Allgemeine Volkswirtschaftslehre: Band 1 Grundlegung, Wirtschaftskreislauf [10. Aufl. Reprint 2019] 9783110839906, 9783110047196


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German Pages 259 [260] Year 1974

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Grundlegung
II. Methodenfragen
III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft
IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf
V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung i. w. S.)
Verzeichnis der wichtigsten Symbole
Literaturhinweise
Namensregister
Sachregister
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Allgemeine Volkswirtschaftslehre: Band 1 Grundlegung, Wirtschaftskreislauf [10. Aufl. Reprint 2019]
 9783110839906, 9783110047196

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Allgemeine Volkswirtschaftslehre I Grundlegung, Wirtschaftskreislauf

von

Andreas Paulsen fortgeführt von

Rudolf Schilcher

10. Auflage

w DE

G

Sammlung Göschen Band 6069

Walter de Gruyter Berlin • N e w York • 1974

Dr. Andreas

Faulsen

o. Professor (em.) für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin

Dr. Rudolf

Schilcher

o. Professor für Wirtschaftslehre (insbes. Theoretische Volkswirtschaftslehre) an der Ruhr-Universität Bochum

Die Gesamtdarstellung umfaßt folgende Bände: Band Band Band Band

I: II: III: IV:

Grundlegung, Wirtschaftskreislauf Haushalte, Unternehmungen, Märkte Produktionsfaktoren Gesamtbeschäftigung, Konjunkturen, Wachstum

ISBN 3 11 004719 5 © Copyright 1974 by Walter de Gruyter 8c C o . , vormals G . J . Göschen'sehe Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . T r ü b n e r , Veit 8c C o m p . , 1 Berlin 3 0 . Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein T e i l des Werkes darf in irgendeiner F o r m (durch Fotokopie, M i k r o film oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden Printed in Germany. - Satz und Druck: Saladruck, 1 Berlin 36. - Bindearbeiten: Lüderitz Sc Bauer» Buchgewerbe-GmbH, 1 Berlin 61

VORWORT Dem Unterzeichneten ist die erfreuliche Aufgabe zugefallen, die weiteren Auflagen der „Allgemeinen Volkswirtschaftslehre" seines Lehrers Andreas Paulsen zu bearbeiten und herauszugeben. D a f ü r sollen die folgenden Überlegungen und Grundsätze gelten. Als die erste Auflage des ersten Bandes im Jahre 1956 herauskam, traf sie auf eine weithin unbefriedigte Nachfrage. Seither sind in deutscher Sprache eine Fülle von guten Lehrbüchern über diesen Gegenstand erschienen, von den zahlreichen englischsprachigen „textbooks" ganz zu schweigen. Diese Publikationen stimmen inhaltlich weitgehend überein, in formaler Hinsicht zeigen sie eine zunehmende Tendenz zur Mathematisierung des Stoffes, wobei dem ökonomischen Gehalt eher verminderte Aufmerksamkeit geschenkt wird, - mit Ausnahmen, wie sich versteht. Eine andere Tendenz liegt in der Verwendung von didaktisch z. T. äußerst geschickten Lernhilfen. Dabei drängt sich freilich die Frage auf, ob das Erlernen von vorgeformten Antworten, die auf Standardfragen zu geben sind, dem Sinne speziell eines volkswirtschaftstheoretischen Studiums entspricht, d. h. zur selbständigen Anwendung von Denkinstrumenten auf wechselnde und oft unvorherse'hbare Situationen des Wirtschaftslebens erzieht. Der Bearbeiter ist mit dem Verlag darin einig, d a ß seine Aufgabe nicht in einer möglichst weitgehenden Anpassung an den Stil solcher Werke bestehen sollte, sondern daß in den Bänden dieser Allgemeinen Volkswirtschaftslehre die wissenschaftliche Haltung Paulsens erhalten bleiben darf. Es geht vorzüglich darum, das V e r s t ä n d n i s des Lesers für die ökonomischen Zusammenhänge, wie sie volkswirtschaftstheoretisch erfaßt sind, zu wecken. Dafür ist auch ein Minimum an quantitativen u n d institutionellen Mitteilungen erforderlich, die eher der Wirtschaftskunde als der Wirtschaftstheorie zugehören. Es genügt häufig die verbale Darstellungsform. Der mathematischen

4

Vorwort

(insb. geometrischen) soll allerdings dort nicht ausgewichen werden, wo in besonderem Maße exakte und zugleich knappe Mitteilungen über komplexe Sachverhalte nützlich zu sein scheinen. Auch in diesen Fällen wird aber das Bemühen vorwiegend dahin gehen, deutlich zu machen, was mit den benutzten Kurven usw. inhaltlich gemeint ist. Dieser Anspruch dürfte in den weiteren drei Teilen - das Werk ist nach wie vor als Einheit aufzufassen - ersichtlicher werden, als im ersten. Es hat sich in der Vergangen'heit ergeben, wer in erster Linie als Adressat dieser Allgemeinen Volkswirtschaftslehre in Betracht kommt. Es sind dies einerseits Studenten eines wirtschaftswissenschaftlichen Grundstudiums an Universitäten, sowie Studierende an Fachhochschulen, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien und anderen Institutionen, an welchen die Grundzüge der Volkswirtschaftstheorie gelehrt werden. Andererseits sind offenbar auch Personen als Leser zu berücksichtigen, die außerhalb des Bereichs der institutionalisierten Lehre stehen, sich aber aus anderen Gründen über die Grundzüge der gegenwärtigen Volkswirtschaftslehre zu informieren wünschen. Dem so umschriebenen Leserkreis wird in der Auswahl (Beschränkung) und Darstellungsweise des Stoffes auch in den folgenden Bänden Rechnung getragen werden. Selbstredend wird auch weiterhin der Inhalt dieser Volkswirtschaftslehre von Auflage zu Auflage aktualisiert werden müssen, um ihn der wissenschaftlichen Entwicklung anzupassen, soweit sie als hinreichend gesichert angesehen werden kann. In diesem ersten Teil geschieht das beispielsweise durch Berücksichtigung eines verstärkten Interesses an Methodenfragen. Diese Absicht nötigt aber zu Verzichten: Um den Umfang nicht ungehemmt aufzublähen, werden Streichungen erforderlich. Dabei dürfte ein allgemeiner Konsensus darüber, was wichtig und was entbéhrlich ist, kaum zu erreichen sein: ein Argument dafür, daß eine Vielfalt von Lehrbüchern auf diesem Gebiete existieren sollte, in denen die Positionen der jeweiligen Verfasser betont in Erscheinung treten. Meine Mitarbeiter, Frau Dipl.-Ökonom Jutta Windauer und die Herren Dipl.-Ökonom Heiko Beenken, Dipl.-Ökonom Jürgen Förterer, Dr. Horst Georg Koblitz, Dr. Manfred Neidner und

Vorwort

5

Dr. Heinz Rieter gaben Anregungen und Hilfen nicht etwa nur in technischer Hinsicht, für die ich herzlich dankbar bin. Besonders verdient gemacht hat sich Herr Dr. Klaus-Dieter J a c o b , jetzt Dozent an der Fachhochschule Hagen. Bochum, im Juli 1973

Rudolf

Schilcher

Inhaltsverzeichnis Vorwort

3

I. Grundlegung § 1. Wirtschaft 1. Begriff 2. Gesellschaftliches Wirtschaften a) Autonomes und gesellschaftliches Wirtschaften . . b) Einzelwirtschaft - Volkswirtschaft - Weltwirtschaft c) Grundprobleme der Gesellschaftswirtschaft . . . 3. Wirtschaftsstruktur

11 11 14 14 15 16 16

§ 2. Wirtschaftliches Verhalten

17

1. Die wirtschaftlichen Entscheidungseinheiten . . . . 2. Wirtschaftspläne 3. Rationales Verhalten und wirtschaftliches Prinzip . . § 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert 1. Bedürfnisse 2. Güter a) Begriff b) Einteilung der Güter 3. Nutzen a) Nutzen und wirtschaftliches Prinzip b) Erstes Gossensches Gesetz (Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen) c) Zweites Gossensches Gesetz (Gesetz vom Ausgleich der Grenznutzen) 4. Wert a) Wertbegriff b) Erklärung des Tauschwertes

17 18 19 21 21 24 24 25 28 28

§ 4. Bevölkerung und Boden 1. Bevölkerung und Wirtschaft 2. Größe, Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerung 3. Tragfähigkeit des Bodens, Bevölkerungsgesetz von Malthus

38 38

29 32 34 34 35

43 46

Inhalt

7

§ 5. Technik 1. Technische Entwicklung 2. Technik und Wirtschaft

50 50 52

§ 6. Arbeitsteilung 1. Spezialisierung und Integrierung 2. Arbeitsteilung und Tauschwirtschaft 3. Produktion

54 54 55 59

II. M e t h o d e n f r a g e n § 7. Wissenschaftliches Denken 1. Methodik und Systematik 2. Die Bedeutung der Methodik

62 62 63

§ 8. Wirtschaftswissenschaft 1. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre . a) Historische Entwicklung b) Einheit der Wirtschaftswissenschaft 2. Gliederung der Volkswirtschaftslehre a) Volkswirtschaftstheorie, Volkswirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft b) Wirtschaftskunde, Wirtschaftsgeschichte, Volkswirtschaftstheorie

64 64 64 66 68

§ 9. Theoretisches Denken 1. Zum Theorie-Begriff 2. Bildung von Theorien a) Problemstellung b) Hypothesenfindung c) Definition d) Deduktion 3. Anwendung und Überprüfung von Theorien . . . a) Anwendung b) Gesetz, Theorie, Wissenschaft c) Uberprüfung d) Wahrheitsgehalt von Theorien 4. Konkurrierende Theorien 5. Zusammenfassung

74 74 75 75 76 78 79 81 81 82 83 84 85 85

§ 10. Nichttheoretisches Denken 1. Quasi-Theorie 2. Modell 3. Ideologie und Utopie

68 72

86 86 88 90

Inhalt

8

4. Werturteil a) Problemstellung b) Der „Werturteilsstreit" c) Gegenwärtiger Stand der Werturteilsproblematik § 11. Zur Methodik der Volkswirtschaftstheorie 1. Planmäßigkeit des Wirtschaftens 2. Funktionalistische Betrachtungsweise 3. Gleichgewichtsvorstellung 4. Einzelne Methoden im Überblick

92 92 93 94 96 97 97 98 99

§ 12. Schlußbemerkung

102

III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft § 13. Historische Typen (Wirtschaftsstufen) § 14. Wirtschaftsstil, sung

Wirtschaftsordnung,

104 Wirtschaftsverfas-

§ 1 5 . Wirtschaftssysteme 1. Begriffe 2. Individualprinzip versus Sozialprinzip 3. Der Typus „Verkehrswirtschaft" a) Die Normen der Verkehrswirtschaft b) Eigentum und Vertrag c) Die verkehrswirtschaftliche Steuerung 4. Der Typus „total zentralgeleitete Wirtschaft" . 5. Mischformen

.

.

$ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnung 1. Ordnungspolitische Konzeptionen a) Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland b) Planifikation in Frankreich c) Konkurrenzsozialismus in Jugoslawien . . . . 2. Reale Wirtschaftsordnungen 3. Zusammenfassung

107 109 109 110 112 112 114 115 118 119 123 123 123 125 126 129 131

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf § 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe 1. Bruttosozialprodukt 2. Nettosozialprodukt, Volkseinkommen, Einkommen

disponsibles

132 132 135

Inhalt

9

§ 18. Entwicklung des Sozialprodukts 1. Sozialprodukt und Volkswohlstand 2. Geschichtliche Entwicklung

140 140 144

§ 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung . . . . 1. Einkommensarten 2. Einkommensverteilung 3. Einkommensausgleich

146 146 148 152

§ 20. D e r Wirtschaftskreislauf 1. Der Kreislauf einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität a) Einfaches Kreislaufschema b) Die Geschlossenheit des Kreislaufs c) Darstellungsformen des Wirtschaftskreislaufs . d) Produktive Leistungen und Einkommensbildung 2. Erweiterung des Kreislaufschemas a) Die Verwendung der produktiven Leistungen . . b) Investieren und Sparen im Wirtschaftskreislauf . . c) Staatliche Aktivität d) Außenhandel und Sozialprodukt e) Kreislaufschema einer offenen Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivität 3. Gleichungen der Einkommensverwendung und Einkommensaufteilung a) Grundgleichungen für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne ökonomische Aktivität des Staates . . b) Staatliche Aktivität und Außenhandel in den Einkommensgleichungen c) Kreislaufgleichungen und ökonomische Theorie .

154

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht 1. ö k o n o m i s c h e s Gleichgewicht a) Beziehungen zwischen Wirtschaftsgrößen . b) Der Gleichgewichtsbegriff c) Gleichgewichtszustand und Tendenz zum gewicht 2. Prinzipien der Preisbildung a) Preis und Preisbildung b) Nachfragefunktion und Angebotsfunktion c) Die Bestimmung des Gleichgewichtspreises d) Geometrische Darstellung 3. Das Gleichgewicht des Kreislaufs a) Die Probleme der Steuerung des Kreislaufs

. . .

154 154 156 158 160 162 162 162 165 167 167 169 169 174 177 178 178 178 179

Gleich-

. . . . . .

. . .

181 184 184 185 186 187 189 189

10

Inhalt b) Preisbildung und Einkommensbestimmung . . . c) Preisrelationen und Preisniveau d) Das Gleichgewicht der Preisrelationen . . . . e) Stärke des Kreislaufstromes f) Bedingungen des Kreislaufgleichgewichts . . . . 4. Zusammenfassung

191 191 192 194 196 198

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

(Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung i. w. S.)

§ 22. Volksvermögensrechnung 1. Begriff 2. Konzepte der Volksvermögensrechnung 3. Volksvermögensrechnung in der B R D

201 201 203 205

§ 23. Nationale Buchführung (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung i. e. S.) 1. Begriff und Bedeutung 2. Erfassung und Verbuchung der Transaktionen . . . 3. Allgemeiner Aufbau der Konten 4. Das Kontensystem der B R D

209 209 210 211 213

S 24. Finanzierungsrechnung 1. Begriff 2. Grundschema einer Finanzierungsrechnung . . . . 3. Finanzierungsrechnung und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung i. e. S 4. Die Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank

221 221 223

§ 2 5 . Input-Output-Rechnung 1. Input-Output-Tabelle und Input-Output-Analyse . . 2. Formale Darstellung und spezielle Annahmen der Input-Output-Analyse 3. Anwendungsbereiche und wirtschaftspolitische Bedeutung

230 230

224 225

231 235

Verzeichnis der wichtigsten Symbole

240

Literaturhinweise

242

Namensregister

253

Sachregister

256

I. Grundlegung § 1. Wirtschaft 1. Begriff „Wirtschaft" ist die Gesamtheit der Einrichtungen und Verfahren, mit denen Menschen „knappe" Mittel („Güter") für erstrebte Zwecke („Befriedigung von Bedürfnissen") beschaffen und verwenden. Das „Wirtschaften" der Menschen bezieht sich also nicht auf einen Bereich „materieller" im Gegensatz zu „höheren" („idealen") Zielen. Welche Ziele auch erstrebt werden: ist ihr Erreichen von der Verfügung über „knappe" Mittel abhängig, so wird gewirtschaftet. Im Unterschied zu ähnlichen Erscheinungen in der Tierwelt ist das Wirtschaften der Menschen: 1. nicht triebhaft, sondern bewußt, d. 'h. zwischen verschiedenen möglichen Verhaltensweisen wird mit dem Ziel der Erreichung des höchstmöglichen Erfolges gewählt; 2. in Mitteln und Zwecken nicht durch unveränderliche natürliche Gegebenheiten begrenzt, sondern auf ständige Ausweitung bedacht, d. h., mit besserer Ausnutzung vorhandener und Gewinnung neuer Mittel wird die bessere Befriedigung gegebener und zusätzlicher Bedürfnisse erstrebt; 3. in planender Vor-Sorge in die Zukunft hinein gerichtet; 4. Dauereinrichtungen (Produktionsanlagen usw.) schaffend, um erkannte Wirkungszusammenhänge den gesetzten Zwecken nutzbar zu machen. Mittel sind „knapp", wenn ihr Einsatz für bestimmte Zwecke (z. B. Einsatz von Arbeitskräften zur Errichtung von Schulen) den Verzicht auf ihre Verwendung für andere Zwecke (z. B. für den Bau von Krankenhäusern) bedingt. Die „Kosten" eines durch bestimmte Mittelverwendung erreichten Nutzens sind

12

§ 1. Wirtschaft

daher „entgangener Nutzen" der unterbliebenen Verwendung der Mittel für andere Zwecke (Opportunitätskosten). Grundprinzip alles Wirtschaftens ist der ständige Vergleich zwischen Nutzen-(Erfolgs-)Größen bei verschiedenen möglichen Arten der Mittelverwendung. Ziel dieser Wahlhandlungen ist die Maximierung der positiven Differenz zwischen Erfolg (erreichtem Nutzen, Ertrag) und Opfer (entgangenem Nutzen, Aufwand). Dieses Verhalten ist Ausdruck des sog. „wirtschaftlichen Prinzips" (Rationalprinzip). Nach ihm ist a) bei gegebenen Mitteln der größtmögliche Ertrag bzw. b) bei vorgegebenem Ertrag der geringst mögliche Mitteleinsatz zu verwirklichen. Grundlegende „Axiome", aufbaut, sind demnach:

auf

denen die Wirtschaftstheorie

1. Die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse sind knapp. 2. Die von wirtschaftenden Einheiten (Wirtschaftssubjekten) angestrebten Zwecke sind nach ihrer unterschiedlichen Dringlichkeit bewertet (Aufstellung einer Rangordnung der Ziele). Nach ihnen richtet sich der Einsatz der Mittel. 3. Der Wirtschaftserfolg ist abhängig von der Verteilung der knappen Mittel auf die bewerteten Zwecke. Angestrebt wird eine Verwendung dieser Mittel derart, daß die „Wohlfahrt" als Ausdruck der befriedigten Bedürfnisse maximiert wird (Anwendung des Rationalprinzips). Die wählende Entscheidung über die Mittelverwendung setzt voraus, daß die Mittel transferabel, d. h. f ü r unterschiedliche Zwecke tauglich sind. Die für bestimmte Zwecke geeigneten Mittel („spezifische Güter") sind Erzeugnisse („Produkte") von Mitteln („Produktionsmitteln"), welche ihrerseits transferabel sind, letzten Endes von Arbeit und Bodenleistungen. Die Knappheit der Produkte ist zurückzuführen auf die Knappheit der Produktionsmittel; daher bezieht sich das Wirtschaften primär auf die Verwendung der Produktionsmittel für die verschiedenen möglichen Zwecke. Vom Grad der Teilbarkeit der Mittel hängt ab, wie ihr Einsatz f ü r einen bestimmten Zweck quantitativ (mengenmäßig) ver-

I. Grundlegung

13

ändert werden kann. Bei ausreichender Teilbarkeit wird der Gesamterfolg erhöht, wenn der Nutzenentgang durch verringerte Einsatzmenge in einer Verwendung mehr als ausgeglichen wird durch den Nutzenzuwachs bei Einsatz dieser Menge in anderer Verwendung. Hieraus folgt das Prinzip des Ausgleichs der „Grenzerträge": quantitative Veränderungen des Mitteleinsatzes in den verschiedenen Verwendungsweisen erhöhen den Gesamterfolg, solange der „entgangene Nutzen" (Nutzeneinbuße an einer Stelle durch Entzug einer Einheit eines Mittels) kleiner ist als der Nutzenzuwachs (Grenzertrag), den diese Einheit in anderer Verwendungsweise herbeiführt. Optimaler Mitteleinsatz ist daher erreicht, wenn der Grenzertrag jedes Produktionsmittels in jeder Verwendungsweise gleich ist, so daß keine den Erfolg erhöhenden Umsetzungen mehr möglich sind. Zu entscheiden ist auch über den Zeitpunkt der Verwendung solcher Güter, die „dauerhaft" (zeitlich transferabel) sind. Bestandsminderungen und Abnutzungen durch gegenwärtige Verwendung geschehen „auf Kosten" späterer Verwendung. Daher sind solche Abnutzungen usw. zu den Kosten der gegenwärtigen Produktion zu rechnen. Alle Veränderungen der Zwecke (Bedürfnisse) nach Art und relativer Dringlichkeit und alle Veränderungen der Mittel nach Art, Menge und Technik ihrer Erzeugung und Verwendung verändern die Bedingungen für die durch „Wirtschaften" erstrebte Maximierung des Verwendungsnutzens. Da das Wirtschaften ein Verfahren mit Mitteln zu Zwecken ist, kann es keine „autonomen" Zwecke des Wirtschaftens geben: es gibt keine „Postulate" des Wirtschaftens, die im Range von „Selbstzwecken" stehen. Die Bedeutung der Wirtschaft liegt in ihrem Beitrag zu den letzten Werten des menschlichen Daseins, die durch Weltanschauung, Religion, kulturelle Überzeugung usw. bestimmt sind. Der Erfolg des Wirtschaftens ist nicht durch Wirtschaftsgrößen allein auszudrücken, sondern in den Gestaltungen des Daseins der Menschen und ihrer Gesellschaften, im Beitrag der Wirtschaft zu sinnhafter Fülle und Schönheit des Lebens, sozialer Gerechtigkeit und sozialem Frieden.

14

§ 1. Wirtschaft 2 . Gesellschaftliches Wirtschaften

a) Autonomes und gesellschaftliches

Wirtschaften

Ein autonom wirtschaftender Mensch („Robinson-Wirtschaft") ist abhängig von der Kargheit der Natur, den Grenzen seiner Arbeitsfähigkeit und seinem technischen Können. Sein wählendes Entscheiden zwischen Aufwand und Erfolg betrifft Menge und Art des Arbeitsaufwandes, damit der produzierten Güter, und Art und Zeit der Verwendung der Produkte (z. B. Vorratsbildung). Eine Robinson-Wirtschaft ist eine Fiktion, weil der Mensch von Natur aus in gesellschaftlichen Verbänden lebt und auch bei nachträglicher Isolierung über geistige und sachliche Ausstattungen verfügt, die in der gesellschaftlichen Lebensweise erworben sind. Im gesellschaftlichen Wirtschaften vollzieht sich das Wirtschaften im Verhältnis Mensch zu Natur und Mensch zu Mensch, letzteres in Formen wie Kooperation, Tausch, Wettbewerb usw. Hieraus bildet sich ein Gefüge von Erscheinungen und Beziehungen, die dem einzelnen gegenübertreten, die er durch sein Wirtschaften mit gestaltet, an denen er aber auch sein Wirtschaften ausrichten kann und muß. „Wirtschaft" in diesem Sinne sind die Ausformungen des Sachverhalts, der die M e n schen zum Wirtschaften zwingt, im gesellschaftlich-sozialen R a u m . Z u den von der Natur gesetzten kommen die von M e n schen geschaffenen „Begrenzungen" des Wirtschaftens hinzu. Die Bildungen des gesellschaftlichen Wirtschaftens (Formen der Arbeitsteilung und -Vereinigung, Tausch, Preis, Geld usw.) sind der eigentliche Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft. Ihr besonderes Erkenntnisziel ist die Darstellung und Erklärung dieser Erscheinungen als Bedingung für und Bedingtsein durch das wirtschaftliche Verhalten der Wirtschaftssubjekte. Die wirtschaftliche Grundbeziehung des Aufwand-Erfolg-Vergleichs ist daher an gesellschaftlichen Größen (Tauschwerten, Preisen usw.) orientiert, an denen das Wirtschaftssubjekt seine eigenen Bewertungen ausrichtet (Bildung eines Bezugssystems für die individuellen wirtschaftlichen Entscheidungen).

I. Grundlegung

15

b) Einzelwirtschaft - Volkswirtschaft Weltwirtschaft Im gesellschaftlichen Raum ist eine Einzelwirtschaft nicht autonom, sondern Glied der Gesellschaftswirtschaft, da ihr wirtschaftliches Verhalten durch die Beziehungen zur Gesellschaft und zu anderen Einzelwirtschaften bestimmt wird. Das Wirtschaften einer „Wirtschaftsgesellschaft" (wie Familie, Stamm, Volk, Nation usw.) wird durch Umweltbedingungen (Landschaft, Klima, Verhältnis zu anderen Gesellschaften usw.), Stand der Technik, Normen und Institutionen des Wirtschaftens zu einer Gesellschaftswirtschaft bestimmter Prägung und Dauerhaftigkeit. N o r m e n sind Regulative für das wirtschaftliche Verhalten, deren Geltung durch Recht, Religion, Sitte usw. gesichert wird. Die Zusammenfassung der Normen stellt die Wirtschaftsordnung dar. Institutionen sind regulierte Dauereinrichtungen wie das Geldwesen, Organe der Wirtschaftsverwaltung, Korporationen usw. Volkswirtschaft ist die Gesellschaftswirtschaft eines Staatsvolkes, die in ihrer Bildung und Fortentwicklung durch die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, durch Volkstum, geschichtliches Erbe, Tradition und gemeinsame Werte u n d Ziele geprägt wird. Volkswirtschaft als Gegenstand der Volkswirtschaftslehre besteht aus den einer größeren oder kleineren Gruppe einzelner konkreter Volkswirtschaften gemeinsamen Zügen. Diese können allen Formen der Wirtschaft, nur heutigen Volkswirtschaften oder - noch weiter eingeengt - nur verkehrswirtschaftlich geordneten Volkswirtschaften gemeinsam sein. Die die Grenzen eines Staates übergreifenden wirtschaftlichen Beziehungen weisen durch ungleiches Recht, unterschiedliche Institutionen und Normen, sowie durch staatlich gesetzte gesamtwirtschaftliche und politische Ziele besondere Züge auf, so daß ihr Gesamtkomplex als Weltwirtschaft den Volkswirtschaften gegenübergestellt werden kann. Das in der ökonomischen Analyse häufig verwandte Modell einer Volkswirtschaft ohne weltwirtschaftliche Beziehunigen

16

§ 1. Wirtschaft

wird als „geschlossene Volkswirtschaft" bezeichnet, das Modell einer Volkswirtschaft mit außenwirtschaftlichen Beziehungen als eine „offene Volkswirtschaft". c) Grundprobleme der Gesellschaftswirtschaft Die Wirtschaftswissenschaft als Erfahrungswissenschaft, d. h. einer Wissenschaft, deren theoretische Aussagen an der Realität überprüfbar sind, will die Erscheinungen des gesellschaftlichen Wirtschaftens feststellen, geordnet beschreiben und erklären; sie will damit auch Möglichkeiten der Einflußnahme auf Art und Erfolg des Wirtschaftens aufweisen. Grundprobleme wirtschaftlicher Analyse sind: 1. Die Höhe des Sozialprodukts als Maßgröße für das Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Volkswirtschaft, das in seiner Verwendung für Verbrauch und Vermögensbildung die wirtschaftliche Wohlfahrt gegenwärtig und künftig entscheidend bestimmt. 2. Die Art der Erstellung des Sozialprodukts und die Beurteilung der Ergiebigkeit des Mitteleinsatzes. 3. Die Zusammensetzung des Sozialprodukts nach Güterarten, erklärt durch die Verteilung der Produktionsmittel auf die verschiedenen Zwecke unter Berücksichtigung der Dringlichkeit des Bedarfs an den verschiedenen Gütern und Diensten. 4. Die Verteilung der Produkte an die Glieder der Gesellschaft als Einkommen, ihre Erklärung und ihre Beurteilung nach wirtschaftlichen Bedingungen und Folgen, sowie nach sozialen und ethischen („normativen") Gesichtspunkten („soziale Gerechtigkeit"). 5. Die wirtschaftliche Entwicklung als Veränderung des Produktionspotentials und des Sozialprodukts nach Richtung (Expansion oder Kontraktion), Stärke und Gleichmäßigkeit (Stabilität). 3. Wirtschaftsstruktur Soll der Begriff „Wirtschaftsstruktur" im Unterschied zu „Wirtschaftsordnung" (vgl. Kap. III) Verwendung finden, so handelt es sich um jene Bauelemente einer Volkswirtschaft („strukturbestimmende Faktoren"), die den wirtschaftlichen Regulierun-

I. Grundlegung

17

gen und Entscheidungen vorgegeben sind, ihnen Möglichkeiten eröffnen, aber auch Grenzen setzen. Als strukturbestimmende Faktoren können bezeichnet werden: 1. „Volk", nämlich Zahl, Dichte und Verteilung der Bevölkerung, Bevölkerungsbewegung in Raum und Zeit; 2. „Kaum" als Begriff, der alle Naturgegebenheiten umfaßt, welche ökonomisch belangvoll sind, wie geographische Lage, natürliche Verkehrswege, Klima, Qualität des Bodens, Vorkommen von Bodenschätzen usw.; 3. „Wirtschaftsgesinnung", d. h. alle geistigen Elemente wie Wertungen, Zwecksetzungen, ethische Tendenzen, religiöse Einflüsse, die bei den wirtschaftenden Menschen Geltung haben; 4. „Wissenschaft und Technik" als Ausmaß des menschlichen Wissens und Könnens in bezug auf die Beherrschung und nutzbare Anwendung von Naturkräften, aber auch der Gestaltungen des Gesellschaftslebens; 5. „Staat" als Inbegriff aller Formen der rechtlichen, sozialen und politischen Gestaltung des Volkes. Die Struktur unterliegt dem Prozeß der geschichtlichen Veränderung und ist (in Grenzen) auch der planmäßigen Gestaltung zugänglich.

§ 2. Wirtschaftliches Verhalten 1. Die wirtschaftlichen Entscheidungseinheiten Das Wirtschaften als Verfügung über knappe Mittel zum Erreichen bestimmter Zwecke geschieht durch „Wirtschaftssubjekte"; Ausdruck für die einheitliche zweckbestimmte Ausrichtung ihres Verhaltens ist ihr individueller „Wirtschaftsplan". Wirtschaftssubjekte sind 1. die Verbrauchswirtschaftseinheiten Haushalte mit der den Wirtschaftsplan bestimmenden Zielgebung „Maximierung des Verbrauchernutzens"; 2. die Produktionswirtschaftseinheiten Unternehmungen, deren Wirtschaftspläne auf Maximierung des Reinertrages, Vergröße2

Paulsen/Schilchcr, Allgcm. V o l k s w . I

18

§ 2. Wirtschaftliches Verhalten

rung des Marktanteils, Erzielung eines befriedigenden Gewinns oder andere Ziele abgestellt sind; 3. der Staat bzw. die einzelnen Instanzen staatlich bestimmter Tätigkeit mit je besonderen Zwecksetzungen. Wer keine selbständigen wirtschaftlichen Entscheidungen treffen kann, ist nicht „Wirtschaftssubjekt" (unmündige Familienmitglieder, Sklaven, alle Personen innerhalb einer total zentralgeleiteten Wirtschaft). Die wichtigsten Beziehungen zwischen Wirtschaftssubjekten sind 1. der Verkauf von Produktionsfaktorleistungen der Haushalte an Unternehmungen; 2. der Verkauf von Verbrauchsgütern durch Unternehmungen an Haushalte als Verbraucher; 3. Käufe und Verkäufe von Leistungen der Haushalte aneinander; 4. Käufe und Verkäufe zwischen Unternehmungen; 5. Beziehungen von Haushalten und Unternehmungen zum Staat; 6. Beziehungen zwischen inländischen und ausländischen Wirtschaftssubjekten in der offenen Volkswirtschaft. 2. Wirtschaftspläne Der Wirtschaftsplan eines Wirtschaftssubjektes, der schriftlich fixiert sein kann (z. B. staatlicher Haushaltsplan) aber nicht sein muß, umfaßt alle Wirtschaftshandlungen, die die Verwendung vorhandener oder beschaffbarer Mittel zur Erreichung der gesetzten Zwecke betreffen. Das Erreichen der Zwecke ist abhängig von den Bedingungen („Kosten"), unter denen die Mittel beschafft und verwendet werden können. Stehen die Zwecke und die Kosten der Mittel fest, so ist eine „optimale" Mittelverwendung dann gegeben, wenn durch anderweitige Verteilung der Mittel eine Verbesserung des angestrebten Wirtschaftserfolges nicht erreicht werden kann. Auf diese optimale Mittelverwendung ist der Wirtschaftsplan abgestellt; bleiben demnach die Bedingungen unverändert, so

I. Grundlegung

19

wird auch der Wirtschaftsplan nicht geändert. Verändern sich die Zwecke oder die verfügbaren Mittel bzw. deren Wert, so wird zur M a x i m i e r u n g des Wirtschaftserfolges eine Ä n d e r u n g des Wirtschaftsplans erforderlich. Die Revision der Wirtschaftspläne wird nicht f o r t w ä h r e n d erfolgen; dem steht schon der starke Einfluß des routinemäßigen Verhaltens entgegen. D a alle Wirtschaftspläne in die Z u k u n f t gerichtet sind, müssen ihnen n o t w e n d i g neben „heutigen" auch „erwartete" G r ö ß e n zugrunde gelegt werden. Es wird daher zu einer Ä n d e r u n g der Wirtschaftspläne k o m m e n , wenn die „realisierten" G r ö ß e n nicht mit den „erwarteten" übereinstimmen. Solche „Planrevisionen" sind Anstöße f ü r Änderungen des Wirtschaftsgeschehens. Stimmen realisierte u n d erwartete Größen überein, so fehlen Impulse f ü r Änderungen des wirtschaftlichen Verhaltens; die Wirtschaftssubjekte befinden sich mit ihrer Planung im „Gleichgewicht". Jeder Wirtschaftsplan bezieht 9ich auf eine bestimmte „Periode", deren maximale Länge durch den „ökonomischen H o r i z o n t " des Wirtschaftssubjektes bestimmt ist. 3. Rationales Verhalten und wirtschaftliches Prinzip D e r Begriff der Rationalität bezieht sich auf die Zuteilung der k n a p p e n Mittel zum optimalen Erreichen der gesetzten Zwecke und umfaßt: 1. die b e w u ß t e Klassifizierung u n d O r d n u n g der Zwecke in einer Präferenzskala; 2. das b e w u ß t e A b w ä g e n der möglichen Mittelverwendungen im Hinblick auf ihren wirkungsvollsten Einsatz; 3. die Konsistenz (Widerspruchslosigkeit) der einzelnen M a ß n a h m e n im G e s a m t z u s a m m e n h a n g . Diese Rationalität wird ausgedrückt durch das „wirtschaftliche Prinzip": mit gegebenen Mitteln ist der höchstmögliche Erfolg, ein gegebener Zweck ist mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz zu erstreben. Die inhaltliche Bestimmung der Zwecke ist nicht g e m ä ß einer „Rationalität" durchzuführen; es ist keine F o r d e r u n g der Rationalität, etwa f ü r sich selbst statt f ü r andere zu sorgen oder

20

§ 2. Wirtschaftliches Verhalten

einer „objektiven" Rangordnung der zu erstrebenden Zwecke zu folgen. Rationalität betrifft nur die Art, in der Zwecke bewußt gemacht und durch Mittelverwendung erreicht werden. Der „homo oeconomicus" ist ein den „klassischen" Vertretern der Nationalökonomie (etwa 1770-1850) mit zweifelhaftem Recht unterlegter „Idealtyp" eines „reinen Wirtschaftsmenschen", dessen Verhalten sich aus nüchtern-kalkulatorischem Erstreben rein „egoistischer" Zwecke ergeben soll. Die Konstruktion eines solchen Typs des „Wirtschaftsmenschen" steht im Zusammenhang mit der Lehre des Utilitarismus (Jeremy Bentham, 1748-1832), welche das Verhalten der Menschen als durch Vermeiden von Unlust und Erstreben von Lust bestimmt annahm und aus der konsequenten Verwirklichung dieses Prinzips das „größte Glück der größten Z a h l " zur Maxime aller gesellschaftlichen Einrichtungen erhob. - In der neueren Volkswirtschaftslehre wird auf diese Konstruktion verzichtet. Der Nachweis eines bestimmten Verhaltens als „rational" ermöglicht das „Verstehen" dieses Verhaltens und befriedigt insoweit in einem bestimmten, wenn auch problematischen Sinne den Wunsch nach wissenschaftlicher „Erklärung". Irrtümer in der rational gedeuteten Verhaltensweise zerstören nicht die Rationalität. Als „irrational" haben Handlungen zu gelten, deren Motive 1. auf subjektiv als zwingend und letztgültig angenommenen Leitsätzen beruhen, welche einer rationalen Handlungsweise übergeordnet sind, wie etwa religiöse Überzeugungen, intuitive Anwendung ethischer Grundüberzeugungen usw. („wertrationales" Handeln, dem, unabhängig vom Erfolg, unbedingter Eigenwert beigelegt wird), 2. auf ungeprüfter und unbeweglicher Gewohnheit beruhen („Routine", Trägheit des Denkens usw.), 3. ungeprüfte Anpassung an Vorbilder sind, 4. affektuale bzw. emotionale Reaktionen sind. Gemeint ist stets, d a ß in der Kette: Anreiz zur Entscheidung, vernünftigte Überlegung, Handlung, das mittlere Glied fehlt oder unvollständig ist, so daß statt der „Reflexion" ein „Reflex" vorliegt.

I. Grundlegung

21

Die Annahme rationalen Verhaltens ermöglicht die Erklärung der Wirtschaftsvorgänge als Beziehungen zwischen Dingen, indem man den wirtschaftenden Menschen als entscheidendes Subjekt eliminiert: sein Verhalten wird als „rational" durch die Sachumstände bestimmt und daher berechenbar angenommen. Diesem berechenbar auf die gegebenen Daten reagierenden, ihre Gebote nur vollziehenden Menschen wird in der neueren Theorie in zunehmendem Maße der entscheidende und dadurch das Wirtschaftsgeschehen bestimmende Mensch gegenübergestellt, und es wird gezeigt, daß die Annahme eines nach Lage der gegebenen Daten berechenbar „richtigen" Verhaltens sehr begrenzt ist. Weder sind die Daten für alle Wirtschaftssubjekte identisch, noch reagieren alle Wirtschaftssubjekte auf identische Daten in gleicher Weise. Das wirtschaftliche Verhalten ist nicht nur durch gegebene und daher für alle gleiche Daten bestimmt, sondern auch durch künftige, d. h. erwartete, die nicht bestimmt sind, sondern ausgelegt werden müssen. § 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert 1. Bedürfnisse Bedürfnisse der Menschen, verstanden als Erstreben bestimmter Zustände, sind die „letzten den Wirtschaftssubjekten noch bewußten Bestimmungsgründe des wirtschaftlichen Handelns" (H. Mayer). Sie setzen die „Zwecke", welche durch Beschaffung und Verwendung geeigneter „Mittel" erreicht werden sollen. Solche Mittel (Güter) gewähren „Nutzen"; sind sie „knapp", so werden sie bewirtschaftet und bewertet. Nutzen ist also die Eigenschaft von Gütern, Bedürfnisse zu befriedigen. Alles Wirtschaften zielt auf Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Bedürfnisse bestehen nicht isolierbar und unabhängig von den Gütern, die zu ihrer Deckung geeignet sind. Vielmehr werden - wie in hoch industrialisierten Ländern zu beobachten - mit der Schaffung neuer Güter zunehmend erst (latente) Bedürfnisse geweckt bzw. bewußt gemacht (z. B. durch Einsatz von Werbemitteln). •

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§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

Die meisten Bedürfnisse sind wiederkehrend (z. B. Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung), und der Bedürfnisstand ist praktisch unbegrenzter quantitativer und qualitativer Erweiterung fähig. Daher ist auch die zum Wirtschaften zwingende „Spannung" zwischen den knappen Mitteln und den in ihrer Gesamtheit unbegrenzten Bedürfnissen nicht aufhebbar. Der erreichbare Stand der Befriedigung gegebener Bedürfnisse hängt einerseits von der Menge der zur Verfügung stehenden Mittel ab, andererseits von der „Wirtschaftlichkeit" ihrer Beschaffung und Verwendung. Diese Wirtschaftlichkeit setzt eine „Rangordnung der Bedürfnisse" (eine sog. Präferenzskala) voraus, denn sie bedingt, daß nicht für weniger dringliche Bedürfnisse Mittel verwendet werden, die dadurch für die Deckung dringlicherer fehlen. Wirtschaften ist daher die Zuweisung knapper Mittel an (gemäß einer Präferenzskala geordnete) Zwecke, mit dem Ziel optimaler Erreichung dieser Zwecke (bei Haushalten: Nutzenmaximierung). Diese O r d n u n g ist subjektiv: jeder Mensch hat seine eigene Skala der Bedürfnisse, die nicht unmittelbarer Beobachtung zugänglich ist. Objektiv festgestellt werden kann nur die Art der Mittelverwendung (z. B. Kauf bestimmter Güter). Es wird unterstellt, daß sich in dieser die Rangordnung der Bedürfnisse ausdrückt. - Art und Dringlichkeit der Bedürfnisse des einzelnen sind stark durch seine soziale Umwelt determiniert, namentlich durch den „Standard" der Lebenshaltung und Verbrauchsgewohnheiten jener sozialen Gruppe, zu der sich der einzelne rechnet bzw. in die er strebt. Die Bedürfnisstruktur ist somit teilweise auch Ausdruck des sozialen „Status". Das Wirtschaften wird nicht erst durch aktuelle Bedürfnisse ausgelöst, sondern geschieht „vorsorgend". Die einzelnen Wirtschaftssubjekte können durch Sicherung von Geldeinkommen und -vermögen Zukunftsfürsorge betreiben, indem sie „Kaufk r a f t " speichern und erst bei späterem Bedarf zum Erwerb von Gütern verwenden. Die Gesamtheit der Wirtschaftssubjekte dagegen kann das (abgesehen vom Erwerb von Ansprüchen gegen das Ausland) nur durch Bereitstellung und Lagerung von Gütern, insb. von sachlichen Produktionsmitteln, weil andern-

I. Grundlegung

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falls der gespeicherten „Kaufkraft" keine realen Güter gegenüberständen. Nach dem Gesagten ist klar, daß stets nur der einzelne Mensch „Bedürfnisse" hat. Die häufige Unterscheidung zwischen Kollektiv- und Individualbedürfnis kann also nicht bedeuten, daß auch ein irgendwie definiertes Kollektivum als solches Bedürfnisse empfinden kann, sondern zielt auf die Art, wie über die Bedürfnisbefriedigung entschieden wird. Entscheidet der einzelne selbst über die Dringlichkeit des betreffenden Bedürfnisses in seiner Präferenzskala und entsprechend über die Zuteilung seiner Bedürfnisbefriedigungsmittel (Güter), so nennt man dieses Bedürfnis „Individualbedürfnis", trifft diese Entscheidung dagegen die Instanz eines Kollektivs (z. B. die Regierung eines Staates) für den einzelnen, so handelt es sich um ein Kollektivbedürfnis". „ Vorwiegend in der finanzwissenschaftlichen Diskussion hat sich noch eine speziellere Fassung der Unterscheidung von Individual- und Kollektivbedürfnissen (und den entsprechend verwendeten Gütern) herausgebildet. Individualbedürfnisse kann der einzelne über den Markt befriedigen. Er muß dabei die Austauschbedingungen akzeptieren, die sich am Markt ergeben haben. Ist er nicht bereit, einen entsprechenden Preis zu zahlen, wird er vom Genuß des (privaten) Gutes ausgeschlossen (Ausschlußprinzip). „Reine" Kollektivbedürfnisse können nicht über den Markt befriedigt werden, da für die entsprechenden (öffentlichen) Güter das Ausschlußprinzip nicht gilt: so schließt das Angebot eines Kollektivgutes an ein Individuum (z. B. Landesverteidigung) ein Angebot dieses Gutes an andere Individuen ein. Auch diejenigen, die für die Leistungen nicht zahlen, können vom Genuß des Gutes nicht ausgeschlossen werden. Die Betroffenen werden daher nicht freiwillig zur Zahlung bereit sein. Der Markt versagt folglich bei der Befriedigung solcher Bedürfnisse; sie muß durch kollektive Instanzen (Staat, Gemeinden, Verbände usw.) betrieben werden. Durchweg erfolgt die Bereitstellung der Mittel durch „generelles Entgelt" (Steuern, andere Zwangsabgaben), d. h. nicht am Maßstab eines Vorteils gemessen, den der einzelne von den Einrichtungen hat („spe-

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

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zielles Entgelt"). Die B e s t i m m u n g der Dringlichkeit dieser Bedürfnisse ist so den einzelnen privaten W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n entzogen. Die Unterscheidung zwischen Individual- u n d Kollektivbedürfnissen (bzw. -gütern) ist gradueller Art. Z w i s c h e n f o r m e n sind häufig. So sind z. B. Teile des V e r k e h r s s e k t o r s an einigen Ländern marktwirtschaftlich organisiert (Autobahnfinanzierung durch G e b ü h r e n ) , in a n d e r e n kollektiv (Ausgabenfinanzierung durch Steuern). Die Frage, welche G ü t e r kollektiv b z w . privat sind, h ä n g t im k o n k r e t e n Fall v o n der B e d e u t u n g ab, die den einzelnen Bedürfnissen in den verschiedenen L ä n d e r n zugeordnet w i r d . Ferner w e r d e n m a n c h m a l unterschieden „ G e m e i n s c h a f t s b e d ü r f nisse" als solche, die sich aus der Existenz des G e m e i n w e s e n s ergeben (z. B. Bedürfnis nach Rechtspflege) v o n „ G e m e i n b e d ü r f n i s s e n " , die u n a b h ä n g i g v o n d e m G e m e i n w e s e n bestehen, aber z w e c k m ä ß i g durch G e m e i n w i r t s c h a f t befriedigt w e r den (z. B. Bedürfnis nach T r a n s p o r t ) . Im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Begriff Bedürfnis ist eine weitere Bezeichnung zu e r w ä h n e n : v o n „ B e d ü r f n i s " w i r d „Bedarf" unterschieden, wobei 1 dieses W o r t zwei verschiedene Sachverhalte bezeichnet. Gelegentlich w i r d in der volkswirtschaftlichen Literatur die G e s a m t h e i t aller Bedürfnisse der (volkswirtschaftliche) Bedarf g e n a n n t . H ä u f i g e r a b e r findet sich „ B e d a r f " definiert als das „mit K a u f k r a f t ausgestattete B e d ü r f n i s " . D a s letztere entspricht der „ w i r k s a m e n N a c h f r a g e " , v e r s t a n d e n als P r o d u k t aus M e n g e u n d Preis der in einer Periode v o n einer Wirtschaftseinheit, o d e r v o n m e h r e r e n W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n auf einem M a r k t , o d e r schließlich v o n d e r g e s a m t e n Volkswirtschaft nachgefragten G ü t e r .

a)

Begriff

2. Güter

Ein G u t im ö k o n o m i s c h e n Sinne ist, w a s indirekt o d e r direkt d u r c h B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g „ N u t z e n " stiftet, d e s h a l b b e g e h r t ist u n d nachgefragt w i r d u n d w e g e n seiner K n a p p h e i t (im Verhältnis v o n A n g e b o t u n d N a c h f r a g e ) einen Preis erzielen kann.

