258 100 6MB
German Pages [410] Year 2017
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2017
Band 1/2017
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2017, S. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0948-2369 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: VUA Schaus, Büttelborn Printed in Germany
Vorwort Die Bundesregierung hat zum Ende der Legislaturperiode noch eine Vielzahl von Neuregelungen auf den Weg gebracht. Allem voran seien die Reform der Arbeitnehmerüberlassung und das Entgelttransparenzgesetz genannt, die deutlich veränderte Handlungserfordernisse für die Praxis mit sich bringen. Das gleiche gilt aber auch für die Änderungen im Schwerbehindertenrecht (SGB IX), die am 30.12.2016 in Kraft getreten sind, und die Neufassung des Mutterschutzgesetzes, die am 1.1.2018 in Kraft treten wird. Sie führt u. a. zu neuen Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung, deren Nichtbeachtung auch zu einem Beschäftigungsverbot führt. Losgelöst davon sei auf die grundlegenden Veränderungen in Bezug auf die arbeitsrechtlichen, steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Betriebsrentenrechts hingewiesen, die durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz in Kraft gesetzt werden. Sie müssen neben aktueller Rechtsprechung zur leistungsbezogenen Beitragszusage, zur Altersgrenze bei der Hinterbliebenenversorgung oder der Betriebsrentenanpassung beim Bestehen eines Beherrschungsvertrags berücksichtigt werden. Wesentliche Veränderungen bewirkt die Datenschutzgrundverordnung, deren Inkrafttreten im Mai 2018 durch den Gesetzgeber zum Anlass genommen wurde, zum gleichen Zeitpunkt das BDSG grundlegend zu überarbeiten. Die Änderung betrifft auch den Beschäftigtendatenschutz und sollte zum Anlass genommen werden, die bestehende Praxis insbesondere in Bezug auf Einwilligungen und Betriebsvereinbarungen zu überprüfen und ggf. anzupassen. Im Übrigen bleibt erst einmal abzuwarten, welche Veränderungen der Brexit und neue Entwürfe von EU-Richtlinien zur Folge haben. Auf individualrechtlicher Ebene hat das BAG neue Leitlinien zur möglichen Diskriminierung von Bewerbern entwickelt. Darüber hinaus war neue Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen, zu Personalgesprächen während einer Arbeitsunfähigkeit und zur Anzeigepflicht bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer zu behandeln. Unverändert offen ist die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, für die Inanspruchnahme von Urlaub Sorge zu tragen. Umstritten ist, wie der Erholungsurlaub während der Freistellungsphase der Altersteilzeit zu behandeln ist. Wir haben hierzu Leitlinien aufgezeigt. Wie diese Fragen durch den EuGH und das BAG entschieden werden, bleibt abzuwarten. Im Bereich der Kündigung wird sich die Praxis auf neue Anforderungen in Bezug auf Massenentlassungen einstellen müssen. Hier ist der Betriebsbegriff offen. Gleichzeitig hat das BAG aber wichtige Fragen in Bezug auf die V
Vorwort
Konsultation mit den Betriebsräten beantwortet. Ergänzend hierzu haben wir uns u. a. mit der Abgrenzung von Aufhebungsvertrag und Befristung, der Kündigung nach Drogenkonsum und der Beweisverwertung einer Videoüberwachung im Vorfeld einer verhaltensbedingten Kündigung befasst. Wichtig ist, dass die Bundesagentur ihre Anforderungen zur Vermeidung einer Sperrzeit bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags gelockert hat. Im Bereich des Tarifrechts hat der EuGH zwar das Vorabentscheidungsersuchen des BAG zu den Rechtsfolgen einer Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang beantwortet. Man muss allerdings davon ausgehen, dass der Streit – insbesondere mit Blick auf solche Klauseln bei tarifgebundenen Unternehmen – nicht beendet ist, weil der EuGH auf der Grundlage der Ausführungen des BAG von der Möglichkeit einer Änderungskündigung durch den Erwerber ausgegangen ist, die – wenn man es realistisch betrachtet – nach bisheriger Rechtsprechung nicht besteht. Das Betriebsverfassungsrecht ist geprägt von einer Reihe von Entscheidungen zur Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen (Facebook), zur Anrechnung übertariflicher Zulagen und zur Einstellung von Leiharbeitnehmern. Ergänzende Klarstellungen betreffen die Arbeitszeit von Betriebsratsmitgliedern und die Frage einer Begünstigung durch Abfindungen oder bei der Bezahlung von Wegezeiten. Eine Entscheidung des EuGH zur Einbeziehung der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften in die deutsche Unternehmensmitbestimmung liegt zwar noch nicht vor. Der Generalanwalt hat in seinem Votum aber in überzeugender Weise ausgeführt, dass in dem Ausschluss solcher Arbeitnehmer kein Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit liegt, jedenfalls sei ein Eingriff gerechtfertigt. In Bezug auf den Bereich der Restrukturierung waren z. B. Klarstellungen zur Übernahme der Kosten eines Rechtsanwalts des Betriebsrats, Möglichkeiten einer nachträglichen Klarstellung eines Sozialplans und den Rechtsfolgen einer Verschmelzung für den beim übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Firmentarifvertrag zu behandeln. Ganz herzlichen Dank gebührt einmal mehr Dietrich Boewer (Boe) für die exzellente Darstellung der veränderten Handlungsvorgaben und ihre Auswirkungen auf die Betriebspraxis. Ebenso sei Frau Linda Kriebel Volk (Kr), Frau Anna Maria Miklaszewska, Frau Christin Rögels, Herrn Patric Mau, Herrn Felix Berger und Frau Doris Hensch gedankt, die geholfen haben, erneut pünktlich diese Zusammenfassung der aktuellen Rechtsentwicklung fertig zu stellen. Köln, im Mai 2017 VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort .......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................XVII
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1
1.
Wirksamwerden der AÜG-Reform ...................................................... 1
2.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen .................................................................................. 1 a) Anwendungsbereich ...................................................................... 2 b) Verbot der Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts ................................................................................... 2 c) Allgemeine Handlungspflichten zum Schutz vor EntgeltBenachteiligungen aufgrund des Geschlechts............................... 4 d) Benachteiligungs- und Maßregelungsverbot ................................ 5 e) Individueller Auskunftsanspruch .................................................. 5 f) Betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung der Entgeltgleichheit ................................................................... 10 g) Bericht zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit ................... 12 h) Inkrafttreten ................................................................................. 12 i) Fazit ............................................................................................. 13
3.
Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts ........... 13
4.
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts ............................... 14 a) Anwendungsbereich .................................................................... 15 b) Verbote der Mehr-/Nachtarbeit sowie Sonn/Feiertagsarbeit ............................................................................ 15 c) Freistellungen für Untersuchungen und zum Stillen .................. 15 d) Betrieblicher Gesundheitsschutz ................................................. 16
VII
Inhaltsverzeichnis
e) f) g) h)
Ärztliches Beschäftigungsverbot ................................................ 19 Kündigungsschutz ....................................................................... 19 Aushang des Gesetzes ................................................................. 20 Bußgeldvorschriften .................................................................... 20
5.
Neuordnung des SGB IX durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ....................................................................................... 21
6.
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Datenschutzgrundverordnung ........................................................... 22 a) b) c) d) e)
Ausgangslage .............................................................................. 22 Begriffsbestimmungen ................................................................ 23 Sonderregelung zum Beschäftigtendatenschutz.......................... 23 Datenschutz im Konzern ............................................................. 25 Betriebsvereinbarung als Rechtfertigungsgrund zur Datenverarbeitung ....................................................................... 26 f) Zulässigkeit einer Einwilligung .................................................. 26 g) Festlegung des Verwendungszwecks bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ........................................................... 27 h) Bestellung von Datenschutzbeauftragten .................................... 28 i) Fazit ............................................................................................. 28
7.
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung ................................................................................ 29
8.
Weißbuch des BMAS zum Arbeiten 4.0 ............................................ 29
9.
Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung............. 33
10.
Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration ......................................... 36
11.
DGB-Positionen zur Stärkung der Tarifbindung................................ 37
12.
Gesetzliche Vorschläge zur Begrenzung der „Managergehälter“ ............................................................................. 41
13.
Begrenzung der Anfechtung von Arbeitsentgeltansprüchen bei Insolvenz des Arbeitgebers .......................................................... 42
14.
Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in Kraft ........................................................ 43
15.
Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt ...................................... 43
VIII
Inhaltsverzeichnis
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 45
1.
Auswirkungen des Brexits für das Arbeits- und Sozialrecht ............. 45
2.
Vorschlag einer Änderung der Entsenderichtlinie ............................. 46
3.
Vorschlag einer Richtlinie zur Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung ............................... 47
4.
Revision der Nachweisrichtlinie ........................................................ 50
5.
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.......................................................................................... 51
6.
a) Hintergrund der Initiative ............................................................ 51 b) Einführung von Vaterschaftsurlaub ............................................. 52 c) Änderungen beim Elternurlaub ................................................... 52 d) Urlaub für pflegende Angehörige ............................................... 53 e) Förderung der Arbeitszeitflexibilisierung ................................... 54 f) Kündigungsschutz, Besitzstand und Rückkehr ........................... 54 g) Fazit ............................................................................................. 55 Auslegung und Anwendung der Arbeitszeit-Richtlinie ..................... 55
7.
Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte ....................... 56
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 59
1.
Abgrenzung von Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag ...................................... 59
2.
a) Ausgangssituation ....................................................................... 59 b) Gesetzliche Neuregelung durch §§ 611a BGB, 1 Abs. 1 AÜG ................................................................................. 60 c) Leitlinien der aktuellen Rechtsprechung..................................... 60 d) Fazit ............................................................................................. 65 Aktuelle Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform ................................................................................ 66 a) Begriff der Arbeitnehmerüberlassung ......................................... 66 b) Arbeitnehmerüberlassung im Konzern ....................................... 67 c) Pflichten zur Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung und des Leiharbeitnehmers ............... 68 IX
Inhaltsverzeichnis
3.
d) Höchstüberlassungsdauer in der Privatwirtschaft ....................... 69 e) Schadensersatzanspruch bei Arbeitgeberwechsel ....................... 73 f) Zwingende Geltung des Equal-Pay-Grundsatzes........................ 74 g) Fazit ............................................................................................. 76 Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern .......................................................................................... 77 a) Diskriminierung trotz fehlender Eignung des Bewerbers ........... 79 b) Altersdiskriminierung durch das Merkmal der „Berufserfahrung“ sowie die Einbindung in ein „junges, dynamisches Team“..................................................................... 90
4.
Neues zur Diskriminierung wegen der religiösen Überzeugung ...................................................................................... 94
5.
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen ............ 97 a) Befristung zur Vertretung trotz Möglichkeit einer Personalreserve? .......................................................................... 97 b) Zeitliche Konkretisierung der Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs ............................................. 99 c) Grenzen tariflicher Regelungsbefugnis bei sachgrundloser Befristung ......................................................... 102
6.
d) Befristung eines Arbeitsverhältnisses wegen bevorstehender Betriebsschließung........................................... 104 e) Schriftformerfordernis beim Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags .......................................................................... 108 Anzeigepflicht des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer ....................................................................... 110
7.
Ermessensspielraum bei einer ortsverändernden Versetzung .......... 114
8.
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit .......................................... 119
9.
Die Bedeutung einer salvatorischen Klausel bei nichtigem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ............................................. 124
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub .......................................... 129
1.
Schadensersatz wegen unterbliebener Erhöhung der Wochenarbeitszeit ............................................................................ 129
X
Inhaltsverzeichnis
2.
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten ........................................... 131 a) b) c) d)
Kennzeichnung der vergütungspflichtigen Arbeit .................... 132 Tarifvertraglicher Gestaltungsspielraum ................................... 133 Verpflichtung zur Gleichbehandlung ........................................ 135 Fazit ........................................................................................... 137
3.
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung ................ 137
4.
Initiativlast des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub? ............................................................................. 143
5.
Jahresurlaub in der Freistellungsphase der Altersteilzeit? ............... 146
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................... 151
1.
Neues zur Massenentlassung ........................................................... 151 a) Einbeziehung von Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz bei der Schwellenwertberechnung sowie § 17 Abs. 2, 3 KSchG ..................................................... 151 b) Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG ............. 153 c) Verhandlungsdauer und Sphärentheorie.................................... 155 d) Wesentliche Aspekte der fachlichen Weisungen ....................... 156
2.
Außerordentliche Kündigung eines LKW-Fahrers nach Drogen-Konsum ............................................................................... 161
3.
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten ..................... 164 a) Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB) ......... 164 b) Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist (§ 626 Abs. 2 BGB) ......... 165
4.
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung ........................................................ 167 a) Verfassungsrechtliche Ausgangssituation ................................. 167 b) Anfangsverdacht als Voraussetzung einer verdeckten Videoüberwachung nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ..................... 169 c) Erforderlichkeit der Datenerhebung .......................................... 170 d) Angemessenheit der Überwachungsmaßnahme........................ 170 e) Beweisverwertung bei Beweiserhebung unter Missachtung des BDSG ............................................................ 172
XI
Inhaltsverzeichnis
f) 5.
Prozessuale Beweisverwertung bei einer vorangehenden Missachtung des BetrVG .......................................................... 173
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen verweigerter Teilnahme an einem elektronischen Warn- und Berichtssystem ................................................................................. 175 a) Ausgangssituation ..................................................................... 175 b) Pflichtverletzung als wichtiger Grund ...................................... 175 c) Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage einer Pflicht zur Nutzung eines Systems zur Erfassung personenbezogener Daten ......................................................... 176 d) Bedeutung eines Rechtsirrtums für die Kennzeichnung des Verschuldens ....................................................................... 178 e) Fazit ........................................................................................... 178
6.
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers .................................................................................. 179
7.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen .................................................................................... 182
8.
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte..................................................................... 185 a) Wirkungsweise des Tarifvorbehalts aus § 77 Abs. 3 BetrVG ...................................................................................... 185 b) Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung zum Sonderkündigungsschutz........................................................... 186 c) Verbot treuwidrigen Verhaltens ................................................. 187 d) Umdeutung in eine Gesamtzusage ............................................ 188 e) Vorliegen einer betrieblichen Übung ........................................ 189 f) Fazit ........................................................................................... 189
9.
Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit .................................. 189
10.
Notwendigkeit einer erneuten Betriebsratsanhörung ....................... 191
11.
Kündigung mit Abfindungsangebot bei Klageverzicht .................... 192
12.
Abgrenzung zwischen Aufhebungsvertrag und (nachträglicher) Befristung des Arbeitsvertrags .............................. 196
XII
Inhaltsverzeichnis
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ....................................................................... 201
1.
Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage ............................................................................... 201 a) Beitragsorientierte Leistungszusage ......................................... 201 b) Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage .................................................................... 205
2.
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner .................. 211
3.
Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften durch Altersgrenze? .................................................................................... 215
4.
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag ....................................................................... 218
G.
Tarifrecht........................................................................................ 225
1.
Altvertrag: Wegfall des Privilegs einer Gleichstellungsabrede durch Änderung des Arbeitsvertrags nach Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung ............................................................ 225
2.
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitgebers zu dem Ergebnis von Tarifvertragsverhandlungen........................... 229
3.
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel.......................................................................... 231 a) Klarstellung des EuGH zur dynamischen Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang? .......................... 231 b) Konsequenzen des Share-Deals für die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel .................................... 238 c) Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Anerkennungstarifvertrag ......................................................... 240 d) Fazit ........................................................................................... 241
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 243
1.
Unionsrechtliche Notwendigkeit der Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die Unternehmensmitbestimmung ......................................................... 243
XIII
Inhaltsverzeichnis
2.
Betriebsratswahl: Abgrenzung der Wahlvorschläge der Arbeitnehmer von den gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen ......... 246
3.
Vergütungspflicht für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ........................................................................................ 249 a) Handhabe eines freigestellten Betriebsratsmitglieds im Anwendungsbereich eines Arbeitszeitkontos............................ 249 b) Vergütung der Wege-, Fahrt- und Reisezeiten von Betriebsratsmitgliedern ............................................................. 249
4.
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Ruhezeit im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben ........................................ 254
5.
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Personalplanung ............................................................................... 257
6.
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal ................................................... 259 a) Beteiligung wegen beabsichtigter Einstellung nach § 99 BetrVG ...................................................................................... 259 b) Aufteilung der Mitbestimmungsrechte nach Eingliederung in die Betriebsorganisation ................................ 262 c) Betriebsverfassungsrechtliches Statusverfahren zur Kennzeichnung von Fremdpersonal.......................................... 263
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite ................................................................................. 265 a) b) c) d)
Ausgangssituation ..................................................................... 265 Mitbestimmungsrechtlich relevanter Sachverhalt ..................... 266 Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ............. 267 Unterlassungsanspruch wegen Missachtung des Datenschutzrechts ..................................................................... 272 e) Fazit ........................................................................................... 273
8.
Entscheidungsspielraum der Einigungsstelle bei der Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit............................ 273 a) Handlungspflichten nach Maßgabe des ASiG .......................... 273 b) Unionsrechtliche Grundlage ..................................................... 274 c) Konsequenzen für den Entscheidungsspielraum der Einigungsstelle .......................................................................... 275
XIV
Inhaltsverzeichnis
9.
Mitbestimmung bei der Anrechnung einer zweistufigen Tariflohnerhöhung ............................................................................ 276
10.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Gehaltsanpassung ............................................................................. 279
11.
Festlegung einer Altersgrenze durch Betriebsvereinbarung ............ 280
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 283
1.
Unzulässige Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds durch höhere Abfindung? ........................................................................... 283
2.
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans ....................................................................................... 287
3.
Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Rahmen des Restmandats ..................................................................................... 291
4.
Rechtsfolgen der Verschmelzung für einen Firmentarifvertrag ....... 292
5.
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten wegen der Vertretung bei Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen ....................... 296
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 303
1.
Besonderer Erfüllungseinwand des Arbeitgebers bei Lohnsteuerabzug .............................................................................. 303
2.
Steuerminderung bei einer Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten der privaten Dienstwagennutzung ........................................................................ 304
3.
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag ........................................................................... 307
4.
Versicherungsrechtliche Beurteilung von beschäftigten Studenten und Praktikanten ............................................................. 310
Stichwortverzeichnis .................................................................................. 313
XV
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. abl. ABlEG Abs. abw. AcP AGBG ADG ÄndG AEntG AEUV AFG AGBG
AiB AFKG AktG AktuellAR AltEinkG AltersvorsorgeVerbesserungsgesetz AltZertG AsylG AsylVfG AufenthG
AVmG allg. AMP AMS amtl. Anl. Anm.
anderer Auffassung alte Fassung ablehnend Amtsblatt der EG Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Geschäftsbedingungengesetz Antidiskriminierungsgesetz Änderungsgesetz Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz 1969 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) 1976 Arbeitsrecht im Betrieb Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz Aktiengesetz Gaul bzw. Gaul/Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht Alterseinkünftegesetz Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz Asylgesetz Asylverfahrensgesetz Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Altersvermögensgesetz allgemein Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Anlage Anmerkung
XVII
Abkürzungsverzeichnis
AO AP ArbG ArbGG AR-Blattei ArBMedVV ArbNErfG ArbPlSchG
ArbRB ArbSchG
ARSt ArbStättV ArbZG ARdGgw. ArGV Art. ASAV ASiG
ATG AuA AU-Bescheinigung Aufenthalt/EWG
AufenthG Aufl. AÜG
AuR XVIII
Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz 1979 Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindergesetz) 1957 Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) 1957 Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Arbeitsrecht in Stichworten Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsgenehmigungsverordnung Artikel Anwerbestoppausnahmeverordnung Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsgesetz Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) 1972 Arbeit und Recht
Abkürzungsverzeichnis
AVmG
AWbG (AWStG)
BA BAG BAVAZ BAT BAT-O BB BBG BBiG Bd. BDA Beil. BEEG BEM BerASichG BErzGG Beschäftigungschancengesetz BeschFG
BeschSchG BeschV
BetrAVG BetrSichVO BetrVG BetrVG 1952 BFH BFHE BGB
Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Betriebs-Berater Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz 1969 Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beilage Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz 2004 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) 1985 Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) 2001 Beschäftigtenschutzgesetz Beschäftigungsverordnung – Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern Betriebsrentengesetz Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz 1972 Betriebsverfassungsgesetz 1952 Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch XIX
Abkürzungsverzeichnis
BGBl. BGH BGHZ BildschArbV BilMoG BImSchG BKK Bl. BMF BMT-G BMWA BPersVG br BR-Drucks. BRTV-Bau BSDG BSeuchG
BSG BSGE BSHG BSSichG BStBl. BT-Drucks. BRAO BTHG
BUrlG BuW BNichtrSchG BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. XX
Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bildschirmarbeitsverordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundes-Immissionsschutzgesetz Betriebskrankenkasse Blatt Bundesministerium für Finanzen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundespersonalvertretungsgesetz 1974 Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesratsdrucksache Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (BundesSeuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Breitragssatzsicherungsgesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) 1963 Betrieb und Wirtschaft Bundesnichtraucherschutzgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise
Abkürzungsverzeichnis
ca. CGM CGZP ChemG ChGlFöG
DA DAG DB DBGrG DCGK ders. DGB d. h. DKK DLW DNotZ DOK DP DrittelbG DSAG DSAnpUG-EU DSGVO DStR DStRE EAS EBRG EBR-Richtlinie EFG EFTA
circa Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) 1994 Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten Gewerkschaft Der Betrieb Gesetz über die Gründung der Deutschen Bahn-AG Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Däubler/Kittner/Klebe Dörner/Luczak/Wildschütz Deutsche Notarzeitschrift Zeitschrift für "Ortskrankenkassen" Das Personalbüro Drittelbeteiligungsgesetz Datenschutzauditgesetz Datenschutz-Anpassunhgs- und Umsetzungsgesetz zur EU-Richtlinie 2016/680 Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerrechtentscheidung Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) 1996 Europäische Betriebsräte Richtlinie Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Agreement
XXI
Abkürzungsverzeichnis
EFZG
EWG EWiR EzA
Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) 1994 Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises Einkommenssteuerberater Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft 1997 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Entgeltgleichheitsgesetz zwischen Frauen und Männern Entgelttransparenzgesetz Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union EU-Datenschutz-Grundverordnung Europäischer Gerichtshof Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
FPfZG f. ff. FG Fitting
Familienpflegezeitgesetz folgend fortfolgende Finanzgericht Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt
EG EGBGB ELENA-VerfahrensG EstB EGV EGMR EMRK EntGG-E EntgTranspG ErfK ESC EStG etc. EU EU-DSGVO EuGH EUZBLG
EuZW EUV e. V. evtl. EVÜ
XXII
Abkürzungsverzeichnis
FMStG Fn. FördElRV FR FS GA-AÜG GefStoffV gem. GenDG GenTSV GewO GG ggf. GK GK-KR GmbHR GmS-OBG GNBZ GRC GRUR GS GSG GWB
Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten Finanz-Rundschau (Dt. Steuerblatt) Festschrift Geschäftsanweisung zum AÜG von der Bundesagentur für Arbeit (Stand 12/2011) Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe gemeinsam(e) Gendiagnostikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung 1869 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gerätesicherheitsgesetz 1992 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HAG HaKo-KSchR Halbs. h. M. HGB HinGebSchG HSWG HZvNG
Heimarbeitergesetz Handkommentar- Kündigungsschutzrecht Halbsatz herrschende Meinung Handelsgesetzbuch 1897 Hinweisgeberschutzgesetz Hess/Schlochauer/Worzolla/Glock Hüttenknappschaftliche ZusatzversicherungsNeuregelungs-Gesetz
i. d. F.
in der Fassung XXIII
Abkürzungsverzeichnis
i. E. i. H. a. INF InKDG InsO Institutsvergütungsverordnung IntG IntGVO InvG i. S. d. IT-ArGV IT-AV ITRB i. V. m. JArbSchG JuMoG KDZ
Kap. KAPOVAZ KassArbR KassKomm KG KO KPK KR
K&R krit. KSchG KuG XXIV
im Ergebnis im Hinblick auf Die Information über Steuer und Wirtschaft Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung 1994 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten Integrationsgesetz Integrationsgesetzverordnung Investmentgesetz im Sinne des Verordnung über Arbeitsgenehmigungen Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen IT-Rechtsberater in Verbindung mit Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) 1976 Justizmodernisierungsgesetz Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.) Kündigungsschutzrecht Kommentar 8. Aufl., 2011 Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Kammergericht Konkursordnung Kölner Praxiskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kommunikation und Recht kritisch Kündigungsschutzgesetz 1969 Kurzarbeitergeld
Abkürzungsverzeichnis
LadschlG LAG LAGE LasthandhabV LFZG
Lit. LPartG LPartÜAG LS LStDV m. MDR m. E. MERL MgVG
m. w. N. MiLoV MindArbBedG MinLohnG MitbestG MitbestErgG MontanMitbestG Montan-MitbestErgG MTV MünchArbR MüKo MuSchG MuSchArbV
Ladenschlussgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Lastenhandhabungsverordnung Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) 1969 Literatur Lebenspartnergesetz Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Leitsatz Lohnsteuer-Durchführungsverordnung mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mit weiteren Nachweisen Mindestlohnanpassungsverordnung Mindestarbeitsbedingungsgesetz Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) 1976 Mitbestimmungsergänzungsgesetz Montan-Mitbestimmungsgesetz Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz Manteltarifvertrag Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) 1968 Mutterschutzarbeitsverordnung
XXV
Abkürzungsverzeichnis
NachwG
n. F. NJW Nr. Nrn. NZS n. v. NZA NZA-RR NZG
Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Sozialrecht (noch) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PatG PersR PersVG NW
Patentgesetz 1980 Personalrat Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche Pflegeversicherungsgesetz Pflegezeitgesetz Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Preisklauselgesetz Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung von Ausrüstungen bei der Arbeit
PflegeArbbV PflegeVG PflegeZG PfWG PreisKlG PSABV
PSDG PSH-BV PSV PublG PW RabattG RAG RAGE RdA XXVI
Verordnung über die Benutzung persönlicher Schutzausrüstung Pensionssicherungsverein Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen Preis/Willemsen Rabattgesetz Reichsarbeitsgericht Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit
Abkürzungsverzeichnis
RDV Recht der Datenverarbeitung Risikobegrenzungsgesetz Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie(n) RRG 1999 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung Rz. Randzahl/Randziffer Rs. Rechtssache RsprEinhG Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes 1968 RV-LeistungsverGesetz über Leistungsverbesserungen besserungsgesetz in der gesetzlichen Rentenversicherung RVO Reichsversicherungsordnung 1911 RzK Rechtsprechung zum Kündigungsrecht s. S. Sachgeb. SAE SchwarzArbG SchwbG
SE SEAG SEBG SeemG SGB I SGB III SGB IV SGB V SGB VI SGB VII
siehe Seite bzw. Satz Sachgebiet Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft – Schwerbehindertengesetz (1986) Europäische Gesellschaft SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Seemannsgesetz 1957 Sozialgesetzbuch, I. Buch – Allgemeiner Teil 1975 Sozialgesetzbuch, III. Buch – Arbeitsförderung 1997 Sozialgesetzbuch, IV. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung 1976 Sozialgesetzbuch, V. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung 1988 Sozialgesetzbuch, VI. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung 1989 Sozialgesetzbuch, VII. Buch – Gesetzliche Unfallversicherung 1996 XXVII
Abkürzungsverzeichnis
SGB IX SGB X SGB XI
SGb SigG s. o. sog. SozplKonkG SozR SPE spi SprAuG SpTrUG StGB st. Rspr.
Sozialgesetzbuch, IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2001 Sozialgesetzbuch, X. Buch – Verwaltungsverfahren 1980/82 Sozialgesetzbuch, XI. Buch – Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit 1994 Die Sozialgerichtsbarkeit Signaturgesetz siehe oben sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht, Entscheidungssammlung Societas Privata Europaea (=Statut der Europäischen Privatgesellschaft) sozialpolitische Informationen Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) 1988 Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Strafgesetzbuch 1871 ständige Rechtsprechung
Tarifautonomiestärkungsgesetz TKG TransPuG TVG TVöD TzBfG
Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie
u. a. u. ä. ÜbernG
unter anderem und ähnlich Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen 2002 Umlagefinanzierungsgesetz Umsatzsteuergesetz
UmlFinG UStG
XXVIII
Telekommunikationsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Tarifvertragsgesetz 1969 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge 2001
Abkürzungsverzeichnis
UmwG UrhG usw. UVV v. VAG VermbG VermG VersAusglG vgl. VglO Vorbem. VorstAG VorstOG VVG VwGO VwVfG WahlO WhistleblowerSchutzgesetz WHSS WiB wib WissZeitG WM WpHG WPrax WpÜG WWKK
z. B.
Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (Umwandlungsgesetz) 1994 Urheberrechtsgesetz 1965 und so weiter Unfallverhütungsvorschriften vom Versicherungsaufsichtsgesetz Vermögensbildungsgesetz Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versorgungsausgleichsgesetz vergleiche Vergleichsordnung 1935 Vorbemerkung(en) Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Gesetz über den Versicherungsvertrag 1908 (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz 1976 Wahlordnung Gesetz zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Wirtschaftliche Beratung Woche im Bundestag Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsrecht und Praxis Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge: Mitbestimmungsrecht zum Beispiel
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
ZDG ZESAR ZEuP ZfA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZPO ZSEG z. T. ZTR zust. ZustRG
XXX
Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung 1877 Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz
A. 1.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Wirksamwerden der AÜG-Reform
Bereits im Herbst hatten wir eingehend über die Reform der Arbeitnehmerüberlassung und die damit zusammenhängenden Veränderungen im AÜG, BGB und BetrVG berichtet1. Die geplanten Änderungen sind mit Wirkung zum 1.4.2017 in Kraft getreten2. Wegen der Handlungserfordernisse bei der Umsetzung der veränderten gesetzlichen Vorgaben und etwaiger Leitlinien, die für die Abgrenzung der Beschäftigung von Fremdpersonal gelten, sei auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen3. (Ga)
2.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
Nach einer grundlegenden Überarbeitung verschiedener Entwürfe4 eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern ist das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG) inzwischen verabschiedet und tritt am 1.6.2017 in Kraft5. Wir hatten im vergangenen Jahr bereits über die früheren Entwürfe berichtet6. Erfreulicherweise stellt das neue Gesetz in seiner einleitenden Begründung klar, dass die bereinigte Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern, die 2016 nach den durch die Bundesregierung verwendeten Quellen noch 7 % betrug, nicht mit Entgeltdiskriminierung in dieser Höhe erklärbar ist. Allerdings gibt es Nachteile für Frauen, die mittelbar trotz gleicher Arbeit zu einer geringeren Vergütung führen. Dass diese Ungleichbehandlung transparent gemacht wird, um Wege zu ihrer Beseitigung zu finden, ist nachvollziehbar und richtig. Das Fehlen von Transparenz dürfte aber nur einen außerordentlich geringen Anteil an der Entstehung dieser Entgeltdifferenz haben. Vielmehr dürften die Rahmenbedingungen, die Frauen angesichts ihrer regelmäßig stärkeren Einbindung in familiäre Aufgaben benachteiligen, ih-
1 2 3 4 5 6
B. Gaul, AktuellAR 2016, 321 ff. BGBl. I 2017, 258 ff. B. Gaul, AktuellAR 2017, 59 ff. 66 ff. BT-Drucks. 18/11313, BT-Drucks. Drucks. 18/11756, BTBGBl. I 2017, 558 ff. B. Gaul, AktuellAR 2016, 17 ff., 335 ff.
18/11590, BT-Drucks. -Drucks. 8/1/17.
18/11641,
BT-
1
A. 1.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Wirksamwerden der AÜG-Reform
Bereits im Herbst hatten wir eingehend über die Reform der Arbeitnehmerüberlassung und die damit zusammenhängenden Veränderungen im AÜG, BGB und BetrVG berichtet1. Die geplanten Änderungen sind mit Wirkung zum 1.4.2017 in Kraft getreten2. Wegen der Handlungserfordernisse bei der Umsetzung der veränderten gesetzlichen Vorgaben und etwaiger Leitlinien, die für die Abgrenzung der Beschäftigung von Fremdpersonal gelten, sei auf die Ausführungen an anderer Stelle hingewiesen3. (Ga)
2.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
Nach einer grundlegenden Überarbeitung verschiedener Entwürfe4 eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern ist das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG) inzwischen verabschiedet und tritt am 1.6.2017 in Kraft5. Wir hatten im vergangenen Jahr bereits über die früheren Entwürfe berichtet6. Erfreulicherweise stellt das neue Gesetz in seiner einleitenden Begründung klar, dass die bereinigte Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern, die 2016 nach den durch die Bundesregierung verwendeten Quellen noch 7 % betrug, nicht mit Entgeltdiskriminierung in dieser Höhe erklärbar ist. Allerdings gibt es Nachteile für Frauen, die mittelbar trotz gleicher Arbeit zu einer geringeren Vergütung führen. Dass diese Ungleichbehandlung transparent gemacht wird, um Wege zu ihrer Beseitigung zu finden, ist nachvollziehbar und richtig. Das Fehlen von Transparenz dürfte aber nur einen außerordentlich geringen Anteil an der Entstehung dieser Entgeltdifferenz haben. Vielmehr dürften die Rahmenbedingungen, die Frauen angesichts ihrer regelmäßig stärkeren Einbindung in familiäre Aufgaben benachteiligen, ih-
1 2 3 4 5 6
B. Gaul, AktuellAR 2016, 321 ff. BGBl. I 2017, 258 ff. B. Gaul, AktuellAR 2017, 59 ff. 66 ff. BT-Drucks. 18/11313, BT-Drucks. Drucks. 18/11756, BTBGBl. I 2017, 558 ff. B. Gaul, AktuellAR 2016, 17 ff., 335 ff.
18/11590, BT-Drucks. -Drucks. 8/1/17.
18/11641,
BT-
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rer beruflichen Entwicklung und damit vor allem der durch eine langfristige Beschäftigung bewirkte Steigerung der Vergütung entgegenstehen bzw. insoweit für eine Verlangsamung der Entwicklung sorgen. An dieser Stelle muss ebenso angesetzt werden wie bei der Förderung von Teilzeitbeschäftigung von Männer und Frauen in Führungspositionen7. Dafür enthalt das EntgTransG aber keinerlei Hilfestellungen. Da sich die Praxis jetzt aber mit dem Gesetz befassen muss, werden nachfolgend die wesentlichen Regelungen des aktuellen Gesetzes zusammengefasst.
a)
Anwendungsbereich
Nach §§ 2, 5 EntgTranspG gilt das Gesetz grundsätzlich für Arbeitnehmer und Auszubildende sowie weitere Beschäftigte, die durch natürliche oder juristische Personen in Deutschland beschäftigt werden. Dazu gehören auch Auszubildende sowie die in Heimarbeit Beschäftigten sowie die ihnen Gleichgestellten. Allerdings differenziert das Gesetz in seiner weiteren Ausgestaltung zwischen Arbeitgebern mit einer gesetzlichen Tarifbindung (§ 5 Abs. 4 EntgTranspG: tarifgebundene Arbeitgeber), Arbeitgebern mit einer schriftlichen Vereinbarung über die inhaltsgleiche Anwendung eines Tarifvertrags für alle Tätigkeiten und Beschäftigten, für die diese tariflichen Regelungen zum Entgelt angewendet werden (§ 5 Abs. 5 EntgTranspG: tarifanwendende Arbeitgeber) sowie sonstigen Arbeitgebern. Die Qualifizierung als „tarifanwendende Arbeitgeber“ setzt die schriftliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag voraus. Da eine Bezugnahme auch mündlich wirksam abgeschlossen werden kann, stellt sich die Frage, warum diese „Hürde“ in das Geset5z aufgenommen worden ist, zumal in vielen Unterlagen unterschiedliche Regelungen bestehen. Erforderlich war nur ein in allgemeiner Form gehaltener, schriftlicher Nachweis über die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG).
b)
Verbot der Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts
§§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG verbieten bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit8 eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen. Hiervon werden alle Grund- oder Mindestarbeitsentgelte sowie alle sonstigen Vergütungen erfasst, die unmittelbar oder mittelbar in bar oder in
7 8
2
Vgl. Thüsing, BB 2017, 567 ff. Langemann/Wilking, BB 2017, 501 f.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
Sachleistungen aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden (§ 5 Abs. 1 EntgTranspG). Entsprechend Art. 157 Abs. 2 S. 1 AEUV ist auch die betriebliche Altersversorgung einzubeziehen. Dass ein entsprechendes Verbot bereits heute durch Art. 23 GRC, Art. 157 AEUV, Art. 4 Richtlinie 2006/54/EG, Art. 3 Abs. 2 GG, §§ 1, 3, 7 AGG, 75 BetrVG und weitere Vorschriften besteht, genügt dem Gesetzgeber offenbar nicht. Folgerichtig wiederholt und konkretisiert § 3 Abs. 2, 3 EntgTranspG das Verbot einer unmittelbaren und mittelbaren Entgeltbenachteiligung. Allerdings wird die mittelbare Benachteiligung dann zugelassen, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Insbesondere arbeitsmarkt-, leistungs- und arbeitsergebnisbezogene Kriterien können dabei nach dem Gesetz ein unterschiedliches Entgelt rechtfertigen, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Das lässt §§ 5, 8 AGG unberührt. Zweifelhaft dürfte zukünftig sein, ob das – was bislang der Fall war – auch Differenzierungen nach Beschäftigungsjahren erlaubt. Im Mittelpunkt dürfte auf dieser Grundlage die Frage stehen, wann eine gleiche oder gleichwertige (nicht: gleichartige) Arbeit vorliegt. Eine gleiche Arbeit üben Beschäftigte aus, wenn sie an verschiedenen oder nacheinander an denselben Arbeitsplätzen eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausüben (§ 4 Abs. 1 EntgTranspG). Eine gleichwertige Arbeit im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn männliche und weibliche Beschäftigte unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Dabei ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind (§ 4 Abs. 2 EntgTranspG). Wenn ein Entgeltsystem zur Anwendung kommt, muss dieses System in seiner Gesamtheit und den einzelnen Bestandteilen so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen ist. Dafür muss es insbesondere die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objektiv berücksichtigen, auf für weibliche und männliche Beschäftigte gemeinsamen Kriterien beruhen, die einzelnen Differenzierungskriterien diskriminierungsfrei gewichten sowie insgesamt nachvollziehbar und durchschaubar sein (§ 4 Abs. 4 EntgTranspG). Eine diskriminierungsfreie Gewichtung ist beispielsweise dann fraglich, wenn physische Leistungsfähigkeit stark und psychische Belastung gering bewertet wird.
3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Bei tariflichen Systemen wird die Angemessenheit vermutet. Außerdem wird unterstellt, dass Tätigkeiten unterschiedlicher Entgeltgruppen grundsätzlich nicht gleichwertig sind (§ 4 Abs. 5 EntgTranspG).
c)
Allgemeine Handlungspflichten zum Schutz vor Entgeltbenachteiligungen aufgrund des Geschlechts
§ 6 EntgTranspG begründet eine Pflicht der Tarifvertragsparteien, des Arbeitgebers und der betrieblichen Interessenvertreter zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern. Dies entspricht §§ 7, 12 AGG, §§ 75, 80 Abs. 1 BetrVG, ohne den Beschäftigten zusätzlichen Schutz zu verschaffen. Entscheidend sind die weitergehenden Regelungen zur Auskunft (§§ 10 ff. EntgTranspG), zur Durchführung regelmäßiger Prüfverfahren (§§ 17 EntgTranspG) sowie zur Einbeziehung dieser Maßnahmen in den Lagebericht (§ 21 EntgTranspG). Darauf sei nachfolgend hingewiesen. Entsprechendes gilt für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, die in § 13 EntgTranspG noch einmal gesondert geregelt sind. Dort wiederholt und konkretisiert der Gesetzgeber im Wesentlichen nur Beteiligungsrechte, wie sie heute schon in § 80 Abs. 1 Nr. 1, 3, Abs. 2 BetrVG enthalten sind. Dazu gehört auch das Recht auf Einsichtnahme in Lohn- und Gehaltslisten, die um die für die Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG erforderlichen Angaben zum Median der auf Vollzeitäquivalente umgerechneten Entgelte und Entgeltbestandteile zu ergänzen sind (§ 13 Abs. 2, 3 EntgTranspG). Gerade weil die Entgeltgleichheit typischerweise auf der betrieblichen Ebene erreicht werden muss, dürfte die originäre Zuständigkeit aber in der Regel nur den Betriebsrat, nicht aber den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat betreffen9. Bemerkenswert ist, dass der Arbeitgeber schriftlich oder in Textform gegenüber dem Betriebsrat zu erklären hat, ob eine § 5 Abs. 5 EntgTranspG entsprechende Anwendung der tariflichen Regelungen zum Entgelt durch den Arbeitgeber erfolgt. Diese Erklärung ist aber keine Voraussetzung, um die Privilegien eines tarifanwendenden Unternehmens zur Anwendung zu bringen. Die Erklärung des Arbeitgebers soll den Betriebsrat indes in die Lage versetzen, die Abgabe dieser Erklärung gegenüber den Beschäftigten zu bestätigen. Es bleibt abzuwarten, ob die Erklärung des Arbeitgebers in diesem Zusammenhang als Wissens- oder Willenserklärung bewertet wird. Bedeu-
9
4
Abw. LAG Saarland v. 27.7.2016 – 2 TaBV 2/16 n. v., das sogar die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Herstellung der Entgeltgleichheit für denkbar hält.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
tung hätte dies bei der Auslegung und Anwendung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln.
d)
Benachteiligungs- und Maßregelungsverbot
Ein Verstoß gegen das in §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG enthaltenen Entgeltgleichheitsgebots bewirkt die Unwirksamkeit der entsprechenden Maßnahme (§ 8 Abs. 1 EntgTranspG). Darüber hinaus verbietet § 9 EntgTranspG, Arbeitnehmer wegen der Geltendmachung von Ansprüchen nach diesem Gesetz oder ihrer Unterstützung, auch durch eine Zeugenaussage, zu benachteiligen. Diese Regelung ist richtig, entspricht aber § 612 a BGB und könnte gestrichen werden.
e)
Individueller Auskunftsanspruch
aa)
Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers
Der individuelle Auskunftsanspruch in §§ 10 ff. EntgTranspG geht über die aktuelle Rechtslage hinaus. Nach der Neuregelung haben Beschäftigte Anspruch auf • die Informationen über die Kriterien und Verfahren für die Festlegung des eigenen Entgelts und des Entgelts der Arbeitnehmer mit gleicher oder – soweit vom Beschäftigten benannt – gleichwertiger Tätigkeit nach Maßgabe von § 11 Abs. 2 EntgTranspG sowie • die Angabe des Entgelts für eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit (Vergleichsentgelt) nach Maßgabe des § 11 Abs. 3, 4 EntgTranspG.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass er in Textform durch einen Beschäftigten in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten des gleichen Arbeitgebers geltend gemacht wird (§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 1, 2 EntgTranspG). Bei diesen Beschäftigtenzahlen wird man Leiharbeitnehmer richtigerweise ausgrenzen müssen, auch wenn der Gesetzgeber eine Parallele zum Arbeitnehmerbegriff nach § 5 BetrVG sieht10. Denn wenn das BetrVG selbst auch Leiharbeitnehmer einbeziehen würde, wären die Regelungen in § 5 Abs. 1 S. 3 BetrVG oder § 14 Abs. 2 AÜG überflüssig. Schließlich hat die Vergütung von Leiharbeitnehmern durch den Verleiher keine Bedeutung für die Durchsetzung der Entgeltgleichheit im Betrieb des
10 BT-Drucks. 18/11133 S. 61.
5
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Entleihers. Das entspricht der Begründung für die Ausgrenzung von Beamten bei der Berechnung der Beschäftigtenzahlen in § 17 EntgTranspG11. Bei der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs muss der Beschäftigte in zumutbarer Weise eine gleiche oder gleichwertige Arbeit (Vergleichstätigkeit) benennen. Das verlangt eine möglichst konkrete Bezeichnung der Vergleichstätigkeit und schließt es aus, willkürlich auf bestimmte andere Tätigkeiten zu verweisen. Die Auskunft kann zum durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt und bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen verlangt werden (§ 10 Abs. 1 S. 2, 3 EntgTranspG). Wenn eine solche Auskunft verlangt und beantwortet wurde, kann die erneute Auskunft erst nach Ablauf von zwei Jahren verlangt werden. Wichtig ist, dass der Auskunftsanspruch nur Entgeltregelungen erfasst, die in demselben Betrieb und bei demselben Arbeitgeber Anwendung finden. Das trägt dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung. Regional unterschiedliche Regelungen des gleichen Arbeitgebers werden dabei ausgegrenzt, auch wenn das Gesetz selbst nicht definiert, was insoweit als Region zu kennzeichnen ist (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG). bb)
Auskunftserteilung durch den Arbeitgeber, die Tarifvertragsparteien oder den Betriebsrat
Ein formgerechtes Auskunftsverlangen kann auf unterschiedliche Weise beantwortet werden. Die Unterschiede betreffen den notwendigen Inhalt einer Antwort ebenso wie die Frage, wer die Antwort erteilt. Inhaltlich sollen folgende Grundsätze gelten: • Soweit sich die Auskunft auf die Kriterien und das Verfahren für die Festlegung des Entgelts bezieht, genügt es, auf gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen zu verweisen und einen Ort zu benennen, wo Einsichtnahme erfolgen kann, falls diese die Grundlage sind. Im Übrigen muss eine individuelle Rechtfertigung erfolgen (§ 11 Abs. 2 EntgTranspG). Dabei muss auf die individuellen Kriterien verwiesen werden, die – um §§ 3, 4 EntgTranspG nicht zu verletzen – keinen Bezug zum Geschlecht haben können. Damit kommen auch hier insbesondere leistungs-, arbeitsmarkt- oder arbeitsergebnisbezogene Kriterien ebenso wie längere Betriebszugehörigkeit oder Konsequenzen einer Übernahme nach § 613 a BGB in Betracht.
11 BTBauer/Romero
6
Langemann/Wilking Kuhn/Schwindling, DB 2017, 785 ff.
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
• Soweit es um die Angabe des Entgelts für eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit geht, die bei tarifgebundenen oder tarifanwendenden Arbeitgebern auf der Grundlage eines Tarifvertrags gezahlt wird, ist grundsätzlich der auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete statistische Median des Entgelts der Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts in der gleichen Entgeltgruppe wie der oder die auskunftsverlangende Beschäftigte anzugeben (§ 11 Abs. 3 EntgTranspG). Bei den übrigen Arbeitgebern muss der auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts eines Kalenderjahres der durch den Arbeitnehmer benannten Entgeltbestandteile aller Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts, die die jeweilige Vergleichstätigkeit ausüben, angegeben werden.
Bei Sachleistungen geht der Gesetzgeber von einer Mitteilung des finanziellen Werts entsprechender Zuwendungen aus (z. B. Dienstwagen mit Privatnutzung, betrieblicher Kitaplatz). Bei einer unterjährigen Beschäftigung ist eine Umrechnung vorzunehmen. Die Auskunft muss auch datenschutzrechtliche Aspekte der anderen Beschäftigten beachten. Vor diesem Hintergrund sieht § 12 Abs. 3 EntgTranspG vor, dass keine Angaben zum Vergleichsentgelt zu erfolgen haben, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass nur die mit einer Beantwortung betrauten Personen Kenntnis von den hierfür notwendigen Daten erhalten. Losgelöst von den allgemeinen Aufgaben der Tarifvertragsparteien und des Betriebsrats nach §§ 6, 13 EntgTranspG sehen §§ 14, 15 EntgTranspG eine unmittelbare Einbindung der Arbeitnehmervertreter in die Auskunftserteilung vor. • Bei tarifgebundenen oder tarifanwendenden Arbeitgebern soll die Auskunft grundsätzlich an den Betriebsrat gerichtet werden, sofern der Arbeitgeber nicht zuvor festgelegt hat und dies den Beschäftigten mitgeteilt wurde, dass Auskunftsverlangen an ihn zu richten sind. Der Arbeitgeber muss eine solche Entscheidung gegenüber dem Betriebsrat erläutern; die Übernahme kann längstens für die Dauer der Amtszeit des jeweils amtierenden Betriebsrats erfolgen. Alternativ kann auch der Betriebsrat beschließen, dass die Auskunft durch den Arbeitgeber zu erteilen ist. Der Arbeitgeber muss einen solchen Beschluss hinnehmen. Auch dies ist den Beschäftigten mitzuteilen. Wenn kein Betriebsrat besteht, bleibt es bei der Verpflichtung des Arbeitgebers. In diesen Fällen kann der Betriebsrat aber auf einen Vertreter der Ta-
7
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rifvertragsparteien verweisen, den diese zu bestimmen haben. Alternativ können Arbeitgeber und Vertreter der Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass die Vertreter die Beantwortung übernehmen (§ 14 EntgTranspG). • Bei allen anderen Arbeitgebern wendet sich der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich an den Arbeitgeber. Allerdings soll auch hier der Betriebsrat zuständig sein, wenn nicht entsprechend den für tarifgebundene oder tarifanwendende Arbeitgeber getroffenen Regelungen die Zuständigkeit auf den Arbeitgeber verlagert wird. In allen Fällen sind die Beschäftigten über diese Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Sie bindet Arbeitgeber und Betriebsrat nur bis zum Beginn der nächsten Amtsperiode des Betriebsrats (§ 15 EntgTranspG).
Der Betriebsrat hat den Arbeitgeber über eingehende Auskunftsverlangen in anonymisierter Form und umfassend zu informieren (§ 14 Abs. 1 S. 3 EntgTranspG). Umgekehrt muss der Arbeitgeber den Betriebsrat umfassend und rechtzeitig über eingehende Auskunftsverlangen sowie über seine Antwort informieren. Eine entsprechende Auskunftspflicht sieht das Gesetz gegenüber den Vertretern der Tarifvertragsparteien vor, wenn kein Betriebsrat besteht. Beide Regelungen enthalten keine Berechtigung zur Anonymisierung der Antworten (§ 14 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 EntgTranspG)12. Nach § 15 Abs. 3 EntgTranspG müssen Auskünfte durch den Arbeitgeber oder Betriebsrat innerhalb von drei Monaten erteilt werden. Auch wenn diese Regelung mit Blick auf die systematische Zuordnung nur für nicht tarifgebundene oder nicht tarifanwendende Arbeitgeber gilt, wird man sie angesichts der übergreifenden Begründung durch den Gesetzgeber wohl auf alle Fallgestaltungen anwenden müssen. Unabhängig davon haben Arbeitgeber oder Betriebsrat – man wird hier wohl auf die Zuständigkeit für das Auskunftsverlangen abstellen müssen – den Beschäftigten auf eine drohende Fristversäumnis hinzuweisen und dann ohne weiteres Verzögern Auskunft zu erteilen. Wird die Auskunftspflicht durch den Arbeitgeber nicht erfüllt, trägt er im Streitfall die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot im Sinne dieses Gesetzes vorliegt. Dem Wortlaut nach gilt das auch dann, wenn die Auskunft nicht ordnungsgemäß – also ggf. unvollständig oder fehlerhaft – erfüllt wird. Zugunsten des Arbeitnehmers verbessert das die Beweiserleichterung des § 22 AGG, nach der er jedenfalls Anhaltspunkte vortragen und ggf. beweisen muss, die mit überwiegender Wahr12 Vgl. Kuhn/Schwindling, DB 2017, 785, 788 f.
8
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
scheinlichkeit eine Diskriminierung wegen des Geschlechts nahelegen. Auf die daraus folgende Notwendigkeit eines Vortrags zu dem Entgelt von Arbeitnehmern mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit des anderen Geschlechts will der Gesetzgeber offenbar verzichten. Nach § 15 Abs. 5 EntgTranspG gilt dies auch dann, wenn der Betriebsrat aus Gründen, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, die Auskunft nicht erteilen konnte. Hiervon ist im Zweifel auszugehen, wenn dem Betriebsrat entgegen § 15 Abs. 4 S. 5 EntgTranspG die für seine Auskunft erforderlichen Informationen durch den Arbeitgeber nicht verfügbar gemacht werden. cc)
Streit über die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit
Ganz entscheidende Bedeutung für den Inhalt der Auskunft des Arbeitgebers bzw. des Betriebsrats hat die Frage der Gleichwertigkeit einer Tätigkeit. Schon die damit verbundene Gefahr etwaiger Missverständnisse führt zu der Empfehlung, als Arbeitgeber entsprechende Auskünfte selbst oder – soweit die Anwendung des Tarifvertrags in Rede steht – durch die Vertreter der Tarifvertragsparteien zu erteilen. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, dass dem Arbeitgeber Fehler des Betriebsrats nicht zuzurechnen sind. Hinzu kommt, dass eine Haftung des Betriebsrats oder seiner Vertreter für fehlerhafte Auskünfte bei der Wahrnehmung dieser gesetzlichen Pflicht nicht in Betracht kommt, auch wenn der Gesetzgeber dies – entgegen früherer Referentenentwürfe – nicht mehr ausdrücklich klargestellt hat. In jedem Fall muss darauf hingewirkt werden, dass der Betriebsrat eine etwaige Antwort mit dem Arbeitgeber abstimmt, damit nachträglicher Streit vermieden wird. Bemerkenswert ist, dass das Gesetz gleichwohl nur im Zusammenhang mit den nicht tarifgebundenen und nicht tarifanwendenden Arbeitgebern davon spricht, dass der Arbeitgeber eine angefragte Vergleichstätigkeit nach den im Unternehmen angewendeten Maßstäben für nicht gleich oder nicht gleichwertig hält. In diesem Fall hat er es unter Berücksichtigung der in § 4 EntgTranspG genannten Kriterien nachvollziehbar zu begründen und die Auskunft auf eine nach seiner Bewertung gleiche oder gleichwertige Tätigkeit zu beziehen. Diese Handlungsoption, im Grunde sogar eine Handlungspflicht, besteht auch bei einer Auskunft durch den Betriebsrat, weil dieser in gleicher Weise zur richtigen Anwendung des Gesetzes verpflichtet ist (§ 15 Abs. 4 S. 2 bis 4 EntgTranspG). Dass auch bei der Anwendung eines Tarifvertrags Zweifel in Bezug auf die Eingruppierung und daraus auch Zweifel in Bezug auf die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit bestehen können, behandelt das Gesetz bedauerlicherweise nicht. Man wird allerdings davon ausgehen können, dass hier die gleiche Vorgehensweise geboten ist.
9
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
f)
Betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung der Entgeltgleichheit
Die Regelungen zu den betrieblichen Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit in §§ 17 ff. EntgTranspG treffen Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten mindestens alle fünf Jahre, ohne Tarifbindung im Entgeltbereich alle drei Jahre. Vergleichbar mit der Berechnung der Beschäftigungszahlen beim Auskunftsanspruch wird man bei der Berechnung der Schwellenwerte Leiharbeitnehmer nicht zu berücksichtigen haben13. Allerdings verzichtet der Gesetzgeber auf eine Pflicht. Vielmehr werden die Unternehmen nur „aufgefordert“, die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots durch ein entsprechendes Verfahren zu überprüfen. Es wird also ein Appell des Gesetzgebers festgehalten. Dabei kann auch eine konzernbezogene Prüfung erfolgen, wenn das herrschende Unternehmen bestimmenden Einfluss auch auf die Entgeltbedingungen der Konzernunternehmen nimmt. Das betriebliche Prüfverfahren erfolgt in eigener Verantwortung der Arbeitgeber mit Hilfe verbindlicher Verfahren nach § 18 EntgTranspG und „unter Beteiligung“ der betrieblichen Interessenvertreter. Unklar ist, in welcher Form diese Beteiligung erfolgen soll, zumal das Gesetz keine neuen Beteiligungsrechte begründen soll14. Einerseits spricht § 18 Abs. 2 EntgTranspG davon, dass der Arbeitgeber „unter Berücksichtigung betrieblicher Mitwirkungsrechte“ frei in der Wahl von Analysemethoden und Arbeitsbewertungsverfahren sei. Andererseits verpflichtet ihn § 20 Abs. 1 EntgTranspG, den Betriebsrat über die Planung des betrieblichen Prüfverfahrens rechtzeitig unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten. Letztgenannte Vorgabe würde an sich nur die Möglichkeit einer ergänzenden Überprüfung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eröffnen. Dass die Betriebsräte als Folge des Hinweises auf die gesetzlichen Mitwirkungsrechte – ggf. über § 94 Abs. 2 BetrVG – ein echtes Mitbestimmungsrecht geltend machen, erscheint zwar möglich, aber schwer begründbar. Schließlich soll das Prüfverfahren keine neuen Bewertungsmaßstäbe festsetzen, sondern nur feststellen, nach welchen Kriterien die Entgeltfestsetzung in der Vergangenheit erfolgt ist und gegenwärtig erfolgen soll. Auch § 87 Abs. 1 BetrVG kommt nicht zur Anwendung, weil keine Lohngestaltung geplant ist. Folgerichtig besteht auch keine Befugnis des Betriebsrats, die Durchführung eines solchen Prüf-
13 Vgl. Langemann/Wilking, BB 2017, 501, 505. 14 BT-Drucks. 18/11133 S. 69.
10
Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
verfahrens gegen den Willen des Arbeitgebers durchzusetzen. Er kann nur auf die Durchführungspflicht hinweisen. Zur inhaltlichen Ausgestaltung bestimmt das Gesetz nur, dass die Prüfverfahren aus Bestandsaufnahme, Analyse und Ergebnisbericht bestehen müssen. Die Zeitspanne muss es zulassen, alle beim Arbeitgeber tatsächlich vereinbarten und auch gezahlten Entgeltbestandteile in das Prüfungsverfahren einzubeziehen. Eine Bindung an bestimmte Analysemethoden und Arbeitsbewertungsverfahren besteht nicht. Eine geeignete Grundlage hierfür ist nach der Begründung des Gesetzes der ILO-Leitfaden „Gendergerechtigkeit stärken – Entgeltgleichzeit sicherstellen“. Allerdings sind unter Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten valide statische Methoden zu verwenden und die Daten nach Geschlecht aufzuschlüsseln. Bestandsaufnahme und Analyse erfassen die aktuellen Entgeltregelungen, Entgeltbestandteile und Arbeitsbewertungsverfahren und werten diese in Bezug auf den Betrieb und unter Ausgrenzung regionaler Unterscheidungen für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten im Hinblick auf die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots aus. Was eine „Region“ ist, definiert das Gesetz indes nicht. Unabhängig davon sind tarifvertragliche Entgelte von einer Überprüfung der Gleichwertigkeit der Tätigkeit ausgenommen (§ 18 Abs. 2, 3 EntgTranspG). Die Ergebnisse von Bestandsaufnahme und Analyse werden zusammengefasst und können betriebsintern veröffentlicht werden. Eine Verpflichtung hierzu sieht das Gesetz nicht vor (§ 18 Abs. 4 EntgTranspG). Darüber hinaus sind die Beschäftigten über die Ergebnisse des betrieblichen Prüfverfahrens zu informieren (§ 20 Abs. 2 EntgTranspG). Eine bestimmte Form- oder Fristvorgabe nennt das Gesetz indes nicht. Allerdings bewirkt der Verweis auf §§ 43 Abs. 2, 53 Abs. 2 BetrVG, dass die Ergebnisse auch zum Gegenstand der Information im Rahmen einer Betriebs- und Abteilungsversammlung bzw. der Betriebsräteversammlung gemacht werden müssen. Wird als Ergebnis dieses Prüfverfahrens ein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot erkennbar, muss der Arbeitgeber die geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Benachteiligung ergreifen (§ 19 EntgTranspG). Dazu kann auch gehören, auf kollektivrechtlicher Ebene eine Änderung bestehender Regelungen anzustreben. Eine bestimmte Frist hierzu sieht das Gesetz – entgegen früherer Referentenentwürfe – nicht vor. Die Beseitigung der Benachteiligung für die Zukunft steht dem Anspruch eines Arbeitnehmers auf Gleichbehandlung - bezogen auf einen Zeitraum der Vergangenheit - nicht entgegen. 11
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
g)
Bericht zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit
§ 21 EntgTranspG verpflichtet Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, einen Bericht über Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und deren Wirkungen sowie Maßnahmen zur Herstellung der Entgeltgleichheit sowie ihre grundlegenden Entgeltregelungen und Arbeitsbewertungsverfahren zu erstellen. Dazu gehören Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie deren Wirkung und Maßnahmen, die die Entgeltgleichheit für Frauen und Männer herstellen sollen. Arbeitgeber, die keine solchen Maßnahmen durchführen, müssen dies in ihrem Bericht begründen. Diese Berichtspflicht dürfte noch vertretbar sein, weil sie abstraktgenerellen Inhalt besitzt. Problematisch erscheint aber, dass die Angaben auch nach dem Geschlecht aufgeschlüsselte Angaben zu der durchschnittlichen Gesamtzahl der Beschäftigten sowie zur durchschnittlichen Zahl der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten enthalten sollen. Entgegen früherer Entwürfe wird richtigerweise auf Angaben zur Anzahl der Beschäftigten nach den jeweiligen Entgeltgruppen verzichtet. Denn damit wäre für den Geschäftsverkehr eine sehr genaue Bewertung und Zuordnung der Personalkosten möglich, ohne dass dies der Entgeltgleichheit im Unternehmen dient. Tarifgebundene oder tarifanwendende Unternehmen erstellen den Bericht als Anlage zum Lagebericht nach § 289 HGB alle fünf Jahre. Alle anderen Arbeitgeber müssen diesen Bericht alle drei Jahre erstellen. Wie zu verfahren ist, wenn in einem Unternehmen sowohl Arbeitnehmer mit als auch Arbeitnehmer ohne Tarifbindung beschäftigt werden, lässt § 22 EntgTranspG ungeregelt. Im Zweifel wird man wohl die Regelungen für die Arbeitgeber ohne Tarifbindung anwenden müssen.
h)
Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am 1.6.2017 in Kraft. Allerdings bestimmt § 25 EntgTranspG, dass der Auskunftsanspruch erst nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten geltend gemacht werden kann. Der Bericht zur Entgeltgleichheit (§ 21 EntgTranspG) soll erst für das Kalenderjahr 2018 erforderlich sein und sich nur auf das Jahr 2017 beziehen. Eine Übergangsregelung für das betriebliche Prüfverfahren nach §§ 17 ff. EntgTranspG ist nicht vorgesehen.
12
Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts
i)
Fazit
Obwohl grundlegende Fehler der vorangehenden Referentenentwürfe beseitigt sind, ist auch das aktuelle EntgTranspG noch mit Unklarheiten und einem ganz erheblichen Umsetzungsaufwand für die betroffenen Unternehmen verbunden. Soweit das Gesetz den jährlichen Erfüllungsaufwand der Wirtschaft mit 2,97 Mio. € bestimmt, ist dies deutlich zu gering. Dieser Aufwand dürfte allein für die Berater anfallen, die Einführung und Anwendung begleiten. Problematisch ist darüber hinaus, dass mit dem Gesetz keine wirkliche Verbesserung der Entgeltgleichheit bewirkt wird. Der „Gender Pay Gap“ folgt vor allem aus branchenbezogenen Unterschieden und aus dem nach wie vor unterschiedlichen Lebensmodell der beiden Geschlechter. Diese Unterschiede kann und wird auch dieses Gesetz nicht verändern, gleichzeitig aber einen enormen Verwaltungsaufwand bewirken. Hinzu kommt, dass mit Ausnahme von Erfüllungsansprüchen, die an die Feststellung einer Missachtung des Entgeltgleichheitsgebots geknüpft sind, im Gesetz keine weitergehenden Sanktionen vorgesehen sind. (Ga)
3.
Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts
Zum Jahresanfang hatte das BMAS den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts eingebracht. Ziel war es, durch die Einfügung von § 9 a TzBfG einen gesetzlichen Anspruch auf eine befristete Verringerung der Arbeitszeit einzuführen. Konkret ging es dabei um folgende Regelung: §9a Zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit (1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus bestimmten Zeitraum verringert wird. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl der Personen in Berufsbildung, in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt. (2) Für den begehrten Zeitraum der Verringerung der Arbeitszeit sind § 8 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1, Absatz 4, Absatz 5 Satz 1 und 2 entsprechend anzuwenden. Für den Umfang der Verringerung und die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit gelten § 8 Absatz 2 bis 5.
13
Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts
i)
Fazit
Obwohl grundlegende Fehler der vorangehenden Referentenentwürfe beseitigt sind, ist auch das aktuelle EntgTranspG noch mit Unklarheiten und einem ganz erheblichen Umsetzungsaufwand für die betroffenen Unternehmen verbunden. Soweit das Gesetz den jährlichen Erfüllungsaufwand der Wirtschaft mit 2,97 Mio. € bestimmt, ist dies deutlich zu gering. Dieser Aufwand dürfte allein für die Berater anfallen, die Einführung und Anwendung begleiten. Problematisch ist darüber hinaus, dass mit dem Gesetz keine wirkliche Verbesserung der Entgeltgleichheit bewirkt wird. Der „Gender Pay Gap“ folgt vor allem aus branchenbezogenen Unterschieden und aus dem nach wie vor unterschiedlichen Lebensmodell der beiden Geschlechter. Diese Unterschiede kann und wird auch dieses Gesetz nicht verändern, gleichzeitig aber einen enormen Verwaltungsaufwand bewirken. Hinzu kommt, dass mit Ausnahme von Erfüllungsansprüchen, die an die Feststellung einer Missachtung des Entgeltgleichheitsgebots geknüpft sind, im Gesetz keine weitergehenden Sanktionen vorgesehen sind. (Ga)
3.
Referentenentwurf zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts
Zum Jahresanfang hatte das BMAS den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts eingebracht. Ziel war es, durch die Einfügung von § 9 a TzBfG einen gesetzlichen Anspruch auf eine befristete Verringerung der Arbeitszeit einzuführen. Konkret ging es dabei um folgende Regelung: §9a Zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit (1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus bestimmten Zeitraum verringert wird. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl der Personen in Berufsbildung, in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt. (2) Für den begehrten Zeitraum der Verringerung der Arbeitszeit sind § 8 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1, Absatz 4, Absatz 5 Satz 1 und 2 entsprechend anzuwenden. Für den Umfang der Verringerung und die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit gelten § 8 Absatz 2 bis 5.
13
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
(3) Für den Fall, dass der Arbeitnehmer innerhalb des nach Absatz 1 bestimmten Zeitraums seine Arbeitszeit verlängern oder vor Ablauf dieses Zeitraums zu seiner ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren möchte, gilt § 9 entsprechend. (4) Ein Arbeitnehmer, der nach einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit zu seiner ursprünglichen vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zurückgekehrt ist, kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit nach Absatz 1 oder nach § 8 Absatz 1 frühestens ein Jahr nach der Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit verlangen. Für einen Antrag auf weitere Verringerung der Arbeitszeit innerhalb des festgelegten Zeitraums und für einen erneuten Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit nach berechtigter Ablehnung gilt § 8 Absatz 6 entsprechend.
Obwohl eine entsprechende Regelung im Koalitionsvertrag vereinbart war, hat der Koalitionsausschuss festgelegt, dass das Regelungsziel dieses Referentenentwurfs in dieser Legislaturperiode nicht mehr verfolgt wird. Damit kommt es innerhalb dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einem gesetzlichen Anspruch auf die befristete Verringerung der individuellen Arbeitszeit15. (Ga)
4.
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
Im März hat der Bundestag das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts16 auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend17. verabschiedet. Es tritt am 1.1.2018 in Kraft18. Mit dem Gesetz soll der Gesundheitsschutz für eine stillende oder schwangere Frau und ihr (ungeborenes) Kind verbessert werden. Hierzu sollen die Gefährdungen einer modernen Arbeitswelt für schwangere und stillende Mütter auf der einen und die mutterschutzrechtlichen Arbeitgeberpflichten auf der anderen Seite besser konturiert werden. Unter Einbeziehung der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) soll das MuSchG besser strukturiert und übersichtlicher gestalteten werden. Darüber
15 Vgl. Böning Stellungnahme des BDA zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts v. 17.1.2017 16 BT-Drucks. 230/16. 17 BT-Drucks. 18/11782. 18 BGBl. I 2017, 1228 ff.
14
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
(3) Für den Fall, dass der Arbeitnehmer innerhalb des nach Absatz 1 bestimmten Zeitraums seine Arbeitszeit verlängern oder vor Ablauf dieses Zeitraums zu seiner ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren möchte, gilt § 9 entsprechend. (4) Ein Arbeitnehmer, der nach einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit zu seiner ursprünglichen vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zurückgekehrt ist, kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit nach Absatz 1 oder nach § 8 Absatz 1 frühestens ein Jahr nach der Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit verlangen. Für einen Antrag auf weitere Verringerung der Arbeitszeit innerhalb des festgelegten Zeitraums und für einen erneuten Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit nach berechtigter Ablehnung gilt § 8 Absatz 6 entsprechend.
Obwohl eine entsprechende Regelung im Koalitionsvertrag vereinbart war, hat der Koalitionsausschuss festgelegt, dass das Regelungsziel dieses Referentenentwurfs in dieser Legislaturperiode nicht mehr verfolgt wird. Damit kommt es innerhalb dieser Legislaturperiode nicht mehr zu einem gesetzlichen Anspruch auf die befristete Verringerung der individuellen Arbeitszeit15. (Ga)
4.
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
Im März hat der Bundestag das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts16 auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend17. verabschiedet. Es tritt am 1.1.2018 in Kraft18. Mit dem Gesetz soll der Gesundheitsschutz für eine stillende oder schwangere Frau und ihr (ungeborenes) Kind verbessert werden. Hierzu sollen die Gefährdungen einer modernen Arbeitswelt für schwangere und stillende Mütter auf der einen und die mutterschutzrechtlichen Arbeitgeberpflichten auf der anderen Seite besser konturiert werden. Unter Einbeziehung der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) soll das MuSchG besser strukturiert und übersichtlicher gestalteten werden. Darüber
15 Vgl. Böning Stellungnahme des BDA zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts v. 17.1.2017 16 BT-Drucks. 230/16. 17 BT-Drucks. 18/11782. 18 BGBl. I 2017, 1228 ff.
14
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
hinaus werden unionsrechtliche Vorgaben in Bezug auf den Aufwendungsbereich, den Gesundheits- und Kündigungsschutz umgesetzt.
a)
Anwendungsbereich
Unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH im Urteil vom 11.11.201019, über die wir berichtet haben20, wird der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes zunächst einmal auf alle Beschäftigten ausgedehnt, die eine nichtselbstständige Arbeit im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausüben. Damit werden beispielsweise auch Fremdgeschäftsführerinnen oder Minderheiten-Gesellschafter-Geschäftsführerinnen einer GmbH einbezogen. Losgelöst davon findet das MuSchG ohne Rücksicht auf den Beschäftigtenstatus auf die jetzt in § 1 Abs. 2 MuSchG genannten Beschäftigungsformen Anwendung. Dazu gehören beispielsweise auch Frauen in betrieblicher Berufsbildung, Praktikantinnen, arbeitnehmerähnliche Personen sowie Schülerinnen und Studentinnen, soweit die weitergehenden Voraussetzungen erfüllt sind. Ergänzend hierzu bestimmt § 2 Abs. 1 MuSchG, dass das Gesetz für jede Person gilt, die schwanger ist oder ein Kind geboren hat oder stillt, unabhängig von dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht.
b)
Verbote der Mehr-/Nachtarbeit sowie Sonn-/Feiertagsarbeit
In §§ 4 bis 6 MuSchG sind branchenunabhängige Regelungen zum Verbot der Mehr-/ und der Nachtarbeit sowie der Sonn-/ und Feiertagsarbeit vorgesehen. Soweit Jugendliche betroffen sind, gelten allerdings weiterhin vorrangig die strengeren Regelungen des JArbSchG. In Bezug auf die Mehrarbeit legt § 4 Abs. 1 MuSchG fest, dass eine schwangere oder stillende Frau nicht in einem Umfang beschäftigt werden darf, der die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt des Monats übersteigt. Etwaige Ausgleichszeiträume müssen also auf einen Monat begrenzt werden. Bemerkenswert ist, dass nach §§ 5, 28 MuSchG eine Beschäftigung der schwangeren oder stillenden Frau mit einer Arbeit zwischen 20 Uhr und 22 Uhr nur auf der Grundlage einer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde zulässig ist, wenn sich die Frau außerdem hierzu ausdrücklich bereit erklärt hat, nach ärztlichem Verbot nichts gegen die Beschäftigung bis 22 Uhr spricht und eine unverantwortbare Gefährdung der schwangeren Frau oder 19 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, NZA 2010, 143 f. – Danosa. 20 B. Gaul, AktuellAR 2011, 144 ff.
