der Energiekrisenpolitiker die Weisheit besitzt, den Plan nicht über das Vertrauen in die Marktkräfte zu stellen. Von Ludwig Erhard wird erzählt, daß er in Krisenfällen sofort auf Reisen ging und sich dadurch bewußt unerreichbar machte, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, dem Ruf nach dem Staat zu folgen. So viel Enthaltsamkeit kann man heute nicht mehr verlangen. Aber, wie so oft, dürfte auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen. Rasche und möglichst verzerrungsfreie Verbrauchs- und Produktionsumstellung ist nicht die einzige Antwort, die die Marktwirtschaft dem Monopol der Rohölförderländer zu geben vermag. Die Förderländer so verständlich ihre Politik aus ihrer Sicht sein mag - müssen sich auch darüber im klaren sein, daß der von ihnen bewirkte Energiepreisschock ein schwerer Schlag für die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Boden der Havanna-Charta mühsam errichtete liberale Weltwirtschaftsordnung ist. Eine so plötzliche Umverteilung, die sich mit marktkonformen Mitteln - etwa durch entsprechende Importe der Förder- aus den Verbraucherländern oder durch entsprechende Investitionen der Förderin Defizitländern - aus einer Reihe von wirtschaftlichen und politischen e Vgl. hierzu Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit im Jahre 1973, a.a.O.
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Gründen einfach nicht verkraften läßt, muß, wenn nicht Abhilfe geschaffen wird, zu einem Rückfall in die schlimmsten Zeiten weltweiten Wirtschaftsprotektionismus führen. Und dies dann fraglos auch zum Schaden der Rohölförder- und vor allem der Entwicklungsländer. Auf jeden Fall wird weltweit das Wirtschaftswachstum leiden, bevor eine Chance besteht, daß die Antwort, die die Förderländer vom Markt erhalten, zur Senkung der Rohölpreise führt. Aus den gleichen Gründen, die gegen das Anbieterkartell sprechen, tun die Verbraucherländer gut daran, so lange wie nur irgend möglich von einer Strategie der wirtschaftlichen Konfrontation gegenüber den Förderländern abzusehen. Das Gegenrnachtprinzip mag für den, der seinen Galbraith 7 gelesen hat, nicht ohne Reiz sein. Die für eine "AntiOpec" erforderliche weltweite Monopolisierung der Nachfrage, die ohne weitgehende Verstaatlichung der Energiewirtschaft in den Verbraucherländern kaum denkbar ist, wäre aber ein zu hoher Preis. Im übrigen würden die Verbraucherländer, vorausgesetzt, sie könnten überhaupt ihre doch sehr unterschiedlichen Interessen zu einer wirksamen Gegenrnacht vereinen, letztlich am kürzeren Hebel sitzen. Ein Machtgleichgewicht ließe sich wohl kaum herstellen, denn allgemein sind die Ölverbraucherländer auf absehbare Zeit auf den Zuftuß von Rohöl in erheblich größerem Ausmaß angewiesen als die Förderländer auf die Einnahmen aus dem Rohölverkauf. Die Risiken einer Konfrontation mit den Ölproduzenten sind also für den Verbraucher erheblich größer als für die Förderländer. Abgesehen hiervon ließe sich durch eine "Anti-Opec" der Verbraucherstaaten auch keine straffere Zusammenfassung der Einkaufs- und Nachfragemacht erreichen, als sie jetzt bereits durch das mehr oder minder koordinierte Auftreten der großen internationalen Ölgesellschaften mit ihrer weltweiten Organisation besteht. Vielmehr birgt der Versuch einer Kartellbildung der Verbraucherländer die zusätzliche Gefahr in sich, daß hierdurch doch nur Tendenzen zu bilateralen staatlichen Vereinbarungen über die Rohöllieferung, d. h. zum Abschluß direkter Lieferverträge von Staat zu Staat, Vorschub geleistet würde. Frankreich hat in der Erdölkrise diesen gefährlichen Weg des Bilateralismus beschritten. Er bedeutet - verglichen mit dem jetzigen Zustand - sogar eine Zersplitterung der Ölnachfrage und damit eine weitere Schwächung der Position der Verbraucherländer. Für den Wettbewerbspolitiker immer wieder interessant sind die Entwicklungen auf dem deutschen Mineralölmarkt, insbesondere auf dem Produktenmarkt8 • Entscheidendes Merkmal der Struktur dieses Marktes 7 VgI. Galbraith, John, Kenneth, Die moderne Industriegesellschaft, München, Zürich 1968. 8 VgI. hierzu das Energieprogramm der Bundesregierung, a.a.O., sowie Erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung, a.a.O.
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ist die überragende Stellung der internationalen Gesellschaften. Rund 75 % der Raffineriekapazität in der Bundesrepublik und ein fast gleich hoher Anteil der Vertriebsorganisationen für Mineralölprodukte liegen in der Hand dieser Unternehmen. Außerdem werden nur etwa 70 % unseres Produktenverbrauchs in der Bundesrepublik selbst hergestellt, so daß wir - neben der bekannten fast ausschließlichen Abhängigkeit von Rohölimporten - darüber hinaus auch zu rd. 30 % auf die Einfuhr von Produkten angewiesen sind. Diese Tatsache führt immer wieder zur "Preisspaltung" zwischen den inländischen Raffinerieerzeugnissen und den Produktenimporten, vornehmlich vom Rotterdamer Markt. Die Behörden haben bisher nicht feststellen können, welche Mengen von den internationalen Gesellschaften selbst über den Rotterdamer Markt verkauft werden'. Allem Anschein nach gibt es, zumindest in Zeiten eines überangebots, auch unabhängige Anbieter, die eine mengenmäßige und preisliche Steuerung dieses Marktes durch die internationalen Gesellschaften unterlaufen. Da die Produktenpreise in der Bundesrepublik weder direkt noch indirekt staatlich gebunden sind, fließen solche überschußrnassen mit Vorliebe auf den deutschen Markt. Die in deutscher Hand befindlichen Marktanteile von rund 25 Ofo am Produktenmarkt der Bundesrepublik waren bis zu dem Zusammenschluß der VEBA und der Gelsenberg stark zersplitterti°. Jedes dieser Unternehmen schien für sich kein potenter Wettbewerber gegenüber den vollintegrierten internationalen Konzernen zu sein, die bisher auch noch über eigene Rohölquellen verfügten. In dieser Situation ist die Zusammenfassung der deutschen Mineralölinteressen (VEBA/GBAG) zu einem leistungsfähigen Mineralölunternehmen eine Lösung, die - bezogen auf den deutschen Mineralölmarkt - zu einer Verbesserung der. Wettbewerbsbedingungen führen kann; denn zu den internationalen Gesellschaften kommt ein neuer, gleichgewichtiger Anbieter und Wettbewerber am deutschen Markt hinzu. Das Anbieteroligopol wird also erweitert. Die Untersagung dieser Fusion durch das Bundeskartellamt beruhte demgegenüber auf wettbewersbeschränkenden Wirkungen, die auf Märkten außerhalb des Ölbereichs eintreten. Eine Frage steht allerdings nach wie vor im Raum: Inwieweit wird es einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen möglich sein, einerseits das Aktionärsinteresse wahrzunehmen, andererseits aber auch energiepolitischen Erwartungen der Regierung zu entsprechen? Ein weiteres Problem ist der Verlustausgleich, wenn - wie gegenwärtig wieder - das inländische Preis• Vgl. hierzu auch Barnikel, Hans-Heinrich, ölkonzerne: Schwierigkeiten einer nationalen Kontrolle, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 54, Heft VI, 1974, S. 284 ff. 10 Vgl. hierzu auch wettbewerbliche und strukturelle Aspekte einer Zusammenfassung von Unternehmen im Energiebereich (VEBA/Gelsenberg). Gutachten der Monopolkommission gemäß § 24 Abs. 5 Satz 2 GWB, April 1975.
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niveau von einem überquellenden Rotterdamer Ma:rkt stark gedrückt wird. Für die Wettbewerbsverhältnisse auf dem deutschen Binnenmarkt für Olprodukte ist der konzernunabhängige Handel ein besonders wichtiger, unentbehrlicher Faktor. Dies erweist sich immer wieder an den Benzinund Heizölpreisen. Wahrscheinlich hätten wir seit dem vergangenen Jahr ohne die Existenz der freien Händler, die die Chance der fallenden Preise am Rotterdamer Markt genutzt haben, keine Preissenkungen, sondern eher Erhöhungen erlebt. Die Raffineriegesellschaften haben immer wieder betont, daß sie aufgrund ihrer ungünstigen Kostensituation Preiserhöhungen durchsetzen wollten, aber daß der Markt dies nicht zuließe. Mancher hat diese Entwicklung als Bestätigung dafür angesehen, daß die Mißbrauchsverfahren des Kartellamtes im Frühjahr 1974 gegen die Mineralölgesellschaften nicht berechtigt gewesen seien l l . Zu einer gerichtlichen Klärung der mit diesen Verfahren verbundenen Rechtsfragen ist es bekanntlich nicht mehr gekommen, da sich die Verfahren infolge der zwischenzeitlich eingetretenen Preissenkungen zunächst für Heizöl und später auch für Benzin erledigt haben. Zum ordnungspolitischen Hintergrund dieser Verfahren ist folgendes zu sagen: Die Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat die Belastungsprobe der Mineralölkrise des Winters 1973/74 erfolgreich bestanden. Es gelang, die Versorgung mit Mineralöl sicherzustellen, und auch in preislicher Hinsicht hat die Bundesrepublik im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern gut abgeschnitten. Die Wirtschaftspolitik hat sich auch in den besonders kritischen Phasen der Energieversorgung im November und Dezember 1973 nicht auf den Weg des Dirigismus begeben. Sie hat konsequent eine marktwirtschaftliche Linie verfolgt und insbesondere nicht zu Preisreglementierung und Mengenrationierung Zuflucht genommen. Für die Bundesrepublik war es lebenswichtig, daß die Zufuhr von Rohöl und Fertigprodukten nicht durch staatliche Dirigismen beschränkt wurde. Aber selbstverständlich konnte der Verzicht auf staatliche Preisvorschriften für die Produkten-Anbieter, durch den marktkonforme Reaktionen der Nachfrage stimuliert wurden, nicht bedeuten, möglicherweise mißbräuchliche Preisgestaltungen durch marktstarke Unternehmen auf der Anbieterseite unkontrolliert hinzunehmen. Angesichts der drastischen Preisanhebungen für Mineralölprodukte hatten die Verbraucher in der Bundesrepublik einen Anspruch auf Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mittel, um Gewißheit darüber zu erhalten, ob die Preissteigerungen tatsächlich durch den Preisanstieg für Rohöl 11 Vgl. hierzu auch Holthus, Manfred, Kartellamt gegen Ölkonzerne, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 54, Heft IV, 1974, S. 164 ff.
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bedingt waren. Dieser gesetzlich vorgesehenen überprüfung dienten die Verfahren des Bundeskartellamtes, und sicherlich haben die öffentlichen Verhandlungen mit den Ölgesellschaften im Kartellamt auch dazu beigetragen, die Zusammenhänge auf dem Mineralölmarkt für die Öffentlichkeit transparent zu machen.
Zum Begriff des sogenannten Tendenzbetriebes· Von atto Kunze Diese Untersuchung muß sich auch mit den Phänomenen Betrieb und Unternehmen und deren Verhältnis zueinander befassen. Sie ist insoweit zugleich ein - bescheidener - Beitrag zum Unternehmensrecht. Deshalb rechtfertigt es sich, diese Zeilen dem Jubilar zu widmen, der in den letzten 25 Jahren durch richtungweisende Publikationen und Vorträge und maßgebliche Mitarbeit in Kommissionen die Entwicklung des Unternehmensrechts entscheidend gefördert hat.
A. Vorbemerkungen Mit dem Tendenzbetrieb 1 befaßt sich das Betriebsverfassungsgesetz in seinem § 118 Abs.1 2 • Dieserlautet: "Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend
1. politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieheri-
schen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder
2. Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet, dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes dem entgegensteht. Die §§ 106 bis 110 sind nicht, die §§ 111 bis 113 nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln."
Bereits die Auslegung des Vorgängers dieses Paragraphen, des § 81 BetrVG 52, ist auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen3 , wobei das Wort .. Abgeschlossen am 27.12.1974. Das Wort "Tendenzbetrieb" kommt weder im Wortlaut dieses Paragraphen noch sonst im Betriebsverfassungsgesetz vor. Gleichwohl soll der Ausdruck "Tendenzbetrieb" hier - der Paragraphenüberschrift folgend - als Kurzbezeichnung für die Unternehmen und Betriebe, für die § 118 Abs. 1 gilt, beibehalten werden. ! Die Kommentare zu § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes werden fortan nur mit der Randnummer zitiert. a Der Abgeordnete Mumm hatte schon die Worte "soweit ihre Eigenart es bedingt" in § 67 des Betriebsrätegesetzes von 1920 in den Beratungen dieses Gesetzes im Reichstag als einen "Kautschukparagraphen übelster Art" bezeichnet (zit. nach Fabricius, in: Betriebsverfassungsgesetz, Gemeinschaftskommentar von Fabricius, Kraft, Thiele und Wiese - fortan: GK -, Rdnr. 16). 1
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"Tendenz", das auch damals im Gesetz nicht vorkam, eine störende Rolle gespielt hat. Diese Schwierigkeiten sind durch die Neufassung der Regelung im § 118 Abs. 1 zumindest nicht vermindert worden4• Obwohl sich Rechtsprechung und Schrifttum eingehend mit den Tendenzbetrieben beschäftigt haben, erscheint es daher angebracht, nochmals eine in sich geschlossene Begriffsbestimmung5 zu versuchen, die sich völlig von dem Merkmal "Tendenz", das kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal ist6 , löst. Gegenstand der Untersuchung ist nur der § 118 Abs. 1, nicht auch der in § 129 BetrVG in Bezug genommene § 81 Abs. 1 BetrVG 52, obgleich auch Rechtsprechung und Schrifttum zu dem letzteren herangezogen werden.
B. Maßgeblichkeit des Gesetzeswortlauts I. Sondervorschriften über Tendenzbetriebe sind schon vor Erlaß des neuen Betriebsverfassungsgesetzes auf Widerspruch gestoßen. So hatte sich die Mitbestimmungskommission - wenn auch nur im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung - gegen einen Tendenzparagraphen ausgesprochen7 • Während der Beratungen des neuen Betriebsverfassungsgesetzes haben sich insbesondere die Gewerkschaften gegen eine Bestimmung über Tendenzbetriebe gewandt8 • Aber auch nach Erlaß des 4 Siehe Mayer-Maly, "Tendenzbetriebe und Religionsgemeinschaften nach dem künftigen Betriebsverfassungsgesetz", in: DB 1971, S. 2259, und "Grundsätzliches und Aktuelles zum Tendenzbetrieb ", in: BB 1973, S. 761 Linkssp.; Frey, "Der Tendenzschutz im Betriebsverf!issungsgesetz 1972", in: AuR 1972, S. 161 (166), und Der Tendenzschutz im Betriebsverfassungsgesetz 1972, Heidelberg 1974 - fortan: Tendenzschutz -, S. 22/23; Birk, ,,,Tendenzbetrieb' und Wirtschaftsausschuß", in: JZ 1973, S. 753 Linkssp.; Dietz-Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 5. Auf1., Rdnr. 5; Fabricius, GK, Rdnr. 3, 39 und 113; Mikat, "Tendenzbetrieb und Betriebsverfassung", in: Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag, Bd. I, S. 261 (280). 5 Ohne Auseinandersetzung mit den Tatbestandsmerkmalen "unmittelbar" und "überwiegend". • Das BAG, BeschI. vom 29. 5. 1970, in AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG 52, BI. 4, stellt zutreffend fest, der Begriff "Tendenzunternehmen" werde im Gesetz nicht verwandt; dieses spreche von Betrieben, die gewissen Bestimmungen dienten.
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7 Mitbestimmung im Unternehmen. Bericht der SadlVerständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung (Mitbestimmungskommission). BT-Drucks. VI/334, Teil VB Nr. 47, S.116. S So hat der Leiter der Abteilung Arbeitsrecht des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes Karl Kehrmann in der öffentlichen Informationssitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages am 13. 5. 1971 erklärt, daß ein Bedürfnis für die Beibehaltung der Sonderregelung für Tendenzbetriebe im Betriebsverfassungsgesetz nicht gegeben sei. Er hat dementsprechend in erster Linie ersatzlose Streichung, hilfsweise eine Regelung dahin vorgeschlagen, die Beschränkung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte von der Eigenart des jeweiligen Betriebes im einzelnen abhängig zu machen (Protokoll Nr. 57 und 58, S. 9 Linkssp.).
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Gesetzes ist die Kritik nicht verstummt. So ist in der Presserechtlichen Abteilung des 49. Deutschen Juirstentags der Antrag auf "Streichung" des § 118 Abs. 1 Nr. 2 zwar wegen Stimmengleichheit der Ablehnung verfallen, die Empfehlung der Prüfung, ob § 118 Abs. 1 Nr. 2 "aufzuheben oder zu verändern" ist, aber mit großer Mehrheit angenommen worden9 • Fabricius 10 hält § 118 Abs. 1 für rechtspolitisch verfehlt und empfiehlt seine Streichung. Abschaffung des betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutzes haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Industriegewerkschaft Druck und Papier gefordertll . Ferner ist es ein merkwürdiger Widerspruch, daß ebenso wie das alte Bundespersonalvertretungsgesetz vom 5. 8. 1955 12 auch das neue von 15. 3. 197413 keine Tendenzvorschrift enthältl4 • In der Tat ist die Zweckmäßigkeit des § 118 Abs. 1, dessen Anwendung auch in der Praxis auf Schwierigkeiten stößt, zweifelhaft lG • Diese rechtspolitischen Bedenken sind jedoch, nachdem der Gesetzgeber gesprochen hat, für die Auslegung unerheblich, zumal da es sich um die Vorschrift eines jungen, noch nicht drei Jahre alten Gesetzes handelt. II. Für die in § 118 Abs. 1 getroffene Regelung werden vor allem zwei gesetzgeberische Gründe ins Feld geführt. 1. Zweck dieser Regelung soll sein, den ungestörten Betriebsablauf zu gewährleistenl6 • Mayer-Maly ordnet diese Begründung der Lehre vom Tendenzschutz zu, die, wie er meint, den Denkmodellen der Entstehungszeit von § 67 des Betriebsrätegesetzes 1920 am nächsten komme; damals habe die Intention dominiert, "es müsse den sozialdemokratischen Drukkern bürgerlicher Zeitungen verwehrt werden, über ihre Betriebsräte die Gestion des Blattes irgendwie zu beeinflussen"17. Ob dieses Argument 8 Siehe wie Fußn. 6, S. N 249 und N 250, sowie die Diskussionsbeiträge von Simitis (S. N 86), Spoo (S. N 94), Branahb (S. N 100), Hensche (S. N 165 und N 243), Rose (S. N 173) und Peter Simon (S. N 141). 10 Fabricius, GK, Rdnr. 136. 11 FAZ Nr. 238 vom 14. 10.1974, S.13. 12 BGBl. I, S. 477. 13 BGBl. I, S. 693. 14 Allerdings bestimmt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BPersVG in Personalangelegenheiten Beschäftigter mit überwiegend wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit der Personalrat nach §§ 75 Abs. 1, 76 Abs. 1 nur mit, wenn diese es beantragen; und nach Satz 2 daselbst gelten § 75 Abs. 1 und 2 Nr. 14 sowie § 76 Abs. 1 nicht für die sog. politischen Beamten. 15 Siehe Gnade-Kehrmann-Schneider, Betriebsverfassungsgesetz, Rdnr. 15, und Birk, JZ 1973, S. 754. Fabricius, GK, Rdnr. 115, bemerkt mit Recht, daß der "Eigenart"-Vorbehalt im Grunde genommen selbstverständlich sei. 18 Frey, Tendenzschutz, S. 80/81. Für § 81 BetrVG 52: Frey, Der Tendenzbetrieb im Recht der Betriebsverfassung und des Arbeitsverhältnisses, 1959, S. 33; ähnlich Hueck-Nipperdey-Säcker, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., 11. Band, 2. Halbbd., § 53 IV 1 a, S. 1124; Nikisch, Arbeitsrecht, III. Bd., 2. Aufl., § 93 II 1, S. 47.
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damals zutraf, kann dahingestellt bleiben. Nach heutigem Betriebsverfassungsrecht hat der Betriebsrat keine rechtliche Möglichkeit - diese allein könnte § 118 Abs. 1 ausschalten -, z. B. die etwaige "Tendenz" einer Zeitung zu beeinflussen. Selbstverständlich soll § 118 Abs. 1 auchin einem ganz allgemeinen Sinn - einen ungestörten Betriebsablauf gewährleisten. Das ist aber eine der Aufgaben aller Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und kann damit zur spezifischen Begründung von § 118 Abs.1 nicht herangezogen werden. 2. Die herrschende Lehre sieht als gesetzgeberisches Motiv die sog. Grundrechtsbezogenheit1 8 von § 118 Abs. 1 an. Sie stützt sich dabei insbesondere auch darauf, daß sich der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seinem Bericht vom 14. 10. 1971 ausdrücklich auf die "grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film" berufen hat l9 • Aber abgesehen davon, daß, worauf schon Nikisch20 zu § 81 Abs. 1 BetrVG 52 hingewiesen hat, die Sonderregelung der Tendenzbetriebe erheblich älter ist als das Grundgesetz, sind nicht alle "Bestimmungen" von § 118 Abs. 1 Nr. 121 grundrechtsbezogen. Zwar erinnern einige dieser "Bestimmungen" an Grundrechtsartikel des Grundgesetzes, so die koalitionspolitischen an Art. 9 Abs. 3, die konfessionellen an Art. 4 Abs. 1 sowie die wissenschaftlichen und künstlerischen an Art. 5 Abs. 3; und in Nr. 2 ist Art. 5 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich genannt. Weniger eng ist der "Grundrechtsbezug" bei den erzieherischen "Bestimmungen", bei denen vielleicht an Art. 6 Abs. 2 gedacht werden kann22 • Für die politischen und karitativen "Bestimmungen" gibt es überhaupt keine spezifische Grundrechtsgarantie. Schon rein formal ist somit der Grundrechtsbezug lückenhaft. Das Bundesarbeitsgericht hat die These vom Grundrechtsbezug bereits in seinem Beschluß vom 29.5. 1970 aufgegeben und erklärt, § 81 Abs. 1 BetrVG sei kein unmittelbarer Ausfluß der Grundrechte 2S ; es spricht jetzt nur noch vom Schutz der (in § 81 BetrVG 52 genannten) Werte und Zwecke selbst24 • Ein Grundrechtsbezug im Sinne der herrschenden Lehre würde in erster Linie Bedeutung für die hier nicht zu prüfende Frage haben, ob 17 18
BB 1973, S. 764 Rechtssp. Dazu siehe ausführlich m. w. N. Mayer-Maly, AR-Blattei Tendenzbetrieb
I, G IV.
Zu BT-Drucks. VI/2729, S. 17. Wie Fußn. 16, S. 46. 21 Die beiden Nummern des § 118 Abs. 1 Satz 1 werden fortan nur als Nr. 1 und Nr. 2 zitiert. !! So Frey, Tendenzschutz, S. 80. U Ebenso Brecht, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz nebst Wahlordnung, Rdnr.l. !4 Wie Fußn. 6, BI. 4 R, 5 R. 18
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und wieweit § 118 verfassungsrechtlich zwingend geboten ist25 • Er soll jedoch auch für die Auslegung bedeutsam sein. So meint Rüthers, der nach seiner Auffassung" verfassungsgesetzlich gewährleistete Mindesttendenzschutz" (für Presseunternehmen und -betriebe) dürfe nicht durch eine "zweckwidrige Interpretation eingeschränkt oder ausgehöhlt werden", wobei er daran denkt, daß der Geltungsbereich des § 118 entgegen seinem Wortlaut auf solche Unternehmen und Betriebe eingeengt werden könnte, denen eine wirtschaftliche Zwecksetzung fehlt 26 • Zum Schutze gegen eine solche Aushöhlung braucht aber das Grundgesetz nicht bemüht zu werden!7. Mayer-Maly will mit dem vermeintlichen Grundrechtsbezug den Ausnahmecharakter der Vorschrift in Frage stellen28 • "Die gebotene enge Auslegung" von § 118 Abs. 1 darf indessen "nicht durch Berufung auf den Grundrechtsschutz" aufgeweicht werden 29 • Keinen Bedenken begegenet die Bemerkung Richardis, durch die "Zielsetzungen" des § 118 habe der Gesetzgeber eine Abgrenzung getroffen, "um für den hier umschriebenen Bereich die Feststellung zu erübrigen, ob die Verleihung von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten im konkreten Falle eine Grundrechtsverletzung" darstelle 30 • Sie hilft aber nicht weiter, weil sie lediglich auf die vom Gesetzgeber getroffene Regelung, also auf den Wortlaut des Gesetzes, verweist. Es läßt sich nicht mehr sagen, als Mayer-Maly schon zu § 81 BetrVG 52 festgestellt31 hat, daß es nämlich bei den genannten Bestimmungen darum gehe, "einen möglichst großen Freiheitsraum zu sichern"u. Warum der Gesetzgeber gerade diese und keine andere "Regelung zwischen dem Sozialstaatsprinzip und den Freiheitsrechten der Tendenzträger" als "ausgewogen" angesehen hat, ist nirgends näher begründet worden. Soweit ich sehe, fehlen auch Untersuchungen darüber, ob in der Praxis der Tendenzbetriebe die Freiheitsrechte, die !5 Siehe des näheren Mayer-Maly, BB 1973, S. 765 Linkssp., wie Fußn. 18, G IV und V, sowie wie Fußn. 6, Sitzungsberichte S. N 81; ferner DietzRichardi, Rdnr. 6, und insbesondere Rüthers, "Paritätische Mitbestimmung und Tendenzschutz", in: AfP 1974, S. 542 (543 Rechtssp.), dieser allerdings nur für die Nr. 2 (Pressefreiheit). 18 AfP 1974, S. 545. !7 Siehe C 111 3. 18 "Gewinnstreben und Wertfreiheit im ,Tendenzbetrieb"', in: RdA 1966, S. 441 Rechtssp., und wie Fußn. 18, B VI. !D Fabricius, GK, Rdnr. 126. Für enge Auslegung auch Frauenkron, Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 1972, Anm. 1. 30 Dietz-Richardi, Rdnr. 9. 81 Und in den Verhandlungen des Düsseldorfer Juristentags wiederholt hat (Hervorhebungen vom Verf.): "Die ratio legis des § 118 und seines seit dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 ausdrücklich ausgesprochenen Verfassungsbezuges liegt in der Erwartung, daß die partieHe F'reisteHung von der Mit-
bestimmung der Kunst und Wissenschaft und auch der Presse die Entfaltung in Vielfalt bereichere" (wie Fußn. 6, S. N81). 31
S"
RdA 1966, S. 446 Linkssp.
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§ 118 Abs. 1 schützt, überhaupt durch den Betriebsrat beeinträchtigt werden. Wahrscheinlich werden Unternehmens- und Betriebsleitungen nach dem geltenden Recht durch die betriebsverfassungs rechtliche Mitbestimmung in der Ausübung ihrer Freiheitsrechte viel weniger behindert, als allgemein angenommen wird.
3. Unter diesen Umständen muß als wenig überzeugende Entscheidung des Gesetzgebers hingenommen werden, daß die in § 118 bezeichneten Unternehmen und Betriebe zur Wahrung der sich aus den "Bestimmungen" dieser Vorschrift ergebenden "Freiheitsräume"33 eine, wie Rüthers es ausgedrückt hat, "Sonderbetriebsverfassung" erhalten haben34 . Die Auslegung von § 118 Abs. 1 und daher auch die Definition der in seinen Geltungsbereich fallenden Tendenzbetriebe sind demgemäß mangels anderer Anhaltspunkte weitgehend an den Wortlaut dieser Vorschrift gebunden.
C. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG I. In § 81 Abs. 1 BetrVG 52 war nur von Betrieben die Rede. Rechtsprechung und Schrifttum hatten aber auch die Unternehmen in die Regelung des § 81 Abs. 1 einbezogen35• Nunmehr werden die Unternehmen - zur Klarstellung 36 - neben den Betrieben ausdrücklich erwähnt.
1. Bei dem Wort "Unternehmen" pflegt man nur an wirtschaftliche Unternehmen zu denken, also an Wertschöpfungsveranstaltungen, die der Erzeugung von wirtschaftlichen Gütern - Waren und Dienstleistungendienen. Diese "Wirtschaftsobjekte" sind Güter, die einen Nutzen haben und daher an Märkten angeboten und nachgefragt werden37 •
Nr. 1 handelt aber vorwiegend von sozialen Gebilden - Vereinen, Stiftungen, Gesellschaften, Vereinigungen usw. -, die keine Unternehmen im wirtschaftlichen Sinne sind. Das Wort " Unternehmen" auch für Gebilde dieser Art zu verwenden, ist ungewöhnlich und daher überraschend, aber im Grunde sprachlich nicht falsch; denn zumindest das Verbum "unternehmen" wird nicht nur juristisch - als Beginn der Verwirklichung eines strafrechtlichen Tatbestandes, des sog. Versuchs -, sondern BAG, wie Fußn. 6, BI. 5 R. Rüthers, AfP 1974, S. 544 Rechtssp. 35 Siehe BAG in AP Nr. 1 (BI. 2) und Nr. 4 (BI. 1 R.) zu § 81 BetrVG 52; Fitting-Kraegeloh-Auffarth, Betriebsverfassungsgesetz nebst Wahlordnung, 9. Aufl., Rdnr. 4 zu § 81. se Regierungsentwurf des Betriebsverfassungsgesetzes vom 22. 1. 1971. BTDrucks. VI/1786, S. 58. 37 Helmut Arndt, Markt und Macht, 1973, S. 16. Ebenso Mayer-Maly, BB 1973, S. 764 Rechtssp., und Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Düsseldorf 1972, Bd. II (Sitzungsberichte), München 1972, S. N 81: Die durch § 118 "eingeräumte Sonderstellung" hat "nichts mit. Tendenz zu tun". SS
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allgemein im Sinne von "veranstalten" verwendet. So wird ein Ausflug, eine Reise, eine Expedition "unternommen"; und es ist nicht ungewöhnlich, eine Expedition als "Unternehmen" zu bezeichnen. Deshalb ist es nicht abwegig, zumindest auf Dauer angelegte Veranstaltungen jeder Art "Unternehmen" zu nennen. Da auch das nichtwirtschaftliche Unternehmen etwas leistet, etwas hervorbringt, ist es sachgemäß, seine Hervorbringungen ebenfalls als Produktion zu bezeichnen38 . So heißt es im täglichen Sprachgebrauch, daß eine Partei Politik, ein Arbeitgeberverband Arbeitgeberpolitik, eine Gewerkschaft Gewerkschaftspolitik macht. Unternehmen, die konfessionellen Bestimmungen dienen, werden tätig, um die Angehörigen der Konfession in ihrem Glauben zu stärken und der Konfession neue Anhänger zuzuführen. Die Leistungen der karitativen Unternehmen bestehen in Mildtätigkeit und Wohltätigkeit. Die Unternehmen mit erzieherischen Bestimmungen leisten Erziehung; die mit wissenschaftlichen Bestimmungen produzieren Forschungsergebnisse und sonstige wissenschaftliche Erkenntnisse; die mit künstlerischen Bestimmungen produzieren Kunstwerke. Somit sind auch die nichtwirtschaftlichen Unternehmen Wertschöpfungsveranstaltungen. Ist das aber der Fall, dann ist es gerechtfertigt, die bekannten organisatorischen Kategorien des Rechts der wirtschaftlichen Unternehmen auf die nichtwirtschaftlichen Unternehmen anzuwenden. Für die Aktiengesellschaft ergibt sich dies aus § 3 AktG39. In § 1 GmbH ist es ausdrücklich gesagt. 2. Der Betrieb ist nach der hergebrachten, allgemein anerkannten Begriffsbestimmung "die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbetgeber, allein oder mit seinen Arbeitnehmern, mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von einem privaten Bedarf erschöpfen"40. Diese Definition ist wenig glücklich, weil sie drei ganz verschiedene Aspekte des Betriebsbegriffs nicht genügend auseinanderhält: die Produktionsstätte einschließlich einer etwaigen Produktionsapparatur, die Menschen, die dort tätig sind, und die Ordnung in oder nach der diese Menschen arbeiten. Das Sichtbare, das sinnlich Erfahrbare am Betrieb sind die Betriebsstätte und die in ihr arbeitenden Menschenu, die den nach bestrittener, aber richtiger Ansicht42 jetzt auch rechtlich als Verband anerkannten Betriebsverband bilden. Die Ordnung, 38 Nichts anderes ist gemeint, wenn das BAG von "Wertverwirklichung" spricht (wie Fußn. 6, BI. 4/4 R., 6, und AP Nr. 14 zu § 81 BetrVG 52, BI. 3 R). 30 Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl., 1968, Anm. 2 zu § 3 AktG; Harry Westermann, "Zweck der Gesellschaft und Gegenstand des Unternehmens im Aktien- und Genossenschaftsrecht", in: Festschrift für Schnorr von Carolsfeld, 1973, S. 517 (524). 40 Fitting-Auffarth-Kaiser, Betriebsverfassungsgesetz, 10. Aufl., Rdnr. 13 zu § 1.
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in oder nach der diese Menschen arbeiten, ist die Summe der sozialen und rechtlichen Normen, die für ihre Kooperation gelten43 . Hier interessiert nur der Betrieb als Betriebsverband und als betriebliche Ordnung. 3. Jedes Unternehmen wird durch Betriebe tätigt4. Auch die Hauptverwaltung einer großen Aktiengesellschaft, in der der Vorstand sitzt und seine unternehmerischen Entscheidungen trifft, ist ein Betrieb, weil er unentbehrlicher Teil der Produktionsveranstaltung Unternehmen ist, ebenso wie das Büro eines Einzelkaufmanns ein Betrieb oder Betriebsteil ist. Ein Unternehmen kann einen oder mehrere Betriebe haben. Allein diese - die Produktionsstätten und die in ihnen arbeitenden Menschen, die den (soziologischen) Unternehmensverband bilden - sind das, was am Unternehmen sinnlich wahrnehmbar ist. Da jedes Produzieren ein tatsächlicher Vorgang, der natürlichen Wirklichkeit angehörendes Geschehen ist, ist es daher korrekt zu sagen: produziert wird nur in den Betrieben. Als erfahrbare natürliche Wirklichkeit ist das Unternehmen nur die Summe seiner Betriebe. Eine Unterscheidung des Unternehmens und seiner Betriebe ist nur normativ möglich: als Unternehmensordnung und Betriebsordnungen41 • Da die Unternehmen in einer freiheitlichen Ordnung - im überwiegenden Teil ihrer Entscheidungen - autonom sind46 , ist die Unternehmensordnung eine autonome Ordnung. Die Betriebsordnung ist eine Teilordnung der Unternehmensordnung47 und daher nicht autonom; sie ist der Unternehmensordnung nachgeordnet. Mit anderen Worten: der Betrieb erhält seine Aufgabe vom Unternehmen; oder genauer: die Betriebsleitung ist an die Weisungen der Unternehmensleitung gebunden. 4. Gegenstand gesetzlicher Normierung sind Unternehmen und Betriebe nur als Ordnungen: als Unternehmensordnung und als Betriebsordnung. 41 Ausführlich dazu Karl Hax. "Betriebswirtschaftliche Deutung der Begriffe .Betrieb· und .Unternehmung..•• in: Festgabe für O. Kunze, 1969. S. 109 ff .• insbesondere S. 119, und O. Kunze. "Mitbestimmung in der Wirtschaft und Eigentumsordnung", in: RdA 1972, S. 257 (259). 41 Zöllner. "Unternehmerische Mitbestimmung und Einzelarbeitsverhältnis". in: Festschrift für Erich Fechner. 1974. S. 155 (166). Näheres siehe O. Kunze. "Bemerkungen zum Verhältnis von Arbeits- und Unternehmensrecht". in: Festschrift für Schilling, 1973, S. 333 (340 - 342). 43 Siehe O. Kunze. wie Fußn. 41, S. 265. '4 Ebenso Fabricius, GK, Rdnr.1l4. 45 Dazu das Bundesarbeitsgericht im Beschluß vom 5. 3. 1974: "... der Betrieb (ist) nur das arbeitstechnische Spiegelbild des Unternehmens oder (stellt) bei Unternehmen mit mehreren Betrieben nur einen Teilbereich davon" dar (JZ 1974. S. 649 Linkssp.). 48 Streng genommen ist diese Aussage tautologisch. weil die Autonomie zum Begriff des Unternehmens (= autonome Leistungseinheit) gehört. 47 Ebenso Fabricius, GK, Rdnr. 39, 47. 114.
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Von den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 gehören zur Unternehmensordnung die §§ 106 bis 110 über den Wirtschafts ausschuß, weil dieser ein Unternehmensorgan ist48 , und über die Unterrichtung der Arbeitnehmer, sowie die §§ 111 bis 113 über die Mitbestimmung des Betriebsrates bei Betriebsänderungen. Richtig ist zwar, daß die Betriebsänderungen nur Betriebe zum Gegenstand haben und in aller Regel der Betriebsrat des betroffenen Betriebes zuständig ist. Gleichwohl gehören die §§ 111 bis 113 zur Unternehmensordnung. Nicht ohne Grund ist in § 111 Abs. 1 nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Unternehmer die Rede48 • Sachlich handelt es sich um Entscheidungen über das Schicksal des Betriebes als Ganzen, nicht um Entscheidungen im Betriebe. Ist das der Fall, dann sind aber die Entscheidungen über Betriebsänderungen Entscheidungen in der Unternehmensebene50 • Die übrigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, insbesondere die über die soziale und personelle Mitbestimmung, regeln rein betriebliche Fragen. Gegenstand des § 118 Abs. 1 Satz 1 ist also nur die betriebliche Ordnung. Die Entscheidungen, durch die die in den Nummern 1 und 2 genannten Bestimmungen und Zwecke festgelegt werden, die die "Eigenart" des oder der Betriebe bedingen, fallen im Unternehmen und unterliegen nicht der betrieblichen Mitbestimmung. Dem entspricht der Aufbau des § 118 Abs. 1. Er regelt im ersten Satz die Sonderstellung der Tendenzbetriebe in der betrieblichen Ordnung und im Satz 2 ihre Sonderstellung in der Unternehmensordnung51 • Wenn 48 In dem noch nicht rechtskräftigen Beschluß vom 18. 5. 1973 (BB 1974, S. 875 Rechtssp.) ordnet das Landesarbeitsgericht Frankfurt a. M. im Anschluß an Brecht, Rdnr. 1 zu § 106, den Wirtschaftsausschuß der "betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung" zu, weil als dessen Zweck heute in den Vordergrund getreten sei, den Betriebsrat über die in § 106 Abs. 3 BetrVG genannten Bereiche zu informieren. Auch nach Dietz-Richardi, Rdnr. 2 zu § 106, und Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 2 zu § 106, gehört der Wirtschaftsausschuß "zur Betriebsverfassung". Das kann aber nur heißen, daß der Wirtschaftsausschuß im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist. Systematisch ist er ein Unternehmensorgan und gehört er deshalb zur Unternehmensordnung. Er "ist immer unternehmensbezogen" (Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 27. Ebenso ErdmannJürging-Kammann, Betriebsverfassungsgesetz, 1972, Rdnr. 2 zu § 106 und 6 zu § 118; Dietz-Richardi, Rdnr. 78; BAG in AP Nr. 13 und 14 [BI. 2, 2 R] zu § 81 BetrVG52). 48 Ebenso BAG in AP Nr. 11 (BI. 2 R) und Nr. 14 (BI. 2 R) zu § 81 BetrVG 52; Mayer-Maly, DB 1971, S. 2260 und BB 1973, S. 762 Linkssp.; Dietz-Richardi, Rdnr. 12; Fabricius, GK, Rdnr. 137. A. A. Neumann-Duesberg, "Presseverlage und Druckereien als Tendenzbetriebe", in: BB 1967, S. 549 (555 Rechtssp., 557 Linkssp.); Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 4; Erdmann-Jürging-Kammann, Rdnr.7. 50 Dieser Ansicht war auch der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung (zu BT-Drucks. VI/2729. S.17). 51 Insoweit wird die neue Fassung von Mayer-Maly, BB 1971, S. 2260 Rechtssp., sowie von Frey, "Tendenzunternehmen und Tendenzbetriebe nach
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Gerhard Müller52 und Birk53 von der ausdrücklichen Erwähnung der Unternehmen Schwierigkeiten der Anwendung erwarten, so können diese nur darin liegen, daß nach der Fassung des § 118 sein Absatz 1 unterschiedslos für Unternehmen und Betriebe gi1t54, obwohl der Satz 1 nur den Betrieb und der Satz 2 nur das Unternehmen betrifft. Es hätte der Klarheit und Systematik gedient, wenn die beiden Regelungsbereiche auch äußerlich auseinandergehalten worden wären. Dann würde Satz 1 nur vom Betrieb und Satz 2 nur vom Unternehmen handeln, und zwar dieser in der Weise, daß die in ihm bezeichneten Rechtsfolgen nur für die Unternehmen eintreten würden, deren Wertschöpfung (betrieblicher Produktionsbereich) ganz oder überwiegend den Bestimmungen und Zwekken des Satzes 1 dient55 • H. 1. a) Das Wort "Bestimmung" hat eine doppelte Bedeutung. Es bezeichnet den Vorgang des Bestimmens und das Ergebnis dieser Tätigkeit: eine Anweisung oder Vorschrift. Hier kann es sich nur um die letztere Bedeutung handeln. Die Bestimmung sagt aus, daß etwas geschehen soll. Sie kann ein natürliches oder übernatürliches Gesetz für Lebewesen und tote Materie sein. In diesem Sinne ist sie für den Menschen gleichbedeutend mit seinem Schicksal. Der Mensch selbst kann nicht, wie das objektiv waltende Gesetz, das Schicksal anderer Menschen "bestimmen", wohl aber diesen etwas vorschreiben. Adressaten einer solchen Bestimmung sind Menschen auch dann, wenn es heißt, ein Gegenstand sei dazu bestimmt, mit ihm ein Ergebnis zu erzielen (z. B. mit einem Federhalter ein Schriftstück anzufertigen). Damit wird nur gesagt, daß derjenige, der dieses Ergebnis erzielen will, sich dieses Gegenstandes der Bestimmung gemäß bedienen muß oder soll. b) Wenn nun im Gesetz von Betrieben die Rede ist, die gewissen "Bestimmungen" dienen, die also eine gewisse Bestimmung haben, der sie dienen, so scheint es sich auf den ersten Blick um den Fall zu handeln, daß mit einem Gegenstand ein "bestimmtes" Ergebnis erzielt werden soll. Das könnte und wird in vielen Fällen für die Produktionsstätte mit dem dem Betriebsverfassungsgesetz 1972", in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 10, 1973 - fortan: Jahrbuch -, S. 53 (56), und AuR 1972, S. 166, zu Unrecht gerügt. Frey, Tendenzschutz, S. 23, schlägt lediglich die umgekehrte Reihenfolge - erst die Vorschriften über den Wirtschaftsausschuß und die wirtschaftliche Mitbestimmung, dann die Vorschriften über die betriebliche Ordnung -, also nur eine formale Änderung, vor. S! "Zur Stellung der Verbände im neuen Betriebsverfassungsrecht", in: ZfA 1972, S. 244 Fußn. 72. 53 JZ 1973, S. 756 Rechtssp. sc Bedenken hiergegen siehe auch bei Fabricius, GK, Rdnr. 113. 5& Näheres dazu sogleich unter II und III.
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Produktionsapparat zutreffen. In diesem Sinne ist jedoch die "Bestimmung" der Nr. 1 nicht zu verstehen, selbst dann nicht, wenn sich schon aus der Gestaltung der Produktionsapparatur eindeutig der Gegenstand der Produktion ergibt. Das folgt daraus, daß nach dem gesetzlichen Tatbestand der Betrieb dieser Produktion auch "dienen" muß. Der gesetzliche Tatbestand ist mithin erst dann erfüllt, wenn in der Produktionsstätte auch wirklich der "Bestimmung" gemäß gearbeitet wird, ganz abgesehen davon, daß sich der Gegenstand der Produktion eben keineswegs immer aus der Beschaffenheit der Produktionsstätte ergibt. Wo eine Produktionsstätte ihrer Ausgestaltung nach mehrere Produktionsarten zuläßt, ist die "Bestimmung" des Betriebes allein daraus zu entnehmen, was in ihm geschieht. Es kommt also auf die Tätigkeit der im Betrieb arbeitenden Menschen an. Diese sind Adressaten der Bestimmung. Ihnen schreibt die Bestimmung vor, was im Betrieb geschehen, insbesondere was und in welchem Verfahren im Betrieb produziert werden soll. Damit erweist sich die Bestimmung als Teil der für den Betriebsverband geltenden betrieblichen Ordnung (hier ganz allgemein, nicht etwa nur als Betriebsordnung im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstanden) und rechtlich als Norm58 • 2. Einer kurzen besonderen Erörterung bedarf noch das Tatbestandsmerkmal "dienen". a) Es besagt zunächst einmal, wie schon dargelegt, daß es für den Begriff des Betriebes nicht auf die tote Apparatur, sondern auf das Produzieren in der Produktionsstätte, also die Menschen im Betrieb, ankommt51 . Unter Betrieb ist also die menschliche Produktionsveranstaltung zu verstehen, "deren Eigenart erkennbar zum Ausdruck" kommen muß58. Das Wort "dienen" besagt ferner, daß diese Veranstaltung von einer gewissen Dauer sein, wenigstens jedoch für eine gewisse Dauer geplant sein muß. b) Diese Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "dienen" zwingt zu einem Rückschluß auf das Tatbestandsmerkmal "Bestimmung". Diese kann nicht eine bloße Anweisung sein, die sich mit der Ausführung erledigt. Die Bestimmung wird vielmehr Teil der für den Betrieb geltenden Ordnung, d. h. eine objektive Regel, die die "Eigenart" des Betriebes bestimmt, solange sie gilt. Diese Eigenart ist aufgrund der Beschaffen56 So verstanden ist also mit dem Terminus "Bestimmungen" entgegen der Ansicht von Frey, Der Tendenzbetrieb, 1959, S. 37, und seinen in AuR 1972, S. 1630 Rechtssp. erneut geäußerten Bedenken - durchaus etwas anzufangen. 57 Dieser Ansicht ist im wesentlichen wohl auch Frey, Tendenzschutz, S. 40/41, wenn er schreibt: ".... die Tatsachen, die gezeigte Haltung, sind entscheidend." Der Hinweis auf die Haltung bringt allerdings wieder ein unerhebliches subjektives Moment ins Spiel. 58 BAG in AP Nr. 4 (BI. 2) und Nr. 10 (BI. 1 R., 3) zu § 81 BetrVG 52, sowie wie Fußn. 6, BI. 6; Frey, Tendenzschutz, S. 41.
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heit der Produktionsstätte und der Art der Tätigkeit der in ihr arbeitenden Menschen objektiv und unabhängig von der Person des Bestimmenden und seinen Intentionen feststellbar. Mit der Bestimmung, der der Betrieb dient, ist also nicht der psychische Vorgang des Bestimmens, sondern sein objektiv feststellbares Ergebnis, nämlich die Vorschrift darüber gemeint, was in dem Betrieb produziert werden soll59. 3. Der Produktionsauftrag wird dem Betrieb vom Unternehmen erteilt. Das ergibt sich aus der Unterordnung des Betriebes unter das Unternehmen. Welche Bestimmung der Betrieb hat, wird also in der Unternehmensebene entschieden. Das gilt auch dann, wenn das Unternehmen nur einen Betrieb hat, so daß auch in diesem Falle die Bestimmung nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt. Bei einem großen Unternehmen mit vielen Betrieben wäre es denkbar, daß die Unternehmensleitung ihre Leitungsmacht so weit dezentralisiert, daß manche Betriebe über ihre Produktionsaufgabe - in einem sehr weiten Raum - selbst entscheiden können. Dieser Fall dürfte indessen selten sein. Für die hier zu erörternden Bestimmungen der Nr. 1 dürfte er nicht in Frage komen, so daß er außer acht gelassen werden kann. II!. 1. Alles, was über den einer der Bestimmungen der Nr. 1 dienenden Betrieb ausgeführt worden ist, gilt auch für das einer dieser Bestimmungen dienende Unternehmen, jedoch mit einem wichtigen Unterschied. Das Unternehmen kann einer Bestimmung nur durch Betriebe dienen, weil, wie dargelegt, mit dem Dienen die Arbeit der in den Betrieben des Unternehmens tätigen Menschen gemeint ist60 • Das Unternehmen kann also einer der in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen nur dienen, wenn es Betriebe hat, die dieser Bestimmung dienen61 • Damit reduziert sich die Subsumtion eines Unternehmens unter § 118 Abs. 1 auf die Feststellung, daß es für alle oder einen Teil seiner Betriebe eine oder mehrere der in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen getroffen hat82 • Diese Bestimmung trifft das Unternehmen kraft seiner Autonomie. Meist sind die "Bestimmungen" - im Gesellschaftsrecht (z. B. in § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG und § 3 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) als "Gegenstand des Unternehmens" bezeichnet - im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung, wenn auch oft in einem weiten Rahmen, festgelegt. Auch dadurch wird ihr Normcharakter63 bestätigt. 58 Siehe die kurze Beschreibung des Produktions bereiches der unter Nr. 1 fallenden Tendenzbetriebe oben unter C I 2. 00 Siehe C 11 2. 01 Dieser Gedanke klingt schon an bei Frey, AuR 1966, S. 199 Linkssp. Daß es auf den Betrieb ankomme, betont auch das LAG Hamm im Beschluß vom 14. 3. 1974 (DB 1974, S. 1240 [1241 Rechtssp.]). O! Darüber Näheres unter C III 4 b.
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Eine Ausnahme gilt dann, wenn das Unternehmen seine wirtschaftliche Selbständigkeit und damit seine Autonomie verliert. Das ist der Fall des Unterordnungskonzerns. Hier bleibt das Unternehmen zwar rechtlich selbständig, sinkt aber wirtschaftlich zum Betrieb herab. Für die Anwendung von § 118 Abs. 1 Satz 1 macht das indessen keinen Unterschied. An der Rechtslage in den Betrieben des abhängigen Konzernunternehmens ändert sich überhaupt nichts; und an der Bestimmung des Unternehmens ändert sich nur, daß die zuständigen Organe des herrschenden Unternehmens über die Bestimmung entscheiden. Die auf diese Weise getroffene Bestimmung unterscheidet sich rechtlich jedoch in nichts von der von einem nicht abhängigen, also wirtschaftlich selbständigen Unternehmen getroffenen Bestimmung. Auch sonst ändert sich durch den Konzernverbund nichts. Die abhängigen Unternehmen behalten ihre rechtliche Selbständigkeit. Die Frage, welcher Bestimmung sie dienen, ist wie bei den auch wirtschaftlich selbständigen Unternehmen zu beantworten. Welcher Bestimmung das herrschende Unternehmen dient, richtet sich danach, welche Produktionen der Betriebe überwiegen, die zu dem von diesem Unternehmen beherrschten Konzern gehören. überwiegen die Betriebe, die einer oder mehreren der in Nr. 1 aufgeführten Bstimmungen dienen, dann ist auf das herrschende Unternehmen & 118 Abs. 1 Satz 2 anzuwenden. Ob - z. B. - das herrschende Unternehmen einen Wirtschaftsausschuß bilden muß, richtet sich nicht nur nach den Betrieben des herrschenden Unternehmens. Daß es auf alle Konzernbetriebe ankommt, ergibt sich vielmehr daraus, daß der Konzern wirtschaftlich ein Unternehmen ist. Es wäre daher wenig sinnvoll, es auf die für die Produktion des ganzen Konzerns vielleicht völlig uncharakteristische Produktion des oder der Betriebe des herrschenden Unternehmens abzustellen64 • All das trifft auch für die nichtwirtschaftlichen Unternehmen zu, von denen ohnehin ein Teil in den Rechtsformen des Handels- und des Gesellschaftsrechts betrieben wird. 2. Die Bestimmung, der der Betrieb dient, ist, wie dargelegt86, eine Fremdbestimmung. Sie ist eine Norm, auf deren Setzung der Betrieb keinen rechtlichen Einfluß hat und deren Gründe und Motive er weder nachprüfen kann noch nachzuprüfen braucht. Die Frage, ob, um die in dem Satz 1 und im 2. Teil des Satzes 2 von § 118 Abs. 1 bezeichneten betriebsverfassungsrechtlichen Folgen auszulösen, zu den in Nr. 1 aufes Siehe C II 1 b. Mit der Konzernsituation befaßt sich Birk, JZ 1973, S. 7571758, jedoch nur zu § 118 Abs. 1 Satz 2 und mit abweichenden Ergebnissen. 85 Siehe C II 3. U
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geführten Bestimmungen positive oder negative Merkmale des Bestimmenden hinzutreten müssen, kann daher überhaupt nur hinsichtlich solcher Bestimmungen auftauchen, denen ein Unternehmen dient. Diese Frage ist jedoch zu verneinen, weil das Gesetz zwischen Bestimmungen, denen ein Unternehmen dient, und solchen Bestimmungen, denen ein Betrieb dient, nicht unterscheidet. Deshalb kann für die ersteren nichts anderes gelten als für die letzteren. Die in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen sind objektive Normen, die ohne Rücksicht auf die Intentionen dessen feststellbar sind, der sie erlassen hat66 , und zwar sowohl dann, wenn ihnen ein Betrieb, als auch dann, wenn ihnen ein Unternehmen dient. Demgemäß sind die Gründe und Motive derjenigen unerheblich, die die in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen treffen67 • Auch das Bundesarbeitsgericht hat die Auffassung, daß der Inhaber des Unternehmens "gleichsam von der Förderung" des geistig-i dellen Gutes "erfüllt" sein müsse 68 , aufgegeben69 • 3. Folglich kann es für die Anwendung des § 118 Abs. 1 auch nicht erheblich sein, ob der Inhaber des Unternehmensvermögens nach Gewinn strebt oder ob, wenn das Gewinnstreben institutionalisiert ist, das Unternehmen auf Gewinnerzielung gerichtet ist7°. Das ist jedoch streitig.
a) Ohne Einschränkungen gegenteiliger Ansicht ist Fabricius. Er meint, § 118 Abs. 1 sei nur auf Unternehmen anzuwenden, die nicht auf Gewinnerzielung gerichtet seien. Diese Auffassung hat er bereits zu § 81 BetrVG 52 vertreten und in einer langen Anmerkung zum Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 29. 5. 197071 , im wesentlichen mit Argumenten aus der Entwicklung des Tendenzrechts und der Entstehungsgeschichte des § 81 BetrVG 52, begründet. An dieser Auffassung hält er in seiner Kommentierung des § 118 fest. Auch hier wieder stützt er sich vor allem auf die Entwicklung des Tendenzrechts, insbesondere auf die Entstehungsgeschichte des § 67 des Betriebsrätegesetzes von 192072 , der er entnimmt, daß die Sonderregelung des § 67 nur für nichtwirtschaftliche 18 Dietz-Richardi, Rdnr. 18: "Nicht die Einstellung des Unternehmers, sondern die Art des Unternehmens begründet die Tendenzeigenschaft." 67 Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 550 Linkssp.; Brecht, Rdnr. 3; FittingAuffarth-Kaiser, Rdnr. 5; Dietz-Richardi, Rdnr. 18; Mayer-Maly, RdA 1966, S. 444 Linkssp., und wie Fußn. 6, E I. A. A. Frey, Tendenzschutz, S. 25: "Daher mag richtig sein, daß die Qualifikation des Tendenzunternehmens neben subjektiven auch objektive Kriterien berücksichtigen muß." 88 In AP Nr. 4 zu § 81 BetrVG 52, BI. 2 R. 8D Wie Fußn. 6, BI. 5/5 R. 70 Dasselbe meint wohl Fabricius, GK, Rdnr. 83: "Eine wirtschaftliche Zwecksetzung liegt ... vor, wenn das Unternehmen in der Absicht betrieben wird, Einnahmen oder andere in Geld ausdrückbare Vorteile zu erzielen." 71 Wie Fußn. 6, BI. 7 - 18. 7! GK, Rdnr. 4 - 37, 62 - 70.
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Betriebe gedacht gewesen seF3 und dieser Paragraph nur eine KlarsteIlungsfunktion gehabt habe 74 . Diese Gedanken sind nach seiner Meinung unverändert von § 81 BetrVG 52 75 und schließlich von § 118 übernommen worden76 . Zur Begründung der letzteren Behauptung bezieht sich Fabricius77 auf den Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung mit der Wendung von der "ausgewogenen Regelung zwischen dem Sozialstaatsprinzip und den Freiheitsrechten der Tendenzträger"78 und bemerkt, diese ausgewogene Regelung könne durchaus in der Abgrenzung von Unternehmen mit wirtschaftlicher von solchen mit nichtwirtschaftlicher Zwecksetzung liegen 79 . Mit der Möglichkeit dieser Auslegung ist ihre Richtigkeit aber noch nicht bewiesen. Nicht zwingend sind auch die Argumente, § 81 BetrVG 52 habe eine über den Willen des Gesetzgebers hinausgehende Auslegung erfahren80 und "die Vorschrift über Tendenzbetriebe" sei "von Beginn ihrer Entstehung an mit ,Tendenzen' engstens verflochten" gewesen81 ; denn der Wortlaut von § 118 gibt keinerlei Anhaltspunkte für die Berücksichtigung der - zum Teil lange zurückliegenden - Entwicklung des Tendenzrechts82 und der Auslegung des § 81 BetrVG 52, sofern diese Auslegung überhaupt Beifall verdient83 . Angesichts des insoweit völlig unergiebigen Wortlautes des § 118 Abs. 1 helfen auch "der gesetzliche Gesamtzusammenhang"84 und der Hinweis auf angeblich ähnliche Regelungen in anderen Gesetzen85 nicht weiter. Der "Normzweck"86 der in den von Fabricius angeführten Vorschriften - §§ 21, 22 BGB, §§ 17 bis 19 StAnpG, § 3 Nr. 6 und 13 GewStG, § 4 KStG und § 4 Nr. 16 und 26 UmsStG (MehrwertSt) - folgt jeweils eindeutig aus dem Gesetz. Der behauptete Normzweck, daß § 118 Abs. 1 nur für Unternehmen mit nichtwirtschaftlicher Zielsetzung gelte, ergibt sich aber aus diesen Vorschriften gerade nicht. Schließlich trifft es nicht zu, daß den Normen des Betriebsverfassungsgesetzes "als Typus ein Unternehmen zugrunde liegt, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen 73
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GK, Rdnr. 7. GK, Rdnr. 8. GK, Rdnr. 29. GK, Rdnr. 31. GK, Rdnr. 32. Wie Fußn. 19. GK, Rdnr. 34. GK, Rdnr. 41. GK, Rdnr. 42.
82 Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob Fabricius diese Entstehungsgeschichte richtig interpretiert. 83 A. A. z. B. Mayer-Maly, RdA 1966, S. 442/443. 84 GK, Rdnr. 44. 85 GK, Rdnr. 44, 71 - 77. 86 GK, Rdnr. 78.
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Geschäftsbetrieb gerichtet" sei87 , weil dieses Gesetz, abgesehen von den in ihm selbst angeordneten Ausnahmen, gleichermaßen für die Betriebe aller Unternehmen gilt, auch solcher, die nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sind88 • Nach alledem ist die Ansicht von Fabricius abzulehnen, weil sie vom Tatbestand des § 118 Abs. 1 nicht gedeckt wird. Das Bundesarbeitsgericht hat sich nach wechselnder RechtsprechungS 9 auf den Standpunkt gestellt, daß "hinsichtlich des Tendenzcharakters eines Unternehmens der Umstand keine entscheidende Rolle" spiele, ob "gleichzeitig mit der Verfolgung geistig-ideeller Vorstellungen ein Gewinnstreben verbunden" sei. Es hat allerdings einschränkend hinzugefügt: "Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das Unternehmen nicht aus einer geistig-idellen Zielsetzung heraus betrieben wird, sondern lediglich zum Zwecke des Geldverdienens 9o ." Das Bundesarbeitsgericht stellt mit dieser Einschränkung auf die Motive oder Gründe ab, aus denen das Unternehmen betrieben wird. Das ist eindeutig hinsichtlich der Worte "aus einer geistig-idellen Zielsetzung heraus"; aber auch das Betreiben "zum Zwecke des Geldverdienens" kann nicht anders als eine Kennzeichnung der Motivation verstanden werden. Damit setzt sich das Bundesarbeitsgericht in Widerspruch zu dem kurz vorher ausgesprochenen Satz, daß die Motivation des Unternehmers als Persönlichkeit keine Rolle spieleut, ohne für diesen Widerspruch und die Ansicht selbst einen Grund anzugeben. Gleichwohl folgt die herrschende Lehre - ebenfalls ohne Begründung - der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts92 • Frey93 will dem Umstand, daß das Unternehmen auf Gewinnerzielung gerichtet ist - von ihm "Erwerbsstreben" genannt - Bedeutung schon dann beimessen, wenn das Erwerbsstreben überwiegt. b) Wie die Auffassung von Fabricius, so finden auch die Ansichten von Frey und des Bundesarbeitsgerichts sowie die herrschende Meinung im Gesetz keine Stütze9 4, schon nicht in § 81 BetrVG 52 und noch weniger GK, Rdnr. 6I. Dietz-Richardi, Rdnr. 54 zu § I. 88 Näheres bei Dietz-Richardi, Rdnr. 22; siehe auch BAG, wie Fußn. 6, BI. 3. iO Wie Fußn. 6, BI. 5 R; ebenso AP Nr. 14 zu § 81 BetrVG 52, BI. 4. 81 Wie Fußn. 6, BI. 5. 82 Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 7 (" ... eine ideelle Zielrichtung nicht mehr gegeben, wenn rein kommerzielle Gesichtspunkte im Vordergrund stehen ... "); Brecht, Rdnr. 2; Frauenkron, Anm. 5; Ihlefeld und Blanke, "Der Tendenzschutz im neuen Betriebsverfassungsgesetz", in: Film und Recht 1973, S. 160 (163); Birk, JZ 1973, S. 756 Linkssp.; ArbG Frankfurt a. M., BB 1973, S. 609. 98 Frey, Tendenzschutz, S. 49 ff.; ebenso Gnade-Kehrmann-Schneider, Rdnr.3. 87
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in § 118 Abs. 1, wie sich insbesondere aus dessen noch zu erörternder Nr. 2 ergibt95 . Die Ansicht, der Umstand, daß das Unternehmen auf Gewinnerzielung gerichtet sei, habe rechtliche Bedeutung für die Einräumung einer Sonderstellung nach Nr. 1, erweist sich aber noch aus zwei anderen Gründen als unhaltbar. aal Die Aussage, das Unternehmen sei auf Gewinnerzielung gerichtet, bedeutet dasselbe wie die, es sei ein Erwerbsunternehmen, d. h. ein Unternehmen, das Erwerbszwecken diene. Dieser Erwerbszweck fällt unter den gesellschaftsrechtlichen Begriff des Unternehmenszwecks, der vom Gegenstand des Unternehmens zu unterscheiden ist96 ; er ist ein "formales Unternehmensziel" im Sinne von Wiedemann, das im Gegensatz zu dem "Sachziel", d. i. dem Gegenstand des Unternehmens, steht U7 • Wäre die hier abgelehnte Ansicht von der Erheblichkeit des Erwerbszweckes richtig, müßte das Wort "Bestimmung" in Nr. 1 verschieden ausgelegt werden, je nachdem, ob es sich auf Unternehmen oder auf Betriebe bezieht. Unter "Bestimmung" wäre im ersteren Falle das formale Unternehmensziel, bei den Betrieben das Sachziel, der Gegenstand des Unternehmens (der sich, wie dargelegt98, aus der Produktion der Betriebe des Unternehmens ergibt) zu verstehen. Die Bestimmung des Unternehmens wäre also etwas anderes als die Bestimmung eines Betriebes. Diese unterchiedliche Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bestimmung" scheitert jedoch nicht nur am Gesetzeswortlaut, sondern auch an folgender Überlegung. Wie bereits ausgeführt99 , kann das Unternehmen Produktions aufgaben nur durch Betriebe erfüllen. Insoweit gelten die "Bestimmungen" also nur für Betriebe. Was "das Unternehmen" produziert, ist mithin die Summe der Produktionen seiner Betriebe. Demgemäß ergibt sich die Bestimmung des Unternehmens aus den Bestimmungen seiner Betriebe. Hat 84 So auch Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 551/552; Erdmann-Jürging-Kammann, Rdnr. 9; Mayer-Maly, RdA 1966, S. 442 - 444, insbes. S. 442 Rechtssp., "Pressefreiheit und ,Tendenzschutz''', in: AfP 1971, S. 56 (57 Linkssp.), BB 1973, S. 763 Linkssp., 765 Linkssp., und wie Fußn. 18, G III; Hanau in der Besprechung von Frey, Tendenzschutz, in: DB 1974, S. 704. Dietz-Richardi, Rdnr. 23, vertreten diese Auffassung uneingeschränkt nur für Unternehmen nach Nr. 2; im übrigen könne man "regelmäßig davon ausgehen, daß ein Unternehmen mit ausschließlich wirtschaftlicher Zielsetzung nicht zugleich auch unmittelbar und überwiegend den in Nr. 1 genannten Bestimmungen dienen könne" (Rdnr. 24). 15 SieheD. 88 Siehe Harry Westermann, wie Anm. 39, S. 517 ff. 87 Wiedemann, "Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele einer zukünftigen Unternehmensverfassung", in: Festschrift für Barz, 1974, S. 561 (572/573). 88 Siehe C II 1 b. 81 Siehe C IH.