I. Grundlegung

25

Zu den ökonomischen Gütern rechnen: 1. „Dienste", das sind Leistungen rechtlich freier Menschen, durch deren Erbringen ein Einkommen erzielt werden kann (Lohn, Gehalt, Honorar usw.). Produktion und Verbrauch (i. S. von Abgabe der Nutzleistung) erfolgen gleichzeitig. 2. „Sackgüter", das sind materielle Dinge, die im Gebrauch oder Verbrauch Nutzleistungen abgeben und daher als „Bündel von Nutzleistungen" bewirtschaftet werden. 3. „Rechte" und „Verhältnisse", soweit sie gegen Entgelt übertragbar sind (z. B. Forderungen, Patente usw.). 4. „Geld", soweit es nicht unter die Forderungen zu rechnen ist. Dienste können nicht aufbewahrt oder gespeichert werden; nicht-erbrachte Dienste sind für die Versorgung endgültig verloren, wie im Fall der Arbeitslosigkeit. Sie werden bei Erbringen an Haushalte unmittelbar verbraucht. In Unternehmungen dagegen werden Dienste „produktiv" verbraucht (zu Produkten transformiert), d. h. mit ihrem Preis den Kosten des erstellten Produkts zugerechnet. „Verbrauch" (im physischen Sinne) ist der Verzehr der Nutzleistungen der Güter, entweder in einem einmaligen Akt (z. B. bei Nahrungsmitteln) oder in fortlaufenden Akten (z. B. bei Kleidung). Unabhängig von seiner materiellen Beschaffenheit ist ein Gut daher verbraucht, wenn es keine bewerteten Nutzleistungen mehr abzugeben vermag (z. B. Kalender vom Vorjahr, technisch überholte Maschinen). Der „Wert" (Gebrauchswert) eines Gutes entspricht also dem der in ihm enthaltenen Nutzleistungen. „öffentliche Güter" können solche heißen, für die das „Ausschlußprinzip" nicht gilt, d. h. es können bei Angebot eines solchen Gutes an ein Individuum andere Individuen vom Genuß dieses Gutes nicht ausgeschlossen werden (z. B. Straßenbeleuchtung). Vgl. auch § 3,1. b) Einteilung der Güter Eine Systematisierung der Güter kann nach unterschiedlichen KYifpripn prfr*lirpn T R •

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§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, W e r t

1. nach dem Grad der „Knappheit" bzw. der Vermehrbarkeit durch Produktion a) absolut unvermehrbare Güter (sog. Monopolgüter, z. B. bestimmte Kunstwerke) b) mit steigenden, gleichbleibenden oder fallenden Stückkosten vermehrbare Güter (z. B. Gebäude, Textilien usw.) 2. nach dem Grad der „Dauerhaftigkeit" a) kurzlebige Güter (z. B. Nahrungsmittel) b) langlebige Güter (z. B. Kühlschränke, Autos) 3. nach dem Ort ihres Verbleibens a) Konsumgüter (Sektor der Haushalte) b) Investitionsgüter (Sektor der Unternehmen). Von besonderer Bedeutung namentlich für die Analyse der Preisbildung sind die Beziehungen der Güter zueinander. Je nach Blickrichtung lassen sich diese gliedern: 1. In vertikaler Beziehung nach Güterordnungen (Carl Menger, 1840-1921), gemessen an dem Grad ihrer Entfernung von verbrauchsreifen Produkten. Die in die Verfügung der Verbraucherhaushalte übergehenden Güter heißen Güter erster Ordnung, die diesen im Ablauf der Produktion unmittelbar vorgelagerten Güter zweiter Ordnung, die diesen vorgelagerten Güter dritter Ordnung usw. Bei diesem Zurückgehen vermindert sich die Zahl der zu jeder Ordnung gehörigen Güter; schließlich gelangt man zu den „ursprünglichen Produktionsmitteln" Arbeit und Naturleistungen („Boden") als den Gütern höchster Ordnung, die nicht mehr auf andere Produktionsmittel zurückführbar sind (abgesehen von Aufwendungen zur Bodenverbesserung, zur Ausbildung und Schulung der Arbeitskräfte u. dergl.). Diese Betrachtung erhellt a) die Anpassung von Produktion und Nachfrage aneinander. Verändert sich die Nachfrage nach Gütern einer tieferen Ordnung, so wirkt das zurück auf die (abgeleitete) Nachfrage und den produktiven Einsatz der ihnen vorgelagerten Güter der höheren Ordnungen;

I. Grundlegung

27

b) die Wertbildung der Güter: nach der sog. „Nutzwerttheorie" setzt die Wertbildung bei den Gütern erster Ordnung ein, die Güter höherer Ordnungen erhalten ihren „abgeleiteten" W e r t durch den jener Güter, zu deren Erzeugung sie dienen; c) die Preisinterdependenz: „Wenn zwei Güter auch nur ein einziges Produktionsmittel gemein haben, und andere Produktionsmittel nicht, so stehen ihre Werte doch in einem Zusammenhang; denn die Verteilung dieses einen Produktionsmittels stellt die Beziehung her. Von der Mitwirkung dieses einen Produktionsmittels hängt die Menge der beiden Güter mit ab, . . . " (Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. 6. Auflage. Berlin 1952, S. 49 f.). Steigt z. B. die Nachfrage nach dem verbrauchsreifen Gut X (Gut erster Ordnung) und damit im Regelfall dessen Preis, so nimmt auch die abgeleitete Nachfrage nach den Gütern höherer Ordnung (z. B. Arbeit) zu, weshalb deren Preise ebenfalls anziehen werden. Auf diese Weise erhöhen sich nicht nur die Produktionskosten des Gutes X , sondern auch jene eines konkurrierenden Gutes Y , dessen Erstellung den Einsatz derselben Produktionsmittel erfordert. Die steigenden Produktionskosten werden ihrerseits den Preis des Gutes Y beeinflussen. Durch den Einsatz gemeinsam benötigter Produktionsmittel sind die Preise der Güter X und Y also nicht unabhängig voneinander; es besteht Preisinterdependenz. 2. In horizontaler Beziehung (zwischen Gütern gleicher Ordnung) durch die Stärke der Verbindung im Angebot und in der Nachfrage. „Komplementär"

heißen Güter, die

a) in der Nachfrage verbunden sind, weil sie zum Erreichen eines bestimmten Zweckes zusammenwirken (z. B . Pfeife und T a b a k , Messer und Gabel) oder b) im Angebot verbunden sind, weil sie in einem einheitlichen Produktionsprozeß anfallen (z. B . Baumwolle und Baumwollsaat, Koks und Gas). „Substitutiv"

(„konkurrierend") heißen Güter, die

28

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

a) sich in der Nachfrage gegenseitig verdrängen können (z. B. Bauholz und Eisenträger, Streichhölzer und Feuerzeug, Strom und Gas) oder b) im Angebot (Produktion) bei der Verwendung als Produktionsmittel zueinander im Verhältnis gegenseitiger Ersetzbarkeit stehen (z. B. Kapital und Arbeit, sofern technisch realisierbar). „Unverbunden" sind Güter, für die weder im Angebot noch in der Nachfrage eine dieser Verbundenheiten besteht (z. B. Dynamomaschinen und Herrenhüte). Zwar besteht grundsätzlich die durchgreifende Interdependenz dadurch, daß alle Güter um die „ursprünglichen" Produktionsmittel („Güter höchster Ordnung") Arbeit und Boden miteinander konkurrieren, indessen ist diese Beziehung bei unverbundenen Gütern so entfernt, daß sie praktisch nicht spürbar ist. Diese Beziehungsformen finden insbesondere in der Preis- und Kostenanalyse sowie in der Theorie der Nachfrage und des Angebots Anwendung. 3. Nutzen a) Nutzen und wirtschaftliches

Prinzip

„Nutzen" im ökonomischen Sinne ist die Eigenschaft eines Gutes, um derentwillen es begehrt wird, d. h. die Eigenschaft, Bedürfnisse zu befriedigen. Es wird unterstellt, daß die Intensität, mit der ein Gut begehrt wird, dem (erwarteten) subjektiven Nutzen durch den Verbrauch oder Gebrauch des Gutes entspricht. Der Nutzen wird verwirklicht durch die Abgabe von „Nutzleistungen" im Verbrauch des Gutes. Der Begriff „Nutzen" ist nicht inhaltlich eingeschränkt auf „objektiven" Nutzen: es genügt das Begehrtwerden, so daß auch Gift für den Selbstmörder, Werkzeuge für den Einbrecher „Nutzen" haben. Maximierung des Nutzens wird als Ziel des wirtschaftlichen Verhaltens angenommen. Das setzt voraus, daß 1. der Mensch seine Bedürfnisse als von unterschiedlicher Dringlichkeit erlebt, seine Bedürfnisstruktur also geordnet ist;

I. Grundlegung

29

2. die Bedürfnisse teilbar sind, ihre Befriedigung daher in einem Prozeß der „Sättigung" durch Verzehr einzelner Nutzleistungen erfolgen kann; 3. aus der grundsätzlichen Knappheit der Mittel die Notwendigkeit folgt, auf den unterschiedlichen Grad der Bedürfnisdringlichkeit nach Art und Teilbedürfnis innerhalb der Bedürfnisart Bedacht zu nehmen. Gelten diese Voraussetzungen, so läßt sich deduktiv ableiten, wie der maximale Stand der Bedürfnisbefriedigung bzw. des erreichten Nutzens zu verwirklichen ist. b) Erstes Gossensches

Gesetz

(Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen) Die psychologische Erfahrung zeigt, d a ß in vielen Fällen das Bedürfnis in „Teilbedürfnissen" empfunden wird, die Befriedigung des Bedürfnisses bis zum Erlöschen des aktuellen Begehrens nach weiteren Einheiten des Befriedigungsmittels (Sättigung) sich demnach als fortschreitender Akt des Verzehrs von einzelnen Einheiten vollzieht und daß dabei der durch die letzte Einheit zusätzlich gewonnene Befriedigungsnutzen (Grenznutzen) ständig geringer wird. Der Grenznutzen ist demnach die Veränderung des Gesamtnutzens bezogen auf die Veränderung der Stückmenge um eine sehr geringe (nach Null tendierende) Einheit. Der Ausdruck wurde geprägt durch v. Wieser. (Über den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes. Wien 1884.) Z u beachten ist, daß der Grenznutzen (engl, „marginal Utility") wie alle sonstigen Grenzgrößen sich nicht auf das zeitlich „zuletzt" hinzugekommene Stück bezieht. Die einzelnen Stücke des Bestandes werden als völlig homogen angesehen, so d a ß jedes Stück denselben Nutzen erbringt und „Grenzeinheit" sein kann, - bei Verlust irgendeines der Stücke geht der „Grenznutzen" verloren. „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt." (Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließen-

30

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

den Regeln für menschliches Handeln. Braunschweig 3. Aufl., Berlin 1927, S. 4 f.)

1854;

Das Erste Gossensche Gesetz besagt somit: Der Grenznutzen eines (beliebig teilbaren) Gutes nimmt mit zunehmender zur Verfügung stehender Menge dieses Gutes ab, bis zuletzt Sättigung eintritt. Im algebraischen Ausdruck: Der Nutzen (n) wird als funktional verbunden mit der zur Verfügung stehenden Menge des betrachteten Gutes (x) angenommen: n = n (x) Der Nutzenzuwachs bei Erhöhung von x um Ax beträgt dann: An = n (x + Ax) — n (x) Deshalb lautet der Grenznutzen n (x + Ax)

- n (x) _

Ax

An Ax

bzw. in Infinitesimalschreibweise: n (x + dx) - n (x) _ dx

dn dx

Dieser Grenznutzen wird im Regelfall als positiv angenommen dn

0

(1. Ableitung)

und fällt bei fortgesetzter Vermehrung von x d2n - £ ¿ < 0

(2. Ableitung)

Tabelle 1 und Abbildung 1 sollen diese Beziehungen veranschaulichen. Die Wahl der (kardinalen) Einheiten für die Nutzengrößen ist willkürlich. Empirisch ist es nicht möglich, bestimmten Gütern kardinale Nutzengrößen zuzuordnen. Aus diesem psychologischen Sachverhalt wird abgeleitet, daß auch das Begehren nach den Einheiten des Befriedigungsmittels mit der fortschreitenden Sättigung abnimmt. „Bei jedem teilbaren Bedürfnis wird innerhalb jedes Bedürfnisabschnittes der mit der ersten Verwendungseinheit vorzunehmende Befriedigungsakt mit der höchsten Intensität begehrt,

I. Grundlegung

31

jede Verwendung weiterer Einheiten derselben Art wird mit abnehmender Intensität begehrt, bis der Sättigungspunkt erreicht ist, darüber hinaus schlägt das Bedürfnis in Widerwillen um." (v. Wieser, Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft, Grundriß der Sozialökonomik, I. Abtig., Tübingen 1914, S. 148.) Tab. 1: Gütermenge (x)

0 1 2 3 4 5

Gesamtnutzen (n)

0 4 7 9 10 10

Grenznutzen

A x}

_ 4 3 2 1 0

Dem im Befriedigungsakt abnehmenden Nutzen der Teileinheiten entspricht demnach eine abnehmende Dringlichkeit der Nachfrage nach weiteren Teileinheiten des betreffenden Gutes, daher auch eine abnehmende Bereitwilligkeit zur Erbringung eines „Beschaffungsopfers" (z. B. Zahlung eines Preises von bestimmter Höhe) zum Erlangen weiterer Einheiten. - Das „Erste Gossensche Gesetz" wird so zur Grundlegung der Theorie der Nachfrage nach Verbrauchsgütern, namentlich zur Er-

32

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

klärung der individuellen „Nachfragefunktion", nach der bei höherem Preis für die Einheit eines Gutes die nachgefragte Menge kleiner ist als bei tieferem Preis. Ein Nachfragender zeigt durch sein Verhalten, daß er das betreffende Gut begehrt. Angenommen wird, daß die Stärke des Begehrens und damit die Dringlichkeit der Nachfrage abhängig sei von dem Nutzen, der vom Verbrauch des Gutes erwartet wird. Ob der realisierte Nutzen dem erwarteten entsprechen wird, ist zweifelhaft: die Erwartung kann irren und kann durch Werbung usw. beeinflußt sein. - Auch wird sich die Nutzenerwartung nicht unabhängig vom Preis bilden und diesen bestimmen, vielmehr wird in der Realität vielfach die „Qualität" des Gutes und damit dessen erwarteter Nutzen nach dem Preis des Gutes beurteilt. In diesem Falle kann eine Preisveränderung die Intensität der Nachfrage verändern. c) Zweites Gossensches

Gesetz

(Gesetz vom Ausgleich der

Grenznutzen)

Aus der Annahme rationalen Verhaltens, der Wirksamkeit des Ersten Gossenschen Gesetzes, der mehrfachen Verwendungsmöglichkeit von Mitteln zur Deckung verschiedener Bedürfnisse und der Teilbarkeit der Mittel in kleine Einheiten wird das „Gesetz vom Ausgleich der Grenznutzen" (Genußausgleichsgesetz) abgeleitet: der höchste Verwendungsnutzen einer bestimmten Gütermenge wird erzielt, wenn die letzte Einheit des Gutes in jeder Verwendungsweise den gleichen Befriedigungsnutzen stiftet. Dieses „Gesetz" wird „Zweites Gossensches Gesetz" genannt; es lautet in der Fassung Gossens: „Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehreren Genüssen freisteht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten, muß, wie verschieden auch die absolute Größe der einzelnen Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor er auch nur den größten sich vollaus bereitet, sie alle theilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältniß, daß die Größe eines jeden Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen die gleiche bleibt." (Gossen, a. a. O., S. 12.)

I. Grundlegung

33

Wenn es verschiedene Bedürfnisarten gibt und in jeder Bedürfnisart die Dringlichkeit des Bedürfnisses und damit der Grenznutzen weiterer verwendeter Mittel fällt, so gilt nach diesem Prinzip, daß die Zuweisung der Mittel auf die einzelnen Bedürfnisarten in der Weise erfolgt, daß jede Bedürfnisart bis zum gleichen Grenznutzen abgedeckt wird. Angenommen, einem Wirtschaftssubjekt stehen sukzessive mehrere Einheiten eines Gutes (z. B. Wasser), welches sich zur Befriedigung von drei verschiedenen Bedürfnisarten eignet (z. B. Verwendung des Wassers zum Trinken, Waschen und Bewässern der Blumen), zur Verfügung. Wird die in Tabelle 2 angegebene Grenznutzenverteilung unterstellt, so befriedigt das Wirtschaftssubjekt mit der ersten Gütereinheit zunächst Bedürfnisart I (Grenznutzen 10), sodann mit den nächsten beiden Gütereinheiten die Bedürfnisarten I und III (jeweils Grenznutzen 9), schließlich mit weiteren Einheiten die Bedürfnisse I, II und III (Grenznutzen jeweils 8) usw. Die zur Verwendung verfügbare Gütermenge wird also nicht zur vollständigen Befriedigung erst einer Bedürfnisart (z. B. I) eingesetzt, sondern derart auf die möglichen Verwendungszwecke verteilt, daß die jeweiligen Grenznutzen zum Ausgleich gebracht werden. N u r so wird der maximale Befriedigungserfolg erreicht. Das „Gesetz vom Ausgleich der Grenznutzen" kann also als Maximierungsbedingung interpretiert werden. Tab. 2: Bedürfnisart Grenznutzen j

I

II

III

10 9 8 7 6 5

8 7 6 5

9 8 7 6 5

Die Verwendbarkeit des behandelten (kardinalen) Nutzenkonzepts im Rahmen der ökonomischen Analyse ist begrenzt. Die 3

Paulsen/Schilcher, Allgem. V o l k s w . ]

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

34

angesprochenen N u t z e n g r ö ß e n sind in ihrer Dimension unbestimmt u n d entziehen sich daher einer quantitativen Bestimmung. Das an späterer Stelle zu behandelnde ordinale N u t z e n konzept (vgl. Bd. II, Indifferenzkurvenanalyse) versucht, diese M ä n g e l zu umgehen. 4. Wert a)

Wertbegriff

„ W e r t " im allgemeinen Sinne besteht in der Beilegung einer Bedeutung, welche Dinge oder Sachverhalte f ü r den Menschen haben. Für das Wirtschaften ist diese den „ G ü t e r n " beigelegte Bedeutung deren „ N u t z e n " zur Befriedigung von Bedürfnissen. Die W e r t p r o b l e m a t i k der Wirtschaft bezieht sich namentlich auf das Verhältnis zwischen „Gebrauchswert", verstanden als Ausdruck der Eignung von Gütern zur Erreichung bestimmter Zwecke, u n d „Tauschwert", dem Austauschverhältnis der Güter im wirtschaftlichen Verkehr, sowie auf die Bestimmung der H ö h e des Tauschwertes. Der Gebrauchswert eines Gutes k a n n durch objektive oder subjektive Faktoren bestimmt sein (objektiver bzw. subjektiver Gebrauchswert), denn der objektiv meßbaren Brauchbarkeit eines Gutes zur V e r w e n d u n g f ü r einen bestimmten Zweck (z. B. W ä r m e l e i s t u n g eines Ofens) steht ein subjektiver N u t z e n des dieses G u t begehrenden Wirtschaftssubjektes gegenüber. Objektiver u n d subjektiver Gebrauchswert k ö n n e n einander ausschließen: Ein O f e n m a g objektiv eine hervorragende Leistung besitzen, zur Beheizung eines W o h n r a u m s am Ä q u a t o r ist er subjektiv unnütz. V o m Gebrauchswert unterscheidet sich der T a u s c h w e r t (oft nur „ W e r t " genannt) insofern, als er nicht auf eine objektive oder subjektive N u t z e n g r ö ß e abstellt, sondern eine Beziehung zwischen dem betreffenden ökonomischen G u t u n d einem (Tausch-)Standard, in der Regel „ G e l d " , ausgedrückt in Einheiten dieses Standards (dem Preis), z u m Ausdruck bringt. Also k a n n der Preis eines Gutes als dessen „objektiver Tauschwert, ausgedrückt in Geldeinheiten" bezeichnet werden. Gebrauchswert u n d T a u s c h w e r t müssen einander nicht unmittelbar entsprechen, vielmehr wird letzterer vor allem durch

I. Grundlegung

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den G r a d der Knappheit (Relation von Angebot und N a c h frage) bestimmt, während der (subjektive) Gebrauchswert Ausdruck der individuellen Nutzenschätzungen der Wirtschaftssubjekte ist. D e r G r a d der Knappheit hängt wiederum einerseits von der Möglichkeit ab, die begehrten Güter durch Produktion zu beschaffen, d. h. von den Kosten der Produktion, andererseits von der Dringlichkeit, mit der die Güter begehrt werden, also von ihrem Nutzen. D a h e r kreist die Problematik der wirtschaftlichen Wertbildung um den Einfluß der Kosten einerseits, der Begehrtheit der Güter andererseits auf die Bestimmung des objektiven Tauschwertes (Preises). Es ergibt sich folgende Systematik des Wertbegriffs: 1. objektiver W e r t a) objektiver Gebrauchswert b) objektiver T a u s c h w e r t =

Preis

2. subjektiver W e r t = subjektiver Gebrauchswert

b) Erklärung des Tauschwertes Die ältere „klassische" (objektivistische) Werttheorie hielt die Erklärung der (Tausch-)Wertbildung aus dem Nutzen der Güter für unmöglich, da offensichtlich Güter höchsten Nutzens (z. B. Wasser) einen sehr geringen, umgekehrt Güter geringen Nutzens (z. B. D i a m a n t e n ) einen sehr hohen T a u s c h w e r t haben können (sog. „ W e r t p a r a d o x " ) . Z w a r sei Nutzen Bedingung für die Wertbildung, sofern aber die Güter durch Produktion vermehrbar sind, könne ihr T a u s c h w e r t nicht abweichen von den „ K o s t e n " , zu denen sie beschaffbar sind. Deshalb sei der T a u s c h w e r t vermehrbarer Güter bestimmt durch die Kosten der Produktion. Bei nicht beliebig vermehrbaren ( M o n o p o l - ) G ü t e r n allerdings (einmalige Kunstwerke, W e i n e bestimmten Jahrgangs und Wachstums usw.) wird sich nach der Klassik der T a u s c h w e r t aus dem Verhältnis ihrer Seltenheit zum Bedarf (Ausdruck der Dringlichkeit des Begehrens), also durch Angebot und N a c h frage, bilden. Die „ K o s t e n " der Produktion sind in ihrem Geldausdruck selbst „Preise" (der Leistungen von Produktionsfaktoren);

36

§ 3. Bedürfnisse, Güter, Nutzen, Wert

deren Erklärung erfolgt durch Zurückgreifen auf Aufwendungen, die in ihrer quantitativen Größe direkt, also nicht nur im Preisausdruck, meßbar sind. Die weitaus vorwiegende Erklärung der Kostenwerttheorien geschah durch Rückgriff auf die an der Arbeitszeit bemessenen Aufwendungen an produktiver Arbeit: das den Tauschwertrelationen der einzelnen Güter zueinander zugrundeliegende objektive Verhältnis der relativen Produktionskosten wird am Verhältnis der Arbeitsaufwendungen in der Produktion der Güter gesehen. Die so bestimmten „natürlichen" Preise (Tauschverhältnisse), um welche die tatsächlichen Marktpreise kurzfristig schwanken können, sind hiernach durch die objektiven Beziehungen determiniert. So Adam Smith (1723-1790): wenn sich (in primitiven Wirtschaftsverhältnissen) zwei Hirsche gegen einen Biber austauschen lassen, so deshalb, weil zur Erlangung eines Bibers durchschnittlich die doppelte Zeit gleicher (homogener) Arbeit nötig ist wie zur Erlangung eines Hirsches. - Warum es aber zum Tausch kommen sollte, wenn keinem der Partner der Tausch eine günstigere Beschaffungsmöglichkeit gewährt als die direkte Beschaffung, bleibt insoweit unerklärt. Die „Arbeitswerttheorie" wurde nach Ansätzen bei Smith und David Ricardo (1772-1823) namentlich durch Karl Marx (1818 bis 1883) zur Grundlage seines theoretischen Systems gemacht. Bei diesen Erklärungin wurde in unterschiedlicher Weise der Nachweis versucht, daß die an der Produktion mitwirkenden Faktoren Boden und Kapital (gemeint: Realkapital) nicht an der Wertbildung beteiligt seien: das Kapital wurde in Arbeitsund Bodenleistungen aufgelöst (Kapital = „produzierte Produktionsmittel"), durch die Theorie der Bodenrente (entwickelt vor allem von Ricardo) wurde versucht, zu zeigen, daß die Bodenrente nicht den Preis der Produkte mitbestimmt, sondern durch ihn bestimmt wird. Somit verblieb nur noch „Arbeit" als wertbestimmender Faktor. Uberwiegend wurde die Arbeit als Wertmaß (z. B. ausgedrückt in Arbeitsstunden) gleichgesetzt der Arbeit als Ursache des Wertes. Ein empirischer Beweis für die Richtigkeit dieser Theorie liegt, zumal für entwickelte Volkswirtschaften mit hoher Kapitalausstattung, nicht vor.

I. Grundlegung

37

Nach der subjektivistischen oder Nutzwert-Theorie dagegen besitzen die Güter nicht (Tausch-)Wert, weil ihre Beschaffung Kosten verursacht, sondern Kosten können in dem M a ß e aufgewendet werden, wie die Güter wegen ihres Nutzens bewertet, daher nachgefragt werden und einen Preis erzielen. Das Beispiel von Smith müßte demnach gedeutet werden: wenn ein Biber so hoch geschätzt wird wie zwei Hirsche, kann zur Beschaffung eines Bibers der doppelte A u f w a n d durchgeführt werden wie zur Beschaffung eines Hirsches. Nach der Kostenwert-Theorie wären Güter als gleichwertig zu betrachten, wenn sie wahlweise mit dem Einsatz gleicher Mengen von Produktionsfaktorleistungen produziert werden können, nach der Nutzwert-Theorie, wenn sie sich wechselseitig zur Erlangung eines gleichgroßen Nutzens substituieren können. Die Auflösung des sog. „Wertparadoxons" der Klassiker (vgl. S. 35) durch die subjektivistische Wertlehre erforderte deren weitere Verfeinerung. Das geschah durch die Erkenntnis, daß f ü r das wirtschaftliche Verhalten weniger der absolute Gebrauchswert eines Gutes schlechthin von Bedeutung ist, als vielmehr die Veränderung des Gesamtnutzens aufgrund einer Veränderung in der verfügbaren Menge des betreffenden Gutes (sog. Grenznutzen, vgl. § 3, 3, b). Diese Erkenntnis wurde nach wenig beachteten früheren Ansätzen (J. Bentham, 1748-1832: „Der Verlust eines Teils des Reichtums wird für den einzelnen einen Verlust an Glück bedeuten, der mehr oder weniger groß ist, entsprechend der Proportion zwischen dem Teil, den er verliert und dem, der ihm bleibt.") fast gleichzeitig durch Jevons (1835-1882), Menger (1840-1921) und Walras (1834-1910) im Jahre 1871, bzw. 1874 eingeführt und ist, abgesehen von der marxistischen Lehre, fast allgemein angenommen worden. Ubertragen auf das „Wertparadoxon" (Wasser - Diamanten) folgt aus dieser Erkenntnis: Da der Grenznutzen des Wassers (also der Nutzen der „letzten" konsumierten Einheit, oder genauer: der Einheit, welche die am wenigsten dringlich empfundene Bedürfnisquantität befriedigt, die mit dem gegebenen Gütervorrat noch befriedigt werden kann) trotz des sehr hohen Gesamtnutzens in der Regel offenbar gering ist, wäh-

§ 4. Bevölkerung und Boden

38

rend D i a m a n t e n wegen ihrer großen Knappheit über einen relativ hohen Grenznutzen verfügen, ist der T a u s c h w e r t des Wassers geringer als der von D i a m a n t e n . Anders ist die Situation für Wirtschaftssubjekte in extrem wasserarmen Gebieten. Hier kann das W a s s e r zu einer Kostbarkeit werden, d. h. sein Grenznutzen ist sehr hoch, so daß sein T a u s c h w e r t u. U. über dem von D i a m a n t e n liegt. Kurz: D e r W e r t eines Gutes bestimmt sich nach seinem Grenznutzen. N a c h der subjektivistischen Wertlehre werden also die Tauschrelationen der Güter durch die Verhältnisse der einzelnen Grenznutzen zueinander erklärt. Setzt somit der Wertbildungsprozeß bei der direkten Schätzung des Güternutzens im menschlichen Verbrauch ein, so strahlt dieser W e r t zurück auf die Produktionsmittel, soweit die betreffenden Güter durch solche vermehrbar sind. Die W e r t erklärung für Verbrauchs- und Produktionsgüter, für beliebig vermehrbare und für M o n o p o l g ü t e r erfolgt so - im Unterschied zur älteren objektivistischen Wertlehre - durch ein einheitliches Prinzip.

§ 4. Bevölkerung und Boden 1. Bevölkerung und Wirtschaft Ist B die Bevölkerung eines Landes, Y das G e s a m t e i n k o m m e n als Ergebnis der wirtschaftlichen T ä t i g k e i t in einem J a h r , werden die Veränderungsgrößen mit AB und A Y ausgedrückt, so sind die prozentualen Veränderungsraten AB B

• 100 bzw.

AY

• 100.

W ä c h s t etwa die Bevölkerung von 5 0 M i l l . um 1 Mill. auf 5 1 Mill., das E i n k o m m e n von 2 0 0 M r d . um 2 0 auf 2 2 0 M r d . , so sind die Wachstumsraten 2 %> bzw. 10 %>. J e nachdem, o b die Wachstumsrate des G e s a m t e i n k o m m e n s größer, gleich oder kleiner als die der Bevölkerung ist -j, ist

das

Einkommen

pro

Kopf

der

Bevölke^

I. Grundlegung rung

piT

-

e

ine

39

der wichtigsten Meßziffern für die wirt-

schaftliche Entwicklung sunken.

gestiegen, gleichgeblieben bzw. ge-

Die Erklärung für die H ö h e und Veränderung des Gesamteink o m m e n s ist Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft. Die Beziehung zur Bevölkerung ist zweiseitig: jedes Glied der Bevölkerung ist als „Verbraucher" zwar an der Verwendung des Gesamteinkommens beteiligt, jedoch nur ein Teil der Bevölkerung aktiv an der Erstellung des Sozialprodukts. D a h e r m u ß jeder Produzent über seinen eigenen Verbrauchsbedarf hinaus noch einen Beitrag zum Verbrauch der Nicht-Produzenten erstellen. Die H ö h e des E i n k o m m e n s p r o K o p f der Bevölkerung hängt also ab von der M e n g e und Ergiebigkeit der geleisteten Arbeit. Es sei A die Z a h l der Arbeiter, H die Gesamtzahl der im J a h r geleisteten Arbeitsstunden. D a n n gilt:

XB XH =

H

A

A B '

Der Ausdruck der linken Seite ist das durchschnittliche ProK o p f - E i n k o m m e n ; die Quotienten der rechten Seite zeigen in der angegebenen Folge, daß diese G r ö ß e um so höher ist, je größer die „Ergiebigkeit" der geleisteten Arbeitsstunde, je größer die Z a h l der im Durchschnitt von jedem Arbeiter geleisteten Stundenzahl und je größer der Anteil der Arbeitenden an der Gesamtbevölkerung ist. W ä h r e n d m a n die „arbeitsfähige Bevölkerung" etwa als Altersgruppe vom 1 5 . - 6 5 . Lebensjahr annehmen kann, ist Z a h l der tatsächlich am Produktionsprozeß Beteiligten und im Durchschnitt erbrachte Arbeitsmenge, gemessen an Arbeitszeit, von vielen gesellschaftlichen und individuellen stimmungsgründen abhängig. In

dieser Gleichung

unerklärt,

so

„Produktivität"

sind die Quotienten

namentlich

auch

der

der rechten

wichtigste,

der durchschnittlich geleisteten

nämlich

die die die der Be-

Seite die

Arbeitsstunde

Y -7-5-. Ersichtlich kann eine A b n a h m e des Anteils der Arbeitenden

H

40

§ 4. Bevölkerung und Boden

an der Gesamtbevölkerung (durch Ausdehnung der Schulung, Herabsetzung des Renten- und Pensionsalters, Freistellung von Hausfrauen von der Berufsarbeit) wie eine Verkürzung der Arbeitszeit (Übergang zur Sechsunddreißig-Stunden-Woche usw.) durch entsprechend erhöhte „Produktivität" der Arbeitsleistung ausgeglichen und überboten werden. Diese Produktivität aber und ihr Zuwachs wird bei gegebener Qualifikation der Arbeiter wesentlich von der Ausstattung der Arbeit mit sachlichen Produktionsmitteln abhängen, nämlich von „Boden" und „Kapital". Auch das kann formalisiert werden. Es sei K eine Meßziffer für den gesamten Bestand an sachlichen Produktionsmitteln aller Art. Dann gilt:

X

A

=

iL X A

K '

Der Ausdruck der linken Seite, die Durchschnittsproduktivität je Arbeiter, ist abhängig von der durchschnittlichen Ausstattung des Arbeiters mit sachlichen Produktionsmitteln einerseits, der Ergiebigkeit („Produktivität") der sachlichen Produktionsmittel (etwa der Fruchtbarkeit des Bodens, der technischen Leistungsfähigkeit der Maschinen usw.) andererseits. Auch wenn die erbrachte Arbeitsmenge in gleicher Rate wächst wie die Gesamtbevölkerung, wird die Ergiebigkeit der Arbeit abnehmen, wenn bei gegebenem Stand der Technik die zusätzliche Arbeit nicht auch mit zusätzlichen sachlichen Produktionsmitteln ausgestattet wird. Daher ist die Erhöhung des Durchschnittseinkommens wesentlich davon abhängig, daß durch immer größere und namentlich qualitativ verbesserte Ausstattung der Arbeit eine Erhöhung der Produktivität erfolgt. Hieraus wurde eine besondere Problematik für die Beziehung zwischen Boden und Bevölkerung abgeleitet. Denn während die als „Kapital" bezeichneten sachlichen Produktionsmittel selbst produziert sind, und daher auch durch Produktion vermehrt und verbessert werden können, versteht man unter „Boden" die Ausstattung der Gesellschaft mit dem, was die N a t u r selbst in gegebener Menge und Art zur Verfügung stellt, also nicht nur die Bodenfläche, sondern auch Bodenfruchtbar-

41

I. Grundlegung

keit, Klima, Vorkommen an Bodenschätzen usw. Da nun insbesondere die lebenswichtigen Versorgungsgüter, namentlich der Ernährung, Bodenprodukte sind, könnte theoretisch der Zuwachs an Produktion und damit an zu versorgender Menschenzahl an der nicht zu beseitigenden absoluten Bodenknappheit seine Grenze finden. Das ist mit dem Begriff der „Tragfähigkeit des Boden" bzw. einem optimalen Verhältnis der Menschenzahl zur verfügbaren Bodenfläche gemeint. Nach den Erfahrungen der hoch entwickelten Wirtschaften besonders des „Westens" hat sich gezeigt, d a ß die Grenze der Bodenknappheit ständig hinausgeschoben werden konnte, und zwar durch vermehrten und verbesserten Einsatz der produzierten sachlichen Produktionsmittel, des Kapitals. In den sog. Entwicklungsländern dagegen, in denen die Agrarwirtschaft vorherrscht und diese in ihrer Ergiebigkeit durch Mangel an Tab. 3: Wachstumsraten von Bevölkerung und nationaler Wirtschaftsproduktion Nation

Bevölkerung 1968 in Millionen

Volksrepublik China 730 524 Indien UdSSR 238 USA 201 Pakistan 123 Indonesien 113 Japan 101 Brasilien 88 Nigeria 63 BRD 60

Wachstumsrate der Bevölkerung 1961-68 in °/o jährlich

Bruttosozialprodukt pro Kopf 1968 in Dollar

1,5 2,5 1,3 1,4 2,6 2,4 1,0 3,0 2,4 1,0

90 100 1100 3980 100 100 1190 250 70 1970

Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts pro Kopf (1961-68) in Dollar 0,3 1,0 5,8 3,4 3,1 0,8 9,9 1,6 -0,3 3,4

Quelle: Meadows, Dennis: Die Grenzen des Wachstums, Stuttgart 1972, S. 33.

42

§ 4. Bevölkerung und Boden

Kapital stark von der Art und Menge des Bodens abhängt, in denen zugleich vielfach eine hohe Wachstumsrate der Bevölkerung vorliegt, ist es sehr schwer, das Einkommen pro Kopf nachhaltig und wesentlich zu erhöhen. Die Ergiebigkeit der Wirtschaft reicht nur knapp aus, den lebenswichtigen laufenden Versorgungsbedarf zu decken. Eine Wirtschaft, die mangels Kapitals und Bodens unergiebig arbeitet, hat es um so schwerer, einen Teil der Produktionskapazität zur Kapitalbildung, also zur Erhöhung der Kapazität zu verwenden. Denn für die Kapitalbildung steht nur der Teil des Gesamteinkommens zur Verfügung, der nicht f ü r die Deckung des laufenden Versorgungsbedarfs der Bevölkerung benötigt wird. Angenommen, es sei der Verbrauch p r o Kopf (nicht: Einkommen pro Kopf) V, so daß der Gesamtverbrauch V • B = C ist, so bedeutet Y = C, d a ß vom Sozialprodukt nichts für die Bildung von Kapital verwendet worden ist. In den später eingehend zu behandelnden Einkommensgleichungen wird formalisiert, wie sich das Einkommen auf Verbrauch C und Investieren I als Realkapitalbildung verteilt, also Y = C + I bzw. Y = V • B + I. Da nun Y nach der vorherigen Beziehung von der Produktivität der Arbeit abhängt und keineswegs nur von der Menge der Arbeit, die Produktivität wieder von der Kapitalausstattung, kann eine bereits reichlich mit Kapital ausgestattete Volkswirtschaft um so leichter zusätzliches Kapital durch Investierung produzieren. Y Wenn die oben behandelte Beziehung

als die durchschnitt-

liche Produktivität eines „Arbeiters" mit P bezeichnet wird, ergibt sich für Y = C + I: P - A = V - B + I. Das ist die sog. ökonomisch demographische Grundgleichung, der Ausdruck der Abhängigkeit des Verbrauchs pro Kopf der Bevölkerungszahl (V) und der Kapitalbildung (I) von der Menge (A) und der Produktivität (P) der Arbeit sowie von der Bevölkerungszahl (B).

I. Grundlegung

43

2. Größe, Entwicklung und Zusammensetzung der Bevölkerung Die Entwicklung in den letzten Jahrhunderten zeigt einen historisch einmaligen Zusammenhang außerordentlichen Wachstums der Bevölkerung mit außerordentlicher Erhöhung der wirtschaftlichen Produktivität. Bei verringerter Arbeitslast k o m m t auf die Einheit der zu versorgenden Zahl der Menschen ein quantitativ vergrößertes und qualitativ verbessertes Gütervolumen. Die gegenwärtige Weltbevölkerung wird auf ca. 3,6 M r d . Menschen geschätzt. Die Wachstumsrate mit 2,1 °/o im Jahr ist die weitaus höchste der Menschheitsgeschichte, ihr Anhalten würde eine Verdoppelung der Menschenzahl in ca. 33 Jahren bedeuten. Um 1650 betrug die Weltbevölkerung etwa eine halbe Milliarde Menschen mit einer Wachstumsrate von ca. 0,3 °/o jährlich und einer Verdoppelungszeit von etwa 250 Jahren. Die Wachstumsrate schwankt heute zwischen 4 °/o in Ländern Lateinamerikas und Asiens und 0,7 % im Durchschnitt der europäischen Länder, - das würde eine Abnahme des Anteils Europas an der Weltbevölkerung von etwa 14,2 °/o im Jahre 1960 auf etwa 8,8 %> im Jahre 2000 bedeuten. „Wäre der Ursprung des Menschengeschlechts ein im Jahre 10 000 v. Chr. erschienenes Menschenpaar und hätte sich die Menschenzahl stetig um 1 % im Jahr erhöht, so gäbe es heute eine Kugel lebendigen Fleisches mit einem Durchmesser von vielen Tausend Lichtjahren, deren Oberfläche sich vielmal schneller als mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum ausdehnen würde." (Putman, zit. n. H. Beishaw, Population G r o w t h and Levels of Consumption. London 1956, S. xvi f.) „Es dauerte 200 000 Jahre, bis die Weltbevölkerung 2,5 Mrd. erreicht hatte, jetzt braucht es nur 30 Jahre, weitere 2 M r d . hinzuzufügen. Bei der gegenwärtigen Wachstumsrate wird rechnungsmäßig in 600 Jahren die Zahl der Menschen so groß sein, daß auf jeden Menschen nur 1 qm Boden entfällt. Es versteht sich von selbst, daß dies sich nie ereignen wird, es wird etwas geschehen, was es verhindert." (The Past and Future Growth of World Population. In: Population Bulletin of the United Nations. 1. Dez. 1951.)

44

§ 4. Bevölkerung und Boden

Der natürliche Zuwachs ergibt sich aus der Differenz zwischen Zahl der Geburten und Zahl der Sterbefälle. Sinkende Zahl der Sterbefälle (bzw. Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung) bei zunächst gleichbleibender, dann sinkender Geburtenziffer charakterisierte die bisherige Entwicklung in Europa: auf steilen Anstieg der Bevölkerung folgte Abflachen der Anstiegskurve und Tendenz zu stagnierender Bevölkerung. Ein Schluß auf die künftige Entwicklung ist daraus nur mit Vorsicht zu ziehen. Tab. 4: Bevölkerungsbewegung in Deutschland (Bis 1941 Reichsgebiet, jeweiliger Gebietsstand, ab 1951 Bundesgebiet einschl. Saarland) Auf 1000 Einwohner kamen Jahr 1871 1881 1891 1901 1911 1921 1931 1941 1951 1961 1970

Geborene Gestorbene ohne Totgeborene 34,5 37,0 37,0 35,7 28,6 25,3 16,0 18,6 15,7 18,0 13,4

Geburtenüberschuß

29,6 25,5 23,4 20,7 17,3 13,9 11,2 12,0 10,8 11,2 12,1

Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik 1972, S. 45.

4,9 11,6 13,6 15,1 11,6 11,4 4,8 6,6 5,0 6,9 1,3 Deutschland,

Die Verteilung der Bevölkerung nach Altersklassen verändert sich mit der Geburtenzahl und der durchschnittlichen Lebensdauer. Sie kommt zur Darstellung in den sog. Alterspyramiden, in denen die Zahl der an einem gegebenen Zeitpunkt zu jeder Altersgruppe gehörenden Lebenden in der Länge je eines Rechtecks dargestellt wird, getrennt nach männlichen und weiblichen Personen. Die jüngsten Jahrgänge bilden die Basis, die ältesten die Spitze der Pyramide, die durch Aufeinanderlegen dieser Rechtecke entsteht (s. Abb. 2).

I. Grundlegung

45

ALTER WO GESCHLECHT DER WOHNBEVÖLKERUNG AM 31.12.lt» und Altersaufbau der Bevölkerung im Reichsgebtel 1910,1925,1939 und im Bundesgebiet 1950 1910

1925

MAHNER

1939

1950

F R A U E N

MÄNNERMANGELv

Gefallene des 1. Weltkriegs

Gefallene des 2. Weltkriegs Geburtenaiisfall im 1. Weltkrieg

Gebutenausfall Ende des 2. Weltkriegs

Abb. 2. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie A: Bevölkerung und Kultur. Reihe 1: Bevölkerungsstand und -entwicklung, 1969, S. 16.

46

§ 4. Bevölkerung und Boden

Nach der Gestalt der Alterspyramide lassen sich die einzelnen Länder am besten in drei Gruppen einteilen: a) Länder mit hoher Fruchtbarkeits- und geringer Sterberate weisen eine hoch aufragende Bevölkerungspyramide mit breitem Unterbau auf. b) Bei Ländern mit niedriger Fruchtbarkeits- und niedriger Sterberate ist die Pyramide unten stark eingeengt, verbreitert sich aber in den mittleren Altersklassen, bevor sie mit zunehmendem Alter wieder abflacht. c) Länder mit hoher Fruchtbarkeits- und hoher Sterberate zeigen eine flache Bevölkerungspyramide. Hinsichtlich der Geschlechter besteht ein Überschuß an Knabengeburten von etwa 106 zu 100, der aber durch geringere Sterblichkeit der Mädchen rasch ausgeglichen wird, so daß in den höheren Altersklassen das weibliche Geschlecht stärker vertreten ist und sich als Gesamtzahl ein Frauenüberschuß ergibt. Für das Sinken der Sterbeziffer gilt als Begründung erstens der Einfluß höheren Pro-Kopf-Einkommens und der dadurch ermöglichten verbesserten Lebensbedingungen, zweitens der Einfluß medizinischer Fortschritte, namentlich in der Bekämpfung von Seuchen. Dagegen kann eine sinkende Geburtenziffer nicht auf höheres Einkommen als solches zurückgeführt werden, sondern bedürfte zusätzlicher Erklärung aus sozialen Veränderungen, die mit höherem Einkommen verbunden sind. Da solche Veränderungen langsamer erfolgen als eine Erhöhung des Einkommens, wird das Sinken der Geburtenziffer erst verzögert hinter dem Sinken der Sterbeziffer zu erwarten sein und ist auch weniger gewiß als das Sinken der Sterbeziffer bei höherem Einkommen. 3. Tragfähigkeit des Bodens, Bevölkerungsgesetz von Malthus Ist eine Menschengruppe in ihrem Wirtschaften auf eine begrenzte Bodenfläche angewiesen, so ergibt sich das Problem der Tragfähigkeit des Bodens durch die Relation veränderter Menschenzahl zur Ergiebigkeit der gegebenen Fläche bei verändertem Grad der Bearbeitung der Fläche. - „Ernährungskapazität eines Raumes ist die Fähigkeit eines bestimmten Raumes, bei

I. Grundlegung

47

Anwendung einer bestimmten Technik der Nahrungsproduktion eine bestimmte Menschenmenge zu ernähren" (Fritz Baade). Zwischen Unterbevölkerung, bei der die Produktionskraft des Bodens nicht voll erschlossen werden kann, und Uberbevölkerung, bei der der Bodenertrag durch Mehrarbeit nicht mehr proportional zum größeren Bedarf erhöht werden kann, liegt bei gegebenem Stand der Technik eine Zone des Optimums mit höchstem Bodenertrag je Einheit der vom Boden abhängigen Menschenzahl (bzw. der dem Boden zugeführten Arbeitsmenge). Historisch ist die Tragfähigkeit des Bodens ständig, in den letzten Jahrhunderten stürmisch, erhöht worden durch 1. technische und agrikulturchemische Fortschritte im Landbau, der Schädlingsbekämpfung, Saatgutzucht u. a., 2. Freistellung von Bodenleistung durch Substitution industrieller Produkte (Verwendung von Kohle, Stahl, Beton usw. statt Holz als Brennstoff und Baumaterial, von Traktoren statt tierischer Zugkraft, von künstlichen statt natürlichen Düngemitteln usw.), 3. wirtschaftliche und technische Erschließung landwirtschaftlicher Uberschußgebiete zur Versorgung der Industriegebiete, Kultivierung von Ödland. Schrumpfung des landwirtschaftlichen Sektors im Verhältnis zum industriellen Sektor, Verwaltungssektor usw. ist ein Symp t o m für Ausweitung der Tragfähigkeit des Bodens. In den nichtkommunistischen Industrieländern beträgt der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 14,1 %>, in den C O M E C O N - L ä n d e r n 32,4 °/o, in den nichtkommunistischen Entwicklungsländern 65,2 °/o, in den kommunistischen Ländern Asiens 67 °/o. Der Weltdurchschnitt beträgt 51,4 % . (Quelle: Fischer Weltalmanach 1973, S. 275.) Für Nordamerika wie für Europa gilt, daß die N a h rungsproduktion ohne Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und bei abnehmender Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten schneller wächst als die Bevölkerung. In den nichtindustrialisierten Ländern der übrigen Welt ist die

48

§ 4. Bevölkerung und Boden

N a h r u n g s m i t t e l p r o d u k t i o n p r o Kopf w ä h r e n d der 60er J a h r e bei sehr niedrigem Niveau nahezu k o n s t a n t geblieben. Die Schätzungen der Tragfähigkeit der Erde liegen zwischen etwa 8 und etwa 13 M r d . Menschen. (Bei a n g e n o m m e n e m mittleren Bedarf von 2500 Kalorien p r o Mensch u n d Tag.) Im Blick auf die H ö h e des gesamten Sozialprodukts (nicht nur von inländischen A g r a r p r o d u k t e n ) k a n n als Bevölkerungsoptim u m die Bevölkerungsgröße verstanden werden, die bei gegebener Produktionstechnik das M a x i m u m des Sozialprodukts p r o Kopf verwirklicht, so d a ß bei Z u - wie bei A b n a h m e der Bevölkerungszahl das Sozialprodukt p r o Kopf kleiner wäre. Der Engländer T h o m a s R. Malthus (1766-1834; Essay on the Principle of Population, zuerst 1798) vertrat mit ungewöhnlich starker W i r k u n g die nach ihm genannte Lehre („Malthusianism u s " ) , d a ß der den Menschen wie allen Lebewesen innew o h n e n d e Trieb zur V e r m e h r u n g durch b e w u ß t e Zügelung, im besonderen Aufschub der Eheschließung („moral restraint"), mit den durch den Boden gegebenen Ernährungsmöglichkeiten in Einklang gebracht werden müsse, da sonst die N a t u r durch H u n g e r , Seuchen usw. den Uberschuß ausmerzen werde. N a c h seinen Beobachtungen (namentlich in nordamerikanischen Siedlungen) nehme die Bevölkerung tendenziell in F o r m einer geometrischen Reihe (1, 2, 4, 8 . . . ) zu, w ä h r e n d die Bodenleistung nur in Form einer arithmetischen Reihe (1, 2, 3, 4, . . . ) steige. Die Politik müsse d a h e r alles vermeiden, w a s d a z u tendiert, die Bevölkerung zu erhöhen u n d dadurch die Versorgung p r o Kopf zu vermindern, wie Armenunterstützung. Die absolut begrenzte Bodenmenge u n d die Beobachtung, d a ß der Bodenertrag nicht p r o p o r t i o n a l zu einer z u n e h m e n d e n M e n g e auf dem Boden eingesetzter Arbeit steige, verhinderten, d a ß eine fortgesetzt wachsende Bevölkerung mit gleicher M e n g e an Bodenerzeugnissen p r o Kopf versorgt werden k ö n n e . M a l t h u s (in der 1. Aufl. seines Buches): „ W e r in einer bereits in Besitz g e n o m m e n e n Welt geboren wird, hat, w e n n er die Mittel zu seiner Existenz weder von seinen V e r w a n d t e n noch durch seine Arbeit finden kann, durchaus kein Recht auf Ern ä h r u n g . An der großen Tafel der N a t u r ist kein Gedeck f ü r

I. Grundlegung

49

ihn aufgelegt. Die Natur befiehlt ihm zu gehen und säumt auch nicht, ihren Befehl zu vollziehen." Unter Berufung auf Malthus entwickelte Darwin das Prinzip des Kampfes der Arten und des Überlebens der „Tüchtigsten" als allgemeines Gesetz der Evolution („Darwinismus"). In der vollständig veränderten 2. Auflage seines Werkes (1803) hat Malthus seine Theorie praktisch aufgehoben, da er eine mögliche Zügelung des natürlichen Vermehrungstriebes durch „moral restraint" anerkannte. Dann sind aber keine Erfahrungen mehr denkbar, durch welche die „Theorie" widerlegt (falsifiziert) werden kann und es ist keine Prognose mehr möglich. Jede Abweichung der Beobachtungswerte von den prognostizierten Werten könnte auf „moral restraint" zurückgeführt werden. Für die Völker des Abendlandes wurde das Theorem von Malthus durch die historische Tatsache widerlegt, daß in den letzten anderthalb Jahrhunderten eine sehr stark gestiegene Bevölkerung bei verringerter Arbeitszeit mit sehr stark gestiegener Versorgung pro Kopf ausgestattet werden konnte, dank der Fortschritte der Technik und der Erschließung überseeischer Gebiete. Im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung wird folgende „Gesetzmäßigkeit" für möglich gehalten: „Ein Volk, das wohlhabender und dessen hygienischer Standard verbessert wird, erlebt nach jahrhundertelangem, sehr langsamem Aufstieg seiner Bevölkerungszahl für einige Jahrzehnte, vielleicht sogar für ein ganzes Jahrhundert, einen beschleunigten Aufstieg durch einen Rückgang der Sterblichkeit, dem der Rückgang der Geburten nur mit zeitlichem Abstand folgt. Irgendwann einmal kommt diese Periode der raschen Bevölkerungszunahme zu einem Ende, die Zunahme verlangsamt sich, und es wird schließlich ein Zustand erreicht, in dem man bezweifeln muß, ob auf längere Sicht betrachtet, überhaupt noch eine nennenswerte Zunahme zu erwarten ist." (Fritz Baade, Welternährungswirtschaft. Rowohlts Deutsche Enzyklopädie. Hamburg 1956, S. 30.) Nach einer optimistischen Auffassung wird - entgegen dem Theorem von Malthus - der Bevölkerungsdruck als Stachel 4

Paulsen/Schilcher, Allgem. V o l k s w . I

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§ 4. Bevölkerung und Boden

(„challenge") zur Entwicklung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse gewürdigt. „Von Anfang an ist der Bevölkerungsdruck die Ursache des Fortschritts gewesen. Er führte zu der ursprünglichen Ausbreitung der Rasse. Er zwang die Menschen, ihre Beutegewohnheiten aufzugeben und sich der Landwirtschaft zu widmen. Er führte zur Kultivierung der Erdoberfläche. Er zwang die Menschen zum sozialen Leben und entwickelte soziale Gefühle. Er stachelte zu produktiven Fortschritten und zu vermehrter Geschicklichkeit und zu Intelligenz an" (Herbert Spencer, ähnlich Friedrich List). Die Erfahrungstatsache, daß steigender Wohlstand nicht notwendig zu steigender, sondern eher zu fallender Geburtenzahl führt und daß die Fortschritte in der Technik der landwirtschaftlichen Produktion die Ergiebigkeit der Landwirtschaft fortgesetzt erhöht haben, hat dazu beigetragen, daß die Menschenzahl in den industriell entwickelten Gebieten bisher nicht an eine Grenze der Versorgungsmöglichkeiten gestoßen ist. Diese auf die Vergangenheit industriell entwickelter Gebiete bezogene Feststellung kann jedoch kaum als Beurteilungsmaßstab für die Entwicklung des künftigen Versorgungsstandes der Weltbevölkerung herangezogen werden. Der landwirtschaftlich nutzbare Boden der Erde, von dem z. Z. die ertragsreichere, relativ leicht bebaubare Hälfte bearbeitet wird, beträgt etwa 3,2 Mrd. Hektar. Soll die gesamte Erdbevölkerung so gut ernährt werden wie gegenwärtig die der USA, benötigt man 0,9 Hektar pro Person. Das ist mehr Land, als für die Bodennutzung zur Verfügung steht. Hält das derzeitige Weltbevölkerungswachstum an, so wäre selbst bei einer Vervierfachung der landwirtschaftlichen Produktivität spätestens in der Mitte des nächsten Jahrhunderts eine hoffnungslose Land- und Nahrungsmittelknappheit die Folge (vgl. Meadows: Die Grenzen des Wachstums, Stuttgart, 1972). § 5. Technik 1. Technische Entwicklung Technik, verstanden als Gestaltung von Abläufen zum Erreichen bestimmter Zwecke, wurde zur „rationalen" Technik

I. Grundlegung

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durch die bewußte, namentlich wissenschaftlich fundierte Gestaltung und Durchdringung des Ablaufs mit dem Ziel, durch exakten (quantitativen) Vergleich von Einsatz und Ergebnis den höchstmöglichen Effekt zu erreichen. R a t i o n a l e T e c h n i k bildet sich durch wissenschaftliche Formulierung von Prinzipien, durch Anwendung dieser Prinzipien auf bestimmte technische Probleme und durch darauf aufgebaute Entwicklung technischer Erfindungen und Verfahren. D e r rationalen gehen die Stufen der magischen (Beeinflussung des Geschehens durch Z a u b e r , Ritus usw.) und namentlich der empirischen (traditionalen) T e c h n i k voraus. Es werden nach Erfahrung bewährte Regeln durch Lehre, zuweilen als Geheimnis, weitergegeben, oft werden sie durch Sitte oder Recht ausdrücklich gegen Veränderungen geschützt. Die rationale T e c h n i k tendiert dazu, mit den Fortschritten der Wissenschaft selbst fortzuschreiten, wobei neue Entdeckungen nicht mehr b l o ß e r Zufall sind, sondern teilweise selbst mit einer rationalen T e c h n i k (Versuchsreihen in Laboratorien usw.) systematisch gewonnen werden. D a m i t werden auch der T e c h nik Kräfte dienstbar gemacht, die der Mensch aus seiner unmittelbaren und direkten Erfahrung mit der N a t u r nicht kennt: Elektrotechnik, Atomtechnik. Statt der Erfahrung gewinnt in dieser Abfolge die theoretische Abstraktion wachsend an Bedeutung, die sogar die „Anschaulichkeit" hinter sich zu lassen beginnt. N e b e n dem zunehmenden U m f a n g der technischen Durchgestaltung der menschlichen Daseinsverhältnisse ist daher das Neue das sich ständig steigernde T e m p o der technischen Entwicklung, zugleich mit Verkürzung des Zeitraums, der zwischen der wissenschaftlichen Entdeckung und ihrer praktischen Anwendung liegt. Zwischen den sporadischen Erfindungen der Vorgeschichte (Bearbeitung des Flintsteins, Nutzung des Feuers, Z ä h m u n g der T i e r e , Metallbearbeitung) lagen jeweils J a h r h u n derte, wenn nicht Jahrtausende. Die Technik um das J a h r 1 4 0 0 war von der der R ö m e r noch nicht wesentlich verschieden. Nach langsamem Ansatz (Erfindung des Buchdrucks, des Pulvers, der Navigation) steigerte sich das T e m p o ( 1 7 8 0 - 1 8 3 0 : Einführung der Dampfmaschine), und zwar kumulativ, so daß 4'

52

§ 5. Technik

der heutige Mensch zu seinen Lebzeiten umwälzenden Veränderungen seiner Umwelt unterliegt. Eine „Entdeckung" ist die Feststellung und Isolierung von Relationen, die in der N a t u r vorliegen, eine „Erfindung" bedeutet die Durchführung neuer Kombinationen von Relationen, mit der menschlichen Zwecken gedient werden kann. Mit der Menge der Entdeckungen von „Naturgesetzen" steigt die Möglichkeit ihrer Kombinationen zu neuen Erfindungen. 2. Technik und Wirtschaft Die historische Verbindung moderner Technik mit moderner Wirtschaft hat die Gegenwart entscheidend gestaltet. Ihr Gemeinsames ist die rationale Wahl und Verwendung von Mitteln zum Erreichen von Zwecken, beides mit dem Akzent auf ständiger Verbesserung und Ausweitung der Herrschaft über die Mittel. Ein Unterschied zwischen Wirtschaft und Technik liegt in der Art der im Einsatz-Erfolg-Vergleich verwendeten Größen. Die der Technik sind natürliche, d. h. unveränderliche Größen (wie Energieeinheiten, Meterkilogramm usw.), das Ergebnis eines technischen Prozesses ist also grundsätzlich mit Gewißheit vorherzusagen. Der wirtschaftliche Vergleich dagegen verwendet Wertgrößen, nämlich mit Preisen bewertete Mengen, die aber zugleich psychisch und sozial bestimmt und selbst veränderlich sind; daher ist der wirtschaftliche Erfolg eines Produktionsvorganges selbst dann nicht gewiß, wenn sein technisches Ergebnis feststeht. Da die Technik es mit natürlichen Größen und Beziehungen zu tun hat, gibt es für sie kein autonomes „Wertgefälle"; z. B. läßt sich technisch nicht entscheiden, ob Dampf aus Wasser oder Wasser aus Dampf gewonnen werden soll. In der wirtschaftlichen Anwendung der Technik setzt daher die Wirtschaft die Daten als Werte, d. h., sie bestimmt die innerhalb der technischen Möglichkeiten zur Anwendung kommenden Verfahren bzw. die Nutzbarmachung neuer Erfindungen. „Die Herstellung von Dingen ist an sich noch nichts Wirtschaftliches, nur im Zusammenhang mit einem Wirtschaftsplan wird sie es." (v. Zwiedineck-Südenhorst).