15
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ihres Kindes durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist. Solange die Aufsichtsbehörde den Antrag nicht ablehnt oder die Beschäftigung untersagt, kann die Frau indes auch ohne positive Entscheidung beschäftigt werden. Lehnt die Aufsichtsbehörde nicht innerhalb von sechs Wochen nach Eingang des vollständigen Antrags ab, gilt die Genehmigung als erteilt. Allerdings stellt das Gesetz zugleich klar, dass sie ihre Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. Die Teilnahme an einer Ausbildungsveranstaltung bis 22 Uhr ist auch ohne behördliche Genehmigung zulässig, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Das gleiche gilt für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen, wobei auch hier die Einwilligung durch die Frau jederzeit widerrufen werden kann (§§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 1, 2 MuSchG). Wenn in Unternehmen mit Zustimmung der betroffenen Frau von der Möglichkeit von Nachtarbeit Gebrauch gemacht werden soll, setzt dies voraus, dass die nach §§ 9 ff. MuSchG erforderliche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und gegenüber der Aufsichtsbehörde nachgewiesen wurde.
c)
Freistellungen für Untersuchungen und zum Stillen
§ 7 MuSchG regelt die Möglichkeiten, für Untersuchungen und zum Stillen eine Freistellungszeit in Anspruch zu nehmen. Gemäß § 23 Abs. 1 MuSchG darf dabei keine Entgeltminderung eintreten. Darüber hinaus sind Freistellungszeiten weder vor- noch nachzuarbeiten. Sie werden außerdem nicht auf Ruhepausen angerechnet, die im ArbZG oder in anderen Vorschriften festgelegt sind. Abweichend von der heutigen Regelung sieht das Gesetz allerdings vor, dass eine Freistellung der stillenden Frau nur in den ersten zwölf Monaten nach der Entbindung zu erfolgen hat. Wird auch im Anschluss daran eine Freistellung zum Stillen in Anspruch genommen, bestimmt sich diese nach §§ 241 Abs. 2, 611, 616 BGB.
d)
Betrieblicher Gesundheitsschutz
aa)
Allgemeine Handlungspflichten
Mit §§ 9 ff. MuSchG übernimmt der Gesetzgeber umfangreiche Handlungspflichten des Arbeitgebers zum Schutz der schwangeren und stillenden Frau sowie ihres (ungeborenen) Kindes in das MuSchG. Danach hat der Arbeitgeber nicht nur alle aufgrund der Gefährdungsbeurteilung nach § 9 MuSchG erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit der Frau sowie der ihres Kindes zu treffen. Er hat die Arbeitsbe-
16
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
dingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und eine unverantwortbare Gefährdung (§§ 11, 12 MuSchG) ausgeschlossen wird. Mit in dieser Neuregelung wird der Begriff der „Gefährdung“ als zentraler Begriff im betrieblichen Gesundheitsschutz des Mutterschutzrechts eingeführt. Er bezeichnet – im Unterschied zum Rechtsbegriff der „Gefahr“ – die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderung an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit21. Unverantwortbar ist eine Gefährdung nach der Neuregelung dann, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Dabei werden in § 11 Abs. 1 S. 2 MuSchG Fallgestaltungen genannt, bei denen insbesondere von einer solchen unverantwortbaren Gefährdung auszugehen ist. Umgekehrt gilt eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird (§ 9 Abs. 2 MuSchG). Unabhängig davon gilt eine unverantwortbare Gefährdung nach § 11 Abs. 1 S. 3 MuSchG für schwangere Frauen insbesondere dann als ausgeschlossen, wenn für den jeweiligen Gefahrstoff die arbeitsplatzbezogenen Vorgaben eingehalten werden oder der Gefahrstoff nicht in der Lage ist, die Plazentaschranke zu überwinden und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Da der Bundestag allerdings erkannt hat, dass der Begriff der unverantwortbaren Gefährdung eine weitere Konkretisierung erforderlich macht, hat er beschlossen, dass das BMAS hierzu bis zum 31.12.2017 Kriterien entwickelt und diese den Arbeitsschutzbehörden einerseits und den Unternehmen andererseits zur Verfügung stellt. Auf dieser Grundlage soll dann ab 1.1.2018 die Neuregelung umgesetzt werden. bb)
Erweiterung der Gefährdungsanalyse
Nach § 10 Abs. 1 MuSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG für jede Tätigkeit die Gefährdungen nach Art, Ausmaß und Dauer zu beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann. Unerheblich ist, ob auf dem jeweiligen Arbeitsplatz überhaupt eine Frau beschäftigt ist oder werden soll. Unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieser Beurteilung ist sodann festzustellen, ob für eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind voraussichtlich keine Schutzmaßnahmen erforderlich
21 BT-
BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, NZA 2009, 102.
17
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
sein werden, eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG erforderlich sein oder eine Fortführung der Tätigkeit der Frau an diesem Arbeitsplatz nicht möglich sein wird. Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen auf der Grundlage einer solchen abstrakt-generellen Gefährdungsanalyse ist gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG zu dokumentieren. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber alle Personen, die bei ihm beschäftigt sind, über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und über den Bedarf an Schutzmaßnahmen in geeigneter Form zu informieren (§ 14 Abs. 2 MuSchG). Ergänzend hierzu muss die schwangere oder stillende Frau über die abstrakte Gefährdungsbeurteilung und erforderlichen Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber informiert werden (§ 14 Abs. 3 MuSchG). Sobald eine Frau dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, dass sie schwanger ist oder stillt, hat der Arbeitgeber unverzüglich die nach Maßgabe dieser abstrakt– generellen Gefährdungsbeurteilung erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen. Zusätzlich hat er der Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten (§ 10 Abs. 2 MuSchG). Darüber hinaus hat der Arbeitgeber gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 10 durch Unterlagen zu dokumentieren, aus denen Folgendes ersichtlich ist: 1. das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG und der Bedarf an Schutzmaßnahmen nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MuSchG, 2. die Festlegung der erforderlichen Schutzmaßnahmen nach § 10 Abs. 2 S. 1 sowie das Ergebnis ihrer Überprüfung nach § 9 Abs. 1 S. 2 und 3. das Angebot eines Gesprächs mit der Frau über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen nach § 10 Abs. 2 S. 2 oder der Zeitpunkt eines solchen Gesprächs.
Unabhängig davon darf der Arbeitgeber eine schwangere oder stillende Frau nur diejenigen Tätigkeiten ausüben lassen, für die er auf der Grundlage einer abstrakt-generellen Gefährdungsbeurteilung eine konkretisierende Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 10 Abs. 2 MuSchG vorgenommen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen hat (§ 10 Abs. 3 MuSchG). Voraussetzung ist natürlich, dass ihm diese Schwangerschaft auch bekannt ist. Losgelöst von dieser innerbetrieblichen Handlungspflicht hat der Arbeitgeber die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu benachrichtigen, wenn eine Frau
18
Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
ihm mitgeteilt hat, dass sie schwanger ist oder dass sie stillt (§ 27 Abs. 1 MuSchG). Auch diese Maßnahmen zur Gefährdungsanalyse zeigen deutlich, dass Tätigkeiten, die eine Gefahr oder Gefährdung der schwangeren oder stillenden Frau bzw. ihres Kindes auslösen können, nicht nur vermieden werden sollen, sondern schlussendlich auch einer Beschäftigung entgegenstehen können. § 12 MuSchG macht indes deutlich, dass der Arbeitgeber zunächst einmal versuchen muss, diese Gefährdungen bzw. Gefahren durch Schutzmaßnahmen zu beseitigen, damit trotz Schwangerschaft oder des Stillens eine weitere Beschäftigung der Frau erfolgen kann. Mit § 13 MuSchG werden Regelungen geschaffen, die eine Rangfolge der Schutzmaßnahmen zum Ausdruck bringen. Zunächst einmal geht es darum, dass Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen durch Schutzmaßnahmen so umzugestalten sind, dass unverantwortbare Gefährdungen ausgeschlossen sind. Genügt dies nicht, ist ein Einsatz auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz zu prüfen. Erst wenn auch dies nicht möglich ist, kommt ein Beschäftigungsverbot in Betracht.
e)
Ärztliches Beschäftigungsverbot
Die Regelungen zum ärztlichen Beschäftigungsverbot aus §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 MuSchG a. F. werden durch § 15 MuSchG fortgeschrieben. Die mit diesem Beschäftigungsverbot korrespondierenden Entgelt- bzw. Entgeltfortzahlungsansprüche aus §§ 11, 13 MuSchG a. F. werden zukünftig in §§ 18 ff. MuSchG geregelt. Ergänzend hierzu stellt § 25 MuSchG klar, dass eine Frau das Recht hat, mit dem Ende eines Beschäftigungsverbots im Sinne des § 2 Abs. 3 MuSchG entsprechend den vertraglich vereinbarten Bedingungen beschäftigt zu werden.
f)
Kündigungsschutz
Auch das Kündigungsverbot aus § 9 MuSchG wird durch § 16 MuSchG übernommen. Allerdings stellt der Gesetzgeber mit Blick auf die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 11.10.200722 klar, dass die Regelungen zur Unzulässigkeit einer Kündigung entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers gelten, die er im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft. Hintergrund dieser Erweiterung ist, dass der EuGH einen Verstoß ge-
22 EuGH v. 11.10.2007 – C-460/06, NZA 2007, 1271 ff. – Parquay.
19
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gen das Kündigungsverbot in Art. 10 MuSchRiV (92/85/EWG) bereits dann angenommen hatte, wenn „vor Ablauf dieser Zeit Maßnahmen in Vorbereitung einer solchen Entscheidung, wie etwa die Suche und Planung eines endgültigen Ersatzes für die betroffene Angestellte, getroffen werden“. Damit ist eine Kündigung auch bei einem Ausspruch erst nach Ablauf der Schutzfristen unwirksam, wenn entsprechende Vorbereitungen (z. B. Stellenanzeigen, Bewerbungsgespräche, Betriebsratsbeteiligung) bereits während dieser Zeiträume begonnen wurden. Problematisch ist dies, weil damit an sich auch das behördliche Verfahren (noch) nicht eingeleitet werden kann, selbst wenn klar ist, dass die Kündigung nach Ablauf der Schutzfrist sicher wirksam ist.
g)
Aushang des Gesetzes
Wie bisher ist der Arbeitgeber in Betrieben und Verwaltungen, in denen regelmäßig mehr als drei Frauen beschäftigt werden, verpflichtet, eine Kopie dieses Gesetzes an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen oder auszuhändigen. Zeitgemäß verzichtet § 24 Abs. 1 MuSchG allerdings darauf, wenn der Arbeitgeber das Gesetz für die Personen, die bei ihm beschäftigt sind, in einem elektronischen Verzeichnis jeder Zeit zugänglich gemacht hat. Damit hat das Intranet Eingang in die Ausgestaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften gefunden.
h)
Bußgeldvorschriften
Die gesetzlichen Neuregelungen auch insbesondere aus dem Bereich des Arbeitsschutzes müssen in der betrieblichen Praxis sorgfältig umgesetzt werden. Dies gilt nicht nur mit Blick auf den gebotenen Schutz der schwangeren oder stillenden Frau, bzw. des (ungeborenen) Kindes. Der Gesetzgeber sichert die Durchführung der gesetzlichen Handlungsvorgaben auch durch einen erweiterten Bußgeldkatalog ab. Dieser erfasst in § 29 Abs. 1 auch die rechtzeitige Durchführung einer Gefährdungsanalyse, die Festlegung etwaiger Schutzmaßnahmen oder die Beschäftigung einer schwangeren oder stillenden Frau außerhalb der zahlreichen Schranken, die mit dem Gesetz verknüpft werden. Bei Vorsatz kann dies sogar als Straftat geahndet werden. (Ga)
20
Neuordnung des SGB IX
5.
Neuordnung des SGB IX durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung
Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 30.11.201623 hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Wir hatten schon im Herbst darüber berichtet24. Soweit mit dem Gesetz arbeitsrechtliche Handlungspflichten verändert worden sind25, ist das Gesetz bereits am 30.12.2016 in Kraft getreten26. Relevant sind vor allem die Änderungen in Bezug auf die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit Kündigungen (§ 95 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX, ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX). Ihre Nichtbeachtung kann zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen, wie an anderer Stelle aufgezeigt wird27. Darüber hinaus sei auf das Übergangsmandat für die Schwerbehindertenvertretung (§ 94 Abs. 8 SGB IX, ab 1.1.2018: § 177 Abs. 8 SGB IX) hingewiesen. Weiterhin wurden die persönliche Rechtsstellung der Vertrauensleute und ihrer Stellvertreter bei der Einbeziehung in die Wahrnehmung ihrer Aufgaben, bei Freistellungen, Schulungen und Büropersonal verbessert (§ 96 SGB IX, ab 1.1.2018: § 179 SGB IX). Soweit die Veränderungen das für Rehabilitationsträger geltende Rehabilitations- und Teilhaberecht sowie den Umgang mit Eingliederungshilfen betreffen, treten diese Änderungen erst am 1.1.2018 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt wird das SGB IX um mehr als 80 Vorschriften ergänzt28. Auch die Neufassung des Begriffs der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX erfolgt erst mit Wirkung zum 1.1.2018. Problematisch ist, dass die vorgesehene Definition den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) nicht genügt, die nach den Feststellungen des BAG in Bezug auf die Kündigung eines HIV-erkrankten Arbeitnehmers während der Probezeit unmittelbar in Deutschland geltendes Recht sind29. Wir hatten darüber be-
23 Vgl. BT24 B. Gaul 25 26 27 28 29
-Drucks. 18/10665. Bayreuther Grimm/Freh, ArbRB Kleinebrink, DB 2017, 126 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 182 ff. BGBl. I 2016, 3234, 3307 ff. B. Gaul, AktuellAR 2017, 182, 184 ff. BGBl. I 2016, 3234 ff. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 58, 64.
21
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
reits im Herbst berichtet30. Die Praxis wird Art. 1 UN-BRK neben § 2 Abs. 1 SGB IX anwenden müssen, was deutlich erweiterte Handlungspflichten insbesondere im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB zur Folge hat. (Ga)
6.
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Datenschutzgrundverordnung
a)
Ausgangslage
Wir hatten bereits im vergangenen Jahr darüber berichtet, dass die EUDatenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verabschiedet und am 4.5.201631 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden ist32. Sie ist ab 25.5.2018 unmittelbar in den Mitgliedsstaaten geltendes Recht. Wegen der weiteren Einzelheiten sei insoweit zunächst einmal auf die Zusammenfassung verwiesen, die wir im Frühjahr des vergangenen Jahres vorgenommen hatten33. Die Praxis muss also die DSGVO neben dem nationalen Recht prüfen, wenn die Verarbeitung personenbezogener Daten in Rede steht. Damit Widersprüche zwischen der DSGVO und den aktuellen Regelungen zum Datenschutz vermieden werden, müssen bestehende Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten abgeändert bzw. aufgehoben werden. Dies gilt insbesondere für das BDSG, das in weiten Teilen durch die Regelungen der DSGVO ersetzt wird. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 24.2.2017 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die DatenschutzGrundverordnung und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz – DSAnpUG-EU) vorgelegt34. Ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat vor allem die Neufassung des BDSG, die durch Art. 1 DSAnpUG-EU in Kraft gesetzt werden soll. Unter Berücksichtigung von Änderungen durch den Innenausschuss35 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz auf der Grundlage der 30 B. Gaul, AktuellAR 2017, 6 ff. 31 ABlEU L 119 v. 4.5.2016 S. 1 ff. 32 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 6, 382 Bauer, BVAUner, GmbHDüwell/Brink Maschmann Schantz Thüsing Wybitul/Draf 2016, 2307 ff. 33 B. Gaul, AktuellAR 2016, 33 ff. 34 BT-Drucks. 18/11325. 35 BT-Drucks. 18/12084.
22
BittKörner, NZA Wybitul/Ströbel, BB
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
reits im Herbst berichtet30. Die Praxis wird Art. 1 UN-BRK neben § 2 Abs. 1 SGB IX anwenden müssen, was deutlich erweiterte Handlungspflichten insbesondere im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB zur Folge hat. (Ga)
6.
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Datenschutzgrundverordnung
a)
Ausgangslage
Wir hatten bereits im vergangenen Jahr darüber berichtet, dass die EUDatenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verabschiedet und am 4.5.201631 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden ist32. Sie ist ab 25.5.2018 unmittelbar in den Mitgliedsstaaten geltendes Recht. Wegen der weiteren Einzelheiten sei insoweit zunächst einmal auf die Zusammenfassung verwiesen, die wir im Frühjahr des vergangenen Jahres vorgenommen hatten33. Die Praxis muss also die DSGVO neben dem nationalen Recht prüfen, wenn die Verarbeitung personenbezogener Daten in Rede steht. Damit Widersprüche zwischen der DSGVO und den aktuellen Regelungen zum Datenschutz vermieden werden, müssen bestehende Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten abgeändert bzw. aufgehoben werden. Dies gilt insbesondere für das BDSG, das in weiten Teilen durch die Regelungen der DSGVO ersetzt wird. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 24.2.2017 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die DatenschutzGrundverordnung und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz – DSAnpUG-EU) vorgelegt34. Ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat vor allem die Neufassung des BDSG, die durch Art. 1 DSAnpUG-EU in Kraft gesetzt werden soll. Unter Berücksichtigung von Änderungen durch den Innenausschuss35 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz auf der Grundlage der 30 B. Gaul, AktuellAR 2017, 6 ff. 31 ABlEU L 119 v. 4.5.2016 S. 1 ff. 32 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 6, 382 Bauer, BVAUner, GmbHDüwell/Brink Maschmann Schantz Thüsing Wybitul/Draf 2016, 2307 ff. 33 B. Gaul, AktuellAR 2016, 33 ff. 34 BT-Drucks. 18/11325. 35 BT-Drucks. 18/12084.
22
BittKörner, NZA Wybitul/Ströbel, BB
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts
Beschlussempfehlung des Innenausschusses36 inzwischen verabschiedet. Es tritt im Wesentlichen aber erst am 25.5.2018 in Kraft. Mit der Neufassung des BDSG werden allgemeine Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche und nicht öffentliche Stellen geschaffen, soweit nicht das Recht der Europäischen Union, insbesondere die DSGVO, in der jeweils geltenden Fassung unmittelbar anwendbar ist. Wichtig ist, dass dabei auch die Erwägungsgründe der DSGVO beachtet werden. Gleichzeitig wird das Datenschutzrecht des Bundes den unionsrechtlichen Vorgaben angepasst (§§ 1, 2 BDSG).
b)
Begriffsbestimmungen
In § 2 BDSG werden wesentliche Begriffsbestimmungen aus Art. 4 DSGVO übernommen. Wichtig ist, diese Begriffsbestimmungen bei künftigen Regelungen im Bereich des Datenschutzrechts zugrunde zu legen. Dies gilt insbesondere dort, wo entsprechende Regelungen im BDSG nicht enthalten oder auf andere Weise gekennzeichnet worden sind (z. B. Pseudonymisierung). Bei einem Widerspruch zwischen DSGVO und BDSG ist die DSGVO maßgeblich (§ 1 Abs. 5 BDSG).
c)
Sonderregelung zum Beschäftigtendatenschutz
Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlaubt den Mitgliedsstaaten, durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigungsdaten im Beschäftigungskontext vorzusehen37. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit wird durch § 26 BDSG Gebrauch gemacht38. Er ersetzt die heute noch in § 32 BDSG enthaltene Regelung, soll aber im Wesentlichen die dort getroffenen Regelungen nur ergänzen, nicht aber ändern. Hiervon ausgehend bestimmt § 26 Abs. 1 BDSG: (1) Personenbezogene Daten einer oder eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer 36 BT-Drucks. 18/12084. 37 Vgl. Wybitul, NZA 2017, 413 f. 38 Eingehend Wybitul, NZA 2017, 414 ff.
23
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechten und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten einer oder eines Beschäftigten nur dann verarbeitet werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.
Die vorstehenden Regelungen bewirken keine Änderung. Das ist insofern bedauerlich, als dass damit auch die Ungenauigkeiten und Fehler aus § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG in Bezug auf die verdeckte Ermittlung fortgeschrieben werden. Wir hatten an anderer Stelle darauf verwiesen, dass das BAG durchaus abweichend vom Wortlaut der heutigen Regelungen verdeckte Ermittlungen z. B. auch dann für zulässig hält, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwere Pflichtverletzung sprechen. Darüber hinaus können die Ermittlungen auch geführt werden, wenn der Verdacht gegen eine Gruppe von Beschäftigten gerichtet ist, also keine Konkretisierung auf eine einzelne Person erfolgen kann39. In Übereinstimmung mit der heutigen Rechtslage wird der Begriff des Beschäftigten dabei wie folgt definiert: (8) Beschäftigte sind: 1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (einschließlich der Leiharbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Verhältnis zum Entleiher), 2. zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte, 3. Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie an Abklärungen der beruflichen Eignung oder Arbeitserprobung (Rehabilitandinnen und Rehabilitanden), 4. in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen Beschäftigte, 5. Freiwillige, die einen Dienst nach dem Jugendfreiwilligendienstgesetz oder dem Bundesfreiwilligendienstgesetz leisten, 6. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören
39 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 167 ff.
24
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts
auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten, 7. Beamtinnen, Beamte, Richterinnen und Richter des Bundes, Soldatinnen und Soldaten sowie Zivildienstleistende.
Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist, gelten als Beschäftigte. Wie bisher werden durch die gesetzlichen Vorgaben auch solche Daten erfasst, die durch Beschäftigte verarbeitet werden, ohne dass sie in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (§ 26 Abs. 7 BDSG). Das erfasst z. B. auch unsystematische (spontane) Datenerhebungen im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs. Entgegen der heutigen Rechtslage trifft § 26 Abs. 3 BDSG indes ergänzende Regelungen zum Umgang mit besonderen Kategorien personenbezogener Daten. Hier kann die Verarbeitung zum Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitgeber gemäß §§ 26 Abs. 3 S. 3, 22 Abs. 2 BDSG verpflichtet ist, besondere Maßnahmen zum Schutz dieser Daten zu ergreifen.
d)
Datenschutz im Konzern
Bedauerlicherweise enthält § 26 BDSG auch keinen Hinweis darauf, unter welchen Voraussetzungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten innerhalb einer Konzernbeziehung Erleichterungen nutzbar gemacht werden können. Diese Erleichterungen finden sich auch nicht in Art. 88 DSGVO. Es wird aber im Erwägungsgrund 48 DSGVO klargestellt, dass Verantwortliche, die Teil einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Einrichtungen sind, die einer zentralen Stelle zugeordnet sind, eine berechtigtes Interesse haben können, personenbezogene Daten innerhalb der Unternehmensgruppe für interne Verwaltungszwecke, einschließlich der Verarbeitung personenbezogener Daten von Kunden und Beschäftigten, zu übermitteln. Dies macht, vergleichbar mit der heute in § 28 BDSG enthaltenen Regelung, deutlich, dass auf der Grundlage einer allgemeinen Interessenabwägung bereits kraft Gesetzes innerhalb des Konzerns ein Datentransfer auch außerhalb der Auftragsdatenverarbeitung möglich sein kann. Zukünftig wird man dies insbesondere bei der Auslegung und Anwendung von § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zu beachten haben. Außerhalb dieser gesetzlichen Regelung bleibt 25
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
der Rückgriff auf die Konzernbetriebsvereinbarung oder im Einzelfall die Einwilligung der betroffenen Arbeitnehmer.
e)
Betriebsvereinbarung als Rechtfertigungsgrund zur Datenverarbeitung
Wie bereits aus Erwägungsgrund 155 DSGVO folgt, können Betriebsvereinbarungen neben Tarifverträgen weiterhin die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigen40. Das stellt § 26 Abs. 4 BDSG ausdrücklich klar. Voraussetzung ist aber nicht nur, dass die in Art. 88 Abs. 2 DSGVO genannten Rahmenbedingungen beachtet werden. Danach müssen die Regelungen einer Betriebsvereinbarung angemessene und besondere Maßnahmen umfassen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz (§ 26 Abs. 4 BDSG). Unabhängig davon muss eine Betriebsvereinbarung die in Art. 5 DSGVO genannten Grundprinzipien, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Rechnung tragen. Hierzu gehört auch, dass die Betriebsvereinbarung eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur dort erlaubt, wo die (legitimen) Zwecke in der Betriebsvereinbarung selbst eindeutig festgelegt werden. Das folgt aus Art. 5 Abs. 1 lit. b) DSGVO in Verbindung mit dem Schriftformerfordernis einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Wichtig ist, dass dies jedenfalls bei dem Abschluss neuer Vereinbarungen beachtet wird. Bislang war dies in der betrieblichen Praxis häufig nicht der Fall, weil man sich eher darauf konzentriert hat, welche Daten erhoben und zu welchen Zwecken sie nicht genutzt werden dürfen.
f)
Zulässigkeit einer Einwilligung
Die Möglichkeit einer Einwilligung im Arbeitsverhältnis ergibt sich aus Erwägungsgrund 155 in Verbindung mit Art. 7 DSGVO. Wichtig ist allerdings, dass die unterschiedlichen Vorgaben aus der DSGVO und § 26 BDSG gleichermaßen beachtet werden. Dabei ist zunächst einmal zu berücksichtigen, dass die Handlungsvorgaben in Art. 7 DSGVO von den derzeit noch in § 4 a BDSG enthaltenen Regelun-
40 B. Gaul, AktuellAR 2016, 33 ff.
26
Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts
gen abweichen. Denn nach der unionsrechtlichen Vorgabe hat die einwilligende Person nicht nur das Recht, ihre Einwilligung jederzeit zu widerrufen. Hiervon war schon heute auszugehen. Der Verantwortliche ist auch verpflichtet, die betroffene Person vor Abgabe der Einwilligung hiervon in Textform in Kenntnis zu setzen (§ 26 Abs. 2 BDSG). Damit eine Erfüllung dieser Verpflichtung nachgewiesen werden kann, empfiehlt es sich, die Einwilligungserklärungen selbst unmittelbar mit einem Hinweis auf dieses Widerrufsrecht zu versehen. Dabei ist sicherzustellen, dass die Einwilligung so einfach wie die Erteilung der Einwilligung ist. Das betrifft vor allem den Adressaten und die Form der Einwilligung. Obwohl Erwägungsgrund 32 DSGVO davon spricht, dass die Einwilligung schriftlich, elektronisch oder mündlich erfolgen kann, bestimmt § 26 Abs. 2 BDSG die Schriftform, sofern nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Hiervon wird man beispielsweise bei der Nutzung des Internets im Bewerbungsverfahren ausgehen können. In diesem Fall kann – was Erwägungsgrund 32 DSGVO ausdrücklich nennt – die Einwilligung auch durch das Anklicken eines Kästchens beim Besuch einer Internetseite erteilt werden. Nach § 26 Abs. 2 BDSG müssen bei der Freiwilligkeit einer Einwilligung insbesondere die im Beschäftigungsverhältnis bestehende Abhängigkeit der beschäftigten Person sowie die Umstände beachtet werden, unter denen die Einwilligung erteilt worden ist. Freiwilligkeit kann insbesondere vorliegen, wenn für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen. Die Einwilligung bedarf nach den ergänzenden Regelungen der Schriftform, wenn nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist.
g)
Festlegung des Verwendungszwecks bei der Verarbeitung personenbezogener Daten
Die Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses kann außerhalb der Einwilligung u. a. auch durch § 24 BDSG gerechtfertigt sein. Danach kann die Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden, durch nichtöffentliche Stellen auch erfolgen, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist, sofern nicht die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegen. Das kann relevant werden auch bei Transaktionen, wenn die Erfüllung von Verpflichtungen aus §§ 106 BetrVG, 613 a Abs. 5 BetrVG in Rede stehen. 27
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
h)
Bestellung von Datenschutzbeauftragten
In Art. 37 DSGVO wird die Benennung von Datenschutzbeauftragten festgelegt. Dabei ist der Kreis der Unternehmen, für die eine solche Benennung erfolgen soll, deutlich kleiner als in der aktuellen Fassung von § 4 f BDSG vorgesehen. Da Art. 37 Abs. 4 DSGVO den Mitgliedsstaaten aber die Möglichkeit einräumt, eine Pflicht zur Bestellung von Datenschutzbeauftragten auch für einen größeren Kreis von Unternehmen festzulegen, wird die heutige Pflicht zur Bestellung von Datenschutzbeauftragten durch § 38 BDSG fortgeschrieben. Damit genügt es, wenn in einem Unternehmen mindestens 10 Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigt sind. Konsequenz ist, dass für die bestellten Datenschutzvorschriften auch die bisherigen Schutzvorschriften, insbesondere also der Sonderkündigungsschutz, fortbestehen (§§ 38 Abs. 2, 6 Abs. 4 BDSG).
i)
Fazit
Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Begründung, Durchführung und Beendigung eines Arbeitsverhältnisses hat für die Betriebspraxis essentielle Bedeutung. Wichtig ist, hier die grundlegenden und strukturellen Veränderungen durch die DSGVO im Auge zu behalten und die in den Unternehmen bereits bestehenden Regelungen zu überprüfen und ggf. anzupassen. Hierfür muss in allen Bereichen erfasst werden, welche Daten zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrundlage verarbeitet werden. Auch wenn die aktuellen Rechtfertigungsgründe auch in Zukunft anwendbar sind (Gesetz, Betriebsvereinbarung, Einwilligung), muss geprüft werden, ob die veränderten Voraussetzungen für die Wirksamkeit entsprechender Regelungen nicht erforderlich macht, diese Regelungen in Bezug auf die Erhebung, die Verarbeitung, die Nutzung und ihre spätere Löschung41 bis zum 25.5.2018 anzupassen. Andernfalls droht nicht nur die Unzulässigkeit entsprechender Datenverarbeitungsprozesse. Es drohen auch deutlich empfindlichere Strafen, wenn Verstöße durch die Aufsichtsbehörden sanktioniert werden (vgl. Art. 83 DSGVO). Eine Regelung zum TKG trifft der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Neuregelung des Datenschutzrechts bedauerlicherweise nicht. Damit bleiben
41 Eingehend Jacobi/Jantz, ArbRB 2017, 22 ff.
28
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
die aktuellen Ungewissheiten, die vor allem durch eine erlaubte Privatnutzung ausgelöst werden42, bestehen. (Ga)
7.
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
Am 22.2.2017 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) in den Bundestag eingebracht. Im Kern geht es um die Einführung einer reinen Beitragszusage („comply & forget“), Erleichterungen bei der Entgeltumwandlung, die Anpassung steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften und die Einführung einer staatlich geförderten Betriebsrente für Geringverdiener, die zum Teil aus der Lohnsteuer finanziert werden kann. Wir hatten bereits im Herbst darüber berichtet43. Darauf sei an dieser Stelle verwiesen44. Viele Änderungen sind in der Sache zu begrüßen. Im Detail gibt es aber noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, wie die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 27.3.2017 deutlich gemacht hat. Das zeigen auch Fragen, die durch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht und durch die Bundesregierung beantwortet wurden45. Ob der Zeitplan, der noch eine Abschlussberatung mit Beschlussempfehlung im Ausschuss für den 31.5.2017 und danach die Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat vorsieht, angesichts des Umfangs der klärungsbedürftigen Punkte eingehalten werden kann, ist offen. In jedem Fall wird sich die Praxis darauf einstellen müssen, dass es Änderungen des Vorschlags der Bundesregierung geben wird. Wir werden darüber berichten. (Ga)
8.
Weißbuch des BMAS zum Arbeiten 4.0
Am 29.11.2016 hat das BMAS das Weißbuch zum Arbeiten 4.0 vorgestellt. Es fasst die Ergebnisse eines Dialogs zusammen, der seit April 2015 auf der Grundlage eines Grünbuchs 4.0 zwischen Verbänden, Gewerkschaften und
42 Vgl. hierzu LAG Berlin-Brandenburg v. 14.01.2016 – 5 LAG Niedersachsen v. 31.05.2010 – 12 Sa 875/09 – NZAtuellAR 2016, 84 ff. 43 Vgl. B. Gaul/Hofelich, AktuellAR 2016, 6, 352 ff. 44 Eingehend Kiesewetter/Grom/Menzel/Tschinkl Schipp, ArbRB 2016, 380 ff. 45 BT-Drucks. 18/12044.
B. Gaul, AkRößler, DB 2017,
29
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
die aktuellen Ungewissheiten, die vor allem durch eine erlaubte Privatnutzung ausgelöst werden42, bestehen. (Ga)
7.
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
Am 22.2.2017 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) in den Bundestag eingebracht. Im Kern geht es um die Einführung einer reinen Beitragszusage („comply & forget“), Erleichterungen bei der Entgeltumwandlung, die Anpassung steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften und die Einführung einer staatlich geförderten Betriebsrente für Geringverdiener, die zum Teil aus der Lohnsteuer finanziert werden kann. Wir hatten bereits im Herbst darüber berichtet43. Darauf sei an dieser Stelle verwiesen44. Viele Änderungen sind in der Sache zu begrüßen. Im Detail gibt es aber noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, wie die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 27.3.2017 deutlich gemacht hat. Das zeigen auch Fragen, die durch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht und durch die Bundesregierung beantwortet wurden45. Ob der Zeitplan, der noch eine Abschlussberatung mit Beschlussempfehlung im Ausschuss für den 31.5.2017 und danach die Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat vorsieht, angesichts des Umfangs der klärungsbedürftigen Punkte eingehalten werden kann, ist offen. In jedem Fall wird sich die Praxis darauf einstellen müssen, dass es Änderungen des Vorschlags der Bundesregierung geben wird. Wir werden darüber berichten. (Ga)
8.
Weißbuch des BMAS zum Arbeiten 4.0
Am 29.11.2016 hat das BMAS das Weißbuch zum Arbeiten 4.0 vorgestellt. Es fasst die Ergebnisse eines Dialogs zusammen, der seit April 2015 auf der Grundlage eines Grünbuchs 4.0 zwischen Verbänden, Gewerkschaften und
42 Vgl. hierzu LAG Berlin-Brandenburg v. 14.01.2016 – 5 LAG Niedersachsen v. 31.05.2010 – 12 Sa 875/09 – NZAtuellAR 2016, 84 ff. 43 Vgl. B. Gaul/Hofelich, AktuellAR 2016, 6, 352 ff. 44 Eingehend Kiesewetter/Grom/Menzel/Tschinkl Schipp, ArbRB 2016, 380 ff. 45 BT-Drucks. 18/12044.
B. Gaul, AkRößler, DB 2017,
29
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
die aktuellen Ungewissheiten, die vor allem durch eine erlaubte Privatnutzung ausgelöst werden42, bestehen. (Ga)
7.
Gesetzentwurf zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
Am 22.2.2017 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) in den Bundestag eingebracht. Im Kern geht es um die Einführung einer reinen Beitragszusage („comply & forget“), Erleichterungen bei der Entgeltumwandlung, die Anpassung steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften und die Einführung einer staatlich geförderten Betriebsrente für Geringverdiener, die zum Teil aus der Lohnsteuer finanziert werden kann. Wir hatten bereits im Herbst darüber berichtet43. Darauf sei an dieser Stelle verwiesen44. Viele Änderungen sind in der Sache zu begrüßen. Im Detail gibt es aber noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, wie die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 27.3.2017 deutlich gemacht hat. Das zeigen auch Fragen, die durch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht und durch die Bundesregierung beantwortet wurden45. Ob der Zeitplan, der noch eine Abschlussberatung mit Beschlussempfehlung im Ausschuss für den 31.5.2017 und danach die Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat vorsieht, angesichts des Umfangs der klärungsbedürftigen Punkte eingehalten werden kann, ist offen. In jedem Fall wird sich die Praxis darauf einstellen müssen, dass es Änderungen des Vorschlags der Bundesregierung geben wird. Wir werden darüber berichten. (Ga)
8.
Weißbuch des BMAS zum Arbeiten 4.0
Am 29.11.2016 hat das BMAS das Weißbuch zum Arbeiten 4.0 vorgestellt. Es fasst die Ergebnisse eines Dialogs zusammen, der seit April 2015 auf der Grundlage eines Grünbuchs 4.0 zwischen Verbänden, Gewerkschaften und
42 Vgl. hierzu LAG Berlin-Brandenburg v. 14.01.2016 – 5 LAG Niedersachsen v. 31.05.2010 – 12 Sa 875/09 – NZAtuellAR 2016, 84 ff. 43 Vgl. B. Gaul/Hofelich, AktuellAR 2016, 6, 352 ff. 44 Eingehend Kiesewetter/Grom/Menzel/Tschinkl Schipp, ArbRB 2016, 380 ff. 45 BT-Drucks. 18/12044.
B. Gaul, AkRößler, DB 2017,
29
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Unternehmen sowie Vertretern der Wissenschaft in Bezug auf die künftigen Herausforderungen bei der Gestaltung der Arbeit zu berücksichtigen sind46. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich die Digitalisierung. Große Bedeutung besitzt allerdings auch die zunehmende Flexibilisierung, die als Folge einer Globalisierung und technischen Veränderung der Arbeitsprozesse branchenübergreifend erkennbar wird. Sie führt zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass sich die Praxis schon kurzfristig solchen Herausforderungen stellen muss. Sie muss neue Wege gehen, hergebrachte Lösungsansätze hinterfragen und neue Lösungen finden. Selbstverständlich wird nicht jede Antwort, die der Diskussionsentwurf des Weißbuchs für solche Herausforderungen bietet, überzeugen. Schließlich ist es schlussendlich auch ein politisches Manuskript, dessen Thesen Gegenstand des Bundestagswahlkampfs werden. Nichtsdestotrotz ist es begrüßenswert, dass das BMAS diese Initiative gestartet und mit dem Weißbuch Arbeiten 4.0 grundsätzliche und weiterführende Lösungsansätze für alle wesentlichen Herausforderungen der Gegenwart zusammengeführt hat. Jedem Personalverantwortlichen sei dringend empfohlen, sich mit diesen Themen unter Einbeziehung des Weißbuchs zu befassen. Im Kapitel 1 des Weißbuchs werden zunächst einmal die großen Trends und wichtigsten Treiber des derzeitigen Wandels der Arbeitswelt dargestellt. Dabei werden vor allem die Digitalisierung, die Globalisierung, der demografische Wandel, die Bildung und Migration sowie der Wandel von Werten und Ansprüchen herausgestellt. Im Kapitel 2 werden auf dieser Grundlage zentrale Spannungsfelder der Arbeitswelt 4.0 betrachtet, aus denen heraus Gestaltungsbedarfe für die Betriebe, die Beschäftigten, die Sozialpartner, Verbände, Kammern, die Politik in Bund und Ländern sowie weitere Akteure entstehen. Dabei stellt das Weißbuch sechs Fragen in den Vordergrund: 1. Wird die Digitalisierung ermöglichen, dass auch in Zukunft möglichst alle Menschen Arbeit haben? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? 2. Wie wirken sich neue Geschäftsmodelle wie „digitale Plattformen“ auf die Arbeit der Zukunft aus?
46 Nielebock Böglmüller
30
Fündling/Sorber Fröhlich Karthaus, AuR 2017, 154 ff.
Günther/ Wintermann, NZA
Weißbuch des BMAS zum Arbeiten 4.0
3. Wenn die Sammlung und Nutzung von Daten immer bedeutsamer wird, wie kann der berechtigte Anspruch der Beschäftigten auf Datenschutz sichergestellt werden? 4. Wenn in Zukunft Mensch und Maschine noch enger zusammenarbeiten, auf welche Weise können Maschinen dabei zur Unterstützung und Befähigung des Menschen im Arbeitsprozess beitragen? 5. Die Arbeitswelt der Zukunft wird flexibler werden. Aber wie können Lösungen aussehen, die zeitliche und räumliche Flexibilität auch für Beschäftigte verbessert? 6. Wie sieht das moderne Unternehmen der Zukunft aus, das vielleicht nicht mehr in allen Fällen dem Bild des klassischen Unternehmens entspricht, aber dennoch Teilhabe und soziale Sicherheit ermöglicht?
Im 3. Kapitel wird das Leitbild „Gute Arbeit im digitalen Wandel“ skizziert, auf das die Schlussfolgerungen für Gestaltungsaufgaben in Kapitel 4 aufbauen. Das Leitbild zielt auf eine sozial austarierte neue Arbeitswelt, die Sicherheit und Flexibilität gleichermaßen bietet. Darüber hinaus werden die verfasste Mitbestimmung und neue Formen individueller Teilhabe der Beschäftigten nicht als Gegensätze angesehen, sondern als komplementäre Elemente innovativer und demokratischer Unternehmen in einer innovativen und demokratischen Gesellschaft qualifiziert. Kapitel 4 identifiziert sodann konkrete Gestaltungsaufgaben und legt dar, wie Lösungen aussehen könnten. Im Kern geht es um folgende Themen: • Weiterbildung: auch wenn es aus Sicht des Weißbuchs keine massenhafte Automatisierung von Arbeitsplätzen geben wird, wird ein Wandel der Berufe und Tätigkeiten sowie eine Verschiebung zwischen den Branchen erwartet. Die Umbrüche der Arbeitswelt 4.0 erforderten es, frühzeitig in die Stärkung von Qualifikationen und die Verbesserung von Aufstiegsperspektiven zu investieren. Eine etwaige Unterstützung müsse deshalb präventiv ausgerichtet sein und dürfe nicht nur bei geringer Qualifikation, am Ende der Erwerbsbiografie oder bei unmittelbar drohendem Arbeitsplatzverlust greifen. Vielmehr empfiehlt das Weißbuch, die Arbeitslosenversicherung schrittweise zu einer Arbeitsversicherung auszubauen, um so mehr präventive Unterstützung für Beschäftigte zu ermöglichen. Ein wichtiges Element sei hierbei das Recht auf eine unabhängige Berufs- und Weiterbildungsberatung. Perspektivisch werde ein Recht auf Weiterbildung angestrebt.
31
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
• Wahlarbeitsgesetz: Digitalisierung wird zwar als ein Aspekt verstanden, der die Chance auf eine selbstbestimmtere Arbeitswelt 4.0 begründe. Dabei müssten jedoch Interessen- und Zielkonflikte austariert werden, weshalb auch ein gesetzlich verankerter Schutz vor Entgrenzung und Überforderung für grundlegend gehalten wird. Darüber hinaus würden ausgehandelte Arbeitszeitmodell und Flexibilitätskompromisse in ihrer Bedeutung zunehmen. Ausgehend davon, dass die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit den wechselseitigen Bedürfnissen derzeit nicht ausreichend Rechnung tragen, wird ein weitergehender Gestaltungsansatz in einem Wahlarbeitszeitgesetz gesehen, das mehr Wahloptionen für Beschäftigte in Bezug auf Arbeitszeit und -ort mit einer konditionierten Möglichkeit der sozialpartnerschaftlich und betrieblich vereinbarten Abweichung von bestimmten Regelungen des ArbZG kombiniere. Ein solches Gesetz solle aber zunächst auf zwei Jahre befristet und in betrieblichen Experimentierräumen erprobt werden. • Tarifbindung/Mitbestimmung: In Bezug auf den Dienstleistungsund Care-Sektor hält das Weißbuch allgemeinverbindliche Tarifverträge für geboten. Das ergänzt und konkretisiert die Empfehlung, die sozialpartnerschaftlichen und betrieblichen Aushandlungsprozesse zu stärken, um den digitalen Strukturwandel zu bewältigen. Insbesondere braucht es – so das Weißbuch – eine Stabilisierung der Tarifstrukturen in Deutschland, eine breitere Basis für die Beteiligung von Beschäftigten im Betrieb, adäquate Rechte und Ressourcen von Betriebs- und Personalräten sowie die Sicherstellung nationaler Standards zur Unternehmensmitbestimmung auch auf europäischer Ebene. Hiervon ausgehend kündigt das BMAS an, auch künftig bei Gesetzesvorhaben ein Mehr an Regelungsmöglichkeiten an das Bestehen von Tarifverträgen zu knüpfen. Darüber hinaus soll die Gründung von Betriebsräten gefördert werden. • Beschäftigtendatenschutz: Auch unter Berücksichtigung der Veränderungen durch die DSGVO soll der aktuelle Beschäftigtendatenschutz aus § 32 BDSG fortgeschrieben werden. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde, ist dies mit § 26 BDSG bereits erfolgt47. In einem zweiten Schritt sollen die Spielräume, die die DSGVO den nationalen Gesetzgebern für konkretisierende Regelungen einräume, umfassender genutzt werden. Das BMAS wird hierzu einen interdisziplinär besetzten Beirat einsetzen und in die Konzeption eines Index47 B. Gaul, AktuellAR 2017, 22 ff.
32
Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung
Beschäftigtendatenschutzes fördern, auf dessen Grundlage wissenschaftlich fundierte Qualitätsmaßstäbe entwickelt werden können. • Sozialversicherungsrechtliche Handhabe von Selbständigen: Nach dem Weißbuch sollen Selbständige grundsätzlich ebenso wie abhängig Beschäftigte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Darüber hinaus wird angestrebt, dass der Gesetzgeber die Schutzbedürftigkeit spezifischer Typen von Erwerbstätigkeiten feststellt und sie nach jeweiliger Sachlage in den Schutz des Arbeits- und Sozialrechts einbezieht. So wird es als perspektivisch sinnvoll gehalten, das Crowdworking in die bereits bestehenden Regelungen für Heimarbeitnehmer einzubeziehen.
Aktueller Handlungsbedarf besteht nicht. Wir werden darüber berichten, wenn das BMAS auf der Grundlage dieses Weißbuchs im Anschluss an die Bundestagswahl weitergehende Vorschläge zum Umgang mit den Herausforderungen durch das Arbeiten 4.0 unterbreiten sollte. (Ga)
9.
Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung
Das Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie – Umsetzungsgesetz) wurde auf der Grundlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und der Beschlussfassung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag verabschiedet48. Es ist am 19.4.2017 in Kraft getreten. Damit werden unionsrechtliche Vorgaben durch die Richtlinie 2014/95/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen umgesetzt. Von dem hier in Rede stehenden Teil sind Kapitalgesellschaften betroffen, die die Voraussetzungen des § 267 Abs. 3 S. 1 HGB (große Kapitalgesellschaft), erfüllen, die kapitalmarktorientiert i. S. d. § 264 d HGB sind und im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Die Voraussetzungen einer großen Kapitalgesellschaft i. S. d. § 267 Abs. 3 S. 1 HGB erfüllt eine Gesellschaft immer dann, wenn sie zwei der drei folgenden Merkmale überschreitet: 20 Millionen Euro Bilanzsumme, 40 Millionen Eu-
48 Vgl. BT-Drucks. 18/9982, BT-Drucks. 18/10344, BT-Drucks. 18/11450, BR-Drucks.
33
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschluss-Stichtag und im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer. Die vorstehenden Voraussetzungen werden nach den Feststellungen der Bundesregierung von etwa 550 Unternehmen in Deutschland erfüllt. Darüber hinaus sind hiervon Kreditinstitute betroffen, die in entsprechender Anwendung des § 267 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 bis 5 HGB als groß gelten und im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen (§§ 289 b, 340 a Abs. 1 a HGB). Nach § 289 c Abs. 1 HGB ist in der nichtfinanziellen Erklärung, um die der Lagebericht zu erweitern ist, nicht nur das Geschäftsmodell der Kapitalgesellschaft kurz zu beschreiben. Die nichtfinanzielle Erklärung bezieht sich gemäß § 289 c HGB darüber hinaus zumindest auf folgende Aspekte: Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Zu den Arbeitnehmerbelangen gehören Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Geschlechtergleichstellung ergriffen wurden, die Arbeitsbedingungen, die Umsetzung der grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, die Achtung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, informiert und konsultiert zu werden, der soziale Dialog, die Achtung der Rechte der Gewerkschaften, der Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz. Im Rahmen der nichtfinanziellen Erklärung sind jeweils diejenigen Angaben zu machen, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die vorstehend genannten Aspekte erforderlich sind, einschließlich einer Beschreibung der von der Kapitalgesellschaft verfolgten Konzepte, der wesentlichen Risiken, die mit der eigenen Geschäftstätigkeit der Kapitalgesellschaft verknüpft sind und die sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die vorstehend genannten Aspekte haben oder haben werden, sowie die Handhabung dieser Risiken durch die Kapitalgesellschaft. Darüber hinaus sind auch solche (wesentlichen) Risiken zu erfassen, die mit den Geschäftsbeziehungen der Kapitalgesellschaften, ihren Produkten und Dienstleistungen verknüpft sind und sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die vorstehend genannten Aspekte haben oder haben werden sowie die Handhabung dieser Risiken durch die Kapitalgesellschaft. Damit werden insbesondere Maßnahmen erfasst, durch die die Kapitalgesellschaft im Rahmen der Zulieferkette Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung verfolgt. 34
Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung
Die vorstehenden Verpflichtungen betreffen den Lage- bzw. Konzernlagebericht für das nach dem 31.12.2016 beginnende Geschäftsjahr. Insofern ist es wichtig, bereits heute die entsprechenden Instrumente einzuführen. Andernfalls besteht nicht nur keine Möglichkeit, solche Maßnahmen und ihre Wirkung zu beschreiben. Vielmehr ist auch die fehlende Einrichtung entsprechender Maßnahmen im Lagebericht zu erfassen. Entsprechend dem Grundsatz „comlay or explain“ ist die Kapitalgesellschaft nach § 289 c Abs. 4 HGB verpflichtet, in der nichtfinanziellen Erklärung klar und begründet zu erläutern, wenn sie kein Konzept verfolgt, dass eine Umsetzung der vorstehend genannten Aspekte dient. Selbstverständlich können unternehmensspezifische Strukturen und Maßnahmen entwickelt werden, um geeignete Mechanismen zur Gewährleistung der Aspekte in Kraft zu setzen, die von der nichtfinanziellen Berichterstattung erfasst werden. Gemäß § 289 d HGB kann die Gesellschaft für die Erstellung der nichtfinanziellen Erklärung und die Schaffung der zugrundeliegenden Strukturen aber auch nationale, europäische oder internationale Rahmenwerke nutzen. Hierzu gehören beispielsweise die Sozialstandards der ILO, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die ISO 26.000, der Deutsche Nachhaltigkeitsindex, die UN-Leitprinzipien oder der UN-Global-Compact. In der Erklärung ist sodann anzugeben, ob die Kapitalgesellschaft für die Erstellung der nichtfinanziellen Erklärung ein Rahmenwerk genutzt hat und, wenn dies der Fall ist, welches Rahmenwerk genutzt wurde, sowie andernfalls, warum kein Rahmenwerk genutzt wurde. Über die nichtfinanzielle Berichterstattung gemäß § 289 c HGB hinausgehend werden Aktiengesellschaften, die nach § 267 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 bis 5 HGB als große Kapitalgesellschaften zu qualifizieren sind, durch § 289 e Abs. 2 Nr. 6 HGB zur Einführung eines Diversitätskonzepts verpflichtet. Es soll die Zusammensetzung des vertretungsberechtigten Organs und des Aufsichtsrats in Bezug auf Aspekte wie beispielsweise Alter, Geschlecht, Bildungs- oder Berufshintergrund betreffen und muss in Bezug auf seinen Inhalt, seine Ziele, die Art und Weise seiner Umsetzung und die im Geschäftsjahr erreichten Ergebnisse im Zusammenhang mit der nichtfinanziellen Erklärung beschrieben werden. Weitergehende Verpflichtungen, die sich aus den gesetzlichen Regelungen zur Frauen- und Geschlechterquote ergeben, bleiben hiervon unberührt. Wichtig ist, dass sich die betriebliche Praxis frühzeitig auf diese veränderten Anforderungen einstellt. Es genügt nicht, erst im Zusammenhang mit dem Lagebericht für das laufende Geschäftsjahr über entsprechende Maßnahmen 35
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nachzudenken. Vielmehr müssen diese bereits im Jahre 2017 ausgearbeitet und eingeführt werden49. Dies kann auch zu Beteiligungsrechten der Betriebsräte, insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, führen. (Ga)
10. Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Auf der Grundlage des im Innenausschuss nicht veränderten Vorschlags der Bundesregierung haben Bundestag und Bundesrat im März 2017 das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration verabschiedet50. Das Gesetz tritt am 1.8.201751 in Kraft. Mit dem Gesetz werden folgende Richtlinien umgesetzt: • Richtlinie 2014/36/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Beschäftigung als Saisonarbeitnehmer (Saisonarbeitnehmer-Richtlinie), • Richtlinie 2014/66/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ICT-Richtlinie) und • Richtlinie 2016/801/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem freiwilligen Dienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-Pair-Tätigkeit (RESTRichtlinie).
Zur Umsetzung der vorstehend genannten EU-Richtlinien wird das Aufenthaltsgesetz angepasst. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, die geänderten Vorgaben bereits in Vorbereitung entsprechender Einsatzformen für die Zeit ab 1.8.2017 zu berücksichtigen. Insbesondere der unternehmensinterne Transfer von Arbeitnehmern erfährt dabei Erleichterungen. Außerdem werden neue Regelungen in Bezug auf einen Wechsel des Aufenthaltszwecks von einem Studium in eine qualifizierte Berufsausbildung und eine betriebliche Ausbildung eingesetzt. (Ga)
49 Lanfermann, BB 2017, 747, 750. 50 BT-Drucks. 18/11136, BT-Drucks. 18/11441, BR-Drucks. 18/17. 51 BGBl. I 2017, 1106 ff.
36
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nachzudenken. Vielmehr müssen diese bereits im Jahre 2017 ausgearbeitet und eingeführt werden49. Dies kann auch zu Beteiligungsrechten der Betriebsräte, insbesondere aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, führen. (Ga)
10. Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Auf der Grundlage des im Innenausschuss nicht veränderten Vorschlags der Bundesregierung haben Bundestag und Bundesrat im März 2017 das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration verabschiedet50. Das Gesetz tritt am 1.8.201751 in Kraft. Mit dem Gesetz werden folgende Richtlinien umgesetzt: • Richtlinie 2014/36/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Beschäftigung als Saisonarbeitnehmer (Saisonarbeitnehmer-Richtlinie), • Richtlinie 2014/66/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ICT-Richtlinie) und • Richtlinie 2016/801/EU über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem freiwilligen Dienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-Pair-Tätigkeit (RESTRichtlinie).
Zur Umsetzung der vorstehend genannten EU-Richtlinien wird das Aufenthaltsgesetz angepasst. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, die geänderten Vorgaben bereits in Vorbereitung entsprechender Einsatzformen für die Zeit ab 1.8.2017 zu berücksichtigen. Insbesondere der unternehmensinterne Transfer von Arbeitnehmern erfährt dabei Erleichterungen. Außerdem werden neue Regelungen in Bezug auf einen Wechsel des Aufenthaltszwecks von einem Studium in eine qualifizierte Berufsausbildung und eine betriebliche Ausbildung eingesetzt. (Ga)
49 Lanfermann, BB 2017, 747, 750. 50 BT-Drucks. 18/11136, BT-Drucks. 18/11441, BR-Drucks. 18/17. 51 BGBl. I 2017, 1106 ff.
36
DGB-Positionen zur Stärkung der Tarifbindung
11.
DGB-Positionen zur Stärkung der Tarifbindung
Am 28.2.2017 hat der DGB Positionen zur Stärkung der Tarifbindung vorgelegt, die sich auch und insbesondere an den Gesetzgeber richten. Es steht zu erwarten, dass vor allem die SPD Teile dieser Positionen in ihr Wahlprogramm für die kommende Legislaturperiode übernehmen wird. Aus Sicht des DGB müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen mit dem Ziel einer Stärkung der Tarifbindung in Deutschland verändert werden. Im Wesentlichen geht es dem DGB dabei um folgende Punkte: • Mindestschutz durch Tarifverträge garantieren – Abweichungen nur bei Äquivalenzregelung Gesetzliche Öffnungsklauseln, die den Tarifvertragsparteien erlauben, abweichende Regelungen auch zum Nachteil von Arbeitnehmern zu treffen, sollen beseitigt werden. Offenkundig geht der DGB davon aus, dass nicht alle Tarifverträge, in denen solche Abweichungen vereinbart werden, einen ausreichenden Mindeststandard setzen. • Einschränkungen von OT-Mitgliedschaften Der DGB will die Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften deutlich einschränken, ohne sie auszuschließen. Das gilt insbesondere in Bezug auf Blitzwechsel von Arbeitgebern in eine OT-Mitgliedschaft, die teilweise im Vorfeld eines Tarifabschlusses erfolgen. Dabei soll eine gesetzliche Offenlegungspflicht der Arbeitgeber in Bezug auf eine Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband mit oder ohne Tarifbindung geschaffen werden. • Kollektive Fortgeltung des Tarifvertrags bei Abspaltung Der DGB will die Fortgeltung einer Tarifbindung im Zusammenhang mit Betriebsübergängen oder „Ketten-Betriebsübergängen“ gewährleisten. Dabei sollen umwandlungsrechtliche Übertragungsvorgänge ebenso wie ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613 a BGB erfasst werden. Dass entsprechende Feststellungen im Widerspruch zum Unionsrecht stehen, wie der EuGH jetzt noch einmal deutlich gemacht hat52, bleibt dabei unberücksichtigt. • Kollektive Weitergeltung bei Nachbindung und Nachwirkung besser sicherstellen
52 B. Gaul, AktuellAR 2017, 231 ff.
37
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Künftig soll die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags im Anschluss an den Wegfall der Tarifbindung solange fortbestehen, bis die jeweils in Rede stehende Regelung selbst abgeändert wird. Bislang geht die Rechtsprechung davon aus, dass diese durch § 3 Abs. 1, 3, 4 Abs. 1 TVG begründete Rechtsfolge endet, wenn der Tarifvertrag – gleich an welcher Stelle – geändert wird. Die daraus folgende Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG, die abweichende Vereinbarungen zulässt, soll nach dem Willen des DGB erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Darüber hinaus soll gesetzlich bestimmt werden, dass nachwirkende Tarifverträge auch bei Neueinstellungen verbindliche Wirkung besitzen. Wie dies mit der negativen Koalitionsfreiheit vereinbar sein soll, lässt das Positionspapier nicht erkennen. • Verbandsklagerecht Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden soll das Recht eingeräumt werden, eine Verbandsklage gegen Arbeitgeber zu erheben, die trotz einer Verbandsmitgliedschaft einen Tarifvertrag systematisch in einigen Punkten nicht oder anders anwenden. • Die Reform der Allgemeinverbindlicherklärung zu Ende führen Über die zuletzt in Kraft getretenen Änderungen in Bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen hinausgehend sollen weitere Erleichterungen geschaffen werden. Ziel des DGB ist es, eine Allgemeinverbindlicherklärung ggf. auch gegen den Willen der Arbeitgeberseite im Tarifausschuss durchsetzen zu können. Darüber hinaus soll ein öffentliches Interesse an der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags auch dann gegeben sein, wenn sie für Ziele geeignet ist, wie die Stabilisierung der Funktion der Tarifautonomie und des Tarifvertragssystems, der Erreichung angemessener Entgeltund Arbeitsbedingungen oder als Mittel zur Sicherung sozialer Standards und zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen. Auch der Erlass einer Rechtsverordnung für einen Branchenmindestlohn nach dem AEntG soll in der Praxis – entgegen dem gesetzlichen Wortlaut – nicht an der Quote der mitgliedschaftlichen Bindung anknüpfen. Weitere Erleichterungen in Bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung sollen gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien betreffen. • Stärkung und Erhalt der Tariftreueregelungen/Tariftreuegesetze Nach dem Willen des DGB soll weiter das Ziel einer Verbindung der Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung tariflicher Entgeltsät-
38
DGB-Positionen zur Stärkung der Tarifbindung
ze der einschlägigen Tarifverträge verfolgt werden. Weitere Einzelheiten, insbesondere eine Verknüpfung dieser Vorgaben mit den unionsrechtlichen Schranken wird im Positionspapier nicht genannt. • Verbessertes Zutrittsrecht von Gewerkschaften Gemäß § 2 Abs. 2 BetrVG ist den Beauftragten der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters zur Wahrnehmung der im BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen. Weitergehende Zutrittsrechte können unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG gestützt werden53. Aus Sicht des DGB genügt dies nicht. Er fordert eine weitergehende Verbesserung der Zugangsrechte von Gewerkschaften zur Mitgliedergewinnung. Darüber hinaus seien – so der DGB – moderne Formen der elektronischen Ansprache durch Gewerkschaften – etwa im Intranet – durch ein elektronisches „Schwarzes Brett“ erforderlich. • Gewerkschaftsmitgliedschaft stärken durch Begünstigung Nach der Rechtsprechung des BAG können Tarifverträge durch sogenannte Differenzierungsklauseln Gewerkschaftsmitglieder begünstigen. Wir haben darauf bereits bei früherer Gelegenheit hingewiesen54. Der DGB fordert, dass diese Befugnis auch gesetzlich anerkannt wird. Angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die negative Koalitionsfreiheit, die auch Grundlage der Kritik an der vorstehend genannten Rechtsprechung ist, erscheint das Regelungsziel des DGB nachvollziehbar. Soweit der DGB darüberhinausgehend allerdings auch tarifvertragliche Spannenklauseln erlaubt sehen will, die einer Gleichstellung nicht organisierter Arbeitnehmer mit Gewerkschaftsmitgliedern entgegenstehen, dürfte dies allerdings bereits mit Blick Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG unwirksam sein. Denn das Grundgesetz verbietet Maßnahmen, die das Recht des Arbeitgebers einschränken, nicht organisierten Arbeitnehmern die gleichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, wie sie durch Tarifvertrag für Gewerkschaftsmitglieder bestimmt werden. • Mehr Betriebsräte – bessere Rechte für Personalräte
53 Vgl. HWK/B.Gaul, BetrVG § 2 Rz. 11 ff. 54 B. Gaul
39
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Losgelöst von der tarifvertraglichen Gestaltungsmöglichkeit soll der Gesetzgeber die Betriebsratswahl erleichtern und Kandidaten, die in betriebsratslosen Betrieben entsprechende Wahlen einleiten, stärker schützen. Konkrete Vorschläge werden damit allerdings nicht verknüpft. Vergleichbar mit § 3 BetrVG sollen zukünftig aber Strukturtarifverträge auch im Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts erlaubt werden. • Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen erleichtern Durch den Verzicht auf das in § 12 a TVG enthaltene Erfordernis einer „überwiegenden“ Tätigkeit für einen Auftraggeber soll es möglich werden, den Geltungsbereich von Tarifverträgen für arbeitnehmerähnliche Personen zu erweitern. • Sanktion der Nichtauslage von Tarifverträgen Nach § 8 TVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie rechtskräftige Beschlüsse nach § 99 ArbGG über den nach § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb bekannt zu machen. Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich dabei allerdings nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Weil Arbeitnehmer durch die fehlende Auslegung eines Tarifvertrags an der Geltendmachung von Ansprüchen gehindert werden können, verlangt der DGB, dass die Nichtauslage der für den Betrieb oder die Verwaltung maßgebenden Tarifverträge durch den Arbeitgeber sanktionsbewehrt ist. Eine solche Sanktion könne darin liegen, dass Ausschlussfristen nicht zu laufen beginnen oder Schadensersatzansprüche für den entgangenen Anspruch durchgesetzt werden können. Vergleichbare Überlegungen hatte das BAG bereits für den Fall einer Nichtbeachtung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erteilung eines schriftlichen Nachweises über die wesentlichen Arbeitsbedingungen angenommen. • Sozialrechtliche Änderungen/bessere Kontrollen Der DGB verlangt, dass die Einhaltung gesetzlicher und tarifvertraglicher Schutzvorschriften durch Aufsichts- und Kontrollbehörden verstärkt wird. Dies soll Lohndumping vermeiden und die Achtung von Tarifverträgen stärken. Unklar bleibt dabei aber, ob die Tarifverträge – auch außerhalb einer Allgemeinverbindlicherklärung – als „Untermaß“ für die Vereinbarung von Arbeitsbedingungen gelten sollen.
40
Gesetzliche Vorschläge zur Begrenzung der „Managergehälter“
• Keine Gleichstellung von anderen Vereinbarungen mit Tarifverträgen Der DGB verlangt, dass die Rechtsqualität von Tarifverträgen nicht mit der von arbeitsvertraglichen Richtlinien für kirchliche Unternehmen oder sonstige Ergebnisse einer Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Öffentlichen Dienst verglichen oder gar gleichgestellt wird. Auf diese Weise sollen Privilegien, die mit der kollektiven Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge verbunden werden, den sonstigen Regelungsformen außerhalb des Tarifvertrags verwehrt bleiben. Ziel dieser Forderung sind vor allem die Kirchen, die im Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern eigene Gestaltungswege außerhalb der Tarifverträge gehen wollen.
Unmittelbare Rechtswirkung haben die vorstehenden Forderungen nicht. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob und inwieweit sich im Rahmen einer Koalition nach der Bundestagswahl Berücksichtigung finden. (Ga)
12. Gesetzliche Vorschläge zur Begrenzung der „Managergehälter“ Die Fraktion DIE LINKE55 und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN56 haben zum Ende der Legislaturperiode noch einmal Anträge in den Bundestag eingebracht, mit der die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, gesetzliche Vorschriften zu einer Begrenzung der sogenannten „Managergehälter“ bzw. zum Steuerabzug für diese Gehälter zu schaffen. Sie sind im Bundestag abgelehnt worden bzw. dürften bis zum Ablauf der Legislaturperiode keine Mehrheit mehr finden. Im Kern geht es der Fraktion DIE LINKE darum, die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds der Höhe nach zu begrenzen. Dabei sollen die Gesamtbezüge nicht mehr als das zwanzigfache eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der untersten Lohn- und Gehaltsgruppe betragen dürfen. Ergänzende Regelungen sollen zur Begrenzung etwaiger Abfindungen gefunden werden. Nach Auffassung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll zunächst einmal die steuerliche Abzugsfähigkeit von Gehältern, Abfindungen und Versorgungszusagen begrenzt werden. Darüber hinaus soll durch Gesetz gewährleistet werden, dass sich die Gehälter stärker am langfristigen Erfolg des 55 BT-Drucks. 18/9838 und BT-Drucks. 18/11201 sowie BT-Drucks. 18/11168. 56 BT-Drucks. 18/11176.
41
Gesetzliche Vorschläge zur Begrenzung der „Managergehälter“
• Keine Gleichstellung von anderen Vereinbarungen mit Tarifverträgen Der DGB verlangt, dass die Rechtsqualität von Tarifverträgen nicht mit der von arbeitsvertraglichen Richtlinien für kirchliche Unternehmen oder sonstige Ergebnisse einer Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Öffentlichen Dienst verglichen oder gar gleichgestellt wird. Auf diese Weise sollen Privilegien, die mit der kollektiven Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge verbunden werden, den sonstigen Regelungsformen außerhalb des Tarifvertrags verwehrt bleiben. Ziel dieser Forderung sind vor allem die Kirchen, die im Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern eigene Gestaltungswege außerhalb der Tarifverträge gehen wollen.
Unmittelbare Rechtswirkung haben die vorstehenden Forderungen nicht. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob und inwieweit sich im Rahmen einer Koalition nach der Bundestagswahl Berücksichtigung finden. (Ga)
12. Gesetzliche Vorschläge zur Begrenzung der „Managergehälter“ Die Fraktion DIE LINKE55 und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN56 haben zum Ende der Legislaturperiode noch einmal Anträge in den Bundestag eingebracht, mit der die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, gesetzliche Vorschriften zu einer Begrenzung der sogenannten „Managergehälter“ bzw. zum Steuerabzug für diese Gehälter zu schaffen. Sie sind im Bundestag abgelehnt worden bzw. dürften bis zum Ablauf der Legislaturperiode keine Mehrheit mehr finden. Im Kern geht es der Fraktion DIE LINKE darum, die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds der Höhe nach zu begrenzen. Dabei sollen die Gesamtbezüge nicht mehr als das zwanzigfache eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der untersten Lohn- und Gehaltsgruppe betragen dürfen. Ergänzende Regelungen sollen zur Begrenzung etwaiger Abfindungen gefunden werden. Nach Auffassung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll zunächst einmal die steuerliche Abzugsfähigkeit von Gehältern, Abfindungen und Versorgungszusagen begrenzt werden. Darüber hinaus soll durch Gesetz gewährleistet werden, dass sich die Gehälter stärker am langfristigen Erfolg des 55 BT-Drucks. 18/9838 und BT-Drucks. 18/11201 sowie BT-Drucks. 18/11168. 56 BT-Drucks. 18/11176.
41
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Unternehmens orientieren. Hierfür werden differenzierte Vorgaben gesetzt, ohne allerdings zu berücksichtigen, dass sowohl im Aktiengesetz als auch im DCGK bereits detaillierte Leitlinien genannt werden, die der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft bei der Festsetzung der Vergütungsbestandteile eines Vorstandsmitglieds zu beachten hat. Es bleibt abzuwarten, wie diese Vorschläge im Zusammenhang mit Koalitionsverhandlungen im Anschluss an die Bundestagswahl wieder aufgegriffen werden. Wir werden darüber berichten. (Ga)
13. Begrenzung der Anfechtung von Arbeitsentgeltansprüchen bei Insolvenz des Arbeitgebers Auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.2.201757 hat der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz58 verabschiedet. Das Gesetz ist am 5.4.2017 in Kraft getreten59. Wir hatten bereits im vergangen Jahr über den Gesetzentwurf berichtet60. Änderungen in der insoweit für die Anfechtung von Arbeitsentgeltansprüchen über eine Insolvenz des Arbeitgebers maßgeblichen Regelungen in § 142 InsO sind nicht mehr erfolgt. Damit ist eine Anfechtung der Zahlungen des Insolvenzschuldners an Arbeitnehmer zur Erfüllung individual- oder kollektivrechtlicher Arbeitsentgeltansprüche ausgeschlossen, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. Der Gewährung des Arbeitsentgelts durch den Insolvenzschuldner steht die Gewährung dieses Arbeitsentgelts durch einen Dritten nach § 267 BGB gleich, wenn für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat. Wenn und soweit entsprechende Vergütungsansprüche durch tatsächliche Arbeitsleistung erworben wurde, ist damit eine Rückzahlung auch im Insolvenzfall ausgeschlossen. Nach wie vor dürfte eine Insolvenzanfechtung allerdings dann zulässig sein, wenn diese Arbeitsentgeltzahlungen ohne eine tatsächliche Arbeitsleistung – also während einer Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung – erfolgt sind. Hier fehlt die nach § 142 Abs. 2 InsO für die Anerkennung des Privilegs erforderliche Gegenleistung. (Ga) 57 58 59 60
42
BT-Drucks. 18/11199. BT-Drucks. 18/7054. BGBl I 2017, 654 f. B. Gaul, AktuellAR 2016, 27 ff., 343 ff.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Unternehmens orientieren. Hierfür werden differenzierte Vorgaben gesetzt, ohne allerdings zu berücksichtigen, dass sowohl im Aktiengesetz als auch im DCGK bereits detaillierte Leitlinien genannt werden, die der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft bei der Festsetzung der Vergütungsbestandteile eines Vorstandsmitglieds zu beachten hat. Es bleibt abzuwarten, wie diese Vorschläge im Zusammenhang mit Koalitionsverhandlungen im Anschluss an die Bundestagswahl wieder aufgegriffen werden. Wir werden darüber berichten. (Ga)
13. Begrenzung der Anfechtung von Arbeitsentgeltansprüchen bei Insolvenz des Arbeitgebers Auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15.2.201757 hat der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz58 verabschiedet. Das Gesetz ist am 5.4.2017 in Kraft getreten59. Wir hatten bereits im vergangen Jahr über den Gesetzentwurf berichtet60. Änderungen in der insoweit für die Anfechtung von Arbeitsentgeltansprüchen über eine Insolvenz des Arbeitgebers maßgeblichen Regelungen in § 142 InsO sind nicht mehr erfolgt. Damit ist eine Anfechtung der Zahlungen des Insolvenzschuldners an Arbeitnehmer zur Erfüllung individual- oder kollektivrechtlicher Arbeitsentgeltansprüche ausgeschlossen, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. Der Gewährung des Arbeitsentgelts durch den Insolvenzschuldner steht die Gewährung dieses Arbeitsentgelts durch einen Dritten nach § 267 BGB gleich, wenn für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat. Wenn und soweit entsprechende Vergütungsansprüche durch tatsächliche Arbeitsleistung erworben wurde, ist damit eine Rückzahlung auch im Insolvenzfall ausgeschlossen. Nach wie vor dürfte eine Insolvenzanfechtung allerdings dann zulässig sein, wenn diese Arbeitsentgeltzahlungen ohne eine tatsächliche Arbeitsleistung – also während einer Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung – erfolgt sind. Hier fehlt die nach § 142 Abs. 2 InsO für die Anerkennung des Privilegs erforderliche Gegenleistung. (Ga) 57 58 59 60
42
BT-Drucks. 18/11199. BT-Drucks. 18/7054. BGBl I 2017, 654 f. B. Gaul, AktuellAR 2016, 27 ff., 343 ff.
Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit
14. Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in Kraft Am 10.3.2017 ist das Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in Kraft getreten61. Wir hatten über das Gesetzgebungsverfahren berichtet62. Wesentlich ist vor allem die Änderung von § 21 Abs. 1 SchwarzArbG. Die dort bislang nur in Bezug auf Bauaufträge getroffenen Regelungen zu einem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sind jetzt auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge erweitert worden. Die Neuregelung erlaubt den Ausschluss von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrag der in §§ 99, 100 GWB genannten Auftraggeber bis zu einer Dauer von drei Jahren, wenn solche Bewerber oder deren nach Satzung oder Gesetz Vertretungsberechtigte nach §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 bis 11 SchwarzArbG, § 404 Abs. 1 oder 2 Nr. 3 SGB III, §§ 15, 15 a, 16 Abs. 1 Nr. 1, 1 c, 1 d, 1 f oder 2 AÜG oder § 266 a Abs. 1 bis 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt oder mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500,- € belegt worden sind. Dies gilt auch schon vor Durchführung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, wenn im Einzelfall angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung nach Maßgabe der vorstehenden Vorschriften gegeben ist. Die hierfür erforderlichen Auskünfte können vor Auftragserteilung eingeholt werden. Für die in solchen Bewerbungsverfahren befindlichen Unternehmen hat die Erweiterung dieser Sanktionsregelung erhebliche Bedeutung. Denn auch bei einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung ist es nicht ausgeschlossen, dass eine der vorstehend genannten Vorschriften – insbesondere im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung – verletzt werden und eine Geldbuße von 2.500,- € verhängt wird. Umso wichtiger ist es, die hierfür erforderlichen Strukturen unternehmensintern zu schaffen und fortlaufend die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. (Ga)
15. Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt Im Januar dieses Jahres hatte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag den Antrag eingebracht, die Bundesregierung aufzufordern, eine Anti-Stress61 BGBl. I 2017, 399 ff. 62 B. Gaul, AktuellAR 2016, 358 ff.
43
Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit
14. Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in Kraft Am 10.3.2017 ist das Gesetz zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung in Kraft getreten61. Wir hatten über das Gesetzgebungsverfahren berichtet62. Wesentlich ist vor allem die Änderung von § 21 Abs. 1 SchwarzArbG. Die dort bislang nur in Bezug auf Bauaufträge getroffenen Regelungen zu einem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sind jetzt auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge erweitert worden. Die Neuregelung erlaubt den Ausschluss von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrag der in §§ 99, 100 GWB genannten Auftraggeber bis zu einer Dauer von drei Jahren, wenn solche Bewerber oder deren nach Satzung oder Gesetz Vertretungsberechtigte nach §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 bis 11 SchwarzArbG, § 404 Abs. 1 oder 2 Nr. 3 SGB III, §§ 15, 15 a, 16 Abs. 1 Nr. 1, 1 c, 1 d, 1 f oder 2 AÜG oder § 266 a Abs. 1 bis 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen verurteilt oder mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500,- € belegt worden sind. Dies gilt auch schon vor Durchführung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, wenn im Einzelfall angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung nach Maßgabe der vorstehenden Vorschriften gegeben ist. Die hierfür erforderlichen Auskünfte können vor Auftragserteilung eingeholt werden. Für die in solchen Bewerbungsverfahren befindlichen Unternehmen hat die Erweiterung dieser Sanktionsregelung erhebliche Bedeutung. Denn auch bei einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung ist es nicht ausgeschlossen, dass eine der vorstehend genannten Vorschriften – insbesondere im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung – verletzt werden und eine Geldbuße von 2.500,- € verhängt wird. Umso wichtiger ist es, die hierfür erforderlichen Strukturen unternehmensintern zu schaffen und fortlaufend die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. (Ga)
15. Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt Im Januar dieses Jahres hatte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag den Antrag eingebracht, die Bundesregierung aufzufordern, eine Anti-Stress61 BGBl. I 2017, 399 ff. 62 B. Gaul, AktuellAR 2016, 358 ff.
43
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Verordnung zu erlassen, die den betrieblichen Akteurinnen und Akteuren garantiere im Dialog mit den Beschäftigten die Ursachen für psychische Belastungen zu benennen und gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Als mögliche Gefährdungsfaktoren müsse die Anti-Stress-Verordnung mindestens die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, die Arbeitsorganisation, die sozialen Einflussfaktoren, die Bedingungen des Arbeitsplatzes und die Arbeitsumgebung sowie die Arbeitszeit berücksichtigen. Für all diese Bereiche seien geeignete Beurteilungskriterien als Vorgaben für Gefährdungsbeurteilungen zu entwickeln63. Auf der Grundlage einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 17.2.201764 hat dieser Antrag im Bundestag keine Mehrheit gefunden. Trotz dieser Ablehnung bleibt die psychische Belastung an Arbeitnehmern selbstverständlich ein Kriterium, das im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach §§ 5 ArbSchG, 9 MuSchG (i. d. F. ab. 1.1.2018)65 zu beachten ist. Auch die Gefährdungsbeurteilung nach § 3 BetrSichV verpflichtet den Arbeitgeber, die psychische Belastung der Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu berücksichtigen. Es erscheint richtig, auf eine weitere gesetzliche Vorgabe zur Konkretisierung dieser abstrakt-generellen Leitlinie für die Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung zu verzichten. Damit wäre keine inhaltliche Verbesserung verbunden. Vielmehr würde der formale Aufwand erhöht und die Gefahr gesetzt, dass unternehmens- bzw. betriebsspezifische Gefahren nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Ungeachtet dessen kann der betrieblichen Praxis empfohlen werden, als eine Anregung für ihre Arbeit die Anti-StressVerordnung der IG Metall heranzuziehen. Sie enthält zwar vielfach Vorgaben, die durchaus als überzogen gekennzeichnet werden können. Dennoch gehören die darin enthaltenen Regelungsvorschläge und ihre Begründung in das Repertoire einer sorgfältigen und ausgewogenen Vorbereitung entsprechender Vereinbarungen, die im Rahmen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG vielfach durch Betriebsvereinbarung getroffen werden. (Ga)
63 BT-Drucks. 18/10892. 64 BT-Drucks. 18/11221. 65 B. Gaul, AktuellAR 2017, 14, 16 ff.
44
B. 1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Auswirkungen des Brexits für das Arbeits- und Sozialrecht
Gemäß Art. 50 AEUV kann jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. Nachdem Großbritannien diesen Beschluss getroffen hat, ist er dem Europäischen Rat im März diesen Jahres mitgeteilt worden. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rats verhandelt die Union mit Großbritannien über ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts, dass auch einen Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Europäischen Union setzen soll. Das Abkommen wird nach Art. 218 Abs. 3 AEUV ausgehandelt und bedarf einer Zustimmung des Europäischen Parlaments, die mit qualifizierter Mehrheit erfolgen muss (Art. 50 Abs. 1, 2 AEUV). Ergänzend hierzu bestimmt Art. 50 Abs. 3 AEUV, dass die Verträge der Europäischen Union auf Großbritannien ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder – falls die Verhandlungen scheitern – zwei Jahre nach Eingang der Mitteilung über den Beschluss des Austritts (März 2019) keine Anwendung mehr finden, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat, diese Frist zu verlängern. Ein solcher Verlängerungsbeschluss muss allerdings einstimmig getroffen werden, sodass bereits die fehlende Zustimmung eines Mitgliedstaats im Europäischen Rat zu einem bedingungslosen Austritt nach Ablauf der zweijährigen Verhandlungsdauer führt. Derzeit sind die konkreten Auswirkungen insbesondere im Bereich des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts natürlich noch nicht absehbar. Ganz wesentliche Veränderungen dürften sich für die in Großbritannien tätigen Arbeitnehmer ergeben, ausgehend davon, dass Einschränkungen in Bezug auf die Flexibilität der Gestaltung individueller und kollektiver Arbeitsbedingungen nach einem Brexit gelockert oder sogar aufgehoben werden sollen. Für Unternehmen, die grenzüberschreitend Arbeitnehmer zum Einsatz bringen, dürften sich diese Änderungen zunächst einmal nur mittelbar auswirken, weil sie den konkreten Einsatz vor Ort betreffen. Ungeachtet dessen dürfte es geboten sein, sich vorbereitend mit Veränderungen insbesondere in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, das sozialversicherungsrechtliche Statut bei grenzüberschreitender Tätigkeit, den Arbeitnehmerdatenschutz und die Auswirkungen auf grenzüberschreitende 45
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Gremien zu befassen. Hierzu gehören neben dem europäischen Betriebsrat auch die Beteiligungsformen im Rahmen der europäischen Aktiengesellschaft und der europäischen Genossenschaft. Wir hatten uns im Herbst vergangenen Jahres damit befasst51 Hilfreich bei der Vorbereitung solcher Überlegungen ist ein Papier, dass das Europäische Parlament unter der Überschrift „Brexit Implications for Employment and Social affairs: facts and figures“ führt. Dieses im Januar 2017 erstellte Papier enthält umfangreiche Informationen zum grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatz und hilft, denkbare Auswirkungen auch für das eigene Unternehmen zu identifizieren. Eine abschließende Entscheidung über notwendige Maßnahmen kann natürlich erst im weiteren Verlauf der Verhandlungen getroffen werden. (Ga),
2.
Vorschlag einer Änderung der Entsenderichtlinie
Bereits am 8.3.2016 hatte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgelegt2. Wir hatten an anderer Stelle bereits darüber berichtet3. Mit dem Vorschlag sind Klarstellungen bei einer Entsendungsdauer von mehr als 24 Monaten, Erweiterungen und Klarstellungen in Bezug auf die vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfassten Mindestarbeitsbedingungen, die Gewährleistung von Mindestarbeitsbedingungen bei Untervergabeketten und eine Einbeziehung von grenzüberschreitend eingesetzten Leiharbeitnehmern verbunden. Nach wie vor ist ein Abschluss dieses Rechtssetzungsverfahrens nicht erkennbar. Nachdem 14 Mitgliedstaaten, vornehmlich aus Osteuropa, geltend gemacht hatten, dass entsprechende Regelungen mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar seien, ist eine Lösung auf europäischer Ebene bislang nicht gefunden worden. Damit bestehen die aktuellen Unsicherheiten in Bezug auf eine Anwendbarkeit der Entsenderichtlinie bei grenzüberschreitend eingesetzten Arbeitnehmern fort, wenn die vorstehend genannten Einsatzformen in Rede stehen und – anders als in Deutschland – keine übergreifenden Regelungen zu ihrer Einbeziehung auf nationaler Ebene geschaffen wurden. Nutznießer sind solche Länder, aus denen heraus Arbeitnehmer auf der Grundlage von Arbeitsbedingungen unterhalb der Mindestarbeitsbedin1 2 3
46
B. Gaul, AktuellAR 2016, 373 ff. COM(2016)128 final. B. Gaul, AktuellAR 2016, 52 ff., 395 ff.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Gremien zu befassen. Hierzu gehören neben dem europäischen Betriebsrat auch die Beteiligungsformen im Rahmen der europäischen Aktiengesellschaft und der europäischen Genossenschaft. Wir hatten uns im Herbst vergangenen Jahres damit befasst51 Hilfreich bei der Vorbereitung solcher Überlegungen ist ein Papier, dass das Europäische Parlament unter der Überschrift „Brexit Implications for Employment and Social affairs: facts and figures“ führt. Dieses im Januar 2017 erstellte Papier enthält umfangreiche Informationen zum grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatz und hilft, denkbare Auswirkungen auch für das eigene Unternehmen zu identifizieren. Eine abschließende Entscheidung über notwendige Maßnahmen kann natürlich erst im weiteren Verlauf der Verhandlungen getroffen werden. (Ga),
2.
Vorschlag einer Änderung der Entsenderichtlinie
Bereits am 8.3.2016 hatte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgelegt2. Wir hatten an anderer Stelle bereits darüber berichtet3. Mit dem Vorschlag sind Klarstellungen bei einer Entsendungsdauer von mehr als 24 Monaten, Erweiterungen und Klarstellungen in Bezug auf die vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfassten Mindestarbeitsbedingungen, die Gewährleistung von Mindestarbeitsbedingungen bei Untervergabeketten und eine Einbeziehung von grenzüberschreitend eingesetzten Leiharbeitnehmern verbunden. Nach wie vor ist ein Abschluss dieses Rechtssetzungsverfahrens nicht erkennbar. Nachdem 14 Mitgliedstaaten, vornehmlich aus Osteuropa, geltend gemacht hatten, dass entsprechende Regelungen mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar seien, ist eine Lösung auf europäischer Ebene bislang nicht gefunden worden. Damit bestehen die aktuellen Unsicherheiten in Bezug auf eine Anwendbarkeit der Entsenderichtlinie bei grenzüberschreitend eingesetzten Arbeitnehmern fort, wenn die vorstehend genannten Einsatzformen in Rede stehen und – anders als in Deutschland – keine übergreifenden Regelungen zu ihrer Einbeziehung auf nationaler Ebene geschaffen wurden. Nutznießer sind solche Länder, aus denen heraus Arbeitnehmer auf der Grundlage von Arbeitsbedingungen unterhalb der Mindestarbeitsbedin1 2 3
46
B. Gaul, AktuellAR 2016, 373 ff. COM(2016)128 final. B. Gaul, AktuellAR 2016, 52 ff., 395 ff.
Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung
gungen, deren Durchsetzung durch die Entsenderichtlinie gewährleistet werden soll, grenzüberschreitend zum Einsatz kommen. Wenn dieses „Sozialdumping“ verhindert werden soll, kann dies – solange die Entsenderichtlinie nicht überarbeitet wird – nur auf nationaler Ebene erfolgen, wie dies in Deutschland durch das AEntG erfolgt ist. Die dortigen Regelungen gelten ohne Rücksicht auf das Herkunftsland und die Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers, so dass darin auch keine unzulässige Diskriminierung oder unzulässige Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu sehen ist. Schließlich müssen Arbeitnehmer, die aus Deutschland heraus in Deutschland in vergleichbarer Form eingesetzt werden, ebenfalls entsprechend diesen Mindestarbeitsbedingungen behandelt werden. Entgegen der zum Teil vertretenen Auffassung4 erscheint es richtig, hier auch eine Einbeziehung osteuropäischer Länder vorzusehen, die derzeit noch von der zulässigen Ungleichbehandlung profitieren. Die deutsche Wirtschaft sollte die darin liegende Anpassungspflicht für den Fall eines grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatzes verkraften können. (Ga)
3.
Vorschlag einer Richtlinie zur Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung
Bereits am 7.6.2016 hat die Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung eine umfassende Qualifikation voraussetzenden Beschäftigung vorgelegt5. Mit ihr sollen die aktuellen Regelungen zur Blauen Karte EU, die auf der Grundlage der Richtlinie 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung geschaffen wurden, geändert werden. Nach Auffassung der Kommission ist diese Richtlinie aufgrund ihrer „immanenten Mängel“ (z. B. restriktive Zulassungsbedingungen und sehr begrenzte Erleichterung der Mobilität innerhalb der EU) an ihre Grenzen gestoßen. Außerdem wendeten die EU-Mitgliedstaaten viele unterschiedliche Regeln, Bedingungen und Verfahren für die Zulassung derselben Kategorie beruflich qualifizierter Fachkräfte an, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Attraktivität der Blauen Karte EU geführt hätten. Insbesondere mit Blick auf den Fachkräftemangel in Europa sei es deshalb er-
4 5
Vgl. Positionspapier der Bayerischen Wirtschaft (vbw) „Entsenderichtlinie – Europäischen Arbeitsmarkt erhalten“ (Stand: April 2017). COM(2016) 378 final.
47
Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung
gungen, deren Durchsetzung durch die Entsenderichtlinie gewährleistet werden soll, grenzüberschreitend zum Einsatz kommen. Wenn dieses „Sozialdumping“ verhindert werden soll, kann dies – solange die Entsenderichtlinie nicht überarbeitet wird – nur auf nationaler Ebene erfolgen, wie dies in Deutschland durch das AEntG erfolgt ist. Die dortigen Regelungen gelten ohne Rücksicht auf das Herkunftsland und die Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers, so dass darin auch keine unzulässige Diskriminierung oder unzulässige Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu sehen ist. Schließlich müssen Arbeitnehmer, die aus Deutschland heraus in Deutschland in vergleichbarer Form eingesetzt werden, ebenfalls entsprechend diesen Mindestarbeitsbedingungen behandelt werden. Entgegen der zum Teil vertretenen Auffassung4 erscheint es richtig, hier auch eine Einbeziehung osteuropäischer Länder vorzusehen, die derzeit noch von der zulässigen Ungleichbehandlung profitieren. Die deutsche Wirtschaft sollte die darin liegende Anpassungspflicht für den Fall eines grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatzes verkraften können. (Ga)
3.
Vorschlag einer Richtlinie zur Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung
Bereits am 7.6.2016 hat die Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung eine umfassende Qualifikation voraussetzenden Beschäftigung vorgelegt5. Mit ihr sollen die aktuellen Regelungen zur Blauen Karte EU, die auf der Grundlage der Richtlinie 2009/50/EG über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung geschaffen wurden, geändert werden. Nach Auffassung der Kommission ist diese Richtlinie aufgrund ihrer „immanenten Mängel“ (z. B. restriktive Zulassungsbedingungen und sehr begrenzte Erleichterung der Mobilität innerhalb der EU) an ihre Grenzen gestoßen. Außerdem wendeten die EU-Mitgliedstaaten viele unterschiedliche Regeln, Bedingungen und Verfahren für die Zulassung derselben Kategorie beruflich qualifizierter Fachkräfte an, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Attraktivität der Blauen Karte EU geführt hätten. Insbesondere mit Blick auf den Fachkräftemangel in Europa sei es deshalb er-
4 5
Vgl. Positionspapier der Bayerischen Wirtschaft (vbw) „Entsenderichtlinie – Europäischen Arbeitsmarkt erhalten“ (Stand: April 2017). COM(2016) 378 final.
47
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
forderlich, die Wirkungen der Karte erheblich auszuweiten und mehr beruflich qualifizierte Fachkräfte in die EU zu holen6. Gerade mit Blick auf die aktuelle politische Diskussion handelt es sich bei einer Ausweitung von Regelungen zur Einreise und Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen natürlich um ein sensibles Thema. Der Vorschlag der Europäischen Kommission ist gleichwohl uneingeschränkt zu begrüßen. Er hilft, den Fachkräftemangel in Europa zu bekämpfen. Gleichzeitig setzt er eine Grundlage zur gesteuerten Migration, die die zum Teil generalisierende Inanspruchnahme von Regelungen zum Asyl jedenfalls bei solchen Personen entbehrlich macht, die mit einer entsprechenden Qualifikation ausgestattet sind und deren Einreise wirtschaftlichen Hintergrund hat. Ihrem Geltungsbereich nach soll die Richtlinie für die Einreise und die anschließende Ausübung einer Beschäftigung durch Drittstaatsangehörige und ihrer Familienangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten regeln. Drittstaatsangehöriger ist dabei jede Person, die nicht Unionsbürger i. S. von Art. 20 Abs. 1 AEUV ist. Familienangehörige in diesem Zusammenhang sind die Ehegatten des Drittstaatsangehörigen sowie die minderjährigen Kinder des Drittstaatsangehörigen und seines Ehegatten einschließlich der adoptierten Kinder, wenn die weitergehenden Voraussetzungen in Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2003/86/EG erfüllt sind. Als Voraussetzungen für einen Antrag auf die Blaue Karte EU verlangt Art. 5, dass ein Drittstaatsangehöriger • einen gültigen Arbeitsvertrag oder, nach Maßgabe des einzelstaatlichen Rechts, ein verbindliches Arbeitsplatzangebot für eine umfassende Qualifikationen voraussetzende Beschäftigung für mindestens sechs Monate (bisher: zwölf Monate) in dem betreffenden Mitgliedstaat vorlegt; • im Fall reglementierter Berufe den dokumentarischen Nachweis erbringt, dass er die nach einzelstaatlichem Recht für Unionsbürger geltenden Voraussetzungen für die Ausübung des reglementierten Berufs, der Gegenstand des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsplatzangebotes ist, erfüllt, • im Falle nicht reglementierter Berufe Nachweise für seinen höheren beruflichen Bildungsabschluss vorlegt, die – das ist neu – aus einem Hochschulabschlusszeugnis oder einem Nachweis für höhere berufliche Fertigkeiten (Berufserfahrung) bestehen können,
6
48
COM(2016) 378 final S. 2.
Ausübung einer umfassende Qualifikationen voraussetzenden Beschäftigung
• ein nach einzelstaatlichem Recht gültiges Reisedokument sowie erforderlichenfalls einen Visumantrag oder ein gültiges Visum oder ggf. einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein gültiges Visum für den längerfristigen Aufenthalt vorlegt und • nachweist, dass er für die Zeiten, in denen er keinen Versicherungsschutz und keinen Anspruch auf die mit einem Arbeitsvertrag einhergehenden Leistungen hat, eine Krankenversicherung abgeschlossen oder – sofern nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen – beantragt hat, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise in dem betreffenden Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind.
Darüber hinaus enthält der Richtlinienvorschlag umfangreiche Vorgaben zur Höhe des Bruttojahresgehalts der Personen mit einer Blauen Karte EU. Grundsätzlich darf es nicht geringer sein, als das zu diesem Zweck von den Mitgliedstaaten festgelegte oder veröffentlichte Mindestgehalt. Gleichzeitig darf dieses Mindestgehalt durch die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Erteilung einer Blauen Karte EU nicht auf mehr als das 1,4-fache des durchschnittlichen Bruttojahresgehalts in dem betreffenden Mitgliedstaat erhöht werden. Gleichzeitig soll insbesondere in solchen Berufen, in denen ein besonderer Bedarf für Drittstaatsangehörige besteht, ein geringeres Mindestgehalt zugelassen werden. Neben den bereits in der Richtlinie 2009/50/EG enthaltenen Regelungen zur Erteilung der Blauen Karte EU sowie deren Entzug einschließlich der Einführung erleichterter Verfahren für anerkannte Arbeitgeber soll mit Art. 19 des Vorschlags eine Erleichterung für die Ausübung einer geschäftlichen Tätigkeit in einem zweiten Mitgliedstaat geschaffen werden. Ausgangspunkt dabei ist die Annahme, dass unter den vorstehend bereits genannten Voraussetzungen bereits in einem ersten Mitgliedstaat die Genehmigung zur Einreise und Tätigkeit im Rahmen einer qualifizierten Tätigkeit erteilt wird. Auf dieser Grundlage soll der Drittstaatsangehörige einschließlich seiner Familienangehörigen für eine begrenzte Zeit eine entsprechende Tätigkeit auch in einem anderen (zweiten) Mitgliedstaat ausüben können, ohne dass dafür erneute Genehmigungserfordernisse, Quoten oder Qualifikationsprüfungen bestimmt werden. Es bleibt abzuwarten, mit welchem Inhalt dieser Vorschlag einer Richtlinie für Drittstaatsangehörige zur Ausübung eine umfassende Qualifikation voraussetzenden Beschäftigung das europäische Gesetzgebungsverfahren überstehen wird. Es kann als gesichert unterstellt werden, dass insbesondere im Europäischen Parlament Veränderungen erfolgen werden. Das zeigen 49
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
bereits die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, die am 26.1.2017 vorgelegt wurden7. (Ga)
4.
Revision der Nachweisrichtlinie
Arbeit 4.0 verändert die Formen der Beschäftigung von Arbeitnehmern, bewirkt eine zunehmende Mobilität und den eigen- und fremdgesteuerten Gebrauch digitaler Kommunikationsmittel. Darauf muss auch das Arbeitsrecht reagieren, wenn es darum geht, die für das Arbeitsverhältnis geltenden Rechte und Pflichten festzulegen8. Ausgehend davon, dass mit der Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen gewährleisten soll, dass der Arbeitnehmer einen schriftlichen Nachweis über diese Rechte und Pflichten erhält, ist es nur folgerichtig, dass die Europäische Kommission ein Verfahren zur Überarbeitung der bereits am 14.10.1991 verabschiedeten Nachweisrichtlinie eingeleitet hat9 Im Rahmen einer Konsultation der Sozialpartner gemäß Art. 154 AEUV sollen zunächst einmal Vorschläge und Hinweise eingeholt werden, damit auf dieser Grundlage ein konkreter Vorschlag erarbeitet werden kann. Im Kern geht es dabei zunächst einmal um eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, um alle Arbeitnehmer zu erfassen. Derzeit bestehen Zweifel insbesondere bei mobilen Arbeitnehmern sowie digitalen Arbeitsformen. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob der Kreis der Arbeitsbedingungen, die derzeit in der Nachweisrichtlinie genannt werden, noch ausreichend sind. Unabhängig davon wird sich die Europäische Kommission mit der Frage befassen, ob die derzeit vorhandenen Regelungen zur Durchsetzung der aus der Nachweisrichtlinie folgenden Ansprüche ausreichend sind. In diesem Zusammenhang soll auch überprüft werden, ob die in der Richtlinie derzeit noch enthaltene Frist von zwei Monaten für die Zuleitung eines schriftlichen Nachweises über die für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen nicht verkürzt werden kann. Eine solche Verkürzung ist in §§ 2, 3 NachwG bereits auf einen Monat erfolgt.
7 8 9
50
2016/0176(COD). Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2016, 29 ff., C(2017)
29 ff.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
bereits die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, die am 26.1.2017 vorgelegt wurden7. (Ga)
4.
Revision der Nachweisrichtlinie
Arbeit 4.0 verändert die Formen der Beschäftigung von Arbeitnehmern, bewirkt eine zunehmende Mobilität und den eigen- und fremdgesteuerten Gebrauch digitaler Kommunikationsmittel. Darauf muss auch das Arbeitsrecht reagieren, wenn es darum geht, die für das Arbeitsverhältnis geltenden Rechte und Pflichten festzulegen8. Ausgehend davon, dass mit der Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen gewährleisten soll, dass der Arbeitnehmer einen schriftlichen Nachweis über diese Rechte und Pflichten erhält, ist es nur folgerichtig, dass die Europäische Kommission ein Verfahren zur Überarbeitung der bereits am 14.10.1991 verabschiedeten Nachweisrichtlinie eingeleitet hat9 Im Rahmen einer Konsultation der Sozialpartner gemäß Art. 154 AEUV sollen zunächst einmal Vorschläge und Hinweise eingeholt werden, damit auf dieser Grundlage ein konkreter Vorschlag erarbeitet werden kann. Im Kern geht es dabei zunächst einmal um eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, um alle Arbeitnehmer zu erfassen. Derzeit bestehen Zweifel insbesondere bei mobilen Arbeitnehmern sowie digitalen Arbeitsformen. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob der Kreis der Arbeitsbedingungen, die derzeit in der Nachweisrichtlinie genannt werden, noch ausreichend sind. Unabhängig davon wird sich die Europäische Kommission mit der Frage befassen, ob die derzeit vorhandenen Regelungen zur Durchsetzung der aus der Nachweisrichtlinie folgenden Ansprüche ausreichend sind. In diesem Zusammenhang soll auch überprüft werden, ob die in der Richtlinie derzeit noch enthaltene Frist von zwei Monaten für die Zuleitung eines schriftlichen Nachweises über die für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen nicht verkürzt werden kann. Eine solche Verkürzung ist in §§ 2, 3 NachwG bereits auf einen Monat erfolgt.
7 8 9
50
2016/0176(COD). Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2016, 29 ff., C(2017)
29 ff.
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Aktueller Handlungsbedarf ergibt sich aus diesen Überlegungen zu einer Überarbeitung der Nachweisrichtlinie nicht. Wie werden über den weiteren Fortgang berichten. (Ga)
5.
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Am 26.4.2017 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU vorgelegt. Mit der letztgenannten Richtlinie war die von Businesseurope, UEAPME, CEEP und EGB geschlossene Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub als Richtlinie in Kraft gesetzt worden. Mit der neuen Initiative soll ein besserer Zugang zu Regelungen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen (z. B. Freistellungen, flexible Arbeitszeitregelungen) gewährleistet werden. Darüber hinaus soll die Inanspruchnahme von Urlaub aus familiären Gründen und von flexiblen Arbeitsregelungen durch Männer verstärkt werden10.
a)
Hintergrund der Initiative
Zur Begründung der Initiative verweist die Europäische Kommission in einer ergänzenden Mitteilung darauf, dass die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und damit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit erheblich niedriger ist als bei Männern, obwohl sie in der gesamten Europäischen Union immer besser qualifiziert seien und tendenziell einen höheren Bildungsstand als Männer erreichten. So habe die durchschnittliche Beschäftigungsquote bei Frauen in der Altersgruppe der zwanzig- bis Vierundsechzigjährigen im Jahre 2015 in der EU 64,3 % gegenüber 75,9 % bei Männern betragen. Berücksichtige man, ob eine Vollzeitbeschäftigung vorliege, steige dieser Abstand im Schnitt auf 18,1 Prozentpunkte, da bei Frauen die Teilzeitbeschäftigung stärker ausgeprägt sei. Diese Unterschiede bei der Beschäftigungsquote seien zum großen Teil durch die ungleiche Verteilung von Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern bedingt11. Darüber hinaus verändere die Digitalisierung der Wirtschaft die Art und Weise, wie Menschen arbeiteten und ihren Geschäften nachgingen. Sie lasse mehr Telearbeit, mehr Autonomie und flexiblere Arbeitszeiten zu, die einer 10
SWD(2017) 203 final S.
-Drucks.
351/17. 11 COM(2017) 252 final S. 3 f.
51
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Aktueller Handlungsbedarf ergibt sich aus diesen Überlegungen zu einer Überarbeitung der Nachweisrichtlinie nicht. Wie werden über den weiteren Fortgang berichten. (Ga)
5.
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Am 26.4.2017 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU vorgelegt. Mit der letztgenannten Richtlinie war die von Businesseurope, UEAPME, CEEP und EGB geschlossene Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub als Richtlinie in Kraft gesetzt worden. Mit der neuen Initiative soll ein besserer Zugang zu Regelungen, die eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen (z. B. Freistellungen, flexible Arbeitszeitregelungen) gewährleistet werden. Darüber hinaus soll die Inanspruchnahme von Urlaub aus familiären Gründen und von flexiblen Arbeitsregelungen durch Männer verstärkt werden10.
a)
Hintergrund der Initiative
Zur Begründung der Initiative verweist die Europäische Kommission in einer ergänzenden Mitteilung darauf, dass die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und damit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit erheblich niedriger ist als bei Männern, obwohl sie in der gesamten Europäischen Union immer besser qualifiziert seien und tendenziell einen höheren Bildungsstand als Männer erreichten. So habe die durchschnittliche Beschäftigungsquote bei Frauen in der Altersgruppe der zwanzig- bis Vierundsechzigjährigen im Jahre 2015 in der EU 64,3 % gegenüber 75,9 % bei Männern betragen. Berücksichtige man, ob eine Vollzeitbeschäftigung vorliege, steige dieser Abstand im Schnitt auf 18,1 Prozentpunkte, da bei Frauen die Teilzeitbeschäftigung stärker ausgeprägt sei. Diese Unterschiede bei der Beschäftigungsquote seien zum großen Teil durch die ungleiche Verteilung von Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern bedingt11. Darüber hinaus verändere die Digitalisierung der Wirtschaft die Art und Weise, wie Menschen arbeiteten und ihren Geschäften nachgingen. Sie lasse mehr Telearbeit, mehr Autonomie und flexiblere Arbeitszeiten zu, die einer 10
SWD(2017) 203 final S.
-Drucks.
351/17. 11 COM(2017) 252 final S. 3 f.
51
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
besseren Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtungen zugutekämen. Allerdings könne dies zugleich auch zu einer Zunahme von prekärer Teilzeitarbeit und Gelegenheitsarbeit führen und die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischen. Alles in allem verstärkten ein niedriger Verdienst, eine höhere Teilzeitdichte und eine Karrierelücke aufgrund von Pflegeaufgaben die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Frauen von ihrem Partner oder vom Staat und trügen wesentlich zum geschlechtsspezifischen Verdienstgefälle (durchschnittlich 16 % in der EU) und zum Rentengefälle zwischen Frauen und Männern (durchschnittlich 40 % in der EU) bei. Dies mache Frauen anfälliger für Armut und soziale Ausgrenzung, deren negative Folgen auch ihre Kinder und Familien in Mitleidenschaft zögen. Vor diesem Hintergrund wird ein Bedarf an besser gestalteten Strategien für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gesehen, die eine ausgewogenere Verteilung der Pflegeaufgaben innerhalb von Paaren förderten und Hindernisse für die Erwerbsbeteiligung von Frauen und ihre berufliche Entwicklung beseitigten12.
b)
Einführung von Vaterschaftsurlaub
Mit Art. 7 der Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Väter anlässlich der Geburt eines Kindes Anspruch auf mindestens zehn bezahlte Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben. Dabei soll es sich um eine angemessene Vergütung handeln, die mindestens die Höhe des Krankengeldes erreicht. Wenn insoweit an § 47 SGB IV angeknüpft würde, nachdem das Krankengeld 70 % des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt) beträgt, läge darin eine Abweichung von der in § 2 BEEG vorgesehenen Höhe des Elterngeldes. Danach wird Elterngeld in Höhe von 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt, wobei der Betrag auf 1.800,- € monatlich begrenzt ist.
c)
Änderungen beim Elternurlaub
Art. 5 des Entwurfs sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen individuellen Anspruch auf mindestens vier Monate Elternurlaub haben sollen, der zu nehmen ist, bevor das Kind ein bestimmtes Alter – min-
12 COM(2017) 252 final S. 5 f.
52
Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
destens zwölf Jahre – erreicht. Dieser Mindestelternurlaub in Höhe von vier Monaten soll auf das andere Elternteil nicht übertragbar sein. In dieser Regelung liegen unterschiedliche Veränderungen. Zunächst einmal wird der Elternurlaub auf die Zeit ausgedehnt, in der das Kind ein Alter von zwölf Jahren erreicht (bislang: acht Jahre). Darüber hinaus wird auch hier hinsichtlich der Bezahlung eine Mindestausstattung vorgeschrieben, die dem Krankengeld entspricht (Art. 8 des Vorschlags). Entgegen der derzeit in § 15 BEEG vorgesehenen Regelung soll den Mitgliedstaaten durch Art. 5 indes gestattet werden, selbst festzulegen, unter welchen Umständen ein Arbeitgeber – nach Konsultation gemäß dem nationalen Recht, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten – die Gewährung des Elternurlaubs in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen aufschieben darf, weil dieser Urlaub eine gravierende Störung der Betriebsabläufe bewirken würde. Allerdings sieht der Vorschlag vor, dass der Arbeitgeber jede Aufschiebung des Elternurlaubs schriftlich begründen muss. Um auch während der Inanspruchnahme von Elternurlaub eine flexible Teilhabe am Arbeitsleben möglich zu machen, sollen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Elternurlaub auch auf Teilzeitbasis, geblockt und Erwerbszeiten unterbrochen oder in anderer flexibler Form beantragen können. Anzunehmen ist, dass dies den bereits heute schon in § 15 BEEG enthaltenen Regelungen entspricht.
d)
Urlaub für pflegende Angehörige
Nach Art. 6 des Vorschlags sollen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht haben, mindestens fünf bezahlte Arbeitstage pro Jahr und pro Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer Pflegeurlaub zu nehmen. Auch insoweit wird auf das Krankengeld abgestellt. Die Mitgliedstaaten werden allerdings berechtigt, den Anspruch von einem geeigneten Nachweis des Gesundheitszustands des betreffenden Angehörigen abhängig zu machen. Anzunehmen ist, dass mit den im PflegeZG sowie im FPfZG enthaltenen Regelungen zur Arbeitsfreistellung zum Zwecke der Pflege von Angehörigen die Frage der Arbeitsfreistellung bereits ausreichend gewährleistet wird. Allerdings ist der jetzt im Richtlinienvorschlag enthaltene Anspruch auf Vergütung gemäß den Regelungen zum Krankengeld weitergehend, als dies derzeit in den vorstehend genannten Vorschriften enthalten ist.
53
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
e)
Förderung der Arbeitszeitflexibilisierung
Nach Art. 9 des Vorschlags sollen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Kindern bis zu einem bestimmten Alter, mindestens jedoch bis zum Alter von zwölf Jahren sowie pflegende Angehörige das Recht haben, flexible Arbeitsregelungen für Betreuungs- und Pflegezwecke zu beantragen. Für solche flexiblen Arbeitsregelungen kann dann eine vernünftige zeitliche Begrenzung geschaffen werden. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Bedürfnisse sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, etwaige Anträge auf flexible Arbeitsregelungen zu prüfen und zu beantworten. Eine etwaige Ablehnung ist zu begründen. Wenn eine solche Regelung zur Arbeitsflexibilisierung begrenzt wird, soll die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer das Recht haben, am Ende der vereinbarten Zeitspanne zum ursprünglichen Arbeitsmuster zurückzukehren. Dies soll auch dann gelten, wenn eine Änderung der Umstände dies rechtfertigt. Die Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, solche Anträge unter Berücksichtigung der Bedürfnisse sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer zu prüfen und zu beantworten. Damit ist ein Anspruch auf eine solche Rückkehr nur einzelfallbezogen zu entscheiden.
f)
Kündigungsschutz, Besitzstand und Rückkehr
Art. 12 des Vorschlags sieht zunächst einmal ein Verbot der Kündigung und – dies entspricht der mutterschutzrechtlichen Regelung13 – aller Vorbereitungen für eine Kündigung aufgrund der Beantragung oder der in Inanspruchnahme eines Vaterschaftsurlaubs, von Elternurlaub oder von Urlaub für pflegende Angehörige vor. Das gleiche Verbot gilt für den Fall der Inanspruchnahme des Rechts, flexible Arbeitsregelungen zu beantragen. Ansprüche, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Beginn eines solchen Urlaubs bereits erworben haben oder im Begriff sind zu erwerben, sollen nach Art. 10 des Vorschlags bis zum Ende eines solchen Urlaubs aufrecht erhalten bleiben. Dies könnte beispielsweise nicht nur zur Folge haben, dass ein bereits entstandener Anspruch auf Erholungsurlaub durch Vaterschafts- oder Elternurlaub oder den Urlaub zur Pflege von Angehörigen nicht verfallen kann. Vielmehr könnte dies auch einer Zwölftelung des Urlaubs, wie sie derzeit noch in § 17 BEEG vorgesehen ist, entgegenstehen.
13 B. Gaul, AktuellAR 2017, 14, 19 f.
54
Auslegung und Anwendung der Arbeitszeit-Richtlinie
Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Ablauf eines solchen Urlaubs Anspruch darauf haben, an ihren früheren oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen zurückzukehren, die für sie nicht weniger günstiger sind, und in den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kommen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten. Dies könnte nicht nur zur Folge haben, dass Tariflohnerhöhungen weitergegeben werden müssen. Hiervon ist bereits heute auszugehen. Vielmehr könnte die Gleichstellung mit Arbeitnehmern, die während eines solchen Urlaubs gearbeitet haben, auch verbieten, Vergütungsbestandteile an tatsächlicher Beschäftigung anzuknüpfen. Dies ist aber bei einer Berücksichtigung von Beschäftigungsjahren bei der Bemessung von Beschäftigungsjahressprüngen der Fall.
g)
Fazit
Der Vorschlag der Europäische Kommission enthält tatsächlich Maßnahmen, die zur Folge haben könnten, dass Väter – was zu begrüßen wäre – stärker in die Übernahme familiärer Verpflichtungen eingebunden werden können. Dies dürfte die allgemeine Bereitschaft erhöhen, an Maßnahmen mitzuwirken, solche Ausfallzeiten im Arbeitsleben so zu kompensieren, dass Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten erhalten bleiben. Das unterstützt dann wiederum Frauen, die aus Mangel an entsprechend ausreichenden Fördermaßnahmen nach wie vor deutlich schwieriger höherwertigere Positionen und damit auch eine bessere Vergütung erhalten. (Ga)
6.
Auslegung und Anwendung der ArbeitszeitRichtlinie
Seit vielen Jahren wird über die Frage diskutiert, ob und ggf. in welchem Umfang die Richtlinie 2003/88/EC über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in den Mitgliedstaaten den veränderten Anforderungen der heutigen Arbeitswelt angepasst werden kann. Dies gilt insbesondere für die Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Wochentage, die Berücksichtigung moderner Kommunikationsmöglichkeiten und die flexible Einbindung etwaiger Urlaubsansprüche. Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass eine Mehrheit für die insoweit erforderliche Anpassung der Arbeitszeit-Richtlinie nicht gefunden wird.
55
Auslegung und Anwendung der Arbeitszeit-Richtlinie
Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Ablauf eines solchen Urlaubs Anspruch darauf haben, an ihren früheren oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen zurückzukehren, die für sie nicht weniger günstiger sind, und in den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kommen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten. Dies könnte nicht nur zur Folge haben, dass Tariflohnerhöhungen weitergegeben werden müssen. Hiervon ist bereits heute auszugehen. Vielmehr könnte die Gleichstellung mit Arbeitnehmern, die während eines solchen Urlaubs gearbeitet haben, auch verbieten, Vergütungsbestandteile an tatsächlicher Beschäftigung anzuknüpfen. Dies ist aber bei einer Berücksichtigung von Beschäftigungsjahren bei der Bemessung von Beschäftigungsjahressprüngen der Fall.
g)
Fazit
Der Vorschlag der Europäische Kommission enthält tatsächlich Maßnahmen, die zur Folge haben könnten, dass Väter – was zu begrüßen wäre – stärker in die Übernahme familiärer Verpflichtungen eingebunden werden können. Dies dürfte die allgemeine Bereitschaft erhöhen, an Maßnahmen mitzuwirken, solche Ausfallzeiten im Arbeitsleben so zu kompensieren, dass Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten erhalten bleiben. Das unterstützt dann wiederum Frauen, die aus Mangel an entsprechend ausreichenden Fördermaßnahmen nach wie vor deutlich schwieriger höherwertigere Positionen und damit auch eine bessere Vergütung erhalten. (Ga)
6.
Auslegung und Anwendung der ArbeitszeitRichtlinie
Seit vielen Jahren wird über die Frage diskutiert, ob und ggf. in welchem Umfang die Richtlinie 2003/88/EC über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in den Mitgliedstaaten den veränderten Anforderungen der heutigen Arbeitswelt angepasst werden kann. Dies gilt insbesondere für die Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Wochentage, die Berücksichtigung moderner Kommunikationsmöglichkeiten und die flexible Einbindung etwaiger Urlaubsansprüche. Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass eine Mehrheit für die insoweit erforderliche Anpassung der Arbeitszeit-Richtlinie nicht gefunden wird.
55
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommission am 26.4.2017 zunächst einmal Leitlinien für die Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie veröffentlicht hat14. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH werden nahezu alle wesentlichen Fragen, die sich bei der Auslegung und Anwendung der Arbeitszeit-Richtlinie ergeben, aufgezeigt. Daraus können für die betriebliche Praxis wichtige Handlungsleitlinien gezogen werden. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission am 26.4.2017 einen Bericht über die Durchführung der Richtlinie 2003/88/EG in den Mitgliedsstaaten vorgelegt15. Daraus kann abgeleitet werden, in welcher Form der durch die Richtlinie nur vorgegebene Rahmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten zur Umsetzung gebracht wurde. Dabei wird noch einmal deutlich, dass trotz einheitlicher Richtlinie in den Mitgliedsstaaten ein unterschiedliches Verständnis in Bezug auf die Notwendigkeit einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung besteht. Personalverantwortliche, die Arbeitnehmer in verschiedenen Mitgliedstaaten einsetzen, können daraus eine erste Einschätzung über denkbare Gestaltungsmöglichkeiten ziehen. (Ga)
7.
Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte
Am 26.4.2017 hat die Europäische Kommission auf der Grundlage einer vorangehenden Konsultation eine Reihe von Dokumenten zur Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt16. Dabei ist derzeit noch offen, ob die Säule sozialer Rechte als Empfehlung der Kommission oder als eine gemeinsame Proklamation des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission eingeführt werden soll. Darüber kann schlussendlich auch erst im Anschluss an die notwendige Konsultation der beteiligten Organe entschieden werden. Mit der Säule der sozialen Rechte werden zwanzig zentrale Grundsätze und Rechte zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Sozialsysteme festgelegt. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass die in der EU sowie im internationalen rechtlichen Besitzstand bereits bestehenden Rechte nur bestätigt und zur Berücksichtigung neuer Realitäten ergänzt werden. Sie sollen dadurch sichtbarer, verständlicher und eindeutiger für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Akteure aller Ebenen werden.
14 C(2017) 2601 final. 15 16
56
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommission am 26.4.2017 zunächst einmal Leitlinien für die Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie veröffentlicht hat14. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH werden nahezu alle wesentlichen Fragen, die sich bei der Auslegung und Anwendung der Arbeitszeit-Richtlinie ergeben, aufgezeigt. Daraus können für die betriebliche Praxis wichtige Handlungsleitlinien gezogen werden. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission am 26.4.2017 einen Bericht über die Durchführung der Richtlinie 2003/88/EG in den Mitgliedsstaaten vorgelegt15. Daraus kann abgeleitet werden, in welcher Form der durch die Richtlinie nur vorgegebene Rahmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten zur Umsetzung gebracht wurde. Dabei wird noch einmal deutlich, dass trotz einheitlicher Richtlinie in den Mitgliedsstaaten ein unterschiedliches Verständnis in Bezug auf die Notwendigkeit einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung besteht. Personalverantwortliche, die Arbeitnehmer in verschiedenen Mitgliedstaaten einsetzen, können daraus eine erste Einschätzung über denkbare Gestaltungsmöglichkeiten ziehen. (Ga)
7.
Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte
Am 26.4.2017 hat die Europäische Kommission auf der Grundlage einer vorangehenden Konsultation eine Reihe von Dokumenten zur Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt16. Dabei ist derzeit noch offen, ob die Säule sozialer Rechte als Empfehlung der Kommission oder als eine gemeinsame Proklamation des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission eingeführt werden soll. Darüber kann schlussendlich auch erst im Anschluss an die notwendige Konsultation der beteiligten Organe entschieden werden. Mit der Säule der sozialen Rechte werden zwanzig zentrale Grundsätze und Rechte zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Sozialsysteme festgelegt. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass die in der EU sowie im internationalen rechtlichen Besitzstand bereits bestehenden Rechte nur bestätigt und zur Berücksichtigung neuer Realitäten ergänzt werden. Sie sollen dadurch sichtbarer, verständlicher und eindeutiger für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Akteure aller Ebenen werden.
14 C(2017) 2601 final. 15 16
56
Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte
Inhaltlich besteht die Säule sozialer Rechte aus drei Kapiteln. Das Kapital „Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang“ enthält Grundsätze zur allgemeinen und beruflichen Bildung und zum lebenslangen Lernen, zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Chancengleichheit und zur aktiven Unterstützung für Beschäftigte. Das Kapitel „Faire Arbeitsbedingungen“ enthält Grundsätze zur sicheren und anpassungsfähigen Beschäftigung, zu Löhnen und Gehältern, zur Information über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz, zum sozialen Dialog und der Einbeziehung der Beschäftigten, zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie zu einem gesunden, sicheren und geeigneten Arbeitsumfeld und Datenschutz. Das Kapitel „Sozialschutz und soziale Inklusion“ enthält Grundsätze zur Betreuung und Unterstützung von Kindern, zum Sozialschutz, zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, zum Mindesteinkommen, zu Alterseinkünften und Ruhegehältern, zur Gesundheitsversorgung, zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, zur Langzeitpflege, zum Wohnraum und Hilfe für Wohnungslose sowie zum Zugang zu essentiellen Dienstleistungen. Obwohl damit die bestehenden Grundsätze nur festgeschrieben und keine unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche geschaffen werden sollen, dürfte sich der Inhalt des Vorschlags und damit auch der Inhalt der darin enthaltenen Grundsätze noch ändern. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Säule sozialer Rechte als Zusammenfassung allgemeiner Grundsätze geschaffen wird, damit auf ihrer Grundlage Konkretisierungen in einzelnen Bereichen erfolgen können. Dies zeigt bereits die erste Phase einer Konsultation durch die Europäische Kommission in Bezug auf die Herausforderungen im Hinblick auf den Zugang zum Sozialschutz bei den verschiedenen Formen der Beschäftigung17. Das entsprechende Papier enthält bereits eine Vielzahl von Kriterien, anhand derer der unterschiedliche Schutz bei einer befristeten oder unbefristeten Vollzeit- bzw. Teilzeitbeschäftigung in arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht gemessen werden soll. Weitergehende Maßnahmen dürften dem Reflexionspapier zur Sozialen Dimension Europas zu entnehmen sein, das im April 2017 vorgelegt wurde. (Ga)
17 C(2017) 2610 final.
57
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
1
Abgrenzung von Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag
a)
Ausgangssituation
Nachdem am 1.4.20171 das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze in Kraft getreten ist, stellt sich die Frage, ob damit neue Kriterien in Bezug auf die Abgrenzung von Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag oder sonstiger Rechtsformen einer Beschäftigung von Fremdpersonal geschaffen wurden2. Bereits vorab kann eine klare Antwort gegeben werden: An den Kriterien zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Formen einer Beschäftigung von Fremdpersonal, wie wir sie bereits bei früherer Gelegenheit sehr eingehend behandelt haben3, hat sich durch die AÜG-Reform nichts geändert. Allerdings bewirken die auszugsweise Wiedergabe einzelner Kriterien und die unterschiedliche Formulierung von §§ 611a BGB, 1 Abs. 1 AÜG, dass in der betrieblichen Praxis Unsicherheit besteht. Gerade weil der Gesetzgeber durch die AÜG-Reform die Sanktionen für den Fall etwaiger Scheinwerk- bzw. Scheindienstverträge verschärft hat4, ist es wichtig, diese Kriterien noch einmal unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung aufzugreifen und Unternehmensstrukturen zu schaffen, die ein regelgerechtes Verhalten beim Einsatz von Fremdpersonal sicherstellen. Veränderungen dürften mit § 611a BGB schlussendlich nur dort verbunden sein, wo in der Vergangenheit umstritten war, ob eine Beschäftigung überhaupt in Form eines Arbeitsverhältnisses erfolgen kann. Dies gilt insbesondere für Fremdgeschäftsführer einer GmbH5 oder Beschäftigungsformen im Überschneidungsbereich von Beamten- und Arbeitsverhältnis6.
1 2
3 4 5 6
BGBl. I 2017, 258 ff. Eingehend vgl. auch BAG v. 18.7.2012 – 7 Richardi, Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 Henssler Wank, AuR 2017, 140 Giese/Orth Aszmons/Homborg/Gerum, Wank Deinert chend (Österreich/Deutschland) vgl. Schitter/Nölke, DB 2017, 1145 ff. B. Gaul/Jung, AktuellAR 2013, 371 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 66 ff. Vgl. zuletzt ArbG Stuttgart v. 21.12.2016 – 26 Ca 735/16, NZA-RR 2017, 69 ff. Vgl. BAG v. 22.11.2016 – 9 ABR 41/16, NZA 2017, 581 Rz. 17 ff.
59
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
b)
Gesetzliche Neuregelung durch §§ 611a BGB, 1 Abs. 1 AÜG
Es steht außer Streit, dass §§ 611 a Abs. 1 BGB, 1 Abs. 1 AÜG die Grundlage für eine Kennzeichnung von Fremdpersonal bieten. Dabei geht es vor allem um die Abgrenzung des Arbeitnehmers bzw. Leiharbeitnehmers auf der einen Seite und des im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Personals auf der anderen Seite. Ausgangspunkt ist dabei zunächst einmal § 611a Abs. 1 BGB. Dieser lautet wie folgt: Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
Die Kennzeichnung der darin enthaltenen Weisungsgebundenheit muss sodann bei der Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 1 AÜG berücksichtigt werden. Danach werden Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Trotz dieser gesetzlichen Konkretisierung der richterrechtlich entwickelten Kriterien für die Kennzeichnung des Arbeits- und Leiharbeitsverhältnisses bleibt die aktuelle Rechtsprechung maßgeblich. Dabei kann allerdings auch auf Kriterien zurückgegriffen werden, die mit Blick auf die Kennzeichnung einer betriebsverfassungsrechtlichen Einstellung nach § 99 BetrVG entwickelt wurden.
c)
Leitlinien der aktuellen Rechtsprechung
Aus der aktuellen Rechtsprechung zur Kennzeichnung von Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, Werkvertrag, Dienstvertrag und mitbestimmungspflichtigen Einstellungen nach §§ 99 BetrVG sei auf folgende Grundsätze hingewiesen:
60
Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag
aa)
Vorliegen einer Eingliederung
Nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 13.12.20167 liegt eine Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeiten zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem die Personen zu dem Betriebsinhaber stehen, komme es nicht an. Eingegliedert sei, wer eine ihrer Art nach weisungsgebundene Tätigkeit verrichte, die der Arbeitgeber organisiere. Der Beschäftigte müsse für die Annahme einer Eingliederung allerdings so in die betriebliche Arbeitsorganisation integriert sein, dass der Arbeitgeber das für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht innehabe und die Entscheidung über den Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit treffe. bb)
Eigenart und Umstände der Tätigkeit
Die vorstehend genannte Eingliederung an eine fremde Arbeitsorganisation hängt nach den Feststellungen des BAG von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab8. Hiervon ausgehend sei sie nicht schon dann anzunehmen, wenn Personen im Betrieb des Auftraggebers tätig würden und ihre Dienstleistung oder das von ihnen zu erstellende Werk nach Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den betrieblichen Arbeitsprozess eingeplant oder detailliert beschrieben sei. Darüber hinaus genüge auch die räumliche Zusammenarbeit von Arbeitnehmern im Betrieb oder die Einweisung und Koordination des fremdführenden Einsatzes durch Beschäftigte des Betriebsinhabers oder der Umstand, dass die betreffende Tätigkeit bislang von Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs ausgeführt worden sei und zu bestimmten Zeiten weiterhin durchgeführt werde, nicht, um von einer Eingliederung und der daraus folgenden Übernahme einer weisungsgebundenen Tätigkeit auszugehen9. cc)
Überlassung zur Arbeitsleistung
In Übereinstimmung mit der jetzt in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG vorgenommenen Begriffsbestimmung ist das BAG im Urteil vom 20.9.201610 von einer Überlassung zur Arbeitsleistung im Sinne des AÜG ausgegangen, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt würden, die in dessen Betrieb 7 8
BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 24. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 50/12, NZA 2014, 1149 Rz. 18. 9 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 14. 10 BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rz. 29.
–1 –1
61
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
eingegliedert seien und ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführten. Hiervon ausgehend sei nicht jeder drittbezogene Arbeitseinsatz als Arbeitnehmerüberlassung zu kennzeichnen. Vielmehr sei diese durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags sei die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endete, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt habe. Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden sei insoweit die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen werde der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiere die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibe für die Erfüllung der in dem Vertag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterlägen den Weisungen des Unternehmers und seien dessen Erfüllungsgehilfen11. dd)
Bezeichnung des Vertrags
Die Bezeichnung eines Vertrags ist, wie auch § 611a Abs. BGB zum Ausdruck bringt, unerheblich. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung zur Kennzeichnung der verschiedenen Rechtsformen einer Beschäftigung von Fremdpersonal entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht, über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen den Dritten und dem Arbeitgeber. Die Vertragsschließenden können – so das BAG – das Eingreifen zwingender Schutzvorschriften des AÜG nicht dadurch vermeiden, dass sie einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen12.
11 BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rz. 30. 12 BAG v. 20.9.2016 – 9 395/11 n. v. Rz. 20 f.
62
– 3 AZR
Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag
ee)
Bedeutung des Betriebszwecks
In Übereinstimmung mit den vorangehenden Feststellungen besitzt auch der Betriebszweck eine wesentliche Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen der Arbeitnehmerüberlassung auf der einen Seite und dem Einsatz von Arbeitnehmern auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags auf der anderen Seite. Das hat das BAG bereits mit Urteil vom 25.10.200013 deutlich gemacht. Hiervon ausgehend fehle es an einer Arbeitnehmerüberlassung, wenn sich der drittbezogene Personaleinsatz auf Seiten des Vertragsarbeitgebers nicht darauf beschränke, einem Dritten den Arbeitnehmer zur Förderung von dessen Betriebszwecken zur Verfügung zu stellen, sondern der Vertragsarbeitgeber damit eigene Betriebszwecke verfolge. In einem solchen Fall begründeten auch ein fachliches Weisungsrecht des Dritten und die Zusammenarbeit des Arbeitnehmers mit dessen Arbeitnehmern keine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG. Folgerichtig liege auch keine Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn die Arbeitnehmer in einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen entsandt würden, zu dessen gemeinsamer Führung sich ihr Vertragsarbeitgeber oder ein Dritter rechtlich verbunden hätten14 oder wenn sie für ihren Vertragsarbeitgeber bei der Erfüllung von dessen gesetzlichen Aufgaben tätig würden. Dies gelte ebenso, wenn zwar ein gemeinsamer Betrieb nicht vorliege, die beteiligten Arbeitgeber aber im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit mit dem Einsatz ihrer Arbeitnehmer jeweils ihre eigenen Betriebszwecke verfolgten. Auch in diesem Fall erschöpfte sich der drittbezogene Personaleinsatz nicht darin, einem Dritten den Arbeitnehmer zur Förderung von dessen Betriebszweck zur Verfügung zu stellen. Dies gelte selbst dann, wenn die durch den Dienst- oder Werkvertragsnehmer eingesetzten Arbeitnehmer Weisungen des Auftraggebers unterlägen und innerhalb seiner betrieblichen Organisation mit den Arbeitnehmern des Auftraggebers zusammenarbeite. Entscheidend sei, dass der Dienst- oder Werkvertragsnehmer durch diesen Einsatz seine eigenen Arbeitnehmer nicht nur an einer Aufgabe beteilige, die der Auftraggeber verfolge, sondern eigene Betriebszwecke erfüllen wolle. ff)
Arbeitnehmerüberlassung ohne Arbeitsvertrag
Abweichend von der Grundkonzeption des § 1 Abs. 1 AÜG und den Feststellungen des BAG im Urteil vom 6.7.199515 kann das AÜG allerdings aus-
13 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, NZA 2001, 259 Rz. 30 ff. 14 Ebenso BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, NZA 1998, 876 ff. 15 BAG v. 6.7.1995 – 5 AZB 9/93, NZA 1996, 33 ff.
63
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
nahmsweise auch dann zur Anwendung kommen, wenn zwischen dem Verleiher und der beim Entleiher eingesetzten Person kein Arbeitsverhältnis besteht. Dies hat das BAG mit seinem Beschluss vom 21.2.201716 auf der Grundlage der entsprechenden Klarstellung des EuGH im Urteil vom 17.11.201617 klargestellt. Danach ist auf der Grundlage einer unionsrechtskonformen Auslegung von einer Anwendbarkeit des AÜG auch dann auszugehen, wenn durch einen Verein (hier: Deutsches Rotes Kreuz), der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen (Entleiher) erfolgt, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedsstaat vergleichbar mit einem Arbeitnehmer geschützt ist, ohne dass ein Arbeitsvertrag besteht. Hiervon ist das BAG mit Blick auf die für DRK-Schwestern geltenden Regelungen ausgegangen und hat klargestellt, dass auch insoweit nur eine vorübergehende Gestellung erfolgen darf. gg)
Bedeutung etwaiger Weisungen
Wie sich aus § 645 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt, kann auch der Werkbesteller dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge, ohne dass diese damit in den Anwendungsbereich des AÜG fallen. Darauf hat das BAG im Urteil vom 20.9.201618 noch einmal hingewiesen. Wichtig ist allerdings, dass diese Form der dienst- oder werkvertraglichen Weisungen von sogenannten „tätigkeits- und ablaufbezogenen Weisungen” zu unterscheiden ist. Denn die letztgenannten Weisungen haben, wie das BAG im Beschluss vom 13.12.201619 deutlich gemacht hat, zur Folge, dass nicht (mehr) von einem Dienst- oder Werkvertrag ausgegangen werden kann. Typisches Merkmal der für das Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Weisungen ist, dass erst mit ihnen, das durch das Fremdpersonal herzustellende Werk bzw. die zu verrichtende Dienstleistung bestimmt wird. Es fehlt also an einer entsprechenden Festlegung der vertraglich geschuldeten Leistung, wie sie für den Werk- oder Dienstvertrag vor Aufnahme der Tätigkeit insbesondere in Bezug auf den Inhalt der geschuldeten Leistung, ihre Quantität
16 17 18 19
64
BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, BB 2017, 1081 ff. EuGH v. 17.11.2016 – C-216/15, NZA 2017, 41 ff. 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rz. 30. BAG V. 20.9.20161 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 32.
Arbeitsvertrag, Arbeitnehmerüberlassung, (Schein-)Werk- und (Schein-)Dienstvertrag
und/oder Qualität und den Zeitpunkt der Fertigstellung erfolgen muss. Folgerichtig hatte das BAG das Fehlen von Regelungen, welche Aufgaben dem Fremdpersonal während der Erfüllung der zwischen den Unternehmen bestehenden Vereinbarungen zu verrichten hat, an welcher Stelle sich das Personal aufhalten muss und wie es sich gegenüber den Adressaten ihrer Dienstleistung zu verhalten hat, als Indiz für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung bewertet. Denn aus Ermangelung entsprechender Vorgaben in dem zugrundeliegenden Vertrag zwischen den beiden Unternehmen handele es sich schlussendlich um arbeits- und nicht um dienstvertragliche Weisungen, die der scheinbare Auftraggeber den Arbeitnehmern des scheinbaren Auftragnehmers erteile, wenn erst damit eine Festlegung der vorstehend genannten Punkte erfolge20. hh)
Teilnahme an Schulungsveranstaltungen
In seinem Urteil vom 20.9.201621 hat das BAG in einer Regelung, nach der das „gestellte Personal” verpflichtet war, an den vom Auftraggeber veranstalteten Schulungen und Einweisungen teilzunehmen, ein wesentliches Indiz für das Vorliegen eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages gesehen. Die „Stellung von Personal” sei nicht für einen Dienstvertrag, sondern vielmehr für einen auf die Überlassung von Arbeitnehmern gerichteten Vertrag kennzeichnend. Hinzutrete, dass das für die Verrichtung der geschuldeten Tätigkeit erforderliche Fachwissen nach dieser Vertragsbestimmung nicht durch den Vertragsarbeitgeber, sondern durch den Auftraggeber selbst vermittelt werden sollte. Eine solche Zuweisung von Schulungsmaßnahmen sei für einen Dienstvertrag ungewöhnlich. Dies gelte umso mehr, als die Schulungskosten nicht durch den Vertragsarbeitgeber, sondern durch den vermeintlichen Auftraggeber zu tragen waren.
d)
Fazit
Insgesamt bleibt auch nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen durch die AÜG-Reform festzuhalten, dass die Indizien für die unterschiedlichen Formen eines Fremdpersonaleinsatzes jeweils einzelfallbezogen bewertet und gewichtet werden müssen. Schlussendlich bleibt es eine typologische Bewertung, bei der allerdings die in §§ 611a BGB, 1 Abs. 1 AÜG genannten Kriterien, soweit diese die Eingliederung und die Verrichtung einer weisungsgebundenen Tätigkeit kennzeichnen, maßgeblich ist. Sind die dafür vorstehend genannten Kriterien erfüllt, ist eine Beschäftigung als Ar-
20 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz.35. 21 BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rz.41.
65
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beitnehmer bzw. Leiharbeitnehmer gegeben. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, liegt es nahe, von einem Dienst- oder Werkvertrag oder einer sonstigen Form der selbständigen Beschäftigung von Fremdpersonal auszugehen. (Ga)
2.
Aktuelle Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
Auf der Grundlage der letzten Änderungen durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ist die AÜG-Reform in Bundesrat und Bundestag verabschiedet und am 1.4.2017 in Kraft getreten22. Wie wir an anderer Stelle bereits ausgeführt haben23, auf die insoweit verwiesen wird, hat sie wesentliche Veränderungen in Bezug auf die individual- und kollektivrechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung zur Folge. Unter Berücksichtigung der Fachlichen Weisung, die die Bundesagentur zur Neufassung des AÜG veröffentlicht hat24, soll auf einige Aspekte der betriebspraktischen Umsetzung noch einmal eingegangen werden25. Wichtig allerdings ist, dass die Fachliche Weisung für die Arbeitsgerichte keine Verbindlichkeit hat, so dass die Praxis sehr genau prüfen muss, ob sie einigen Feststellungen auch zugunsten einer höheren Flexibilität des Arbeitseinsatzes folgen will.
a)
Begriff der Arbeitnehmerüberlassung
Bereits an anderer Stelle haben wir aufgezeigt, nach welchen Kriterien die Rechtsprechung die Arbeitnehmerüberlassung von dem Einsatz von Fremdpersonal auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags unterscheidet26. Daran hat sich nach Inkrafttreten der AÜG-Reform nichts geändert. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass Strukturen geschaffen werden, die gewährleisten, dass der Einsatz von Fremdpersonal unter Berücksichti22 23 24 25
B. Gaul, AktuellAR 2017, 1. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2016, 321 ff. Eingehend hierzu Wortmann, ArbRB 2017, 147 ff. Eingehend auch Pütz Deinert Henssler, RdA Lembke Krieger/Ampatziadis Oetker Bayreuther Hund/Weiss dies. Hamann/Rudnik dies. Talkenberg Seiwerth Bissels, DB 2017, 246 ders. Wank Thüsing/Mathy, BB 2017, 821 Traut/Pötters, DB 2017, 846 ff. 26 B. Gaul/Jung, AktuellAR 2013, 371 ff., 2017, 59 ff.
66
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beitnehmer bzw. Leiharbeitnehmer gegeben. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, liegt es nahe, von einem Dienst- oder Werkvertrag oder einer sonstigen Form der selbständigen Beschäftigung von Fremdpersonal auszugehen. (Ga)
2.
Aktuelle Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
Auf der Grundlage der letzten Änderungen durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales ist die AÜG-Reform in Bundesrat und Bundestag verabschiedet und am 1.4.2017 in Kraft getreten22. Wie wir an anderer Stelle bereits ausgeführt haben23, auf die insoweit verwiesen wird, hat sie wesentliche Veränderungen in Bezug auf die individual- und kollektivrechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung zur Folge. Unter Berücksichtigung der Fachlichen Weisung, die die Bundesagentur zur Neufassung des AÜG veröffentlicht hat24, soll auf einige Aspekte der betriebspraktischen Umsetzung noch einmal eingegangen werden25. Wichtig allerdings ist, dass die Fachliche Weisung für die Arbeitsgerichte keine Verbindlichkeit hat, so dass die Praxis sehr genau prüfen muss, ob sie einigen Feststellungen auch zugunsten einer höheren Flexibilität des Arbeitseinsatzes folgen will.
a)
Begriff der Arbeitnehmerüberlassung
Bereits an anderer Stelle haben wir aufgezeigt, nach welchen Kriterien die Rechtsprechung die Arbeitnehmerüberlassung von dem Einsatz von Fremdpersonal auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags unterscheidet26. Daran hat sich nach Inkrafttreten der AÜG-Reform nichts geändert. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass Strukturen geschaffen werden, die gewährleisten, dass der Einsatz von Fremdpersonal unter Berücksichti22 23 24 25
B. Gaul, AktuellAR 2017, 1. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2016, 321 ff. Eingehend hierzu Wortmann, ArbRB 2017, 147 ff. Eingehend auch Pütz Deinert Henssler, RdA Lembke Krieger/Ampatziadis Oetker Bayreuther Hund/Weiss dies. Hamann/Rudnik dies. Talkenberg Seiwerth Bissels, DB 2017, 246 ders. Wank Thüsing/Mathy, BB 2017, 821 Traut/Pötters, DB 2017, 846 ff. 26 B. Gaul/Jung, AktuellAR 2013, 371 ff., 2017, 59 ff.
66
Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
gung dieser Unterschiede regelgerecht erfolgt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtliche Risiken realisieren. Das betrifft nicht nur die Vergabe entsprechender Aufträge bzw. den Abschluss der zugrundeliegenden Verträge, sondern auch deren spätere Umsetzung. Schließlich hängt die Kennzeichnung des Fremdpersonaleinsatzes nicht von der Bezeichnung, sondern von der Art und Weise seiner tatsächlichen Umsetzung ab. Entsprechende Strukturen beginnen mit einer klaren Zuordnung von Zuständigkeiten in Bezug auf die Vergabe und Überwachung. Darüber hinaus müssen die Mittel bestimmt werden, mit denen eine Überprüfung aktueller Vertragsbeziehungen erfolgt. Dabei sind Interviews und oder elektronische Abfragetools einsetzbar. Wichtig ist nur, dass sie nicht im Rechts- oder Personalbereich ansetzen, sondern die Personen einbinden, die für die praktische Umsetzung zuständig sind und beurteilen können, wie die tatsächliche Handhabe erfolgt. Das spricht deshalb auch für die Verwendung von ITTools, die flexibel und dezentral einsetzbar sind, ohne dass arbeits- oder zivilrechtliches Know-how erforderlich ist (z. B. CMS Fremdpersonaltool).
b)
Arbeitnehmerüberlassung im Konzern
Ganz überwiegend wird aus § 1 Abs. 1 S. 2, 3 AÜG der Rückschluss gezogen, dass zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis bestehen muss27. Darüber hinaus wird daraus geschlossen, dass damit auch die Kettenüberlassung verboten ist. Richtigerweise gilt dies aber nicht im Konzern. Denn für diesen Fall kommen § 1 Abs. 1 AÜG und die übrigen Regelungen des AÜG gar nicht zur Anwendung. Davon sind auch grenzüberschreitende Überlassungstatbestände betroffen, sofern nicht das weitere Land hiervon abweichende Grenzen bestimmt (vgl. 1.4.2 der Fachlichen Weisung): Hier wird man berechtigterweise die Ansicht vertreten können, dass Arbeitnehmer einem anderen Arbeitgeber innerhalb des Konzerns zur Arbeit überlassen werden können, wenn sie ihrerseits durch ein Konzernunternehmen überlassen wurden. Voraussetzung ist lediglich, dass sie nicht zur Überlassung eingestellt und beschäftigt werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG)28. Dies gilt jedenfalls dann, wenn 27 Vgl Pütz Lembke
Deinert Henssler Krieger/Ampatziadis Bayreuther Hund/Weiss Wank Thüsing/Mathy Traut/Pötters, DB 2017, 846 ff. 28 Ebenso Lembke, BB 2012, 2497, 2498 f.