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ein Unternehmen einen Betrieb, der mehreren Bestimmungen dient, oder mehrere Betriebe, die unterschiedlichen Bestimmungen dienen, so hängt die Entscheidung, ob ihm die Sonderstellung nach Nr. 1 zu gewähren ist, davon ab, welche Bestimmungen überwiegen; denn das Tatbestandsmerkmal "überwiegen" bezieht sich auch auf die Bestimmung des Unternehmens. Es muß also auch Bestimmungen geben, denen das Unternehmen nur überwiegend, mithin nur zum Teil dient. Das wäre aber nicht möglich, wenn unter der Bestimmung des Unternehmens der Unternehmenszweck im gesellschaftsrechtlichen Sinne, das formale Unternehmensziel, zu verstehen wäre. Da das Unternehmen eine Leitungs- und Leistungseinheit ist100 , kann es nur einen einzigen Zweck - wie z. B. den der Gewinnerzielung - haben, womit der objektive Zweck der Wertschöpfungsveranstaltung "Unternehmen" gemeint ist, nicht die Motive der Träger dieser Veranstaltung und schon gar nicht die Motive der Unternehmensleiter. Vom "überwiegenden Zweck" einer Leistungseinheit zu sprechen, ist nicht sinnvoll. Wenn die "überwiegende Bestimmung" eines Unternehmens zu ermitteln ist, kann es sich infolgedessen immer nur um die Frage handeln, ob von den Betrieben des Unternehmens diejenigen mit Bestimmungen der Nr. 1 - dem Gewicht ihrer Produktion, nicht notwendig ihrer Zahl nach - überwiegen. Auf den Zweck des Unternehmens, somit auch darauf, ob dieser die Gewinnerzielung ist, kann es also nicht ankommen. Bei der Feststellung des überwiegens können den in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen nur andere Bestimmungen, denen Betriebe dienen, nicht aber der Zweck der Gewinnerzielung entgegengesetzt werden, weil die betrieblichen Bestimmungen einer anderen Ordnung angehören als der Unternehmenszweck101 • Dieser ist unteilbar. Er gilt entweder für alle Betriebe oder für keinen Betrieb des Unternehmens und scheidet damit für die Feststellung einer überwiegenden Bestimmungaus. bb) Aber auch sachlich kann die Ansicht, daß der etwaige Erwerbszweck des Unternehmens die Anwendung der Nr. 1 stets oder auch nur unter bestimmten Voraussetzungen ausschließe, nicht überzeugen. Der gesetzgeberische Grund einer solchen Regelung könnte nur die überlegung sein, daß die Gewährung der Sonderstellung nach Nr. 1 nur bei solchen Betrieben und Unternehmen gerechtfertigt sei, deren Zweck nicht die Gewinnerzielung, also nicht die Erlangung materieller Vorteile sei, Siehe eIl. Das ist der Sinn der Bemerkung von Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 7: "Gewinnstreben und Tendenz sind keine gegeneinander abwägbaren Größen." Ebenso Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 551 Rechtssp., und Mayer-Maly, RdA 1966, S. 443 Rechtssp., wenn auch im Widerspruch zu dem - allerdings unzutreffenden (siehe die Ausführungen unter C II 1 b) - Satz (daselbst): "Der durch arbeitstechnische Zwecksetzungen gekennzeichnete Betrieb ist geistig-ideeller Bestimmung gar nicht zugänglich." 100 101
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weil die Bestimmung der Nr. 1 auf die Verfolgung geistig-ideeller Ziele oder auf die Schaffung ideeller Werte gerichtet sei, Gewinnstreben sich aber damit nicht vertrage. Diese Überlegung ist jedoch unzutreffend. Der Schwerpunkt der Regelung des § 118 Abs. 1 liegt in der betrieblichen Ebene. Es geht also in § 118 Abs. 1 primär um die betriebliche Mitbestimmung. Daß hinsichtlich dieser den in Nr. 1 aufgeführten Betrieben eine Sonderstellung eingeräumt wird, hat mithin nichts mit dem Unternehmen und seinem Zweck, sondern mit den sich aus den Bestimmungen in Nr. 1 ergebenden Besonderheiten der Produktion zu tun. Diese Besonderheiten bestehen darin, daß durch die Produktion Freiheitsbereiche tangiert werden, die nach der Meinung des Gesetzgebers der betrieblichen Mitbestimmung in geringerem Umfange unterliegen sollen als andere Produktionsbereiche102 • Wenn aber diese Freiheitsräume der Grund für die Beschränkungen der betrieblichen Mitbestimmung sind, dann ist es unerheblich, welchen Unternehmenszwecken die betroffenen Betriebe dienen. Andernfalls wäre es folgerichtig, in Unternehmen, die nicht auf Gewinnerzielung gerichtet sind, ganz allgemein die betriebliche Mitbestimmung einzuschränken. Diesen Weg ist das Betriebsverfassungsgesetz - mit Recht - nicht gegangen. 4. a) Eine ganz andere Frage ist es, ob Betriebe eines Erwerbsunternehmens den in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen dienen können. Das ist indessen keine normative, sondern eine Tatfrage. Soweit diese zu verneinen ist, würde es am Tatbestand einer der Bestimmungen der Nr. 1 mangeln und erst infolgedessen eine Sonderstellung nach § 118 Abs. 1 zu versagen sein.
So wäre der Zweck der Gewinnerzielung unvereinbar mit den politischen und den koalitionspolitischen, wohl auch mit den konfessionellen und den karitativen103 Bestimmungen. Hingegen ist nicht einzusehen, warum erzieherische Veranstaltungen, wie Schulen und Heime mit pädagogischen Aufgaben, nicht auf Gewinnerzielung gerichtet sein können, ohne daß dadurch die "erzieherische Bestimmung" beeinträchtigt wird. Dasselbe gilt für Betriebe mit wissenschaftlichen und künstlerischen Bestimmungen. Die in diesen Fällen den Betrieben übertragenen Aufgaben müssen derart sein, daß sie nur erfüllt werden können, wenn die dazu erforderlichen Entscheidungen in pädagogischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Freiheit getroffen werden können und wenn diesen Betrieben diese Freiheit der Entscheidung auch gewährt wird104 • Siehe B II 2. Allgemeine Meinung. Siehe Frey, Tendenzschutz, S. 52, der zutreffend mit dem Wort "karitativ" den Gedanken der Uneigennützigkeit verknüpft (5. 28, 30), und Dietz-Richardi, Rdnr. 34. 104 Siehe Brinkmann, Grundrechts-Kommentar zum Grundgesetz, Anm. 5 a) a) zu Art. 5. 102 103
7 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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Ob diese beiden Voraussetzungen vorliegen, hängt nicht davon ab, ob das den Betrieb unterhaltende Unternehmen auf Gewinnerzielung gerichtet ist, sondern davon, welcher Art die Aufgabe ist, die es dem Betrieb stellt, und welchen Grad von Freiheit es dem Betrieb gewährt. So kann es z. B. sogar im Erwerbsinteresse eines industriellen Unternehmens liegen, einer großen Forschungsabteilung entsprechende wissenschaftliche Aufgaben zu stellen und ihr zu deren Lösung die erforderliche wissenschaftliche Freiheit zu gewähren, so daß es dann durchaus sinnvoll ist, einem solchen Betrieb die Sonderstellung des § 118 Abs.1 zuzubilligen105 • b) Im Zusammenhang mit der Erwägung, ob "Tendenzpluralität" als Indiz dafür zu werten sei, daß das Gewinnstreben im Vordergrunde stehe und damit die Tendenzeigenschaft ausscheide106 , ist die Frage aufgeworfen worden, welche Bedeutung es habe, wenn Unternehmen oder Betriebe mehreren der in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen dienten. Nachdem sich gezeigt hat107, daß der Erwerbszweck des Unternehmens für den Tatbestand des Tendenzbetriebes unerheblich ist, bereitet auch diese Frage keine Schwierigkeiten mehr. Wenn ein Unternehmen mehreren dieser Bestimmungen dient, kann das im Sinne der hier vertretenen Auslegung des § 118 Abs. 1 Satz 1 nichts anderes heißen, als daß die Produktion seiner Betriebe nicht einheitlich ist, sondern mehrere Bereiche umfaßt, die je einer anderen dieser Bestimmungen dienen, oder daß seine Produktion zwar einheitlich ist, aber zugleich mehreren dieser Bestimmungen dient. Daß mit einer Produktion mehrere Bestimmungen oder Zwecke zugleich verfolgt werden, ist psychologisch und tatsächlich möglich, sofern diese Bestimmungen und Zwecke sich nicht gegenseitig ausschließen. Alsdann dienen alle Betriebe Bestimmungen, die in Nr. 1 aufgeführt sind, und das Unternehmen fällt unter § 118 Abs. 1108 • Die Besonderheit des Falles liegt nur darin, daß mehrere der durch Nr. 1 geschützten Freiheitsbereiche tangiert werden. Das ändert aber nichts an deren - vom Gesetzgeber bejahten - Schutzwürdigkeit. A. A. Dietz-Richardi, Rdnr. 36, und wohl auch Frey, Tendenzschutz, S. 28. BAG in AP Nr. 4 zu § 81 BetrVG 52, BI. 3 R., und wie Fußn. 6, BI. 5 R. 107 Unter C ur 3. 108 Ebenso BAG in AP Nr. 10 zu § 81 BetrVG 52, BI. 2 R., und wie Fußn. 6, BI. 4; Neumann-Duesberg, BB 1967, Linkssp.; Gerhard Müller, "Rechtspolitische Gedanken zum Betriebsverfassungsrecht", in: DB 1970, S. 1023 (1025 Linkssp.); Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 6; Dietz-Richardi, Rdnr. 20, 55; Frey, Tendenzschutz, S. 32, dessen Vorbehalte unrealistische Fälle betreffen, wie "Verfolgung mehrerer, sich im Ziel widersprechender Zwecke" und Wechsel der Zwecke ("heute der und morgen jener"). Richtig ist, daß Buch- und Kunstverlagen "mit einem breit gefächerten Verlagsprogramm" meist die Sonderstellung als Tendenzbetrieb wird versagt werden müssen (so Frey) , aber nicht, weil sie auf Gewinnerzielung gerichtet sind, sondern weil sie nicht unmittelbar und überwiegend einer der Bestimmungen der Nr. 1 dienen. 105 106
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c) Ob es in einem "tendenzfreien" Unternehmen "Tendenzbetriebe" und ob es "tendenzfreie Betriebe" in einem "Tendenzunternehmen" Mischunternehmen) geben kanniOD, ist nach der hier entwickelten Auslegung der Nr. 1 bedenkenfrei zu bejahen110 , insbesondere nachdem der Gesetzgeber klargestellt hat, daß es auch genügt, wenn ein Unternehmen nur überwiegend einer der in Nr. 1 aufgeführten Bestimmungen dient. Es kann also Unternehmen geben, die im Sinne der vorgenannten Frage "Tendenzunternehmen" sind und trotzdem Betriebe unterhalten, die keine "Tendenzbetriebe" sind111 ; nur müssen die Betriebe, die einer oder mehreren112 dieser Bestimmungen dienen, überwiegen. Umgekehrt gibt es Betriebe, die im Sinne der Frage "Tendenzbetriebe" sind, obwohl das Unternehmen, zu dem sie gehören, kein "Tendenzunternehmen" ist, weil in diesem die "Tendenzbetriebe" nicht überwiegen113• Demgegenüber meint Richardi, die Differenzierung zwischen der Betriebs- und der Unternehmensebene im Gesetzestext wirke nicht klarstellend, sondern werfe Zweifelsfragen auf114 • Diese Ansicht beruht darauf, daß er mit dem im Gesetzestatbestand nicht vorhandenen Begriff der Tendenz arbeitet. Er fragt, "ob auch der Betrieb eines Unternehmens eine Tendenz haben" könne 115, und verneint diese Frage116, weil nach seiner Auffassung für "die Feststellung der Tendenzgebundenheit ... nicht auf den Betrieb, sondern auf das Unternehmen abzustellen ist" 117. Die herrschende Meinung 118 stimmt insofern mit Richardi überein, als sie anerkennt, daß eine Tendenz nur das Unternehmen haben könne. Wenn damit nur gesagt werden soll, daß die Bestimmungen, denen die Betriebe dienen sollen, im Unternehmen getroffen werden, braucht das indessen kein Widerspruch zu der hier vertretenen Ansicht zu sein. Brecht119 und 108 Dazu siehe die Anm. von Mayer-Maly zu BAG in AP Nr. 10 zu § 81 BetrVG 52, BI. 5, und Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 554/555. 110 Ebenso Frey, AuR 1972, S. 162 Linkssp. 111 Ebenso Frey, Jahrbuch, S. 57, und Tendenzschutz, S. 26. m Warum, wie Frey, Tendenzschutz, S. 32, meint, die Betriebe (nach ihrem Gewicht) dann nicht sollen zusammengezählt werden können, wenn es sich um verschiedene Bestimmungen handelt, ist nicht einzusehen. Zu ermitteln ist für die Feststellung des überwiegens doch nur, ob der Komplex der unter Nr. 1 fallenden Betriebe und Betriebsteile größer als der der anderen Betriebe ist. Den einheitlichen quantitativen Nenner für die verschiedenen Produktionen zu finden, wird allerdings oft nicht einfach sein. 113 Birk, JZ 1973, S. 757 Linkssp.; wohl auch Mayer-Maly, BB 1973, S. 762. 114 Dietz-Richardi, Rdnr.13. 115 Dietz-Richardi, Rdnr. 11. 118 Dietz-Richardi, Rdnr. 57. 117 Dietz-Richardi, Rdnr. 16 (m. w. N. zu § 81 BetrVG 52) und 57. 118 BAG, wie Fußn. 6, BI. 4; Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 4; ErdmannJürging-Kammann, Rdnr. 3, die allerdings - inkonsequent - hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung "vom Tendenzcharakter des einzelnen Betriebes" ausgehen wollen.
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Fitting-Auffarth-Kaiser120 fügen hinzu, die "Tendenz" des Unternehmens "realisiere" sich im Betrieb. Darin kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß das Unternehmen einer Bestimmung im Sinne der Nr. 1 nur dienen kann, wenn ein oder mehrere seiner Betriebe einer solchen Bestimmung dienen. Die Wendung von der "Realisierung der Unternehmens..., tendenz" ist allerdings mißverständlich, weil, wie die genannten Autoren nicht verkennen, "die Tendenzeigenschaft des Unternehmens sich in den einzelnen Betrieben unterschiedlich auswirken kann"121. Mithin ist das Verhältnis zwischen der "Tendenz" des Unternehmens und der des Betriebes dahin zu bestimmen, daß es auf die "Tendenz" des Betriebes und nicht auf die - von den Betrieben erst abgeleitete - "Tendenz" des Unternehmens ankommt; und realisiert wird im Betrieb nicht die "Tendenz" des Unternehmens, sondern dessen Anordnung, daß der Betrieb eine "Tendenz" haben, d. h. einer Bestimmung dienen soll. d) Auf etwas ganz anderes zielt die viel diskutierte Frage, auf wen bei den Sätzen 1 und 2 von § 118 Abs. 1 abzustellen ist122 : auf den Betrieb oder auf das Unternehmen? Selbstverständlich ist bei Satz 1 auf den einzelnen Betrieb123 und bei Satz 2 hinsichtlich der Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 106 bis 110) darauf abzustellen, ob die Betriebe des Unternehmens überwiegend einer oder mehreren Bestimmungen der Nr. 1 dienen124. Dienen die Betriebe überwiegend anderen Bestimmungen als denen nach Nr. 1 und ist für das Unternehmen infolgedessen ein Wirtschaftsausschuß zu bilden, dann werden von dessen Zuständigkeit auch die Betriebe erfaßt, die Bestimmungen nach Nr. 1 dienen1215. Bei den Betriebsänderungen (§§ 111 bis 113) hängt die Entscheidung davon ab, ob sie der betrieblichen oder - nach der hier vertretenen Ansicht126 - der Unternehmensordnung zuzurordnen sind. Gemäß der letzteren Ansicht entfällt also nach Maßgabe von Satz 2 die wirtschaftliche Mitbestimmung bei Betriebsänderungen für alle Betriebe, auch für die keiner Bestimmung nach Nr. 1 dienenden, wenn die Betriebe des Unternehmens überwiegend einer oder mehreren Bestimmungen der Nr. 1 dienen. Ist dies nicht der Fall, sind die §§ 111 bis 113 auf alle Betriebe anzuwenden, auch auf die, die einer Bestimmung nach Nr. 1 dienen. Rdnr.2. Rdnr.4. l!1 Fitting-Auffarth-Kaiser, Rdnr. 4. U! Siehe z. B. eingehend Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 554 - 557, sowie Dietz-Riehardi, Rdnr.12. 123 Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 555, 556; Mayer-Maly, wie Fußn. 18, F. l!4 Ebenso Neumann-Duesberg, BB 1967, S. 555 Reehtssp.; Mayer-Maly, BB 1973, S. 782 Linkssp., und wie Fußn. 18, F. 1!5 Hersehel, AR-Blattei D Tendenzbetrieb Entseh. 2; Mayer-Maly, wie Fußn.18,F. m SieheCI4. UD
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D. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG
Zur Auslegung von Nr. 2 kann weitgehend auf die vorstehenden Ausführungen zu Nr. 1 verwiesen werden. Die Struktur des Tatbestandes beider Nummern ist dieselbe. Beide handeln von Unternehmen und Betrieben, die unmittelbar und überwiegend gewissen Bestimmungen dienen. Ein Unterschied besteht nur insofern, als die Tendenzbetriebe der Nr. 1 "Bestimmungen", die der Nr. 2 "Zwecken" dienen; außerdem unterscheiden sich diese Bestimmungen und Zwecke inhaltlich. J. Daß die Tendenzbetriebe in Nr. 1 durch ihre Bestimmung, in Nr. 2 durch ihren Zweck gekennzeichnet werden, ist jedoch ein rein formaler, kein sachlicher Unterschied. Gründe für einen sachlichen Unterschied sind nicht ersichtlich127• Würden sich die in Nr. 2 genannten Zwecke nur auf Unternehmen beziehen, könnte man an den schon mehrfach erwähnten Unterschied zwischen Zweck und Gegenstand des Unternehmens denken. Der Unternehmenszweck im Sinne des formalen Unternehmensziels kann aber nicht gemeint sein, und zwar nicht nur, weil sich Nr. 2, wie gesagt, auch auf Betriebe bezieht, sondern vor allem, weil der Inhalt der Zwecke - Berichterstattung und Meinungsäußerung - in diesem Sinne gerade nicht Zweck, sondern nur Gegenstand des Unternehmens sein könnte128 • Insofern ist der Terminus " Zwecke " sogar ausgesprochen unglücklich. Davon abgesehen hätte er aber auch in der Nr. 1 verwendet werden können, ohne daß an dem Sinn dieser Nummer etwas geändert worden wäre. Sachgemäßer wäre es indessen gewesen, auch in Nr. 2 den Terminus "Bestimmungen" zu verwenden. Denn nichts anderes ist in Nr. 2 gemeint: Unternehmen und Betriebe, die der Berichterstattung oder der Meinungsäußerung dienen. Sowohl durch die Bestimmungen der Nr. 1 als auch durch die Zwecke der Nr. 2 wird der Gegenstand der Produktion der betreffenden Tendenzbetriebe bezeichnet, lediglich mit dem Unterschied, daß die Leistungen und Erzeugnisse der unter Nr. 1 fallenden Betriebe durch allgemeinere Merkmale, die der Nr. 2 dagegen verhältnismäßig konkret bezeichnet sind129 • Unerheblich ist auch, daß in Nr. 2 ein Grundrechtsartikel ausdrücklich genannt ist; denn er dient nur der Definition der " Zwecke " dieser Nummer130 • Schließlich macht es auch keinen Unterschied, daß diesem Zweck auch " anspruchslose " Veröffentlichungen dienen können, die nicht als 117 Frey, AuR 1972, S. 163 Rechtssp. Daß Zwecke "verfolgt" (Frey, Tendenzschutz, S. 22), Bestimmungen aber - in paralleler Formulierung - "befolgt" werden, ist kein sachlicher Unterschied. 1!8 Ebenso Fabricius, GK, Rdnr. 92. 128 Frey, Tendenzschutz, S. 22, spricht von "schlichten" Zwecken. ISO Siehe unter H.
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"geistig-ideell" bezeichnet werden können131 • Auch bei den unter Nr. 2 fallenden Betrieben handelt es sich um Freiheitsräume, die der Gesetzgeber für schutzwürdig gehalten hat. 11. Somit gilt in der Tat für die Nr. 2 im vollen Umfange alles unter C Ausgeführte. Einer Erörterung bedarf nur der Inhalt der "Zwecke" in Nr. 2. Hier bereitet insbesondere der Relativsatz Schwierigkeiten: "auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet". Dieser Relativsatz kann sich entweder auf die Zwecke oder auf die Berichterstattung und die Meinungsäußerung als solche beziehen. Daß er sich auch nicht auf Unternehmen und Betriebe beziehen. Mithin bleibt GG nur Freiheiten, keine Zwecke schützt. Aus demselben Grunde kann er sich nicht auf die Zwecke bezieht, folgt daraus, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 nur übrig, daß er sich auf die Worte "Berichterstattung und Meinungsäußerung" bezieht. Das bedeutet sachlich, daß nicht alle Betriebe, die den Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen, eine Sonderstellung nach Nr. 2 haben, sondern nur die Betriebe der Presse und des Films; die Rundfunkanstalten scheiden hier aus, weil sie als öffentliche Anstalten nicht unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen. Der Relativsatz hat mithin die Funktion, aus dem Kreis aller der Berichterstattung oder der Meinungsäußerung dienden Betriebe denjenigen Teil auszugrenzen, dem die Sonderstellung nach Nr. 2 gewährt wird13!. Deshalb ist es unerheblich, welche Freiheiten in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich genannt sind133 • Damit entfällt auch die Notwendigkeit, auf Satz 1 dieser Vorschrift zurückzugreifen134 • Daß in dem Relativsatz ein Grundrechtsartikel ausdrücklich genannt wird, ist also keine intensivere Art des "Grundrechtsbezugs" als in den Bestimmungen der Nr. 1135 • Unter Nr. 2 fallen demgemäß lediglich Presse- und Filmbetriebe, und zwar nur solche, die den Zwecken der Berichterstattung oder der Meinungsäußerung dienen138 • Der Begriff der Presse ist im Verfassungsrecht umstritten137• Nr. 2 ist jedoch eine betriebsverfassungsrechtliche VorFrey, Tendenzschutz, S. 25. Brecht, Rdnr. 5; Frey, Tendenzschutz, S. 33, 34, 36. 131 So daß Art. 5 GG nicht ungenau zitiert ist, wie Mayer-Maly, BB 1973, S. 761 Fußn. 2, meint. 134 Ebenso Frey, S. 35. A. A. Mayer-Maly, "Das neue Betriebsverfassungsrecht der Presse", in: AfP 1972, S. 195 (196), und BB 1973, S. 761 und 764; DietzRichardi, Rdnr. 40. 135 A. A. Mayer-Maly, AfP 1972, S. 195, und BB 1973, S. 765; Mikat, wie Fußn. 4, S. 280; Henkel, "Das neue Recht der Betriebsverfassung nach den Beratungen des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung", in: Betriebs- und Unternehmensverfassung, 1971, S. 169 (178); Dietz-Richardi, Rdnr.9. 1M Neumann-Duesberg, BB 1973, S. 949 Linkssp., und wohl auch BB 1973, S. 764 Linkssp. 131
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schrift, die nur auf besondere Freiheitsräume Rücksicht nimmt. Der Pressebegriff der Nr. 2 braucht sich daher mit dem von Art. 5 GG nicht zu decken. Deshalb gilt Nr. 2 lediglich für Zeitungen und Zeitschriften138 , nicht aber z. B. für Betriebe, die reine oder überwiegende Anzeigenzeitungen, Bücher und andere Druckschriften herstellen139 . Da die Pressefreiheit die Freiheit sowohl der Berichterstattung als auch der Meinungsäußerung umfaßt, fallen unter Nr. 2 auch Pressebetriebe, die nur einem der heiden Zwecke dienen. Ob Filmbetriebe, die nur der Meinungsäußerung dienen, unter Nr. 2 fallen, ist zweifelhaft, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hier nur von der Freiheit der Berichterstattung spricht. Es ist jedoch kein vernünftiger Grund ersichtlich, die Filmbetriebe anders zu behandeln als die Pressebetriebe140 • Das ergibt sich verfassungsrechtlich aus Art. 5 GG141. Zu diesem Ergebnis gelangt aber auch die hier vertretene Auslegung, die dem Relativsatz nur die Funktion beimißt, die Sonderstellung nach Nr. 2 auf einen bestimmten Kreis von Betrieben zu begrenzen. III. Fabricius ist der Ansicht, der von ihm für die Nr. 1 entwickelte, oben bereits abgelehnte14! Grundgedanke, daß es sich bei § 118 Abs. 1 "um ideelle, also nicht wirtschaftliche Unternehmenszwecke handeln" müsse, liege auch der Nr. 2 zugrunde 143. Weil es in Nr. 2 nicht heiße "den Zwecken ... dienen", sondern nur "Zwecken der Berichterstattung und Meinungsäußerung ... dient", könne nur gemeint sein, daß Berichterstattung und Meinungsäußerung Mittel weiterer Zwecke seien144. Der Gesetzgeber habe zwar nicht gesagt, um welche Zwecke es sich dabei handeln müsse145. Die Formulierung der Nr. 2 umschreibe aber "nichts anderes, als daß es sich um einen nicht wirtschaftlichen Zweck" handeln müsse, der konkret nicht bestimmt werden könne146 • Durch die Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 werde jedoch klargestellt, daß Berichterstattung und Meinungsäußerung "die geistige Freiheit der Menschen berühren" müsse. 137 Siehe Herzog in: Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Rdnr. 126, 129, 132 zu Art. 5. 188 Mit Recht sagt Frey, AuR, S. 165 Linkssp.: "Alle Welt sagt ,Presse' und meint ,Zeitung', ... " 138 Wie hier Frey, Jahrbuch, S. 62, und Tendenzschutz, S. 36; Dietz-Richardi, Rdnr. 43; a. A. Birk, JZ 1973, S. 755 Rechtssp.; Mayer-Maly, BB 1973, S. 764, und wie Fußn. 18, D VIII, m. w. N. uo Ebenso Frey, Jahrbuch, S. 64, und Tendenzschutz, S. 36; Mayer-Maly, Fußn. 18, D VIII, BI. 6 R. 141 Wie Fußn. 137, Rdnr. 201 zu Art. 5. 142 C III 3. ua GK, Rdnr. 96. 144 GK, Rdnr. 93, 96. 145 GK, Rdnr. 94. 148 GK, Rdnr. 95.
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Es müsse sich also um ideelle Werte handeln147• Unternehmen mit wirtschaftlichen Zwecken fielen daher auch nicht unter Nr. 2148• Diese lediglich auf das Fehlen des Wörtchens "den" in der Nr. 2 gestützte Begründung, die sonst kein zusätzliches Argument bringt, kann nicht überzeugen. Daß der Erwerbszweck die durch § 118 Abs. 1 gewährte Sonderstellung nicht ausschließt, muß vielmehr auch für Nr. 2 gelten. überdies wäre sonst die Nr. 2 praktisch gegenstandslos, da die meisten Presse- und Filmbetriebe auf Gewinnerzielung gerichtet sind149• Weil durchgreifende Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Unternehmen nach Nr. 1 und Nr. 2 nicht ersichtlich sind, wird mit dieser Auslegung der Nr. 2 zugleich die Richtigkeit der hier zu Nr. 1 vertretenen Ansicht bestätigtl50.
GK, Rdnr. 96. us GK, Rdnr. 50; ebenso Gnade-Kehrmann-Schneider, Rdnr. 3 und 11 zu § 118. ua Herrschende Meinung. Siehe Dietz-Richardi, Rdnr. 24; Frey, Jahrbuch, S. 59, und Tendenzschutz, S. 50/51. ISO Ebenso Mayer-Maly, BB 1973, S. 765 Rechtssp., und wie Fußn. 18, G III. 147
Bankenaufsicht und Gesellschaftsrecht Von Fritz Rittner A. Problemübersicht
I. Einführung Einige Insolvenzfälle der letzten Jahre haben das Instrumentarium der Bankenaufsicht zum ersten Mal einer härteren Bewährungsprobe ausgesetzt. Noch streitet man darüber, welche einzelnen Verbesserungen für das Gesetz über das Kreditwesen1 zu empfehlen sind. Eine kritische Stelle hat sich jedenfalls bei jenen Belastungstests gezeigt: die Verzahnung zwischen der Bankenaufsicht und dem Gesellschaftsrecht, die § 382 enthält. Sie hat viele Zweifelsfragen in der Praxis ausgelöst, daraus folgend Streitigkeiten zwischen dem Aufsichtsamt und verschiedenen Beteiligten über die behördlichen Befugnisse und über das Vorgehen im Einzelfall. Sie hat deswegen mit Unsicherheit und Verzögerung gerade die Fälle belastet, die einer sicheren Grundlage für ein rasches Handeln besonders bedurften2a• Die Befugnisse der Aufsichtsbehörde nach § 38 und das, was je an ihre Stelle treten könnte, sind darüber hinaus deswegen von einigem rechtssystematischen und rechtspolitischen Interesse, weil hier eine wirtschaftsrechtliche Spezialaufsicht in gesellschaftsrechtliche Vorgänge und Zustände eingreift. Das Gesellschaftsrecht und die Gesellschaften stehen seit langem nicht mehr allein in privatrechtlichen Zusammenhängen, aus denen sie - jedenfalls grob gesehen - entstanden sind, und sie gründen sich nicht mehr allein auf das privatautonome Handeln der Gesellschafter. Das Wirtschaftsrecht, das - anders als das Gesellschaftsrecht - die gesamtwirtschaftlichen Vorgänge und Ordnungsgrundsätze betont, hat auch das Gesellschaftsrecht in seinen Dienst genommen oder, vielleicht besser gesagt, den Gesellschaften, namentlich soweit sie Unternehmensträger sind, einen anderen, eben gesamtwirtschaftlichen Sinn gegeben. Vom 10. Juli 1961 (BGBl. I 881) mit späteren Änderungen. Paragraphen ohne Zusatz sind solche des KWG in der gegenwärtig gültigen Fassung. la Der nach Abschluß dieser Arbeit vorgelegte RegEntw. zur Novellierung des KWG (BT Drucks. 7/3657) schlägt eine Änderung des § 38 nicht vor. 1
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Die Erforschung dieser Probleme, sowohl ihrer rechtssystematischen wie ihrer rechtspolitischen Seiten, ist eines der großen Themen im bisherigen Lebenswerk des hochverehrten Jubilars. Obwohl er selbst zu ihrer Klärung sehr viel beigetragen hat, hat er wiederholt und mit Recht darauf hingewiesen, daß das Wirtschaftsrecht noch immer zu den "werdenden Rechten" gehört und sich darin vor allem von historisch wesentlich älteren Rechtsgebieten unterscheidet, die begrifflich und institutionell viel stärker durchgebildet sind, wie vor allem das Bürgerliche Recht und das Handelsrecht3 • Die nähere Untersuchung einer der schwierigsten Nahtstellen zwischen dem weithin ausgeformten, institutionell und wertungsmäßig gefestigten Gesellschaftsrecht einerseits und dem noch ganz in der Entwicklung begriffenen Wirtschaftsrecht andererseits darf deswegen wohl zu seinen Ehren gewagt werden. H. Die Gesetzeslage 1. Das KWG 1961 gibt dem Aufsichtsamt gegenüber notleidend gewordenen Kreditinstituten das Recht, die Erlaubnis zurückzunehmen, § 35 Abs. 2 Nr. 4. Die Voraussetzungen sind verhältnismäßig eng, namentlich infolge ihrer Subsidiarität: "wenn Gefahr für die Sicherheit der einem Kreditinstitut anvertrauten Vermögenswerte besteht und die Gefahr nicht durch andere Maßnahmen nach diesem Gesetz abgewendet werden kann"4. Die Rücknahme der Erlaubnis hat selbst noch keine Folgen für die gesellschaftsrechtliche Lage des betr. Kreditinstituts. Das Gesetz schaltet vielmehr noch einmal das Ermessen der Aufsichtsbehörde dazwischen: "Bei juristischen Personen (des Privatrechts6) und Personenhandelsgesellschaften" kann sie "bestimmen, daß das Kreditinstitut abzuwickeln ist", § 38 Abs. 1 Satz 1. Diese "Entscheidung wirkt wie ein Auflösungsbeschluß" , § 38 Abs. 1 Satz 2. Darüber hinaus hat das Amt noch zwei Befugnisse, die das Gesellschaftsrecht berühren: Es kann "für die Abwicklung allgemeine Weisungen erlassen", § 38 Abs. 1 Satz 4. Und es kann beim Registergericht die Bestellung von Abwicklern beantragen, "wenn die sonst zur Abwicklung berufenen Personen keine Gewähr für die ordnungsmäßige Abwicklung bieten", § 38 Abs. 1 Satz 56. a Vgl. bes. Ballerstedt, über wirtschaftliche Maßnahmegesetze, in: Festschrift f. Schmidt-Rimpler, 1957, S. 369 ff., 383 ff. 4 Als "andere Maßnahmen" kommt insbesondere das Vorgehen nach § 46 in Betracht. Auch aufgrund des § 46 sind Eingriffe in das Gesellschaftsrecht möglich; aber sie sind in der Praxis weniger problematisch geworden. 5 Vgl. § 38 Abs. 3. 8 Der Wortlaut des Gesetzes stellt die Pflicht des Registergerichts, "Abwickler zu bestellen", in den Vordergrund. Für unseren Untersuchungsansatz - das Verhältnis des betr. Kreditinstituts zur Aufsicht - kommt es zunächst auf die Antragsbefugnis des Amtes an.
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Das Bundesaufsichtsamt ist also in Gefahrfällen für ein Kreditinstitut an eine gesetzliche Stufenfolge nach dem Gesetz der Verhältnismäßigkeit gebunden: (I) Maßnahmen "zur Abwendung der Gefahr" nach § 46; (2) Rücknahme der Erlaubnis nach § 35 Abs. 2 Nr. 41 ; (3) Anordnung der Abwicklung nach § 38 Abs. 1 Satz 1; (4) und (5) Erlaß "allgemeiner Weisungen" und Beantragung von neuen Abwicklern nach § 38 Abs. 1 Satz 4 und 5. 2. Die Bestimmungen gehen im großen und ganzen auf § 7 Abs. 2 des KWG 1934 zurück8 ; er lautete: "Wenn das Reichsaufsichtsamt die Erlaubnis zurücknimmt oder den Geschäftsbetrieb untersagt, so kann es bestimmen, daß seine Entscheidung wie ein Auflösungsbeschluß wirkt. Für die Abwicklung der Geschäfte kann es grundsätzliche Anordnungen treffen. Es kann auch im Fall einer freiwilligen Liquidation Liquidatoren bestellen oder Liquidatoren abberufen. Liquidator kann auch eine juristische Person sein." Die Abweichungen der jetzigen Regelung hiervon sind allerdings nicht zu übersehen. Auf sie wird an einigen Stellen noch zurückzukommen sein. In einem Punkt weicht das geltende Recht aber nur verbal oder in der juristischen Konstruktion ab. Die Auflösungsanordnung trifft zwar nach altem wie nach neuem Recht das Aufsichtsamt9• Das KWG 1961 sieht jedoch vor, daß unmittelbar die "Abwicklung" angeordnet wird (Satz I), und es legt sodann dieser Entscheidung die Wirkungen eines Auflösungsbeschlusses bei (Satz 2). Das KWG 1934 ging hingegen von einer umgekehrten Reihenfolge aus: das Amt ordnet zunächst an, daß die Erlaubnisrücknahme bzw. die Untersagung des Geschäftsbetriebs wie ein Auflösungsbeschluß wirken10 ; die Abwicklung tritt damit als notwendige 7 Die öffentliche Bekanntmachung der Rücknahme der Erlaubnis (§ 38 Abs. 2), die ebenfalls in das Ermessen des Aufsichtsamtes gestellt ist, stellt nicht eigentlich eine eigene Stufe, sondern nur eine Verschärfung der Erlaubnisrücknahmedar. 8 Gesetz über das Kreditwesen vom 5. Dezember 1934 (RGBl. I 1203) i. d. F. vom 25. September 1939 (RGBI. I 1955) mit späteren Änderungen. 8 Die Auflösungsanordnung hat übrigens in allen Fällen konstitutive Bedeutung. Anders Schork, Gesetz über das Kreditwesen, Kommentar, 1965, § 38, Anm. 3, der meint, mit dem Wegfall der Erlaubnis - bei Nur-Kreditinstituten - entfalle auch der Gesellschaftszweck, was die Liquidation zur Folge habe. Vgl. demgegenüber für die AG § 262 AktG und RGZ 124, 279, 298; für die GmbH § 60 GmbHG sowie Schmidt in: Hachenburg, GmbHG., 6. Aufl. 1959, § 60 Anm. 23; für die OHG und KG Schlegelberger-Gessler, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 1965, § 131 Anm. 35 a. E.; P. Ulmer im Großkommentar, HGB, 3. Aufl.
1973, § 131 Anm. 114.
10 Die Formulierung war an § 87 Abs. 3, S. 1 VAG angelehnt: .. Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit wirkt die Untersagung des Geschäftsbetriebes wie ein Auflösungsbeschluß."
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gesetzliche Folge ein. Weshalb der Gesetzgeber des KWG 1961 in dieser Weise das bisherige Recht änderte, geht aus den Materialien nicht hervor. Ein Grund mag gewesen sein, daß die neue Fassung einwandfrei klarstellt, daß die Auflösungsanordnung auch nach der Erlaubnisrücknahme und nicht nur zusammen mit ihr zulässig istll. Die neue Fassung hat weiter den Vorzug, daß sie die Abwicklung zu dem entscheidenden Inhalt der Anordnung erhebt. Denn darauf kommt es nach dem Gesetzeszweck an12 • Andere Arten der Auseinandersetzung, wie sie etwa nach § 125 Abs. 1 HGB zulässig sind, sollen selbstverständlich ausgeschlossen sein13 • Der Satz 2, nach dem die Entscheidung "wie ein Auflösungsbeschluß" wirkt, soll darüber hinaus den Eingriff in das Gesellschaftsrecht so klar markieren und wohl auch begrenzen, wie es die alte Fassung schon in ihrem Satz 1 getan hatte. Es findet also eine Abwicklung statt, die in jeder Hinsicht allein dem Gesellschaftsrecht untersteht, abgesehen von den Befugnissen, die § 38 Abs. 1 Satz 4 und 5 dem Aufsichtsamt gibt14 • Lediglich eines ist aus der ratio zu ergänzen: Die Auflösung kann nicht wie sonst durch Beschluß der Gesellschafter rückgängig gemacht werden und dadurch die Gesellschaft wieder zu einer werbenden verwandelt werden15• Zum Teil wird auch die Ansicht vertreten, die Abwicklung müsse sich in jedem Fall ausschließlich nach den gesetzlichen Bestimmungen richten, die Satzungsbestimmungen hätten also zurückzutreten18• Das steht jedoch nicht im Gesetz und ist auch nicht ohne weiteres durch seine Zwecke geboten. Nur soweit der spezifische Abwicklungszweck des § 38 Abs. 1 es erfordert, kann man m. E. darüber sprechen. Und auch insoweit ist es noch die Frage, ob und ggf. welche Satzungsbestimmungen stets zu weichen haben und welche erst durch "allgemeine Weisungen" gemäß Satz 4 außer Kraft zu setzen sind. 11 Für die Praxis ist dies in jedem Fall die angemessene Lösung, weil dadurch ein schonendes, der Sachlage entsprechendes stufenweises Vorgehen ermöglicht wird. 11 Der Zweck des Gesetzes liegt keineswegs nur darin, das Fortbestehen von Mänteln früherer Kreditinstitute zu verhindern, wie P. Ulmer, § 131, Anm. 114, meint. In erster Linie kommt es darauf an, daß die Gläubiger des Kreditinstituts nicht durch Fortsetzung des Geschäftsbetriebes noch zusätzlich gefährdet werden; auch die Gefahr für potentielle (Neu-)Gläubiger spielt eine Rolle. Vgl. dazu etwa Szagunn-Neumann, Gesetz über das Kreditwesen, 2. Auft. 1967, § 38 Anm. 2 und 3. 13 Die bei Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 9 diskutierten Zweifel sind m. E. angeSichts von Wortlaut und Zweck des § 38 Abs. 1, S. 1 - nach der Neufassung - unberechtigt. 14 Die Rechtslage ist ähnlich wie beim sog. diktierten Vertrag oder der durch Hoheitsakt geschaffenen juristischen Person des Privatrechts: nur der Entstehungsvorgang liegt im öffentlichen Recht; vgl. Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 25 ff. IS Vgl. Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 9 a. E. 18 So Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 9.
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IH. Die beiden wichtigsten Streitfragen In der Praxis ist vor allem zweierlei streitig geworden: -
die Grenzen, die die "allgemeinen Weisungen" einzuhalten haben, zumal dem Gesellschaftsrecht gegenüber;
-
die Stellung der auf Antrag des Aufsichtsamtes bestellten Abwickler, zumal den anderen Gesellschaftsorganen gegenüber.
Der Wortlaut des Gesetzes gibt auf die Fragen keine eindeutige Antwort. Die sich wohl aufdrängende (Vor-)Frage, ob dem Amt auch für den Einsatz der beiden Mittel eine Art Stufenfolge vorgeschrieben ist, scheint auf den ersten Blick nicht lösbar. Der Erlaß "allgemeiner Weisungen" kann gewiß nicht von vornherein als das schwächere Mittel - gegenüber dem Antrag auf Bestellung von Abwicklern - eingestuft werden, gleichgültig, was man unter den "Weisungen" versteht. Da aber der Satz auch durchaus umkehrbar ist, sollte man jedenfalls bis zum Nachweis des Gegenteils davon ausgehen, daß jede der beiden Maßnahmen unabhängig von der anderen angeordnet werden kann. Dementsprechend folgen wir im weiteren dem Gesetzeswortlaut und prüfen zunächst, ob und wieweit sich die "allgemeinen Weisungen" über gesellschaftsrechtliche Vorschriften, über Satzungsbestimmungen und Organbeschlüsse hinwegsetzen können. Danach wird untersucht, welche Stellung den auf Antrag des Amtes bestellten Liquidatoren innerhalb der Gesellschaft zukommt. B. Die "allgemeinen Weisungen" Nach § 38 Abs. 1 Satz 4 kann das Bundesaufsichtsamt für die Abwicklung "allgemeine Weisungen" erteilen. über die möglichen Zwecke und die zulässigen Inhalte solcher Weisungen sagt das Gesetz nichts. Eine ständige Verwaltungspraxis hat sich noch nicht herausgebildet; das Aufsichtsamt greift äußerst selten zu diesem Mittel 17 • Die Kommentarliteratur zum KWG 1961 tradiert im wesentlichen die Beispiele, die bereits zum KWG 1934 herangezogen wurden. Ob die "allgemeinen Weisungen" voraussetzen, daß eine Auflösungsanordnung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 getroffen ist oder ob solche Weisungen auch bei freiwilliger Liquidation möglich sind, ist streitig. Dem Wortlaut entsprechend dürfte die engere Auslegung vorzuziehen sein18•
Vgl. auch Schork, § 38 Anm. 10. So auch Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 29, Consbruch-Möller, KWG-Kommentar, 1965, § 38 Anm. 4; a. A. Schork, § 38 Anm. 10. 17
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I. Das WeisungsTecht 1. Die möglichen Gegenstände eines Weisungsrechts
In Anbetracht der Unklarheit der Regelung empfiehlt es sich, von der allgemeinen Frage auszugehen, was überhaupt durch das Weisungsrecht möglicherweise beeinfiußt werden soll. a) Denkbar wäre, daß das Weisungsrecht die Abwickler lediglich veranlassen soll, die Normen zu beachten, an die die Abwickler gesellschaftsrechtlich sowieso gebunden sind. Der Handlungsspielraum der Abwickler würde dann durch solche Weisungen weder erweitert noch beschränkt. Diese Alternative hätte dann nur den Sinn, die Voraussetzung für eine Vollstreckung nach § 50 zu bilden. Das Ziel wäre, die Einhaltung der Abwicklungsregelungen nicht dem privatautonomen Kräfteausgleich des Gesellschaftsrechts zu überlassen, sondern ihn - ohne Richtungsänderung - durch das Bundesaufsichtsamt zu beeinflussen. b) Denkbar wäre weiterhin, daß die allgemeinen Weisungen nur das den Abwicklern bei sehr vielen Fragen eingeräumte Ermessen binden, also Handlungsalternativen ausschließen sollen, die den Abwicklern nach Gesellschaftsrecht zuständen, ohne aber in Widerspruch zum Handlungsrahmen zu stehen, den die Normen des Gesellschaftsrechts bilden. c) Schließlich wäre es noch denkbar, daß die Weisungen entgegen den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ergehen können und damit diese Vorschriften für die Abwickler außer Kraft setzen. Zwischen diesen drei Grundmodellen lassen sich natürlich vielfältige Kombinationen herstellen, deren Zahl dadurch noch wesentlich erhöht wird, daß die Weisungsbefugnis auf bestimmte sachliche Gegenstände beschränkt gedacht wird. 2. Normative Gesichtspunkte für die Entscheidungsfindung Da § 38 selbst zu diesen Fragen schweigt, bleibt zu prüfen, ob dem Gesetz sonst Gesichtspunkte dafür entnommen werden können, was mit den "allgemeinen Weisungen" gemeint ist. Das KWG 1934 enthielt in § 7 Abs. 2 S. 2 die Befugnis des Reichsaufsichtsamtes bzw. des Reichskommissars 19 , für die Abwicklung des Geschäfts "grundsätzliche Anordnungen" zu treffen. Der Untersuchungsausschuß, der 1933 für das Bankwesen eingesetzt war und seinen Bericht mit Gesetzesentwurf 1934 veröffentlichte, führte indes zu dem § 7 Abs. 2 KWG 1934 lediglich aus:
l' Vgl. die Verordnung zur Änderung des Reichsgesetzes über das Kreditwesen v. 15. Sept. 1939 (RGBl. I 1953), Art. 2.
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"Der Abs. 2 stellt die schleunige Durchführung der vom Reichskommissar getroffenen Maßnahmen sicher. Die Schwierigkeiten einer Auflösung von Kreditinstituten werden seine Mitwirkung bei der Abwicklung der Geschäfte vielfach notwendig machen; er soll deshalb auch grundsätzliche Anordnungen treffen können." Auch Reichardt 20 gibt über die Funktion des Weisungs rechts keine detailliertere Auskunft, obwohl er Mitglied dieses Untersuchungsausschusses war. Er beschränkt sich vielmehr darauf, die von Pröhl21 zitierten Beispiele -
Verkauf von Wertpapieren ausschließlich über die Börse Erteilung nur limitierter Verkaufsaufträge Verkauf von Grundbesitz nur in öffentlicher Versteigerung Weitestgehende Rücksichtnahme auf die Lage der Darlehensnehmer Rücksichtnahme auf die Lage der Gefolgschaftsmitglieder, deren Dienstverhältnisse durch die fortschreitende Liquidation an sich gekündigt werden müssen,
als zutreffend zu bezeichnen. In Anbetracht der relativen Unergiebigkeit dieser Hinweise auf die mit der Regelung verfolgten Ziele müssen die fraglichen Wertungen aus dem Gesetzesinhalt selbst erschlossen werden. a) Zwei Gesichtspunkte gewinnen hierfür besondere Bedeutung: Zum einen das Verhältnis von § 38 Abs. 1 Satz 4 zu § 46, zum anderen die allgemeine Zielbestimmung des § 6. Soweit dazu im Schrifttum Stellung genommen wird, hält man § 46 Abs. 1 neben § 38 Abs. 1, also auch nach der Zurücknahme der Erlaubnis, für anwendbar!!. Würde nun das Weisungsrecht des § 38 Abs. 1 Satz 4 nichts anderes bezwecken, als die Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen Abwicklungsnormen sicherzustellen, so würde die Vorschrift überflüssig sein. Die Verletzung der zum Schutze der Gläubiger bestehenden Liquidationsvorschriften würde regelmäßig eine "Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen eines Kreditinstituts gegenüber seinen Gläubigem" bedeuten und damit eine vollstreckbare Anordnung nach § 46 Abs. 1 erlauben. Die Verletzung anderer Abwicklungsnormen würde zwar durch § 46 nicht erfaßt, aber mit gutem Grund. Denn der Katalog der Aufgaben der Kreditaufsicht nach § 6 deckt den Schutz der Mitgesellschafter vor unrichtiger Abwicklung nicht; auch die "allgemeinen Weisungen" könnten unter diesem Blickwinkel nicht getroffen werden. !O Reichardt, Das Gesetz über das Kreditwesen vom 25. September 1939, 1942, § 7 Anm. 6. U Pröhl, Reichsgesetz über das Kreditwesen, Kommentar, 2. Auf!. 1939, §7 Anm.6c. !! Schork, § 46 Anm. 1; § 38 Anm. 2.
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Das Weisungsrecht des § 38 Abs. 1 Satz 4 muß also eine weitergehende Bedeutung haben, als die Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen Abwicklungsnormen zu sichern. b) Unterstellt man, die Weisungen nach § 38 Abs. 1 Satz 4 dürften lediglich den Ermessensspielraum der Abwickler konkretisieren, so hängt der Umfang des Weisungsrechts davon ab, welchen Ermessensspielraum das Gesellschaftsrecht den Abwicklern beläßt. Er kann in mehrfacher Weise beschränkt sein, was besonders an den Fällen der Liquidation einer Personengesellschaft deutlich wird. Zum einen kann bereits der Gesellschaftsvertrag Regelungen für die Abwicklung vorsehen, die von den (dispositiven) gesetzlichen Normen abweichen oder den durch sie geschaffenen Handlungsspielraum beschränken. Zum anderen kann durch die allgemeine Kompetenz anderer Gesellschaftsorgane der Handlungsspielraum der Abwickler eingeschränkt werden. Das kann im Grenzfall bedeuten, daß durch einen Beschluß (z. B. der Gesellschafter) eine anderweitige Verwertung bestimmt und damit der Abwicklung der Boden entzogen wird23 • Es bedeutet im weniger weit gehenden Fall, daß gemäß den gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Vorschriften den Abwicklern bestimmte Weisungen erteilt werden oder gewisse Maßnahmen von der Zustimmung durch andere Gesellschaftsorgane abhängig sind. Wieweit das im konkreten Fall nach den konkreten Machtverhältnissen und Satzungsbestimmungen möglich ist, bedarf hier keiner genauen Untersuchung. Es hängt auch in nicht unerheblichem Maße davon ab, welchen Dispositionsspielraum das Recht der betr. Gesellschaftsform den Gesellschaftern läßt. Denn es kommt vor allem darauf an, daß das Kreditaufsichtsrecht sich an anderen Maßstäben orientieren muß als das Gesellschaftsrecht. Wieweit der Freiheitsspielraum des Abwicklers reicht, kann für die Weisungen der Aufsicht nicht von der Gesellschaftsform, von der vom Aufsichtsamt nicht beeinflußbaren Regelung des Gesellschaftsvertrages oder von der tatsächlichen Machtlage in der Gesellschaft abhängen. Es scheidet damit auch die Möglichkeit aus, § 38 Abs. 1 Satz 4 als bloße Beschränkung des Ermessens des Abwicklers zu sehen. Die Weisungen können daher auch über besondere gesellschaftsvertragliche Regelungen für die Abwicklung und über die Kompetenzverteilung zwischen den Organen hinweggehen. c) Andererseits kann aber, wie gesagt, auch die von Szagunn-Neumann24 vertretene Auffassung nicht gebilligt werden, daß bereits der bloße Auflösungsbeschluß so wirkt, daß die Abwicklung nach den gesetzlichen Vorschriften unabhängig von den Regelungen des Gesellschafts!I Diese Möglichkeit wird allerdings r. A. nach durch die Abwicklungsanordnung nach § 38 Abs. 1, S. 1 ausgeschlossen; vgl. ob. A II 2 FN 13. U Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 9; vgl. ob. bei FN 16.
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vertrages und von sonstigen Vereinbarungen der Gesellschafter nach dem Gesetzesrecht zu erfolgen hat. Diese Auffassung führt zu offensichtlich unsinnigen Ergebnissen, was etwa deutlich wird, wenn man eine gesellschaftsvertragliche Verteilung des Liquidationserlöses unabhängig von den gesetzlichen Verteilungsmaßstäben unterstellt. Eine solche Folge wäre durch den gesetzlichen Auftrag des Bundesaufsichtsamtes (§ 6) nicht gedeckt. Vielmehr kann aufgrund von Weisungen nach § 38 Abs. 1 Satz 4 nur eine Abweichung von den Vorschriften erreicht werden, die nach Gesellschaftsrecht im konkreten Fall für die Abwicklung gelten. Allein solche Beschlüsse oder vertragliche Regelungen, die der Liquidation gerade entgegenwirken (Beschluß über die Fortführung, Übertragung des Geschäfts als Ganzes auf einen Gesellschafter) werden durch die Auflösungsanordnung ohne weiteres unwirksam. Es kann daher nur darum gehen, in welchem Umfang und zu welchem Zweck die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorschriften durch allgemeine Weisungen in ihrer Wirkung aufgehoben werden. 3. Die Grenzen der Weisungsbefugnis
Die Grenzen der Weisungsbefugnis lassen sich aufgrund der allgemeinen Maßstäbe der Kreditaufsicht entwickeln. a) Aufgabe des Bundesaufsichtsamtes ist es nach § 6, Mißständen im Kreditwesen entgegenzuwirken, die die Sicherheit der den Kreditinstituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft herbeüühren können. Wieweit die einzelnen Vorschriften des KWG zugleich Amtspflichten des Aufsichtsamtes gegenüber dem einzelnen Gläubiger begründen, ist bestritten25• Jedenfalls ist der Schutz der Bankkunden eine wichtige Voraussetzung für das Vertrauen in das Kreditwesen und dieses Vertrauen eine Funktionsbedingung für die gesamte Kreditwirtschaft. Nur Maßnahmen, die im Hinblick auf solche Funktionsbedingungen getroffen werden, ihnen also objektiv zu dienen geeignet sind, sind durch § 38 Abs. 1 Satz 4 gedeckt. Unter diesem Aspekt wird eine ganze Reihe von Äußerungen der literatur freilich zweifelhaft oder konkretisierungsbedürftig. Wenn z. B. Reichardt28 als Ziel des Weisungsrechts den "Schutz der Interessen der Gläubiger" bezeichnet, so dürften damit nur die Bankgläubiger gemeint 25
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Vgl. st.a. Szagunn-Neumann, § 6 Anm.13. Reichardt, § 7 Anm. 6.
8 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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sein. Die Wahrung der Interessen etwa des Gläubigers, der Forderungen aus der Errichtung des Bankgebäudes hat, zählen dazu nicht. Auch die Interessen der Arbeitnehmer der Bank sind nicht Gegenstand der Verwaltung durch das Bundesaufsichtsamt. Entgegen anderslautenden Formulierungen27 dürfte daher ein befristetes Kündigungsverbot für Arbeitnehmer mit Rücksicht auf deren soziale Lage vom Aufsichtsamt nicht angeordnet werden können. Nach Szagunn-Neumann28 sollen bei Unternehmen, die nicht nur Bankgeschäfte betreiben, die Weisungen auch für die Abwicklung der anderen Geschäfte gelten. Das kann jedoch höchstens dann richtig sein, wenn die Weisung die Erzielung einer möglichst hohen verteilungsfähigen Masse im Interesse der Bankkundschaft zum Ziel hat. Fließt dieser Gegenwert (z. B. eines Hauses) nur bevorrechtigten Nichtbankgläubigern zu, so dürfte sich die Weisung auf einen solchen Fall nicht erstrecken; außerdem hat das Bundesaufsichtsamt die Interessen dieser Nichtbankgläubiger nicht zu vertreten. b) Es gilt sowohl der Grundsatz der Erforderlichkeit (hinsichtlich des "ob" des Einschreitens) als auch der Verhältnismäßigkeit (hinsichtlich des geringstmöglichen Eingriffs). Hierauf hat zum KWG 1934 schon Reichardt29 hingewiesen. Bereits an der Erforderlichkeit wird es meist fehlen, wenn die Weisung nur die möglichst günstige Verwertung der Masse erstreben soll. Hieran sind die Abwickler nämlich regelmäßig schon im Hinblick auf ihre eigene Haftung interessiert.
11. Der Begriff der "allgemeinen Weisung" § 7 Abs. 2 Satz 2 KWG 1934 verwandte in dem gleichen Zusammenhang das Wort "grundsätzliche Anordnungen". Pröhl30 sah darin ein Verbot, einzelne Liquidationsmaßnahmen zu bestimmen. Der Regierungsentwurf zum KWG 196131 weist lediglich darauf hin, grundsätzliche Anordnungen seien "nicht Einzelanordnungen" und stellt damit klar, daß durch die neue Wortfassung "allgemeine Weisungen" eine sachliche Neuerung offenbar nicht beabsichtigt war. 1. Grundsätzliches
Der Begriff "allgemein" ist für sich genommen nichtssagend. Er drückt nur eine Relation zu "einzel ... " aus, ohne einen absoluten Inhalt festzulegen. Den Bezugspunkt aber liefert das KWG nicht32 • So kann man beReichardt, § 7 Anm. 6; Pröhl, § 7 Anm. 6 c. Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 29. tt Reichardt, § 7 Anm. 6. ao Pröhl, § 7 Anm. 6 c. 31 BT-Drucks. III/1114, S. 411. Sp. (zu § 37).
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liebige Stufenreihen bilden, in welchen das jeweils frühere Glied das "allgemeine" zum noch weiter zurückliegenden, das "konkrete" im Verhältnis zum folgenden ist. Die Anordnung, X-Aktien über die Börse zu verkaufen, ist gegenüber dem Verkauf aller Aktien über die Börse die konkretere Weisung, gegenüber dem Verkauf bestimmter X-Aktienbestände über die Börse die allgemeinere Weisung. Sieht man daher einmal von dem utopischen Fall ab, daß das Bundesaufsichtsamt jede Einzelmaßnahme vorschreibt, praktisch also selbst abwickelt, läßt sich sprachlich alles unter den Begriff "allgemein" bringen. Andererseits könnte man die Anwendung der Vorschrift so gut wie ganz ausschließen, wenn man - für "allgemein" - verlangt, daß die Weisung nicht für einen konkreten Abwicklungsfall getroffen sein darf. 2. Die Beschränkung auf einen Abwicklungsfall Daß mit "allgemein" nicht gemeint sein kann, daß die Regelung stets für mehrere Abwicklungsfälle, praktisch also für bestimmte Arten von Abwicklungsfällen, gelten muß, ergibt sich jedoch schon aus dem Rechtsschutzsystem. Denn sonst würde dem Bundesaufsichtsamt eine Verordnungsermächtigung eingeräumt werden, die ihm der Gesetzgeber sicherlich nicht geben wollte. Die Erfassung solcher "vorbeugend" aufgestellter Grundsätze mit der Denkfigur des Verwaltungsaktes würde Rechtsschutzlücken entstehen lassen. Entweder müßten diese Richtlinien sofort angefochten werden, was praktisch ohne konkreten Anlaß nicht zu verlangen ist; oder es müßte im konkreten späteren Streitfall - ohne daß noch eine besondere Maßnahme erfolgt! - in irgendeiner Weise vorgegangen werden. Schon die Tatsache, daß zudem dauernd Streitfragen darüber auftauchen könnten, ob die Richtlinie für den einzelnen Fall gilt oder nicht, zeigt, daß es hier um die Problematik der Normsetzung ginge, wollte man die Bezogenheit auf den einzelnen Abwicklungsfall nicht als "allgemein" ansehen. 3. Das Verständnis des Begriffes "allgemein" Will man dem Begriff "allgemein" überhaupt eine Abgrenzungsfunktion zuerkennen, so hat das in folgende Richtungen zu geschehen: a) Eine allgemeine Weisung verlangt die Berücksichtigung der besonderen Umstände der betroffenen Bank. Sie muß so getroffen werden, S! Das ist grundsätzlich anders bei den "allgemeinen Weisungen für den Erlaß oder die Unterlassung von Verfügungen", die der Bundesminister für Wirtschaft dem Bundeskartellamt erteilt, § 49 GWB. Diese Weisungen haben keine Außenwirkung, sondern sind ausschließlich vom Bundeskartellamt erst bei seinen Entscheidungen im Einzelfall zu beachten, wobei sie selbstverständlich nur das Ermessen beeinflussen können.
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daß klar ist, auf welche konkreten Umstände sie sich bezieht, darf also keinen Subsumtionsspielraum lassen. Dieser Umstand dürfte sich auch aus dem Merkmal ergeben, daß ein Verwaltungsakt, um rechtmäßig zu sein, ausreichend bestimmt ausgesprochen werden muß. b) Daneben soll die Weisung den Spielraum des Abwicklers nicht stärker einengen als unbedingt erforderlich. Dieses Kriterium ist bereits in den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit berücksichtigt. c) Darüber hinaus kann wohl angenommen werden, daß die Weisung nicht auf Vornahme bzw. Unterlassung bestimmter Einzelmaßnahmen der Abwickler gerichtet sein darf, obwohl dieses Kriterium, wie gesagt, in praxi zweifelhaft ist und dasselbe sachliche Ergebnis vermutlich über die beiden vorgenannten Gesichtspunkte erzielt wird.
III. Ergebnisse 1. Die Abwicklung hat grundsätzlich nach Gesellschaftsrecht - Gesetz und Vertrag - zu erfolgen. Jeder Abwickler ist daran gebunden.
2. Das Bundesaufsichtsamt kann durch Weisungen den relevanten Handlungsrahmen der Abwickler verändern. Es ist dabei nicht an die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages und des Gesellschaftsrechts gebunden. 3. Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Weisungen, die jeweils einen anfechtbarenVerwaltungsakt darstellen, sind a) ein Handeln mit dem Ziel der Erfüllung der Aufgaben des § 6 KWG b) Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit (einschl. der Tauglichkeit des Mittels). 4. Dem Merkmal "allgemein" kommt daneben eine besondere Bedeutung kaum mehr zu.
c.
Die auf Antrag des Bundesaufsichtsamtes bestellten Abwickler
Nach § 38 Abs. 1 Satz 5 KWG hat das Registergericht auf Antrag des Bundesaufsichtsamtes Abwickler zu bestellen, "wenn die sonst zur Abwicklung berufenen Personen keine Gewähr für die ordnungsmäßige Abwicklung bieten". Das Gericht ist dabei nicht an die personellen Vorschläge des Bundesaufsichtsamtes gebunden33• Eine Bestellung von Ab33
Consbruch-Möller, § 38 Anm. 3; Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 31.
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wicklern durch das Aufsichtsamt selbst, wie sie § 7 Abs. 2 Satz 3 KWG 1934 zuließ, ist heute jedoch nicht mehr möglich. über die Rechtsstellung dieser Abwickler bestimmt das KWG nichts. Sie muß daher aus den allgemeinen Vorschriften erschlossen werden. I. Die Rechtsstellung deT AbwickleT 1. Grundsätzliches
Ist die Abwicklung vom Bundesaufsichtsamt angeordnet, so hat ihre Durchführung grundsätzlich durch die nach Gesetz oder einer zulässigerweise von ihm abweichenden Satzung bestimmten Liquidatoren zu erfolgenu. Nur wenn diese Personen keine Gewähr für die ordnungsmäßige Abwicklung bieten, kann das Registergericht auf Antrag des BAK andere Abwickler bestellen. Damit entscheidet das Gesetz nicht nur über die Voraussetzungen einer solchen Bestellung, sondern zugleich implizit auch über die Stellung des so bestellten Abwick1ers: Er hat prinzipiell die gleiche Stellung sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht wie der Abwickler nach Gesellschaftsrecht35 • Nur eine, fast selbstverständliche, Ausnahme hat dieser Grundsatz zu erleiden: der vom Gericht auf AntTag des Aufsichtsamtes bestellte AbwickleT kann nicht durch das sonst zuständige Gesellschaftsorgan abberufen werden36• Dazu bedarf es vielmehr eines erneuten Antrags an das Registergericht gemäß § 38 Abs. 1 Satz 537 • Die prinzipielle Maßgeblichkeit der gesellschaftsTechtlichen Stellung des Abwick1ers für den nach § 38 Abs. 1 Satz 5 eingesetzten Liquidator ergibt sich auch daraus, daß der Gesetzgeber offenbar hierin kein Pro34 Vgl. Reischauer-Kleinhans, Kreditwesengesetz (KWG), Loseblattkommentar, § 38 Anm. 3. 35 Vgl. Schilling im Großkommentar HGB § 146 Anm. 66 freilich zu dem gemäß dieser Bestimmung vom Gericht ernannten Abwickler: "Die Rechtsstellung des vom Gericht ernannten Abwicklers als Organ der Gesellschaft ist dieselbe wie die des durch das Gesetz oder den Willen der Gesellschafter berufenen Abwicklers. Er hat dieselben Rechte und Pflichten wie diese." (Hervorhebung im Original.) 38 Wie bei der ob. (A II 2 bei FN 13) erörterten Frage des Ausschlusses der Abwicklung folgt dies unmittelbar aus dem Gesetz, das, indem es eine Befugnis der gesellschaftsrechtlichen Autonomie entzieht, damit auch den contrarius actus meint. 37 Vgl. a. § 146 Abs. 2 HGB; § 265 Abs. 3 AktG. Es wäre übrigens nicht sachgerecht, für den Antrag auf Abberufung eines nach § 38 Abs. 1, S. 5 bestellten Abwicklers einen "wichtigen Grund" genügen zu lassen. Das ist zwar für die beiden zitierten Bestimmungen des Gesellschaftsrechts die richtige Voraussetzung. Der Eingriff des Aufsichtsamtes muß demgegenüber an engere, seinem Zweck entsprechende Voraussetzungen gebunden sein, auch wenn es sich um den negativen Akt handelt.
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blem gesehen und deswegen einfach das Wort "Abwickler" verwendet hat. Er brauchte keine weitere Regelung zu treffen, weil sie sich im Gesellschaftsrecht vorfindet, auf das das Gesetz - mit dem Wort "Abwickler" - verweist. Hiervon scheint auch das Schrifttum sowohl zum KWG 1934 wie auch zum KWG 1961 wie auch zu § 146 HGB und zu § 265 AktG 1965 (bzw. seinen Vorläufern) auszugehen; denn es bemerkt ebenfalls kein Problem38 • Auch die ratio des § 38 Abs. 1 Satz 5 spricht für diese Lösung. Die Bestimmung soll in erster Linie gewährleisten, daß nicht unzuverlässige oder sonstwie ungeeignete Personen die Liquidation betreiben. Die negative Seite der Anordnung, eben die Ausschaltung der bisherigen Liquidatoren, ist deswegen dem Gesetzgeber sachlich wichtiger als die Bestellung von neuen. Das - in der Praxis nun einmal entscheidende - personale Problem der Abwicklung wollte der Gesetzgeber für den Notfall der Kontrolle des Aufsichtsamtes anvertrauen39 • Das Abwicklungsrecht als Teil des Gesellschaftsrechts sollte dadurch aber nicht weiter berührt werden. Ein anderes Ergebnis wäre überdies in sich widersprüchlich. Hätte nämlich der Gesetzgeber dem nach § 38 Abs. 1 Satz 5 bestellten Abwickler weiterreichende Befugnisse verleihen wollen, als sie der geseIlschaftsrechtliche Abwickler in concreto hat, so wäre unverständlich, warum der Einsatz dieser Befugnisse von einer Gefährdung der Abwicklung durch die bisherigen Abwickler abhängig sein soll. 2. Das Verhältnis des Abwicklers zu den anderen Gesellschaftsorganen a) Wenn der auf Auftrag des Aufsichtsamtes bestellte Abwickler innerhalb der betr. Gesellschaft genau dieselbe Stellung hat wie jeder andere Abwickler, so folgt daraus zweierlei, was möglicherweise die Bedenken des Bundesaufsichtsamtes gegen diese Ansicht begründet: -
die Abwickler unterliegen - je nach gesetzlicher bzw. gesellschaftsvertraglicher Regelung - den Anweisungen der Gesellschafter oder bestimmter Gesellschaftsorgane (Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung u. dgl.);
-
die Stellung der Abwickler variiert nicht unerheblich von Gesellschaftsform zu Gesellschaftsform und, den Gesellschaftsverträgen entsprechend, auch von Gesellschaft zu Gesellschaft.