I. Grundlegung

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Die Stadien der Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihrer Anwendung auf ein bestimmtes technisches Problem laufen der „Erfindung" als Form ihrer möglichen wirtschaftlichen Verwertbarkeit und ihrer eigentlichen Einführung in der Wirtschaft als „Neuerung" durchweg voraus. Erfindung ist ein wissenschaftlich-technischer Vorgang, Neuerung ein ökonomischer Vorgang („invention" - „innovation"). Hauptform der Einführung von Neuerungen ist der Einsatz ergiebigerer Produktionsmittel, also qualitative Veränderung des Realkapitals verbunden mit qualitativer Veränderung der Arbeit. Neben der logischen Beziehung der mittelwählenden Kraft der Zwecke wächst die Bedeutung der zwecksetzenden Kraft der Mittel, d. h., aus neuen technischen Möglichkeiten schafft die Wirtschaft neue Güter und weckt das Bedürfnis nach ihnen. Veränderungen in der Geschmacksrichtung der Verbraucher sind selten spontan, sondern regelmäßig durch Aktionen der Produzenten ausgelöst. Zur Produktionstechnik kommt mit wachsender Bedeutung hinzu die Technik der Absatzbeschaffung und -Sicherung. Die Bezeichnung der modernen Wirtschaft als „Kapitalismus" verweist auf bestimmte rechtliche und ökonomische Beziehungen („Privateigentum an Produktionsmitteln") und auf die Bedeutung des monetären (Finanz-)Kapitals und namentlich des realen Kapitals (Anlagen, Maschinen usw.) im Produktionsund Verteilungsprozeß. Die höhere technische Leistungsfähigkeit der Maschinenarbeit beruht u. a. auf 1. der Ausnutzung nicht-menschlicher Energie, 2. der für menschliche Arbeit unerreichbaren Geschwindigkeit in der Durchführung der Prozesse, 3. der Genauigkeit in der Wiederholung der Prozesse, 4. der exakt bestimmbaren Höhe des Energieeinsatzes an einem Punkt, 5. dem Fehlen des Faktors Ermüdung. Das wirtschaftliche Ausnutzen der Maschinenarbeit setzt in der Regel Massenproduktion voraus, die die individuelle Fertigung

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§ 6. Arbeitsteilung

des einzelnen Stücks verdrängt. Jede Arbeitsverrichtung, die auf sich gleichmäßig wiederholende Vorgänge zu reduzieren ist, wird früher oder später durch Maschinenarbeit übernommen. - Massenproduktion ist die Methode, mit der neue Güter verbilligt und so dem Versorgungsbedarf weiter Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht werden. „Automation" ist technisch gesehen der Vorgang, „daß an Stelle getrennter mechanisierter Erzeugungs- und Transportprozesse eine Integration aller Arbeitsvorgänge in einen fließenden Gesamtprozeß tritt, der von elektronischen Geräten gesteuert und überwacht wird. . . . Bei vollständiger Durchführung der Automation bleibt die Rolle des arbeitenden Menschen in der Produktion auf die Wahrnehmung der Kontrolle und die Behebung von Störungen der Aggregate beschränkt." (Th. Wessels). Kennzeichen wachsender „kapitalistischer" Produktion ist, daß im Zusammenwirken von Arbeit und „Kapital" in der Produktion die Arbeit relativ teurer, die Kapitalleistung relativ billiger wird. Das ist zugleich ein Ausdruck für die erhöhte reale Versorgung der Menschen durch die Produktion: das „Realeinkommen" je Arbeiter als Ergebnis der Leistung einer Arbeitseinheit (z. B. Arbeitsstunde) steigt. § 6 . Arbeitsteilung 1. Spezialisierung und Integrierung Solange die Einzelwirtschaften vorwiegend Produktion für Eigenverbrauch betreiben, ist die Gesellschaftswirtschaft ein nur lockerer Verband selbstversorgender (autonomer) Einheiten. Je stärker dagegen die Wirtschaftspläne der Wirtschaftssubjekte auf den Absatz spezialisierter Leistungen an andere und auf den Bezug des Eigenbedarfs an Gütern und Leistungen von anderen ausgerichtet sind, um so mehr werden die Einzelwirtschaften Glieder eines integrierten Ganzen. Die Spezialisierung erhöht das Leistungsvermögen der Teile, aber um den Preis stärkerer Abhängigkeit vom Ganzen: die ökonomische Wohlfahrt jedes einzelnen wird abhängig von der allgemeinen Wirtschaftslage.

I. Grundlegung

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Die Beziehung zwischen dem G r a d der Spezialisierung der Teile und der Integrierung des Ganzen gilt als allgemeines Gesetz der Entwicklung von Organismen und gesellschaftlichen Gebilden: je spezialisierter (differenzierter) die Teilleistungen, um so höher der G r a d der Integration. Die Leistungssteigerung spezialisierter Teile wird bewirkt durch Entwicklung und Ausnutzen besonderer Fertigkeiten, Schaffung und Verwendung spezialisierter Einrichtungen und Verfahrensweisen sowie Vermeidung kraft- und zeitbeanspruchender U m stellungen. Soweit die Spezialisierung der Leistungen mit einem Verlust an „ G a n z h e i t " dieser Leistungen verbunden ist, darf das keineswegs mit einer Einbuße an wirtschaftlicher Freiheit durch wachsende Abhängigkeit gleichgestellt werden. Im A u s m a ß dar Spezialisierung und Integrierung wächst der Bereich der wirtschaftlich möglichen Wahlhandlungen sowohl auf dem Produktions- wie auf dem Verbrauchssektor, und gerade das M a ß der freien Wahlhandlungen ist mitbestimmend für den Begriff des Grades an wirtschaftlicher Freiheit. 2 . Arbeitsteilung und Tauschwirtschaft Im Bereich des gesellschaftlichen Wirtschaftens heißt die Spezialisierung der Leistungen „Arbeitsteilung". Sie kann um so weiter geführt werden, je größer die integrierte Ganzheit ist; das heißt in der Tauschwirtschaft: je größer der „ M a r k t " ist. Hierauf beruht namentlich der ökonomische Vorteil des offenen Weltmarktes. „ W e i t e " des M a r k t e s ist nicht nur im Sinne der räumlichen Ausdehnung zu verstehen, so daß durch verbesserte T r a n s p o r t leistungen (verminderte Transportkosten einschließlich Senkung der Zölle) der M a r k t ausgeweitet wird. Auch die Vergrößerung der Kaufkraft durch erhöhte Produktivität innerhalb eines gegebenen Raumes vergrößert den M a r k t für die einzelnen Produkte und ermöglicht stärkere Arbeitsteilung in deren Produktion und Absatz. D i e Verbindung der Teilleistungen innerhalb einer Wirtschaftseinheit (Produktionsunternehmung, Haushalt) erfolgt durch eine organisierende Instanz (Unternehmensführung, Leiter des

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§ 6. Arbeitsteilung

Haushalts). Die Verbindung der Einheit nach außen dagegen geschieht in der verkehrswirtschaftlichen Ordnung durch Austausch („Tauschwirtschaft", „Marktwirtschaft"). In einer zentralgeleiteten Wirtschaft wird auch für die Volkswirtschaft als Ganzes die Verbindung der Teilleistungen durch zentrale Entscheidungsinstanzen „organisiert"; bei total zentralgeleiteter Wirtschaft („totaler Zwangswirtschaft") stellt die Volkswirtschaft eine einzige, unter einheitlichem Willen stehende Wirtschaftseinheit dar. Leistungssteigerung durch Arbeitsteilung gehört zu den am frühesten erkannten ökonomisch-technischen Erscheinungen (z. B. Piaton, 4 2 7 - 3 4 7 v. Chr.) und wurde vor allem durch Adam Smith (1723-1790) in das System der Wirtschaftswissenschaft eingebaut. In der arbeitsteiligen Volkswirtschaft tendiert unter Wettbewerbsbedingungen jede Wirtschaftseinheit zur Spezialisierung auf eine Leistung, in deren Erstellung sie die relativ größte Überlegenheit hat, vorausgesetzt, auf dem Markt wird das Produkt in ausreichendem Maße nachgefragt. Tab. 5: Wirtschaftssubjekt A:

Einheiten von GutI und oder oder oder oder oder

10 8 6 4

2 0 Einheiten von GutI und

Wirtschaftssubjekt B:

oder oder oder oder

8 6 4 2 0

Gut II 0 1 2 3 4 5 Gut II 0 0,5 1 1,5 2

I. Grundlegung

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Zwei Wirtschaftssubjekte A und B mögen bei gleichem absoluten Aufwand an Produktionsfaktorleistungen (z. B. 100 Arbeitsstungen; sog. „reale" Kosten) pro Periode die in Tabelle 5 aufgeführten Gütermengenkombinationen erstellen können. Die geometrische Veranschaulichung der produzierbaren unterschiedlichen Gütermengenkombinationen ergibt die Produktionsmöglichkeitenkurven (Transformationskurven) der beiden Wirtschaftssubjekte. Sie sind in Abbildung 3 eingezeichnet. Es wird beliebige Teilbarkeit der Güter unterstellt, weshalb die Kurven kontinuierlich verlaufen.

Wirtschaftssubjekt A ist demnach Wirtschaftssubjekt B sowohl bei der Erstellung des Gutes I als auch bei der Erstellung des Gutes II absolut überlegen. Mit 100 Arbeitsstunden erzeugt A maximal 10 Einheiten des Gutes I oder 5 Einheiten des Gutes II, während B nur maximal 8 Einheiten I oder 2 Einheiten II zu produzieren vermag. Die realen Kosten p r o Stück des Gutes I

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§ 6. Arbeitsteilung

betragen für A 10 Arbeitsstunden (100 : 10) und für B 12,5 Arbeitsstunden (100 : 8). Bei Gut II betragen die Durchschnittskosten für A 2 0 (100 : 5) und für B 5 0 (100 : 2) Arbeitsstunden. Dennoch ist es möglich, daß sich A und B mit Vorteil auf die Fertigung ihrer relativ günstigsten Leistung spezialisieren. D a die Produktionsrelation zwischen I und II für A 2 Einheiten I : 1 Einheit II für B 4 Einheiten I : 1 Einheit II beträgt, ist A in der Fertigung von Gut II dem B, B in der Fertigung von Gut I dem A relativ überlegen. D. h.: A kann statt einer Einheit des Gutes II zwei Einheiten des Gutes I produzieren; entsprechend kann B bei Wegfall einer Einheit des Gutes II vier Einheiten von Gut I zusätzlich erstellen. Die Produktiönsüberlegenheit des A ist demnach bei G u t II stärker als bei Gut I. Ist die Tauschrate auf dem M a r k t zwischen den beiden internen Produktionsrelationen gelegen, also zwischen 2 : 1 und 4 : 1, und beträgt diese z. B. 3 Einheiten I zu 1 Einheit II, so erhält A für 5 Einheiten II im Austausch 15 (statt 10) Einheiten I, B für 8 Einheiten I im Austausch 2 , 6 6 (statt 2) Einheiten II. Beide Tauschpartner werden sich daher auf die Produktion des Gutes mit den relativ günstigsten Kosten spezialisieren (komparativer Kostenvorteil). Wieviele Einheiten der spezialisierten Leistungen tatsächlich getauscht werden, hängt von den Bedarfsstrukturen der Wirtschaftssubjekte ab. Sind A und B alleinige Tauschpartner und fragt A für den Eigenbedarf lediglich Gut I nach, während sich B nur für G u t II interessiert, dann ist B bei dem angenommenen Tauschverhältnis von 3 : 1 aufgrund seiner beschränkten Produktionskapazität nicht in der Lage, A's Nachfrage zu befriedigen. B vermag maximal 8 Einheiten von Gut I zu erstellen, während A für 5 Einheiten II 15 Einheiten I nachfragt. Ist A dagegen auch am Verbrauch des Gutes II interessiert, so wäre folgende Konstellation denkbar: A kauft bei B 8 Einheiten I für 2 , 6 6 Einheiten II und behält 2 , 3 4 Einheiten für den eigenen Verbrauch. Möglich ist jedoch auch, daß sich A unter diesen Voraussetzungen nur teilweise auf die Produktion des Gutes II

I. Grundlegung

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spezialisiert. A könnte z. B. 2,66 Einheiten II fertigen, gerade genug, um 8 Einheiten I zu kaufen. Dazu benötigt A 53,20 Arbeitsstunden und könnte mit den restlichen 46,80 Arbeitsstunden zusätzlich noch 4,68 Einheiten I produzieren. A verfügt dann nach vollzogenem Tausch insgesamt über 8 + 4,68 = 12,68 Einheiten I (ohne Tausch maximal 10) und B über 2,66 Einheiten II (ohne Tausch maximal 2). Offensichtlich ist für beide Wirtschaftspartner bereits eine unvollkommene Produktionsspezialisierung von Vorteil. Das hier behandelte Prinzip wurde unter der Bezeichnung „Gesetz der komparativen Kosten" zuerst für den Außenhandel entwickelt (namentlich durch Ricardo, 1772-1823), gilt aber allgemein für Arbeitsteilung und Leistungstausch. Ein Rechtsanwalt z. B., der seiner schlechten Sekretärin sowohl in der Erledigung der Schreibarbeiten als natürlich auch bei der Behandlung von Rechtsfällen überlegen ist, wird seine Sekretärin nicht entlassen, sondern sich mit Erfolg auf die Bearbeitung juristischer Probleme konzentrieren, weil hier seine relative Überlegenheit am stärksten ist. Das durch die Spezialisierung erzielbare zusätzliche Einkommen ist größer als eine mögliche Kostenersparnis in Höhe des Gehaltes der Sekretärin. Allgemein ausgedrückt erklärt dieses Prinzip, daß die Tauschwirtschaft „unterlegene" Leistungsmöglichkeiten nicht ausgliedert und ungenutzt läßt, sondern sie eingliedert und am Tauschverkehr beteiligt. 3. Produktion Wichtigstes Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist die Trennung der Produktionswirtschaftseinheiten, „Betriebe" oder „Unternehmungen" genannt, von den „Haushalten" als Verbrauchswirtschaftseinheiten. Diese Einheiten sind die wichtigsten Pole des Tauschverkehrs, indem die Haushalte durch Leistungen in Unternehmungen Einkommen erzielen und es durch Güterbezug von Unternehmungen verwenden. Die Terminologie ist, was die Produktionswirtschaftseinheiten betrifft, nicht einheitlich. Häufig werden „Betriebe" als technische Einheiten zur Durchführung der Produktion von „Unternehmungen" als den wirtschaftlichen Einheiten, die auch meh-

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§ 6. Arbeitsteilung

rere Betriebe umfassen können, unterschieden. Des weiteren wurde versucht, den Begriff „Betrieb" als einen die „Haushalte" und „Unternehmungen" umfassenden Oberbegriff einzuführen (E. Kosiol). Schließlich kann mit „Unternehmung" auch eine bestimmte historische Erscheinungsform, nämlich der Betrieb in einem marktwirtschaftlichen System, gemeint sein (E. Gutenberg). Produktion im wirtschaftlichen Sinne ist jede in Unternehmungen (Betrieben) erfolgende Erzeugung bzw. Bereitstellung von Sachgütern und Dienstleistungen. Sie erfolgt durch Kombination spezialisierter Leistungen von Produktionsfaktoren. In lehrgeschichtlicher Tradition werden namentlich drei Gruppen von Produktionsfaktoren bzw. Faktorleistungen unterschieden: 1. Arbeit: Alle manuellen und geistigen Tätigkeiten von Menschen, die durch Lohn (Gehalt, H o n o r a r usw.) entgolten werden. Die leitende Tätigkeit von Unternehmern wird gelegentlich als gesonderter Produktionsfaktor (dispositive Arbeit) angesehen. Die Differenzierung ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. 2. Boden: Bewirtschaftete Bestände nicht produzierter Naturgaben (Bodenschätze, Felder, Wälder, Gewässer), deren N u t z u n g im Produktionsprozeß Bodenertrag (Bodenrente) erbringt. 3. Kapital (Realkapital): Produzierte Güter (Werkzeuge, Maschinen, Anlagen), die im Produktionsprozeß eingesetzt werden (produzierte Produktionsmittel). Der ihnen zugerechnete Anteil am Produktionswert heißt Kapitalertrag oder Kapitalzins. Diese Systematik stellt eine Grobeinteilung dar. Die einzelnen Gruppen lassen sich nicht immer scharf trennen. So ist der Boden in seiner Qualität veränderlich und kann insoweit auch als produziertes Gut (Kapitalgut) angesehen werden. Ferner sind die jeweils zu einer Gruppe gehörenden Faktorleistungen nicht gleichartig (homogen). Umweltsbedingungen wie Klima, Rechtsordnung, Wirtschaftsgesinnung usw. beeinflussen die Ergiebigkeit des Faktorein-

I. Grundlegung

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satzes, sind aber selbst keine Produktionsfaktoren im ökonomischen Sinne. Die Produktionstechnik bestimmt Arten, Qualitäten und Kombinationsformen der Einsatzfaktoren. Sie wird bisweilen in der ökonomischen Analytik als isolierbarer Einsatzfaktor behandelt. Geld (Geldkapital) wird in der Regel nicht als Produktionsfaktor angesehen, weil es keine direkte Quelle der Produktion darstellt. Jedoch kann die Bereitstellung investierbarer Geldmittel (Kapitaldisposition) als indirekter Produktionsbeitrag gewertet werden. Das Angebot von Geldmitteln für die gegenwärtig aufzuwendenden Kosten der Produktion zur Überbrückung der Zeitspanne bis zum Eingang des Produktionserlöses ist eine Leistung, die knapp und begehrt ist und daher einen Preis (Zins) erzielt. Volkswirtschaftlich ist das Geld darüber hinaus insofern „produktiv", als es die Tauschakte der Wirtschaftssubjekte erleichtert, ihnen also im Gegensatz zur Nicht-Geldwirtschaft (reine Güter-Tauschwirtschaft) Tauschkosten (Transaktionskosten) erspart. Mit dem Ausdruck „Umwegsproduktion" (Böhm-Bawerk) wird im besonderen der Umstand bezeichnet, daß der Einsatz der Produktionsfaktoren häufig nicht direkt auf die zum Verbrauch bestimmten Güter zielt, sondern primär auf eine Apparatur, die die Erstellung der Güter erleichtert und fördert. Jede Anlage, Maschine usw. ist so gesehen ein „Umweg", da alle diese „Kapitalgüter" letzten Endes auf Verbrauchsgüter bzw. Leistungen von zu verbrauchenden Diensten abgestellt sind.

II. Methodenfragen § 7. Wissenschaftliches Denken 1. Methodik und Systematik Wissenschaftliches Denken ist zunächst und vor allem methodisches Denken. Dabei versteht man unter „wissenschaftlicher Methode" ein planmäßiges Verfahren zur Lösung wissenschaftlicher Aufgaben. Beschreibung, Erklärung oder Vorhersage eines bestimmten Sachverhaltes können derartige Aufgaben sein. Die Lehre von den wissenschaftlichen Methoden — genannt „Methodologie" - ist lange Zeit als Teilgebiet der Erkenntnistheorie und der Logik aufgefaßt worden, die allen Einzelwissenschaften (Natur- und Geisteswissenschaften) vorausgehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich mit dem Bedeutungsverlust der Philosophie als einer generellen Seinslehre (Lehre von der grundsätzlichen Beschaffenheit der Welt) der Rang der Methodologie beträchtlich erhöht. In gewissem Sinne ersetzt sie die herkömmliche Philosophie als einzige über den Einzelwissenschaften stehende und diese verbindende Disziplin. Neben der für alle Wissenschaften relevanten Methodologie (auch oft als „Wissenschaftswissenschaft" bezeichnet) bestehen jeweils fachspezifische Methodologien, die auf die Art und Weise der jeweiligen Erkenntnisgegenstände Bedacht nehmen. Wissenschaftliches Denken ist außerdem prinzipiell systembildendes Denken. Das Bestreben, erforschte Beziehungen, Abhängigkeiten, Bestimmungsgründe usw. in einen systematischen Zusammenhang einzubringen ist außerordentlich stark. „Wissenschaftliche Systeme", auf allgemeinen Grund-Sätzen aufbauende Ordnungen von Einzelerkenntnissen, haben oft den Charakter von „Schulen" oder Lehrgebäuden angenommen. So lassen sich die Schulen der Volkswirtschaftslehre mehr oder minder deutlich nach ihren unterschiedlichen systemtragenden

§ 7. Wissenschaftliches Denken

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Prinzipien unterscheiden. D a s E r f o r d e r n i s der S y s t e m a t i s i e r u n g ist k a u m u m s t r i t t e n , u m so m e h r a b e r die F r a g e n nach der V e r e i n b a r k e i t , V o l l s t ä n d i g k e i t usw. der s y s t e m t r a g e n d e n G r u n d sätze in c o n c r e t o . D a s wird uns im Bereich der inhaltlichen D a r s t e l l u n g ö k o n o m i s c h e r S a c h v e r h a l t e in diesem u n d den f o l g e n d e n B ä n d e n i m m e r wieder b e g e g n e n . Wissenschaftliches D e n k e n m u ß m e t h o d i s c h e s D e n k e n sein. I n s o f e r n ist M e t h o d e n b e w u ß t s e i n ein C h a r a k t e r i s t i k u m wissenschaftlicher H a l t u n g . T a t s ä c h l i c h folgt der W i s s e n s c h a f t l e r , o b er das ausdrücklich ausweist o d e r nicht, stets b e s t i m m t e n M e t h o d e n , die er in der R e g e l unter m e h r e r e n v e r f ü g b a r e n a u s w ä h l t . Seine E n t s c h e i d u n g für b e s t i m m t e M e t h o d e n ist T e i l des D e n k p r o z e s s e s , sie k a n n das schließlich erzielte F o r s c h u n g s ergebnis wesentlich beeinflussen. 2 . Die Bedeutung der M e t h o d i k I m H i n b l i c k auf den Stellenwert, der m e t h o d o l o g i s c h e n E r ö r t e r u n g e n in der V o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e zugebilligt w i r d , zeigt die Geschichte dieser W i s s e n s c h a f t einen ausgeprägten P h a s e n wechsel. Z e i t w e i l i g w u r d e n M e t h o d e n p r o b l e m e so u m f a n g r e i c h reflektiert, d a ß dies fast die U n t e r s u c h u n g der S a c h p r o b l e m e ü b e r w u c h e r t h a t , zeitweilig dagegen n ä h e r t e n sich die F o r s c h e r i h r e m O b j e k t eher in m e t h o d o l o g i s c h e r N a i v i t ä t . G e g e n w ä r t i g hat die kritische R e f l e x i o n der a n g e w a n d t e n M e t h o d e n wieder beträchtlich an B e d e u t u n g g e w o n n e n . M e t h o d e n f r a g e n w e r d e n nicht n u r in Spezialuntersuchungen diskutiert, sondern dringen auch in allgemeine S y s t e m d a r s t e l l u n g e n u n d in L e h r b ü c h e r v o r . S o ist m a n sich m i t e i n e m gewissen E r s t a u n e n dessen b e w u ß t g e w o r d e n , d a ß m a n c h e A u t o r e n ihre Leser d a r ü b e r im U n k l a r e n ließen u n d zuweilen n o c h lassen, o b sie jeweils einen raum-zeitlich b e s t i m m t e n Ausschnitt der wirklichen W i r t s c h a f t beschreiben u n d „ e r k l ä r e n " , o d e r ein gedanklich k o n s t r u i e r t e s , abstraktes „ M o d e l l " . Z u n e h m e n d b e m ü h e n sich die W i s s e n s c h a f t l e r d a r u m , k l a r auszuweisen, w a s sie bei ihrer F o r s c h u n g s a r b e i t tun u n d m i t w e l chen M i t t e l n sie diese A r b e i t leisten, w e n n „die W i r t s c h a f t " o d e r T e i l e v o n ihr jeweils z u m O b j e k t wissenschaftlichen N a c h d e n k e n s g e m a c h t w e r d e n . T r o t z dieser grundsätzlichen E i n -

II. Methodenfragen

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mütigkeit in der Beurteilung der Methodik sind Einzelfragen, wie z. B. Relevanz, Angemessenheit, Zulässigkeit, Fruchtbarkeit usw. der in der Volkswirtschaftslehre angewandten Methoden weiterhin umstritten, wie in anderen Wissenschaften auch. Die folgenden Ausführungen über Methodenprobleme erscheinen uns daher notwendig, wenn sie auch nur kurz und deshalb stark vereinfachend sein können. Neben jener Methodik, die sich auf die Ermittlung und Prüfung von wissenschaftlichen Erkenntnissen bezieht (siehe dazu §§ 9 ff.), der „Forschungslogik" (K. Popper), gibt es auch die Methodik der Darstellung und Vermittlung der wissenschaftlichen Kenntnisse, wie sie üblicherweise im akademischen Lehrbetrieb erfolgt (vgl. § 8). Beide Methodenbereiche sind eng verbunden. Bereits die Festlegung des Gegenstandes einer Wissenschaft, wie der hier darzustellenden Volkswirtschaftslehre, ist - auch - eine Methodenfrage. Weniger als das analytische Ziel der wissenschaftlichen Untersuchung („Beschreiben", „Erklären", „Verstehen" usw.) oder die Darstellungsmethode (verbal, graphisch, mathematisch usw.) ist die Einteilung nach dem untersuchten Gegenstand das Gliederungsprinzip der Wissenschaften insgesamt und ebenso der Einzelwissenschaften. Methodische Überlegungen fließen dabei in reichem Maße ein. Wir wenden uns zunächst dem Verhältnis von Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre zu und anschließend der Frage einer möglichen Gliederung der letzteren. § 8. Wirtschaftswissenschaft 1. Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre a) Historische

Entwicklung

„Wirtschaftslehre" ist die Wissenschaft vom menschlichen Wirtschaften. Sie befaßt sich mit jenem Teil des (in der Wirklichkeit komplexen) Planens und Handelns der Menschen, welcher sich auf Verfügen über knappe Mittel zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung bezieht. Herkömmlicherweise wird die Wirtschaftslehre in zwei selbständige Teile, nämlich in Volkswirt-

§ 8. Wirtschaftswissenschaft

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schaftslehre und Betriebswirtschaftslehre, gegliedert. Diese Sonderung kann aus der historischen Entwicklung des Fachs heraus verstanden werden, wie sie sich vor allem im deutschen Sprachraum vollzogen hat. Die Wirtschaft wurde erst bemerkenswert spät, nämlich vor kaum mehr als zweihundert Jahren, zum Erkenntnisobjekt einer besonderen Wissenschaft. Voraussetzung war zum einen, daß sich Rationalismus und Individualismus als geistige Kräfte, welche Wertnormen und Denkweisen der Menschen prägten, gegen Mystik und Universalismus zumindest oberflächlich durchgesetzt hatten. Voraussetzung zum anderen waren realgeschichtliche Vorgänge, wie Entstehung des modernen Staates, Aufstieg des Bürgertums, manufakturelle und industrielle Produktionsweise, städtische Lebensform, technologische Revolution usw. Mit der sich entwickelnden Überzeugung von der Existenz eines autonomen Bereichs „Wirtschaft" innerhalb der Gesellschaft, einer Überzeugung, die realen gesellschaftlichen Entwicklungen entsprach, konnte sich - ausgehend von England - die Lehre von der Wirtschaft als selbständige Wissenschaft etablieren. Sie wurde zur wissenschaftlichen Domäne des Bürgertums, wenn auch lange Zeit stark ideologisch und apologetisch gefärbt. Die institutionelle Eingliederung eines wirtschaftswissenschaftlichen, oder doch überwiegend wirtschaftswissenschaftlichen Studienganges in die deutsche Universität bedeutete das Avancement der Volkswirtschaftslehre zu einer eigenständigen akademischen Disziplin. Das geschah erst vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert. Zahlreiche juristische Fakultäten wurden zu rechts- und staatswissenschaftlichen, woran sich mancherorts bis heute nichts geändert hat. Das Ausbildungsziel war bestimmt vom Typ eines ökonomisch und juristisch gleichermaßen gebildeten Beamten, tätig in öffentlicher Wirtschaftsverwaltung, in Kammern, Verbänden usw. Die Betriebswirtschaftslehre entfaltete sich weitgehend unabhängig davon. Der Bedarf an hochqualifizierten Kaufleuten führte seit der Jahrhundertwende zur Entwicklung von selbständigen Handelshochschulen. Erst nach und nach erreichten diese z. T . den Status von Universitäten, ein Vorgang der bis in 5

Paulsen/Schilchcr, Allgem. Volksw. I

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II. Methodenfragen

unsere T a g e reicht, w ä h r e n d sich auf der anderen Seite die „ k l a s s i s c h e n " Universitäten zunehmend entschlossen, auch ihrerseits betriebswirtschaftliche Studiengänge einzurichten. Es scheint nun so, daß die getrennte Entstehung und Entwicklung der beiden Hauptrichtungen der Wirtschaftslehre nachträglich einer sachlichen und methodischen B e g r ü n d u n g bedurfte. Diese f a n d sich v o r w i e g e n d in der B e h a u p t u n g , daß z w a r das sog. „ E r f a h r u n g s o b j e k t " Wirtschaft einheitlich sei, seine wissenschaftliche Erhellung aber zweier getrennter, wie man d a m a l s sagte „ E r k e n n t n i s o b j e k t e " bedürfe. D e r V o l k s w i r t schaftslehre w u r d e die F u n k t i o n s w e i s e der G e s a m t w i r t s c h a f t eines Staatsvolkes, der Betriebswirtschaftslehre das Funktionieren eines einzelnen Betriebs, b z w . einer Produktionsunternehm u n g , als Erkenntnisobjekt zugesprochen. An möglichen Begründungen mangelte es nicht. Eine solche Rechtfertigung lieferte z. B. das Selbstverständnis mancher Betriebswirte, das auf die alte „ P r i v a t w i r t s c h a f t s l e h r e " zurückzuführen ist, und nach d e m das Fach als Kunstlehre den Unternehmungsleitungen Verfahrensregeln zur G e w i n n m a x i m i e r u n g zu liefern habe. D e m g e g e n ü b e r verstanden manche V o l k s w i r t e die V o l k s w i r t schaftslehre stärker als „ r e i n e " Wissenschaft, postulierten auch die „ z w e c k f r e i e " Erkenntnis der ökonomischen Interdependenzen und rückten ihr Fach n ä h e r an Bereiche, die philosophischer Problemstellung zugänglich sind. D a n e b e n w u r d e auch auf Unterschiede in den a n g e w a n d t e n M e t h o d e n verwiesen. b) Einheit der

Wirtschaftswissenschaft

Alle diese feinsinnigen E r w ä g u n g e n können nicht d a r ü b e r hinwegtäuschen, d a ß v o r allem der historische Z u f a l l richtungweisend w a r . D e s h a l b ist es verständlich, daß in der G e g e n w a r t Tendenzen zur Konzentration des wirtschaftswissenschaftlichen Stoffes und speziell zur Integration von V o l k s - und Betriebswirtschaftslehre zu einer nach O b j e k t und M e t h o d i k einheitlichen W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t deutlich werden. S o w i r d k a u m bestritten, d a ß z. B. die volkswirtschaftliche A n a l y s e der M a r k t preisbildung von der Untersuchung der V o r g ä n g e in der einzelnen Unternehmung, die ja schließlich die Preise setzt, auszugehen hat, w ä h r e n d andererseits die innerbetrieblichen D i s p o s i tionen zu einem entscheidenden T e i l als R e a k t i o n e n auf die

§ 8. Wirtschaftswissenschaft

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Veränderung der M a r k t v a r i a b l e n verstanden werden müssen. Strittig ist allerdings die Konsequenz daraus, nämlich ob die enge wechselseitige Beziehung es noch als sinnvoll erscheinen läßt, in der einen „Wissenschaft" Betriebswirtschaftslehre die Dispositionen des einzelnen bei gegebenen M a r k t d a t e n , in der anderen „Wissenschaft" Volkswirtschaftslehre die Entwicklung der M a r k t g r ö ß e n bei gegebenem Verhalten der einzelnen M a r k t t e i l n e h m e r zu untersuchen. Solche Erwägungen beschränken sich aber keineswegs auf die Preistheorie, soweit sie sich als T h e o r i e der Marktpreisbildung mit den Vorgängen auf einzelnen M ä r k t e n befaßt. Einzelwirtschaftliche Ansätze, d. h. ein genaues Studium des Planens und Handelns einzelner Wirtschaftssubjekte, finden sich ebenso in der volkswirtschaftlichen Inflationstheorie, wie andererseits Einsicht in den Charakter des gesamtwirtschaftlichen Phänomens Inflation zur Beschreibung und Erklärung einzelwirtschaftlicher Dispositionen und zur Prognose von deren Wirkungen unerläßlich ist. Ähnliches gilt für die Verteilungstheorie, die Wachstumstheorie und weitere Bereiche der Wirtschaftslehre. M e h r noch: für eine umfassende T h e o r i e der wirtschaftlichen Entscheidungen und andere moderne Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft läßt sich die Frage, ob hier Volkswirtschaftslehre oder Betriebswirtschaftslehre im traditionellen Sinne vorliegt, überhaupt nicht mehr sinnvoll stellen und beantworten. So reduziert sich nach unserer Auffassung der Unterschied zwischen den beiden wirtschaftswissenschaftlichen Teilgebieten auf die Unterschiedlichkeit der Fragestellung oder des Forschungsprojektes. Das Resultat sind nicht zwei verschiedene „Erkenntn i s o b j e k t e " , konstitutiv für zwei gesonderte wissenschaftliche Disziplinen, sondern ist allenfalls eine Dichotomie der theoretischen Perspektive, d. h. von m a k r o ö k o n o m i s c h (gesamtwirtschaftlich) und mikroökonomisch (einzelwirtschaftlich) ansetzender Analyse. Würde sich die Idee einer einheitlichen Wirtschaftswissenschaft durchsetzen, so wären die Konsequenzen für den Aufbau der Lehre beträchtlich, insofern handelt es sich nicht um ein l'art pour l'art-Problem. Auch die Forschung würde davon nicht unberührt bleiben. Tatsache ist aber, daß auf absehbare Zeit in 5'

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II. Methodenfragen

der akademischen Praxis überwiegend mit den beiden in Deutschland traditionell verfestigten gesonderten Studiengängen und -abschlüssen gerechnet werden muß. D a r ü b e r hinaus gilt die Feststellung, d a ß sich in den Einzelheiten der Fragestellungen, der speziellen M e t h o d e n und selbst d e r T e r m i n o l o gie gegenwärtig Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre nicht so nahtlos zusammenfügen, wie es der Sache nach möglich und im Sinne einer vernünftigen wissenschaftlichen und pädagogischen Arbeitsteilung begrüßenswert wäre. Es sind auch nicht viele Bemühungen erkennbar, über Grundsatzerwägungen hinauszugehen und diesen Zustand zu ändern. D a r a u s ergibt sich für den Volkswirt die merkwürdige, ja fast p a r a d o x e Lage, daß er innerhalb seines Teilgebiets neben der gesamtwirtschaftlichen auch die einzelwirtschaftliche T h e o r i e , aus der er ja die gesamtwirtschaftlichen T h e o r e m e herleitet, betreiben muß. G e n a u e r : die gegenwärtige Volkswirtschaftslehre enthält Elemente der individuellen Analyse einzelner Haushalte und Unternehmungen, der partiellen Analyse einzelner M ä r k t e und der totalen Analyse der Gesamtwirtschaft. Dabei finden mikroökonomische (einzelwirtschaftliche) und m a k r o ö k o n o m i sche (gesamtwirtschaftliche, aggregierte) Variable Verwendung. So geschieht es auch in diesen Bänden. 2 . Gliederung der Volkswirtschaftslehre

a) Volkswirtschaftstheorie, Finanzwissenschaft

Volkswirtschaftspolitik,

Wenden wir uns nun der traditionellen Einteilung der Volkswirtschaftslehre zu. D e r deutschen Wirtschaftswissenschaft wurde diese von Karl Heinrich R a u ( 1 7 9 2 - 1 8 7 0 ) , dem zu seiner Zeit höchst einflußreichen Lehrbuchschreiber und maßgeblichen Wegbereiter klassischer Ideen, gegeben. In Anklängen an k a m e ralistische Autoren unterschied er erstmals zwischen theoretischer Volkswirtschaftslehre (später auch „allgemeine" V o l k s wirtschaftslehre, Volkswirtschaftstheorie genannt), Volkswirtschaftspolitik („spezielle" Volkswirtschaftslehre) und Finanzwissenschaft. Diese Gliederung hat bis heute Bestand. Es kann auch nicht bestritten werden, d a ß sie sich im akademischen Unterricht als praktikabel erwies, wenn auch die Frage unent-

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schieden ist, ob eine andere Stoffgliederung nicht zu besseren Ergebnissen auch in der Lehre geführt hätte. Wesentlicher ist, daß die genannte Einteilung auf einer Voraussetzung beruht, die seit geraumer Zeit nicht mehr akzeptiert werden kann. Der Sinn dieser Gliederung erschließt sich nämlich, wenn man vom Denken des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ausgeht und wird höchst zweifelhaft, wenn wir zeitgenössische Vorstellungen und Einsichten zugrunde legen. Die Klassiker postulierten eine „natürliche" O r d n u n g und einen „natürlichen" Ablauf der Wirtschaft, d. h. einen Zustand der Gesellschaft, in dem die Individuen frei ihre selbstbestimmten Zwecke verfolgen, ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse nachstreben. Der Staat setzt dagegen höchstens formale Normen der Koordination, greift aber inhaltlich in die Pläne der einzelnen in keiner Weise ein und wird daher am besten weggedacht. Es war die gefeierte Entdeckung jener Zeit, daß daraus nicht Chaos, sondern Harmonie entstehen würde. In diesem natürlichen Zustand der Gesellschaft herrschen natürliche Gesetze des Wirtschaftens (z. B. betreffend die Lohnhöhe oder die Austauschrelationen [Preise] der Produkte), die zu erkennen und zu erklären Aufgabe der theoretischen Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftstheorie) ist. Die natürliche Ordnung wird dabei1 nicht als gedanklicher Grenzfall oder als Modell im heutigen Sinne verstanden, die theoretische Volkswirtschaftslehre ist vielmehr als eine Lehre vom Sein, insb. vom Sein des individuellen Tauschverkehrs, aufzufassen. Davon wird klar getrennt die Lehre vom Sollen, wie es sich in den staatlichen Zielvorstellungen verkörpert. Greift der Staat in den natürlichen Zustand ein, so verändert er in gewissen Grenzen den Ablauf der Wirtschaft, zumindest kurzfristig. Aussagen über Ursachen, Formen und Wirkungen des Staatseingriffs können dann einer gesonderten wissenschaftlichen Teildisziplin „Volkswirtschaftspolitik" zugewiesen werden. Schließlich ist der Staat selbst wirtschaftendes Subjekt, wobei das Volumen seiner Finanzwirtschaft so klein bemessen ist, d a ß Änderungen seiner ökonomischen Dispositionen nicht automatisch im geschilderten Sinne „wirtschaftspolitisch", d. h. den natürlichen Zustand verändernd, meist „störend", wirken müssen. Unter solchen

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II. Methodenfragen

Voraussetzungen scheint es wohl berechtigt, die öffentliche Haushaltsführung in einem dritten volkswirtschaftlichen Fach neben theoretischer Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik, nämlich in der „Finanzwissenschaft", gesondert zu behandeln. So etabliert die Einteilung der Volkswirtschaftslehre in theoretische Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftstheorie), V o l k s wirtschaftpolitik und Finanzwissenschaft gegenwärtig auch ist, so zweifelhaft erscheint es uns, o b diese Dreiteilung Bestand haben kann. Der Zweifel ergibt sich vor allem aus dem Wegfall des grundlegenden systemkonstitutiven Gedankens einer natürlichen Ordnung. W a s die nationalökonomischen Klassiker als den natürlichen Zustand der Wirtschaft beschrieben, hat sich als die unter ideologischem (liberalistischem) Gesichtspunkt idealisierte historische Wirtschaft ihrer Zeit und ihres Landes erwiesen. Auch damals war es ja nicht so, daß eine staatsfreie Wirtschaft und deren Gesetze erkennbar werden k o n n t e n , weil es sie in der Realität moderner Volkswirtschaften nie gab. Anders ausgedrückt: niemand kann in logisch einwandfreier Abgrenzung in der theoretischen Volkswirtschaftslehre den natürlichen Zustand der Wirtschaft beschreiben und erklären und die Analyse der Störungen oder Verbesserungen dieses Zustandes durch staatliche „Eingriffe" der wissenschaftlichen Behandlung der Wirtschaftspolitik zuweisen, weil die hocharbeitsteilige Gesellschaftswirtschaft der Neuzeit sich stets in Wechselwirkung mit der staatlichen Ordnung vollzog und vollzieht und wir niemals und nirgendwo beobachten k o n n t e n , daß Wirtschaft frei von staatlicher Ordnung ablief oder abläuft. Das schließt freilich nicht aus, daß gewisse Einsichten auch an einer fiktiven Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität gewonnen werden können. Aber die Ergebnisse solcher und anderer Gedankenexperimente, wie sie auch in diesem B a n d vorgeführt werden, sind nur eine didaktisch nützliche Stufe auf dem W e g zur Wirklichkeitserkenntnis. Hier ist vor einer Verwechslung zu warnen. Z w a r wurde die Wirtschaft weder an einem bestimmten T a g e „ r a t i o n a l " erfunden, noch durch einen historisch fixierbaren, einmaligen A k t des Staates zur Existenz gebracht, doch ist diese wirtschafts-

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geschichtliche Selbstverständlichkeit für unser Problem, nämlich für die Erklärung der gegenwärtigen Wirtschaft, irrelevant. Die Annahme einer staatslosen Wirtschaft wäre im Hinblick auf die Wirklichkeit aller in Frage kommenden Volkswirtschaften ohne Erkenntnisnutzen, ganz abgesehen davon, daß eine solche gedankliche Konstruktion in keinem vernünftigen Sinne „natürlich" wäre. Was gegenwärtig als Volkswirtschaftspolitik gelehrt wird, enthält viele wirtschaftskundliche und wirtschaftshistorische Elemente, der Rest ist ohne Schwierigkeiten der Volkswirtschaftstheorie zuzuordnen. So wird, um nur ein Beispiel zu erwähnen, die Lehre von den Wirtschaftssystemen häufig im Fach theoretische Volkswirtschaftslehre unterschlagen und in der Volkswirtschaftspolitik abgehandelt, doch ist dies in keiner Weise zwingend. Es bleibt uns nur, auch hier auf die historisch gewachsene lehrgeschichtliche Tradition zu verweisen, und vielleicht auch auf wissenschaftspraktische, bzw. didaktische Gesichtspunkte, um die Trennung von Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik verständlich zu machen. Im Zuge dieser Trennung sind folgendes die zentralen Aufgaben des Faches Volkswirtschaftspolitik, um die sich alle anderen behandelten Probleme gruppieren: erstens Aussagen über den Charakter und die Vereinbarkeit, bzw. Unvereinbarkeit, staatlicher ökonomischer Zielsetzungen zu machen; zweitens die Art und die Eignung des staatlichen Mitteleinsatzes zur Erreichung der Ziele zu untersuchen; und drittens die oft unerwünschten Nebenwirkungen der jeweiligen wirtschaftspolitischen Aktivität aufzudecken. So gesehen transformiert die Volkswirtschaftspolitik die Erkenntnisse der Volkswirtschaftstheorie bei gegebenen, dem politischen Willensprozeß entstammenden Zielsetzungen in Anweisungen, welche für die staatlichen Instanzen praktikabel sind. „Volkswirtschaftspolitik" wird also als „angewandte Volkswirtschaftstheorie" verstanden. Der Staat bestimmt nicht nur Normen der Wirtschaftsordnung und reguliert den Wirtschaftsablauf durch den Einsatz mannigfacher wirtschaftspolitischer Instrumente, sondern ist selbst Wirtschaftssubjekt. Es war das Ideal klassischer Autoren, daß

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II. Methodenfragen

sich die öffentliche Finanzwirtschaft neutral zu verhalten habe, der Staat sollte nach Erhebung von Steuern, Gebühren und Abgaben und nach der Verausgabung dieser Mittel für öffentliche Zwecke die private Wirtschaft so verlassen, wie er sie vorgefunden hat. In der Gegenwart ist man sich wohl überwiegend darüber einig, daß dieses Ziel der Neutralität weder erstrebenswert, noch erreichbar ist. Nicht erstrebenswert vor allem wegen der sozialpolitischen Verantwortung des Staates f ü r gerechte Einkommensverteilung und seiner konjunkturpolitischen Verantwortung für Stabilität im Wirtschaftswachstum. Nicht erreichbar wegen des großen Volumens der öffentlichen Haushalte, deren Variationen notwendig die hauptsächlichen ökonomischen Variablen, so auch H ö h e und Verteilung des Volkseinkommens, beeinflussen. Bildlich gesprochen: die staatliche Finanzwirtschaft ist in die Volkswirtschaft eingewachsen, öffentlicher und privater Sektor können daher zwar begrifflich geschieden, aber in der Analyse einer Volkswirtschaft nicht gedanklich getrennt werden, ohne das Ergebnis zu verfälschen. Das wird kaum jemand bestreiten, obwohl unter einem etwas anderen Gesichtspunkte die Möglichkeit von „Konjunkturneutralität" der öffentlichen Haushalte in der Diskussion geblieben ist. Wir meinen, daß mit der Anerkenntnis der prinzipiell erforderlichen Integration der ökonomischen Aktivität des Staates in den Wirtschaftskreislauf die Selbständigkeit des Faches Finanzwissenschaft grundsätzlich in Frage gestellt ist, unbeschadet mancher praktischer Gesichtspunkte, die für sie sprechen mögen. b) Wirtschaftskunde, Wirtschaftsgeschichte, Volkswirtschaftstheorie An Stelle der nach allem zweifelhaften Dreiteilung des Faches in Volkswirtschaftstheorie, Volkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft bietet sich die Einteilung in Wirtschaftskunde, Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftstheorie (theoretische Volkswirtschaftslehre) an. Während die beiden erstgenannten den Rang von wissenschaftlichen Hilfsdisziplinen haben, dient die letztere der eigentlichen wissenschaftlichen Kernaufgabe, der Erklärung gegenwärtiger volkswirtschaftlicher Phänomene. Dabei ist auszugehen davon, d a ß der Staat sowohl als wirt-