Oetker, NZA Bissels, DB
67
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
man unterstellt, dass dieses Konzernprivileg wegen der darin liegenden Ausgrenzung einer dauerhaften Überlassung von Personal mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar ist. Das ist umstritten29. In entsprechender Weise kommt auch das Streikverbot, wie es im Anwendungsbereich des AÜG nach Maßgabe von § 11 Abs. 5 AÜG gilt, bei einer Überlassung im Konzern nicht zur Anwendung.
c)
Pflichten zur Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung und des Leiharbeitnehmers
Erhebliche praktische Bedeutung haben die Kennzeichnungspflichten, die im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung eingeführt wurden. Danach ist die Überlassung von Leiharbeitnehmern in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu kennzeichnen, bevor die Überlassung bzw. das Tätigwerden erfolgt. Vor der Überlassung ist die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG). Darüber hinaus muss der Verleiher den Leiharbeitnehmer vor jeder Überlassung darüber informieren, dass er als Leiharbeitnehmer tätig wird (§ 11 Abs. 2 AÜG)30. Wichtig ist, dass nur die Missachtung der Kennzeichnungspflichten aus § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG gemäß § 9 Nr. 1 a AÜG sanktioniert wird. Danach kommt ein Arbeitsvertrag zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zustande, wenn diese (beiden) Pflichten nicht erfüllt werden, es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Verleiher und Entleiher für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Entleiher festhält (Festhalteerklärung)31. Damit ist die sogenannte „Fallschirmlösung“ ausgeschlossen, bei der das Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung mit der Folge des § 9 Nr. 1 AÜG im Zusammenhang mit Scheinwerk- oder -dienstverträgen in der Vergangenheit dadurch beseitigt wurde, dass der Unternehmer vorsorglich eine Arbeitneh-
29 Vgl. BT-Drucks Ludwig Hamann, RdA 2011, Huke/Neufeld/Luickhardt Ulber, AÜG § 1 Rz. 377. 30 Vgl. Hennecke/Tuengerthal, Franzen, RdA 2015, 141 ff. 31 Vgl. Bissels, NZA 2017, 214, 215 ff. der diese Rechtsfolge allerdings nur dann für gegeben hält, wenn die Pflichten aus § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG kumulativ missachtet wird. Die Verletzung einer der beiden Fristen soll nicht zur Anwendbarkeit von § 9 Abs. 1 Nr. 1 a AÜG führen.
68
Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
merüberlassungserlaubnis einholte32. Denkbar ist aber, dass der Arbeitnehmer – wie nachfolgend ausgeführt wird - als Folge des Arbeitgeberwechsels Schadensersatzansprüche gegenüber dem Verleiher geltend machen kann. Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bedarf der Schriftform. Das folgt aus § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG. Erfolgt die Überlassung eines Rahmenvertrags, der noch nicht alle gesetzlichen Anforderungen des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags erfüllt, muss die Ergänzung ebenfalls der Schriftform genügen und einen Bezug zu der ersten Urkunde erhalten. Wenn in einem dieser Verträge bereits der Leiharbeitnehmer bestimmt wird, muss auch dies schriftlich erfolgen. Davon geht auch die Fachliche Weisung aus (1.1.6.7). Im Übrigen aber gibt es für die Mitteilung nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG, welcher Leiharbeitnehmer die Tätigkeit aufnehmen wird, kein Formerfordernis. Sie kann also auch mündlich erfolgen33. Da der Entleiher für den Fall einer Klage des Leiharbeitnehmers auf Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher aber darlegen und beweisen muss, dass diese Kennzeichnungspflicht durch den Verleiher erfüllt wird, bietet es sich an, dass zwischen Verleiher und Entleiher vereinbart wird, dass die Mitteilung jedenfalls in Textform erfolgt (vgl. 1.1.6.7 der Fachlichen Weisung). Außerdem sollte festgelegt werden, gegenüber welchem Vertreter des Entleihers der Verleiher diese Erklärung abzugeben hat. Andernfalls besteht das Risiko, dass der rechtzeitige Eingang dieser Erklärung durch den Entleiher nicht nachgewiesen werden kann. Problematisch ist, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 a AÜG keine Übergangsregelung enthält. Überlassungstatbestände, die bereits vor dem 1.1.2017 eingeleitet wurden (und eingeleitet werden durften), sind am 1.4.2017 deshalb unmittelbar von einem Arbeitgeberwechsel betroffen, wenn die Kennzeichnungspflicht nicht vor oder mit Inkrafttreten des Gesetzes erfüllt wurden (vgl. 1.1.6.7 der Fachlichen Weisung).
d)
Höchstüberlassungsdauer in der Privatwirtschaft
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG ist eine Überlassung nur noch vorübergehend bis zu der in § 1 Abs. 1 b AÜG genannten Höchstüberlassungsdauer erlaubt. Danach darf derselbe Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen werden. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an den32 BAG v. 20.1.2016 – 7 28.5.2015 – 2 Sa 689/14, NZA-RR 2015, 625. 33 Zutreffend Bissels Thüsing/Mathy Traut/Pötters, DB 2017, 846 ff.
-Pfalz v.
69
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
selben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen (§ 1 Abs. 1 b S. 1, 2 AÜG). Unerheblich ist, ob in dieser Zeit ein ununterbrochener Einsatz erfolgt oder die Überlassung jeweils nur für einzelne Tage erfolgt. Der Gesetzgeber verfolgt damit richtigerweise keine arbeitsplatz-, sondern eine arbeitnehmerbezogene Betrachtungsweise (vgl. 1.2.1 der Fachlichen Weisung) 34. Damit ist auch eine betriebsbezogene Betrachtung ausgeschlossen, wie sie zum Teil für vertretbar gehalten wird35. Das folgt angesichts der früheren Diskussion zu dieser Frage bereits aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes. In entsprechender Weise hat die Bundesregierung auf eine parlamentarische Frage geantwortet36. Der bloße Wechsel des Betriebs genügt also nicht, um über 18 Monate hinaus beim gleichen Entleiher tätig zu sein. Keine geeignete Vermeidungsstrategie dürfte auch darin liegen, die Arbeitnehmer im Wechsel immer an verschiedene Arbeitgeber zu überlassen, dauerhaft aber auf dem gleichen Arbeitsplatz bei einem gemeinsamen Betrieb einzusetzen37. Selbst wenn diese Einsatzform dem Wortlaut nach zulässig wäre, wird man dies entsprechend den zu § 14 Abs. 2 TzBfG entwickelten Kriterien im Zweifel als Rechtsmissbrauch qualifizieren müssen. Wenn die Höchstüberlassungsdauer in Bezug auf den konkreten Leiharbeitnehmer eingehalten wird, kann der gleiche Arbeitsplatz also dauerhaft mit wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt werden. Dies eröffnet jedenfalls in solchen Bereichen sinnvolle Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht durch besonderes Know-how der Leiharbeitnehmer gekennzeichnet sind. Hier ist eine Rückkehr des ursprünglich überlassenen Arbeitnehmers möglich, wenn er dazwischen bei einem anderen Arbeitgeber tätig war. Der andere Arbeitgeber kann auch ein anderes Konzernunternehmen sein, wobei jedes Konzernunternehmen seinerseits die 18-Monats-Grenze beachten muss. Entgegen der von einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung38 ist die 18-Monate-Frist nicht nach § 191 BGB, sondern nach § 193 BGB zu berechnen. Denn die Frist läuft stets zusammenhängend, wenn sie nicht durch eine relevante Unterbrechung beendet und danach neu gestartet wird. Damit dauert die Höchstüberlassungsdauer tatsächlich 18 Monate und ist nicht nach 540 Tagen beendet. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer in dieser Zeit 34 BT-Drucks. 18/9723 S. 6. 35 Zutreffend Lembke
Pütz Henssler, RdA 2017, 83, 94.
36 BT-Drucks. 18/9232 S. 14 ff. 37 Abw. Hund/Weiss, DB 2016, 2903, 2905. 38 So Pütz, DB 2017, 425 ff.
70
A. Talkenberg,
Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
ununterbrochen oder nur an einzelnen Wochentagen zum Einsatz kommt (vgl. 1.2.1 der Fachlichen Weisung)39. Lediglich dann, wenn Teilmonate in Rede stehen, ist auf § 191 BGB und das 30-Tages-Intervall abzustellen (vgl. 1.2.1 der Fachlichen Weisung). Allerdings könnten Gründe der Vorsicht dafür sprechen die Überlassung auf 540 Tage zu begrenzen, bis eine höchstrichterliche Klärung erzielt wurde. Wann eine Unterbrechung relevant ist, wird unterschiedlich bewertet. Folgt man dem Wortlaut des Gesetzes, kann eine Unterbrechung erst dann berücksichtigt werden, wenn tatsächlich mehr als drei Monate kein Einsatz beim Entleiher erfolgt. In diesem Fall ist von einem Neubeginn der Höchstüberlassungsdauer auszugehen, selbst wenn während der Unterbrechung weiterhin ein Rahmenvertrag zwischen Verleiher und Entleiher besteht, kraft dessen der Leiharbeitnehmer durch den Entleiher abgerufen oder durch den Verleiher überlassen werden kann. Ganz überwiegend wird allerdings angenommen, dass § 1 Abs. 1 b AÜG bestimme, dass nur die tatsächlichen Einsatzzeiten gezählt werden. Unterbrechungszeiten, die die drei Monate nicht übersteigen, erlauben damit zwar keinen Neubeginn der Berechnung. Allerdings soll die 18-Monats-Frist in der Zeit gehemmt werden, in denen der Leiharbeitnehmer bei dem jeweiligen Entleiher nicht zum Einsatz kommt. Die Zeit dieser Unterbrechung unterhalb der Schwelle der für eine Neuberechnung relevanten Unterbrechung soll bei der Berechnung der 18-MonatsFrist nicht berücksichtigt werden. Diese Frist läuft also erst wieder dann, wenn der Einsatz wieder fortgesetzt wird40. Umstritten ist allerdings, ob dies bei jeder Unterbrechung des tatsächlichen Einsatzes angenommen werden kann oder ob eine solche Hemmung an die Voraussetzung geknüpft ist, dass in dieser Zeit auch kein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag besteht, der einen Zusammenhang der Einsatzzeiten bewirkt41. Obwohl auch die Bundesagentur für Arbeit (vgl. 1.2.1 der Fachlichen Weisung) unter bestimmten Voraussetzungen von einer solchen Möglichkeit der Hemmung ausgehen will, bestehen erhebliche Bedenken, dieser Auffassung zu folgen. Der Wortlaut des Gesetzes lässt eine solche Ausgrenzung nicht erkennen. Hinzu kommt, dass sie insbesondere dort zu problematischen Gestaltungsformen führt, wo der Leiharbeitnehmer immer nur kurzzeitig zum Einsatz kommt. Beispielsweise sei nur der Leiharbeitnehmer genannt, der unregelmäßig an 5 bis 6 Tagen im Monat als Vertreter im Krankheitsfall
39 Wie hier Lembke Henssler, RdA 2017, 83, NZA 2017, 473, 476 f. 40 Vgl. Henssler, RdA 2017, 83, 95 f. 41 Talkenberg, NZA 2017, 473, 475.
Talkenberg,
71
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
eingesetzt wird. Hier könnte, wenn man der weitestgehenden Auffassung folgt, die 18-Monats-Frist erst nach beinahe 10 Jahren überschritten sein, weil nur die Tage, in denen der Einsatz erfolgt, berücksichtigt werden42. Der Praxis wird deshalb empfohlen, sich auf diese Interpretation erst zu verlassen, wenn eine höchstrichterliche Klärung erzielt worden ist. Keine relevante Unterbrechung ist wohl auch dann gegeben, wenn als Folge einer Krankheit, eines Urlaubs oder mit dem Ziel eines Ausgleichs von Zeitguthaben kein Einsatz bei dem gleichen Entleiher erfolgt. Auch hier fehlt aber noch eine richterrechtliche Klarstellung. Der Gesetzeswortlaut würde auch eine Berücksichtigung solcher Fehlzeiten zulassen. Relevant ist eine Unterbrechung aber dann, wenn dort Schulungen erfolgen. Theoretisch wäre auch eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses oder ein Ruhen der Vertragspflichten möglich43. Gemäß § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder einer aufgrund und im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung eine hiervon abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten werden den Kirchen und öffentlichrechtlichen Religionsgesellschaften in ihren Regelungen eingeräumt, hier allerdings ohne weitergehende Schranken. Eine entsprechende Kollektivvereinbarung erlaubt indes keine dauerhafte Überlassung. Denn auch in solchen Vereinbarungen muss eine Höchstdauer – wenn auch eine vom Gesetz abweichende Höchstdauer – benannt werden. Eine absolute Höchstgrenze nennt das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hat aber den Gestaltungsspielraum auf der betrieblichen Ebene in solchen Unternehmen eingeschränkt, die keine gesetzliche Tarifbindung haben. Hier sollen die Betriebsparteien durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung eine Verlängerung der 18-Monats-Frist auf über 24 Monate nur vereinbaren können, wenn der Tarifvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel enthält und die Betriebsparteien darin ausdrücklich berechtigt werden, die Höchstüberlassungsdauer auf über 24 Monate hinaus auszudehnen. Fällt der Betrieb des nicht tarifgebunden Entleihers bei Abschluss einer Dienst- oder Betriebsvereinbarung in den Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge, ist auf den für die Branche des Entleihers repräsentativen Tarifvertrags abzustellen. Bei dem Begriff der Repräsentativität wird man wohl an § 7 Abs. 2 AEntG anknüpfen müssen.
42 Vgl. Hennsler, RdA 2017, 83, 95 f. 43 Krit. Hund/Weiss, AuA 2017, 18 ff.
72
Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
Es ist wichtig, bei der Umsetzung entsprechender Überlassungstatbestände die Einhaltung der Höchstüberlassungsdauer sicherzustellen. Denn eine Missachtung der Höchstüberlassungsdauer führt zur Unwirksamkeit des zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnisses und zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer, dessen Inhalt sich nach § 10 AÜG bestimmt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b AÜG). Etwas Anderes gilt nur bei Abgabe einer Festhalteerklärung nach § 9 Abs. 2 AÜG. Problematisch ist aber, dass dem Arbeitnehmer das Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer nicht bewusst sein muss. Eine Pflicht, den Arbeitnehmer über die Möglichkeit einer Festhalteerklärung aufzuklären, wird man im Umkehrschluss zu § 613 a Abs. 5, 6 BGB ablehnen müssen. Auch hier kommen aber Schadensersatzansprüche gegenüber dem Verleiher in Betracht.
e)
Schadensersatzanspruch bei Arbeitgeberwechsel
Denkbar ist aber, dass der Leiharbeitnehmer für den Fall eines durch §§ 9, 10 AÜG veranlassten Arbeitgeberwechsels Schadensersatzansprüche gegenüber dem Verleiher geltend machen kann (vgl. 10 der Fachlichen Weisung). Voraussetzung ist natürlich, dass der Arbeitnehmer keine Möglichkeit (mehr) hat, durch die Abgabe einer Festhaltenserklärung nach § 9 Abs. 2 AÜG den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher zu bewirken. Das kommt dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer wegen der fehlenden Unterrichtung durch den Entleiher nach § 11 Abs. 2 AÜG nicht weiß, dass er als Leiharbeitnehmer überlassen wird und wann diese Überlassung beginnt. Das BAG hat im Urteil vom 20.9.201644 eine entsprechende Schadensersatzpflicht bereits aus dem Umstand abgeleitet, dass der Arbeitgeberwechsel nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG wegen der fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis bewirkt wird. Der Schaden liegt für den Leiharbeitnehmer darin, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher nur in dem Umfang begründet wird, in dem er dort als Leiharbeitnehmer tätig gewesen wäre. Entscheidend sind nämlich die Regelungen des Überlassungsvertrags, nicht die Regelungen des Arbeitsvertrags zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer. Damit schützt das Gesetz den Entleiher, der nur in dem Umfang, den der Überlassungsvertrag oder die sonstigen Umstände im Zusammenhang mit der konkreten Überlassung als Dauer eines Einsatzes des Arbeitnehmers bestimmen, mit einem Arbeitsver-
44 BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/49, NZA 2017, 49 Rz. 53 ff.
73
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
hältnis belastet wird. Wie das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung deutlich gemacht hat, liegt darin auch der Unterschied zur Rechtsnachfolge gemäß § 613 a BGB, der eine Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bewirkt. Der Entleiher tritt nicht in das Arbeitsverhältnis ein, was zur Folge hat, dass auch die Betriebszugehörigkeit nicht zur Anrechnung kommt. Wenn nicht ausnahmsweise ein Fall des Rechtsmissbrauchs vorliegt, kann der Entleiher das Arbeitsverhältnis deshalb auch kündigen, ohne dass es einer sozialen Rechtfertigung bedarf. Denn die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist erst sechs Monate nach dem Arbeitgeberwechsel abgelaufen. Nachteile, die dem Leiharbeitnehmer dadurch entstehen, dass die regelmäßige Arbeitszeit in dem neuen Arbeitsverhältnis hinter der in dem alten Arbeitsverhältnis zurückbleibt, kann der Leiharbeitnehmer deshalb nur im Wege des Schadensersatzes nach § 10 Abs. 2 AÜG gegenüber dem Verleiher geltend machen.
f)
Zwingende Geltung des Equal-Pay-Grundsatzes
§ 8 AÜG beschreibt den Grundsatz der Gleichbehandlung (EqualTreatment) mit Arbeitnehmern des Entleihers für die Dauer der Arbeitnehmerüberlassung. Danach ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Soweit beim Entleiher ein Sachbezug gewährt wird, kann insoweit ein Wertausgleich in Euro erfolgen (§ 8 Abs. 1 AÜG). Betroffen hiervon sind beispielsweise Job-Tickets, Dienstwagen, Deputate oder Zuschüsse zum Mittagessen. Außerhalb der Überlassung können in den allgemeinen Grenzen hiervon abweichende Vergütungsabreden getroffen werden (vgl. 8.1 der Fachlichen Weisung)45. Grundlage für die Berechnung des Anspruchs auf Equal Pay, der zeitabschnittweise entsprechend den zwischen Verleiher und Entleiher geltenden Vereinbarungen entsteht und fällig wird, ist das Entgelt der vergleichbaren Stammarbeitnehmer. Gibt es sie nicht, ist maßgeblich, wie der Entleiher den Leiharbeitnehmer vergütet hätte, wenn er für die zugewiesene Tätigkeit als
45 Nicht erfasst vom Entgeltbegriff werden allerdings Leistungen, die durch Gemeinschaftseinrichtungen und -dienste gewährt werden. Hier ist § 13 b AÜG maßgeblich. Vgl. LAG Hessen v. 9.9.2016 – 10 Sa 474/16, NZA-RR2017, 236 ff., dass einen Essenszuschuss und die Entschädigung wegen der Vorenthaltung eines Dienstwagens zu Recht aus dem Anwendungsbereich von § 13 b AÜG ausgrenzt.
74
Handlungsvorgaben in Bezug auf die Umsetzung der AÜG-Reform
eigener Arbeitnehmer eingestellt worden wäre46. Wenn das Vergütungssystem des Entleihers bei der Festlegung des Entgeltanspruchs für den Fall einer Einstellung die individuelle Qualifikation oder Leistung oder Jahre der Berufserfahrung berücksichtigt, ist dies auch für den Leiharbeitnehmer maßgeblich. Neben den laufenden, regelmäßigen Vergütungsbestandteilen sind auch einmalige Zahlungen und/oder variable bzw. erfolgsabhängige Zahlungen einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Vergleichsentgelt wechseln kann, wenn dem Arbeitnehmer durch den Entleiher eine andere Tätigkeit zugewiesen wird. Hat der Entleiher damit gegen die Vereinbarungen mit dem Verleiher verstoßen, kann der Verleiher daraus Schadensersatzansprüche geltend machen47. Unabhängig von dieser Regressmöglichkeit ist es wichtig, dass der Verleiher sicherstellt, dass ihm die insoweit erforderlichen Informationen gemäß § 12 Abs. 1 AÜG mitgeteilt werden. Auch der Arbeitnehmer kann diese Auskunft verlangen (§ 13 AÜG). Hinsichtlich der Günstigkeit der Vergütung ist auf der Grundlage der jeweiligen Sachgruppe ein Gesamtvergleich vorzunehmen (vgl. 8.1 der Fachlichen Weisung)48. Weiterhin kann hiervon grundsätzlich durch Tarifvertrag oder Bezugnahme auf Tarifvertrag abgewichen werden (§ 8 Abs. 2 AÜG), sofern der Arbeitnehmer nicht in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung beim Entleiher oder einem mit dem Entleiher verbundenen Unternehmen ausgeschieden ist (§ 8 Abs. 3 AÜG). Abweichend von der früheren Rechtslage ist die Möglichkeit einer dauerhaften Vermeidung des Grundsatzes von Equal-Pay aber eingeschränkt worden. Nach § 8 Abs. 4 AÜG gilt eine abweichende (tarifliche) Regelung hinsichtlich des Arbeitsentgelts nur für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher. Danach muss das gleiche Arbeitsentgelt wie für die im Betrieb vergleichbaren Arbeitnehmer gewährt werden. Diese Zeit kann bis zur Gesamtdauer der Arbeitnehmerüberlassung verlängert werden, wenn (1) ein Tarifvertrag nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, wenn (2) nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen hinsichtlich des Arbeitsentgelts eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt nach Ablauf des 15-Monats-Zeitraums erfolgt, wenn (3) das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt und (4) der Tarif46 Vgl. BAG v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16, NZA 2017, 380 Rz. 17. 47 BAG v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16, NZA 2017, 380 Rz. 18. 48 BAG v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16, NZA 2017, 380 Rz. Bayreuther, NZA 2017, 18, 21.
75
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
vertrag kraft Gesetzes oder Vereinbarung im Arbeitsverhältnis Geltung beansprucht (§ 8 Abs. 4 S. 1 bis 3 AÜG). Diese Voraussetzung kann auch bei der Überlassung aus einem Mischbetrieb heraus erfüllt werden (vgl. 8.5 der Fachlichen Weisung). Auch wenn die Dauer einer früheren Überlassung an denselben Entleiher grundsätzlich anzurechnen ist, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen, werden Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 nicht berücksichtigt. Damit verzichtet der Gesetzgeber zwar auf eine eigene Kennzeichnung des Begriffs des Arbeitsentgelts. Allerdings wird den für das Arbeitsverhältnis mit dem Leiharbeitnehmer zuständigen Tarifvertragsparteien durch § 8 Abs. 4 AÜG die Möglichkeit eingeräumt, durch Tarifvertrag das Arbeitsentgelt zu definieren, mit dessen Zahlung der Equal-Pay-Grundsatz erfüllt wird. Angesichts der praktischen Probleme, die die Umsetzung des Equal-PayGrundsatzes betreffen, arbeitet die Zeitarbeitsbranche an einem Abschluss bzw. einer entsprechenden Erweiterung der Branchenzuschlagstarifverträge. Denn in ihrem Anwendungsbereich kommt es auf die konkreten Entgeltregelungen beim Entleiher nicht an. Die 9- bzw. 15-Monats-Frist bestimmt sich nach der Überlassung an den gleichen Entleiher. Auch hier gilt also das Rechtsträgerprinzip. Soweit die Bundesagentur bei der Berechnung der für den Equal-Pay-Grundsatz geltenden Fristen die Grundsätze des § 1 Abs. 1 b AÜG anwenden will, entspricht dies der vergleichbaren Regelung in § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG. Allerdings erscheint es – wie bei der Höchstüberlassungsdauer – problematisch, von einer Hemmung auszugehen, wenn eine kürzere Unterbrechung nicht mit einem fortlaufend bestehenden Arbeitnehmerüberlassungsvertrag verknüpft wird (vgl. 8.4 der Fachlichen Weisung). Diese Auslegung findet im Wortlaut des Gesetzes keine Grundlage.
g)
Fazit
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ist eine jahrelange Diskussion über die AÜG-Reform beendet worden. Das ist gut, auch wenn die gesetzliche Regelung an einigen Stellen missglückt ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung hier vernünftige Lösungen finden wird. Im Übrigen aber ist es wichtig, dass insbesondere beim Entleiher Strukturen geschaffen werden, die gewährleisten, dass vor Beginn der Überlassung die Kennzeichnungspflichten eingehalten werden. Im Übrigen muss versucht werden, durch tarifliche Regelungen eine Anwendbarkeit des Equal-Pay-Grundsatzes zu vermeiden. Denn diese Pflicht kann im Regelfall nicht fehlerfrei umgesetzt werden. In jedem Fall erzeugen die Voraussetzungen für die Erlangung der dafür erforderlichen Erkenntnisse einen solchen Aufwand, dass sich die 76
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Fortsetzung der Arbeitnehmerüberlassung in vielen Fällen nicht rechnet. Wahrscheinlich war genau das der Grund für die gesetzliche Regelung. (Ga)
3.
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Das BAG49 musste sich in jüngster Zeit in mehreren Entscheidungen mit der Frage befassen, ob abgelehnte Bewerber zumindest auch wegen ihres Alters im Auswahlverfahren für die Besetzung eines vakanten Arbeitsplatzes unberücksichtigt geblieben sind, wobei bereits die Stellenausschreibung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters indizierte. In sämtlichen Fällen hatten die abgelehnten Bewerber Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot geltend gemacht. Während sich nach der früheren Rechtsprechung des 8. Senats des BAG50 eine Person nur dann in einer vergleichbaren Situation bzw. vergleichbaren Lage i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG befinden sollte, wenn sie für die ausgeschriebene Stelle „objektiv geeignet“ war, weil das AGG seinem Schutzzweck gemäß nur vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht aber eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren wolle, hat der 8. Senat des BAG mit Urteilen vom 19.5.201651 diese Rechtsprechung aufgegeben. Nunmehr geht der 8. Senat des BAG52 davon aus, dass die objektive Eignung nicht mehr Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG ist. Zu dieser Rechtsprechungsänderung sah sich der 8. Senat des BAG veranlasst, weil § 15 Abs. 2 S. 2 AGG den Entschädigungsanspruch für Personen, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären, nicht ausschließt, sondern lediglich der Höhe nach begrenzt und auch bei „benachteiligungsfreier Aus-
49 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15 n. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA BAG v. 11.8.2016 – 8 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 50 BAG v. 23.1.2014 – 8 AZR 118/13, BB 2014, 1534 Rz. 18 14.11.2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489 Rz. 18 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 20 – 8 AZR 180/12, NZA 2013, 840 Rz. 19 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 24. 51 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 583/14 n. v. Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 477/14 n. v. Rz. 59 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 23. 52 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 506 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 23.
77
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Fortsetzung der Arbeitnehmerüberlassung in vielen Fällen nicht rechnet. Wahrscheinlich war genau das der Grund für die gesetzliche Regelung. (Ga)
3.
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Das BAG49 musste sich in jüngster Zeit in mehreren Entscheidungen mit der Frage befassen, ob abgelehnte Bewerber zumindest auch wegen ihres Alters im Auswahlverfahren für die Besetzung eines vakanten Arbeitsplatzes unberücksichtigt geblieben sind, wobei bereits die Stellenausschreibung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters indizierte. In sämtlichen Fällen hatten die abgelehnten Bewerber Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot geltend gemacht. Während sich nach der früheren Rechtsprechung des 8. Senats des BAG50 eine Person nur dann in einer vergleichbaren Situation bzw. vergleichbaren Lage i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG befinden sollte, wenn sie für die ausgeschriebene Stelle „objektiv geeignet“ war, weil das AGG seinem Schutzzweck gemäß nur vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht aber eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren wolle, hat der 8. Senat des BAG mit Urteilen vom 19.5.201651 diese Rechtsprechung aufgegeben. Nunmehr geht der 8. Senat des BAG52 davon aus, dass die objektive Eignung nicht mehr Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG ist. Zu dieser Rechtsprechungsänderung sah sich der 8. Senat des BAG veranlasst, weil § 15 Abs. 2 S. 2 AGG den Entschädigungsanspruch für Personen, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären, nicht ausschließt, sondern lediglich der Höhe nach begrenzt und auch bei „benachteiligungsfreier Aus-
49 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15 n. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA BAG v. 11.8.2016 – 8 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 50 BAG v. 23.1.2014 – 8 AZR 118/13, BB 2014, 1534 Rz. 18 14.11.2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489 Rz. 18 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 20 – 8 AZR 180/12, NZA 2013, 840 Rz. 19 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 24. 51 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 583/14 n. v. Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 477/14 n. v. Rz. 59 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 23. 52 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 506 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 23.
77
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
wahl“ die Bewerber nicht eingestellt würden, denen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle fehlt. Außerdem würde das Erfordernis der „objektiven Eignung“ des Anspruchstellers als Kriterium der vergleichbaren Situation bzw. vergleichbaren Lage i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG den Entschädigungsprozess mit der schwierigen Abgrenzung der „objektiven Eignung“ von der „individuellen fachlichen und persönlichen Qualifikation“ belasten und dadurch die Wahrnehmung der durch das AGG und die Richtlinie 2000/78/EG verliehenen Rechte erschweren. Überdies würde bei fehlender Vergleichsperson das Erfordernis der „objektiven Eignung“ des Bewerbers als Kriterium der vergleichbaren Situation bzw. vergleichbaren Lage i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG dann nahezu praktisch unmöglich machen, wenn dieser der einzige Bewerber war. Der 8. Senat des BAG hat seit der Entscheidung vom 19.5.201653 den Bewerberbegriff in § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG als einen formalen Begriff interpretiert, wonach Bewerber ist, wer eine Bewerbung eingereicht hat. Soweit der 8. Senat des BAG54 zuvor zusätzlich die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung gefordert hatte, hält das BAG auch an diesem Merkmal nicht mehr fest, weil es sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck von § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG ergäbe. Angesichts dessen stellt sich die Frage der subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung nur noch im Zusammenhang mit dem Rechtsmissbrauchseinwand, dass sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern um eine Entschädigung geltend zu machen, indem sie sich unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) den formalen Status als Bewerber i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG verschafft und damit für sich den persönlichen Anwendungsbereich des AGG treuwidrig eröffnet hat55. Mit dieser Neuorientierung der Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwandes, was seine Position in Relation zur bisherigen Anwendung und Auslegung von § 3 Abs. 1 und 2 AGG schwächt. 53 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 62. 54 BAG v.18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063 Rz. 26: Der Status Bewerber ist davon abhängig, dass sich der Bewerber mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 4 66/09, NZA 2011, 203 Rz. 28: Im Falle ein krasses Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle und Qualifikation des Bewerbers bestand. 55 EuGH v. 28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 Rz. 44 – vorgehend BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063 Rz. 26 Grimm Lingemann/Steinhauser, ArbR 2016, 515.
78
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
a)
Diskriminierung trotz fehlender Eignung des Bewerbers
Der in der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 19.5.201656 beurteilte Sachverhalt betraf einen 1953 geborenen promovierten Rechtsanwalt, der seine beiden Staatsexamina mit der Note befriedigend (sieben Punkte) abgelegt hat und sich bei der Beklagten, einer Partnerschaft von Rechtsanwälten, um eine im November 2012 in der NJW ausgeschriebene Stelle beworben hatte, die wegen veränderter Umstände nicht besetzt wurde. In der Stellenausschreibung wurden ein Rechtsanwalt (m/w) „mit 0-2 Jahren Berufserfahrung“ gesucht und erstklassige Arbeitsbedingungen in einem „jungen und dynamischen Team“ geboten sowie vom Anforderungsprofil her eine „erstklassige juristische Qualifikation“ verlangt. Sämtliche bei der Beklagten beschäftigten Anwälte hatten die beiden juristischen Staatsexamina mit Abschlussnoten von jeweils mindestens neun Punkten (voll befriedigend) bestanden. Die Bewerbung des 59-jährigen Klägers blieb erfolglos, was diesen veranlasste, von der Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu beanspruchen, während sich die Beklagte unter anderem damit verteidigte, der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle im Hinblick auf seine Examensergebnisse objektiv ungeeignet gewesen, des Weiteren habe er sich nicht ernsthaft auf die ausgeschriebene Stelle beworben, weil er sich bereits in zahlreichen Fällen auf ihm diskriminierend erscheinende Stellenanzeigen beworben habe, um lediglich in den Genuss einer Entschädigungszahlung zu gelangen. Das ArbG und LAG Hamburg haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei bereits für die ausgeschriebene Stelle objektiv nicht geeignet, weshalb es an dem Erfordernis der vergleichbaren Situation i. S. v. § 3 Abs. 1 und 2 AGG fehle. Das BAG hat den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen. Eine Entschädigungsklage des gleichen inzwischen 60-jährigen Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG war Gegenstand der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 11.8.201657. Die Beklagte war eine BGB-Gesellschaft (Sozietät), deren beide Gesellschafter beim BGH zugelassene Rechtsanwälte sind. Die Beklagte suchte im Juni 2013 in der NJW einen Rechtsanwalt „mit erster Berufserfahrung“ oder auch „als Berufsanfänger mit hervorragenden Rechtskenntnissen“ auf den Gebieten des Zivil- und Wirtschaftsrechts, worauf sich der Kläger erfolglos bewarb. Die Beklagte stellte einen 42-jährigen Bewerber mit 14-jähriger Berufserfahrung ein. Gegen den daraufhin vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch verteidigte sich die Beklagte u. a. mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs und mit dem Hinweis 56 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 57 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310.
79
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
darauf, dass sie nur Bewerber zum Einstellungsgespräch mit der Examensnote voll befriedigend eingeladen und davon einen Kandidaten eingestellt habe. Auch in diesem Fall hatten das ArbG Karlsruhe und das LAG BadenWürttemberg die Klage daran scheitern lassen, dass der Kläger wegen seiner Examensnoten objektiv nicht geeignet gewesen sei und sich deshalb unabhängig von seinem Alter nicht in einer vergleichbaren Situation mit den weiteren Bewerbern befunden habe, sodass eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters zu verneinen sei. Das BAG hat auch in diesem Fall unter Aufhebung der Entscheidung des LAG den Rechtsstreit zurückverwiesen. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist, dass der abgelehnte Bewerber entgegen § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt worden ist. Angesichts dessen muss zwischen der benachteiligenden Behandlung unter einem in § 1 AGG genannten Grund ein Kausalzusammenhang bestehen, der bereits dann vorliegt, wenn die Benachteiligung an einen Grund i. S. v. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit ausreicht58. Eine Einschränkung erfährt diese Bewertung nach Ansicht des BAG59 unter der Prämisse, dass etwa eine negative Auswahlentscheidung des Arbeitgebers, die mit einer unmittelbaren Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG verbunden ist, nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG gerechtfertigt ist. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG). Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Gemäß § 10 S. 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. § 10 S. 3 AGG enthält dabei eine beispielhafte Aufzählung von Tatbeständen, nach denen unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters i. S. v. § 10 S. 1 und S. 2 AGG gerechtfertigt sein können (Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG). So wäre auch der Tatbestand einer mittelbaren Benachteiligung i. S. v. § 3
58 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 43 BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, ZTR 2014, 731 Rz. 34. 59 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 21.
80
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Abs. 2 AGG zu verneinen, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Soweit es um den Kausalzusammenhang geht, sieht § 22 AGG für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen eine Erleichterung der Darlegungslast mit einer Absenkung des Beweismaßes sowie eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei den Vollbeweis dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat60. Eine Person, die sich auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen will, genügt damit ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass sie eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfahren hat61, wobei alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen sind62. Formulierungen in einer Stellenausschreibung können durchaus geeignet sein, wie das BAG in den Entscheidungen vom 19.5.201663 und 11.8.201664 verdeutlicht, ein Indiz dafür abzubilden, dass der erfolglose Bewerber wegen eines in § 1 AGG aufgeführten Grundes benachteiligt worden ist. Diese Bewertung folgt bereits aus § 11 AGG, wonach ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden darf. Das Verständnis des Inhalts einer Ausschreibung i. S. v. § 11 AGG, die sich an eine unbekannte Vielzahl von Personen mit der Aufforderung wendet, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben65, richtet sich unter Berücksichtigung ihres objektiven Inhalts und typischen Sinns nach den Verständnismöglichkeiten eines verständigen und redlichen potentiellen Bewerbers66. Das BAG67 betont jedoch in diesem Zusammenhang zu Recht, dass sich ungeachtet einer nicht diskriminierungsfreien Ausschreibung des Arbeitsplatzes die 60 Vgl. dazu BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 54. 61 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 375/15, NZA 2017, 43 Rz. 24. 62 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, ZTR 2014, 731 Rz. 31. 63 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016,1394 Rz. 55. 64 BAG 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 64. 65 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. 29. 66 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. 29. 67 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 55.
81
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Ablehnung des Bewerbers nach den §§ 8, 9, 10 AGG rechtfertigen lässt oder der Arbeitgeber den Vollbeweis dafür erbringt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe für die Benachteiligung maßgebend gewesen sind. Derartige andere Gründe können nach Auffassung des BAG68 etwa anzunehmen sein, wenn vor Eingang der Bewerbung der klagenden Partei das Erfordernis, die Stelle überhaupt zu besetzen, entfallen oder abgebrochen wurde. Gleiches soll gelten, wenn das Auswahlverfahren bereits abgeschlossen war, bevor die Bewerbung der klagenden Partei eingegangen ist, oder dass die klagende Partei eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit ist. Der Arbeitgeber vermag sich – wie das BAG ergänzend ausführt – auch zur Widerlegung der Vermutung aus § 22 AGG darauf zu berufen, dass er substantiiert vorträgt und nachweist, bei der Behandlung sämtlicher Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen zu sein, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt69. Dies kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt darauf hin sichtet, ob die Bewerber eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er sämtliche Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheidet, bei denen dies nicht der Fall ist. Will sich der Arbeitgeber darauf erfolgreich berufen, ist zunächst erforderlich, dass die entsprechende Anforderung bereits in der Stellenausschreibung oder in dem darin formulierten Anforderungsprofil einen hinreichenden Anklang gefunden hat. Beispielhaft verweist das BAG dabei auf eine Stellenausschreibung, wonach die gesuchte Person über eine herausragende, hervorragende oder erstklassige Qualifikation verfügen muss, und der Arbeitgeber alle Bewerber von vornherein ausnimmt, die eine bestimmte Examensnote nicht erzielt haben. Des Weiteren hat der Arbeitgeber darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass er ein derartiges Verfahren tatsächlich praktiziert und konsequent zu Ende geführt hat. Dazu gehört nach Ansicht des BAG, dass der Arbeitgeber substantiiert darlegt, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, welche Bewerber aus demselben Grund ebenso wie der betroffene klagende Arbeitnehmer aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, welche Bewerber im weiteren Auswahlverfahren
68 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 89 ff. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 506 Rz. 87 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 87 ff. 69 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 91.
82
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
verblieben sind und dass der schließlich ausgewählte Bewerber die vom Arbeitgeber gestellte Anforderung auch tatsächlich erfüllt70. In Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze, lässt das BAG in der Entscheidung vom 19.5.201671, in der es in der Ausschreibung um einen Rechtsanwalt „mit 0-2 Jahren Berufserfahrung“ mit einer langfristigen Perspektive in einem „jungen und dynamischen Team“ ging, die Klage auf Zahlung einer Entschädigung im Gegensatz zum LAG Hamburg72 nicht daran scheitern, dass der Kläger wegen der fehlenden erstklassigen juristischen Qualifikation mit nur befriedigenden Examensnoten für die ausgeschriebene Position objektiv ungeeignet war, weshalb es an dem Erfordernis der vergleichbaren Situation i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG fehle. Ebenso wenig kam es in diesem Zusammenhang für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des AGG darauf an, ob sich der Kläger subjektiv ernsthaft beworben hatte, weil für die Anwendung von § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG allein der Umstand der Bewerbung (formaler Bewerberbegriff) ausreicht. Da der Kläger seinen Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht innerhalb der materiell-rechtlichen zweimonatigen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht und innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch geltend gemacht worden war, eingeklagt hatte (§ 61 b Abs. 1 ArbGG) und der Entschädigungsanspruch auch nicht dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt war, kam es zunächst darauf an, ob die Formulierungen in der Stellenausschreibung die Vermutung i. S. v. § 22 AGG zuließen, dass der Kläger entgegen den Vorgaben von § 11 AGG unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (§ 7 Abs. 1 AGG i. V. mit § 1 AGG) die ungünstigere Behandlung der Absage seiner Bewerbung gemäß § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters erfahren hat. Das BAG geht dabei davon aus, dass das in der Stellenausschreibung enthaltene Anforderungskriterium, mit dem ein Rechtsanwalt (m/w) mit 0-2 Jahren Berufserfahrung gesucht wird, Personen wegen des in § 1 AGG genannten Grundes „Alter“ gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen kann (§ 3 Abs. 2 AGG) und dass die Formulierung in der Stellenausschreibung, wonach dem Bewerber eine langfristige Perspektive in einem „jungen und dynamischen Team“ geboten wird, eine unmittelbare 70 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 89 ff. 71 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 72 LAG Hamburg v. 28. 1. 2014 – 2 Sa 50/13 n. v.
BAG v. 11.8.2016
83
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Diskriminierung wegen des Alters bewirkt. Bei einer Berufserfahrung von 0-2 Jahren wird nämlich signalisiert, lediglich ein Interesse an der Gewinnung jüngerer Personen zu haben, womit gleichzeitig typischerweise ältere Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, weil sie allein wegen dieser Anforderung von einer Bewerbung Abstand nehmen. Mit der Beschreibung des Teams als „jung“ und „dynamisch“ wird aus der Sicht eines objektiven Betrachters die Annahme verbunden, dass der Bewerber ebenso jung und dynamisch sein muss, wie die Mitglieder des Teams, in das er integriert werden soll. Mit dieser Feststellung ist die Vermutung i. S. v. § 22 AGG verbunden, dass der Kläger wegen seines Alters i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG bei der Bewerbung ungünstiger behandelt worden ist. Dagegen vermag sich der Arbeitgeber nur dann mit Erfolg zu verteidigen, wenn er bezüglich der mittelbaren Diskriminierung älterer Personen in der Ausschreibung (Berufserfahrung von 0-2 Jahren) einwenden könnte, diese Benachteiligung sei durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels seien angemessen und erforderlich. Damit müssen die Mittel nicht nur geeignet sein, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgte Ziel zu erreichen. Es dürfen auch keine anderen geeigneten Mittel zur Erreichung des Ziels, die weniger einschneidend sind, zur Verfügung stehen. Schließlich dürfen die Mittel nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Personen führen, die wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden73. Im Hinblick auf die in der Ausschreibung enthaltene unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters (junges Team) müsste der Arbeitgeber einen Rechtfertigungsgrund gemäß §§ 8 oder 10 AGG einwenden können. Nach § 8 Abs. 1 AGG, welche Vorschrift der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dient, ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines Merkmals, das mit dem Alter im Zusammenhang steht, davon abhängig, dass es eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Damit wird auf eine Anforderung verwiesen, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist74 , sodass die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit
73 EuGH v. 26.2.2015 – C-515/13, NZA 2015, 473 Rz. 25 ff., 44 – Ingeniørforeningen i Danmark EuGH v. 26.9.2013 – C-546/11, NVwZ 2013, 1401 Rz. 56, 59 ff. – Dansk Jurist- og Økonomforbund BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. 39. 74 EuGH v. 14.3.2017 – C-188/15, NZA 2017, 375 Rz. 40 – Bougnaoui.
84
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
davon abhängt75. Bei der Anwendung von § 10 S. 1 AGG können nur legitime Ziele i. S. d. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden, die als sozialpolitische Ziele im Allgemeininteresse stehen, wie die in dieser Vorschrift als Beispiele genannten Bereiche Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung76. Außerdem muss nach § 10 S. 2 AGG hinzukommen, dass die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind77. Derartige Gesichtspunkte werden nur im Ausnahmefall im Hinblick auf das Alter eines Bewerbers eine Rolle spielen können. Jedenfalls im Streitfall hatte die Beklagte, die als Arbeitgeberin die Darlegungs- und Beweislast trägt, zu den Rechtfertigungsgründen aus den §§ 8 und 10 AGG nichts vorgetragen. Wie zuvor dargelegt worden ist, kann der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG bei einem Verstoß gegen § 11 AGG auch Tatsachen vortragen und nachweisen, aus denen hervorgeht, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe – vorliegend das Alter – zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben, und damit die Vermutung des § 22 AGG widerlegen. Da die Beklagte in der Ausschreibung eine erstklassige juristische Qualifikation als Voraussetzung eingefordert hat, könnte dieser Gesichtspunkt, weil er im Anforderungsprofil der Stellenausschreibung einen Anklang gefunden hat, bei der Auswahl sämtlicher Bewerber in einem ersten Schritt – unabhängig von ihrem jeweiligen Alter – zum Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren geführt haben. Da die Vorinstanz von ihrem Standpunkt aus zutreffend weder das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen noch die Widerlegung der Kausalität im Hinblick auf § 22 AGG geprüft hatte, hat der 8. Senat des BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Ebenso ist der 8. Senat des BAG in der Entscheidung vom 11.8.201678 verfahren und hat den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils an das LAG79 zurückverwiesen. Das LAG war auf der Grundlage der bisherigen Recht75 BAG v. 22.5.2014 – 8 AZR 662/13, NZA 2014, 924. 76 EuGH v. 9.9.2015 – C-20/13, NJW 2015, 3291 Rz. 43 – Unland EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, NZA 2009, 305 Rz. 46 – BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 83. 77 EuGH v. 9.9.2015 – C-20/13, NJW 2015, 3291 Rz. 43 – Unland BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. 39 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 20, 55, 80. 78 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310. 79 LAG Baden-Württemberg v. 29.8.2014 – 12 Sa 15/14 n.v.
85
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sprechung des BAG80in seinem die Entschädigungsklage des Klägers abweisenden Urteil noch davon ausgegangen, dass sich ein abgelehnter Bewerber mit dem nicht abgelehnten Bewerber nur dann in einer vergleichbaren Situation im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG befindet, wenn er für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet ist. Dabei müsse der abgelehnte Bewerber, der einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot geltend mache, seine objektive Eignung für die ausgeschriebene Stelle zumindest mit Indiztatsachen darlegen. Da für die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle nur Rechtsanwälte und Volljuristen (m/w) objektiv geeignet waren, die über hervorragende Rechtskenntnisse auf den Gebieten des Zivil- und Wirtschaftsrechts verfügten, sei der Kläger durch den vorzeitigen Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren nicht unmittelbar benachteiligt worden. Er habe sich mangels objektiver Eignung für die ausgeschriebene Stelle mit den zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern nicht in einer vergleichbaren Situation befunden. Aufgrund seiner geänderten Rechtsprechung hat der 8. Senat des BAG zunächst angenommen, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG für den Kläger eröffnet war, weil dieser bei den Beklagten eine Bewerbung eingereicht hat und es nicht darauf ankam, ob zusätzlich die subjektive Ernsthaftigkeit dieser Bewerbung vorlag. Im Gegensatz zur Auffassung des LAG war der Kläger dadurch, dass er von der Beklagten nicht eingestellt wurde, auch unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, weil er eine ungünstigere Behandlung erfahren hat, als der letztlich von der Beklagten eingestellte Bewerber. Dabei geht nunmehr der 8. Senat des BAG davon unter Aufgabe seiner früher anderslautenden Rechtsprechung davon aus, dass das Erfordernis der objektiven Eignung des Anspruchstellers als Kriterium der vergleichbaren Situation oder vergleichbaren Lage i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG keine Rolle mehr spielt, weil diese Voraussetzung die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs übermäßig erschweren würde. Da der Bewerber nicht in der Lage sei, über einen dahingehenden Auskunftsanspruch81 in Erfahrung zu bringen, 80 BAG v. 23.1.2014 – 8 AZR 118/13, BB 2014, 1534 Rz. 22 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489 Rz. 37 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 31 – 8 AZR 180/12, NZA 2013, 840 Rz. 23 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 30. 81 EuGH v. 19.4.2012 – C-415/10, NZA 2012, 493 Rz. 42 – M – 8 AZR 287/08, DB 2013, 2509 Rz. 56: Ein abgelehnter Stellenbewerber hat gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Auskunft über den eingestellten Bewerber und die Gründe für die getroffene Personalauswahl. Die unter dem Aktenzeichen 1 BvR
86
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
wer sich außer ihm mit welcher Qualifikation auf die ausgeschriebene Stelle beworben habe und für welchen Bewerber sich der potenzielle Arbeitgeber entschieden hat, werde er daran gehindert, die Umstände für eine Vermutung nach § 22 AGG vorzutragen. Insofern ist es zutreffend, dass das BAG82 bislang davon ausgegangen ist, dass der Arbeitnehmer zunächst darlegt, dass mit ihm vergleichbare Arbeitnehmer anders behandelt werden. Erst nach einem solchen Vortrag muss der Arbeitgeber gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört. Auch in der Entscheidung vom 11.8.201683 wiederholt der 8. Senat des BAG das bereits in der Entscheidung vom 19.5.201684 zusätzlich verwendete Argument, dass das Erfordernis der objektiven Eignung als Kriterium der vergleichbaren Situation i. S. v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs eines Bewerbers aus § 15 Abs. 2 AGG dann nahezu praktisch unmöglich machen würde, wenn dieser der einzige Bewerber um die Stelle wäre, weil es dann an der Existenz einer Vergleichsperson fehle. Soweit die Beklagten in der Stellenanzeige Rechtsanwälte (m/w) mit „erster Berufserfahrung“ oder auch als „Berufsanfänger“ angesprochen haben, hat das BAG darin einen Verstoß gegen § 11 AGG gesehen, der zugunsten des Klägers die Vermutungswirkung aus § 22 AGG ausgelöst und damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität des Alters des Klägers mit 60 Jahren im Hinblick auf die Nichteinstellung begründet hat. Das BAG begründet diese Bewertung damit, dass die Anforderungskriterien zwar begrifflich neutral sind, jedoch signalisieren, dass die Beklagten lediglich Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter haben. Angesichts dessen seien diese Anforderungen geeignet, ältere gegenüber jüngeren Personen wegen des Alters in besonderer Weise zu benachteiligen (§ 3 Abs. 2 AGG), weil typischerweise ältere Personen allein wegen dieser Anforderungen häufig von vornherein von einer Bewerbung absehen würden. Ob ein Beschäftigter seiner sich aus § 22 AGG ergebenden Darlegungslast nachgekommen ist, er also Indizien vorgetragen hat, welche die ungünstigere Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, unterliegt der freien Überzeugung des Tatsachengerichts nach § 286
2535/13 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des BVerfG v. 1.10.2013 nicht zur Entscheidung angenommen. 82 BAG v. 25.4.2013 – 8 AZR 287/08, DB 2013, 2509 Rz. 59. 83 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 31. 84 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 23.
87
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze sind auch auf die Fälle anzuwenden, in denen die Tatsachengerichte zu entscheiden haben, ob vorgetragene und ggf. bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Partei als wahr vermuten lassen85. Die Beklagten können allerdings – nach Zurückverweisung an das LAG – bereits den Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters (§ 3 Abs. 2 AGG) ausräumen, wenn sie substantiiert vortragen und nachweisen sollten86, dass die Anforderungskriterien durch ein rechtmäßiges Ziel, das seinerseits nicht mit einer Diskriminierung nach § 1 AGG verbunden ist, sachlich gerechtfertigt sowie zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind87. Überdies können die Beklagten Tatsachen vortragen und im Bestreitensfall beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe (vorliegend das Alter) zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben (§ 22 AGG). Ein derartiger Grund kann allerdings nach Ansicht des BAG nicht darin liegen, dass der Arbeitgeber später von einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers gänzlich absieht und damit die Stelle nach Beginn der eigentlichen Bewerberauswahl unbesetzt bleibt88. Im Streitfall war jedoch daran zu denken, ob die Beklagten bei der Behandlung sämtlicher Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen sind, das von vornherein eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt, weil sie in dem in der Stellenausschreibung formulierten Anforderungsprofil Bewerber mit hervorragenden Rechtskenntnissen gesucht haben. In diesem Zusammenhang hält es das BAG für zulässig, Bewerber, die eine bestimmte Examensnote – etwa vollbefriedigend – nicht erzielt haben, aus dem weiteren 85 BAG v. 25.4.2013 – 8 AZR 287/08, DB 2013, 2509 Rz. BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 257/07, NZA 2008, 1351 Rz. 27. 86 Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Arbeitgeber: BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 63. Anders aber BT-Drucks. 16/1780 S. 33. 87 So bereits zu Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, NZA 2009, 305 Rz. 46 – Age Concern vgl. auch BAG v. 16.10.2014 – 6 AZR 661/12, ZTR 2015, 82 Rz. 41. 88 So bereits BAG v. 23. 8. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37 Rz. 22: Da die ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt.
88
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
Auswahlverfahren auszunehmen, wenn eine entsprechende Anforderung – wie hier – einen Anklang in der Stellenausschreibung gefunden hat. Hätte daher die Beklagte sämtliche Bewerber in einem ersten Schritt aus dem Auswahlverfahren ausgenommen und nicht mehr zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, die eine Examensnote unterhalb vollbefriedigend aufwiesen, und einen Bewerber mit Examensnote vollbefriedigend eingestellt, wären ausschließlich andere Gründe als das Alter des Klägers für seine ungünstigere Behandlung ursächlich gewesen. Schließlich könnte – was eher fernliegend ist – die unmittelbare Benachteiligung, die der Kläger durch die Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren wegen seines Alters erfahren hat, ausnahmsweise nach § 8 Abs. 1 AGG oder § 10 AGG zulässig gewesen sein, wofür die Beklagten die Darlegungsund Beweislast tragen. Da das LAG als Vorinstanz wegen der aus § 3 Abs. 1 AGG entwickelten Lösung ungeprüft gelassen hat, ob das Entschädigungsverlangen des Klägers dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist, hat das LAG nach einem entsprechenden Hinweis des BAG auch dieser Frage nachzugehen. Hierfür trägt der Arbeitgeber, der diesen Einwand geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast89. Das BAG hält einen entsprechenden Rechtsmissbrauch für gegeben, wenn eine Person mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle zu erhalten sucht, sondern nur die formale Position eines Bewerbers i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen. Eine derartige Person, die ihre Position als Bewerber treuwidrig herbeigeführt hat, verdient nicht den Schutz des AGG vor Diskriminierung einschließlich der in § 15 AGG geregelten Leistungen, sondern missbraucht diesen vom AGG gewährten Schutz. Diese Aussage des BAG liegt auf der Linie der Rechtsprechung des EuGH. Nach der Entscheidung des EuGH vom 28.7.201690 sind Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, 89 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 86 BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063 Rz. 11. 90 EuGH v. 28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 – Kratzer.
89
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann. Dabei verlangt der EuGH für die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals. Bezüglich des objektiven Tatbestandsmerkmals muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. Das subjektive Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte hervorgeht, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Das Missbrauchsverbot greift allerdings nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines Vorteils. Auch insoweit reichten die Feststellungen des LAG nicht aus, um den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zuzulassen. Dabei hat das BAG nicht genügen lassen, dass der Kläger, der auch kein erfolgversprechendes Bewerbungsschreiben verfasst hatte, für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich ungeeignet war, sich in weiteren 15 Fällen unabhängig von der jeweils vorausgesetzten speziellen Qualifikation auf ihm diskriminierend erscheinende Stellenanzeigen beworben und in allen Fällen standardisierte, gleichlautende Geltendmachungsschreiben und Klagen bei Gericht eingereicht hatte. Etwas Anderes würde gelten, wenn sich das Vorgehen – auch im Streitfall – als Teil eines systematischen und zielgerichteten Geschäftsmodells darstellen würde, was nur angenommen werden könne, wenn über die im Streitfall vom Arbeitgeber konkret ausgeschriebene Stelle hinaus in demselben Medium weitere Stellen diskriminierungsfrei ausgeschrieben waren, auf die sich der Kläger hätte bewerben können, dies aber unterlassen hatte. Außerdem könne der Kläger darlegen, dass sein Verhalten eine andere Erklärung habe als nur die Erlangung einer Entschädigung, wenn er sich etwa auf diskriminierungsfrei ausgeschriebene Stellen ebenfalls beworben habe.
b)
Altersdiskriminierung durch das Merkmal der „Berufserfahrung“ sowie die Einbindung in ein „junges, dynamisches Team“
Auch in der Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 11.8.201691 ging es um einen 1969 geborenen Diplom-Betriebswirt, der sich bei der Beklagten, die eine international tätige Personalberatung betreibt, auf eine am 9.11.2011 veröffentlichte Stellenanzeige im Internet beworben hat. In der Anzeige wurde ein Junior-Consultant, den eine näher umschriebene Tätig91 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 506.
90
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
keit in einem professionellen Umfeld mit einem jungen dynamischen Team erwartete. Der 42-jährige Kläger bewarb sich mit E-Mail vom 11.11.2011 bei der Beklagten auf diese Stelle und erhielt mit E-Mail der Beklagten vom 17.11.2011 eine Absage, was ihn veranlasste, mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16.1.2012 Schadensersatz und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG zu verlangen, welche Ansprüche auch Gegenstände einer gegen die Beklagte gerichteten Feststellungs- und Zahlungsklage geworden sind. Zum Zeitpunkt der Bewerbung des Klägers beschäftigte die Beklagte keinen Senior-Consultant. Sie besetzte die ausgeschriebene Stelle, für die 46 Bewerbungen eingegangen waren, mit einem 28 Jahre alten Mitbewerber. Während das ArbG unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 6000,- € verurteilt hat, hat das LAG92 die Klage unter teilweiser Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vollständig abgewiesen, weil die Formulierungen in der Ausschreibung der Beklagten keine Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen des Alters i. S. v. § 22 AGG zuließen. Der Begriff „Junior“ im Zusammenhang mit „Consultant“ beziehe sich auf geringe berufliche Erfahrungen und auf eine damit verbundene niedrigere Stellung in der betrieblichen Hierarchie. Das Adjektiv „jung“ beziehe sich auf das Team als solches, nicht aber auf seine Mitglieder. Dieser Bewertung ist das BAG nicht gefolgt und meint, dass die Beklagte die Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben habe und dies die Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründe, sodass der erfolglose Bewerber im Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes i. S. v. § 1 AGG benachteiligt wurde. Das BAG geht dabei davon aus, dass die Formulierung in einer Stellenausschreibung, wonach dem/der Bewerber/in eine Tätigkeit in einem professionellen Umfeld „mit einem jungen dynamischen Team“ geboten wird, eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters bewirkt und deshalb geeignet ist, die Vermutung i. S. v. § 22 AGG zu begründen, dass der Kläger im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren unmittelbar wegen seines Alters benachteiligt wurde (§ 3 Abs. 1 AGG). Das BAG konnte sich auch nicht der Auffassung des LAG anschließen, der Begriff „JuniorConsultant“ beziehe sich auf fehlende bzw. geringe Berufserfahrungen, weshalb eine mittelbare Verknüpfung i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG mit dem in § 1 AGG genannten Grund „Alter" zu verneinen sei. Bei der Berufserfahrung handele es sich zwar um ein dem Anschein nach neutrales Kriterium im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG, weil damit nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Alter Bezug genommen werde. Jedoch sei das Kriterium der Berufserfah-
92 LAG Rheinland-Pfalz v. 10.2.2014 – 3 Sa 27/13 n. v. Rz. 106 ff.
91
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
rung mittelbar mit dem in § 1 AGG genannten Grund „Alter“ verknüpft. Diese Schlussfolgerung bezieht das BAG aus dem Umstand, dass Bewerber mit einer längeren Berufserfahrung gegenüber Berufsanfängern und gegenüber Bewerbern mit erster oder kurzer Berufserfahrung typischerweise ein höheres Lebensalter aufwiesen. Daran änderte es nichts, dass es gelegentlich untypische Quereinsteiger gebe. Da der persönliche Anwendungsbereich des AGG für den Kläger als Bewerber gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG eröffnet war und er den Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht geltend gemacht (§ 15 Abs. 4 AGG) sowie den Entschädigungsanspruch fristgerecht eingeklagt (§ 61 b Abs. 1 ArbGG) hat, war das LAG nach der Zurückverweisung gehalten, der Frage nachzugehen, ob möglicherweise die unmittelbare Diskriminierung des Klägers wegen seines Alters nach § 8 Abs. 1 AGG oder nach § 10 AGG zulässig gewesen ist. Außerdem hat das BAG dem LAG die Prüfung aufgegeben, ob die Beklagte Tatsachen vorgetragen und ggf. bewiesen hat, aus denen sich ergeben kann, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe – im Streitfall das Alter – zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben. Dabei bedient sich das BAG der Erwägungen, die bereits in früheren Entscheidungen93 ihren Niederschlag gefunden haben. Dies gilt auch für die Frage, ob das Verlangen des Klägers nach Ersatz des materiellen Schadens gemäß § 15 Abs. 1 AGG und sein Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sind. Soweit es um den nach § 15 Abs. 1 AGG zu ersetzenden Vermögensschaden geht, weist das BAG darauf hin, dass dieser auch nach § 252 BGB entgangenes Arbeitsentgelt umfasst94. Insoweit trifft den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsausfüllende Kausalität. Er muss daher darlegen und nachweisen können, dass er bei benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle erhalten hätte. Bezüglich des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG macht der Gesetzgeber eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Anspruchsteller sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und nachweisen muss. Ist das Benachteiligungsverbot durch den Arbeitgeber verletzt, sind bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädi93 Vgl. Boewer, AktuellAR 2017, 79 ff. und BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 94 BAG v. 20.6.2013 – 8 AZR 482/12, NZA 2014, 21 Rz. BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317 Rz. 26 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412 Rz. 75. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZA 2012, 797 Rz. 60 ff.
92
Aktuelles zur Diskriminierung von internen / externen Bewerbern
gung alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionscharakter der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen95. Die vorstehenden Grundsätze einer Benachteiligung wegen des Alters im Auswahlverfahren hat der 8. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 15.12.201696 auf eine Stellenausschreibung übertragen, mit der ein Junior Sachbearbeiter Kreditorenbuchhaltung (m/w) gesucht wurde, der „gerade frisch gebacken aus einer kaufmännischen Ausbildung kommt“ und Freude daran hat, gelerntes Wissen in einem einzigartigen Unternehmen einzubringen. Der im Bewerbungsverfahren abgelehnte Kläger war bereits 36 Jahre alt, verfügte über eine Ausbildung zum Industriekaufmann und eine mehr als zehnjährige Berufserfahrung als Buchhalter, Finanzbuchhalter und Debitorenbuchhalter. Der Kläger beanspruchte von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung. Gegen die vom Arbeitsgericht zugesprochene Entschädigung in Höhe von 2.750,– € blieben Berufung und Revision der Beklagten ohne Erfolg. Auch hier ließ sich das BAG von der Erwägung leiten, dass die Stellenausschreibung der Beklagten eine Anforderung enthält, durch die ältere Personen – wie der Kläger – gegenüber jüngeren Personen mittelbar i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG benachteiligt werden, weshalb die Vermutung gemäß § 22 AGG begründet sei, dass der Kläger durch die Absage eine ungünstigere Behandlung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG erfahren hat und entgegen der §§ 1, 7 Abs. 1 AGG wegen seines Alters unmittelbar diskriminiert wurde. Da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass die Anforderung in der Stellenausschreibung „gerade frisch gebacken aus einer kaufmännischen Ausbildung kommend“ zur möglichst optimalen Erledigung der Arbeit erforderlich und angemessen war, darüber hinaus für die unmittelbare Altersdiskriminierung kein Rechtfertigungsgrund (§§ 8, 10 AGG) vorlag und schließlich jedweder Vortrag für eine Widerlegung der Vermutung aus § 22 AGG fehlte, war die Beklagte antragsgemäß zu einer Entschädigung zu verurteilen. Für die betriebliche Praxis ergibt sich aus der Rechtsprechungsänderung des 8. Senats des BAG zur Frage der objektiven und subjektiven Eignung des Bewerbers mit der Maßgabe, dass die objektive Eignung des Bewerbers kein Kriterium der vergleichbaren Situation i. S. v. § 3 Abs. 1 und 2 AGG ist, dass der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Rechtfertigungsgründe (§§ 8, 10 AGG) und die Widerlegung der Vermutung des § 22 AGG zu tragen hat. Leidet bereits die Stellenausschreibungen an einem dis95 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 107. 96 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953.
93
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
kriminierenden Inhalt, besteht kaum noch eine Möglichkeit für den Arbeitgeber, einen Entschädigungsanspruch erfolgreich abzuwehren, auch wenn der Bewerber für die zu besetzende Position ungeeignet ist. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist wenig erfolgversprechend, weil seine Voraussetzungen strengen Anforderungen unterliegen und seine Relevanz entfällt, wenn das fragliche Verhalten auch eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines unberechtigten Vorteils. Es ist daher zu empfehlen, Stellenausschreibungen so neutral zu fassen, dass sie weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG bezeichneten Grundes aufweisen. Erlaubt sind dabei neutrale Anforderungen in Stellenausschreibungen, die sich etwa auf bestimmte Abschlussnoten oder bestimmte Vorkenntnisse beziehen. Allerdings muss der Arbeitgeber den Nachweis erbringen, dass er derartige Anforderungen nicht nur vorgeschoben, sondern stringent im gesamten Auswahlverfahren und bei der Besetzung der Stelle berücksichtigt hat. (Boe)
4.
Neues zur Diskriminierung wegen der religiösen Überzeugung
Rechtsprobleme rund um das islamische Kopftuch spielen nicht nur im Zusammenhang mit der Problematik der Integration von Personen mit Migrationshintergrund eine Rolle, sondern haben nunmehr auch die Rechtsprechung des EuGH97 erreicht. Soweit das Unionsrechts in Rede steht, richtet sich die Beantwortung der Frage, ob ein privater Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin muslimischen Glaubens untersagen kann, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, nach der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG. Auf Vorlage des belgischen Kassationsgerichtshofs musste sich der EuGH in der Entscheidung vom 14.3.201798 mit der Vorlagefrage beschäftigen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG so auszulegen ist, dass das Verbot, als Muslima am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn die beim Arbeitgeber bestehende Regel es allen Arbeitnehmern verbietet, am Arbeitsplatz äußere Zeichen politischer, philosophischer und religiöser Überzeugung zu tragen. Der Fall betrifft ein privates belgisches Unternehmen (G4S), das für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor u. a. Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt. Der Betriebsrat von G4S billigte am 29.5.2006 eine Anpas97 98
94
EuGH v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – G4S Secure Solutions. Vgl. auch EuGH v. 14.3.2017 – C-188/15, NZA 2017, 375 – Bougnaoui. EuGH v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – G4S Secure Solutions.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
kriminierenden Inhalt, besteht kaum noch eine Möglichkeit für den Arbeitgeber, einen Entschädigungsanspruch erfolgreich abzuwehren, auch wenn der Bewerber für die zu besetzende Position ungeeignet ist. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist wenig erfolgversprechend, weil seine Voraussetzungen strengen Anforderungen unterliegen und seine Relevanz entfällt, wenn das fragliche Verhalten auch eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines unberechtigten Vorteils. Es ist daher zu empfehlen, Stellenausschreibungen so neutral zu fassen, dass sie weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG bezeichneten Grundes aufweisen. Erlaubt sind dabei neutrale Anforderungen in Stellenausschreibungen, die sich etwa auf bestimmte Abschlussnoten oder bestimmte Vorkenntnisse beziehen. Allerdings muss der Arbeitgeber den Nachweis erbringen, dass er derartige Anforderungen nicht nur vorgeschoben, sondern stringent im gesamten Auswahlverfahren und bei der Besetzung der Stelle berücksichtigt hat. (Boe)
4.
Neues zur Diskriminierung wegen der religiösen Überzeugung
Rechtsprobleme rund um das islamische Kopftuch spielen nicht nur im Zusammenhang mit der Problematik der Integration von Personen mit Migrationshintergrund eine Rolle, sondern haben nunmehr auch die Rechtsprechung des EuGH97 erreicht. Soweit das Unionsrechts in Rede steht, richtet sich die Beantwortung der Frage, ob ein privater Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin muslimischen Glaubens untersagen kann, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, nach der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG. Auf Vorlage des belgischen Kassationsgerichtshofs musste sich der EuGH in der Entscheidung vom 14.3.201798 mit der Vorlagefrage beschäftigen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG so auszulegen ist, dass das Verbot, als Muslima am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn die beim Arbeitgeber bestehende Regel es allen Arbeitnehmern verbietet, am Arbeitsplatz äußere Zeichen politischer, philosophischer und religiöser Überzeugung zu tragen. Der Fall betrifft ein privates belgisches Unternehmen (G4S), das für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor u. a. Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt. Der Betriebsrat von G4S billigte am 29.5.2006 eine Anpas97 98
94
EuGH v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – G4S Secure Solutions. Vgl. auch EuGH v. 14.3.2017 – C-188/15, NZA 2017, 375 – Bougnaoui. EuGH v. 14.3.2017 – C-157/15, NZA 2017, 373 – G4S Secure Solutions.
Neues zur Diskriminierung wegen der religiösen Überzeugung
sung der Arbeitsordnung, die am 13.6.2006 in Kraft trat und wie folgt lautete: Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.