S8 Vgl. auch Schork, § 38 Anm.14: "Die gerichtlich bestellten Abwickler haben die gleiche Rechtsstellung wie die sonst vorhandenen Abwickler". S8 Regelmäßig schlägt das Amt dem Gericht den zu bestellenden Abwickler vor; vgl. Szagunn-Neumann, § 38 Anm. 31.
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Aus der Sicht des Amtes wird durch die (möglichen) Einflüsse von seiten anderer Organe u. U. erneut die Ordnungsmäßigkeit der Abwicklung gefährdet, und vielleicht wird auch durch die Verschiedenartigkeit der Rechtsstellung der Abwickler die Verwaltungspraxis erschwert. Gewichtig ist eigentlich nur der erste Gesichtspunkt, weil er unmittelbar auf den Zweck der Regelung zurückgreift. Mit seiner Hilfe möchte das Amt wohl erreichen, daß der nach § 38 Abs. 1 Satz 5 bestellte Abwickler unabhängig von den anderen Organen der Gesellschaft und folgerichtig wohl - nur dem Amte verantwortlich ist. Aber eine solche Stellung läßt sich für den Abwickler nicht einräumen, selbst wenn man alle dagegen sprechenden Interpretationsgesichtspunkte des § 38 Abs. 1 beiseite läßt. Denn ein Abwickler, der soweit aus den gesellschaftsrechtlichen Funktionszusammenhängen herausgelöst ist, kann überhaupt nicht mehr als Abwickler tätig sein. Er wäre eine Art Staatskommissar mit nahezu einmaligen Befugnissen. Das wird wohl am deutlichsten, wenn man die Stellung des Abwicklers nach Gesellschaftsrecht genauer betrachtet. Die Abwickler einer Aktiengesellschaft z. B. haben grundsätzlich die Rechte und Pflichten des Vorstands, § 268 Abs. 2 AktG. Daraus folgt, daß sie in sehr vielfältiger Weise von den anderen Organen der Gesellschaft abhängig sind. Sie unterstehen der Kontrolle des Aufsichtsrats; sie bedürfen zu manchen Arten von Geschäften seiner Zustimmung; sie werden auch sonst nicht selten über wichtige Fragen der Abwicklung mit dem Aufsichtsrat oder wenigstens seinem Vorsitzenden oder seinem Präsidium beraten, letztlich auch sub specie der scharfen Haftungsbestimmungen des Gesetzes; sie haben bei der Einberufung und der Durchführung jeder Hauptversammlung mitzuwirken und vor allem bei der jährlichen Rechnungslegung. Schon diese Beispiele zeigen, daß das Recht der Liquidations-Aktiengesellschaft ein Torso wäre, würde man die Abwickler aus den gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen lösen. Die Lücken, die dadurch im Gesetz (und in der Satzung) entstehen würden, wären um so weniger zu schließen, als das KWG dafür keine Maßstäbe liefert. Für die anderen Gesellschaften ließen sich übrigens ähnliche Beispiele anführen. Nur ist die Stellung der Abwickler bei ihnen, der sehr viel größeren Satzungsfreiheit entsprechend, von Fall zu Fall sehr verschieden, namentlich die Weisungsbefugnis der Gesellschafter oder eines Beirats oder dgl. gegenüber den Abwicklern. Ob eine derartige Stellung des Abwicklers zweckmäßig wäre, steht hier nicht zur Frage. Nur müßte, wie noch zu ergänzen ist, seine (fehlende) Verantwortung gegenüber den Gesellschaftsorganen durch eine Verantwortung gegenüber dem Bundesaufsichtsamt ersetzt werden. Das Amt käme dadurch in die Rolle eines Oberabwicklers; es hätte sich viel mehr, anders als nach derzeitigem Recht (und derzeitiger Praxis), um die Einzelheiten des Liquidationsfalles zu kümmern.
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b} Auch der Beschluß des BayObLG im Bansa-Fall40 spricht nicht gegen die hier entwickelte Ansicht. Es ging in dem Verfahren um die Frage, ob das Registergericht die Vergütung des nach § 38 Abs. 1 bestellten Abwicklers - auf dessen Antrag - festzusetzen hat oder dieser darauf angewiesen ist, seine Ansprüche gegen die Gesellschaft im Wege des Zivilprozesses zu verfolgen. Das BayObLG entschied sich, der Rechtsprechung einiger Amtsgerichte folgend, für den erstgenannten Weg. In der Bestellung des Abwicklers durch das Registergericht sah es zwar auch einen "Zwangsdienstvertrag" begründet41 • Aber es meinte, daß "es geradezu unzumutbar (sei), den gerichtlich bestellten Abwickler darauf zu verweisen, seine Vergütung - mangels des Bestehens einer Taxe ... - mit denjenigen Vertretern des Kreditinstituts auszuhandeln, denen er gegen ihren Willen vorgesetzt wurde und deren Interessen zuwider er weisungs- und pflichtgemäß handeln muß." Für diese Begründung und auch für das Ergebnis spricht gewiß vieles; aber das ist hier nicht weiter zu verfolgen42 • Für unser Thema verdienen vielmehr nur einige Bemerkungen in der Begründung Aufmerksamkeit. Das Gericht sagt zwar nicht, daß der Abwickler von den Gesellschaftsorganen unabhängig sei. Aber es erwähnt doch an einer Stelle die "Unabhängigkeit des Abwicklers"43; dies könnte zu Mißverständnissen führen, wenn man es nicht in dem gegebenen Zusammenhang versteht. An der Stelle ist zunächst von der Regelung des alten Rechts die Rede'4. Der Senat fährt fort: Durch die Neuregelung sollte die Einrichtung des Abwicklers "keine die Frage der Vergütung berührende inhaltliche Wesensänderung erfahren. Vielmehr sollte im Hinblick auf die Bedeutung und die Tragweite eines solchen Eingriffs der Abwickler von dem unabhängigen Gericht bestellt werden. Dadurch sollte auch die Unabhängigkeit des Abwicklers ... gefördert und diesem Gedanken sichtbarer Ausdruck verliehen werden"45. Hieraus geht hervor, daß der Senat nicht die Unabhängigkeit des Abwicklers im Sinne seiner Herauslösung aus den organisationsrechtlichen Zusammenhängen der WM 1973, 345 ff.; Teilabdruck in BB 1973, 361. So - auch im Ausdruck - Wiedemann (Großkommentar AktG, 3. Auf!. 1973, § 265 Anm. 9) folgend. Besser wäre vielleicht: "hoheitlich begründetes Dienstverhältnis". 4! Eigentlich hätte der Gesetzgeber eine Regelung treffen müssen, zumal nach altem Recht die Aufsichtsbehörde die Vergütung des Abwicklers festsetzen und sogar einziehen und an ihn auskehren konnte; vgI. Art. 1 VO z. Durchführung der Bankenaufsicht v. 21. April 1933 (RGBI. I 228) sowie Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der 1. VO z. Durchführung und Ergänzung des Reichsgesetzes über das Kreditwesen v. 9. Febr. 1935 (RGBI. I 205). VgI. auch § 265 Abs. 4, S. 2 AktG. 43 Bei II 2 des Beschlusses. 44 VgI. des näheren ob. in FN 42. 4a Hervorhebungen hinzugefügt. 40 41
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Gesellschaft im Auge hat, sondern die Unabhängigkeit als soziologisches Phänomen, namentlich sub specie der Vergütung des Abwicklers und seiner (sonst vielleicht erforderlichen) Verhandlungen hierüber mit Vertretern der Gesellschaft, daneben wohl noch die "Unabhängigkeit" gegenüber dem Aufsichtsamt (die er dadurch gefördert sieht, daß die Bestellung des Abwicklers vom KWG 1961 dem "unabhängigen Gericht" übertragen wurde). An andere Probleme, besonders an die gesellschaftsrechtlichen, denkt der Senat weder an dieser Stelle noch sonstwo in dem Beschluß. In einem anderen Punkte drückt das Gericht sich ebenfalls etwas irreführend aus. Unter Berufung auf Consbruch-Möller bemerkt es, daß der Abwickler "der Aufsicht und den allgemeinen Weisungen des BAK" unterstehe48 • Das könnte so gelesen werden, als wäre der Abwickler tatsächlich. eine Art Staatskommissar. Doch auch dieser Satz wäre damit mißverstanden. Er ist insoweit wörtlich dem Kommentar von ConsbruchMöller47 entnommen; er steht dort ebenso ohne weitere Begründung oder Erläuterungen wie hier in dem Beschluß. Zudem spricht der Senat in dem Satz ausdrücklich von jedem "Abwickler eines durch das BAK aufgelösten Bankinstituts", also sowohl von dem gesellschaftsrechtlich wie von dem gemäß § 38 Abs. 1 Satz 5 bestellten48 • Wenn aber beide Arten von Abwicklern der Aufsicht und den allgemeinen Weisungen des BAK unterliegen sollen, dann können damit nur die allgemeinen Rechtsfolgen gemeint sein, die jedes Kreditinstitut (i. L.) treffen. Es ist vor allem nicht gemeint, daß die Abwickler selbst einer unmittelbaren und besonderen Aufsicht und Weisungsbefugnis ausgesetzt sind, sondern nur eben den Befugnissen, die der Aufsicht primär gegenüber jeder Gesellschaft zustehen, die ein Kreditinstitut betreibt, und mittelbar gegenüber jedem Organ einer solchen Gesellschaft, vornehmlich der Geschäftsführung. c) Ein Blick auf die entsprechende Regelung bei der Versicherungsaufsicht bestätigt dies. Nach § 87 VAG, an den, wie oben festgestellt 49 , § 7 KWG 1934 und somit indirekt auch § 38 KWG 1961 sich anlehnt, hat die Untersagung des Geschäftsbetriebes, für sich genommen, keinerlei gesellschaftsrechtliche Folgen, ausgenommen für den VVaG60. Um die Funktionen der Versicherungsaufsicht, die bekanntlich viel umfassender sind als die der Bankenaufsicht, trotzdem sicherzustellen, greift das Gesetz zu Instrumenten, die ebenfalls das Gesellschaftsrecht berühren; es sind
Bei II 1 a des Beschlusses. Der Gedanke kehrt später noch einmal wieder. Consbruch-Möller, § 38 Anm. 3. 48 Auch dies im Anschluß an Consbruch-Möller, § 38 Anm. 3. n Ob. FN 10. 60 Für ihn wirkt .die Untersagung wie ein Auflösungsbeschluß, § 87 Abs. 3 VAG. 41
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dies der Vermögensverwalter nach § 87 Abs. 2 VAG und der Sonderbeauftragte nach §§ 81,89 VAG. Der Vermögensverwalter, der in der Praxis durch den wirksameren Sonderbeauftragten fast verdrängt worden ist, wird von der Aufsichtsbehörde eingesetzt, um das Vermögen des Versicherungsunternehmens einstweilen durch seine Verwaltung zu sichern, § 87 Abs. 2 VAG. Er ersetzt infolgedessen in seinem Aufgabenbereich den Vorstand, auch in dessen Vertretungsmacht, und hat nur von der Aufsicht Weisungen entgegenzunehmen. Er fungiert in der Tat wie ein Kommissar der Aufsicht, aber eben nur mit beschränkter Aufgabe; das Organisationsrecht der Gesellschaft bleibt im übrigen unangetastet. Ein dem Vermögensverwalter nur zum Teil ähnlicher Fremdkörper innerhalb der Gesellschaft ist der Sonderbeauftragte. Er kann schon im Rahmen der laufenden Aufsicht nach § 81 VAG bestellt werden. Das steht zwar nicht expressis verbis im Gesetz, sondern hat erst die DVO vom 21. April 1936 (RGBl. I 376) des näheren geregelt (Art. 3): "Bestellt die Aufsichtsbehörde aufgrund der §§ 81 oder 89 des Gesetzes einen Sonderbeauftragten zur Wahrung der Belange der Versicherten, so kann sie diesem alle Rechte und Befugnisse übertragen, die den Organen der Unternehmung ... nach Gesetz oder Satzung zustehen ..." Soweit die Aufsichtsbehörde ihm jedoch die Rechtsstellung eines Organs der Gesellschaft überläßt, fügt er sich - selbst nach dieser sehr tief eingreifenden Regelung - in das Organisationsrecht der betreffenden Gesellschaft völlig ein: Der Sonderbeauftragte tritt an die Stelle des Organs, hat aber nicht mehr und nicht weniger Rechte als dieses Organ; er untersteht der Aufsicht in dem gleichen Umfange wie das Organ51 • Wenn selbst das VAG aufgrund dieser weitreichenden Bestimmungen das Gesellschaftsrecht respektiert, dann besteht um so mehr Anlaß, vom KWG dasselbe zu erwarten. Das kann danach nur das zutreffende Verständnis des § 38 sein. Denn wenn das KWG wirklich den vom Aufsichtsamt bestellten Abwickler in die Rolle eines Staatskommissars hätte einrücken lassen wollen, dann hätte es dies - zumal angesichts des wesentlich älteren Parallelgesetzes VAG - gewiß deutlich gesagt. 3. Folgerungen Nach alledem dürfte nicht mehr zu bezweifeln sein, daß der auf Antrag des Aufsichtsamtes bestellte Abwickler innerhalb der Gesellschaft die61
Vgl. im einzelnen Prölss-Schmidt-Sasse, Versicherungsaufsichtsgesetz,
7. Auf!. 1974, § 81 Anm. 11; Fromm-Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, 1966, Vorbem. vor §§ 34 - 36 b Anm. UI, beide m. w. Nachw.; bes. auch BVerwG VersR 1963, 177; sowie Sasse, Aufsicht und Aufsichtsverwaltungsakt nach § 81 VAG, in: Festgabe für Prölss, 1957, S. 231 ff., 237.
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selbe Rechtsstellung hat, wie sie ein nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag bestellter Abwickler hätte. Nur hinsichtlich der Bestellung und, wenn wir dem Beschluß des BayObLG folgen, der Vergütung, hat jener Liquidator eine Sonderstellung, sonst nicht. Diese Auslegung ist nicht nur durch Wortlaut, Zweck usw. des Gesetzes geboten; sie entspricht auch einer sachgerechten Grenzziehung zwischen Aufsichtsrecht und Gesellschaftsrecht. § 38 Abs. 1 Satz 5 bleibt in seinen Rechtsvoraussetzungen und Rechtsfolgen durchaus im Gesellschaftsrecht. Schon die "Ordnungsmäßigkeit" der Abwicklung kann immer nur im Verhältnis zum Gesellschaftsrecht beurteilt werden, so daß aufsichtsrechtlich u. U. höchst erwünschte Maßnahmen hiernach möglicherweise nicht zulässig sind. Um aber in die gesellschaftsrechtlichen Mechanismen selbst einzugreifen, steht das Institut der "allgemeinen Weisung" nach § 38 Abs. 1 Satz 4 KWG zur Verfügung. Dieser Weg läßt sich nicht durch die Bestellung von Abwicklern auf Antrag des Amtes ersetzen. Das praktische Problem, wie der Einfluß unzuverlässiger Gesellschafter auf die Liquidation ausgeschaltet werden kann, läßt sich mithin nur mit Hilfe der "allgemeinen Weisungen" lösen. Die Weisungen dienen dazu, den gesellschaftsrechtlichen Handlungsrahmen durch aufsichtsrechtliche Gesichtspunkte zu modifizieren. In den meisten Fällen genügt jedoch die Möglichkeit einer Weisung oder auch die Möglichkeit eines erneuten Vorgehens der Aufsicht nach § 38 Abs. 1 Satz 5: die Gesellschafter halten sich zurück, weil sie eine weitere Aktion des Amtes fürchten. So erweist sich die systemgerechte Lösung auch durchaus als praktisch: das Aufsichtsamt ist grundsätzlich an den gesellschaftsrechtlichen Handlungsrahmen gebunden; für den Notfall hat es weitreichende Befugnisse, die es aber auch als solche aussprechen und begründen muß.
II. Zur Bestellung und Abberufung der AbwickZer 1. Der Begriff der "ordnungsmäßigen Abwicklung"
Das soeben Gesagte bedarf jedoch noch einer Einschränkung. Grundsätzlich ist eine Abwicklung dann nicht ordnungsmäßig, wenn zu beachtende Rechtsnormen, Vertragsvorschriften oder Beschlüsse nicht eingehalten werden. Während die Abwicklung z. B. bei den Personengesellschaften ausschließlich im Interesse der Gesellschafter, nicht jedoch der Gläubiger erfolgt52, ist bei der AG und GmbH sowie - in einem Umfang, der umstritten ist - bei der KGaA die Liquidation auch im Interesse der Gläubiger vorzunehmen, die mangels persönlicher Haftung einiger oder aller Gesellschafter eines solchen Schutzes bedürfen. S!
Vgl. st.a. Hueck, Das Recht der Off. Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971,
R.471.
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Das Bundesaufsichtsamt hat nach § 6 die Aufgabe, Mißständen im Kreditgewerbe entgegenzuwirken. Für das Amt kann daher nur der Teil der Abwicklungsnormen bedeutsam sein, der die Bankkundschaft als Gläubiger schützt. Allein im Hinblick auf diese Normen ist nach § 38 Abs~ 1 Satz 5 die Prognose erforderlich, daß eine ordnungsmäßige Abwicklung nicht erfolgen wird. Angenommen, ein Abwickler beachtet zwar genau die Gläubigerschutzvorschriften, nicht jedoch die gesellschaftsvertraglichen Liquidationsvorschriften, die die Verteilung des Liquidationserlöses auf die Gesellschafter regeln, so liegt sub specie der aufsichtsrechtlichen Interpretation der "Ordnungsmäßigkeit" kein Grund zur Bestellung von Abwicklern auf Antrag des Amtes vor. Praktisch wird man allerdings berücksichtigen dürfen, daß etwa die Unzuverlässigkeit gegenüber den Mitgesellschaftern meist Indiz für die allgemeine Unzuverlässigkeit bei der Abwicklung sein wird. Aber nur in solchem Indiz-Charakter kommt einem zu erwartenden Verstoß gegen andere Liquidationsvorschriften Bedeutung für die aufsichtsrechtlich allein relevanten Gläubigerschutznormen zu. Dies wird vor allem bei der OHG deutlich. Die OHG-Abwicklungsvorschriften, insbesondere die Regel des § 155 Abs. 1 HGB, daß der überschuß "nach Berichtigung der Schulden" zu verteilen ist, sind keine Gläubigerschutzvorschriften; der Gesetzgeber geht davon aus, daß die Gläubiger durch die fortdauernde Haftung der Gesellschafter ausreichend geschützt sind52 • Einigt sich daher der Abwickler mit allen oder gar nur mit einzelnen OHG-Gesellschaftern auf sofortige Teilausschüttung, so liegt in der Durchführung selbst dann nicht ohne weiteres eine "nicht ordnungsmäßige Abwicklung" i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 5 KWG, wenn dieses Verhalten gesellschaftsvertragswidrig ist. Nur wenn das Aufsichtsamt eine allgemeine Weisung erläßt, daß erst nach Rückzahlung aller Einlagen überschüsse verteilt werden dürfen, wird diese Gläubigerbezogenheit mit Sicherheit geschaffen. Erst ein Verstoß gegen diese Weisung oder die Prognose eines solchen Verstoßes erlaubt die Bestellung eines Abwicklers auf Antrag des Amtes. 2. Einige Einzelfragen Die auf Antrag des Bundesaufsichtsamtes bestellten Abwickler sind von denen zu unterscheiden, die kraft Gesellschaftsrechts vom Gericht ernannt worden sind. Während beim letzten Fall die Initiative aus der Gesellschaft heraus kommt, handelt es sich beim Antrag des Aufsichtsamtes um das Einschreiten einer außerhalb der Gesellschaft stehenden Behörde. Während im letzten Fall eine Regelung gegen die privatautonorne Ordnung erfolgt, greift das Gericht im ersten Fall nur helfend ein, weil die privatautonomen Mechanismen im konkreten Fall nicht zu einem vollständigen Ausgleich gelangen. Das bedingt auch eine unterschiedliche sachliche Behandlung.
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a) § 38 Abs. 1 Satz 5 enthält keine Regelung des Verhältnisses zwischen mehreren Abwicklern. Wie oben festgestellt53 , schließt die Bestellung eines Abwicklers auf Antrag des Aufsichtsrats das Recht ein, den oder die ungeeigneten Abwickler abzuberufenM. Eine gesamthänderische Vertretung und Geschäftsführung mit ihnen zusammen würde die Bestellung eines Abwicklers praktisch sinnlos machen. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, daß in der Bestellung zugleich eine Abberufung der anderen ungeeigneten Liquidatoren liegt, es also einer besonderen Abberufung nach § 46 Abs. 1 nicht bedarf. Der Fall, daß nur einzelne Liquidatoren nicht die Gewähr ordnungsgemäßer Abwicklung bieten, bleibt dennoch. Hier gebietet es der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, die Abwicklung durch die anderen Personen durchführen zu lassen, sich also darauf zu beschränken, den ungeeigneten Liquidator nach § 46 Abs. 1 abzuberufen, was möglich ist, da dieser als Geschäftsleiter nach § 1 Abs. 2 gilt. b) Anders als die gesellschaftsrechtlich - und sei es auch vom Gericht - bestellten Abwickler wird der Abwickler nach § 38 Abs. 1 Satz 5 aus wirtschaftspolizeilichen Gründen bestellt55• Eine solche Maßnahme steht nicht nur hinsichtlich der Intensität des Eingriffs unter dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Maßnahme. Das Gesetz selbst trifft keine Regelung, wie solche Abwickler abzuberufen sind. Man wird hier annehmen müssen, daß das Aufsichtsamt verpflichtet ist, einen Abberufungsantrag zu stellen, wenn geeignete privatautonom bestellte Abwicklungsorgane vorhanden sind. Unter den gleichen Voraussetzungen muß einem solchen Antrag solcher Personen stattgegeben werden, die eine Bestellung selbst hätten anfechten können.
D. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Die auf Antrag des Bundesaufsichtsamtes bestellten Abwickler sind an den gleichen Handlungsrahmen gebunden wie die gesellschaftsrechtlich - sei es vom Gericht, sei es aufgrund der Satzung oder von den Organen - bestellten Abwickler. Was diesen nicht gestattet ist, ist auch jenen nicht gestattet.
2. Auch die auf Antrag des Bundesaufsichtsamtes bestellten Abwickler unterliegen daher den Zustimmungs- oder Weisungsrechten der anderen Gesellschaftsorgane, wie sie in der Satzung vorgesehen sind. Ob. CI 1. Vgl. auch Schork, § 38 Anm. 16. 55 Zu dieser Vorschrift vgl. Jens Röh, Die Stellung der Bankenaufsicht in der Wirtschaftsordnung des GG; jur. Diss. Hamburg 1965, S. 174 ff. 51
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3. Der Begriff "keine Gewähr für die ordnungsmäßige Abwicklung" in § 38 Abs. 1 Satz 5 verweist für die Frage der "Ordnungsmäßigkeit" auf das Recht der betreffenden Gesellschaft. Der aufsichtsrechtlichen Funktion der Norm entsprechend ist er jedoch restriktiv zu interpretieren: Nur wenn gegen für den (Bank-)Gläubigerschutz relevante Bestimmungen verstoßen werden wird, ist diese Voraussetzung gegeben. Die Gefahr eines Verstoßes gegen andere gesetzliche oder vertragliche Regeln kann nur als Indiz für die Unzuverlässigkeit auch in der anderen Hinsicht verwandt werden. 4. Besteht bei Vorhandensein mehrerer Abwickler nur hinsichtlich einzelner von ihnen die Gefahr, daß sie die Abwicklung nicht ordnungsgemäß durchführen werden, so kann das Registergericht keinen Abwickler nach § 38 Abs. 1 Satz 5 bestellen. Vielmehr ist das Aufsichtsamt darauf angewiesen, dem unzuverlässigen Abwickler seine Tätigkeit nach § 46 Abs.1 zu untersagen. 5. In der Bestellung eines Abwicklers nach § 38 Abs. 1 Satz 5 liegt zugleich die Abberufung jedenfalls des einzigen bisherigen Abwicklers. 6. Soll der Handlungsrahmen für Abwickler - gleich welcher Art (vgl. oben bei 1) verändert werden, so bedarf es dazu einer "allgemeinen Weisung" gemäß § 38 Abs. 1 Satz 4. Das Aufsichtsamt ist dabei nicht an die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages und des Gesellschaftsrechts gebunden. Derartige Weisungen sind jedoch nur rechtmäßig, wenn sie a) der Zielsetzung des § 6 dienen sollen, b) erforderlich und verhältnismäßig sind. 7. Durch eine Weisung kann der Abwickler auch von dem Einfluß bestimmter Gesellschaftsorgane freigestellt werden. Die völlige Freistellung vom Einfluß eines anderen Gesellschaftsorgans gerät aber leicht in Gefahr, unverhältnismäßig zu sein, da sie sich vorbeugend gegen Maßnahmen wendet, deren Art und damit auch Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Weisungserteilung häufig nicht übersehen werden kann.
Kommanditgesellschaft auf Aktien und Mitbestimmung Von Ernst Steindorff I. Die Absicht, zur Ehrung Kurt Ballerstedts beizutragen, mag in besonderer Weise rechtfertigen, daß hier Überlegungen zur Mitbestimmung in einer Kapitalgesellschaft, und zwar speziell der Kommanditgesellschaft auf Aktien lausgebreitet werden. Zwei Reihen von Untersuchungen seien hierzu aufgegriffen. Auf der einen Seite hat namentlich Martens 1 Mitbestimmungsprobleme der KGaA untersucht; er hat sich aber nicht mit den unterschiedlichen Real-Typen der KGaA befaßt, wie dies für die Bildung eines rechtlichen Urteils notwendig wäre!. Andererseits sind der KGaA in jüngster Zeit gesellschaftsrechtliche Arbeiten gewidmet worden, die erneut deren Real-Typen nachgehen, und zwar unter Konzentration auf die Frage nach der Zulassung von Gesellschaften als Komplementäre einer KGaAs; diese Arbeiten aber vernachlässigen die Mitbestimmung oder spielen sie herab 4 • In der folgenden Abhandlung wird nach dem 1 ZHR 138 (1974), 179, 212 ff. Aus dem älteren Schrifttum namentlich Joens, Die persönlich haftenden Gesellschafter der Kommanditgesellschaft auf Aktien (Diss. Hamburg 1962), 64 ff.; Elschenbroich, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (1959), 149 ff.; Schreiber, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (1925), 190. ! Die Rechtsordnung hat Probleme zu lösen, die sich in der Gesellschaft stellen. (So u. a. schon Coing, JZ 1951, 481.) So wie derjenige, der einen Vertrag gestalten soll, zunächst die tatsächliche Lage analysieren muß, dürfen der Gutachter und der Rechtswissenschaftler erst mit der Entwicklung rechtlicher Folgerungen beginnen, wenn sie das zu bewältigende ökonomische oder sonst gesellschaftliche Problem erfaßt haben, wozu selbstverständlich die durch die Rechtsprechung vermittelten Tatsachenerkenntnisse nicht ausreichen. 3 Hervorhebung verdient die das bisherige Schrifttum sorgfältig referierende Arbeit von Niederlag, Juristische Person als persönlich haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (Diss. Münster 1973). • Die FN 3 zitierte Arbeit Niederlag verwendet keinen Blick auf die Mitbestimmungsprobleme und bleibt damit einen wesentlichen Prüfungsgang schuldig. Man ist überrascht, daß dies bei einer sonst so gründlichen Arbeit im Jahre 1973 noch möglich ist. Zur Herunterspielung mitbestimmungsrechtlicher Gesichtspunkte neigt Mertens, in: Festschrift Barz (1974), 253 ff. Zur Ausschließung mitbestimmungsrechtlicher Erwägungen aus gesellschaftsrechtlicher Institutionalisierung etwa Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen (1970), 80 f. Aber selbst wer Gesellschaftsrecht und gesell-
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Verhältnis gefragt, in welchem gegenwärtig geltende und geplante Mitbestimmungs regelungen zur gesellschaftsrechtlichen Problematik der verschiedenen Real-Typen stehen. Insbesondere geht es darum, ob die Rechtsformabhängigkeit der Mitbestimmung eine Kehrseite hat, nämlich ob es Grenzen für die Auswahl von Rechtsformen und für deren Einzelausgestaltung durch Satzungen gibt5 • Wenn Mitbestimmung ein Teil des Unternehmensrechts ist, dann mag sie die Freiheit·in der Wahl und Ausgestaltung der Rechtsform ebenso beeinträchtigen, wie dies andere unternehmensrechtliche Bestimmungen - wenn ·auch aus anderen Gründen-bereits tun'. schaftsrechtliche Institutionen gegenüber dem "von außen" einwirkenden Mitbestimmungsrecht rein erhalten wollte, könnte doch nicht an den vielfältigen Einwirkungen mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften auf Gesellschaftsrecht vorübergehen. (Zu letzteren etwa Mestmäcker, in: Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Protokoll Nr. 62 des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, 84 ff.). Es müßten also die "gesellschaftsrechtlichen" Erwägungen und Institutionalisierungen "mitbestimmungsgetränkt" sein. Denn wem würde eine "reine Lehre" nützen? Dazu auch unten FN 5. . 5 Es gibt nicht nur die beiden Alternativen: hier völlige Rechtsformabhängigkeit der Mitbestimmung mit der Folge, daß auch jede satzungsmäßige Gestaltung einer Gesellschaft im gesellschaftsrechtlichen Rahmen Auswirkungen auf das Maß der Mitbestimmung hat; dort ein vom Gesellschaftsrecht unabhängiges (noch kaum existierendes) Unternehmensrecht, das den gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer mitbestimmungsrechtlichen Auswirkung selbstverständlich die Flügel lähmen würde. Vielmehr stellt sich beim gegenwärtigen Nebeneinander und teilweisen Verbindungen von Gesellschaftsrecht und Mitbestimmungsrecht auch die Frage, inwieweit gesellschaftsrechtliche Regelungen und Freiheiten durch Mitbestimmungsanforderungen in Einzelheiten geprägt, inwieweit Freiheiten beschnitten, Geheimhaltungspfiichten modifiziert usw. werden. Dabei kann hier vernachlässigt werden, inwieweit es für Begreifen und Bewältigen dieser Frage förderlich wäre, wenn man die Antwort als unternehmensrechtlich qualifiziert und insoweit von unternehmensrechtlich fungierenden und interpretierten Normen des Gesellschaftsrechts spricht (wie ja auch gewisse Normen des Zivil- oder Verwaltungsrechts wirtschaftsrechtlich fungieren). Zu dem Problemkreis vor allem Ballerstedt, ZHR 135 (1971), 479, 483 ff. mit weiteren Angaben, und aus seinen früheren Arbeiten namentlich sein Aufsatz in JZ 1951, 486 und sein Bericht in den Untersuchungen zur Reform des Unternehmensrechts (Teil I, 1955), 13 ff. Im übrigen vor allem die unten FN 38 zitierte Arbeit von Nell-Breunings sowie die bei Ballerstedt zitierten Arbeiten. Daß die Gesetzgebung den Zusammenhängen bisher nicht gerecht geworden ist, hat zuletzt Biedenkopf in Festschrift Raiser (1974), 339, 347 f. gezeigt. Um so mehr ist der wissenschaftliche Versuch zur Vorbereitung einer Antwort nötig. - Zur verfassungsrechtlichen Frage gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsfreiheit namentlich Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht (1972), 23 ff., aber ohne Eingehen auf die hier erörterten speziellen Fragen. , z. B. § 7 VAG. Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, daß im Verhältnis zu Art. 12 GG die durch § 7 VAG begründeten nicht anders zu bewerten sind als die Beschränkungen, die durch Mitbestimmung für die gesellschaftsrechtliche Organisation der "Berufsausübung" bewirkt werden. Mögen die Beschränkungen auch unterschiedliche Funktionen haben, so sind sie doch beide auf Gemeinwohlinteressen ausgerichtet. (So für Mitbestimmung nachdrücklich Ballerstedt, wie FN 4, 492 f.) Die Funktionen von Eingriffen des Gesetzgebers in Gesellschaften mag man ebenso unterscheiden wie die Funktionen,
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Die Rechtsformabhängigkeit der geltenden und der geplanten Mitbestimmungsregelung ist ebenso außer Streit wie die Tatsache, daß die bisherige gesetzliche Regelung und der Regierungsentwurf1 am Organisationsmodell der AG ausgerichtet sind. Man konnte hören, daß die abgeschwächten Auswirkungen der Mitbestimmung in Gesellschaften, in denen kraft Rechtsform der Aufsichtsrat gel"ingere Einflußmöglichkeiten hat, zu den stiUschweigend akzeptierten Geschäftsgrundlagen des Koalitionskompromisses über eine qualifizierte Mitbestimmung gehöre. Auch wenn man diese Prämissen akzeptiert, so bleibt die Frage, ob mit der gesellschaftsrechtlichen Zulassung von Variationen bei der satzungsmäßigen Ausgestaltung von Gesellschaften und hier insbesondere der KGaA der Spielraum für unterschiedlich intensive Mitbestimmung noch erweitert werden wird oder werden soll.
11. Drei Haupttypen der KGaA gilt es ins Auge zu fassen. Sie unterscheiden sich nach der Stellung der Komplementäre. 1. Am Ausgangspunkt der gesellschaftsrechtlichen Entwicklung stand der Unternehmer-Komplementär, dem Kommanditaktionäre - heute unter Aktienrechtsregeln - Kapital zur Verfügung stellen8 •
2. Schon seit längerer Zeit wird von abhängigen Komplementären berichtet, dieaufgrund der Satzung Weisungen der Aktionäre oder eines von ,diesen bestellten Organs unterworfen sind und die - wiederum von den Aktionären oder einem von diesen bestellten Organ - berufen und entlassen werden können, letzteres mitunter ohne wichtigen Grund9 • Vermutlich werden diese abhängigen Komplementäre durch schuldrechtliche Zusagen abgesichert, in denen die Aktionäre oder ein Großaktionär sie von Haftung gegenüber den Gläubigern freistellen 1o • Mit an die ein Eingriff anknüpft: Mestmäcker, Protokoll (wie FN 4), 33 (5. auch seinen Beitrag in Festschrift H. Westermann [1974], 411). Daraus folgt aber nicht die Angemessenheit unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Wertung; hierfür müßte zunächst gezeigt werden, daß unterschiedliche Maßstäbe am Platze sind. 1 BT-Drucks. 7/2172 (im folgenden zitiert als RegE). 8 Anschütz-von Völderndorff, Kommentar zum ADHGB, Bd. 2, 1870, 395 ff. Im übrigen aus dem älteren Schrifttum zur Entstehungsgeschichte namentlich Hergenhahn, in ZHR 42 (1894), 69 ff.; von Hahn, Commentar zum ADHGB, I, 3. Aufl. 1879, 590, 592. • So schon 1872 Anschütz-von Völderndorff (FN 8), 396 f.; Düringer-Hachenburg, HGB, 3. Bd., 3. Teil (1935), 16; RFH RStBl. 1936, 231. Dazu neuerdings für die Vergütung Menzel, StW 1971, 204 und DStR 1972, 562. 10 Auf die Bedeutung etwaiger Freistellungszusagen, die, wenn nicht gesellschaftsrechtlich, so doch schuldrechtlich möglich sind, kann hier nicht eingegangen werden. Da der Komplementär mit seinem ganzen Vermögen haftet 9 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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diesem Typ der KGaA la'5Sen sich Ziele verwirklichen, für welche die Rechtsform der AG geschaffen wurde, während gleichzeitig zwingenden Bestimmungen des Aktienrechts, namentlich zur Berufung und Entlassung von Vorstandsmitgliedern, ausgewichen wird. 3. In den letzten Jahren ist erneut die Komplementärgesellschaft ins Gespräch oder ins Gerede gekommen, nachdem das OLG Hamburg entschieden hat, eilIle GmbH & Co. könne als Komplementär fungierenl l • Die in einer gründlichen Dissertation von Niederlag12 referierte Auseinandersetzung um diese Frage hat einen wichtigen Verwendungszweck der Komplementärgesellschaft nicht ins Auge gefaßt, der mitbestimmungsrechtlich, aber auch gesellschaftsrechtlich von Bedeutung ist: In einer Komplementärgesellschaft ist eine Minderheit von Gesellschaftern in der Lage, mindestens bei der Auswahl der Geschäftsführer oder bei der ihr überlassenen Berufung von Komplementären, Herrschaft unabhängig von den Aktionären und unbehelligt von Mitbestimmung auszuüben. Der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Diskussion zur Komplementärgesellschaft vermag Verfasser dieses Beitrags auf den Ebenen, auf welchen diese Diskussion geführt wurde, nichts hinzuzufügen. Doch hält er ,die Frage für berechtigt und wichtig, ob die Ausübung von Mindel"heitsherrschaft, wie sie die Komplementärgesellschaft ermöglicht und wie sie nach dem 1. Weltkrieg schon einmal als Mittel zum Schutz gegen Überfremdung empfohlen wurde l8 , gesellschafts- und mitbestimmungsrechtlich zu rechtfertigen ist.
In. 1. Die Grenzen der Wirksamkeit der Mitbestimmung, wie sie sich bei der dem gesetzlichen Normalbild entsprechenden KGaA mit Unternehmerkomplementär ergeben, müssen hingenommen werden, solange die Prämisse gilt, daß persönliche Haftung des Unternehmers mit Mitbestimmung unvereinbar seil". Von dieser Prämisse 'Soll auch im folgenden ausgegangen werden, denn sie entspricht dem Regierungsentwurf und dürfte einstweilen die weitere Diskussion bestimmen. und der Freistellungsanspruch zu seinem Vermögen zählt, kann sich zum Vorteil der Gläubiger ergeben, daß im Ergebnis keine Freistellung, sondern eine Vermehrung der Haftungssubjekte und -objekte eintritt. 11 u. a. in NJW 1969, 1030. 12 FN3. 13 Schreiber (FN 1), 2. 14 Mitbestimmung in Unternehmen, Bericht der Sachverständigenkommission ... , BT-Drucks. VI/334, 116; zuletzt Buchner, ZfA 5 (1974), 147, 171, der aus Sorge vor künftiger Erstreckung der Mitbestimmung auf Personalgesellschaften und Einzelunternehmen meint, von deren Einbeziehung werde gegenwärtig "bezeichnenderweise allein im Hinblick auf die persönliche Haftung der Inhaber abgesehen".
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2. Nur andeutungsweise sei auf schwache Punkte dieser Prämisse hingewiesen. Sie offenbaren sich auch für denjenigen, der den weitreichenden Forderungen Däublers 15 nicht folgt. a) Mitbestimmungsinteressen der Arbeitnehmer sind von der Rechtsform eines Unternehmens weitgehend unabhängig. Dasselbe gilt von den Allgemeininteressen, denen Mitbestimmung - mindestens auch - dienen soIP'. Auf ,die Behauptung, daß persönliche Haftung eine besonders gute Geschäftsführungsleistung bewirke und damit Kontrollen, wie sie die Mitbestimmung ermögliche17, entbehrlich mache, sollte in künftiger Diskussion angesichts ihrer Unerweisbarkeit große Aufmerksamkeit nicht weiter verwendet werden. Man mag umgekehrt fragen, ob nicht die Furcht vor Haftung aus Sorgfaltspflichtverletzungen und vor der Komplementärhaftung, wie sie sich aus §§ 278 Abs. 1 AktG sowie 161 Abs. 2, 128 HGB ergibt, den Komplementär eher von notwendigen unternehmerischen Entschlüssen zurückhält18• Geht man aber davon aus, daß Haftung eine Unternehmerpersönlichkeit positiv motivieren könne, so ist dies vor allem anzunehmen, wo sie an vermeidbar fehlerhaftes Verhalten anknüpft, also gegenüber einem solchen Verhalten präventiv wirkt. Solche Wirkung kommt besonders gegenüber schuldhaften Pflichtverletzungen in Betracht. Insoweit haften der Vorstand einer AG und der Komplementär einer KGaA in vergleichbarer Weise t9 • Dies hat niemanden auf die Idee gebracht, für die AG auf Mitbestimmung zu verzichten; für die KGaA kann insoweit nichts anderes gelten. Die den Komplementär darüber hinaus belastende Haftung aus § 278 Abs. 1 AktG, §§ 161 und 128 HGB ist von einer Verletzung von Sorgfaltspflichten unabhängig. Deshalb ist es fragwürdig, von ihr weitergehende präventive Wirkun15 Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung (1973). Zur verfassungsrechtlichen Kritik seiner Auffassung u. a. Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz (1974). 18 Ballerstedt, wie FN 5. 17 Mit der Ansiedlung im Aufsichtsrat ist Mitbestimmung geradezu (auch) auf Kontrolle ausgerichtet. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden. 18 Hier können die Probleme der Haftung nicht erörtert werden, die einerseits an Pflichtverletzungen anschließt und andererseits wie jeden Einzelkaufmann den Komplementär (in der KGaA gemäß § 278 Abs. 1 AktG) trifft. Immerhin sei aus dem Bereich der an Sorgfaltspflichtverletzungen anschließenden Haftung darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber hier Haftungserleichterungen als Voraussetzung für ein auch der Allgemeinheit dienliches Wirken ansieht: so in § 839 für Beamte, außerdem für den Vorstand der AG dadurch, daß ihm im Rahmen eigenverantwortlicher Leitung gemäß § 76 AktG Ermessensbefugnisse zuerkannt werden, was im Ergebnis zu einer Einschränkung der Haftungsgefahren führt: Schilling in Großkomm. AktG, § 93 Anm. 10 (1973). - Dies sollte selbstverständlich keiner Haftungsverschärfung im Wege stehen, wo Verstöße gegen Rechtsvorschriften zu sanktionieren sind; hierzu zuletzt Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 527 ff. - Zur französischen Regelung siehe die Studie von Wiedemann in Festschrift für Barz (1974), 561 ff. 1D Siehe § 283 Nr. 3 AktG.
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gen zu erwarten, die eine Mitbestimmung entbehrlich machen könnten2o • Die Fragwürdigkeit wird dadurch verstärkt, daß die persönliche Haftung aus § 128 HGB älmlich wie die Haftung aus §§ 93, 283 AktG häufig nur auf dem Papier steht. Darauf ist im folgenden einzugehen. b) Natürlich läßt sich fragen, ob derjenige, der sein Vermögen für schuldrunabhängtge persönliche Haftung riskiert, Herr seiner Entschlüsse bleiben müsse: Nur nebenbei sei erwähnt, daß die Unabhängigkeit unternehmerischer Entsche1dung Dritten gegenüber vielfach keineswegs gaoontiert ist und daß-hieran niem8llld Anstoß nimmt. Die Schutzwürdigkeit des Haftenden ist also offensichtlich begrenzt. Vor allem kann die persönliche Haftung -gemäß § 110 HGB regelmäßig auf die KGaA abgewälzt werden, solange diese nicht in Konkurs fällt. Manche Gesellschafter werden außerdem aus Sorge vor Haftung ihr dem Zugriff der Gläubiger rechtlich und faktisch zugängliches Privatvermögen klein halten. Ein Schutz durch Verzicht auf Mit1bestimmung ist hier kaum notwendig. (Dies schließt nicht aus, daß die Dinge beim Einzelkaufmann anders liegen mögen.) c) Daß die Ideologie des Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung keine rechtlichen Folgerungen trägt, läßt sich kaum besser ,als durch Hinweis auf Flumes Au'Sführungen zu dieser Frage2 1 dartun. Daß diese Ideologie im -geltenden Recht keinen Platz hat, zeigt sich an der Zulassung der Einmann-GmbH und der GmbH & Co. ebenso wie an Erwägungen über die Einführung eines Einzelkaufmanns mit beschränkter Haftung22 • Jedenfalls ergibt sich aus den erörterten Gesichtpunkten nichts gegen eine Mitbestimmung. 3. Mitbestimmung, wie sie - letztlich auf der Basis der oben erörterten Prämissen - für die KGaA nur begrenzt im Aufsichtsrat im Rahmen seiner Befugnisse zum Tragen kommen kann23 , ließe sich auf zwei Wegen 20 Anders neuerdings Pflug, NJW 1971, 345, 349. Er gibt für seine tatsächliche Annahme (im Text zu seiner FN 68) außer einem Zitat aber keine Belege. Zu dieser Problematik zuletzt etwa Niederlag (FN 3), 105 f. mit weiteren Angaben, wo allerdings schwerpunktmäßig darauf abgehoben wird, daß die Haftung aus § 128 HGB andere Zwedte habe, daß sie also nicht präventiv der Steuerung diene. Nicht völlig durchsichtig in diesem Zusammenhang H. P. Westermann, in: Festschrift H. Westermann (1974), 575 f. 21 In Festschrift Raiser (1974), 27, 46 f. Im übrigen vor allem BGHZ 45, 204 und hierzu zuletzt H. P. Westermann, Die GmbH & Co im Lichte der Wirtschaftsverfassung (1973). Umgekehrt in neuerer Zeit. im Hinblick auf Wettbewerb und vor allem rechtsethisdle Grunde Immenga, Die personalistisdle Kapitalgesellsdlaft (1970),114,117 ff. 22 Referentenentwurf eines Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (1969), 139: "Es mag mandles dafür spredlen, daß es einer Einzelperson ermöglidlt werden sollte, eine unternehmerische Betätigung unter Beschränkung ihrer Haftung auf einen Teil ihres Vermögens aufzunehmen." ta Einzelheiten bei Martens (FN 1).
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weiter verkürzen, wenn die Satzung vom gesetzlichen Normaltyp der KGaA abweicht, Die Abweichungsmöglichkeiten beruhen namentlich auf § 278 Abs. 2 AktG, der mit dem Verweis auf das Recht der PersonengeseIlschaft eine gewisse Vertragsfreiheit und damit Gestaltungsfreiheit für die Satzung verschafft. Dabei muß hier die Frage offen gelassen werden, ob gerade diese Freiheit entgegen manchen Annahmen dazu beiträgt, daß die Rechtsform der KGaA selten anzutreffen ist: Das der Dispo. . sition entzogene Kornett der AG bewahrt vor besonders komplizierten und in ihrem Erfolg unvorhersehbaren Satzungsregelungen; es macht die UnternehmensoI"ganisation durchsichtiger; es mag hiermit zu erweiterter Kreditfähigkeit beitragen. a) Im Hinblick auf § 278 Abs. 2 AktG wird allgemein angenommen, daß die Befugnisse der Komplementäre im Verhältnis zu den Kommanditaktionären durch die Satzung nicht nur geschmälert, sondern auch erweitert werden dürften24 • ließe sich damit der Wirkungsrahmen auch des Aufsichtsrats einschränken, so träfe dies zugleich die Mitbestimmung. Solche Einschränkung ist indessen weitgehend unzulässig. Zunächst ist der Aufsichtsrat in der KGaA Organ nicht nur der Aktionäre, sondern auch der Gesamtgesellschaft26 • Soweit er als Organ der Gesamtgesellschaft tätig wiro, kann § 278 Abs. 2 für das Ausmaß seiner Befugnisse keine Gestaltungsfreiheit begründen. Im übrigen ist ·die KGaA dem Recht der Aktiengesellschaft unterstellt woroen, damit (auch) die Aktionäre in den Genuß des Schutzes kommen, welchen aktienrechtliche Bestimmungen vermitteln28• Dem verleiht u. a. § 283 Ausdruck, der die Pflichten der Komplementäre zwingend regelt. Aufgrund der in der Entstehungsgeschichte dokumentierten Zweckrichtung der auf die KGaA anwendbaren aktienrechtlichen Normen muß, entsprechend § 283 AktG, angenommen werden, daß die den Aktionären gegebenen Rechte durch Satzung nicht verkürzt werden dürfen. Hieraus folgt, daß auch in dem Bereich, in welchem der Aufsichtsrat für die Aktionäre tätig wird, keine Minderung von Befugnissen und damit auch von Mitbestimmungsbefugnissen durch Satzung rechtswirksam bewirkt werden kann. Statt aller: Barz in Großkomm. AktG Vorb. vor § 27~ (1973). Barz (FN 24), Anm. 4 und 5 zu § 287; schon früher von Hahn (FN 8), 630: Aufsichtsrat auch im öffentlichen Interesse; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht (2. Auf!. 1966), § 49 II; Reinhardt, Gesellschaftsrecht (1973), Nr. 596. 28 In der Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs (Amtl. Ausgabe, 1896) heißt es im Vierten Abschnitt zum "Verhältnis zur Aktiengesellschaft (§ 311)", daß eine Vereinfachung der Normen des HGB über die KGaA wünschenswert sei. Das Schutzbedürfnis soll durch Maßgeblichkeit des Aktienrechts befriedigt werden: "Es erscheint indessen vollkommen gerechtfertigt, beide Gesellschaften in allen diesen Beziehungen den gleichen Regeln zu unterstellen; denn das Vorhandensein eines persönlich haftenden Gesellschafters 24
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b) über die KGaA hinaus führt die Frage, inwieweit Befugnisse auf Organe übertragen werden dürfen, welche das Aktiengesetz nicht vorsieht. Zur Beantwortung genügt die bei Baumbach-Hueck27 ,getroffene Feststellung, daß "kein solches Organ dem Vorstand, dem Aufsichtsrat oder ,der Hauptversammlung etwas von ihren gesetzlich vorgesehenen Rechten und Pflichten abnehmen kann". Allenfalls mag man mit dem Schrifttum28 erwägen, daß die in § 287 Abs. 1 AktG dem Aufsichtsrat übertragene Aufgabe, wie dies der Wortlaut der Norm nahelegt, auf andere Or,gane übertragen werden darf. Hier geht es ja nur um Ausführung der von den Kommanditaktionären .gefaBten Beschlüsse, also um keine Entscheidungsbefugnisse eines mitbestimmten Aufsichtsrats. J edenfalls darf die Kontroll- und die begrenzte Mitbestimmungskompetenz des Aufsichtsrats nicht auf andere Organe übertragen und auch nicht mit anderen Organen in der KGaA geteilt werden.
IV. 1. Komplizierter wird die Lage, wo angestellte, vorstandsähnliche Komplementäre tätig sind. Gesellschaftsrechtlich ihat man solche Gestaltungen bisher unwidersprochen hingenommen29 • Sieht eine Satzung vor, daß geschäftsführende Gesellschafter jederzeit neu "bestellt" und auch ohne wichtigen Grund "abberufen" werden können, so muß allerdings gefragt werden, ob 'die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Bestellung eines Vorstands, namentlich § 84, wenigstens entsprechend anzuwenden sind. Wenn schon der Schutz der Aktionäre durch aktienrechtliche Normen vermittelt werden soll, wie dies oben ,gezeigt wurde, dann liegt es nahe, deren Anwendbarkeit nur dort zu verneinen, wo ein oder mehrere Unternehmer-Komplementäre im Sinne des gesetzlichen Normaltypus der KGaA vorhanden sind, denen ein Aktionär mit der Beteiligung an der KGaA sein Vertrauen schenkt. Dieses Vertrauen wird als blindes Ver-
kann für sich allein keinen ausreichenden Ersatz für die bei der Aktiengesellschaft als notwendig erachteten Sicherungsvorschriften bieten." Dies ist zugleich ein Hinweis darauf, daß man die Bedeutung der persönlichen Haftung für die Sicherung guter Geschäftsführung nicht allzu hoch eingeschätzt hat. Damit werden die Ausführungen im Text zu FN 17 oben ergänzt. !7 Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl., Überblick 8 vor § 76. So schon Schreiber (FN 1), 190 im Hinblick auf damalige Mitbestimmung. 28 Baumbach-Hueck (FN 27), 2 zu § 288. 2D Sie beruhen auf Satzungsbestimmungen über Aufnahme und Entlassung von Komplementären. Aus der Denkschrift (wie FN 26) ergibt sich, daß die Pflicht der Komplementäre zur Erbringung von Einlagen den Sinn hatte, die Einsetzung von vermögenslosen Personen als Komplementäre zu verhindern, die "wie die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, von dem Aufsichtsrath und der Generalversammlung abhängig sind". Aber dies wurde 1900 gerade aufgegeben. Zum früheren Zustand auch Puchelt-Förtsch, Kommentar zum ADHGB, I, 4. Aufl. (1893), 377.
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trauen hinreichend strapaziert, wo für den Fall des Todes eines Komplementärs in unvorsichtiger Weise in der Satzung Vorsonge getroffen wird. Aber es besteht kein Anlaß30, aus dieser Unzulänglichkeit der KGaA Folgerungen dahingehend zu ziehen, daß daruber hinaus Aktionären ein blindes Vertrauen zumutbar sei. Wenn deshalb -die Satzungen weitergehende Möglichkeiten des Komplementär-Wechsels, insbesondere "Abberufung" ohne wichtigen Grund und "Neubestellung", vorsehen, dann ist für diesen Fall die Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Schutzbestimmungen und namentlich des § 84 AktG zu erwägen. Soweit sich sehen läßt, sind gesellschaftsrechtliche Erwägungen dieser Art im Schrifttum kaum angestellt worden. Der Frage läßt sich jedoch keinesfalls entgehen, wenn mitbestimmungsrechtliche Gesichtspunkte in die Erwägungen einbezogen werden. 2. Im Hinblick auf Mitbestimmung muß die Verwendung abhängiger Komplementäre vor allem dann, wenn deren Abberufung und Bestellung einem anderen Or,ganals dem Aufsichtsr,atüberantwortet wird, Bedenken erwecken: Hier bietet sich unter Umständen ein Instrument an, mit dessen Hilfe die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Bestellung des Geschäftsführungsorgans umgangen werden könnte. Die Frage, ob solche Umgehungsmöglichkeit eröffuet werden darf, läßt sich nicht mit der Berufung auf -allgemeine Prinzipien, etwa auf Institutionenmißbrauchs1 oder Umgehung von Unternehmensrecht32 , 'beantworten. Solche Antwort liefe auf eine petitio principü hinaus. a) Für die Zulässigkeit abhängiger Komplementäre läßt sich geltend machen, daß Rechtsformabhängigkeit eine Aibhängigkeit der Mitbestimmung auch von denjenigen Gesellschaftsformen bedeute, die satzungsmäßig zu schaffen das Gesellschaftsrecht erlaubt. Allerdings wird sich im folgenden erweisen, daß dies mindestens hinsichtlich der Verwendung von Komplementärgesellschaften nicht gilt. Man mag zusätzlich darauf verweisen, daß für Zwecke der Haftung und der Steuer und hier mit Wirkung auch gegenüber Dritten gesellschaftsautonome Gestaltungen von Lehre und Rechtsprechung hingenommen werden. Die Tatsache, daß der Regierungsentwurf einem Koalitionskompromiß entspringt und-wie die oben angedeutete Geschäftsgrundlage zeigt - auf Unvollständigkeit der Mitbestimmung hin angelegt ist, könnte als letztes, nicht unwichtigstes Glied der Argumentenkette fungieren. Würde die gegenwärtig nicht erhebliche Zahl der KGaA sich nicht nennenswert erhöhen und würde sich herausstellen, daß AktiengesellSo aber Möhring I Tank, Handbuch der Aktiengesellschaft I, 625. Statt vieler H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften (1970), passim und besonders S. 53 und 381 (mit weiterführender Begründung). SI Rittner, Die werdende juristische Person (1973), 308. 30
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schaften die Umwandlung in die Form einer KGaA aus mancherlei, auch tatsächlichen Gründen nicht vollziehen können, so mag es mit der vorstehenden Argumentation sein Bewenden haben: Dann würde die Besorgnis einer Umgehung der für Aktiengesellschaften vorgesehenen Mitbestimmung unbegründet sein. Dann ließe sich ein Verlust an Mitbestimmung bis zur Schaffung eines neuen Unternehmensrechts ertragen. Man könnte insoweit zugunsten bestehender Kommanditgesellschaften auf Aktien auch den Bestandsschutzanführen, den BVerfGE 21, 173 (182) für 'die Berufsfreiheit verheißt. Mindestens dann, wenn sich Neugründungen von KGaA oder Umwandlungen in diese Rechtsform ereignen sollten, müßte aber eine andere Betrachtungsweise Platz greifen. Dann müßten die Prämissen an ausschlaggebender Bedeutung gewinnen, von welchen die Mitbestimmungsgesetzgebung ausgeht. Wwd von solcher Geset7Jgebung der persönliche Unternehmer wegen seiner persönlichen Haftung weitgehend freigestellt, dann ist es berechtigt, der KGaA um des Unternehmer- Komplementärs Willen eine Mitbestimmung schwächerer Wirkung zuzugestehen. Solches "Privileg" wäre aber nicht mehr verdient, wo tatsächlich abhängige Komplementäre tätig sind, deren Stellung der eines Vorstandsmitglieds mehr ähnlich ist als der eines selbständigen Unternehmers. Wo z. B. eine "Entlassung" aus der Komplementärstellung jederzeit auch ohne wichtigen Grund erfolgen kann, muß (wie oben ausgeführt wurde) die Existenz mindestens schuldrechtlicher Abreden vermutet werden, die eine Freistellung des Komplementärs von der Haftung nach § 278 AktG bewirken. Hier spricht eine Vermutung für vorstandsähnliche Rechte und Pflichten. In solchen Situationen muß deshalb § 84 AktG zur Anwendung kommen, und zwar mit der mitbestimmungsrechtlichen Folge, daß die Entscheidung über die Aufnahme und die Entlassung von Komplementären dem Aufsichtsrat obliegt.
V. 1. Die Zulässigkeit von Komplementär-Gesellschaften soll insoweit undiskutiert bleiben, als sie, besonders im Hinblick auf § 7,6 Abs. 3 AktG, in den letzten Jahren zu zahlreichen Auseinandersetzungen Anlaß 'gegeben hat38• Hierzu genüge der Hinweis, daß die Streitfrage alt ist;3', und die ergänzende Anfügung zweier Überlegungen:
a) Die Argumente, ,die zur Zulassung juristischer Personen als Komplementär einer KG in der Rechtsprechung den entscheidenden Anstoß Dazu Niederlag (FN 3). Literaturzusammenstellung u. a. bei Koenig, Die Stellung der Komplementäre zur Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft auf Aktien (Diss. Leipzig 1912), 12; von Malachowski, Die Stellung der persönlich haftenden Gesellschafter der Kommanditgesellschaft auf Aktien (Diss. Leipzig 1910), 7. 33
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gaben, treffen für die KGaA nicht zu: Es gingS5 um die steuerlichen Interessen an der GmbH & Co. und um die dort häufig anzutreffende Identität der Kommanditisten mit den Gesellschaftern der Komplementärgesellschaft. b) Wer sich der auS der Entstehungsgeschichte ableitbaren ratio der aktienrechtlichen Regeln im Bereiche der KGaA be.....-ußt wird, muß davon ausgehen, daß aus Schutzgründen der Gesetzgeber so weit wie möglich Aktienrecht auf die KGaA zur Anwendung gebracht haben will. Dies ist oben gezeigt worden. Hieraus muß gefolgert werden, daß Pflug mit seinem Hinweis auf § 278 Albs. 3 AktG recht hat30, der zur Maßgeblichkeit des § 76 Abs. 3 AktG führt: Aus dem Fehlen eines Vorstands "ergibt sich nicht", daß diese Bestimmung bei der KGaA unanwendbar sein müßte. 2. Gesellschaftsrechtlich muß aber vor allem die im Schrifttum - soweit Verfasser zu sehen vermag - kaum erörterte Gefahr bedacht werden, daß mit dem Instrument der Komplementärgesellschaft eine Gesellschafterminderheit zur Herrschaft in einer Gesellschaft gelangt.
Die Neuregelung, welche das Aktiengesetz 1965 für die Mehrstimmrechtsaktien in seinem § 12 getroffen hat, zeigt für Aktiengesellschaften die .A!bneigung des Gesetzgebers gegenüber Minderheitsherrschaften37 • In der KGaA kann, wenn Komplementärgesellschaften zugelassen werden, eine Minderheitsherrschaft leicht etabliert werden. Komplementäre brauchen keine besonderen Einlagen zu erbringen, und sie können Aktien erwerben. Es ist deshalb durchaus denkbar, daß eine Komplementärgesellschaft von Aktionären gebildet wird, die eine Minderheit des Aktienkapitals halten, die aber ,auf dem Wege über die Komplementärgesellschaft die Herrschaft über die KGaA ausüben, sei dies vielleicht auch nur durch Bestellung von Geschäftsführern oder geschäftsführenden Komplementären. Auf diesem Wege ließe sich erreichen, was das Aktiengesetz für Aktiengesellschaften gerade mißbilligt. Wenn das Aktiengesetz für Unternehmer-Komplementäre eine Sonderstellung schafft, welche diesen Komplementären namentlich die Befugnis zur Vertretung und Geschäftsführung verleiht, dann geht es nach der Entwicklungsgeschichte vom Unternehmer-Komplementär aus. So wie dieser nach der gegenwärtig geplanten und der geltenden Gesetzgebung im Genusse eines Mitbestimmungsprivilegs ist, wird ihm gegenüber den Aktionären eine Vorzugsposition eingeräumt. Nichts spricht dafür, diesen Vorzug auch auf Komplementärgesellschaften zu erstrek35
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RGZ 105, 101. Wie FN 20, 346.
37 Hierzu die Angaben in den Materialien, in der von Kropff zusammengestellten Textausgabe Aktiengesetz (1965), 25.
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ken, deren Mitglieder nicht selbst als Unternehmer in der KGaA tätig sind. Da diese Mitglieder der Komplementärgesellschaft tatsächlich keine andere Funktion haben, als diese den Aktionären der KGaA zukommt, verdienen sie keine Vorzugsstellung und verdienen sie deshalb nicht, Herrschaftsmachtausüben zu können, und dies sogar als kapitalmäßige Minderheit. Weil aber die Komplementärgesellschaft den Weg zu solcher Vorzugsstellung bereitet, wird man sie als unzulässig anzusehen haben. Ergänzend sei ·darauf hingewiesen, daß an der erörterten Stelle der Gegensatz zwischen KGaA mit Komplementärgesellschaft einerseits und GmbH & Co. sichtbar wird: Die GmbH & Co. basiert - mindestens in der Entstehungsgeschichte, wie -d ies oben hervorgehoben wurde - auf den Fällen, in welchen Gesellschafter der Komplementärgesellschaft und der KG weitgehend identisch waren, in denen sich anders als in den Fällen der KGaA die Frage einer Minderheitsherrschaft also gar nicht stellt. Dies bestätigt, daß die GmbH & Co. sich als Regelungsmuster nicht eignet. 3. Mitbestimmungsrechtlich fällt auf, daß für die KGaA keine dem § 4 RegE entsprechende Regelung vorgesehen ist. Dies mag seine Erklärung darin haben, daß ,die Problematik der KGaA mit Komplementärgesellschaft schlicht unbeachtet geblieben ist oder daß zu viele gesellschaftsrechtliche Probleme existieren, als daß man durch Aufnahme der KGaA mit Komplementärgesel1schaft in den Entwurf die Zulässigkeit solcher Komplementärgesellschaften hätte nebenbei erledigen können. In solcher, durch (unüberlegte oder begründete) Enthaltsamkeit des Mitbestimmungsgesetzgebers gekennzeichneten Situation läßt sich in der Mitbestimmungsgesetzgebung und namentlich in § 4 RegE kein Hinweis darauf sehen, daß der Gesetzgeber die Komplementärgesellschaften bei der KGaA für zulässig oder unzulässig halte oder daß für eine KGaA keine dem § 4 RegE entsprechende Regelung gelten solle. Wird der Regierungsentwurf Gesetz, so wird per argumentum a fortiori vielmehr .g esagt werden müssen, daß die für die GmbH & Co. in § 4 RegE vorgesehene Regelung auf ·die KGaA entsprechend anzuwenden ist. Zunächst negativ: Gegenüber der Mitbestimmung in der GmbH & Co. mag man einwenden, daß diese Mitbestimmung hinsichtlich der Kommanditisten persönliche Inhaber des Unternehmens trifft. Bei der KGaA mit Gesellschaftskomplementär sind auch die Kapitalisten keine persönlichen Unternehmer; sie sind vielmehr Aktionäre. Wenn § 4 RegE die Mitbestimmun,gsregeln auf ·die GmbH & Co. für anwendbar erklärt, so können diese erst recht auf ·die KGaA angewendet werden. Positiv ist davon auszugehen, daß nach § 4 RegE die Arbeitnehmer der GmbH & Co. der GmbH für Mitbestimmungszwecke zugerechnet
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werden, wenn Gesellschafter der GmbH und Kommanditisten mehr oder weniger identisch sind. Dadurch kann es zur Mitbestimmung in der GmbH & Co. kommen. Als Begründung für diese in der RegierungsbegründUilig (wie so manches andere: leider) unerläuterte Regelung ist nur anzuführen, daß bei weitgehender Identität eben nahezu alle Kommanditisten es sich 'gefallen la'ssen müssen, wie Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft behandelt zu werden, also auch die für die GmbH ,gültige Mitbestimmungsregelung akzeptieren zu müssen. Bei der KGaA aber sind ja alle Kommanditaktionäre, auch soweit sie (in ihrer Mehrzahl) nicht der Komplementär-Gesellschaft angehören, Gesellschafter einer mitbestimmungspflichtigen Kapitalgesellschaft, die als solche keine mitbestimmungsrechtliche Privilegierung verdienen. Deshalb wäre es konsequent, die Regelung des § 4 auf jede KGaA mit Komplementär-GmbH anzuwenden, ohne daß es hier auf die Identität der Kommanditaktionäre und der Gesellschafter der Komplementär-Gesellschaft ankäme. Mit dieser Feststellung gelangen wir allerdings zu einem Ergebnis, welches zwar ,die nötigen Wertungen einschließt, jedoch zu unpraktischen Organisationsstrukturen führt: Die Übernahme des § 4 RegE würde bei Zulassung von Komplementär-Gesellschaften ,die Verdoppelung von Aufsichtsrat und Mitbestimmung, nämlich bei KGaA und KomplementärGesellschaft, bewirken. Würden nämlich der Komplementär-Gesellschaft die Arbeitnehmer der KGaA zugerechnet, so müßte 'hier ein besonderer und mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet werden. Indessen gilt es ja nur die Konsequenz daraus zu ziehen, daß die KGaA mit Gesellschafts-Komplementär ebensowenig wie die GmbH & Co. eine mitbestimmungsrechtliche Entlastung verdient, daß hier vielmehr im Bereiche der Komplementär-Gesellschaften das Mitbestimmungsdefizit abzubauen ist, welches der Gesetzgeber mit Rücksicht auf Unternehmer-Komplementäre konzediert, indem er Mitbestimmung nur im Aufsichtsrat mit seinen begrenzten Befugnissen ansiedelt. Die Konsequenz läßt sich am einfachsten dadurch ziehen, daß die Befugnisse des gegebenen Aufsichtsrats der KGaA erweitert wel'den, und zwar auf das Ausmaß, welches sie gemäß § 4 RegE im Aufsichtsrat einer Komplementär-Gesellschaft haben müßten. Dies bedeutet insbesondere, daß eine satzungsmäßig vorgesehene Bestellung von Geschäftsführern durch die Komplementär-Gesellschaft oder eine Benennung und Abberufung von Komplementären durch diese Gesellschaft von Rechts wegen dem Aufsichtsrat der KGaA zustünde. Dies hat zur Folge, daß derjenige, der Komplementär-Gesellschaften trotz der oben erhobenen Einwände zulassen will, eine für die Gesellschafter vielleicht unerwünschte Konsequenz hinnehmen muß.