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schaftspolitische Instanz, wie auch als Wirtschaftssubjekt in jeder dieser Betrachtungsweisen - der wirtschaftskundlichen, der wirtschaftshistorischen und der volkswirtschaftstheoretischen - seinem Gewicht entsprechend berücksichtigt ist. Aufgabe der Wirtschaftskunde ist die geordnete Beschreibung empirischer Tatbestände des Wirtschaftslebens jeweils für eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Gebiet der Erde. Unter anderen Methoden bedient sie sich dabei vielfach der Mittel der Statistik, sie greift aber auch häufig in juristische Bereiche über, weil das Beschreiben bestehender Institutionen oft mit dem Aufzählen der herrschenden Rechtsregeln beginnen muß, sich für den Wirtschaftswissenschaftler darin allerdings nicht erschöpfen darf. Beachtung verdient, daß die Wirtschaftskunde ein gewisses Maß an Wirtschaftstheorie insofern voraussetzt, als die letztere Auswahlprinzip und Ordnungskriterien für die Erfassung der „Wirklichkeit" liefert, ohne die die wirtschaftskundliche Beschreibung in der Fülle des unabgegrenzten Stoffes untergehen müßte. Andererseits dienen die Ergebnisse wirtschaftskundlicher Beobachtungen der Falsifizierung bzw. NichtFalsifizierung von wirtschaftstheoretisch abgeleiteten Sätzen. Daraus ergibt sich eine Schwierigkeit, die vollständig noch nicht gelöst zu sein scheint. Einfach ausgedrückt fragt die Wirtschaftskunde nach dem „Wie" ökonomischer Phänomene. Was dabei „ökonomische Phänomene" sind, muß theoretische Überlegung, vielleicht gemischt mit einem gewissen Maß an Willkür, festlegen. Fragt die Wirtschaftskunde nach dem „Wie", so befaßt sich die Wirtschaftsgeschichte mit dem „Woher" wirtschaftlicher Erscheinungen. Die gegenwärtige Wirtschaft wird in ihrem in der Zeit erfolgten Werden und damit in ihrer historischen Bedingtheit erfaßt. Das geht über die bloße Beschreibung historischer Fakten hinaus, das Ziel ist vielmehr das Auffinden von Regelmäßigkeiten und Entsprechungen in der geschichtlichen Abfolge. Damit tritt zur Frage nach dem Woher die nach dem „Warum". Solche empirisch-historischen „Gesetze", besser Entwicklungstendenzen genannt, sind von den Gesetzen der Wirtschaftstheorie in mancher Hinsicht verschieden, wie noch deutlich werden wird. Ähnlich der Wirtschaftskunde hat auch die

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II. Methodenfragen

Wirtschaftsgeschichte, bewußt oder unbewußt, bestimmte wirtschaftstheoretische Vorstellungen zur Voraussetzung. Zur beschreibenden Wirtschaftskunde und historisch erklärenden Wirtschaftsgeschichte tritt nun die Volkswirtschaftstheorie. Entschiedener noch als die Wirtschaftsgeschichte stellt sie die Frage nach dem Warum des Soseins der wirtschaftskundlich erfaßten Wirtschaft. Mit ihr müssen wir uns im folgenden etwas ausführlicher befassen. § 9 . Theoretisches Denken 1. Zum Theorie-Begriff An dieser Stelle ist die Bemerkung angebracht, daß es die wissenschaftliche, oder theoretische Methode der Volkswirtschaftslehre auch in der Gegenwart nicht gibt. Es konkurrieren vielmehr mindestens fünf Richtungen, die in ihrem philosophischen Anspruch weit über das Gebiet der Methodologie hinausgehen, aber eben auch ihre besonderen methodologischen Konsequenzen enthalten. Sie lassen sich in folgender Weise benennen, wobei Autoren nur als Beispiele angegeben werden: a) Hermeneutik (W. Dilthey, E. Spranger, H. G. Gadamer) und Phänomenologie (E. Husserl, N. Hartmann); b) Normativismus (G. Weisser); c) Kritische Theorie, Dialektik ( T . W . A d o r n o , J.Habermas); d) Marxistische Wissenschaftstheorie (G. Klaus, F. Fiedler, A. Kosing); e) Kritischer Rationalismus (K. Popper, H. Albert). Eine auch nur gedrängte Darstellung dieser Lehren liegt jenseits der Möglichkeiten und der Zweckbestimmung dieses Bändchens. Festzustellen ist aber, daß sich in der volkswirtschaftstheoretischen Literatur die zuletzt genannte Position des Kritischen Rationalismus überwiegend durchgesetzt hat. Auch wir bekennen uns im großen und ganzen zu dieser methodologischen Richtung und folgen ihr, wenn auch in starker Vereinfachung, in unseren weiteren Ausführungen. Unter „Theorie" versteht man, ganz allgemein gesprochen, die umfassende wissenschaftliche Erklärung eines Gegenstands-

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bereichs. - Offenbar ist diese Definition aber nur als erste Orientierungshilfe brauchbar. Sie ist nämlich einerseits insofern zu eng, als „Erklärung" - was immer dieser Ausdruck auch bedeuten mag - nicht die einzige Aufgabe der Theorie zu sein braucht, andererseits zu weit und ungenau, weil „Gegenstandsbereich" sehr verschiedene konkrete und abstrakte Phänomene umfassen kann: Theorien im Rahmen von Erfahrungswissenschaften (empirischen Wissenschaften) sind wissenschaftliche Erklärungen für reale Sachverhalte. Die Formalwissenschaften, insb. Mathematik und Logik, in deren Rahmen der Begriff „Theorie" ebenfalls Verwendung findet, erklären nicht reale Sachverhalte, sondern liefern Werkzeuge zur Darstellung und logischen Entwicklung von theoretischen Aussagen des erstgenannten Sinnes. In der Volkswirtschaftslehre geht es um die Aufstellung von empirisch gehaltvollen Theorien, die sich an der Erfahrung der realen Wirtschaft bewähren. Nur von solchen Theorien ist im folgenden die Rede. 2. Bildung von Theorien a) Problemstellung Theorien gehen hervor aus der wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Sie sind die Art von Aussagen, in der einzelne Forschungsergebnisse zusammengefaßt und generalisiert vorgetragen werden, wobei die Form der Aussage (verbal, formalisiert o. dgl.) von nachrangiger Bedeutung ist. Am Anfang der Theoriebildung steht eine erste subjektive Entscheidung des betreffenden Forschers, nämlich die Abgrenzung des Gegenstandsbereichs, auf den sich die Theorie beziehen soll. Der Auswahl dieses Bereichs geht die wissenschaftliche Neugier des Forschers voraus. Er vermutet das Vorliegen eines erforschenswerten Problems. Anders ausgedrückt: die gemeinte Abgrenzung wird durch eine bestimmte Fragestellung konstituiert. Im Falle der Volkswirtschaftstheorie oder ihrer Teile, z. B. der Lohntheorie, der Theorie der Monopolpreise usw., wird im Prinzip stets nach der Bedeutung der ausgewählten Sachverhalte für die sich gesellschaftswirtschaftlich vollziehende Bedürfnisbefriedigung gefragt. Selbstverständlich ist die Auswahl dessen, was im konkreten Falle wissenschaftlichem

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Interesse begegnet, aber auch die Formulierung der Problemstellung ein subjektives Werturteil. Es ist von Bedeutung, diese Wertbasis jeder wissenschaftlichen Forschungsarbeit jeweils klar auszuweisen und in ihren Bedingtheiten zu erkennen. b)

Hypothesenfindung

Der Problemstellung folgt das Formulieren von versuchsweisen Lösungsvorschlägen. Mit anderen Worten: der Abgrenzung des Gegenstandsbereichs durch die wissenschaftliche Fragestellung folgt als nächster Schritt die Formulierung von Vermutungen (Hypothesen) über einzelne Aspekte u n d über die Gesamtheit des zu erklärenden Gegenstands, gedacht als vorläufige Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. Dabei handelt es sich um einen psychologischen Prozeß, um den eigentlich schöpferischen Akt des Forschers. Geniale Visionen, kühne geistige Entwürfe werden gewagt, wobei der Wissenschaftler dem Künstler nahe k o m m t , aber auch banale Aussagen werden nicht verschmäht, scheinbare Selbstverständlichkeiten („Plausibilität" des Einfalls!) können hier ihren Platz haben. Hypothesen, Die vorgeschlagenen Problemlösungen, genannt unterscheiden sich im Grad ihrer Allgemeinheit: je weiter gefaßt der problematisierte Sachverhalt erscheint, je komplexer er gesehen wird, u m so zahlreicher werden die Hypothesen sein, welche Einzelaspekte versuchsweise erklären, um so zwingender wird es, diese einzelnen Hypothesen zu generalisieren, zu „Gesetzen" (nomologischen Hypothesen) zu verdichten. Verknüpfungen von Gesetzen liefern Theorien, und Theorien werden endlich in Theorie-Systemen (manchmal „Wissenschaft" genannt) zusammengebunden. Dabei ist es sehr wichtig, zu sehen, d a ß der hypothetische Charakter der Problemlösungen auch mit wachsendem Grad an Allgemeinheit nicht verloren geht. Wodurch das Entdecken oder Erfinden von Hypothesen angeregt wird, ist allenfalls f ü r die Soziologie (früher genannt „Wissenssoziologie"), Psychologie (früher genannt „Erkenntnispsychologie") und dergleichen Disziplinen erheblich, f ü r die wirtschaftswissenschaftliche Fragestellung jedoch nicht. Freilich wäre es gegen jede Denkökonomie, wenn ein Forscher Hypo-

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thesen aufstellte und mit ihnen versuchsweise arbeitete, die er selbst für offensichtlich unhaltbar, ja blödsinnig, hält; immerhin darf nicht verkannt werden, daß sich auch ungewöhnliche und prima facie unwahrscheinliche Erklärungsversuche als nicht widerlegbar erweisen können und andererseits „offenkundig" plausible Erwägungen, liebe Denkgewohnheiten, auf rasche Weise widerlegt worden sind. Als hauptsächliche Anstöße für das Entwickeln und Formulieren von Hypothesen lassen sich anführen: (a) die Beobachtung u n d Ausdeutung von empirischem Material, das wirtschaftskundlich, oft statistisch ermittelt wurde; (b) introspektive Reflexion des eigenen Verhaltens, die möglich ist, weil Wirtschaften stets menschliches Verhalten bedeutet; (c) „nachfühlendes", deutendes Verstehen des Verhaltens anderer; (d) Übertragung von Lehrsätzen, bzw. Erkenntnissen anderer Wissenschaften im Wege der Analogie; (e) Anwendung der dialektischen Perspektive: es wird versuchsweise das Gegenteil des Bekannten behauptet, anders gesagt, es wird der Gegengrund geprüft; (f) die unreflektierte Alltagserfahrung, das. anscheinend Offenkundige; (g) anerzogene, schichtenspezifische, völkisch oder rassisch bedingte oder anders zustande gekommene Vorurteile; (h) Ideologien, Utopien; und damit u. U. eng verknüpft: (i) politische Absicht, meist als Rechtfertigung oder Begründung für wirtschaftliches und/oder politisches Macht- oder Interessenstreben formuliert; und schließlich (j) der schlichte Zufall. Diese Liste ist vielleicht nicht vollständig, dürfte aber die wichtigsten Gesichtspunkte enthalten. Es m u ß dabei auch beachtet werden, daß sich verschiedene Gründe eng verschränken können. Von besonderem Interesse ist die Hypothesenbildung aufgrund von Introspektion und deutendem Verstehen, weil hier Reste einer hermeneutischen Wissenschaftsauffassung in einem anderen methodologischen System ein Refugium zu haben scheinen: die hermeneutisch-phänomenologische Methode zielt auf den „Sinn" der Phänomene, der durch „Verstehen" erfaßt werden kann, sie konstruiert dadurch einen Gegensatz zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, der in der hier vertretenen Auffassung des Kritischen Rationalismus nicht besteht. Es zeigt sich damit erneut, daß es nicht darauf ankommt, wie die Hypo-

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thesen zustande kommen - das heißt hier: welche methodologischen Grundpositionen beim Entdecken von Hypothesen eingenommen werden als vielmehr darauf, was mit den Hypothesen im Zuge der weiteren wissenschaftlichen Arbeit geschieht, ob sie sich „bewähren". Die Quelle der Hypothesenbildung mag unter manchem Gesichtspunkt von großem Interesse sein, sie ist aber sicher nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Gültigkeit der schließlich ausgearbeiteten Theorie. Diese bedarf, wie noch auszuführen sein wird, jedenfalls der Überprüfung, d. h. vor allem der Feststellung, ob sie in logischer Hinsicht mängelfrei ist und ob sie in Konfrontation mit der Wirklichkeit standhält. Entscheidend ist, die hypothetische Aussage aus dem subjektiven Raum persönlichen Nachdenkens und privater Eingebung hinüberzuführen in den objektiven Bereich der intersubjektiv geführten öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion, in welchem die aufgestellten Behauptungen kritisch überprüft und beurteilt werden. c)

Definition

Wie bisher ausgeführt, besteht die wissenschaftliche Tätigkeit zunächst darin, Probleme aufzugreifen und Lösungsversuche vorzuschlagen. Dazu benötigt man Hypothesen auf irgendeinem Stande der Allgemeinheit, die in intersubjektiv verständlicher Sprache formuliert sind. D. h. man braucht wohldefinierte Begriffe, die der Forscher entweder schon vorfindet, oder für seinen besonderen Zweck neu bildet. Der Hypothesenfindung gehen Begriffsbildungen, Definitionen, parallel, beide gedanklichen Vorgänge beeinflussen sich gegenseitig, sie verschränken sich. Definitionen sind Sprachregelungen, die im Interesse der intersubjektiven Überprüfbarkeit von Theorien Inhalt und Umfang der benutzten Begriffe bzw. von behandelten Sachverhalten eindeutig festlegen. Sie sollten bei allen Autoren, die den gleichen Gegenstand behandeln, einheitlich sein und während des ganzen Ganges der angestellten Untersuchung durchgehalten werden. Beides ist in der Praxis wissenschaftlicher Arbeit leider durchaus nicht immer beachtet worden, woraus sich naturgemäß Mißverständnisse ergaben. Im übrigen aber ist die Wahl

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der „geeigneten" Definitionen eine Frage der Zweckmäßigkeit. Uber diese kann u n d m u ß im Einzelfalle durchaus diskutiert werden, weil einerseits bereits durch die Entscheidung f ü r eine bestimmte Definition das Denken des Forschers in seiner weiteren Richtung beeinflußt wird, es andererseits jedoch an allgemein anerkannten Kriterien d a f ü r , was zweckmäßig ist, häufig mangelt. Ein über die pragmatisch zu lösende Zweckmäßigkeitsfrage hinausgehender Streit über den definitorisch unterschiedlich festzulegenden U m f a n g und Inhalt von bestimmten Begriffen hat die Volkswirtschaftslehre lange Zeit beherrscht - man denke an die Auseinandersetzung um Ausdrücke wie „Kapitalismus" oder „Produktivität"! - u n d hat manchen Autoren die tadelnde Bezeichnung „Begriffsnationalö k o n o m e n " (W. Eucken) eingetragen. Solcher Streit ist durchaus überflüssig und sollte vermieden werden, weil er eher geeignet ist, von den Sachproblemen abzulenken, als deren Lösung zu fördern. Tatsächlich steht die anscheinend nicht zu unterdrückende Originalitätssucht mancher Verfasser einer vom S t a n d p u n k t der D e n k ö k o n o m i e vernünftigen Auffassung, die in Begriffen Konventionen sieht, welche man nicht ohne N o t aufgeben oder verändern sollte, immer wieder im Wege. d)

Deduktion

Die - beispielsweise durch einen der unter 2. b genannten Anstöße - aufgefundenen versuchsweisen Erklärungen der Wirklichkeit (oder eines Wirklichkeitsausschnittes) sind also unter Benutzung vorgefundener oder neu gebildeter Begriffe zu formulieren. Jedenfalls ist das Gebot, eindeutig definierte Begriffe zu verwenden und sich auch ansonsten einer intersubjektiv verständlichen Sprache zu bedienen, unbedingt zu beachten. „Einen Vorgang . . . ,erklären' heißt, einen Satz, der ihn beschreibt, aus Gesetzen und Randbedingungen deduktiv ableit e n " (K. Popper, Logik der Forschung). Wir haben z. B. ein Steigen der Preise um 10 °/o im Z e i t r a u m A im Land B erklärt, wenn wir festgestellt haben, d a ß eine Steigerung der Geldmenge um ebenfalls 10 % stattgefunden hat. Diese Erklärung besteht einerseits aus einer Hypothese und andererseits aus einem besonderen, nur f ü r den betreffenden Fall gültigen Satz.

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Die Hypothese lautet: Jedesmal wenn die Geldmenge steigt, steigen die Preise um den gleichen Prozentsatz; der besondere Satz lautet: Im Land A ist im Zeitraum B die Geldmenge um 10 °/o gestiegen. Wir finden also zwei verschiedene Arten von Sätzen, die erst gemeinsam die vollständige „Erklärung" liefern: (1) Allgemeine

Sätze - Hypothesen, Gesetze - und

(2) Besondere Sätze, d. h. Sätze, die nur für den betreffenden Fall gelten, die Randbedingungen (K. Popper). Das gemeinte logische Verfahren, die Deduktion, besteht im Prinzip darin, das „Explanandum", d. h. den zu erklärenden individuellen empirischen Tatbestand bzw. das zu erklärende Phänomen (in unserem Beispiel die Preissteigerung) herzuleiten aus dem „Explanans", also aus den zur Erklärung herangezogenen Sätzen, das sind (1) Hypothesen von möglichst hohem Grad der Allgemeinheit und (2) Randbedingungen. Mit Hilfe der Hypothesen wird also unter Einsatz eines logischen Schlußverfahrens, der Deduktion, von den Randbedingungen auf den zu erklärenden Tatbestand geschlossen. Dieser Ansatz Poppers zu einer „deduktiven Methodik der Nachprüfung" verfährt zunächst so, daß die hypothetischen Aussagen neben den Randbedingungen in ein logisches System eingebracht werden. Die Voraussetzungen und Folgerungen einer Erklärung werden damit zu Prämissen und Konklusionen dieses logischen Systems. In seinem Rahmen werden aus den Randbedingungen unter Benutzung von Hypothesen auf logisch-deduktivem Wege Folgerungen hergeleitet. Unter Punkt 3 wird zu zeigen sein, wie im Zuge der deduktiven Nachprüfung die angewandten Hypothesen selbst bestätigt oder widerlegt werden. Logisch gesprochen heißt „Erklären" demnach das Herbeiführen einer bestimmten Konklusion (Implikation) aus bestimmten Prämissen. Anders ausgedrückt: Durch die logische Deduktion werden die in den Randbedingungen niedergelegten Informationen über bestimmte konkrete Tatbestände der Wirk-

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lichkeit mit Hilfe der eingeführten Hypothesen expliziert. Selbstverständlich kann dabei die Deduktion nur Konsequenzen deutlich machen, die in den Prämissen bereits niedergelegt waren. Formal sind die Ergebnisse des geschilderten Verfahrens in der Regel Wenn-dann-Sätze, inhaltlich drücken sie eine behauptete oder geleugnete Ursache-Wirkung-Beziehung aus. Schematisch läßt sich das oben angegebene Beispiel - die „Quantitätstheorie des Geldwertes" in ihrer einfachsten (naiven) Formulierung - folgendermaßen darstellen: Randbedingung: Im Zeitraum A ist im Land B die Geldmenge um 10 °/o gestiegen. Explanans:

Hypothese:

Immer wenn die Geldmenge steigt, dann steigt das Preisniveau um den gleichen Prozentsatz.

Explanandum: Im Zeitraum A ist das Preisniveau im Land B um 10 °/o gestiegen. 3. Anwendung und Überprüfung von Theorien a)

Anwendung

Haben wir bisher darzutun versucht, was im Sinne der hier vertretenen methodologischen Position „Erklären" bedeutet, so wurde damit nur einer der möglichen Anwendungsfälle der Theorie genannt. Eine zweite Anwendung finden Theorien als Voraussagen, als Prognosen. J e nachdem, ob das Erkenntnisinteresse (z. B. des Wissenschaftlers) oder das Gestaltungsinteresse (z. B. des Wirtschaftspolitikers, der seine Maßnahmen im Hinblick auf künftige Wirkungen trifft) überwiegt, wird man Erklärung oder Prognose als die Krönung des theoretischen Bemühens bezeichnen. Ihrer logischen Struktur nach unterscheiden sich jedoch Erklärung und Prognose nach Ansicht des Kritischen Rationalismus nicht: ist das zu erklärende Phänomen (Explanandum) vorgegeben, weil es in der Vergangenheit oder der Gegenwart liegt, so wird nach dem zugehörigen 6 Paulsen/Schilcher, Atlgem. Volksw. I

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II. Methodenfragen

Explanans gefragt, es handelt sich um eine „Erklärung"; wird dagegen von einem Explanans ausgegangen und ein Explanandum abgeleitet, das in der Zukunft liegt, so wird von „Prognose" gesprochen. Daher lassen sich Erklärungen auch als nachträgliche Vorhersagen (H. Giersch), Prognosen als vorweggenommene Erklärungen charakterisieren, die logische Operation ist die gleiche. Neben Erklärung und Voraussage werden Theorien angewendet auch in der kritischen Analyse sozialer Zustände und ihrer ideologischen Interpretation und in anderen Zusammenhängen. b) Gesetz, Theorie,

Wissenschaft

Hypothetische Aussagen können, das wurde schon angedeutet, von sehr unterschiedlichem Grade der Allgemeinheit sein. Ein Ziel der wissenschaftlichen Arbeit ist es, zu immer allgemeineren Sätzen vorzudringen, ein Mittel dazu ist die logisch widerspruchsfreie Verknüpfung von immer mehr einzelnen Hypothesen. Unter diesem Gesichtspunkte läßt sich die folgende Ordnung nach dem Kriterium zunehmender Allgemeinheit oder, anders ausgedrückt, im Hinblick auf die Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Aussage behaupten (vgl. S. 76): a) „spezielle

Hypothese",

b) nomologische Hypothese oder c) „Theorie"

„Gesetz",

als Verbindung mehrerer Gesetze und

d) „Wissenschaft" System.

als Verbindung von Theorien, als Theorien-

In einem etwas weiteren Sinne kann auch dann schon von Theorie gesprochen werden, wenn in einem System von Sätzen mindestens einer den Charakter einer nomologischen Hypothese (eines Gesetzes) hat. Auch hier gilt das über Definitionen Ausgeführte: Solche Bezeichnungen sind Fragen der Zweckmäßigkeit, wer sie benutzt, sollte sich dabei an möglichst eindeutige und einheitliche Definitionen halten. In unserem Zusammenhang ist es besonders wichtig, den hypothetischen Charakter auch von „Theorie" und „Wissenschaft" (als Systemen von Hypothesen!) zu erkennen.

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Überprüfung

Erfahrungswissenschaftliche Aussagen sind prinzipiell dem Risiko ausgesetzt, an der Wirklichkeit zu scheitern. Deshalb muß im nächsten Schritt wissenschaftlichen Bemühens der Formulierung der Aussage auf jeder Stufe der Allgemeinheit ihre Überprüfung folgen. Spezielle Hypothese, Gesetz, Theorie und Wissenschaft unterliegen diesem Gebot; der Einfachheit halber sprechen wir im folgenden nur von „Theorie". Die Überprüfung von Theorien zielt in zwei Richtungen: sie liegt einmal auf der logischen, zum andern auf der empirischen Ebene. In logischer Hinsicht sind insbesondere die Konsistenz zu prüfen, womit vor allem die Widerspruchsfrei'heit der Prämissen gemeint ist. Weitere Prüfpunkte sind Unabhängigkeit, Notwendigkeit und Ausreichendheit der Prämissen. In empirischer Hinsicht ist insbesondere die Geltung der Theorie zu entscheiden, womit auch die Fragen der Vollständigkeit, Zureichendheit, Adäquanz usw. ins Spiel kommen. Dem Geltungsentscheid (empirischer Test: Experiment, Beobachtung) voraus geht selbstverständlich die Prüfung, ob die vorgeschlagene Theorie zur empirischen Anwendung überhaupt geeignet ist, wobei vor allem an ihre formale Verfassung, z. B. ihre Formulierung in einer intersubjektiv verständlichen Sprache, zu denken ist. Während die Forderung nach dem Vermeiden von logischen Fehlern ziemlich selbstverständlich ist und niemand bewußt gegen sie verstoßen wird, gilt das nicht ohne weiteres für die Forderung nach empirischer Anwendbarkeit der Theorie. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Verwendung der berühmten „ceteris-paribus-Klausel". Wird etwa angenommen, daß eine ökonomische Variable in der Realität quantitativ von fünf, und nur von fünf, anderen ökonomischen oder nichtökonomischen Veränderlichen abhängt, so kann es das begründete Bestreben des Forschers sein, die Abhängigkeit der ersten Variablen von nur einer anderen isoliert zu untersuchen. Er verhängt dann in seinem Gedankenexperiment über die anderen vier Variablen die genannte ceteris-paribus-Klausel, womit zum Ausdruck gebracht ist, daß diese sich nicht verändern sollen. Dies kann, wie an anderer Stelle auszuführen ist, u. U. durchaus sinnvoll sein. Doch was ist in methodologischer Hinsicht geschehen? Die Tat6»

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sache der 'hypothetisch vermuteten Abhängigkeit (und bei entsprechender Spezifizierung der Aussage auch die Form dieser Abhängigkeit) ist durch Konfrontation mit der Wirklichkeit nicht mehr zu widerlegen, weil jede Abweichung der empirisch ermittelten, von den aus dem Explanans deduzierten Ergebnissen dem Umstände zugeschrieben werden muß, daß in dieser Realität die anderen vier Einflußgrößen eben nicht konstant sind. Mit anderen Worten: die behauptete Beziehung ist gegen empirische Widerlegung immunisiert, sie hat die Form einer Tautologie erhalten. Ist diese in der Formulierung der Theorie liegende Gefahr der Tautologie vermieden, so kann die vom Kritischen Rationalismus präferierte Methode der Falsifikation angewendet werden. Der Forscher wendet sich den empirischen Grundlagen seiner Theorie zu, also den objektiv, das heißt hier intersubjektiv, ermittelten (ermittelbaren) Feststellungen über den fraglichen Wirklichkeitsbereich, meist in Form statistischer Daten dargeboten, und konfrontiert ihn mit den Folgesätzen der geprüften Theorie. Dabei sucht man nicht die der Theorie konformen Fälle, nicht „Verifikation" der Theorie ist das Ziel, sondern man sucht Widersprüche zwischen Theorie und Beobachtung (letztere niedergelegt in singulären Existenzbehauptungen, genannt Basissätze) herauszufinden. Die Bestätigung der Theorie liegt in ihrer Nicht-Widerlegung durch die Realität und hat insofern stets nur vorläufigen Charakter. Allerdings: je mehr Widerlegungs-(Falsifikations-)Versuche scheitern, je mehr empirische Tests die überprüfte Theorie bestätigen, um so höher ist der Grad ihrer Bewährung, um so eher kann sie als einstweilige „Erklärung" akzeptiert werden. Eine „bessere" Theorie müßte eine solche sein, die „einfacher" ist und/oder „umfassender" und/oder vor allem bei Widerlegungsversuchen noch günstiger abschneidet. d) Wahrheitsgehalt

von

Theorien

Mit Nachdruck ist an dieser Stelle der Wahrheitsbegriff in den empirischen Wissenschaften hervorzuheben. Ob es eine objektive, endgültige „Wahrheit" gibt, muß dahingestellt bleiben. Dem wissenschaftlichen Denker fehlt es jedenfalls an einem

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methodisch gesicherten Zugang zu ihr. So kann er nicht entscheiden, ob oder daß Theorien letztlich „wahr" sind oder sein können, er kann freilich auch nicht dazu auffordern, an Theorien zu „glauben", wie das marxistische Theoretiker von ihren Axiomen oft auch guten Gewissens zu meinen scheinen. Der „Wahrheitsgehalt" wissenschaftlicher Aussagen ist skeptisch zu beurteilen. Das Falsifikationskriterium ist jedenfalls kein Wahrheitsentscheid (wahr - falsch), sondern ein Geltungsentscheid: es erlaubt die Feststellung, ob eine Theorie vorläufig aufrechterhalten werden kann, oder ob sie verbessert oder verworfen werden muß. Ist eine Theorie durch Falsifikation gescheitert, so besteht die Aufgabe darin, die gescheiterte Hypothese zu ändern (in ihrem empirischen Gehalt oder ihrer Form) oder durch neue Hypothesen über den zu erklärenden Sachverhalt zu ersetzen. 4. Konkurrierende Theorien Wie aber, wenn über den gleichen Gegenstand mehr als eine Theorie nicht falsifiziert und damit vorläufig bestätigt ist, also „gilt", und diese Theorien sich ihrem materiellen Gehalt nach vielleicht sogar widersprechen? Der Fall ist durchaus nicht selten. Hier muß man sich daran erinnern, daß Wissenschaft als Tätigkeit von Menschen ein Prozeß von Versuch und Irrtum ist. Es gibt nur eine Lösung: die alternativen Erklärungsversuche sind immer wieder auszuprobieren, d. h. die Theorien sind, je nach verfügbarem Material, auf unterschiedliche Länder, Wirtschaftssektoren, Menschengruppen usw. so lange anzuwenden, bis sich eine Theorie herausgeschält hat, die relativ am wenigsten im Widerspruch zu den Tatsachen steht. Dabei ist zu bedenken, daß nicht nur Hypothesen durch Fakten herausgefordert werden, sondern auch das Sammeln von Fakten durch Hypothesen. In der 'hier grob angedeuteten Weise vollzieht sich, was man „wissenschaftlichen Fortschritt" nennen kann. 5. Zusammenfassung Fassen wir das in der Theorie angewandte Verfahren, die „theoretische Methode" (des Kritischen Rationalismus) zusam-

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men. Der Theoretiker stellt eine Frage, wirft ein Problem auf. Er versucht eine vorläufige, hypothetische Antwort. Die Entwicklung dieser Hypothesen ist begleitet von der Definition von Begriffen und Sachverhalten. In Verbindung mit Randbedingungen (Anwendungsvorschriften) werden Hypothesen und Definitionen als Prämissen in ein logisches System eingebracht. Auf dem Wege der Deduktion werden daraus Konklusionen abgeleitet. Das gewonnene Ergebnis wird mit dem beobachteten Bild der Wirklichkeit (der empirischen Basis) konfrontiert. Mißlingt dabei die Falsifizierung, so gilt die Theorie als vorläufig bewährt. Mithin ist das aufgeworfene Problem vorläufig, versuchsweise gelöst, sei es im Sinne einer Erklärung, sei es im Sinne einer Prognose. § 10. Nichttheoretisches Denken 1. Quasi-Theorie Das oben in Stichworten gekennzeichnete Verfahren der Bildung, Uberprüfung und Anwendung von Theorien ist nach dem gegenwärtigen Stand der methodologischen Diskussion in der theoretischen Volkswirtschaftslehre im Prinzip überwiegend akzeptiert. Es findet sich ausdrücklich behandelt jedoch nur in wenigen Lehrbüchern und das Fach umspannenden Abhandlungen. In Spezialuntersuchungen sind die methodologischen Probleme hingegen oft eingehender berücksichtigt. Man wird nicht umhin können, in der geschilderten Methodologie ein programmatisches Leitbild für die wissenschaftliche Arbeit zu sehen, dessen praktische Konsequenzen zwar überall sichtbar werden, dessen volle Verwirklichung aber vermutlich nicht so bald festzustellen sein wird. Ein Grund dafür liegt in dem Umstand, daß die aus dem „Kritischen Rationalismus' 1 hergeleitete Methodologie relativ neu ist, ihre Handhabung mithin für den Fachwissenschaftler, hier den Nationalökonomen, ein gewisses Umdenken erfordert, das noch nicht sehr weit gediehen zu sein scheint. Auch der Wirtschaftswissenschaftler steht ja in der Tradition seines Faches, und es ist grundsätzlich verständlich und nicht zu

§ 10. Nichttheoretisches Denken

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tadeln, daß bislang anerkannte Lehrsätze und Denkformen nicht leichtfertig und ersatzlos aufgegeben werden. Der zweite Grund für die zögernde Anwendung der geschilderten wissenschaftlichen Methode ist wohl darin zu sehen, daß dem Ökonomen gegenwärtig trotz enorm vorangetriebener empirischer Forschung für viele Gebiete noch zu wenig Faktenwissen zur Verfügung steht. Die empirische Basis, eingesetzt zur Uberprüfung und Bewährung der Theorien einer als Erfahrungswissenschaft begriffenen Volkswirtschaftslehre, ist immer noch verzweiflungsvoll schmal. Damit ist aber die Frage aufgeworfen, welchen Wert empirisch nicht überprüfte und vielleicht aus ihnen immanenten Gründen, z. B. wegen der ceteris-paribus-Klausel, nicht überprüfbare Aussagen, „Theorien" usw. überhaupt haben. Man muß sich darüber im klaren sein, daß dies die Frage nach dem „Wert" der gegenwärtig üblichen „Theorie", wie sie auch in diesen Bänden überwiegend dargeboten wird, berührt. Vor einer rigorosen Antwort ist zu warnen. Auch Aussagen der theoretischen Volkswirtschaftslehre, die den Anforderungen an empirische Theorien nicht genügen - man könnte und sollte sie vielleicht als „Quasi-Theorien" (H. Albert) bezeichnen - , müssen selbstverständlich logisch richtig sein. Ist dies aber der Fall, so sind sie von Nutzen, obwohl - wie angenommen - ihre empirische Anwendbarkeit (noch) nicht gegeben ist. „Quasi-Theorien" verhelfen uns dazu, unsere Gedanken über einen Sachverhalt zu ordnen, sie in systematischem Aufbau und in wissenschaftlich-disziplinierter Sprache zu formulieren und damit zur Diskussion zu stellen. „Quasi-Theorien" werden so zu Herausforderungen. Ihre ständige Verfeinerung, das Aufweisen von immer mehr in ihren Prämissen bisher unerkannt enthaltenen Implikationen, das durch sie induzierte Interesse an bestimmten empirischen Informationen, das alles entwickelt eine Tendenz, die zwar z. T. in ein Verwerfen solcher „QuasiTheorien" mündet, z. T. aber zu Aussagen von immer größerer Allgemeinheit und schließlich zu ihrer Umformulierung in „Theorien" führen kann. Aber ganz abgesehen von diesen Erwägungen scheint es geradezu unvermeidbar zu sein, daß mit methodologisch unbe-

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II. Methodenfragen

friedigenden Aussagen gearbeitet werden muß, so lange und soweit Theorien, die den strengen Maßstäben der Methodologie genügen, noch nicht verfügbar sind. Schließlich ist das nicht erlahmende Bewußtsein der Unzulänglichkeit der vorhandenen Aussagen Schutz genug vor der latenten Gefahr, die Konsequenzen solcher Aussagen für Erklärung, Prognose oder politische Beratung zu überschätzen. Nach diesen Überlegungen zum erfährungswissenschaftlichen Theorie-Begriff wenden wir uns nun in aller Kürze einigen weiteren Begriffen zu, die wir zu ihm in Beziehung setzen: Modell, Ideologie, Utopie und Werturteil. 2. Modell Wie schon angedeutet, genügt nur ein kleiner Teil dessen, was in der gegenwärtigen Volkswirtschaftslehre unter der Flagge „Theorie" angeboten und, wir wiederholen es, auch in diesen Bänden behandelt wird, dem strengen Theorie-Begriff der modernen Methodologie. Dies gilt sowohl hinsichtlich des empirischen Gehalts, wie der formalen Ausgestaltung dieser Aussagensysteme. Seit den Anfängen der Wirtschaftswissenschaft, man denke etwa an Adam Smith' Untersuchungen der vollkommenen Konkurrenz, ist eine Tradition des ökonomischen Denkens gepflegt und fortgeführt worden, die sich auch heute noch sehr verbreitet erweist: die Modellanalyse. Sei es, weil man die Ergebnisse der neueren methodologischen Forschung nicht zur Kenntnis nimmt, sei es, weil man deren Anforderungen glaubt nicht erfüllen zu können, sei es einfach, weil man die Chance der „reinen" Theorie, Voraussetzungen und Bedingungen frei und ohne Rücksichten auf konkrete ökonomische Verhältnisse wählen zu können, als intellektuell äußerst reizvoll empfindet, das Denken in abstrakten Modellen ist ein durchaus übliches Verfahren. Dabei soll als „ökonomisches Modell" ein Aussagezusammenhang gelten, der die ökonomische Wirklichkeit nicht „widerzuspiegeln", nicht einzubeziehen hat, sondern ökonomische „Wirklichkeit" durch Annahmen setzt, fingiert oder konstruiert. Modelle werden in der Regel Realitätsbezug haben, aber nicht notwendig auch Realitätsgehalt, wie er für die erfahrungswissenschaftliche Theorie

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unentbehrlich ist. So befaßt sich beispielsweise die Preis„Theorie" auf der Grundlage des Marginalprinzips (als Modellanalyse) nicht mit den Zielen und Handlungen der wirklichen, tatsächlich agierenden Haushalte und Unternehmungen, sondern mit den Wahlhandlungen von fiktiven („idealtypischen", imaginären) Individuen, genannt Haushalte und Unternehmungen. Modelle sind also abstrakte Konstruktionen von Wirklichkeit, ohne daß sie notwendig Informationsgehalt besitzen müssen. Vielmehr sind die Modellkonstrukteure frei, Annahmen (oder Axiome) nach Belieben zu wählen. Die Auswahl dieser Annahmen mag ähnlichen Quellen entspringen, wie die Aufstellung von Hypothesen: subjektiver Erfahrung der Realität, Introspektion, Analogie usw. Entscheidend aber ist, daß die modellmäßigen Folgerungen, auf deduktivem Wege gewonnen wie bei formalisierten Theorien auch, anders als diese nicht mit der Wirklichkeit zu konfrontieren sind, daß das Falsifikationskriterium hier nicht zum Zuge kommt. Es mindert nicht den „Wert" von Modellen, daß die Distanz zu empirischen Befunden u. U. störend groß sein kann. Ihr eigentlicher, oft betonter heuristischer "Wert liegt in der Aufgabe, die logische Konsistenz von Annahmen aufzuspüren, die logische Schlüssigkeit eines Aussagenzusammenhanges zu überprüfen. Modell-Denken sieht sich immer dem Dilemma ausgesetzt, daß die aus logischer Richtigkeit erwachsende Unwiderlegbarkeit unreflektiert auf theoretische Systeme ähnlicher Bauart übertragen wird, um die für Theorien angestrebte Bewährung zu erhöhen oder, schlimmer noch, daß die Schlußfolgerungen aus Modellkonstruktionen unmittelbar für Wirklichkeitserklärungen ausgegeben oder gehalten werden. Vorzugsweise werden Modelle, man denke z. B. an das Kreislaufmodell, auf dreifache Weise dargestellt: verbal, als Schaubild bzw. geometrisch und in Form von Gleichungen. Heute überwiegt die Darstellungsform der Gleichungen. Es drückt sich darin besonders der Trend zur mathematischen Formalisierung der Volkswirtschaftslehre aus. Dabei finden sich (a) Definitionsgleichungen (einschließlich von solchen, die Identitäten aus-

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II. Methodenfragen

drücken), (b) Verhaltensgleichungen (in denen das Planen und Handeln der Wirtschaftssubjekte formalisiert wird), (c) technologische Gleichungen (die auch als Verhaltensgleichungen behandelt werden können, je nachdem ob der technische Sachverhalt oder die ökonomische Entscheidung über seine Verwendung gemeint ist, darzustellen etwa am Beispiel der später behandelten „Produktionsfunktion"), (d) Gleichgewichtsbedingungen. Die Modellgleichungen können (a) der qualitativen, (b) der quantitativen und (c) der numerischen Analyse zuzurechnen sein. Die vorliegenden Bände bieten, wie die meisten Lehrbücher der Volkswirtschaftstheorie, vorwiegend Modellanalyse, deshalb wird es im folgenden an Beispielen für die genannten Gleichungstypen nicht fehlen. Der Zweck der Modellkonstruktion liegt, wie schon angedeutet, darin, gedankliche Experimente durchzuführen und damit Problemlösungen zu ermöglichen und zu erproben. Das „Durchspielen" unterschiedlicher Abläufe in Modellen - dabei kann es sich um die Anwendung logischer (deduktiver) Schlußverfahren, um das Durchrechnen angenommener numerischer Werte und um andere Verfahren handeln - kann die Bildung von Hypothesen und Theorien anregen. 3. Ideologie und Utopie Wissenschaftliches (theoretisches) Denken ist ein Denken, das der Wirklichkeit adäquat sein soll. M a n m u ß sehen, d a ß es sich bei dieser Aufgabenbestimmung des wissenschaftlichen Denkens um eine vorwissenschaftliche Wertentscheidung handelt. Theoretische (wissenschaftliche) Aussagen können logisch richtig oder falsch sein und sind in letzterem Falle zu berichtigen. Sie müssen überdies widerlegbar (falsifizierbar) sein, d. h. Beobachtungen der Realität müssen zu ihnen in Widerspruch stehen können. Kommt es zu Widerlegungen in einem als hinlänglich beurteilten M a ß e (hier spielen Usancen, Konventionen der wissenschaftlichen Arbeit eine Rolle), so müssen die fraglichen Aussagen eliminiert oder verbessert werden. Ideologisches und utopisches Denken entziehen sich solchen Widerlegungsversuchen, sie werden von ihren Autoren in der Regel bewußt oder unbewußt nicht zur Kontrolle zugelassen. Ge-

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meinsam ist ihnen, daß sie der Wirklichkeit auf spezifische Weise inadäquat sind, mißweisend in bezug auf die Realität, wenn schon nicht notwendig logisch falsch (Th. Geiger). Mit „Ideologie" bezeichnet man die einer Gesellschaftsschicht oder den Trägern einer bestimmten ökonomischen oder politischen Interessenlage eigenen Denkweisen und Wertvorstellungen, sofern diese zur Rechtfertigung oder zur Verhüllung der wirklichen Interessen dienen. Solche Schichten- oder Klassenideologien können ihren Trägern bewußt oder unbewußt sein, je nachdem ist der Ideologe Täuscher oder Getäuschter. Er täuscht andere oder/und (unbewußt) sich selbst. Sie finden sich meist als politische Programme formuliert und stellen das Interesse der Gruppe als das der gesamten Gesellschaft, oder als Element einer schlechthin gerechten Ordnung, oder als Ziel der Geschichte oder dgl. dar. Kämpfe zwischen sozialen Gruppen erscheinen dann als Kämpfe zwischen verschiedenen ideologischen Positionen. Auch politische Kämpfe zwischen Staaten bringen Ideologien hervor, diese dienen als Integrationsinstrument nach innen (besonders deutlich bei totalitären Staaten) und als Parole und Expansionsantrieb nach außen. Der hier vertretene Ideologiebegriff bezieht sich in wechselnder Breite auf einzelne Gedanken oder ganze Aussagensysteme. Davon prinzipiell zu unterscheiden ist seine Anwendung auf den Denkprozeß schlechthin. Gestützt auf die Religionsphilosophie von L. Feuerbach entwickelten K. Marx und F. Engels die Lehre, daß alle Ideengebilde Derivate oder Uberbauten der wirtschaftlich-sozialen Realfaktoren sind („Uberbau-BasisLehre"). Nicht einzelne Gedankensysteme, sondern das Denken schlechthin sei ideologisch. Oder in der bekannten Formulierung: das Sein bestimmt das Bewußtsein. „Utopie" ist die Schilderung eines erhofften oder befürchteten Gesellschaftszustandes mit der Wirkung, daß eine Aktivität zur Herbeiführung oder Abwendung dieses Zustandes stimuliert wird. Auch Utopien können bewußt oder unbewußt sein, auch sie können sich entweder auf einzelne Gedanken beziehen oder umfassende Systeme betreffen. Vorwiegend die Soziologie (insb. K. Mannheim) hat sich intensiv mit der Untersuchung von Ideologien und z. T. auch von

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Utopien befaßt. Ziel der Ideologiekritik war und ist es, ideologische Aussagen aufzudecken und damit wirkungslos zu machen. Dies ist in unserem volkswirtschaftstheoretischen Zusammenhang besonders deshalb von Interesse, weil den ökonomischen „Theorien" oft die fatale Neigung innewohnt, sich mit der Änderung ihrer empirischen Basis nicht zu verändern, sondern zur Ideologie zu erstarren, sofern sich die entsprechende Interessentengruppe findet. Der klassische ökonomische Liberalismus ist ein gutes Beispiel dafür. Auch Utopien können als solche entlarvt, d. h. als unausführbar erwiesen und damit ihrer stimulierenden Wirkung beraubt werden. Unbeschadet der kritischen Haltung, die der Theoretiker gegen ideologisches und utopisches Denken im „wissenschaftlichen" Zusammenhang einnehmen muß, bleibt festzuhalten, daß diese Denkweisen sich für die Lösung praktischer Lebensprobleme als nützlich erweisen können. Insb. utopisches Denken ermöglicht die Vorstellung von Alternativen und stimuliert die Änderung als unbefriedigend empfundener Seinszustände. Gefährlich und abzulehnen ist lediglich die Vermengung von Utopien und Ideologien mit der wissenschaftlichen Aufgabe. 4. Werturteil a) Problemstellung Seit der Hochzeit der griechischen Philosophie wissen wir, daß der Mensch ein „geselliges Wesen" ist, daß er den gesellschaftlichen Einrichtungen und Verhältnissen schwerlich in einer Haltung strikter Neutralität oder gar mit Desinteresse gegenübersteht. Dies gilt in besonderem Maße für „die Wirtschaft" und ihre Ergebnisse, Folgen, Wirkungen; denn diese bestimmen in entscheidendem Maße Lebensweise und Daseinslage des Menschen. Seine Haltung ist daher stets Werthaltung, er empfindet und beurteilt unausgesetzt die ökonomisch-sozialen Erscheinungen als gut - schlecht, nützlich - schädlich, normal unnormal, gesund - ungesund, gerecht - ungerecht usw., kurz Haltungen sind von Wertvorstellungen bestimmt, das Denken, zumal das gesellschaftsbezogene Denken, ist von Werturteilen durchtränkt. Dies gilt unbestritten auch für den Wissenschaftler. So ist auch gegen dessen politische Entscheidung und sein

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politisches Bekenntnis, gegen sein Engagement in öffentlichen Belangen wahrlich nichts einzuwenden. Fraglich ist allein, ob Werturteile als wissenschaftliche Aussagen gelten können, oder ob „Wissenschaft" begriffsnotwendig werturteilsfrei sein muß. „Werturteile" sind (nach H . Albert) Aussagen, die (a) einen bestimmten Sachverhalt positiv oder negativ auszeichnen, (b) dabei ein normatives Prinzip (der Ethik, der Weltanschauung, der Religion, der Politik usw.) unterstellen, welches ein entsprechendes praktisches Verhalten fordert, billigt oder verwirft, und (c) die Erwartung erkennen lassen, daß der Adressat des Werturteils sich tatsächlich wie gewünscht verhalten wird. Das Problem, ja die Gefahr, liegt nun darin, daß sich derartige Werturteile in wissenschaftliche Aussagenzusammenhänge einschleichen. Die Auseinandersetzung über die Frage, ob Werturteile, allgemein: normative Aussagen, auch als wissenschaftliche Aussagen gelten dürfen, bzw. doch in Zusammenhang mit solchen geduldet werden können, oder ob Wissenschaft prinzipiell werturteilsfrei zu sein habe, durchzieht die Geschichte der Volkswirtschaftslehre. b) Der

„Werturteilsstreit"

Einen besonderen Höhepunkt fand die genannte Auseinandersetzung im sog. zweiten Methodenstreit, dem „klassischen" Werturteilsstreit. Dieser hatte seinen Ausgangspunkt in der Wiener Tagung des „Vereins für Socialpolitik" im Jahre 1909 und knüpfte an die Debatte über den Produktivitätsbegriff an. Es ging um die Rolle von Ethik und Politik in der Volkswirtschaftslehre. Der starke wirtschaftspolitische Einschlag der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie drängte zu der Frage, ob die Wissenschaft berechtigt sei, von sich aus normative Sätze aufzustellen und der Politik gegenüber zu vertreten. Eine Gruppe bejahte diese Frage, die andere erhob die Forderung nach einer werturteilsfreien Volkswirtschaftslehre. In diesen Auseinandersetzungen waren M. Weber (1864—1920) und W. Sombart (1863-1941) Hauptvertreter einer Werturteils-

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freien Wissenschaft; A. Wagner ( 1 8 3 5 - 1 9 1 7 ) , der Führer der sog. Kathedersozialisten, d. h. der Professoren, die sich für Sozialreform einsetzten, und H. Herkner ( 1 8 6 3 - 1 9 3 2 ) traten dagegen für die Zulässigkeit wissenschaftlicher Werturteile ein. Im Prinzip setzte sich in der Volkswirtschaftslehre der Standpunkt von M a x Weber durch, dessen Satz auf der Wiener Tagung, daß „das Hineinmengen eines Seinsollens in wissenschaftliche Fragen . . . eine Sache des Teufels" sei (Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1924, S. 457) den Weg wies. Allerdings ist das „Wertfreiheitsprinzip" in der Folgezeit oft mißverstanden worden, etwa in dem Sinne, daß damit von den Wissenschaftlern, bzw. von der Wissenschaft, Abstinenz gegenüber politisch-sozialen Zeitfragen verlangt werde. Gerade M a x Weber und Werner Sombart sind persönliche Beispiele hervorragend politisch engagierter Wissenschaftler, die es dabei aber auf sich nahmen, ihre wissenschaftlichen Beiträge von ihren politischen Stellungnahmen zu trennen. Die Machbarkeit einer so geforderten „Persönlichkeitsspaltung" ist bis heute umstritten und wird insb. von marxistischer Seite oder von Seiten der „kritischen Theorie" (Frankfurter Schule) lebhaft verneint.

c) Gegenwärtiger Stand der

Werturteilsproblematik

Wenden wir uns nun dem gegenwärtigen Stand der Problematik zu, wobei wir das Werturteilsproblem als Methodenproblem verstehen. Mit H. Albert sind in der methodologischen Wertproblematik drei Fragenkomplexe zu unterscheiden: (a) Das Problem der Wertbasis; (b) das Problem der Wertungen im Objektbereich; und (c) das eigentliche Werturteilsproblem (Werturteilsproblem i. e. S.). Wie schon deutlich geworden sein sollte, hat jede Wissenschaft eine Wertbasis einmal in dem Sinne, daß der Entschluß zu wissenschaftlicher Arbeit überhaupt, zur Objektivität, zur Kontrolle und Revision dieser Arbeit eine Wertentscheidung darstellt. Darüber hinaus hat jeder Forscher subjektive Wertentscheidungen zu treffen über die Auswahl der zu untersuchenden Probleme, über die auf ein spezielles Problem anzuwendenden besonderen Methoden, über die Relevanz von Beobachtun-

§ 10. Nichttheoretisches Denken

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gen zum Entscheid über bestimmte Problemlösungen, über die vorläufige Brauchbarkeit von Hypothesen. Das alles sind Werturteile, deren Notwendigkeit für Geistes- und für Naturwissenschaften, wenn man diese Trennung überhaupt noch machen will, gleichermaßen besteht. Für soziale, speziell auch für ökonomische Beziehungen und Handlungen, die das Objekt unserer Wissenschaft bilden, sind häufig Wertungen (soziale Normen) konstitutiv. Sie müssen daher mit den Methoden unserer Wissenschaft aufgespürt, beschrieben und erklärt werden. Werturteile als Objekte wissenschaftlicher Analyse werden durch Sätze untersucht, die selbst nicht Werturteile sind. Einfach ausgedrückt: es kann wissenschaftlich nachprüfbar geklärt werden, was mit einer Wertung gemeint ist, ohne daß diese Wertung ihrerseits durch ein (nichtwissenschaftliches) Werturteil beurteilt werden müßte. Eine Vertiefung dieser Problematik führt hin zu semantischen Untersuchungen, insb. zu der Unterscheidung von Objektsprache, die jeweils den Gegenstand der Analyse bildet, und Metasprache, die als Instrument der Analyse benutzt wird (W. Stegmüller). Nun zum eigentlichen Werturteilsproblem: Werturteile, so hatten wir dargelegt, beurteilen einen Sachverhalt in positiver oder negativer Weise im Hinblick auf das Verhalten von betroffenen Menschen. Dabei wird unterstellt, daß ein normatives Prinzip, welches dieses Verhalten fordert, anerkannt wird und die Adressaten des Urteils sich danach richten. Die Frage ist, ob Sätze dieses Inhalts in den wissenschaftlichen (theoretischen) Aussagenzusammenhang aufgenommen werden dürfen oder gar müssen. Die Antwort folgt aus dem, was wir oben über Theorie und theoretisches Denken ausgeführt haben. Weder die Wertbasis wissenschaftlichen Denkens, noch Wertungen im Objektbereich der Wissenschaft erzwingen Werturteile im Aussagenzusammenhang. Auch die Anwendung der Theorie, z. B. auf wirtschaftspolitische Problemstellungen, ist kein Grund dafür, Werturteile in theoretische Aussagenzusammenhänge zu stellen oder sie auch nur in solchen zu dulden. Entscheidend für die Anwendbarkeit einer Theorie auf wirtschaftspolitische Zwecke (z. B. für die Beratung von wirtschaftspolitischen Instanzen) ist nicht ein normativer Gehalt der Theo-

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II. Methodenfragen

rie, sondern ihre Relevanz für die betreffenden Probleme. Dieses ihr „Lösungspotential" hängt aber ausschließlich ab vom Gehalt an Informationen über die Wirklichkeit. Dazu erinnern wir an die Grundzüge der theoretischen Methodik: auf die Problemauswahl folgt die Formulierung alternativer Erklärungshypothesen, die als Prämissen in ein logisches System eingebracht werden. Deduktiv werden Implikationen entfaltet und das Ergebnis wird empirisch überprüft mit dem Ziele der Bewährung. Die Auswahl der Hypothesen und Methoden gehört in die Wertbasis der Wissenschaft. Ein darüber hinausgehender Platz für Werturteile, die Instrumente der theoretischen Analyse sein müßten, ist nicht ersichtlich. Fassen wir zusammen: der wirtschaftstheoretische Forscher entscheidet sich für Probleme, Methoden und Hypothesen, er gibt insofern Werturteile ab; er untersucht mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden u. a. auch Werturteile; Werturteile selbst zählen aber weder zu den wissenschaftlichen Methoden, noch tragen sie in theoretischen Aussagezusammenhängen zur Erkenntnisgewinnung bei. Im Gegenteil können sie eine vorurteilsfreie Erkenntnisgewinnung behindern.