Diese Regel galt in dem Unternehmen schon bisher ungeschrieben. Die Klägerin, die muslimischen Glaubens ist, wurde im Februar 2003 als Rezeptionistin eingestellt. Im April 2006 kündigte sie an, künftig an ihrem Arbeitsplatz mit einem Kopftuch erscheinen zu wollen. Da die Klägerin diese Ankündigung wahrmachte und nicht bereit war, davon Abstand zu nehmen, wurde ihr am 12.6.2006 von G4S gekündigt. Die Wirksamkeit dieser Kündigung war Gegenstand der prozessualen Auseinandersetzung der Parteien. Der EuGH führt zunächst aus, dass der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 verwendete Begriff der Religion nicht definiert wird. Unter Bezugnahme auf die im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 in Bezug genommene Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verweist der EuGH auf Art. 9 EMRK, wonach jede Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat und sich dazu auch bekennen darf. Des Weiteren gehört auch das in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit zu den garantierten Rechten des Bekennens und des Ausübens seiner Religion oder Weltanschauung. Der Religionsbegriff ist nach Ansicht des EuGH weit zu fassen und umfasst nicht nur den Glauben einer Person als solchen (forum internum), sondern auch die Freiheit jeder Person, die Religion privat und öffentlich auszuüben (forum externum). Im Anschluss an diese allgemeinen Ausführungen zum Religionsbegriff geht der EuGH der Frage nach, ob die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Ungleichbehandlung unmittelbar oder mittelbar an die Religion anknüpft. Da im Streitfall die interne Regel auf das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen abstellt und damit unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt, lässt sich vorliegend keine Benachteiligung der Angehörigen einer bestimmten Religionsgemeinschaft gegenüber Anhängern anderer Religionen ausmachen, sodass der EuGH zu dem Ergebnis gelangt, dass die interne Regel keine unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 begründet. Der EuGH lässt es dabei allerdings nicht bewenden, sondern prüft zusätzlich, ob die in Rede stehende interne Regel eine mittelbar auf der Religion 95
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 begründet. Eine derartige mittelbare Ungleichbehandlung wäre indes ausgeschlossen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Darüber muss grundsätzlich das entscheidende innerstaatliche Gericht befinden, wobei der EuGH den Hinweis erteilt, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, zur unternehmerischen Freiheit gehört, die in Art. 16 der Charta der Grundrechte anerkannt ist und den Arbeitgeber berechtigt, bei der Verfolgung dieses Ziels die Arbeitnehmer einzubeziehen, die mit seinen Kunden in Kontakt treten. In diesem Zusammenhang verweist der EuGH auf den EuGH99, der zu Art. 9 EMRK diese Auffassung bestätigt. Überdies müssen die Mittel zur Erreichung dieses unternehmerischen Ziels, wie es die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber gegenüber seinen Kunden darstellt, angemessen und erforderlich sein. Der EuGH bejaht dies im vorliegenden Fall zumindest dann, wenn sich das Verbot des sichtbaren Tragens jedes Zeichens oder Kleidungsstücks, das mit einem religiösen Glauben oder einer politischen oder philosophischen Überzeugung in Verbindung gebracht werden kann, nur an die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmer richtet. Dabei lässt es der EuGH bewenden, ohne zusätzlich zu thematisieren, ob das hier behandelte Verbot Nachteile verursacht, die außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Auch insoweit ist die hier in Rede stehende Regelung nicht zu beanstanden, weil es um einen Aspekt der persönlichen Lebensführung geht, bei dem einem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung berechtigter unternehmerischer Interessen eine Zurückhaltung zugemutet werden kann, die nur während der Arbeitszeit geboten ist. Für die betriebliche Praxis erweist sich die Entscheidung des EuGH insofern als wegweisend, als klargestellt wird, dass ein Unternehmen berechtigterweise ein Unternehmensbild verkörpern darf, dass auf eine politische, philosophische und religiöse Neutralität ausgerichtet ist. Diese Bewertung hat nicht nur Bedeutung für die nach außen gerichtete Position des Unternehmens, sondern ist gleichermaßen relevant, wenn der Arbeitgeber – etwa aus Gründen des Betriebsfriedens – jede Art von politischer, philosophischer 99
96
EGMR v. 15.1.2013 – 48420/10, NJW 2014, 1935 – Eweida u. a. gegen United – 1 BvR 471/10, NJW 2015, 1359: Zum pauschalen Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen.
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
und religiöserer Aktivität in seinem Betrieb verhindern will. Es dürfte auch keinem rechtlichen Zweifel unterliegen, dass etwa die Einhaltung bestimmter Bekleidungsvorschriften in Krankenhäusern aus Gründen der Hygiene oder im Straßenverkehr oder auf Baustellen aus Gründen der Sicherheit am Arbeitsplatz oder im Falle einer Dienstkleidung im öffentlichen Dienst oder bei Sicherheitsdiensten vom Arbeitgeber vorgegeben werden darf. In Betrieben mit Betriebsrat hat der Arbeitgeber allerdings die Mitbestimmung des Betriebsrats zu respektieren (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). (Boe)
5.
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
a)
Befristung zur Vertretung trotz Möglichkeit einer Personalreserve?
In einer neueren Entscheidung vom 24.8.2016 war der 7. Senat des BAG100 mit der Frage befasst, ob dem Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG entgegensteht, dass der Arbeitgeber über keine ausreichende Personalreserve für Fälle von Krankheit, Urlaub und Freistellung verfügt, um das regelmäßige Arbeitspensum mit unbefristet beschäftigtem Stammpersonal bewältigen zu können. Der Fall betraf eine Briefzustellerin, die in drei Zeiträumen aufgrund von insgesamt acht befristeten Arbeitsverträgen von der Beklagten beschäftigt worden war. In dem zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag war als Zweck die Vertretung der vorübergehend abwesenden Mitarbeiterin H angegeben. Der Vertrag sollte längstens bis zum 28.8.2012 andauern. Die Briefzustellerin H wurde im Zustellungsbezirk 11806 beschäftigt und war zum Zeitpunkt des zuletzt abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrags der Parteien seit mehreren Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin wurde von der Beklagten nicht nur in dem Zustellungsbezirk 11806, sondern auch als Urlaubsvertreterin für die Briefzustellerin C im Zustellungsbezirk 11803 eingesetzt. In dem von der Beklagten betriebenen Zustellstützpunkt besteht ein ständiger Vertretungsbedarf, der durch befristet eingestellte Arbeitnehmer ausgeglichen wird. Unter Hinweis darauf, dass bei der Beklagten ein dauerhafter Vertretungsbedarf bestünde und die Beklagte keine ausreichende Personalreserve unterhielt, hat die Klägerin gegen die Beklagte um Feststellung nachgesucht, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 28.8.2012 hinaus unbefristet fortbesteht. 100 BAG v. 24.8.2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307.
97
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
und religiöserer Aktivität in seinem Betrieb verhindern will. Es dürfte auch keinem rechtlichen Zweifel unterliegen, dass etwa die Einhaltung bestimmter Bekleidungsvorschriften in Krankenhäusern aus Gründen der Hygiene oder im Straßenverkehr oder auf Baustellen aus Gründen der Sicherheit am Arbeitsplatz oder im Falle einer Dienstkleidung im öffentlichen Dienst oder bei Sicherheitsdiensten vom Arbeitgeber vorgegeben werden darf. In Betrieben mit Betriebsrat hat der Arbeitgeber allerdings die Mitbestimmung des Betriebsrats zu respektieren (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). (Boe)
5.
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
a)
Befristung zur Vertretung trotz Möglichkeit einer Personalreserve?
In einer neueren Entscheidung vom 24.8.2016 war der 7. Senat des BAG100 mit der Frage befasst, ob dem Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG entgegensteht, dass der Arbeitgeber über keine ausreichende Personalreserve für Fälle von Krankheit, Urlaub und Freistellung verfügt, um das regelmäßige Arbeitspensum mit unbefristet beschäftigtem Stammpersonal bewältigen zu können. Der Fall betraf eine Briefzustellerin, die in drei Zeiträumen aufgrund von insgesamt acht befristeten Arbeitsverträgen von der Beklagten beschäftigt worden war. In dem zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag war als Zweck die Vertretung der vorübergehend abwesenden Mitarbeiterin H angegeben. Der Vertrag sollte längstens bis zum 28.8.2012 andauern. Die Briefzustellerin H wurde im Zustellungsbezirk 11806 beschäftigt und war zum Zeitpunkt des zuletzt abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrags der Parteien seit mehreren Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin wurde von der Beklagten nicht nur in dem Zustellungsbezirk 11806, sondern auch als Urlaubsvertreterin für die Briefzustellerin C im Zustellungsbezirk 11803 eingesetzt. In dem von der Beklagten betriebenen Zustellstützpunkt besteht ein ständiger Vertretungsbedarf, der durch befristet eingestellte Arbeitnehmer ausgeglichen wird. Unter Hinweis darauf, dass bei der Beklagten ein dauerhafter Vertretungsbedarf bestünde und die Beklagte keine ausreichende Personalreserve unterhielt, hat die Klägerin gegen die Beklagte um Feststellung nachgesucht, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 28.8.2012 hinaus unbefristet fortbesteht. 100 BAG v. 24.8.2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307.
97
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Das BAG hat den Feststellungsantrag der Klägerin als Befristungskontrollantrag nach § 17 Satz 1 TzBfG interpretiert, die Befristungskontrollklage aber als unbegründet abgewiesen. Das BAG hält die vereinbarte Befristung für wirksam, weil sie durch den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt ist. Insofern knüpft das BAG an seine ständige Rechtsprechung an, weil für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben nur ein zeitlich begrenztes Beschäftigungsbedürfnis für eine Vertretungskraft besteht101. Diese Prognose des Arbeitgebers ist Teil des Sachgrunds für den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs. Nur wenn der Arbeitgeber bereits bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Vertreter erhebliche Zweifel daran haben muss, dass der vertretene Arbeitnehmer an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, weil dieser etwa erklärt hat, seine Arbeit nicht wieder aufnehmen zu wollen und damit durch die Rückkehr des vertretenen Arbeitnehmers eine Doppelbesetzung des Arbeitsplatzes ausgeschlossen ist, fehlt es an einer sachgerechten Begründung für die Befristung102. Außerdem muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung einer Vertretungskraft bestehen, wobei dieser nicht nur im Falle der unmittelbaren Vertretung, sondern auch im Falle einer mittelbaren Vertretung besteht, die vorliegt, wenn die Tätigkeit des zeitweilig ausfallenden Arbeitnehmers nicht von dem Vertreter, sondern von einem anderen Arbeitnehmer übernommen wird, an dessen Stelle der befristet eingestellte Arbeitnehmer beschäftigt wird. In diesem Zusammenhang lässt das BAG auch eine auf gedanklicher Zuordnung beruhende Vertretung zu, bei der die Vertretungskraft zwar nicht die bisherigen Aufgaben des abwesenden Arbeitnehmers übernimmt, aber Aufgaben verrichtet, die der Arbeitgeber dem abwesenden Arbeitnehmer kraft Direktionsrechts zur tatsächlichen Wahrnehmung übertragen könnte103. Voraussetzung ist allerdings dabei, dass eine derartige gedankliche Vertretung durch eine entsprechende Angabe im Arbeitsvertrag verdeutlicht wird, was im Streitfall durch den namentlichen Hinweis auf die Briefzustellerin H geschehen ist. In Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin die erkrankte Briefzustellerin H nicht nur unmittelbar, sondern auch im Sinne einer gedanklichen Vertretung als Urlaubsvertreterin für die Briefzustellerin C vertreten. Das
101 BAG v. 24.8.2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307 Rz. BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617 Rz. 18 ff. BAG v. 16.1.2013 – 7 AZR 661/11, NZA 2013, 614 Rz. 20. 102 BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617 Rz. 18. 103 BAG v. 11.2.2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617 Rz. 21.
98
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
BAG entnimmt diese Bewertung dem Umstand, dass die Beklagte die Zustelltätigkeiten im Zustellungsbezirk 11803 rechtlich und tatsächlich auch der erkrankten Briefzustellerin H hätte zuweisen können. Allerdings war die Beklagte durch die gedankliche Zuordnung gehindert, die bisherigen Arbeiten der Briefzustellerin H im Zustellungsbezirk 11806 von einer weiteren Vertretungskraft erledigen zu lassen und diese Vertretung ebenfalls mit dem Sachgrund der Vertretung zu begründen. Anders als bei dem Sachgrund des nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG, der voraussetzt, dass nach Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags für den Arbeitnehmer keine dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht, spielt dieser Gesichtspunkt nach Ansicht des BAG für den Sachgrund der Vertretung keine Rolle. Für diesen Sachgrund ist es nach der Sichtweise des BAG unerheblich, ob der Arbeitgeber über ausreichendes Personal verfügt, um die ihm obliegenden Daueraufgaben erledigen zu können. Daraus folgt zugleich, dass es für den Sachgrund der Vertretung bedeutungslos ist, dass der Arbeitgeber einen branchentypisch wiederkehrenden, unplanbaren Vertretungsbedarf an zusätzlichen Arbeitskräften wegen Krankheit, Urlaub oder sonstiger Verhinderung von Mitarbeitern hat, ohne dafür eine ausreichende Personalreserve vorzuhalten104. (Boe)
b)
Zeitliche Konkretisierung der Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs
Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH105 sind die Gerichte gehalten, die Befristungskontrolle nicht nur auf die Frage des Vorliegens eines Sachgrundes zu beschränken, sondern aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift, weil der unbefristete Arbeitsvertrag der Prototyp106 im Arbeitsverhältnis sein soll. Diese Prüfung wird vom BAG nach den Grundsätzen des insti-
104 EuGH v. 14. 9. 2016 – C-16/15, NZA 2016, 1265 Rz. 55 – BAG v. 24.8.2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307 Rz. 26 BAG v. 13.2.2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, 777 Rz. 33 BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 15. 105 EuGH v. 26.11.2014 – C-22/13, NZA 2015, 153 Rz. 102 ff. – EuGH v. 26.1.2012 – C-5 86/10, NZA 2012, 135 Rz. 40 – Kücük. 106 Vgl. Nr. 6 der Erwägungsgründe der Rahmenvereinbarung Richtlinie 1999/70/EG: Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. EuGH v. 14.9.2016 – C-16/15 NZA 2016, 1265 Rz. 66 – Pérez López.
99
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
tutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorgenommen107. Dabei hat das BAG immer wieder betont, dass bei der Würdigung der Frage des Rechtsmissbrauchs die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen von besonderer Bedeutung sind. Ferner sei bei der Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Von Bedeutung kann zusätzlich sein, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Beschäftigungsbedarf zurückbleibt, ohne dass dafür ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers erkennbar ist108. Mit diesen Kriterien hat das BAG den Hinweis verbunden, dass zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Nutzung von Sachgrundbefristungen an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG (zwei Jahre bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit) angeknüpft werden kann und erst eine erhebliche Überschreitung dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zulassen109. Nunmehr hat der 7. Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung vom 26.10.2016110 im Hinblick auf die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen näher konkretisiert, bei welcher Überschreitung eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) im Regelfall geboten ist. Bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrundes besteht nach Ansicht des BAG kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Davon ist auszugehen, wenn nicht mindestens das Vierfache eines der in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG bestimmten Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten wird. Besteht ein Sachgrund für die Befristung, kann von der Befristung des Arbeitsverhältnisses ohne einen Anlass zur Missbrauchskontrolle Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und nicht mehr als neun Verlängerungen, d. h.
107 BAG v. 24.8.2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307 Rz. BAG v. 7.10.2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354 Rz. 14 BAG v. 29.4.2015 – 7 AZR 310/13, NZA 2015, 928 Rz. 24 BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 38. 108 BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 46. 109 BAG v. 18.7.2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351 Rz. 48 Lipke § Sievers Staudinger/Preis, § 620 BGB Rz. 54d Bayreuther Greiner vom Stein, NJW 2015, 369, 374. 110 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382.
100
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
mehr als insgesamt zehn Befristungen, vereinbart werden. Wird jedoch bei befristeten Arbeitsverträgen alternativ die Gesamtdauer von acht Jahren überschritten oder werden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen, d. h. mehr als 13 Befristungen, vereinbart, oder übersteigen kumulativ beide Werte des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG das Dreifache (mehr als sechs Jahre und mehr als zehn Befristungen), hängt es nach Ansicht des BAG von weiteren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist. Das BAG geht jedoch von einem indizierten Rechtsmissbrauch aus, wenn durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG um mehr als das Fünffache überschritten wird oder beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen. Überschreitet damit die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses zehn Jahre oder sind mehr als 15 Vertragsverlängerungen (mehr als 16 Befristungen) vereinbart worden oder beträgt die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses mehr als acht Jahre bei mehr als 12 Vertragsverlängerungen (mehr als 13 Befristungen), kann der Arbeitgeber die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände entkräften. Dabei können etwaige Unterbrechungen zwischen den befristeten Arbeitsverträgen ebenso gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen, wie der Umstand, dass die Überschreitung der Zehn-Jahresgrenze bei einer geringfügigen Anzahl von Befristungen mit wiederholten Vertretungen von in der Elternzeit befindlichen Arbeitnehmern begründet wird. Diese im Wege des Richterrechts entwickelten Grundsätze hat das BAG auf einen Fall angewendet, der einen Vertretungslehrer im Fach Sport betraf, der innerhalb von sechs Jahren und vier Monaten mit insgesamt 16 befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt worden war. Im Gegensatz zum LAG Köln111, das in Übereinstimmung mit dem ArbG der Entfristungsklage entsprochen hat, konnte sich nach Auffassung des BAG das beklagte Land als Arbeitgeber auf den Sachgrund der Vertretung berufen, ohne rechtsmissbräuchlich zu handeln. Da die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht mehr als acht Jahre betragen hat und nicht mehr als insgesamt 16 Befristungen vorlagen, bestand zwar eine Veranlassung für eine Missbrauchskontrolle, wobei jedoch nicht von einem indizierten Rechtsmissbrauch auszugehen war. Demnach hätte der Kläger hinreichende weitere Gesichtspunkte für einen institutionellen Rechtsmissbrauch vortragen müssen, was nicht geschehen war. Das BAG hat dabei nicht ausreichen lassen, dass der Kläger wiederholt befristet über einen längeren Zeitraum mit einem im Wesentlichen gleichen zeitlichen Umfang als Sportlehrer eingesetzt wor111 LAG Köln v. 5.12.2014 – 9 Sa 486/14 n. v.
101
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
den war, weil an der Schule kein dauerhafter Bedarf an der Beschäftigung des Klägers als Sportlehrer bestand. Der Beschäftigungsbedarf des Klägers resultierte allein daraus, dass eine umfangreiche Umverteilung von Unterrichtsstunden erforderlich war, um angesichts der beschränkten fachlichen Flexibilität des Klägers seinen Einsatz als Sportlehrer überhaupt zu ermöglichen. Angesichts dessen bestanden aus der Sicht des BAG keine Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Land in Wirklichkeit einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf für den Sportunterricht mit befristeten Arbeitsverträgen abdecken wollte. In diesem Zusammenhang wiederholt das BAG auch seine Aussage, dass der Arbeitgeber keine Personalreserve für Vertretungsfälle vorhalten muss. (Boe)
c)
Grenzen tariflicher Regelungsbefugnis bei sachgrundloser Befristung
In einer weiteren Entscheidung vom 26.10.2016 hat der 7. Senat des BAG112 nunmehr ebenfalls in zeitlicher Hinsicht konkretisiert, in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien von § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG bei sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen Gebrauch machen dürfen. Nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der (kalendermäßigen) Befristung abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG durch Tarifvertrag festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren (§ 14 Abs. 2 S. 4 TzBfG). Das BAG113 hat bereits bei früherer Gelegenheit verdeutlicht, dass nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG durch Tarifvertrag nicht nur alternativ die Höchstdauer der Befristung oder die Anzahl der Verlängerungen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge, sondern kumulativ beide Vorgaben abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG geregelt werden dürfen. An dieser Bewertung hält der 7. Senat des BAG in der Entscheidung vom 26.10.2016114 uneingeschränkt fest. Außerdem bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung, dass die den Tarifvertragsparteien durch § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG eingeräumte Möglichkeit, die Höchstdauer der Befristung und die Anzahl der Vertragsverlängerungen abweichend von § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG festlegen zu dürfen, aus 112 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, NZA 2017, 463. 113 BAG v. 20.1.2016 – 7 AZR 340/14, NZA 2016, 755 Rz. BAG v. 18.3.2015 – 7 AZR 272/13, NZA 2015, 821 Rz. 22 ff. BAG v. 15.8.2012 – 7 AZR 184/11, NZA 2013, 45 Rz. 23. 114 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, NZA 2017, 463 Rz. 16.
102
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
unionsrechtlichen Gründen, aber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unbegrenzt ist, sondern einer Beschränkung bedarf115. Da Art. 12 Abs. 1 GG für Arbeitsverhältnisse einen staatlichen Mindestbestandsschutz garantiert und das unbefristete Arbeitsverhältnis den Normalfall und das befristete Arbeitsverhältnis die Ausnahme darstellt, führt das bei der Anwendung und Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG zu beachtende Untermaßverbot zu einer Beschränkung der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, um den Arbeitnehmer vor einem grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes zu bewahren. Gleichermaßen verlangen die unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 99/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEPRahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, deren Umsetzung der befristungsrechtliche Teil des TzBfG dient, nach Ansicht des BAG danach, dass die regelungsbefugten Tarifvertragsparteien das Ziel der Richtlinie, den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu verhindern und zu respektieren haben116. Die Entscheidung darüber, ob ein Tarifvertrag die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen bis zu einer Gesamtdauer von fünf Jahren bei fünfmaliger Verlängerungsmöglichkeit wirksam erlauben kann, hat das BAG117 zum Anlass genommen, konkrete Obergrenzen für die tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeiten nach § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG festzulegen. In früheren Entscheidungen hat das BAG Tarifverträge mit einer Höchstbefristungsdauer von 42 Monaten bei viermaliger Verlängerungsmöglichkeit118sowie mit einer Höchstbefristungsdauer von 48 Monaten bei sechsmaliger Verlängerungsmöglichkeit119 unter verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Gründen nicht beanstandet. Nunmehr legt der 7. Senat des BAG in der Entscheidung vom 26.10.2016120 aus Gründen der Rechtssicherheit im Wege der Rechtsfortbildung den quantitativ begrenzten Gestaltungsrahmen der Tarifvertragsparteien aus § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG wie folgt fest: Durch Tarifvertrag kann geregelt werden, dass die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags bis zur Dauer von 115 So bereits BAG v. 18.3.2015 – 7 AZR 272/13, NZA 2015, 821 Rz. BAG v. 15.8.2012 – 7 AZR 184/11, NZA 2013, 45 Rz. 23. Vgl. dazu APS/Backhaus, § 14 KR/Lipke, § 14 TzBfG Rz. 602 f Preis § 620 BGB Rz. Schaub/Koch, ArbRSeiwerth, RdA 2016, 214, 223. 116 BAG v. 18.3.2015 – 7 AZR 272/13, NZA 2015, 821 Rz. BAG v. 15.8.2012 – 7 AZR 184/11, NZA 2013, 45 Rz. 30 117 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, NZA 2017, 463 Rz. 28 ff. 118 BAG v. 15.8. 2012 – 7 AZR 184/11, NZA 2013, 45 Rz. 15. 119 BAG v. 18.3.2015 – 7 AZR 272/13, NZA 2015, 821 Rz. 31. 120 BAG v. 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, NZA 2017, 463 Rz. 31.
103
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sechs Jahren und bis zu dieser Gesamtdauer die bis zu neunmalige Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zulässig ist. Unter Hinweis darauf, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH121 Sache der nationalen Gerichte ist, zu beurteilen, inwieweit die einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts eine angemessene Maßnahme darstellen, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern, hat das BAG von einer Vorlage nach Art. 267 AEUV Abstand genommen. Der betrieblichen Praxis wird die Rechtsfortbildung des BAG zur quantitativen Begrenzung von sachgrundbefristeten Verträgen und sachgrundlosen Befristungen eines Arbeitsvertrags auf der Grundlage eines Tarifvertrags aus Gründen der Rechtssicherheit entgegenkommen, zumal das BAG die Schwellenwerte, bis zu denen keine mit ungewissem Ausgang notwendige Rechtsmissbrauchsprüfung anzustellen ist, großzügig festlegt. (Boe)
d)
Befristung eines Arbeitsverhältnisses wegen bevorstehender Betriebsschließung
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Bereits der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass dieser Befristungsgrund im Arbeitsleben einen häufigen Anwendungsfall der Befristung darstellen wird122 und darauf angelegt ist, einen künftig wegfallenden Arbeitskräftebedarf z. B. auf Grund der Inbetriebnahme einer neuen technischen Anlage oder bei Abwicklungsarbeiten bis zur Betriebsschließung vorläufig zu kompensieren. Das BAG123 verweist als Anlass für diesen Sachgrund einer Befristung beispielhaft auf einen nicht dauerhaften Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich von Daueraufgaben des Arbeitgebers als auch auf die Übernahme eines Projekts oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht. Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann allerdings nicht auf § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG gestützt werden, wenn der vom Arbeitgeber zur Begrün121 EuGH v. 21.9.2016 – C-614/15, NZA 2016, 1323 – v. 14.9.2016 – C-16/15, NZA 2016, 1265 – Pérez López. 122 BT-Drucks. 14/4374 S. 19 f. 123 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 545/14, NZA 2016, 1531 Rz. BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 11.
104
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
dung angeführte Bedarf an der Arbeitsleistung tatsächlich nicht nur vorübergehend, sondern objektiv dauerhaft besteht. Diese Bewertung entnimmt das BAG124 nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch aus den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 und der inkorporierten EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18.3.1999, deren Umsetzung die befristungsrechtlichen Vorschriften des TzBfG dienen. § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung steht der Anwendung einer Regelung nationalen Rechts, die den Abschluss aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs gestattet, entgegen, wenn der Bedarf nicht nur zeitweilig, sondern ständig und auf Dauer besteht125. Eine Befristung wegen eines nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt demgemäß voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein dauerhafter Bedarf mehr besteht126. Hierüber hat der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG127 bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssen und die Teil des Sachgrundes für diese Alternative der Sachgrundbefristung ist. Die tatsächlichen Grundlagen für diese Prognose hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen und ggf. nachzuweisen128. Ein die Befristung rechtfertigender vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung wird daher vom BAG129 verneint, wenn dem Arbeitnehmer Daueraufgaben übertragen werden, die von dem beschäftigten Stammpersonal wegen einer von vornherein unzureichenden Personalausstattung nicht erledigt werden können. Da die vom Arbeitgeber zu erstellende Prognose sich
124 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 545/14, NZA 2016, 1531 Rz. 17. 125 EuGH v. 14.9.2016 – C-16/15, NZA 2016, 1265 Rz. 48 f. – EuGH v. 26.1.2012 – C-586/10, NZA 2012, 135 Rz. 36 f. – Kücük. 126 Nur BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 545/14, NZA 2016, 1531 Rz. BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 12 m. w. N. 127 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 12. 128 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. v. 15.10.2014 – 7 AZR 893/12, NZA 2015, 362 Rz. v. 4.12.2013 – 7 AZR 277/12, NZA 2014, 480 Rz. 16 m. w. N. 129 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. 13 BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 18.
105
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
lediglich darauf zu erstrecken hat, dass der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers nur zeitweise und nicht dauerhaft besteht, stellt das bloße Zurückbleiben der vereinbarten Vertragsdauer hinter der bei Vertragsschluss voraussehbaren Dauer des vorübergehenden Bedarfs den Sachgrund für die Befristung grundsätzlich nicht in Frage130. Angesichts dessen darf der Arbeitgeber bei Befristungen, die einen vorübergehenden Bedarf an Arbeitskräften abdecken sollen, frei darüber entscheiden, ob er den Zeitraum des von ihm prognostizierten zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs ganz oder nur teilweise durch den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen abdeckt131. Wie im Falle der Vertretungsbefristung, die bei einem vorhandenen Kausalitätsbezug zum vertretenen Arbeitnehmer, mittelbar erfolgen kann, lässt das BAG auch für die Anwendung der betrieblichen Bedarfsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG zu, dass der Arbeitgeber die vorhandene Arbeitsmenge verteilt, seine Arbeitsorganisation ändert oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuweist, und an deren Stelle den befristet beschäftigten Arbeitnehmer einsetzt. Stets muss jedoch zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein vom Arbeitgeber darzulegender ursächlicher Zusammenhang vorliegen132. In der Entscheidung vom 21.3.2017 war der 7. Senat des BAG133 mit der Zulässigkeit einer Zweckbefristung des Arbeitsverhältnisses wegen einer beabsichtigten Schließung eines Betriebs befasst, wenn der Arbeitgeber seine betriebliche Tätigkeit ca. 83 km entfernt in einer neuen Betriebsstätte fortsetzt, die im Ergebnis die Aktivitäten von zwei geschlossenen Betriebsstätten aufnehmen soll. Im Anstellungsvertrag mit dem Kläger, der bereits seit zwei Jahren auf der Grundlage von sechs aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen in einer von der Betriebsschließung betroffenen Betriebsstätte beschäftigt worden war, wurde zuletzt vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis bis zur Schließung des Standortes befristet sein sollte. Diese Schließung verzögerte sich um nahezu vier Jahre. Nach Ablauf von zwei Jahren hat der Kläger vor dem ArbG die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der vereinbarten Zweckbefristung wirksam befristet worden ist. Der Kläger berief sich vor allem darauf, dass die Wirk130 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. 14 BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 16. 131 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 19. 132 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 688/14 n. v. Rz. 15 BAG v. 17.3.2010 – 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. BAG v. 20.2.2008 – 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 20. 133 BAG v. 21.3.2017 – 7 AZR 222/15, BB 2017, 1011.
106
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
samkeit der Befristungsabrede daran scheitern würde, dass sein Beschäftigungsbedarf mit der Schließung des Standortes gerade nicht wegfiele, sondern in dem geplanten neuen Standort fortbestünde. Demgegenüber berief sich die Beklagte darauf, dass die vom Kläger bisher bekleidete Stelle als Vorlader an dem neuen Standort nicht mehr vorgesehen sei und sie auch nicht berechtigt wäre, den Kläger kraft Direktionsrechts dorthin versetzen zu können. Während das Sächsische LAG134 die Klage abgewiesen hat, war die Revision des Klägers erfolgreich und führte zur Zurückverweisung an das LAG. Das BAG geht in prozessualer Hinsicht zunächst davon aus, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des LAG eine gegen die Wirksamkeit der Zweckbefristung gerichtete Befristungskontrollklage rechtlich noch nicht möglich war, weil diese erst statthaft ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gemäß § 15 Abs. 2 TzBfG schriftlich darüber unterrichtet hat, wann der Zweck der Befristung erreicht ist. Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Kläger berechtigt war, eine allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) mit dem Ziel zu erheben, die Unwirksamkeit der vereinbarten Zweckbefristung im Arbeitsvertrag feststellen zu lassen. Da die zwischen den Parteien vereinbarte Zweckbefristung nicht nur dem Schriftformerfordernis aus § 14 Abs. 4 TzBfG genügte, sondern auch der Zweck, mit dessen Eintritt das Arbeitsverhältnis enden sollte, ausreichend genau umschrieben worden war, kam es entscheidungserheblich darauf an, ob für diese Zweckbefristung ein sachlicher Grund i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG bestand. Das BAG ergänzt die zuvor dargestellten allgemeinen Grundsätze zum Befristungsgrund aus § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG zunächst dahingehend, dass dieser Sachgrund nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes betriebsbezogen und nicht arbeitgeberbezogen ausgestaltet ist. Soweit es also um die Vorhersehbarkeit (Prognose) der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach Eintritt des Zwecks (hier: Schließung des Betriebs) geht, kommt es im Gegensatz zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht darauf an, ob bei Vertragsabschluss die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in einem anderen Betrieb des Arbeitgebers – hier der Beklagten – bestanden hätte. Das BAG geht dabei von einer betriebstätigkeitsbezogenen Auslegung des betrieblichen Bedarfs i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG aus. Insoweit besteht auch ein rechtlicher Unterschied zu § 14
134 LAG Sachsen v. 18.3.2015 – 5 Sa 314/14 n. v.
107
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Abs. 2 TzBfG, welche Vorschrift das Anschlussverbot auf eine Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber bezieht. Der vorliegende Fall zeichnete sich jedoch dadurch aus, dass der Arbeitgeber bei Abschluss des zweckbefristeten Arbeitsvertrags mit dem Kläger beabsichtigte, die bisherigen betrieblichen Aktivitäten nach einer räumlichen und/oder organisatorischen Änderung fortzuführen, sodass nicht auszuschließen war, dass der betriebliche Bedarf an der vertraglichen Arbeitsleistung des zweckbefristet beschäftigten Klägers dort fortbestand. Bei derartiger Sachlage will das BAG ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer nur vorübergehenden Beschäftigung des Arbeitnehmers nur dann bejahen, wenn bereits bei Vertragsabschluss feststeht, dass die vertragliche Tätigkeit für den befristet beschäftigten Arbeitnehmer an dem neuen Standort nicht mehr anfällt oder ihm diese nicht nach § 106 GewO zugewiesen werden könnte. Da die Parteien hierzu unterschiedlichen Sachvortrag geleistet hatten, muss das LAG nach der Zurückverweisung die entsprechenden Feststellungen treffen, um abschließend die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG beurteilen zu können. Für die betriebliche Praxis beinhaltet die Entscheidung des BAG eine weitere Klarstellung, weil damit die betriebliche Bedarfsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG eine zusätzliche Konkretisierung erfahren hat. (Boe)
e)
Schriftformerfordernis beim Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags
Gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung des Arbeitsvertrags der Schriftform. Nach § 126 Abs. 2 S. 1 BGB setzt dies grundsätzlich die Unterzeichnung der Befristungsabrede durch beide Parteien auf derselben Urkunde voraus. Abweichend hiervon genügt es allerdings, wenn mehrere gleichlautende Urkunden erstellt werden und jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 S. 2 BGB). In seinem Urteil vom 14.12.2016135 hat das BAG noch einmal klargestellt, dass das Schriftformerfordernis aus § 14 Abs. 4 TzBfG nicht allein durch die Unterzeichnung der vom Arbeitnehmer bereits unterschriebenen Vertragsurkunde durch den Arbeitgeber vor Vertragsbeginn gewahrt wird. Da es sich bei der Befristungsabrede um eine Vereinbarung handelt, die den Zugang wechselseitig gleichlautender Willenserklärungen verlangt, muss dem Ar-
135 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14 n. v. Rz. 44.
108
Neuere Entwicklungen zur Befristung von Arbeitsverträgen
beitnehmer die auch vom Arbeitgeber unterzeichnete Vertragsurkunde vor der Aufnahme der Tätigkeit zugehen. Hiervon ausgehend wird die Schriftform einer Befristungsabrede nicht gewahrt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Vertragsbeginn eine von ihm nicht unterzeichnete, die Befristung abredende enthaltene Vertragsurkunde übergibt, der Arbeitnehmer die Vertragsurkunde unterzeichnet an den Arbeitgeber zurückgibt, der Arbeitnehmer zu dem in der Vertragsurkunde verzeichneten Vertragsbeginn die Arbeit aufnimmt und ihm die auch vom Arbeitgeber unterzeichnete Vertragsurkunde erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht. Bei einer solchen Abfolge ist der Arbeitsvertrag selbst bereits durch die Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zustande gekommen. Inhaltlich ist mit diesem Arbeitsvertrag zwar die Vereinbarung verbunden, dass er nur befristet abgeschlossen werden soll. Diese Befristungsabrede genügt allerdings mangels der entsprechenden Erklärung des Arbeitgebers nicht dem gesetzlichen Schriftformerfordernis und ist deshalb unwirksam. Fehlt ein sachlicher Grund, kann die Befristungsabrede auch nicht nachträglich (wirksam) abgeschlossen werden. Denn die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist nach § 14 Abs. 2 TzBfG nur wirksam, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht bereits ein (unbefristeter) Arbeitsvertrag besteht. Auch eine Heilung des ursprünglichen Formmangels mit Zugang der auch vom Arbeitgeber unterzeichneten Vertragsurkunde ist ausgeschlossen136. Berechtigterweise ist das BAG in seinem Urteil vom 14.12.2016137 auch davon ausgegangen, dass der Vertragsschluss bei der Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht unter dem Vorbehalt der wechselseitigen Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch beide Parteien gestanden habe. Zwar hat das BAG in früheren Entscheidung anerkannt, dass der Arbeitnehmer in Fällen, in denen der Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Einhaltung des Schriftformerfordernisses abhängen soll, ein ihm vorliegendes schriftliches Vertragsangebot des Arbeitgebers nicht durch die Arbeitsaufnahme konkludent, sondern nur durch Unterzeichnung der Vertragsurkunde annehmen könne. Nehme der Arbeitnehmer vor diesem Zeitpunkt die Arbeit auf, entstehe zwischen den Parteien lediglich ein faktisches Arbeitsverhältnis, weil es an der Abgabe der zum Vertragsabschluss erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärung fehle138. Folgerichtig liegt
136 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14 n. v. Rz. 51. 137 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14 n. v. Rz. 37 ff. 138 So BAG v. 7.10.2015 – 7 AZR 40/14, NZA 2016, 358 Rz. 7 AZR 1048/06, NZA 2008, 1184 Rz. 14.
–
109
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
auch in der bloßen Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vor dem Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags nicht die Annahme eines vermeintlichen Vertragsangebots des Arbeitnehmers. Vielmehr erfolgt der formgerechte Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags erst durch die Unterzeichnung der Vereinbarung nach Aufnahme der Tätigkeit139. Eine solche Situation ist nach Auffassung des BAG indes nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber gar kein schriftliches Angebot auf Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags abgegeben hat, sondern dem Arbeitnehmer nur eine Vertragsurkunde zur Unterschrift vorlegt, die er selbst noch nicht unterzeichnet hat. Mit der Vorlage einer solchen Vertragsurkunde stelle der Arbeitgeber den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags weder ausdrücklich noch konkludent unter den Vorbehalt eines schriftlichen Vertragsschlusses, noch kündige er dem Arbeitnehmer die schriftliche Niederlegung des vereinbarten an. Folgerichtig gebe es keine auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung, die nur durch die der Form des § 126 Abs. 2 BGB genügende Unterzeichnung der Vertragsurkunde angenommen werden könne. Hiervon sei selbst dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber bei der Entgegennahme der Arbeitsleistung erkläre, dass damit noch kein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden solle. Denn diese Erklärung stehe im Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten, das zu einem Vertragsabschluss führe, und sei deshalb unerheblich (protestatio facto contraria). Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass nach Möglichkeit ausnahmslos sichergestellt werden sollte, dass Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt werden sollen, erst dann ihre Tätigkeit aufnehmen, wenn beiden Vertragsparteien eine schriftliche Erklärung über den Abschluss der Befristung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Vorsorglich sollte dies durch die beiderseitige Unterzeichnung beider Vertragsparteien auf jeweils zwei Vertragsurkunden erfolgen. (Ga)
6.
Anzeigepflicht des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer
Vorstand und Geschäftsführung eines Unternehmens haben für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und müssen auf deren Beachtung durch Konzernunternehmen hinwirken (Compliance). Entsprechend der verallgemeinerungsfähigen Feststellung in Ziff. 4.1.3. DCGK sollen Vorstand und Geschäftsführung da139 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14 n. v. Rz. NZA 2016, 358 Rz. 20.
110
– 7 AZR 40/14,
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
auch in der bloßen Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vor dem Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags nicht die Annahme eines vermeintlichen Vertragsangebots des Arbeitnehmers. Vielmehr erfolgt der formgerechte Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags erst durch die Unterzeichnung der Vereinbarung nach Aufnahme der Tätigkeit139. Eine solche Situation ist nach Auffassung des BAG indes nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber gar kein schriftliches Angebot auf Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags abgegeben hat, sondern dem Arbeitnehmer nur eine Vertragsurkunde zur Unterschrift vorlegt, die er selbst noch nicht unterzeichnet hat. Mit der Vorlage einer solchen Vertragsurkunde stelle der Arbeitgeber den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags weder ausdrücklich noch konkludent unter den Vorbehalt eines schriftlichen Vertragsschlusses, noch kündige er dem Arbeitnehmer die schriftliche Niederlegung des vereinbarten an. Folgerichtig gebe es keine auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung, die nur durch die der Form des § 126 Abs. 2 BGB genügende Unterzeichnung der Vertragsurkunde angenommen werden könne. Hiervon sei selbst dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber bei der Entgegennahme der Arbeitsleistung erkläre, dass damit noch kein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden solle. Denn diese Erklärung stehe im Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten, das zu einem Vertragsabschluss führe, und sei deshalb unerheblich (protestatio facto contraria). Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass nach Möglichkeit ausnahmslos sichergestellt werden sollte, dass Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt werden sollen, erst dann ihre Tätigkeit aufnehmen, wenn beiden Vertragsparteien eine schriftliche Erklärung über den Abschluss der Befristung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Vorsorglich sollte dies durch die beiderseitige Unterzeichnung beider Vertragsparteien auf jeweils zwei Vertragsurkunden erfolgen. (Ga)
6.
Anzeigepflicht des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer
Vorstand und Geschäftsführung eines Unternehmens haben für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und müssen auf deren Beachtung durch Konzernunternehmen hinwirken (Compliance). Entsprechend der verallgemeinerungsfähigen Feststellung in Ziff. 4.1.3. DCGK sollen Vorstand und Geschäftsführung da139 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14 n. v. Rz. NZA 2016, 358 Rz. 20.
110
– 7 AZR 40/14,
Anzeigepflicht des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer
bei für angemessene, an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System) sorgen und deren Grundzüge offenlegen. Beschäftigten soll auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werden, geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im UnternehBei der hierfür erforderlichen Aufdeckung etwaiger Pflichtverletzungen genügt es nicht, Systeme aufzusetzen, die Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, ihre Kenntnis von Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer und/oder einzelner Organmitglieder zu melden. Denn ein solches Hinweisgebersystem schafft nur den technischen und arbeitsrechtlichen Rahmen, der bei einer freiwilligen Inanspruchnahme nutzbar gemacht werden kann. Ebenso wichtig ist es, innerhalb des Unternehmens deutlich zu machen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer auch eine Verpflichtung haben, Pflichtverletzungen zu melden. Hintergrund dieser Erkenntnis ist der Umstand, dass es außerhalb der strafrechtlichen Regelungen in § 138 StGB keine konkreten Handlungsvorgaben gibt, die eine Anzeigepflicht von Arbeitnehmern in Bezug auf das Vorhaben oder die Ausführung einer Pflichtverletzung durch andere Arbeitnehmer begründen. Damit bleiben Regelverstöße auf allen Ebenen und in allen Geschäftsbereichen unentdeckt, wenn der Arbeitgeber nicht durch einen Schaden, durch eigen veranlasste Kontrollen, durch einen Zufall oder die Anzeige Dritter einen Hinweis auf solche Regelverletzungen enthält. Dies kann erhebliche wirtschaftliche, rechtliche und reputationsbezogene Nachteile auslösen. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Begründung einer individual- oder kollektivvertraglichen Handlungspflicht bestätigt jetzt noch einmal das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 8.7.2016140. Denn darin geht das LAG Mecklenburg-Vorpommern unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BAG davon aus, dass Arbeitnehmer, die Fehlverhalten ihrer Kollegen beobachten, im Regelfall nicht verpflichtet seien, dem Arbeitgeber von diesem Fehlverhalten zu berichten. Dies gilt auch dann, wenn Arbeitnehmer durch Zusagen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Errichtung eines Hinweisgebersystems oder durch Gesetz (z. B. §§ 612 a BGB, 17 Abs. 2 ArbSchG) vor etwaigen Nachteilen als Folge einer solchen Anzeige geschützt sind. In dem der Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern zugrundeliegenden Fall hatten drei Mitarbeiter einer Gemeinde Einnahmen, die im Zu140 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 8.7.2016 – 2 Sa 190/15 n. v.
111
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sammenhang mit der Ausstellung von Dokumenten und Genehmigungen entstanden waren, unterschlagen. Dabei war der Gemeinde ein Schaden von etwa 10.700,– € entstanden. Nachdem sich die Gemeinde als Folge von Kündigungen und Aufhebungsverträgen von diesen Mitarbeitern getrennt hatte, beabsichtigte sie, den eingetretenen Schaden durch Rückzahlung der vorstehend genannten Summe auszugleichen. Nachdem die beiden Beklagten hierzu nicht bereit waren, erhob die Gemeinde Klage auf Zahlung eines Betrags, der Zweidrittel des eingetragenen Schadens entsprach. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat die Klage entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Aus seiner Sicht war es der Gemeinde nicht gelungen, die notwendigen Voraussetzungen für eine schlüssige Schadensersatzklage gegen die beiden ehemaligen Mitarbeiter darzulegen. Zwar erkennt das LAG Mecklenburg-Vorpommern grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch an, wenn Arbeitnehmer ihre Pflicht verletzen, im Rahmen der behördlichen Tätigkeit eingenommene Gelder an die Gemeinde weiterzuleiten. Voraussetzung für eine klagestattgebende Entscheidung wäre indes gewesen, dass die Gemeinde im Einzelnen darlegt und ggf. auch beweist, bei welchen konkreten Einzelvorgängen diese Weiterleitung durch die Beklagten nicht erfolgt ist. Diese individuelle Zuordnung war vorliegend nicht möglich, weil jeweils auch im Anschluss an die Gespräche mit den drei Mitarbeitern unklar geblieben war, wer zu welchem Zeitpunkt im Rahmen welchen Vorgangs die Gelder für private Zwecke zweckentfremdet hatte. Entgegen der Auffassung des ArbG Schwerin reichen dem LAG Mecklenburg-Vorpommern die vorgetragenen Umstände auch nicht für die Anerkennung eines Schadenersatzanspruchs, der mit der unterbliebenen Anzeige des Fehlverhaltens der jeweils anderen Arbeitnehmer beim Arbeitgeber begründet werden kann. Ein Unterlassen – so das LAG Mecklenburg-Vorpommern – könne nur dann als eine rechtswidrige Handlung angesehen werden, wenn damit eine Pflicht verletzt werde. Die beiden Beklagten hätten jedoch keine Pflicht, Kollegen, die beim Entwenden von Geld beobachtet worden seien, beim Arbeitgeber anzuzeigen. Eine solche Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber eine schädigende Handlung eines anderen Arbeitnehmers anzuzeigen, bestehe nur für den Fall, dass dem Arbeitnehmer entweder allgemein die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen wurde oder ihn wenigs-
112
Anzeigepflicht des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer
tens insoweit eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht treffe141. Diese Voraussetzungen seien vorliegend allerdings nicht gegeben. Dies gelte insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass die Beklagten in dem Bereich nicht als Führungskräfte in einer übergeordneten Funktion tätig waren142. Etwas anderes ergibt sich aus Sicht des LAG Mecklenburg-Vorpommern auch nicht aus den typischen Pflichten eines Arbeitnehmers, dem der Arbeitgeber den Umgang mit Bargeld anvertraut. Ein solcher Arbeitnehmer sei selbstverständlich verpflichtet, mit dem ihm anvertrauten Geld so sorgfältig umzugehen, dass er jederzeit in der Lage sei, seiner Pflicht zur Herausgabe des Geldes an den Arbeitgeber auch nachkommen zu können. Diese Pflicht beziehe sich aber immer nur auf das dem Arbeitnehmer anvertraute Geld und nicht auf das Geld, das der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern anvertraut habe. Die bloße Kenntnis von möglichen Vergehen der Kollegen beim Umgang mit dem Geld, das diesen anvertraut worden sei, löse daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Anzeigepflicht aus. Auch unter Berücksichtigung der offenkundigen Pflichtverletzung im Umgang mit dem anvertrauten Geld ist die Ablehnung einer Schadensersatzpflicht berechtigt. Sie knüpft schlussendlich daran an, dass auch unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB keine generelle Anzeigepflicht bei etwaigen Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer gegeben ist. Wenn eine solche Anzeigepflicht geschaffen werden soll, was zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Compliance-Systems geboten erscheint, müssen entsprechende individual- oder kollektivrechtliche Handlungspflichten geschaffen werden. Diese müssen aber die jeweils geltenden Schranken, insbesondere also §§ 305 ff. BGB, 75 BetrVG i. V. mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung beachten. Insoweit ist es unangemessen und deshalb unwirksam, Arbeitnehmern die Pflicht aufzulegen, jedwede Form der Pflichtverletzung anderer Arbeitnehmer dem Arbeitgeber anzuzeigen. Vielmehr ist es geboten, unter Berücksichtigung des jeweiligen Pflichtenkreises aus dem Arbeitsverhältnis und der Schwere des in Rede stehenden Verstoßes abgestufte Handlungspflichten festzulegen. Diese sollten, um Hinweisgeber und Verdächtigte zu schützen, zugleich auch in ein Gesamtsystem eingebunden werden, das die Erstattung der Anzeige, den Schutz des Anzeigenden und des Angezeigten sowie die Mechanismen der 141 So BAG v. 18.6.1970 – 1 AZR 520/69, DB 1970, 1598 Rz. – 2 AZR 539/56, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Treuepflicht Rz. 56 BGH v. 23.2.1989 – IX ZR 236/86, DB 1989, 1464 Rz. 23. 142 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 8.7.2016 – 2 Sa 190/15 n. v. Rz. 93 ff.
113
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Aufklärung und anschließenden Vorgehensweise für den Fall etwaiger Verstöße bestimmt. Nur so kann auch gegenüber Dritten das Bestehen eines funktionsfähigen Compliance-Management-Systems nachgewiesen werden. (Ga)
7.
Ermessensspielraum bei einer ortsverändernden Versetzung
Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Der darin zum Ausdruck kommende Grad der persönlichen Abhängigkeit kennzeichnet zugleich den Arbeitsvertrag, der seit dem 1.4.2017 durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21.2.2017143 in § 611 a Abs. 1 BGB eine die Rechtsprechung des BAG144 rezipierende Regelung erfahren hat. Macht der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht nach § 106 GewO Gebrauch, sind zwei verschiedene Prüfungselemente für die eine den Arbeitnehmer bindende Anordnung zu kontrollieren. Zunächst stellt sich die Frage ob die vom Arbeitgeber einseitig vorgenommene Änderung der Arbeitsbedingung an sich rechtlich zulässig ist145. Hat danach der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht wirksam nach § 106 GewO Gebrauch gemacht, ist in einem weiteren Schritt im Sinne einer Ausübungskontrolle zu prüfen, ob er dabei die Grundsätze billigen Ermessens gewahrt hat146. In diesem Zusammenhang hat der 5. Senat des BAG147 in seiner Entscheidung vom 22.2.2012 ausgeführt, dass der Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, die nicht aus sonstigen Gründen unwirksam ist, 143 BGBl. I 2017, 258. 144 Nur BAG v. 14.6.2016 – 9 BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14, NZA-RR 2016, 288. Vgl. dazu auch Wank sungsrecht Benkert, NJW-Spezial 2017, 178. 145 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 24 Staudinger/Rieble, § 315 BGB Rz. 414, 415. 146 Vgl. nur BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12 n. v. Rz. 21 BAG v. 10.7.2013 – 10 AZR 915/12, NZA 2013, 1142 Rz. 32 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22, 25. 147 BAG v. 22.2.2012 – 5 LAG Köln v. 13.1.2014 – 2 Sa 614/13 n. v. Rz. 12 LAG Rheinland-Pfalz v. 17.3.2014 – 3 Sa 535/13 n. v. Rz. 33 . A. LAG Hamm v. 17.3.2016 – 17 Sa 1660/15 n. v. Rz. 226.
114
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Aufklärung und anschließenden Vorgehensweise für den Fall etwaiger Verstöße bestimmt. Nur so kann auch gegenüber Dritten das Bestehen eines funktionsfähigen Compliance-Management-Systems nachgewiesen werden. (Ga)
7.
Ermessensspielraum bei einer ortsverändernden Versetzung
Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Der darin zum Ausdruck kommende Grad der persönlichen Abhängigkeit kennzeichnet zugleich den Arbeitsvertrag, der seit dem 1.4.2017 durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21.2.2017143 in § 611 a Abs. 1 BGB eine die Rechtsprechung des BAG144 rezipierende Regelung erfahren hat. Macht der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht nach § 106 GewO Gebrauch, sind zwei verschiedene Prüfungselemente für die eine den Arbeitnehmer bindende Anordnung zu kontrollieren. Zunächst stellt sich die Frage ob die vom Arbeitgeber einseitig vorgenommene Änderung der Arbeitsbedingung an sich rechtlich zulässig ist145. Hat danach der Arbeitgeber von seinem Weisungsrecht wirksam nach § 106 GewO Gebrauch gemacht, ist in einem weiteren Schritt im Sinne einer Ausübungskontrolle zu prüfen, ob er dabei die Grundsätze billigen Ermessens gewahrt hat146. In diesem Zusammenhang hat der 5. Senat des BAG147 in seiner Entscheidung vom 22.2.2012 ausgeführt, dass der Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, die nicht aus sonstigen Gründen unwirksam ist, 143 BGBl. I 2017, 258. 144 Nur BAG v. 14.6.2016 – 9 BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14, NZA-RR 2016, 288. Vgl. dazu auch Wank sungsrecht Benkert, NJW-Spezial 2017, 178. 145 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, 858 Rz. 24 Staudinger/Rieble, § 315 BGB Rz. 414, 415. 146 Vgl. nur BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 537/12 n. v. Rz. 21 BAG v. 10.7.2013 – 10 AZR 915/12, NZA 2013, 1142 Rz. 32 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22, 25. 147 BAG v. 22.2.2012 – 5 LAG Köln v. 13.1.2014 – 2 Sa 614/13 n. v. Rz. 12 LAG Rheinland-Pfalz v. 17.3.2014 – 3 Sa 535/13 n. v. Rz. 33 . A. LAG Hamm v. 17.3.2016 – 17 Sa 1660/15 n. v. Rz. 226.
114
Ermessensspielraum bei einer ortsverändernden Versetzung
bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unverbindlichkeit nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB gebunden ist. Eine unbillige Leistungsbestimmung sei nicht nichtig, sondern gemäß § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich. Im Streitfall habe ein Gericht über die Verbindlichkeit zu entscheiden, § 315 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 BGB. Deshalb dürfe sich der Arbeitnehmer nicht über eine unbillige, nicht aus anderen Gründen unwirksame Weisung hinwegsetzen, sondern müsse ein Gericht anrufen. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Bewertung der wechselseitigen Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu gehören im Arbeitsrecht die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen148. Ist im Arbeitsvertrag der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, ist aber zugleich die Möglichkeit eines Einsatzes auch in anderen Betrieben des Unternehmens vorgesehen, verhindert dies regelmäßig die Beschränkung der Arbeitspflicht auf den im Vertrag genannten Arbeitsort. Insoweit macht es keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt, oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. Dadurch wird lediglich klargestellt, dass § 106 S. 1 GewO gelten und eine Befugnis zur Versetzung an andere Arbeitsorte bestehen soll149. In einer neueren Entscheidung vom 30.11.2016 war der 10. Senat des BAG150 mit der Wirksamkeit einer ortsverändernden Versetzung einer Flugbegleiterin befasst, die ihre Ursache darin hatte, dass die beklagte Fluggesellschaft den bisherigen Stationierungsort der Klägerin in Hamburg aufgegeben und nach Frankfurt am Main verlegt hat. Die Klägerin hielt diese Ver148 So BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA 2012, 265 Rz. 40 v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2805 Rz. 40. 149 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679 Rz. BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 20 BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, NZA 2011, 631 Rz. 15. 150 BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378.
115
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
setzungsentscheidung für rechtsunwirksam, weil sich ihr Einsatzort in Hamburg während ihrer 17-jährigen Tätigkeit verfestigt habe und ihr die Anreisekosten nach Frankfurt am Main, Übernachtungen bei einer Anreise am Vortag oder eine Rückkehr ohne Rückflugmöglichkeit nach Hamburg sowie die Einschränkung ihres Lebensmittelpunkts in Hamburg nicht zugemutet werden könnten. ArbG und LAG haben die entsprechende Feststellungsklage der Klägerin abgewiesen. Ihre Revision blieb ohne Erfolg. Zunächst geht das BAG in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass sich der Arbeitsort der Klägerin im Hinblick auf ihren Einsatzort nicht dadurch auf Hamburg konkretisiert hat, dass sie bis zur Versetzung nach Frankfurt am Main dort 17 Jahre tätig gewesen ist151. Unabhängig davon, dass die Parteien im Streitfall die Möglichkeit des Arbeitseinsatzes an einem anderen Ort als Hamburg ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommen haben, ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass die Parteien ausdrücklich oder konkludent bestimmte Arbeitsbedingungen einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers entziehen können152. Allerdings reicht hierfür die bloße Nichtausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers nicht aus, um eine derartige Vertragsänderung herbeizuführen. Anderenfalls müsste der Arbeitgeber zur Vermeidung einer Vertragsänderung durch reinen Zeitablauf sein Direktionsrecht in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus wahrnehmen oder den Arbeitnehmer nach bestimmten Zeiträumen darauf hinweisen, bei bestimmten Arbeitsbedingungen sein Direktionsrecht nicht aufgeben zu wollen. Daher schafft die Nichtausübung des Direktionsrechts auch über einen längeren Zeitraum regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand für den Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber von diesem vertraglich und/oder gesetzlich eingeräumten Recht in Zukunft keinen Gebrauch mehr machen will. Die Nichtausübung des Direktionsrechts hat keinen Erklärungswert, wie das BAG zu Recht betont. Es müssen schon weitere besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll und damit eine vertragliche Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts verbunden ist153. Da die Klägerin im Streitfall derartige Umstände nicht vorgetragen hat, konnte die über einen langen Zeitraum nicht wahrgenommene Versetzung der Klägerin an einen anderen Arbeitsort das entsprechende Direktionsrecht der Beklagten nicht einschränken.
151 BAG v. 13.6.2012 – 10 AZR 296/11, NZA 2012, 1154. 152 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22. 153 BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22, 25.
116
BAG v. 17.8.2011 –
Ermessensspielraum bei einer ortsverändernden Versetzung
Das BAG hat sich auch im Übrigen der Auffassung des LAG angeschlossen, dass die Beklagte von ihrem Weisungsrecht bei der Versetzung wirksam nach § 106 GewO Gebrauch gemacht und die Grundsätze billigen Ermessens gewahrt hat. Da bezüglich der wirksamen Ausübung des Weisungsrechts seitens der Beklagten keine Bedenken bestanden, kam es im Rahmen der Ausübungskontrolle entscheidungserheblich darauf an, ob die Leistungsbestimmung der Zuweisung eines anderen Arbeitsorts nach billigem Ermessen (§§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB) erfolgt war. Bei der Beurteilung dieser Frage lässt sich das BAG von der Erwägung leiten, dass dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach §§ 106 GewO, 315 Abs. 1 BGB im Falle der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszuübender Spielraum verbleibt, der mehrere Entscheidungsmöglichkeiten erlauben kann. Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeber die Grenzen seines Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 3 BGB gewahrt hat, ist zunächst der Zeitpunkt maßgebend, zu dem der Arbeitgeber die Versetzung ausspricht. Auf diesen Zeitpunkt bezogen bedarf nach ständiger Rechtsprechung des BAG154 die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen einer Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind danach alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen155. Ist die Weisung des Arbeitgebers auf eine freie unternehmerische Entscheidung – wie hier auf die Stilllegung des bisherigen Einsatzorts in Hamburg – zurückzuführen, ist dieser bei der Ausübungskontrolle ein besonderes Gewicht beizumessen, wobei nach überzeugender Ansicht des BAG156 das unternehmerische Konzept keiner Zweckmäßigkeitsprüfung unterliegt. Insofern nimmt das BAG eine für betriebsbedingte Kündigungen in ständiger
154 BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. – 10 AZR 673/15, NZA 2017, 467 Rz BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZARR 2014, 181 Rz. 40. 155 BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2805 Rz. 40. 156 BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 41 f.
117
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Spruchpraxis entwickelte Bewertung vor157, die erst recht angebracht sein muss, wenn der Arbeitnehmer nicht seinen Arbeitsplatz verliert, sondern im Vergleich dazu nur eine örtliche Veränderung des Arbeitseinsatzes hinnehmen soll. Angesichts dessen hat das Gericht bei der Prüfung des billigen Ermessens die unternehmerische Entscheidung zugrunde zu legen und in einem weiteren Schritt der Frage nachzugehen, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Umsetzung seiner Organisationsentscheidung unter Berücksichtigung der geschützten Belange des Arbeitnehmers auch im Einzelfall die Weisung der Versetzung rechtfertigt. In diesem Zusammenhang geht das BAG davon aus, dass besonders schwerwiegende, insbesondere verfassungsrechtlich geschützte Belange des Arbeitnehmers der Versetzung entgegenstehen könnten. Allerdings nimmt das BAG davon Abstand, diese konkreten Belange des Arbeitnehmers näher zu benennen. Da die Klägerin keine unzumutbaren persönlichen, familiären oder sonstigen außervertraglich entstandenen Belastungen vorgetragen hat, war das BAG der Antwort darauf enthoben. Überdies wird ein derartiger Abwägungsgesichtspunkt davon abhängen, welche unternehmerische Entscheidung Anlass für die Versetzung gewesen ist. Schließt der Arbeitgeber etwa einen Beschäftigungsort komplett und setzt er seine betrieblichen Aktivitäten an einem anderen Ort fort, dann ist die Versetzung ungeachtet der sozialen Betroffenheit des Arbeitnehmers der einzige Weg, um dem Arbeitnehmer den Verlust des Arbeitsplatzes zu ersparen. Nur wenn der Arbeitgeber unter Aufrechterhaltung der getroffenen und umgesetzten unternehmerischen Entscheidung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers auf die Versetzung verzichten kann, widerspricht es billigem Ermessen, den Arbeitnehmer mit der Versetzung zu belasten. Das BAG158 betont im Zusammenhang mit der Kontrolle der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Versetzungsentscheidung, dass bei dieser eine Sozialauswahl wie im Falle einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht stattfindet. Auf den konkreten Fall bezogen konnte eine Sozialauswahl keine Rolle spielen, weil sämtliche Arbeitnehmer der Beklagten am Standort Hamburg betroffen waren. Besteht jedoch der Anlass für die Versetzung in einem Personalüberhang, kann die Berücksichtigung schutzwürdiger Belange des Arbeitnehmers bei einer Versetzung durchaus eine personelle Auswahlentscheidung des Arbeitgebers erfordern, wenn mehrere Arbeitnehmer betroffen sind. Das BAG hat bei früherer Gelegenheit 157 BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 480/14, NZA 2015, 1315 Rz. 35 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015,679 Rz. 15 -ArbR/Ulrich ArbR/Boewer § 46 Rz. 152 f. m. w. N. 158 BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, BB 2017, 378 Rz. 31.
118
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
bei einem derartigen Tatbestand verlangt, dass die Leistungsbestimmung in Gestalt der Versetzung gegenüber demjenigen Arbeitnehmer zu treffen ist, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind159. Auch der 2. Senat des BAG160 befürwortet zumindest eine soziale Auswahl in Analogie zu § 1 Abs. 3 KSchG, wenn aufgrund der Stilllegung eines Betriebsteils für eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer freie Arbeitsplätze an anderen Orten zur Verfügung stehen, die vom bisherigen Arbeitsort räumlich unterschiedlich weit entfernt liegen, und die Zahl der am näher gelegenen Arbeitsort zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze geringer als die Zahl der insgesamt zu versetzenden Arbeitnehmer ist. Mit dieser Entscheidung des BAG wird für die betriebliche Praxis klargestellt, dass das Maß und die Möglichkeit der Ermessensausübung des Arbeitgebers im Rahmen einer Versetzungsentscheidung weitgehend von der unternehmerischen Entscheidung abhängt, weil diese einer Zweckmäßigkeitskontrolle entzogen ist, sodass nur die schutzwürdigen Belange des von einer Versetzung betroffenen Arbeitnehmers in den Abwägungsprozess der Ausübungskontrolle nach Billigkeitsgesichtspunkten einbezogen werden müssen, die nicht zu einem Verzicht oder Teilverzicht auf die unternehmerische Entscheidung führen. (Boe)
8.
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf Verlangen des Arbeitgebers an einem Personalgespräch im Betrieb teilnehmen muss, war eine bislang höchstrichterlich nicht geklärte Frage, mit der sich der 10. Senat des BAG161 in der Entscheidung vom 2.11.2016 zu beschäftigen hatte. Die Parteien stritten über die Entfernung einer dem Kläger erteilten Abmahnung aus dessen Personalakte sowie über die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Personalgesprächen während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger ist bei der Beklagten, die in Berlin u. a. mehrere Krankenhäuser betreibt, seit dem 1.4.2003 beschäftigt. Zunächst war er als Krankenpfleger tätig, zuletzt wurde er nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und anschließender Umschulung befristet bis zum 31.12.2013 als Medi159 Vgl. etwa BAG v. 10.7.2013 – 10 AZR 915/12, NZA 2013, 1142 Rz. 32. 160 BAG v. 12.8.2010 – 2 AZR 945/08, NZA 2011, 460 Rz. 41. 161 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183.
119
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
bei einem derartigen Tatbestand verlangt, dass die Leistungsbestimmung in Gestalt der Versetzung gegenüber demjenigen Arbeitnehmer zu treffen ist, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind159. Auch der 2. Senat des BAG160 befürwortet zumindest eine soziale Auswahl in Analogie zu § 1 Abs. 3 KSchG, wenn aufgrund der Stilllegung eines Betriebsteils für eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Arbeitnehmer freie Arbeitsplätze an anderen Orten zur Verfügung stehen, die vom bisherigen Arbeitsort räumlich unterschiedlich weit entfernt liegen, und die Zahl der am näher gelegenen Arbeitsort zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze geringer als die Zahl der insgesamt zu versetzenden Arbeitnehmer ist. Mit dieser Entscheidung des BAG wird für die betriebliche Praxis klargestellt, dass das Maß und die Möglichkeit der Ermessensausübung des Arbeitgebers im Rahmen einer Versetzungsentscheidung weitgehend von der unternehmerischen Entscheidung abhängt, weil diese einer Zweckmäßigkeitskontrolle entzogen ist, sodass nur die schutzwürdigen Belange des von einer Versetzung betroffenen Arbeitnehmers in den Abwägungsprozess der Ausübungskontrolle nach Billigkeitsgesichtspunkten einbezogen werden müssen, die nicht zu einem Verzicht oder Teilverzicht auf die unternehmerische Entscheidung führen. (Boe)
8.
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf Verlangen des Arbeitgebers an einem Personalgespräch im Betrieb teilnehmen muss, war eine bislang höchstrichterlich nicht geklärte Frage, mit der sich der 10. Senat des BAG161 in der Entscheidung vom 2.11.2016 zu beschäftigen hatte. Die Parteien stritten über die Entfernung einer dem Kläger erteilten Abmahnung aus dessen Personalakte sowie über die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Personalgesprächen während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger ist bei der Beklagten, die in Berlin u. a. mehrere Krankenhäuser betreibt, seit dem 1.4.2003 beschäftigt. Zunächst war er als Krankenpfleger tätig, zuletzt wurde er nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und anschließender Umschulung befristet bis zum 31.12.2013 als Medi159 Vgl. etwa BAG v. 10.7.2013 – 10 AZR 915/12, NZA 2013, 1142 Rz. 32. 160 BAG v. 12.8.2010 – 2 AZR 945/08, NZA 2011, 460 Rz. 41. 161 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183.
119
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
zinischer Dokumentationsassistent (MDA) im Klinikum A eingesetzt. Vom 29.11.2013 bis zum 21.2.2014 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte lud ihn mit Schreiben vom 18.12.2013 „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ zu einem Gespräch am 6.1.014 in ihr Klinikum A ein. Die Angabe in der Betreffzeile des Schreibens lautete: „Beschäftigung als MDA“. Der Kläger sagte das Gespräch per Fax unter Hinweis auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit ab. Unter dem 24.1.2014 übersandte ihm die Beklagte ein inhaltlich identisches Einladungsschreiben für den 11.2.2014. Diesem Schreiben war der Hinweis hinzugefügt, der Kläger habe gesundheitliche Gründe, die ihn an der Wahrnehmung dieses Termins hinvorliegende allgemeine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche hierfür nicht aus. Auch die Teilnahme an diesem Gespräch lehnte der Kläger unter Hinweis auf seine weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit ab. Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 18.2.2014 eine Abmahnung. Es sei davon auszugehen, dass er den Gesprächen unentschuldigt ferngeblieben sei, da er keinen Nachweis darüber erbracht habe, an einem Personalgespräch krankheitsbedingt nicht teilnehmen zu können. Der Kläger hat gemeint, er sei nicht verpflichtet gewesen, während der Dauer seiner ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit zu den Personalgesprächen im Klinikum A zu erscheinen, worüber sich seine Feststellungsklage verhielt. Außerdem beanspruchte er die ersatzlose Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. Während das ArbG der Klage in vollem Umfang entsprochen hat, hat das LAG Berlin-Brandenburg162 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Feststellungsklage des Klägers abgewiesen. Das BAG hat der Klage auf Entfernung der Abmahnung – wie bereits die Vorinstanzen – entsprochen. Das BAG geht davon aus, dass der auf eine entsprechende Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gestützte Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung (§ 314 Abs. 2 BGB) stets dann begründet ist, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt163. Im Streitfall ging es um die Alternative der unzutreffenden rechtlichen Bewertung der Beklagten, weil der Kläger nach Ansicht des BAG nicht verpflichtet war, zu den von der Beklagten während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit angesetzten Personalgesprächen im Klinikum zu er-
162 LAG Berlin-Brandenburg v. 17.7.2015 – 6 Sa 2276/14 n. v. 163 BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 782/11, NJW 2013, 808 Rz. 13
120
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
scheinen und auch nicht gehalten war, über seine krankheitsbedingte Verhinderung ein gesondertes ärztliches Attest beibringen zu müssen. Diese Schlussfolgerung hat das BAG daraus abgeleitet, dass die Anordnungen der Beklagten, während der noch andauernden Erkrankung im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, vom Weisungsrecht nach § 106 GewO nicht mehr gedeckt waren. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Das BAG orientiert sodann das nach billigem Ermessen wahrzunehmende Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO an dem Pflichtenkanon, der dem Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis obliegt. Es umfasst die Konkretisierung der Hauptpflichten, von Nebenpflichten des Arbeitnehmers, aber auch Unterlassungspflichten, die den Arbeitnehmer treffen. Das Weisungsrecht betrifft zunächst die Konkretisierung der Hauptleistungspflichten. Davon ist auch das Recht des Arbeitgebers einbegriffen, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen entsprechende Weisungen über die wahrzunehmenden Aufgaben, den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festgelegt werden. Gleiches gilt, soweit der Arbeitgeber die Nichterfüllung von Leistungspflichten des Arbeitnehmers beanstanden will164. Auch insoweit darf der Arbeitgeber das persönliche Gespräch mit dem Arbeitnehmer im Betrieb suchen. Auch jede sonstige vom Arbeitnehmer auf der Grundlage des Arbeitsvertrags geschuldete Maßnahme oder Tätigkeit, die mit der eigentlichen Hauptpflicht und der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt, wie etwa das Anlegen einer Dienstkleidung165, unterfällt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Dies gilt gleichermaßen – wie das BAG ergänzend ausführt – nach § 241 Abs. 1 BGB für die leistungssichernden Neben- und Verhaltenspflichten, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen166. Gemeint sind Pflichten, die der
164 BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 101: Verweigerung eines Personalgesprächs mit dem Ziel der Vertragsänderung. 165 BAG v. 19.9.2012 – 5 AZR 678/11, NZA-RR 2013, 63: Zu den i. S. v. § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Diensten“ gehört auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb. 166 Zur begrifflichen Kennzeichnung auch BGH v. 13.11.2012 – XI ZR 145/12, n. v. Rz. 28.
121
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Verwirklichung des Leistungserfolgs dienen und sich auf die Vorbereitung, Unterstützung, Förderung und ordnungsgemäße Durchführung sowie Sicherung der Hauptleistungen beziehen167. Dazu gehören auch allgemeine leistungsunabhängige Rücksichtnahmepflichten i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB168. Schließlich kann ein Weisungsrecht des Arbeitgebers, wie das BAG zu Recht betont, auch Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers betreffen, wenn es um die Einhaltung von Wettbewerbsverboten oder Geheimhaltungspflichten geht. Während der Dauer der Erkrankung des Arbeitnehmers entfällt das Weisungsrecht des Arbeitgebers für Pflichten des Arbeitnehmers, von denen dieser krankheitsbedingt befreit ist, wozu die Arbeitsleistungspflicht als Hauptpflicht und die unmittelbar damit zusammenhängenden Nebenleistungspflichten gehören. Nach § 275 Abs. 3 BGB muss insoweit das Leistungsinteresse des Gläubigers zurücktreten169. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 1 BGB und hinsichtlich der gemäß § 241 Abs. 2 BGB bestehenden Rücksichtnahmepflichten sowie Unterlassungspflichten des Arbeitnehmers bleibt dagegen von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich unberührt. Die ärztlich attestierte „Arbeitsunfähigkeit“170 bezieht sich nur auf die arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistung und die unmittelbar mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden Nebenleistungspflichten, sodass mit deren Wegfall notwendigerweise auch ein darauf bezogenes Direktionsrecht des Arbeitgebers entfallen muss. In diesem Zusammenhang bestätigt das BAG seine bisherige Sichtweise, dass es keine Teilarbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht gibt, und sich weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber auf eine Teilleistung einlassen müssen. Davon sind allerdings Fälle abzugrenzen, bei denen der Arbeitnehmer die volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehin-
167 BAG v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, 1158 Rz. BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 Rz. 17: Zu den i. S. v. § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Diensten“ gehört auch das vom Arbeitgeber angeordnete Fahren vom Betrieb zu einer auswärtigen Arbeitsstelle. 168 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 29. 169 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 29 170 Vgl. dazu Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der Fassung v. 14.11.2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 27.1.2014 B4, in Kraft getreten am 28.1.2014, zuletzt geändert am 20.10.2016, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 23.12.2016 B5, in Kraft getreten am 24.12.2016.