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VI. Abschließend sei zunächst hervorgehoben, daß der Versuch, gesellschaftsrechtliche Regelungen unter dem Eindruck des Mitbestimmungsrechts zu entfalt~m, nicht mehr beansprucht, als ein Diskussionsbeitrag zu einem Rechtsgebiet zu sein, welches kein anderer so sehr wie Kurt Ballerstedt beeinfiußt hat. Zur Legitimation der Fragestellung und zu ihrer Notwendigkeit ist angesichts der Schrifttumsäußerungen, die Mitbestimmungserwägungen eher zurückzudrängen geneigt sind38, auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen, die Scholz38 in einen beachtenswerten Zusammenhang gerückt hat. Im FeldmühleFall hat das Bundesverfassungsgericht - nach der Kritik des Schrifttums zu weitgehend - ·die gestaltende Kraft des Gesellschaftsrechts minimalisiert, um die Vorschriften des Aktienrechts weitgehend dem Bereich des Organisatorisch-Formalen zuzuordnen40 • In der späteren Rheinstahl-Entscheidung41 wird betont, daß das Recht der Aktionäre durch das Gesellschaftsrecht, aber auch durch das Sozialordnungsrecht (konkret: Mitbestimmungsrecht) bestimmt werde. Damit ergibt sich als verfassungsrechtliche Grundlage unserer Betrachtung, daß gesellschaftsrechtlich kaum von einer festgefügten Institution Gesellschaft gesprochen werden kann, aus der man Folgerungen ableiten könnte. Folgerungen sind lediglich aus einzelnen Bestimmungen und Schutzzwecken zu ziehen, wie dies hier versucht wurde. Gleichzeitig ergibt sich die Pflicht, gesellschaftsrechtliche Regeln und Rechtsfolgen auch im Hinblick auf Mitbestimmungsrecht und seine einzelnen Bestimmungen zu entwikkeln4!. In diesem Sinne beansprucht der hier vorgelegte Beitrag Relevanz auch schon für das geltende allgemeine Mitbestimmungsrecht43 •
38 So oben. Anders aber z. B. Reuter, Betriebs- und Unternehmensverfassung, in: Kritik, V, Recht im sozialen Rechtsstaat (1973), 197, 216. Siehe auch Th. Raiser, in Festschrift Raiser (1974), 355 ff. Zur Bedeutung solcher Konsequenzen für ein Unternehmensrecht Duden, in: Festschrift Schilling (1973),
309,32l.
Umgekehrt noch Elschenbroich (FN 1), 151 f. Auf die Untersuchungen von Oswald v. Nel1-Breuning in Festschrift Kunze (1969), 143 ff., die unter besonderen Bedingungen zur freien Wahl der Rechtsform führen, kann hier nicht eingegangen werden. Siehe auch ders., Mitbestimmung (1969), bes. 88 ff. au Scholz (FN 15), 87. 40 BVerfGE 14, 263, 274 f. u BVerfGE 25, 371, 407. So wohl auch Mestmäcker, Protokoll (FN 4). 4Z H. P. Westermann (FN 20) spricht von einem mittelbaren Rechtsformzwang. 43 Zur Institution Gesellschaft und juristische Person anders namentlich Rittner, zuletzt JZ 19'15, 457 (der sich dort allerdings auch gegen die unterschiedliche mitbestimmungsrechtliche Behandlung verschiedener Unternehmensformen wendet; dazu oben 130 f.).
Gesellschafts- und Konzernrecht
Verschmelzung von Personengesellschaften Von earl Hans Barz § 329 AktG regelt zwar nach seiner Überschrift das Wesen der Verschmelzung, gibt aber keine Definition, sondern bestimmt nur die Tatbestandsmerkmale, die eine Verschmelzung unter Kapitalgesellschaften erfordertl. Aus ihnen läßt sich als Wesen der Verschmelrung entnehmen, daß sie die ohne Abwicklung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die volle Vermögensposition durchgeführte Vereinigung von zwei oder mehr Kapitalgesellschaften gegen Gewährung von Anteilsrechten der übernehmenden Gesellschaft an die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft ist. Die Verschmelzung begründet demnacharuf der Ebene der Gesellschaften eine Universalrechtsnachfolge der übernehmenden Gesellschaft in das volle Vermögen der übertragenden Gesellschaft ohne Abwicklung und auf der Ebene der Gesellschafter den Austausch der Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft gegen die Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft. Die Fusion ist entweder Verschmelzung durch Aufnahme, wenn die aufnehmende Gesellschaft schon existent ist, oder Verschmelzung durch Neubildung, wenn im Zuge der Verschmelzung eine Gesellschaft neu gegründet wird, auf die das Vermögen der sich vereinigenden Gesellschaften überg.eht. Die Fusion führt also dazu, daß das Gesamtvermögen einer Kapitalgesellschaft auf eine andere im Wege der Universalrechtsnachfolge übergeht und die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft anstelle ihrer Beteiligung an dieser ohne einen ihre Beteiligung betreffenden übertragungsakt eine Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft erhalten. Das Gesetz kennt die Verschmelzung nur in §§ 339 ff. AktG, 93 a ff. GenG und 44 a, 53 a VAG. Auf dem Gebiet der Personengesellschaften - darunter werden im nachstehenden nur die offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft verstanden - kennt das Gesetz den Ausdruck Verschmelzung oder Fusion nicht. Das Rechtsinstitut der Anwachsung2, wie es aus 1 Schilling, Großkommentar AktG, § 339, Anm. 2; Kraft, Kölner Kommentar, § 339, Rdn. 11. 2 VgI. Geiler-Kessler in Staudinger, § 736, Rdn. 4 ff.; Ulmer Großkommentar HGB, § 142, Rdn. 27.
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§§ 736, 738 BGB gemäß § 105 Abs. 2 HGB in die Personengesellschaft
einwirkt, verbunden mit der Möglichkeit, bei den Personengesellschaften den Ein- und Alustritt von Gesellschaftern sowie die Übertragung ihrer Beteiligungsrechte zuzulassen3 , ermöglicht aber für Personengesellschaften den gleichen Effekt, wie er bei der Fusion von Kapitalgesellschaften eintritt: Auf der Ebene der Gesellschaften geht das Vermögen einer Personengesellschaft auf eine andere ohne Abwicklung in vollem Umfange im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über, und auf der Ebene der Gesellschafter erhält der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft anstelle seiner Beteiligung an dieser eine Beteiligung bei der übernehmenden, was allerdings nicht - wie bei der Fusion von Kapitalgesellschaften - automatisch geschieht, sondern Rechtshandlungen des Gesellschafters voraussetzt. Auch bei der Personengesellschaft kann die Verschmelzung einmal in der Weise geschehen, daß das Vermögen der übertragenden Gesellschaft auf eine bereits bestehende Personengesellschaft oder auf eine im Zuge der Verschmelzung von mindestens zwei bestehenden Personengesellschaften neu gegründete dritte übergeht. Ohne daß eine besondere gesetzliche Regelung über die Verschmelzung bestünde oder erfol1derlich wäre, läßt sich damit eine Fusion auch bei Personengesellschaften durchführen, wovon die Praxis auch häufiger Gebrauch macht. Diese Verschmelzung von Personengesellschaften soll im folgenden in der Art ihrer Durchführung, in ihren Voraussetzungen und in ihren Wirkungen untersucht werden. Natürlich kann im Wege der Anwachsung das Vermögen einer Personengesellschaft auch auf eine einzelne natürliche oder juristische Person übertragen werden. Die hier zu besprechende Gestaltung kann also a/Uch dazu verwendet werden, eine Verschmelzung von einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft - nicht auch umgekehrt durchzuführen, z. B. in der Weise, daß die Kapitalgesellschaft der Personengesellschaft als Gesellschafterin beitritt, anschließend alle anderen Gesellschafter der Personengesellschaft ausscheiden und diese anderen Gesellschafter im Wege der Kapitalerhöhung eine Beteiligung an der übernehmenden Kapitalgesellschaft erwerben, und zwar durch Einbringung, sei es der Beteiligung an der Personengesellschaft selbst, sei es der Auseinandersetzungsforderung, die durch das Ausscheiden entsteht. $achlich treffen die nachstehenden Ausführungen weitgehend auch diese Verschmelzung der Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft; sie bleibt aber bei der Untersuchung unbeachtet. 3 Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl., S. 388 ff.; Fischer, Großkommentar HGB, § 130, Anm. 3 ff.; Wiedemann, Die übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 61 ff.
Verschmelzung von Personengesellschaften
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I. Wenn Personengesellschaften sich zusammenschließen wollen, so kann das in der Weise geschehen, daß das Vermögen der einen Personengesellschaft auf die andere im Wege der übertragung der einzelnen Aktiven und Passiven erfolgt, der Gegenwert der übertragenden Gesellschaft, wenn sie bestehen bleiben soll, oder deren Gesellschaftern, wenn die Gesellschaft ohne Liquidation erlöschen 50114 , als Einlage bei der übernehmenden Gesellschaft gutgebracht wird. Die Praxis macht das aber anders und nutzt die Wirlrung der Anwachsung aus, um die Einzelübertragung der aktiven und passiven Vermögensgegenstände, insbesondere die immer mühsame übernahme der Verbindlichkeiten durch die übernehmende Gesellschaft überflüssig zu machen. Dazu gibt es zwei Gestaltungsmöglichkeiten: 1. Die als übernehmerin vorgesehene Personengesellschaft tritt der zu übertragenden Personengesellschaft als Gesellschafterin bei, wobei es gleichgültig ist, ob das als Komplementär oder als Kommanditist geschieht. Alsdann wird mit allen übrigen Gesellschaftern das Ausscheiden zum vorgesehenen Vereinigungsstichtag verabredet. Im Wege der Anwachsung geht dadurch das gesamte Vermögen der übertragenden Gesellschaft auf die als deren alleinige Inhaberin verbleibende übernehmende Gesellschaft über, die ohne übertragung einzelner Gegenstände im Wege der Universalrechtsnachfolge in ·die volle Vermögensposition der übertragenden Gesellschaft hineinwächst5 • Die übertragende Gesellschaft hört damit, weil nur noch ein Inhaber vorhanden ist, mangels einer Mehrheit von Gesellschaftern zu bestehen auf. Damit endet gleichzeitig auch ihre Firma, da die übernehmende Personengesellschaft neben ihrem eigenen Firmennamen keinen zweiten führen kann'. Das den ausscheidenden Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft aufgrund ihres Ausscheidens zustehende Auseinandersetzungsguthaben, das sich gegen die übernehmende Gesellschaft als verbleibender Inhaber der übertragenden Gesellschaft richtet7 , wird als Einlage in die übernehmende Gesellschaft behandelt, so daß der aus der übertragenden Gesell4 Es handelt sich dann um die Vereinbarung einer anderen Art der Auseinandersetzung im Sinne des § 145 HGB. 5 Diese Rechtsfolge ist aufgrund des § 142 HGB für die offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft unbestritten, für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft aber äußerst umstritten. VgI. Geiler-Kessler, Rdn. 6; für die Praxis ist die Frage durch BGH 32, 314 ff. im bejahenden Sinne entschieden. e Hueck, S. 12 und die dortigen Literaturangaben. Es ist immer wieder versucht worden, gerade für den Fall der übernahme eines anderen Unternehmens dessen Firma neben der eigenen Firma fortzusetzen, z. B. Esch BB 68, 235, was jedoch schon aus Gründen der Verkehrssicherheit abzulehnen ist. 7 Vgl. Ulmer, Großkommentar HGB, § 138, Anm. 33.
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schaft ausgeschiedene Gesellschafter eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung bei der übernehmenden Gesellschaft erwirbt. 2. Alle Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft übertragen ihre Beteiligung an dieser Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft. Diese erwirbt damit alle "Anteilsrechte" an der übertragenden Gesellschaft. Während eine derartige Anteilsvereinigung bei einer Kapitalgesellschaft deren Bestand unberührt läßt8 , bringt sie bei der Personengesellschaft das Gesellschaftsverhältnis wegen Fehlens mindestens eines zweiten Gesellschafters notwendig zum Erlöschen9 und bewirkt gemäß dem in § 142 HGB auch für diesen Fall anerkannten Prinzip der Anwachsung den übergang des gesamten Vermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende, wiederum im Wege der Universalrechtsnachfolge ohne Liquidation. Auch die Firma der übertragenden Gesellschaft kommt in Fortfall und kann - wie oben zu 1. dal'gelegtlo - von der übernehmenden Personengesellschaft nicht neben ihrer eigenen fortgeführt werden. Den Gegenwert für die übertragung der Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft erhalten deren Gesellschafter als Einlage bei der übernehmenden Gesellschaft gutgeschrieben, so daß sie mit Erlöschen der übertragenden Gesellschaft Gesellschafter der übernehmenden werden. 3. Die aus der Verschmelzung von Aktiengesellschaften bekannte Unterscheidung zwischen Verschmelzung durch Aufnahme und Verschmelzung unter Neubildung - letztere bedeutet eine Neugrundung und bedingt damit, wie § 353 AktG zeigt, weitgehend die Geltung der Gründungsbestimmungen - gibt es auch bei der Fusion von Personengesellschaften. Da jedoch der erste Falltypus zwecks Eintritts in die bestehende und zu übertragende Personengesellschaft den vorherigen Bestand der übernehmenden Gesellschaft erfordert, wird die Verschmelzung durch Neubildung in der Regel wohl stets gemäß dem zweiten Falltypus erfolgen, also derart, daß die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft alle ihre Beteiligungsrechte im Wege der Gründung einer neuen Personengesellschaft als Einlage auf diese übertragen und diese damit im Zuge ihrer Entstehung kraft Anwachsung alleiniger Inhaber des Vermögens der übertragenden Gesellschaft wird. 4. Diese Ausführungen zeigen, daß die Verschmelzung nicht nur einer, sondern beliebig vieler übertragenden Gesellschaften auf eine bestehende oder neu zu gründende Personengesellschaft erfolgen kann. Auch insoweit besteht kein Unterschied :ror Verschmelzung von Kapitalgesell8 Die Einmann-Gesellschaft ist heute unbestritten zugelassen, vgl. Baumbach-Hueck, Anh. nach § 34 GmbHG und Anh. nach § 262 AktG. • Vgl. Fischer, § 105, Anm. 21. ID Vgl. oben zu N 6.
Verschmelzung von Personengesellschaften
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schaften. Theoretisch wäre es auch möglich, daß entgegen der Regelung des § 339 Abs. 1 Ziff. 2 AktG, der für die Verschmelzung durch Neubildung mindestens zwei Aktiengesellschaften als übertragende Gesellschaften erfordert, auch nur eine Personengesellschaft auf eine andere neu gebildete übertragen wird. Das wäre dann :aber keine Verschmelzung, sondern nur eine Art Umgründung einer bestehenden Personengesellschaft, für die es in aller Regel keinen begründeten Anlaß gibt, weil sich die etwa gewünschte NetlJgestaltung auch im Rahmen einer Gesellschaftsvertragsänderung der bestehenden erreichen läßt.
11. Die dargelegten zwei Falltypen der Verschmelzung von Personengesellschaften beruhen auf folgenden, heute allgemein anerkannten Prinzipien des Personenrechts: 1. Eine Personengesellschaft kann Gesellschafter einer anderen Personengesellschaft sein. Das ist zwar nicht ganz unbestrittenl l , aber in der Lehre doch wohl so 19ut wie allgemein anerkannt1 2 • Nur die ältere Rechtsprechung hatte Widerstand geleistet13 • In der Praxis mindestens der unteren Gerichte14 hat sich, auch wenn bisher kein anerkennendes Grundsatrurteil eines oberen deutschen Gerichts vorliegt, die Zulässigkeit der Beteiligung einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft an einer anderen offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft seit längerem durchgesetzt. "Trotz Fehlens einer höchstrichterlichen Entscheidung kann die Zulässigkeit der Mitgliedschaft einer OHG bei einer anderen OHG heute als gefestigte Rechtsauffassung angesehen werden"15. Die Personengesellschaft, die bei der Verschmelzung als aufnehmende Gesellschaft auftreten soll, kann also Gesellschafterin der übertragenden Personengesellschaft, sei es als persönlich haftende Gesellschafterin, sei es als Kommanditistin, werden.
2. Der Beitritt eines neuen Gesellschafters, also auch einer Personengesellschaft als neuer Gesellschafter einer anderen Personengesellschaft, ist jederzeit möglich. Das gilt zwar nicht kraft Gesetzes, das die Personengesellschaft als eine grundsätzlich unveränderbare Personenzusammensetzung sieht. Durch Vertrag mit allen anderen Gesellschaftern, also im allseitigen Einverständnis, kann aber ein neuer Gesellschafter der Gesellschaft beitreten, ohne daß diese dadurch ihre Identität verlöre, also 11
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Pfander, Betrieb 69, 823; dagegen Mertens-Neupel, GmbH-Rdsch. 70, 211. Hueck, S. 22 N 11 mit den dortigen weiteren Literaturangaben. Vgl. z. B. RGZ 36, 139. LG Lüneburg BB 71, 1076; LG Bremen BB 71, 1121. Fischer, § 105, Anm. 27.
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etwa die Rechtsfolge einträte, daß ein übergang des gesamten Gesellschaftsvennögensauf die personell nunmehr anders zusammengesetzte Gesellschaft erfolgen müßte und ggf. eine neue Finna zu bilden wäre11 • Ebenso kann aber auch gesel1schaftsvertraglich der Beitritt eines neuen Gesellschafters vorgesehen und geregelt sein, z. B. derart, daß durch einen mit einer bestimmten Mehrheit gefaßten Gesellschafterbeschluß, durch Aufnahmeentscheidung eines einzelnen Gesellschafters, durch bloße Erklärung des neu eintretenden Gesellschafters und dgl. ein Beitritt zu einer vorhandenen Gesellschaft vollzogen werden kann17 • In all diesen Fällen erfolgt die Aufnahme durch einen Aufnahmevertrag,bei dem eine ausdrückliche Mitwirkung sämtlicher bereits vorhandenen Gesellschafter deshalb nicht mehr notwendig ist, weil in der gesellschaftsvertraglichen Regelung die Zustimmung zum Aufnahmevertrag oder die Vollmacht zu seinem Abschluß liegen wird18 • 3. Der Beitritt eines neuen Gesellschafters kann auch in der Weise erfolgen, daß einer oder mehrere der vorhandenen Gesellschafter ihre Gesellschaftsbeteiligung auf eine Person übertragen, die durch die Übertragung als neuer Gesellschafter beitriW'. Eine derartige übertragung, die ebenfalls der grundsätzlichen gesetzlichen Regelung widerspricht, erfordert zu ihrer Zulässigkeit entweder der konkret ausgesprochenen Zustimmung sämtlicher Gesellschafter oder aber einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung, die die Übertragung 'ganz oder in Schranken freigibt. Der Beitritt eines neuen Gesellschafters ist, wenn die gesamte gesellschaftsrechtliche Beteiligung des bisherigen Gesellschafters übertragen wird, notwendig mit dessen Austritt verbunden. Zwar ist die rechtliche Konstruktion des Übertragungsvorgangs umstritten2o ; unbestritten aber ist, daß - worauf es -in diesem Zusammenhang allein ankommt - die vermögens rechtliche Position in vollem Umfange auf den Erwerber übergeht. 4. Ebenso wie der Beitritt eines neuen Gesellschafters jederzeit zulässig sein kann, kann auch jeder einzelne Gesellschafter aus der Gesellschaft ohne Wechsel ihrer Identität ,austreten21 • Der Austritt kann, wenn er nicht infolge Todes eintritt, entweder aufgrund einer besonderen Vereinbarung mit den übrigen Gesellschaftern erfolgen oder gesellschaftsvertraglich vor:gesehen und von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht sein. Der Austritt wird nicht deshalb unzulässig, weil
Fischer, § 130, Anm. 3; Hueck, S. 392. Hueck, S. 390; Fischer, § 130, Anm. 4 ff. IS Hueck, S. 392; Fischer, § 130, Anm. 6. 19 Wiedemann, S. 61; Hueck, S. 394; Fischer, § 130, Anm. 11 ff. 20 Wiedemann, S. 61 ff.; Hueck, S. 397; Fischer, § 130, Anm. 11; vgl. auch unten zu N 25. 11 Hueck, S. 433. 16 17
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gleichzeitig mehrere Gesellschafter ausscheiden. Wenn so viele Gesellschafter ausscheiden, daß nur noch ein Gesellschafter verbleibt, muß die Gesellschaft notwendig erlöschen und geht das Vermögen auf den allein verbleibenden bisherigen Gesellschafter im Wege der Anwachsung, d. h. automatisch ohne jede Einzelübertragung über!2. 5. Der Austritt von Gesellschaftern kann auch - und nicht nur in der Form der Übertragung der Gesellschaftsbeteiligung - mit dem Eintritt anderer Personen zusammengefaßt werden. Es ist sogar anerkannt, daß alle Gesellschafter ausscheiden und an ihrer Stelle gleichzeitig neue Gesellschafter eintreten können und daß dieser Vor.gang so geregelt werden kann, daß keine neue Gesellschaft entsteht, sondern die alte unter Erhaltung ihrer Identität bestehen bleibt und eine Übertragung des Vermögens vermieden wird23 . Tritt nur ein Gesellschafter unter Austritt sämtlicher bisherigen Gesellschafter ein, so ist die gleiche Situation gegeben, als wenn aus einer Gesellschaft alle Gesellschafter außer einem austreten; das bedeutet, daß das Gesellschaftsvermögen im Wege der Anwachsung ohne Liquidation auf den neu eintretenden Gesellschafter übergeht. Das zeigt, daß die Inhaber einer Personengesellschaft das Vermögen dieser Gesellschaft auf zweierlei Weise übertragen können: Einmal kann die Personengesellschaft ihr Geschäft im ganzen verkaufen, wobei sie alle Aktiven und Passiven einzeln ·auf den Erwerber übertragen muß. Man kann diese Übertragung aber auch so durchführen, daß entweder der Erwel"ber in die Personengesellschaft unter Austritt sämtlicher bisheriger Gesellschafter eintritt oder alle bisherigen Gesellschafter ihre Gesellschaftsbeteiligung auf den Erwerber übertragen; dann tritt der Erwerber im Wege der Anwachsung ohne Einzelübertragung in die volle Vermögensposition der Gesellschaft ein und wird Universalrechtsnachfolger des gesamten Vermögens. 6. Der Ausscheidende hat aufgrund seines Ausscheidens einen Anspruch auf Auszahlung seines Auseinandersetzungsguthabens und, wenn er seine Beteiligung überträgt, auf Leistung eines Gegenwerts; der eintretende Gesellschafter ist verpflichtet, seine Einlage zu erbringen. Diese Rechtsfolgen laufen neben den soeben behandelten Vermögensanwachsungen her, bereichern das Vermögen der übertragenden Gesellschaft mit dem Anspruch auf Leistung der Einlage durch die übernehmende Gesellschaft und belasten es mit dem Anspruch auf Auseinandersetzungsguthaben der ausscheidenden Gesellschafter oder belasten ,die übernehmende Gesellschaft mit dem Gegenwert für die von ihr übernommene Gesellschaftsbeteiligung der ausscheidenden Gesellschafter. In dem hier erörterten Zusammenhang ist das alles nur insoweit von Be2!
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Vgl. oben zu N 5. BGHZ 44, 231; Hueck, S. 399; Wiedemann, S. 53 N 3.
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deutung, als der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben oder der Wert der Beteiligung als Einlage des bei der übertragenden Gesellschaft ausscheidenden Gesellschafters in die übernehmende Gesellschaft verwendet und die vermögensrechtliche Grundlage seiner Beteiligung bei der letzteren Gesellschaft wird. IH.
An Einzelheiten ist folgendes hervorzuheben: 1. Die Fusion von Personengesellschaften erfordert die Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter, und zwar sowohl der übertragenden wie der übernehmenden Personengesellschaft: Die Gesellschafter der ersteren müssen entweder ihre Beteiligungen an die aufnehmende Gesellschaft übertragen oder deren Beitritt in die übertragende Gesellschaft zulassen und ihren eigenen Austritt aus ihr erklären. Die Gesellschafter der aufnehmenden Gesellschaft müssen mitwirken, weil die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft als Gesellschafter in ,die übernehmende Gesellschaft aufgenommen werden müssen. Zwar sind diese Vorgänge auch als Mehrheitsentscheidungen der beiden beteiligten Personengesellschaften denkbar. Dann müssen aber ldie Gesellschaftsverträge der beiden Gesellschaften derartige Mehrheitsentscheidungen vorsehen, und zwar speziell auf Verschmelzungsverträge bezogen. Denn eine allgemein gehaltene Ermächtigung des Gesellschaftsvertrags zur Satzungsänderung durch Mehrheitsbeschluß reicht nicht aus. Sie muß sich vielmehr für den konkreten Beschlußgegenstand zweifelsfrei aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben 24 • Gesellschaftsverträge dürften aber wohl kaum einmal Mehrheitsentsche1dungen für Verschmelzungsvorgänge vorsehen, so daß die Verschmelzung von Personengesellschaften in aller Regel nur durch Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften durchführbar sein wird.
Das gewährleistet dann aiUch einen vollendeten Minderheitenschutz. Denn wenn jeder Gesellschafter der beiden Gesellschaften mitwirken und zustimmen muß, entfällt jede Möglichkeit, sich über seine Ansichten und Interessen mit einer Mehrheit hinwegzusetzen. Gleichzeitig erledigt sich darmt auch die Notwendigkeit eines besonderen Auskunftsrechts, wie es in § 340 Abs. 4 AktG für die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften vorgesehen ist. SeLbst wenn im Einzelfall aber einmal die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung gesellschaftsvertraglich gegeben sein sollte, würde das übliche Auskunftsrecht jedes Gesellschafters aus § 118 HGB oder auch aus wichtigem Grunde, den ein Verschmelzungsvorgang wohl in aller Regel darstellen wird, aus § 166 Abs. 3 HGB gegeben sein. 24
Fischer, § 119, Anm. 12 sowie in Festschrift Barz, S. 41.
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2. Eine Notariatspflichtigkeit der Verschmelzungsvorgänge besteht kraft Gesetzes nicht. Für die übertragung von Beteiligungen an Personengesellschaften und für die Vereinbarung über den Ein- oder Austritt eines Gesellschafters einer Personengesellschaft bedarf es selbst dann keines Notariatsakts, wenn zum Gesellschaftsvermögen Gegenstände gehören, über die nur durch einen notariellen Vertrag verfügt werden kann, wie z. B. Grundstücke oder GmbH-Anteile. Selbst wenn man in der Übertragung von Beteiligungsrechten zwei rechtlich selbständige Teilakte sehen will, nämlich einmal das Ausscheiden des übertragenden Gesellschafters aus der Gesellschaft mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter und zum anderen die Aufnahme des neuen Gesellschafters in die Gesellschaft mit den Rechten und Pflichten des bisherigen Gesellschafters, ebenfalls mit Zustimmung sämtlicher übrigen Gesellschafter25 , handelt es sich um eine Änderung des Gesellschaftsvertrags, die dann keinem Formzwang unterliegt, wenn nicht durch die Änderung Verpflichtungen begründet werden, deren Übernahme formpflichtig ist26• Eine Notariatspflichtigkeit würde nur dann bestehen, wenn der Gesellschaftsvertrag für den Ein- oder Austritt von Gesellschaftern oder die übertragung von Beteiligungsrechten im Rahmen des § 127 BGB die notarielle Form vorschreiben würde, was üblicherweise nicht geschieht.
Jedoch ist der Wechsel im Mitgliederbestand der Personengesellschaft anmeldepflichtig zum Handelsregister. Die Erfüllung dieser Pflicht hat aber keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung. Zur Mitwirkung bei der Registeranmeldung sind alle Beteiligten in der Form einer notariell beglaubigten Erklärung, und zwar zivilrechtlich den übrigen Beteiligten gegenüber wie öffentlich-rechtlich dem Handelsregister gegenüber verpflichtet. Soweit sie als Gesellschafter - wie das in der Praxis größerer Gesellschaften häufig ist - eine öffentlichbeglaubigte Vollmacht zur Registeranmeldung gegeben haben, können die Anmeldungen aufgrund dieser Vollmacht vollzogen werden. Neu eintretende Gesellschafter sind aufgrund einer in dem Gesellschaftsvertrag der übernehmenden Personengesellschaft enthaltenen Verpflichtung zur Ausstellung von Vollmachten verpflichtet, weil sie durch ihren Eintritt den Gesellschaftsvertrag dieser Gesellschaft gegen sich gelten lassen müssen27 und die darin den Gesellschaftern auferlegten Pflichten zu erfüllen haben. 3. Um bei der Reg·isteranmeldung zu bleiben, so ist zum Register der übertragenden Gesellschaft außer dem Gesellschafterwechsel anzumelden, daß die Gesellschaft erloschen und nicht etwa nur aufgelöst ist. 25
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27
Vgl. die Literaturangaben bei Wiedemann, S. 58 N 4. Fischer, Großkommentar HGB, § 105, Anm. 60. Fischer, § 130, Anm.14; Hueck, S. 393.
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Das folgt daraus, daß die übertragende Gesellschaft durch das Ausscheiden sämtlicher übrigen Gesellschafter als Gesellschaft aufgehört hat und das Vermögen im Wege der Anwachsung automatisch auf die übernehmende Personengesellschaft übergegangen ist. Diese ist aber bereits unter ihrem Firmennamen im Handelsregister eingetragen und kann im Verkehr nicht noch zusätzlich unter einer zweiten Firma auftreten%8. Es bleibt also nur die Möglichkeit, die übertragende Gesellschaft als ohne Liquidation erloschen anzumelden. Zwar ist aus dem Eintritt des GeseIlschafterwechsels erkennbar, warum die Gesellschaft erloschen ist; zwecks leichteren Nachweises der Universalrechtsnachfolge dem Grundbuchamt gegenüber wäre es jedoch höchst zweckmäßig, daß nicht einfach nur eingetragen wird, daß die Gesellschaft erloschen ist, sondern daß sie durch Anwachsung an die übernehmende Personengesellschaft erloschen ist. Ein derartiger Zusatz ist zwar nach der Handelsregisterverfügung nicht vorgesehen, sollte aber doch zur Verdeutlichung zugelassen werden29 • Im Handelsregister der übernehmenden Gesellschaft kann dagegen nur der Eintritt der neuen Gesellschafter und, wenn sie als Kommanditisten beitreten, ,die Höhe ihrer Einlagen eingetragen werden. Eine Möglichkeit, auf die Verschmelzung hinzuweisen oder bei den Einlagen anzugeben, daß sie durch Verschmelzung mit der übertragenden Gesellschaft belegt sind, besteht nicht; denn die Kommanditeinlage ist ausschließlich in Geld einzutragen, und zwar auch dann, wenn sie in Form einer Sacheinlage erbracht ist30• 4. Der Übergang des Vermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft erfolgt kraft Anwachsung, so daß "einzelne Übertragungshandlungen weder nötig noch möglich sind, daß das Unternehmen vielmehr ... durch einheitlichen Akt übergeht"31. Dieser Übergang umfaßt das gesamte Vermögen und muß deshalb gemäß § 1059 a BGBauch für einen Nießbrauch und gemäß § 1098 Abs. 3 BGB auch für ein an sich unübertragbares Vorkaufsrecht gelten. Obwohl diese gesetzlichen Bestimmungen nur von juristischen Personen reden, ist es heute ganz überwiegende Meinung im Schrifttum, die vom BGH anerkannt ist32, daß die analoge Anwendung auch für Personengesellschaften geboten ist. Zwar gehen damit Nießbrauch und Vorkaufsrecht auf fremde Personen über; wer aber einer Personengesellschaft derartige Rechte einräumt, muß von vornherein damit rechnen, daß sich
Vgl.obenN6. Vgl. dazu unten unter III 4. 30 Vgl. § 40, Nr. 5 (2) e HRV sowie Schlegelberger-Gessler, HGB, § 162, Rdn. 4. 31 BGHZ 50, 309. 32 BGHZ 50, 310 und die dort angeführte Literatur. !8
29
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durch seiner Einflußnahme entzogene Wechsel im Personenbestand der Kreis der Berechtigten ändert. Da der Rechtsübergang sich kraft Gesetzes vollzieht, werden die Eintragungen in öffentlichen Büchern, insbesondere im Grundbuch unrichtig und sind zu berichtigen. Zum Nachweis der Unrichtigkeit, die dem Grundbuchamt gegenüber gemäß § 29 GBO grundsätzlich durch öffentliche Urkunden zu führen ist, dient die Handelsregistereintragung über das Erlöschen der übertragenden Personengesellschaft, aus der die Universalrechtsnachfolge, wenn der Gesellschafterwechsel vollständig eingetragen ist, aufgrund des Rechtsgedankens des § 142 HGB hervorgeht. Um aber die Gesamtrechtsnachfolge ganz klar zu machen, empfiehlt sich die oben zu III 3 behandelte Formulierung der Eintragung im Handelsregister dahingehend, daß die Gesellschaft durch Anwachsung ihres Vermögens auf die übernehmende Personengesellschaft erloschen ist. 5. Die wichtigste vermögensrechtliche Frage ist auch bei der Verschmelzung von Personengesellschaften das Umtauschverhältnis. Da die Verschmelzung die Zustimmung aller Gesellschafter der beteiligten Gesellschaften benötigt, bedarf auch das Umtauschverhältnis der Billigung aller Beteiligten. In der Praxis wird es üblicherweise nicht in einer Zahlenrelation zwischen übertragender und übernehmender Gesellschaft ausgedrückt, sondern in der Geldsumme, die dem Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft, sei es für die Übertragung seiner Beteiligung bei der übertragenden Gesellschaft an die übernehmende Gesellschaft, sei es für seine Auseinandersetzungsforderung gegen die übertragende Gesellschaft gewährt wird, und zwar als Einlage bei der übernehmenden Gesellschaft. Das empfiehlt sich auch deshalb, weil diese Einlage nur in einer Geldsumme in den Büchern gutgeschrieben und im Handelsregister, sofern sie Kommanditeinlage ist, eingetragen werden kann. Natürlich braucht mit dieser Summe der wirkliche innere Wert nicht aufgedeckt zu werden, soweit er bei der übertragenden und übernehmenden Gesellschaft in der gleichen Relation steht. In der Praxis wird ·auch, um durch die Verschmelzung keine Gewinnrealisierung und damit Veräußerungsgewinnsteuer auszulösen, auf die sogenannte Buchwertverknüpfung Wert gelegt38, d. h. darauf, daß die übernehmende Gesellschaft die Buchwerte, mit denen die übergehenden Vermögensgegenstände .bei der übertragenden Gesellschaft bewertet werden, fortführt, so daß auch die Einlagen der Gesellschafter der übertragengenden Gesellschaft bei der übernehmenden die gleiche nominelle Höhe haben müssen, wie sie sie bei der übertragenden hatten. Wird das dem 33 Zur steuerlichen Behandlung der Verschmelzung von Personengesellschaften vgl. Brönner, Besteuerung der Gesellschaften, 13. Auft., VIII, 105 ff., S.1106 ff.
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inneren Wertverhältnis, sei es in den vorhandenen stillen Reserven, sei es in der Ertragskraft, nicht voll gerecht, so muß ein Ausgleich geschaffen werden, der in mehrfacher Gestalt denkbar ist, z. B. durch Vorausbeteiligung am künftigen Ertrag oder an der Auflösung stiller Reserven, durch Umwandlung substanzbeteiligter Einlagen in Darlehensforderungen, alles Gestaltungsformen, die eine Gewinnrealisierung und damit eine ertragsteuerliche Belastung der Fusion vermeiden. 6. Für die Bewertung der übernommenen Vermögensgegenstände bei der übernehmenden Gesellschaft gilt, auch ohne eine dem § 348 Abs. 1 AktG entsprechende Vorschrift, der Natur der Sache nach der Grundsatz, daß die Wertansätze, die der Festlegung der Einlage zugrundeliegen und die in aller Regel die Buchwerte der übertragenden Gesellschaft sein werden, die Anschaffungskosten der übernehmenden Gesellschaft sind. Liegen sie niedriger als die den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft bei der übernehmenden Gesellschaft gutgeschriebene Einlage, so besteht die Differenz entweder aus der Auflösung bisher stiller Reserven in den übergangenen einzelnen Vermögensgegenständen oder aus der Zuerkennung eines Firmenwerts des übergehenden Unternehmens. Im ersteren Falle sind die einzelnen Vermögensgegenstände, bei denen stille Reserven aufgelöst wurden, bei der übernehmenden Gesellsch·aft höher zu bewerten; im zweiten Fall ist der Firmenwert zu aktivieren. Sind die Buchwerte der übernehmenden Gesellschaft höher, als es der gutgeschriebenen Einlage entspricht, so liegt in der Differenz kein Gewinn der übernehmenden Gesellschaft. Die Wertansätze sind vielmehr ,bei der Übernahme entsprechend zu ermäßigen. 7. Das Haftungsrecht der Personengesellschaft bietet auch eine im großen und ganzen angemessene Regelung des Gläubigerschutzes anläßlich der Verschmelzung. Die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft haften für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft auf die Dauer von 5 Jahren nach ihrem Ausscheiden, d. h. also nach dem Erlöschen der übertragenden Gesellschaft. Diese Haftung erfaßt das Gesamtvermögen der Gesellschafter, soweit sie persönlich haftende Gesellschafter sind; waren sie Kommanditisten, so beschränkt sich die Haftung an sich auf die Einlage bei der übertragenden Gesellschaft. Nun erhält aber der Kommanditist weder bei der Einbringung seiner Einlage in die übernehmende Gesellschaft noch beim Ausscheiden aus der übertragenden seine Einlage zu Lasten des Gesellschaftsvermögens zurück. Das Haftungsobjekt verkleinert sich für die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft nicht; im Rahmen des verschmolzenen Unternehmens haftet für die Schulden des übertragenden Unternehmens das volle Vermögen auch der übertragenden Gesellschaft. Das rechtfertigt es, in diesem Falle die Besonderheit gelten zu lassen, die 'bei der übertragung von Kommanditeinlagen
Verscl1melzung von Personengesellscl1aften
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gilt, wenn bei der Eintragung des Gesellschafterwechsels im Handelsregister erkennbar gemacht wird, daß der Veräußerer keinerlei Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen erhalten haf;34. Sollte die Kommanditeinlage bei der übertragenden Gesellschaft noch nicht voll geleistet sein, und ,diese Deckungslücke auf die verschmolzene Gesellschaft mit übernommen werden, ergibt sich nichts besonderes. Wird die Kommanditeinlage bei dem verschmolzenen Unternehmen so festgelegt, daß sie durch die Einlage gedeckt ist, so läuft die Haftung für die noch nicht geleistete Einlage der übertragenden Gesellschaft auf die Dauer von 5 Jahren nach der Verschmelzung noch weiter. 8. §§ 349/50 AktG und § 93 a GenG enthalten eine Sonderregelung für den Ersatz des Schadens, den die übertragende Gesellschaft, ihre Gesellschafter und Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden. Für die Verschmelzung von Personengesellschaften gibt es derartige Regelungen nicht. Sie erscheinen aber auch nicht nötig, zumal die §§ 349/50 AktG bisher keine praktische Bedeutung gewonnen haben. Da die Gesellschafter bei der Verschmelzung von Personengesellschaften selbst entscheidend mitwirken, kommt eine Ersatzpflicht ihnen und den beteiligten Gesellschaften gegenüber nicht in Betracht. Als anspruchsberechtigt wären nur die Gläubiger denkbar, und zwar dann, wenn das verschmolzene Vermögen infolge des schlechten Vermögensstands der aufnehmenden Gesellschaft ihnen geringere Befriedigungsmöglichkeiten gäbe als das Vermögen der übernehmenden Gesellschaft. Aber derartige Fälle werden durch die unmittelbare Mitwirkung der Gesellschafter höchst selten sein und werden auch durch die unbeschränkte Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter abgedeckt. Soweit trotzdem Schadensfälle vorkommen sollten, fehlt allerdings, soweit nicht §§ 832 Abs. 2, 826 BGB eingreifen, die Grundlage für eine Ersatzpflicht.
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RG in DNotZ 44,195; neu abgedr. WM 64,1131.
Mehrstufige Unternehmensverträge Von Wilhelm F. Bayer Die Probleme, die sich im Zusammenhang mit Unternehmensverträgen bei mehrstufigen Unternehmensverbindungen ergeben, haben bisher nicht im Vordergrund des Interesses von Literatur und Praxis gestanden. Seit dem - durch ein Gutachten zur Übernahme der DEA durch Texaco inspirierten - grundlegenden Aufsatz von Kronstein1 und der Kritik, die Würdinger2 und Biedenkopf / Koppensteiner3 zu einigen Thesen Kronsteins geäußert haben, ist das Thema nicht wieder aufgegriffen worden. Kronstein hatte sich um den Nachweis bemüht, daß durch einen zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft geschlossenen Beherrschungsvertrag die Anwendbarkeit der §§ 311 ff. des Aktiengesetzes im Verhältnis zwischen der Enkel- und Muttergesellschaft nicht ausgeschlossen wird. Bei mehrstufigen Unternehmensverbindungen bestünden und überlagerten sich mehrere selbständige Abhängigkeitsbzw. Beherrschungsverhältnisse mit der Folge, daß vertraglich gesicherte Konzernbeziehungen nur gegeben sind, wenn sämtliche Beziehungen abhängiger Konzernunternehmen verschiedener Stufen zur Konzernspitze durch Unternehmensverträge (Beherrschungsverträge) abgedeckt sind. Nur auf diese Weise könne die Anwendung der Bestimmungen über den faktischen Konzern der §§ 311 ff. AktG4 vermieden werden. Die Probleme bei Unternehmensverträgen in mehrstufigen Unternehmensverbindungen reichen jedoch weit über die skizzierte Thematik hinaus; sie sind von außerordentlicher Komplexität. Dies gilt in bezug auf die Auswirkungen auf die außenstehenden Aktionäre auf mehreren Stufen des Konzerns, auf die Weisungsverhältnisse und ihre vertraglichen, satzungsmäßigen und gesetzlichen Grenzen, auf die neuen Formen der Unternehmensorganisation, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, auf die Steuergesetzgebung und die Publizitätsbestimmungen und im Hinblick auf die bestehenden und auf die zu erwartenden Mitbestim1 "Die Anwendbarkeit der §§ 311 ff. AktG über die Verantwortlichkeit im faktischen Konzern bei mehrstufigen Unternehmensverbindungen", BB 1967,
S. 637 ff.
Großkommentar § 311 Anm. 15 ff. Kölner Kommentar zum AktG, Vorbemerkungen 18, 19 und 20 zu §§ 311 !f. und § 311 Anm. 5 und 7. 4 Benachteiligungsverbot § 311, Abhängigkeitsbericht § 312 und Haftungsfolgen § 317. 2
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mungsregelungen. Gewisse zusätzliche Aspekte ergeben sich schließlich bei internationalen Unternehmensverbindungen. Der von Kronstein behandelte Geltungsbereich der Bestimmungen der §§ 311 ff. AktG über den faktischen Konzern für die Beziehungen einer abhängigen Gesellschaft zu den sie unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Unternehmen ist daher nur ein - wenn auch wichtiger - Ausschnitt aus einer umfassenderen Problematik. I. Mehrstufige Unternehmensverbindungen im Aktienrecht Das Aktiengesetz von 1965 hat zwar in seinen Begriffsbestimmungen über verbundene Unternehmen (§ 15), Mehrheitsbeteiligungen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17) und Konzernunternehmen (§ 18) stets auch mehrstufige Unternehmensverbindungen im Auge. Ihre Anwendung erfolgt jedoch im allgemeinen in der Form allgemein gehaltener Bezugnahmen, ohne daß die Zahl der Stufen der Unternehmensverbindung und etwaige sich durch eine mehrfache Stufung ergebende Sonderprobleme besonders angesprochen werden. Dies gilt etwa für die Aktienübernahme für Rechnung der Gesellschaft oder durch ein abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (§ 56) oder für die Bestimmungen über das Stimmrecht (§ 134 Abs. 1 und § 136 Abs. 2) oder für die Bestimmungen über die Rechnungslegung im Konzern (§§ 329 ff.). Andere Beispiele bieten die Vorschriften über die Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder (§§ 89 und 115)5. Demgegenüber sind die Bestimmungen über Unternehmensverträge
(§§ 291 ff.) grundsätzlich auf die Beziehungen zwischen zwei Unterneh-
men, also auf die einstufige Unternehmensverbindung, zugeschnitten. Dies gilt auch hinsichtlich der Bestimmungen über Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages, bei denen es nahegelegen hätte, die sich in mehrstufigen Unternehmensverbindungen stellenden Sonderprobleme aufzugreifen. Die Bestimmungen erschöpfen sich in dem allgemeinen Hinweis, daß Weisungen des herrschenden Unternehmens die Belange des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der abhängigen Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen berücksichtigen dürfen. Der Tatbestand der Mehrstufigkeit spielt lediglich in § 305 Abs. 2 Ziff. 2 bei der Verpflichtung zur Abfindung außenstehender Aktionäre eine Rolle. Hiernach sind dann, wenn der andere Vertragsteil eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages seinerseits eine abhängige oder in Mehrheitsbesitz stehende Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien ist und das herrschende 6 Diese behandeln jedoch jeweils in Abs. 4 das Sonderproblem der Kreditgewährung an nichtverbundene Unternehmen, mit denen personelle Verflechtung besteht.
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Unternehmen eine Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Sitz im Inland ist, als Abfindung Aktien der herrschenden oder mehrheitsbeteiligten Gesellschaft und nicht der abhängigen Gesellschaft, die Partner des Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ist, zu gewähren'. In gleicher Weise sind die Bestimmungen über den faktischen Konzern (§§ 311 ff.) grundsätzlich auf die einstufige Unternehmensverbindung zugeschnitten, wenn auch § 312 wiederum die Berichtspflicht des Vorstandes auf sämtliche Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen erstreckt und die Erwähnung aller Rechtsgeschäfte und Maßnahmen vorschreibt, die die berichtende Gesellschaft mit dem herrschenden oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen oder auf Veranlassung oder im Interesse eines solchen Unternehmens vorgenommen hat. Der spezifische Tatbestand der Mehrstufigkeit wird ausdrücklich nur in § 317 Abs. ~ angesprochen, der eine Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens und seiner gesetzlichen Vertreter neben den gesetzlichen Vertretern des Unternehmens festlegt, die die Gesellschaft zu dem Rechtsgeschäft oder der Maßnahme veranlaßt haben. Diese Bestimmung setzt begriffsnotwendig eine gestufte Unternehmensverbindung voraus. Mit dem Hinweis auf - mögliche - Lücken des 1965 geschaffenen Konzernrechts soll nicht eine große geistige Leistung kritisiert werden, die noch heute, nach 10jähriger Bewährung, international als fortschrittlichste Lösung eines Rechts der Unternehmensverbindungen ohne Konkurrenz ist7. Die Verfasser des Aktiengesetzes von 1965 wären überfordert gewesen, wenn man ihnen zugemutet hätte, das neu geschaffene Konzernrecht auch noch unter dem Aspekt zu überdenken, ob spezifische Mehrstufenprobleme eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich machen könnten. Der mit den erwähnten Ausnahmen zu beobachtende Verzicht des Gesetzgebers steht im übrigen in Übereinstimmung mit seiner Grundeinstellung, nur "Grundzüge einer Konzernverfassung" schaffen zu wollen8 • So hat das Aktiengesetz auch bewußt davon abgesehen, Vorschriften über das Ausmaß und die Formen der einheitlichen Leitung des Daneben steht die Möglichkeit der Barabfindung. Die am deutschen Konzernrecht orientierte Regelung der Konzernfragen im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft stellt allein auf den faktischen Konzern ab und tendiert zu einer allzu vereinfachten Behandlung der komplexen Konzernstrukturen. Sie verkennt die vielfach bestehende finanzielle Unmöglichkeit im faktischen Konzern, Minderheitsaktionäre generell abzufinden. Die Regelung dürfte kaum einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Konzernrechts leisten. Siehe hierzu Würdinger, DB 19'75, 1733 ff. 8 Kropff, Textausgabe mit Begründung des Regierungsentwurfes und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Vorbemerkung zum 3. Buch, S. 374; ferner zu § 291, S. 376. 8
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Konzerns zu treffen, da dies angesichts der vielfältigen Formen, die sich in der Praxis herausgebildet haben, nicht möglich erschienD.
u.
Bedeutung mehrstu6ger Unternehmensverträge
Die Bedeutung der mehr als nur zwei Stufen innerhalb einer Unternehmensgruppe regelnden oder jedenfalls berührenden Unternehmensverträge dürfte im Wachstum begriffen sein. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Intensivierung des Konzentrationsprozesses in den letzten Jahren. Die zu beobachtende übernahme vieler bedeutender Unternehmensgruppen und ihre Angliederung an einen größeren inländischen oder ausländischen Unternehmensverbund hat stärker als in der Vergangenheit gestufte Unternehmensverbindungen entstehen lassen. Als Beispiele seien etwa nur die Verbindungen Thyssen / Rheinstahl, Mannesmann / Demag, Bayer / Metzeler, Veba / Gelsenberg erwähnt. Diese Prominentenliste ließe sich durch Beispiele aus dem Bereich mittlerer Unternehmensgruppen und aus dem Banken- und Versicherungsbereich beliebig erweitern. In vielen dieser Fälle ergibt sich die Notwendigkeit, bestehende Systeme von Unternehmensverträgen auf mehreren Stufen zu koordinieren. Auf der einen Seite muß die übernommene Unternehmensgruppe in geeigneter Weise mit voller ertragssteuerlicher Wirkung - aber unter Berücksichtigung vielfältiger unternehmenspolitischer und organisatorischer Überlegungen, die eine weitgehende Selbständigkeit zweckmäßig erscheinen lassen können - mit der Konzernspitze verbunden werden. Auf der anderen Seite ist das Verhältnis der Konzernspitze und anderer Konzernteile, die unter Umständen in eine enge Kooperation oder wegen der Notwendigkeit der Umstrukturierung geschäftlicher Aktivitäten - in einen unmittelbaren organisatorischen Zusammenhang mit dem übernommenen Unternehmen und dessen Tochter- und Enkelgesellschaften geraten, zu überdenken und zu regeln. Es sind daher kaum ein Unternehmensvertrag, der im Zusammenhang mit der Übernahme einer Unternehmensgruppe abgeschlossen wird, oder eine parallel dazu abgeschlossene Kooperationsvereinbarung vorstellbar, in denen nicht über die Regelung der unmittelbaren Beziehungen zwischen Konzernspitze und der Spitze der übernommenen Unternehmensgruppe hinaus in diese Beziehungen unmittelbar oder mittelbar eingegriffen wird. Um nicht ein falsches Bild entstehen zu lassen, sei darauf hingewiesen, daß es auch Unternehmensgruppen gibt, in denen in den letzten Jahren eine Straffung der Konzernorganisation durch Eingliederung und Umwandlung von Gesellschaften, zuweilen in Verbindung mit Betriebsführungs- und Betriebspachtverträgen, zu beobachten war. • Kropff, S. 33.
Mehrstufige Unternehmensverträge
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Hierbei spielte der Ablauf wesentlicher Teile des Umwandlungssteuergesetzes am 31. 12. 1973 eine gewisse Rolle. Diese gegenläufige Bewegung zu dem zu beobachtenden Konzentrationsprozeß hatte zuweilen die gleichen Ursachen: Die Internationalisierung des Geschäfts in Produktion und Vertrieb, der starke Rückgang der Erträge, die Kosteninflation bei Löhnen und Gehältern, Rohstoffen, Energien und Investitionsgütern, und der durch das hohe Zinsniveau verursachte Druck hat oft auf der einen Seite die Bemühungen um eine Verbesserung der inneren Konzernstruktur ausgelöst oder verstärkt. Gleichzeitig haben sie das Interesse an einer Kooperation mit anderen Unternehmensgruppen bis hin zu teilweisen oder vollständigen Zusammenschlüssen, insbesondere auch bei und mit solchen, die in eine gewisse Bedrängnis geraten waren, erhöht. Neuerdings hat auch die Befürchtung einer unbefriedigenden Regelung der Konzernfragen im Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 29. 4. 197410 das Thema "mehrstufige Unternehmensverbindungen und -verträge wieder aktuell werden lassen 10a • Die Einführung mehrerer Ebenen paritätischer Mitbestimmung im mehrfach gestuften Konzern würde in wichtigen Fällen die Entstehung eines sich addierenden Einflusses der Arbeitnehmerseite gegenüber der Anteilseignerseite bewirken. Dies hätte zur Folge, daß in einem Konzern eine einheitliche, dem Gesamtinteresse der Gruppe dienende Unternehmenspolitik nicht mehr gewährleistet ist. Die in § 29 des Entwurfs vorgesehene Regelung zur Korrektur des sich in mehreren Stufen der paritätischen Mitbestimmung addierenden Einflusses der Arbeitnehmerseite gegenüber der Anteilseignerseite stellt eine unvollständige und nicht praktikable Teillösung dar. Es ist daher wohl kaum zu vermeiden, daß Unternehmensgruppen ihre Konzernorganisation durch Beseitigung von Stufen, die zu einer mehrfachen paritätischen Mitbestimmung in den Aufsichtsräten führen würden, zu straffen versuchen, falls keine sachgemäße Lösung gefunden wird, die die Fortführung einer einheitlichen Unternehmenspolitik im Konzern gestattet. In einigen Fällen sind derartige Konsequenzen bereits gezogen worden; so etwa im Bereich der Hoechst AG, die eine Reihe von Tochtergesellschaften, die als Betriebsführungsgesellschaften fungieren, 'auf die Hoechst AG umgewandelt hat. Auch für Gemeinschaftsunternehmen, deren besondere Probleme im Hinblick auf die Rechtsprechung des BAG über die Beteiligung der Arbeitnehmer des Gemeinschaftsunternehmens an den Aufsichtsräten mehrerer MuttergeseIlschaften der Entwurf ganz ungelöst läßt, könnten sich aus diesem Grunde neue überlegungen ergebenl l • Bundestags-Drucksache Nr. 7/2172. W. F. Bayer, "Mitbestimmung und Konzern", Der Betrieb 1975, S. 1167 ff. 11 Siehe hierzu Hoffmann: Die Rolle der Mitbestimmung in Gemeinschaftsunternehmen, F AZ-Blick durch die Wirtschaft Nr. 25 vom 30. 1. 1975, S. 7. 10
IOa
11 Festschrift fOr Kurt Ballerstedt
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Wilhelm F. Bayer IH. Gegenstand der Untersuchung
Die folg€nde Untersuchung greift einige Probleme auf, die sich bei Unternehmensverträgen im m€hrstufigen Konzern €rgeben. Sie kann keinen Anspruch auf €ine vollständige Erfassung der dabei auftretenden Phänomene erheben. Dabei wird von der Grundvorstellung einer Unternehmensgruppe ausgegangen, bei der mindestens durchgängige mehrstufige Abhängigkeits- bzw. Beherrschungsverhältnisse im Sinne des § 17 AktG bestehen. In der Regel wird es sich um einen einheitlich geleiteten Konzern im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG handeln. Vielfach wird irrtümlich angenommen, daß die Zusammenfassung eines herrschenden und eines oder mehrerer abhängiger Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens ein umfassendes Weisungsrecht der Konzernspitze voraussetze oder jedenfalls zur Folge habe. An das Ausmaß und die Form der einheitlichen Leitung dürfen keinesfalls zu weitgehende Forderungen gestellt werden, etwa in dem Sinne, daß alle irgendwi€ wesentlichen Bereiche der unternehmerischen Tätigkeit von der einheitlichen Leitung erfaßt werden müßten. Die amtliche Begründung des Regierungsentwurfes und ihr folgend die neuere aktienrechtliche Literatur legen jedoch einen weiten und elastisch€n Konzernbegriff zugrund€. Hiernach muß es als Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung bereits angesehen werden, wenn die Konzernleitung die Geschäftspolitik der Konzerngesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen ihrer Geschäftsführung aufeinander abstimmt. Diese Abstimmung setzt kein Weisungsrecht voraus. Sie kann sich vielmehr auch in der lock€ren Form gemeinsamer B€ratungen vollziehen oder aus einer personellen Verflechtung der Verwaltungen ergeben12. Die Untersuchung beschränkt sich auf Unternehmensverträge im Sinne von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, die ein Abhängigkeitsverhältnis vertraglich sichern oder ein Abhängigkeitsverhältnis herstellen. Nur diese sind in erster Linie als Organisationsverträge zu betrachten. Bei den anderen Unternehmensverträgen des § 292 AktG, die im folgenden nicht behandelt werden sollen, handelt es sich im Gegensatz zu den Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen des § 291 um schuldrechtliche Austauschverträge, wie sie g€rade auch zwischen unabhängigen Untern€hmen abgeschlossen werden können l3 • Weil und soweit diese Verträge nicht zur Abhängigkeit führen 14, ist ein besonderer Schutz von Aktionären und Gläubigern der beteiligten Unternehmen Kropff, S. 33. Kropff, S. 378. 14 Harms, S. 240 ff. mit weiteren Nachweisen; unzutreffend Bache, Der internationale Unternehmensvertrag, S. 340, der davon ausgeht, § 292 setze eine Abhängigkeitslage voraus. 12 13
Mehrstuftge Unternehmensverträge
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nicht erforderlich und bieten sie auch unter dem Gesichtspunkt der Mehrstufigkeit keine besonderen Probleme. IV. Unternehmensverträge mit mittelbar abhängigen Konzemunternehmen 1. Zulässigkeit gesetzlich nicht geregelter Gestaltungsformen Das Aktiengesetz hat die Frage, ob in mehrstufigen Konzernen Unternehmensverträge zwischen dem herrschenden Unternehmen der Konzernspitze und mittelbar abhängigen Unternehmen der weiteren Stufen, d. h. mit Enkel- und Urenkelgesellschaften abgeschlossen werden können, nicht geregelt. Es hat auch die Frage offen gelassen, ob ein abhängiges Unternehmen durch mehrere Unternehmensverträge mit Unternehmen verschiedener Stufen des Konzerns gebunden werden kann. Schließlich ist offen geblieben, ob ein herrschendes Unternehmen einen Unternehmensvertrag mit einer Enkelgesellschaft nur abschließen kann, wenn parallel dazu ein Unternehmensvertrag zwischen dem herrschenden Unternehmen und der Tochtergesellschaft besteht, die die Beteiligung an der Enkelgesellschaft hält bzw. die Stimmrechte daraus ausübt. Dem Abschluß solcher Verträge stehen jedoch keine zwingenden Bestimmungen des Aktienrechts entgegen. Insbesondere dann, wenn man - richtiger Auffassung nach - den Unternehmensvertrag nicht lediglich als schuldrechtlichen Austauschvertrag ansieht, der vor allem auf eine Gegenleistung abzielt, sondern als einen causalosen körperschaftlichen Organisationsvertrag mit normsetzenden Wirkungen, bestehen rechtstheoretisch und rechtssystematisch hiergegen keine Bedenken15 • Mit der Schaffung des Instituts des Unternehmensvertrages hat der Gesetzgeber lediglich zwingende Regelungen für den Minderheiten- und Gläubigerschutz im Rahmen der ihm wohlbekannten Praxis der Organisationsverträge innerhalb eines Konzerns schaffen wollen16 • Daß es dem Gesetzgeber nur hierauf ankam, und daß er im übrigen nicht in die vielfältigen organisatorischen Gestaltungen zwischen verbundenen Unternehmen eingreifen wollte, hat Geßler in einem nicht veröffentlichten Gutachten vom 1. 7. 1969 überzeugend nachgewiesen. Die genannten Vertragstypen sind daher zulässig bzw. dürfen miteinander kombiniert werden. Jeder einzelne vertraglich geregelte Beherrschungs- und Gewinnabführungs15 So die herrschende Lehre: Würdinger, DB 1958, 1451; Aktienrecht, S. 288; Großkommentar § 291 Anm. 11 und 12; Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht, S. 154; Biedenkopf/Koppensteiner, § 291 Anm. 20; Godin/Wilhelmi, Anm. 7 vor § 291; Sapper, Unternehmensverträge, S. 121; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 77; zweifelnd Rasch, Konzernrecht, S. 86; Baumbach/Hueck, § 291 Anm. 3. 16 Kropff, Begründung Regierungsentwurf S. 373 und 374.
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tatbestand ist als selbständiger Unternehmensvertrag zu qualifizieren und löst die Rechtsfolgen der §§ 291 ff. aus. Dies bedeutet etwa bei einem mehrfach gestuften Unternehmensvertrag - zum Beispiel zwischen Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaft -, daß nicht nur die Zustimmung der Hauptversammlung der Enkelgesellschaft und der Hauptversammlung der Konzernspitze, sondern auch der Hauptversammlung der Zwischenholding erforderlich ist, wenn diese in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben wird.
2. Erscheinungsformen und Motive Soweit ein derartiger Unternehmensvertrag über die Vereinbarung von Beherrschungs- oder Gewinnabführungstatbeständen zwischen den beteiligten Gesellschaften hinausreicht, kann es sich sowohl um schuldrechtliche wie um organisationsrechtliche Gestaltungen handeln. Schuldrechtliche Gestaltungen etwa in der Form, daß in einer Vereinbarung über die Zusammenarbeit auf bestimmten Gebieten ein Austausch von Leistungen stattfindet, zum Beispiel Patente, Lizenzen, Know-How, Dienstleistungen, die in dem Vertrag u. U. auch bereits bewertet werden. Organisationsrechtliche Bestimmungen etwa über ein unmittelbares Weisungsrecht der Muttergesellschaft in einem Unternehmensvertrag mit der Tochtergesellschaft hinsichtlich bestimmter von der Tochtergesellschaft abhängiger Gesellschaften oder auch in dem Sinne, daß die Muttergesellschaft mit der Tochtergesellschaft vereinbart, daß die Tochtergesellschaft hinsichtlich der von ihr abhängigen Gesellschaften oder der ihrer Leitung unterstellten Schwestergesellschaften als Zentralgesellschaft eines Geschäftsbereiches fungiert, der in sich gewissermaßen einen Konzern im Konzern bildet17 • Die Konzernspitze verzichtet insoweit auf ihr gegebenenfalls zustehende unmittelbare Weisungsbefugnisse und delegiert die Gesamtverantwortung für einen bestimmten Kreis von Gesellschaften auf eine bestimmte Konzerngesellschaft. Auch Unternehmensverträge mit zwei abhängigen Tochtergesellschaften, die als organisatorische wirtschaftliche Einheit geführt werden sollen, sind denkbar und kommen in der Praxis vor. Dies sogar in der Form, daß eine ausländische Muttergesellschaft mit einer abhängigen deutschen Gesellschaft und zugleich mit einer abhängigen ausländischen Gesellschaft einen gemeinschaftlichen Unternehmensvertrag abschließt18 • Ein derartiger Vertrag kann selbstverständlich nur hinsichtlich der Begrün17 Siehe hierzu Würdinger, S. 275; Kropff, BB 1965, S. 1284; Frisinger/Lehmann, DB 1972, S. 2337; Fitting/AuffarthiKaiser, § 76 Anm. 80, 81; Galperinl Siebert, § 76 Anm. 31 a; ablehnend Biedenkopf/Koppensteiner, § 18 Anm. 10 und Hoffmann, BB 1974, S. 1273 ff. 18 So der Unternehmensvertrag der Akzo N.V. vom 16.7.1969, der gemeinsam mit der Enka Glanzstoff AG und der Enka Glanzstoff b.v. abgeschlossen wurde.