§ 11. Zur Methodik der Volkswirtschaftstheorie Die bisher in Grundzügen geschilderte Methodologie der empirischen Wissenschaften, wesentlich war es die Methodologie des Kritischen Rationalismus, ist nicht fachspezifisch. Sie ist vielmehr Basis sowohl der empirischen Sozialwissenschaften, wie der Naturwissenschaften, die von Anfang an nicht anders denn als empirische Wissenschaften verstanden wurden. Die Behauptung einer diesen Erfahrungswissenschaften gemeinsamen Methodologie ist ein nicht unerhebliches Kennzeichen des Kritischen Rationalismus. Über diese allgemeinen Grundlagen hinaus hat die Volkswirtschaftslehre eine facheigene Methodik entwickelt, die den Eigentümlichkeiten des Forschungsgegenstandes Wirtschaft auf spezifische Weise Rechnung trägt. Dabei ist auffällig, in welchem großen Umfange im Laufe der Geschichte der Volkswirt-

$11. Zur Methodik der Volkswirtschaftstheorie

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schaftslehre Entlehnungen aus den Naturwissenschaften und der Medizin anzufinden sind. Es soll an dieser Stelle nicht ein vollständiger Überblick über die fachspezifische Methodik gegeben werden, vor allem weil sich Methodenfragen des Faches generell fruchtbarer in Verbindung mit konkreten Problemstellungen erörtern lassen. Insofern enthalten alle vier Bände dieser einfachen Darstellung der Volkswirtschaftslehre an vielen Stellen methodenbezogene Überlegungen. Die folgenden Ausführungen bringen daher nur die unentbehrlichsten Hinweise. Auch sie werden sich an anderer Stelle wiederfinden, z. B. der Gleichgewichtsbegriff bei der Behandlung des Kreislaufgleichgewichts (vgl. § 21). 1. Planmäßigkeit des Wirtschaftens Eine der wichtigsten methodischen Festlegungen ist das Verfahren, alle wirtschaftlichen Erscheinungen prinzipiell zurückzuführen auf die Wahlentscheidungen, bzw. Wirtschaftspläne handelnder Wirtschaftseinheiten. Die Perspektive, Wirtschaft und Wirtschaften als planvolles menschliches Handeln zu interpretieren, bestimmt zu einem großen Teil den Ablauf ökonomischer Analysen. Dabei wird zumeist der Ansatz gewählt, Hypothesen über das Verhalten derartiger Individuen oder - problematischer! - Gruppen von Individuen aufzustellen. So auch in diesen Bänden. Hier berührt die Volkswirtschaftslehre die (Individual- und Sozial-)Psychologie, und man m u ß betrübt bekennen, daß sie deren modernere Einsichten noch nicht hinreichend zur Kenntnis genommen hat. 2. Funktionalistische Betrachtungsweise Eine weitere zentrale methodologische Festlegung ist die Verwendung der funktionalistischen Betrachtungsweise, zumal sich damit der mathematischen Formulierung von theoretisch erkannten Zusammenhängen vorzügliche Möglichkeiten eröffnen. Dabei ist zu beachten, daß der Ausdruck „Funktion" mehrdeutig ist. In der ökonomischen Theorie deckt er zumindest zwei voneinander wohl zu unterscheidende Sachverhalte. In naturwissenschaftlicher (biologischer) Analogie bedeutet Funktion die Leistung, Wirkungsweise, Zweckbestimmung eines 7

Paulsen/Schildier, Allgem. Volksw. I

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II. Methodenfragen

Teiles im Hinblick auf ein Ganzes, so etwa auch im Ausdruck Geldfunktionen. In der Mathematik heißt er dagegen Zuordnung, ein einseitiges oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zweier oder mehrerer Quantitäten meist innerhalb eines begrenzten Definitionsbereichs, wobei sich die Variablen in Korrelation miteinander verändern. In diesem Sinne wird „Funktion" hier verwendet: es entspricht einer weitverbreiteten Übung, wechselseitige Abhängigkeiten zwischen ökonomischen Zuständen, Ereignissen, Größen usw. als Funktionalbeziehungen aufzufassen und darzustellen. Dieses Aufbrechen der allgemeinen, zirkulären „Interdependenz" aller ökonomischer Erscheinungen durch das Herauslösen von Funktionalbeziehungen legt Richtung und oft auch Stärke von Abhängigkeiten fest, erlaubt also die Unterscheidung einer Reihe von Einflüssen. 3. Gleichgewichtsvorstellung Schließlich war eine für die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre insgesamt, wie für den Gang vieler Einzelanalysen folgenschwere methodologische Entscheidung die Einführung der Gleichgewichtsvorstellung. Wir sehen an dieser Stelle von dem Problem zahlreicher konkurrierender Gleichgewichtsdefinitionen ab und wollen allein darauf abheben, d a ß „Gleichgewicht" eines der wichtigsten theoretischen Denkinstrumente des Faches geworden ist. Gleichgewicht als Leitvorstellung („methodological devise") der Analyse gestattet, in erdachten (konstruierten) ökonomischen Wirkungszusammenhängen Ruhezustände und (wenn auch erheblich unzureichender) Bewegungsabläufe zu determinieren (vgl. § 21. 1.). Die Gleichgewichtsvorstellung ist konstitutiver Bestandteil vieler modellhafter Untersuchungen, in denen denkmögliche, aber nicht empirische ökonomische Situationen behandelt werden. Die Übertragung der solchen Gedankenexperimenten entspringenden Schlußfolgerungen auf Zustände und Bewegungsabläufe in der konkreten ökonomischen Wirklichkeit, d. h. also auf reale historische Situationen, ist oft unternommen, doch auch stets und neuerdings in wachsendem Umfange für unzulässig erklärt (N. Kaldor, J. Kornai), ja geradezu aggressiv kritisiert worden (G. Kade).

s 11. Zur Methodik der Volkswirtschaftstheorie

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Es mehren sich gegenwärtig die Stimmen, die von der Irrelevanz der Gleichgewichtsvorstellung sprechen, den Verzicht auf sie fordern, da sie und die ihr entspringende „Gleichgewichtsökonomik" zu Mißdeutungen der ökonomischen Wirklichkeit veranlassen kann. Man darf dazu sagen, daß diese kritische Haltung wohlbegründet ist, bewahrt sie uns doch zunächst davor, „Gleichgewicht" als einen normativen Begriff zu benutzen und es als einen erwünschten, vielleicht nur in bestimmten Wirtschaftsordnungen erreichbaren Zustand mißzuverstehen. Im übrigen allerdings hält der Verfasser im Gegensatz zu strikter vorgehenden Methodologen die vorsichtige Verwendung des Gleichgewichtsbegriffs als eines heuristischen Hilfsmittels, welches uns erlaubt, beobachtete oder simulierte Veränderungen (Bewegungsvorgänge) als „gerichtet" zu beschreiben, in dem Sinne für möglich, als das oben über methodologisch unbefriedigende Theorien im allgemeinen Gesagte gilt: so lange bessere Instrumente nicht zur Verfügung stehen, sollte man die benutzbaren nicht einfach verwerfen. Unbeschadet dessen ist die Aufgabe, sich von der so leicht irreleitenden Gedankenwelt der Gleichgewichtsökonomik zu lösen und zu einer wirklichkeitsnäheren Ökonomik der wirtschaftlichen Entwicklung und der ungleichgewichtigen Anpassungsprozesse zu kommen, eine der großen bisher unerfüllten Forderungen an die Volkswirtschaftstheorie dieser Zeit. Zu solcher realistischeren Erklärung wirtschaftlicher Verlaufsvorgänge wird es eines substanziellen Wandels eingefahrener Denkgewohnheiten bedürfen. 4. Einzelne Methoden im Uberblick Neben den zentralen Ansätzen der ökonomischen Theorie, Planmäßigkeit, Funktionalität und Gleichgewicht, benutzt diese eine Fülle weiterer methodologischer Begriffe und methodischer Verfahren in einem fachspezifischen Sinne. Daraus soll im folgenden eine Auswahl genannt werden. a) individuell - partiell - total In individueller Methode wird die Einzelerscheinung, in der Wirtschaftswissenschaft der einzelne Haushalt, die einzelne 7*

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II. Methodenfragen

Unternehmung usw., zum Objekt der Forschung, in partieller Methode ein umfassenderer Teil des Ganzen, z. B. ein Markt, in totaler Methode das Ganze, z. B. eine Volkswirtschaft. b) mikroökonomisch - makroökonomisch M i k r o . . . bedeutet in den Zusammensetzungen klein, m a k r o . . . groß, beides kommt aus dem Griechischen. Mikroökonomisch heißt eine Analyse dann, wenn sie sich einzelwirtschaftlicher Variabler bedient, makroökonomisch, wenn sie gesamtwirtschaftliche Variable benutzt. Das hauptsächliche Problem dabei ist die Aggregation von Mikro- zu Makrogrößen. Totale Analysen (einer Volkswirtschaft) können mikroökonomisch (Typ Walras) oder makroökonomisch (Typ Keynes) formuliert sein. c) Bestand - Strom Bestandsgrößen sind ökonomische Variable, die sich auf einen Zeitpunkt beziehen (z. B. Vermögen), Stromgrößen solche, die sich auf einen Zeitraum beziehen (z. B. Einkommen). d) ex ante - ex post Ex-post-Größen sind ökonomische Größen, die sich auf die Vergangenheit oder Gegenwart beziehen, sie sind also realisiert. Ex-ante-Größen dagegen liegen in der Zukunft, sie sind daher geplante oder erwartete (in der Erwartung der Wirtschaftssubjekte vorhandene) Größen. Die Begriffe werden auch auf Gleichungen und Systeme bezogen. e) realisiert - geplant Dies entspricht der Unterscheidung d). f) stationär - evolutorisch Stationäre Größen ändern ihren Wert im Zeitablauf nicht, evolutorische dagegen wachsen oder schrumpfen in der Zeit. Oft wird als stationäre Wirtschaft eine solche bezeichnet, in der die Netto-Investition null ist und daher der Realkapitalbestand in der Zeit unverändert bleibt, als wachsende eine solche mit positiver Netto-Investition.

§ 11. Zur Methodik der Volkswirtschaftstheorie

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g) statisch - komparativ statisch - dynamisch. Im Gegensatz zum Begriffspaar stationär-evolutorisch bezieht sich statisch usw. nicht auf ökonomische Größen, sondern auf Gleichungen und Gleichungssysteme, Modelle, Theorien usw. Die Worte sind als technische Analogie zu verstehen. In der Technik (Mechanik) bezeichnet „Statik" das Gleichgewicht der Kräfte, „Dynamik" die Lehre, die sich mit der Bewegung von Körpern unter dem Einfluß von Kräften befaßt. In wirtschaftswissenschaftlicher Anwendung werden in statischer Methode die untersuchten Variablen auf denselben Zeitpunkt oder Zeitraum, in dynamischer auf verschiedene Zeitpunkte (Bestands-* großen) bzw. Zeiträume (Stromgrößen) bezogen (R. Frisch). Komparative Statik liegt vor, wenn auf verschiedene Zeitpunkte/Zeiträume bezogene, in sich zeitgleiche Gleichungen, Systeme usw. verglichen werden. In einer anderen Begriffsfassung wird von Dynamik dann gesprochen, wenn Wirtschaftsgrößen als Funktion der Zeit aufgefaßt werden. h) endogen - exogen Endogene ökonomische Größen werden innerhalb eines ökonomischen Systems erklärt, meist indem sie zu abhängigen Variablen (Funktionen) ökonomischer Variabler gemacht werden. Exogene Größen wirken in ökonomischen Systemen, sind jedoch nicht durch ökonomische Faktoren bestimmt. Die Unterscheidung ist eine methodische, d .h. es gibt nicht „exogene", bzw. „endogene" Größen schlechthin, sie werden zu solchen nur durch ihre Stellung im jeweiligen Aussagezusammenhang (Modell), die sich aus der wechselnden Fragestellung ergibt. Exogene Größen werden oft zu Daten (parametrischen Konstanten) erklärt. i) kurzfristig - langfristig Das Begriffspaar wird mehrdeutig verwendet, z. B. als Attribut von Wertpapieren je nach ihrer Laufzeit. Hauptsächlich aber wird es in der Preistheorie benutzt: kurzfristig wird die Preisbildung unter der Annahme konstanter Realkapitalausstattung der Produzenten, langfristig bei variabler Realkapitalausstattung untersucht.

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II. Methodenfragen

j) monetär - real Verschiedene ökonomische Größen werden als „physische" Größen in unterschiedlichen Dimensionen (nach Gewicht, Länge, Stückzahl usw.) gemessen und sind insofern nicht addierbar. Um mit ihnen als Aggregaten auch dann arbeiten zu können, wenn sie nicht technisch homogen sind, müssen sie jeweils auf einen einheitlichen Nenner gebracht, d. h. in einer gemeinsamen Recheneinheit ausgedrückt werden: sie werden mit ihrem „Preis" multipliziert. Monetäre Größen liegen dann vor, wenn die physischen Einheiten mit den jeweiligen Preisen bewertet werden, reale Größen dann, wenn eine Preisbereinigung dergestalt vorgenommen wurde, daß die physischen Einheiten in den Preisen eines Basisjahres bewertet sind. Am einfachsten findet sich das ausgedrückt, indem die monetäre Größe, z. B. das Sozialprodukt (Volkseinkommen) Y, durch einen geeigneten Preisindex („Preisniveau") P dividiert („deflationiert") Y wird: — . Geld selbst ist eine monetäre Größe, deren „Preis" pro Geldeinheit regelmäßig 1 beträgt (eine Mark „kostet" eine Mark). War im Vorstehenden teilweise nur von „Größen" die Rede, so läßt sich das in diesem Abschnitt katalogartig Gebrachte doch leicht als Problem ökonomischer Methodik erkennen. Es ist z. B. von großer Bedeutung, ob in monetärer Methode in einem ökonomischen Modell nur Variable Verwendung finden, die nicht preisbereinigt sind, oder in realer Mediode preisbereinigte. Erwähnt sei nur noch, daß die an anderer Stelle geschilderte Benutzung der ceteris-paribus-Klausel in ökonomischen Modellen ebenso als eine „Methode" zu beschreiben und zu beurteilen ist, wie andere im Zuge der Sachdarstellung in diesen Bänden benutzte Techniken. Die oben gegebene Aufzählung ist, wir wiederholen es, nicht vollständig. § 12. Schlußbemerkung Am Ende unserer methodologischen Betrachtungen soll die Mahnung stehen, daß alle Methodenfragen stets und nur im

§ 12. Schlußbemerkung

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Zusammenhange der konkreten wissenschaftlichen Forschungsarbeit gesehen werden sollten. So wenig methodologische Exerzitien um ihrer selbst willen von besonderem Nutzen sind, so sehr sollte die Reflexion der eingesetzten (und der verschmähten!) Methoden selbstverständlicher Teil der kritischen Prüfprozesse sein, denen sich eine empirische und mithin undogmatische Wissenschaft fort und fort unterwirft. Sowenig eine in solchem Selbstverständnis betriebene Wissenschaft irgendwelche ihrer Sätze der kritischen Nachprüfung entziehen kann, etwa indem sie diese für restlos gesichert und unumstößlich „wahr" erklärt, so wenig gibt es eindeutig richtige oder falsche Methoden. Von der ununterbrochenen kritischen Diskussion der wissenschaftlichen Ergebnisse ist die Diskussion der Methoden, mit denen sie erreicht wurden, nicht zu trennen.

III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft § 13. Historische Typen (Wirtschaftsstufen) Die historisch gerichtete Wirtschaftsforschung hat die Aufstellung von „Wirtschaftsstufen" als regelmäßige Entwicklungsfolge in der Wirtschaft aller Völker mit dem Ziel versucht, für jede Wirtschaftsstufe adäquate Theorien zu entwickeln. Im Prinzip zeigen die Stufen die Stadien einer ständig weiter und intensiver werdenden gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Bekannte Stufentheorien sind die von Friedrich List (Das nationale System der Politischen Ökonomie, 1841): wilder Zustand, Hirtenstand, Agrikulturstand, Agrikultur-Manufakturstand, Agrikultur-Manufaktur-Handelsstand; Unterscheidungsmerkmal ist der jeweilige Zustand der Produktionstechnik; Bruno Hildebrand (Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft, 1848): Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft, Kreditwirtschaft; Einteilungsgrund ist der Zustand des Tausch Verkehrs; Karl Bücher (Die Entstehung der Volkswirtschaft, 1893): geschlossene Hauswirtschaft (tauschlose Wirtschaft, Eigenproduktion, Hausgewerbe), Stadtwirtschaft (direkter Tausch, Kundenproduktion, Handwerk), Volkswirtschaft (Marktverkehr, Warenproduktion, Fabriksystem). Kriterium ist hier die Länge des Weges, den die Güter vom Erzeuger zum Verbraucher zurücklegen, also das Ausmaß der Arbeitsteilung. Nach der Auffassung von Karl Marx (1818-1883) bildet die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Uberbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt". (Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie [1859], in MEW [Marx-

§ 13. Historische Typen (Wirtschaftsstrafen)

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Engels-Werke], Band 13, S. 8 f., Berlin 1964.) Gemäß unterschiedlicher Produktionsweise werden folgende geschichtliche Entwicklungsstufen (Gesellschaftsformationen) unterschieden: 1. Urgesellschaft (oder archaische bzw. asiatische Gemeinschaft) 2. Sklavenhaltergesellschaft 3. Feudalismus 4. Kapitalismus 5. Sozialismus und Kommunismus Jede Stufe ist charakterisiert durch einen bestimmten Entwicklungsstand von Produktivkräften (insbesondere arbeitenden Menschen) und Produktionsverhältnissen (insbesondere Eigentumsverhältnissen), die zusammen eine bestimmte Produktionsweise hervorbringen. Sie bestimmen auch die Art und Weise der Aneignung des Mehrproduktes. Das Mehrprodukt entsteht durch Mehrarbeit = „Arbeit über das Maß der gegebenen Bedürfnisse hinaus" (Karl Marx: Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Dritter Band, Buch III: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion, [1894], in MEW, Band 25, S. 827, Berlin 1964). „Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit." (Karl Marx: Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals [1867], in MEW, Band 23, S. 231, Berlin 1962.) Der Übergang von einer Stufe zur nächsten erfolgt durch Revolution. Die Werktätigen wollen die Verteilung des Mehrprodukts zu ihren Gunsten ändern, kämpfen für die Aufhebung der Klassenunterschiede und die Änderung der Eigentumsordnung. Die herrschenden (besitzenden) Klassen widersetzen sich allerdings. Diese Spannungen führen schließlich zum revolutionären Umschwung, aus dem eine neue Produktionsweise hervorgeht. Notwendiger und zugleich erkämpfenswerter Endpunkt dieser Entwicklung ist der Sozialismus-Kommunismus, in dem keine Ausbeutung mehr möglich ist. Der amerikanische Wirtschaftshistoriker W. W. Rostow (The Process of Economic Growth. 2nd ed., Oxford 1960; Stadien

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HI. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

wirtschaftlichen Wachstums, Göttingen 1960) unternahm eine Einteilung der bestehenden Gesellschaften in fünf Kategorien, die einen geschichtlichen Stellenwert insofern haben, als sie zugleich Stadien der Entwicklung bezeichnen. Es sind: 1. traditionelle Gesellschaften, verharrend in überwiegend landwirtschaftlicher Produktion selbstversorgender Einzelwirtschaften, 2. Übergangsgesellschaften mit Stärkung der Staatstätigkeit und Bildung sozialen Kapitals, dazu stärkere Erwerbsgesinnung und Zuwendung zu technischen Verbesserungen, 3. Startgesellschaften, in denen durch verstärkte Kapitalbildung und industrielle Erschließung die Basis für durch eigene Impulse fortgesetzt wachsende Wirtschaftstätigkeiten gelegt wird, 4. reife Gesellschaften mit umfassender Industrialisierung und fortgesetzter Kapitalbildung, 5. Massenkonsumgesellschaften mit Ausbreitung der wirtschaftlichen Ergiebigkeit auf breite Bevölkerungsschichten und entsprechender Änderung der wirtschaftlich-sozialen Institutionen oder zwangswirtschaftlich orientierte Volkswirtschaften. Die Geschichtswissenschaft hat der Aufstellung solcher Stufen überwiegend widersprochen. Weder läßt sich f ü r alle Gesellschaften die gemeinte Folge nachweisen, noch ist gar von einem „Gesetz" einer solchen Folge zu sprechen. Unter Verzicht auf die Behauptung einer chronologischen Abfolge gleicher Stufen können historische Wirtschaftsverhältnisse mit „idealtypischen" Verhältnissen, d. h. „reinen", abstrakten Typen, verglichen und damit beschrieben werden. So wurden insb. die Bücher'schen Stufen zu „Idealtypen" umgedeutet. Idealtyp ist ein heuristischer Begriff. Sein logischer Status erscheint ungesichert und uneinheitlich, seine methodologische Verwendung daher problematisch. Im Anschluß an Max Weber wurde er von Walter Eucken in die Theorie der Wirtschaftssysteme eingeführt und wird, vorwiegend in diesem Zusammenhang, auch gegenwärtig noch benutzt. Das mag es rechtfertigen, sich hier damit zu befassen. Der Idealtypus „wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß

§ 14. Wirtschaftsstil, -Ordnung, -Verfassung

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einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar... und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde s t e h t . . . " (Max Weber, Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. 1904. Abgedr. in: Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1922, S. 191). Die Methode der Bildung von Idealtypen ist selbstverständlich nicht auf geschichtliche Erscheinungen beschränkt, sondern ist überall anwendbar, wo die als typisch angesehenen Grundzüge individuell unterschiedlicher Erscheinungen in ihrer Reinheit herausgestellt werden sollen. Der Begriff „Idealtyp" bezieht sich also nicht auf ein Ideal im Sinne der Verwirklichung bestimmter Werte des Sein-Sollens (wie Piatons idealer Staat des Wertes der Gerechtigkeit). - Dagegen kann unterschieden werden zwischen einem Idealtyp, der durch Setzung bestimmter Axiome ohne Bezugnahme auf irgendeine Realität gebildet wird (z. B. der „isolierte Staat" von Thünen, 1783-1850) und einem „Realtyp", der gemäß der Definition von Weber bestimmte Züge realer Erscheinungen akzentuierend hervorhebt (etwa: Realtyp der Stadtwirtschaft im deutschen Mittelalter). § 14. Wirtschaftsstil, Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung Von „Wirtschaftsstilen" spricht man, um die Bedeutung des Wirtschaftsgeistes und der Wirtschaftsgesinnung zu erfassen, die sich in der Organisation wie in der Art des Wirtschaftens ausprägen. Dabei soll namentlich auch das Entsprechensverhältnis der wirtschaftlichen Gestaltungen zu den gleichzeitigen sonstigen Bildungen der Kultur und des gesellschaftlichen Daseins aufgewiesen, die innere und formgestaltende Einheitlichkeit der menschlichen Schöpfungen auf allen gleichzeitigen Gebieten des Daseins gezeigt werden.

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

Die Bildung von Wirtschaftsstilen ist ebenso wie die von 'historischen Wirtschaftsstufen als Versuch anzusehen, Querschnitte durch den in der Zeit ablaufenden Prozeß der geschichtlichen Entwicklung zu legen. Erst mit dem Übergang zu Idealtypen wird aus Wirtschaftsgeschichte Wirtschaftstheorie, - „Theorie" dabei in einem sehr weiten Sinne verstanden. Die „Ordnung" einer Gesellschaftswirtschaft (Wirtschaftsordnung) ist bestimmt durch die in ihr geltenden Normen (Wirtschaftsnormen) als Regulative des wirtschaftlichen Handelns. Die naturgegebene Notwendigkeit zum Wirtschaften führt nicht zu einem „natürlichen" System der Gesellschaftswirtschaft. Im besonderen gibt es keine natürliche Harmonie zwischen Eigennutz und Gemeinwohl; beide sind vereinbar, wenn durch Normen und Institutionen die Auswirkungen des Eigennutzes nur in Richtungen zugelassen werden, die dem Gesamtinteresse nicht zuwiderlaufen. Im besonderen regeln die Normen, welche Mittel der Güterbeschaffung als zulässig gelten. (Ausschluß von Gewalt, Betrug, arglistiger Täuschung; Zulassung von Nutzung des Privateigentums durch Gebrauch und Tausch, freier Verwendung eigener Arbeitsfähigkeit usw.) Die geltenden Normen und daher die Ordnungen der Gesellschaftswirtschaften sind stark unterschiedlich. Z. B. galt früher Seeraub als zulässiges, Zinsnahme als unzulässiges Mittel der Güterbeschaffung. Die Zulässigkeit der Bildung und Ausnutzung ökonomischer Machtstellungen zur Durchsetzung eigener Interessen (Monopole) war und ist umstritten. Geltung der Normen setzt ihre Durchsetzbarkeit voraus, die in modernen Gesellschaften nur für vom Staat gesetzte rechtliche Normen gesichert ist. Die unmittelbare Setzung von wirtschaftlichen Normen durch die Kirche ist beseitigt (Zinsverbot, kirchliches Verbot der Sonntagsarbeit). — Normen, die sich in den beteiligten Wirtschaftskreisen bilden und allgemein Anerkennung finden, können durch den Staat anerkannt werden („Konventionairegeln", Handelsbräuche).

§ 15. Wirtschaftssysteme

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Rechtlich gesetzte Normen sind erzwingbar, inhaltlich bestimmt (d. h., die rechtlichen Voraussetzungen und Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen sind gewiß und daher kalkulierbar) und gelten durchweg allgemein (Beseitigung wirtschaftlicher Sonderrechte für bestimmte Stände wie der feudalen Rechte des adligen Grundbesitzes). Normen können sein: 1. formal, sofern sie nur Vorschriften für die Geltung wirtschaftlicher Vereinbarungen aufstellen (z. B. Wechselrecht, Recht der Kaufverträge usw.), 2. materiell, sofern sie wirtschaftliche Vorgänge inhaltlich regeln (z. B. Beschränkung der Arbeitszeit, Lieferpflicht). Rechtsnormen sind wesentlicher Bestandteil der in einer Gesellschaftswirtschaft geltenden Normen. Die Gesamtheit der sich auf das Wirtschaftsleben beziehenden Rechtsnormen konstituiert die „Wirtschaftsverfassung". Sie ist nicht identisch mit der „Wirtschaftsordnung", die über den rechtlichen Rahmen hinaus u. a. durch traditionale, moralische sowie religiöse Normen gebildet wird. Auch können wirtschaftsrechtliche Normen unterlaufen werden (z. B. Verletzung der Wettbewerbsverfassung durch Monopolisierung und Kartellierung). § 15. Wirtschaftssysteme 1. Begriffe Die Gesamtheit der in einer Gesellschaft geltenden Normen des wirtschaftlichen Handelns kennzeichnet ihre konkrete (reale, tatsächliche) Wirtschaftsordnung. Stellt man sich gewisse Normen in einem gedanklichen Modell zu einem konsistenten (logisch widerspruchsfreien) System voll verwirklicht vor, spricht man von idealtypischen (gedanklichen) Wirtschaftsordnungen. (Zu „Idealtyp" vgl. § 13). Dafür wird häufig der Begriff „Wirtschaftssysteme" verwendet (so von Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1. Aufl., 1939). Der Begriff „Wirtschaftssystem" findet allerdings auch in einem umfassenderen Sinne Anwendung, er bezeichnet dann z. B. die als geistige Einheit gedachte Wirtschaftsweise, beherrscht von einer

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

bestimmten Wirtschaftsgesinnung, gekennzeichnet durch eine bestimmte O r d n u n g u n d durch die Anwendung einer bestimmten Technik (Werner Sombart, 1863-1941). Auch mit anderen Inhalten wird dieser Begriff verbunden. Sofern stets zwischen idealtypischen (gedanklichen) und realen (verwirklichten) Wirtschaftsordnungen klar unterschieden würde, wäre das W o r t „Wirtschaftssystem" f ü r die Analyse der ökonomischen Wirklichkeit durchaus entbehrlich, und seine Mehrdeutigkeit könnte es nahelegen, auf diese Bezeichnung auch tatsächlich zu verzichten. Wir wollen sie jedoch beibehalten und im Sinne von Eucken verwenden, weil sie sich überwiegend in diesem Sinne durchgesetzt hat. 2. Individualprinzip versus Sozialprinzip Da die Normen stets die Eingliederung der einzelnen in den gesellschaftswirtschaftlichen Gesamtzusammenhang regeln, ist für die Ordnungsform konstituierend die Entscheidung zwischen Individual- und Sozialprinzip und damit zwischen dem Umfang, in dem Elemente der individuellen Entscheidungsfreiheit und Elemente zentralistischer Reglementierung in dieser Ordnung verwirklicht werden. Z u regeln ist die Zuweisung der wirtschaftlichen Entscheidungen an die einzelnen einerseits, an den Staat und seine Organe als Vertreter des gesellschaftlichen Ganzen andererseits. Einheiten, die Dispositionen zur Erreichung selbstgesteckter ökonomischer Ziele treffen (einen „Wirtschaftsplan" aufstellen) können, heißen „Wirtschaftssubjekte". Davon zu unterscheiden sind Personen, die ohne eigene wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit in den Wirtschaftsplan eines anderen eingegliedert sind. Der Grad der Verwirklichung des Individualprinzips ist daher bestimmt durch die Festlegung, wieweit die Glieder der Gesellschaft als Wirtschaftssubjekte anerkannt sind. Im einzelnen lassen sich die Prinzipien aufgliedern in Regulierungen 1. der privaten Eigentumsrechte, 2. der ökonomischen Beziehungen zwischen den einzelnen, einschließlich der Gestaltung sozialer Gebilde mit ökonomischer Zwecksetzung (Betriebe),

§ 15. Wirtschaftssysteme

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3. der ökonomischen Beziehungen zwischen den einzelnen und dem Staat. Der (gedankliche) Grenzfall weitestgehender Anerkennung des Individualprinzips 'heißt „freie Verkehrswirtschaft", oder einfach „Verkehrswirtschaft", der entgegengesetzte der weitestgehenden Verwirklichung des Sozialprinzips „total zentralgeleitete Wirtschaft". Im ersten Fall werden die wirtschaftlichen Entscheidungen völlig in die Sphäre der Individuen verlagert; der Staat nimmt auf das wirtschaftliche Geschehen inhaltlich keinen Einfluß, sondern beschränkt sich auf die Setzung formaler Normen als Ordnungsprinzipien („Spielregeln"). Für den Liberalismus ist individuelle Freiheit im Bereich des Wirtschaftens sowohl unentbehrlicher Teil der Verwirklichung der Freiheit überhaupt, wie unentbehrliche Voraussetzung für die Sicherung persönlicher Freiheit im politischen Bereich. Reguliert der Staat das wirtschaftliche Verhalten seiner Bürger, so gewinnt er nach dieser Auffassung auch politische Macht über sie. - Im zweiten Fall zieht der Staat alle wirtschaftlichen Entscheidungen an sich, die einzelnen sind nur Glieder des Wirtschaftsplanes des Staates, der einziges „Wirtschaftssubjekt" ist; die Normen des Staates bestimmen das wirtschaftliche Geschehen inhaltlich („totaler Dirigismus"). Die zentralgeleitete Wirtschaft kann eine ganze Volkswirtschaft, aber auch kleinere Wirtschaftseinheiten umfassen. Eine zentralgeleitete Volkswirtschaft wird auch als „Zentralverwaltungswirtschaft" bezeichnet. Daraus ergibt sich für die genannten regulativen Prinzipien: 1. In der freien Verkehrswirtschaft ist privates Eigentum in weitestem Umfang anerkannt, namentlich auch für sachliche Produktionsmittel (Grund und Boden, Kapital). - In der total zentralgeleiteten Wirtschaft gibt es kein privates Eigentum an sachlichen Produktionsmitteln. Im extremen Falle auch nicht an Verbrauchsgütern und an der eigenen Person. 2. Die ökonomischen Beziehungen zwischen den einzelnen sind in der freien Verke'hrswirtschaft freies Zusammentreten von Wirtschaftssubjekten, soweit sie das als im Interesse ihrer ökonomischen Ziele liegend anerkennen; die Beziehungen haben die f o r m frei abgeschlossener Verträge. Vertragsfreiheit ist also

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

eines der konstituierenden Prinzipien der Verkehrswirtschaft. - In der total zentralgeleiteten Wirtschaft erfolgt die Verbindung durch Befehle wie Einweisung in bestimmte Arbeitsplätze, Leistungszwang, Zuteilung von Verbrauchsgütern usw. Die einzelnen sind Teile eines technischen Produktions- und Verbrauchsplanes. 3. In der freien Verkehrswirtschaft beansprucht zwar der Staat für sich das Recht der Weisung und des Zwangs, namentlich zur Beschaffung der Mittel zur Durchführung seiner staatlichen Aufgaben, d . h . : die Leistungen des Staates werden nicht auf Märkten angeboten und gekauft. Aber dieses Verhältnis ist rechtlich geregelt, Staatswillkür („Ermessensmißbrauch") ist ausgeschlossen. - In der total zentralgeleiteten Wirtschaft ist das ökonomische Subordinationsverhältnis der Glieder der Gesellschaft unter den Staat völlig durchgeführt („Exekutivstaat"). In der total zentralgeleiteten Wirtschaft fehlen alle Bildungen des „gesellschaftlichen" Wirtschaftens wie Markt, Preis, Handel usw., da diese stets sich frei entscheidende Wirtschaftseinheiten als „Kontrahenten" voraussetzen. Durch die zentral geregelte Verteilung der in einer Gesellschaft vorhandenen Ressourcen auf die einzelnen Einheiten verliert auch das Geld die ihm in einer Verkehrswirtschaft zukommenden ökonomischen Funktionen. Die total zentralgeleitete Wirtschaft ist in ihrem Kern eine geldlose Wirtschaft. 3. Der Typus „Verkehrswirtschaft" a) Die Normen

der

Verkehrswirtschaft

Verkehrswirtschaftlich (marktwirtschaftlich) geordnet sind Gesellschaftswirtschaften, soweit das wirtschaftliche Geschehen nicht durch autoritative Lenkung oder Weisung auf inhaltlich bestimmte Ziele ausgerichtet ist, sondern den einzelnen Wirtschaftssubjekten die Aufstellung und Verfolgung ihrer ökonomischen Ziele überlassen bleibt (System dezentralisierter Wirtschaftsentscheidungen). Die Abstimmung dieser privaten Wirtschaftspläne aufeinander, damit die Bildung der gesamtwirtschaftlichen (makroökonomischen) Größen geschieht durch das Preissystem, in welchem das Verhältnis der von den Wirt-

§ 15. Wirtschaftssysteme

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schaftssubjekten angebotenen und nachgefragten Mengen an Gütern und Leistungen zum Ausdruck kommt, und das für die Wirtschaftssubjekte das objektive Bezugssystem für ihre wirtschaftlichen Entscheidungen darstellt (Preisorientierung des wirtschaftlichen Verhaltens). Damit ist für die Verkehrswirtschaft die Frage nach dem Was, Wie und Wofür der wirtschaftlichen Tätigkeit grundsätzlich entschieden. Die ökonomische Aktivität ist nicht Ausdruck obrigkeitlicher Setzung, sondern erfolgt nach dem freien Ermessen aller einzelnen, die aber ihre eigenen Wirtschaftsziele über den Markt, d. h. unter Berücksichtigung des Verhaltens anderer, verwirklichen. Eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft ist aufzuweisen, wie es durch das ökonomische Verhalten zahlreicher einzelner zur Bildung der Preise kommt, und wie durch die Orientierung des Verhaltens an Preisen das wirtschaftliche Geschehen bestimmt wird. Die staatliche Bestimmung des Wirtschaftens geschieht demgemäß im Prinzip nur durch die Setzung formaler Normen: der Staat gestaltet die Ordnungsform, bestimmt aber nicht inhaltlich das wirtschaftliche Geschehen. Z. B. bestimmt er, was rechtlich „Geld" ist, aber die Bildung des Geldwertes, d. h. der „Kaufkraft" des Geldes überläßt er dem Marktgeschdhen. Die die ökonomische Freiheit der einzelnen setzenden und begrenzenden Normen sind namentlich die Anerkennung des Privateigentums und die Bestimmung seiner Grenzen sowie die Vertragsform für die Bildung interpersonaler ökonomischer Beziehungen. „Es war das Hauptbestreben der großen individualistischen Schriftsteller, Institutionen zu finden, durch die die Menschen dazu geführt werden konnten, durch eigene Wahl und aus den Beweggründen, die ihr gewöhnliches Verhalten bestimmen, so viel wie möglich zur Bedürfnisbefriedigung aller anderen beizutragen, und sie entdeckten, daß das System des Privateigentums die Menschen in weit höherem Maß in diesem Sinn führte, als bisher erfaßt worden war. Sie behaupteten jedoch nicht, daß dieses System nicht der Verbesserung fähig war, und noch weniger, wie eine andere oft zu hörende Verzerrung ihrer 8

Paulsen/Schilcher, Allgcm. Volksw. I

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HI. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

Argumentation es haben will, daß es eine natürliche Harmonie der Interessen' gäbe, losgelöst von den positiven Institutionen. Sie waren sich des Widerstreites der individuellen Interessen sehr wohl bewußt und betonten die Notwendigkeit w o h l gebauter Institutionen', in denen ,Regeln und Grundsätze der widerstreitenden Interessen und der abgewogenen Vorteile' (Edmund Burke) die gegeneinander stehenden Interessen versöhnen würde, ohne irgend einer Gruppe die Macht zu geben, die eigenen Ansichten und Interessen stets über die der anderen vorherrschen zu lassen." (F. A. Hayek, Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. Deutsch, Erlenbach-Zürich 1952, S. 23/24.) b) Eigentum und Vertrag Mit der Anerkennung des Privateigentums als andere Personen ausschließende Verfügung über Sachen ist zugleich anerkannt, daß das Uberlassen von Eigentum zu Gebrauch und Nutzung durch andere dem freien Ermessen des Eigentümers vorbehalten ist. Neben die Verwendung von Eigentum zu eigenem Gebrauch und Verbrauch tritt daher als wichtige ökonomische Verwendung sein vertragliches Verfügbarmachen f ü r andere gegen Entgelt, d. h. zum Erzielen von Einkommen. Z u m Eigentum im ökonomischen Sinne ist namentlich das an der eigenen Person zu rechnen; es ist Basis der Erzielung von Arbeitseinkommen durch Leistungen für andere. Am Unterschied zwischen Arbeits-(Leistungs-)einkommen und Besitzeinkommen haben sich stets soziale Gegensätze entzündet. Neben den Grund und Boden als früher hauptsächlicher Quelle des ökonomisch bedeutsamen Besitzeinkommens und Grundlage des Feudalsystems trat mit der Entwicklung der modernen („kapitalistischen") Wirtschaft das Eigentum an Produktionskapital, in dem der Sozialismus den Angelpunkt der sozialen Gegensätze sieht. Das Arbeitseinkommen gilt als gegenüber dem Besitzeinkommen schütz- und förderungsbedürftig, zumal wenn es die einzige Basis zur Einkommenserzielung f ü r den größten Teil der Bevölkerung darstellt. M i t dem Besitzeinkommen verbinden sich die besonderen ökonomischen Probleme der Bildung wirt-

§ 15. Wirtschaftssysteme

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schaftlicher Machtstellungen, d. h. die Ungleichheit der Chancen der Vertragspartner und dadurch die Beeinflussung der Ergebnisse ihres Zusammentreffens auf Märkten. In dieser Beziehung fand und findet das Instrument der Eigentumsvererbung stärkste ökonomische Beachtung als Möglichkeit der Verfestigung ökonomischer Macht durch die Generationen hindurch, daher des Erstarrens der Klassenschichtung und der Vererbung wirtschaftlicher Führungsstellungen. c) Die verkehrswirtschaftliche

Steuerung

Die Frage, wie sich aus zahlreichen privaten wirtschaftlichen Entscheidungen ein Systemzusammenhang ergibt, wird durch die Feststellung beantwortet, daß die einzelnen Wirtschaftseinheiten das Erreichen ihrer wirtschaftlichen Zwecke in „Marktberührung" erstreben: sie produzieren nicht für ihren eigenen Bedarf, sondern tauschen eigene Leistungen und Güter gegen fremde aus. Hierbei orientieren sie sich an den Marktpreisen, die sie aber mit ihren Entscheidungen gleichzeitig beeinflussen. In der Verkehrswirtschaft haben daher die Preise eine doppelte Funktion. Sie bemessen die Ergebnisse der privaten Verhaltensweisen (z. B. das Verhältnis zwischen angebotenen und nachgefragten Mengen), aber sie beeinflussen zugleich dieses Verhalten (z. B. wird bei steigendem Preis in der Regel die nachgefragte Menge fallen, die angebotene Menge steigen). Eine besondere Frage ist, ob dies zu einem „Gleichgewicht" führt, nämlich einem Preis, bei dem angebotene und nachgefragte Mengen gleich sind. Das wirtschaftliche Handeln der Einheiten (Haushalte, Unternehmungen) beruht auf einem „Wirtschaftsplan": die Entscheidungen bezüglich der einzelnen Güter erfolgen nicht isoliert voneinander, namentlich, weil die Güter sich art- und mengenmäßig in unterschiedlichem Ausmaß gegenseitig vertreten („substituieren") können, andererseits auch zum Erreichen der erstrebten Zwecke zusammenwirken müssen („komplementär" sind). Daher greifen auch in den gesamtwirtschaftlichen Beziehungen die Märkte aufeinander über, es besteht ein Verhältnis der „Interdependenz", die Abhängigkeit des Geschehens auf 8*

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

einem Markt vom Geschehen auf anderen Märkten. Die Steuerung des verkehrswirtschaftlichen Systems erfolgt durch das System aller Preise und ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Bildung eines Preissystems als umfassendes „objektives Bezugssystem" für die wirtschaftlichen Entscheidungen setzt Geldverwendung voraus. Die art- und qualitätsmäßig vollständig unterschiedlichen und „unvergleichlichen" Güter werden dadurch allseitig vergleichbar gemacht, daß ihnen durch den gemeinsamen Ausdruck in Geldmengen, d. h. Preisen, ein objektiver Wert im gemeinsamen Nenner des Geldes beigelegt wird. Das ist die erste Funktion des Geldes in der Marktwirtschaft: es fungiert als „Wertausdrucksmittel" (Recheneinheit) für die „gesellschaftlichen" Werte der Güter und Dienste, nämlich die Tauschwerte. Hinzu kommt die Funktion des Geldes als „Tauschmittel". Geld ist das Gut, das stets einer allgemeinen Nachfrage begegnet, mit dem also „Kaufkraft" ausgedrückt ist. Statt einen Tauschpartner zur Durchführung eines „realen" Tausches zwischen Gütern mit Gebrauchswerten suchen zu müssen, fragt der Anbieter eines Gebrauchsgutes das allgemeine Tauschmittel „Geld" nach und bietet der Nachfrager nach einem Gebrauchsgut Geld an. Aus dem realen Tausch „Ware gegen W a r e " werden so die beiden Akte „Verkauf einer Ware gegen Geld" und „Kauf einer Ware für Geld". Sofern Wirtschaftssubjekte Geld in ihrer Kasse halten, welches nicht für unmittelbare Güterkäufe bestimmt ist, machen sie sich eine dritte Funktion des Geldes, nämlich seine „Wertaufbewahrungsfunktion" (Geld als eine Form der Vermögenshaltung) zunutze. Für die Funktionsfähigkeit der verkehrswirtschaftlich geordneten Gesellschaftswirtschaft ist ausreichender Wettbewerb auf den einzelnen Märkten notwendige Voraussetzung: das Geltendmachen des ökonomischen Eigeninteresses muß unter der Kontrolle gleichgerichteter Interessen vieler anderer stehen, wenn die Bildung ökonomischer Machtpositionen und ihr Mißbrauch für individuelle Zwecke verhindert werden soll. Grundlage der gesamtwirtschaftlich vorteilhaften Ausnutzung des Strebens aller Einzelnen nach höchstmöglichem Wirtschafts-

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erfolg ist, daß nur durch beste und billigste Leistung der private Wirtschaftserfolg zu sichern sei, weshalb Leistungsverweigerung bzw. Leistungsminderung zu verhindern sind. Die letztgenannte Möglichkeit liegt bei Monopolen vor: bei monopolistischem Angebot kann die Angebotsmenge knapp gehalten werden, um den Preis des Gutes höher zu halten; bei vollem Wettbewerb dagegen kann kein einzelner durch Reduzierung der angebotenen Leistung den Marktpreis fühlbar beeinflussen und dadurch seinen Wirtschaftserfolg verbessern. Ausreichender Wettbewerb erweist sich somit als Entmachtungsinstrument. „Der Wettbewerb ist in erster Linie ein Entmachtungsinstrument. In einer Wettbewerbswirtschaft ist jeder von allen, aber keiner von einem bestimmten anderen abhängig. Daß jeder von allen abhängig ist, ist eine Folge der Arbeitsteilung und des Tausches. Daß sich aber diese Abhängigkeit eines jeden von den Wirtschaftsplänen und Wirtschaftsreaktionen aller nicht verschärft zu einer Abhängigkeit eines jeden oder wenigstens eines großen Teiles der Individuen von der Willkür und dem Gutdünken bestimmter einzelner Individuen, das ist eine Folge des Wettbewerbs. Der Wettbewerb kann uns nicht frei machen von der Furcht vor Schicksalsschlägen, vor Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger, aber er macht uns, indem er uns die Möglichkeit gibt, von einem bestimmten Lieferanten, Kunden, Arbeitgeber, Kreditgeber usw. auf viele andere auszuweichen, zwischen ihnen auszuwählen, frei von der Furcht vor der Macht der Menschen." (Franz Böhm, Das Kartellproblem. In: Schweiz. Zeitschrift für Volksw. und Statistik 1951, S. 199.) Nach der Wettbewerbstheorie steht der Vorteil der einzelnen mit dem des Ganzen im Einklang, weil 1. jeder nur tauscht, wenn er dabei seinen Vorteil besser gewahrt sieht als bei Nichttausch, 2. jeder zu den besterreichbaren Bedingungen tauscht, 3. dabei jeder dem gleichgerichteten Streben anderer gegenübersteht und daher nur durch Güte und Billigkeit seiner Leistung zum Zuge kommt,

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

4. Fortschritte, die der einzelne macht u n d die ihm einen besonderen Vorteil erbringen, von allen anderen aufgeholt werden können. Der Wettbewerb ist um so reiner, je unpersönlicher die Beziehungen wirtschaftlicher Art zwischen den Menschen sind, so d a ß Kontrahent des einzelnen nicht ein benennbarer anderer ist, sondern der „ M a r k t " , d. h. ein objektiver Regulator der Tausch- und Kaufbedingungen. Als soziologische Kategorie ist Wettbewerb ein Verfahren der Auslese von Bewerbern um „knappe" Güter, Stellungen, Positionen usw., das anderen Verfahren wie obrigkeitlicher Zuteilung, Vererbung, Bedarfs- oder Eignungsprüfung, Tradition usw. gegenübersteht. Der Wettbewerb ist erst seit dem 18. Jahrhundert zu seiner heutigen Bedeutung als soziologisches und speziell als ökonomisches Prinzip gelangt. 4. Der Typus „total zentralgeleitete Wirtschaft" In der total zentralgeleiteten Wirtschaft ist die freie Betätigung von Wirtschaftssubjekten, namentlich der freie Abschluß von Tausch-, Arbeits-, Leih- und anderen Verträgen aufgehoben. Damit ist das Steuerungsinstrument der Preise außer Kraft gesetzt. An seine Stelle tritt der Befehl einer Zentralinstanz, durch den alle Wirtschaftsaktivitäten koordiniert werden. Es ist Aufgabe der Zentrale, Bedarf und Produktion eines jeden Gutes aneinander anzupassen. Innerhalb des Produktionssektors sind die Einsatzmengen der Weiterverarbeiter mit den Ausstoßmengen der Zulieferer (die ihrerseits auf bestimmten Vorleistungen beruhen) so zu koordinieren, d a ß weder Engpässe noch Überkapazitäten auftreten. Das ist, sieht man von praktischen Schwierigkeiten ab, gedanklich durchaus möglich. Sind nämlich für eine bestimmte Planperiode Güterbedarf und Produktionsverhältnisse gegeben, so ist z. B. die Input-OutputAnalyse (vgl. § 25.) eine Methode, deren Anwendung das Problem prinzipiell lösbar macht. Schwieriger dagegen wäre es, einen „optimalen" Einsatz der Produktionsfaktoren zu definieren und zu gewährleisten, weil Preise - die in einer freien Verkehrswirtschaft (bei vollständiger Konkurrenz) die Knappheit

§ 15. Wirtschaftssysteme

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eines Gutes indizieren (Indikatorfunktion der Preisbildung) als Orientierungsdaten nicht gegeben sind.