122
Anordnung eines Personalgesprächs während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
dert ist, sämtlichen Leistungsbestimmungen – etwa im Hinblick auf die Lage der Arbeitszeit – gerecht zu werden171. Das so verstandene Weisungsrecht wird nach Ansicht des BAG172 durch die auch den Arbeitgeber treffende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB auf die Rechte und Rechtsgüter des Arbeitnehmers begrenzt. Wegen der latenten Gefahr einer Beeinträchtigung des Genesungsprozesses und einer damit verbundenen Verlängerung des krankheitsbedingten Arbeitsausfalls gebiete es die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers, die Erteilung von Weisungen auf dringende betriebliche Anlässe zu beschränken und sich bezüglich der Art und Weise, der Häufigkeit und Dauer der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers am wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers zu orientieren. Ungeklärt bleibt allerdings dabei, ob mit dieser Aussage des BAG neben der Beachtung des billigen Ermessens bei der Ausübung des Weisungsrechts die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB als eigenständige Pflicht hinzutritt oder lediglich die Qualität einer Konkretisierung des billigen Ermessens aufweist. In Anbetracht dieser allgemeinen vom BAG entwickelten Maßstäbe darf der Arbeitgeber den erkrankten Arbeitnehmer etwa anweisen, ein kurzes Personalgespräch zu führen, in dem es um Informationen zu wichtigen betrieblichen Abläufen oder Vorgängen geht, ohne deren Weitergabe dem Arbeitgeber die Fortführung der Geschäfte erheblich erschwert wird. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn es um aktuell bevorstehende Änderungen des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers geht und dieser neue Aufgaben übernehmen soll. Allerdings ist dabei stets aus Gründen der Rücksichtnahme gegenüber dem erkrankten Arbeitnehmer zu prüfen, ob ein derartiges Gespräch nicht auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufschiebbar ist. Auch bei der Art der Abwicklung der Kommunikation mit dem Arbeitnehmer hat die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers bei erkrankten Arbeitnehmern einen hohen Stellenwert. Ein persönliches Erscheinen im Betrieb kann der Arbeitgeber nur ausnahmsweise vom erkrankten Arbeitnehmer verlangen, wenn dies unumgänglich ist und der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Gründen, die etwa technischer Natur sein können, nicht bis zur
171 BAG v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, NZA 2014, 719: Nachtdienstuntauglichkeit einer Krankenschwester. 172 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 32.
123
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Rückkehr des Arbeitnehmers nach seiner Genesung zuwarten kann173. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Arbeitgeber. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war im Streitfall jedenfalls – mangels entsprechenden Vorbringens der Beklagten – nicht von einer derartigen Sondersituation auszugehen, sodass die Abmahnung zu Unrecht erfolgt war. Die Beklagte hatte nämlich nichts dazu vorgetragen, dass die Frage des künftigen Einsatzes des Klägers nicht auch nach seiner Genesung hätte geklärt werden können. Des Weiteren gab es keinen unabdingbaren Anlass für die persönliche Anwesenheit des Klägers im Betrieb der Beklagten, weil die Frage des künftigen Einsatzes des Klägers auch Gegenstand eines Telefongesprächs oder eines E-Mail- Austauschs hätte sein können. Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen, weil sie nicht nur den Umfang des Weisungsrechts des Arbeitgebers weiter spezifiziert, sondern die für die Praxis wichtige Aussage enthält, dass ein Arbeitnehmer – soweit er aufgrund seiner Erkrankung dazu in der Lage ist und ihm dies zugemutet werden kann – jedenfalls als Ansprechpartner über E-Mail oder Telefon zur Verfügung stehen muss, wenn der Arbeitgeber im berechtigten betrieblichen Interesse auf Informationen, über die der Arbeitnehmer verfügt, angewiesen ist und der Arbeitgeber berechtigterweise nicht abwarten kann, bis der Arbeitnehmer nach seiner Genesung an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. (Boe)
9.
Die Bedeutung einer salvatorischen Klausel bei nichtigem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot
Nach § 110 GewO können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung beschränken (Wettbewerbsverbot). Die §§ 74 bis 75 f HGB sind entsprechend anzuwenden. Eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, die den Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 126 BGB) und der Aushändigung einer vom Arbeitgeber unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden, Urkunde an den Arbeitnehmer (§ 74 Abs. 1 HGB). Nach § 74 Abs. 2 HGB ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nur verbindlich, wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Höhe der von dem
173 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 11.
124
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Rückkehr des Arbeitnehmers nach seiner Genesung zuwarten kann173. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Arbeitgeber. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war im Streitfall jedenfalls – mangels entsprechenden Vorbringens der Beklagten – nicht von einer derartigen Sondersituation auszugehen, sodass die Abmahnung zu Unrecht erfolgt war. Die Beklagte hatte nämlich nichts dazu vorgetragen, dass die Frage des künftigen Einsatzes des Klägers nicht auch nach seiner Genesung hätte geklärt werden können. Des Weiteren gab es keinen unabdingbaren Anlass für die persönliche Anwesenheit des Klägers im Betrieb der Beklagten, weil die Frage des künftigen Einsatzes des Klägers auch Gegenstand eines Telefongesprächs oder eines E-Mail- Austauschs hätte sein können. Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen, weil sie nicht nur den Umfang des Weisungsrechts des Arbeitgebers weiter spezifiziert, sondern die für die Praxis wichtige Aussage enthält, dass ein Arbeitnehmer – soweit er aufgrund seiner Erkrankung dazu in der Lage ist und ihm dies zugemutet werden kann – jedenfalls als Ansprechpartner über E-Mail oder Telefon zur Verfügung stehen muss, wenn der Arbeitgeber im berechtigten betrieblichen Interesse auf Informationen, über die der Arbeitnehmer verfügt, angewiesen ist und der Arbeitgeber berechtigterweise nicht abwarten kann, bis der Arbeitnehmer nach seiner Genesung an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. (Boe)
9.
Die Bedeutung einer salvatorischen Klausel bei nichtigem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot
Nach § 110 GewO können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung beschränken (Wettbewerbsverbot). Die §§ 74 bis 75 f HGB sind entsprechend anzuwenden. Eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, die den Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 126 BGB) und der Aushändigung einer vom Arbeitgeber unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden, Urkunde an den Arbeitnehmer (§ 74 Abs. 1 HGB). Nach § 74 Abs. 2 HGB ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nur verbindlich, wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Höhe der von dem
173 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 11.
124
Die Bedeutung einer salvatorischen Klausel
Arbeitnehmer zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistung erreicht. Dabei darf die Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots nicht auf einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an erstreckt werden (§ 74 a Abs. 1 S. 3 HGB). Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG174 sind Wettbewerbsverbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung vorsehen, nichtig. Die Nichtigkeitsfolge tritt allerdings nicht ein, wenn in einem Wettbewerbsverbot eine gegenüber der Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB zu niedrige Karenzentschädigung vereinbart wird. Dann ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot lediglich unverbindlich, was zur Folge hat, dass sich der Arbeitnehmer entscheiden darf, ob er sich an das Wettbewerbsverbot hält175. Diese Bewertung hat das BAG176 auch auf den Fall übertragen, dass aus dem Wettbewerbsverbot selbst unklar bleibt, ob die gesetzliche Entschädigungshöhe erreicht wird. Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Einhaltung eines für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbots, hat er Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Entschädigung, nicht hingegen auf die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB177. Ob eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene salvatorische Klausel zugunsten des Arbeitnehmers zur Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots führen kann, das keine Karenzentschädigung enthält, war Gegenstand einer Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 22.3.2017178. Im Arbeitsvertrag der Arbeitsvertragsparteien war ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart, das der Klägerin untersagte, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Vertrags in selbständiger, unselbständiger oder sonstiger Weise für ein Unternehmen tätig zu sein, das mit der Beklagten in direktem oder indirektem Wettbewerb steht. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung war eine Vertragsstrafe i. H. v. 10.000,- € vorgesehen. Eine Karenzentschädigung enthielt das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht. Der Arbeitsvertrag der Parteien beinhaltete eine sogenannte salvatorische Klausel folgenden Inhalts:
174 So bereits BAG v. 28.6.2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157 Rz. 11 BAG v. 18.1.2000 – 9 AZR 929/98 n. v. Rz. 10 BAG v. 3.5.1994 – 9 AZR 606/92, NZA 1995, 72 Rz. 22 – 3 AZR 138/68, DB 1970, 63 Rz. 21. 175 BAG v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NZA 2014, 536 Rz. 23 BAG v. 14.7.2010 – 10 AZR 291/09, NZA 2011, 413 Rz. 18. 176 BAG v. 15.1.2014 – 10 AZR 243/13, NZA 2014, 536 Rz. 23. 177 BAG 14.7.2010 – 10 AZR 291/09, NZA 2011, 413 Rz. –9 AZR 929/98 n. v. Rz. 12. 178 BAG v. 22.3.2017 – 10 AZR 448/15 n. v.
125
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages nichtig oder unwirksam sein, so soll dadurch der Vertrag im Übrigen in seinem rechtlichen Bestand nicht berührt werden. Anstelle der nichtigen oder unwirksamen Bestimmung soll eine angemessene Regelung gelten, die, soweit rechtlich möglich, dem am nächsten kommt, was die Vertragsparteien gewollt haben oder nach dem Sinn und Zweck dieses Vertrages gewollt hätten, sofern sie bei Abschluss dieses Vertrages die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit bedacht hätten.
Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin, die das Wettbewerbsverbot eingehalten hat, für die Zeit von Januar 2014 bis Dezember 2015 eine monatliche Karenzentschädigung i. H. v. 604,69 € brutto und berief sich zur Begründung der Klage im Wesentlichen darauf, dass aufgrund der im Arbeitsvertrag enthaltenen salvatorischen Klausel die Wettbewerbsvereinbarung um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zu ergänzen sei. Während das LAG Hamm179 unter Bezugnahme auf die salvatorische Ersetzungsklausel davon ausging, dass diese zu einem wirksamen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot mit der Zusage einer Karenzentschädigung in gesetzlicher Höhe führen würde, hat das BAG unter Aufhebung dieser Entscheidung die Klage abgewiesen. Die Begründung des LAG Hamm lief darauf hinaus, dass die Beklagte an die salvatorische Klausel des Formulararbeitsvertrags gebunden sei, weil sie sich als Verwenderin gegenüber der Klägerin auf die Unwirksamkeit der salvatorischen Klausel nicht mit Erfolg berufen könne. Die fehlende Vereinbarung einer Karenzentschädigung führe nicht zu einer Gesamtnichtigkeit des Wettbewerbsverbots, sondern sei um die Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung in der gesetzlichen Mindesthöhe zu ergänzen. Dies entspräche am ehesten dem mutmaßlichen Willen beider Vertragsparteien, wenn sie bei Abschluss des Vertrages die (Teil-)Nichtigkeit bedacht hätten. Demgegenüber vertritt das BAG die Auffassung, dass Wettbewerbsverbote, die keine Karenzentschädigung vorsehen, nichtig sind mit der Folge, dass weder der Arbeitgeber aufgrund einer solchen Vereinbarung die Unterlassung von Wettbewerb verlangen kann noch der Arbeitnehmer bei Einhaltung des Wettbewerbverbots Anspruch auf eine Karenzentschädigung hat. Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene salvatorische Klausel könne einen solchen Verstoß gegen § 74 Abs. 2 HGB nicht heilen und führte nicht
179 LAG Hamm v. 5.6.2015 – 10 Sa 67/15 n. v.
126
Die Bedeutung einer salvatorischen Klausel
– auch nicht einseitig zugunsten des Arbeitnehmers – zur Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots. Dieses Ergebnis begründet das BAG damit, dass der Arbeitnehmer spätestens unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Entscheidung treffen muss, ob er das Wettbewerbsverbot einhält oder nicht. Dann muss aber bereits zu diesem Zeitpunkt feststehen, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wirksam ist oder nicht. Diese Feststellung kann eine salvatorische Klausel nicht leisten, nach der wertend zu entscheiden ist, ob die Vertragsparteien in Kenntnis der Nichtigkeit der Vereinbarung eine wirksame Vereinbarung abgeschlossen hätten und welchen Inhalt die Entschädigungszusage gehabt hätte. Der Entscheidung des BAG ist beizupflichten. Kein begründeter Zweifel dürfte daran bestehen, dass die Arbeitsvertragsparteien in einem individuell ausgehandelten Vertrag eine salvatorische Klausel in wirksamer Weise abschließen dürfen. Ob diese gleichermaßen für Formulararbeitsverträge oder Einmalbedingungen nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB gilt, mag dahinstehen. Die salvatorische Klausel, die einerseits als Erhaltungsklausel verhindern soll, dass gemäß § 139 BGB im Zweifel aus der Teilnichtigkeit die Gesamtnichtigkeit des Vertrages folgt, andererseits als Ersetzungsklausel die Funktion hat, die durch die Nichtigkeit einzelner vertraglicher Regelungen entstandenen Lücken zu schließen180, setzt sich nämlich in Widerspruch zu § 306 Abs. 2 BGB und zu § 307 Abs. 1 BGB. Als Ersetzungsklausel soll sie im Ergebnis etwas bewirken, was § 306 Abs. 2 BGB für Allgemeine Geschäftsbedingungen gerade ausschließen will, nämlich die Verdrängung des dispositiven Gesetzesrechts durch eine andere vertragliche Regelung. Zudem werden mit der Ersetzungsklausel die Rechte und Pflichten des Vertragspartners entgegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht klar und durchschaubar geregelt, was zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers führt181. (Boe)
180 BGH v. 25.7.2007 – XII ZR 143/05, NJW 2007, 3202 Rz. 25 f. 181 Vgl. dazu BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09, NZA 2012, 738 Rz. 38.
127
D. 1.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Schadensersatz wegen unterbliebener Erhöhung der Wochenarbeitszeit
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 AGG ist der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet, den durch einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot erlittenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nach § 15 Abs. 1 S. 2 AGG nicht, wenn der Arbeitgeber den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht zu vertreten hat. Nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, welcher nicht Vermögensschaden ist (immaterieller Schaden), eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. § 15 Abs. 2 S. 1 AGG stellt dabei eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, für die es insbesondere nicht auf ein (zurechenbares) Verschulden des Arbeitgebers ankommt1. Die Grundsätze, die für den Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, sind nicht anzuwenden. Vielmehr ist vom Vorliegen eines immateriellen Schadens auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststeht2. Gemäß § 15 Abs. 4 AGG muss ein Anspruch auf Schadensersatz sowie ein Anspruch auf Entschädigung nach Abs. 1 und Abs. 2 dieser Vorschrift innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich3 geltend gemacht werden, wobei die Frist im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt, anläuft. Wird die Ausschlussfrist nicht eingehalten, geht der Anspruch unter4. Soweit es um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2, 4 AGG geht, muss eine entsprechende Klage gemäß § 61 b Abs. 1 ArbGG innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch geltend gemacht worden ist, erhoben werden. Voraussetzung für Ansprüche aus § 15 Abs. 1 und 2 AGG ist allerdings der Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG und somit eine Benachteiligung gerade wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe. Die Benachteiligung des Arbeitnehmers muss an ein in § 1 AGG genanntes Merkmal anknüpfen oder davon motiviert sein, wobei die
1 2 3 4
BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 37. BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 37. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 27. BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 705/08, NZA 2010, 387 Rz. 56.
129
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
bloße Mitursächlichkeit einer solchen Motivation ausreicht5. Soweit es um diesen Kausalzusammenhang geht, sieht § 22 AGG für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen eine Erleichterung der Darlegungslast und einer Absenkung des Beweismaßes sowie eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, d. h. die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes begründen, trägt die andere Partei den Vollbeweis dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat6. Ob ein Beschäftigter seiner sich aus § 22 AGG ergebenden Darlegungslast nachgekommen ist, unterliegt der freien Überzeugung des Tatsachengerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze sind auch auf die Fälle anzuwenden, in denen die Tatsachengerichte zu entscheiden haben, ob vorgetragene und ggf. bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Partei als wahr vermuten lassen7. Die Frage, ob einem schwerbehinderten Menschen wegen unterbliebener Erhöhung seiner Wochenarbeitszeit aus diesem Grunde ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber zustand, war Gegenstand einer Entscheidung des 8. Senats des BAG vom 26.1.20178. Der mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger wird bei der Beklagten, die einen Express-Versand und Transport-Service betreibt, als Kurier mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden beschäftigt. Im Juni 2013 verteilte die Beklagte ein zusätzliches Stundenvolumen von insgesamt 66,5 Stunden – unbefristet – an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Dabei wurden bis auf den Kläger, der mehrfach um eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl nachgesucht hatte, und einen weiteren Mitarbeiter, der erst im
5
6 7 8
BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310 Rz. 62 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 506 Rz. 27 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 53 BAG v. 20.1.2016 – 8 AZR 194/14, NZA 2016, 681 Rz. 24. Vgl. dazu BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, BB 2017, 953 Rz. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 54. BAG v. 25.4.2013 – 8 AZR 287/08, DB 2013, 2509 Rz. BAG v. 24.4.2008 – 8 AZR 257/07, NZA 2008, 1351 Rz. 27. BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 736/15 n. v.
130
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
Januar 2013 in die Station gewechselt war, sämtliche Teilzeitmitarbeiter mit Wunsch auf eine Stundenerhöhung berücksichtigt. Mit seiner Klage hat der Kläger u. a. einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend gemacht, der noch Gegenstand der Revision beim BAG gewesen ist. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, die Beklagte habe ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Die Beklagte hat sich vor allem damit verteidigt, die Aufstockung der Arbeitszeit ausschließlich nach Leistungskriterien vorgenommen zu haben, wobei der Kläger deshalb unberücksichtigt geblieben sei, weil er seit Jahren der Arbeitnehmer mit der schwächsten Leistung wäre. Das Hessische LAG9 hat der Schadensersatzklage des Klägers entsprochen und die Vermutung für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung daraus hergeleitet, dass er als einziger Arbeitnehmer in Teilbeschäftigung bezüglich der Stundenerhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit unberücksichtigt geblieben sei, was wegen der quantitativen Leistungseinschränkungen ursächlich auf seine Behinderung zurückzuführen wäre. Dem BAG hat diese Begründung für eine ausreichende Kausalitätsvermutung im Sinne von § 22 AGG nicht ausgereicht, weil darin nur die Möglichkeit einer Ursächlichkeit der Behinderung für die Benachteiligung des Klägers zum Ausdruck gebracht worden ist, während der Gesetzgeber Indizien verlangt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war. Angesichts dessen hat das BAG den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. (Boe)
2.
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
Insbesondere in den Produktionsbereichen ist es vielfach erforderlich, aus Gründen des Arbeitsschutzes eine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen. Ausgehend davon, dass diese PSA vor Arbeitsantritt angezogen und im Anschluss an die Arbeit wieder ausgezogen werden muss, stellt sich die Frage, ob und inwieweit der damit verbundene Zeitaufwand durch den Arbeitgeber bezahlt werden muss. Die gleiche Frage stellt sich dann, wenn Arbeitnehmer aus technischen oder hygienischen Gründen oder aus dem Gesichtspunkt des Marketings heraus durch den Arbeitgeber aufgefordert werden, eine bestimmte Berufskleidung zu tragen. Beispielhaft sei hier nur auf
9
LAG Hessen v. 25.9.2015 – 18 Sa 520/14 n. v. Rz. 89.
131
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
Januar 2013 in die Station gewechselt war, sämtliche Teilzeitmitarbeiter mit Wunsch auf eine Stundenerhöhung berücksichtigt. Mit seiner Klage hat der Kläger u. a. einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend gemacht, der noch Gegenstand der Revision beim BAG gewesen ist. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, die Beklagte habe ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Die Beklagte hat sich vor allem damit verteidigt, die Aufstockung der Arbeitszeit ausschließlich nach Leistungskriterien vorgenommen zu haben, wobei der Kläger deshalb unberücksichtigt geblieben sei, weil er seit Jahren der Arbeitnehmer mit der schwächsten Leistung wäre. Das Hessische LAG9 hat der Schadensersatzklage des Klägers entsprochen und die Vermutung für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung daraus hergeleitet, dass er als einziger Arbeitnehmer in Teilbeschäftigung bezüglich der Stundenerhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit unberücksichtigt geblieben sei, was wegen der quantitativen Leistungseinschränkungen ursächlich auf seine Behinderung zurückzuführen wäre. Dem BAG hat diese Begründung für eine ausreichende Kausalitätsvermutung im Sinne von § 22 AGG nicht ausgereicht, weil darin nur die Möglichkeit einer Ursächlichkeit der Behinderung für die Benachteiligung des Klägers zum Ausdruck gebracht worden ist, während der Gesetzgeber Indizien verlangt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war. Angesichts dessen hat das BAG den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. (Boe)
2.
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
Insbesondere in den Produktionsbereichen ist es vielfach erforderlich, aus Gründen des Arbeitsschutzes eine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen. Ausgehend davon, dass diese PSA vor Arbeitsantritt angezogen und im Anschluss an die Arbeit wieder ausgezogen werden muss, stellt sich die Frage, ob und inwieweit der damit verbundene Zeitaufwand durch den Arbeitgeber bezahlt werden muss. Die gleiche Frage stellt sich dann, wenn Arbeitnehmer aus technischen oder hygienischen Gründen oder aus dem Gesichtspunkt des Marketings heraus durch den Arbeitgeber aufgefordert werden, eine bestimmte Berufskleidung zu tragen. Beispielhaft sei hier nur auf
9
LAG Hessen v. 25.9.2015 – 18 Sa 520/14 n. v. Rz. 89.
131
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
die Schutzkleidung im Reinraum oder die Uniform eines Verkehrsbetriebs hingewiesen.
a)
Kennzeichnung der vergütungspflichtigen Arbeit
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG knüpft die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 BGB (jetzt: § 611 a Abs. 2 BGB) an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu den „versprochenen Diensten“ wird dabei indes nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme gezählt, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Arbeit als Leistung der versprochenen Dienste sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene10. Hiervon ausgehend wird auch das Umkleiden und das Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege zur Arbeit gerechnet, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibe, die im Betrieb an- und abgelegt werden müsse, und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermögliche, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichte. In diesem Fall mache der Arbeitgeber mit seiner Weisung das Umkleiden und das Zurücklegen des Wegs von der Umkleide- zur Arbeitsstelle zu einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung11. Aus dieser Kennzeichnung der Arbeit folgt zunächst einmal eine gesetzliche Vergütungspflicht, die die Zeit erfasst, die für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und das Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege erforderlich ist12. Dabei wendet die Rechtsprechung zur Ermittlung der Zeitspanne einen modifizierten subjektiven Maßstab an. Vergleichbar mit der sonstigen Kennzeichnung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht soll dies verhindern, dass der Arbeitnehmer Inhalt und Umfang sowie Intensität der Arbeit selbst bestimmen kann. Erforderlich sei deshalb nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötige. Dabei gelte es, die Variablen des Umkleidevorgangs zu berücksichtigen. Hierzu gehörten u. a. die Fragen, welche Privatkleidung je nach Jahreszeit der Arbeit10 BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 168/16, NZA 2017, 323 Rz. 5 AZR 678/11, BB 2013, 445 Rz. 28. 11 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, NZA 2017, 406 Rz. 5 AZR 168/16, NZA 2017, 323 Rz. 12. 12 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 954/12, NZA 2014, 787 Rz. 26.
132
– –
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
nehmer zuvor getragen habe und welche Wartezeiten (auf die Ausgabe der Kleidung, auf Aufzüge etc.) notwendiger Weise entstünden13. Obwohl der Arbeitgeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass durch den Arbeitgeber veranlasste Umkleide- und Wegezeiten angefallen sind und erforderlich waren, ist der genaue Umfang dieses Aufwands allerdings einer arbeitsgerichtlichen Schätzung zugänglich. Darauf hat das BAG im Urteil vom 26.10.201614 noch einmal hingewiesen. Stehe fest (§ 286 ZPO), dass Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden seien und könne der Arbeitnehmer seiner Darlegungsoder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, dürfe das Gericht die erforderlichen Umkleide- und damit verbundenen Wegezeiten nach § 287 Abs. 2 i. V. mit Abs. 1 S. 1, 2 ZPO schätzen15.
b)
Tarifvertraglicher Gestaltungsspielraum
In seinem Urteil vom 13.12.201616 bestätigt der 9. Senat des BAG noch einmal, dass die Tarifvertragsparteien berechtigt sind, die Höhe des Arbeitsentgelts zu tarifieren und hierbei eine unterschiedliche Vergütung von Arbeitszeiten vorzusehen. Diese in der grundrechtlich geschützten Tarifautonomie wurzelnde Rechtsmacht umfasse die grundsätzliche Befugnis, bestimmte Teile der Arbeitszeit – hier: Umkleide- und umkleidebedingte Wegezeiten – von der andererseits bestehenden Vergütungspflicht des Arbeitgebers auszunehmen17. Diese tarifvertragliche Regelungsmacht hatte das LAG Hamburg allerdings in seinem Urteil vom 6.7.201518, über das wir berichteten19, eingeschränkt. Nach seiner Auffassung sei es auch den Tarifvertragsparteien durch § 3 Abs. 3 ArbSchG verwehrt, einen Vergütungsanspruch für die Umkleide- und umkleidebedingten Wegzeiten auszuschließen. Nach § 3 Abs. 3 ArbSchG darf der Arbeitgeber Kosten für Maßnahmen nach dem ArbSchG nicht den 13 BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 168/16, NZA 2017, 323 Rz. – 5 AZR 294/12, NZA 2013, 1226 Rz. – 1 ABR 59/12, NZA 2014, 557 Rz. 48. 14 BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 168/16, NZA 2017, 323 Rz. 31. 15 Ebenso BAG v. 25.3.2015 – 5 AZR 602/13, NZA 2015, 1002 Rz. Franzen, NZA 2016, 136, 140. 16 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 27. 17 Ebenso BAG v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, DB 2013, 759 Rz. B. Gaul/Hofelich, Franzen, NZA 2016, 136, 138. 18 LAG Hamburg v. 6.7.2015 - 8 Sa 53/14, NZA-RR 2016, 66. 19 B. Gaul, AktuellAR 2015, 414 ff.
133
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Beschäftigten auferlegen. Bezugspunkt sind dabei Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit (§ 2 Abs. 1 ArbSchG). Es obliegt dem Arbeitgeber, solche Maßnahmen zu treffen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten (§ 3 Abs. 1 ArbSchG). Mit überzeugender Begründung hat das BAG im Urteil vom 13.12.201620 diese Interpretation von § 3 Abs. 3 ArbSchG und die daraus folgende Einschränkung des tarifvertraglichen Gestaltungsspielraums abgelehnt21. Selbst wenn man unterstelle, dass es sich bei dem An- und Ablegen der PSA um eine Maßnahme des Arbeitsschutzes handele, würden den Arbeitnehmern hierdurch keine Kosten auferlegt. Das arbeitsschutzrechtliche Verbot in § 3 Abs. 3 ArbSchG erfasse nicht die zeitliche Disposition des Arbeitnehmers. Denn die hier in Rede stehenden Umkleidezeiten führten nicht zu „Kosten“, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auferlege. „Auferlegen“ könne der Arbeitgeber nur Kosten, die zuvor entstanden seien. Dementsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung, dass Kosten für die Arbeitsschutzmaßnahmen beim Arbeitgeber „verbleiben“ sollen22. Ein „Verbleiben“ der Kosten sei nur möglich, wenn diese zuvor bei demjenigen, bei dem sie verblieben, also beim Arbeitgeber, entstanden seien. Dies sei bei Zeiten, die der Arbeitnehmer zum Umkleiden aufwende, nicht der Fall. Dieser Interpretation von § 3 Abs. 3 ArbSchG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers für den Einsatz von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit Arbeitsschutzmaßnahmen ist gesetzlich nur dort vorgesehen, wo bestimmte Funktionen übertragen werden (z. B. Fachkraft für Arbeitssicherheit). Folgerichtig spricht auch § 15 Abs. 1 ArbSchG nur davon, dass die Beschäftigten verpflichtet sind, die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden. Problematisch an den entsprechenden Feststellungen des BAG ist allerdings, dass der unionsrechtliche Hintergrund der in § 3 Abs. 3 ArbSchG getroffenen Regelung unberücksichtigt bleibt. Insofern fehlt eine Auseinandersetzung mit der entsprechenden Handlungsvorgabe in Art. 6 Abs. 5 Rahmenrichtlinie 89/391/EWG. Dort ist in gleicher Weise bestimmt, dass der Ar20 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 28 ff. 21 Ebenso B. Gaul/Hofelich Löwisch/Neumann, SAE 1997, 77, 85 a. A. Landmann/Romer/Wiebauer, GewO ArbSchG § 3 Rz. Kohte, AuR 2016, 404, 406. 22 BT-Drucks. 13/2540 S. 16.
134
Anspruch auf bezahlte Umkleidezeiten
beitgeber den Arbeitnehmern die Kosten für Arbeitsschutzmaßnahmen nicht auferlegen darf. Vergleichbar mit der Umsetzung dieser Handlungsvorgabe sehen auch Art. 7 Abs. 1 S. 2, 11 Abs. 5 Rahmenrichtlinie 89/391/EWG eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nur vor, wenn Arbeitnehmern bestimmte Funktionen übertragen wurden. Auch wenn die durch das BAG vorgenommene Auslegung von § 3 Abs. 3 ArbSchG damit den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen dürfte, wäre es wohl erforderlich gewesen, diese Frage gemäß Art. 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dieser Verzicht auf eine entsprechende Vorlage dürfte im Widerspruch zu Art. 267 Abs. 2 AEUV stehen. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass Instanzgerichte in künftigen Auseinandersetzungen um die Vergütung für solche Umkleidepflichten eine solche Vorlage beschließen. Sie wird durch die aktuelle BAG-Entscheidung nicht ausgeschlossen.
c)
Verpflichtung zur Gleichbehandlung
Obwohl die Tarifvertragsparteien in dem der Entscheidung des BAG vom 13.12.201623 zugrundeliegenden Fall berechtigt waren, eine Vergütungspflicht für Umkleidezeiten auszuschließen, ist der 9. Senat des BAG im konkreten Fall schlussendlich von einer entsprechenden Zahlungspflicht des Arbeitgebers ausgegangen. Hintergrund dieser Annahme war der Umstand, dass der Arbeitgeber zwar bei Arbeitnehmern, die sich vor Schichtbeginn oder nach Schichtablauf umkleideten, einen Vergütungsanspruch abgelehnt hatte. Bei Arbeitnehmern, die sich während einer Schicht umkleideten, hatte der Arbeitgeber den hierfür benötigten Zeitaufwand indes in die vergütungspflichtige Arbeitszeit eingebunden. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und habe zur Folge, dass der in der Produktion beschäftigte Kläger einen Anspruch auf Vergütung sowohl für die Zeiten habe, die er für das An- und Ablegen der PSA aufwende, als auch für die hiermit im Zusammenhang stehenden Wegezeiten. Ausgangspunkt dieser Feststellung ist die Annahme des BAG, dass die entsprechende Begünstigung einer Gruppe von Arbeitnehmern auf einem durch den Arbeitgeber bestimmten (generalisierenden) Prinzip beruht habe. Damit liege eine privatautonome Verteilungsentscheidung vor, die mit der Schaffung eines eigenen Regelwerks durch eigenes gestaltendes Verhalten verbunden sei. Unter diesen Voraussetzungen sei die Schlechterstellung von
23 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 31 ff.
135
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Lage befänden, nur zulässig, wenn es hierfür einen sachlichen Grund gäbe24. Ob diese Annahme einer selbstbestimmten Verteilungsentscheidung des Arbeitgebers zutreffend ist, lässt sich dem Sachverhalt der Entscheidung des BAG indes nicht entnehmen. Dies aber ist streitentscheidend, denn ein Anspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ist – worauf auch durch das BAG hingewiesen wird – ausgeschlossen, wenn die Zahlung des Arbeitgebers an den begünstigten Personenkreis ihre Grundlage in einem bloßen – auch vermeintlichen – Normenvollzug findet. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber glaubt, mit einer solchen Zahlung eine vermeintliche Verpflichtung aus einer Individual- oder Kollektivvereinbarung (hier: Manteltarifvertrag) zu erfüllen. Denn bei einem solchen Vorgehen stellt er subjektiv keine eigenen Anspruchsvoraussetzungen auf, sondern sieht sich – wenn auch irrtümlicherweise – verpflichtet, eine aus seiner Sicht wirksame Regelung vollziehen zu müssen25. Dann wäre auch ein Anspruch aus betrieblicher Übu7ng ausgeschlossen, der auch zukunftsgerichtete Zahlungspflichten zur Folge hätte. Der Gleichbehandlungsgrundsatz hätte diese Zukunftswirkung nur dann, wenn die Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung fortgesetzt würde. Es bleibt abzuwarten, ob das LAG Hamburg im Anschluss an die Zurückweisung des Rechtsstreits hier die notwendige Sachaufklärung vornehmen wird. Denn nur dann, wenn eine selbstbestimmte Verteilungsentscheidung des Arbeitgebers gegeben ist, wäre ein Anspruch auf Gleichbehandlung gegeben. Nur dann käme es auf die weitergehende Feststellung des Umfangs der durch den Kläger tatsächlich aufgewendeten Umkleide- und umkleidebedingten Wegezeiten an. In den Grenzen der tarifvertraglichen Ausschlussfristen wären diese dann die Grundlage für einen entsprechenden Vergütungsanspruch, der ggf. auch Mehrarbeitszuschläge zu berücksichtigen hätte. Schließlich sind Anhaltspunkte für eine sachliche Rechtfertigung der streitgegenständlichen Unterscheidung hinsichtlich der Bezahlung von Umkleidezeiten zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen nur schwer darstellbar. Darauf hat auch das BAG hingewiesen26.
24 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 34. 25 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. – 4 AZR 120/13 n. v. Rz. 20. 26 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 40 ff.
136
BAG v. 21.5.2014
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
d)
Fazit
Zu begrüßen ist die mit der Entscheidung des BAG vom 13.12.201627 verbundene Klarstellung hinsichtlich der fehlenden Einschränkung des tarifvertraglichen Gestaltungsspielraums durch § 3 Abs. 3 ArbSchG. Abschließende Gewissheit in Bezug auf die Richtigkeit dieser Interpretation wird die betriebliche Praxis allerdings nur dann bekommen, wenn auch der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens darin keinen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben sieht. Soweit in der betrieblichen Praxis vergleichbare Unterschiede zwischen den von einem Umkleidevorgang betroffenen Arbeitnehmern erfolgen, ohne dass dies durch die tariflichen Regelungen zum Ausschluss der Umkleidezeiten aus dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit gefordert wird, muss diese Begünstigung unverzüglich eingestellt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass durch die Fortsetzung ein Anspruch aus betrieblicher Übung geschaffen wird. Dies ist – vergleichbar mit den Überlegungen zur Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes – nämlich nur solange nicht der Fall, wie entsprechende Leistungen des Arbeitgebers an den begünstigten Personenkreis die Folge der irrtümlichen Annahme einer tarifvertraglichen Leistungspflicht sind. (Ga)
3.
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
Das BAG hat sich immer wieder mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine Individualabrede Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgeht. Dieser in § 305 b BGB verankerte Grundsatz, der nicht die Unwirksamkeit formularmäßiger Bestimmungen, sondern lediglich ihre Verdrängung anordnet28, ist für die regelmäßig vom Arbeitgeber gestellten formularmäßigen Arbeitsbedingungen dann von besonderer Bedeutung, wenn sich die generellen Bestimmungen des Arbeitsvertrags mit der Individualabrede inhaltlich nicht vertragen. Wie das BAG29 bereits bei früherer Gelegenheit ausgeführt hat, können Individualabreden grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbe-
27 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 28 ff. 28 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 129/16, NZA 2017, 58 Rz. 35 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NZA 2008, 1233 Rz. 21 – XII ZR 69/16, BB 2017, 462 Rz. 16. 29 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 39.
137
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
d)
Fazit
Zu begrüßen ist die mit der Entscheidung des BAG vom 13.12.201627 verbundene Klarstellung hinsichtlich der fehlenden Einschränkung des tarifvertraglichen Gestaltungsspielraums durch § 3 Abs. 3 ArbSchG. Abschließende Gewissheit in Bezug auf die Richtigkeit dieser Interpretation wird die betriebliche Praxis allerdings nur dann bekommen, wenn auch der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens darin keinen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben sieht. Soweit in der betrieblichen Praxis vergleichbare Unterschiede zwischen den von einem Umkleidevorgang betroffenen Arbeitnehmern erfolgen, ohne dass dies durch die tariflichen Regelungen zum Ausschluss der Umkleidezeiten aus dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit gefordert wird, muss diese Begünstigung unverzüglich eingestellt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass durch die Fortsetzung ein Anspruch aus betrieblicher Übung geschaffen wird. Dies ist – vergleichbar mit den Überlegungen zur Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes – nämlich nur solange nicht der Fall, wie entsprechende Leistungen des Arbeitgebers an den begünstigten Personenkreis die Folge der irrtümlichen Annahme einer tarifvertraglichen Leistungspflicht sind. (Ga)
3.
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
Das BAG hat sich immer wieder mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine Individualabrede Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgeht. Dieser in § 305 b BGB verankerte Grundsatz, der nicht die Unwirksamkeit formularmäßiger Bestimmungen, sondern lediglich ihre Verdrängung anordnet28, ist für die regelmäßig vom Arbeitgeber gestellten formularmäßigen Arbeitsbedingungen dann von besonderer Bedeutung, wenn sich die generellen Bestimmungen des Arbeitsvertrags mit der Individualabrede inhaltlich nicht vertragen. Wie das BAG29 bereits bei früherer Gelegenheit ausgeführt hat, können Individualabreden grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbe-
27 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15, BB 2017, 762 Rz. 28 ff. 28 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 129/16, NZA 2017, 58 Rz. 35 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NZA 2008, 1233 Rz. 21 – XII ZR 69/16, BB 2017, 462 Rz. 16. 29 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 39.
137
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
dingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent30 getroffen werden. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, somit auch dann, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen überhaupt bewusst geworden sind31. Es entspricht dem Sinn und Zweck des § 305 b BGB, dass vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichtegemacht werden können. Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Vereinbaren die Parteien – wenn auch nur mündlich – etwas Anderes, so kommt dem der Vorrang zu32. So setzt sich etwa der Vorrang individueller Vertragsabreden nach § 305 b BGB auch gegenüber einer wirksamen konstitutiven doppelten Schriftformklausel durch33. Deshalb ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte doppelte Schriftformklausel wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam, weil sie den wegen § 305 b BGB unzutreffenden Eindruck erweckt, eine Änderungsvereinbarung sei nur schriftlich möglich. Nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrags stellt. Dabei sind Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen bereits dann vorformuliert, wenn ihre dreimalige Verwendung beabsichtigt ist34. Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Ver30 BGH v. 6.3.1986 – III ZR 234/84, NJW 1986, 1807 Rz. 22. 31 BGH v. 21.9.2005 – XII ZR 312/02, NJW 2006, 138 Rz. 15. 32 BGH v. 25.1.2017 – XII ZR 69/16, NJW 2017, 1017 Rz. 18: Doppelte Schriftformklausel. 33 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, BB 2008, 224 Rz. BGH v. 25.01.2017 – XII ZR 69/16, NJW 2017, 1017 Rz. 15. 34 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, BB 2008, 2242 Rz. BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, NZA 2006, 746 Rz. 20.
138
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
braucher (Verbraucherverträge) finden gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Vorschriften des § 305 c Abs. 2 und die §§ 306 und 307 bis 309 BGB auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Da Arbeitsverträge Verbraucherverträge i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB sind35, kann regelmäßig dahinstehen, ob der Anstellungsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. § 305 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist oder ob er nur zur einmaligen Verwendung mit dem Arbeitnehmer bestimmt war. Ungeachtet dessen, dass § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB den Vorrang der Individualabrede nach § 305 b BGB unerwähnt lässt, wendet das BAG36 diese Vorschrift auch bei der Einmalbedingung (Einmalverwendung/Einmalklausel) an, sodass auch in diesem Fall die Individualabrede eine davon abweichende Einmalbedingung verdrängt. Die nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB gebotene Berücksichtigung der Besonderheiten im Arbeitsrecht führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Differenzierung macht sich auch bei der Auslegung bemerkbar. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen hat nach einem objektiven generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der beteiligten Verkehrskreise (durchschnittliche Arbeitnehmer) ausgerichtet sein muss. Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur dann, wenn sich Verwender und Arbeitnehmer im Einzelfall über ein von dem Ergebnis objektiver Auslegung abweichendes Verständnis des Sinngehalts der Regelung – auch durch schlüssiges Handeln – verdrängt diese übereinstimmende Vorstellung als Individualvereinbarung das Ergebnis der objektiven Auslegung37. Bei einer Individualvereinbarung geht bei der Vertragsauslegung ein übereinstimmender Wille der Parteien dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Deutung vor (§§ 133, 157 BGB)38. Unbeschadet des gewählten Wortlauts gilt das von den Vertragschließenden wirklich Gewollte als Inhalt des Vertrages. Da der übereinstimmende Wille der Parteien auch dann allein maßgebend ist, wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat, darf sich das Gericht bei schriftlichen Verträgen nicht auf die widerlegliche Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Vertragsurkunde zurückziehen.
35 BAG v. 7.10.2015 – 7 AZR 945/13, NZA 2016, 441 Rz. 34 36 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 129/16, NZA 2017, 58 Rz. 35. Ebenso Bamberger/Roth/Schmidt, § 305 Preis §§ 305-310 BGB Rz. 25. 37 BGH v. 14.6.2006 – IV ZR 54/05, VersR 2006, 1246 Rz. 15. 38 So bereits BGH v. 20.1.1994 – VII ZR 174/92, NJW 1994, 1528 Rz. 19.
139
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Das Verhältnis einer Individualabrede zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen war Gegenstand einer Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 24.8.201639. Die Parteien stritten über die Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung. Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Recyclingunternehmen, als Wiegemeisterin beschäftigt. Die ursprüngliche über Jahre hinweg geleistete wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin lag bei 52,5 Stunden. Nach dreijähriger Beschäftigung besprachen die Parteien mündlich, dass sich die Vergütung der Klägerin um 6,2 % auf 32.500,– € pro Jahr erhöhen, es aber bei der bisherigen Dauer der Arbeitszeit verbleiben sollte. Kurze Zeit später schlossen die Parteien einen von der Beklagten unter Verwendung eines Formularvertrags vorformulierten Anstellungsvertrag, der die entsprechende Erhöhung der Vergütung beinhaltete und darüber hinaus vorsah, dass die regelmäßige Arbeitszeit im Durchschnitt 40 Stunden wöchentlich beträgt. Wie bisher arbeitete die Klägerin 52,5 Wochenstunden. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin gestützt auf den schriftlichen Anstellungsvertrag eine Nachzahlung für die über die wöchentlich 40 Stunden hinaus geleisteten 12,5 Arbeitsstunden und machte insoweit klageweise einen Zahlungsanspruch in Höhe von 23.965,– € brutto nebst Zinsen geltend. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen, die den Zahlungsanspruch der Klägerin abgewiesen haben, hat das BAG die Beklagte zur Zahlung einer Vergütung in Höhe von 7.909,65 € brutto nebst Verzugszinsen für im Zeitraum 1.3.2011 bis 30.9.2013 wöchentlich über 48 Stunden hinaus geleistete 4,5 Arbeitsstunden verurteilt. Dabei ist das BAG zunächst davon ausgegangen, dass die Parteien vor der Unterzeichnung des von der Beklagten gestellten schriftlichen Arbeitsvertrags in einer Individualabrede eine wöchentliche Arbeitszeit von 52,5 Stunden nebst der hierfür von der Beklagten als Gegenleistung geschuldeten Vergütung vereinbart haben, die nach § 305 b BGB Vorrang vor der Regelung im Formulararbeitsvertrag hatte. Dabei kennzeichnet das BAG Individualvereinbarungen als Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Vertragsbedingungen, die auf mündlichen Erklärungen der Parteien beruhen und sowohl ausdrücklich als auch konkludent geschlossen werden können. Damit verdrängte die Individualabrede der Parteien die im schriftlichen Arbeitsvertrag vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden, was dem Grundsatz entsprochen hat, dass vertragliche Vereinbarungen, die von den Parteien im Einzelfall geschlossen werden, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen oder eine Einmalverwendung verändert 39 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 129/16, NZA 2017, 58.
140
Vergütungspflicht bei arbeitszeitwidriger Beschäftigung
werden können. Das BAG konnte auch keine Anhaltspunkte ausmachen, die für eine mit dem schriftlichen Arbeitsvertrag beabsichtigte Einschränkung der zuvor getroffenen Vereinbarungen sprechen konnten. Allerdings durften die Parteien auf der Grundlage von § 3 ArbZG i. V. mit § 134 BGB nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden vereinbaren, weil nach dieser Vorschrift die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten darf und nur bis auf zu zehn Stunden verlängert werden kann, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Damit verstieß die Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 52,5 Stunden gegen § 3 ArbZG als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB40, soweit die gesetzlich zulässige Arbeitszeit überschritten wurde, sodass auf der Grundlage der Individualvereinbarung von einer zulässigen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden auszugehen war. Der Verstoß gegen § 3 ArbZG hat nach §§ 134, 139 BGB allein die Teilnichtigkeit der Arbeitszeitvereinbarung zur Folge und lässt die Wirksamkeit der Vereinbarung im Übrigen unberührt41. Hinsichtlich der verdrängenden Wirkung der Individualvereinbarung von 48 Wochenstunden als Kollisionsregel zu dem von der Beklagten vorformulierten schriftlichen Arbeitsvertrag lässt das BAG unentschieden, ob dieser als Allgemeine Geschäftsbedingung oder als Einmalbedingung (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) anzusehen war, weil in beiden Fällen die Individualabrede der Parteien den Bestimmungen des schriftlichen Anstellungsvertrags vorgeht. Die gestellten Vertragsbedingungen können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, wie die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt, sodass es vorrangig auf die Reichweite der Individualvereinbarung ankommen muss42. Da die Vergütung der Beklagten lediglich die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich abdeckte, weil der Arbeitgeber keine Arbeitsleistung beanspruchen kann, die den Rahmen der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit überschreitet, die Klägerin jedoch auf Veranlassung der Beklagten 4,5 Stunden wöchentlich mehr gearbeitet hat als von der vereinbarten Vergütung erfasst wurde, waren diese Stunden von der Beklagten auf der Grundlage von § 612 Abs. 1 BGB zu bezahlen. Nach dieser Vorschrift gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtspre-
40 Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB § 155 Rz. 4. 41 Schaub/Linck, ArbR-HdB § 34 Rz. 20. 42 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 39.
141
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
chung43 betont das BAG44, dass die Vergütungserwartung stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen ist. Auf den Streitfall bezogen bejaht das BAG zu Recht die objektive Vergütungserwartung zugunsten der Klägerin, wobei der Schutzzweck des § 3 ArbZG der Vergütungspflicht für die über die zulässige Arbeitszeit hinaus erbrachten Arbeitsstunden nicht im Wege steht, weil eine andere Bewertung zu dem Ergebnis führte, dass der Arbeitgeber den Vorteil daraus zöge, wenn er Arbeitsleistungen eines Arbeitnehmers trotz eines Beschäftigungsverbots in Anspruch genommen hat. Auf der Grundlage von § 612 Abs. 2 BGB schuldete die Beklagte die mit der Klägerin vereinbarte Vergütung auch für die von der Klägerin geleisteten Zusatzstunden, weil insoweit die Wirksamkeit der Vertragsabsprache nicht an den §§ 3 ArbZG, 134 BGB scheiterte. Das BAG schließt dabei eine Anwendung der Rechtsgrundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) für eine andere Bemessung der Vergütung aus, unabhängig davon, dass sich die Parteien bei Höhe der Vergütung an einer 52,5-stündigen Wochenarbeitszeit orientiert hatten. Da eine Vertragsanpassung nur bei einer erheblichen Störung des Äquivalenzverhältnisses in Betracht kommt, die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden unter Beibehaltung der bisherigen Vergütung nur ca. 9 % in Relation zu einer 52,5stündigen Wochenarbeitszeit ausmachte, hat das BAG den Eingriff in das Äquivalenzverhältnis nicht für so schwerwiegend erachtet, dass der Beklagten ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar gewesen wäre. Unter Berücksichtigung der vereinbarten Vergütung ergab sich zugunsten der Klägerin die ausgeurteilte Summe. Diese Entscheidung des BAG ist für die betriebliche Praxis von Bedeutung, weil sie das Verhältnis einer Individualabrede zu den üblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und vom Arbeitgeber gestellten Einmalbedingungen verdeutlicht und daneben auch die unterschiedlichen Maßstäbe der Auslegungsmethoden aufzeigt. (Boe)
43 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, NZA 2012, 861 Rz. 21. 44 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 129/16, NZA 2017, 58 Rz. 46.
142
Initiativlast des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub?
4.
Initiativlast des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub?
Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Die Definition des Anspruchs erschließt sich aus § 194 BGB, wonach der Anspruch das Recht darstellt, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können. Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Außerdem schreibt § 7 Abs. 3 S. 1 und 2 BUrlG vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss und eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nur statthaft ist, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Nach bisherigem Verständnis dieser Konzeption des BUrlG liegt die Initiativlast der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub beim Arbeitnehmer, sodass mangels abweichender arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub befristet ist und der nicht vom Arbeitnehmer beanspruchte und genommene Urlaub am Ende des Urlaubsjahres verfällt, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliegt45. Dies galt jedenfalls in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer nicht aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubsnahme gehindert war46. Konsequenz der Befristungsregelungen war nach bisheriger Rechtsprechung des BAG47, dass der Urlaubsanspruch trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erlischt, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen kann. Nur dann, wenn der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt hat, wandelt sich der im Verzugszeitraum durch Fristablauf verfallene Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch auf Gewährung von Ersatzurlaub um (§§ 275
45 Vgl. nur BAG v. 20.4.2012 – 9 AZR 504/10, NZA 2012, 982 Rz. BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 425/10, NZA 2012, 29 Rz. 18 BAG v. 21.6.2005 – 9 AZR 200/04, AiB 2007, 55 Rz. 15 10.5.2005 – 9 AZR 253/04, ZTR 2006, 204 Rz. 25. 46 BAG v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 47. 47 BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 425/10, NZA 2012, 29 Rz. 20.
143
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Abs. 1, Abs. 4, 280 Abs. 1, 283 S. 1, 286 Abs. 1 S. 1, 249 Abs. 1 BGB), der im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten ist48. Demgegenüber haben die LAG Berlin-Brandenburg49, München50 und Köln51 abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BAG die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Urlaubsanspruch von sich aus auch ohne ein Urlaubsverlangen des Arbeitnehmers rechtzeitig zu erfüllen52. Durch die Nichterfüllung dieser Verpflichtung wird ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründet, weil mit dem Untergang des Urlaubsanspruchs durch Fristablauf dessen Erfüllung unmöglich wird, so dass der Arbeitnehmer nach § 280 Abs. 3, § 283 S. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer Urlaub beantragt und dadurch den Arbeitgeber nach § 286 Abs. 1 S. 1 BGB in Verzug gesetzt hat. Zur Begründung wird vor allem angeführt, dass § 7 Abs. 3 S. 1 und S. 3 BUrlG die Gewährung des Urlaubs vorschreibe, die durch den Arbeitgeber zu erfolgen habe. Des Weiteren sei diese Schlussfolgerung aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG im Hinblick auf den Zweck des bezahlten Urlaubs, dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu dienen, herzuleiten. Der 9. Senat des BAG hat nunmehr die Revision gegen das Urteil des LAG München vom 6.5.201553 durch Vorlagebeschluss vom 13.12.201654 zum Anlass genommen, dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen vorzulegen: 1. Steht Art. 7 Abs. 1 EGRL 88/2003 oder Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung wie der in § 7 BUrlG entgegen, die als Modalität für die Wahrnehmung des Anspruchs auf Erholungsurlaub vorsieht, dass der Arbeitnehmer unter Angabe seiner Wünsche bezüglich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs diesen beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht, und die den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus 48 BAG v. 4.11.2015 – 7 AZR 851/13, NZA 2016, 634 Rz. BAG v. 20.4.2012 – 9 AZR 504/10, NZA-RR 2016, 438 Rz. 12. 49 LAG Berlin-Brandenburg v. 12.6.2014 – 21 Sa 221/14, NZA-RR 2014, 631 Rz. 39. 50 LAG München v. 6.5.2015 – 8 Sa 982/14, ZTR 2016, 35 Rz. 60. 51 LAG Köln v. 22.4.2016 – 4 Sa 1095/15, NZA-RR 2016, 466 Rz. 26 a. A aber LAG Köln v. 9.8.2016 – 12 Sa 257/16, NZA-RR 2017, 127 Rz. 74 f. v. 25.7.2016 – 9 Sa 31/16, DB 2016, 2490 Rz. 64. 52 Vgl. auch GK-BUrlG/Bachmann, § 7 Rz. 122 Plüm, NZA 1988, 716, die ebenfalls keine Geltendmachung des Urlaubs durch den Arbeitnehmer für erforderlich halten. 53 LAG München v. 6.5.2015 – 8 Sa 982/14, ZTR 2016, 35. 54 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A), NZA 2017, 271.
144
Initiativlast des Arbeitgebers bei der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub?
einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen? 2. Falls die Frage zu 1. bejaht wird: Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen bestand?
Gegenstand des Streits ist eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 11.979,26 €, die der Kläger für 51 Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013 vom Beklagten verlangt. Der Kläger war vom 1.8.2001 bis zum 31.12.2013 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beim Beklagten als Wissenschaftler beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat der Beklagte den Kläger, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Kläger nahm am 15.11.2013 und am 2.12.2013 jeweils einen Tag Erholungsurlaub. Er verlangte mit Schreiben vom 23.12.2013 vom Beklagten ohne Erfolg die Abgeltung der 51 nicht genommenen Urlaubstage. ArbG55 und LAG München56 haben der Klage entsprochen, weil es Sache des Beklagten gewesen wäre, von sich aus den Kläger für die Dauer des Urlaubs von der Arbeit bezahlt freistellen zu müssen, um den Anspruch auf Urlaub zu erfüllen, weshalb sich dieser bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt habe. Demgegenüber vertritt das BAG57 in dem Vorlagebeschluss an den EuGH die Auffassung, dass nach den nationalen Bestimmungen die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Urlaubsjahres 2013 verfallen waren, sodass zu seinen Gunsten auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG habe entstehen können. Der Verfall des Urlaubs träte allerdings nicht ein, wenn die Übertragungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG vorlägen. Wäre der Arbeitnehmer jedoch in der Lage gewesen, seinen Urlaub im Urlaubsjahr zu nehmen, ginge sein Anspruch auf Erholungsurlaub am Ende des Urlaubsjahres unter. Dies gelte auch dann, wenn er von seinem Arbeitgeber rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Gewährung des Urlaubs verlangt habe. Allerdings führe dies nicht zu einem Verlust auf bezahlte Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung, weil an die Stelle des verfallenen Urlaubsanspruchs ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung von Ersatzurlaub im Umfang des verfallenen Urlaubs träte.
55 ArbG München v.13.11.2014 – 13 Ca 7172/14 n. v. 56 LAG München v. 6.5.2015 – 8 Sa 982/14, ZTR 2016, 35. 57 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A), NZA 2017, 271 Rz. 13.
145
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Angesichts der Entscheidung des EuGH vom 30.6.201658 besteht nach Ansicht des BAG eine Unklarheit darüber, ob der Arbeitgeber möglicherweise gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet ist, den Erholungsurlaub von sich aus einseitig zeitlich festzulegen, sodass der Mindestjahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG auch dann nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaubsanspruch zu realisieren59. Darüber hinaus möchte das BAG vom EuGH eine Antwort auf die Frage, ob die Wirkung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder des Art. 31 Abs. 2 GRC auch dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer bei einer Privatperson beschäftigt wird. Sollte der EuGH – wofür angesichts der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG wohl keine große Wahrscheinlichkeit besteht – doch zu dem Ergebnis gelangen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer notfalls den Erholungsurlaub aufzuzwingen hat, wäre dies für die betriebliche Praxis mit einem zusätzlichen administrativen Aufwand verbunden. Abgesehen davon, müsste das BUrlG eine entsprechende unionskonforme Auslegung gestatten, wenn keine unmittelbare Anwendung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG in Betracht kommt. (Boe)
5.
Jahresurlaub in der Freistellungsphase der Altersteilzeit?
Die rechtliche Behandlung von Urlaubsansprüchen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit hat bislang keine höchstrichterliche Klärung erfahren. Eine einheitliche Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte hat sich ebenfalls nicht herausgebildet60. In der Praxis versucht man durch entsprechende Regelungen das Problem dahingehend zu lösen, dass während der Freistellungsphase zugunsten des Arbeitnehmers keine Urlaubsansprüche entstehen. So sieht etwa § 8 TV FlexAZ VkA vom 27.2.201061 vor, dass für Beschäftigte, die Altersteilzeit im Blockmodell leisten, kein Urlaubsanspruch für die 58 EuGH v. 30.6.2016 – C-178/15, NZA 2016, 877 – Sobczyszyn. 59 Vgl. LAG Köln v. 22.4.2016 – 4 Sa 1095/15, NZA-RR 2016, 466 Rz. 26. 60 LAG Niedersachsen v. 18.1.2017 – 13 v. 15.11.2016 – 14 – 12 Sa 1327/13, ZTR 2016, 261 f. 61 In d. F. des Änderungstarifvertrages Nr. 5 v. 29.4.2016 h. auch § 7 Ziff. 3 des Tarifvertrags über Altersteilzeit in der Eisen- und Stahlindustrie vom 20.6.2000 in d. F. v. 20.12.2004 (TV ATZ).
146
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Angesichts der Entscheidung des EuGH vom 30.6.201658 besteht nach Ansicht des BAG eine Unklarheit darüber, ob der Arbeitgeber möglicherweise gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet ist, den Erholungsurlaub von sich aus einseitig zeitlich festzulegen, sodass der Mindestjahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG auch dann nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaubsanspruch zu realisieren59. Darüber hinaus möchte das BAG vom EuGH eine Antwort auf die Frage, ob die Wirkung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder des Art. 31 Abs. 2 GRC auch dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer bei einer Privatperson beschäftigt wird. Sollte der EuGH – wofür angesichts der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG wohl keine große Wahrscheinlichkeit besteht – doch zu dem Ergebnis gelangen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer notfalls den Erholungsurlaub aufzuzwingen hat, wäre dies für die betriebliche Praxis mit einem zusätzlichen administrativen Aufwand verbunden. Abgesehen davon, müsste das BUrlG eine entsprechende unionskonforme Auslegung gestatten, wenn keine unmittelbare Anwendung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG in Betracht kommt. (Boe)
5.
Jahresurlaub in der Freistellungsphase der Altersteilzeit?
Die rechtliche Behandlung von Urlaubsansprüchen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit hat bislang keine höchstrichterliche Klärung erfahren. Eine einheitliche Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte hat sich ebenfalls nicht herausgebildet60. In der Praxis versucht man durch entsprechende Regelungen das Problem dahingehend zu lösen, dass während der Freistellungsphase zugunsten des Arbeitnehmers keine Urlaubsansprüche entstehen. So sieht etwa § 8 TV FlexAZ VkA vom 27.2.201061 vor, dass für Beschäftigte, die Altersteilzeit im Blockmodell leisten, kein Urlaubsanspruch für die 58 EuGH v. 30.6.2016 – C-178/15, NZA 2016, 877 – Sobczyszyn. 59 Vgl. LAG Köln v. 22.4.2016 – 4 Sa 1095/15, NZA-RR 2016, 466 Rz. 26. 60 LAG Niedersachsen v. 18.1.2017 – 13 v. 15.11.2016 – 14 – 12 Sa 1327/13, ZTR 2016, 261 f. 61 In d. F. des Änderungstarifvertrages Nr. 5 v. 29.4.2016 h. auch § 7 Ziff. 3 des Tarifvertrags über Altersteilzeit in der Eisen- und Stahlindustrie vom 20.6.2000 in d. F. v. 20.12.2004 (TV ATZ).
146
Jahresurlaub in der Freistellungsphase der Altersteilzeit?
Zeit der Freistellung von der Arbeit besteht und im Kalenderjahr des Übergangs von der Beschäftigung zur Freistellung die Beschäftigten für jeden vollen Beschäftigungsmonat Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs haben62. Vergleichbare Formulierungen finden sich in vertraglichen Regelungen wieder, die nicht nur bei der Altersteilzeit im Blockmodell den Urlaubsanspruch im Jahr des Übergangs von der Aktiv- zur Passivphase anteilig kürzen, sondern auch die Entstehung von Urlaubsansprüchen während der Freistellungsphase ausschließen63. Zunächst ist davon auszugehen, dass sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln dürfen64. Diese Befugnis schließt das Recht ein, den übergesetzlichen Urlaub während der Dauer der Freistellungsphase in der Altersteilzeit komplett entfallen zu lassen. Soweit der gesetzliche Mindesturlaub in Rede steht, wird während der Freistellungsphase keine Abgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG (Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG65, Art. 31 Abs. 2 GRC) in Betracht kommen, weil diese Vorschrift eine Abgeltung nicht gewährten Urlaubs nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt, die mit der rechtlichen Beendigung eintritt und nicht bereits mit dem Übergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase66. Den Arbeitnehmer trifft zwar während der Freistellungsphase, in der das Arbeitsverhältnis fortbesteht, keine Arbeitsverpflichtung, weil er bereits seine Leistungen in der Arbeitsphase erbracht hat. Gleichwohl kommt es nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses, weil der Arbeitgeber in der Freistellungsphase zur Entgeltleistung verpflichtet ist. Damit könnte ein während der Freistellungsphase entstandener gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch angesichts der Unerfüllbarkeit des Urlaubs in der Freistellungsphase des Blockmodells erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Gegenstand einer Urlaubsabgeltung bilden.
62 Vgl. dazu LAG Saarbrücken v. 22.7.2015 – 1 Sa 39/15 n. v. Rz. 27. 63 Etwa BAG v. 16.10.2012 – 9 AZR 234/11, NZA 2013, 575 Rz. 16 LAG Düsseldorf v. 15.11.2016 – 14 Sa 541/16, ZTR 2017, 166 Rz. 40. 64 Vgl. nur BAG v. 16.10.2012 – 9 AZR 234/11, NZA 2013, 575 Rz. BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 80/10, NZA 2011, 1050 Rz. 21 – C-337/10, ZTR 2012, 365 Rz. 34 ff. m. w. N. – Neidel. 65 ABl. EU L 299 v. 18.11.2003 S. 9. 66 So bereits BAG v. 16.10.2012 – 9 AZR 234/11, NZA 2013, 575 Rz. 19.
147
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Die Frage, ob zugunsten des Arbeitnehmers Urlaubsansprüche in der Freistellungsphase der Altersteilzeit entstehen und mangels Erfüllbarkeit durch bezahlte Freistellung von der Arbeit mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abgegolten werden müssen, hatte das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 15.11.201667 zu beurteilen. Das LAG Düsseldorf hat die für drei Jahre der Freistellungsphase in Höhe von 9.315,- € brutto von der Klägerin klageweise geltend gemachte Urlaubsabgeltung abgewiesen. Dabei geht das LAG Düsseldorf aufgrund der besonderen Struktur des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Rahmen des Blockmodells davon aus, dass wegen der vereinbarten Teilzeitbeschäftigung lediglich ein insgesamt nur hälftiger Urlaubsanspruch entsteht, der – wie die Arbeitsleistung – ebenfalls in der ersten Phase des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, also in der Arbeitsphase, zu erfüllen ist. Ebenso wie sich die Verpflichtung zur Arbeitsleistung auf die Arbeitsphase beschränkt, müsse sich auch die Verpflichtung zur Erteilung von Erholungsurlaub auf die Arbeitsphase beschränken. Wegen der Vorleistung des Arbeitnehmers während der Arbeitsphase erhält der Arbeitnehmer nach Ansicht des LAG daher in der Summe den Urlaub, der seiner Vorleistung während der Arbeitsphase entspricht, sodass während der späteren Freistellungsphase keine Urlaubsansprüche mehr entstehen können, die abzugelten wären. So hat auch der EuGH in der Entscheidung vom 8.11.201268 Kurzarbeiter, als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ angesehen, weil ihre Situation faktisch der von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar ist, und festgestellt, dass für ihren Anspruch auf Jahresurlaub der in § 4 Nr. 2 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit vorgesehene Pro-rata-temporis-Grundsatz gilt, sodass für diese Zeit die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Soweit durch Tarifvertrag oder aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung im Altersteilzeitvertrag die Entstehung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs ausgeschlossen wird, entbehrt eine derartige Regelung nach § 13 Abs. 1 BUrlG der Wirksamkeit, weil auch in Tarifverträgen von § 1 BUrlG nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf. Deshalb kann es im Prinzip für die Beurteilung der Rechtsfrage nur darauf ankom-
67 LAG Düsseldorf v. 15.11.2016 – 14 Sa 541/16, ZTR 2017, 166. 68 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11 und C-230/11, NZA 2012, 1273 – Heimann und ToltEuGH v. 20.7.2016 – C-341/15, ZESAR 2017, 89 – zust. ErfK/Rolfs, ATG § 8 Rz. 13 für die Freistellungsphase der Altersteilzeit.
148
Jahresurlaub in der Freistellungsphase der Altersteilzeit?
men, ob auch auf der Grundlage des BUrlG (Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG, Art. 31 Abs. 2 GRC) in der Freistellungsphase der Altersteilzeit von vornherein keine Urlaubsansprüche für den Arbeitnehmer entstehen, die dann bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch nicht abgegolten werden können. Die These des LAG Düsseldorf, der gesamte Urlaubsanspruch für die Arbeitsphase und die Freistellungsphase werde im Ergebnis bereits in der Arbeitsphase erfüllt, kann allerdings nicht überzeugen, weil das BUrlG einen Vorgriff auf Urlaubsansprüche für künftige Kalenderjahre nicht kennt. Richtig ist zwar, dass der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase, die eine Teilzeittätigkeit darstellt, zum Zweck der Urlaubsabwicklung für die Vollzeit, die er tatsächlich arbeitet, von der Arbeit freigestellt werden muss, weil sonst der Urlaub durch Freistellung von der Arbeit auch in der Arbeitsphase nicht realisiert werden könnte. Der Arbeitnehmer müsste sonst auch während des Urlaubs in der Arbeitsphase die Vorleistung der Arbeit für die Freistellungsphase erbringen. Demgemäß erhält der Arbeitnehmer in der Arbeitsphase den Urlaub nicht nur im Umfang der halbierten Arbeitszeit. Die Überlegung des LAG Düsseldorf die im Ergebnis darauf hinausläuft, dass sich die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und damit die Verpflichtung zur Urlaubserteilung auf die Arbeitsphase beschränkt, weil in der Freistellungsphase der Urlaubsanspruch in natura überhaupt nicht erfüllbar ist, verkennt, dass die Frage der Erfüllbarkeit des Urlaubs mit der Frage seiner Entstehung nichts zu tun hat. So hat das BAG69 völlig zu Recht im Falle eines unbezahlten Sonderurlaubs, der mit einer Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis einhergeht, das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche bejaht. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers steht gerade nicht unter der Bedingung, dass dieser im Bezugszeitraum irgendeine Arbeitsleistung erbracht hat. Kann der entstandene Naturalurlaub nicht durch bezahlte Freistellung von der Arbeit gewährt werden, ist er nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Die Lösung des Problems liegt darin, dass auch während der Freistellungsphase zugunsten des Arbeitnehmers ein Anspruch auf bezahlten Urlaub entsteht, der dem Arbeitnehmer aber spiegelbildlich zur Arbeitsphase tatsächlich vom Arbeitgeber gewährt wird, der während der Gesamtdauer der Freistellungsphase die Fortzahlung der Vergütung, die bereits erarbeitet wurde, leistet. Darin ist auch das Urlaubsentgelt für den dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaub enthalten, den er mangels Heranziehung zu irgendeiner Arbeitsleistung jederzeit nach seinen Wünschen abwickeln kann. Der Arbeitnehmer erhält insoweit auch keine doppelte Urlaubsvergütung, weil er in 69 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959.
149
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
der Arbeitsphase eine Urlaubsvergütung nach § 11 BUrlG bekommt, die um die Vorleistung gemindert ist. Nur im Falle einer durchgängigen Erkrankung des Arbeitnehmers während der Freistellungsphase kommt daher bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Betracht. (Boe)
150
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Neues zur Massenentlassung
Mit den Entscheidungen des BAG vom 22.9.20161 und vom 26.1.20172 sowie der fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit vom 21.11.20163 liegen neue Handlungsvorgaben vor, die in der betrieblichen Praxis bei der Vorbereitung und Umsetzung einer Massenentlassung nach § 17 KSchG zu berücksichtigen sind.
a)
Einbeziehung von Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz bei der Schwellenwertberechnung sowie § 17 Abs. 2, 3 KSchG
Bereits im Herbst hatten wir auf die Entscheidung des BVerfG vom 8.6.20164 hingewiesen5. Darin hatte das BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 17 KSchG mit dem Ziel für erforderlich gehalten, Arbeitnehmer, deren Kündigung während der Elternzeit erst nach Zustimmung der zuständigen Behörde nach § 18 BEEG ausgesprochen werden kann, so zu behandeln wie Arbeitnehmer, die ohne einen solchen Sonderkündigungsschutz von der Massenentlassung betroffen sind. Andernfalls läge darin nicht nur ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot eines Schutzes von Arbeitnehmern in Elternschaft (Art. 6 Abs. 1 GG). Ausgehend davon, dass Elternzeit überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werde, läge darin auch eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, die im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stehe. In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer Betriebsstilllegung zwar den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG beteiligt und nach Abschluss dieses Verfahrens eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG vorgenommen. Im Rahmen dieser Verfahren war die Kündigung der Klägerin allerdings nicht berücksichtigt worden, weil sie als Folge des besonderen Kündigungsschutzes aus § 18 BEEG erst zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb des 30-Tages-Zeitraums erfolgen konnte.
1 2 3 4 5
BAG v. 26.1.2017 –2 AZR 276/16, NZA 2017, 175. BAG v. 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, NZA 2017, 577. Anlage 1 zur Weisung 2016 11009. BVerfG v. 8.6.2016 – 1 BvR 3634/13, NZA 2016, 939. B. Gaul, AktuellAR 2016, 491 ff.