Mehrstufige Unternehmensverträge
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dung eines Beherrschungsverhältnisses zur deutschen Tochtergesellschaft als Unternehmensvertrag im Sinne des § 291 angesehen werden. In seinen übrigen Teilen handelt es sich um eine freie organisationsrechtliche Gestaltung, der das deutsche Aktiengesetz nicht entgegensteht, die aber naturgemäß, soweit es sich etwa um Beziehungen zwischen zwei ausländischen Gesellschaften handelt, nach dem entsprechenden ausländischen Recht zu beurteilen ist. Der Abschluß eines Unternehmensvertrages zwischen Konzernspitze und Enkelgesellschaft unmittelbar kann in Betracht kommen, wenn z. B. die Tochtergesellschaft, bei der die Beteiligung an der Enkelgesellschaft liegt, nur die Funktion einer Finanzholding hat. Es wäre etwa vorstellbar, daß die Konzernspitze über der deutschen Aktiengesellschaft in den USA oder in einem anderen EWG-Land ihren Sitz hat, während die Zwischenholding, bei der die Aktien der deutschen Aktiengesellschaft liegen, in der Schweiz domiziliert. Da die Zwischenholding keine eigenen unternehmenspolitischen Zielsetzungen und Aufgaben hat, die betreffende Gruppe jedoch ein multinationales Geschäft betreibt, kann die Begründung eines unmittelbaren, auch vertraglich gesicherten Verhältnisses zwischen der Konzernspitze und der deutschen Enkelgesellschaft durchaus zweckmäßig sein. Vorstellbar wäre auch etwa der Fall, daß die übernahme einer Unternehmensgruppe durch eine andere zu einer völligen Umstrukturierung einer Tochtergesellschaft der übernommenen Gesellschaft zwingt, weil diese die gleichen Produkte wie das nunmehr herrschende Unternehmen herstellt. In einem solchen Falle kann ein Unternehmensvertrag unmittelbar zwischen der Konzernspitze und der nunmehrigen Enkelgesellschaft zweckmäßig sein, der als Instrument für die Organisation eines bestimmten Geschäftsbereiches innerhalb des Konzerns dient. Schließlich können auch gesellschaftssteuerliche Grunde Anlaß zum Abschluß von Unternehmensverträgen zwischen Konzernspitze und Enkelgesellschaften sein18. Der Phantasie der Konzernbauer und Konzernjuristen hinsichtlich der Gestaltung mehrstufiger Unternehmensverträge sind somit keine Grenzen gesetzt. Allerdings stellt sich, falls ein Unternehmensvertrag über die unmittelbar Beteiligten hinaus in andere Stufen hinübergreift, die Frage, wie sich Vertragsänderungen im Hinblick auf § 295 AktG rechtlich auswirken. Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, daß der Abschluß eines Unternehmensvertrages zwischen dem herschenden Unternehmen unmittelbar mit einem mittelbar abhängigen Konzernunternehmen zulässig ist, auch dann, wenn weder zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft noch zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft ein Unternehmensvertrag 11
So innerhalb der deutschen Shell-Gruppe.
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besteht. Dem Abschluß eines derartigen Unternehmensvertrages steht jedoch nicht entgegen, daß zwischen der Konzernspitze und der Tochtergesellschaft oder zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft bereits ein Unternehmensvertrag besteht.
3. Formelle Voraussetzungen der Wirksamkeit Schließt das herrschende Unternehmen des Konzerns unmittelbar mit der Enkelgesellschaft einen Unternehmensvertrag, so bedarf der Abschluß gemäß § 293 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung dieser Gesellschaft, die mit einer Mehrheit von mindestens 3/4 des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals gefaßt werden muß. Das bedeutet praktisch, daß der Unternehmensvertrag der Zustimmung der Tochtergesellschaft bedarf, bei der alle oder eine qualifizierte Mehrheit der Aktien der Enkelgesellschaft liegen. über die Erteilung dieser Zustimmung beschließt der Vorstand der Tochtergesellschaft, der seinerseits dazu auf Grund entsprechender Satzungsbestimmung die Zustimmung seines Aufsichtsrates einholen muß. Da die Tochtergesellschaft jedoch ihrerseits im Konzernverband bzw. in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, wird die Konzernspitze über die Hauptversammlung, über den Aufsichtsrat oder unmittelbar über eine Weisungsberechtigung die Entscheidung des Vorstandes der Tochtergesellschaft beeinflussen oder bestimmen. Sind nicht nur auf der Stufe der Enkelgesellschaft, sondern auch auf der Stufe der Tochtergesellschaft außenstehende Aktionäre vorhanden, so ergeben sich eine Reihe besonderer Probleme20 • Ist im Beispielsfall die Tochtergesellschaft Aktiengesellschaft, so sind bei Abschluß eines Unternehmensvertrages zwischen Konzernspitze und Enkelgesellschaft für das Verhältnis zwischen der Konzernspitze und der Tochtergesellschaft die §§ 311 ff. AktG zu beachten, soweit das Verhältnis zwischen der Konzernspitze und der Tochtergesellschaft nicht durch einen besonderen Unternehmensvertrag abgesichert ist. Besteht auf der ersten Stufe zwischen Konzernspitze und Tochtergesellschaft kein paralleler Unternehmensvertrag zu dem Unternehmensvertrag zwischen Konzernspitze und Enkelgesellschaft, so stellt sich bei Abschluß des letztgenannten Unternehmensvertrages auch die Frage, ob etwa die Tochtergesellschaft selbst als außenstehende Aktionärin im Sinne der Bestimmungen über Ausgleichszahlungen und Abfindung der §§ 304 und 305 AktG zu behandeln ist21 •
20
21
Siehe hierzu VI. Außenstehende Aktionäre S. 169 H. Hierüber siehe VI. 3. Konzernunternehmen als außenstehende Aktionäre,
S. 171 ff.
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v. Unternehmensverträge mit mittelbar abhängigen Konzernunternehmen im Steuerrecht Ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 zwischen einem herrschenden Unternehmen und einem nur mittelbar abhängigen Unternehmen kann seit Einführung des § 7 ades Körperschaftsteuergesetzes durch das Gesetz vom 15. 8. 1969 auch mit ertragsteuerlicher Wirkung abgeschlossen werden. Die steuerlichen Voraussetzungen für eine direkte Gewinnabführung der Enkelgesellschaft sind jedoch wesentlich enger als der verhältnismäßig weit gespannte Rahmen des § 291 Abs. 1 AktG, der lediglich die Unterstellung der abhängigen Gesellschaft unter die Leitung des herrschenden Unternehmens verlangt. Nach § 7 a Abs. 1 Ziffer 1 S. 2 KStG genügt eine mittelbare Beteiligung nur dann, wenn jede der Beteiligungen, auf denen die mittelbare Beteiligung beruht, die Mehrheit der Stimmrechte gewährt. Der Organschaftserlaß der Finanzverwaltung vom 30. 12. 1971 22 stellt hierzu klar, daß eine finanzielle Eingliederung bei mittelbarer Beteiligung nicht durch Zusammenrechnung einer unmittelbaren und einer mittelbaren Beteiligung oder durch Zusammenrechnung von mehreren mittelbaren Beteiligungen begründet werden kann. Ist also z. B. die Muttergesellschaft an der Enkelgesellschaft unmittelbar mit 50 Ofo und mittelbar über die Tochtergesellschaft mit 50 Ofo beteiligt, so wird steuerrechtlich die Enkelgesellschaft nicht als in die Muttergesellschaft finanziell eingegliedert angesehen, weil weder die unmittelbare Beteiligung noch die mittelbare Beteiligung der Muttergesellschaft an der Enkelgesellschaft allein die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung erfüllt; eine Zusammenrechnung beider Beteiligungen ist mit steuerlicher Wirkung nicht möglich, obwohl nach gesellschaftsrechtlicher Auffassung es sich um ein 100 G/o abhängiges Konzernunternehmen handelt. In einem anderen Beispiel sei die Muttergesellschaft mit je 100 Ofo an zwei Tochtergesellschaften beteiligt. Diese Gesellschaften besitzen ihrerseits je 50 G/o der Anteile an einer gemeinsamen Tochtergesellschaft, also einer Enkelgesellschaft der Muttergesellschaft. Da keine dieser mittelbaren Beteiligungen der Muttergesellschaft an der Enkelgesellschaft allein die Voraussetzungen des § 7 a Abs. 1 Ziffer 1 S. 2 KStG erfüllt und eine Zusammenrechnung der beiden mittelbaren Beteiligungen steuerrechtlich nicht statthaft ist, kann der Gewinn der Enkelgesellschaft nicht auf Grund eines Unternehmensvertrages mit steuerlicher Wirkung an die Muttergesellschaft abgeführt werden, obwohl gesellschaftsrechtlich ein 10QG/oiges Konzernverhältnis besteht. Bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrages mit einem mittelbar beherrschten Unternehmen ist die steuerrechtlich neben der finanziellen Eingliederung weiter geforderte organisatorische Eingliederung stets 22
Bundessteuerblatt 1972, I, S. 2 ff.
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gewährleistet23 • Durch die Notwendigkeit des Nachweises der wirtschaftlichen Eingliederung wird steuerrechtlich noch ein Mehr gefordert. Diese ist gegeben, wenn die mittelbar beherrschte Gesellschaft im Unternehmensaufbau des herrschenden Unternehmens nach Art einer unselbständigen Betriebsabteilung eingeordnet ist und in dieser Funktion die gewerbliche Betätigung des herrschenden Unternehmens wirtschaftlich fördert oder ergänzt24 • Die Unterschiede in den Begriffsbestimmungen zwischen körperschaftlicher Organschaft und konzernrechtlichem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bleiben daher, wie gerade das Beispiel der Behandlung mittelbarer Beteiligung zeigt, weiterhin erheblich. Die Feststellung von Würdinger 25 , das Körperschaftsteuergesetz habe in § 7 a die körperschaftsteuerliche Organschaft den Vorschriften des Aktiengesetzes angepaßt, trifft daher in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es hat lediglich eine gewisse Annäherung stattgefunden. Bis zu der durch § 7 ades KStG geschaffenen Rechtslage war das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25. 10. 1960 2t maßgebend, in dem dieser allgemein ausgesprochen hatte, daß die Obergesellschaft selbst und unmittelbar an der Untergesellschaft beteiligt sein müsse. Der Finanzausschuß des Bundestages hat sich dann nach Inkrafttreten des Aktiengesetzes von 1965 zu einer vorsichtigen Weiterentwicklung des Steuerrechts in Richtung auf die aktienrechtlichen Begriffsbestimmungen entschlossen, indem er sich zu der Auffassung bekannte, "daß eine mittelbare Beteiligung als Kriterium für die finanzielle Eingliederung dann genüge, wenn jede der Beteiligungen, auf denen die Mittelbarkeit beruht, dem jeweils unmittelbar beteiligten Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte an dem Beteiligungsunternehmen gewährt" 27. Der für die Anerkennung der steuerlichen Organschaft bei mittelbaren Beteiligungen erforderliche Nachweis einer ständigen Kette aufeinanderfolgender Mehrheitsbeteiligungen verrät die Skepsis des Gesetzgebers in Steuerfragen gegenüber dem elastischen gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff.
Siehe hierzu Organschaftserlaß Ziff. 7 organisatorische Eingliederung. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzung dler wirtschaftlichen Eingliederung erfüllt ist, sind jedoch nach Ziff. 4 des Organschaftserlasses keine engen Maßstäbe anzulegen. 25 Vorbemerkung I, 1 b vor § 291. 28 Bundessteuerblatt 1961, UI, S. 69. 27 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses des Bundestages, BundestagsDrucksache V/3882, 1969, zitiert nach Hermann - Heuer, Kommentar zum Körperschaftssteuergesetz, 16. Aufl. 1974, § 7 a Anm.12. 23
2(
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VI. Außenstehende Aktionäre auf verschiedenen Konzernstufen bei Unternehmensverträgen mit mittelbar abhängigen Konzemunternehmen Gewisse Probleme ergeben sich hinsichtlich der Behandlung außenstehender Aktionäre, wenn auf mehreren Stufen des Konzerns außenstehende Aktionäre vorhanden sind. Schließt die Muttergesellschaft einen Unternehmensvertrag unmittelbar mit einer Enkelgesellschaft, so gelten hinsichtlich der Behandlung der außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft die §§ 295, 304 und 305 AktG in gleicher Weise, wie beim Abschluß eines Unternehrnensvertrages zwischen der Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft. Gehören jedoch nicht nur der Enkelgesellschaft, mit der ein direkter Unternehmensvertrag abgeschlossen werden soll, sondern auch der Tochtergesellschaft, die eine qualifizierte Mehrheit der Aktien der Enkelgesellschaft hält, ihrerseits außenstehende Aktionäre an, so sind die Auswirkungen des Abschlusses des Unternehmensvertrages mit der Enkelgesellschaft auf diesen Aktionärkreis zu prüfen. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Muttergesellschaft nicht gleichzeitig mit der Tochtergesellschaft einen Unternehmensvertrag abschließt, in dem den außenstehenden Aktionären dieser Gesellschaft gemäß §§ 304, 305 AktG Ausgleichs- und Abfindungsansprüche eingeräumt werden. Führt auf Grund eines Unternehmensvertrages eine Enkelgesellschaft ihren Gewinn unmittelbar an die Muttergesellschaft ab oder unterstellt sie ihre Leitung unmittelbar der Muttergesellschaft im Rahmen eines Beherrschungsvertrages, so verliert die Tochtergesellschaft eine wesentliche Ertragsquelle. Sie muß bei einern Beherrschungsvertrag jedenfalls damit rechnen, daß Eingriffe der Muttergesellschaft bei der Enkelgesellschaft, die sich vorteilhaft für die Konzernspitze oder für andere Konzerngesellschaften auswirken, Nachteile für die Tochtergesellschaft zur Folge haben oder zur Folge haben können. Für eine Lösung dieses gesetzlich nicht geregelten Problems kommen zwei Möglichkeiten in Betracht:
1. Schadenersatzansprüche gemäß §§ 311 ff. AktG Da kein Unternehmensvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft besteht, gelten in ihrem Verhältnis uneingeschränkt die §§ 311 ff. über die Rechtsfolgen bei Vorliegen eines faktischen Konzernverhältnisses. Die Muttergesellschaft hat der Tochtergesellschaft gegenüber das Benachteiligungsverbot des § 311 zu beachten und ist ihr gegenüber gegebenenfalls ausgleichpflichtig. Die Tochtergesellschaft hat über die Tatsache, daß sie auf Veranlassung der Muttergesellschaft dem Abschluß des Unternehmensvertrages zwischen dieser und der Enkelgesell:' schaft zugestimmt hat, in ihrem Abhängigkeitsbericht gemäß § 312 zu berichten. Die Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft können sowohl
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gegenüber der Muttergesellschaft als auch gegenüber dem Vorstand der Tochtergesellschaft den Schaden geltend machen, der der Tochtergesellschaft durch ihre Zustimmung zum Abschluß des Unternehmensvertrages zwischen der Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft entsteht!8. Sie können auch den Schaden geltend machen, der den Minderheitsaktionären über den Schaden hinaus entsteht, den die Tochtergesellschaft erleidet: also etwa Ausgleich für den Schaden fordern, der ihnen durch einen besonders ungünstigen Börsenkurs entsteht, der darauf zurückzuführen ist, daß die Tochtergesellschaft infolge der direkten Abführung des Gewinns der Enkelgesellschaft an die Muttergesellschaft eine wesentliche Grundlage ihrer Ertragskraft verloren hat. Sollen die Minderheitsaktionäre der Tochtergesellschaft in einem solchen Fall auf reine Schadenersatzansprüche beschränkt sein, so müßten sie diese Ansprüche erst durchsetzen und hätten dabei die volle Beweislast zu tragen. Da sie keine unmittelbaren Auskunftsansprüche gegen die Enkelgesellschaft haben, wäre für sie der Nachweis sehr schwierig, welche Auswirkungen die unmittelbare Beherrschung der Enkelgesellschaft durch die Muttergesellschaft zur Folge hatte, wenn auch kein Zweifel bestehen kann, daß die Zustimmung zu einem derartigen Unternehmensvertrag für die Tochtergesellschaft bei positiver Ertragslage der Enkelgesellschaft Nachteile haben muß. Sicher ist dies jedenfalls bei vollständiger Abführung des Gewinns unmittelbar an die Muttergesellschaft der Fall. Die Minderheitsaktionäre können somit zwar die Schadenersatzansprüche der §§ 311, 317 geltend machen. Ihr Schutz erscheint unter den geschilderten Umständen jedoch nicht ausreichend.
2. AusgleichsanspTÜche gemäß §§ 304, 305 AktG Da die Nachteile des Unternehmensvertrages die außenstehenden Aktionäre der Tochtergesellschaft genauso treffen wie die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft liegt es nahe, auch den außenstehenden Aktionären der Tochtergesellschaft in analoger Anwendung der §§ 304 und 305 Ansprüche auf Ausgleichszahlung bzw. Dividendengarantie sowie auf eine Abfindung einzuräumen. Die Interessenlage ist in der Tat weitgehend vergleichbar, jedenfalls dann, wenn die Enkelgesellschaft für die Vermögens- und Ertragslage der Tochtergesellschaft von Bedeutung war oder eine solche Bedeutung hätte gewinnen können, wovon in der Regel ausgegangen werden kann. Gegen eine Zuerkennung der Ansprüche der §§ 304 und 305 an die außenstehenden Aktionäre der Tochtergesellschaft in entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen bestehen keine Bedenken. Der Muttergesellschaft kann ein Ausgleich der Nachteile der außenstehenden Aktionäre der Tochtergesellschaft im Unternehmens28
§ 317 Abs.l Satz 1; § 317 Abs. 4; § 309 Abs. 4.
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vertrag mit der Enkelgesellschaft durchaus zugemutet werden. Ein derartiger Unternehmensvertrag kommt daher rechtswirksam nur zustande, wenn die §§ 304 und 305 auch im Verhältnis zu den außenstehenden Aktionären der Tochtergesellschaft beachtet worden sind. Die Ausgleichsregelungen für beide Kategorien außenstehender Aktionäre werden naturgemäß unterschiedlich sein. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen der §§ 304 und 305 hat jedoch den Vorteil, daß bereits im Unternehmensvertrag mit der Enkelgesellschaft selbst eine Lösung des Problems der außenstehenden Aktionäre der am Unternehmensvertrag nicht beteiligten Tochtergesellschaft erfolgen muß.
3. Konzernunternehmen als außenstehende Aktionäre Es bleibt das Problem, wie eine Tochtergesellschaft, die ihrerseits nicht durch einen Unternehmensvertrag mit der Muttergesellschaft verbunden ist, hinsichtlich ihrer Beteiligung an der Enkelgesellschaft bei Abschluß eines Unternehmensvertrages der Enkelgesellschaft mit der Muttergesellschaft selbst zu behandeln ist. Kann sie im Hinblick auf die Nachteile, die sie als Gesellschaft selbst erleidet, als außenstehender Aktionär der Enkelgesellschaft betrachtet werden? Wenn ja, würden hierdurch Schadenersatzansprüche und Ausgleichsansprüche ihrer eigenen außenstehenden Aktionäre entfallen? a) Die amtliche Begründung29 geht offenbar von einem einheitlichen Begriff des außenstehenden Aktionärs für die verschiedene Ziele verfolgende Bestimmung des § 295 einerseits und der §§ 304 und 305 andererseits aus: "Zur Vermeidung einer kasuistischen Regelung verzichtet der Entwurf darauf, im einzelnen festzulegen, wer außenstehender Aktionär ist. Grundsätzlich sind alle Aktionäre der Gesellschaft mit Ausnahme des anderen Vertragsteils außenstehende Aktionäre. Dem anderen Vertragsteil müßten aber diejenigen Aktionäre gleichgestellt werden, deren Vermögen wirtschaftlich mit dem Vermögen des anderen Vertragsteils eine Einheit bildet oder deren Erträge dem anderen Vertragsteil oder denen die Erträge des anderen Vertragsteils zufließen. Nicht außenstehende Aktionäre sind daher auch Aktionäre, die mit dem anderen Vertragsteil unmittelbar oder mittelbar durch den Besitz aller Anteile oder durch einen Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrag verbunden sind." In der Literatur ist der Begriff des außenstehenden Aktionärs im Sinne der §§ 295,304 und 305 umstritten. Nach Godin/WilhelmiaG und Möhring/ 29
30 31
Kropff zu § 295, S. 385. § 295 Anm. 4, § 304 Anm. 4 und Anm. 7.
I RZ 751.
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Tank 31 sind schlechthin alle zum Konzern des Vertragspartners gehörigen oder jedenfalls von ihm abhängige Unternehmen nicht als außenstehende Aktionäre anzusehen. Biedenkopf/Koppensteiner bekennen sich zu dieser Konzernunternehmen ausschließenden Auffassung zwar für den Fall des § 295, lehnen sie jedoch für die Anwendung der §§ 304, 305 ausdrücklich ab 32 • Sie betrachten ein Konzernunternehmen lediglich dann nicht als außenstehenden Aktionär im Sinne der §§ 304 und 305, wenn alle Anteile an der Tochtergesellschaft sich im Besitz der Muttergesellschaft befinden und wenn zwischen Mutter und Tochter ein Beherrschungsund/oder Gewinnabführungsvertrag besteht33 • Nach Stehle 34 sind außenstehende Aktionäre diejenigen, "denen nach Abschluß des Beherrschungsvertrages die dem herrschenden Unternehmen zufließenden Vorteile weder direkt noch indirekt zugute kommen". Zu ähnlichen Ergebnissen wie Stehle kommen auch Ebenroth35 sowie Braucksiepe38 • Würdinger 7 geht im Gegensatz zu Biedenkopf/Koppensteiner von einem einheitlichen Begriff des außenstehenden Aktionärs aus, verlangt jedoch wie diese grundsätzlich, daß sich die Tochtergesellschaft im vollen Besitz des herrschenden Unternehmens befindet oder ihrerseits mit dem herrschenden Unternehmen durch einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verbunden ist. Die Vorteile des Vertrags, den das herrschende Unternehmen mit der Enkelgesellschaft geschlossen hat, kämen ihr zwar in diesem Fall nicht zugute. Die Beeinträchtigung ihrer Beteiligung an der Enkelgesellschaft treffe jedoch ausschließlich das herrschende Unternehmen, weil die an der Tochtergesellschaft sonst noch beteiligten außenstehenden Aktionäre durch ihre im Unternehmensvertrag mit der Tochtergesellschaft enthaltenen Garantien entschädigt seien. Würdinger will jedoch die Tochtergesellschaft dann als außenstehende Aktionärin der Enkelgesellschaft betrachtet wissen, wenn sie nicht ihrerseits durch einen Unternehmensvertrag mit der Konzernspitze verbunden ist. Sie werde dann nämlich von der Entwertung der zum Gesellschaftsvermögen der Tochtergesellschaft gehörenden Aktien mittelbar betroffen. Soweit das herrschende Unternehmen an dem der Tochtergesellschaft zukommenden Ausgleich mittelbar selbst partizipiere, sei dies ohne Belang, weil es den Ausgleich auch selbst zahle. 32 33
758. 34 35 38
37
§ 295 Anm. 15 und 16; vgl. auch Baumbach Hueck, § 295 Anm. 5. Biedenkopf/Koppensteiner, § 295 Anm. 13; dagegen Möhring/Tank, I RZ
AG 1966, 233 ff., 236. AG 1970, 104 ff. und 107 ff. BB 1966, 144 ff. Großkommentar zum AktG, § 295 Anm. 5.
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b) Einer Einschränkung des Ausschlusses aller konzernabhängigen Unternehmen aus dem Kreise der außenstehenden Aktionäre im Sinne der Auffassung Würdingers bedarf es jedoch nicht, wenn man - wie vorgeschlagen - in einem derartigen Fall den nicht konzernverbundenen Minderheits-Aktionären der Tochtergesellschaft bei Abschluß eines Unternehmensvertrages zwischen Mutter- und Enkelgesellschaft in entsprechender Anwendung der §§ 304 und 305 gleichfalls Ausgleichs- und Abfindungsansprüche zuerkennt. Letztlich geht es allein um den Schutz der nicht konzerngebundenen Minderheits-Aktionäre auf den verschiedenen Stufen des Konzerns. Der von mir vorgeschlagene Weg würde eine unmittelbare und nicht nur mittelbare und überdies weit effektivere Sicherung der Minderheits-Aktionäre der Tochtergesellschaft bedeuten. Dazu kommen einige weitere Überlegungen. Würde man die Tochtergesellschaft als außenstehende Aktionärin behandeln, so müßte ihr wie den Minderheits-Aktionären der Enkelgesellschaft ein Abfindungsvorschlag nach § 305 gemacht werden. Eine Abfindungsverpflichtung der Muttergesellschaft im Unternehmensvertrag mit der Enkelgesellschaft würde jedoch, soweit die Tochtergesellschaft in Betracht kommt, gegen § 71 Abs. 4 S. 1 zweiter Halbsatz in Verbindung mit § 71 Abs. 1 verstoßen, da die Tochtergesellschaft in diesem Fall Aktien der Muttergesellschaft erwerben würde. Für die Tochtergesellschaft käme somit allenfalls eine Barabfindung nach § 305 Abs. 2 Züf. 3 in Betracht, obwohl die anderen außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft nach § 305 Abs. 2 Ziff. 1 eine Abfindung in Aktien der Muttergesellschaft beanspruchen könnten. Ganz abgesehen von dem finanziellen Aufwand, den eine zwangsweise Abfindung der Tochtergesellschaft und die vermutlich in keiner Weise beabsichtigte übernahme der Kapitalbeteiligung der Tochter und der außenstehenden Aktionäre an der Enkelgesellschaft durch die Muttergesellschaft verursachen würde, würde damit auch den Minderheits-Aktionären der Tochtergesellschaft letztlich ein nicht unwesentlicher Teil des Schutzes vorenthalten, den sie genießen würden, wenn sich die Tochtergesellschaft nicht im Mehrheitsbesitz der Muttergesellschaft befände. Eine befriedigende Lösung des Problems der außenstehenden Aktionäre der Tochtergesellschaft in der Form, daß sie selbst als außenstehende Aktionärin der Enkelgesellschaft behandelt wird, erscheint daher nicht möglich. Der Schutzzweck der §§ 304 ff. liegt bekanntlich darin, Aktionäre vor den nachteiligen Folgen eines Vertrages zu sichern, dessen Abschluß sie nicht verhindern, dessen Inhalt sie nicht beeinflussen können. Mit Boetius38 wird man daher bei der Bestimmung des Begriffs des außenstehenden Aktionärs nicht nur darauf abstellen können, ob ein Aktionär un38
DB 1972, S. 1220 ff.
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mittelbar oder mittelbar mit der Konzernspitze vermögensmäßig bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Einheit bildet, ob er unmittelbar oder mittelbar auf Grund des Abschlusses des Beherrschungsvertrages zwischen Mutter- und Enkelgesellschaft in den Genuß von Vorteilen gelangt oder ob ihm die Vorteile des herrschenden Unternehmens zugerechnet werden können. Entscheidend dürfte vielmehr sein, daß ein mit mehr als 25 Ofo an einer Enkelgesellschaft beteiligtes abhängiges Unternehmen als solches keines zusätzlichen Schutzes bedarf, wenn es - gleichgültig aus welchem Grunde - davon absieht, das Wirksamwerden des Unternehmensvertrages zu verhindern, obwohl es auf Grund seiner Stimmrechtsmacht dazu in der Lage wäre. Es kann im Rahmen dieser Untersuchung dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung generell für jeden Aktionär gilt, der mindestens eine Sperrminorität besitzt. Sie erscheint jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn Ausgleichs- und Abfindungsansprüche der Minderheits-Aktionäre der Tochtergesellschaft unmittelbar im Unternehmensvertrag zwischen Muttergesellschaft und Enkelgesellschaft geregelt werden und eine derartige Regelung zur Voraussetzung des rechtswirksamen Abschlusses des Unternehmensvertrages mit der Enkelgesellschaft gemacht wird. Führt man den Gedanken weiter, daß jeder Unternehmensvertrag mit einer Enkelgesellschaft neben der Regelung der Ansprüche der außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft auch eine Regelung der Ansprüche der außenstehenden Aktionäre einer an der Enkelgesellschaft beteiligten Tochtergesellschaft enthalten muß, so kommt man zu einem vollständigen Ausschluß sämtlicher konzernverbundenen oder konzernabhängigen Unternehmen aus dem Kreis der nach §§ 304, 305 anspruchs berechtigten außenstehenden Aktionäre. Die an sich berechtigten Bedenken von Würdinger und Biedenkopf/Koppensteiner, die ihren eigentlichen Grund im Vorhandensein von Minderheits-Aktionären auf anderen Stufen des Konzerns haben, entfallen. Konsequenterweise müßte dann allerdings der Abschluß eines Unternehmensvertrages zwischen der Konzernspitze und einer Enkelgesellschaft von der Regelung der Ausgleichs- und Abfindungsansprüche der außenstehenden Aktionäre auf der Ebene der Tochtergesellschaften abhängig gemacht werden, auch wenn die Enkelgesellschaft selbst nicht über außenstehende Aktionäre verfügt, sondern sich vollständig im Besitz mehrerer abhängiger oder konzernverbundener Unternehmen befindet. c) Es entspricht im übrigen einer festen Praxis bei Unternehmensverträgen, konzernverbundene Unternehmen, insbesondere Tochtergesellschaften, die neben der Muttergesellschaft an einer Enkelgesellschaft beteiligt sind, nicht als außenstehende Aktionäre zu behandeln. Vorbehaltlich einer etwa erforderlichen Regelung für außenstehende Aktionäre auf einer vorgelagerten Konzernstufe ist es üblich, in Unternehmensverträgen als außenstehende Aktionäre nur diejenigen Aktionäre zu definie-
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ren, die weder unmittelbar noch mittelbar mit dem herrschenden Unternehmen des Konzerns verbunden sind. Ein Beispiel aus jüngster Zeit bietet der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag der AugustThyssen-Hütte AG mit der Edelstahlwerke Witten AG vom 20. 1. 1975, der in § 6 ausdrücklich vorsieht, daß die Dividendengarantie und Abfindungsansprüche nicht für die Rheinstahl AG gelten, solange der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der August-ThyssenHütte AG und der Rheinstahl AG vom 2. 7. 1974 rechtswirksam ist. Die Rheinstahl AG gilt ausdrücklich nicht als außenstehender Aktionär, obwohl diese ihrerseits außenstehende Aktionäre hat, deren Rechte im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Konzernspitze geregelt sind. An dem Grundkapital der Edelstahlwerke Witten AG sind die August-Thyssen-Hütte AG mit rd. 34 Ofo und die Rheinstahl AG mit rd. 63 Ofo beteiligt. VII. Koordinierte Unternehmensverträge im gestuften Konzern Unternehmensverträge mit mittelbar abhängigen Konzernunternehmen werden immer selten sein. Normalerweise werden im Konzern Unternehmensverträge jeweils nur für eine Stufe abgeschlossen, so daß ein System gestaffelter Unternehmensverträge entsprechend den Konzernstufen von der Konzernspitze bis nach unten entsteht. Ein derartiges Netz gestufter Unternehmensverträge ist aktienrechtlich vergleichsweise weniger problematisch. Die Koordinierung der in einem Konzern bereits bestehenden oder im Hinblick auf neu übernommene Unternehmen neu abzuschließenden Unternehmensverträge stellt jedoch den Praktiker vor große Anforderungen. Insbesondere bei der übernahme von Unternehmensgruppen bedarf es sorgfältiger Planung, um die unternehmerischen und organisatorischen Zielsetzungen des Gesamtkonzerns zu verwirklichen. Zuweilen ist dies nur über eine Reihe von vertraglichen Zwischenstufen möglich. Koordinierte Unternehmensverträge auf mehreren Stufen des Konzerns sind häufig nur die Oberfläche der vertraglichen Beziehungen innerhalb eines Konzerns, gewissermaßen die Spitze des Eisbergs. Sie werden abgeschlossen, um die aktienrechtlichen Erfordernisse hinsichtlich der Behandlung außenstehender Aktionäre zu erfüllen und den steuerlichen Erfordernissen zu genügen. Vielfach enthalten sie daher nur eine Art Minimalregelung. Dies gilt auch für die Leitungsmacht innerhalb des Konzerns, deren Verteilung aus den formelhaften, auf die Erfordernisse des Aktiengesetzes und des § 7 ades Körperschaftsteuergesetzes abgestellten Wendungen nicht abgelesen werden kann. In aller Regel werden neben oder zusammen mit den Unternehmensverträgen innerhalb eines Konzerns besondere Kooperations- und Orga-
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nisationsvereinbarungen getroffen, die die unterschiedlichsten Bezeichnungen tragen und die unterschiedlichsten Inhalte haben können. Gemeinsam ist ihnen nur, daß sie nicht an die Zustimmung der Hauptversammlung gebunden sind und daher kaum je zUr Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen. Während im faktischen Konzern derartige Kooperations- und Organisationsvereinbarungen volle rechtliche Wirksamkeit entfalten und nur mit dem Risiko der Ausübung der faktischen Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens in den durch § 311 ff. gezogenen Grenzen behaftet sind, ist ihre Bedeutung im Vertragskonzern nur eine begrenzte. Derartige Vereinbarungen haben insoweit mehr die Funktion einer Selbstbindung des herrschenden Unternehmens, die je nach den Verhältnissen frei oder jedenfalls kurzfristig änderbar und neu gestaltbar ist. Die Kenntnis dieser Vereinbarungen ist jedoch unentbehrlich, um ein klares Bild über die Delegation der Leitungsmacht im Konzern und den Umfang des Weisungsrechts der Konzernspitze gegenüber den abhängigen Konzernunternehmen zu gewinnen. Koordinierte Unternehmensverträge auf mehreren Stufen des Konzerns sind darüber hinaus häufig begleitet von Betriebspachtverträgen, Betriebsführungsverträgen, umfassenden Liefer- und Abnahmeverträgen, Verträgen über technische Zusammenarbeit, Patent-, Lizenz- und Know-How-Verträgen sowie Verträgen über die Umlage von Konzerngemeinkosten entsprechend den von der Konzernspitze oder einer Unterkonzernspitze für sämtliche oder einen Teil der abhängigen Konzernunternehmen auf den nachgeschalteten Stufen erbrachten Leistungen. Diese begleitenden organisatorischen und wirtschaftlichen Vereinbarungen innerhalb des Konzerns gehen regelmäßig über die Beziehungen zwischen zwei Unternehmen hinaus und umfassen alle oder mehrere Konzernstufen. Dies gilt etwa für die häufigen Vereinbarungen zwischen der Konzernspitze und einem konzernabhängigen Unternehmen der nachfolgenden Stufe, in die die jeweiligen Enkel- und Urenkelgesellschaften einbezogen sind. In dem nach außen in Erscheinung tretenden Bild der koordinierten Unternehmensverträge tritt das Problem der Mehrstufigkeit nur punktuell in Erscheinung.
1. Wirkungen von Unternehmensverträgen zwischen Konzernspitze und Tochtergesellschaft auf die außenstehenden Aktionäre von Enkelgesellschaften bei mehrfachen gestuften Unternehmensverträgen Die übernahme einer Unternehmensgruppe durch eine andere trifft oftmals auf eine Lage, in der innerhalb der übernommenen Unternehmensgruppe bereits Unternehmensverträge bestehen, die außenstehen-
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den Aktionären Ausgleichs- und Abfindungsansprüche gemäß den §§ 304, 305 AktG einräumen. In der Regel sind diese Verträge durch Ablauf der 2-Monats-Frist der §§ 304 Abs. 4 und 305 Abs. 5 unanfechtbar geworden. Ein gemäß § 305 angebotener Aktienumtausch ist durchgeführt. Somit trifft ein derartiger neuer Unternehmensvertrag nur auf außenstehende Aktionäre einer nunmehrigen Enkelgesellschaft, die Inhaber von festen oder variablen Dividendengarantien sind. Wird das bisher herrschende Unternehmen seinerseits zum abhängigen Unternehmen, so bedürfen die außenstehenden Aktionäre, die sich durch den bisherigen Unternehmensvertrag geschützt fühlen konnten, zusätzlicher Sicherungen. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der §§ 304 und 305, wohl aber aus den Grundgedanken dieser Bestimmungen, die eine analoge Anwendung gestatten. Auch der für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln geltende § 216 Abs. 3 AktG, der zwingend eine Anpassung der bestehenden Dividendengarantien an die veränderten Kopitalrelationen vorschreibt, bietet einen Anhaltspunkt dafür, daß durch die übernahme des bisher herrschenden Unternehmens die Rechte der außenstehenden Aktionäre der nunmehrigen Enkelgesellschaft nicht beeinträchtigt werden dürfen. Folgende Fälle sind zu unterscheiden: a) Hat das nunmehr herrschende Unternehmen alle Anteile der Tochtergesellschaft erworben, sind also auf der Ebene der Tochtergesellschaft keine außenstehenden Aktionäre vorhanden, so bedürfen die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft eines Schutzes gegen eine Aushöhlung der Tochtergesellschaft, von der ihre Rechte abhängen. Bei einer festen Dividendengarantie ist somit der den außenstehenden Aktionären der Enkelgesellschaft in entsprechender Anwendung des § 304 zuzuerkennende Ausgleichsanspruch darauf gerichtet, daß der Unternehmensvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft eine zusätzliche Garantie des nunmehr herrschenden Unternehmens enthält. Diese tritt neben die unverändert fortbestehende feste Dividendengarantie der Tochtergesellschaft. Die Garantie des nunmehr herrschenden Unternehmens kann in die Form eines Vertrages zugunsten Dritter gekleidet sein und muß, sofern nicht ein unmittelbarer Anspruch eingeräumt wird, der Tochtergesellschaft jedenfalls die Mittel garantieren, die sie benötigt, um ihre Verpflichtungen aus der festen Dividendengarantie gegenüber den außenstehenden Aktionären der Enkelgesellschaft zu erfüllen. Bei einer variablen Dividendengarantie kann die Dividende der nunmehrigen Tochtergesellschaft nicht mehr Maßstab für die Rechte der außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft sein, da die Ausschüttungspolitik der Tochtergesellschaft künftig allein von der Konzernspitze bestimmt werden wird. Die Lage ist so grundlegend verändert, 12 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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daß den Inhabern einer variablen Dividendengarantie in einem solchen Falle ein zusätzlich neben ihren bisherigen Ausgleichsanspruch gegen die Tochtergesellschaft tretender Ausgleichsanspruch gegen das herrschend gewordene Unternehmen zuzuerkennen ist. Eine Mindestausschüttungsverpflichtung der Tochtergesellschaft würde nicht weiterhelfen. Nur die Dividende des herrschenden Unternehmens kann künftig einen angemessenen Maßstab für eine variable Dividendengarantie bieten. Insoweit ist selbstverständlich eine Umrechnung der bisher maßgebenden Bemessungsgrundlage nach den Grundsätzen der Verschmelzung erforderlich. Da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß bei einer entsprechenden Ausschüttungspolitik der Tochtergesellschaft im Interesse des nunmehr herrschenden Unternehmens die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft mit der an der Dividende der Tochtergesellschaft orientierten variablen Dividendengarantie besser fahren, ist die ursprüngliche Regelung jedenfalls dann aufrecht zu erhalten, wenn das nunmehr herrschende Unternehmen - zum Beispiel als ausländisches Unternehmen - lediglich einen Beherrschungsvertrag und nicht auch einen Gewinnabführungsvertrag mit der Tochtergesellschaft abgeschlossen hat. Im Falle eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ist jedoch der Maßstab, an dem sich die variable Dividendengarantie orientierte, entfallen. Der Ausgleichsanspruch richtet sich in diesem Falle ausschließlich gegen das herrschend gewordene Unternehmen. b) Hat die nunmehrige Tochtergesellschaft ihrerseits außenstehende Aktionäre, so tritt insofern eine gewisse Vereinfachung ein, als nunmehr ein neuer Wertmaßstab in Gestalt der den außenstehenden Aktionären der Tochtergesellschaft im Unternehmensvertrag von dem nunmehr herrschend gewordenen Unternehmen zugesagten Ausgleichs- und Abfindungsrechte zur Verfügung steht. Für die Inhaber einer festen Dividendengarantie besteht keine andere Lage. Ihr Ausgleichsanspruch auf zusätzliche Sicherung ist als erfüllt anzusehen, wenn das nunmehr herrschende Unternehmen im Unternehmensvertrag mit der Tochtergesellschaft eine zusätzliche Garantie gibt. Bei einer variablen Dividendengarantie ist der Anspruch der außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft darauf gerichtet, im entsprechenden Wertverhältnis von dem nunmehr herrschend gewordenen Unternehmen entsprechende Ausgleichsleistungen zu erhalten, wie sie den außenstehenden Aktionären der Tochtergesellschaft geboten werden. c) Im entsprechenden Wertverhältnis ist den außenstehenden Aktionären der nunmehrigen Enkelgesellschaft auch ein Anspruch auf Abfindung analog § 305 einzuräumen. Dies gilt sowohl dann, wenn das herrschende Unternehmen alle Anteile der Tochtergesellschaft erworben hat, als auch dann, wenn diese ihrerseits über außenstehende Aktionäre
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verfügt. Den außenstehenden Aktionären der Enkelgesellschaft kann nicht zugemutet werden, eine Aktie zu behalten, deren Bewertungsgrundlage sich entscheidend verändert hat. Im Normalfalle waren die Aktien des bisher herrschenden Unternehmens, der nunmehrigen Tochtergesellschaft, ein Publikumspapier, an dessen Kurs im entsprechenden Wertverhältnis der Dividendengarantie sich auch der Kurs der Aktien der Enkelgesellschaft, soweit noch im Umlauf befindlich, orientierte. Diese Bezugsgröße ist zwar formell nicht entfallen. Mit Sicherheit ist jedoch aus dem Publikumspapier ein unter Umständen nicht einmal mehr zum amtlichen Handel zugelassener Spezialwert geworden, der seinerseits in ein bestimmtes Wertverhältnis zur Publikumsaktie de,s nunmehr herrschend gewordenen Unternehmens getreten ist. Eine derartige Entwicklung war für die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft nicht vorhersehbar und kann auch nicht als durch die Ausgleichsleistungen, die sie auf Grund des Unternehmensvertrages zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft erhalten haben, abgegolten angesehen werden. Sowohl in den Fällen einer festen Dividendengarantie als auch einer variablen Dividendengarantie ist daher in entsprechender Anwendung des § 305 im Unternehmensvertrag zwischen dem nunmehr herrschenden Unternehmen und der Tochtergesellschaft auch ein Abfindungsangebot für die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft vorzusehen. d) Die sich für die außenstehenden Aktionäre der nunmehrigen Enkelgesellschaft ergebende Rechtslage entspricht auch der Vertragspraxis. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Anpassung variabler Dividendengarantien an die für die außenstehenden Aktionäre der Tochtergesellschaft getroffene Regelung im Vertrag mit dem herrschend gewordenen Unternehmen als auch für die Abfindungsangebote des herrschenden Unternehmens, die in der Praxis stets die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft mit einbeziehen39 • 2. Wirkungen von Unternehmensverträgen nur zwischen Konzernspitze und Tochtergesellschaft oder nur zwischen Tochtergesellschaft und Enkelgesellschaft
a) Vertrag nur zwischen Konzernspitze und Tochtergesellschaft Besteht nur zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein Beherrschungsvertrag, nicht aber auch zwischen Tochtergesellschaft und Enkelgesellschaft, dann haben die außenstehenden Aktionäre der Enkelgesellschaft Anspruch auf den Schutz, den die §§ 311 ff. ihrer Gesellschaft sowohl gegen Einwirkungen der Tochtergesellschaft als auch der Kon3D Siehe die Regelung für die außenstehenden Aktionäre der J. P. Bemberg AG im Unternehmensvertrag Akzo/Enka Glanzstoff vom 16. 7.1969.
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zernspitze gewähren. Sie erlangen durch den Abschluß eines Beherrschungsvertrags zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft anders als bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags zwischen Tochtergesellschaft und Enkelgesellschaft - jedoch keine etwa ebenfalls auf eine analoge Anwendung der §§ 304 und 305 AktG gestützten Ausgleichs- und Abfindungsansprüche40 • Das Vermögen der Tochtergesellschaft ist durch den ihr zustehenden Anspruch gemäß § 302 auf Verlustausgleich in seinem Bestand auch zugunsten der Enkelgesellschaft und deren außenstehender Aktionäre gesichert. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Muttergesellschaft gemäß § 308 die Tochtergesellschaft jederzeit zum Abschluß eines Beherrschungsvertrages mit der Enkelgesellschaft anweisen kann 41 • Die Konzernspitze ist gemäß § 308 berechtigt, der Tochtergesellschaft Weisungen in bezug auf ihre Unternehmenspolitik gegenüber der Enkelgesellschaft zu erteilen. Die Ausführung dieser Weisungen durch Ausübung faktischer Konzernmacht auf die Enkelgesellschaft durch die Tochtergesellschaft unterliegt jedoch den Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. Das herrschende Unternehmen hat stets auch die faktische Möglichkeit, unmittelbar auf die Enkelgesellschaft einzuwirken, die auch dadurch nicht zu einer rechtlichen wird, daß etwa der Beherrschungsvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ausdrückliche Bestimmungen hinsichtlich einer direkten Einflußnahme der Konzernspitze auf die Enkelgesellschaft enthält. Aus der Tatsache allein, daß das herrschende Unternehmen gemäß § 308 von der Tochtergesellschaft jederzeit den Abschluß eines Beherrschungsvertrages zwischen dieser und der Enkelgesellschaft wie auch die Einräumung eines unmittelbaren Einwirkungsrechts auf die Enkelgesellschaft verlangen kann, kann nicht geschlossen werden, daß die Muttergesellschaft als berechtigt anzusehen wäre, als "Delegierte der Tochtergesellschaft zu handeln". Eine derartige Annahme macht Würdinger42 offenbar für den Fall, daß nicht nur im Verhältnis zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft, sondern auch im Verhältnis zwischen Tochtergesellschaft und Enkelgesellschaft ein Beherrschungsvertrag besteht. Der durch die §§ 311 ff. bezweckte Schutz der Enkelgesellschaft greift daher in vollem Umfang sowohl gegenüber der Tochtergesellschaft als auch gegenüber der Muttergesellschaft Platz. Für den Ersatzanspruch aus § 317 ist es unerheblich, ob eine von der Tochtergesellschaft ausgehende Beeinträchtigung der Enkelgesellschaft auf eigener Initiative der Tochtergesellschaft oder auf Veranlassung der Muttergesellschaft beruht. Im Zweifel wird, falls die Vermutung einer Einwirkung auch 40
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Ebenso Würdinger, § 311 Anm. 17. Würdinger, § 291 Anm. 28. § 291 Anm. 30.
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der Konzernspitze nicht widerlegt werden kann, von einer solidarischen Haftung der Tochter- und der Muttergesellschaft auszugehen sein43 • Im Gegensatz zur Auffassung Kronsteins können jedoch nicht zwei voneinander selbständige Abhängigkeitsverhältnisse zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft einerseits und der Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft andererseits angenommen werden. Die Enkelgesellschaft hat auch nur einen einheitlichen Bericht nach § 312 zu erstatten, der sich auf alle Geschäfte und Maßnahmen zu beziehen hat, die die Enkelgesellschaft mit der Tochtergesellschaft vorgenommen hat, gleichgültig ob die Veranlassung von der Konzernspitze oder einem anderen verbundenen Unternehmen ausgegangen ist, unter Einschluß auch der unmittelbar von der Muttergesellschaft veranlaßten Geschäfte und Maßnahmen der Enkelgesellschaft. Würde man Kronstein folgen, so wäre die Enkelgesellschaft verpflichtet, getrennte Abhängigkeitsberichte zu erstatten 44 • Für die Form der Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft ist weniger die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses als vielmehr die Form der mittelbaren oder unmittelbaren - Einwirkung der Muttergesellschaft entscheidend und wieweit diese Einwirkung als über einen Beherrschungsvertrag abgedeckt oder als Ausübung rein faktischer Konzernmacht bzw. als Einflußnahme im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses anzusehen ist. b) Vertrag nur zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft Besteht nur ein Beherrschungsvertrag zwischen TOchter- und Enkelgesellschaft, ohne daß auch ein Beherrschungsvertrag zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft oder zwischen Muttergesellschaft und Enkelgesellschaft abgeschlossen ist, so gelten zwar für das faktische Konzernverhältnis zwischen Muttergesellschaft einerseits und Tochterund Enkelgesellschaft andererseits die Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. Im Rahmen der §§ 308, 309 können jedoch im Verhältnis zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft Weisungen erteilt werden. Für die Rechte der Enkelgesellschaft und ihrer außenstehenden Aktionäre und Gläubiger ist es insoweit gleichgültig, ob die von der Tochtergesellschaft erteilte Weisung ihrer eigenen Initiative entsprungen oder von der Muttergesellschaft veranlaßt worden ist. Die Tatsache der mittelbaren Einwirkung der Konzernspitze ist insoweit unerheblich. Wenn nach § 308 im Rahmen eines Beherrschungsvertrages nachteilige Weisungen auch dann zulässig sind, wenn sie dem Interesse der Konzernspitze dienen, müssen die außenstehenden Aktionäre und Gläubiger 43 Ebenso Kronstein, Betriebsberater 1967, S. 637 ff.; Würdinger, § 311 Anm.15. U Wie hier Würdinger, § 311 Anm. 15.
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eine derartige mittelbare Benachteiligung der Enkelgesellschaft hinnehmen. Sie sind durch ihre Ausgleichs- und Abfindungsansprüche gegen die Tochtergesellschaft geschützt45 • Darüber hinaus ist ihnen, wie von Würdinger vorgeschlagen, in analoger Anwendung des § 309 ein Anspruch gegen das herrschende Unternehmen auf Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters bei der Veranlassung einer Weisung durch die Tochtergesellschaft zuzuerkennen. Dies erscheint jedenfalls systemgerechter als eine Anwendung der Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. gegen die Muttergesellschaft, die in derartigen Fällen der Enkelgesellschaft gegenüber nicht unmittelbar in Erscheinung tritt. Für direkte Eingriffe der Muttergesellschaft gegenüber der Enkelgesellschaft, die also Ausübung faktischer Konzernmacht darstellen, läßt sich weder aus dem Beherrschungsvertrag zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft noch aus den aktienrechtlichen Bestimmungen eine besondere Berechtigung ableiten. Es sollte daher insoweit bei der Anwendbarkeit der §§ 311 ff. bleiben. Würdinger verneint generell die Anwendbarkeit der Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. im Verhältnis zwischen Muttergesellschaft und Enkelgesellschaft und will diese durch eine analoge Anwendung des § 309 auch im Verhältnis zwischen der Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft ersetzen. Andererseits spricht Würdinger in diesem Zusammenhang nur davon, daß die Muttergesellschaft den zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft geschlossenen Beherrschungsvertrag benutze, um selbst über die von ihr abhängige Tochtergesellschaft die Leitungsmacht auszuüben. Da Würdinger nicht generell zwischen mittelbaren und unmittelbaren Einwirkungen unterscheidet, erscheint fraglich, ob seine Feststellung, die §§ 311 ff. seien im Verhältnis zwischen der Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft durch eine analoge Anwendung des § 309 zu ersetzen, auch für unmittelbare Einwirkungen der Konzernspitze auf die Enkelgesellschaft gedacht ist. § 309 soll die richtige Ausübung des Weisungsrechts im Vertragskonzern sichern. Dogmatisch ist eine analoge Anwendung dieser Vorschrift wohl nur gerechtfertigt, wenn in der Tat der zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft bestehende Beherrschungsvertrag zur Ausübung eines mittelbaren Einflusses der Konzernspitze benutzt wird. Eine völlig außerhalb dieser Vertragsbeizehung erfolgende unmittelbare Ausübung faktischer Konzernmacht sollte weiterhin den Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. unterworfen sein. Selbstverständlich kann auch der Beherrschungsvertrag zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft Vereinbarungen über eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit der Konzernspitze enthalten. Insoweit würde mit Würdinger die Verantwortlichkeit der Konzernspitze aus einer 45
Ebenso Würdinger, § 311 Anm. 16.
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entsprechenden Anwendung des § 309 und nicht aus den Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. abzuleiten sein. Die generalisierende Betrachtung Kronsteins, der im Verhältnis zwischen Muttergesellschaft und Enkelgesellschaft grundsätzlich die Schutzbestimmungen der §§ 311 ff. für anwendbar erklärt 46 , wird der differenzierten Lage in bezug auf die Ausübung der Leitungsmacht im Konzern nicht gerecht. Kronstein will von einer Anwendbarkeit der §§ 311 ff. nur dann absehen, wenn neben dem Beherrschungsvertrag zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft auch zwischen Muttergesellschaft und Enkelgesellschaft unmittelbar ein Beherrschungsvertrag geschlossen wird. Damit soll der Gefahr einer Entwertung der von der Tochtergesellschaft im Beherrschungsvertrag der Enkelgesellschaft gewährten Garantien und insbesondere der Aushöhlung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft vorgebeugt werden. Aus den dargelegten Gründen sollte die Anwendbarkeit der §§ 311 ff. jedoch auf die Fälle einer unmittelbaren Einwirkung der Muttergesellschaft beschränkt sein, die nicht durch Vereinbarungen im Beherrschungsvertrag zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft gedeckt sind. Mit Würdinger wäre in den Fällen einer mittelbaren Einflußnahme des herrschenden Unternehmens über und im Rahmen des Beherrschungsvertrags zwischen der Tochtergesellschaft und der Enkelgesellschaft eine sich aus der entsprechenden Anwendung des § 309 ergebende Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens anzunehmen.
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Betriebsberater 1967, S. 637 ff.
Pflegschaften für Handelsgesellschaften und juristische Personen Von Günther Beitzke Pflegschaften für Handelsgesellschaften oder für juristische Personen sind in den letzten Jahrzehnten häufiger eingerichtet wordenl • Das Bedürfnis danach schien sich aus Zweifeln am Fortbestand der Gesellschaften oder juristischen Personen, oder aus Fehlen, Unbekanntheit oder Unerreichbarkeit von Organen zu ergeben. Gesellschafter wie auch Gläubiger oder einstige Organe waren am Fortbestand der Gesellschaft oder juristischen Person, mindestens an der Regelung von deren Vermögensverhältnissen interessiert. Ob dafür freilich die Einsetzung von Pflegern stets den sachgerechten Ansatzpunkt bildet, mag zweifelhaft erscheinen. Diese Zweifel werden bestärkt durch den jüngst mehrfach erörterten Prozeß um -die Enteignung chilenischer Kupferminen2 • Gegen einen deutschen Käufer und Ver arbeiter des aus einer enteigneten chilenischen 1 Vgl. betr. Genossenschaften aus der CSSR, BGHZ 33,195; OLG Nürnberg, NJW 1952, 105 (dagegen aber OLG Hamm, OLGZ 1965, 329; Notvorstand für eine Genossenschaft aus der CSSR). Für amerikanische Gesellschaft vgl. LG Düsseldorf, IPRspr. 1964/65 Nr. 24; für polnische AG, BayObLG, IPRspr. 1956/ 57 Nr. 20. Für ungarische AG vgl. BGHZ 56, 67: erst Pfleger, dann Liquidator. Interzonal vgl. LAG Bayern, IZRspr. 1945 - 1953, Bd. I, Nr. 120 (GmbH aus Ost-Berlin), LG Saarbrücken, IZRspr. 1954 - 1957, Bd. I, Nr. 51 (eGmbH Volksbank, Sowjetzone vom LG Saarbrücken als internationaler Fall behandelt). LG Stuttgart, NJW 1949, 384 (KG aus sowj. Zone); KG, IZRspr. 1945 - 1953, Bd. I, Nr. 122 (OHG von östlich der Oder-Neiße-Linie); LG BerUn, IZRspr. 1945 - 1953, Bd. I, Nr. 123 (OHG aus Sowjetzone, von der nur ein Gesellschafter enteignet war); LG Hannover, NJW 1962, 1970 (AG aus dem Elsaß). Dagegen für Organersetzung statt Pflegern LG Tübingen, MDR 1964, 422 und OLG München, RzW 1968, 20 (vgl. auch oben OLG Hamm, OLGZ 1965, 329); OLG Celle, NJW 1964, 113 und 1965, 504 ff. (beide Fälle betr. PREVAG). Für Pfleger bei Vereinen vgl. schon früher OLG München, JFG 18, 186; dann BGHZ 19, 51 ff. (s. ergänzend auch BGH LM 2 zu § 21 BGB und BAG, NJW 1967, 1437). Für Stiftungen des öffentlichen Rechts vgl. OLG Frankfurt, IZRspr. 1945 bis 1953, Nr. 124 und KG, Nr. 126. Öffentlich-rechtlich ferner LG BerUn, JR 1952, 444 (Reicllsbank), OLG Düsseldorf, IZRspr. 1945 - 1953, Nr. 125 (StadtG.; sowj. Zone), KG, a.a.O., Nr. 127 (Krankenkasse aus dem Sudetenland). I LG Hamburg, Beschl. vom 5. 1. 1973, RabelsZ 37 (1973), 578 (einstweilige Verfügung); Urteil vom 22.1. 1973, RabelsZ 37 (1973), 579 (Aufhebung der einstweiligen Verfügung); LG Hamburg, AWD 1974, 411 (Prozeßurteil in der Hauptsache). Lies dazu Behrens, RabelsZ 37 (1973),344 ff.; Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 421 ff.; Meessen, AWD 1973, 177 ff. und 1974, 494 ff.
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Kupfermine stammenden Kupfers klagte die angebliche deutsche "Spaltgesellschaft" (oder "Restgesellschaft") der angeblich in Chile durch die Enteignung erloschenen dortigen Minengesellschaft. Die Spaltgesellschaft wurde im Prozeß durch einen Pfleger vertreten, der ihr auf Betreiben des amerikanischen 49 Ofoigen Minderheitsaktionärs der chilenischen Gesellschaft vom Amtsgericht Hamburg bestellt worden war. Der Pfleger klagte namens der Spaltgesellschaft als solcher, entsprechend dem Wunsch des Minderheitsaktionärs und entgegen dem erklärten Willen des 51 Ofoigen Mehrheitsaktionärs, einer vom chilenischen Staat beherrschten Gesellschaft. Es mutet eigenartig an, daß ein Pfleger dazu da sein 'Soll, eine Gesellschaft zu vertreten, deren Mitglieder bekannt und handlungsfähig sind, und dann auch noch entgegen dem erklärten Willen der Mitgliedermehrheit soll tätig werden können. Man fragt sich unwillkürlich, ob hier ein Pfleger nötig und ob er die richtige Stelle zur Entscheidung von Differenzen zwischen den Mitgliedern einer Aktiengesellschaft ist oder zur einseitigen Geltendmachung des Standpunkts nur eines Teils der Mitglieder nach außen hin ist. Der Funktion des Pflegers, Angelegenheiten des Pfleglings (hier: der Gesellschaft als ganzer) wahrzunehmen, scheint dies nicht uneingeschränkt zu entsprechen. Jedenfalls wird deutlich, daß die Figur eines Pflegers für Gesellschaften oder juristische Personen da fragwürdig sein kann, wo echte Gesellschaftsorgane für die im Zusammenhang mit der Vertretung nach außen auch nötige interne Willens bildung den im Einzelfall anstehenden Aufgaben angemessener wären. Das BGB hatte Pflegschaften für juristische Personen nicht vorgesehen. Die im BGB vorgesehenen Pflegschaftsfälle sind nach den Motiven zum BGB3 und der ursprünglich allgemeinen Meinung ausschließlich aufgezählt, so daß ihre Erweiterung im Wege der Analogie ausgeschlossen ist. Dementsprechend hatte das Kammergericht 1907 die Bestellung eines Pflegers für eine Aktiengesellschaft ausdrücklich abgelehnt und einen Gläubiger der AG, welcher meinte, seinen Vollstreckungsbefehl der AG nicht zustellen zu können,auf den Weg verwiesen, einen Notvorstand entsprechend BGB § 29 beim Registergericht zu beantragen4 • Diesen Standpunkt hatte das Kammergericht auch 1920 im Rahmen der mannigfachen nach dem 1. Weltkrieg aufgetauchten Schwierigkeiten in der Verwaltung von Gesellschaften aufrechterhalten5 • Es lehnte in zwei Entscheidungen abermals die Bestellung von Pflegern für unvertretene Aktiengesellschaften ab und ließ offen, ob in den beiden Fällen etwa ein 3 Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, zu § 1740, S. 1256 bis 1259. , KGJ 34 A 53 ff. S Besch!. vom 19. 3. 1920, JW 1920, 497 und Besch!. vom 14. Mai 1920, OLGRspr. 41, 79 (beide vom gleichen Ia Senat).
Pflegschaften für Handelsgesellschaften und juristische Personen
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Notvorstand entsprechend BGB § 29 zu bestellen sei. In einem der beiden Fälle handelte es sich um die unvertretene Zweigniederlassung einer einstigen (möglicherweise in Rußland enteigneten?) Moskauer Kapitalgesellschaft. Das Gericht betonte, daß zwar eine Pflegschaft für juristische Personen dann in Frage kommen könne, wenn es um eine Pflegschaft für unbekannte Beteiligte nach § 1913 BGB gehe; sei aber die Rechtspersönlichkeit der Bank gewiß6, seien nur die derzeitigen Vertreter der Bank unbekannt oder ungewiß, so komme eine Pflegschaft nach BGB nicht in Frage; es könne dann auch dahingestellt bleiben, ob das deutsche Vormundschaftsgericht im Rahmen des Art. 23 EGBGB überhaupt Veranlassung habe, der ausländischen Gesellschaft Fürsorge angedeihen zu lassen. Eine solche Praxis schien nach Ausbruch des Krieges von 1939 den Erfordernissen der Fürsorge für ausländische Vermögen in Deutschland nicht genügen zu können. Aufgrund der VO über Abwesenheitspflegschaft vom 11. Oktober 1939 sah eine VO vom 16. 9. 1942 (BGBL I 178) Abwesenheitspfleger für juristische Personen oder Gesellschaften mit Sitz oder Hauptniederlassung im Ausland für deren inländische Vermögensangelegenheiten vor, wenn infolge des Krieges die Verbindung mit dem ausländischen Sitz oder der Hauptniederlassung unterbrochen und daher die Wahrnehmung inländischer Vermögensangelegenheiten verhindert war. Judikatur zu dieser Verordnung ist nicht bekannt geworden. In der britischen Besatzungszone ergingen dann im April und Mai 1946 gleichlautende Verordnungen der Oberlandesgerichtspräsidenten7 , welche Pfleger für juristische Personen und Gesellschaften nunmehr ohne Rücksicht auf deren Sitz oder Hauptniederlassung zuließen, falls (jetzt: ohne Rücksicht auf kriegsbeclingte Ursachen!) ihre Vermögensangelegenheiten in der britischen Zone wegen Unterbrechung oder Erschwerung der Verbindung zu den vertretungsberechtigten Personen nicht ordnungsgemäß besorgt werden konnten. Gewisse Akzentverlagerungen gegenüber der VO aus 1942 (insbes. Unterbrechung der Ver.bindung nicht mit dem Sitz, sondern mit den vertretungsberechtigten Personen) sind unverkennbar. Die Pflegschaftsmöglichkeiten waren ausgedehnt worden, blieben freilich gesetzlich exact eingegrenzt. In der amerikanischen und französischen Besatzungszone ergingen gleiche Regelungen nicht. Mutmaßlich war das Bedürfnis für derartige Pflegschaften wesentlich geringer, weil die dortigen Militärregierungen 6 Was gerade wegen der möglichen russischen Enteignung und Vernichtung der juristischen Person m. E. sehr fraglich war! 7 Vgl. ihre Aufzählung in § 22 Ziff. 2 des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes vom 7. August 1952 (BGBL 1408).