-

Schroffste Form zentraler Lenkung ist das direkte Gebot zu einem bestimmten wirtschaftlichen Tun, z. B. die Dienstverpflichtung von Menschen zu bestimmten Tätigkeiten nach festgesetztem Entgelt, der Anbau- und Lieferungszwang für bestimmte agrarische Erzeugnisse und ähnliches. In diesen Bereichen wird den Betroffenen die Eigenschaft, „Wirtschaftssubjekt" zu sein, entzogen. Solche Regelungen entsprechen der total zentralgeleiteten Wirtschaft. Eine lockere Form der Zwangswirtschaft liegt vor, wenn für eine festgelegte ökonomische Situation ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben wird, z. B. Ablieferungszwang für Devisen zu einem festen Kurs, Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter usw. Entscheidend ist hierbei, daß der einzelne sich nicht frei entscheiden darf, ob er dieses Verhalten als in seinem ökonomischen Vorteil liegend betrachtet. Ihm bleibt jedoch die Möglichkeit, sich bestimmter ökonomischer Aktivitäten, die mit einem Zwang belegt sind, zu enthalten. Offensichtlich handelt es sich hier nicht mehr um Elemente des idealtypischen Grenzfalles der „total" zentralgeleiteten Wirtschaft, sondern um eine Mischform. 5. Mischformen Es kann versucht werden, zwischen den beiden Grenzfällen von Wirtschaftssystemen (idealtypischen Wirtschaftsordnungen) „freie Verkehrswirtschaft" und „total zentralgeleitete Wirtschaft" eine Reihe von Systemen zu entwickeln, die jeweils Individual- und Sozialprinzip in bestimmten Verbindungsformen vereinen. Die Entwicklung solcher Mischformen wurde gefördert durch die Tatsache, daß die „reinen" Typen praktisch nicht realisierbar sind und bei ihrer Verwirklichung zudem zu nicht erwünschten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ergebnissen führen würden. So wurde z. B. die Ergänzung des verkehrswirtschaftlichen Systems durch Elemente zentraler Lenkung u. a. aufgrund der nachfolgend aufgeführten Tatbestände erforderlich:

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

1. In dem System der freien Verkehrswirtschaft hätte der Staat lediglich die „Spielregeln" zu bestimmen und ihr Einhalten zu überwachen, aber keinen Einfluß auf den Ausgang des Spieles, d. h. auf das Ergebnis des wirtschaftlichen Geschehens zu nehmen (Neutralität des Staates). Diese im älteren Liberalismus vertretene Auffassung möglichster Einschränkung der staatlichen Tätigkeit auf das unabwendbar Notwendige („Nachtwächterstaat") steht in Widerspruch zu der historischen Tatsache, daß sich die dem Staat zugewiesenen Aufgaben und Verantwortungen ständig ausgeweitet haben („Gesetz der wachsenden Staatsaufgaben"). So stieg z. B. der Anteil der öffentlichen Haushalte einschließlich Sozialversicherungen am Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 1970 von 32,7 auf 38,6 Prozent. Diese staatlichen Aufgaben beziehen sich zu einem erheblichen Teil direkt oder indirekt auf das wirtschaftliche und soziale Geschehen. Soweit sie es nicht tun, bedingen sie doch Verfügung des Staates über Geldmittel in einem solchen Umfang, daß allein das Gewicht der „fiskalischen" Maßnahmen des Staates unvermeidbar das wirtschaftliche Geschehen beeinflußt. 2. Die Ergebnisse der freien Marktpreisbildung sind gegen materielle Postulate indifferent, denn die Preisbildung bemißt nicht die Bedürfnisse nach ihrer sachlichen oder sozialen Dringlichkeit, sondern sie bemißt die Größe der „kaufkräftigen" Nachfrage, also nur das formale Moment, mit welcher Stärke sich die verschiedenen Ansprüche - in Geldgrößen gemessen auf den Märkten begegnen. Vom Staat wird erwartet und gefordert, daß er diese Ergebnisse teils beeinflußt (z. B. Schutz des Mittelstandes gegen überlegene Konkurrenz, der Landwirtschaft, der Arbeiter), teils nachträglich korrigiert (z. B. soziale Unterstützung, progressive Einkommensteuer usw.). Den Idealen der Selbstverantwortung, des Eröffnens freier Chancen mit der notwendigen Ergänzung des privaten Risikos werden die der sozialen Gerechtigkeit, der sozialen Sicherheit und andere entgegengestellt („Wohlfahrtsstaat"). 3. Auch in dem Umfang, in dem den freien Kräften des Marktes Spielraum gelassen wird, bestehen Zweifel, ob diese in der

§ 15. Wirtschaftssysteme

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Tat zu einem Ausgleich und Optimum führen; namentlich wird auf die wiederkehrende Erscheinung der Krisen und der Arbeitslosigkeit hingewiesen. Die Selbststeuerungsfähigkeit der freien Wirtschaft wird um so mehr bezweifelt, als die Lenkungskräfte der Preisbildung in steigendem Maße durch Preisbindungen und -Starrheiten ausgeschaltet worden sind. Der Wirtschaftsliberalismus reiner Form bestreitet eine der Marktwirtschaft innewohnende Tendenz, sich durch Monopolbildungen und Regulative aller Art selbst aufzuheben. „Das große Monopolproblem, dem die Menschheit heute gegenübersteht, ist nicht eine Auswirkung der Marktwirtschaft. Es ist das Ergebnis vorsätzlicher Handlungen der Regierungen." (L. v. Mises, Human Action. New Häven 1949, S. 363.) Die staatliche Wirtschaftsbeeinflussung kann auf folgende grundlegende Ziele gerichtet sein: Sicherung des systemgerechten Ablaufs der freien Verkehrswirtschaft (z. B. durch Monopolverhinderung oder -kontrolle), Beeinflussung der Ergebnisse der freien Verkehrswirtschaft, Korrektur der Ergebnisse oder gar Beseitigung verkehrswirtschaftlicher Ordnungsformen. Der Vielgestaltigkeit der Ziele entspricht die der Mittel. Eine allgemeine Übersicht läßt sich nur in Umrissen andeuten. Dazu kann unterschieden werden zwischen: 1. Lenkungsmaßnahmen, durch die die verkehrswirtschaftliche Ordnung nicht grundsätzlich beseitigt wird („marktkonforme Wirtschaftspolitik"), 2. Zwangsmaßnahmen, bei denen sich der Staat seiner Weisungs- und Befehlsgewalt bedient, um das wirtschaftliche Verhalten seiner Bürger direkt zu bestimmen („Dirigismus"). Staatliche Lenkung der Marktwirtschaft steht nicht im Widerspruch zu der Feststellung, daß die Wirtschaft „eigenen" Gesetzen folgt, diese sind vielmehr Voraussetzung für die Möglichkeit, in Anwendung dieser Gesetze die Wirtschaftsergebnisse zu beeinflussen. Das Verhältnis ist ähnlich dem der Technik zu den Naturgesetzen: weil es Gesetze des Naturgeschehens gibt, kann in Kenntnis dieser Gesetze eine Ursache herbeigeführt werden, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

Da in der Verkehrswirtschaft das wirtschaftliche Geschehen durch die Entscheidungen der wirtschaftenden Menschen bestimmt wird, kann der Staat die Ergebnisse beeinflussen, indem er die „Daten" verändert, an denen sich die wirtschaftlichen Entscheidungen der Menschen orientieren. Der Eingriff in das wirtschaftliche Geschehen kann auf vielfältige Weise erfolgen. Der Staat kann sich selbst am M a r k t beteiligen (Aufkauf von „Überschüssen" und bei Angebotsmangel Lieferung aus eigenen Beständen), er kann die Angebots- und Nachfragemengen der privaten Wirtschaftssubjekte beeinflussen (z. B. Verteuerung ausländischer Waren durch Zölle), er kann den Zutritt Privater zum M a r k t regeln (Konzessionszwang) usw. Beeinflussung des Marktes erfolgt außerdem durch die staatliche Geldpolitik, deren „Neutralität", gemeint als fehlender Einfluß auf das „reale" Wirtschaftsgeschehen, nicht in vollem Umfang gewahrt werden kann. Eine Systematisierung der Mischformen wurde in verschiedener Weise versucht. Als Beispiel sei auf die stufenweise „Auflockerung" der zentralgeleiteten Wirtschaft durch verkehrswirtschaftliche Elemente bei Walter Eucken verwiesen: Total zentralgeleitete Wirtschaft - Zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch - Zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Konsumwahl - Zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes. Darauf braucht nicht weiter eingegangen zu werden, doch sei darauf hingewiesen, daß es sich auch bei diesen „Mischformen" um „Wirtschaftssysteme", also um die gedankliche Konstruktion von idealtypischen Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft und nicht etwa um die Beschreibung realer Wirtschaftsverhältnisse handelt. Zusammengefaßt: Unter Wirtschaftssystemen oder idealtypischen Wirtschaftsordnungen verstehen wir konsistente (logisch widerspruchsfreie) Systeme von N o r m e n verschiedener Herkunft, die das wirtschaftliche Planen und Handeln der einzelnen regulieren. Diese idealtypischen Wirtschaftsordnungen sind gedachte „Modelle" und als solche ein wichtiges Instrument der ökonomischen Analyse. Von besonderer Bedeutung sind dabei

§ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen

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die „reinen" Grenztypen der „Total zentralgeleiteten Wirtschaft" und der „Verkehrswirtschaft". Versteht man unter dem „Allokationsproblem" einer Volkswirtschaft die Frage nach der bestmöglichen Verteilung der Produktivkräfte der Volkswirtschaft auf die jeweiligen Verwendungszwecke, oder m. a. W. die Frage nach der optimalen Kombination der Produktionsfaktoren, dann stellen sich „Verkehrswirtschaft" und „total zentralgeleitete Wirtschaft" als die beiden grundlegenden Alternativen zur Lösung dieses Problems dar: In der erstgenannten steuert die Preisbildung auf Märkten, in der letztgenannten der Befehl einer zentralen Instanz den Faktoreinsatz. § 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen 1. Ordnungspolitische Konzeptionen Im vorangegangenen Abschnitt wurden die logischen Möglichkeiten der Konstruktion von Wirtschaftssystemen (idealtypischen Wirtschaftsordnungen) skizziert. Davon zu unterscheiden sind ordnungspolitische Konzeptionen, die nicht der theoretischen Beschreibung und Erklärung realer Ordnungen dienen, sondern als Entwurf zur Gestaltung einer bestehenden Volkswirtschaft gedacht sind. Zwar sind auch in diesen Entwürfen marktwirtschaftliche und zentralistische Organisationsprinzipien (Steuerungselemente) in jeweils chrakteristischer Form kombiniert, jedoch müssen sie - sollen sie realisierbar sein - die tatsächliche historische Lage und die sich in ihr bietenden Gestaltungsmöglichkeiten berücksichtigen. Über rein formale ordnungspolitische Aussagen hinaus beinhalten diese Entwürfe auch inhaltliche Angaben über den gesamtwirtschaftlich (staatlich) zu verfolgenden Zielkatalog (Wirtschaftswachstum, soziale Sicherung usw.). Aus der Vielzahl ordnungspolitischer Konzeptionen sollen nun drei Beispiele beschrieben werden: a) Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft entstand aus dem Gedankengut des Neoliberalismus der Freiburger Schule (Ordo-

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

liberalismus; Vertreter u. a.: F. Böhm, W. Eucken), unterscheidet sich jedoch von diesem durch stärkere Betonung sozialpolitischer Ziele und durch größere Wirklichkeitsnähe. Nach Auffassung ihrer Initiatoren A. Müller-Armack, A. Rüstow, W. Röpke, L. Erhard, ist die soziale Marktwirtschaft ein „dritter Weg" zwischen den „reinen" Ordnungsformen einer zentralgeleiteten Wirtschaft und einer freien Verkehrswirtschaft, eine Wettbewerbswirtschaft, die durch ein System sozialen Schutzes ergänzt wird. Die marktwirtschaftlichen Merkmale manifestieren sich u. a. in der Freiheit der Eigentumsnutzung, der Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl, der Konsumfreiheit, der Wettbewerbsfreiheit sowie der Produktions- und Handelsfreiheit. Es ist Aufgabe des Staates, diese Frei'heitsrechte zu sichern und den zulässigen Handlungsspielraum der einzelnen Wirtschaftssubjekte abzugrenzen. Die Freiheitsrechte finden ihre Grenzen dort, wo die Rechte Dritter oder die verfassungsmäßige Ordnung verletzt werden. Wichtigstes Koordinierungsinstrument der sozialen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Dabei wird im Wettbewerb primär die Möglichkeit gesehen, technischen und ökonomischen Fortschritt zu realisieren. „Seine Rechtfertigung ist daher die stete Produktionssteigerung" (A. Müller-Armack). Die institutionelle Sicherung des Wettbewerbs und die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen ist Aufgabe des Staates. Das Attribut „sozial" bringt zum Ausdruck, daß die Freiheitsrechte dort eingeschränkt werden sollen, wo sie zu sozial unerwünschten Ergebnissen führen könnten, bzw. daß die Ergebnisse des marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsprozesses korrigiert werden sollen, wenn sie nach den Wertvorstellungen der Gesellschaft sozial nicht tragbar erscheinen. Wichtigstes Instrument bei der Verwirklichung dieses Zieles ist die staatliche Einkommensumverteilung, z. B. in Form von Fürsorgeleistungen, Rentenzahlungen, Wohnungsbauzuschüssen usw. Im Gegensatz zur freien Verkehrswirtschaft ermöglicht das Konzept der sozialen Marktwirtschaft ein bewußtes Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsgeschehen, etwa in Form der Konjunkturpolitik, mittels der „im Rahmen der marktwirtschaft-

§ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen liehen Bewegungsmöglichkeiten" sichern ist.

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der Beschäftigungsgrad zu

Bei seinen Eingriffen soll sich der Staat „marktkonformer" Mittel bedienen, d. h. die Erreichung sozial- oder wirtschaftspolitischer Ziele darf die Funktionsfähigkeit der Märkte nicht beeinträchtigen. Nicht „marktkonform" sind z. B. punktuelle Eingriffe in die Tätigkeit einzelner Unternehmen, wie Kontingentierung und Bewirtschaftung von Rohstoffen durch Zuteilungen auf Grund von Bedarfsprüfungen, von Devisen und Importen durch besondere Genehmigungen, Investitionslenkung durch Bewilligung der einzelnen Vorhaben usw. oder ein allgemeiner Preis- und Lohnstopp; „marktkonform" wäre ein System von Mietbeihilfen für bedürftige Bevölkerungsschichten und Subventionen für bedrohte Industriezweige. b) Planifikation

in Frankreich

Auch die französische Planifikation stellt einen Versuch dar, zwischen der zentralen imperativen Planung, wie sie etwa in den sozialistischen Staaten Osteuropas praktiziert wird, und dem Konzept der freien Verkehrswirtschaft eine ordnungspolitische Synthese herzustellen. Das Kernstück des Konzeptes bildet ein mittelfristiger, i. d. R. eine Periode von vier Jahren umfassender Wirtschaftsplan, der grundsätzlich indikativen Charakter hat, also vor allem als eine Art Orientierungshilfe für die Privatwirtschaft gedacht ist. Damit übernimmt der französische Staat gleichsam die Rolle eines verantwortlichen Initiators des Wirtschaftslebens, ohne jedoch Unternehmer und Arbeitnehmer zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Der erklärtermaßen unverbindliche Charakter der Planifikation zeigt sich insbesondere daran, daß die Planziele nicht für einzelne Unternehmen, sondern lediglich global bzw. auf Branchenebene formuliert werden. Um aber dennoch zu einer realistischen Planung zu gelangen und gleichzeitig das Planbewußtsein der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten zu fördern, hat der Urheber des Planifikation-Gedankens, Jean Monnet, die sog. „Commissions de Modernisation" vorgesehen, in denen neben den jeweils zuständigen staatlichen Verwaltungen Vertreter aller Berufsgruppen und Wirtschaftszweige an der Planerstel-

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

lung maßgeblich beteiligt sind. Jeder Wirtschaftsplan ist mithin ein „œuvre collective", oder, wie es zuweilen etwas pathetisch heißt, ein „Gesamtwerk der Nation", wobei es als oberstes Ziel gilt, der Idee einer „économie concertée" eine möglichst breite Basis zu schaffen. Die konkreten Zielsetzungen der französischen Wirtschaftspläne haben sich seit dem ersten, 1947 in Kraft getretenen Plan auffallend vervielfacht. War es ursprünglich die Absicht, für einen raschen Wiederaufbau der durch die Kriegsereignisse zerstörten Produktionskapazitäten zu sorgen, so ist mittlerweile ein weiter Fächer spezifisch branchen-, sozial-, regional- und zahlungsbilanzpolitischer Ziele hinzugetreten. Dieser Katalog wird zudem regelmäßig ergänzt durch die Ankündigung bestimmter staatlicher Maßnahmen sowie die Formulierung von Empfehlungen, mit denen die Privatwirtschaft dazu gebracht werden soll, sich tatsächlich plankonform zu verhalten. In den letzten Jahren ist allerdings die Tendenz zu beobachten, daß der französische Staat sich zunehmend bemüht, die Realisation der jeweiligen Planziele durch die Anwendung eines vielfältigen wirtschaftspolitischen Instrumentariums mehr oder weniger zu erzwingen. Karlheinz Kieps (Langfristige Wirtschaftspolitik in Westeuropa, Freiburg 1966, S. 108) spricht daher nicht zu Unrecht von einer „Interventionsspirale", die die Gefahr in sich birgt, das marktwirtschaftliche Element der französischen Wirtschaftsordnung nach und nach zu verdrängen. c) Konkurrenzsozialismus

in Jugoslawien

In der Diskussion über Wirtschaftssysteme wurde lange Zeit von der Annahme ausgegangen, Marktwirtschaft sei stets mit Privateigentum, eine zentral geleitete Wirtschaft dagegen zwingend mit Kollektiveigentum an Produktionsmitteln verbunden. Die besondere ordnungspolitische Bedeutung des jugoslawischen Konzeptes liegt nun in dem Versuch, unter prinzipieller Beibehaltung des Kotlektiveigentums an Produktionsmitteln eine Dezentralisierung der Entscheidungsbefugnisse (Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse von der zentralen Planungsbehörde auf Staatsbetriebe und Genossenschaften) zu erreichen.

§ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen

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Die Aktionen der dezentralisierten Entscheidungsträger sollen durch den Marktmechanismus koordiniert werden. Nach (offizieller) jugoslawischer Auffassung darf diese „sozialistische Marktwirtschaft" nicht mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft gleichgesetzt werden, weil durch das Gesellschaftseigentum an Produktionsmitteln eine „bewußte, planmäßige Ausrichtung und Entwicklung der Wirtschaft als Gesamtheit" ermöglicht wird. Die drei wesensbestimmenden Merkmale des Modells sind: Gesellschaftseigentum, Gesellschaftsplan und Selbstverwaltung. Das Gesellschaftseigentum umfaßt alle Produktionsmittel, soweit sie nicht der persönlichen Arbeit der Bauern und Handwerker dienen, ferner Boden, Bodenschätze und sonstige Naturreichtümer. Jedoch ist der Prozeß der Vergesellschaftung noch nicht abgeschlossen, er soll zudem nicht durch Zwangsmaßnahmen, sondern durch die Zusammenschließung in Genossenschaften bzw. auf dem Wege der Kooperation der Bauern mit dem „Gesellschaftssektor" (z. B. Staatsbetriebe) in der landwirtschaftlichen Produktion erfolgen. Das Privateigentum der einzelnen Gewerbetreibenden soll nur allmählich aufgehoben werden. Das persönliche Eigentum der Bürger, das der Erleichterung des Lebens dient, wird ausdrücklich garantiert als Ansporn für die „persönliche schöpferische Initiative". Individuelles Eigentum findet seine Grenze dort, wo seine Entstehung und Verwendung nicht mehr ausschließlich auf der persönlichen Arbeit des Eigentümers beruht. Der Gesellscbaftsplan ist ein mittelfristiges, gesamtwirtschaftliches Programm, in dem die grundlegenden Verhältnisse von Produktion und Verteilung festgelegt sind. Ziel dieses Programmes ist es, ein hohes Wirtschaftswachstum sowie eine gleichgewichtige Entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren und der verschiedenen Regionen herbeizuführen. Innerhalb der global durch den Gesellschaftsplan vorgegebenen Daten können die Unternehmen - im Rahmen der Marktbedingungen prinzipiell frei über Umfang und Struktur der Produktion sowie über Preise und Investitionen entscheiden. Außerdem können sie - innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen - über den erwirtschafteten Gewinn verfügen und ihn selbständig für per-

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

sönliche Einkommen, soziale Aufwendungen und Investitionen verwenden. Selbstverwaltung bedeutet, daß alle Bürger unmittelbar oder mittelbar an der Verwaltung des Unternehmens, in dem sie beschäftigt sind, des Gebäudes, in dem sie wohnen, den öffentlichen Einrichtungen, zu denen sie Beziehungen haben, beteiligt sind. Wirtschaftliche Selbstverwaltung (Arbeiterselbstverwaltung) heißt, daß einer Arbeitsgemeinschaft oder einem Arbeitskollektiv als der Gesamtheit aller in einer Betriebsorganisation beschäftigten Werktätigen die benötigten Produktionsmittel, die Gesellschaftseigentum sind, zur Verwaltung übergeben werden. Die Versammlung der Betriebsangehörigen übt also grundsätzlich alle Funktionen der Macht und der Verwaltung des Unternehmens aus. Jedoch bedingt die Betriebsgröße, daß die Verwaltung zumeist auf andere Organe übertragen wird. Die wichtigsten Organe neben der Versammlung des Gesamtkollektivs sind als Vertretungsorgan der Arbeiterrat, ferner der Verwaltungsausschuß sowie der Direktor. Gegen alle drei hier erwähnten Beispiele von Leitbildern für die Gestaltung realer Wirtschaftsordnungen werden Einwände erhoben, die sich einerseits auf die Wünschbarkeit, andererseits auf die Möglichkeit (Durchsetzbarkeit) der jeweiligen Konzeption beziehen. So wird als ein Hauptproblem der Sozialen Marktwirtschaft ihre tendenzielle Gefährdung durch die Entstehung von privaten Monopolen auf den Märkten der Produkte, vor allem aber auch der Produktionsfaktoren, angesehen. Dagegen liege, so wird argumentiert, eine Hauptgefahr für die Realisierung der Idee der Planifikation in einer schon erwähnten immanenten Tendenz zu zentraler staatlicher Leitung, die zunehmend freiheitsgefährdend wirken würde. Für den Konkurrenzsozialismus scheint vor allem problematisch die Feststellung der „richtigen", d. h. die objektive Knappheit der Güter signalisierenden Preise, einschließlich der Löhne, und damit der Schutz vor Verschwendung der knappen Ressourcen. Weitergehend glaubt man in dieser Konzeption sowohl eine Tendenz mächtiger Betriebsleiter, sich wie marktbeherrschende Kapitalisten, also quasi-monopolistisch, zu verhalten, wie auch

§ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen

129

eine Tendenz der staatlichen Instanzen zur Ausweitung zentralverwaltungswirtschaftlicher Elemente vermuten zu müssen. 2. Reale Wirtschaftsordnungen Wie bereits oben gesagt wurde, kann versucht werden, zwischen den beiden Idealtypen „total zentralgeleitete Wirtschaft" und „Verkehrswirtschaft" eine Reihe von Systemen zu entwickeln, die jeweils Individual- und Sozialprinzip in bestimmten Formen kombinieren. Konkrete Wirtschaftsordnungen weisen nun eine solche Vielgestaltigkeit der Verhältnisse auf, daß es kaum möglich ist, sie in eine geordnete Folge von Typen einzureihen. In der Realität ist nicht eine einzige Ordnungsform konsequent verwirklicht, vielmehr sind durchweg Teilbereiche der Gesamtwirtschaft unterschiedlichen Prinzipien unterworfen. In einer vornehmlich verkehrswirtschaftlichen Ordnung können z. B. die Landwirtschaft, der Außenhandel, der Wohnungsbau staatlich reguliert sein, während umgekehrt in einer primär zentral geleiteten Wirtschaft der Sektor des Verbrauchs den freien Entscheidungen der Verbraucher überlassen sein kann. Außerdem unterliegen alle konkreten Wirtschaftsordnungen einem ständigen Wandel, ohne daß immer erkennbar wäre, ob sich die Entwicklung konsequent zum Individual- oder zum Sozialprinzip hin vollzieht. Im ganzen scheint allerdings eine Ausdehnung der mehr oder weniger zentral geplanten bzw. „dirigierten" Bereiche der Wirtschaftstätigkeit vorzuliegen. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der Wirtschaftsordnung hat verschiedene Phasen durchlaufen. In der wissenschaftlichen Literatur bis in die fünfziger Ja'hre dieses Jahrhunderts hinein wurde vorwiegend die These vertreten, freie Verkehrswirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft seien als unterschiedliche Lenkungssysteme nicht miteinander vereinbar; eine Mischung beider Allokationssysteme müsse die Funktionsbedingungen in einer Volkswirtschaft verschlechtern (Unvereinbarkeitsthese). Nach dieser Auffassung ergeben sich aus der fehlenden „Systembezogenheit" von Teilordnungen regelmäßig gewisse typische Erscheinungen als Folgen des Umstandes, daß eine völlige Isolierung von Teilbereichen, d .h. ihr Herausheben 9

Paulsen/Schilcher, Allgem. Volksw. I

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III. Ordnungsformen der Gesellschaftswirtschaft

aus dem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten (Interdependenzen) der Teilordnungen, nicht möglich ist. Der Erfolg der auf Teilbereichen durchgeführten zentralen Planung hängt z. B. von den Verhältnissen der benachbarten Bereiche ab, so daß tendenziell ein Ausdehnen der Planung auch auf diese Bereiche erstrebt wird: Devisenbewirtschaftung (staatliche Bewirtschaftung des internationalen Zahlungsverkehrs) tendiert zur Regulierung des gesamten Außenhandels, der Erfolg der Bauplanung hängt ab von den Verhältnissen auf dem Markt für langfristige Kredite, das „Freilassen" des Verbrauchs bei geplanter Produktion muß durch Kartensystem, Kaufkraftabschöpfung und ähnlichem mit den Plangrößen der Produktion abgestimmt werden. Daher schwillt die spezielle Wirtschaftsgesetzgebung an. Langfristige wirtschaftliche Entscheidungen sind dadurch einem erheblichen Risiko sich ändernder Gesetzgebung ausgesetzt. Einige Vertreter der „Unvereinbarkeitsthese" befürchten außerdem, daß die Beimischung „systeminkonformer" Elemente in eine freie Verkehrswirtschaft eine Transformation dieser Wirtschaftsordnung in das andere Extrem bewirken könne. Ende der fünfziger Jahre machte sich eine deutliche Akzentverschiebung in der ordnungspolitischen Diskussion bemerkbar. Die dogmatische Voreingenommenheit zugunsten bestimmter Ordnungsformen wurde abgebaut und machte einer pragmatischeren Behandlung Platz. Im Mittelpunkt des Interesses stand nicht mehr die Frage, ob zentralverwaltungswirtschaftliche und marktwirtschaftliche Elemente überhaupt sinnvoll kombinierbar seien, sondern wie sie zu kombinieren sind, wenn man die Vorteile beider Allokationsverfahren bei der Erfüllung bestimmter Ziele nützen will. In engem Zusammenhang mit dieser veränderten Sicht der Problematik stehen die Theorien, nach denen eine Annäherung der bestehenden Wirtschaftsordnungen stattfindet (Konvergenztheorien). Die Vertreter dieser Auffassung sind der Meinung, daß die Erfordernisse der technisch-industriellen Gesellschaft eine Annäherung der „westlichen" und „östlichen" Ordnungen selbst bei unterschiedlichen ideologischen Auffassungen erzwinge. Die rationale Lösung der in jeder Ordnung anstehen-

§ 16. Ordnungspolitik, Wirtschaftsordnungen

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den gesellschaftlichen Probleme führe zur Herausbildung einer „optimalen" Mischordnung aus zentraler und dezentraler Lenkung des Wirtschaftsprozesses (Jan Tinbergen). 3. Zusammenfassung Am Ende dieses Kapitels sei zusammenfassend hervorgehoben, daß zur Charakterisierung des „Rahmens", in welchem sich der Wirtschaftsablauf vollzieht, d. h. an welchem sich das Planen und Handeln von Wirtschaftssubjekten orientiert, vorwiegend vier Begriffe von Bedeutung sind: Wirtschaftsstruktur, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftssystem. Mit Wirtschaftsstruktur werden die gesamtwirtschaftlichen Daten, welche den ökonomischen Regulierungen und Entscheidungen vorgegeben sind, bezeichnet. Es sind dies vor allem: Bevölkerung (als Träger von Bedürfnissen und von Arbeitskraft), Wirtschaftsraum (einschließlich Klima usw.), Wirtschaftsgesinnung, Wissenschaft und technisches Können, staatliche Organisation (vgl. § 1, 3). Wirtschaftsverfassung nennt man das System der wirtschaftlich relevanten Rechtsnormen (vgl. § 14). Die "Wirtschaftsordnung faßt die Gesamtheit der sich auf das Wirtschaftsleben beziehenden, in einer konkreten Gesellschaft verwirklichten oder für eine solche konzipierten Normen zusammen. Es handelt sich um Rechtsnormen, Normen der Tradition und Konvention, Normen der Ethik, ggf. auch der Religion, usw. (vgl. § 16). Wirtschaftssystem schließlich bezeichnet die gedankliche, „reine" Zusammenfügung weniger, als grundlegend und typisch angesehener Normen zu einem Modell von hohem Abstraktionsgrad. Von besonderer Bedeutung sind die beiden Grenzfälle „VerkehrsWirtschaft" und „total zentralgeleitete Wirtschaft" (vgl. § 15).

9'

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf § 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe 1. Bruttosozialprodukt Einkommen entsteht durch Produktion. Grundsätzlich muß also der Wert der Produkte gleich dem Wert der bei ihrer Erstellung erzielten Einkommen sein. Dabei sind verschiedene Begriffe zu unterscheiden, die in der Sozialprodukt- und Einkommensrechnung benutzt werden. Das zu Marktpreisen bewertete Ergebnis der Produktionstätigkeit der in einem Lande produzierenden Wirtschaftseinheiten wird als „Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen" bezeichnet. Es umfaßt die Leistungen aller im Inland tätigen Produktionsfaktoren, wie Arbeitsleistungen und Nutzungen dauerhafter Produktionsanlagen, unabhängig davon, ob „Inländer" oder „Ausländer" sie zur Verfügung stellen. Zu beachten ist, daß der Begriff Inländer bzw. Ausländer nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft, „Inländer" im Sinne der Sozialproduktrechnung sind vielmehr Wirtschaftseinheiten, die als natürliche Personen i'hren Wohnsitz, als juristische Personen ihren Sitz ständig im Inland haben. Die Inländereigenschaft geht bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland nicht verloren und umgekehrt. Grenz- und Zweifelsfälle werden, z. B. in der Statistik der Zahlungsbilanzen, mehr oder weniger willkürlich, jedoch um der Vergleichbarkeit willen international einheitlich zugeordnet. Soweit bei der Erfassung Marktpreise nicht zur Verfügung stehen, verwendet die öffentliche Statistik statt dessen Kostenpreise. Werden botenen Ort des Ausland

nur die von inländischen Wirtschaftseinheiten angeFaktorleistungen - unabhängig vom geographischen Einsatzes dieser Leistungen, der im Inland oder im liegen kann, - erfaßt, so spricht man vom „Brutto-

§ 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe

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inländerprodukt" bzw. üblicherweise vom „Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen". Im Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen sind also im Unterschied zum Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen auch die von Inländern im Ausland erbrachten Leistungen und entsprechend die von dort bezogenen Einkommen enthalten, während von Ausländern im Inland erzielte Einkommen, die Bestandteile des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen sind, unberücksichtigt bleiben. Zwischen beiden Sozialproduktbegriffen gilt demnach die Beziehung: Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen Erwerbs- und Vermögenseinkommen von „Inländern" in der übrigen Welt — Erwerbs- und Vermögenseinkommen von „Ausländern" im Inland = Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen Das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen ist die Gesamtheit der von Wirtschaftssubjekten mit Sitz im Inland während einer Periode erstellten (produzierten) Güter, das reale Sozialprodukt, bewertet mit Marktpreisen. Im einzelnen umfaßt es den Wert +

1. des privaten und staatlichen Konsums, d. h. der Güter (einschließlich Dienste), die den Verbraucherhaushalten und dem Staat zugeflossen sind, soweit nicht ein Teil der Staatskäufe als Investition bdhandelt und zu 2. gerechnet wird. Diese Güter gelten in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als dem Wirtschaftskreislauf entzogen und daher als verbraucht. Konsum ist demnach definiert als Wert der Verkäufe von Sachgütern und Dienstleistungen an private und öffentliche Haushalte (soweit nicht staatliche Investition). 2. der privaten und staatlichen Bruttoinvestition, die sich in Bruttoanlageinvestition und Vorratsinvestition unterteilt. Anlagen sind dauerhafte, reproduzierbare Produktionsmittel, deren Nutzungsdauer mehr als ein Jahr beträgt. Nicht zu den Anlagen zählen dauerhafte militärische Güter und dauerhafte Güter, die in den privaten Verbrauch eingehen (z. B. Kühlschränke, Möbel). Die Bruttoinvestition einer Periode umfaßt somit nur jene Güter, die den Beständen der Unternehmen (inkl. Vorräte) zugeführt wurden, sowie bestimmte im Bereich

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IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

des Staates verbleibende Güter (z. B . staatliche Gebäude, Brükken, Kanäle, Sportplätze). Definitionsgemäß können private Haushalte nicht investieren, weshalb in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der private Wohnungsbau als Veränderung der volkswirtschaftlichen Sachgüterbestände dem Unternehmensbereich zugerechnet wird. 3. der Güterverkäufe an das Ausland (Export) vermindert um den W e r t der Güterkäufe vom Ausland (Import). Bezeichnet man das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen mit Ybr, den W e r t des privaten und staatlichen Konsums mit C bzw. C s t , den Wert der privaten und staatlichen Bruttoinvestition mit I b r bzw. I s t b r , den W e r t der Exportgüter mit X und den W e r t der Importgüter mit M , so ergibt sich folgende Definitionsgleichung für das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen: Ybr = c + Cst + I b r + Istbr + X - M In dieser Gleichung enthält X auch die von inländischen Wirtschaftssubjekten im Ausland erworbenen Faktoreinkommen (z. B. Zins- und Dividendeneinkommen aufgrund des Exports von Kapitaldiensten), während M auch die von ausländischen Wirtschaftssubjekten im Inland erzielten Faktoreinkommen umfaßt. Würden diese Faktoreinkommenströme zwischen Inländern und Ausländern nicht berücksichtigt, erhielte man aus der Gleichung für Yb r das Bruttoinlandsprodukt zu M a r k t preisen. Die Importe gehen in obige Gleichung mit einem negativen Vorzeichen ein, weil sie in ihrem W e r t bereits in den Größen C, C 5 t , I b r , I s t b r , enthalten sind. Würde deren W e r t nicht entsprechend korrigiert, so fiele die statistische Ermittlung des Bruttosozialprodukts zu Marktpreisen um das Aggregat „Importe" zu hoch aus. Erfaßt werden alle „ökonomischen" Leistungen in ihrem „Endw e r t " , d. h. unter Vermeidung von Doppelzählungen. Unerfaßt bleiben Leistungen, denen kein M a r k t w e r t beigelegt wird. Namentlich werden alle Leistungen innerhalb der Verbraucherhaushalte nur gezählt, soweit sie durch bezahlte Angestellte erbracht werden, dagegen nicht die der Hausfrauen. D a der Produktionswert der Güter ermittelt wird, können die Leistungen der an der Güterproduktion mitwirkenden Faktoren

§ 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe

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nicht noch einmal gezählt werden. Ebenso können nicht die Umsätze der Unternehmungen untereinander gezählt werden, weil nur die „(Brutto-)Wertschöpfungen" in den einzelnen Produktionsstufen zu erfassen sind, die sich zum Endwert der Produkte summieren. Wert der Güter bzw. Dienste ist ihr Preis. Z u m Vergleich realer Größen müssen bloße Preisveränderungen ausgeschaltet werden; man bezieht dazu die Menge in den verschiedenen Jahren auf die Preise eines Basisjahres (Bezugsjahr). Alle Gewinne oder Verluste von Personen oder Gruppen, die nicht mit der Erzeugung von Gütern oder der Leistung von Diensten in der betrachteten Periode zusammenhängen, bleiben unberücksichtigt, wie z. B. Preisänderungen von Gütern auf Lager, Kursänderungen von Wertpapieren usw. 2. Nettosozialprodukt, Volkseinkommen, disponibles Einkommen Die Erstellung des Bruttosozialprodukts einer Periode (produzierter realer „Güterberg") erfordert den Einsatz produktiv nutzbarer Anlagen (dauerhafte, reproduzierbare Produktions-> mittel). Die wertmäßige Erfassung der Abnutzung dieser Anlagen sowie ihr wirtschaftliches Veralten (Wertminderung) erfolgt in Form der Abschreibungen. Wird das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen um diesen Betrag vermindert, so erhält man das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen, also jenen bewerteten „Netto-Güterberg" (inklusive Dienstleistungen), über den eine Volkswirtschaft verfügen kann, ohne daß der Bestand an dauerhaften Produktionsmitteln vermindert wird. Die Bruttoinvestition als gesamte Zuführungen an die Realgüterbestände im Unternehmensbereich bzw. im Sektor „Staat" (soweit nicht staatliche Konsumgüter) setzt sich zusammen aus Ersatzinvestition (Reinvestition) und Nettoinvestition ( = Veränderung der Realgüterbestände). N u r letztere gehört zum Nettosozialprodukt. Sie kann negativ sein, wenn die Ersatzinvestition die Abnutzung nicht ausgleicht (Desinvestition). Die Ersatzinvestierung braucht die abgenutzten Kapitalgüter nicht in physisch gleichartiger Form zu ersetzen.

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IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Das „Nettosozialprodukt zu Marktpreisen" enthält neben den Werten der „produktiven Leistungen" (Faktorkosten) und den Unternehmergewinnen auch den Wert der im Zuge der Produktion entstandenen Steuern (Kostensteuern: = indirekte Steuern, d. h. Steuern, die vor der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns als Kosten absetzbar sind, wie z. B. Mehrwertsteuer, Grunderwerbssteuer, Gewerbesteuer), die zum Teil ausgeglichen werden durch „Subventionen" (Zahlungen des Staates an Unternehmen ohne ökonomische Gegenleistung). Die indirekten Steuern heben den Marktpreis der Güter über das bei ihrer Produktion entstandene Einkommen, die Subventionen lassen umgekehrt mehr Einkommen entstehen, als das auf der Grundlage gezahlter Marktpreise ermittelte Einkommen ausmacht. Nach Abzug des Saldos dieser Werte gelangt man zum „Nettosozialprodukt zu Faktorkosten", auch als „Volkseinkommen" bezeichnet. Dieser Wert bemißt die Höhe der durch die Produktion entstandenen Einkommen in einer Volkswirtschaft und ist identisch mit der volkswirtschaftlichen Nettowertschöpfung (oft nur „Wertschöpfung" genannt) als der Summe aller individuellen Nettowertschöpfungen (net value added). Der Vorgang der Einkommensbildung ist in Abbildung 4 in stark vereinfachter Form für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne ökonomische Aktivität des Staates dargestellt. In diesem Fall sind die indirekten Steuern und Subventionen gleich Null. . Faktoren 15 Einkommen mmen der der (1 . . _ Unternehmen 5 Nettowertschöpfung je Produktionsstufe

20

10

20

5

l

3

0

2

j

13

20

7

60 'Volkseinkommen ('volkswirtschaftliche Nettowertschöpfung)

5 60 * Endproduktwert

Produktionsstufe:

I

I

I

E

Abb. 4. Durchlauf der Produkte und Einkommensbildung

$ 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe

137

Auch werden aus Gründen der Vereinfachung Abschreibungen nicht berücksichtigt. Dem Schema liegt die Annahme zugrunde, daß in einer Volkswirtschaft nur eine einzige Güterart erzeugt wird, welche von der Rohstoffgewinnung bis zur Verbrauchsreife vier Produktionsstufen I bis IV durchläuft, wobei in der Stufe I keine Bezüge von Vorlieferanten erfolgen. Von der Tatsache, daß Produkte späterer Stufen sehr häufig an vorhergehende zurückgeleitet werden (z. B. Maschinen an die Produzenten von Rohstoffen) wird zur Vereinfachung abgesehen. In Stufe I soll ein Kostenaufwand von 15 gleich dem Einkommen der Faktoren (in Form von Löhnen, Gehältern, Zinsen, Mieten, Pachten) erfolgt sein; das Produkt wird zum Wert von 20 ( = Nettowertschöpfung der Stufe I) an die Stufe II verkauft, so daß die Differenz von 5 das Einkommen des Unternehmers der Stufe I darstellt. „Wertschöpfung" und Bildung von Faktor- und Unternehmereinkommen in den folgenden Stufen ergeben sich aus den Annahmen des Schemas, wobei zu berücksichtigen ist, daß nur die in jeder Stufe dem übernommenen Produkt hinzugefügten produktiven Leistungen einkommensbildend sind. Der Endwert des Produkts entspricht der Summe der in der Produktion entstandenen Einkommen. Wird das fertige Gut an Haushalte abgesetzt, handelt es sich um ein Konsumgut, verbleibt es im Unternehmensbereich und verändert dort den Realgüterbestand, so ist es ein Investitionsgut. Sofern das fertige Produkt nur teilweise an Haushalte abgesetzt wird, dient es jeweils für die betrachteten Teile sowohl als Konsum- als auch als Investitionsgut. Offensichtlich kann das Volkseinkommen auf mehrere Arten berechnet werden: 1. Man erfaßt den Wert aller an Haushalte abgesetzten Konsumgüter (C) und den Wert der im Unternehmensbereich verbleibenden Nettoinvestitionsgüter = dem Wert der Veränderung der Sachgüterbestände in den Unternehmungen (I) (Reale Erfassungsmethode). Im Mittelpunkt steht hier die Frage nach der Verwendung des Sozialprodukts (Verwendungsrechnung). Y = C + I

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IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

2. Ermittelt wird die Summe der Gewinneinkommen (YG) und der sonstigen Einkommen wie Löhne, Zinsen usw. (YL) (personelle Erfassungsmethode, Verteilungsrechnung). Y = Y g + YL Dies entspricht dem oben gegebenen Beispiel. In der angewandten Statistik dagegen wird unterschieden zwischen Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen einerseits und Einkommen aus unselbständiger Arbeit andererseits. 3. Es wird die Summe der Wertschöpfungen der einzelnen Wirtschaftsbereiche (im Beispiel: Produktionsstufen) ermittelt (Entstehungsrechnung). Die volkswirtschaftliche Bruttowertschöpfung ergibt sich, indem die - hier nicht angegebenen - Abschreibungen der volkswirtschaftlichen Nettowertschöpfung hinzugefügt werden. Der Gesamtwert der Umsätze ist wesentlich höher als der Endwert des Produkts und der Einkommen, da in ersterem die Umsätze zwischen den einzelnen Stufen miterfaßt sind. Die in den ersten Stufen der Produktion Beschäftigten brauchen bei der Verwendung ihrer Einkommen zum Kauf von Produkten nicht auf die Fertigstellung des Produkts zu „warten". Nimmt man an, daß in jeder Periode das Erzeugnis um eine Stufe weitergegeben wird, so beginnt in jeder Periode eine neue Produktion in der Stufe I und wird in der Stufe IV ein Produkt verbrauchsreif, welches dem Wert des Gesamteinkommens, das in dieser Periode in allen Stufen gebildet wird, entspricht. Das gilt in voller Reinheit nur bei vollständiger Synchronisierung der Produktion im „stationären Kreislauf", also unveränderter Größe der Produktion. Es wird demnach Produktion als ein simultan-sukzessiver Prozeß verstanden. Das Volkseinkommen ist nur insoweit „Personales Einkommen", als es nicht in Form unausgeschütteter Gewinne in den Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit (Körperschaften) verbleibt oder für Körperschaftssteuern und Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung in den staatlichen Sektor fließt. Ein Teil der Staatseinnahmen wird dagegen durch Neuverteilung zu persönlichem Einkommen. Diese indirekten Übertragungen von Einkommen sind die staatlichen Transferzahlun-

§ 17. Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe

139

gen;.dazu rechnen besonders die aus Steuern und Zwangsbeiträgen finanzierten Zahlungen von Zinsen auf Staatsanleihen sowie soziale Renten aller Art. Weder mit den staatlichen Transferzahlungen noch mit direkten Übertragungen von Einkommen in Form von Geschenken, Erbschaften, Lotteriegewinnen u. ä. sind produktive Leistungen verbunden, die das Gesamteinkommen (Volkseinkommen) erhöhen. Diese „Umverteilungen" berühren jedoch die Höhe des individuellen Einkommens. In der Bundesrepublik betragen die öffentlichen Einkommensübertragungen etwa ein Fünftel der verfügbaren Einkommen, ein Drittel der gesamten Staatsausgaben. Verschiedene direkte persönliche Steuern (z. B. Einkommenssteuer, Vermögenssteuer) und Beiträge zur Sozialversicherung aus persönlichem Einkommen reduzieren dieses zum „disponiblen Einkommen" („verfügbares Einkommen"). Das disponible persönliche Einkommen wird entweder für Konsumzwecke verausgabt oder gespart ( = NichtVerausgabung von Einkommen für Konsumzwecke). Es ist demnach wertgleich dem Wert der Käufe von Gütern und Diensten durch Haushalte („Verbrauch") plus dem Zuwachs an Vermögen („Sparen") der Haushalte. Zusammenfassend ergibt sich folgende Systematik der Sozialprodukt- und Einkommensbegriffe: Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen + Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt = Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen (Yt>r) — Abschreibungen (D) = Nettosozialprodukt zu Marktpreisen (Yn) — indirekte Steuern (soweit von Unternehmungen unmittelbar an den Staat gezahlt und bei der Gewinnermittlung als Kosten abzugsfähig, Tind) + Subventionen (Z) = Nettosozialprodukt zu Faktorkosten (Volkseinkommen, Y)

140

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

— unverteilte Gewinne der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit (Körperschaften, Qu) — Körperschaftssteuern (Tk) — Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung ( S V A g ) + Transferza'hlungen (Tr) = Personales Einkommen (Yp) — persönliche direkte Steuern (T*dir) — Arbeitnehmerbeiträge Sozialversicherung (SVAn) = Verfügbares (disponibles) Einkommen (Yd). In formaler Schreibweise lautet die Beziehung zwischen dem Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen und dem disponiblen Einkommen: Y

d -

Y

br -

D

- T i n d + Z - Q„ - T k - SV A g + Tr - T* d ¡ r - SV A n

Y

Unter Verwendung der Gleichung auf S. 134 folgt hieraus: Y d = C + C st + I br +I s t b r + X - M - D - Tind + Z Qu - T k - SV Ag + Tr - T* dir - SVAn

§ 18. Entwicklung des Sozialprodukts 1. Sozialprodukt und Volkswohlstand Die Wohlfahrt eines Volkes hängt nur zu einem Teil von seiner Güterproduktion ab. Weil die Aufgabe der Wirtschaft in der Beschaffung von Mitteln zu außerhalb der Wirtschaft gesetzten Zwecken liegt, kann aus der immanenten Logik der Wirtschaft nicht abgeleitet werden, höchstmögliche Güterproduktion gewähre ein Maximum an Wohlfahrt, sei also notwendiger Zweck des Wirtschaftens („Ökonomismus").

§ 18. Entwicklung eines Sozialprodukts

141

„Die ,Wertschöpfung' einer Epoche der Wirtschaftsgeschichte, die einen gewaltig gesteigerten Ausstoß an Gütern und Diensten aufweist, kann sehr gering sein, wenn dieser Ausstoß . . . mit der Zerstörung wesentlicher Persönlichkeitswerte verbunden ist; beispielsweise mit einem radikalen Schwund der Werte des Selbstverantwortlichhandelns in der Wirtschaft oder mit kultureller Verflachung der Gesellschaft infolge eines Ubermaßes an psychischer Beanspruchung durch den wirtschaftlichen Kampf ums Dasein oder mit einer erschreckenden Atomisierung der Gesellschaft als Wirkung einer Ordnung des sozialen Lebens, die zwar zu hohen Ausstoßzahlen führt, aber den Sinn für Gemeinschaft zerstört." (Gerhard Weisser). Es besteht zwar eine enge Beziehung zwischen der Erhöhung des Sozialproduktes und der Steigerung der sozialen Wohlfahrt, doch kann die Wohlfahrt nicht allein an den Ziffern des Sozialprodukts gemessen werden. Gegen das Sozialprodukt als alleinigen Wohlfahrtsindikator lassen sich u. a. folgende Einwände vorbringen: 1. Der Preisausdruck besagt nichts über den Wert der Güter im Wo'hlfahrtssinne, da der Marktpreis nicht die Dringlichkeit der Bedürfnisse mißt, sondern das Ausmaß der kaufkräftigen und kaufwilligen Nachfrage im Verhältnis zum Angebot. Ein gleicher Gesamtwert des Sozialprodukts kann daher bei verschiedener Zusammensetzung nach Güterarten durchaus unterschiedliche Bedeutung für die ökonomische Wohlfahrt haben („Kanonen statt Butter"). 2. Eine geänderte Einkommensverteilung gibt einem unveränderten Sozialprodukt eine geänderte Wohlfahrtsbedeutung. 3. Mit wachsender Einbeziehung aller Wirtschaften in die marktwirtschaftlichen Vorgänge werden bisher in Haushalten „unentgeltlich" vollzogene Leistungen zu auf dem M a r k t verkauften und beschafften, damit in die Einkommensstatistik einbezogen, obwohl die reale Leistungsmenge unverändert ist. 4. Ein Teil des erwirtschafteten Sozialprodukts dient dazu, den mit der Produktion verbundenen Verschleiß an Produktionsmitteln zu ersetzen. Deshalb ist es zweckmäßig, nicht das gesamte Bruttosozialprodukt, sondern das Nettosozialprodukt

142

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

(Nettosozialprodukt = Bruttosozialprodukt ./. Abschreibungen) als Wohlfahrtsindikator heranzuziehen. Durch die Abschreibungen wird jedoch lediglich der Verschleiß an reproduzierbarem Anlagevermögen berücksichtigt. Einem Verschleiß können aber auch die natürlichen Ressourcen (Boden, Bodenschätze, Wasservorräte usw.) unterliegen. M a n müßte auch diesen Verschleiß vom Bruttosozialprodukt abziehen, um einen aussagefähigeren M a ß s t a b zu erhalten. 5. Wächst das gesamte Sozialprodukt mit der gleichen Rate wie die Bevölkerung, so ändert sich die durchschnittliche Güterausstattung der einzelnen nicht, trotzdem ergibt sich - legt man das gesamte Sozialprodukt als Maßstab zugrunde - eine Wohlfahrtssteigerung. Daher wird oft das Sozialprodukt p r o Kopf der Bevölkerung als Maßstab vorgezogen. Aber auch diese Größe ist nicht problemlos. So kann z. B. eine Steigerung des Sozialprodukts p r o Kopf der Bevölkerung auf eine Erhöhung der durchschnittlichen Arbeitszeit (z. B. durch Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit, Z u n a h m e der Frauenarbeit, Erhöhung des Rentenalters usw.) zurückzuführen sein. Dem durch die gesteigerte Produktion bedingten Wohlfahrtsgewinn steht dann ein Wohlfahrtsverlust durch Reduzierung der Freizeit gegenüber, der in der Indikatorgröße „Sozialprodukt p r o Kopf der Bevölkerung" unberücksichtigt bleibt. 6. Die Z u n a h m e des Sozialproduktes kann durch Preissteigerungen ausgelöst sein, denen weder eine quantitative Vermehrung, noch eine qualitative Verbesserung der Güter entspricht. Daher ist es zweckmäßig, die Wohlfahrt nicht am nominalen sondern am realen Sozialprodukt zu bemessen (reales Sozialprodukt = nominales Sozialprodukt dividiert durch einen als geeignet angesehenen Preisindex). Eine problemlose Verwendung von Preisindizes ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn sich die Zusammensetzung des Sozialproduktes im Verhältnis zum Basisja'hr nicht ändert. Je unterschiedlicher die Zusammensetzung des Sozialproduktes sowie die Qualität der erzeugten Güter ist, um so schwieriger wird die Ermittlung geeigneter Preisindizes und damit des realen Sozialproduktes. Aus dieser Sicht sind insbesondere jene Versuche skeptisch zu beurteilen, bei denen anhand von Sozialproduktstatistiken das Wohlfahrts-

§ 18. Entwicklung eines Sozialprodukts

143

niveau hochentwickelter Volkswirtschaften mit dem von Entwicklungsländern verglichen wird. 7. Erhebliche Schwankungen in der Höhe des Sozialprodukts bedeuten wegen der damit verbundenen Unsicherheit und Unstabilität eine Wohlfahrtsminderung gegenüber einer gleichmäßigeren Entwicklung. Die in der Gegenwart erreichte Höhe des Sozialprodukts sichert für den größten Teil der Menschheit noch keinen ausreichenden physischen Versorgungsgrad und bleibt weit unter dem sozial und kulturell erwünschten Stand. Die „Wohlfahrtsökonomie" („welfare economics") als ein neuerer - umstrittener - Zweig der Wirtschaftswissenschaft bemüht sich um die theoretische Herausarbeitung objektiver Kriterien für Vergleiche zwischen ökonomischen Zuständen als „besser" oder „schlechter" im Hinblick auf ein soziales Optimum. „Ein soziales Optimum ist definiert als eine Situation, in der niemand zu einer von ihm bevorzugten Position gelangen kann, ohne daß ein anderer in eine Position gerät, die er weniger bevorzugt. Negativ ausgedrückt: das System befindet sich nicht in einem sozialen Optimum, wenn es möglich ist, eine Reorganisation oder ein anderes Arrangement von Gütern durch Tausch oder Produktion durchzuführen, welche mindestens eine Person in eine günstigere Lage bringt (gemeint als eine von ihr bevorzugte Position), ohne daß andere in eine schlechtere Lage gebracht werden (gemeint als ihr Verbringen in eine Lage, die sie der ursprünglichen Lage nicht vorziehen). Eine Situation, in der A auf Kosten von B in eine verbesserte Lage gebracht wird, kann nach diesem Kriterium nicht beurteilt werden, da das interpersonale Vergleiche bedingen würde." (K. E. Boulding, in: Bernard F. Haley (Ed.), A Survey of Contemporary Economics. Vol. II. Homewood 1952, S. 12.) Das so bestimmte Optimum wird als „Pareto-Optimum" bezeichnet. - Das „Kaldor-Kriterium" unterstellt eine Verbesserung der gesamten sozialen Wohlfahrt dann, wenn die durch eine Veränderung Begünstigten in der Lage sind, den Benachteiligten einen Ausgleich für den Nachteil zu zahlen, trotzdem aber noch besser gestellt sind als vorher.