151
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Die Klägerin hatte geltend gemacht, dass der Sonderkündigungsschutz damit eine Benachteiligung zur Folge habe, die mit Art. 3 Abs. 3 S. 1, 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. Aus Sicht des BVerfG war dieser Einwand berechtigt. Denn ein sachlicher Grund, Arbeitnehmer, die einen solchen auch verfassungsrechtlich gebotenen Schutz genießen, im Rahmen von § 17 Abs. 2, 3 KSchG schlechter zu stellen, sei nicht erkennbar. Hiervon ausgehend hat es das BVerfG für erforderlich gehalten, dass die gegenüber Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz nach § 18 BEEG erklärten Kündigungen, die allein deshalb außerhalb des 30-Tages-Zeitraums zugehen, weil zunächst ein anderes, nicht gleichwertiges behördliches Verfahren – hier die Zulässigkeitserklärung nach § 18 Abs. 1 BEEG – durchzuführen sei, so zu behandeln seien, wie Kündigungen, für die die Regeln des Massenentlassungsschutzes gelten würden. Eine Kündigung gegenüber Beschäftigten mit Sonderkündigungsschutz falle damit auch dann in den 30-Tages-Zeitraum nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG, wenn die Antragsstellung bei der zuständigen Behörde innerhalb dieses Zeitraums erfolge6. In seinem Urteil vom 26.1.20177 hat das BAG diese verfassungsrechtliche Interpretation durch das BVerfG übernommen und festgestellt, dass die streitgegenständliche Kündigung als Folge einer fehlerhaften Durchführung des Massenentlassungsverfahrens nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Deutlich erkennbar wird allerdings, dass den 6. Senat des BAG die Sichtweise des BVerfG nicht überzeugt. Er sieht sich allerdings an die „nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs“ bei Massenentlassungen durch das BVerfG ungeachtet der Probleme gebunden, die aus seiner Sicht dann entstehen, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt werde oder wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Kündigungswelle sei. Die durch den 6. Senat des BAG geäußerten Bedenken dürften allerdings einer Umsetzung der veränderten Handlungsvorgaben in der betrieblichen Praxis nicht entgegenstehen. Denn es stellt keine unzumutbare Belastung des Arbeitgebers dar, im Rahmen der Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG und der anschließenden Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG auch solche Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die erst nach Ablauf des 30-Tages-Zeitraums als Konsequenz ihres Sonderkündigungsschutzes 6 7
BVerfG v. 8.6.2016 - 1 BvR 3634/13, NZA 2016, 939 Rz. 25. BAG v. 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, NZA 2017, 577.
152
Neues zur Massenentlassung
entlassen werden. Sollte die Kündigung dann tatsächlich erst nach Ablauf des 90-Tages-Zeitraums erklärt werden, muss eben – wie auch bei anderen Fällen einer entsprechenden Verzögerung – eine erneute Anzeige vorgenommen werden (§ 18 Abs. 4 KSchG). Die damit verbundene Belastung erscheint zumutbar, um die tatsächlich als Konsequenz des Sonderkündigungsschutzes drohende Benachteiligung von Arbeitnehmern in Elternzeit abzuwenden. Wichtig für die betriebliche Praxis ist allerdings, dass die entsprechende Handlungsvorgabe auch mit Blick auf Arbeitnehmer in Mutterschutz sowie schwerbehinderte Arbeitnehmer zu beachten ist. Denn auch diese Arbeitnehmer genießen einen Sonderkündigungsschutz (§§ 9 MuSchG, 85 ff. SGB IX). Auch bei diesen Arbeitnehmern steht eine unzulässige Benachteiligung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 GG in Rede, die nur durch eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 17 Abs. 1 bis 3 KSchG gelöst werden kann.
b)
Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG
In seinem Urteil vom 22.9.20168 hat der 2. Senat des BAG eine Reihe wichtiger Klarstellungen in Bezug auf die Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG vorgenommen. aa)
Notwendigkeit einer erneuten Konsultation bei Wiederholungskündigungen
Zunächst einmal hat das BAG festgestellt, dass das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG vor einer etwaigen Folgekündigung auch dann noch einmal durchgeführt werden muss, wenn wegen der gleichen Maßnahme bereits eine Beteiligung nach § 17 Abs. 2 KSchG erfolgt ist, die auch den Ausspruch von Kündigungen zur Folge hatte. Für die Notwendigkeit einer erneuten Beteiligung des Betriebsrats genüge es, dass die (Wiederholungs-)Kündigung mit weiteren Entlassungen innerhalb eines 30-Tages-Zeitraums erneut die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschreite und zu diesem Zeitpunkt noch eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung bestehe. Von der letztgenannten Voraussetzung ist immer dann auszugehen, wenn der Betriebsrat ein Restmandat nach § 21 b BetrVG hat, das auch die Beteiligungsrechte aus § 17 Abs. 2 KSchG erfasst9. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass eine solche Wiederholungskündigung damit nicht nur eine erneute Massenentlassungsanzeige nach § 17 8 9
BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. – 6 AZR 948/08, NZA 2010, 1057 Rz. Kiel, KSchG § 17 Rz. ArbRB 2017, 50 ff.
Graf,
153
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Abs. 3 KSchG erforderlich macht. Darauf hatte das BAG bereits im Urteil vom 22.4.201010 hingewiesen. Wir hatten darüber berichtet11. Vielmehr muss auch das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG erneut durchgeführt werden. Dies gilt selbst dann, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits ein abgeschlossener Interessenausgleich und Sozialplan vorliegen. Dass unter diesen Voraussetzungen zwischen den Betriebsparteien nicht mehr ernsthaft über das Ob, Was, Wann und Wie der Betriebsänderung und etwaiger Ausgleichsmaßnahmen verhandelt wird, hält der 2. Senat des BAG für unerheblich. Dass erscheint zwar unionsrechtlich vertretbar, bewirkt aber, dass das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG im Zweifel als bloße Formvorgabe und ohne den ernstlichen Willen einer erneuten Auseinandersetzung mit diesen Fragen durchgeführt wird. Das legt nahe, mit der Nachkündigung so lange zu warten, bis sie nicht mehr in den 30-Tages-Zeitraum fäüllt. Dann entfällt jede Handlungspflicht aus § 17 KSchG. bb)
Textform der Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG
Entgegen der in der Literatur wohl ganz überwiegend vertretenen Auffassung12 nimmt das BAG indes an, dass die nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG erforderliche Schriftform in Bezug auf die Information des Betriebsrats nicht den Anforderungen des § 126 BGB genügen müsse. Vielmehr reiche es aus, wenn bei der Information des Betriebsrats die Textform entsprechend § 126 b BGB gewahrt werde13. Zur Begründung verweist das BAG darauf, dass § 126 BGB ohnehin nicht unmittelbar für geschäftsähnliche Erklärungen gelte. Hinzu komme, dass der Zweck der Beteiligung des Betriebsrats auch keine analoge Anwendung von § 126 BGB rechtfertige. Vielmehr solle die Schriftform dem Betriebsrat nur die Möglichkeit verschaffen, die gesetzlich vorgesehenen Angaben auf Vollständigkeit, inhaltlichen Abschluss und Urheberschaft zu prüfen. Daneben müssten die übermittelten Informationen für ihn dauerhaft verfügbar sein. Dafür genüge es, wenn eine Übermittlung in Textform entsprechend § 126 BGB erfolge.
10 BAG v. 22.4.2010 – 6 AZR 948/08, NZA 2010, 1057 Rz. 14. 11 B. Gaul, AktuellAR 2016, 491 ff. 12 So APS/Moll, KSchG § 17 Rz. Kiel, KSchG § 17 Rz. v. Hoyningen-Huene, KSchG § 17 Rz. Graf V.Steinau-Steinrück/Bertz, NZA 2017, 145 ff. 13 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919, 922.
154
Neues zur Massenentlassung
Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV hält das BAG nicht für erforderlich. In der Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass der Bedeutungsgehalt des Begriffs „schriftlich“ in Rechtsakten der Union – wie im nationalen Recht – in Bezug auf die Zwecke der betreffenden Vorschrift zu bestimmen sei und die Übersendung eines Schriftstücks per Telefax ausreiche, wenn es – wie hier – vorrangig um eine verkörperte Dokumentation für den Empfänger gehe14. Diese Interpretation von § 17 Abs. 2 KSchG ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen, weil es die praktische Handhabe deutlich erleichtert. Da sich das BAG bei seinem Ergebnis allerdings auch auf den Zweck der in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 98/59/EG über Massenentlassungen beruft, stellt sich die Frage, ob diese Feststellung ohne eine Vorabentscheidung des EuGH zulässig war. Denn nur dann, wenn gesichert von einer solchen Zweckbestimmung der unionsrechtlichen Vorgabe ausgegangen werden kann, ist es auf der Grundlage der sonstigen Rechtsprechung des EuGH zulässig, eine verkörperte Dokumentation zur Erfüllung des Schriftformerfordernisses ausreichen zu lassen. Lässt man diese unionsrechtlichen Bedenken in Bezug auf die aktuellen Feststellungen des BAG einmal unberücksichtigt, bleibt die Arbeitgeberseite aufgefordert, die Übermittlung der nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG erforderlichen Informationen so zu dokumentieren, dass es im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung substantiiert dargelegt und ggf. auch bewiesen werden kann. Denn es obliegt dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzverfahren darzulegen und zu beweisen, dass die nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG erforderliche Beratung mit dem Betriebsrat auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG erfolgt ist.
c)
Verhandlungsdauer und Sphärentheorie
Abschließend hat das BAG im Urteil vom 22.9.201615 noch einmal bestätigt, dass es im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG keinen Einigungszwang gibt. Es genüge, wenn sich der Arbeitgeber mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat begebe und bereit sei, sich mit dessen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Er könne die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen vom Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängig machen. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer sei nicht vorgeschrieben. Das wird insbesondere dann relevant, wenn die Verhandlungen mit dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2
14 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 42 ff., 47. 15 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175.
155
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
S. 2 KSchG erst im Anschluss an einen bereits abgeschlossenen Interessenausgleich und Sozialplan geführt werden. Hiervon ausgehend seien die Konsultationen auch ohne Einigung der Betriebsparteien beendet, wenn der Arbeitgeber im Rahmen seiner Beurteilungskompetenz annehmen dürfe, es bestehe kein Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen16. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vollständig unterrichtet und ihm alle zweckdienlichen Auskünfte erteilt, ist eine Aufnahme bzw. Fortführung der Verhandlungen entbehrlich, wenn der Betriebsrat keine Bereitschaft zu zielführenden Verhandlungen erkennen lässt. Dabei spielt es für das BAG keine Rolle, ob dieser Eindruck durch bloße Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden und/oder formale Beschlussfassungen des Gremiums ausgelöst wird. Der Betriebsrat werde nach § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse von dem Vorsitzenden vertreten. Etwas Anderes gelte nur, wenn es sich ersichtlich nicht um Äußerungen für den Betriebsrat, sondern um persönliche Äußerungen handele. Ohne Bedeutung sei auch, ob die vom Betriebsrat entsandten Vertreter zur Durchführung der Konsultationen und/oder der Abgabe von Erklärungen bevollmächtigt waren, die einen entsprechenden Eindruck des Arbeitgebers haben entstehen lassen. Es gelte – wie im Verfahren nach § 102 BetrVG – die Sphärentheorie, nach der sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats grundsätzlich nicht zu Lasten des Arbeitgebers auswirkten17. Die letztgenannte Feststellung hat ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis. Sie befreit den Arbeitgeber nämlich von der Notwendigkeit, im Rahmen von § 17 Abs. 2 KSchG sicherzustellen, dass etwaige Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden jeweils durch (formwirksame) Beschlüsse des Betriebsrats gedeckt sind. Bedauerlicherweise gilt dieser Grundsatz dann nicht, wenn durch den Betriebsrat Vereinbarungen – beispielsweise Interessenausgleich oder Sozialplan – unterzeichnet werden.
d)
Wesentliche Aspekte der fachlichen Weisungen
Als Anlage 1 zur Weisung 2016 11009 hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Interpretation der gesetzlichen Handlungsvorgaben festgelegt, die von den örtlichen Agenturen für Arbeit bei der Anwendung von § 17 KSchG zu beachten sind. Es ist wichtig, diese Leitlinien bei der Vorbereitung und Durchführung einer Massenentlassung zu berücksichtigen. Ungeachtet dessen bleibt festzuhalten, dass ein Teil der Interpretation von § 17 KSchG durch die 16 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz BAG v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, NZA 2015, 881 Rz. 29. 17 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 55 ff., 60.
156
Neues zur Massenentlassung
Bundesagentur für Arbeit im Widerspruch zum Gesetz und/oder der Rechtsprechung des BAG steht. Jedenfalls dort, wo das BAG eine hiervon abweichende Sichtweise zum Ausdruck gebracht hat, dürfte es näherliegen, sich an den richterrechtlichen Leitsätzen auszurichten. aa)
Betriebsbegriff
In den einleitenden Feststellungen setzt sich FW 17.4 mit dem Betriebsbegriff im Massenentlassungsverfahren auseinander. Auf der Grundlage der Feststellungen des EuGH in den Urteilen vom 30.4.201518 und vom 13.5.201519 wird der Betrieb dabei als organisatorische Einheit qualifiziert, der die Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehörten. Während dieser abstrakt-generellen Feststellung noch gefolgt werden kann, dürfte es fraglich sein, ob die anschließenden Beispiele in FW 17.6 noch diesen Vorgaben Rechnung tragen. So wird als ein typisches Beispiel für einen Betrieb die Filiale einer Einzelhandelskette mit Filialleitung angesehen. Dies soll ausdrücklich auch dann gelten, wenn es sich dabei nur um einen Hilfsbetrieb, einen Nebenbetrieb oder einen Betriebsteil i. S. d. § 4 BetrVG handelt. Darüber hinaus werden Betriebe auch dann angenommen, wenn mehrere Arbeitnehmer dauerhaft zu einer bestimmten Einheit verbunden seien. Hiervon sei insbesondere dann auszugehen, wenn eine Dienstleistung erbracht werde (z. B. Reinigungs- und Hausmeisterarbeiten). Auch hier werden weitergehende Anforderungen zur Kennzeichnung des Betriebs, wie sie vor allem auf der Grundlage von § 1 BetrVG entwickelt wurden, nicht berücksichtigt. Denn schlussendlich werden auf diese Weise Einheiten auch dann als selbständige Betriebe angesehen, wenn sie übergreifend von einer Stelle aus in Bezug auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gesteuert werden. Hintergrund dieser weitgehenden Konturlosigkeit ist die vorstehende Rechtsprechungdes EuGH. Sie erlaubt, nicht nur dort einen Betrieb zu sehen, wo alle wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten von einer Stelle aus entschieden und in der Umsetzung gesteuert werden. Das wird erkennbar, wenn man in FW 17.8 die Einbeziehung des Gemeinschaftsbetriebs sieht. Denn dieser wird pauschal als ein Betrieb angesehen, soweit das Personal einer einheitlichen arbeitstechnischen Leitung unterstehe und in dieser Konstellation dauerhaft zusammenarbeite. Hier bleibt unberücksichtigt, ob der Gemeinschaftsbetrieb räumlich in verschiedenen Teileinheiten (Filialen) tätig ist und/oder seine Arbeitnehmer in getrennten Einheiten in Kundenbetrieben
18 EuGH v. 30.4.2015 – C-80/14, NZA 2015, 601 – USDAW Wilson. 19 EuGH v. 13.5.2015 – C-182/13, NZA 2015, 731 – Lyttle u. a. und C-392/13, NZA 2015, 669 – Rabal Cañas.
157
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
zum Einsatz bringt. Umgekehrt werden Teile eines Betriebs i. S. des § 1 BetrVG als Betriebe i S. des § 17 KSchG behandelt, wenn sie eine gewisse Eigenständigkeit haben. Hiervon ausgehend ist in der betrieblichen Praxis zu empfehlen, bei der Kennzeichnung des Betriebsbegriffs vorsorglich nicht nur die zu § 1 BetrVG entwickelten Grundsätze anzuwenden. Vielmehr ist auch unter Berücksichtigung der hiervon abweichenden Interpretation durch die Bundesagentur für Arbeit zu prüfen, ob die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden. Ist dies der Fall, sollten vorsorglich der Betriebsrat konsultiert und eine Massenentlassungsanzeige eingereicht werden. bb)
Kennzeichnung der Schwellenwerte
In FW 17.8 erläutert die Bundesagentur für Arbeit, wie in der Betriebspraxis unter Berücksichtigung unterschiedlicher Entlassungszeitpunkte festgestellt werden kann, ob die Schwellenwerte in § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden. Im Ergebnis ist den dortigen Feststellungen zuzustimmen. Allerdings wird in der Begründung nicht ausreichend deutlich, dass das Überschreiten der Schwellenwerte innerhalb eines 30-Tages-Zeitraums nicht nur vom Tage der Entlassung in die Zukunft geprüft werden muss. Vielmehr muss auch mit Blick auf etwaige Entlassungen der Vergangenheit geprüft werden, ob deren Einbeziehung mit der aktuell in Rede stehenden Entlassung zu einem Überschreiten der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG führt. Im Ergebnis muss der 30-Tage-Zeitraum also sowohl rückwärts- als auch vorwärtsgewandt – ausgehend vom Tage der Entlassung – geprüft werden. cc)
Schriftformerfordernis der Massenentlassungsanzeige
In FW 17.28 stellt die Bundesagentur für Arbeit zwar zunächst einmal klar, dass für die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG das Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB gelte. Deshalb sei es auch erforderlich, dass die Anzeige vom Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten eigenhändig zu unterschreiben sei. Der Praxis sei empfohlen, diese Formvorgabe unter Einbeziehung etwaiger Anlagen zur Anzeige einzuhalten. Diese müssen also körperlich fest mit der Anzeige verbunden oder ihrerseits durch eine eigenhändige Unterschrift des Arbeitgebers abgeschlossen werden. Dass das BAG im Urteil vom 22.9.201620 in Bezug auf die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG nur die Textform i. S. d. § 126 b BGB für erforderlich hält, wird man – trotz vergleichbarer Zweckbestimmung 20 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 47 ff.
158
Neues zur Massenentlassung
– vorsorglich nicht übertragen können. Ausgehend davon, dass eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung bzw. des Aufhebungsvertrags führen kann (FW 17.44), sollte dieses Risiko vermieden werden. dd)
Verwendung etwaiger Formulare
In der Betriebspraxis entstehen erhebliche Probleme im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Massenentlassungsanzeige durch den Umstand, dass in den vorbereiteten Formularen der Bundesagentur für Arbeit hunderte von Berufsgruppen genannt werden, denen die zu entlassenden bzw. die in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer zugeordnet werden sollen. Insbesondere dann, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die im Betrieb mit unterschiedlichen Tätigkeiten beschäftigt werden, von einer Entlassung betroffen ist, bereitet die zweifelsfreie und korrekte Zuordnung einen erheblichen Aufwand und ist gerade bei Mischtätigkeiten mit Zuordnungszweifeln verbunden. Diese sind relevant, weil die Anzeige gemäß FW 17.31 nicht wirksam ist, wenn sie nicht die zwingend erforderlichen Angaben oder nur einen Teil dieser Angaben enthält. Mit FW 17.32 macht die Bundesagentur für Arbeit jetzt deutlich, dass es keine Verpflichtung gibt, diese Formulare zu verwenden. Vielmehr werden die Agenturen für Arbeit nur angewiesen, darauf hinzuwirken, dass der Arbeitgeber für die Anzeige das Formular BA-KSchG 1 verwende. Dabei sei auf die Rechtsfolgen einer unvollständigen Anzeige hinzuweisen. Die Verwendung der BA-Formulare sei jedoch nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Anzeige. Hiervon ausgehend ist den Arbeitgebern empfohlen, eigene Kennzeichnungen für die Berufsgruppen der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu finden und diese der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG, der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG und der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zugrunde zu legen. Das vermeidet Missverständnisse, die dadurch entstehen, dass die innerbetrieblich verwendeten Kennzeichnungen für bestimmte Tätigkeiten nicht mit den Berufsgruppen übereinstimmen, die von der Bundesagentur für Arbeit genannt werden. Schließlich geht die Bundesagentur für Arbeit in FW 17.33 davon aus, dass Entlassungen von Arbeitnehmern aus anderen als den angegebenen Berufsklassen nicht von der Anzeige gedeckt und damit unwirksam seien. Dies gelte auch dann, wenn die angegebene Zahl an Entlassungen im Ergebnis gleichbleibe.
159
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
ee)
Stellungnahme des Betriebsrats
Im Rahmen der Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit zur Stellungnahme des Betriebsrats (FW 17.36 ff.) ist die These enthalten, dass ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG die Stellungnahme des Betriebsrats ersetze. Das Gleiche gelte auch dann, wenn der Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geschlossen wurde (FW 17.39). Diese Feststellung ist trotz des Hinweises auf § 1 Abs. 5 KSchG ungenau. Denn ein Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter und Betriebsrat ersetzt die Stellungnahme nur dann, wenn darin anlässlich einer Betriebsänderung die Arbeitnehmer namentlich benannt werden, die von einer Betriebsänderung betroffen sind (§§ 1 Abs. 5 KSchG, 125 InsO). Ein Interessenausgleich, der diese inhaltlichen und formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, ersetzt die nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats nicht. ff)
Unwirksamkeit von Aufhebungsverträgen
In FW 17.44 geht die Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass Kündigungen und Aufhebungsverträge unwirksam sind, wenn die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 3 KSchG nicht erfüllt wird. In Bezug auf Kündigungen entspricht dies der Rechtsprechung des BAG. Im Hinblick auf Aufhebungsverträge fehlt eine dahingehende Klarstellung des BAG. Unabhängig von dieser offenen Rechtslage ist bei der Umsetzung einer Betriebsänderung sicherzustellen, dass Aufhebungsverträge ohne Einschränkung in die Handlungspflichten aus § 17 Abs. 2, 3 KSchG eingebunden werden. Dies gilt umso mehr, als eine etwaige Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags – entgegen der Annahme der Bundesagentur für Arbeit in FW 17.45 – ohne Rücksicht auf die drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend gemacht werden kann. Diese Frist ist nur für Unwirksamkeitsgründe maßgeblich, die im Hinblick auf eine Kündigung des Arbeitgebers geltend gemacht werden. (Ga)
2.
Außerordentliche Kündigung eines LKW-Fahrers nach Drogen-Konsum
Das BAG entschied am 20.10.201621 über die außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers, der in seiner Freizeit Amphetamin und Metamphetamin („Crystal Meth“) konsumierte und seinem Arbeitgeber den späteren
21 BAG v. 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527.
160
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
ee)
Stellungnahme des Betriebsrats
Im Rahmen der Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit zur Stellungnahme des Betriebsrats (FW 17.36 ff.) ist die These enthalten, dass ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG die Stellungnahme des Betriebsrats ersetze. Das Gleiche gelte auch dann, wenn der Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geschlossen wurde (FW 17.39). Diese Feststellung ist trotz des Hinweises auf § 1 Abs. 5 KSchG ungenau. Denn ein Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter und Betriebsrat ersetzt die Stellungnahme nur dann, wenn darin anlässlich einer Betriebsänderung die Arbeitnehmer namentlich benannt werden, die von einer Betriebsänderung betroffen sind (§§ 1 Abs. 5 KSchG, 125 InsO). Ein Interessenausgleich, der diese inhaltlichen und formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, ersetzt die nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats nicht. ff)
Unwirksamkeit von Aufhebungsverträgen
In FW 17.44 geht die Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass Kündigungen und Aufhebungsverträge unwirksam sind, wenn die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 3 KSchG nicht erfüllt wird. In Bezug auf Kündigungen entspricht dies der Rechtsprechung des BAG. Im Hinblick auf Aufhebungsverträge fehlt eine dahingehende Klarstellung des BAG. Unabhängig von dieser offenen Rechtslage ist bei der Umsetzung einer Betriebsänderung sicherzustellen, dass Aufhebungsverträge ohne Einschränkung in die Handlungspflichten aus § 17 Abs. 2, 3 KSchG eingebunden werden. Dies gilt umso mehr, als eine etwaige Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags – entgegen der Annahme der Bundesagentur für Arbeit in FW 17.45 – ohne Rücksicht auf die drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend gemacht werden kann. Diese Frist ist nur für Unwirksamkeitsgründe maßgeblich, die im Hinblick auf eine Kündigung des Arbeitgebers geltend gemacht werden. (Ga)
2.
Außerordentliche Kündigung eines LKW-Fahrers nach Drogen-Konsum
Das BAG entschied am 20.10.201621 über die außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers, der in seiner Freizeit Amphetamin und Metamphetamin („Crystal Meth“) konsumierte und seinem Arbeitgeber den späteren
21 BAG v. 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527.
160
Außerordentliche Kündigung eines LKW-Fahrers nach Drogen-Konsum
Fahrerlaubnisentzug durch die Polizei wegen eines positiven Drogenwischtests im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle verheimlichte. Der erste vom 6. Senat anerkannte wichtige Kündigungsgrund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB besteht in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit infolge des Konsums von Crystal Meth22. Indem der Kläger an einem Samstag Amphetamin und Metamphetamin einnahm und dennoch zwei Tage später seinen Beruf als LKW-Fahrer verrichtete, habe er in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verstoßen, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, aufgrund dessen er seine Arbeitsleistung nicht erfüllen oder bei Erbringung dieser sich oder andere gefährden kann23. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) bestehe auch schon bei einmaligem Konsum von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) mit Ausnahme von Cannabis keine persönliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen24. Intensität und Häufigkeit des Rauschs, sowie die Frage, ob die Fahrtüchtigkeit (noch) konkret beeinträchtigt ist, spielen keine Rolle. Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt.25 Ein zweiter Kündigungsgrund liege außerdem darin, dem Arbeitgeber den positiven Drogentest und den Fahrerlaubnisentzug vorzuenthalten oder gar zu lügen. Denn es bestehe eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers zum Schutz und zur Förderung des Vertragszwecks, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB)26. Dazu gehöre, über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen und dem Arbeitgeber vorhersehbare oder bemerkbare Gefahren unverzüglich mitzuteilen27. Der Arbeitnehmer habe seinen Fahrerlaubnisentzug unverzüglich mitzuteilen, wenn er diese für die Erbringung seiner Arbeitsleistung benötigt28.
22 BAG v. 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527 Rz. 17 ff. 23 BAG 20.10.2016 – 6 v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94, NZA 1995, 517 Rz. 29 f. 24 BAG v. 20.10.2016 – 6 vgl. Marquardt, DB 2017, 194. 25 BayVGH v. 15.6.2016 – 11 NRW 23.7.2015 – 16 B 656/15 Rz. Koehl, ZfSch 2015, 369. 26 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13 Rz. 19 m. w. N. 27 BAG v. 20.10.2016 – 6 v. 26.3.2015 – 2 v. 28.8.2008 – 2 AZR 15/07, NZA 2009, 192 Rz. 21. 28 Künzl/Sinner, NZA-RR 2013, 561, 565.
161
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch Alkoholkonsum während seiner Freizeit zu beeinträchtigen29. Handelt es sich um einen Berufskraftfahrer, so ist aufgrund der besonderen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs jeder die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Alkoholkonsum zu unterlassen.30 Liegt eine Drogenabhängigkeit mit Krankheitswert vor, so ist der Fahrer wegen der suchtbedingt fehlenden Steuerbarkeit des Konsumverhaltens von seiner Schuld befreit31. Eine suchtbedingte Kündigung ist mit den hohen Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung vergleichbar (z. B. negative Zukunftsprognose, vorherige Aufforderung zu einer Entziehungskur)32. Besteht ein wichtiger Kündigungsgrund, so ist unter Berücksichtigung des Gewichts und der Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, des Grades des Verschuldens des Arbeitnehmers, einer möglichen Wiederholungsgefahr sowie der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreiem Verlauf, zu beurteilen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist. Dies scheidet aus, wenn es kein milderes Gestaltungsmittel, wie eine Abmahnung, Versetzung oder ordentliche Kündigung, gibt, welches das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses begrenzt33. In der jetzt vorliegenden Entscheidung ließ das BAG erstmals den abstrakten Gefährdungstatbestand im Straßenverkehr aufgrund des Konsums sogenannter „harter Drogen“ genügen34. Der Arbeitgeber muss damit die Fahruntüchtigkeit eines Berufsfahrers nicht mehr beweisen, sofern der Drogenkonsum feststeht. Es ist zu erwarten, dass das BAG die Eignung zum Führen von Kfz zukünftig auch bei Konsum anderer harter Drogen (Heroin, Kokain etc.) absprechen
29 BAG v. 20.10.2016 – 6 Kündigung bei Alkoholerkrankungen: BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12, NZA 2014, v. 26.1.1995 – 2 AZR 649/94 NZA 1995, 517 Rz. 29 f. ErfK/MüllerGlöge, § 626 BGB Rz. 137. 30 BAG v. 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527 Rz BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 565/12 Rz. 25. 31 BAG v. 20.12.2012 – 2AZR 32/11 Rz. 14. 32 Zu den arbeitsrechtlichen Anforderungen einer suchtbedingten Kündigung: Hey/Linse, Marquardt, DB 2017, 194. 33 BAG v. 20.10.2016 – 6 v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 46. 34 So schon frühere Rspr. des ArbG Berlin v. 21.11.2012 – 31 Ca 13626/12, NZA-RR 2013, 194 Rz. 33.
162
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten
wird. Ungeklärt bleibt dabei aber, ab wann ein Berufskraftfahrer davon ausgehen darf, nicht mehr unter Drogeneinfluss zu stehen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit hält dies nach drei oder vier Monaten noch für ausgeschlossen35 Da es bei Berufsgruppen ohne Straßenverkehrsbezug an der abstrakten Gefahr für andere Personen und Güter fehlt, ist das Urteil nur begrenzt übertragbar. Zu begrüßen wäre aber, wenn das BAG diese „Null-Toleranz-Rechtsprechung“ auf Berufe übertragen würde, die eine besondere Verantwortung für das Wohlergehen anderer Personen und/oder aber das Bedienen gefährlichen Arbeitswerkzeugs voraussetzen, wie z. B. Polizisten, Sanitäter, Ärzte, Kranführer, Piloten. Besteht auch durch nur einmaligen Drogenkonsum Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Personen, so ist das abstrakte Risiko für die Allgemeinheit nicht zu tolerieren. Offen ist nach der Entscheidung des BAG, ob man die Grundsätze auch auf die Kündigung wegen unerlaubten Alkoholgenusses übertragen kann, soweit diese nicht bereits der krankheitsbedingten Kündigung (Alkoholismus) zugeordnet werden müssen. In Bezug auf die Frage der Fahruntüchtigkeit spricht für eine solche Bewertung, dass der Alkoholkonsum nach Ziff. 8.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zu einer Fahruntüchtigkeit führt, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Das gleiche gilt im Anschluss an einen solchen Missbrauch, wenn die Änderung des Trinkverhaltens nicht gefestigt ist. Wenn der Arbeitgeber diese Form des (noch selbstgesteuerten) Alkoholmissbrauchs aufzeigen kann, dürfte auch dies die Kündigung von Arbeitnehmern rechtfertigen, die in diesem Zustand ein Fahrzeug führen. Darüber hinaus wird man Arbeitnehmer aus § 241 Abs. 2 BGB für verpflichtet halten müssen, dem Arbeitgeber mitzuteilen, wenn sie sich (noch selbstgesteuert) in diesem Zustand befinden, falls sie sonst Leib und Leben von sich oder anderen bei ihrer Arbeit gefährden können. (Kr)
3.
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten
In den beiden Urteilen vom 22.9.201636 und vom 20.10.201637 hat sich das BAG nicht nur mit der prozessualen Verwertung der Erkenntnisse einer ver-
35 Vgl. OLG des Saarlandes v. 27.9.2016 – 1 B 241/16, DV 2016, 316 Rz. chen v. 13.5.2016 – M6 S 16.1354 n. v. Rz. 54. 36 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112. 37 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443.
163
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten
wird. Ungeklärt bleibt dabei aber, ab wann ein Berufskraftfahrer davon ausgehen darf, nicht mehr unter Drogeneinfluss zu stehen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit hält dies nach drei oder vier Monaten noch für ausgeschlossen35 Da es bei Berufsgruppen ohne Straßenverkehrsbezug an der abstrakten Gefahr für andere Personen und Güter fehlt, ist das Urteil nur begrenzt übertragbar. Zu begrüßen wäre aber, wenn das BAG diese „Null-Toleranz-Rechtsprechung“ auf Berufe übertragen würde, die eine besondere Verantwortung für das Wohlergehen anderer Personen und/oder aber das Bedienen gefährlichen Arbeitswerkzeugs voraussetzen, wie z. B. Polizisten, Sanitäter, Ärzte, Kranführer, Piloten. Besteht auch durch nur einmaligen Drogenkonsum Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Personen, so ist das abstrakte Risiko für die Allgemeinheit nicht zu tolerieren. Offen ist nach der Entscheidung des BAG, ob man die Grundsätze auch auf die Kündigung wegen unerlaubten Alkoholgenusses übertragen kann, soweit diese nicht bereits der krankheitsbedingten Kündigung (Alkoholismus) zugeordnet werden müssen. In Bezug auf die Frage der Fahruntüchtigkeit spricht für eine solche Bewertung, dass der Alkoholkonsum nach Ziff. 8.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV zu einer Fahruntüchtigkeit führt, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Das gleiche gilt im Anschluss an einen solchen Missbrauch, wenn die Änderung des Trinkverhaltens nicht gefestigt ist. Wenn der Arbeitgeber diese Form des (noch selbstgesteuerten) Alkoholmissbrauchs aufzeigen kann, dürfte auch dies die Kündigung von Arbeitnehmern rechtfertigen, die in diesem Zustand ein Fahrzeug führen. Darüber hinaus wird man Arbeitnehmer aus § 241 Abs. 2 BGB für verpflichtet halten müssen, dem Arbeitgeber mitzuteilen, wenn sie sich (noch selbstgesteuert) in diesem Zustand befinden, falls sie sonst Leib und Leben von sich oder anderen bei ihrer Arbeit gefährden können. (Kr)
3.
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten
In den beiden Urteilen vom 22.9.201636 und vom 20.10.201637 hat sich das BAG nicht nur mit der prozessualen Verwertung der Erkenntnisse einer ver-
35 Vgl. OLG des Saarlandes v. 27.9.2016 – 1 B 241/16, DV 2016, 316 Rz. chen v. 13.5.2016 – M6 S 16.1354 n. v. Rz. 54. 36 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112. 37 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443.
163
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
deckten Videoüberwachung befasst. Wir hatten darüber an anderer Stelle berichtet38. Es hat darüber hinaus wichtige Klarstellungen in Bezug auf die kündigungsschutzrechtliche Beurteilung von gegen den Arbeitgeber gerichteten Vermögensdelikten des Arbeitnehmers getroffen und dabei jeweils außerordentliche (fristlose) Kündigungen bestätigt.
a)
Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB)
Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass der Arbeitnehmer seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) in erheblicher Weise verletze, wenn er sich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil verschaffe. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kämen daher typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gelte unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgebend sei vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch39. In diesem Zusammenhang machen seine Ausführungen zu der nach § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen Interessenabwägung deutlich, dass, auch im Anschluss an die Emmely-Entscheidung des BAG, auch bei Vermögensdelikten mit einem außerordentlich geringen Schaden des Arbeitgebers die außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein kann. In dem zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin, die als stellvertretende Filialleiterin und Kassiererin beschäftigt war, im Kassenbereich eine dort befindliche „Musterpfandflasche“ über den Scanner gezogen, eine Leergutregistrierung durchgeführt, die Kassenlade geöffnet und Geld aus der Kassenlade genommen, welches sie zunächst im Kassenbereich abgelegt und zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Tasche gesteckt hatte. Der von ihr erstellte Kassenbon wies daraufhin einen Anspruch auf eine Pfandbarauszahlung in Höhe von 3,25 € für 13 Pfandflaschen bzw. Dosen aus. Auch unter Berücksichtigung der langjährig unbeanstandeten Beschäftigung der Klägerin war es aus Sicht des BAG gerechtfertigt, davon auszugehen, dass der dadurch eingetretene Vertrauensverlust in eine ungestörte Vertragsfortsetzung nicht (mehr) aufgewogen werden konnte. Entscheidend war dabei, dass sich die Klägerin – was auch die Videoaufnahme bestätigte – bewusst, heimlich und durch eine gezielte Manipulation der Kassenvorgänge auf Kosten der 38 B. Gaul, Aktuell AR 2017, 167 ff. 39 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 16 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143 Rz. 13, 15.
164
Außerordentliche Kündigung bei Vermögensdelikten
Beklagten bereichert hatte. Insofern handelte es sich nicht – wie bei Emmely – um ein Augenblicksversagen, sondern um ein systematisches und zu verschiedenen Zeitmomenten realisiertes Fehlverhalten. Hinzukam, dass der dadurch bewirkte Vertrauensbruch bei einer stellvertretenden Filialleiterin und Kassiererin besonders schwer zu gewichten war. Die Beklagte – so das BAG – muss bei einer Arbeitnehmerin in dieser Position von uneingeschränkter Vertrauenswürdigkeit bei der Tätigkeit, insbesondere bei der Bedienung der Kasse ausgehen können. Dass die Beklagte die Klägerin im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil vorübergehend wieder beschäftigt hatte, stand der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Denn für die Wirksamkeit der Kündigung kam es auf die Umstände im Zeitpunkt ihres Zugangs an. Entscheidend war, ob auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte, dass es dem Arbeitgeber objektiv nicht zumutbar war, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Bei einer Bewertung dieses Sachverhalts spielt es keine Rolle, wenn die Beklagte der Klägerin mehr als acht Monate nach der Kündigung eine Prozessbeschäftigung angeboten hat. Unerheblich ist dabei, ob und inwieweit diese Weiterbeschäftigung erst als Konsequenz einer Drohung mit Zwangsvollstreckung erfolgt ist. Auch dieser Sichtweise ist zuzustimmen. Allerdings bleibt zu beobachten, dass die Arbeitsgerichte im Rahmen ihrer Erörterung des einer Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalts entgegen der hier in Rede stehenden Feststellungen des BAG durchaus berücksichtigen, ob die behauptete Unzumutbarkeit einer weiteren Beschäftigung durch den Arbeitgeber jedenfalls indiziell in Frage gestellt wird, wenn tatsächlich trotz der vorangehenden Pflichtverletzungen wieder eine Zusammenarbeit im Rahmen einer Prozessbeschäftigung erfolgt. Diese tatsächliche Einflussnahme auf die Interessenabwägung der Gerichte sollte arbeitgeberseitig berücksichtigt werden, bevor die allein auf formal-juristischer Grundlage unproblematische Beschäftigung veranlasst wird.
b)
Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist (§ 626 Abs. 2 BGB)
Gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Abs. 2 S. 2 BGB). Zu den insoweit maß-
165
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
geblichen Personen gehören neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat40. Nach ständiger Rechtsprechung ist von einem Beginn der zwei-Wochen-Frist auszugehen, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Erst wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren41. Grundsätzlich ist die Kenntnis von Personen ohne Kündigungsberechtigung für den Lauf der Ausschlussfrist unbeachtlich. Dies gilt – so das BAG – auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 21.2.201342 muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben nur ausnahmsweise zurechnen lassen. Voraussetzung dafür sei, dass diese Personen nicht nur eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung hätten sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage seien, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung biete, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen könnte. Dementsprechend müssten diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers. Voraussetzung für eine Zurechnung der
40 BAG v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515 Rz. 28. 41 BAG v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515 Rz. 27 BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 171/09, NZA-RR 2011, 177 Rz. 15. 42 BAG v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515 Rz. 28.
166
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber sei darüber hinaus, dass die Verzögerung, der Erkenntniserlangung in dessen eigener Person auf eine unsachgemäße Organisation des Betriebs oder der Verwaltung zurückzuführen sei43. Diese Rechtsprechung hat das BAG mit Urteil vom 20.10.201644 noch einmal bestätigt. Dies ist für die betriebliche Praxis von erheblicher Bedeutung, weil es noch einmal deutlich macht, welche Vorteile die Ermittlung des einer Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalts durch Personen bietet, die nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt sind. Denn erst dann, wenn die hier erkennbar gewordenen Tatsachen dem Kündigungsberechtigten zur Kenntnis gegeben werden, kann die zwei-Wochen-Frist beginnen. Entschließt sich der Kündigungsberechtigte, selbst noch eine Anhörung des Arbeitnehmers vorzunehmen, hemmt dies die zwei-Wochen-Frist um eine weitere Woche, sofern in dieser Zeit die Anhörung vorgenommen wird. Erfolgt die Anhörung zu einem späteren Zeitpunkt, müssen besondere Umstände vorliegen, die die damit verbundene Verzögerung rechtfertigen. (Ga)
4.
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
a)
Verfassungsrechtliche Ausgangssituation
In seinen beiden Entscheidungen vom 22.9.201645 und vom 20.10.201646 hat sich der 2. Senat des BAG sehr eingehend mit den Voraussetzungen befasst, unter denen die Erkenntnisse einer verdeckten Videoüberwachung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses verwertet werden können. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass weder die ZPO noch das ArbGG Vorschriften zur prozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise enthalten. Vielmehr würden der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel gebieten47. Dementspre-
43 Ebenso BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 Rz. 22 GK-KR/Fischermeier, BGB § 626 Rz. 355. 44 BAG v. 20.12.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 47. 45 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 21 ff. 46 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 16 ff. 47 Ebenso BVerfG v. 9.10.2002 – 1 Reitz, NZA 2017, 273, Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 279.
167
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber sei darüber hinaus, dass die Verzögerung, der Erkenntniserlangung in dessen eigener Person auf eine unsachgemäße Organisation des Betriebs oder der Verwaltung zurückzuführen sei43. Diese Rechtsprechung hat das BAG mit Urteil vom 20.10.201644 noch einmal bestätigt. Dies ist für die betriebliche Praxis von erheblicher Bedeutung, weil es noch einmal deutlich macht, welche Vorteile die Ermittlung des einer Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalts durch Personen bietet, die nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt sind. Denn erst dann, wenn die hier erkennbar gewordenen Tatsachen dem Kündigungsberechtigten zur Kenntnis gegeben werden, kann die zwei-Wochen-Frist beginnen. Entschließt sich der Kündigungsberechtigte, selbst noch eine Anhörung des Arbeitnehmers vorzunehmen, hemmt dies die zwei-Wochen-Frist um eine weitere Woche, sofern in dieser Zeit die Anhörung vorgenommen wird. Erfolgt die Anhörung zu einem späteren Zeitpunkt, müssen besondere Umstände vorliegen, die die damit verbundene Verzögerung rechtfertigen. (Ga)
4.
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
a)
Verfassungsrechtliche Ausgangssituation
In seinen beiden Entscheidungen vom 22.9.201645 und vom 20.10.201646 hat sich der 2. Senat des BAG sehr eingehend mit den Voraussetzungen befasst, unter denen die Erkenntnisse einer verdeckten Videoüberwachung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses verwertet werden können. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass weder die ZPO noch das ArbGG Vorschriften zur prozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise enthalten. Vielmehr würden der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel gebieten47. Dementspre-
43 Ebenso BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, DB 2009, 572 Rz. 22 GK-KR/Fischermeier, BGB § 626 Rz. 355. 44 BAG v. 20.12.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 47. 45 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 21 ff. 46 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 16 ff. 47 Ebenso BVerfG v. 9.10.2002 – 1 Reitz, NZA 2017, 273, Fuhlrott/Schröder, NZA 2017, 278, 279.
167
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
chend bedürfe es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage. Dies gelte entsprechend für ein etwaiges Sachvortragsverwertungsverbot48. Da auch das BDSG keine entsprechenden Regelungen zur prozessualen Verwertbarkeit personeller Daten enthalte – so das BAG – komme ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag, zu verwerten, nur in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Insofern habe das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergäben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar sei. Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei, greife die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiere, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden49. Greife die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiege das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege deshalb das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzuträten. Das Interesse, sich eines Beweismittels zu sichern, reiche für sich allein nicht aus. Entsprechendes gelte in Bezug auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Verwertung unstreitigen Sachvortrags. Vielmehr müsse sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen. Dies gelte sowohl für die Verwertung des unrechtmäßig erlangten Beweismittels selbst (hier: Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung), als auch dessen mittelbare Verwertung wie etwa die Vernehmung eines Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials50. Hiervon ausgehend ist es im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung zunächst einmal notwendig, die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung zu klären. Kann hiervon ausgegangen werden, hat dies auch die Rechtmäßigkeit der prozessualen Verwertung zur Folge. Ergibt die Überprüfung der Umstände der Beweisgewinnung, dass hier die Schranken der Rechtsordnung verletzt 48 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 21. 49 BVerfG v. 11.3.2008 – 1 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 23. 50 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 19 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 24 f.
168
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
wurden, ist im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob trotz dieser Rechtsverletzung das Interesse an einer Verwertung des Beweismittels und der damit verbundenen Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse des Betroffenen an einer Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt.
b)
Anfangsverdacht als Voraussetzung einer verdeckten Videoüberwachung nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG
Nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Dieser – missglückte – Wortlaut wird im Rahmen der Änderung des Datenschutzrechts zur Umsetzung der DSGVO in § 26 Abs. 1 BDSG übernommen51. In seinen Urteilen vom 22.9.201652 und vom 22.10.201653, die wegen ihrer materiell-rechtlichen Feststellungen im Bereich des Kündigungsrechts noch einmal gesondert behandelt werden54, hat das BAG deutlich gemacht, dass diese gesetzlichen Voraussetzungen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertvorgaben beider Arbeitsvertragsparteien durchaus abweichend vom Wortlaut ausgelegt und angewendet werden müssen. Das wird man auch auf § 26 BSDG in seiner Neufassung übertragen müssen. Danach sind Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft wurden, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist. Unter diesen Voraussetzungen kommt es nicht darauf an, ob die – insoweit allgemeineren Voraussetzungen in § 6 d BDSG 51 52 53 54
B. Gaul, AktuellAR 2017, 22 ff. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 27 ff. BAG v. 22.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 21 ff. Vgl. B. Gaul, Aktuell AR 2017, 164 ff.
169
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
erfüllt sind55. Wichtig dabei ist, dass sich der Verdacht nicht nur auf eine strafbare Handlung, sondern auch auf andere schwere Verfehlungen zu Lasten des Arbeitgebers innerhalb eines zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreises von Arbeitnehmern richten muss. Abweichend von der im Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG enthaltenen Vorgabe muss sich der Verdacht in diesem Zusammenhang auch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen bestimmten Arbeitnehmer richten. Darauf weist das BAG ausdrücklich hin. Ausreichend dabei ist, dass ein entsprechender „Anfangsverdacht“, also ein durch konkrete Tatsachen belegter „einfacher“ Verdacht gegeben ist. Ein dringender „Tatverdacht“, der einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten voraussetzt, ist – so das BAG – nicht erforderlich. Denn mit der tatbestandlichen Voraussetzung für verdeckte Erhebungen personenbezogener Daten gehe es nur darum, schwerwiegende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten auf Grund vager Anhaltspunkte oder bloßer Mutmaßungen auszuschließen56.
c)
Erforderlichkeit der Datenerhebung
Ausgehend davon, dass die Videoüberwachung ein geeignetes Mittel zur Feststellung einer Beteiligung von Arbeitnehmern an Straftaten und/oder schweren Verfehlungen ist, hängt die datenschutzrechtliche Zulässigkeit nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG zunächst einmal von ihrer Erforderlichkeit ab. Das ist der Fall, wenn andere Mittel zur Aufklärung des Verdachts und zur Eingrenzung des verdächtigten Personenkreises, die weniger stark in das Persönlichkeitsrecht der von der Überwachung der betroffenen Arbeitnehmer eingegriffen hätten und mittels derer der Zweck der Überwachung mit vergleichbarer Erfolgsaussicht hätte erreicht werden können, nicht (mehr) zur Verfügung gestanden haben57. Bereits mit Urteil vom 21.6.201258 hatte das BAG klargestellt, dass der Verdacht sich auf einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern beziehen müsse. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BAG die Erforderlichkeit in den beiden hier in Rede stehenden Entscheidungen angenommen. Soweit es in den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten jeweils um Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers gegangen war, hat das BAG
55 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 43. 56 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 25. 57 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 27 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 30. 58 BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025 Rz. 30.
170
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
sich insoweit intensiv mit alternativen Aufklärungsmaßnahmen befasst. Dabei sind nicht nur Gespräche mit den betroffenen Arbeitnehmern, innerbetriebliche Bekanntmachungen, Taschenkontrollen oder Leibesvisitationen erörtert worden. Vielmehr hat sich das BAG auch mit der Möglichkeit einer offenen Videoüberwachung befasst. Diese wurde aber mit Blick auf den angestrebten Zweck einer Aufdeckung von Straftaten nicht als gleichermaßen wirksam bewertet. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass eine verdeckte Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten nach den Feststellungen im Urteil vom 22.9.201659 nicht nur dann erfolgen kann, wenn sichergestellt ist, dass von ihr ausschließlich Arbeitnehmer betroffen sind, hinsichtlich derer es bereits einen konkretisierten Verdacht gibt. Etwas Anderes folge – so das BAG – auch nicht aus § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Soweit der Wortlaut der Bestimmung ein anderes Verständnis nahelegen könnte, sei er „verunglückt“. Denn die Regelung solle die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern. Sie orientiere sich deshalb inhaltlich an den Anforderungen, die das BAG unter anderem in seinem Urteil vom 27.3.200360 zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt habe. Danach müsse zwar der Kreis der Verdächtigten möglichst eingegrenzt sein. Es sei aber nicht zwingend notwendig, dass eine Überwachungsmaßnahme in der Weise beschränkt werden könne, dass von ihr ausschließlich Personen erfasst würden, bezüglich derer bereits ein konkretisierter Verdacht bestehe. Hiervon ausgehend steht der Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung auch nicht entgegen, wenn diese schlussendlich zur Erfassung von Personen führt, gegen die bis zu diesem Zeitpunkt gar kein Verdacht der Begehung einer Straftat gegeben war. Sie erfolgt hier zwar „anlasslos“ und damit auch ohne einen konkreten Verdacht, der die Erfassung personenbezogener Daten erforderlich macht. Dennoch aber ist dies – so das BAG – zulässig. Denn wenn es kein milderes Mittel zur Aufklärung des bestehenden Diebstahlsverdachts gegen andere Arbeitnehmer als die konkret durchgeführte Überwachung gegeben habe, sei der Eingriff – auch – in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Dritter, deren schwere Pflichtverletzung damit aufgedeckt werde, gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang verlange § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG eine Dokumentation des Verdachts nur insoweit, als die Maßnahme „zur“ Aufdeckung von Straftaten erfolge. Nicht notwendig sei, den Verdacht einer konkreten
59 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 30. 60 BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193.
171
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Straftat jedes einzelnen Arbeitnehmers, der von der Überwachungsmaßnahme erfasst wird, bereits im Vorfeld festzuhalten61. Gerade weil insoweit auch „anlasslose“ Zufallsfunde einbezogen werden, ist es richtig, dass vom Arbeitgeber nicht verlangt wird, auch in Bezug auf die hiervon betroffenen Arbeitnehmer bereits alle zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ausgeschöpft zu haben62. Dies sei, wenn es noch keinen entsprechenden Verdacht bei Einleitung der Überwachungsmaßnahmen gegeben habe, weder möglich noch geboten. Insofern geht das BAG davon aus, dass eine Videoüberwachung zwar auch in der Art ihrer Durchführung ultima ratio zur Aufklärung des ihr zugrundeliegenden Verdachts sein müsse, um rechtmäßig zu sein. Wenn dies aber der Fall sei, seien durch sie unvermeidbare Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte mitbetroffener Arbeitnehmer bereits durch den Aufklärungszweck gerechtfertigt63.
d)
Angemessenheit der Überwachungsmaßnahme
Unabhängig von der Erforderlichkeit einer Überwachungsmaßnahme ist auch ihre Angemessenheit festzustellen. Dabei ist auch unter Berücksichtigung der Schwere der in Rede stehenden Pflichtverletzung zu prüfen, ob der mit der Überwachungsmaßnahme verbundene Eingriff in die Intim- und/oder Privatsphäre des Arbeitnehmers mit den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen vereinbar ist. Auch diese Voraussetzung hat das BAG in beiden Fällen angenommen. Jedenfalls in dem einen Fall kam dabei zum Tragen, dass sich der Kläger der Videoüberwachung auch deshalb ausgesetzt hatte, weil er sich mit dem Betreten des insoweit beobachteten Raums im Widerspruch zu einem Zutrittsverbot des Arbeitgebers gesetzt hatte. Im Verhältnis zu Arbeitnehmern, die sich ohne eine solche Erlaubnis in diesem Raum (hier: Ersatzteillager) aufhielten, sei die Eingriffsintensität selbst unter Berücksichtigung der Dauer des Kameraeinsatzes gering64.
e)
Beweisverwertung bei Beweiserhebung unter Missachtung des BDSG
Auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen einer zulässigen Datenerhebung, Verarbeitung und Nutzung aus § 32 Abs. 1 BDSG nicht erfüllt sind,
61 62 63 64
BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 31. A. A. Eylert, NZA Beilage 2015, 100, 107. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 39. BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 31.
172
Prozessuale Verwertung der Erkenntnisse aus einer verdeckten Videoüberwachung
steht dies nicht notwendig einer Verwertung der dadurch gewonnenen Beweismittel entgegen. Darauf weist das BAG im Urteil vom 20.10.201665 zu Recht hin. Der Schutzwert des BDSG gebiete es nicht, dem Arbeitgeber aus generalpräventiven Gründen eine prozessuale Verwertung datenschutzrechtswidrig erlangter Informationen zu verwehren. Ein Verbot komme nur in Betracht, wenn mit der Verwertung ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Prozesspartei einhergehe. Ein solcher Eingriff scheide aber aus, wenn die Unzulässigkeit der Videoüberwachung allein aus der (Dritt)Betroffenheit anderer Beschäftigter resultiere66. Entsprechendes gelte, wenn der Arbeitgeber seinen Dokumentationspflichten gemäß § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG, die grundsätzlich vor der Datenerhebung zu erfüllen seien, nur unvollständig nachgekommen sei. Die Vorgabe verfolge den Zweck, den hiervon erfassten Personenkreis die nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern. Aus ihr könne ein prozessuales Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn der Arbeitgeber den Verdacht von Straftaten spätestens im Rechtstreit durch konkrete Tatsachen untermauern könne und dadurch eine Rechtmäßigkeitskontrolle gesichert sei67.
f)
Prozessuale Beweisverwertung bei einer vorangehenden Missachtung des BetrVG
In den Urteilen vom 22.9.201668 und vom 20.10.201669 stellt das BAG ebenfalls klar, dass auch eine Missachtung etwaiger Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Dies gelte auch dann, wenn die Notwendigkeit einer Zustimmung des insoweit zuständigen Betriebsrats zur Durchführung einer Videoüberwachung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG missachtet wird. Zum einen kann die erforderliche Zustimmung zur Beweisverwertung bereits darin liegen, dass der Betriebsrat einer auf die erlangten Erkenntnisse gestützten Kündigung zugestimmt hat70. Darüber hinaus verbiete der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die Annahme eines Verwertungsverbots auch dann nicht, wenn die Verwendung und Verwertung des Beweismittels und/o-
65 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 33. 66 So auch Bergwitz Dzida/Grau reuther, NZA 2005, 1038, 1042. 67 Vgl. Alter, NJW 2015, 2375, 2380. 68 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 44. 69 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 34 ff. 70 Ebenso BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193 ff.
Bay-
173
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
der daraus gewonnener unstreitiger Informationen nach allgemeinen Grundsätzen zulässig sei. Vielmehr richtet sich die Antwort auf die Frage, ob der in der Verwertung liegende Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung gerechtfertigt ist, nach dem Ergebnis einer Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Arbeitnehmerseite und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse auf Arbeitgeberseite. Das umfasst den Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO und den aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährungsanspruch71, sowie die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen dargelegten Beweismittel72. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Sinn von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darin besteht, Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer durch bestimmte Verhaltenskontrollen des Arbeitgebers nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. Soweit die Norm – wenngleich kollektivrechtlich vermittelt – dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer diene, seien die Schutzzwecke von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und die zivilprozessualen Grundsätze über ein mögliches (Beweis-)Verwertungsverbot identisch. Sei demnach - was hier der Fall war – eine Informations- bzw. Beweisverwertung nach allgemeinen Grundsätzen zulässig, bestehe grundsätzlich auch kein darüberhinausgehendes Verwertungsverbot bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats oder bei einer nicht ausreichenden Einhaltung eines betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens. Dem ist zuzustimmen. Wichtig ist dies bereits deshalb, weil die zwar nach dem Gesetz erforderliche Beteiligung des Betriebsrats für den Arbeitgeber stets mit dem Risiko verbunden ist, dass etwaige Überwachungsmaßnahmen bekannt werden und der damit verfolgte Zweck durch Vorinformationen im betroffenen Personenkreis nicht mehr erreicht werden kann. (Ga/Kr)
71 BVerfG v. 30.4.2003 – 1 BAG v. 13.12.2007 – 2 Reitz, NZA 2017, 273, 276. 72 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, NJW 2002, 3619.
174
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist
5.
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen verweigerter Teilnahme an einem elektronischen Warn- und Berichtssystem
a)
Ausgangssituation
In seinem Urteil vom 17.11.201673 hat sich der 2. Senat des BAG intensiv mit der außerordentlichen Kündigung eines Busfahrers wegen der Weigerung einer Teilnahme an einem System zur elektronischen Erfassung der individuellen Fahrweise beschäftigt. In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Arbeitgeber, ein Unternehmen des ÖPNV, im Jahre 2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz des sogenannten Ribas-Systems auf ihren Fahrzeugen abgeschlossen. Dieses System wertet elektronisch Fahrereignisse aus und informiert die Busfahrer durch eine Warnleuchte über hochtouriges Fahren, Leerlaufzeitüberschreitungen, scharfes Bremsen, überhöhte Beschleunigung und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Daten werden aufgezeichnet und gespeichert. Der Kläger stimmte allerdings einer Teilnahme am personalisierten Berichts- und Prämiensystem ebenso wenig zu, wie der anonymisierten Verwendung des sogenannten Ribas-Schlüssels. Die Beklagte sprach deshalb drei Abmahnungen aus, die allerdings jeweils fruchtlos blieben. Dies nahm die Beklagte dann schlussendlich aber zum Anlass, um nach Anhörung des Betriebsrats eine außerordentliche (fristlose) Kündigung, hilfsweise eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist auszusprechen, die der für den Kläger bei einer ordentlichen Kündigung geltenden Kündigungsfrist entsprach. Eine ordentliche Kündigung war wegen seines Alters und der Betriebszugehörigkeit kraft Tarifvertrags ausgeschlossen. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens hat das BAG für die betriebliche Praxis wichtige Klarstellungen in Bezug auf die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen einer etwaigen Pflichtverletzung trotz tarifvertraglichem Sonderkündigungsschutz getroffen.
b)
Pflichtverletzung als wichtiger Grund
Voraussetzung für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ist nach § 626 Abs. 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Grundsätzlich liegt dieser nur dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichti-
73
BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394.
175
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gung aller Umstände des Einzelfalls – objektiv – nicht zumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Unabhängig davon kann ein pflichtwidriges Verhalten, das bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, unter Umständen allerdings gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer auch einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber darstellen. Darauf weist das BAG in seinem Urteil vom 17.11.201674 ausdrücklich hin. Bei einer solchen Situation wirke sich der Sonderkündigungsschutz zwar zum Nachteil des Arbeitnehmers aus. Dies sei jedoch im Begriff des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB angelegt. Dieser richte sich nach der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs müsse in einem solchen Fall allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven (ordentlichen) Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht (mehr) gekündigt werden könne, dürfe im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele75. Eine solche Kündigung hatte die Beklagte jedenfalls hilfsweise ausgesprochen.
c)
Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage einer Pflicht zur Nutzung eines Systems zur Erfassung personenbezogener Daten
Nach Auffassung des BAG hatte der Kläger mit seiner Weigerung eine durch die Betriebsvereinbarung begründete Pflicht zur Teilnahme an dem RibasSystem in beharrlicher Weise verletzt. Denn die Betriebsvereinbarung sah vor, dass jeder Busfahrer – individualisiert oder anonymisiert – bei der Nutzung der Busse eine Erfassung seiner Fahrweise durch die Verwendung des Ribas-Schlüssels freigeben müsse. Diese durch die Betriebsvereinbarung begründete Pflicht sei auch mit den Vorgaben zum Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis vereinbar, wie sie
74 75
176
BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394 Rz. 21. BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394 Rz. 21 – 2 AZR 531/14, BB 2015, 2682 Rz. 44.
13.5.2015
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist
derzeit in § 32 BDSG (künftig: § 26 BDSG76) bestimmt würden. Daher bedürfe es keiner Entscheidung, ob auch allein die Regelungen der Betriebsvereinbarung eine die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung gestattende Rechtsvorschrift i. S. d. § 4 Abs. 1 BDSG sein können. Hiervon wäre allerdings sowohl nach der heutigen als auch der künftigen Rechtslage auszugehen77. Vorliegend war trotz einer Anonymisierung der personenbezogenen Daten bei der Nutzung des Ribas-Systems von einer Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auszugehen. Denn diese Anonymisierung war ohne großen Aufwand durch Hinzuziehung der Dienstpläne aufhebbar. Folgerichtig musste geprüft werden, ob die Erhebung und Verarbeitung der individuellen Fahrdaten im Zusammenhang mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers dienten und geeignet, erforderlich und angemessen gewesen war. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die Daten benutzt werden, um arbeitgeberseitige Pflichten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zu erfüllen. Vielmehr erlaubt § 32 BDSG (künftig: § 26 BDSG) eine solche Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten auch, um die im Zusammenhang mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses bestehenden Rechte des Arbeitgebers wahrzunehmen (z. B. Ausübung des Weisungsrechts, Leistungs- oder Verhaltenskontrolle)78. Nach den Feststellungen des BAG verfolgte der Arbeitgeber mit der Teilnahme seiner Busfahrer am Ribas-System das berechtigte Interesse, diese zu einer vorausschauenden und sparsamen Fahrweise anzuhalten. Die damit verbundenen Ziele einer Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs sowie einer Steigerung der Kundenzufriedenheit seien nicht unbillig oder unrechtmäßig, sondern ökonomisch vernünftig und lägen zudem im ökologischen Interesse der Allgemeinheit. Die Teilnahme des Klägers an diesem System war auch erforderlich. Denn mit dem System sollten Durchschnittswerte ermittelt und bei erheblichen Abweichungen ein hierdurch begründeter Schulungsbedarf identifiziert werden. Eine freiwillige Teilnahme oder die Beschränkung auf eine elektronische Signalgebung unmittelbar im Anschluss an ein Fahrmanöver könne dieses Ziel ebenso wenig wie vorbeugende Schulungen erreichen. Da die Überwachung
76 77 78
B. Gaul, AktuellAR 2017, 22 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 22, 26. BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394 Rz. 25 ff., 29.
177
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
auch nur einzelne Fahrmanöver erfasse und dort grundsätzlich nur der Ermittlung von Durchschnittswerten diene, sei der mit dem System verbundene Eingriff in das Recht zur informationellen Selbstbestimmung auch angemessen. Hiervon ausgehend bestand für den Kläger die Pflicht, bei seinen Fahrten jedenfalls den anonymisierten Schlüssel für die Nutzung des Ribas-Systems zu verwenden.
d)
Bedeutung eines Rechtsirrtums für die Kennzeichnung des Verschuldens
Mit überzeugender Begründung ist das BAG in seinem Urteil vom 17.11.201679 davon ausgegangen, dass der Kläger diese Pflicht auch beharrlich und vorsätzlich verletzt hatte. Insbesondere sei er mit seiner These, dass die Teilnahme am Ribas-System datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht genüge, keinem unverschuldeten Rechtsirrtum unterlegen. Nach den Feststellungen des BAG bewirkt der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trage und es nicht dem Gläubiger aufbürden könne. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege deshalb nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei seien indes strenge Maßstäbe anzulegen. Es reiche nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen könne. Vielmehr liege ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ein normales Prozessrisiko entlaste ihn nicht80. In dem vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen nicht gegeben. Der Kläger hatte nicht nur eine fehlerhafte datenschutzrechtliche Bewertung vorgenommen. Er hatte an dieser Auffassung auch dann festgehalten, als ihn die Beklagte mehrfach auf ihre Sichtweise und den Umstand hingewiesen hatte, dass der Landesdatenschutzbeauftragte in die Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung einbezogen gewesen sei.
79 80
178
BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394 Rz. 36 ff. Ebenso BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 43 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NZA 2014, 533 Rz. 34.
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers
e)
Fazit
Mit dieser Entscheidung des BAG wird deutlich, dass die außerordentliche (verhaltensbedingte) Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers auch dann zulässig sein kann, wenn eine außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne diesen Sonderkündigungsschutz nicht hätte erfolgen dürfen. Voraussetzung ist allerdings, dass die in Rede stehende Pflichtverletzung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum vereinbarten Vertragsende – ggf. bis zum Erreichen der Altersgrenze – auch unter Berücksichtigung der Interessen des betroffenen Arbeitnehmers für den Arbeitgeber nicht zumutbar macht. Hiervon ist das BAG im streitgegenständlichen Fall ausgegangen. Um zu vermeiden, dass der Arbeitnehmer schlechter gestellt wird, als er stünde, wenn noch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses hätte erfolgen können, muss die außerordentliche Kündigung allerdings mit einer (notwendigen) Auslauffrist erklärt werden, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspricht. Diese Differenzierung zwischen der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung und der außerordentlichen Kündigung mit einer notwendigen Auslauffrist muss bereits in der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG erkennbar werden. Dort hat der Betriebsrat dann auch alle Handlungsoptionen, wie sie auch bei der Anhörung zu einer ordentlichen Kündigung gegeben wären. (Ga)
6.
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers
Die Eigenschaft als schwerbehindert entsteht kraft Gesetzes, wenn die in § 2 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen. Der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes nach §§ 2 Abs. 2, 69 SGB IX hat keine rechtsbegründende, sondern lediglich eine deklaratorische Bedeutung. Nachgewiesen ist damit die Schwerbehinderteneigenschaft auch dann, wenn die Behinderung offenkundig ist81. Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung des Arbeitgebers bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens mehr als drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt (§ 90 Abs. 2 a i. V. m. §§ 69 Abs. 1 S. 2, 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX), steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB
81 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 Rz. 17.
179
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers
e)
Fazit
Mit dieser Entscheidung des BAG wird deutlich, dass die außerordentliche (verhaltensbedingte) Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers auch dann zulässig sein kann, wenn eine außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne diesen Sonderkündigungsschutz nicht hätte erfolgen dürfen. Voraussetzung ist allerdings, dass die in Rede stehende Pflichtverletzung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum vereinbarten Vertragsende – ggf. bis zum Erreichen der Altersgrenze – auch unter Berücksichtigung der Interessen des betroffenen Arbeitnehmers für den Arbeitgeber nicht zumutbar macht. Hiervon ist das BAG im streitgegenständlichen Fall ausgegangen. Um zu vermeiden, dass der Arbeitnehmer schlechter gestellt wird, als er stünde, wenn noch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses hätte erfolgen können, muss die außerordentliche Kündigung allerdings mit einer (notwendigen) Auslauffrist erklärt werden, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspricht. Diese Differenzierung zwischen der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung und der außerordentlichen Kündigung mit einer notwendigen Auslauffrist muss bereits in der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG erkennbar werden. Dort hat der Betriebsrat dann auch alle Handlungsoptionen, wie sie auch bei der Anhörung zu einer ordentlichen Kündigung gegeben wären. (Ga)
6.
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers
Die Eigenschaft als schwerbehindert entsteht kraft Gesetzes, wenn die in § 2 SGB IX genannten Voraussetzungen vorliegen. Der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes nach §§ 2 Abs. 2, 69 SGB IX hat keine rechtsbegründende, sondern lediglich eine deklaratorische Bedeutung. Nachgewiesen ist damit die Schwerbehinderteneigenschaft auch dann, wenn die Behinderung offenkundig ist81. Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung des Arbeitgebers bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens mehr als drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt (§ 90 Abs. 2 a i. V. m. §§ 69 Abs. 1 S. 2, 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX), steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB
81 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 Rz. 17.
179
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
IX auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung keine Kenntnis hatte82. Danach bedürfen Kündigungen von schwerbehinderten Menschen (oder Gleichgestellten) gemäß §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, nach der Rechtsprechung des BAG83 der Verwirkung (§ 242 BGB). Nach bisher hierzu vom BAG aufgestellten Grundsätzen muss sich der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Nachdem der Arbeitnehmer seit dem 1.1.200484 auch die sonstigen Unwirksamkeitsgründe einschließlich der Schwerbehinderung innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG gerichtlich geltend machen muss, hat das BAG85 aus Gründen der Gleichbehandlung der Unwirksamkeitsgründe für eine Kündigung des Arbeitgebers eine Verwirkung des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte auch dann verneint, wenn der Arbeitnehmer die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft mit der rechtzeitigen Klageerhebung nach § 4 S. 1 KSchG verbunden hat. Damit wurde dem Arbeitgeber zugemutet, über die dreiwöchige Klageerhebungsfrist hinaus die erforderliche Zeit für die Zustellung der Klage hinnehmen zu müssen (§ 167 ZPO), ohne den Verwirkungseinwand erheben zu können. In der Entscheidung vom 22.9.2016 war der 2. Senat des BAG86 erneut mit der Frage befasst, ob der Kläger seinen Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch verwirkt hat, weil er sich erstmalig nach Zugang der Kündigung mit einem Schreiben an den Arbeitgeber auf seine Schwerbehinderung berufen hatte, das diesem erst einen Tag nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist zugegangen war. Gegen die rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers, in der dieser die Unwirksamkeit der Kündigung mit der fehlenden 82 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 20 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, NZA 2011, 411 Rz. 16. 83 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, NZA 2011, 411 Rz. 16 BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055 Rz. 35 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035 Rz. 16. 84 Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 BGBl. I 2003, 3002. 85 BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, NZA 2011, 411 Rz. 21. 86 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684.
180
Sonderkündigungsschutz des unbekannt schwerbehinderten Arbeitnehmers
Zustimmung des Integrationsamts begründete, verteidigte sich die Beklagte damit, mangels Kenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei Ausspruch der Kündigung hätte ihr dieser binnen drei Wochen die Schwerbehinderung mitteilen müssen, um sich auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamts berufen zu können. Zunächst wiederholt das BAG im Hinblick auf die Frage der Verwirkung des Schwerbehindertenschutzes seine bisherige Auffassung, dass als Maßstab für die Rechtzeitigkeit der Geltendmachung der Schwerbehinderteneigenschaft seit der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 von der Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG auszugehen ist87. Begründungsansatz bildet dabei die Erwägung, dass der Arbeitnehmer binnen dieser Frist entscheiden muss, ob er gegen die Kündigung vorgehen will, sodass ihm dieser Zeitraum grundsätzlich auch für die Entscheidung zur Verfügung steht, ob er sich auf eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwerbehinderteneigenschaft berufen möchte. Diesem Zeitraum von drei Wochen nach Zugang der Kündigung will allerdings das BAG nunmehr die Zeitspanne hinzurechnen, innerhalb derer der Arbeitnehmer den Zugang der Mitteilung über den bestehenden Sonderkündigungsschutz beim Arbeitgeber zu bewirken hat. Hierbei darf es dem Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er – etwa zu Beweiszwecken – eine schriftliche Information wählt. Damit verlässt das BAG die starre Grenze der Drei-Wochen-Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber über die Schwerbehinderteneigenschaft in Kenntnis gesetzt sein muss und verlängert diese um eine zusätzliche Zeitspanne für die postalische Übermittlung. Da die per Post übersandte Mitteilung des Klägers über seine Schwerbehinderung im Streitfall bereits am Tag nach Ablauf der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG bei der Beklagten vorlag, war die vom BAG hinzuzurechnende Zeitspanne noch nicht überschritten, sodass der Kläger den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen noch nicht verwirkt hatte. Angesichts dessen sah sich das BAG auch nicht veranlasst, zu konkretisieren, welche Zeitspanne noch als angemessen anzusehen ist, um den Zugang der Information über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nach § 85 SGB IX beim Arbeitgeber zu bewirken.
87 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 22.