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in verstärktem Maße Treuhänder eingesetzt hatten. Immerhin zeigte sich auch dort ein gewisses Bedürfnis nach mehr Fürsorge für Gesellschaften, wie aus einer Entscheidung des LG Stuttgart8 hervorzugehen scheint. Eine bundeseinheitliche Regelung im Sinne der Verordnungen der Oberlandesgerichtspräsidenten in der britischen Zone brachte dann § 10 des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes, welcher jene Verordnungen ablöste, aber ihre genaue Eingrenzung der Möglichkeiten von Pflegschaften für Gesellschaften und juristische Personen beibehielt. Die Praxis ist aber anscheinend über -die gesetzlich gezogenen Grenzen hinausgegangen. Pfleger wurden nicht nur bestellt, wenn die Verbindung zu den vertretungsberechtigten Ol'ganen unterbrochen oder erschwert war, sondern auch schon, wenn nur eine der vertretungsberechtigten Personen nicht erreichbar war 9 ; wenn nicht zu ermitteln war, wer vertretungsberechtigt sepo, oder wenn vertretungsberechtigte Personen überhaupt nicht vorhanden warenl l • Mit dem System der stets nur als gesetzliche Ausnahmeregelungen erscheinenden, exclusiv aufgezählten Pflegschaftsfälle, erscheint eine so weit gehende Auslegung des Gesetzes ebenso wie jede Analogie sicherlich nicht vereinbar. Um das deutlicher zu machen, dürfte es nützlich sein, sich daran zu erinnern, welche Rolle die Pflegschaft im BGB spielt. Sie ist, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen12 , grundsätzlich Personenpfiegschaft und nicht Sachpflegschaft. Auch die Pflegschaft für Gesellschaften und juristische Personen ist gesetzlich auf Personen pflegschaft angelegt. Es geht also nicht um Pflegschaften für einzelne unverwaltete Vermögensteile, sondern stets um Pflegschaft für die ganze Gesellschaft oder juristische Person, wenn auch nur im Hinblick: auf bestimmte einzelne Vermögensinteressen. Insofern dient -die Pflegschaft auch bei Gesellschaften und juristischen Personen nur partieller Vermögens!ürforge und kann nicht Gesamtfürsorge sein, für welche bei natürlichen Personen Vormünder, bei juristischen Personen die Organe da sind, bei deren Fehlen oder Funktionsunfähigkeit notfalls eine gerichtliche Organersetzung oder Organergänzung stattfinden muß. Um partielle Vermögensfürsorge ging es in der Praxis häufiger dann, wenn Wertpapiere im Bereinigungsverfahren anzumelden waren 13 ; bei Bestellung der Pfleger konnte da wohl 8
LG Stuttgart, NJW 1949, 384; auch LG Saarbrücken, IZRspr. 1945 - 1953, I,
Nr.5I.
z. B. LG Berlin, 28.4. 1953, IZRspr. 1945 - 1953, I, NI'. 123. z. B. KG 27. 5. 1952, IZRspr. 1945 - 1953, I, NI'. 122 (von Unterbrechung der Erschwerung der Verbindung kann man doch wohl erst sprechen, wenn Organe vorhanden sind und man weiß, wer sie sind). 11 So z. B. ausdrücklich festgestellt im Fall des LG Hannover, NJW 1962, 1970 oder z. B. in BayOblG, IPRspr. 1956/57, NI'. 20. 12 BGB § 1914; auch ZPO §§ 58, 787. 13 z. B. in etlichen der IZRspr. 1945 - 1953, I, NI'. 122 ff. dargestellten Fällen. g
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ungeprüft bleiben, ob diese Wertpapiere etwa das gesamte restliche Vermögen der fraglichen Rechtsträger waren. Dagegen scheint mir die Bestellung eines Pflegers nicht der richtige Weg der Vermögensverwaltung zu sein, wo es um das gesamte Restvermögen einer enteigneten Gesellschaft ging und deshalb notwendig die Frage der Rekonstituierung der Gesellschaft (evtl. mit Sitzverlegung) oder ihrer Liquidation zu entscheiden war 14 • Daher haben etliche Gerichte für Rest- oder SpaltgesellschafteIl (d. h. anläßlich der Verwaltung des Vermögens von in anderen Besatzungszonen oder im Ausland enteigneten Gesellschaften) mit Recht sofort Notorgane oder Liquidatoren und nicht Pfleger bestellt15 • Auch im genannten Streit um das chilenische Kupfer hätten - folgt man dem Hamburger Gericht in der Annahme des Bestehens einer deutschen Spaltgesellschaft - Notorgane statt Pfleger bestellt werden müssen. Es geht bei der Frage, ob Pfleger oder Notorgane zu bestellen sind, nicht nur um partielle Vermögensfürsorge oder Gesamtfürsorge. Auch ein Pfleger für das gesamte (oder: gesamte inländische) Vermögen könnte nicht das leisten, was ein Notorgan leisten kann: der Pfleger wäre nicht der richtige Antragsteller beim Registergericht; er könnte keine Gesellschafterversammlung einberufen, um Beschlüsse fassen zu lassen; er hätte dem Vormundschaftsgericht Rechnung zu legen, könnte aber von der Gesellschaft selbst (ohne Organe!) keine Entlastung erhalten; er könnte weder die Fortsetzung der Gesellschaft noch Sitzverlegung oder Liquidation veranlassen, noch die Liquidationsbilanzen (AktGes. §§ 270, 177) vorlegen. Mit Recht war daher in dem BGHZ 56, 67 berichteten Fall der Abwicklung des Restes einer ungarischen Gesellschaft nach der zunächst erfolgten Bestellung eines Pflegers ein Liquidator eingesetzt worden. Bedenklich, weil systemlos, dürfte die Entscheidung des OLG München (RzW 1968, 20) sein, welche Pflegerbestellung und Organersetzung wahlweise zuläßt, als seien beide Einrichtungen gleichwertig und auf gleiche Fallsituationen zugeschnitten18 ! U Bedenklich also etwa BayObLG, IPRspr. 1956/57, Nr. 20; ebenso bedenklich die Pflegerbestellung in dem BGHZ 33, 195 erörterten Fall, wo der BGH meine schon früher (Festschrift Janssen 1958, S. 32) geäußerten Bedenken gegen zu vielfältige Pfleger bestellungen erwähnt (aber nicht, wie gelegentlich behauptet worden ist: zurückgewiesen) und lediglich auch unberechtigte Pflegerbestellung für wirksam gehalten hat. Später hat der BGH sich noch dahingehend korrigiert, daß bei unberechtigter, aber zunächst wirksamer Pflegerbestellung ein schwebender Prozeß zu unterbrechen sei, bis für richtige Vertretung gesorgt werde (BGHZ 41, 303). Das LG Hamburg hat letzteres im chilenischen Kupferfall übersehen und ungeachtet der fragwürdigen Pflegerbestellung kurzerhand entschieden. 15 Vgl. die in Anmerkung 1 dafür genannten Fälle. 11 Dabei erörtern die (abgedruckten und mir nur insoweit zugänglichen) Entscheidungsgründe gar nicht, ob die in Frage stehende Gesellschaft überhaupt noch Organe hatte oder nicht. Gerade das war aber wegen der Frage der Organersetzung zu prüfen. Unsystematisch m. E. auch Beemelmans, Die ge-
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Einzelne Gerichte scheinen in der Pflegschaft sozusagen das Allheilmittel zu sehen, Organersetzung dagegen eher zu scheuen. In einer vielfach, aber meist wohl unreflektiert zitierten Entscheidung17 hat das LG Hannover bei einer 1942 in Straßburg gegründeten, dann von Frankreich enteigneten Gesellschaft, die in Deutschland keine Organe mehr hatte, der Pflegschaft den Vorzug vor der Organbestellung gegeben. Die Begründung, daß Organbestellung für vorübergehende Zwecke hier nicht in Betracht komme, leuchtet nicht ein. Offenbar störte das Gericht, daß ein etwaiger Notvorstand mangels Wiederbelebung der Gesellschaft nicht durch einen normalen, vom Aufsichtsrat eingesetzten Vorstand abgelöst worden wäre? Aber mindestens ein gerichtlich bestellter Liquidator hatte möglich sein müssen! Es widerstrebt dem Gericht auch, für eine nur "fiktiv" fortbestehende Gesellschaft ein Organ zu bestellen . .AJber hält man schon die Gesellschaft für "fiktiv" existent, so wäre es wohl nur folgerichtig, die zur restlosen Abwicklung nötigen Organe "dazu zufingieren". Deren Bestellung ist nicht bedenklicher als die eines Pflegers für eine nur "fiktiv" bestehende Aktiengesellschaft. Im übrigen dürfte es wohl als Grundsatz unseres Körperschaftsrechts zu gelten haben, daß selbst ,aufgelöste Körperschaften mindestens für den Liquidationszweck als fortbestehend zu gelten haben - geht es doch dabei ebensosehr um den Schutz von Gläubigern wie von "einstigen" Mitgliedern (vgl. BGB § 49 Abs. 2)18. Das LG Hannover vermißt offenbar hinter dem abzuwickelnden Vermögen und der Fassade der eben dafür fortbestehenden Gesellschaft die lebendige Körperschaft. Aber es scheint mir verfehlt, schon deshalb der Abwicklung die sachgerechtesten Organe zu verweigern. Hinter den Gründen des LG Hannover geistert offenbar die Vorstellung von einer Sachpflegschaft für mehr oder minder rechtsträgerloses Vermögen. Aber "subjektlose Rechte" gibt es im System unseres spaltene Gesellschaft, 1963, S. 104 -106, der zugunsten von Gläubigern stets die Bestellung von Pflegern genügen lassen will, für die Spaltgesellschaft selbst aber Bestellung von Notorganen fordert. Immerhin hätten nach Beemelmans im chilenischen Kupferfall für die angebliche deutsche Spaltgesellschaft ebenso wie nach der hier vertretenen Ansicht Organe und nicht ein Pfleger bestellt werden müssen. 17 NJW 1962, 1970. 18 Vgl. ferner § 2 des Rechtsträger-Abwicklungs-Gesetzes vom 6. 9. 1965 (BGBI. I 1065). Im Handelsrecht wird ohnehin der Fortbestand aufgelöster Gesellschaften für den Liquidationszweck als selbstverständlich vorausgesetzt, wie namentlich die Vorschriften über die Vertretung der Gesellschaften in der Liquidation zeigen (vgl. etwa HGB § 149; AktGes. § 269; GmbHGes. § 68; Gen. Ges. § 87). Allerdings wurde in BGHZ 24, 91 eine Klage gegen eine nicht mehr bestehende OHG abgewiesen und nur noch die Klage gegen die einstigen Gesellschafter zugelassen; aber das beweist im Ergebnis nichts Gegenteiliges, denn jedenfalls ist eine Klage gegen die Gesellschaft sinnlos, wenn kein Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist, in das vollstreckt werden könnte. Wo aber Gesellschaftsvermögen vorhanden ist (und nur solche Fälle interessieren hier), sollte sinnvollerweise liquidiert werden.
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bürgerlichen Rechts richtiger Ansicht nach nicht, und auch die Pflegschaft für juristische Personen nach dem ZustErgGes. ist als Personenpflegsch,aft, nicht als Sachpflegschaft konzipiert. Im übrigen scheint mir die in jener Entscheidung anklingende Unterscheidung von vorübergehenden und dauernden Maßnahmen wichtig. Die Pflegschaft als partielle Vermögensfürsorge kann bei andauerndem Fürsorgebedürfnis (lang anhaltende Unterbrechung der Verbindung mit den Gesellschaftsorganen) fast als Dauermaßnahme erscheinen. Aber da sie die Gläubiger- und Mitgliederschutz umfassende Maßnahme echter Liquidation nicht ersetzen kann, bleibt sie vorübergehende Teilmaßnahme. Gerichtliche Organersetzung ist zwar gesetzlich nur eine vorübergehende Maßnahme bis zur gesellschaftlichen Neubestellung von Organen. Aber wenn es zu letzterer nicht kommt, wird sie Dauermaßnahme. Die Bestellung von Liquidatoren gilt grundsätzlich bis zur Beendigung der Liquidation und ist - im Rahmen des Liquidationszwecks - die auf umfassende Abwicklung und auf Dauer angelegte Maßnahme. § 10 ZustErgGes. und die ihm vorausgehenden Regelungen in der britischen Zone haben Pflegschaften nur für die Zeit vorgesehen, in welcher die Verbindung mit den vertretungsberechtigten Personen nicht hergestellt werden kann - nicht für länger. Gleichwohl kann diese Zeit (etwa bei Inhaftierung von Organpersonen) lange dauern. Aber das g,ibt nicht das Recht, Pflegern eine etwa notwendig werdende kbwicklung zu übertragen und damit Schutzvorschriften des Gesellschaftsrechts zu unterlaufen. Manche Gerichte haben fallweise die Bestellung bloßer Verfahrenspfleger erwogen1'. Ein solcher mag für juristische Personen (wohl auch für nichteingetragene Vereine)20 und für Gesellschaften ohne Rückgriff auf § 10 ZustErgGes. ausreichend sein, wenn wirklich nicht mehr ansteht als ein einzelnes Verfahren. Aber oft genug sind mehrere Angelegenheiten zu regeln; und häufig liegen die Voraussetzungen des § 57 ZPO gar nicht vor, weil nicht "Gefahr im Verzuge" ist - ein Punkt, der manchmal zu wenig beachtet wird. Der Verfahrenspfleger erscheint gelegentlich angebracht, wenn Gläubiger eine Forderung gegen eine sonst unvertretene juristische Person geltend machen wollen. Denn andere Pflegschaften, auch die des § 10 ZustErgGes., sind im Interesse des Pfleglings anzuordnen, und nicht seiner Gläubiger. Aber eine großzügige Praxis ordnet Pflegschaften letztlich auch auf Wunsch der Gläubiger an, weil es im Interesse des Pfleglings liege, seine Schulden zu begleichen21 . Doch gerade im Gesellschaftsrecht sind Interessen der Gesellschaft und ihrer Mitglie18 Vgl. § 57 ZPO; dazu LAG Bayern, IZRspr. 1945 -1953, Bd. I, Nr. 120; OLG Nürnberg, NJW 1952, 105. - Zu §§ 50, 39 FGG vgl. KG, IZRspr. 1945 - 1953, I, Nr.122. 20 Vgl. dazu Habscheid, AcP 155, 396. 21 LG Hannover, NJW 1962, 1970; LG Düsseldorf, IPRspr. 1964/65, Nr. 24.
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der gegen die der Gläubiger abzuwägen, und diese Abwägung ist nicht einem Pfleger, sondern dem gesetzlich geregelten Liquidationsverfahren zu überlassen. Nicht unbedenklich ist die immer wieder vorkommende Anwendung des § 1913 BGB für die Verwaltung von Vermögen juristischer Personen oder GeseUschaften 22 • Zwar läßt sich § 1913 anwenden. wenn eine juristische Person unter mehreren möglicherweise Beteiligten sich befindet23 • Aber es ist in Enteignungsfällen schon etwas "gezwungen", um einen Pfleger für ,die Verwaltung des Restvermögens des Enteigneten einzusetzen, die Wirksamkeit bzw. Anerkennbarkeit der Enteignung offen zu lassen 24 . Eher kann bei Wegfall einer juristischen Person, für die es noch keine Liquidationsregelunggibt, angenommen werden, daß die Vermögensbeteiligten unbekannt sind25 • Ist aber die juristische Person, um deren Vermögen es geht, als solche bekannt, kennt man nur ihre derzeitigen Vertreter nicht, so ist - wie das KG schon 1920 festgestellt hatte - § 1913 unanwendbar26 • Nimmt man liquidationsloses Er löschen einer juristischen Person an, wie unsere Judikatur dies bei mitgliedslos gewordenen Vereinen tut27, so ist ein Pfleger für unbekannte Beteiligte nicht am Platz, wenn die Anfallberechtigten bekannt sind. Ich habe das schon früher an anderer Stelle ,dargelegt28. Wenn der BGH gleichwohl apodiktisch und ohne Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen 29 an der Meinung festhält, es sei ein Pfleger nach § 1913 BGB zu bestellen, so läßt er nicht nur die Frage ungeprüft, ob die Gläubiger nicht in einem förmlichen Liquidationsverfahren besser geschützt wären als durch eine Pflegschaft, sondern erklärt auch nicht, gegen wen sich nun nach liquiditionslosem Erlöschen des Vereins die Forderungen der Gläubiger eigentlich richten 22 BGHZ 19, 51 und BGH LM Nr. 2 zu § 21 BGB; BAG, NJW 1967, 1437; Ferner die in BayObLG IPRspr. 1956/57, Nr. 20 zitierte Entscheidung des Amtsgerichts; OLG Nürnberg, NJW 1952, 105; LG Stuttgart, NJW 1949, 384 ff.; ihm folgend LG Berlin, JR1952, 444. Obiter einst auch OLG München, JFG 18, 186. 23 H. M. vgl. etwa Staudinger-Engler (11. Aufl. 1969), Rz 11 vor § 1909 BGB; Erman-Hefermehl (5. Aufl. 1972), Rz 3 vor § 1909 BGB. 24 Vgl. LG Stuttgart, NJW 1949, 384 ff. 25 LG Berlin, JR 1952, 444 ff. (Reichsbank). Vgl. dazu die unzureichende Regelung in § 38 BankG vom 30. 8. 1924 (RGBL II 235); später LiquidationsGes. vom 2. 8. 1961 (BGBL I 1961). 28 JW 1920, 497 - 498; dem folgend noch heute ausdrücklich StaudingerEngler, Rz 6 zu § 1913 BGB. 27 Vgl. die drei ersten Entscheidungen in Anm. 22. 28 Vgl. Festschrift Wilburg (1965), S. 19 - 29. 2t So im Urteil vom 30. 9. 1965 (LM Nr. 2 zu § 21 BGB) unter V 1 (BI. 2 Rückseite im Abdruck bei LM). Die Gegengründe sind alt; vgl. die Anm. 28 genannte Darstellung. Gegen das Urteil BGHZ 19, 51, auf welches der BGH sich 1965 beruft, hatte namentlich Siebert bei Soergel (9. Aufl.), Anm. 9 zu § 41 BGB Bedenken erhoben.
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sollen. Gegen den Pfleger oder gegen die Anfallberechtigten? Oder sind es gar schuldnerlose Schulden, die der Pfleger begleichen soll? Und wieso soll von "unbekannten Beteiligten" die Rede sein können, wenn Anfallberechtigte und Gläubiger sämtlich bekannt sind? Geht es gar um unbekannte Beteiligte, weil die KOIliStruktion der Pflegschaft hier nicht voll durchdacht ist, oder weil man den Anschein der in Pflegschaftsfällen unzulässigen Analogie vermeiden wollte? Oder geistert hier abermals im Hintergrund der vom BGB sonst weitgehend verworfene Gedanke an eine Sachpflegschaft? Hinter der Lösung des BGH steht mutmaßlich die Erwägung, Idealvereine hätten meist ein relativ kleines Vermögen, für den der Aufwand einer Liquidation nicht lohne; der Pfleger sei der simpelste Liquidator. Aber das Vermögen des Idealv·ereins kann beträchtlich sein (in dem vom BGH entschiedenen Fall: Grundbesitz) und häufig ,größer, als Restvermögen ostenteigneter Gesellschaften, für die Organe bzw. Liquidatoren bestellt werden. Und einen grundsätzlichen Unterschied in der Schutzbedürftigkeit von Mitgliedern und Gläubigern kann ich bei Vereinen einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits nicht anerkennen. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß mir die vom BGH festgehaltene Lehre vom liquidationslosen Erlöschen mitgliedloser Vereine in einem seltsamen Gegensatz zu der vom gleichen Senat vertretenen Lehre von der Spaltgesellschaft zu stehen scheint30 • Sie steht aber auch in offenem Gegensatz zu der vom Gesetzgeber für die Abwicklung mitgliedlos gewordener Körperschaften des öffentlichen Rechts verfügten Regelung: nach der Feststellung, daß sie "aufgelöst sind", gelten sie (übrigens in voller Übereinstimmung mit § 49 Abs. 2 BGB) für die Abwicklung als fortbestehend 31 • Für den Gesetzgeber gibt es das Axiom des BGH nicht, daß eine nicht mehr eXiistente Körperschaft auch nicht zum Zwecke der Liquidation als fortbestehend angesehen werden kann. Zu den Gründen des BGH für sein Axiom habe ich schon früher Stellung genommen1l2 : daß mangels Beschlüssen der Mitglieder nach gesetzlichen Vorschriften zu liquidieren ist, liegt auf der Hand; daß ein Liquidator gerichtlich bestellt werden kann (§§ 48, 29 BGB), ebenso. Lediglich die Abnahme einer Schlußrechnung durch die Mitgliederversammlung kann nicht stattfinden; dafür muß es genügen, daß der Registerrichter die Schlußrechnung vor Entlassung des Liquidators prüft. Das Vormundschaftsgericht sollte tunlichst aus Vereins- und Handelsregistersachen herausgehalten werden, die Pflegschaft ,als Fürsorgeeinrichtung für natürliche Personen nicht zur Notorganschaft für juristi30 11
Vgl. Festschrift Wilburg (1965), S. 19 - 29. Vgl. §§ 1 und 2 des Rechtsträger-Abwicklungsgesetzes vom 6. 9. 1965
(BGBl. I 1065).
az Vgl. Festschrift Wilburg (1965), S. 19 - 29.
13 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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sche Personen umfunktioniert werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als werde im Recht der juristischen Personen die Pflegschaft anstelle der Notorganschaft ebenso bevorzugt wie bei natürlichen Personen anstelle Entmündigung und Vormundschaft3 3 • Doch ist bei juristischen Personen ein solches Verfahren ungleich bedenkUcher, und zwar vor allem wegen des nötigen Gläubigerschutzes und Mitgliederschutzes34 • Dabei sind Notorgane um so leichter einzusetzen, als gerichtliche Liquidatoren fast durchweg vorgesehen sind und die Praxis eine analoge Anwendung von § 29 BGB weitherzig zuläßtS5• Ungleich seltener als für juristische Personen sind Pfleger anscheinend für Personengesellschaften (OHG und KG) bestellt worden. Hier sind nur 3 veröffentlichte Entscheidungen auffindbar3G• Im einen Fall war mit § 1913 BGB geholfen worden; in den anderen Fällen ging es tatsächlich nur um Wahrnehmung begrenzter Vermögensinteressen (Wertpapierbereinigung). Der Pfleger statt eines Notorgans kommt hier offenbar um so weniger vor, als mit dem Pfleger für eine vertretungsberechtigte natürliche Person weitgehend geholfen werden kann und die auf Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und Gesellschafterpflichten einer natürlichen Person beschränkte Pflegschaft Vermögens-TeiZ-Fürsorge bleibt. Echte Organersetzung, wie die Judikatur sie auch bei Personengesellschaften für möglich hält, wenn der einzige vertretungsberechtigte Gesellschafter .ausfällt37, scheint auch im Rahmen der Kriegsfolgenproblematik nach 1945 kaum erforderlich gewesen zu sein. Vielleicht hat eine großzügige Pflegschaftspraxis der Amtsgerichte das Problem hier nicht so häufig brennend werden lassen, wie bei juristischen Personen. Ein Grund für die Bevorzugung der Pflegschaft vor der Notorganschaft oder dem Notliquidator mag in der Zuständigkeitsproblematik ldegen. Das KG hatte noch 1920 die Frage aufgeworfen, ob denn gemäß Art. 23 EGBGB ein deutsches Gericht für eine Pflegschaft bei einer ausländischen juristischen Person überhaupt zuständig sei38• Eben gerade dieses Zuständigkeitsbedenken haben die VO v. 16. 9. 1942, die ihr folgenden Verordnungen in der britischen Zone und das Zuständigkeitsaa Vgl. dazu etwa BGHZ 41, 106 und BVerfG, NJW 1965, 2051. Der im chilenischen Kupferfall völlig hintangesetzt wurde. 35 Vgl. z. B. für GmbH, BayObLG 1955, 290; Gewerkschaft, RGZ 86, 342; sogar KGaA, RGZ 74, 301; polit. Partei als nichtrechtsf. Verein, LG Berlin, NJW 1970, 1047. 38 Vgl. aus Anm. 1: LG Stuttgart, NJW 1949, 384; KG, IZRspr. 1945 -1949, Bd. I, Nr. 122; LG Berlin, IZRspr., Nr. 123. 17 BGHZ 33, 105; ausführlich zum Problem der "Drittorganschaft" in der OHG: Reinhardt, Gesellschaftsrecht, 1973, S. 81 ff. - Gegen die Anwendung von § 29 BGB im Recht der OHG mit Recht Fischer in GroßKomm. z. HGB, Anm. 32 zu § 125 mit weiteren Nachweisen. U
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JW 1920, 497 - 498.
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Ergänzungsgesetz ausgeräumt. Zur Bestellung von Notorganen für juristische Personen bietet § 15 ZustErgGes. eine Hilfszuständigkeit, wenn am Sitz der Gesellschaft früher deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt wurde. Für solche mit ausländischem Sitz ist eine örtliche Zuständigkeit bei uns allerdings nicht vorgesehen. Doch sollte das kein Hindernis für eine Bestellung von Notorganen sein, sofern die Gesellschaft im Sitzstaat wegen Enteignung oder aus ähnlichen Gründen nicht mehr besteht, bei uns aber um hiesigen Vermögens willen als weiterbestehend angesehen wird (Spalt- oder Rest-Gesellschaft). Internationalrechtlich ist allgemein davon auszugehen, daß eine Hilfs-Zuständigkeit am Ort des Fürsorgebedürfnisses besteht39 • Das kann der Lageort des Vermögens sein40 , oder analog § 15 ZustErgGes. der Ort, wo die Spalt- oder Restgesellschaft verwaltet wird oder künftig verwaltet werden soll. Im chilenischen Kupferfall wäre demnach bei Annahme einer deutschen Spaltoder Restgesellschaft eine Zuständi.gkeit zur Bestellung von Notorganen anstelle eines Pflegers gegeben gewesen.
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Vgl. dazu Kegel, Internationales Privatrecht 3. Aufl. (1971), § 22 II (S. 420). Vgl. Beitzke, Festschrift Janssen, S. 37.
Die Ahfindungsklauseln beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft Von Werner Flume I. Der Abftndungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters nach der gesetzlichen Regelung Nach § 738 BGB hat der ausscheidende Gesellschafter gegenüber "den übrigen Gesellschaftern" einen Anspruch, "ihm dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde". Für die Auseinandersetzung stellt das Gesetz in § 734 BGB ab auf die Einlagen und die Gewinnanteile, wenn nach der Rückerstattung der Einlagen ein 'Oberschuß verbleibt, wobei die gesetzliche Regelung von einer Gewinnverteilung nach Köpfen ausgeht. Nach § 155 HGB ist bei der OHG - und entsprechend bei der KG - bei der Liquidation das Vermögen "nach dem Verhältnisse der Kapitalanteile, wie sie sich auf Grund der Schlußbilanz ergeben, unter die Gesellschafter zu verteilen". Die Kapitalanteile der Schlußbilanz bestimmen sich aber nach der Verteilung des Liquidationsgewinns, wofür § 121 HGB gilt, so daß der Liquidationsgewinn auf Grund der gesetzlichen Regelung abgesehen von der Vorausverzinsung von 4 Ofo nach Köpfen oder nach dem vertraglichen Gewinnverteilungsschlüssel verteilt wird l . Grundsätzlich stimmen hiernach die Regelungen des BGB und des HGB überein: Die Gesellschafter sollen bei der Auflösung der Gesellschaft ihre Einlagen bzw. den fortgeschriebenen Kapitalanteil zurückerhalten, und ein etwaiger 'Oberschuß soll nach dem Gewinnverteilungsschlüssel verteilt werden. Mit Recht nimmt die h. M. an, daß, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag die Gewinnverteilung abweichend von dem Gesellschaftsvertrag geregelt und während des Bestehens der Gesellschaft der Gewinnverteilungsschlüssel geändert worden ist, nach der gesetzlichen Regelung für die Verteilung des Liquidationsgewinns der Gewinnverteilungsschlüssel im Zeitpunkt des Ausscheidens maßgebend ist2 • Es ist dies auch nicht nur ein Gebot der Praktikabilität, während "streng genommen" bei Wechsel Siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 62 u. Zit. Siehe Zitate bei Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 62 ff.; Ulrich Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, S. 321 N. 15. 1
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des Gewinnverteilungsschlüssels ermittelt werden müßte, in welchen Jahren die in den offenen und stillen Reserven, im Geschäftswert usw. steckenden Gewinne entstanden sind3• Die gesetzliche Regelung hat nicht zum Inhalt, daß der Liquidationsgewinn während der Gesamtdauer der Gesellschaft erzielt worden und dementsprechend zu verteilen ist4 • Eine bare Erfindung ist die Annahme, daß der Liquidationsgewinn nach einem für die Dauer der Gesellschaft zu ermittelnden "durchschnittlichen Ergebnisschlüssel" zu verteilen sei5 • Das Gesetz handelt allerdings nicht besonders von der Änderung der Gewinnverteilung. Eine solche Änderung kann sich jedoch auch bei der gesetzlichen Regelung dadurch ergeben, daß während des Bestehens der Gesellschaft die Kapitalanteile sich unterschiedlich entwickeln oder durch Eintritt oder Ausscheiden von Gesellschaftern sich die nach Köpfen zu berechnenden Gewinnanteile per se verändern. Auch für diese Fälle gilt also die allgemeine Regelung des § 734 BGB, daß der überschuß den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinne gebührt, und dieser Anteil ist nach § 734 derjenige, der im Zeitpunkt der Auflösung gilt. Nicht anders ist es bei einer vertraglichen Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels. Nach der gesetzlichen Regelung kommt es für den Anteil am Liquidationserlös und entsprechend für den Auseinandersetzungsanspruch im Falle des Ausscheidens nicht darauf an, welche stillen Reserven beim Eintritt eines Gesellschafters bestanden haben. Der Anspruch auf den Liquidationsgewinn ist nach der gesetzlichen Regelung für den in eine Gesellschaft später Eingetretenen nicht auf die Beteiligung an dem "Zugewinn" während der Zugehörigkeit zu der Gesellschaft beschränkt6 • Natürlich können die Parteien etwas anderes vereinbaren. In aller Regel wird man aber das Vorhandensein stiller Reserven bei der Aufnahme eines neuen Gesellschafters nicht durch eine Sonderregelung nur der Verteilung des Liquidationsgewinns, sondern bereits für die Dauer der Gesellschaft durch die entsprechende Bemessung des Kapitalanteils oder der Gewinnbeteiligung berücksichtigen. Es ist allgemeine Meinung von Rechtsprechung und Literatur, daß für die Bemessung des Abfindungsanspruchs des ausscheidenden Gesellschafters diejenigen Werte zugrunde zu legen sind, welche der Fortsetzung der Gesellschaft unter Weiterführung des gemeinsamen Unternehmens entsprechen7• In BGHZ 17, 136 heißt es dazu, daß mangels abweichender
So Hueck, OHG § 29 N. 69 und ihm folgend Kötter, Kom. HGB § 138, S. 502. , So Heckelmann, Abftndungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973, S. 36. 5 So Schönle, DB 1959, 1427 ff.; siehe auch Heckelmann; gegen Schönle siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 64. e Anders zu Unrecht Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 65 u. Zit.; siehe auch BGHZ 17, 130 ff.; Robert Fischer, LM § 138 HGB Nr. 1. 7 Siehe Zitate bei Ulmer, Kom. HGB § 138 N. 40. 3
Abflndungsklauseln beim Ausscheiden eines Gesellschafters
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Vereinbarung "der tatsächliche Wert des lebenden Unternehmens maßgebend ist", als Begründung: "Das folgt ohne weiteres daraus, daß der Beklagte bis zu seinem Ausscheiden an dem tatsächlichen Wert des lebenden Unternehmens beteiligt war und daß nunmehr sein Anteil an dem gesamten Gesellschaftsvermögen den verbleibenden Gesellschaftern zugewachsen ist." Dies ist aber gerade nicht der Standpunkt des Gesetzes. Das Gesetz stellt nicht darauf ab, was den übrigen Gesellschaftern zuwächst, sondern was der Auscheidende "bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre". Der Standpunkt des Gesetzes, daß die Abfindung nach dem fiktiven Liquidationserlös des Ausscheidenden und nicht nach dem Zuwachs der verbleibenden Gesellschafter zu bemessen ist, dürfte auch die sachgerechtere Lösung sein. Die gesetzliche Regelung betrifft ja die Fälle, daß der Ausscheidende kündigt oder in seiner Person ein anderer Grund für die Auflösung der Gesellschaft eintritt, so daß ihm auch keine andere Abfindung gebührt, als sie ihm bei einer Auflösung der Gesellschaft zufallen würde. Daß die Gesellschaft von den anderen Gesellschaftern fortgesetzt wird, geht den Ausscheidenden nichts an. Deshalb kann sich sein an dem Liquidationserlös orientierter Anspruch nicht erhöhen. Hat die Gesellschaft ein Unternehmen, so besteht allerdings auch der Liquidationswert in der Regel nicht in der Summe der Einzelwerte, die bei Einzelveräußerung der Aktiva zu erzielen sind, abzüglich der Passiva. Wenn das Unternehmen im ganzen günstiger zu verkaufen ist, bestimmt der bei einem solchen Verkauf zu erzielende Erlös auch den Abfindungsanspruch. Nach der gesetzlichen Regelung kommt es also für die Höhe des Abfindungsanspruchs des Ausscheidenden nicht auf die Unternehmensbewertung als solche an. Diese ist vielmehr immer nur unter dem Gesichtspunkt von Bedeutung, daß ein dem Unternehmenswert entsprechender Erlös bei einem Verkauf zu erzielen wäre. Die gesetzliche Regelung für die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters ist ius dispositivum. Gemeinhin kann man sagen, daß im Vertragsrecht das ius dispositivum unter der Intention steht, für den Regelfall den sachgerechten Interessenausgleich zu bewirken, indem es die naturalia negotü des Vertragsverhältnisses statuiert. Für die rechtliche Beurteilung abweichender rechtsgeschäftlicher Regelungen sind deshalb die gesetzlichen Regelungen der naturalia negotii bedeutsam. Für die dispositive gesetzliche Regelung des Abfindungsanspruchs des ausscheidenden Gesellschafters ist jedoch zu sagen, daß sie wie das geamte dispositive Gesellschaftsrecht nur eine subsidiäre Ergänzungsfunktion hat, damit eine Regelung besteht, wenn die Gesellschafter keine Regelung getroffen haben. Mit Recht heißt es betreffs des Verhältnisses des Gesellschaftsvertrages und der gesetzlichen Bestimmungen in Art. 90 ADHGB: "Das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander richtet
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sich zunächst nach dem Gesellschaftsvertrag. Soweit über die in den nachfolgenden Artikeln dieses Abschnittes berührten Punkte keine Vereinbarung getroffen ist, kommen die Bestimmungen dieser Artikel zur Anwendung." Im HGB findet sich zwar nicht mehr eine solche allgemeine Bestimmung. Es ist aber keine Frage, daß auch das geltende Gesellschaftsrecht für das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander von dem Vorrang der vertraglichen Regelung ausgeht und die gesetzliche Regelung nicht etwa die der Gesellschaft als Vertragstyp gebührenden naturalia negotii statuiert. Dies kommt auch in den Formulierungen des Gesetzes zum Ausdruck. Während es für den Verein in § 40 BGB heißt, es fänden die gesetzlichen Regelungen "insoweit keine Anwendung, als die Satzung ein anderes bestimmt", ist die gesetzliche Aussage betreffs der Gesellschaft in mehreren Bestimmungen gerade umgekehrt. Nach § 706 BGB haben die Gesellschafter "in Ermangelung einer anderen Vereinbarung gleiche Beiträge zu leisten". Für die Geschäftsführung gelten nach § 713 BGB die Auftragsvorschriften, "soweit sich nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis ein anderes ergibt". Die Regelung betreffs der Gewinnverteilung in § 722 BGB knüpft an die negative Voraussetzung an: "Sind die Anteile der Gesellschafter am Gewinn und Verluste nicht bestimmt." Der Tod eines Gesellschafters führt nach § 727 BGB nur zur Auflösung der Gesellschaft, "sofern nicht aus dem Gesellschaftsvertrage sich ein anderes ergibt". Gerade für die Auseinandersetzung betont schließlich das Gesetz seinen subsidiären Charakter, wenn für sie in § 731 BGB bestimmt wird, daß sie "in Ermangelung einer anderen Vereinbarung" in Gemäßheit der §§ 732 bis 735 erfolgt. Was die Auseinandersetzung und allgemein das Innenverhältnis der Gesellschafter anbetrifft, so werden sie anders als die Rechtsverhältnisse bei den Austauschverträgen wie Kauf oder Miete ete. nicht durch die Gesellschaft als Aktstyp bestimmt, und deshalb können die gesetzlichen Vorschriften nicht das allgemeine Maß für die "richtige" Regelung abgeben. Die Personengesellschaft ist dafür ein zu komplexes Rechtsgebilde, und die Gesellschaft läßt als Organisationsform so unterschiedliche Gestaltungen zu und wird in der Rechtspraxis auch in so unterschiedlichen Gestaltungen - insbesondere von der streng personalistischen bis zur mehr kapitalistischen Struktur - verwirklicht, daß die "richtige" Regelung dem Einzelfall überlassen werden muß. Das Gesetz begnügt sich ferner mit einer Einheitslösung für den Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters, während die Problematik der Abfindung wovon noch zu handeln ist - je nach den Umständen des Ausscheidens unterschiedlich ist. Der Gesellschaft als Vertragstyp kann hinsichtlich der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters allerdings wohl als gehörige Regelung zugerechnet werden, daß der Gesellschafter den von ihru geleisteten Sachbeitrag, soweit er nicht durch Verluste und die Beteili-
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gung des Ausscheidenden an dem Verlust verbraucht ist, bei dem Au~ scheiden zurückerhalten soll. Auch diese Regelung ist zwar ius dispositivum. Insoweit hat die gesetzliche Regelung aber nicht den dem Gesellschaftsrecht betreffs der Rechtsverhältnisse unter den Gesellschaftern eigentümlichen subsidiären Charakter. Was aber das Mehr gegenüber dem rückzuerstattenden Beitrag anbetrifft, so gilt hierfür jedenfalls der Vorrang der vertraglichen Regelung. Denn insoweit handelt es sich um eine Gewinnbeteiligung und hierfür mißt sich das Gesetz, wie bereits erwähnt, in § 722 BGB selbst gegenüber dem Vertrag nur eine subsidiäre Geltung bei. Nach § 738 ist der Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters gegen die verbleibenden Gesellschafter gerichtet. Für die ORG gibt es keine besondere Vorschrift, so daß auch für sie die Regelung des § 738 BGB gilt. Die Anwachsung der Mitgliedschaft des Ausscheidenden8 erfolgt an die verbleibenden Gesellschafter nur als Mitglieder der Gesellschaft. Die Mitgliedschaft der verbleibenden Gesellschafter erhöht sich durch den Wegfall des Ausscheidenden. Die verbleibenden Gesellschafter sind deshalb auch als solche, als Mitglieder der Gesellschaft als Gruppe, Schuldner des Abfindungsanspruchs. Die h. M. macht zu Unrecht hinsichtlich der Auseinandersetzungsverpflichtung einen Unterschied zwischen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und der OHG. Die OHG soll danach als solche Schuldner des Abfindungsanspruchs sein und die Gesellschafter sollen nur nach § 128 HGB - die Kommanditisten mit der Beschränkung der Haftung auf die Einlage - für die Erfüllung einzustehen haben, während bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts die Gesellschafter selbst und allein die Schuldner des Abfindungsanspruchs seien9 • Der BGHI0 hat angenommen, daß bei der OHG die Klage auf Feststellung des Abfindungsguthabens gegen die Gesellschaft gerichtet werden kann. Die Abfindungsschuld ist bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts wie bei der ORG eine Gesellschaftsschuld, eine Verpflichtung der Gesamthand als Gruppe11 , wie der Anspruch auf Deckung des Fehlbetrags nach § 739 BGB nicht je den einzelnen Gesellschaftern, sondern der Gesellschaft als Gesamthand zusteht. Es handelt sich bei der Abfindungsschuld und dem Anpsruch auf den Fehlbetrag um eine SozialverbindlichkeitlZ bzw. um einen Sozialanspruch. Wenn in §§ 738,739 BGB von den Gesellschaftern und nicht von der Gesellschaft die Rede ist, so ist diese Formulierung eine Nachwirkung des Ersten Entwurfs, der von der Sozietät als einem Siehe Flume, Festschr. Larenz, 1973, S. 793 ff. Siehe Heckelmann, S. 22 ff. u. Zit. 10 BGH Ir ZR 144/69 vom 15. 5. 1972, WM 1972, 1399. 11 Zur Frage von Schuld und Haftung bei der BGB-Gesellschaft siehe Flume, Festschr. Knur, 1972, S. 125 ff. I! Siehe Ulrich Huber, S. 319 u. N. 7 Zit. 8 t
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bloßen schuldrechtlichen Verhältnis der Gesellschafter ausging. Für die Gesamthandsgesellschaft ist mit Selbstverständlichkeit die Gesellschaft Beteiligte der Auseinandersetzung, wie dies in Art. 130 ADHGB für die OHG bestimmt war. Es ist allgemeine Meinung, daß für die Abfindungsschuld als Sozialverpflichtung nicht die aus § 707 BGB für die Sozialverpflichtungen gefolgerte Beschränkung gilt, daß der Anspruch nur gegen die Gesellschaft, nicht aber gegen die Gesellschafter geltend gemacht werden kann. Dies wird damit begründet, daß ein Gesellschafter mit dem Ausscheiden die Stellung eines gewöhnlichen Gesellschaftsgläubigers erlange und damit von den Beschränkungen der Geltendmachung von Sozialverpflichtungen frei werde 13 • Es ist aber doch fraglich, ob diese Lösung problemgerecht ist. Zweifellos haftet bei der Zwei-Personen-Gesellschaft der verbleibende und damit das Gesellschaftsvermögen übernehmende Gesellschafter persönlich unbeschränkt für die Abfindungsschuld. Handelt es sich aber um mehr als zwei Gesellschafter, so wird den verbleibenden Gesellschaftern von dem Ausscheidenden durch die persönliche Inanspruchnahme eine Erhöhung der Beitragsleistung über die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung hinaus aufgezwungen, auch wenn sie das Ausscheiden gar nicht wollen und es ihren Interessen zuwider ist. Man mag einwenden, daß die übrigen Gesellschafter die Gesellschaft ja nicht fortzusetzen brauchten. Wenn dies aber im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist, bleibt es dabei, wenn nicht alle Gesellschafter oder die für eine Satzungsänderung etwa erforderliche Mehrheit etwas anderes beschließen. Nach der h. M. könnte der Ausscheidende nach Belieben sogleich jedweden der verbleibenden Gesellschafter in Anspruch nehmen, gleich wie hoch die Beteiligung des Gesellschafters an der Gesellschaft ist und selbst wenn dem in Anspruch Genommenen das Ausscheiden des Gesellschafters höchst unerwünscht ist. Jedenfalls, wenn das Ausscheiden in der Person des Ausscheidenden begründet ist, insbesondere wenn der Gesellschafter, ohne daß ein in der Gesellschaft belegener wichtiger Grund besteht, oder wenn ein Gläubiger des Gesellschafters kündigt, wäre zu erwägen, ob der Auseinandersetzungsanspruch als Sozialverbindlichkeit auf die Inanspruchnahme des Gesellschaftsvermögens beschränkt ist. Auch wenn der Ausscheidende nicht mehr Gesellschafter ist, bleibt sein Anspruch doch ein solcher aus seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft und ist deshalb nicht mit dem Anspruch eines Drittgläubigers auf eine Stufe zu stellen. Haben die Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts vereinbart, daß die Gesellschaft nur mit der Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen tätig werden soll, so beschränkt diese Vereinbarung auch die Haftung für den Auseinandersetzungsanspruch 13
Siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 33; Heckelmann, S. 24.
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des ausscheidenden Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen. Wie bei der KG die Beschränkung der Haftung des Kommanditisten auch gegenüber dem Auseinandersetzungsanspruch gilt, muß der Ausscheidende auch bei der BGB-Gesellschaft gesellschaftsinterne Haftungsbeschränkungen einzelner Gesellschafter gegenüber dem Auseinandersetzungsanspruch gelten lassen. Es kann auch nur für den Auseinandersetzungsanspruch die Beschränkung der Haftung auf die Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen vereinbart werden14 •
n. Die Funktion und der Inhalt der Abfindungsklausel als eines integrierenden Bestandteils der Vereinbarung über das Ausscheiden Die Problematik der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters ergibt sich daraus, daß bei dem Ausscheiden eines Gesellschafters eine Realteilung des Gesellschaftsvermögens im allgemeinen entweder überhaupt nicht möglich ist oder den Fortbestand der Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern erschwert und jedenfalls in der Regel für alle Beteiligten, für den ausscheidenden wie für die verbleibenden Gesellschafter, nicht sachgerecht ist. So geht denn auch das Gesetz für das Ausscheiden eines Gesellschafters davon aus, daß keine Realteilung erfolgt. Wie schon im Ersten Entwurf des BGB (§ 658) vorgesehen war, daß der ausscheidende Gesellschafter verpflichtet sei, seinen Anteil an den gemeinschaftlichen Gegenständen den übrigen Gesellschaftern zu übertragen, bleibt der Bestand des Gesellschaftsvermögens bei Ausscheiden eines Gesellschafters nach der gesetzlichen Regelung den verbleibenden Gesellschaftern erhalten und der Ausscheidende wird in Geld abgefunden. So ist für die Abfindung per se das Problem der Wertermittlung betreffs des Gesellschaftsvermögens gestellt. Die Schwierigkeit und Ungewißheit dieser Wertermittlung ist einer der Gründe für die Praxis der Abfindungsklauseln. Des weiteren kann die Abfindungsklausel auf die Beschränkung oder sogar den Ausschluß des Abfindungsanspruchs im Interesse des Fortbestandes der Gesellschaft gerichtet sein. Schließlich kann die Beschränkung oder der Ausschluß der Abfindung auf der Besonderheit der Beteiligung beruhen. So kann für die Beteiligung eines Gesellschafters durch den Gesellschaftsvertrag vereinbart sein, daß der Gesellschafter keinen Anteil am Liquidationsgewinn oder überhaupt am Liquidationserlös hat. In diesem Fall ist nach der gesetzlichen Regelung der Abfindung in § 738 Abs. 1 S. 2 BGB die Regelung betreffs der Liquidation auch für das Ausscheiden verbindlich. Was die Ermittlung des Werts des Gesellschaftsvermögens für die Bemessung des Abfindungsanspruchs anbetrifft, so ist nach § 738 Abs. 2 14
So mit Recht BGH II ZR 68/68 vom 11. 10. 1971, WM 1971, 1451.
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BGB der Wert, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln. Wie unter Ziff. 1 dargelegt, ist maßgeblich der Liquidationswert, der aber, wenn die Möglichkeit einer Gesamtverwertung besteht, auf den bei einem Gesamtverkauf erzielbaren Preis abzustellen ist. Insoweit, aber auch nur insoweit, ist auch der good will des Unternehmens in die Bewertung einzubeziehen. So richtig es ist, daß bei einem Unternehmen es auf den Wert desselben als eines lebensfähigen Ganzen ankommt, sind die Darstellungen in der Literatur teilweise mißverständlich, indem sie den Eindruck erwecken, als ob es darum ginge, möglichst richtig den "objektiven" Wert als solchen festzustellen, während es immer nur auf den Liquidationswert ankommt, d. h. den Verkaufswert, wenn auch den Verkaufswert des Unternehmens als eines Ganzen. Da der Verkaufswert mangels eines tatsächlichen Kaufgebots stets eine bloße Hypothese ist und es keine verbindlichen oder auch nur als üblich allgemein anerkannten Maßstäbe für die Ermittlung des virtuellen Verkaufswerts gibt15, ist es zweifellos wünschenswert, daß durch den Gesellschaftsvertrag die Maßstäbe für die Bewertung festgelegt werden. Wenn die Abfindungsklausel nur den Sinn hat, die Bewertungsmaßstäbe aufzustellen, und darauf gerichtet ist, den Anteil des Ausscheidenden an dem Gesellschaftsvermögen nach seinem Verkaufswert möglichst richtig zu erfassen, ist die Klausel als Ergänzung der gesetzlichen Regelung unproblematisch. Mit der Formulierung von D 1, 1,7, 1 Papinian libro secundo definitionum für das ius praetorium könnte man für diese nach ihrer Intention ausschließlich auf die "richtige" Bewertung gerichtete Abfindungsklausel sagen, es sei eine rechtsgeschäftliche Regelung "iuris civilis supplendi gratia". Selbst wenn eine Abfindungsklausel ursprünglich nur auf die "richtige" Bewertung gerichtet ist, kann auf Grund der von den Vertragspartnern nicht bedachten Entwicklung der Verhältnisse ihre Verwirklichung im Widerspruch zu der ursprünglichen Intention eine Minderbewertung gegenüber dem "wirklichen" Wert zur Folge haben. Die Abfindungsklausel kann aber auch von vornherein nach der Absicht der Parteien den Inhalt haben, daß der Ausscheidende nicht mit dem vollen Wert seines Anteils abgefunden wird. Die Vereinbarung der Abfindungsklausel ist ein integrierender Bestandteil der Vereinbarung über das Ausscheiden. Wenn der für die Abfindung maßgebliche Wert des Gesellschaftsvermögens nach der Abfindungsklausel niedriger ist als der nach der gesetzlichen Regelung maßgebende Liquidationswert, so hat die Abfindungsklausel nicht zum Inhalt, daß ein an sich bestehender Abfindungsanspruch zum Teil erlassen würde, und der Ausschluß der Abfindung ist kein vollständiger Erlaß des Ab15
Siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Zit. vor Anm. 78 u. Anm. 78 ff.
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findungsanspruchs. Denn wie zu Ziff. 1 ausgeführt, hat die gesetzliche Regelung nur subsidiären Charakter. Es gibt nicht, wie von manchen angenommen wird18 , einen an sich bestehenden, auf den wirklichen Wert der Beteiligung gerichteten Abfindungsanspruch, der durch die Abfindungsklausel teilweise oder ganz erlassen würde. Es ist eine Verkehrung im grundsätzlichen, wenn Heckelmann17 die Abfindungsklausel, die zu einer Abfindung unter dem wirklichen Wert des Anteils des Ausscheidenden am Gesellschaftsvermögen führt, als schenkweise erfolgenden Erlaß des Auseinandersetzungsanspruchs qualifiziert. Zwar gibt auch Heckelmann zu, daß ein Anspruch, der erlassen werden könnte, eben wegen der Abfindungsklausel gar nicht zur Entstehung gelangt. Der "ohne die Abfindungsklausel zwangsläufig eintretende Erwerb der Abfindungsforderung" soll aber nach seiner Ansicht eine entsprechende Anwendung von Schenkungsvorschriften rechtfertigen. Nun kann zwar auch ein Abfindungsausschluß oder eine Abfindungsklausel, die zu einer Abfindung unter dem Wert der Beteiligung führt, eine Schenkung sein. Schenkungsgegenstand ist dann jedoch nicht ein fiktiver Abfindungsanspruch, der zwar bei Eingreifen der gesetzlichen Regelung bestehen würde, aber wegen der vorrangigen vertraglichen Regelung nicht besteht, sondern die Beteiligung, die nach der Absicht der Parteien ganz oder teilweise unentgeltlich auf die verbleibenden Gesellschafter übergehen soll. Nach Heckelmann18 soll in dem Fall, daß ein Abfindungsanspruch für den ausscheidenden Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag nicht besteht, die Beteiligung als Schenkungsgegenstand nicht in Frage kommen, weil es sich bei der Anwachsung um einen gesetzlichen und nicht um einen rechtsgeschäftlichen Erwerb handle. Das ist insofern schon nicht richtig, als die Abfindungsklausel ein integrierender Teil der Vereinbarung über das Ausscheiden statt der Auflösung der Gesellschaft ist und das Ausscheiden statt der Auflösung - abgesehen von der Auschließung nach § 140 HGB - ja nur erfolgt, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht. Selbst wenn man aber die Anwachsung als gesetzlichen Erwerb einordnen wollte, bedürfte er der causa, und wenn das Ausscheiden ohne Abfindung schenkungshalber erfolgt, ist Schenkung die causa der Anwachsung. Selbst wenn ursprünglich für die Abfindung beim Ausscheiden eines Gesellschafters keine vertraglichen Regelungen getroffen sind und dann die Gesellschafter vereinbaren, daß bei Ausscheiden eines Gesellschafters 18 17
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Siehe Heckelmann, S. 91 u. N. 266 Zit. Ebenda, S. 68; aber auch passim und in der Zusammenfassung S. 274. Ebenda, S. 11.
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kein Auseinandersetzungsanspruch besteht oder der Ausscheidende nur zum Teil entgeltlich abgefunden wird, ist die Vereinbarung nicht so zu werten, daß der nach der gesetzlichen Regelung bestehende Auseinandersetzungsanspruch ganz oder teilweise erlassen würde. Die Vereinbarung betrifft vielmehr auch in diesem Fall die Mitgliedschaft und statuiert, zu welchen Bedingungen die Mitgliedschaft bei dem Ausscheiden auf die verbleibenden Gesellschafter übergeht. Die in der Literatur zum Ausschluß oder zur Beschränkung des Abfindungsanspruchs vertretenen Ansichten sind dadurch bestimmt, daß sie hinsichtlich des vermögensmäßigen Inhalts der Mitgliedschaft auf den "Anteil am Gesellschaftsvermögen" und bei den Personengesellschaften des Handelsrechts im besonderen auf den Kapitalanteil abstellen 19 • So erscheint der Ausschluß des Abfindungsanspruchs als der Verlust einer bestehenden Vermögensposition. Die Mitgliedschaft des Gesellschafters ist jedoch unmittelbar bezogen nur auf die Gesellschaft, und es gibt für den Gesellschafter keinen unmittelbaren Bezug zu den Vermögensverhältnissen der Gesellschaft. Die vermögensmäßigen Bezüge der Mitgliedschaft bestehen in dem Recht auf Gewinnbeteiligung, auf die Abfindung beim Ausscheiden aus der Gesellschaft und auf den Anteil am Liquidationserlös. Der Kapitalanteil hat nur die Funktion, daß sich nach ihm in der Regel ganz oder zum Teil die vermögensmäßigen Bezüge der Mitgliedschaft bestimmen20• Der vermögensmäßige Inhalt der Mitgliedschaft ist der privatautonomen Gestaltung durch den Gesellschaftsvertrag überlassen. So wie es der Gesellschaftsvertrag bestimmt, ist der Inhalt der Mitgliedschaft. Ist ein Gesellschafter nicht am Liquidationserlös beteiligt und hat er deshalb nach der auf den Anteil am Liquidationserlös abstellenden Regelung von § 738 Abs. 1 BGB beim Ausscheiden keinen Abfindungsanspruch, so erleidet dieser Gesellschafter bei seinem Ausscheiden ohne Abfindung keinen Verlust einer Vermögensposition. Denn seine Mitgliedschaft hat apriori als vermögensmäßigen Bezug nur den Anspruch auf die Gewinnbeteiligung. Dabei ist es ohne Belang, ob die Bemessung des Gewinnanspruchs nach dem Gesellschaftsvertrag auf einen "Kapitalanteil" abstellt, der dem Gesellschafter für die Berechnung der Gewinnbeteiligung zugerechnet wird. Wenn ferner für einen Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag bei der Gründung oder der Aufnahme des Gesellschafters bestimmt ist, daß im Falle seines Todes die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, ohne daß für die Erben ein Abfindungsanspruch besteht, so ist von vornherein der vermögensmäßige Bezug der Mitgliedschaft dieses Gesellschafters auf dessen Lebenszeit abgestellt. 11
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Siehe z. B. Ulrich Huber, S. 316 ff. Siehe hierzu Flume, DB 1973, S. 13, 786.
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Die Abfindungsklausel ist hiernach ein Mittel zur unterschiedlichen Gestaltung der vermögensmäßigen Bezüge der Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaften der Gesellschafter einer Personengesellschaft sind aufeinander bezogen. Die Minderung der vermögensmäßigen Bezüge eines Gesellschafters führt zur Steigerung der Vermögensposition der anderen Gesellschafter. Diese Interdependenz der Mitgliedschaften ist bei der rechtlichen Bewertung der Abfindungsklauseln zu beachten. Eine besondere Problematik ergibt sich für die Abfindungsklausel mit der Beschränkung oder dem Ausschluß der Abfindung, wenn die Klausel für alle Gesellschafter in gleicher Weise gilt. In diesem Fall ist nicht von vornherein der vermögensmäßige Inhalt der Mitgliedschaft bestimmter Gesellschafter gegenüber den anderen Gesellschaftern gemindert. Vielmehr tritt diese Minderung, ohne daß bereits vorauszusehen ist, wen es trifft, für einen Gesellschafter erst ein, wenn sich für ihn der Tatbestand des Ausscheidens verwirklicht. Dem ist in der rechtlichen Beurteilung der Abfindungsklausel Rechnung zu tragen.
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Der Ausschluß des Abfindungsanspruchs
Der Ausschluß des Abfindungsanspruchs durch den Gesellschaftsvertrag ist eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung. Je nach der gesellschaftsrechtlichen Stellung des ausscheidenden Gesellschafters ist der Abfindungsausschluß rechtlich zu werten. Es gibt keine Einheitslösung für die rechtliche Beurteilung des Ausschlusses des Abfindungsanspruchs. Zu fragen ist, ob der Ausschluß gültig ist und ob er, wenn dies zu be';ahen ist, als unentgeltlich zu beurteilen ist. Allgemein anerkannt ist!1, daß die Ausschlußklausel nichtig ist, wenn sie auf die Fälle der Zwangsvollstreckung in die Mitgliedschaft oder des Konkurses eines Gesellschafters abgestellt ist. Nichtig ist auch der Ausschluß der Abfindung, wenn die Vereinbarung gegen § 723 Abs. 3 BGB verstößt. Nicht jedweder Abfindungsausschluß verstößt aber gegen § 723 Abs. 3 BGB. Einmal kann der Zweck der Gesellschaft so geartet sein, daß der Ausschluß der Abfindung dem Gesellschaftszweck entspricht, wie dies bei Gesellschaften mit idealem Zweck der Fall ist2!. Die Gesellschafterstellung einzelner Gesellschafter kann ferner so sein, daß ihnen eine Abfindung beim Ausscheiden aus der Gesellschaft per se nicht zusteht. Das ist von Gesetzes wegen so, wenn der Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag keinen Anteil am Liquidationserlös hat. 21 Siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 119; Gessler, Kom. HGB § 138 Anm. 27; Heckelmann, S. 106 N. 31 Zit. U So mit Recht Nitschke, Körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 338 ff.
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Wenn in der Literatur vielfach die Meinung vertreten wird, daß der völlige Ausschluß jeder Abfindungszahlung im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters unabhängig von der Höhe seines Kapitalanteils grundsätzlich unwirksam seils, so beruht diese Meinung darauf, daß die Mitgliedschaft nur in Hinsicht auf den Kapitalanteil als eine Beteiligung an dem Gesellschaftsvermögen gesehen wird, während die Mitgliedschaft, wie bereits dargelegt, nicht unmittelbar auf das Vermögen der Gesellschaft bezogen ist und in ihrem vermögensmäßigen Inhalt ganz der privatautonomen Gestaltung durch den Gesellschaftsvertrag unterliegt. Allerdings kommen Klauseln, durch welche die Abfindung beim Ausscheiden völlig ausgeschlossen wird, im allgemeinen nur für Gesellschafter vor, die sich nicht mit einer Vermögenseinlage beteiligt haben oder ihre Beteiligung von einem anderen Gesellschafter unentgeltlich erhalten haben. Es ist kein Zweifel, daß, wenn für den Ausscheidenden kein Abfindungsanspruch besteht, die Dispositionsfreiheit dieses Gesellschafters hinsichtlich der Kündigung beeinträchtigt ist. Dieser Gesellschafter hat aber von vornherein nur eine Gesellschafterstellung minderen Rechts erlangt, indem seine Mitgliedschaft vermögensmäßig auf die Gewinnbeteiligung beschränkt ist. Es ist seine Sache, wenn er mit der Kündigung die Gewinnbeteiligung aufgibt, und seine Gläubiger müssen sich mit der auf die Gewinnbeteiligung beschränkten GesellschaftersteIlung begnügen, d. h. sie können sich nur aus der Gewinnbeteiligung befriedigen!4. Gegenüber dem Gesellschafter minderen Rechts, dessen Mitgliedschaft vermögensmäßig auf die Gewinnbeteiligung beschränkt ist, ist selbst die Kündigung oder Ausschließung seitens der übrigen Gesellschafter ohne wichtigen Grund mit der Konsequenz des Ausscheidens ohne Abfindung grundsätzlich unbedenklich, wenn nicht wegen der besonderen Umstände der Kündigung oder der Ausschließung ein Verstoß gegen § 138 BGB anzunehmen ist. Der Gesellschafter minderen Rechts, dem ohne Angabe eines Grundes mit der Rechtsfolge des Ausscheidens ohne Abfindungsanspruch gekündigt werden kann, ist zwar in seiner GesellschaftersteIlung ganz von dem Willen der anderen Gesellschafter abhängig. Wegen dieser Abhängigkeit ist die Vereinbarung des Abfindungsausschlusses aber nicht, wie von manchen angenommen wird25 , sittenwidrig. Wenn der vermögensmäßige Inhalt der Mitgliedschaft nur in der Gewinnbeteiligung besteht, ergibt sich vielmehr als selbstverständlich, daß dem Gekündigten keine Abfindung zusteht28• Wem die Abfindungs-AusSiehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 119 u. Zit. Dafür, daß die allgemeine Abftndungsklausel auch gegenüber dem Gläubiger des Gesellschafters wirkt, siehe Zit. bei Heckelmann, S. 107 N. 32, 33. rs Siehe Zit. bei Heckelmann, S. 105 N. 21. !3
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schlußklausei auch Rechtens ist, kann allerdings die Kündigung gegenüber dem Gesellschafter, dessen vermögensmäßiger Inhalt der Mitgliedschaft nur in der Gewinnbeteiligung besteht, im Einzelfall wegen der besonderen Umstände der Kündigung gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein21• Unwirksam ist grundsätzlich der Ausschluß der Abfindung im Falle der Kündigung - abgesehen von dem Fall der Ideal-Gesellschaft wegen Verstoßes gegen § 723 Abs. 3 BGB, wenn die Regelung für alle Gesellschafter getroffen ist. Gilt die Abfindungs-Ausschlußklausel nur für einzelne Gesellschafter, so "gehört" das Gesellschaftsvermögen in seiner Substanz den übrigen Gesellschaftern, welche der AbfindungsAusschlußklausel nicht unterworfen sind. Soll die Klausel aber für alle Gesellschafter in gleicher Weise gelten, so sind alle Gesellschafter an sich in gleicher Weise voll an dem Gesellschaftsvermögen vermittels ihrer Mitgliedschaft beteiligt und sie verlieren diese Beteiligung erst mit der Kündigung. Damit handelt es sich bei der Abfindungs-Ausschlußklausel in der Tat um eine nichtige Beschränkung des Kündigungsrechts entgegen § 723 Abs. 3 BGB. Bei der Ausschließung eines Gesellschafters würde die für alle Gesellschafter geltende Abfindungs-Ausschlußklausel - entsprechend wie bei der Kündigung - bedeuten, daß der Ausgeschlossene mit dem Ausschluß seine den anderen Gesellschaftern grundsätzlich gleiche bisherige vermögensmäßige Position verliert. Ein solcher Verlust bedarf jedoch einer besonderen Rechtfertigung. Die Abfindungs-Ausschlußklausel hat in diesem Fall Strafcharakter. Sie ist deshalb nur für den Fall anzuerkennen, daß die Ausschließung des Gesellschafters aus wichtigem Grund erfolgt und der wichtige Grund den Ausschluß der Abfindung als Vertragsstrafe rechtfertigt. überwiegend anerkannt ist, daß die Abfindung für den Fall des Todes eines Gesellschafters ausgeschlossen werden kann28 • Es ist nur die Frage, ob die Anwachsung der Mitgliedschaft an die anderen Gesellschafter als entgeltlich oder unentgeltlich zu werten ist. Es ist auch hier zu unter28 Siehe auch BGH II ZR 189/63, NJW 1966, 501 = LM § 340 HGB Nr. 4, daß dem Ausscheidenden kein Anspruch auf noch ausstehenden Gewinn aus als Einlage geleisteten Diensten zusteht, er mangels Vereinbarung vielmehr einen Abftndungsanspruch wegen als Einlage geleisteter Dienste nur hat, "wenn und insoweit die Dienste durch die Gewinnbeteiligung nicht abgegolten sind und der Erfolg der Dienste im Geschäftsvermögen als festumrissener und meßbarer Vermögenswert vorhanden ist". !7 Siehe dazu BGHZ 34, 80 ff. betreffs der Beschränkung des Abftndungsanspruchs; allgemein zur Sittenwidrigkeit einer Kündigung wegen des Motivs Flurne, Rechtsgeschäft § 18 Ziff. 4. 28 Siehe Ulmer, Kom. HGB § 138 Anm. 120; Bedenken in Hinsicht auf § 138 BGB äußert Gessler, Kom. HGB § 138 Anm. 27; dazu mit Recht Ulrich Huber,
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scheiden, ob die Abfindungs-Ausschlußklausel für den Fall des Todes nur betreffs einzelner oder aber aller Gesellschafter vereinbart ist. Die Klausel nur hinsichtlich einzelner Gesellschafter hat zum Inhalt, daß die Mitgliedschaft dieser Gesellschafter auf Lebenszeit begrenzt ist. Das Ende einer auf Lebenszeit begrenzten Mitgliedschaft bewirkt keine Vermögenszuwendung an die anderen Gesellschafter, vielmehr ist die Mitgliedschaft auf Lebenszeit von vornherein eine solche minderen Rechts. Eine Schenkung wäre es allerdings, wenn bei der Gründung einer Gesellschaft ein Gesellschafter, obwohl er eine Vermögenseinlage leistet, zugunsten des anderen oder der anderen Gesellschafter vereinbart, daß die Gesellschaft ohne seine Erben und ohne einen Abfindungsanspruch derselben fortgesetzt wird. Ebenso ist es eine Schenkung, wenn eine volle Mitgliedschaft unentgeltlich in eine lebenszeitliche umgewandelt wird. Ist bei der lebenszeitlichen Mitgliedschaft als einer Gesellschafterstellung minderen Rechts der Ausschluß der Abfindung keine Schenkung an die vollberechtigten Gesellschafter, so ist die Situation anders, wenn für alle Gesellschafter in gleicher Weise bestimmt wird, daß im Falle des Todes die Mitgliedschaft des Verstorbenen den anderen Gesellschaftern anwächst und ein Abfindungsanspruch der Erben nicht besteht. Abgesehen von dem Fall der Ideal-Gesellschaft29 handelt es sich bei dem für alle Gesellschafter geltenden Abfindungsausschluß um eine Schenkung auf den Todesfall, während für diesen Fall vielfach angenommen wird, daß die Abfindungs-Ausschlußklausel ein aleatorisches Rechtsgeschäft sei30 • Wenn die Klausel für alle Gesellschafter gilt, steht das Gesellschaftsvermögen allen Gesellschaftern vermittes der Mitgliedschaft in grundsätzlich gleicher Weise zu. Die für alle Gesellschafter geltende Abfindungs-Ausschlußklausel hat deshalb zum Inhalt, daß mit dem Tode eines Gesellschafters sich die durch die Mitgliedschaft vermittelte vermögensmäßige Position der verbleibenden Gesellschafter vermehrt. IV. Die Beschränkung der Abfindung Die Abfindungs-Ausschlußklausel spielt in der Rechtspraxis eine verhältnismäßig geringe Rolle. Wenn für einen Gesellschafter jedwede Abfindung ausgeschlossen ist, wird dieser Gesellschafter in aller Regel auch nicht mit einer Vermögenseinlage beteiligt sein, so daß das Ausscheiden ohne Abfindung unproblematisch ist. Die Abfindungs-Ausschlußklausel für den Todesfall wird, abgesehen von dem Fall der Beteiligung ohne Vermögenseinlage, nur bei Familiengesellschaften vorkommen. Doch auch Siehe oben. Siehe BGHZ 22,186,194; DNotZ 1966, 620, 622; zur Literatur siehe Zit. bei Heckelmann, S. 71 N. 177; Flume, Festschr. Schilling, S. 65 u. N. 87; nach Heckelmann, S. 45 ff., 89, soll jedweder Abfindungsausschluß Schenkung sein. IQ
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dort findet man in aller Regel nicht einen Ausschluß, sondern nur eine Beschränkung der Abfindung. Die Beschränkung und nicht der Ausschluß des Abfindungsanspruchs ist das eigentliche Thema der Abfindungsklausel. Hinsichtlich der Beschränkung der Abfindung ergibt sich, was die Kündigung seitens des Gesellschafters anbetrifft, die Hauptfrage, ob die Abfindungsbeschränkung gegen § 723 Abs. 3 BGB, § 133 Abs. 3 HGB verstößt. Bei der Kündigung aus wichtigem Grund ist weiter zu fragen, ob der Kündigende sich die Beschränkung der Abfindung entgegenhalten lassen muß, obwohl er nicht aus freien Stücken, sondern eben aus wichtigem Grunde kündigt, und erst recht, wenn der wichtige Grund durch die verbleibenden Gesellschafter gesetzt wird. Für den Fall der Ausschließung ist die Beschränkung der Abfindung in Hinsicht auf § 138 BGB zu beurteilen. Schließlich ist zu fragen, welche Rechtsfolgen sich aus der Beschränkung der Abfindung für die Gläubiger des ausscheidenden Gesellschafters ergeben. Rechtlich unproblematisch wie der Ausschluß der Abfindung ist die Beschränkung der Abfindung in dem Fall, daß die Gesellschafterstellung apriori als eine solche minderen Rechts im Vergleich zu anderen Gesellschaftern begründet worden ist. So kommt es häufig vor, daß ein Unternehmer bei der schenkweise erfolgenden Aufnahme von Angehörigen in sein Unternehmen als Gesellschafter die Abfindung für jedweden Fall des Ausscheidens auf den schenkweise eingeräumten Kapitalanteil beschränkt und sich auch das Recht vorbehält, den schenkweise aufgenommenen Gesellschafter seinerseits mit der Abfindung des Kapitalanteils oder zu den Werten der Steuerbilanz oder mit einer anderen Abfindungsbeschränkung auszuschließen. Es steht außer Frage, daß eine solche Abfindungsbeschränkung zulässig31 und auch gegenüber den Gläubigern des Gesellschafters, der nur den beschränkten Abfindungsanspruch hat, unanfechtbar ist. Eine Beschränkung der &bfindung nur für einen oder einzelne Gesellschafter kann aus den verschiedensten Gründen vereinbart sein. Sie kann z. B. darauf beruhen, daß bei der Gründung nur einzelne Gesellschafter stille Reserven eingebracht haben oder daß nur einzelne Gesellschafter für das Gedeihen des Unternehmens der Gesellschaft maßgeat Siehe BGHZ 34, 83 ff.; BGH 11 ZR 172/60 vom 29.1. 1962, WM 1962, 462 = BB 1962, 465. In der letzteren Entscheidung nahm der BGH Nichtigkeit der Abfindungsbeschränkung nur deshalb an, weil nach seiner Ansicht der Vater bei seinem hohen Alter die Bedeutung der Bestimmung über die Abfindungsbeschränkung nicht erkannt hatte. Die - im übrigen in der Begründung fragwürdige - Entscheidung wird in der Literatur (siehe z. B. Ulmer, Kom. HGB § 132 Anm. 34) zu Unrecht als allgemeiner Beleg dafür angeführt, daß die Beschränkung der Abfindung auf den Buchwert für den gegen seinen Willen ausscheidenden Gesellschafter sittenwidrig sein könne.