144

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf 2. Geschichtliche Entwicklung

Grundzug der Entwicklung (in den „kapitalistischen" Volkswirtschaften) ist erhebliches Wachstum des Sozialprodukts als Gesamtgröße wie auch bezogen auf die Bevölkerungszahl und Zahl der Beschäftigten. Ausdruck hierfür war die Erhöhung des „Produktionspotentials" durch technische Fortschritte, Erhöhung der Ausstattung mit „Anlagekapital" (Maschinen usw.) und organisatorische Verbesserungen. Die in der wirtschaftlichen Entwicklung führenden Länder erzielten im letzten Jahrhundert eine Erhöhung des Sozialprodukts pro Kopf auf das Dreifache bis Sechsfache. Tab. 6: Sozialprodukt und Volkseinkommen der Bundesrepublik Deutschland in jeweiligen Preisen (Mrd. D M ) Zeitraum

Bruttoinlandsprodukt

Soldo der Erwerbsund Vermögcnscinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt

Bruttosozialprodukt

Abschreibungen

Nettosozialprodukt zu MarktPreisen

Indirekte Steuern 1 ) abzüglich Subventionen*)

Nettosozialprodukt zu Faktorkosten (Volkseinkommen)

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960

98,05 120,91 136,97 147,72 159,06 182,00 200,95 218,89 234,37 255,14 284,77

+0,05 -0,01 + 0,03 -0,02 -0,46 -0,60 -0,45 —0,39 -0,07 —0,24 -0,07

98,10 120,00 137,00 147,70 158,60 181,40 200,50 218,50 234,30 254,90 284,70

8,32 10,12 11,55 11,99 12,65 14,05 15,79 17,74 19,59 21,47 24,27

89,78 109,88 125,45 135,71 145,95 167,35 184,71 200,76 214,71 233,43 260,43

12,84 16,64 19,74 21,80 23,42 26,37 28,17 29,47 31,43 34,94 38,17

76,94 93,24 105,71 113,91 122^3 140,98 156,54 171,29 183,28 198,49 222,26

302,55 333,45 360,91 384,77 422,14 462,02 492,10 496,86 540,54 605,68 686,96 759,60

-0,25 -0,85 -0,81 -0,77 -1,24 -1,62 -1,40 -1,36 -0,54 -0,48 -1,36 -0,80

302,30 332,60 360,10 384,00 420,90 460,40 490,70 495,50 540,00 605,20 685,60 758,80

25,73 29,26 33,48 37,19 41,17 46,21 50,68 53,80 57,40 63,95 74,78 85,11

276,57 303,34 326,62 346,81 379,73 414,19 440,02 441,70 482,60 541,25 610,82 673,69

40,87 45,33 49,17 51,05 55,48 58,94 62,93 65,71 65,74 80,60 81,63 90,98

235,70 258,01 277,45 295,76 324,25 355,25 377,09 375,99 416,86 460,65 529,19 582,71

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971

•)

«)

') Einschließlich der Einnahmen des Staates aus dem Preisausgleich, der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, der von Unternehmen gezahlten Verwaltungsgebühren und der von der EGKS erhobenen Umlagen. ') Einschließlich der Ausgaben des Staates für den Preisausgleich und der Zahlungen der EGKS. s ) Ohne Saarland und Berlin. 4 ) Vorläufige Ergebnisse. Quelle: Jahresgutachten 1972/73 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Gleicher Rang für den Geldwert, Stuttgart und Mainz 1972, S. 208.

§ 18. Entwicklung eines Sozialprodukts

145

Die (im langfristigen Durchschnitt erzielte) W a c h s t u m s r a t e v o n ca. 3 °/o im J a h r ist keine konstante G r ö ß e , vielmehr ist die tatsächliche Entwicklung gekennzeichnet durch sehr starke S c h w a n k u n g e n in denen sich die Einflüsse nichtökonomischer Faktoren (Krieg, politische U m w ä l z u n g e n usw.), aber auch des Wechsels v o n Expansion u n d K o n t r a k t i o n (Konjunkturschwankungen) abzeichnen. Das technische „Produktionspotential" w u r d e nur in den „ H o c h k o n j u n k t u r e n " voll ausgenutzt. Die Entwicklung des S o z i a l p r o d u k t s der Bundesrepublik Deutschland v o n 1 9 5 0 bis 1 9 7 1 zeigen die Tabellen 6 u n d 7.

Tab. 7: Sozialprodukt und Volkseinkommen der Bundesrepublik Deutschland in Preisen von 1962 (Mrd. DM) Zeitraum

BrunoInlandsprodukt

Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt

BrunoSozialprodukt

AbSchreibungen

Nettosozialprodukt zu Martkpreisen

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960

143,49 158,56 172,58 186,85 201,30 225,57 241,77 255,39 264,42 283,91 309,37

+ 0,11 + 0,04 + 0,12 + 0,05 - 0,50 -0,67 - 0,47 - 0,39 + 0,08 -0,11 + 0,03

143,60 158,60 172,70 186,90 200,80 224,90 241,30 255,00 264,50 283,80 309,40

12,70 13,34 14,06 14,91 15,93 173« 19,00 20,69 22,37 24,25 26,51

130,90 145,26 158,64 171,99 184,87 207,54 222,30 234,31 242,13 259,55 282,89

328,59 347,0« 360,91 373,28 398,50 421,03 433,01 432,09 462,89 500,94 530,59 545,02

- 0,19 - 0,86 - 0,81 - 0,78 - 1,20 - 1,53 - Ml - U9 -0,59 — 0,54 - 1,19 - 0,72

328,40 346,20 360,10 372,50 397,30 419.S0 431,70 430,80 462,30 500,40 529,40 544,30

28,09 30,65 33,48 36,36 39,35 42,66 46,05 49,11 52,20 55,84 59,73 64,08

300,31 315,55 326,62 336,14 357,95 376,84 385,65 381,69 410,10 444,56 469,67 480,22

1960 1961 1962 1963 1964 1965 196« 1967 1968 1969 1970 1971

•)

')

') Einschließlich der Einnahmen des Staates aus dem Preisausgleich, der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, der von Unternehmen gezahlten Verwaltungsgebühren und der von der EGKS erhobenen Umlagen. 2 ) Einschließlich der Ausgaben des Staates für den Preisausgleich und der Zahlungen der EGKS. *) Ohne Saarland und Berlin. *) Vorläufige Ergebnisse. Quelle: Jahresgutachten 1972/73 des Sachverständigen rats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Gleicher Rang für den Geldwert, Stuttgart und Mainz 1972, S. 209. 10

Paulsen/Schilcher, Allgem. Volksw. I

146

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Die konjunkturellen Schwankungen sind vorzugsweise bewirkt durch die nicht gleichmäßig, sondern stoßweise erfolgende Ausweitung der Kapitalanlagen („Investitionen"). In langfristiger Betrachtung erweist sich die Entwicklung im Kapitalismus als ein immer wiederholter Vorgang „schöpferischer Zerstörung" (Schumpeter): auf neuer Technik aufgebaute neue Industrien setzen sich durch (Dampfmaschinen, Eisenbahnbau, Elektrifizierung, Motorisierung, Atomenergie . ..). Das Phänomen chronischer Unterbeschäftigung, d. h. der Nichtausnutzung aller vorhandenen Arbeitskräfte (Arbeitsangebot) und Anlagen, hat in der Theorie zur Kritik an der Ausgleichstendenz der automatischen Preissteuerung des Systems geführt und zu einer bedeutsamen Abwendung von der sog. „klassischen" Wirtschafsttheorie den Anstoß gegeben (J. M. Keynes, General Theory of Employment, Interest, and Money. 1936. „Keynes'sche Revolution"). Konjunkturschwankungen manifestieren sich im beobachteten Zeitraum in der Bundesrepublik als Schwankungen einer positiven Zuwachsrate des Sozialprodukts, nicht mehr als Wechsel von Zu- und Abnahme in dessen absoluter Höhe. Entsprechend fehlen Perioden beträchtlicher Unterbeschäftigung, wie sie in den Depressionen des historischen Konjunkturzyklus auftraten. § 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung 1. Einkommensarten Um das gesamte Einkommen von Personen oder Personengruppen (personelles Einkommen) in Einkommensarten zu zerlegen, sind je nach Fragestellung unterschiedliche Kriterien angebracht (ökonomische Funktion des Einkommensempfängers, seine Stellung in der Sozialordnung, Eigentumsverhältnisse und damit Verfügungsgewalt über Produktionsmittel u. a. m.). Wird Einkommen ohne produktive Gegenleistung bezogen, liegt Transfereinkommen vor. Dieses kann sowohl an Unternehmen (Subventionen) als auch an private Haushalte (Sozial-

§ 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung

147

einkommen wie Renten, Pensionen, Sozialhilfen) gezahlt werden. Die durch produktive Beteiligung am Wirtschaftsleben erworbenen Leistungseinkommen werden oft auch Faktoreinkommen genannt. In Fortführung der klassischen Tradition unterscheidet die Volkswirtschaftslehre auch heute noch folgende Produktionsfaktoren als Inbegriff globaler ökonomischer Funktionen: Arbeit, Kapital, Boden, Unternehmerleistung. Da der Gegenwert des „produktiven Beitrags" des an der Produktion beteiligten Faktors sein Einkommen darstellt, ergeben sich gemäß der vier Faktoren vier funktionelle Einkommensarten, die meist kurz bezeichnet werden als Lohn, Zins, Rente, Gewinn. Das Einkommen einer Person kann sich demnach unabhängig von den Eigentumsverhältnissen aus mehreren funktionellen Einkommen zusammensetzen (vgl. das bäuerliche Einkommen). Verbreitet ist die Gruppierung gerade der funktionellen Einkommen danach, ob sie in ihrer Höhe fest bedungen sind (Kontrakteinkommen wie Lohn, Gehalt, Zinsen, Pacht, Miete), oder ob sie sich als „Restgröße" aus der Differenz zwischen Markt- und Kostenwert der Produktion ergeben (Residualeinkommen: Unternehmergewinn). Wiederum kann ein- und dieselbe Person beide Einkommensarten beziehen, was mit zunehmender Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer und Umsatzbeteiligung der Manager inzwischen häufig geworden ist. Mehr und mehr wird die Unterscheidung zwischen Kontraktund Residualeinkommen als unzweckmäßig aufgegeben. In hoch entwickelten Verkehrswirtschaften verliert der Gewinn weitgehend seinen Residualcharakter, da ihn Wettbewerbsbeschränkungen, Preisadministrierungen usw. manipulierbar machen. Mit dem Begriffspaar „Arbeits- und Besitzeinkommen" werden die aus menschlicher Arbeit von den aus sachlichen Leistungen stammenden Einkommen unterschieden. Auf diese Unterscheidung bezieht sich beispielsweise die „Ausbeutungstheorie", welche nur die Arbeit für „produktiv" hält, daher die Entstehung von Besitzeinkommen auf die Ausbeutung der Arbeitenden zurückführt, die durch die rechtliche Anerkennung und 10*

148

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Sicherung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln ermöglicht wird. Im statistischen Vergleich werden häufig die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit denen aus selbständiger Arbeit (Unternehmertätigkeit) und Vermögen gegenübergestellt. In der Bundesrepublik Deutschland entfielen 1971 von einem Volkseinkommen von 582,71 Mrd. DM auf: Einkommen aus unselbständiger Arbeit 400,2 Mrd. DM, Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen der privaten Haushalte 152,33 Mrd. DM, unverteilte Gewinne von Körperschaftsunternehmen 25,61 Mrd. DM, Einkommen staatlicher Unternehmungen 4,57 Mrd. DM. (Ja'hresgutachten 1972/73 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Gleicher Rang für den Geldwert, Stuttgart und Mainz 1972, S. 210.) 2. Einkommensverteilung Das gesamte in einer Volkswirtschaft entstehende Einkommen oder Teile davon kann man nach verschiedenen Kriterien (Faktoren, Sektoren, Klassen, Regionen, Personengruppen usw.) aufteilen. Mit der ökonomischen Erklärung solcher Einkommensverteilungen beschäftigt sich die Verteilungstheorie (vgl. Bd. III). Der Gesamtwert des Volkseinkommens dividiert durch die Zahl der Einkommensempfänger (bzw. der Haushalte) ergibt das Durchschnittseinkommen je Einkommensempfänger (bzw. je Haushalt). Die personelle Einkommensverteilung ist um so gleichmäßiger, je geringer der Grad der Abweichung der einzelnen Einkommen vom Durchschnittseinkommen ist. Eine Darstellungsform der personellen Einkommensverteilung ist die sog. Lorenzkurve. (M. O. Lorenz, Methods of Measuring the Concentration of Wealth. - Publications of the American Statistical Association. Vol. IX. New Series, Boston 1905.) Vgl. Abbildung 5. Je stärker sich die Lorenzkurve der 45 "-Linie (Grenzfall völlig gleichmäßiger Einkommensverteilung) annähert, um so gleichmäßiger ist die Einkommensverteilung. Die Ungleichheit in der Höhe der personellen Einkommen ist zurückzuführen auf:

§ 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung

149

1. die unterschiedliche Ausstattung mit Vermögen und folglich mit Besitzeinkommen; 2. die ungleiche Verteilung der Fähigkeiten und Chancen (durch Bildung, Herkunft, Religion, Geschlecht usw.) Arbeitseinkommen zu erzielen. 6esamtbetrag der Einkünfte kumuliert in % ( y )

100



Ourchsch nittseinkomn ien: 19S0 3 S00 DM/3G hr 1968 13 000 0 N / J a ir



J

/ i

60 /

to 31

20

// //

V

/

// / / 1950 ,

7 /

/

,^1968

/ / / /

^ ^

20

0 E0 Steuerpflichtige kumuliert in % ( x )

80

100

Erläuterung: Ein beliebiger Punkt auf nebenstehender „Lorenzkurve" bedeutet: Die „ärmsten" x •/« aller Steuerpflichtigen bezogen y «/. aller Einkünfte (siehe A b b . : 60 •/• aller Steuerpflichtigen bezogen 1968 31 %> aller Einkünfte) b z w . : Die niedrigsten y °/o aller Einkünfte wurden von x °/o der Steuerpflichtigen bezogen.

Abb. 5. Lorenzkurve Quelle: Wirtschaft und Statistik, 8/73, S. 457-461. Der Trend der Entwicklung kann in folgender Weise beschrieben werden: „Der Anteil der Einkommen der unselbständig Erwerbstätigen am Volkseinkommen steigt. Die Einkommensschichtung ist durch die Verringerung der Anteile von sehr hohen und sehr niedrigen Einkommen gekennzeichnet. Die Realeinkommen aus Lohn und Ge'halt steigen, wenn auch nicht kontinuierlich... Die Differenzierung der Arbeitsentgelte verringert sich auf lange Sicht gesehen. Es nehmen ab die Unterschiede zwischen der Entlohnung von gelernten und ungelernten Arbeitern, die Unterschiede in der Entlohnung in regionaler

150

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

und branchenmäßiger Hinsicht. Nur zum Teil sind die Unterschiede zwischen den Arbeitsentgelten für Männer und Frauen verschwunden. Es bestehen noch mehr oder minder große Unterschiede in den Arbeitsentgelten, die in Klein-, Mittel- und Großbetrieben gezahlt werden." (E. Liefmann-Keil, ökonomische Theorie der Sozialpolitik. Berlin-Göttingen-Heidelberg 1961. S. 47.) Für die Bundesrepublik Deutschland ergab eine Einkommensund Verbrauchsstichprobe bei privaten Haushalten im Jahre 1969 folgende Schichtung der Haushaltsnettoeinkommen: Tab. 8: Schichtung der Nettoeinkommen bei privaten Haushalten 1 ) Monatliches Haushaltsnettoeinkommen v o n . . . bis unter . . . D M unter 4 0 0 400600 600800 8 0 0 - 1000 1 0 0 0 - 1200 1 2 0 0 - 1400 1 4 0 0 - 1600 1 6 0 0 - 1800 1800- 2000 2000- 2500 2500-10000 Insgesamt:

Anzahl der Haushalte

1000

°/o 5,6

1145 1862 2065 2397 2570 2358 1933 1517 1176 1771 1745

9,1 10,0 11,7 12,5 11,5 9,4 7,4 5,7 8,6 8,5

20540

100,0

Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Wirtschaft und Statistik 10/72, S. 5 6 9 f.

Obwohl „die Frage nach der Verteilung immer auf das Einkommen von Personen abzielt" (Erich Preiser, Art. „Distribution", in: HdSW, 2. Bd., S. 622), beschäftigt sich die Verteilungstheorie noch überwiegend mit der funktionellen Einkom') O h n e Haushalte von Ausländern und o h n e Privathaushalte in Anstalten sowie o h n e Haushalte mit einem monatlichen Haushaltseinkommen von 10 000 und mehr D M .

§ 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung

151

mensverteilung, welche die Verteilung der Einkommen auf Produktionsfaktoren entsprechend ihrer Funktion im Produktionsprozeß wiedergibt (z. B. Arbeitseinkommen, Kapitalein-, kommen). Gelegentlich wird davon die institutionelle Einkommensverteilung unterschieden (Verteilung der Einkommen nach sozialen Gruppen oder Klassen). Bezieht man die Einkommensverteilung auf unterschiedliche Wirtschaftszweige, Produktionsstufen, Regionen usw., kann von struktureller oder sektoraler (sektorieller) Einkommensverteilung gesprochen werden. Erzielen Einkommensempfänger aus unterschiedlichen Quellen, in mehrfacher ökonomischer Funktion und durch den Besitz verschiedener Produktionsfaktoren Einkommen, so spricht man von Querverteilung des Gesamteinkommens. So kann z. B. das personelle Einkommen eines Bauern aus Lohn-, Zins-, Gewinnund Rentenanteilen bestehen. Schließlich interessiert - besonders im Zusammenhang mit dem Außenhandel und der wirtschaftlichen Entwicklung - die internationale Einkommensverteilung. Vgl. Tabelle 9 und Abbildung 6. Die nachstehend aufgeführte Lorenzkurve zeigt die ungleiche Verteilung des Bruttosozialproduktes der Welt für das Jahr 1965:

Abb. 6. Quelle: Taylor, C. L. und Hudson M. C.: World Handbook of Political and Social Indicators, 2 nd ed., N e w Haven and London 1972, S. 306 ff.

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IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Schätzungen des Bruttosozialprodukts pro Kopf der Bevölkerung in 135 Ländern ergaben für 1965 u. a. folgende Werte: Tab. 9: Bruttosozialprodukt pro Kopf ausgewählter Länder Rang

1 2 3 4 11 12 14 20 22 29 32

65 69 89

98 101 105 114 133 134

Land

Bruttosozialprodukt pro Kopf in $

USA Kuweit Schweden Kanada Frankreich BRD Großbritannien UdSSR DDR Japan Argentinien Brasilien Iran Vereinigte Arabische Rep. China Indien Indonesien Nigeria Äthiopien Burundi

3.575 3.390 2.549 2.473 1.924 1.901 1.818 1.357 1.260 861 770 267 251 159 109 101 99 84 45 44

Quelle: Taylor, C. L. und Hudson, M . C.: World Handbook of Political and Social Indicators, 2 n d ed., New Haven and London 1972, S. 306 ff.

3. Einkommensausgleich Die Wahl des Sozialprodukts (Volkseinkommens) als Indikator der Gesamtwohlfahrt ist problematisch (vgl. § 18, 1), bei Beachtung aller Vorbehalte und Einschränkungen jedoch möglich und mangels besserer Indikatoren manchmal erforderlich. Dabei sind primär drei Ansatzpunkte gegeben: die Höhe des Einkommens pro Kopf, die Höhe und Stabilität der Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens und die Gleichmäßigkeit der Einkommensverteilung.

§ 19. Einkommensarten und Einkommensverteilung

153

Welche Streuung der Einkommen als wirtschaftlich notwendig und sozial gerecht angesehen werden kann, ist umstritten. Vielfach gilt Ungleichheit in der Einkommensverteilung als gerechtfertigt nur im Maß tatsächlicher Leistungsunterschiede, und als notwendig, soweit davon Leistungsanreize ausgehen. Für die Beurteilung sind indessen folgende Feststellungen bedeutsam: erstens erweist sich die funktionelle Einkommensverteilung in auffällig starkem Ausmaß als relativ konstant; zweitens scheint die Verteilung der personellen Einkommen gleichmäßiger zu werden; drittens sind die Einkommen der unteren Schichten in der Vergangenheit wirksamer gehoben worden durch Steigerung des Gesamteinkommens mit relativ gleichbleibender Streuung als durch jede mögliche Neuverteilung eines Gesamteinkommens von gegebener Höhe. Die Ungleichheit der Vermögensverteilung hat im Zuge der langfristigen Entwicklung zugenommen, wodurch tendenziell eine Ungleichheit der Einkommensverteilung gefördert wird. Die Ansicht, daß jede aus politischen oder sozialen Gründen vorgenommene Korrektur der vorgefundenen Einkommensverteilung (der sog. Primärverteilung) mit einer Einbuße an ökonomischer Leistungskraft erkauft werden müsse, ist aufgegeben worden; es hat sich herausgestellt, daß eine veränderte Einkommensverteilung (Sekundärverteilung) die Neubildung des Gesamteinkommens je nach Ausgangslage sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann. Widerlegt ist namentlich die Auffassung eines Teiles der älteren klassischen Nationalökonomie, daß jede Neuverteilung des Einkommens, verbunden mit einer relativen Senkung der höheren Einkommen, die Höhe des Gesamtsparens in der Volkswirtschaft unvermeidlich vermindere, damit aber den Grad der Neubildung von Kapital mindere und daher auf längere Sicht auch den Interessen der Arbeiter abträglich sei. Das Argument tritt auch in der Form auf, daß Unternehmergewinne durch Uberschüsse der Produktpreise über die Produktionskosten das Ausweiten der Kapitalausstattung durch „Selbstfinanzierung" ermöglichen und daher in entsprechender Höhe volkswirtschaftlich notwendig oder erwünscht seien. Dabei wird übersehen, daß u. U. dadurch die Möglichkeit des Sparens und der

154

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislaut

Vermögensbildung durch Haushalte entsprechend verringert und die Vermögensbildung nicht verstärkt, sondern nur konzentriert wird. Der Einkommensausgleich (sog. „Umverteilung" oder „Redistribution") kann betrieben werden: 1. mit Hilfe der Besteuerung (z. B. Progression der Einkommenssteuer). Langfristig am nachhaltigsten wirksam ist dabei die Höhe der Erbschaftssteuer mit ihrem Einfluß auf die Besitzeinkommen, wobei oft betont wird, die „Produktivität" des Kapitals, d. h. seine Mitwirkung in der Produktion, sei (im Unterschied zur „Arbeit") nicht „Produktivität" des Kapitaleigentümers; 2. durch Einkommensübertragungen, Transferzahlungen, auf die in der Bundesrepublik Deutschland etwa ein Drittel der gesamten Staatsausgaben entfallen. 3. durch Einflußnahme auf die Höhe der Leistungsentgelte, d. h. auf die Bildung der Einkommen. 4. durch vermögenspolitische Maßnahmen, d. 'h. Einflußnahme auf die Verteilung der Vermögenszuwächse (Investivlohn, Ertrags- und Gewinnbeteiligung). Um- und Neuverteilung der bestehenden Vermögen gilt gegenwärtig als politisch nicht durchsetzbar. § 2 0 . Der Wirtschaftskreislauf 1. Der Kreislauf einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität a) Einfaches

Kreislaufschema

Die ständige Wiederholung von Produktion und Verbrauch läßt sich als Kreislauf darstellen. Da die Menschen als Produzenten meistens Glieder einer wirtschaftlichen Einheit „Unternehmung" sind, als Verbraucher einer Einheit „Haushalt", ergeben sich zwei einander entgegenlaufende Ströme: Die Mitglieder der Haushalte leisten produktive Dienste in Unternehmungen und beziehen (Sach-)Güter von Unternehmungen: „realer" Strom; die Mitglieder der Haushalte empfangen Geldeinkommen von Unternehmungen und verausgaben

§ 20. Der Wirtschaftskreislauf

155

Geld an Unternehmungen: „monetärer" Strom. Für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne ökonomische Aktivität des Staates ergibt sich das in Abbildung 7 dargestellte einfache Kreislaufschema mit den beiden Polen (Sektoren) „Haushalte" (Nicht-Unternehmerhaushalte und Unternehmerhaushalte) und „Unternehmungen". „Haushalte" sind wirtschaftliche Einheiten, die - sieht man von der produktiven Leistung häuslicher Bediensteter ab - nicht „produzieren", sondern nur „verbrauchen", während „Unternehmungen" nur „produzieren" und ihre Produkte absetzen.

Abb. 7. Einfaches Kreislaufschema

Einen eigentlichen Kreislauf führt nur das Geld aus, da es nicht im physischen Sinne verzehrt wird. Die produzierten Güter dagegen beenden ihren Umlauf in den Haushalten. An deren Verbrauch schließt sich aber das wiederholte Erbringen von Leistungen durch Glieder des Haushalts an. In jeder Periode ist die Stärke des Kreislaufs in dem unterstellten Modell gleichbedeutend der Höhe des Sozialprodukts

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IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

zu Faktorkosten, abgesehen von direkten Dienstleistungen innerhalb des Sektors „Haushalte". Die Stellung der Investierungen und des Sparens wird ebenfalls in diesem Schema noch nicht ausgedrückt. b) Die Geschlossenheit

des Kreislaufs

Die Erfassung der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge als Kreislauf zeigt, wie Ausgaben von Wirtschaftssubjekten zu Einnahmen anderer Wirstchaftssubjekte werden und diese dadurch zu neuen Ausgaben befähigen. Alle Wirtschaftseinheiten bieten spezialisierte Leistungen und Güter auf den Märkten an; ihr Wirtschaftserfolg hängt so von der Bereitwilligkeit und Fähigkeit anderer Wirtschaftseinheiten ab, diese Güter und Leistungen zu erwerben. Geldeinkommen können nur durch Geldausgaben gebildet werden. Die einzelnen Wirtschaftssubjekten offenstehende Möglichkeit, durch Erhöhung der Einnahmen und Verringerung der Ausgaben reicher zu werden, gilt demnach für die Volkswirtschaft als Ganzes nicht: allgemeine Verringerung der Ausgaben muß zur Schrumpfung der Einkommen führen. Der Wirtschaftskreislauf ist geschlossen in dem Sinne, daß sich keine Stelle bestimmen läßt, an der er seinen Anfang nimmt bzw. die Stärke des Kreislaufstromes entschieden wird. Denn Ausgaben der einen bewirken zwar Einnahmen der anderen, aber Ausgaben werden erst durch vorhergehende Einnahmen ermöglicht. Einseitig ist die Annahme, daß die Nachfrage der Haushalte die Produktion „bestimmt". Denn die Hö'he der Nachfrage der Haushalte hängt von der Höhe ihrer Einkommen ab, diese aber wieder von der Höhe der Produktion. „So sind die Entschlüsse der ,Unternehmer' abhängig vom Verhalten der V e r braucher', und das Verhalten der ,Verbraucher' ist abhängig von den Entschlüssen der ,Unternehmer'. Der Leistungsstrom, der von den Verbrauchern zu den Unternehmern und wieder zurück zu den Verbrauchern fließt, kann jede beliebige Breite annehmen, er kann wachsen und schrumpfen — es scheint, als könnte er in jeder Lage, bei jeder Breite beharren." (C. Föhl, Geldschöpfung und Wirtschaftskreislauf. 2. Aufl., Berlin 1955, S. 32.)

§ 20. Der Wirtschaftskreislauf

157

An welcher Stelle auch eine Erhöhung oder Schrumpfung der Nachfrage einsetzt: der Impuls wird im Kreislauf weitergetragen, wobei er sich verstärken, aber auch abschwächen kann. Wenn auch solche Anstöße an jeder Stelle des Kreislaufs erfolgen können, so zeigt doch die Erfahrung, daß namentlich zwei Stellen bedeutsam sind: die Nachfrage der Unternehmungen speziell nach Investitionsgütern und die Höhe der Staatsausgaben, die beide im Schema noch nicht berücksichtigt sind. Hinzu kommt die Nachfrage des Auslandes nach inländischen Wirtschaftsgütern. Dagegen 'hängt die Nachfrage der Haushalte nach Verbrauchsgütern wesentlich von den Einkommen der Verbraucher ab, ist demnach durch die Höhe der Produktion bestimmt. Eine Veränderung der Stärke des Geldstromes wird durchweg zwei miteinander verbundene Wirkungen haben: die reale Größe der produzierten und ausgetauschten Mengen der Güter und Dienste kann variieren, und deren Preisausdruck („Geldwert" als Höhe der Kaufkraft der Geldeinheit) kann sich verändern. Für die Preistheorie ergibt sich hieraus die Unterscheidung zwischen den Preisrelationen („Preisstruktur"), d. h. den relativen Preisen der Güter, und dem Preisniveau, d. h. der absoluten Höhe der Preise. Letzteres bemißt die „allgemeine Kaufkraft" des Geldes, ersteres dagegen die „Tauschraten" von Mengen der einzelnen Güter, die durch deren relative Preise nur angezeigt werden. Die Erfassung des gesamten Wirtschaftsgeschehens als Kreislauf, damit zugleich die erste Formung der Wirtschaftstheorie zu einem System, geschah durch die französische Schule de® Physiokraten Mitte des 18. Jahrhunderts mit François Quesnay (1694—1774) als Hauptvertreter. Sie erhob zugleich den Anspruch, mit diesem Kreislauf die „natürliche Ordnung" der Wirtschaft entdeckt zu haben, die auch für die Wirtschaftspolitik im Sinne eines Verzichts auf Lenkung verbindlich sei. („Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même!") Die sich der physiokratischen Schule anschließende klassische Schule der Nationalökonomie verfolgte den Gedanken des Wirtschaftskreislaufs nicht weiter. Erst Karl Marx (1818-1883)

158

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

griff ihn wieder auf. Eine starke Weiterentwicklung erfuhr das Kreislaufdenken namentlich durch Jo'hn Maynard Keynes (1883 bis 1946). Heute nimmt die Kreislauftheorie eine zentrale Stellung im Lehrgebäude der Wirtschaftswissenschaft ein. c) Darstellungsformen

des

Wirtschaftskreislaufs

Die Veranschaulichung des Wirtschaftskreislaufs kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Abbildung 7 auf S. 155 zeigte den einfachen Fall einer graphischen Darstellung mit den beiden Polen „Haushalte" und „Unternehmungen". Beide Pole sind verbunden durch einen „monetären Strom" und einen diesem Strom entgegengerichteten wertgleichen „realen Strom". In der Kreislaufdarstellung wird im allgemeinen nur einer der beiden Ströme, gewöhnlich der monetäre, berücksichtigt. Eine Alternative zur graphischen Darstellung ist die Aufzeichnung der Kreislaufvorgänge in Kontenform, ein Verfahren, dessen sich vor allem die „Nationale Buchführung" (vgl. Kap. V) bedient. In diesem Fall wird jedem betrachteten Sektor ein Konto zuerkannt. Einnahmen werden auf der Haben-Seite, Ausgaben auf der Soll-Seite des Kontos eingetragen. Die Ausgeglichenheit der Konten ist Ausdruck der Geschlossenheit des Kreislaufs. Vgl. Abbildung 8. Als ebenfalls gebräuchliche Variante der Aufzeichnung intersektoraler Kreislaufströme ist die „Kreislaufmatrix" zu nennen. Sie stellt ein geordnetes System von Zeilen und Spalten dar, in dem für jeden berücksichtigten Sektor eine Zeile und eine Spalte reserviert sind. Die jeweilige Zeile wird als „abgebender Sektor", die jeweilige Spalte als „empfangender Sektor" interpretiert. In die einzelnen Felder der Matrix werden die betreffenden intersektoralen Ströme eingetragen. Abbildung 9 zeigt den einfachsten Fall einer derartigen Matrix. Nicht berücksichtigt wurden mögliche intrasektorale Ströme (z. B. Entlohnung der Hausbediensteten, Zahlungen zwischen Unternehmungen), weshalb Eintragungen in den entsprechenden Matrixfeldern fehlen. Die aufgezeigte Technik der Darstellung ist typisch für die später zu behandelnde Input-Output-Tabelle.

§ 20. Der Wirtschaftskreislauf

159

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188

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

sich gleichsinnig mit der Veränderung des Preises; umgekehrt / dx n \ ist die Neigung der Nachfragekurve negativ ^— < 0 j . Der Preis p 0 stellt den Gleichgewichtspreis dar, x 0 die Gleichgewichtsmenge. Der Gesamtumsatz (Preis mal Menge) beträgt im Gleichgewicht p„ • x 0 = 4 • 500 = 2000.

Abb. 13. Bildung des Gleichgewichtspreises Beide Kurven sind „statisch": eine „Bewegung auf der Kurve" ist nicht als Veränderung von Preisen und Mengen in der Zeit aufzufassen, sondern jeder Punkt auf der Kurve stellt eine für den gleichen Zeitpunkt bzw. die gleiche Zeitperiode geltende Beziehung dar. („Wenn der Preis nicht 5, sondern 6 wäre, so wäre die Nachfrage nicht 370, sondern 270.") - Steigt die Nachfrage, weil sich z. B. eine der analytisch als gegeben betrachteten Einflußgrößen geändert hat (etwa das Einkommen), so wäre die nachgefragte Menge zu jedem Preis größer als vorher, die Kurve würde sich daher nach rechts verlagern, etwa

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht

189

nach N'N'. Entsprechend würde beispielsweise „fallendes" Angebot zu einer Verlagerung der Kurve AA nach A'A' führen. Durch solche Kurvenverlagerungen ergeben sich neue Schnittpunkte der Kurven (P', P " , P'") und entsprechend neue Gleichgewichtspreise. Bei einer Verlagerung der Kurven im Koordinatensystem wird sich regelmäßig auch die Form der Kurven ändern (keine Parallelverschiebung). Sie erfolgt, wenn sich die in der Nachfragefunktion als gegeben angenommenen Werte verändern, z. B. die oben mit c* bezeichnete Ausgabensumme, oder bezüglich der Angebotsfunktion die Produktionskosten, die Produktionstechnik usw. Eine gegebene Kurve kann nur Beziehungen zwischen zwei Variablen veranschaulichen, unterstellt also alle übrigen als in ihren Werten gegeben (ceteris-paribusKlausel). 3. Das Gleichgewicht des Kreislaufs

a) Die Probleme der Steuerung des Kreislaufs

Die Auffassung, die Verkehrswirtschaft sei ein durch Preisbildung gesteuerter Kreislauf von Produktion und Verbrauch, ermöglicht die vorläufige Benennung einiger Problemzusammenhänge. Sie betreffen: erstens die Gesamtgröße des Kreislaufs bzw. des Sozialprodukts; zweitens die Zusammensetzung nach Arten, Mengen und Preisen der einzelnen Güter und Dienste und drittens die Bildung der Beziehungen zwischen den realen Größen (Mengen) und deren Geldausdruck (Preise). Die Gesamtgröße des Kreislaufs ist die Summe seiner Komponenten. Die Erfahrung zeigt, daß die Gesamtgröße bemerkenswerten Veränderungen unterworfen ist, und zwar handelt es sich namentlich um Schwankungen dieser Größe (konjunkturelle Wellen), welche den allgemeinen „Trend" der Entwicklung überlagern. Diese Erscheinungen sind zu erklären. Die Kreislaufbetrachtung ermöglicht es, solche Veränderungsvorgänge in ihrem interdependenten Zusammenhang zu erfassen. Wenn z. B. die Produktionsmenge von der Stärke der

190 IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf Nachfrage abhängig ist, so diese wieder von der Höhe des Einkommens, das heißt aber von der Höhe der Produktion. Die Veränderungen an einer Stelle setzen sich also mit größerer oder geringerer Stärke und Schnelligkeit im gesamten Kreislauf durch. Diese Weiterwirkung von Änderungen an einer Stelle des Kreislaufs können dazu führen, daß der Impuls infolge eines Rückkopplungsprozesses ausgeglichen wird und das System zur Ausgangslage zurückstrebt; sie können sich aber auch verstärken („kumulative Prozesse") und zu einem veränderten Zustand tendieren. Zentrales Problem ist das der „Vollbeschäftigung", verstanden als Zustand, bei dem keine Überschüsse im Angebot und in der Nachfrage von Produktionsfaktoren vorliegen (Unterbeschäftigung, z. B. Arbeitslosigkeit, oder Überbeschäftigung). Sofern das Ungleichgewichtszustände sind, ist zu zeigen, wie die freie Preisbildung zu ihrer Beseitigung führt. Einen „Preis", der das gesamte Angebot mit der gesamten Nachfrage zum Ausgleich bringt, gibt es nicht; realer Strom und monetärer Strom des Kreislaufs treffen nicht auf einem Gesamtmarkt zusammen und bilden keinen Gesamtpreis. Alle Preise beziehen sich auf bestimmte Güter und Dienste. Daher muß die Preissteuerung des Gesamtsystems bewirkt werden durch die Bildung der Relationen zwischen den einzelnen Preisen, welche die Zusammensetzung des Kreislaufs nach Mengen und Arten der einzelnen Güter bestimmen. Auf diese Vorgänge beziehen sich die wichtigsten Erkenntnisse der Preistheorie. Der Einfluß des Geldes (des „monetären Faktors") auf das reale Geschehen wird im besonderen behandelt durch die Frage, unter welchen Bedingungen die realen Beziehungen zwischen Mengen durch die Preise als Geldgrößen nur wiedergegeben werden, wann dagegen vom Geld ein „aktiver" Einfluß auf die Bildung dieser Beziehungen ausgeht. Hieraus ergibt sich auch die Frage nach den Wirkungen einer Veränderung der umlaufenden Geldmenge auf die Mengen der produzierten Güter einerseits, auf deren Preise andererseits; zusammengefaßt durch die Analyse der Bildung des „Preisniveaus" im Unterschied zur Bildung der „Preisrelationen".

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht b) Preisbildung und

191

Einkommensbestimmung

Die Bildung des Sozialprodukts und seine Verteilung als Einkommen werden in einer Verkehrswirtschaft uno actu bestimmt. Denn in den „Kosten" der Produktion, d. h. den Preisen der Produktionsfaktoren, vollzieht sich die Wertbildung für die produktiven Leistungen der „Haus'halte", d. h. deren Einkommen. Die Produktion im ökonomischen Sinne des Wortes ist nichts anderes als eine durch Kauf zustandegebrachte Kombination von erforderlichen und knappen Diensten. Im Verlauf dieses Prozesses erzielt jeder erforderliche und knappe Dienst einen Preis, und Distribution und Einkommensbildung bestehen grundsätzlich in der Bestimmung dieser Preise. Der Prozeß bewirkt also in der gleichen Aufeinanderfolge von Vorgängen die Produktion im ökonomischen Sinne und, durch die Bewertung der zur Produktion gehörigen produktiven Dienste, auch die Distribution oder Einkommensbildung. In diesem Schema also sind die kapitalistische Produktion und Distribution nicht das, was sie in einer sozialistischen Gesellschaft wären, nämlich zwei verschiedene Prozesse: Wir haben nur einen Prozeß von Wahlakten und Wertungen vor uns, und Produktion und Distribution sind lediglich seine beiden verschiedenen Aspekte. Und jede Form des Einkommens wird in diesem Schema durch ein und dasselbe Prinzip erklärt, nämlich durch das Prinzip der Preisbildung für die Dienste zusammenwirkender Faktoren. (Schumpeter, Joseph A.: Geschichte der ökonomischen Analyse, Göttingen 1965 (1955), S. 693.) c) Preisrelationen

und

Preisniveau

Bei der Erweiterung der Gleichgewichtsbetrachtung auf den gesamten Kreislauf kommen zu der entwickelten Bildung des Gleichgewichtspreises auf einem Einzelmarkt hinzu die Beziehungen 1. zwischen den Preisen der Einzelmärkte als Bildung der Preisrelationen oder der Preisstruktur, 2. zwischen der Stärke des monetären und realen Kreislaufstromes insgesamt als Bildung des Preisniveaus.

192

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Wenn 1 Einheit eines Gutes A, 2 Einheiten eines Gutes B, 4 eines Gutes C und 10 eines Gutes D je 1 DM kosten, so sind diese Mengen auf dem Markt gleichwertig und können real gegeneinander ausgetauscht werden. Diese Tauschrelation der Mengen kommt demnach zum Ausdruck in der Preisrelation, nach der eine Einheit der Güter A, B, C und D je 1 DM, 0.50 DM, 0,25 DM und 0,10 DM kostet. Die erste Frage ist, wie sich diese Relation der Preise bildet und welche Relation Gleichgewicht darstellt. Die den Preisrelationen zugrunde liegenden Tauschrelationen würden unverändert bleiben, wenn sich die „absoluten" Güterpreise in gleicher Proportion veränderten, also z. B. die genannten Mengen nicht 1 DM kosten, sondern 10 DM. Diese Veränderung beträfe nur das Preisniveau, nämlich die Kaufkraft der Geldeinheit oder den „Geldwert", nicht aber die „relativen" Preise. An diese Unterscheidung knüpft eine Hypothese an, die für die Preistheorie grundlegend ist: Bei Veränderungen der Preisrelationen ohne eine solche des Preisniveaus spricht eine Vermutung dafür, daß sie durch Verschiebungen in den relativen Angebots- und Nachfrageverhältnissen der einzelnen Güter verursacht sind. - Verändert sich dagegen das Preisniveau, so ist eine Veränderung zwischen der Gesamtgröße des realen Kreislaufstromes (Umsatzmenge) und der des monetären Kreislaufstromes (Geldumlauf) zu vermuten. d) Das Gleichgewicht

der

Preisrelationen

Grundsätzlich ist eine Interdependenz aller Preise anzunehmen, auch wenn ein bemerkbarer Einfluß der Änderung eines Preises nur für die Preise „benachbarter" (substitutiver oder komplementärer) Güter direkt festzustellen ist. Bei der Untersuchung dieser gegenseitigen Einflußnahme können drei Arten oder Richtungen von Preisrelationen unterschieden werden: 1. „Horizontale" Preisrelationen sind solche zwischen Gütern und Diensten gleicher „Stufe" (oder „Ordnung"), etwa zwischen Verbrauchsgütern wie Butter, Margarine, Schmalz usw., oder zwischen Rohstoffen wie Eisen, Stahl, Kupfer, Aluminium usw.

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht

193

2. „Vertikale" Preisrelationen sind solche zwischen Gütern unterschiedlicher „Ordnung" (z. B. zwischen Rohstoffen und Fertigprodukten). 3. „Intertemporal" (im Unterschied zu „intratemporal") sind Preisrelationen, wenn sich die in Beziehung gebrachten Preise auf verschiedene Zeitpunkte oder -perioden beziehen. Bei der Lagerbildung wird z. B. der „heutige" Preis des Gutes im Verhältnis zum „künftigen" („erwarteten") eine Rolle spielen. Bei allen zeitbeanspruchenden Produktionsvorgängen ist das Verhältnis zwischen den „heute" aufzuwendenden Produktionskosten und dem „künftigen" Preis des Produkts von Bedeutung. Eine besonders wichtige intertemporale Preisrelation wird durch den Zins dargestellt. In seiner Geldform (Kreditzins) drückt er eine Größenbeziehung zwischen einer gegenwärtigen und einer künftigen Geldsumme aus. Diesen Unterscheidungen entsprechen die zwischen horizontalem, vertikalem und intertemporalem Gleichgewicht der Preisrelationen. Das totale Systemgleichgewicht bedingt, daß in allen Richtungen die Preisrelationen im Gleichgewicht sind, d. h., unter den jeweils geltenden Bedingungen bleiben die Preisrelationen unverändert. Zur Bestimmung des Gleichgewichtszustandes wurde bereits auf das Verhalten der Marktteilnehmer zurückgegriffen: sie orientieren ihre Entscheidungen an den Preisen als „objektivem Bezugssystem" und verändern ihr Marktverhalten, solange sie dadurch ihre Wirtschaftszwecke besser und vollständiger erreichen können. Mit diesen Ausführungen ist der Ansatz für die Behandlung des ersten der genannten Problemzusammenhänge des Kreislaufgeschdiens gefunden: die Zusammensetzung des Kreislaufstromes nach den einzelnen Arten und Mengen der tausendfachen Güter und Dienste wird gesteuert durch die Bildüng der Preise auf den einzelnen Märkten und der Preisrelationen zwischen den Märkten, wobei die Preise je nach Marktmacht in unterschiedlich starkem Maße von den einzelnen Wirtschaftssubjekten beeinflußt werden können (Problem der Monopol13

Paulsen/Schilchcr, Allgcm. V o l k s w . I

194

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

bildung). Noch bleiben die Fragen offen, wie sich die Stärke des gesamten Kreislaufstromes bildet und welche Zusammenhänge zwischen Geldkreislauf und realem Kreislauf bestehen. e) Stärke des

Kreislaufstromes

Die Erfahrung zeigt Schwankungen in der Stärke des Kreislaufs und einen höheren oder geringeren Grad der Ausnutzung der vorhandenen Produktionsmittel (Arbeitslosigkeit). Die Frage ist, ob auch diese Erscheinung durch die Preisbildung erklärt und ob eine Tendenz zur Vollausnutzung aller Angebote an Produktionsmitteln angenommen werden kann. Die ältere und ein Teil der neueren ökonomischen Theorie verneinen die Möglichkeit eines Systemgleichgewichts mit Unter- oder Überbeschäftigung. Da kein Gleichgewicht auf einem Einzelmarkt möglich ist, sofern Uberschüsse vorliegen, muß dasselbe für alle Märkte in ihrer Zusammenfassung gelten. Bei freier Preisbildung wird daher das Sozialprodukt bzw. der Kreislauf stets nach der Größe hin tendieren, die der gegebenen Ausstattung der Volkswirtschaft mit Produktionsmitteln, der angewendeten Technik usw. entspricht. Bei der tatsächlich festzustellenden Arbeitslosigkeit handelt es sich hiernach um „Reibungserscheinungen", die aus ungenügender Beweglichkeit der Preise und Löhne, Verzögerungen in der Umsetzung der Arbeitskräfte, saisonalen Schwankungen in der Beschäftigung und ähnlichem erklärt werden können, die aber nicht auf eigentliches Versagen der automatischen Selbststeuerung des volkswirtschaftlichen Systems hinweisen. Die allgemeine lnterdependenz der Preise ist hierbei entscheidend. Verlagert sich etwa die Nachfrage von Gut A nach Gut B, so wird selten eine direkte Umsetzung der Produktionsmittel von A nach B möglich sein. Aber wo immer im Ausgleichsvorgang Überschüsse und Defizite auftreten, werden dadurch die Preise als Steuerungssignale sich ändern und die Ausgleichstendenzen wirksam werden. Diese These wird in der Theorie bezeichnet als das Say'sche Theorem (Jean Baptiste Say, 1767-1832). Es kann in zwei

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht

195

gleichsinnigen Ausdrucksweisen dem Inhalt nach werden:

bestimmt

1. Jedes Marktangebot bedeutet eine ihm entsprechende wertgleiche Nachfrage, weil ja notwendig jeder Anbieter auch Nachfrager ist. Z. B. Ricardo (Principles of Political Economy. 3. Auflage 1821): „Niemand produziert ohne die Absicht ein anderes Gut zu erwerben, das ihm von Nutzen ist oder zur künftigen Pro-duktion beiträgt. So wird er durch die Produktion entweder der Verbraucher seiner eigenen Erzeugnisse oder Käufer und Verbraucher der Güter irgendeiner anderen P e r s o n . . . Produkte werden stets durch Produkte oder durch Dienste gekauft; Geld ist nur das Medium, durch das der Tausch bewerkstelligt wird." Hieraus wäre abzuleiten, daß zwar einzelne Güter im Überschuß angeboten werden können, aber nicht das Gesamtangebot bei freier Preisbildung höher sein könne als die Gesamtnachfrage. Ebenso wäre eine absolute Übernachfrage unmöglich, weil man nur durch Angebot anderer Güter Nachfrage ausüben kann. 2. In der Kreislaufbetrachtung läßt sich dasselbe dahin ausdrücken, daß der Produktion jeder Größe notwendig ein wertgleiches Einkommen entspricht, daß demnach mit jeder Produktion auch die ausreichende „Kaufkraft" entsteht, um die gesamte Produktion nachzufragen. Zwar wird nicht jedes Gut zu seinem Kostenwert nachgefragt, aber ein Defizit in der Nachfrage nach einem Gut muß sich notwendig als Überschuß in der Nachfrage nach anderen Gütern äußern, da ja insgesamt der Nachfragewert dem Produktionswert entsprechen muß („Kompensationstheorie"). Dieses Theorem - für die Selbststeuerung der Verkehrswirtschaft von zentraler Bedeutung — ist (abgesehen von einzelnen Kritikern) erst in neuerer Zeit ausdrücklich bestritten worden, namentlich durch J. M. Keynes (The General Theory of Employment, Interest, and Money. 1936). (Vgl. Bd. IV.) 13'

196

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

f ) Bedingungen des Kreislaufgleichgewichts Gleichgewicht auf den einzelnen Märkten besteht, wenn sich in der Einkommensverwendung die Nachfrage im gleichen Verhältnis auf die einzelnen Produkte verteilt, in dem diese an der Einkommensentstehung beteiligt sind, denn dann werden die Produkte zu ihren Kostenpreisen (einschl. „normaler" Unternehmerentschädigung) abgesetzt. Gewinne und Verluste beim Absatz der einzelnen Verbrauchsgüter werden sich im Saldo ausgleichen, wenn die Gesamtnachfrage nach Verbrauchsgütern gleich dem gesamten Kostenwert der Verbrauchsgüter ist. Das wird der Fall sein, wenn die Einkommensempfänger den gleichen Anteil des Gesamteinkommens nicht für Verbrauchsgüter verausgaben, d. h. sparen, wie Produkte nicht zum Verbrauchsabsatz angeboten, d. h. investiert werden. Es besteht Gleichgewicht zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage.