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bend sind. Wie die Bestimmung der Gewinnbeteiligung der privatautonomen Regelung der Gesellschafter unterliegt, so können die Gesellschafter auch ,die Abfindung unterschiedlich für die Gesellschafter regeln. Grundsätzlich problematisch in Hinsicht auf § 723 Abs. 3 BGB ist die Beschränkung der Abfindung nur, wenn sie für alle Gesellschafter vereinbart ist, wenn also für den Gesellschafter vollen Rechts sich beim Ausscheiden eine vermögensmäßige Einbuße ergibt. Nur von dieser Abfindungsbeschränkung ist hier zu handeln. Der Wortlaut des § 723 Abs. 3 BGB wie des § 133 Abs. 3 HGB trifft nicht den Fall, daß die Abfindungsklausel den Auseinandersetzungsanspruch beschränkt. Die Kündigung als die Ausübung des Gestaltungsrechts und das Klagerecht auf Auflösung bleiben als solche ungeachtet der Vermögenseinbuße unbeschränkt. Die Gesetzgebungsmaterialien geben keinen Anhalt, daß bei der 'gesetzlichen Regelung an die .Abfindungsklausel als eine gegen § 723 Abs. 3 BGB verstoßende Beschränkung des Kündigungsrechts gedacht worden ist32• In der 'Anfangszeit des BGB hat man § 723 Abs. 3 BGB denn auch nicht so verstanden. Bei Theodor Kippll3 heißt es: "Zwar kann die Kündigung dem Gesetz zuwider nicht ausgeschlossen werden; aber daß bei Ausscheiden eines Gesellschafters durch Kündigung sein Abfindungsanspruchgewahrt bleiben müsse, ist nicht vorgeschrieben." Knoke bemerkt noch 1928 in der vierten Auflage des Planck'schen Kommentars zu § 738 in Anm. 6 nur lakonisch, die Vorschriften des § 738 seien dispositiver Natur, und zu § 723 in Anm. 6 handelt er nur von Beschränkungen wie der Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder der Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung seitens des Kündigenden oder überlangen Kündigungsfristen. Allgemein wird heute jedoch angenommen, daß die .Abfindungsklausel unwirksam ist, wenn sie entgegen § 723 BGB die Entscheidungsfreiheit zur Lösung der Bindung des Gesellschaftsverhältnisses beeinträchtigt34 • Die Abfindungsklausel wird dabei als Umgehung des § 723 Abs. 3 BGB gewertet. Man stellt auch ab auf das Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft einerseits und die Interessen des Kündigenden andererseits, die gegeneinander abzuwägen seien3G , oder auch auf die "Unbilligkeit" der Abfindung38. Strittig ist, ob es für die Beurteilung der Abfindungsklausel Siehe Heckelmann, S. 141. Windscheid, Pandektenrecht, 9. Auft. 11 § 408, Ziff. 8. M Siehe Ulmer, Kom. HGB § 132 Anm. 31 ff.; Heckelmann, S. 124 ff. und S. 126 N. 11 Zit.; hinsichtlich der unterschiedlichen Formulierungen siehe Zitate bei Möhring, Festschr. Barz, 1974, S. 60. 35 Siehe Ulrich Huber, S. 328 f. und dazu Heckelmann, S. 143. M So heißt es z. B. bei Huber, die Abftndungsklausel dürfe "das Abftndungsguthaben nicht in einer willkürlichen, offenbar unbilligen, sachlich nicht zu rechtfertigenden Weise herabsetzen". 32
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als einer Beschränkung des Kündigungsrechts entgegen § 723 Abs. 3 BGB auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags oder der Kündigung ankommt37 • Aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts wie des Bundesgerichtshofs liegt, soweit ersichtlich, keine Entscheidung vor, in welcher eine Abfindungsklausel wegen Verstoßes gegen § 723 Abs. 3 BGB, § 133 Abs. 3 HGB für nichtig erklärt worden wäre38• In RGZ 162, 393 heißt es, es dürfe "die Abfindung des Ausscheidenden nicht so geregelt sein, daß darin für ihn ein erheblicher Nachteil wirtschaftlicher Art liegt gegenüber dem, was ihm die Auflösung bringen würde; das Ausscheiden darf ihm nicht ungebührlich erschwert werden"3D. Es ging in dem Fall aber um die Kündigung aus wichtigem Grunde und die Frage, ob die Gesellschafter, die selbst den wichtigen Grund zur Kündigung ,gegeben haben, sich gegenüber dem Küncligenden auf die beschränkende Abfindungsklausel berufen können. Entgegen den in der Literatur vertretenen Meinungen wird eine Einheitslösung der komplexen Problematik der beschränkenden Abfindungsklausel nicht gerecht. Vielmehr ist auf die Unterschiedlichkeit des Inhalts der beschränkenden Abfindungsklausel und die Unterschiedlichkeit der Kündigungstatbestände abzustellen. Die Problematik ist schließlich für die Ausschließung grundsätzlich anders geartet als für die Kündigung. Wenn die Abfindungsklausel bei ihrer Vereinbarung nach dem Willen der Parteien ausschließlich darauf gerichtet ist, für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters die Bewertung als Grundlage des Abfindungsanspruchs zu regeln, ohne daß es aber die Intention der Vereinbarung der Klausel wäre, ,die Abfindung zu beschränken, so kann eine solche Bewertungs-Abfindungsklausel trotzdem bereits im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung die Wirkung einer Beschränkung der Abfindung ha37 Siehe dazu Heckelmann, S. 145, der auf den Zeitpunkt der Kündigung abstellt. Demgegenüber ist nach der überwiegenden Meinung in der Literatur der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend. (Siehe Ulmer, Kom. HGB § 132 Anm. 34 u. Zit. und neuerdings Möhring, S. 61, 63 N. 57.) 38 In der in diesem Zusammenhang von der Literatur zitierten Entscheidung RGZ 106, 128 ff. ging das Reichsgericht mit dem Berufungsgericht gerade davon aus, daß in dem fraglichen Falle keine Abfindungsklausel vereinbart war und deshalb der Mehrwert der einen Abteilung des Geschäfts bei der Realteilung auszugleichen sei. 3D Die vom Reichsgericht für diesen Satz zitierten Entscheidungen besagen zu dem Satz nichts. In der Entscheidung Recht 1924 Nr. 661 ging es um das Recht eines Gesellschafters, das ganze Gesellschaftsvermögen gegen Auszahlung der vollen Einlage und des Gewinnanteils des anderen Teils zu übernehmen. RG, WarnRspr 1914, Nr. 248 betraf den Dienstvertrag, RG, JW 1938, 521 ff. = RGZ 156, 129 ff. behandelte die Vereinbarung, daß für den Fall der Kündigung das in der Gesellschaft steckende Vermögen in eine Aktiengesellschaft einzubringen war.
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ben. Eine solche Bewertungs-Abfindungsklausel hat einen Vergleichscharakter. Die Bewertung ist das caput controversum. Die nach der Intention der Parteien ausschließlich auf die Bewertung gerichtete Abfindungsklausel ist rechtlich unproblematisch, es sei denn, daß "der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht". In letzterem Fall ist die Klausel entsprechend der gesetzlichen Regelung für den Vergleich so, wie sie vereinbart ist, unwirksam. Zu fragen ist, ob sie entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen korrigiert werden kann. Wichtiger ist der Fall, daß sich nach der Vereinbarung der Bewertungs-Abfinoongsklausel die tatsächlichen Verhältnisse der Gesellschaft derart verändern, daß aus der Bewertungsklausel eine Beschränkungsklausel wird. In diesem Fall geht es um das allgemeine Problem der ergänzenden Vertragsauslegung4°. Das Gegenteil der reinen Bewertungs-Abfindungsklausel ist die Vereinbarung einer Abfindungsbeschränkung, deren Sinn ·darin besteht, den Abfindungsanspruch wesentlich zu beeinträchtigen und damit, was die Kündigung anbetrifft, die Gesellschafter von einer Kündigung der Gesellschaft möglichst abzuhalten. Eine solche beschränkende Abfindungsklausel ist wie die Abfindungs-Ausschlußklausel wegen Verstoßes gegen § 723 Abs. 3 BGB, § 133 Abs. 3 HGB nichtig41. Der Fall ist gegeben, wenn für die Beschränkung ein anderer sachlicher Grund als die Absicht, eine Kündigung möglichst zu verhindern, nicht gegeben ist. In der Regel hat die Abfindungsklausel, wenn sie den Abfindungsanspruch beschränkt, ihren Grund nach dem Willen der Parteien darin, daß damit der besonderen Problematik Rechnung getragen werden soll, die sich beim Ausscheiden eines Gesellschafters hinsichtlich des Fortbestandes der Gesellschaft ergibt. Die gesetzliche Regelung des § 738 Abs. 1 S. 2 BGBberücksichtigt diese Problematik nicht, sondern ist ausschließlich auf das Vermögensinteresse des Ausscheidenden ausgerichtet. Zwar gibt "die starre Lösung des § 738 I, 2", wie Heckelmann42 sagt, "eindeutig dem Abfindungsinteresse des Ausscheidenden den Vorzug". Wie aber unter Ziff. 1 dargelegt, hat die dispositive gesetzliche Regelung 40
Siehe zur ergänzenden Vertragsauslegung Flume, Rechtsgeschäft, 2. Aufl.
§ 16, 4; Robert Fischer, Festschrift Barz, 1974, S. 46/47 meint, daß man dem
Fall "durch den rechtlichen Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht besser gerecht werden kann". Denn unter diesem Gesichtspunkt sei "eine gegenseitige Rücksichtnahme geboten". Es geht aber unmittelbar nicht um die Pflichten der Gesellschafter, sondern um die Änderung der vertraglichen Regelung durch die ergänzende Vertragsauslegung. Diese hat allerdings als selbstverständlich die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und die Besonderheit zu beachten, daß es sich um einen Gesellschaftsvertrag handelt. 41 Siehe Gessler, Kom. HGB § 123 N. 27 b. u Ebenda, S.143.
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des Gesellschaftsrechts grundsätzlich nur subsidiären Charakter und gibt so nicht den Maßstab für die rechtliche Wertung der Abfindungsklauselab. Das Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters anstelle der Auflösung tritt nur ein, wenn dies im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist. Die beschränkende Abfindungsklausel ist also nur eine Ergänzung zu der Vereinbarung über den Fortbestand der Gesellschaft. Mit dieser Vereinbarung erkennt jeder Gesellschafter für die anderen Gesellschafter das Bestandsinteresse an. Wenn der Fortbestand der Gesellschaft für den Fall der Kündigung durch einen Gesellschafter vereinbart wird, so gehört dieser Fortbestand zu dem vereinbarten Zweck der Gesellschaft, den auch der auf Grund seiner Kündigung ausscheidende Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag grundsätzlich gegen sich gelten lassen muß. Die beschränkende Abfindungsklausel ist allerdings wegen Verstoßes gegen § 723 Acbs. 3 BGB, § 133 Abs. 3 HGB als unwirksam anzusehen, wenn der Ausscheidende nicht die Einlage, soweit sie nicht durch bereits entstandenen oder noch drohenden Verlust verbraucht ist, und stehen gebliebene Gewinnanteile erhält. Solche Abfindungsklauseln kommen aber auch in Gesellschaftsverträgen im allgemeinen nicht vor. Die Praxis wird beherrscht von der Abfindungsklausel, die auf den Buchwert abstellt und damit die stillen Reserven und den good will außer Betracht läßt. Sieht man die Abfindungsklausel in Hinsicht auf den Bestand der Gesellschaft, so ist die Nichtberücksichtigung der stillen Reserven und des good will schon deshalb grundsätzlich gerechtfertigt, weil erst bei der Liquidation endgültig feststeht, ob und was die stillen Reserven und ein good will des Unternehmens der Gesellschaft wert sind43 • Auch wenn im Zeitpunkt der Vereinbarung einer solchen Abfindungsklausel noch keine stillen Reserven und kein good will bestehen, treffen die Gesellschafter die Vereinbarung in dem Bewußtsein, daß mit der Entwicklung der Gesellschaft die Kl8/USel zu einer Beschränkung der Abfindung führen kann. Diese um des GeseUschaftszweck:s willen getroffene Vereinbarung muß der Gesellschafter, der sich durch die Kündigung von dem Gesellschaftszweck löst, gegen sich gelten lassen. Mit Recht hat das Reichsgericht" bei einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts für die Verwaltung eines Aktienbesitzes die Vereinbarung anerkannt, daß dem willentlich ausscheidenden Gesellschafter gemäß der getroffenen Vereinbarung nur der ursprüngliche Zuteilungskurs als Abfindung zu zahlen ist, ungeachtet dessen, ob der Börsenkurs höher ist. 43 Siehe auch Uirich Huber, S. 329; Uimer, Kom. HGB § 132 Anm. 34; GessIer, § 138 N. 27 b. 44
LZ 1931, 1255.
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Ist in einem Gesellschaftsvertrag für die Kündigung keine besondere Regelung getroffen, so bestimmt sich die Rechtsstellung des Gesellschafters hinsichtlich der Kündigungsfolgen nach den gesetzlichen Vorschriften. Es ist selbstverständlich, daß nachdem ein Gesellschafter gekündigt hat, nicht ohne seine Zustimmung durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages -die Rechtsfolgen der Kündigung zum Nachteil des Kündigenden geändert werden können45 , auch wenn der Gesellschaftsvertrag die Änderung desselben durch Mehrheitsbeschluß zuläßt. Allgemein ist aber zu sagen, daß die nachträgliche Einführung einer beschränkenden Abfindungsklausel, weil damit in das Recht eines jeden ~ellschafters eingegriffen wird, stets der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter bedarf, es sei denn, daß gerade die Möglichkeit dieser Änderung des Gesellschaftsvertrages durch Mehrheitsbeschluß explizit im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist46 • Muß aber der Gesellschafter bei der Kündigung aus freiem Entschluß sich an ,die von ihm vereinbarte beschränkende Abfindungsklausel halten, so gilt das gleiche nicht für die Kündigung aus wichtigem Grunde. Selbstverständlich ist, daß gegenüber der Kündigung aus wichtigem Grunde sich die verbleibenden Gesellschafter nicht auf die Beschränkung der Abfindung berufen können, wenn sie den wichtigen Grund gesetzt haben47 • Darüber hinaus dürfte es aber allgemein der Rechtsfigur der Kündigung aus wichtigem Grunde entsprechen, daß in diesem Fall der Kündigende stets Anspruch auf ,die Abfindung in Höhe des vollen Liquidationswerts hat. Mit der Anerkennung des wichtigen Grundes zur Kündigung wird das Bestandsinteresse hinsichtlich der Gesellschaft verneint, so daß, wenn ,die anderen Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen wollen, sie dem Kündigenden das volle Interesse an der Auflösung der Gesellschaft zu leisten haben. Man sollte nur diese beiden Lösungen zulassen: Entweder ist im Einzelfall die beschränkende Abfindungsklausel anzuerkennen oder sie ist im ganzen zu verwerfen, so daß die gesetzliche Regelung der Abfindung zum Liquidationswert eingreift. Nicht zu folgen ist der Ansicht, es komme für die Anerkennung der Abfindungsklausel darauf an, wie die Vermögensverhältnisse des Kündigenden seien, indem der Vermögende durch die Vermögenseinbuße als Folge des Ausscheidens in seiner Entschlußfreiheit betreffs der Kündigung nicht beengt werde 48 • Erst recht kann es nicht in Frage kommen, nach dem Maß zu suchen, von dem ab die Abfindungsminderung den Willen des Kündigungsberechtigten zu Unrecht Siehe BGHZ 48, 251 ff. Zu den Grenzen der Änderung des Gesellschaftsvertrags durch Mehrheitsbeschluß siehe Schneider, ZGR 1972, 357 ff. u. Zit. S. 362 N. 9. 47 Siehe dazu RGZ 162, 394. 48 So Heckelmann, S.147. U
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beeinflußt, und nur insoweit der Abfindungsbeschränkung die Anerkennung zu versagen". Das gleiche wie hinsichtlich der Beschränkung der Höhe des Abfindungsanspruchs ,gilt auch hinsichtlich der Ratenklausel. Sie ist im besonderen auf das Bestandsinteresse der Gesellschaft ausgerichtet. Bei der "willkürlichen" Kündigung muß der Kündigende die Ratenklausei gegen sich gelten lassen, während bei der Kündigung aus wichtigem Grunde für ihn der Abfindungsanspruch durch sie nicht beschränkt ist. Für die Ausschließung oder die Übernahme des Geschäfts nach § 142 HGB oder der analogen Anwendung auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts60 gilt hinsichtlich der beschränkenden Abfindungsklausel das gleiche wie im Fall der "willkürlichen" Kündigung. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Ausgeschlossene nicht besser gestellt sein kann als derjenige, der ein freies Kündigungsrecht ausübt. Darüber hinaus kommt für den Fall der Ausschließung die Beschränkung der Abfindung noch als Vertragsstrafe in Frage. Die Beschränkung der Abfindung auf Grund der beschränkenden Abfindungsklausel, die dem Bestandsinteresse der Gesellschaft Rechnung trägt, ist keine Schenkung. Nach § 7 Abs. 7 ErbStG in der Fassung vom 17.4. 1974 soll zwar der 'auf einem Gesellschaftsvertrag beruhende übergang des Anteils eines Gesellschafters bei dessen Ausscheiden auf die anderen Gesellschafter insoweit als Schenkung gelten, als der Wert des Anteils nach dem Bewertungsgesetz den Abfindungsanspruch übersteigt. Wie aber schon die gesetzliche Formulierung, daß der Übergang als Schenkung "gilt", anzeigt, handelt es sich um eine Fiktion. Mit dem Gesellschaftsrecht und zivilen Schenkungsrecht ist die steuerliche Vorschrift unvereinbar. Zu Unrecht wird von Heckelmann51 die Beschränkung des Abfindungsanspruchs durch die dem Bestandsinteresse der Gesellschaft Rechnung tragende Abfindungsklausel allgemein als unentgeltliche Zuwendung eingeordnet und der Schenkungsanfechtung unterworfen, indem er die dispositive gesetzliche Regelung des Auseinandersetzungsanspruchs als Maßstab für die Beurteilung der Abfindung als Schenkung nimmt. Ebenso ist auch die Ratenklausel oder die Beschränkung der Haftung für den Abfindungsanspruch auf das Gesellschaftsvermögen oder auf das Privatvermögen der Gesellschafter keine Schenkung oder auch nur unentgeltliche Zuwendung an die Gesellschafter oder die GesellschaftS2 • 48 60 &1
&2
So Heckelmann, S. 154. BGH LM § 142 HGB Nr. 15. Ebenda, S. 185 ff. Anders Heckelmann, S. 92 ff.
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Wie die Abfindungs-Ausschlußklausel nicht besonders für den Fall des Konkurses oder der Kündigung durch einen Gläubiger vereinbart werden kann, so ist auch die beschränkende Abfindungsklausel nichtig, wenn sie auf diese Fälle abgestellt ist. Die allgemeine beschränkende Abfindungsklausel ist jedoch in diesen Fällen in gleicher Weise wie bei der Kündigung des Gesellschafters wirksam.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen Von Ernst Geßler Unser hochverehrter Jubilar hat sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten vielfach mit Problemen aus dem Recht der Unternehmensverträge befaßt, lange bevor es diese Verträge als besonders gesetzlich geregelte Vertragsart gabt. Eine seiner letzten Veröffentlichungen2 betraf das Verhältnis zwischen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Da hinsichtlich der Abgrenzung noch manche Frage klärungsbedürftig ist, sei ihm dieser Aufsatz gewidmet. Das Aktiengesetz kennt zwei Gruppen von Unternehmensverträgen, die des § 291 und ,die des § 2923 , letztere zusammengefaßt unter der Sammelbezeichnung "Andere Unternehmensverträge" . Bei den Unternehmensverträgen im Sinne des § 291 sind die Schutzvorschrüten des Aktiengesetzes zur Sicherung der durch den Unternehmensvertrag verpflichteten Gesellschaft, ihrer Gläubiger und ihrer Aktionäre weitgehend .gleich4 • Infolgedessen spielen Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme im Verhältnis dieser Arten von Unternehmensverträgen zueinander abgesehen von der Frage, die unser Jubilar aufgeworfen hat5 , keine bedeutsame Rolle. Immerhin erscheinen auch insoweit zwei Fragen erörterungsbedürftig. Bei den anderen Unternehmensverträgen im Sinne des § 292 sind für einzelne Arten von ihnen besondere, ihrer Artangepaßte Schutzvorschrüten8 getroffen. Im Verhältnis zueinander unterscheiden sich diese anderen Unternehmensverträge aber so sehr, daß insoweit weder Abgrenzungs- noch Umgehungsprobleme auftreten. 1 Vgl. z. B. bereits in seiner Habilitationsschrift "Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften", S. 121 ff., 161 f.; seine tiefschürfenden Stellungnahmen zum Gewinnabführungsvertrag unter dem Recht des AktG 1937 DB 1956, 813 ff., 837 ff. I "Schranken der Weisungsbefugnis aufgrund eines Beherrschungsvertrages", ZHR 137, 388 ff. a Vorschriften des AktG sind ohne Gesetzesangabe zitiert. e Vgl. § 300 Nr. 1 und 3; § 302 Abs. 1 und 3; §§ 303 - 307. & Vgl. Anm. 2. • Vgl. § 300 Nr. 2, § 301 einerseits, § 320 Abs. 2 andererseits.
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Hier stellt sich jedoch einmal die Frage, wie sich diese Verträge gegenüber den entsprechenden, sonst im Wirtschaftsleben vorkommenden Verträgen abgrenzen. Vor allem aber können die anderen Unternehmensverträge rechtlich weitgehend so gestaltet werden, daß sie sich in ihrem wirtschaftlichen Effekt kaum noch von den Unternehmensverträgen des § 291 unterscheiden. Das bedingt ihre klare rechtliche Abgrenzung gegenüber diesen Verträgen. Zugleich liegt darin aber auch die Versuchung, sie an deren Stelle zu verwenden, um ohne Einhaltung der für diese geltenden strengen Schutzvorschriften den gleichen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Damit spielen hei ihnen Umgehungsprobleme eine nicht zu unterschätzende Rolle. I.
Aus steuerlichen Gründen wird in der Regel in Beherrschungsverträgen die Gesellschaft auch zur Abführung ihres ganzen Gewinns verpflichtet. Dennoch ,gibt es "bloße" Beherrschungsverträge, die nicht zugleich eine Gewinnabführungspflicht vorsehen. Sie finden sich einmal zwischen ausländischen herrschenden Unternehmen und inländischen abhängigen Gesellschaften, dadurch bedingt, daß eine Gewinnabführung über die Grenze, jedenfalls zur Zeit, noch nicht steuerlich anerkannt wird. Gleichwohl will das ausländische herrschende Unternehmen nicht auf .die gesellschaftsrechtlichen Vorteile, die ihm ein Beherrschungsvertrag verleiht (§ 291 Abs. 3, § 308), verzichten. Es wird deshalb nur ein Beherrschungsvertrag geschlossen. Aber auch zwischen inländischen Unternehmen bestehen manchmal Beherrschungsverträge ohne Gewinnabführungspflicht (§ 300 Nr. 3). Dabei spielen ganz verschiedene Erwägungen eine Rolle. Nicht immer hat das herrschende Unternehmen, genauer dessen Mehrheitsaktionär, ein Interesse an einer Gewinnabführung der abhängigen Gesellschaft, wohl aber daran, die Gesellschaft seiner Leitung zu unterstellen und frei von Bindungen durch §§ 57, 58, 60, 76 Weisungen, namentlich auch nachteilige, erteilen zu können. Deshalb trifft die Annahme7 , die Trennung sei dem Kopf des Gesetzgebers oder den Köpfen der Bearbeiter des Gesetzesentwurfes im Interesse einer systematisch klaren Regelung entsprungen, nicht zu. Den bloßen Beherrschungsvertrag hat es, wie dem Bundesministerium der Justiz bekannt war, schon vorher in der Konzernpraxis gegeben. Nur 7 So unser Jubilar, ZHR 137, 390, vgI. jedoch Untersuchungen zur Reform des Konzernrechts, Bericht der Stud. Kom. des DJT Rz. 145.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 221
hatte er - wiederum verständlich - im Verborgenen geblüht. Wie sehr, darf an einer kleinen Episode aus den Beratungen der Konzernrechtskommission des Deutschen Juristentages geschildert werden. Vor einer KommissioIlBSitzung hatte sich ein kleiner Kreis zusammengefunden und lebhaft bis in die Nacht hinein die neuen Konzernrechtsvorschläge des Ministeriums, darunter auch die Trennung des Ergebnisausschluß- oder Organschaftsvertrages in einen Beherrschungs- und einen Gewinnabführungsvertrag diskutiert. Die Praktiker erklärten, einen bloßen Beherrschungsvertrag gäbe es nicht. Am Ende der Diskussion hat der damalige Vorsitzende der Kommission, einer der hervorra,gendsten und auch intimsten Kenner der Konzernpraxis, um Nachsicht für sein späteres Kommen am nächsten Tage, er habe vorher noch eine wichtige unaufschiebbare Besprechung. Am nächsten Tage überraschte er alle Praktiker mit der Erklärung, er habe soeben den ersten bloßen Beherrschungsvertrag kennengelernt. Zurück zu unserem Thema. Unser Jubilar hat die Frage untersucht 8 , ob auf Grund eines Beherrschungsvertrages auch die Weisung erteilt werden könne, zu Konzernverrechnungspreisen abzurechnen. Es soll hier nicht zu dieser Frage Stellung genommen werden. Sie würde wegen ihrer Bedeutung eine sehr umfangreiche Behandlung erfordern und damit den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 1. Unser Jubilar hat sich in diesem Zusammenhang auch dagegen gewandt, daß auf Grund eines Beherrschungsvertrages der abhängigen Gesellschaft die Weisung erteilt werden könne, den Jahresüberschuß herauszugeben'. Es ist unserem J·U'bilar darin beizutreten, daß eine solche Weisung nicht mehr im Rahmen des Weisungsrechts nach § 308 Abs. 1 Satz 2 liegen würde. Das Weisungsrecht besteht nur gegenüber dem Vorstand und nur "hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft" (§ 308 Abs. 1 Satz 1). Damit beschränkt es sich auf die Maßnahmen, die der Geschäftsführung des Vorstands unterliegen10• Die Verwendung des Jahresüberschusses ist keine in den Geschäftsbereich des Vorstandes fallende Maßnahme. Sie ist als Teil der Gewinnverwendung in § 58 abschließend geregelt und dort der Regelung durch die Satzung, der Beschlußfassung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie der Hauptversammlung überlassen. In diese zwingende gesetzliche Zuständigkeit kann der Vorstand Vgl. Anm. 2. So Biedenkopf-Koppensteiner in Köln Kom., § 308 Anm. 10, Möhring-Tank, Hdb. der AG, Tz. 770, vgl. auch zweifelnd Godin-Wilhelmi, AktG 4. Aufl., § 300 Anm.5. Kommentarstellen sind nach der ersten Quellenangabe nur noch mit den Bearbeiternamen zitiert. 10 Baumbach-Hueck, AktG 13. Aufl., § 308 Anm. 2; Würdinger in Gross. Kom. AktG 3. Aufl., § 308 Anm. 8 sowie Akt. u. Konz. R. 3. Aufl., S. 284; Jörg GeBIer, AktG, § 308 Anm. 3. 8 8
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nicht einseitig eingreifen. Damit ist die Verwendung des J ahresüberschusses zugleich auch dem Weisungsrecht der herrschenden Gesellschaft entzogen11. Auf § 291 Abs. 3 kann sich die Gegenmeinung nicht berufen. Danach gelten zwar Leistungen auf Grund eines Beherrschungsvertrages nicht als Verstoß gegen §§ 57, 58, 60. Daraus folgt aber nicht, daß ein Weisungsrecht über den Kreis der Geschäftsführungsmaßnahmen hinaus besteht1!. 2. Nach § 291 Abs. 1 Satz 2 gilt auch ein Vertrag, durch den eine AG es übernimmt, ihr Unternehmen für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen - jetzt allgemein als Geschäftsführungsvertrag bezeichnet1 3 - als Gewinnabführungsvertrag. Bei ihm ist strittig, ob dies nur für "unentgeltliche" Geschäftsführungsverträge oder auch für "entgeltliche" :gilt. Nach Biedenkopf-Koppensteiner14 soll ein Geschäftsführungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 1 Satz 2 nur vorliegen, Wenn für die Geschäftsführung kein Entgelt gewährt wird15 • Der Wortlaut des § 291 Abs. 1 Satz 2 stellt darauf nicht ab. Nach ihm fallen beide Arten von Geschäftsführungsverträgen unter die Vorschrift. Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich auf Ausführungen im Ausschußbericht18 • Diese mÜSSen jedoch im Zusammenhang damit gesehen werden, daß der RegE den Geschäftsführungsvertrag unter die Gruppe der anderen Unternehmensverträge eingeordnet hatte (§ 281 Abs. 1 Nr. 4 RegE). Diese Behandlung wurde für nicht richtig gehalten. Zwischen unabhängigen Unternehmen - und dann natürlich nur gegen Entgelt - kämen solche Verträge kaum vor. Soweit aber Organschaftsverträge eine solche Verpflichtung enthielten, hätte sie einen ganz anderen Charakter als die anderen Unternehmensverträge des § 292. Sie käme nämlich wirtschaftlich einer Gewinnabführungsverpflichtung gleich. Deshalb sollte sie nach Ansicht des Ausschusses in § 291 Abs. 1 Satz 2 dem Gewinnabführungsvertrag gleichgestellt werden. Bei dieser Erwägung hat ,die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit keine Rolle mehr gespielt. Maßgebend war vielmehr der wirtschaftliche Charakter des Geschäftsführungsvertrages. Weil die Gesellschaft nicht mehr eigenen Gewinn erziele, sondern für fremde Rechnung geführt werde, sollten beide Verträge gleich behandelt werden. So ausdrücklich für § 58 Würdinger, § 308 Anm. 9. a. M. Godin-Wilhelmi, § 308 Anm. 2. 13 Vgl. dazu GeBIer, DB 1965, 1693. 14 § 291 Anm. 13. IS Ebenso Godin-Wilhelmi, § 291 Anm. 4; Würdinger, § 291 Anm. 37; Emmerich-Sonnenschein, Konzernrecht, S. 75; Bache, Der internationale Unternehmensvertrag nach deutschem Kollisionsrecht, S. 27. 18 Kropff, AktG § 291 Ausschb., S. 377. 11
I!
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Untemehmensverträgen 223 Die Unterscheidung der Geschäftsführungsverträge, je nachdem ob die Geschäftsführung gegen Entgelt oder unentgeltlich geschieht, trifft auch nicht den Kern der Sache. Auch zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen gibt es keinen unentgeltlichen Geschäftsführungsvertrag. Maßgebend für die Frage der "Entgeltlichkeit" oder "Unentgeltlichkeit" ist nämlich nicht, ob die Gesellschaft ein Entgelt erhält. Auch bei einem un~tgeltlichen Geschäftsführungsvertrag erhalten die aJUßenstehenden Aktionäre ein "Entgelt" dafür, daß ihre Gesellschaft ihr Unternehmen für fremde Rechnung führt, in Form einer Ausgleichszahlung oder einer Dividendengarantie (§ 304 Abs. 1). Es ist eine reine Formfrage, ob dieses Entgelt an die Gesellschaft geht und über sie an die Aktionäre läuft oder ob die außenstehenden Aktionäre auf Grund des Geschäftsführungsvertrages unmittelbar auf die Ausgleichszahlung oder Dividendengarantie einen Anspruch gegen das andere Unternehmen haben. Würdinger17 sieht deshalb auch einen Geschäftsführungsvertrag gegen Gewährung einer Dividendengarantie als unter § 291 Abs. 1 Satz 1 fallend (also als unentgeltlichen?) an. Der wirtschaftliche Charakter des Geschäftsführungsvertr,ages ändert sich dadurch um keinen Deut. Ebenso wie es verfehlt ist, vom Gewinnabführungsvertrag als einem unentgeltlichen Vertrag zu sprechen, ist es dies auch bei einem Geschäftsführungsvertrag. Entscheidend dafür, daß jeder - sowohl der "entgeltliche" als auch der "unentgeltliche" - Geschäftsführungsvertrag unter § 291 fällt, ist die Strukturveränderung, die ein Geschäftsführungsvertrag bewirkt. Wird ein Unternehmen für fremde Rechnung geführt, erzielt es keinen eigenen Gewinn mehr, die Gesellschaft wird zur Rentengesellschaft, ihre Aktionäre zu Rentnern, die nur einen vom Gewinn ihres Unternehmens unabhängigen Betrag erhalten. Deshalb ist im Ausschuß der Geschäftsführungsvertrag unter die Unternehmensverträge des § 291 eingeordnet worden, womit für ihn die weitgehenden Schutzvorschriften dieser Gruppe von Untenehmensverträgen für ,die Gesellschaft selbst, ihre Gläubiger und Aktionäre gelten. Es würde auch völlig dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen, Geschäftsführungsverträge, sei es zwischen unabhängigen oder zwischen einem herrschenden Unternehmen und einem abhängigen Unternehmen, wegen der Entgeltfrage unterschiedlich zu behandeln. Auch zwischen unabhängigen Unternehmen kann ein unangemessenes Entgelt vereinbart sein, wogegen die Gesellschaft, ihre Gläubiger und Aktionäre eines besonderen Schutzes bedürfen. Auch bei einer unab17
§ 292 Anm. 19.
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hängigen Gesellschaft sollte der Abschluß eines Geschäftsführungsvertrages, völlig unabhängig von der Frage der Angemessenheit der Vergütung, der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen. Andererseits sollte und kann es nicht möglich sein, § 291 Abs. 1 Satz 2 einfach dadurch zu umgehen, daß in einem Geschäftsführungsvertrag zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen ein Entgelt - mag es auch angemessen sein - vereinbart wird mit der F01ge, daß der Vertrag überhaupt kein Unternehmensvertrag ist und sein Abschluß ,auch nicht der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Das aber ist die Konsequenz der unberechtigten Unterscheidung zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Geschäftsführungsverträgent8 • II. Bedeutsamere Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme ergeben sich im Verhältnis zwischen den beiden Gruppen von Unternehmensverträgen zueinander. Sie haben, wie bereits bemerkt, ihren Grund in den für das andere Unternehmen lästigen Schutzmaßnahmen für die verpflichtete Gesellschaft, ihre Gläubiger und Aktionäre. Diese veranlassen die Vertragsparteien oder, besser gesagt, das 'andere Unternehmen, einen "anderen Untemehmensvertrag" zu wählen und ihn auf Grund der Vertragsautonomie so ,auszugestalten, daß mit einem unter die Gruppe der anderen Unternehmensverträge fallenden Vertrag, soweit als irgend möglich, das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erzielt wird wie mit dem wegen seiner Rechtsfolgen lästigeren Unternehmensvertrag im Sinne des § 291. 1. Denkbar ist dies zwischen Teilgewinnabführungsvertrag im Sinne von § 292 Abs. 1 Nr. 2 und Gewinnabführungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 1 Satz 1. Begrifflich ist die Abgrenzung zwischen den beiden Arten von Abführungsverträgen von Gewinn eindeutig. Unter § 291 Abs. 1 Satz 1 fällt nur ein Vertrag, der die Gesellschaft zur Abführung ihres ganzen Gewinnes des Unternehmens, verpflichtet. Die Teilgewinnabführung muß sich dagegen, wenn sie sich auf den Gewinn der Gesellschaft bezieht, auf die Abführung eines Teils desselben beschränken. Im übrigen erfaßt sie nur ,die Abführung von Gewinn einzelner Betriebe, hier eventuell auch des ganzen. Auch bei dem TeilgewinnabführungsvertI1ag spielt die Frage der Entgeltlichkeit, der Gegenleistung, eine Rolle, jedoch im - ich möchte sagen - umgekehrten Sinn. Hier geht es darum, ob nur Teilgewinnab18 Vgl. zu Verträgen zwischen unabhängigen Unternehmen Würdinger, § 292 Anm. 19, sowie allgemein die resignierende Bemerkung von Emmerich-
Sonnenschein, S. 76.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 225 führungsverträge, die eine Gegenleistung enthalten, unter § 292 Abs. 1 Nr. 2 fallen und solche ohne Gegenleistung nichtig sind u . Der Wortlaut gibt auch hier für eine unterschiedliche Behandlung nichts her. Sicherlich werden unentgeltliche - bei denen weder die Gesellschaft noch ihre außenstehenden Aktionäre eine Gegenleistung erhalten - kaum vorkommen. Zwischen einem herrschenden Unternehmen und einer abhängigen Gesellschaft wird in aller Regel die Ausgleichsund Berichtspflicht nach §§ 311 ff., zwischen unabhängigen Unternehmen die Interessenlage einen unentgeltlichen Abschluß verhindern. Davon abgesehen gebietet es aber auch hier der Sinn und Zweck des Instituts der Unternehmensverträge auch etwaige unentgeltliche Teilgewinnabführungsverträge in § 292 Abs. 1 Nr. 2 einzubeziehen. Die Gesellschaft wird durch sie an der Erzielung des höchstmöglichen Gewinns für sich und ihre Aktionäre gehindert. Sie muß einen mehr oder minder großen Teil ihres Gewinns abgeben. Deshalb ist der Abschluß solcher Verträge der alleinigen Zuständigkeit des Vorstands entzogen. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 293 Abs. 1) und der Eintragung im Handelsregister (§ 294 Abs. 2)20. Würden unentgeltliche Verträge dieser Art nicht unter § 292 Abs. 1 Nr. 2 fallen, ist nicht ersichtlich, woraus sich ihre Unzulässigkeit21 bzw. Nichtigkeit ergeben sollte!!. Es fehlt an einer Norm, die Verträge ohne Gegenleistung generell verbietet23 • Nur wenn der andere Vertragsteil Aktionär der Gesellschaft ist, kann bei Fehlen oder einer nicht angemessenen Gegenleistung ein Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 in Betracht kommenu. Bei Verträgen mit einem "anderen", der nicht Aktionär ist, entfällt auch dieser Nichtigkeitsgrund25 • 2. Wegen der steuerlichen Vergünstigung, die ein Gewinnabführungsvertrag gewährt (§ 7 a Abs. 1 KSTG), wird kaum daran gedacht werden, die Schutzvorschriften für einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 1 Satz 1 durch einen Teilgewinnabführungsvertrag zu 1U Nur mit Gegenleistung Godin-Wilhelmi, § 292 Anm. 2, Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 16; Emmerich-Sonnenschein, S. 93/94; a. M. Würdinger, § 292 Anm. 12; Möhring-Tank, Rz. 746. 20 Vgl. auch Kropff, RegE § 292, S. 379; Emmerich-Sonnenschein, S. 88, "eigentliche Zweck der Aufzählung". U So Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 16, vgl. jedoch auch Anm. 19. U Godin-Wilhelmi, § 292 Anm. 2, für Verträge mit einem Aktionär Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 19; Emmerich-Sonnenschein, S. 94, teilweise im Gegensatz zu S. 88. n Ebenso Möhring-Tank, Rz. 746; Würdinger, § 292 Anm.12. 24 a. M. auch insoweit Würdinger, § 292 Anm. 12, jedoch mit wohl nicht zutreffender Begründung. §§ 57, 58, 60 fordern keine Beeinträchtigung der Substanz, es genügt auch eine des Gewinns (§ 58 Abs. 4). 1$ So denn auch Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 20.
15 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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umgehen. Trotzdem sind Tatbestände denkbar, die eine Umgehung sinnvoll erscheinen lassen. So für ausländische Unternehmen, die sowieso keinen Gewinnabführungsvertrag schließen können, oder für Unternehmen, denen die Befreiung von den Schutzvorschriften bei Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages wertvoller ist als die steuerliche Vergünstigung aus einem Gewinnabführungsvertrag. Hier erhebt sich zuerst einmal die Frage, wo die Grenze für die Teilgewinnabführung liegt. § 256 Abs. 1 AktG 1937 hatte sie bei 75 % des Gewinns gezogen. Das AktG 1965 hat sowohl von einer Höchst- als ,auch von einer Mindestgrenze abgesehen und ist bei der Ausschaltung "unbedeutender Gewinnabführungen" "einen anderen Weg" gegangen26 • Er löst aber nicht unser Abgrenzungsproblem, wie hoch der Teil des Gewinns des Unternehmens sein kann, damit der Vertrag als Teilgewinnabführungsvertrag anzusehenist. Nun braucht zwar nicht befürchtet zu werden, daß, wie die herrschende Lehre einschließlich des BGH27 zu § 58 Abs. 2 Satz 2 angenommen hat, ein "Teil" auch der ganze Gewinn sein kann. Das dürfte wohl doch § 291 Abs. 1 Satz 1 verhindern. Andererseits wird man nicht soweit gehen und jede Teilgewinnabführung bereits als Abführung des ganzen Gewinns behandeln können, wenn die Ansprüche der außenstehenden Aktionäre aus dem nicht abgeführten Teil des Gewinns nicht "voll befriedigt werden können"28. Selbst wenn man mit Biedenkopf-Koppensteiner29 eine angemessene Gegenleistung fordert, könnte kaum eine solche Rechnung aufgemacht werden. Die Gegenleistung kann auch in Leistungen bestehen, die sich bilanzmäßig nicht auswirken und deshalb nicht zu einem voll ausreichenden Rest an Gewinn führen. Jedoch dürfte ein Schluß aus § 254 Abs. 1 angebracht sein. Das Anfechtungsrecht nach § 254 soll den Aktionären einen Schutz gegen Vorenthaltung einer Mindestdividende durch die Hauptversammlungsmehrheit gewähren. Hier bedürfen die außenstehenden Aktionäre eines Schutzes dagegen, daß im Wege der Teilgewinnabführung - ohne den Schutz beim Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 durch Ausgleichszahlung der Gesellschaft - nicht einmal so viel Gewinn verbleibt, daß an sie eine Mindestdividente ausgeschüttet werden kann. Sofern der Gesellschaft nach Abführung des Teilgewinns nicht soviel verbleibt, um Vgl. § 292 Abs. 2, dazu BegrRegE, Kropff, S. 379. 27 BGHZ 55, 359. 28 So Brauksiepe, BB 1966, 144/145. 20 § 292 Anm. 16. 28
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 227 ihre außenstehenden Aktionäre nach Bedienung der gesetzlichen Rücklage (§ 300 Nr. 3) Gewinne in Höhe von mindestens 4 % des Grundkapitals abzüglich von noch nicht eingeforderten Einlagen zu verteilen, ist der Teilgewinnabführungsvertrag als Umgehung des Gewinnabführungsvertrages anzusehen30 • 3. Eine Umgehung der Schutzvorschriften für einen Gewinnabführungsvertrag durch einen Teilgewinnabführungsvertrag kann auch dadurch versucht werden, daß bei einem auf den ganzen oder teilweisen Gewinn eines oder aller Betriebe abgestellten Teilgewinnabführungsvertrag der abzuführende Gewinnteil so hoch vereinbart wird, daß der Gesellschaft praktisch so gut wie kein Unternehmensgewinn verbleibt. Zieht man auch hier die Mindestdividende des § 254 als Obergrenze heran, so käme es darauf an, ob die Gesellschaft außer dem abzuführenden Betriebsgewinn einen Ertrag aus anderen Quellen, insbesondere aus Finanzanlagen (§ 157 Abs. 1 Nr. 8 -10) hat, und was ihr nach der Teilgewinnabführung an restlichen Betriebsgewinn verbleibt. Sind die beiden Erträge - etwa nach dem Durchschnitt der drei letzten Jahre berechnet - so niedrig, daß ihr wiederum keine Gewinnausschüttung im Rahmen von § 254 möglich ist, ist der Teilgewinnabführungsvertragals Umgehung eines Gewinnabführungsvertrages anzusehen, es sei denn, daß ausnahmsweise die Gegenleistung für die Teilgewinnabführung als angemessen anzusehen ist. Eine Sonderfrage ist es, ob es bei diesen Feststellungen nur auf den an die außenstehenden Aktionäre auszuzahlenden Gewinn ankommt oder ob der an alle Aktionäre, gegebenenfalls einschließlich des anderen Unternehmens, zu zahlende Betrag als Maßstab zu nehmen ist. BiedenkopfKoppensteiner3 1 scheinen wegen der "Grundsätze aktien rechtlicher Vermögensbindung" zum Schutze der Gesellschaft und ihrer Gläubiger die Abstellung auf den vollen Betrag für notwendig zu halten. Nachdem jedoch das Aktiengesetz bei Teilgewinnabführungsverträgen eine besondere Sicherung der Gläubiger nicht vorsieht (vgl. §§ 302, 303), dürfte es genügen, wenn darauf abgestellt wird, ob den außenstehenden Aktionären noch die MindestdivLdende verbleibt. Sie setzt einen Gewinn voraus und kann nicht aus der Substanz gezahlt werden. Die Gläubiger sind nur gegen Substanzverlust .geschützt. 4. Besonders schwierig liegt die Umgehungsfrage im Verhältnis zwischen Beherrschungsvertrag und Geschäftsführungsvertrag einerseits und Betriebspacht- bzw. Betriebsüberlassungsverträgen andererseits. a) Auch hier ist rechtlich und theoretisch die Abgrenzung klar. ao at
15·
Wegen der Rechtsfolgen unter 111. § 292 Anm. 17/18.
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Durch den Beherrschungsvertrag unterstellt sich die verpflichtete Gesellschaft der Leitung des anderen Unternehmens. Dieses kann dem Vorstand auch nachteilige Weisungen erteilen (§ 308 Abs. 1 Satz 2). Die sonst bei einer unabhängigen Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Aktionären maßgebenden Grundsätze über die Vermögensbindung (§§ 57, 58, 60) gelten im Verhältnis der Vertragsteile zueinander nicht (§ 291 Abs. 3)32. Von der Unterstellung der Leitung werden das ganze Unternehmen, das ganze Vermögen der Gesellschaft, das in ihren Betrieben arbeitende wie das sonstige Vermögen, insbesondere die Finanzanlagen erfaßt. Auf alle diese Vermögensteile erstreckt sich das Weisungsrecht des anderen Vertragsteils. Ebenso wird beim Geschäftsführungsvertrag das gesamte Unternehmen für Rechnung des anderen Unternehmens geführt, nicht nur der oder die Betriebe der Gesellschaft. Der gesamte Ertrag der Gesellschaft steht dem anderen Unternehmen zu, gleichgültig aus welchen Quellen er fließt, ob es sich um ordentlichen oder außerordentlichen Ertrag handelt. Beide Verträge gehen damit über die betriebliche Seite hinaus und erfassen das Unternehmen als solches. Demgegenüber erstrecken sich sowohl der Betriebspachtvertrag als auch der Betriebsüberlassungsvertrag nur auf den oder die (alle) Betriebe der Gesellschaft. Verpachtet eine Gesellschaft nur einen Betrieb und legt sie die anderen still, liegt auch ein Betriebspachtvertrag vor, denn die Gesellschaft betreibt selbst keinen Betrieb mehr3 3 • Von der Verpachtung oder der überlassung des oder der Betriebe wird das Unternehmen selbst nicht erfaßt. über das nicht im Betrieb arbeitende Vermögen kann die Gesellschaft frei verfügen, mit ihm arbeitet sie nicht für fremde Rechnung34. Das gilt insbesondere auch für die Gegenleistung aus dem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag. Aus einem Betriebspacht- oder überlassungsvertrag können sich je nach dessen Ausgestaltung Weisungsrechte ergeben. Sie können sich aber nur auf aus dem Betrieb oder hinsichtlich des Betriebs sich ergebende Maßnahmen beziehen. Zielen sie auf über den Betrieb hinausgehende Geschäfte oder Maßnahmen, insbesondere auf die nichtbetriebliche Seite der Leitung der Gesellschaft, können sie ihre eigentliche causa aus diesen Verträgen nur formal, nicht materiell herleiten. Ihre Berechtigung und ihre Rechtswirksamkeit erscheint fraglich. Vgl. jedoch hierzu unseren Jubilar, ZHR 137, 388. Zweifelnd Würdinger, § 292 Anm.17. 14 Vgl. wegen der Unterschiede auch Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm.23. 3!
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Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 229 Diese theoretisch klare Abgrenzung wird dadurch verwischt, daß die Vertragsautonomie den Parteien ermöglicht, sowohl den Betriebspachtals auch den Betriebsüberlassungsvertrag nach ihrem Ermessen, nach ihren besonderen Bedürfnissen auszugestalten. Das führt dazu, daß die einzelnen Verträge unter Beibehaltung der Grundform ihrer Vertragsart ganz verschiedene Inhalte haben, sich aus ihnen ganz verschieden starke Weisungsrechte, nicht nur in ihrem Umfang, sondern auch hinsichtlich der von ihnen erfaßten Gegenstände ergeben können. Damit entsteht die Problematik, ob es sich noch um betriebliche Weisungsrechte handelt oder ob sie sich darüber hinaus auf das Unternehmen erstrecken. Da dies nicht immer klar erkennbar hervortritt, ist es durchaus richtig, wenn Baumbach-Hueck35 für jeden Betriebspachtvertrag die Prüfung für erforderlich halten, ob es sich nicht um einen Beherrschungsvertrag nach § 291 handelt3G • Das beruht nicht auf Verkennung der theoretischen Unterschiede zwischen diesen Verträgen. Es ergibt sich zwangsläufig daraus, daß beide Vertragsarten Weisungsrechte enthalten können und sie darauf geprüft werden müssen, ob sie sich "qualitativ" im Rahmen solcher Rechte in Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen halten oder sich darüber hinaus auf die Leitung der Gesellschaft erstrecken. Damit bestimmt sich die Frage, ob ein als Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag benannter Vertrag - jeder Unternehmensvertrag muß nach seiner Art bezeichnet werden (§ 294 Abs. 1 Satz 1) - auch wenn er deren materielle Begriffsmerkmale zu enthalten scheint, noch als solcher oder nicht bereits als Beherrschungsvertrag anzusehen ist, einmal nach den Weisungsrechten, die in ihm dem anderen Vertragsteil gegenüber der Gesellschaft eingeräumt sind. Aber auch ohne besondere Weisungsrechte kann ein Betriebspachtvertrag so gestaltet sein, daß er sich materiell als Beherrsch.ungs- oder Gewinnabführungsvertrag darstellt. Eindeutig um einen Betriebspachtvertrag handelt es sich, wenn sein Inhalt dem gesetzlichen Leitbild eines Pachtvertrages im Sinne von § 581 BGB entspricht. Die verpflichtete Gesellschaft, die Verpächterin, überläßt dem anderen Unternehmen, dem Pächter, ihre(n) Betrieb(e) zum Gebrauch und Nutzung. Der andere Vertragsteil nimmt die Betriebe in Besitz und betreibt sie mit seinen eigenen Arbeitskräften für seine Rechnung. Er hat ,die Betriebsanlage zu erhalten (§ 586 Abs. 1 BGB), die Verpächterin hat nur die vom Pächter unverschuldet in Abgang gekom35 § 292 Anm. 11; Meulenbergh, Die rechtlichen Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Vorstand der AG unter besonderer Berücksichtigung des mitgliedschaftlichen Beteiligungsrechts, Diss. Münster, S. 184 ff. 30 Dagegen Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 22.
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menen Betriebsgegenstände zu ergänzen (§ 586 Abs. 2 BGB). Weisungsrechte irgendwelcher Art bestehen damit nicht. Die Ergänzungspflicht fällt nicht darunter, jedenfalls hat sie ihre klare causa im Pachtverhältnis. Auch wenn der Pächter die Erneuerung der Anlagen sowie das Inventar zum Schätzwert und das gesamte Umlaufvermögen der Gesellschaft aufgrund einer übernahmebilanz einschließlich der Fremdkapitalposten in der Bilanz der Verpächterin übernimmt, liegt noch eine Betriebspacht vor. Ist jedoch auch die Ausübung der Rechte aus den Beteiligungen der Gesellschaft (Stimmrecht, Gewinnrecht, Bezugsrecht) dem anderen Unternehmen überlassen, so ist materiell ein Beherrschungsvertrag anzunehmen. Dies auch, wenn der Pachtzins an die Gesellschaft zu zahlen ist und nicht in Form einer Dividendengarantie an deren Aktionäre. Zwar bestehen auch in diesem Fall keine Weisungsrechte gegenüber dem Vorstand der Gesellschaft. Aber praktisch liegt die Leitung der Gesellschaft in den Händen des anderen Unternehmens 37 • Die Gesellschaft kann keine eigene Geschäfts-, Abschreibungs- und Finanzpolitik betreiben. Nicht nur die betriebliche Seite ihres Unternehmens, sondern auch die unternehmerische ist bei einer solchen Vertragsgestaltung als auf den anderen Vertragsteil übergegangen anzusehen. Nachdem alles auf Rechnung des anderen Unternehmens geht, kann sie mit dem Pachtzins allein keine eigene Geschäfts- oder Finanzpolitik betreiben. Sie muß ihn an die Aktionäre ausschütten. "Die Pächterin hat ... Vermögen und Unternehmen der Verpächterin im ganzen an sich gezogen38 ." Diese Art von Pacht ist materiell ein Beherrschungsvertrag. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der andere Vertragsteil auch noch das Recht zum Ausbau und zur Umgestaltung des Betriebs hat übertragen lassen. Auch ohnedem liegt der wahre Charakter des "Betriebspachtvertrages" auf der Hand. b) § 292 Nr. 3 stellt neben den Betriebspachtvertrag den Betriebsüberlassungsvertrag, ohne jedoch dessen Inhalt näher zu umreißen. Aus dem Wortlaut "oder sonst überläßt" ist zu folgern, daß der Betriebspachtvertrag ein Unterfall oder ein besonders charakteristischer Fall der Betriebsüberlassung ist. Danach wären als Betriebsüberlassungsverträge alle Verträge anzusehen, bei denen wie beim Pachtvertrag Betriebsmittel der Gesellschaft (der Verpächterin) dem anderen Unternehmen (dem Pächter) für dessen Zweck zum Gebrauch überlassen werden39 • 37
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Würdinger, § 292 Anm. 21. Mestmäcker, Verwaltung, S. 319. Vgl. GeBIer, DB 1965, 1692.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 231
Würdinger'° definiert den Betriebsüberlassungsvertrag sehr weitgehend dahin, daß unter ihn alle Verträge fallen, bei dem die Gesellschaft die eigene Betriebsführung einstellt. In der Praxis und im Schrifttum wird der Unterschied zwischen den beiden Verträgen darin gesehen, daß bei einem Betriebspachtvertrag der Betrieb der Gesellschaft nicht nur für Rechnung, sondern auch im Namen des Pächters, beim Betriebsüberlassungsvertrag zwar für Rechnung des Pächters, aber im Namen der den Betrieb überlassenden Gesellschaft, der "Verpächterin", geführt wird, sogenannte Innenpacht41 • Da die Rechtsvorschriften für Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge die gleichen sind, kommt es auf den Unterschied im einzelnen nicht an. Auch für die Abgrenzungs- und Umgehungsfrage braucht der Unterschied nicht herausgearbeitet zu werden. Beide Fragen sind für den Betriebsüberlassungsvertrag nach den gleichen Gesichtspunkten wie für den Betriebspachtvertrag zu beantworten. Enthält der Betriebsüberlassungsvertrag keine Unterhaltspflicht für die übernehmende Gesellschaft42 , steht er dem Beherrschungsvertrag noch näher als der Betriebspachtvertrag. c) Anstelle des Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrages, bei dem das andere Unternehmen selbst den Betrieb der Gesellschaft für eigene Rechnung betreibt, oder auch neben ihm, wird manchmal auch der Betrieb der Gesellschaft belassen und sie verpflichtet, ihn mit ihren Arbeitskräften nach den Weisungen des anderen Unternehmens für dessen Rechnung zu führen. Auch wenn beide Vertragsteile voneinander unabhängig sind, wird dieser Vertrag als Betriebsüberlassungsvertrag zu behandeln sein43 • Entscheidend dafür ist der von Schilling44 herausgestellte Gesichtspunkt. Zwischen herrschenden und abhängigen Unternehmen begegnen wir der Verbindung zwischen Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsver§ 292 Anm. 22. Baumbach-Hueck, § 292 Anm. 13; Würdinger, § 292 Anm. 23; BiedenkopfKoppensteiner, § 292 Anm. 23; Rasch, Konzernrecht 3. Aufl., S. 85; Geßler, DB 1965, 1692. 4t So "in der Regel" nach Mestmäcker, Verwaltung, S. 319. 43 Vgl. Geßler, DB 1965, 1693 m. w. Lit. Nachw.; Baumbach-Hueck, § 292 Anm. 14; Würdinger, AktR, S. 275; a. M. Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 24. Die Schrift von Veelken, Der Betriebsführungsvertrag im deutschen und amerikanischen Aktien- und Konzernrecht, 1975, lag bei Abschluß des Manuskripts noch nicht vor. Sie konnte deshalb bei den nachfolgenden Ausführungen nicht berücksichtigt werden. u Gro!;!;Kom. 7.um AktG 1937 3. Aufl., § 256 Anm. 18. 40
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trag mit einem Betriebsführungsvertrag in zweifacher, ganz entgegengesetzter Weise. Einmal in der Form, daß das herrschende Unternehmen den Betrieb der abhängigen Gesellschaft pachtet oder sonst übernimmt, statt ihn aber nunmehr selbst für eigene Rechnung 7JU betreiben, durch das abhängige Unternehmen mit dessen Arbeitskräften betreiben läßt. Ein solcher Betriebspacht- und Betriebsführungsvertrag kommt einem Geschäftsführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 Satz 2 sehr nahe. Aufgrund des Betriebsführungsvertrages hat das herrschende Unternehmen weitgehende Weisungsrechte gegen die abhängige Gesellschaft45 • Äußerlich mögen sie sich nur auf den Betrieb und nicht auf das Unternehmen erstrecken, äußerlich wird nur der Betrieb und nicht das Unternehmen der abhängigen Gesellschaft für fremde Rechnung geführt. Praktisch kann zwischen beiden jedoch kein Unterschied sein. Entscheidend dafür, ob nicht nur die Betriebsführung für fremde Rechnung erfolgt, sondern ob über die Betriebsführung hinaus auch die gesamten Geschäfte der Gesellschaft für fremde Rechnung geführt werden und damit nicht nur ein Betriebsführungsvertrag, sondern ein Geschäftsführungsvertrag vorliegt, ist, ob die Gesellschaft "freies" Vermögen hat, insbesondere ob sie über die Gegenleistung aus dem Betriebsüberlassungsvertrag frei verfügen kann. Geht die Gegenleistung an die außenstehenden Aktionäre und verbleibt der abhängigen Gesellschaft nichts, womit sie eine eigene Unternehmenspolitik betreiben kann, liegt ein Geschäftsführungsvertrag vor. Im zweiten Fall wird umgekehrt vorgegangen. Das herrschende Unternehmen übernimmt es, statt der Pachtung oder Betriebsübernahme seinerseits den Betrieb der abhängigen Gesellschaft auf deren Rechnung und in deren Namen zu führen". Äußerlich scheint es sich damit bei der Betriebsführung um eine Geschäftsbesorgung zu handeln47 • Die abhängige Gesellschaft erscheint als diejenige, die weisungsberechtigt ist. Aufgrund der Beherrschung liegt es aber anders. Meist erteilt ldie abhängige Gesellschaft keine Weisungen oder nur solche im Sinne des herrschenden Unternehmens. Das herrschende Unternehmen führt damit den Betrieb nur äußerlich für die abhängige Gesellschaft, in Wirklichkeit aber nach seinem Willen in seinem Interesse. Damit ersetzt der Betriebsführungsvertrag den Beherrschungsvertrag und ist materiell als solcher anzusehen4B •
es Vgl. auch Bericht DJT, Tz. 160 und 267. " Vgl. Mestmäcker, S. 320; Würdinger, § 292 Anm. 25. n Mestmäcker, S. 320. 48 Vgl. auch Emmerich-Sonnenschein, S. 96 f.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 233 Würdinger4 8 meint zwar, daß solche Verträge kaum noch Bedeutung haben dürften. "Zumal auch hier die §§ 311 ff. zur Anwendung" kämen50 • Diese Vorschriften sichern jedoch die abhängige Gesellschaft nur davor, daß das Entgelt, das sie für ,die Betriebsführung durch das herrschende Unternehmen zu zahlen hat, nicht zu hoch ist. Sie gewähren aber der abhängigen Gesellschaft keinen Schutz dagegen, daß der Betrieb nicht in ihrem Interesse, sondern praktisch im Interesse des herrschenden Unternehmens geführt wird51 • Allenfalls bei nachteiligen Geschäften und Maßnahmen im Rahmen der Betriebsführung greifen sie ein. Da ·dieseaber alle Einzelrnaßnahmen überdeckt, werden die möglichen Beeinträchtigungen kaum erfaßtli2 • Deshalb sind auch solche Verträge als Umgehungsfälle eines Beherrschungsvertrages anzusehen. Soviel zur Abgrenzung der einzelnen Arten von Unternehmensverträgen gegenüber anderen und ihrem oft nicht erkennbaren Übergehen in der Wirklichkeit von der Gruppe der anderen Unternehmensverträge in die der Unternehmensverträge im Sinne von § 291. III. Die Bezeichnung des Unternehmensvertrages ist den Vertragsparteien nicht freigestellt. Nach § 294 Abs. 1 Satz 1 muß auch ,die Art des Unternehmensvertrages zum Handelsregister angemeldet werden. Sie wird auch im Handelsregister eingetragen. Der damit verbundene Zweck Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Bestehen eines seiner Art nach bezeichneten Unternehmensvertrages - wird nur erreicht, wenn die einzelnen Unternehmensverträge mit ihren gesetzlichen Namen auch vertraglichbezeichnet werden. Nach den Ausführungen unter I und II kann es vorkommen, daß die Benennung eines Unternehmensvertrages nicht mit seinem Inhalt übereinstimmt, er materiell vielmehr einer anderen Unternehmensvertragsart entspricht. Über die Rechtslage in solchen Fällen besteht keine Einigkeit53 • Der Verfasser hat sich zu ihr schon früher 54 geäußert. Seine damaligen, sehr kurz gehaltenen Ausführungen sind nicht überall richtig verstanden worden55 • Deshalb sei hier auf die Rechtslage nach Ansicht des Verfassers ausführlicher eingegangen. " § 292 Anm. 25.
Ebenso Biedenkopf-Koppensteiner, § 292 Anm. 24. "Im Ergebnis gegenstandslos", Mestmäcker, Festgabe, S.150. 11 Vgl. auch Mestmäcker, Anm. 51. 53 Emmerich-Sonenschein, S. 97. 54 DB 1965, 1694. 55 Vgl. zum folgenden die Kritik von Mestmäcker, Festgabe, S. 148, und Emmerich-Sonnenschein. 60 61
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Zunächst ist es Aufgabe des Registergerichts bei der Anmeldung eines Unternehmensvertrages zur Eintragung in das Handelsregister den Vertrag daraufhin zu prüfen, ob er eintragungsfähig ist 58 • Er ist dies nur, wenn sein Inhalt einem der in §§ 291, 292 anerkannten Arten von Unternehmensverträgen entspricht. Decken sich Inhalt und Bezeichnung des Vertrages nicht, muß das Registergericht die Anmeldung zurückweisen, weil die angemeldete Tatsache unrichtig ist. Dabei kann ganz dahingestellt bleiben, ob der Vertrag deshalb nichtig oder trotzdem gültig ist. Auch wenn der Mangel nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führen sollte, darf der Vertrag nicht eingetragen werden, wenn Inhalt und Bezeiclmung sich nicht decken. Im Handelsregister darf nichts Unrichtiges verlautbart werden. Eine bloße Beanstandung des Registergerichts, den Mangel zu beheben, dürfte nicht in Betracht kommen. Der Vorstand der Gesellschaft kann weder den Inhalt noch den Namen des Vertrages von sich aus ändern. Der Vertrag muß neu abgeschlossen werden, er bedarf eines neuen Hauptversammlungsbeschlusses zu seiner Wirksamkeit. Trotz der Prüfung durch das Registergericht kann ein Unternehmensvertrag im Handelsregister eingetragen worden sein, der nach seinem Inhalt materiell unter eine der in § 291 geregelten Unternehmensvertragsarten fällt, aber als ein anderer Unternehmensvertrag im Sinne von § 292 bezeiclmet ist. Mit der Eintragung im Handelsregister ist der Vertrag nach § 294 Abs. 2 formell wirksam geworden. Es fragt sich, welche materielle Wirksamkeit er äußert. Natürlich wäre es -das Beste, wenn der Vertrag seinem materiellen Inhalt entsprechend aufrechterhalten wel1den könnte 57 • über die unrichtige Bezeichnung und die damit verbundene Rechtsunsicherheit könnte hinweggegangen werden, wenn sonst die Rechte aller Beteiligten,insbesondere der mit den Unternehmensverträgen des § 291 verbundene Schutz der Gesellschaft, ihrer Gläubiger und vor allem ihrer Aktionäre gewährleistet wäre. Auf meine Ausführungen58 , daß hier unter Umständen nicht behebbare Schwierigkeiten bestehen, z. B. hinsichtlich der Ausgleichsverpflichtung, der Abfindungsverpflichtung sowie des Fristablaufs zur überprüfung der Angemessenheit59 ist Mestmäcker leider nicht eingegangen. Seine Bemerkung, daß bei Verwendung der allgemeinen Regeln keine unüberwindlich hohen Schwierigkeiten bestehen, überzeugt allein nicht. 55 57 58 59
Vgl. auch Würdinger, § 292 Anm. 2l. So Mestmäcker, Festschrift, S. 150. Vgl. Anm. 54. Ebenso Emmerich-Sonnenschein, S. 98.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 235
Hat das Gesetz die Zulassung eines bestimmten Rechtsinstituts von der Einhaltung bestimmter Schutzvorschriften abhängig gemacht und können diese nachträglich nicht eingehalten werden, widerspricht es auch nicht allgemeinen Regeln der Gesetzesauslegung, den Vertrag nicht nach dem Willen der Vertragsparteien auszulegen, sondern nach den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu behandeln. Gerade Heinrich Kronstein, auf den Mestmäcker sich beruft60 , hätte einer solchen Handhabung widersprochen. Es sei nur an seinen berühmten Aufsatz über Recht und wirtschaftliche Machtentfaltung61 erinnert: Wer eine gesetzliche Vorschrift, die für einen anderen Fall erlassen ist, anders benutzt, handelt gegen Sinn und Zweck des Gesetzes und damit gegen die gegebene Rechtsordnung. Nicht formale Gesichtspunkte haben mich veranlaßt, von der Eintragung im Handelsregister auszugehen, sondern der Schutz aller Beteiligten vor möglichen Benachteiligungen. Hält man die Behandlung eines als anderen Unternehmensvertrag im Sinne von § 292 bezeichneten Unternehmensvertrags als Unternehmensvertrag im Sinne von § 291 für unzulässig62 , bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder ldie in dem Vertrag materiell eingeräumten Rechte, die ihn zu einem Unternehmensvertrag im Sinne von § 291 machen, auf die Rechte zu reduzieren, die der Unternehmensvertrag nach seiner Benennung und nach seiner Eintragung im Handelsregister gewähren könnte, oder den Vertrag nicht als "gültig"63 anzuerkennen. In Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen werden in aller Regel die Rechte und Pflichten der beiden Vertragsteile sowie Leistung und Gegenleistung so eng miteinander verflochten, aufeinander abgestimmt sein, daß bei Annahme der Nichtigkeit eines Teils der dem anderen Vertragsteil eingeräumten Rechte § 139 BGB eingreift. Eine Reduzierung der Rechte des anderen Vertragsteils auf die aus einem normalen Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag unter Aufrechterhaltung des Vertrages im übrigen dürfte deshalb nur ausnahmsweise möglich sein. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an64 • Sollte die Reduzierung (ausnahmsweise) möglich sein, halte ich diesen Weg im Interesse aller Beteiligten und der Rechtssicherheit für die beste Lösung. Darauf, daß der Vertrag ursprünglich nicht so gewollt war65 , kommt es nach § 139 BGB nicht an. Entscheidend ist, ob die Parteien ihn auch ohne ·die nichtigen Abreden vorgenommen hätten. Vgl. Anm. 57. BB 1960, 221. 82 Mit dem Verf. insbes. auch Emmerich-Sonnenschein. 83 Diese Formulierung sei hier gebraucht, die Frage, ob der Vertrag nichtig oder gültig, aber fehlerhaft ist, wird nachfolgend untersucht. 84 So auch schon meine Bemerkung DB 1965, 1694. 80
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Daß die damit verbundene Behandlung der Verträge nach den Regeln des faktischen Konzerns ihrer Eigenart nicht gerecht wird", wird nicht verkannt. Es mag das ein Fehler der gesetzlichen Regelung sein. Solange aber Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge als andere Unternehmerusverträge mit weniger weitreichenden Rechtsfolgen als für ,die Unternehmensverträge nach § 291 zugelassen sind, muß dem Rechnung getragen werden. Es kann nicht auf die Einhaltung von Schutzvorschriften verzichtet werden, um der Eigenart eines Vertrages zu entsprechen. Es müssen im Gegenteil. Funktionsüberschneidungen unterbunden werden, wenn die Behandlung der Verträge nach § 291 der Rechtsordnung widerspricht. Es bleibt die Frage, wie Verträge behandelt werden sollen, bei denen eine Reduzierung der Rechte, ohne das Vertragsgefüge in Frage zu stellen, nicht möglich ist. Nach § 139 BGB wäre Nichtigkeit die Folge, und zwar rückwirkend von Anfang an'? Das AktG hat jedoch für Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge, ,die vornehmlich die Umgehungsfälle bilden werden, bei nicht angemessener Gegenlerstung die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen §§ 57, 58, 60 ausdrücklich ausgeschlossen (§ 292 Abs. 3 Satz 1). Die Begründung zum Regierungsentwurf's bemerkt dazu: "Die Nichtigkeit ist aber für diese Verträge,die häufig die Struktur der beteiligten Unternehmen bereits endgültig verändert haben, keine angemessene Rechtsfolge. " Man wird diese Strukturveränderung auch bei der Beurteilung unserer Frage berücksichtigen und deshalb von einer rückwirkenden Nichtigkeit des Vertrages absehen müssen. Es dürfte der Sachlage besser entsprechen, den Vertrag in Anlehnung an die für eine fehlerhafte Gesellschaft entwickelten Grundsätze als fehlerhaft zu behandeln. Der Vorstand der Gesellschaft ist berechtigt und verpflichtet, den fehlerhaften Vertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen und damit zu beenden. Bis zur Beendigung des Vertrages hat der andere Vertragsteil die vereinbarte Gegenleistung zu leisten und auch sonst die 7JUr Sicherung der Gesellschaft und ihrer Gläubiger für die bezeichnete Unternehmensvertragsart bestimmten gesetzlichen Pflichten (bei Teilgewinnabführungsverträgen Auffüllung der gesetzlichen Rücklage (§ 303), bei Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen Verlustausgleich (§ 302 Abs. 2) zu erfüllen. Stellt die vereinbarte Gegenleistung angesichts der dem anderen Vertragsteil nach dem Vertrag eingeräumten Rechte und Pflichten kein an15
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So der Einwand von Emmerich-Sonnenschein. So Mestmäcker. So h. L., vgl. Emmerich-Sonnenschein m. w. Lit. Nachw. Kropff, S. 379.
Abgrenzungs- und Umgehungsprobleme bei Unternehmensverträgen 237 gemessenes Entgelt dar, ist der andere Vertragsteil verpflichtet, die Differenz auszugleichen (§ 311). Soweit darüber hinaus vom anderen Vertragsteil nachteilige Geschäfte oder Maßnahmen veraniaßt worden sind, die nicht durch das so erhöhte angemessene Entgelt als ausgeglichen angesehen werden können, ist der andere Vertragsteil verpflichtet, der Gesellschaft insoweit nach § 311 Ausgleich oder Schadenersatz zu leisten. Gewiß wird es nicht möglich sein, nachträglich alle solche Geschäfte oder Maßnahmen zu erfassen. Es besteht die Gefahr, daß sie im Rahmen des Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrages nicht mehr feststellbar sind. Immerhin würde wohl auf diese Weise ein Höchstmaß an Schut7 für die Gesellschaft, ihre Gläubiger und Aktionäre erreicht und Umgehungen wirksam begegnet. Unter ihrer Aufrechterhaltung auf solche Umgehungsverträge allein §§ 311 ff. anzuwenden, scheint mir zum Schutze der Gesellschaft, ihrer Gläubiger und Aktionäre nicht ausreichend8' zu sein. Sie sichern allenfalls eine angemessene Gegenleistung. Worauf es ankommt, ist jedoch entweder den Vertrag mit der Rechtslage nach seiner Eintragung und Bezeichnung in Einklang zu bringen oder ihn zu beenden.
•• Vgl. dazu die bei Emmerich-Sonnenschein zitierte S. 99 Fußn. 39.
Das Klagerecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft wegen gesetz- und satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung Von Brigitte Keuk-Knobbe I. Die Änderung des Unternehmensgegenstandes durch die Geschäftsführung als Beispiel einer faktischen Satzungsänderung Die Änderung des Unternehmensgegenstandes einer AG und einer GmbH bedarf eines satzungsändernden, mit Dreiviertelmehrheit gefaßten Beschlusses der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung; die erforderliche Mehrheit kann durch die Satzung erhöht, nicht aber vermindert werden (§ 179 Abs. 2 S. 2 AktG; § 53 Abs. 2 GmbHG). Schon 1916 hatte Hachenburg1 - und dies ist von Schilling2 übernommen worden - darauf aufmerksam gemacht, daß diese Barriere durch eine entschlossene Geschäftsführung der Gesellschaft leicht übersprungen werden könne: Kümmere sich die Geschäftsführung nicht um die Satzung oder begnüge sie sich mit der Deckung durch die Mehrheit, so seien der oder die Gesellschafter, deren Widerspruch man befürchte, tatsächlich doch ausgeschaltet. Der satzungsmäßige Gegenstand des Unternehmens kann - so konstatiert Ritter - von der Geschäftsführung geändert werden, "indem diese sich satzungswidrig benimmt, insbesondere durch Rechtsgeschäfte die Satzung verletzt". Auch das Reichsgericht hat es als eine "notwendige Folge der Nichtbeschränkbarkeit (der) gesetzlichen Vertretungsmacht" der Geschäftsführung angesehen, daß die Geschäftsführung durch satrungswidriges Handeln eine faktische Satzungsänderung herbeiführenkönne 4 • Nun sind Rechtsgeschäfte, die von der Geschäftsführung in überschreitung des satzungsmäßigen Gegenstandes des Unternehmens mit Dritten geschlossen worden sind, nicht ungeschehen und regelmäßig 5 auch nicht 1
JW 1916, 745.
Schilling in Hachenburg, GmbHG, 6. Auf!. 1956, § 3 N. 9. Ritter, Komm. zum AktG, 1939, § 146 N. 2b. • RG 115, 251. 5 Anders, wenn der Dritte weiß oder es nicht wissen will, daß der Vorstand bzw. der Geschäftsführer gegen die Satzung handelt. Sieht man z. B. mit der !
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ungültig zu machen. Denn die Vertretungsmacht des Vorstandes bzw. Geschäftsführers wird nach allgemeiner deutscher Meinung durch die Satzungsbestimmung über den Gegenstand des Unternehmens nicht beschränkt. Auch sonst stellen die Vorschriften des Aktiengesetzes und des GmbHGesetzes einer faktischen Änderung des Unternehmensgegenstandes durch den Vorstand bzw. Geschäftsführer nennenswerte Hindernisse nicht entgegen. Wird die Verwaltung bei ihren Aktivitäten von der Mehrheit gedeckt, so hat sie e1ne Abberufung nicht zu befürchten. Möglicherweise entstehen zwar der Gesellschaft gegen den Vorstand bzw. Geschäftsführer Schadensersatzansprüche. Bei der Aktiengesellschaft kann die Mehrheit den Vorstand auch nicht vor der Geltendmachung dieser Ansprüche schützen; mit der Entlastung des Vorstandes der Aktiengesellschaft durch die Mehrheit ist ein Verzicht auf Ersatzansprüche nicht verbunden (§ 120 Abs. 2 S. 2 AktG). Der Verzicht oder Vergleich über Ersatzansprüche selbst aber kann durch eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals ausmachen, verhindert werden (§ 93 Abs. 4 S. 3 AktG) , und eben diese Minderheit kann auch die Geltendmachung der Ersatzansprüche verlangen (§ 147 AktG). Der Vorstand einer Aktiengesellschaft kann also immerhin, wenn er ohne Satzungsänderung den Unternehmensgegenstand der Gesellschaft ändert, sich etwaigen Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft ausgesetzt sehen. Bei der GmbH liegen die Dinge anders. Es fehlen den §§ 93 Abs. 4 S. 3, 120 Abs. 2 S. 2, 147 Abs. 1 AktG entsprechende Vorschriften8 • Demnach hängt es hier von der Mehrheit ab, ob die Gesellschaft den Geschäftsführerauf Ersatz eines gegebenenfalls enstandenen Schadens in Anspruch nimmt. Die Minderheitsgesellschafter könnten zwar u. U. einen Gesellschafterbeschluß, in dem dem Geschäftsführer Entlastung erteilt und auf Regreßansprüche verzichtet wird7, mit der Begründung anfechten, daß die Mehrheit bei der Beschlußfassung in einer gegen die h. M. entgegen RG 3, 128 in der Verpachtung des Unternehmens eine Änderung des Unternehmensgegenstandes, so wird der vom Vorstand bzw. Geschäftsführer geschlossene Pachtvertrag nicht wirksam sein. Denn bei einem solchen Geschäft kann es dem Partner kaum entgangen sein, daß der Vorstand gegen die Satzung und hinter dem Rücken der Hauptversammlung handelt. e Vgl. jedoch § 73 Abs. 4, §§ 125, 126 des Ref.Entw. eines GmbH-Gesetzes und dazu Teichmann, Recht des einzelnen und Befugnisse der Minderheit, in GmbH-Reform, Rechtspolitik und Gesetzgebung, herausgegeben von E. Geßler, Bd. I, 1970, 73 ff. 7 Nach allgemeiner Meinung wirkt die Entlastung der Geschäftsführer einer GmbH als Verzicht auf Ersatzansprüche oder als Anerkenntnis des Nichtbestehens derartiger Ansprüche; die Vorschriften des AktG sind nicht entsprechend anwendbar (vgl. Baumbach-Hueck, § 46 GmbHG N. 7; BGH vom 30. 10. 1958, LM, § 46 GmbHG Nr. 4).
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guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich zum Nachteil der Gesellschaft ,gehandelt habe und der Beschluß somit gegen das Gesetz verstoße8 • Man könnte sich des weiteren auch auf den Standpunkt stellen, daß der Geschäftsführer sich in diesem Fall nicht auf einen Entlastungsbeschluß berufen dürfe, wenn er nicht mit der für die Änderung des Gegenstandes des Unternehmens erforderlichen Mehrheit gefaßt worden isttl. Aber mit alledem wäre nicht viel gewonnen. Denn ein Minderheitsrecht zur Verfolgung der Ersatzansprüche der Gesellschaft besteht bei der GmbH nicht10 • Die Geschäftsführer einer GmbH können also, wenn sie durch die Mehrheit gedeckt sind, den satzungsmäßigen Gegenstand des Unternehmens ändern oder erweitern, ohne die Inanspruchnahme auf Schadenersatz fürchten zu müssen. Der Vorstand der Aktiengesellschaft wird in Hinsicht auf das Minderheitsrecht zur Verfolgung der Ersatzansprüche der Gesellschaft möglicherweise zurückhaltender sein. Aber ein wirkliches Hemmnis gegen die Änderung des Unternehmensgegenstandes durch den Vorstand stellt auch dieses Minderheitsrecht nicht dar. Denn die Änderung oder Erweiterung des Geschäftsbetriebs wird vielfach durchaus im Interesse der Gesellschaft liegen; es ist vielleicht gar nicht zu erwarten, daß der Gesellschaft auf diese Weise Schaden zugefügt wird, ganz im Gegenteil, die Ausdehnung der Geschäfte kann der Gesellschaft unter Umständen nur nützlich sein. Die erwähnten Vorschriften des Aktiengesetzes und des GmbH-Gesetzes bieten demnach keinen wirklichen Schutz davor, daß der Gegenstand des Unternehmens auf einem anderen als auf dem vom Gesetz vorgesehenen Weg geändert wird. Es bleibt aber die Frage, ob nicht der 8 Brodmann, § 46 GmbHG N. 6h; RG 68, 314 ff., 317 (betr. die Entlastung des Vorstandes der AG zur Zeit der Geltung noch des HGB, in dem den §§ 93 Abs. 4 S. 3, 120 Abs. 2 S. 2 AktG entsprechende Vorschriften fehlten). I Nach RG HRR 1931 Nr. 534 bedarf zwar der Entlastungsbeschluß selbst in einem solchen Fall nicht der besonderen Mehrheit. Dem dürfte zu folgen sein. Denn der Entlastungsbeschluß bezieht sich schließlich nicht nur auf die neuen Geschäfte. Im übrigen würde es auch sonst häufig zunächst ungewiß sein, ob für den Entlastungsbeschluß die einfache oder die besondere Mehrheit erforderlich ist, weil vielleicht zweifelhaft ist, ob diese oder jene Maßnahme der Geschäftsführung sich noch im Rahmen des satzungsmäßigen Gegenstandes des Unternehmens hält. Eine andere Frage ist aber, ob der Vorstand - wenn er tatsächlich den Gegenstand des Unternehmens ausgedehnt hat und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entstanden ist - sich auf einen mit einfacher Mehrheit gefaßten Entlastungsbeschluß soll berufen können. 10 Brodmann, §46 N. 9a; Baumbach-Hueck, §46 N, lOB. Auch in dem Referenten-Entwurf eines GmbH-Gesetzes 1969 ist ein solches Minderheitsrecht allgemein nicht vorgesehen. Es wird nur für Fälle des § 73 Abs. 3 des Entw. wenn der Schadensersatzanspruch auf der Verletzung der Vorschriften zur Erhaltung der Kapitalgrundlage beruht - dem einzelnen Gesellschafter das Recht eingeräumt, Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer selbst geltend zu machen (§ 88 Abs. 2 d. Entw.). Vgl. dazu Teichmann, S. 59 ff .. 76 f.
16 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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einzelne Gesellschafter oder zumindest eine Minderheit die Änderung des Unternehmensgegenstandes durch die Geschäftsführung verhindern können, oder ob sie wirklich eine faktische Satzungsänderung als eine "notwendige" Folge der Nichtbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht der Geschäftsführung hinnehmen müssen. Diese Frage stellt sich um so mehr, als das Gesetz der Bestimmung des Unternehmensgegenstandes in der Satzung immerhin eine besondere Bedeutung beimißt. Der Gegenstand des Unternehmens ist notwendiger Inhalt der Satzung der AG (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG) und des Gesellschaftsvertrages der GmbH (§ 3 Abs. 1 Ziff. 2 GmbHG). Diesen Bestimmungen ist nur Genüge getan, wenn die beabsichtigte Tätigkeit der Gesellschaft näher bestimmt ist. Allgemeine farblose Angaben über den Gegenstand des Unternehmens sind nicht ausreichend. Dies ist durch ,die Neufassung der diesbezüglichen Bestimmung des AktGll nunmehr ausdrücklich klargestellt, war aber auch schon zuvor - gegenüber der bisweilen lässigeren Praxis 12 - allgemeine Meinung in der Literatur 13 • Durch den in der Satzung festgelegten Gegenstand des Unternehmens ist zwar nach deutscher Auffassung nicht die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer Organe nach außen, immerhin aber die Geschäftsführungsbefugnis der Verwaltung beschränkt14 • Die Umstellung des Geschäftsbetriebs auf einen anderen oder weiteren Geschäftszweig setzt einen satzungsändernden Beschluß der Haupt-bzw. Gesellschafterversammlung voraus, der eine ganz qualifizierte Mehrheit erfordert (§ 179 Abs. 2 S. 2 AktG, § 53 Abs. 2 GmbHG). Diese Regelung besteht für die Aktiengesellschaft seit der Aktiennovelle von 188415 • Zuvor war - sofern nicht in dem Gesellschaftsvertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmt war -die Änderung des Unternehmensgegenstandes überhaupt nur durch einstimmigen Beschluß der Generalversammlung möglich (Art. 215 Abs. 1 ADHGB a. F.). Diese Bestimmung beruhte auf der Erwägung, daß eine Gesellschaft, bei welcher der Gegenstand des Unternehmens ein anderer ist als der ursprünglich bestimmte, nicht mehr als 'die Gesellschaft erscheint, bei der die Aktionäre beteiligt sein wollten 16 • Aus Gründen der Zweckmäßigkeit gab die Aktiennovelle von 1884 das Erfordernis der EinVgl. Begründung des Regierungs-Entwurfs des AktG 1965 zu § 20. Vgl. Z. B. RG 62, 96, wo "Betrieb von Handelsgeschäften" für ausreichend erklärt wird. Vgl. im übrigen den überblick über die Rechtsprechung bei Fischer in Großkomm. zum AktG, 2. Auf!. 1961, § 16 N. 11. 18 Vgl. Brodmann, Aktienrecht, § 182 HGB N, lOb; Fischer in Großkomm. § 16Nr.11. 14 Vgl. Barz in Großkomm. zum AktG, 3. Aufl., § 24 N. 11; Kraft in Kölner Komm. zum AktG, § 23 N. 23. 15 Vgl. den Entwurf nebst Begründung und Anlagen in Buschs Archiv, Bd. 44. 18 Vgl. Z. B. Renaud Buschs Archiv 45, 297. 11
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stimmigkeit auf 17, schrieb aber zwingend - mindestens - eine Dreiviertelmehrheit vor, und dabei ist es geblieben. Den Gesellschaftern, die über die Sperrminorität verfügen, soll somit nach dem Gesetz die Möglichkeit gegeben sein, die Änderung und Ausdehnung der Geschäfte der Gesellschaft über den satzungsmäßigen Gegenstand hinaus zu verhindern. Angesichts dieser Lage hat Brodmann18 von dem Recht des einzelnen Gesellschafters gesprochen, daß ohne Satzungs änderung die Geschäfte gegenüber der Satzungsbestimmung nicht erweitert oder geändert werden. Nur wäre dieses Recht des Gesellschafters unvollkommen, wenn es nicht auch im Klagewege gegen die Gesellschaft durchzusetzen wäre. Die Notwendigkeit eines solchen Klagerechts wird freilich nicht mit dem persönlichen Interesse des einzelnen Gesellschafters zu begründen sein. Der einzelne Gesellschafter mag zwar ein erhebliches eigenes Interesse daran haben, daß die Ausdehnung des Unternehmensgegenstandes, auch wenn sie der Gesellschaft nützlich ist, unterbleibt. Man denke etwa an den Fall, daß als Gegenstand des Unternehmens z. B. der Handel mit bestimmten Erzeugnissen, die u. a. auch von einem der Gesellschafter produziert werde-q, festgesetzt ist und die Gesellschaft nun auch noch die Produktion übernimmt. Aber es geht nicht nur um diesen Fall, und das Problem stellt sich unabhängig davon, ob der einzelne Gesellschafter ein persönliches Interesse an der Beschränkung der Tätigkeit der Gesellschaft auf den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand hat. Das persönliche Interesse des Gesellschafters mag noch so groß sein: Wird der Gegenstand des Unternehmens durch eine Satzungsänderung ausgedehnt, so hat dies auch der Gesellschafter, dem die Änderung unwillkommen ist, hinzunehmen. Es geht bei der Untersuchung, ob dem einzelnen Gesellschafter ein Klagerecht zur Verhinderung einer faktischen Änderung des Gegenstandes des Unternehmens und damit zur Verhinderung einer faktischen Satzungsänderung zugebilligt werden kannlU, nicht um das persönliche Interesse, sondern um das allgemeine, allein auf seiner Beteiligung an der Gesellschaft beruhende Recht des einzelnen und jeden Gesellschafters, daß die Gesellschaft sich im Rahmen der Satzung hält.
17 Begründung des Entw., S. 334 f.; vgl. dazu kritisch Otto Bähr, Zum neuen Aktiengesetz, in JhJb 21 (1884) LZ/rz, 431 ff., 463 f.; Renaud a.a.O. 18 Kommentar zum Aktienrecht 19'28, § 182 HGB N. 10 a und Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 3 N. 4 a. 11 Das Problem wird im folgenden am Beispiel der Aktiengesellschaft behandelt. Die Ausführungen gelten für die GmbH entsprechend.
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Brigitte Keuk-Knobbe 11. Das Klagerecht des Gesellschafters zur Verhinderung der Durchführung gesetz- und satzungswidriger Hauptbzw. Gesellschafterversammlungsbeschlüsse
Der einzelne Gesellschafter könnte sein Recht auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft ohne weiteres durchsetzen, wenn die Mehrheit einen Beschluß der Hauptversammlung über die Änderung des Gegenstandes des Unternehmens herbeizuführen suchte, ein entsprechender Antrag z. B. nur mit einfacher Mehrheit gebilligt und vom Vorsitzer als angenommen verkündet würde. Einen solchen Beschluß der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung könnte der einzelne Gesellschafter im Klagewege anfechten 20 • Dazu bedarf es nach ständiger Rechtsprechung21 nicht einmal des Nachweises eines vermögensrechtlichen oder sonstigen Rechtsschutzinteresses. Die Anfechtungsklage steht unter den im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen jedem Gesellschafter zu, auch wenn der Beschluß ihm keinen Nachteil bringt und er ein persönliches Interesse an der Aufhebung des Beschlusses nicht hat weil der Gesellschafter insoweit als Kontrollorgan tätig wird22 • Die Anfechtungsklage ist vom Reichsgericht selbst in einem Fall zugelassen worden, in dem der klagende Aktionär sachlich mit den gefaßten Beschlüssen der General versammlung einverstanden war, in der Generalversammlung aber gegen den Antrag gestimmt und Widerspruch erhoben hatte, "um übereinstimmend mit den Wünschen der Verwaltung zur Klärung der Rechtsfrage eine Entscheidung des Reichsgerichts herbeizuführen"23. Das Reichsgericht hat denn auch die von ihm gewünschte Klärung der Rechtsfrage nicht versagt. Der gesetz- und satzungswidrige Beschluß wird auf die Anfechtungsklage hin selbstverständlich auch dann für nichtig erklärt, wenn er der Gesellschaft nützlich ist. "Was statuten- und gesetzwidrig ist, wird nicht dadurch zulässig, daß es nützlich und sittlich oder sozial geboten ist24 ." Wie also einerseits bei gesetzmäßigem Verhalten der Organe der Gesellschaft der einzelne Gesellschafter nicht geltend machen kann, daß der gefaßte und ausgeführte Beschluß den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufe, so kann andererseits dem Anfechtungsrecht des Gesellschafters gegen einen rechts- oder satzungswidrigen Beschluß nicht der Einwand entgegengesetzt werden, daß dieser den Interessen der Gesellschaft förderlich sei25 • !O Nach der h. M. ist ein solcher Beschluß nicht nichtig, sondern anfechtbar. Vgl. die grundlegende Entscheidung RG 75, 239 ff., 242 f. und danach RG 111, 227 ff. 230; RG 144, 210 ff., 216; Schilling in Großkommentar AktG, § 195 N. 20. !1 Vgl. RG 40,83; 77, 255 ff.; 107, 169 ff.; 145, 338; 285 ff., 395. 22 Vgl. dazu unten S. 248 ff. !3 RG 77, 255 ff., 257. u RG 40, 33 ff., 35.
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Die Erhebung der Anfechtungsklage als solche hindert die Gesellschaft zwar nicht, den beanstandeten Hauptversammlungsbeschluß durchzuführen. Jedoch kann der einzelne Aktionär gegebenenfalls durch eine einstweilige Verfügung die Durchführung des Beschlusses und seine Eintragung in das Handelsregister verhindern28 • So hat das Reichgericht z. B. einer Aktiengesellschaft durch eine einstweilige Verfügung untersagt, ,die beschlossene, als statutenwidrig beanstandete Verlegung des Sitzes der Gesellschaft von Berlin nach Bukarest durchzuführen, und den Registerrichter entsprechend angewiesen27 • Hat also die Hauptversammlung ohne die erforderliche Mehrheit eine Änderung des Gegenstandes des Unternehmens beschlossen, so kann der einzelne Aktionär die Aufnahme der neuen Geschäfte verhindern. Dies gilt selbstverständlich auch für die Zeit nach Erlaß des Urteils, das den beanstandeten Hauptversammlungsbeschluß für nichtig erklärt. Was die Folgen eines für nichtig erklärten Hauptversammlungsbeschlusses anbetrifft, so konzentriert sich das literarische Interesse insbesondere auf den Fall, daß der Hauptversammlungsbeschluß schon ausgeführt worden ist28 • Für den noch nicht ausgeführten Beschluß begnügt man sich gemeinhin mit der Feststellung, der Beschluß könne künftig keine Wirkung haben2t, niemand könne die Beachtung und Ausführung verlangen30• Dies ist ungenau und ungenügend. Ist der Beschluß für nichtig erklärt, so ergibt sich von selbst die Verpflichtung der Gesellschaft, sich der Ausführung desselben zu enthalten31 • Die Einhaltung dieser Verpflichtung kann dann der einzelne Aktionär notfalls mit einer Unterlassungskalge - die gegen die Gesellschaft zu richten ist - erzwingen. Denn der Aktionär. der die Ausführung des noch nicht für unwirksam erklärten Beschlusses durch einstVgl. RG 3, 123 ff., 126. le Staub-Pinner, 9 273 HGB N. 13; Schilling in Großkomm., § 197 AktG N. 20. !7 RG vom 16. 1. 1882, JW 1882, 53 ff. Das erstinstanzliche Gericht hatte die
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einstweilige Verfügung mit dem Zusatz erlassen, daß durch Hinterlegung einer Summe von 500000 M der Vollzug dieser einstweiligen Verfügung gehemmt bzw. das durch die Verfügung erlassene Verbot wieder aufgehoben werde. Das RG strich diesen Zusatz, da dem Kläger ungeachtet der Kaution keine Sicherheit dafür geleistet sei, daß im Falle seines Obsiegens in dem angängigen Rechtsstreit sein Recht auf Zurückverlegung des Gesellschaftssitzes in das Inland würde verwirklicht werden. 18 Vgl. hierzu grundlegend Flechtheim, Das Urteil auf Ungültigkeitserklärung eines Generalversammlungsbeschlusses in Festschrift Zitelmann, 1913. Vgl. des weiteren Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei Aktiengesellschaften, 1924, 193 ff.; Schilling in Großkomm. AktG, 2. Aufl., § 200 N. 4 ff. 28 Schilling, N. 4. ~o Hueck, S. 197. Si RG 3, 123 ff., 138.
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weilige Verfügung zu verhindern in der Lage und befugt ist, kann nicht der Durchführung des dann für nichtig erklärten Beschlusses tatenlos zusehen müssen. Soweit der Beschluß der Hauptversammlung ausgeführt ist, ergibt sich von selbst die Verpflichtung der Gesellschaft, die Ausführung rückgängig zu machen. Auch insoweit ist der einzelne Aktionär klagebefugt. Das Reichsgericht hat in seiner Entsche1dung vom 19. 2. 1881 32 , in der es auf die Anfechtungsklage des Aktionärs Hauptversammlungsbeschlüsse für nichtig erklärt hat, mit Selbstverständlichkeit auch dem weiteren Antrag des Aktionärs entsprochen, die Gesellschaft für schuldig zu erkennen, 'Sich der Ausführungen "derselben zu enthalten und die bereits geschehene Ausführung rückgängig zu machen".
III. Das Anfechtungsrecht gegenüber Hauptversammlungsbeschlüssen als Erscheinungsform des allgemeinen Rechts des Gesellschafters auf gesetz- und satzungsgemäße Betätigung der Gesellschaft Diese Rechte des Aktionärs, wie sie bei Einschaltung der Hauptversammlung bestehen, wären wirkungslos, wenn der Vorstand, ,gedeckt durch die Mehrheit und in der Erkenntnis, daß mit einer Satzungsänderung durch die Hauptversammlung nicht zu rechnen ist, von sich aus eine faktische Satzungsänderung sollte betreiben können. Zur Ergänzung der unter II. dargestellten Rechte des Aktionärs ist ein Klagerecht des Aktionärs gegen die Gesellschaft wegen gesetz- oder satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung auch dann erforderlich, wenn die Hauptversammlung nicht eingeschaltet worden ist. Es bleibt nur zu klären, ob ein solches Klagerecht, ob insbesondere eine Unterlassungsklage des Gesellschafters gegen die Gesellschaft nicht den gesetzlichen Regelungen über die innere Ordnung der Kapitalgesellschaften widersprechen würde. Das Reichsgericht hatte sich in der Entscheidung vom 4. März 192733 mit dem Antrag eines Aktionärs zu befassen, festzustellen, daß die beklagte Aktiengesellschaft verpflichtet sei, bei einem konkreten Geschäft nach § 30 Abs. 2 der 2. DVO zur GoldbilanzVO zu verfahren. Mit diesem Antrag bezweckte der Kläger, die Aktiengesellschaft zu künftigem gesetzmäßigen Handeln anzuhalten. Das Reichsgericht hielt einen solchen Anspruch nicht für vereinbar "mit dem Wesen des Aktienrechts". Es berief sich dabei auf die Regelung, daß der einzelne Aktionär als solcher seine Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Führung der Geschäfte, in der Hauptversammlung auszuüben habe (damals § 250 HGB) und daß darüber hinaus ihm nur die SI 33
RG 3, 123 ff., 138. JW 1927, 1677 ff.
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im einzelnen im HGB aufgeführten Minderheiten- bzw. Einzelrechte zustehen. Nun wird man einen Rechtsbehelf des Aktionärs gegen gesetz- und statutenwidrige Maßnahmen des Vorstandes nicht allein schon deshalb für ausgeschlossen halten dürfen, weil § 118 AktG den Aktionär hinsichtlich der Ausübung seiner Rechte auf die Hauptversammlung verweist und ein solcher Rechtsbehelf im Gesetz nicht vorgesehen ist. Es ist daran zu erinnern, daß z. B. das heute selbstverständliche Anfechtungsrecht gegenüber Hauptversammlungsbeschlüssen von der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts entwickelt worden ist und immerhin auch im Angesicht der damaligen, dem § 118 AktG entsprechenden Bestimmung des Art. 224 Abs. 1 ADHGB, wonach die Rechte, "welche den Aktionären in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in Beziehung auf die Führung der Geschäfte, die Einsicht und Prüfung der Bilanz und die Bestimmung der Gewinnverteilung zustehen", von der Gesamtheit der Aktionäre in der Generalversammlung auszuüben sind. Es hatte sich freilich in Literatur und Rechtsprechung immer verstanden, daß in der Vorschrift des Art. 224 ADHGB nicht mehr ausgesprochen sei, als daß der einzelne Aktionär oder einzelne Aktionäre als solche nicht berechtigt seien, Rechte der Gesamtheit auszuüben34 • Als "grundlos und willkürlich" hat es das Reichsoberhandelsgericht hingestellt, aus dieser Bestimmung zu folgern, daß es überhaupt keine den Aktionären als einzelnen Gesellschaftern, von dem Gutbefinden des Verwaltungsrats oder den Beschlüssen der Generalversammlung unabhängige Rechte geben könne oder daß solche des richterlichen Schutzes nicht teilhaftig werden dürften. Gerade nicht durch Art. 224 ADHGB gehindert sah man die Verfolgung der Sonderrechte und Individualrechte des Aktionärs. Es kann darauf verzichtet werden, die Diskussion um Verständnis und Terminologie der Sonderrechte, Individualrechte, Einzelrechte nachzuvollziehen35 • Für unsere Zwecke ist ausreichend hervorzuheben, daß als Rechte, welche dem einzelnen Aktionär im Gegensatz zur Gesamtheit der Aktionäre zustehen, nicht nur diejenigen Rechte angesehen und anerkannt wurden, ..... " die ihnen als Träger selbständiger Individualwillen ,aus dem Gesellschaftsverhältnis gegen die Gesellschaft als die Verpflichtete zustehen, nicht bloß diejenigen, welche ihnen als Mitträger des Gesamtwillens behufs Mitwirkung, damit dieser Wille zur Erscheinung komme, eingeräumt sind, sondern, und zwar eigentlich in erster ROHG 11, 121. Vgl. dazu z. R Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bd. I, 1870, S. 351 ff.; Thöl, Handelsrecht, 5. Aufl., Bd. I, 875, § 161; Löwenfeld, Das Recht der Aktien-Gesellschaften, 879, 367 ff.; Wiener in Verhandlungen des 15. Deutschen Juristentages (180), H. Bd., S. 174; Alexander, Die Sonderrechte der Aktionäre, 1892. 34
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Reihe . .. das Recht, daß die Gesellschaft die gesetzlichen und statuarischen Vorschriften zur Geltung bringe und befolge"38. Dieses Recht des Aktionärs, daß die Gesellschaft sich im Rahmen der Satzung und der gesetzlichen Bestimmungen halte, war unbestritten37 und ebenso unbestritten war, daß dem Aktionär zur Verwirklichung dieses Rechts auch ein Klagerecht zustand; das Klagerecht wurde - soweit es sich gegen gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse der Generalversammlung richtete - Anfechtungsrecht genannt. Für die Anerkennung dieses Rechtes in Literatur und Rechtsprechung war vornehmlich folgende Erwägung maßgebend: Wenn der Aktionär sein Kapital unter die Verwaltung der Organe der Gesellschaft gestellt und sich somit hinsichtlich der Einwirkung auf das Gesellschaftsvermögen und auf seinen Kapitalbeitrag dem Willen der Gesamtheit untergeordnet habe, so könne dies doch nur innerhalb der durch Gesetz und Satzung bestimmten Grenzen gelten38 • Neben diese auf die Mitgliedschaft und das Interesse des Aktionärs gegründete Erwägung ist der weitere Gesichtspunkt getreten, daß die Kontrollrechte des Aktionärs "um der guten Ordnung der Gesellschaft willen" erforderlich seienSt • Diese Doppelfunktion kommt recht anschaulich schon in einer Formulierung des ROHG zum Ausdruck: das Recht des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft besteht "um der Gesellschaft und seiner Mitgliedschaft willen"40. Nur als eine Erscheinungsform des allgemeinen Grundrechts des Aktionärs auf gesetz- und satzungsgemäße Betätigung der Gesellschaft stellte sich das - später durch ,die Aktiennovelle von 1884 in das ADHGB übernommene - Anfechtungsrecht gegen gesetz- und satzungswidrige Generalversammlungsbeschlüsse dar. Das ROHG gewährte mit Selbstverständlichkeit dem Aktionär aber auch ein Klagerecht gegen die Gesellschaft wegen gesetz- oder satzungswidriger Maßnahmen des VorROHG 25, 310. VgI. z. B. E. J. Becker, Beiträge zum Aktienrecht in ZHR 17 (1872), 379 ff., 433,437 f.; Grünhut in seiner Zeitschrift Bd. I (1874), 107 f.; Löwenfeld, S. 381; Wiener, S. 178. 18 VgI. E. J. Becker; Wiener; Jaques in Verhandlungen des 15. Deutschen Juristentages (1880), Bd. II, 161; ROHG 25, 307 ff., 310. VgI. später bezüglich der Grundlegung des Anfechtungsrechts gegen gesetzund satzungswidrige Generalversammlungsbeschlüsse insbesondere noch Wieland, Handelsrecht, Bd. II, 1931, S. 106 f. 38 Flume, Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S. 14. 40 ROHG 23, 273 ff., 275. Für die Minderheitsrechte hat schon v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 267 dargelegt, daß "ihr juristisches Wesen auf der Berufung einer solchen Minderheit zum Körperschaftorgan" beruhe, daß die Minderheit insoweit als Vertreterin des gesellschaftlichen "Ganzen" auftrete. 18
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standes und des Aufsichtsrats41 • Hervorgehoben sei die Entscheidung des ROHG vom 20.10.1877 42 : Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft hatten mit nachträglicher Billigung der Generalversammlung entgegen dem Verbot des Art. 215 Abs. 3 ADHGB eigene Aktien angekauft. Ein Aktionär erhob gegen die Gesellschaft Klage mit dem Antrag, "die Beschlü-sse und Kontrakte des Aufsichtsrats, Vorstands und der Generalversammlung, zufolge welcher die Aktien angekauft, für nichtig, für die Gesellschaft nicht existent und für -die Kläger nicht rechtsverbindlich zu erklären". Die Klagebefugnis des Aktionärs war für das ROHG selbstverständlich: Denn der Kläger verfolge "das Recht des Aktionärs, um der Gesellschaft und seiner Mitgliedschaft willen zu verlangen, daß der Gesellschaftswille sich entsprechend den Gesetzen und den statuarischen Bestimmungen betätige"42. Zweifelhaft war nur, auf welches konkrete Ziel das Klagebegehren zu richten war. Denn eine allgemeine Aussage darüber, was der Aktionär auf Grund seines Rechts auf gesetz- und statutenmäßige Betätigung der Gesellschaft verlangen kann, ist nicht möglich. Es kommt ganz auf die jeweilige Lage an. Handelt es sich um einen Beschluß der Generalversammlung, so entspricht ein Antrag auf Ungültigkeitserklärung der Sachlage. Beschließt oder beabsichtigt der Vorstand "Handlungen, die nach außen wirken sollen", so kann der Aktionär die Enthaltung der Gesellschaft von der Ausführung der Maßnahmen beanspruchen. Ist aber eine gesetz- oder statutenwidrige Maßnahme - wie in dem vom ROHG zu entscheidenden Fall- bereits ausgeführt, so kommt es ganz auf die konkrete Lage der Gesellschaft an, wie sie infolge der gesetz- oder satzungswidrigen Handlungen geschaffen ist. Das ROHG führte aus, daß hier ein Antrag etwa des Inhalts in Frage gekommen wäre, daß die Gesellschaft den ehemaligen Aktionär zur Zurückhaltung des Kaufpreises gegen Rücknahme der Aktien anhalte43 • Als weiteres Beispiel einer Klage eines Aktionärs gegen die Gesellschaft wegen gesetz- oder satzungswidriger Handlungen des Aufsichtsrats und Vorstands sei ,die Entscheidung des ROHG vom 9.9. 1879 angeführt 44 • Die Jahresbilanzen der beklagten AG wurden bei Einverständ41 Vgl. dazu schon Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 7 ff. 41 ROHG 23,273 ff. 43 S.275. U In dem zu entscheidenden Fall waren die fraglichen Aktien allerdings schon vor Klageerhebung an einen Dritten weiterveräußert worden. Die Gesellschaft wäre hier also nicht mehr in der Lage gewesen, den ehemaligen Aktionär zur Rückzahlung des Kaufpreises anzuhalten, da sie die Aktien nicht zurückgewähren konnte. Deshalb konnte auch nicht dem tatsächlich gestellten Antrag des Klägers entsprochen werden, da damit ausgesprochen worden wäre, daß der ehemalige Aktionär auch noch in Zukunft als Aktionär zu behan-
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nis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zwischen diesen Organen endgültig festgestellt. Das Klagerecht eines Aktionärs, der die Bilanzfeststellung eines Jahres als gesetzwidrig beanstandete, wurde anerkannt. Wenn das ROHG also auch in Hinsicht auf Maßnahmen des Vorstandes oder des Aufsichtsrats ein Klagerecht des einzelnen Aktionärs gegen die Gesellschaft auf Grund seines Rechtes auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft anerkannt hat, so standen naturgemäß - in Anbetracht der damaligen weitreichenden Zuständigkeit der Generalversammlung - die ·auf dieses Recht gestützten Klagen gegen die Generalversammlungsbeschlüsse häufiger zur Entscheidung an. In diesem Bereich hatte sich dann auch mit der Zeit immer dringender die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung erwiesen. Die Gründe sind bekannt: Mangels gesetzlicher Vorschriften war etwa angenommen worden, daß die Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen von jedem Aktionär geltend gemacht werden könne ohne Rücksicht darauf, ob er in der Generalversammlung, welche den Beschluß ge faßt hat, zugegen war oder nicht. Eine Zeitgrenze oder sonstige Schranken hatten natürlich auch nicht bestanden, so daß die Gültigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses fortdauernd in der Schwebe bleiben konnte. Des weiteren war etwa unklar, was im Falle verschiedener Prozesse und Urteile über denselben Generalversammlungsbeschluß zu geschehen und zu .gelten habe. Diese Unklarheiten und die damit verbundenen Unzuträglichkeiten sollten durch die Aktiennovelle von 1884 beseitigt werden. Das Anfechtungsrecht gegen Generalversammlungsbeschlüsse wurde in geordnete Bahnen gelenkt'5. über das Anfechtungsrecht gegen Generalversammlungsbeschlüsse hinaus wurde durch ,die Aktiennovelle allerdings nicht auch das Klagerecht gegen andere rechts- oder satzungswidrige Maßnahmen der Gesellschaft statuiert. Die Lücke gesehen rund bemängelt hat insbesondere Otto Bähr48 • Es ist nicht eindeutig, ob die Statuierung des Anfechtungsrechts gegen Generalversammlungsbeschlüsse sich nach Ansicht der Verfasser der Aktiennovelle von 1884 ·als eine Beschränkung des Rechts des Aktionärs auf gesetz- und statutenmäßige Betätigung der Gesellschaft darstellen, ob also die weitergehende Rechtsprechung des ROHG für obsolet erklärt werden sollte. Ausdrücklich mit dieser Frage befaßt hat sich die Begründung des Entwurfs nicht. Andererseits waren die Verfasser des Entwurfs gegenüber dem allgemeinen Ruf47 nach Statuierung einer Vielzahl von Individualrechten durchaus zurückhaltend, da jede Ausdehnung deIn sei und dies von unabsehbaren Folgen für die Gesellschaft gewesen wäre (ROHG S. 277). 45 Vgl. den Entwurf nebst Begründung und Anlagen in Buschs Archiv, Bd. 44. 48 Zum neuen Aktiengesetz in Jh.Jb. 21 (1884), s. N. 17,431 ff., 460.
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eine Gefahr für die Organisation und das gesunde Funktionieren der Gesellschaft bedeute 48 • Die Aktiennovelle ließ hiernach von geforderten Individualrechten nur zu: für jeden Aktionär das Recht, gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse der Generalversammlung anzufechten, sowie die bei den Mindel'heitsrechte auf Verfolgung der Ansprüche der Gesellschaft aus der Gründung und der Geschäftsführung und auf Untersuchung von Gesellschaftshergängen. Wenn somit eine gewisse Zurückhaltung der Verfasser der Aktiennovelle von 1884 bei der gesetzlichen Regelung der Individual- und Minderheitsrechte nicht zu verkennen ist, so ist soviel jedenfalls doch sicher: Die materielle Grundlage der Anfechtungsklage gegen gesetz- und satzungswidrige Genel'alversammlungsbeschlüsse hat sich durch die Kodifizierung nicht geändert. Die gesetzliche Regelung der Anfechtungsklage hat das fundamentale Recht jedes Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Gebaren der Gesellschaft nicht beseitigt. Ganz im Gegenteil. Die Anfechtungsklage ist anders gar nicht zu begreifen, als daß sie - wie es das Reichsgericht später noch einmal formuliert hat - dem Aktionär zur Verwirklichung seines Rechts gegeben ist, "daß der Wille der Gesellschaft gemäß den gesetzlichen und statuarischen Vorschriften bestätigt wird"49. IV. Inhalt und Grenzen des Klagerechts des Gesellschafters Wenn aber das Recht des einzelnen Aktionärs auf gesetz- und satzungsgemäße Betätigung der Gesellschaft besteht, so ist ein Klagerecht des Aktionäns auch über den Bereich hinaus anzuerkennen, in dem die Hauptversammlung als Organ der Gesellschaft fungiert. Denn "wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann" (§ 89 Ei.nleitung Preuß. ALR). Es könnte freilich eingewandt werden, die Gewährung eines Klagerechts auch gegen Maßnahmen des Vorstandes widerspreche der inneren Ordnung der AG, so wie sie das Aktienrecht nun einmal gesetzt hat. Die Geschäftsführung ist Sache des Vorstandes, die Überwachung der Geschäftsführung Sache des Aufsichtsrates. Ein unmittelbarer Einfluß auf 47 Vgl. insbesondere die Äußerung in Verhandlungen des 15. Deutschen Juristentages. 48 Begründung des Entwurfs, S. 236. 41 RG 85, 311 ff., 313. Es sei auch daran erinnert, daß die Verfasser des GmbHG von einer Regelung des Anfechtungsrechts abgesehen haben, "da diese Befugnis sich aus allgemeinen Grundsätzen ergibt" (Begründung zum Entwurf eines GmbHG, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 1890/92, 5. Anlageband. S. 3751).
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die Geschäftsführung ist selbst der Gesamtheit der Aktionäre, der Hauptversammlung, entzogen. Bei dieser Lage kann in der Tat dem Aktionär ein Klagerecht gegen die Gesellschaft nicht wegen jedweder gesetzwidriger Maßnamne des Vorstands gewährt werden. Der Aktionär muß es hinnehmen, wenn der Vorstand betrügerische oder Schmuggelgeschäfte veranstaltet oder Geschäfte unter Verstoß etwa gegen Wirtschaftsstrafgesetze abschließt. Denn das sind Maßnamnen der Geschäftsführung, wenn auch einer ungesetzlichen, und die Einwirkung und überwachung von Maßnamnen der Geschäftsführung steht dem Aktionär nicht zu. Deshalb hat das Reichsgericht auch in der oben berichteten Entscheidung die Klage eines Aktionärs, die Gesellschaft zur Befolgung des § 31 Abs.2 der 2. DVO zur Goldbilanz zu verurteilen, im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Ändert -die Geschäftsführung aber den Gegenstand des Unternehmens, so handelt es sich gar nicht mehr um einen Akt der Geschäftsführung, der Vorstand nimmt vielmehr eine faktische Satzungsänderung vor. Nicht der Aktionär würde mit seiner Unterlassungsklage gegen die innere Ordnung der Gesellschaft verstoßen, vielmehr tut dies gerade der Vorstand. Soweit der Vorstand mit gesetz- oder satzungswidrigen Maßnahmen eine Kompetenz der Hauptversammlung usurpiert, bestehen gegen die Anerkennung eines Klagerechts des Aktionärs von vornherein keine Bedenken. Denn für den Bereich, in dem -die Hauptversammlung zuständig ist, ist durch die Statuierung der Anfechtungsklage vom Gesetz ausdrücklich anerkannt, daß der Aktionär sein Recht auf gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft auch durchsetzen kann. Auf die notwendige und sich von selbst verstehende Ergänzung dieser Regelung ist oben schon hingewiesen worden: unternimmt es der Vorstand, einen gesetz- oder satzungsw1drigen Beschluß der Hauptversammlung auszuführen, so kann der Aktionär die Maßnalunen des Vorstands verhindern, u. z. solange über die Anfechtungsklage noch nicht entschieden ist, durch Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, nach der Nichtigerklärung des Hauptversammlungsbeschlusses durch Unterlassungsklage. Wenn dem Aktionär das Recht gegeben wird, gegen die Gesellschaft wegen solcher Maßnahmen des Vorstands auf Unterlassung zu klagen, mit welchen der Vorstand eine Kompetenz der Hauptversammlung an sich ziehen würde, so steht dies nur in Kongruenz zu der gesetzlichen Regelung: In dem Bereich, in dem die Hauptversammlung zuständig ist, kann der Aktionär -die gesetz- und satzungsmäßige Betätigung der Gesellschaft erzwingen. Die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands ist durch das Aktiengesetz und die Satzung beschränkt. Maßnamnen, die der Vorstand in
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Widerspruch zu den Vorschriften des Aktiengesetzes und denen der Satzung vornimmt, sind durch seine Geschäftsführungsbefugnis nicht gedeckt. In einem solchen Fall ist der Vorstand für das Verhältnis des Aktionärs zur Aktiengesellschaft nicht mehr als Organ der Gesellschaft anzusehen. Der Aktionär braucht eine Maßnahme, die der Vorstand in überschreitung der Grenzen vornimmt, die das Aktiengesetz und die Satzung einer Geschäftsführungsbefugnis setzen, nicht als eine solche der Gesellschaft anzuerkennen, und in diesem Bereich ist dem Aktionär deshalb auch das Recht zu geben, solche Maßnahmen durch eine gegen die Gesellschaft gerichtete Klage von vornherein zu unterbinden. Die Grenze für Klagen des Aktionärs gegen die Gesellschaft wegen gesetz- und satzungswidriger Maßnahmen des Vorstands verläuft also folgendermaßen: Der Aktionär kann nicht klagen, soweit der Vorstand nur gegen allgemeine gesetzliche Vorschriften verstößt. Sprengt der Vorstand aber durch einen Verstoß gegen Vorschriften des Aktiengesetzes und der Satzung die der Aktiengesellschaft gesetzte Rechtsordnung und ist deshalb das Handeln des Vorstands nicht mehr als eine Maßnahme der Geschäftsführung zu werten, so ist ein Klagerecht des Aktionärs gegen die Gesellschaft anzuerkennen. Dieses Klagerecht des Gesellschafters wegen gesetz- und satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung ist hier am Beispiel der Änderung des Unternehmensgegenstandes behandelt worden. In welchen weiteren Fällen das Klagerecht in Frage kommt, wird für den Einzelfall zu klären sein. Soweit die gesetz- oder satzungswidrigen Maßnahmen der Geschäftsführung noch nicht durchgeführt sind, kann der Aktionär auf Unterlassung klagen; nach Durchführung der Maßnahmen kommt die Klage auf Beseitigung = Rückgängigmachung der Maßnahme - falls dies noch möglich ist - in Frage. Ist die Rückgängigmachung der Maßnahme nicht mehr möglich, so stellt sich die reine Ausgleichsfrage, ob die Gesellschaft Schadensersatz verlangen kann und soll. Insoweit kann - weil es nicht mehr um rechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit geht - der einzelne Aktionär ein Tätigwerden der Gesellschaft nicht erzwingen&o. Der einzelne Aktionär hat also in Hinsicht auf Maßnahmen des Vorstands, die gegen das Aktiengesetz oder gegen die Satzung verstoßen, das Klagerecht gegen die Gesellschaft nur insoweit, als es gilt, einen Bruch der Rechtsordnung der Gesellschaft zu verhindern oder zu beseitigen. Es bleibt dem Einwand zu begegnen, der seit eh und je ,gegen die Einzelrechte des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft geltend gemacht zu werden pflegt, daß auf diese Weise die Einwirkung des einzelnen 50 Für die Einzelklage des Aktionärs zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft tritt Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär 1968, S. 225 ff., 292 ff., de lege ferenda ein.
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auf die Rechte der Gesamtheit ermöglicht werde, daß die Gesellschaft mit einer Vielzahl von Einzelrechten nicht existieren könne. Schon das ROHG hat aber klar:gestellt, daß von einer unstatthaften Einwirkung des einzelnen Gesellschafters auf die Rechte der Gesamtheit nicht die Rede sein könne, "wenn es sich darum handelt, daß etwas nach Gesetz oder Statut Unstatthaftes unterlassen oder danach Gebotenes getan werden soll"51. Dennoch war auch in der Diskussion um die gesetzliche Statuierung der Anfechtungsklage gegen gesetz- und satzungswidrige Beschlüsse der Generalversammlung wieder das "Schreckgespenst"52 heraufbeschworen worden, daß das ungehemmte Einzelklagerecht "willkürlichen" und "erpresserischen" Klagen Vorschub leisten werde 53 • Diesem Schreckgespenst hatte die Aktiennovelle 1884 Rechnung getragen, indem sie dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt hat, von dem klagenden Aktionär Sicherheit zu verlangen, wenn nur die Gesellschaft glaubhaft macht, ihr werde ein Schaden erwachsen54 . Dies und überhaupt die Kostenfrage hatten freilich nur die "Verkümmerung"55 des Anfechtungsrechts bewirkt66 • Die Verfasser des Aktiengesetzes 1965 haben - in der Erkenntnis der Bedeutung der Kontrollrechte des Aktionärs und insbesondere des Publikumsaktionärs für die Ordnung der Aktiengesellschaft - das Hemmnis der Sicherheitsleistung beseitigt und die Prozeßkostenfrage ,durch die Bestimmung des § 247 AktG über die Begrenzung des Streitwerts entschärft57 . U. E. sollten auch der Unterlassungsklage des Aktionärs gegen die Gesellschaft keine größeren Hemmnisse als der Anfechtungsklage entgegenstehen. Deshalb sollte für die Bemessung des Streitwerts einer solchen Klage § 247 AktG entsprechend gelten. Das Schreckgespenst willkürlicher Unterlassungsklagen ist nicht mehr als ein Gespenst. Durch willkürliche Unterlassungsklagen kann eine Lähmung der Gesellschaft nicht erfolgen. Wenn der Aktionär wirklich willkürlich handelt, wird der Vorstand sich durch die Klageerhebung ohnehin nicht von der Durchführung der geplanten Maßnahmen abhalten lassen dürfen und auch nicht abhalten lassen. Die Gefahr aber, daß 51 ROHG 25, 311. 52 Vgl. diese Qualifizierung schon bei Wieland, Handelsrecht, Bd. 2, 1931, S.137N.80. 51 Aus der Begründung zur Aktiennovelle von 1884, S. 237; vgl. etwa auch die Äußerung von Hecht, zur Reform des Aktiengesellschaftsrechts, 1882: "Eine allzu weitgehende Ausdehnung der Sonderrechte gibt ehrsüchtigen und intriganten Aktionären eine gefährliche Waffe und prozeßlustigen Anwälten einen mannigfachen Anlaß zur Führung von Prozessen." 5' Vgl. Art. 190a Abs. 111 ADHGB; § 273 Abs. 111 Satz 1 HGB; § 199 Abs. IV AktGes. 1937. 55 Robert Fischer in Minderheitenschutz bei Kapitalgesellschaften, 1967, S.61. 58 Fischer; Flume, S.15. 57 Vgl. die Kritik der Neuregelung als ungenügend bei Flume, S. 15, 21.
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der Aktionär auch noch durch einen - willkürlichen - Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung den Vorstand zu hindern sucht, ist nicht besonders hoch zu vel'anschlagen. Denn hier droht immerhin die unbedingte, von einem Verschulden unabhängige Schadensersatzverpfiichtung (§ 945 ZPO), und hier kann das Gericht die Anordnung einer einstweiligen Verfügung auch von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (§§ 936, 921 Abs. 2 ZPO). Wer meint, mit einem Einzelklagerecht gegen die Gesellschaft auch wegen gesetz- oder satzungsw~driger Maßnahmen der Geschäftsführung könne die Gesellschaft nicht existieren, meint in Wahrheit, daß die Gesellschaft nicht in der Rechtsordnung existieren könne, die ihr Gesetz und Satzung nun einmal gesetzt haben.
Gesellschafterbeschluß und Insichgeschäft Von Wolfgang Schilling I. Gegenstand der Untersuchung
1. Einleitung Kurt Ballerstedt, dem ich diesen Aufsatz in Freundschaft widme, ist gleichermaßen ein Kenner des Bürgerlichen Rechts und des Gesellschaftsrechts. So hoffe ich, daß dieser Beitrag zu seiner Festschrift, der die Anwendung von Bestimmungen des Allgemeinen Teils des BGB auf den Gesellschafterbeschluß zum Gegenstand hat, sein Interesse findet. Die zu beantwortende Frage ist, ob und in welchen Fällen das in § 181 BGB8lUsgesprochene Verbot des Insichgeschäfts auf Gesellschafterbeschlüsse anzuwenden ist. Dabei liegt der Schwerpunkt der Arbeit im GmbH-Recht, wo das Verhältnis des § 181 BGB zu § 47 Abs. 4 Satz 2 (1. Alternative: Vornahme eines Rechtsgeschäfts) eine Rolle spielt. Die Ergebnisse der Arbeit gelten aber auch für die Person€n- und die Aktiengesellschaft.
2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Der Ir. Zivilsenat des BGH hat sich in mehreren Entscheidungen mit unserer Frage beschäftigt. a) Im Urteil vom 6 10. 1960 - BGHZ 33, 189, 191 - heißt es, die Satzungsänderung einer GmbH sei ein Sozialakt und unterliege deshalb nicht dem § 181 BGB. Eine Begründung fehlt. b) Im Urteil vom 26. 1. 1961 - LM HGB § 138 Nr. 8 wird ausgeführt, die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer oHG - hier das Ausscheiden eines Gesellschafters - durch einstimmigen Gesellschafterbeschluß sei ein Rechtsgeschäft i. S. des § 181. Daher sei ein Gesellschafter gehindert, an einem solchen Beschluß im eigenen Namen (mit seiner Stimme) und zugleich in fremdem Namen (als gesetzlicher Vertreter oder als Bevollmächtigter mit der Stimme eines andern Gesellschafters) mitzuwirken. c) Nach BGHZ 51 209, 217 - Urteil vom 9. 12. 1968 - ist die Organbestellung in der GmbH ein Sozialakt, bei dem mitzuwirken der Gesell17 Festschrift für Kurt Ballerstedt
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schafter selbst ein schutzwürdiges Interesse habe. Dagegen sei es einem Geschäftsan teile verwal tenden Testamen tsvollstrecker in entsprechender Anwendung von § 181 BGB versagt, bei der Abstimmung über seine Wahl zum Geschäftsführer mitzustimmen, es sei denn, daß er vom Erblasser oder den Erben vom Verbot des Selbstkontl"ahierens befreit sei. d) In dem vom BGHZ 52, 316 - Urteil vom 22. 9.1969 - entschiedenen Fall faßte der Vater, der am Stammkapital einer GmbH mit der Hälfte beteiligt und deren Geschäftsführer war, im eigenen Namen und zugleich als gesetzlicher Vertreter seiner beiden Töchter, die mit je einem Viertel beteiligt waren, den Beschluß, die Gesellschaft aufzulösen. Der BGH sah den Beschluß als wirksam an. Dieser sei kein Insichgeschäft i. S. des § 181 BGB. Denn es handle sich nicht um einen Vertragsabschluß oder um ein sonstiges Rechtsgeschäft der Gesellschafter untereinander, sondern um den Sozialakt der körperschaftlichen Willensbildung durch Mehrheitsentscheid, bei dem jeder Gesellschafter sein Recht auf Mitverwaltung und ~gestaltung der gesellschaftlichen Angelegenheiten wahrnehme. Bei einem solchen Gesamtakt könne ein Gesellschafter das Stimmrecht grundsätzlich zugleich für sich selbst und als Vertreter eines andern Gesellschafters ausüben, ohne damit gegen § 181 BGB zu verstoßen (S. 318). e) Den Begriff des Sozialakts oder sozialrechtlichen Akts hat der II. Zivilsenatauch in anderen Entscheidungen verwendet, 'So in BGHZ 48, 163, 167 für die A:bstimmung über ,die Abtretungsgenehmigung nach § 15 Abs. 5 GmbHG, in BGHZ 49, 117, 120 für den Übernahmevertrag nach § 55 GmbHG~und dabei § 181 BGB angewendet), in WM 1968, 570 (= DB 1968, 847) für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers. 3. Die Anmerkungen von Fleck
Aus den Anmerkungen von Fleck zu den in 1 c) und d) angeführten Entscheidungen lassen sich einige weitere Aufschlüsse für unsere Frage entnehmen. a) In LM§ 47 GmbHG Nr. 13 schreibt Fleck unter 2: Als Mitglied der Gesellschafterversammlung sei der Gesellschafter gewissermaßen auch "Vertreter" der Gesellschaft. Entgegen dem Rechtsgedanken von § 181 BGB habe die Rechtsprechung aber § 47 Abs. 4 Satz 2 (1. Altern.) einschränkend ausgelegt und nicht auf sog. Sozialakte bezogen, d. h. auf Entscheidungen über Angelegenheiten des innergesellschaftHchen Lebens, bei denenaufgrund seines Mitgliedsrechts jeder Gesellschafter von der Sache her zur Mitwirkung berufen sei. Freilich sei der Begriff des Sozialakts keine Zauberformel, mit der sich für alle Fälle eine klare Grenze zwischen erlaubter und nicht erlaubter Mitwirkung eines Gesell-
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schafters ziehen lasse. Es wäre dogmatisch konsequent gewesen, auch den Testamentsvollstrecker bei dem Sozialakt seiner Wahl zum Geschäftsführer mitstimmen zu lassen. Aber jener nehme keine Rechte aus eigener Beteiligung wahr. Bei ihm stelle sich das Recht des "Selbstkontrahierens" in doppelter Hinsicht, nämlich einmal im Verhältnis zur Gesellschaft, zum andern 'aber auch im Verhältnis zu den Erben als den Anteilsinhabern. Ihnen gegenüber befinde er sich bei seiner Bestellung zum Geschäftsführer in einer Konfliktslage, die die entsprechende Anwendung des § 181 rechtferUge. ob) In der Anm. LM BGB § 181 Nr. 13 zu BGHZ 52, 316 wiederholt Fleck den Standpunkt des BGH, der Auflösungsbeschluß, bei dem nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbH eine Dreiviertel-Mehrheit genüge, sei ein Akt der körperschaftlichen Willensbildung, bei dem § 181 BGB nicht anzuwenden sei. Er erwägt aber die Anwendung, wenn es sich um eine Satzungsänderung (wie in der oben 1 b) angeführten Entscheidung) oder um einen Beschluß handle, für den das Gesetz Einstimmigkeit fordere, wie etwa § 53 Abs. 3 GmbHG.
Die Vorinstanz hatte erwogen (vgl. BGHZ 52, 318), ob ein verbotenes Insichgeschäft darin liegen könne, daß die durch den Vater für sich und die Kinder 'ahgegebenen Stimmen ihm gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer zugegangen seien. Fleck verwirft solche überlegungen als allzu begrifflich-konstruktiv, während doch das Gesellschaftsrecht vor allem von den wirtschaftlichen Funktionen her gesehen werden müsse. Daß ein Gesellschafter-Geschäftsführer einen unter seiner Mitwirkung gefaßten Gesellschafterbeschluß zur Kenntnis nimmt, sei ein alltäglicher Vorgang, der in den normalen Aufgabenbereich des Geschäftsführers falle und deshalb vernünftigerweise nicht den Beschränkungen des § 181 BGB unterworfen sein könne.
4. Stellungnahmen im sonstigen Schrifttum Die These des BGH, das Vertretungsverbot des § 181 BGB sei bei dem Sozial akt der körperschaftlichen Willensbildung durch Mehrheitsentscheid nicht zu beachten, ist im sonstigen Schrifttum, soweit es sich näher mit der Frage befaßt, nahezu ausnahmslos auf Ablehnung gestoßen!. Zustimmend äußert sich Steffen2 • Auf gesellschaftsrechtliche Sozialakte, z. B. auf eine Satzungsänderung, finde § 181 nur deshalb keine AnwenI ScheIter, DNotZ 1961, S. 323; Aigner, Die Selbstermächtigungserklärung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Einmann-GmbH, Diss. München 1965, S. 18 ff., 24; Plander, ZHR 133 (1970), S. 327 (332); W. Blomeyer, NJW 1969, S. 127; Wiedemann, JZ 1970, S. 291; Winkler, ZGR 1973, S. 177 (212); Klamroth, BB 1974, 160; Schmidt, FinRdsch 1974, 484, 495. ! RGR-BGBK 12. Auf!., § 181 Anm. 5.
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dung, weil und 'Soweit es bei .der (körperschaftlichen) Willensbildung in der Gesellschaft an der Gegenseite fehle und .das Mitglied zur Mitwirkung ,an der Gestaltung des innergesellschaftlichen Lebens von der Sache her berufen sei. Es handle sich um die Vertretung mehrerer Personen auf derselben Seite, um ein "Miteinander im Sozialakt", so daß § 181 nicht anwendbar sei (Anm. 10). R. Fischer3 hält die Anwendung von § 181 auf .den Zustimmungs beschluß des § 116 Abs. 2 HGB für be