Abb. 14. Kreislaufgleichgewicht

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht

197

Die vorstehende Abbildung 14, der das Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne ökonomische Aktivität des Staates zugrunde liegt, verdeutlicht diese Beziehung. Im Kostenwert der Gesamtproduktion von 100 sind den Haushalten der Faktoren 100 Einkommen ausgezahlt worden. Die von den Unternehmungen auf den Verbrauchsgütermärkten insgesamt angebotenen Güter haben einen Kostenwert von 75. Haben die Haushalte sich entschlossen, 25 ihres empfangenen Einkommens zu sparen, so ist deren Gesamtnachfrage nach Verbrauchsgütern 75. Die Verbrauchsgüter werden also insgesamt zu ihrem Kostenwert abgesetzt, auch wenn bei dem Absatz der einzelnen Verbrauchsgüter Gewinne und Verluste entstehen. - Hätten sich aber die Haushalte entschlossen, 30 zu sparen, so wäre entweder bei den Unternehmungen des Verbrauchsgütersektors ein Verlust von 5 entstanden, oder sie hätten für den Verkauf beabsichtigte Verbrauchsgüter in diesem Wert auf Lager nehmen, d. h. zusätzlich investieren müssen. Hätten umgekehrt die Haushalte nur 20 gespart, so wären entweder entsprechende Gewinne entstanden, oder aber die (Lager-) Investierungen wären um 5 vermindert worden. An diese Erwägungen über die Relationen zwischen Einkommensbildung durch Verbrauchs- und Investitionsgüterproduktion und Einkommensaufteilung auf Verbrauchsgüternachfrage und Sparen seitens der Haus'halte knüpft die Kritik am klassischen Ausgleichstheorem (Say'sches Theorem, s. o.) an. Die Frage nach der Bestimmung der Stärke des Kreislaufstromes wird auf das Verhältnis zwischen den von den Unternehmungen geplanten Investitionen und der von den Haushalten geplanten Höhe des Sparens konzentriert. Eine Ausweitung der Produktion insgesamt wird stattfinden, wenn die gewinnbringende Produktion größer ist als die verlustbringende. Das wird der Fall sein, wenn die Nachfrage nach Verbrauchsgütern seitens der Nichtunternehmer-Haushalte größer ist als der Anteil der Verbrauchsgüterproduktion an der Einkommensbildung der Nichtunternehmer-Haushalte. Im entgegengesetzten Fall wird eine Einschränkung der Produktion zu erwarten sein.

198

IV. Sozialprodukt, Volkseinkommen, Wirtschaftskreislauf

Zwar sind realisiertes Investieren und realisiertes Sparen nach der früher durchgeführten Ableitung immer gleich. Aber diese Gleichheit wird durch ungeplantes Investieren bzw. ungeplantes Sparen herbeigeführt. Igeplanf

lungeplant

=

S g e p l a n t "I" S u n g e p l a n t

Ist dagegen das geplante Investieren größer als das geplante Sparen, so folgt hieraus eine Ausdehnung der Produktion. Im umgekehrten Fall besteht eine Tendenz zur Produktionseinschränkung. Die Entwicklung der hier vorliegenden, schwierigen und umstrittenen Theoreme, namentlich auch im Hinblick auf die Bedeutung der Zinsbildung, die nach der klassischen Theorie zum Ausgleich von geplantem Investieren und geplantem Sparen führen soll, kann erst an späteren Stellen dieser Darstellung unternommen werden. (Vgl. Bd. IV.) Auf den Unterschied in der Erklärungsrichtung sei aber schon jetzt aufmerksam gemacht: Nach dem klassischen Ausgleichstheorem wird die Höhe der Gesamtproduktion, damit die Stärke des Kreislaufs, durch veränderte Größen des Anteils des Investierens und Sparens an der Einkommensbildung und -Verwendung nicht beeinflußt; die durch Nachfrage nach Verbrauchsgütern nicht beanspruchten Produktionsmittel werden durch die Zinsbildung der Nachfrage für Investitionsgüterproduktion zugeführt, so daß stets eine Tendenz zur Vollbeschäftigung besteht. - Die neuere Kritik an diesem Ausgleichstheorem dagegen nimmt an, daß diese Umsteuerung bei gleichbleibender Gesamthöhe der Produktion nicht gewährleistet ist, sondern daß sich in der angedeuteten Weise Veränderungen in der Gesamthöhe der Produktion bzw. der Stärke des Kreislaufstromes vollziehen. Die Bestimmung des Gleichgewichts zwischen monetärem und realem Kreislauf ist ein zentrales Problem der Geldtheorie. 4. Zusammenfassung Fassen wir kurz zusammen, was im § 21 als Wichtigstes behandelt wurde. Unter Gleichgewicht eines ökonomischen Systems wird in Analogie zur Mechanik ein Zustand dieses Systems verstanden,

§ 21. Preisbildung und Kreislaufgleichgewicht

199

dem keine Änderungstendenzen immanent sind. Dieser Zustand kann daher nur durch Veränderung exogener Größen gestört werden. Dabei besteht die Vorstellung, daß im Gleichgewicht die Wirtschaftssubjekte eine unter gegebenen und von ihnen nicht veränderlichen Umständen optimale Anpassung vollzogen haben. Das bedeutet u. a., daß ihre auf optimale Zielerreichung gerichteten Pläne realisiert wurden. Gleichgewicht wird in der ökonomischen Theorie weder als ein wünschenswerter, noch unbedingt als ein realisierbarer Zustand behauptet. Der Sinn der Gleichgewichtsvorstellung wird vielmehr darin gesehen, daß sie der Theorie ein Instrument liefert, welches uns in die Lage setzen soll, beobachtete oder simulierte Veränderungen als „gerichtet" zu deuten, nämlich als Bewegungen auf einen hypothetischen Ruhezustand hin. Dabei ist zwischen der Beschreibung der Bedingungen des Gleichgewichts und dem Aufweisen einer Bewegungstendenz, die auf das Gleichgewicht hin zielt, zu unterscheiden. Die Theorie des Wirtsckaftskreislaufs ist von zwei Hauptproblemen beherrscht, einmal von der Frage nach der Stärke des realen und monetären Kreislaufstroms und zum anderen von der Frage nach seiner Zusammensetzung. Die erstgenannte Frage wird mit der Frage nach dem Gleichgewicht des Volkseinkommens identifiziert. Unter einfachsten Bedingungen ist dieses durch die Gleichheit von geplantem Sparen und geplantem Investieren charakterisiert. Die Zusammensetzung des Kreislaufstromes wird für die Verkehrswirtschaft dagegen der Theorie der Preisbildung zugewiesen, hier stellt sich die Frage nach dem Gleichgewicht der Preisrelationen. Die Benutzung der Gleichgewichtsvorstellung in der Wirtschaftstheorie wird mit unterschiedlichen Argumenten kritisiert, darauf müssen wir später eingehen. Offensichtlich ist aber, daß der Gleichgewichtsbegriff, expressis verbis oder nicht, Bedeutung auch für viele gegenwärtig entwickelte ökonomische Modelle hat.

V . Volkswirtschaftliches Rechnungswesen (Volkswirtschatliche Gesamtrechnung i. w . S.) Als „Volkswirtschaftliche Gesatntrechnung" (national accounts, social accounts) wird im weiteren Sinne die quantitative Erfassung und systematische Aufbereitung der Ergebnisse der wirtschaftlichen Tätigkeiten einer Volkswirtschaft für einen bestimmten Zeitraum (oder Zeitpunkt) bezeichnet. Sie ist überwiegend eine ex post-Rechnung, bezieht sich also auf Werte einer abgelaufenen Periode, dient jedoch gleichzeitig als Grundlage für die zukunftsorientierte makroökonomische ex anteAnalyse. Somit ist Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in der Regel die konstatierende Rechnungslegung für einen Zeitraum der Vergangenheit. Gelegentlich wird auch die wirtschaftliche Tätigkeit einer Volkswirtschaft für eine zukünftige Periode vorausberechnet und aufbereitet. Diese Rechnungslegung wird häufig „Nationalbudget" genannt. Ihren historischen Ursprung hat die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einerseits in der „Einkommensstatistik", die ursprünglich unter dem Gesichtspunkt der Messung des Volkswohlstandes entwickelt wurde, andererseits in der „Kreislauftheorie", namentlich dem Keynesschen Kreislaufmodell. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist also die Synthese zweier zunächst unabhängiger ökonomischer Disziplinen. Ihr Beginn fällt etwa in die Zeit des II. Weltkriegs. Sie hat in der Nachkriegszeit eine stürmische Entwicklung durchgemacht. Im folgenden werden die wichtigsten Teilsysteme der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (i. w. S.), die Volksvermögensrechnung, die Nationale Buchführung, die Finanzierungsrechnung und die Input-Output-Rechnung, in ihren Grundzügen behandelt. Die Zahlungsbilanz, die ebenfalls zum Volkswirtschaftwirtschaftlichen Rechnungswesen zu zählen ist, wird im IV. Band behandelt.

§ 22. Volksvermögensrechnung

201

§ 22. Volksvermögensrechnung 1. Begriff Eine Vermögensrechnung (Bilanz) weist die bewerteten Bestände an Vermögensobjekten aus, über die ein Wirtschaftssubjekt, eine Gruppe von Wirtschaftssubjekten oder die gesamte Volkswirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügt. Dem Gesamtwert der Vermögensobjekte, der sich aus Forderungsrechten, Sachvermögen und Arbeitsvermögen (human capital) zusammensetzt, werden die Verbindlichkeiten (Schulden) gegenübergestellt. Es handelt sich hier also im Gegensatz zu der zeitraumbezogenen Vermögensänderungsrechnung um eine zeitpunktorientierte Bestandsrechnung. Der Begriff Forderungen, das „Geldvermögen" in der Terminologie der Deutschen Bundesbank, umschließt außer Forderungen im juristischen Sinne (Schecks, Wechsel usw.) auch Banknoten (Forderungen gegenüber der Zentralbank) und Gesellschaftsanteile (z. B. Aktien). Ansprüche der Versicherten an die gesetzlichen Altersversicherungen werden dem Geldvermögen meist nicht zugerechnet, da ein derartiger Anspruch weder veräußerlich, noch übertragbar oder vererbbar ist. Unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. bei einem Vergleich des Vermögens verschiedener Bevölkerungsgruppen, kann es aber sinnvoll sein, Renten- und Pensionsansprüche in die Rechnung einzubeziehen, da Selbständige - soweit nicht freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Altersversicherung - ihre Altersversorgung aus ihrem Vermögen bestreiten müssen. Das Sachvermögen (Realvermögen) setzt sich aus dem Gebrauchs- und dem Erwerbsvermögen (Produktivvermögen) zusammen. Z u m Gebrauchsvermögen zählen ausschließlich solche Güter, die nicht f ü r produktive Zwecke verwendet werden. Im Bereich der privaten Haushalte handelt es sich dabei in erster Linie um dauerhafte Konsumgüter (Kleidung, Nahrungsmittelvorräte, Autos usw.). Eigenheime und selbstgenutzte Eigentumswohnungen wären demzufolge dem Gebrauchsvermögen zuzurechnen; in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfaßt man sie allerdings als Erwerbsvermögen. Das Gebrauchsvermögen des Staates besteht im wesentlichen aus militärischen

202

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Bauten und Ausrüstungen. Das Erwerbsvermögen u m f a ß t schließlich alle diejenigen Vermögensobjekte, die mittelbar oder unmittelbar der Gütererzeugung dienen (Maschinen, Vorratshaltung der Unternehmen, Boden usw.). Strittig ist die Z u o r d n u n g von Straßen und sonstigen Infrastrukturanlagen zum „öffentlichen" Erwerbsvermögen. Diese in der offiziellen Terminologie als „Sachen in Allgemeingebrauch" bezeichnete Vermögenskomponente wird in der Regel nicht in der Vermögensrechnung erfaßt: Der Wert der Bundesstraßen und Autobahnen wurde zum 31. 12. 1970 auf ca. 70 Mrd. D M geschätzt. Das „öffentliche Vermögen" ergibt sich aus dem Gesamtwert der dem Staat bzw. seinen Körperschaften zustehenden Sachgüter und Rechte, dem Bruttovermögen abzüglich aller öffentlichen Verbindlichkeiten und läßt sich wiederum einteilen in: 1. Allgemeines Verwaltungsvermögen, Schulen, Militäranlagen;

wie

Amtsgebäude,

2. Vermögen der Bundesanstalten und Betriebsvermögen; 3. Allgemeines Kapital- und Sachvermögen, wie Wertpapierbestände, Darlehen und Anteile am Kapital internationaler Einrichtungen (z. B. Weltbank, Internationaler Währungsfonds). Das Arbeitsvermögen (human capital) eines Wirtschaftssubjekts bzw. einer Volkswirtschaft besteht aus der Gesamtheit der durch Ausbildung, Erziehung, Gesundheitsfürsorge usw. erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten der Menschen, die zur Einkommenserzielung eingesetzt werden können. In theoretischen Fragestellungen wird diese Größe häufig als eine erklärende Variable herangezogen. Form und materieller Inhalt aller Vermögensrechnungen stimmen prinzipiell überein. Forderungen und Realvermögen, das Bruttovermögen, stehen auf der linken (Aktiv-) Seite des Vermögenskontos, Verbindlichkeiten auf der rechten (Passiv-)Seite. Ist das Bruttovermögen größer als die Verbindlichkeiten, ergibt sich als Saldo auf der Passivseite das „Rein-(Netto-)Vermögen". Ein Saldo auf der Aktivseite beinhaltet dagegen eine „Überschuldung". Die Kenntnis der Nettovermögensposition allein

§ 22. Volksvermögensrechnung

203

reicht aber in Verbindung mit einigen theoretischen bzw. wirtschaftspolitischen Fragestellungen nicht aus. O f t werden auch Auskünfte über die Struktur des Vermögens benötigt, beispielsweise wenn festgestellt werden soll, aus welchen Vermögensquellen bestimmte soziale Bevölkerungsschichten Einkommen beziehen. Vermögensrechnungen können aufgestellt werden von privaten Haushalten (z. B. zur Ermittlung des Reinvermögens im Erbschaftsfall, zum Zwecke der Haushaltsliquidierung), Produktionsunternehmen, Banken und öffentlichen Stellen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem die Frage der Bewertung. Das gilt jedoch weniger für solche Vermögensobjekte, die mit ihrem Nennwert (Nominalwert) zu erfassen sind (Bargeld, Guthaben bei Kreditinstituten), sondern primär f ü r Aktien und Obligationen, deren Anschaffungspreis i. d. R. vom Marktwert abweicht, sowie für alle Arten von reproduzierbaren und nicht-reproduzierbaren Sachgütern. Ein in jeder Beziehung ungelöstes Problem ist schließlich das der Bewertung des Arbeitsvermögens. Da die Bewertung vom jeweiligen Zweck der Vermögensaufstellung abhängig ist, kann es in dieser Beziehung keinen absolut „richtigen" Maßstab geben. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird zumeist der jeweilige M a r k t w e r t am Bilanzstichtag zugrunde gelegt. Die gesamtwirtschaftliche Vermögensrechnung faßt die Vermögenskonten der einzelnen Wirtschaftssubjekte bzw. Gruppen von Wirtschaftssubjekten zusammen. Dabei ist es eventuell sinnvoll, Forderungen und Verbindlichkeiten gegenseitig aufzurechnen. Auf diese Weise erhält man eine konsolidierte Volksvermögensrechnung, die das inländische Nettovermögen plus den Nettoforderungssaldo gegenüber dem Ausland umfaßt, allerdings keine Information über das Ausmaß der Kreditbeziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten vermittelt. 2. Konzepte der Volksvermögensrechnung Die Volksvermögensstatistik ist heute, trotz vielfacher Verbesserungen in den vergangenen drei Jahrzehnten, im Verhältnis zur Einkommensstatistik wenig entwickelt. W ä h r e n d ältere

204

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Nationalökonomen noch starkes Interesse an der Schätzung des Volksvermögens, als einem M a ß f ü r die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes, zeigten, steht seit Keynes die Volkseinkommensrechnung, eine Stromgrößenrechnung, im Vordergrund. Die durch Simon Kuznets' Arbeit „ O n the Measurement of National Wealth" (1938) ausgelöste Literaturdiskussion hat aber mittlerweile auch der Volksvermögensrechnung neue Impulse gegeben. Z u r statistischen Ermittlung des Volksvermögens bedarf es zunächst einer faßbaren Abgrenzung des Vermögensbegriffs, eine Aufgabe, die ungeachtet aller Bemühungen in den letzten Jahren noch nicht als gelöst gelten kann. So umfaßt z. B. das Vermögenskonzept von Kuznets grundsätzlich alle Faktoren, die in irgendeiner Form zum Volkswohlstand beitragen, also auch das Arbeitsvermögen, die Bodenschätze und das Klima. Diese umfassende Definition, von der Kuznets später zumindest teilweise Abstand genommen hat, ist jedoch operational kaum zu fassen. Goldsmith und Grünig beschränken den Vermögensbegriff hingegen auf das reproduzierbare Vermögen (Anlagevermögen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Vorratsvermögen, langlebige Konsumgüter, militärisches Vermögen), schließen also den Grund und Boden sowie die menschliche Arbeitskraft von vornherein aus. Eine Mittelstellung zwischen diesen Extremen nimmt die „Konzeption des finanziellen Vermögens" ein, das einige Autoren als „accounting concept" bezeichnen, da es sich aus der Konsolidierung der Vermögenskonten aller einzelnen Wirtschaftssubjekte ergibt. Dieser Vermögensbegriff, der z. Z. vor allem im Zusammenhang mit dem System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen der Vereinten Nationen (SNA) diskutiert wird, umfaßt neben dem reproduzierbaren Vermögen auch das nichtreproduzierbare (Boden, Kunstgegenstände) und das immaterielle Vermögen (Patente, Lizenzen, Nutzungsrechte).

s 22. Volksvermögensrechnung

205

3. Volks Vermögensrechnung in der BRD Genauere amtliche Statistiken über das Volksvermögen der BRD liegen bislang noch nicht vor; allenfalls gibt es hier grobe Schätzungen (z. B. für Ende 1969) unter Vernachlässigung des Arbeitsvermögens, des Gebrauchsvermögens, der Straßen und Wasserwege sowie des Vorratsvermögens des Staates und der Land- und Forstwirtschaft. Teile des gesamtwirtschaftlichen Vermögensbestandes, besonders das Anlagevermögen der Unternehmen und des Staates, d. h. das Produktivvermögen ohne Boden und Vorräte, waren allerdings häufiger Gegenstand empirischer Ermittlungen. Dabei wurden, um die intertemporäre Vergleichbarkeit zu gewährleisten, jeweils die Preise eines bestimmten Basisjahres zu gründe gelegt. Tabelle 11 läßt erkennen, daß sich das Anlagevermögen (bewertet zu den Preisen von 1962) in den Jahren von 1950 bis 1970 etwa verdreifacht hat. Seine relative Bedeutung zeigt sich insbesondere dann, wenn es in Beziehung zum Bruttosozialprodukt gesetzt wird: 1970 betrug das Anlagevermögen etwa das 3,8fache des Bruttosozialprodukts. Etwa die Hälfte entfiel dabei auf den Unternehmensbereich, 27 % auf den Wohnungsbestand und 20 °/o auf das staatliche Anlagevermögen.

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

206

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§ 22. Volksvermögensrechnung

207

Das inländische Geldvermögen des „nichtfinanziellen Sektors" (ohne Banken, Bausparkassen, Versicherungen) belief sich 1970 bei Zugrundelegung der jeweiligen Nominalwerte auf insgesamt 836 Mrd. D M (vgl. Tabelle 12). Bei einem Vergleich der Jahre 1950 und 1970 fällt eine extrem starke Zunahme der Geldvermögensbestände (einschließlich Aktien) von 5 6 Mrd. D M auf 836 Mrd. D M auf. Tab. 12: Geldvermögensbestände inländischer nichtfinanzieller Sektoren 1 ) Position 1. Geldvermögen 4 ) ohne Aktienbestände 2. Geldvermögen 4 ) einschl. Aktienbestände a) zu Nominalwerten b) zu Börsenkurswerten

1950 2 )

i9602) 1970 3 ) Mrd. D M

44

276

783

56 52

303 457

836 977

') Private Haushalte, nichtfinanzielle Unternehmen (einschl. W o h nungswirtschaft), öffentliche Haushalte. - 2 ) Grobe Schätzung. 3) Vorläufige Ergebnisse. - 4 ) Geldanlagen bei Banken, Bausparkassen und Versicherungen, Geldanlagen in Wertpapieren sowie Direktforderungen gegen nichtfinanzielle Sektoren. Quelle: H. Schlesinger, 1972, S. 64

Allgemeines

Statistisches

Archiv, Bd.

56,

Eine Aufgliederung von Geldvermögen und Verpflichtungen nach Sektoren zeigt Tabelle 13. Aus ihr ist zu erkennen, daß das Geldvermögen der privaten Haushalte etwa die Hälfte des gesamten Geldvermögens ausmacht, wobei der Anteil von 1960 bis 1970 um 12 °/o gestiegen ist. Eine ausführliche Aufschlüsselung der Geldvermögen und Verpflichtungen nach Sektoren findet sich in bestimmten zeitlichen Abständen in den „Monatsberichten der Deutschen Bundesbank" (zuletzt Mai 1973, S. 5 6 für Ende 1972).

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen qj

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§ 23. Nationale Buchführung

219

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§ 24. Finanzierungsrechnung

221

§ 24. Finanzierungsrechnung 1. Begriff Das Schwergewicht der traditionellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Nationalen Buchführung) liegt auf der Erfassung von Produktion, Einkommensverwendung und Vermögensbildung. Von wirtschaftlichem Interesse sind darüber hinaus auch Angaben über die Finanzierung der Vermögensbildung und über die Formen der Anlage neu gebildeten Vermögens. Es ist Aufgabe der Finanzierungsrechnung, darüber für die einzelnen Sektoren Auskunft zu geben. Die volkswirtschaftliche Finanzierungsrechnung ist also ein makroökonomisches Rechnungssystem, in dem die Veränderungen der nach Arten spezifizierten Forderungen und Verbindlichkeiten einzelner Sektoren einer Volkswirtschaft für eine abgelaufene Periode gegenübergestellt werden. Finanzierungsrechnungen lassen sich auch für einzelne Wirtschaftssubjekte bzw. für die Volkswirtschaft insgesamt aufstellen. Im letzteren Fall werden die Kreditbeziehungen gegenüber dem Ausland erfaßt. In den USA bezeichnet man die Finanzierungsrechnung auch als „moneyflow analysis" (Copeland 1952) und als „flow-of-funds analysis". Gebräuchlich sind außerdem die Bezeichnungen „Kreditveränderungsanalyse", „Finanzielle Gesamtrechnung" und „Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung" (Deutsche Bundesbank). Abzugrenzen von der volkswirtschaftlichen Finanzierungsrechnung ist die Geldmengenanalyse, die die Untersuchung der Komponenten und Determinanten des Geldvolumens zum Ziele hat. In der Literatur wird der Terminus „Geldstromanalyse" sowohl im Sinne von Finanzierungsrechnung als auch im Sinne von Geldmengenanalyse verwendet. Der Begriff „Forderungen", auch „Finanzaktiva" oder „financial assets" genannt, umschließt in der volkswirtschaftlichen Finanzierungsrechnung neben Geld sämtliche sonstigen „Finanzaktiva", einschließlich der durch Aktien verkörperten Beteiligungsrechte, Ansprüche an Lebensversicherungsunternehmen, Guthaben bei Bausparkassen usw. (vgl. Tabelle 14).

222

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Das Geldvermögen (die „Nettoposition") ergibt sich als Differenz von Forderungen und Verbindlichkeiten. Es ist positiv, wenn die Summe der Forderungen die Summe der Verbindlichkeiten übersteigt. Hieraus folgt, daß die Änderung des Geldvermögens gleich der Änderung der Forderungen abzüglich der Änderung der Verbindlichkeiten sein muß. Da jeder Forderung Verbindlichkeiten in gleicher Höhe gegenüberstehen, ist in einer geschlossenen Volkswirtschaft die Summe der Forderungen gleich der Summe der Verbindlichkeiten. Das Geldvermögen (Summe der Forderungen minus Summe der Verbindlichkeiten) ist folglich gleich Null. Das ist anders bei Berücksichtigung außenwirtschaftlicher Beziehungen. In diesem Fall stellt eine positive (negative) Nettoposition einen Forderungsüberschuß (Verbindlichkeitsüberschuß) des Inlandes gegenüber dem Ausland dar (Nettoauslandsposition). Auch innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft ergeben sich bei den einzelnen Sektoren Forderungs- bzw. Verbindlichkeitsüberschüsse, die sich insgesamt ausgleichen. Abweichend von diesem Sprachgebrauch setzt die Deutsche Bundesbank die Begriffe „Forderungen" und „Geldvermögen" gleich. Das Geldvermögen erhöht sich gemäß dieser Definition ausschließlich durch eine Zunahme der Forderungen, während nach obiger Definition eine Zunahme des Geldvermögens auch bei gegebenen Forderungen allein aufgrund einer Abnahme der Verbindlichkeiten erfolgen kann.

§ 24. Finanzierungsrechnung

223

2. Grundschema einer Finanzierungsrechnung Eine Finanzierungsrechnung läßt sich in Kontenform folgendermaßen veranschaulichen:

Forderungen Soll

Verbindlichkeiten Haben

AF, A Fj

A V, A V2

AFk

AV k k

ZAFi

k

- 2

i = 1 Summe

A Vi = AF"

i= 1

Summe Abb. 18. Finanzierungsrechnung des Sektors X

Auf der Sollseite des Kontos sind die Veränderungen der einzelnen Forderungsarten aufgeführt (AF4 bis AFk), auf der Habenseite die Veränderungen der einzelnen Arten von Verbindlichkeiten (zlVi bis z)Vk). Da in der Regel f ü r einzelne Sektoren die Summe aller AF| ungleich der Summe aller AVi k

k • AFi 4= ^

i = 1

• AVi),

ergibt

sich

ein

Finanzierungssaldo

i = 1

(im obigen Beispiel positiv, Finanzierungsüberschuß in H ö h e von AF"). Um diesen Betrag hat sich das Geldvermögen in der betrachteten abgelaufenen Periode verändert. Übersteigt die Summe der Veränderungen der Verbindlichkeiten die Summe der Veränderungen der Forderungen, entsteht ein Saldo auf der Sollseite des Kontos (Finanzierungsdefizit); das Geldvermögen hat abgenommen.

224

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

3. Finanzierungsrechnung und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung i. e. S. Innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden auf den Vermögensveränderungskonten (Kontengruppe 6 des Statistischen Bundesamtes) die vermögenswirksamen Vorgänge aufgezeichnet. Auf diesen Konten wird - sieht man von nicht entnommenen Gewinnen der Einzelunternehmen sowie empfangenen und geleisteten Vermögensübertragungen ab - die Bruttoinvestition auf der Sollseite den Abschreibungen und der Ersparnis auf der Habenseite gegenüberstellt. Ist die Ersparnis (Reinvermögensänderung) größer als die Bruttoinvestition minus Abschreibungen (Nettoinvestition = Zunahme des Realvermögens), so ergibt sich auf der Sollseite des Kontos als Saldo ein Finanzierungsüberschuß (Zunahme des Geldvermögens). Die Änderung des Reinvermögens ist somit gleich der Summe der Veränderung von Real- und Geldvermögen. Der Finanzierungsüberschuß (Sollsaldo) ist ex definitione gleich dem Habensaldo der oben dargestellten Finanzierungsrechnung, wenn sich die Konten auf den gleichen Zeitraum beziehen. Die Gegenbuchung des Saldos des Vermögensveränderungskontos wird innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf dem Finanzierungskonto vorgenommen (früher Kreditveränderungskonto). Daher muß auch der Saldo dieses Kontos mit der Nettoposition der Finanzierungsrechnung übereinstimmen. Allerdings erfolgt auf dem Finanzierungskonto der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine Aufspaltung in die verschiedenen Arten der Forderungen und Verbindlichkeiten. Eine Verbindung von Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung und Finanzierungsrechnung ist also über die Vermögensänderungskonten und die Finanzierungskonten gegeben. Werden beiden Rechnungssystemen die gleichen Prinzipien insbesondere in bezug auf Bewertung, Erfassung der Transaktionsarten und der Sektoreneinteilung zugrunde gelegt, so besteht die Möglichkeit einer Integration der Finanzierungsrechnung in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

§ 24.

Finanzierungsrechnung

225

4. Die Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank Während die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vom Statistischen Bundesamt erstellt wird, veröffentlicht die Deutsche Bundesbank seit 1955 in ihren Monatsberichten jeweils im M a i und Oktober eines Jahres Finanzierungsrechnungen unter dem Titel „Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung". Die Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank ist eine Bestandsveränderungsrechnung und besteht aus zwei Teilen. Im Teil A wird die „Vermögensbildung und Ersparnis" tabellarisch dargestellt. Die aufgeführten Posten entsprechen - in etwas anderer Unterteilung - denen des Vermögensveränderungskontos des Statistischen Bundesamtes. Hier wird der Finanzierungsüberschuß (bzw. das Finanzierungsdefizit) ermittelt, dessen Aufteilung auf insgesamt 15 verschiedene Arten von Forderungen und Verbindlichkeiten in der eigentlichen Finanzierungsrechnung (Teil B) vorgenommen wird. Die Deutsche Bundesbank verwendet eine andere Sektoreneinteilung als das Statistische Bundesamt in seiner Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Der Sektor „Private Haushalte" wird nicht untergliedert, aus dem Sektor „Unternehmen" werden die Finanzunternehmen ausgegliedert und bilden jetzt einen eigenen „Finanziellen Sektor" mit Banken, Bausparkassen, Versicherungen. D a f ü r wird, wegen der Sonderstellung des Wohnungsbaus, innerhalb des Bereichs „Unternehmen" die „Wohnungswirtschaft" als eigenständiger Sektor ausgewiesen. Der Sektor „öffentliche Haushalte" entspricht dem Sektor „Staat" der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die außenwirtschaftlichen Beziehungen werden in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durch das „Auslandskonto", in der Finanzierungsrechnung durch den Sektor „Ausland" erfaßt. Darüber hinaus führt die unterschiedliche Behandlung der Gewinne, der direkten Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge zu Problemen bei der Integration von Finanzierungsrechnung und Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung. In der Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank werden außerdem statistische Differenzen nicht ausgewiesen, sondern sind in einzelnen Positionen versteckt.^ Eine vereinfachte Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank zeigt Tabelle 14. 15

Paulsen/Schilcher, Allgem. Volksw. I

226

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Tab. 14: Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung im 1. Halb _ Position

Sektor ~~—-—

Haushalte Private

A. Vermögensbildung und Ersparnis I. Vermögensbildung 1. Brutto-Investitionen 5 ) 2. Abschreibungen



3. Netto-Investitionen (Sachvermögensbildung)-(l./. 2) II. Ersparnis und Vermögensübertragungen 1. Ersparnis 2. Empfangene Vermögensübertragungen 3. Geleistete Vermögensübertragungen III. Finanzierungsüberschuß bzw. -defizit ( - ) (II ,/.l,3)

26,44 30,82 3,64 —8,02

25,44

B. Finanzierungsrechnung I. Veränderung der Forderungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. Summe

Bargeld und Sichteinlagen Termingelder®) Spareinlagen Geldanlage bei Bausparkassen Geldanlage bei Versicherungen 4 ) Erwerb von Geldmarktpapieren 7 ) a) Erwerb festverzinsl. Wertpapiere b) Erwerb von Aktien Gold- und Devisenbestand der Deutschen Bundesbank Kurzfristige Bankkredite Längerfristige Bankkredite Darlehen der Bausparkassen Darlehen der Versicherungen 4 ) Sonstige Forderungen Innersektorale Forderungen

3,45 1,89 12,97 -0,23 5,61 —

7,03 -0,89 —

— — —

0,06 —

29,89

III

§ 24. Finanzierungsrechnung jähr 1972*)") in Mrd. DM

Unternehmen1)2)

Offentl. Haushalte

Ausland3)

Finanz. Sektoren4)

Sektoren insgesamt

1,66 0,74

111,07 45,62

0,92

65,45 65,45 65,45 17,08 -17,08

95,11 42,52

14,30 2,36

52,59

11,94

23,46 12,73 11,74 -1,01

6,74 13,00 1,25 -7,51

1,11 0,39 -0,01

7,33 7,80 0,06 —0,53

-29,14

-5,20

1,49

6,41

14,96 0,89 0,53 0,34 1,25 0,11 0,34 0,37

1,47 2,41 0,15 0,01 0,10 -0,21 0,47 0,22

-0,35 2,28b) -0,03

— —



1,49



0,05 -0,46 6,22 1,87































0,36

-1,24

9,68 —

19,14°) 15*

3,38°)

16,30

-1,61 1,67 —

0,05 —

0,43 6,11 1,14 13,40 16,22 25,84 1,86 3,21 — —

68,33

-

17,92 6,18 13,62 0,17 7,02 -0,13 20,17 2,71 1

13,40 16,22 25,84 1,86 3,21 8,85 —

137,05

228

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Position

-——

Sektor

Haushalte Private

II. Veränderung der Verpflichtungen 1. Bargeld und Sichteinlagen

-

2. Termingelder*)

-

3. Spareinlagen

-

4. Geldanlage bei Bausparkassen

-

5. Geldanlage bei Versicherungen 4 )

-

6. Absatz von Geldmarktpapieren 7 )

-

7. a) Absatz festverzinsl. Wertpapiere

-

b) Absatz von Aktien

-

8. Gold- und Devisenbestand der Deutschen Bundesbank

-

9. Kurzfristige Bankkredite

1,80

10. Längerfristige Bankkredite

1,41

11. Darlehen der Bausparkassen 12. Darlehen der Versicherungen 4 ) 13. Sonstige Verpflichtungen 14. Innersektorale Verpflichtungen Summe III. Nettoveränderungen der Forderungen bzw. Verpflichtungen (I./. II) *) ') ') ') *) *)

0,26 -0,02 —

3,45

26,44

Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen Einschließlich Lastenausgleichsfonds und ERP-Sondervermögen Einschließlich Zusatzversorgungsanstalten öffentlicher Stellen Einschließlich D D R Einschließlich Pensionskassen Einschließlich Erwerb bzw. Verkauf von Grundstücken

Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 24. Jg., Nr. 10, Oktober 1972, S. 62 f.

§ 24- Finanzierungsrechnung

Unternehmen 1 ) 2 )

öffentl. Haushalte

Ausland 3 )

Finanz. Sektoren 4 )

17,92

229

Sektoren insgesamt

17,92









-

-

6,18

6,18





-

13,62

13,62





-

0,17

0,17



-

-

7,02

7,02

-0,04

-0,30

0,00

0,21

-0,13

2,37

3,79

-2,32

16,33

20,17

1,04

0,38

2,71

1,29

-

13,40



0,57

3,35

19,75

4,95

-0,27

1,76

0,10

-

2,67

0,28

-

8,93

0,33

11,54

- ° )

48,28°)

-29,14



-5,20

13,40

0,09

16,22

0,00

25,84 1,86

-

3,21

-

-0,39

8,85

-

-

-

8,58°)



14,81

61,93

1,49

6,41

137,05

') Einschließlich Sparbriefe und durchlaufende Gelder sowie einschließlich Beteiligungen öffentlicher Haushalte an öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten Einschließlich zweckgebundener Emissionen von Schatzanweisungen o) Bei der Summenbildung wurden die innersektoralen Ströme nicht mitaddiert b) Einschließlich des Gegenpostens zu den zugeteilten Sonderziehungsrechten P) Vorläufige Ergebnisse 7)

16

Paulsen/Schilcher, Allgem. Volksw. I

230

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

§ 25. Input-Output-Rechnung 1. Input-Output-Tabelle und Input-Output-Analyse Die von W . W . Leontief (The Structure of American E c o n o m y 1919-1939, N e w York 1941) erstmalig f ü r die Volkswirtschaft der USA entwickelte quantitative Erfassung der G ü t e r s t r ö m e einer Periode k a n n unterteilt werden in: 1. Die Aufstellung einer Input-Output-Tabelle. In ihr findet m a n in übersichtlicher F o r m die in der betrachteten Volkswirtschaft getätigten wirtschaftlichen T r a n s a k t i o n e n einer Periode aufgezeichnet. Hinsichtlich ihrer Aussagekraft ist die InputO u t p u t - T a b e l l e mit der N a t i o n a l e n Buchführung vergleichbar. Sie enthält wie diese ex post-Relationen, also auf einen vorhergegangenen Zeitabschnitt bezogene G r ö ß e n . 2. Die auf der I n p u t - O u t p u t - T a b e l l e a u f b a u e n d e Input-Output-Analyse. „Das Anwendungsfeld der I n p u t - O u t p u t - A n a l y s e läßt sich in zwei Bereiche einteilen, einmal in den der analytischen ex-post-Diagnose der Kreislaufstruktur u n d ihres Interdependenzzusammenhanges u n d zum anderen in die Verwend u n g des Systems als wirtschaftspolitisches P r o g r a m m o d e l l , das im R a h m e n des auf den Produktionsbereich begrenzten Aussagevermögens der Input-Output-Analyse die Frage b e a n t w o r ten soll, welche quantitativen Wirkungen bestimmte wirtschaftspolitische M a ß n a h m e n auf den interindustriellen Güterkreislauf ausüben. In diesem Sinne k a n n man von einer ex-ante-Anwend u n g sprechen, die . . . ex-post-Daten u n d ex-post-Funktionalz u s a m m e n h ä n g e verwendet, u m die zu erwartende beabsichtigte oder auch unbeabsichtigte Reaktion der durch wirtschaftspolitische Mittel beeinflußten Kreislaufgrößen quantitativ zu bestimmen." (H. Platt: Input-Output-Analyse, Meisen'heim a m Glan, 1957, S. 101.) Unter dem Input einer „Industrie" (Wirtschaftssektor, Branche usw.) versteht m a n den gesamten fremdbezogenen oder eigenerzeugten Einsatz eines Sektors in einer Periode, der zur Er J Stellung seiner Produktionsleistung (Output) w ä h r e n d dieser Periode nötig ist. M i t O u t p u t einer „Industrie" bezeichnet m a n entsprechend die G ü t e r m e n g e n u n d / o d e r Dienstleistungen eines

§ 25. Input-Output-Rechnung

231

Sektors, die er in einer Periode für Fremdabsatz oder Eigenverwertung erzeugt. Nach der Art der Untersuchungen kann die Input-OutputAnalyse im Lehrgebäude der ökonomischen Theorie zwischen dem System funktionaler Gleichungen Walras' (Systemgleichgewicht auf mikroökonomischer Grundlage) und dem System aggregierter Wirtschaftsgrößen Keynes'scher Prägung (Gleichgewicht auf makroökonomischer Grundlage) eingeordnet werden. 2. Formale Darstellung und spezielle Annahmen der Input-Output-Analyse Die Matrizenschreibweise gestattet, eine Vielzahl von Gleichungen in übersichtlicher Form darzustellen. Um der rein formalen Bedeutung der Variablen und Parameter einen ökonomischen Gehalt zu geben, sollen im folgenden mit I der Sektor Bergbau gekennzeichnet sein, mit II der Sektor der Stahlindustrie, mit III der Sektor der Automobilindustrie, mit x die jeweils erzeugten und an denselben oder an einen anderen Sektor abgegebenen Mengen. M a n erhält dann folgende Tabelle der interindustriellen Verflechtung: von Sektoren

an I II III

Sektoren II III

I 11

X X

21

X

31

x12 x22 x

32

X

1S

x

23

x

33

Zeilensumme i x2

x

X

3

Die Indizes bedeuten: die erste tiefgestellte Ziffer, aus welchem Sektor die Güter bzw. Dienstleistungen stammen; die zweite tiefgestellte Ziffer, an welchen Sektor die Güter bzw. Dienstleistungen abgegeben worden sind. Daraus ergibt sich, daß in den Zeilen der gesamte Output eines Sektors einmal als Summe erscheint und zugleich in seiner Aufgliederung auf die gesamten in der Tabelle aufgeführten Sektoren. „ x n " kennzeichnet den Eigenverbrauch des Sektors Bergbau, „ x 1 2 " die Menge, die an die Stahlindustrie abgegeben wurde, usw. Die Spalten geben dagegen zu erkennen, von wel16*

232

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

chem Sektor der Volkswirtschaft die einzelnen Sektoren Güter und Dienstleistungen zur Erstellung ihres Outputs bezogen haben. Werden die jeweiligen Inputmengen mit ihren Preisen bewertet, so ergibt die Spaltensumme eines Sektors den Gesamtwert der Inputs und die jeweilige Zeilensumme den Gesamtwert des Outputs. Durch die Berücksichtigung der Preise wird das „Mengensystem" zu einem „Preissystem". Im Rahmen der theoretischen Analyse besteht jedoch die Möglichkeit, durch geeignete Wahl der Mengeneinheiten die Güterpreise mit dem Wert „eins" anzusetzen. In diesem Fall entsprechen sich Mengensystem und Preissystem. Beträgt z. B. der Preis eines bestimmten Inputs 2 D M pro Kilogramm, so könnte für Analysezwecke V2 Kilogramm als adäquate Mengeneinheit gewählt werden. Der entsprechende Preis wäre 1. Die Tabelle kann aufgelöst folgendermaßen geschrieben werden: 11 + x12 + x13 = X1 X 21 x22 1" x23 ~ x2 X 31 + x32 + X33 = X3 oder 3

X

k= 1 Bei n Sektoren: Xjj + Xj2 + . . . + Xjn = Xt X21 "(" X22 4" . . . "(" X2n = X2

Xni oder n

Xn2 4" . . .

Xnn — Xn

k = 1 Bei seiner Analyse der Wirtschaftsstruktur ging es W. W. Leontief um eine hinreichend genaue Erfassung der wirtschaftlichen Transaktionen sowie um die Untersuchung bestehender inter-

S 25. Input-Output-Rechnung

233

sektoraler Abhängigkeiten (Interdependenzen). So traf er die Annahme konstanter technischer Produktionskoeffizienten, d. h. es wird eine feste Beziehung zwischen dem Input und dem Output einer Industrie unterstellt, was wiederum sog. linear-homogene Produktionsfunktionen impliziert (vgl. Bd. III). Ist Xik der vom Sektor i an den Sektor k gelieferte Input zur Erstellung des Outputs Xk, so ist der betreffende Produktionskoeffizient wie folgt definiert: aik Hieraus folgt für x^: xik = aikXk (i, k = 1,2,... n) und somit für das Gleichungssystem auf S. 232: + . . . + äjnXn — Xj a 21 x l + . . . + a2nXn — Xj

aniXi oder n

+ . . . + 3nnXn — Xn

k= 1 Daß die Annahme konstanter Produktionskoeffizienten für die Wirklichkeit zutreffend sei, wurde zunächst heftig bestritten, erwies sich aber später insbesondere für den Produktionsbereich einer Volkswirtschaft und für kürzere Zeiträume mit Einschränkungen als vertretbar. Da aber einige „empfangende" Sektoren diese Annahmen nicht zulassen (z. B. Haushalte, Staat, Ausland), gliedert man sie unter Außerachtlassung der Interdependenz aller "Wirtschaftsbeziehungen aus dem Kreislaufgeschehen aus und bezeichnet ihren Input als „Endnachfrage" („final demand", z. B. privater Konsum, staatlicher Konsum, Exporte), als Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, die keinen quantitativ feststellbaren Bezug zum wie immer definierten Output dieser Sektoren hat (die Größe des Arbeitseinsatzes ist nicht abhängig von der Größe des Verbrauchs der Haushalte).

234

V. Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Entsprechend lassen sich die „abgebenden" Industrien, deren Lieferungen für die weiterverarbeitenden empfangenden Industrien Vorleistungen darstellen, um den sog. „Primäraufwand" ergänzen. Hierzu zählen z. B. Importe, Abschreibungen, indirekte Steuern (abzüglich Subventionen), Löhne und Gehälter, Gewinne, also Aufwendungen der Produktion, deren Höhe nicht aus dem Input-Output-System bestimmt werden kann und die daher zweckmäßigerweise für analytische Zwecke als „primäre" (exogene) Größen zu behandeln sind. Systeme dieser zuletzt beschriebenen Art bezeichnet man als „offene Systeme" im Gegensatz zu sog. „geschlossenen Systemen", bei denen die Interdependenz aller Wirtschaftsbeziehungen quantifiziert ist. Das Grundschema eines derartig erweiterten Systems zeigt Tabelle 15. Tab. 15: Grundschema einer Input-Output-Tabelle mit drei Wirtschaftszweigen

Wirtschaftszweig Nr. 1

(1)

Wirtschaftszweig Nr. 2

(2)

W i rtschaftszweig Nr. 3

(3)

Importe

(4)

Abschreibungen

(5)

Indirekte Steuern abzügl. Subventionen

(6)

L ö h n e und Gehälter

(7)

Sonstige E i n k o m m e n

(8)

Summe der Zeilen 1 - 8 = Bruttoproduktionswerte

(9)

Bruttoanlageinvestition

(3)

(4)

(-5)

(6)

(7)

Exporte

Staatlicher Konsum

(2)

Bruttoproduktionswerte

Privater Konsum

(1)

Lagerinvestition

Wirtschaftszweig Nr. 3

Liefernde Wirtschaftszweige

Wirtschaftszweig Nr. 2

Empfangende W i rtschaftszweige

Summe der Spalten 1-8

Gesamtwirtschaftliche Endnachfrage

Wirtschaftszweig Nr. 1

Vorleistungsverflechtung

(8)

(9)

§ 25. Input-Output-Rechnung

235

Die bisher geschilderte Form der Analyse wird, in nicht ganz üblicher Anwendung dieses Begriffs, als „statisch" bezeichnet, die Input-Output-Größen bleiben unverändert. Berücksichtigt man dagegen die Nettoinvestierungen einer Wirtschaft, also die Veränderung des Sachkapitalbestandes im Zeitablauf, so gelangt man zu „dynamischen" Systemen. 3. Anwendungsbereiche und wirtschaftspolitische Bedeutung In der Bundesrepublik Deutschland sind namentlich das Statistische Bundesamt sowie verschiedene Konjunkturforschungsinstitute, wie z. B. das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München mit der Aufstellung von Input-Output-Tabellen befaßt. Die erste größere Input-Output-Tabelle der B R D wurde von Krelle für das Ja'hr 1953 aufgestellt (vgl. W. Krelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einschließlich Input-OutputAnalyse mit Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1959, 2. Aufl. 1967). Tabelle 16 zeigt eine vereinfachte Input-Output-Tabelle der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1966 aufgrund von Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Quelle: R. Stäglin/H. Wessels: Input-Output-Tabelle für die Bundesrepublik Deutschland 1966, Viertel)ahreshefte zur Wirtschaftsforschung 1971, S. 215 ff.; vereinfachte Fassung entnommen A. Stobbe: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, 3. Aufl., Berlin-Heidelberg-New York 1972, S. 192 f.). Neben gesamtwirtschaftlichen Input-Output-Tabellen existieren für die B R D auch mehrere sektorale (z. B. für die chemische Industrie, die Mineralwirtschaft die Elektroindustrie) und regionale Input-Output-Tabellen (z. B. für Schleswig-Holstein, für das Saarland, für Nordrhein-Westfalen, für Osnabrück und für Westberlin). Die wirtschaftspolitische Anwendbarkeit derartiger Tabellen ist z. Z. noch recht begrenzt. Eine Verbesserung der statistischen Basis könnte die Input-Output-Rechnung für die Wirtschaftspolitik aber zunehmend attraktiver machen.

236

Volkswirtschaftliches Rechnungswesen

Tab. 16: Input-Output-Tabelle für die Bundesrepublik Deutschland 1966 (Mrd. DM) Nachfrage nach Vorleistungen

ö-S

Käufer

:3

bO

•6

1s

« 2 M ö> l§' i 3 SP u

II

4> C CO w O .S

Verkäufer

« ü

53

«C

X

(4)

1,7

0,3

0,7

13,0

8,9

0,1

1,0 2,4

8,4 2J

7,3 25,2

1,8 22,2

1,1 8,3

0,6 0,8

1,0 3,7

0,4 13,8

0,9

2,1

3,2

32,6

2,0

0,8

2,2

2,7

0,3

0,5

2,6

4,5 12,6

1,3

3,4

1.7

3,4 2,0 0,3 1,3 1,6

0,1 0,4 0,2 W 0,7

0,9 U 0,1 11,2 2,3

0,7 2,6 0,1 7,7 3,4

0,3 1,0 0,1 4,2 1,3

9,0 0,8 0,0 3,1 1,0

4,2 8,1 0,1 5,2 1,7

0,1 2,2 1,0 4,4 0,6

0,3

0,1

0,3

0,4

0,2

0,3

0,2

0,2

13,8 16,6

56,5

76,2 31,8

30,6

38,7

27,2

1.7 3,2

1,4 4,3

16,3 6,8

10,8 5,9

9,0 2,6

7,7 2,0

3,4 2,1

V 2,4

-0,6

1,7

12,6

6,1

3,7

11,2

3,9

4,1

3,1

8,2

24,7

44,9 19,2

6,2

10,5

24,0

15,0

5,4

8,1

10,2

9,2

2,0

11,2

9,0

(18) Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt = (14) bis (17)

20,7 19,6

52,1

67,2 34,7

21,3

27,7

39,4

(19) Bruttoproduktionswert = (12)+ (13)+ (18)

36,1 37,6

124,8 154,2 75,4

59,6

69,8

68,1

(13) (14) (15) (16) (17)

(6)

S T5

(3)

Primäre Inputs: Einfuhr Abschreibungen Indirekte Steuern abz. Subventionen Einkommen aus unselbst. Arbeit Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen

(J)

l l

0,1

(12) Inländische Vorleistungen = (1) bis (11)

(2)

ia

0,2

(1) Landwirtschaft (2) Bergbau und Energiewirtschaft (3) Grundstoffindustrien (4) Investitionsgüterindustrien (5) Verbrauchsgüterindustrien (6) Nährungs- und Genußmittelindustrien (7) Handwerk (8) Baugewerbe (9) Handel, Verkehr (10) Übrige Dienste (11) Öffentliche und private Haushalte

(1)

•si

(7)

(8)

Quelle: R. Stäglin, H. Wessels: Input-Output-Tabelle für die Bundesrepublik Deutschland 1966. In: Deutsches Institut für Wirtsdiaftsforschung: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 3, 1971. Durch Zusammenfassungen der 56 Wirtschaftszweige des Originals vereinfacht.

§ 25. Input-Output-Rechnung

237

Bruttoproduktionswert = (12) + (18)

7,5

Gesamte Endnachfrage = (13) bis (17)

(13)

Vorratsänderung

(12) 26,8

(17)

(18)

(19)

Bruttoanlageinvestition

(11)