181
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Gleichzeitig ändert das BAG seine bisherige Rechtsprechung insofern, dass allein die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft in der rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage den Verwirkungseinwand des Arbeitgebers im Hinblick auf § 167 ZPO nicht mehr ausschließt, wenn die Zustellung außerhalb der für eine unmittelbare Übermittlung an den Arbeitgeber zuzugestehenden Zeitspanne erfolgt. (Boe)
7.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen
Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde88, sind die arbeitsrechtlich relevanten Änderungen des SGB IX durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung bereits am 30.12.2016 in Kraft getreten89. Mit der Änderung von § 95 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX) sind zwar die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit Maßnahmen, die einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer betreffen, nicht verändert worden. Ihre Nichtbeachtung führt aber zur Unwirksamkeit einer Kündigung. Darüber hinaus kann ein entsprechendes Verhalten des Arbeitgebers als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, soweit die initiale Unterrichtung und die Anhörung im Vorfeld der Entscheidung betroffen sind (§ 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX). Konkret bestimmt § 95 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX: Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. … Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.
Die gesetzliche Regelung, die auch während der Probezeit gilt90, ist von ihrem Zweck sinnvoll, aber – vielleicht auch wegen der fehlenden Beratung im Ausschuss für Arbeit und Soziales – völlig unbestimmt und bewirkt, dass Kündigungen schwerbehinderter Arbeitnehmer mit einem ganz erheblichen Risiko verbunden sind. Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit ist allerdings, dass der
88 89 90
182
B. Gaul, AktuellAR 2017, 21 f. BGBl. I 2016, 3234, 3307 ff. Bayreuther, NZA 2017, 87, 88.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Gleichzeitig ändert das BAG seine bisherige Rechtsprechung insofern, dass allein die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft in der rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage den Verwirkungseinwand des Arbeitgebers im Hinblick auf § 167 ZPO nicht mehr ausschließt, wenn die Zustellung außerhalb der für eine unmittelbare Übermittlung an den Arbeitgeber zuzugestehenden Zeitspanne erfolgt. (Boe)
7.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen
Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde88, sind die arbeitsrechtlich relevanten Änderungen des SGB IX durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung bereits am 30.12.2016 in Kraft getreten89. Mit der Änderung von § 95 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX (ab 1.1.2018: § 178 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX) sind zwar die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit Maßnahmen, die einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer betreffen, nicht verändert worden. Ihre Nichtbeachtung führt aber zur Unwirksamkeit einer Kündigung. Darüber hinaus kann ein entsprechendes Verhalten des Arbeitgebers als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, soweit die initiale Unterrichtung und die Anhörung im Vorfeld der Entscheidung betroffen sind (§ 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX). Konkret bestimmt § 95 Abs. 2 S. 1, 3 SGB IX: Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. … Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.
Die gesetzliche Regelung, die auch während der Probezeit gilt90, ist von ihrem Zweck sinnvoll, aber – vielleicht auch wegen der fehlenden Beratung im Ausschuss für Arbeit und Soziales – völlig unbestimmt und bewirkt, dass Kündigungen schwerbehinderter Arbeitnehmer mit einem ganz erheblichen Risiko verbunden sind. Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit ist allerdings, dass der
88 89 90
182
B. Gaul, AktuellAR 2017, 21 f. BGBl. I 2016, 3234, 3307 ff. Bayreuther, NZA 2017, 87, 88.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen
Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung hat. Ist das nicht der Fall, kann § 95 SGB IX wie die fehlende Zustimmung des Integrationsamts nach §§ 85 ff. SGB IX nur zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zuzüglich einer notwendigen Zeit für die Zustellung dieser Mitteilung dem Arbeitgeber diese Kenntnis verschafft. Wir hatten auf die aktuelle Rechtsprechungsänderung in Bezug auf diese Frist für eine Verwirkung des besonderen Kündigungsschutzes an anderer Stelle hingewiesen91. Zunächst einmal dürfte kein Streit über die Frage bestehen, dass die Beteiligung nach § 95 SGB IX vor der Einleitung des Verfahrens beim Integrationsamt beginnen muss, in dem gemäß §§ 85 ff. SGB IX um Zustimmung zur Kündigung gebeten wird. Die Beteiligung nach § 95 SGB IX vollzieht sich allerdings in drei Schritten. Erst nach Anhörung der Schwerbehindertenvertretung (zweiter Schritt) sollte das Verfahren beim Integrationsamt und die Anhörung des Betriebsrats eingeleitet werden. Parallel dazu kann dann der dritte Schritt vollzogen werden, damit nach Abschluss des Verfahrens des Integrationsamts auch fristgerecht eine Kündigung erklärt werden kann: In einem ersten Schritt vor einer Entscheidung über eine Kündigung muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichten und zu seiner Absicht einer Kündigung anhören. Inhaltlich entspricht die Anhörung § 102 BetrVG92, allerdings muss sie dem Umstand Rechnung tragen, dass der Arbeitgeber sich noch in konkreten Vorüberlegungen in Bezug auf die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers befindet93. Denkbar ist sogar, dass er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, ob es am Ende tatsächlich zu der Kündigung eines Schwerbehinderten bzw. der Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers mit einer Schwerbehinderung kommt. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass die Auswahlentscheidung, die bei einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl zu treffen ist, noch nicht vollzogen sein muss. Weitergehend: Da die Unterrichtung – vergleichbar mit § 106 BetrVG - unverzüglich erfolgen muss, sobald ernstzunehmende Vorüberlegungen bestehen, wird man sie parallel zu den Verhandlungen über den Interessenausgleich einleiten müssen. Dies kann zur Folge haben, dass die Maßnahme insgesamt noch verändert wird. Folgerichtig muss sie auch parallel zu § 94 Abs. 1 SGB IX erfolgen.
91 92 93
Boewer, AktuellAR 2017, 179 ff. Vgl. Kleinebrink, DB 2017, 126 Klein, NJW 2017, 852, 854 f. Abw. Bayreuther, NZA 2017, 87, 89, der in § 95 SGB IX nur eine abgeschwächte Unterrichtungspflicht sieht. Wortlaut und Zweck des Gesetzes lassen das aber nicht erkennen, so dass er richtigerweise empfiehlt, vorsorglich umfassend zu unterrichten.
183
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Im Anschluss an diese Unterrichtung muss in einem zweiten Schritt eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen. Die Schwerbehindertenvertretung kann also eine Stellungnahme abgeben, die der Arbeitgeber bei seiner noch bevorstehenden Entscheidung über die Kündigung zu berücksichtigen hat. Das macht deutlich, dass die Entscheidung zur Kündigung – anders als bei § 102 BetrVG – bei § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen wurde. Problematisch ist, dass das Gesetz keine Frist nennt, nach der die Anhörung abgeschlossen ist. Auch wenn es sinnvoll erscheint, hier jedenfalls in der Privatwirtschaft die 3-Tages-Frist (außerordentliche (fristlose) Kündigung) bzw. die Wochenfrist (ordentliche Kündigung) des § 102 BetrVG analog anzuwenden94, empfiehlt es sich, der Schwerbehindertenvertretung selbst eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu setzen, die den Wertentscheidungen des § 102 BetrVG Rechnung trägt. Das entspricht auch der früheren Sichtweise zu § 95 SGB IX, die eine 7-Tages-Frist für anwendbar hielt95. In diesem Fall würde die Frist aber erst am 8. Tag nach der Unterrichtung ablaufen, also einen Tag länger dauern, als dies bei § 102 BetrVG der Fall ist. Diese Aufforderung sollte mit dem Hinweis verbunden sein, dass der Arbeitgeber mit Ablauf der Frist davon ausgeht, dass keine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung erfolgt und das Verfahren nach § 95 Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz SGB IX damit abgeschlossen ist. Wenn der Arbeitgeber nach Abschluss des Anhörungsverfahrens die Entscheidung trifft, die Kündigung tatsächlich aussprechen zu wollen, muss die Schwerbehindertenvertretung im einem dritten Schritt über die getroffene Entscheidung unverzüglich unterrichtet werden. Die Entscheidung kann durch den Arbeitgeber auch unmittelbar nach Abschluss des Anhörungsverfahrens getroffen und der Schwerbehindertenvertretung mitgeteilt werden. Allerdings sollte dafür Sorge getragen werden, dass der Abschluss der Anhörung, die Entscheidung und die Mitteilung der Entscheidung so dokumentiert werden, dass im Kündigungsschutzverfahren der notwendige Beweis geführt werden kann. Dafür sollte die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung, für die keine Formerfordernisse gelten, jeweils schriftlich erfolgen. Wegen des Zugangs dieser Unterrichtung gilt § 130 BGB96. Die Praxis muss die hier in Rede stehende Beteiligung der Schwerbehinderung bei allen individual- und kollektivrechtlichen Sachverhalten, die zu der
94 95 96
184
So Grimm/Freh Bayreuther, NZA 2017, 87, 90. BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 574/12, ZTR 2014, 175 Rz. 36. Kleinebrink, DB 2017, 126, 129.
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte
Kündigung eines Schwerbehinderten oder eines Gleichgestellten führen können, in die Checklisten aufnehmen und ihre frühzeitige Umsetzung gewährleisten. Wichtig ist, dass die Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG bei solchen Kündigungen hiervon unberührt bleibt. Dabei können die Unterlagen genutzt werden, die für die Schwerbehindertenvertretung erstellt wurden, zumal diese vor dem Betriebsrat zu beteiligen ist. (Ga)
8.
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte
a)
Wirkungsweise des Tarifvorbehalts aus § 77 Abs. 3 BetrVG
Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Tarifvertrag selbst den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Unerheblich dabei ist, ob der Arbeitgeber selbst an den jeweils in Rede stehenden Tarifvertrag gebunden ist97. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den sonstigen Arbeitsbedingungen i. S. d. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht nur materielle Arbeitsbedingungen, die den Umfang der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers betreffen. Vielmehr sind alle Regelungen einzubeziehen, die als Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen nach § 1 TVG den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen. Die gesetzliche Bestimmung diene der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie wolle verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen hätten, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – in Betriebsvereinbarungen geregelt würden. Eine Betriebsvereinbarung solle weder als normative Ersatzregelung für nicht organisierte Arbeitnehmer noch als Grundlage für übertarifliche Leistungen dienen. Auch günstigere Betriebsvereinbarungen seien unwirksam. Falle ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und personellen Geltungsbereich eines Tarifvertrags oder einer tarifüblichen Regelung, seien die Betriebsparteien deshalb gehindert, tariflich normierte Gegenstände bzw. üblicherweise normierte Gegenstände in einer Betriebsvereinbarung zu regeln98. 97 98
BAG v. 13.3.2012 – 1 AZR 659/10, NZA 2012, 990 Rz. 20. BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 16 BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18 Rz. 34 f.
185
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte
Kündigung eines Schwerbehinderten oder eines Gleichgestellten führen können, in die Checklisten aufnehmen und ihre frühzeitige Umsetzung gewährleisten. Wichtig ist, dass die Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG bei solchen Kündigungen hiervon unberührt bleibt. Dabei können die Unterlagen genutzt werden, die für die Schwerbehindertenvertretung erstellt wurden, zumal diese vor dem Betriebsrat zu beteiligen ist. (Ga)
8.
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte
a)
Wirkungsweise des Tarifvorbehalts aus § 77 Abs. 3 BetrVG
Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Tarifvertrag selbst den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Unerheblich dabei ist, ob der Arbeitgeber selbst an den jeweils in Rede stehenden Tarifvertrag gebunden ist97. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den sonstigen Arbeitsbedingungen i. S. d. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht nur materielle Arbeitsbedingungen, die den Umfang der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers betreffen. Vielmehr sind alle Regelungen einzubeziehen, die als Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen nach § 1 TVG den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen. Die gesetzliche Bestimmung diene der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie wolle verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen hätten, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – in Betriebsvereinbarungen geregelt würden. Eine Betriebsvereinbarung solle weder als normative Ersatzregelung für nicht organisierte Arbeitnehmer noch als Grundlage für übertarifliche Leistungen dienen. Auch günstigere Betriebsvereinbarungen seien unwirksam. Falle ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und personellen Geltungsbereich eines Tarifvertrags oder einer tarifüblichen Regelung, seien die Betriebsparteien deshalb gehindert, tariflich normierte Gegenstände bzw. üblicherweise normierte Gegenstände in einer Betriebsvereinbarung zu regeln98. 97 98
BAG v. 13.3.2012 – 1 AZR 659/10, NZA 2012, 990 Rz. 20. BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 16 BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18 Rz. 34 f.
185
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Missachtet eine Betriebsvereinbarung die Regelungssperre aus § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, ist sie von Anfang an unwirksam. Tritt eine entsprechende Tarifbestimmung erst später in Kraft oder kann sie erst dann als übliche Tarifregelung qualifiziert werden, bewirkt dies zu diesem Zeitpunkt die entsprechende Rechtsfolge. Die betriebliche Regelung wird dann – ex nunc – unwirksam99.
b)
Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung zum Sonderkündigungsschutz
Mit seinem Urteil vom 26.1.2017100 hat der 2. Senat des BAG die vorstehenden Grundsätze auf eine Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte angewendet und deren Unwirksamkeit festgestellt. Dies entspricht seinen Feststellungen im Urteil vom 18.3.2010101. In dem zugrundeliegenden Fall war die Klägerin von einer betriebsbedingten Kündigung als Folge einer Fremdvergabe der in einer Telefonzentrale verrichteten Arbeiten betroffen. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens machte sie geltend, dass die Kündigung im Widerspruch zu einer Betriebsbzw. Dienstvereinbarung stünde, nach der Mitarbeiter/innen, die mehr als 20 Jahre ununterbrochen in der Bank tätig gewesen sind, nur aus einem in ihrer Person liegenden wichtigen Grund gekündigt werden können. Der Arbeitgeber machte geltend, dass diese Betriebsvereinbarung mit dem Tarifvorbehalt in § 77 Abs. 3 BetrVG nicht vereinbar sei. Denn in § 17 Nr. 3 des Manteltarifvertrags für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV), in dessen Geltungsbereich der Betrieb falle, sei festgelegt worden, dass Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet hätten und dem Betrieb mindestens 15 Jahre angehörten, nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen i. S. d. § 111 BetrVG kündbar seien. Das BAG hat sich der Sichtweise des Arbeitgebers angeschlossen. Sowohl die Betriebsvereinbarung als auch der MTV regelten einen Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmer, die eine bestimmte Beschäftigungsdauer erreicht hätten. Auch wenn die Betriebsvereinbarung den Sonderkündigungsschutz nicht auch noch an das Lebensalter knüpfe, trete sie in Konkurrenz zum Tarifvertrag. Das habe nach § 77 Abs. 3 BetrVG ihre Unwirksamkeit zur Folge.
99
BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 16 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, NZA 2009, 1097 Rz. 47. 100 BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 17 ff. 101 BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18 Rz. 36.
186
Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte
Soweit im Tarifvertrag festgelegt worden war, dass günstigere Arbeitsbedingungen, auf die ein Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung oder kraft eines besonderen Arbeitsvertrags Anspruch hat, bestehen bleiben, konnte dies nach Auffassung des 2. Senat des BAG nicht als Öffnungsklausel verstanden werden. Vielmehr bewirke die Tarifregelung nur, dass Ansprüche, die einzelne Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags bereits erworben hatten, auch bei einer Regelung durch Betriebsvereinbarung nicht entfallen. Auswirkungen auf den hier in Rede stehenden Sonderkündigungsschutz habe dies aber nur dann, wenn – was bei der Klägerin nicht der Fall war – der Sonderkündigungsschutz als Konsequenz einer zwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrags bereits bestanden hatte. Da es sich bei der Regelung zum Sonderkündigungsschutz auch nicht um eine Sozialplanregelung handelte, konnte auch § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG nicht zugunsten der Klägerin nutzbar gemacht werden. Danach ist die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht anzuwenden, wenn und soweit Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Sozialplan Regelungen zum Ausgleich bzw. zur Milderung von Nachteilen treffen, die Arbeitnehmern infolge einer geplanten Betriebsänderung entstehen. Dem wird man auch mit einer abstrakt-generellen Betrachtungsweise zustimmen können. Denn Regelungen zum Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer können allenfalls die Gefahr einer künftigen Betriebsänderung einschränken. Ein Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile einer Betriebsänderung zum Zeitpunkt des Abschlusses solcher Regelungen ist damit nicht verbunden. Damit könnten sie allenfalls zum Inhalt eines Interessenausgleichs gemacht werden. Versteht man ihn mangels anderweitiger Vereinbarung richtigerweise als Naturalobligation, steht er der Wirksamkeit von Kündigungen zwar nicht entgegen, bewirkt aber einen Nachteilsausgleichsanspruch der davon betroffenen Arbeitnehmer.
c)
Verbot treuwidrigen Verhaltens
Deutlich hat das BAG auch den Vorwurf abgelehnt, dass der Arbeitgeber gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße, wenn er sich auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung berufe. Der Einwand, der Beklagten müsse es aufgrund ihres Verhaltens nach § 242 BGB verwehrt sein, sich auf die Unwirksamkeit als normative Regelung zu berufen, liege – so das BAG – „neben der Sache“. Der Tarifvorrang bezwecke ausschließlich den Schutz der Tarifvertragsparteien vor konkurrierenden Dienst- oder Betriebsvereinbarungen. Die Koalitionen bedürften des Schutzes auch – und gerade –
187
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
dann, wenn eine Betriebspartei „sehenden Auges“ gegen die Regelungssperre verstoßen sollte102.
d)
Umdeutung in eine Gesamtzusage
Abschließend hat das BAG in seinem Urteil vom 26.1.2017103 zwar noch einmal bestätigt, dass es grundsätzlich nicht ausgeschlossen sei, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umzudeuten. Das komme jedoch nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigten, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser Betriebsvereinbarung vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen könne, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage werde, lediglich einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich sei. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf diese Weise auf Dauer einzelvertraglich zu binden, könne deshalb nur in Ausnahmefällen angenommen werden104. Anhaltspunkte für einen solchen Regelungswillen des Arbeitgebers hat das BAG in dem seiner Entscheidung zugrundeliegenden Fall indes abgelehnt. Dies gelte auch dann, wenn man berücksichtige, dass bereits im Hinblick auf eine Vorgängerregelung Hinweise der Rechtsabteilung erfolgt waren, die Zweifel an der Zulässigkeit der Regelung geltend machten. Dies gelte umso mehr, als die Beklagte auch unter Berücksichtigung dieser Hinweise erneut den Weg einer Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung gewählt hatte. Auch der Umstand, dass im Zusammenhang mit einer Umwandlung von der kollektiv-rechtlichen Fortgeltung der Betriebsvereinbarung die Rede war, lasse nicht erkennen, dass die Beklagte sich ggf. auch einzelvertraglich binden wollte und ein solcher Wille auch nicht darin zum Ausdruck komme, dass bei Neueinstellungen die Geltung dieser Betriebsvereinbarung ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Selbst wenn eine entsprechende Regelung erfolgt sei, um in Bezug auf diesen Personenkreis die Entstehung einer Gesamtzusage zu
102 BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 24. 103 BAG v. 26.1.2017 – 2 AZR 405/16, NZA 2017, 522 Rz. 27. 104 Ebenso BAG v. 23.2.2016 – 3 AZR 960/13, NZA 2016, 642 Rz. – 1 AZR 137/11, NJW-Spezial 2012, 692 Rz. 21.
188
BAG v. 19.6.2012
Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit
verhindern, bringe dies nicht zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber für die bereits beschäftigten Arbeitnehmer eine Gesamtzusage erteilen wolle.
e)
Vorliegen einer betrieblichen Übung
Zu Recht hat das BAG auch das Vorliegen einer betrieblichen Übung abgelehnt. Zum einen sei nicht erkennbar, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin in der Vergangenheit (nur) im Hinblick auf einen derartigen Sonderkündigungsschutz auf den Ausspruch ordentlicher Kündigungen verzichtet hätte. Insoweit habe es bereits an der Abgabe eines annahmefähigen Angebots gefehlt, das die Arbeitnehmer hätten stillschweigend annehmen können. Im Übrigen aber hätte die Beklagte mit einem entsprechenden Verhalten aus Sicht der Arbeitnehmer lediglich zum Ausdruck gebracht, die jeweilige Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung vollziehen zu wollen. Räumt der Arbeitgeber indes Begünstigungen ein, die erkennen lassen, dass damit (bestehende) Kollektivvereinbarungen erfüllt werden sollen, kann das selbst dann nicht das für eine betriebliche Übung erforderliche Vertrauen in die Begründung eines einzelvertraglichen Anspruchs legitimieren, wenn die Kollektivvereinbarung unwirksam ist.
f)
Fazit
Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Aus juristischer Sicht ist damit eine Vielzahl von Betriebsvereinbarungen, durch die Arbeitnehmern Sonderkündigungsschutz ohne das Vorliegen einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel eingeräumt wird, unwirksam. Ungeachtet dessen dürfte sich die betriebliche Praxis schwertun, das darin auch gegenüber den Betriebsräten begründete Vertrauen in den Schutz des Bestands von Arbeitsverhältnissen auf einer formal-juristischen Ebene zu beseitigen. (Ga)
9.
Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit
Abweichend von der Grundkündigungsfrist in § 622 Abs. 1 BGB und den als Folge zunehmender Betriebszugehörigkeit verlängerter Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB kann das Arbeitsverhältnis nach § 622 Abs. 3 BGB während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Mit Urteil vom 23.3.2017105 hat das BAG klargestellt, dass diese Kündigungsfrist von zwei Wochen wechselseitig auch dann genutzt werden kann, wenn
105 BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 705/15 n. v.
189
Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit
verhindern, bringe dies nicht zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber für die bereits beschäftigten Arbeitnehmer eine Gesamtzusage erteilen wolle.
e)
Vorliegen einer betrieblichen Übung
Zu Recht hat das BAG auch das Vorliegen einer betrieblichen Übung abgelehnt. Zum einen sei nicht erkennbar, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin in der Vergangenheit (nur) im Hinblick auf einen derartigen Sonderkündigungsschutz auf den Ausspruch ordentlicher Kündigungen verzichtet hätte. Insoweit habe es bereits an der Abgabe eines annahmefähigen Angebots gefehlt, das die Arbeitnehmer hätten stillschweigend annehmen können. Im Übrigen aber hätte die Beklagte mit einem entsprechenden Verhalten aus Sicht der Arbeitnehmer lediglich zum Ausdruck gebracht, die jeweilige Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung vollziehen zu wollen. Räumt der Arbeitgeber indes Begünstigungen ein, die erkennen lassen, dass damit (bestehende) Kollektivvereinbarungen erfüllt werden sollen, kann das selbst dann nicht das für eine betriebliche Übung erforderliche Vertrauen in die Begründung eines einzelvertraglichen Anspruchs legitimieren, wenn die Kollektivvereinbarung unwirksam ist.
f)
Fazit
Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Aus juristischer Sicht ist damit eine Vielzahl von Betriebsvereinbarungen, durch die Arbeitnehmern Sonderkündigungsschutz ohne das Vorliegen einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel eingeräumt wird, unwirksam. Ungeachtet dessen dürfte sich die betriebliche Praxis schwertun, das darin auch gegenüber den Betriebsräten begründete Vertrauen in den Schutz des Bestands von Arbeitsverhältnissen auf einer formal-juristischen Ebene zu beseitigen. (Ga)
9.
Abgekürzte Kündigungsfrist in der Probezeit
Abweichend von der Grundkündigungsfrist in § 622 Abs. 1 BGB und den als Folge zunehmender Betriebszugehörigkeit verlängerter Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB kann das Arbeitsverhältnis nach § 622 Abs. 3 BGB während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Mit Urteil vom 23.3.2017105 hat das BAG klargestellt, dass diese Kündigungsfrist von zwei Wochen wechselseitig auch dann genutzt werden kann, wenn
105 BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 705/15 n. v.
189
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
hierzu keine ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag getroffen wurde. Es genügt, dass der Arbeitsvertrag eine Probezeit vorsieht, deren Dauer sechs Monate nicht übersteigt. Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitsvertrag keine sonstigen Regelungen enthält, aus denen geschlossen werden kann, dass für eine Kündigung auch während der Probezeit eine vom Gesetz abweichende Frist gelten soll. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Kläger ab April 2014 bei der Beklagten als Flugbegleiter beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag, den die Beklagte vorformuliert hatte, war in § 1 pauschal bestimmt worden, dass sich die Rechte und Pflichten der Parteien nach einem Manteltarifvertrag richteten. Dieser sah – vergleichbar mit § 622 Abs. 3 BGB – während der Probezeit besondere Kündigungsfristen vor. Eine solche Probezeit war dann auch in § 3 des Arbeitsvertrags für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses bestimmt worden. Gleichzeitig aber enthielt § 8 des Arbeitsvertrags, der mit „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben war, ohne Bezugnahme auf §§ 1, 3 des Arbeitsvertrags eine Klausel, nach der eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Monatsende gelten sollte. Als der Kläger noch während der vereinbarten Probezeit am 5.9.2014 eine Kündigung zum 20.9.2014 erhielt, machte er geltend, dass die Beklagte dabei die Frist von sechs Wochen zum Monatsende hätte zur Anwendung bringen müssen. Aus dem Vertrag würde sich nicht ergeben, dass innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses eine kürzere Kündigungsfrist gelten solle. In Übereinstimmung mit dem LAG Düsseldorf hat der 2. Senat des BAG im Urteil vom 23.3.2017106 diese Sichtweise des Klägers bestätigt. Nach seinen Feststellungen waren die Bestimmungen des von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrags als AGB so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher, regelmäßig nichts rechtskundiger Arbeitnehmer verstehe. Aus Sicht eines solchen Arbeitnehmers lasse eine Vertragsgestaltung wie im Arbeitsvertrag der Partei nicht erkennen, dass dem Verweis auf den Manteltarifvertrag und der Vereinbarung einer Probezeit eine Bedeutung für Kündigungsfristen zukomme. Vielmehr sei nach Wortlaut und Systematik des Vertrags allein die Bestimmung einer sechswöchigen Kündigungsfrist maßgeblich, zumal sie in einer Regelung enthalten war die mit „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben wurde. Diese Kündigungsfrist sei dann auch für Kündigungen in der vereinbarten Probezeit maßgeblich.
106 BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 705/15 n. v.
190
Notwendigkeit einer erneuten Betriebsratsanhörung
Der Entscheidung ist ohne weiteres zuzustimmen. Dabei kann offenbleiben, ob sie auf die Unklarheitenregel in § 305 c Abs. 2 BGB, den überraschenden Charakter der mit der Bezugnahme auf den MTV bewirkten Vereinbarung einer besonderen Kündigungsfrist für die Dauer der Probezeit (§ 305 c Abs. 1 BGB) oder die fehlende Transparenz dieser Bezugnahmeklausel (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) gestützt wird. Wichtig ist, dass bei der Ausgestaltung solcher Arbeitsverträge deutlich gemacht wird, dass die verlängerte Kündigungsfrist erst im Anschluss an die Probezeit zur Anwendung kommen soll. (Ga)
10. Notwendigkeit einer erneuten Betriebsratsanhörung Der 2. Senat des BAG hat die Entscheidung vom 22.9.2016107, die wir mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen an anderer Stelle berichtet haben108, zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG weiter zu präzisieren. Zunächst bleibt es dabei, dass der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG grundsätzlich subjektiv determiniert ist. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren109. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung unter Berücksichtigung des subjektiven Kenntnisstandes des Arbeitgebers auch objektiv determiniert. Diese für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats maßgebenden Unterrichtungspflichten ergänzt das BAG110 dahingehend, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat auf eine vor Zugang der Kündigung veränderte Sachlage hinzuweisen hat, wenn die Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG anderenfalls irreführend wäre, was bei einer wesentlichen Änderung des maßgeblich dargestellten Sachverhalts auch dann gilt, wenn das Anhörungsverfahren bereits abgeschlossen war. Im Streitfall scheiterte daran die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitgebers, weil dieser vor dem Termin beim Integrationsamt den Betriebsrat aus
107 108 109 110
BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 33. B. Gaul, AktuellAR 2017, 179 ff. BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99 Rz. 19. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 33.
191
Notwendigkeit einer erneuten Betriebsratsanhörung
Der Entscheidung ist ohne weiteres zuzustimmen. Dabei kann offenbleiben, ob sie auf die Unklarheitenregel in § 305 c Abs. 2 BGB, den überraschenden Charakter der mit der Bezugnahme auf den MTV bewirkten Vereinbarung einer besonderen Kündigungsfrist für die Dauer der Probezeit (§ 305 c Abs. 1 BGB) oder die fehlende Transparenz dieser Bezugnahmeklausel (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) gestützt wird. Wichtig ist, dass bei der Ausgestaltung solcher Arbeitsverträge deutlich gemacht wird, dass die verlängerte Kündigungsfrist erst im Anschluss an die Probezeit zur Anwendung kommen soll. (Ga)
10. Notwendigkeit einer erneuten Betriebsratsanhörung Der 2. Senat des BAG hat die Entscheidung vom 22.9.2016107, die wir mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen an anderer Stelle berichtet haben108, zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG weiter zu präzisieren. Zunächst bleibt es dabei, dass der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG grundsätzlich subjektiv determiniert ist. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren109. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung unter Berücksichtigung des subjektiven Kenntnisstandes des Arbeitgebers auch objektiv determiniert. Diese für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats maßgebenden Unterrichtungspflichten ergänzt das BAG110 dahingehend, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat auf eine vor Zugang der Kündigung veränderte Sachlage hinzuweisen hat, wenn die Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG anderenfalls irreführend wäre, was bei einer wesentlichen Änderung des maßgeblich dargestellten Sachverhalts auch dann gilt, wenn das Anhörungsverfahren bereits abgeschlossen war. Im Streitfall scheiterte daran die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitgebers, weil dieser vor dem Termin beim Integrationsamt den Betriebsrat aus
107 108 109 110
BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 33. B. Gaul, AktuellAR 2017, 179 ff. BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99 Rz. 19. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, NJW 2017, 684 Rz. 33.
191
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
seiner Sicht über die Kündigungsgründe einer beabsichtigten Verdachtskündigung abschließend angehört hatte, ohne dem Betriebsrat vor Ausspruch der anschließenden Kündigung durch erneute Anhörung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG mitgeteilt zu haben, dass sich der Kläger vor dem Integrationsamt mit einer 26-seitigen Stellungnahme zu den Vorwürfen des Arbeitgebers geäußert hatte. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG erhebliche Auswirkungen, weil sich jedenfalls zurzeit mangels einer Konkretisierung der Zeitspanne nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist nicht sicher abschätzen lässt, ab wann ein unerkannt schwerbehinderter Mensch seinen besonderen Schwerbehindertenkündigungsschutz verwirkt hat. Diese Unsicherheit wird noch insoweit verstärkt, als durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) vom 23.12.2016111 mit Wirkung ab 30.12.2016 nach § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX ausspricht, unwirksam ist112. Der Gesetzgeber lässt nämlich in diesem Zusammenhang völlig offen, wie mit unerkannt schwerbehinderten Menschen zu verfahren ist, die erst nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber gegenüber ihre Schwerbehinderung offenbaren. Ebenso wenig trägt die Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BAG zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG zur Rechtssicherheit bei113, weil durchaus zweifelhaft sein kann, was unter einer wesentlichen Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zu verstehen ist. Außerdem ist erneut die Fristenregelung des § 102 Abs. 2 BetrVG zu beachten, bevor der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen darf. (Boe)
11.
Kündigung mit Abfindungsangebot bei Klageverzicht
Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigungserklärung den Hinweis verbindet, dass die Kündigung auf 111 BGBl. I 2016, 3234. Vgl. dazu Bayreuther, NZA 2017, 87. 112 B. Gaul, AktuellAR 2017, 182 ff. 113 Vgl. auch Mues, ArbRB 2017, 74.
192
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
seiner Sicht über die Kündigungsgründe einer beabsichtigten Verdachtskündigung abschließend angehört hatte, ohne dem Betriebsrat vor Ausspruch der anschließenden Kündigung durch erneute Anhörung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG mitgeteilt zu haben, dass sich der Kläger vor dem Integrationsamt mit einer 26-seitigen Stellungnahme zu den Vorwürfen des Arbeitgebers geäußert hatte. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung des BAG erhebliche Auswirkungen, weil sich jedenfalls zurzeit mangels einer Konkretisierung der Zeitspanne nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist nicht sicher abschätzen lässt, ab wann ein unerkannt schwerbehinderter Mensch seinen besonderen Schwerbehindertenkündigungsschutz verwirkt hat. Diese Unsicherheit wird noch insoweit verstärkt, als durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) vom 23.12.2016111 mit Wirkung ab 30.12.2016 nach § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX ausspricht, unwirksam ist112. Der Gesetzgeber lässt nämlich in diesem Zusammenhang völlig offen, wie mit unerkannt schwerbehinderten Menschen zu verfahren ist, die erst nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber gegenüber ihre Schwerbehinderung offenbaren. Ebenso wenig trägt die Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BAG zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG zur Rechtssicherheit bei113, weil durchaus zweifelhaft sein kann, was unter einer wesentlichen Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zu verstehen ist. Außerdem ist erneut die Fristenregelung des § 102 Abs. 2 BetrVG zu beachten, bevor der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen darf. (Boe)
11.
Kündigung mit Abfindungsangebot bei Klageverzicht
Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigungserklärung den Hinweis verbindet, dass die Kündigung auf 111 BGBl. I 2016, 3234. Vgl. dazu Bayreuther, NZA 2017, 87. 112 B. Gaul, AktuellAR 2017, 182 ff. 113 Vgl. auch Mues, ArbRB 2017, 74.
192
Kündigung mit Abfindungsangebot bei Klageverzicht
dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann (§ 1 a Abs. 1 KSchG). Die Höhe der Abfindung ergibt sich aus § 1 a Abs. 2 KSchG. Sie beträgt einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des gelung in § 10 Abs. 3 KSchG entsprechend. Als Monatsverdienst gilt dabei, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden Arbeitszeit im letzten Monat des bestehenden Arbeitsverhältnisses an Geld- und Sachbezügen zusteht, wobei für einen längeren Zeitraum gewährte Einmalbeträge anteilig zu berücksichtigen sind114. Dabei ist eine Bezifferung der Abfindung durch den Arbeitgeber als Anspruchsvoraussetzung gesetzlich nicht vorgesehen, sodass mit Erfüllung der Anforderungen des § 1 a Abs. 1 KSchG der Abfindungsanspruch ohne weiteres in der von § 1 a Abs. 2 KSchG vorgegebenen Höhe entsteht115. Der Anspruch entsteht auch dann im gesetzlichen Umfang, wenn der Arbeitgeber mit den Hinweisen nach § 1 a Abs. 1 S. 2 KSchG einen zu niedrigen Betrag angibt, aber zugleich erklärt, eine Abfindung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zahlen zu wollen116. Eine derartige Erklärung darf der Arbeitnehmer nach §§ 133, 157 BGB dahingehend verstehen, dass der Arbeitgeber im Ergebnis die gesetzlich vorgesehene Abfindung leisten will und der Angabe des bezifferten Betrags lediglich informatorische Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang ist es nach Auffassung des BAG117 gleichgültig, ob der Anspruch durch zweiseitiges Rechtsgeschäft auf Grund eines vom Arbeitnehmer durch Verstreichenlassen der Klagefrist konkludent angenommenen Angebots des Arbeitgebers zustande kommt118 oder durch einseitiges Rechtsgeschäft auf Grund einer entsprechenden Willenserklärung des Arbeitgebers, zu der das Verstreichenlassen der Klagefrist als rein tatsächlicher Umstand hinzutritt119. Da jedoch § 1 a KSchG keinen unabdingbaren Mindestabfindungsanspruch bei Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen festlegt120, steht es den Arbeitsvertragsparteien auch bei betriebsbedingten Kündigungen frei, eine ge-
114 115 116 117 118
BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 28. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 23. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 24. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 24. Etwa Däubler, Löwisch, Willemsen/ Annuß, NJW 2004, 177, 182. 119 So Bader, Giesen/Besgen, Grobys, DB 2003, 2174. 120 BAG v. 13.12.2007 – 2 Preis, DB 2004, 70, 73.
193
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
ringere oder höhere als die vom Gesetz vorgesehene Abfindung zu vereinbaren121 und damit die Zahlung von dem ungenutzten Verstreichenlassen der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig zu machen. So heißt es in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt122: Der gesetzliche Abfindungsanspruch wird als eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess geregelt. Der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass er die Kündigung auf betriebsbedingte Gründe stützt und der Arbeitnehmer die im Gesetz vorgesehene Abfindung beanspruchen kann, wenn er die dreiwöchige Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage verstreichen lässt. Entscheidet sich der Arbeitnehmer, keine Kündigungsschutzklage zu erheben, hat er mit Ablauf der Kündigungsfrist, also nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Anspruch auf die gesetzlich festgesetzte Abfindung. Die Arbeitsvertragsparteien sind auch nach geltendem Recht nicht gehindert, nach Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers eine Vereinbarung zu treffen, nach welcher der Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet. Die formalisierten Voraussetzungen für den Abfindungsanspruch und die gesetzlich festgesetzte Abfindungshöhe sollen es den Arbeitsvertragsparteien erleichtern, die außergerichtliche Option wahrzunehmen.
In der Entscheidung vom 19.7.2016 war der 2. Senat des BAG123 mit der Frage befasst, ob ein Arbeitgeber neben einer Sozialplanabfindung, die sich im Hinblick auf den Umfang der Abfindungszahlung an § 1 a Abs. 2 KSchG orientierte, verpflichtet war, eine zusätzliche Abfindung nach § 1 a Abs. 2 KSchG an den Arbeitnehmer zu zahlen, weil das Kündigungsschreiben einen vollständigen Hinweis nach § 1 a Abs. 1 S. 2 KSchG enthielt. Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat schlossen am 15.1.2014 eine als Interessenausgleich bezeichnete Vereinbarung ab, die u. a. vorsah, dass den von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern eine nach § 1 a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindung zustand. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 10.2.2014 aus betriebsbedingten Gründen zum 30.9.2014. In dem Schreiben heißt es u. a. wie folgt:
121 BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 28. 122 BT-Drucks. 15/1204 S. 12. 123 BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 121.
194
Kündigung mit Abfindungsangebot bei Klageverzicht
Sie haben die Möglichkeit, sich gegen diese betriebsbedingte Kündigung zu wehren. Das müssen Sie nach dem Kündigungsschutzgesetz innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung tun. Lassen Sie diese Frist verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben, haben Sie nach § 1 a KSchG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr.
Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage. Die Beklagte zahlte ihm eine Abfindung nach dem Interessenausgleich in Höhe von 86.300,- € brutto. Der Kläger verlangte anschließend von der Beklagten erneut die Zahlung von 86.300,- € brutto als Abfindung nach § 1 a KSchG. Die Beklagte verteidigte sich damit, es sei bei der Mitteilung im Kündigungsschreiben um die Zahlung aus dem Interessenausgleich gegangen. Außerdem bestünde zwischen dem Anspruch aus dem Interessenausgleich und der Abfindung aus § 1 a KSchG eine Anspruchskonkurrenz, sodass beide Ansprüche nicht nebeneinander geltend gemacht werden könnten. ArbG und LAG haben der Zahlungsklage entsprochen. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das BAG geht zunächst davon aus, dass die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine Abfindungszahlung nach § 1 a Abs. 1 S. 2 KSchG im Streitfall vorliegen, sodass dem Kläger der dem Umfang nach unstreitige Abfindungsanspruch nach § 1 a Abs. 2 KSchG zusteht. Das BAG lässt den Einwand der Beklagten nicht gelten, dass diese im Kündigungsschreiben lediglich auf die Sozialplanregelung habe hinweisen wollen, weil das Kündigungsschreiben einen derartigen Hinweis nicht enthielt. Deshalb hat das BAG auch dahinstehen lassen, ob eine derartige Bedingung überhaupt rechtlich möglich gewesen wäre. Denn Leistungen in Sozialplänen i. S. v. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden124. Zweifelhaft konnte allerdings sein, ob die Beklagte die Abfindung aus dem Sozialplan auf den Anspruch aus § 1 a KSchG anrechnen durfte, weil es offenbar nicht in ihrem Interesse lag, dem Kläger zwei Abfindungszahlungen in gleicher Höhe (Doppelabfindung) zu gewähren. Eine derartige Anrechnung der Abfindung aus dem Sozialplan verstieße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 BetrVG, der einen Verlust der Abfindung bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage verbietet, weil § 1 a KSchG neben
124 BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 146/13, NZA 2015, 438 Rz. 39.
195
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
der Vermeidung von Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses125 ebenfalls darauf gerichtet ist, die mit einer Kündigung verbundenen Nachteile zu kompensieren126. Allerdings müsste sich ein derartiger Anrechnungsvorbehalt aus der Sozialplanregelung selbst127 oder einer mit dem Arbeitnehmer bei Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung getroffenen Vereinbarung ergeben. Das BAG verneint jedoch im Streitfall, dass die Beklagte den sich zugunsten des Klägers ergebenden Anspruch aus § 1 a KSchG automatisch durch die Zahlung aus dem Sozialplan in gleicher Höhe erfüllt hat. Nach Ansicht des BAG128 scheidet wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke aus Rechtsgründen eine (vollständige) Anrechnung der im Sozialplan normativ geregelten Abfindung auf den durch den Hinweis auf § 1 a Abs. 1 KSchG begründeten Abfindungsanspruch aus. Die Abfindung aus dem Sozialplan dient nämlich ausschließlich – anders als die Abfindung aus § 1 a KSchG – dem Ausgleich der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile, sodass beide Regelungen nicht generell im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz zueinanderstehen. Diese Entscheidung des BAG führt der betrieblichen Praxis eindringlich vor Augen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen mit einer Vermengung von unterschiedlichen Rechtsinstituten verbunden sein können, die zwar aus der Sicht der Praxis den gleichen Effekt haben, nämlich wirtschaftliche Nachteile einer betriebsbedingten Kündigung auszugleichen, jedoch keine deckungsgleiche Rechtsqualität aufweisen. (Boe)
12. Abgrenzung zwischen Aufhebungsvertrag und (nachträglicher) Befristung des Arbeitsvertrags In der betrieblichen Praxis kommt es immer wieder zum Abschluss von Vereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bei der die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Kündigungsfrist deutlich überschritten wird. Beispielhaft sei insoweit nur auf die Abwicklung einer Betriebsänderung hingewiesen, bei der innerhalb eines Umsetzungszeitraums Aufhebungsverträge mit der Folge einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Restrukturierungsmaßnahme abgeschlossen wer-
125 126 127 128
196
BT-Drucks. 15/1204 S. 12. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 33 f. So auch BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 121 Rz. 21. BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 121 Rz. 19.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
der Vermeidung von Risiken und Kosten eines Kündigungsschutzprozesses125 ebenfalls darauf gerichtet ist, die mit einer Kündigung verbundenen Nachteile zu kompensieren126. Allerdings müsste sich ein derartiger Anrechnungsvorbehalt aus der Sozialplanregelung selbst127 oder einer mit dem Arbeitnehmer bei Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung getroffenen Vereinbarung ergeben. Das BAG verneint jedoch im Streitfall, dass die Beklagte den sich zugunsten des Klägers ergebenden Anspruch aus § 1 a KSchG automatisch durch die Zahlung aus dem Sozialplan in gleicher Höhe erfüllt hat. Nach Ansicht des BAG128 scheidet wegen der unterschiedlichen Leistungszwecke aus Rechtsgründen eine (vollständige) Anrechnung der im Sozialplan normativ geregelten Abfindung auf den durch den Hinweis auf § 1 a Abs. 1 KSchG begründeten Abfindungsanspruch aus. Die Abfindung aus dem Sozialplan dient nämlich ausschließlich – anders als die Abfindung aus § 1 a KSchG – dem Ausgleich der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen Nachteile, sodass beide Regelungen nicht generell im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz zueinanderstehen. Diese Entscheidung des BAG führt der betrieblichen Praxis eindringlich vor Augen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen mit einer Vermengung von unterschiedlichen Rechtsinstituten verbunden sein können, die zwar aus der Sicht der Praxis den gleichen Effekt haben, nämlich wirtschaftliche Nachteile einer betriebsbedingten Kündigung auszugleichen, jedoch keine deckungsgleiche Rechtsqualität aufweisen. (Boe)
12. Abgrenzung zwischen Aufhebungsvertrag und (nachträglicher) Befristung des Arbeitsvertrags In der betrieblichen Praxis kommt es immer wieder zum Abschluss von Vereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bei der die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Kündigungsfrist deutlich überschritten wird. Beispielhaft sei insoweit nur auf die Abwicklung einer Betriebsänderung hingewiesen, bei der innerhalb eines Umsetzungszeitraums Aufhebungsverträge mit der Folge einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Restrukturierungsmaßnahme abgeschlossen wer-
125 126 127 128
196
BT-Drucks. 15/1204 S. 12. BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rz. 33 f. So auch BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 121 Rz. 21. BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15, NZA 2017, 121 Rz. 19.
Befristung des Arbeitsvertrags
den, selbst wenn wegen der Kürze einer Kündigungsfrist ein solcher Vertragsabschluss auch zu einem späteren Zeitpunkt hätte erfolgen können. Bei einem freiwilligen Programm zur Förderung der einvernehmlichen Abwicklung einer Betriebsänderung wird ein frühzeitiger Abschluss von Vereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sogar mit den sogenannten „Turboprämien“ gefördert. Vielfach stellt sich bei solchen Vereinbarungen die Frage, ob noch ein Aufhebungsvertrag vorliegt oder ob diese Vereinbarung als eine (nachträgliche) Befristung des Arbeitsverhältnisses zu qualifizieren ist. Bei einer Befristung wäre von einer wirksamen Beendigung zu dem vereinbarten Zeitpunkt nur auszugehen, wenn die gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Vorgaben an die Befristung solcher Arbeitsverhältnisse – insbesondere also § 14 TzBfG – beachtet werden. In seinem Urteil vom 14.12.2016129 hat der 7. Senat des BAG wichtige Feststellungen zu der insoweit erforderlichen Unterscheidung getroffen. In dem zugrundeliegenden Fall war der Kläger auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags für die Zeit vom 15.7.2012 bis zum 31.7.2014 eingestellt worden. Tarifvertraglich war eine sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen bis zu einer Dauer von vier Jahren bei einer dreimaligen Verlängerung zulässig. Bereits am 13.12.2012 trafen die Parteien aber unter der Überschrift „Arbeitsvertrag auf Zeit – Änderung der Vertragslaufzeit“ eine Vereinbarung. Darin hieß es auszugsweise (…) Wie mit Ihnen besprochen, ergibt sich unter Bezugnahme auf unseren befristeten Arbeitsvertrag folgende Änderung: Zu § 1 (1) Herr S. wird bis zum 31.07.2013 beschäftigt. Alle sonstigen Vertragsbedingungen bleiben unverändert.
Mit seiner am 16.5.2013 beim ArbG eingegangenen Klage machte der Kläger geltend, dass in dieser Vereinbarung eine unwirksame Befristung des Arbeitsverhältnisses liege. Dies folge u. a. daraus, dass die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung geltende Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende erheblich überschritten worden sei. Daher liege kein Aufhebungsvertrag vor. In seiner klagestattgebenden Entscheidung hatte das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass bei entsprechenden Vereinbarungen im Wege der Aus-
129 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, EzA-SD 2017, Nr. 9, 4 Rz. 18 ff.
197
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
legung geklärt werden müsse, ob ein Aufhebungsvertrag oder eine (nachträgliche) Befristung des Arbeitsverhältnisses vorliege. Ein Aufhebungsvertrag sei eine Vereinbarung über das vorzeitige Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus einem Arbeitsverhältnis. Er sei seinem Regelungsgehalt nach auf eine alsbaldige Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehungen gerichtet. Dass brächten die Parteien in der Regel durch die Wahl einer zeitnahen Beendigung, die sich häufig an der jeweiligen Kündigungsfrist orientierte, und weitere Vereinbarungen über Rechte und Pflichten aus Anlass der vorzeitigen Beendigung zum Ausdruck. Ein solcher Aufhebungsvertrag sei nicht Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle130. Im Unterschied hierzu sei von einer der Befristungskontrolle unterliegenden, auf die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Abrede auszugehen, wenn der von den Parteien gewählte Beendigungszeitpunkt die jeweilige Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschreite und es an weiteren Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehle, wie sie im Aufhebungsvertrag regelmäßig getroffen würden. Zu solchen Regelungen eines Aufhebungsvertrags gehörten beispielsweise Vereinbarungen über eine Freistellung, Urlaubsregelungen oder Abfindungen. Unerheblich sei, wie die Vertragsparteien ihre Vereinbarung bezeichneten. Maßgeblich sei, welchen Regelungsgehalt die Vereinbarung habe131. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist der 7. Senat des BAG zu Recht davon ausgegangen, dass die Parteien vorliegend eine Vereinbarung über die Befristung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten. Mit dieser Vereinbarung wurde die ursprüngliche Befristung, die zu einer Beendigung am 31.7.2014 geführt hätte, mit der Folge abgeändert, dass das Arbeitsverhältnis bereits am 31.7.2013 enden sollte. Weitergehende Regelungen in Bezug auf die Abwicklung des Vertragsverhältnisses hatten die Parteien nicht getroffen. Vielmehr hatten sie ausdrücklich festgehalten, dass die Regelungen des Arbeitsverhältnisses im Übrigen unberührt bleiben sollten. Damit lag eine Vereinbarung vor, die hinsichtlich der Beendigung die zum Zeitpunkt ihres Abschlusses maßgebliche Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschritt. Außerdem fehlten Abreden, die in einer für den Aufhebungsvertrag typischen Weise die wechselseitigen Pflichten im Zusammenhang mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelten. Hierunter kann ergänzend zu den vom BAG genannten Klauseln auch eine Abrede über die Berechnung einer variablen Vergütung,
130 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, EzA-SD 2017, Nr 9, 4 Rz. – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614 Rz. 16. 131 BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, EzA-SD 2017, Nr 9, 4 Rz. – 7 AZR 48/99, NZA 2000, 718 Rz. 18.
198
Befristung des Arbeitsvertrags
die Erstellung eines Zwischen- oder Schlusszeugnisses oder die Herausgabe von Arbeitgebereigentum fallen. Konsequenz der hier vorgenommenen Kennzeichnung der vertraglichen Abrede als eine (nachträgliche) Befristung des Arbeitsverhältnisses war, dass sie eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur bewirken konnte, wenn die gesetzlichen Anforderungen an eine wirksame Befristung beachtet wurden. Dabei konnte aber, was das BAG deutlich gemacht hat, auf die Privilegien einer sachgrundlosen Befristung nach § 14 TzBfG bzw. den ergänzenden Regelungen des Tarifvertrags nicht zurückgegriffen werden. Denn diese Regelungen erlaubten im Anschluss an die erstmalige (sachgrundlose) Befristung eines Arbeitsverhältnisses nur die Vereinbarung einer Verlängerung, nicht aber einer Verkürzung. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut der entsprechenden Regelungen. Auch der Zweck der gesetzlichen Regelungen stehe einer solchen Vereinbarung entgegen. Zwar solle mit den Erleichterungen einer sachgrundlosen Befristung dem Interesse des Arbeitgebers nach einer flexiblen Vertragsgestaltung, die eine schwankende Auftragslage und wechselnde Marktbedingungen berücksichtige, Rechnung getragen werden. Gleichzeitig aber solle die befristete Beschäftigung für den Arbeitnehmer eine Alternative zur Arbeitslosigkeit und einer Brücke zur Dauerbeschäftigung sein. Diese Ziele würden bei der Einbeziehung der Möglichkeit, befristete Arbeitsverhältnisse nachträglich zu verkürzen, nicht erreicht. Damit hängt die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Vereinbarung davon ab, ob ein sachlicher Grund für ihren Abschluss gegeben war. Da arbeitgeberseitig geltend gemacht worden war, dass die Verkürzung der Laufzeit des Arbeitsvertrags einer Verkürzung der Laufzeit eines Auslandsprojekts Rechnung getragen werden sollte, im Rahmen dessen der Kläger zum Einsatz gekommen war, ist die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen worden. In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, ob ein sachlicher Grund gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben war, der die nachträgliche Befristung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte. Für die betriebliche Praxis folgt aus dieser Entscheidung, dass es durchaus statthaft ist, Aufhebungsverträge – auch während der Probezeit – abzuschließen, mit denen die für das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschritten wird. Erforderlich ist aber, dass im Rahmen solcher Vereinbarungen detaillierte Regelungen zu den wechselseitigen Pflichten im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden. Denn es muss für die Kennzeichnung eines Aufhebungsvertrags erkennbar werden, dass nicht nur eine Vereinbarung über eine
199
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Veränderung des Zeitpunkts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen wurde. Der Vorteil entsprechender Klauseln liegt dann auch darin, dass sie Streit über die damit zusammenhängenden Fragen im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermeiden. Das gilt insbesondere für die Berechnung variabler Entgeltbestandteile, den Inhalt eines Zeugnisses oder den Umfang etwaiger Herausgabeansprüche. Auch eine etwaige Freistellung sowie der Umgang mit dem vertraglichen oder nachvertraglichen Wettbewerbsverbot sollte zum Gegenstand der Vereinbarung gemacht werden. (Ga)
200
F. 1.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG liegt eine betriebliche Altersversorgung vor, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden. Gemäß § 1 Abs. 2 BetrAVG liegt eine betriebliche Altersversorgung auch vor, wenn der Arbeitgeber eine beitragsorientierte Leistungszusage (Nr. 1), eine Beitragszusage mit Mindestleistung (Nr. 2) vornimmt, eine Entgeltumwandlung stattfindet (Nr. 3) oder der Arbeitnehmer Beiträge aus seinem Arbeitsentgelt zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung leistet und die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfasst (Umfassungszusage).
a)
Beitragsorientierte Leistungszusage
Bezüglich der beitragsorientierten Leistungszusage verpflichtet sich der Arbeitgeber, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditätsoder Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG). Diese Regelung hat durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (RRG 1999) vom 2.10.1997 Eingang in das Betriebsrentengesetz gefunden1. In der Begründung hierzu heißt es wie folgt2: Mit dem neuen Abs. 6 wird die sogenannte „beitragsorientierte Leistungszusage“ ausdrücklich einer gesetzlichen Regelung zugeführt. Bei diesen Zusagen handelt es sich um Leistungszusagen, bei denen ausdrücklich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Finanzierungsbeitrag und der Höhe der daraus resultierenden Leistung besteht. Bei wirtschaftlicher Betrachtung wird hier verstärkt auf den Aufwand abgestellt, der für die zugesagte Leistung erforderlich ist, so wie es heute bereits bei den sogenannten „Bausteinmodellen“ üblich ist.
1 2
BT-Drucks. 13/8671 S. 65. BT-Drucks. 13/8671 S. 120.
201
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Zusammengefasst verpflichtet sich damit der Arbeitgeber bei der beitragsorientierten Leistungszusage, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln. Eine derartige beitragsorientierte Leistungszusage ist über sämtliche Durchführungswege des BetrVG möglich, sodass eine Direktzusage oder eine Unterstützungskassenversorgung, die Direktversicherung und eine Pensionskasse in Betracht kommen. Welchen Durchführungsweg der Arbeitgeber auch immer wählt, trifft ihn eine Einstandspflicht für die versprochenen Leistungen. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG. Bislang erkennt das Betriebsrentenrecht nicht die reine Beitragszusage an, die damit nicht als eine betriebliche Altersversorgung qualifiziert wird, was zur Folge hat, dass ausschließlich der Arbeitnehmer das Risiko der Werthaltigkeit einer entsprechenden Anlage trägt. Mit Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und Veränderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) will der Gesetzgeber den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen, künftig auch sogenannte reine Beitragszusagen vorzusehen3. Zu diesem Zweck soll nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG folgende Nr. 2 a BetrAVG eingefügt werden: 2 a.)
der Arbeitgeber durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung verpflichtet wird, Beiträge zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung nach § 22 zu zahlen; die Pflichten des Arbeitgebers nach Absatz 1 Satz 3, § 1a Absatz 4 Satz 2, den §§ 1b bis 6 und § 16 sowie die Insolvenzsicherungspflicht nach dem Vierten Abschnitt bestehen nicht (reine Beitragszusage).
In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es hierzu4: Die Vorschrift eröffnet zusammen mit dem neuen Siebten Abschnitt den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, reine Beitragszusagen zu vereinbaren. Sie können diese Möglichkeit auf Betriebs- und Personalräte delegieren, wobei die wesentlichen Regelungsinhalte dem Tarifvertrag vorbehalten bleiben sollten. Anders als bei den bisherigen Zusageformen „Leistungszusage“, „beitragsorientierte Leistungszusage“ und „Beitragszusage mit Mindestleistung“ verpflichtet sich der Arbeit-
3 4
Vgl. B.Gaul, AktuellAR 2016, 543 ff., 2017, 29. BR-Drucks. 780/16 S. 36.
202
Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage
geber bei dieser Art der Zusage nicht zur Zahlung von (Mindest-)Betriebsrenten. Der zweite Halbsatz stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitgeber für die Leistungen aus diesen Beiträgen nicht subsidiär einsteht und dass ihn aus dieser Zusageart keine weiteren Verpflichtungen nach dem Betriebsrentengesetz treffen. Auch eine Insolvenzsicherung über den Pensions-Sicherungs-Verein findet nicht statt. Der Arbeitgeber ist lediglich verpflichtet, die Finanzierungsbeiträge an die durchführende Einrichtung zu zahlen. Dies ist vom Arbeitnehmer allerdings auch einklagbar. Die Zahlung hat schuldbefreiende Wirkung (§ 362 BGB). Die reine Beitragszusage kann auch über Entgeltumwandlung erfolgen. Wertgleichheit im Sinne von § 1 Absatz 2 Nummer 3 liegt in diesem Fall vor, wenn der vom Arbeitgeber zu leistende Beitrag an die Versorgungseinrichtung dem umgewandelten Entgeltbetrag nach Abzug möglicher Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entspricht.
Ob von einer beitragsbezogenen Leistungszusage im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG auszugehen war oder lediglich eine reine Beitragszusage des Arbeitgebers bestand, war Gegenstand einer Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 30.8.20165. Bei dem beklagten Unternehmen, einer öffentlich konzessionierten Spielbank, bestand eine Gesamtbetriebsvereinbarung, wonach den Mitarbeitern eine unmittelbare beitragsorientierte Pensionszusage erteilt worden war, wonach dem jeweiligen Mitarbeiter ein Basisanspruch in Höhe von 0,4 % der Summe seiner monatlichen pensionsfähigen Bezüge während seiner Beschäftigungszeit zustand. Das beklagte Unternehmen zahlte aufgrund der Gesamtbetriebsvereinbarung in einen Anlagefonds Beiträge in Höhe von monatlich 5 % der pensionsfähigen Bezüge aller der Gesamtbetriebsvereinbarung unterfallenden Arbeitnehmer zur Deckung der Versorgungsverpflichtungen als Rückstellung ein. Dieser Rückstellung wurden der Zinssaldo, d. h. der Ertrag des Fonds zugeführt, aber auch die laufenden Betriebsrenten und bestimmte Verwaltungskosten entnommen. Aus der Differenz ergab sich ein Zuschlag zum Basisanspruch, der als korrigierter Basisanspruch ausgewiesen wurde. Am Ende jedes Wirtschaftsjahres war danach der Wert der Fondsanteile für jeden Arbeitnehmer zu ermitteln. Die so korrigierten Anwartschaften dürfen nach der Gesamtbetriebsvereinbarung den Basisanspruch jedoch nicht unterschreiten. Der korrigierte Basisanspruch des Klägers zum 31.12.2012 aufgrund der Kapitalanlageergebnisse lag bei 3.162,– €, während er sich noch zum 31.12.2009 auf 3.530,– € belaufen hatte. Der Klä-
5
BAG v. 30.8.2016 – 3 AZR 361/15, DB 2017, 254.
203
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
ger machte im Wege der Feststellungsklage geltend, dass sein korrigierter Basisanspruch aus der Betriebsrentenzusage der Beklagten nicht unterhalb von 3.530,− € pro Jahr liegen dürfe. Ebenso wie in den beiden Vorinstanzen war die Feststellungsklage des Klägers vor dem BAG erfolglos, weil das BAG davon ausging, dass auf der Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung abgesehen von der Höhe des Basisanspruchs der korrigierte Basisanspruch variabel ausfallen konnte und auch die Möglichkeit eines Absinkens einschloss. Die Parteien stritten jedoch auch darüber, ob es sich bei der Gesamtbetriebsvereinbarung um eine reine Beitragszusage oder um eine beitragsorientierte Leistungszusage i. S. v. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG handelte. Während sich bei der beitragsorientierten Leistungszusage der Arbeitgeber verpflichtet, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln, die dem Betriebsrentengesetz unterfällt, liegt eine reine Beitragszusage vor, wenn keine künftigen Versorgungsleistungen, sondern nur zusätzliche Zahlungen während des aktiven Arbeitslebens versprochen werden, die vermögenswirksamen Leistungen vergleichbar an den Arbeitnehmer oder Dritte ausgezahlt werden, wodurch der Arbeitnehmer Vermögen bildet oder Versorgungsanwartschaften erwirbt. Letzterenfalls trägt der Arbeitnehmer – so das BAG – das volle Anlage- und Insolvenzrisiko6. Anhand dieser Differenzierung gelangt das BAG zu dem Ergebnis, dass im Streitfall auf der Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung eine beitragsorientierte Leistungszusage anzunehmen ist. Denn die Beklagte war nicht nur verpflichtet, Beiträge in die vorgesehene Rückstellung des Anlagefonds einzuzahlen, sondern hatte zusätzlich bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu gewähren, die die im Betriebsrentengesetz aufgeführten Risiken (Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung) abdecken sollten. Allerdings verlangt § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG nach Ansicht des BAG, dass zum Zeitpunkt der Umwandlung unmittelbar feststeht, welche Anwartschaft auf künftige Leistungen der Arbeitnehmer durch die Umwandlung der Beiträge erwirbt. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zum Rentenreformgesetz 19997 geht das BAG davon aus, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht nur eine definitorische Kennzeichnung leisten wollte, sondern auch inhaltliche Anforderungen an die beitragsorientierte Leistungszusage gestellt
6 7
BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 28. BT-Drucks. 13/8671 S. 120.
204
Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage
hat, wonach zum Zeitpunkt der Umwandlung von Beiträgen unmittelbar feststehen muss, welche Anwartschaft auf künftige Leistungen die Arbeitnehmer durch die Beitragsumwandlung erwerben. Nur eine derartige Bewertung entspricht nach Auffassung des BAG dem Versorgungscharakter betrieblicher Altersversorgung. Diesen Vorgaben genügte die im Streitfall zu beurteilende Gesamtbetriebsvereinbarung nicht vollständig, weil zwar den Arbeitnehmern ein Mindestanspruch gewährt wurde, sich dieser aber gerade nicht auf der Grundlage der an den Anlagefonds einzuzahlenden Beiträge ermitteln ließ und damit nicht gewährleistet wurde, dass die von der Beklagten gezahlten Beiträge auch in entsprechende Anwartschaften umgewandelt werden. Demgemäß lag zumindest teilweise – vom Mindestanspruch abgesehen – das Anlagerisiko des Anlagefonds beim Arbeitnehmer. Im Ergebnis schlussfolgert das BAG aus dieser Feststellung, dass der Verstoß der Gesamtbetriebsvereinbarung gegen die Vorgaben aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG eine Verpflichtung der Beklagten (des Arbeitgebers) auslöst, eine unmittelbare Umwandlung eingezahlter Beiträge in feststehende Anwartschaften vornehmen zu müssen. Dies war jedoch nicht Streitgegenstand des Verfahrens, in dem es um die Festschreibung von zu einem bestimmten Stichtag erzielten und mitgeteilten Überschüssen ging. Soweit ersichtlich hat das BAG mit dieser Entscheidung erstmalig näher konkretisiert, welche inhaltlichen Anforderungen an eine beitragsorientierte Leistungszusage zu stellen sind und klargestellt, dass für die Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG bereits zum Zeitpunkt der Umwandlung unmittelbar feststehen muss, welche Anwartschaft auf künftige Leistungen die Arbeitnehmer durch die Beitragsumwandlung erwerben.
b)
Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage
Die Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen und Umfassungszusage, die nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG ebenfalls den Charakter einer betrieblichen Altersversorgung aufweist, ist mit Wirkung zum 1.7.2002 durch das Hüttenknappschaftliche Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz vom 21.6.2002 (Art. 3 HZvNG)8 in das BetrAVG eingefügt worden. Dabei ist für den Charakter als betriebliche Altersversorgung von entscheidender Bedeutung, dass der Arbeitgeber die Einstandspflicht auch in Bezug auf die Eigenbeiträge des Arbeitnehmers übernimmt. Nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen der Alters-, Invaliditäts8
BGBl. I 2016, 2167.
205
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
oder Hinterbliebenenversorgung im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG auch dann ein, wenn die Durchführung der Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Diese Einstandspflicht ist durch das Altersvermögensgesetz vom 26.6.20019 mit Wirkung vom 1.1.2001 in das BetrAVG aufgenommen worden und hat im Ergebnis die bereits in diesem Sinne bestehende Rechtsprechung des BAG10 rezipiert. Ausweislich der amtlichen Begründung sollte „lediglich aus Gründen der Klarstellung ausdrücklich geregelt“ werden, „dass unabhängig von der Durchführungsform der betrieblichen Altersversorgung immer eine arbeitsrechtliche ‚Grundverpflichtung‘ des Arbeitgebers zur Erbringung der zugesagten Leistungen besteht“11. Voraussetzung für die Anwendung des BetrAVG und damit für die Einstandspflicht des Arbeitgebers ist jedoch, dass überhaupt eine betriebliche Altersversorgungszusage gegenüber dem Arbeitnehmer besteht. Keine betriebliche Altersversorgung liegt indes dann vor, wenn der Arbeitgeber – wie bereits zuvor dargelegt – dem Arbeitnehmer lediglich eine reine Beitragszusage erteilt, die es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich Versorgungsleistungen bei Dritten zu beschaffen. In diesen Fällen trägt der Arbeitnehmer nicht nur das Anlagerisiko, sondern auch das Insolvenzrisiko12. In der Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 13.12.201613 ging es nicht nur um die Frage, ob dem Kläger eine Beitragszusage oder eine betriebliche Altersversorgung, die über eine Pensionskasse i. S. v. § 1 Abs. 3 BetrAVG durchgeführt werden sollte, von der Beklagten zugesagt worden war, sondern auch darum, ob im Hinblick auf Eigenbeiträge des Klägers zur Pensionskasse eine Einstandspflicht der Beklagten bestand. Der 1940 geborene Kläger war vom 2.11.1965 bis zum 30.4.1999 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte meldete den Kläger zum 1.1.1968 zur Pensionskasse der chemischen Industrie Deutschlands (nachfolgend: Pensionskasse) als Mitglied an. Der Pflichtbeitrag betrug 6 % des pensionsfähigen Arbeitsverdienstes, wovon ein Drittel vom Kläger und zwei Drittel von der Beklagten zu leisten waren. Satzungsgemäß sollten die unbefristet gewährten Gewinnanteile dem Versorgungsberechtigten zugutekommen. Die Satzung
9 BGBl. I 2016, 1310. 10 BAG v. 29.8.2000 – 3 vgl. dazu BT-Drucks. 14/4595 S. 67. 11 BT-Drucks. 14/4595 S. 67. 12 BAG v. 10.2.2015 – 3 AZR 65/14, BetrAV 2015, 522 Rz. 30. Vgl. dazu auch Hanau/Arteaga, DB 2015, 615. 13 BAG v. 13.12.2016 – 3 AZR 342/15, DB 2017, 613.
206
Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage
der Pensionskasse enthält eine Sanierungsklausel, die es ihr erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen Fehlbeträge durch Herabsetzung der Leistungen auszugleichen. Der Kläger bezieht seit dem 1.10.2002 eine vorgezogene Alterspension, die sich ausweislich des Pensionsbescheids vom 26.9.2002 auf monatlich 840,52 € beläuft. Am 27.6.2003 beschloss die Mitgliederversammlung der Pensionskasse wegen einer wirtschaftlichen Krise die Herabsetzung der Pensionsleistungen. Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten den Ausgleich der Differenzen beansprucht, die infolge der Herabsetzung der Leistungen der Pensionskasse entstanden sind und darüber hinaus eine Anpassung seiner Betriebsrente gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG zum 1.10.2008, 1.10.2011 und 1.10.2014 beansprucht. Die Beklagte hat unter anderem ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dem Kläger lediglich eine Beitragszusage erteilt zu haben, jedenfalls für den vom Kläger finanzierten Teil der Altersversorgung nicht einstandspflichtig zu sein und auch keine Betriebsrentenanpassung zu schulden. Das BAG geht zunächst davon aus, dass der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann einzustehen hat, wenn die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Danach war die Beklagte verpflichtet, im Sinne eines Verschaffungsanspruchs den Versorgungsausfall jedenfalls im Hinblick auf die Beiträge, die sie selbst an die Versorgungskasse zu leisten hatte, auszugleichen. Dabei qualifiziert das BAG die dem Kläger erteilte Zusage nicht als reine Beitragszusage, sondern als eine betriebliche Altersversorgung, die gemäß § 1 b Abs. 3 BetrAVG über eine Pensionskasse abgewickelt werden sollte. Wenn auch keine ausdrückliche Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von der Beklagten versprochen worden war, wurde konkludent durch die Anmeldung des Klägers als Mitglied bei der Pensionskasse durch schlüssiges Verhalten eine entsprechende Zusage erteilt. Insofern greift das BAG zu Recht auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG zurück, wonach eine betriebliche Altersversorgung auch dann vorliegt, wenn sich der Arbeitgeber – wie vorliegend – verpflichtet, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft auf Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung umzuwandeln (beitragsorientierte Leistungszusage). Diese Bewertung nimmt das BAG ungeachtet dessen vor, dass die beitragsorientierte Leistungszulage erst durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (RRG 1999) vom 2.10.1997 in das Betriebsrentengesetz aufgenommen worden ist. Dabei lässt sich das BAG ausschließlich von der Erwägung leiten, dass die Gesetz gewordene beitragsorientierte Leistungszusage bereits 1968 Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung der Parteien geworden ist. Damit bestand gegenüber dem Kläger eine Ausgleichspflicht der 207
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Beklagten zumindest im Umfang der Herabsetzung des Teils der Pensionskassenrente, der auf den Beiträgen der Beklagten beruhte. Von dieser Einstandspflicht kann sich die Beklagte – wie sich aus § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG ergibt – durch vertragliche Abreden nicht zulasten der Arbeitnehmer befreien14. Diese Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG umfasst gleichermaßen die dauerhaft gewährten Gewinnanteile, soweit diese auf die Arbeitgeberbeiträge bezogen sind, weil die Überschussbeteiligung insoweit auch Teil des Versorgungsversprechens ist. Die gewährten Gewinnanteile sind dabei nicht deshalb von der Anwendung des § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG ausgenommen, weil möglicherweise die Leistungsherabsetzungen der Pensionskasse ihrem Umfang nach auf den Wert der in der Vergangenheit gewährten Gewinnanteile beschränkt waren, die Garantierente mithin unangetastet geblieben ist. Die Beklagte hat nämlich dem Kläger nicht nur eine Garantierente zugesagt, sondern auch eine Überschussbeteiligung. Auch für diesen Teil des gegebenen Versorgungsversprechens hat die Beklagte nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG einzustehen15. Da die Beiträge an die Pensionskasse zu einem Drittel vom Kläger selbst aus seinem versteuerten und verbeitragten Arbeitseinkommen stammten, stellte sich darüber hinaus die Frage, ob die Beklagte auch für die Eigenbeitragszusage des Klägers nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG einzustehen hat. Die dafür maßgebende Ergänzung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG, wonach eine betriebliche Altersversorgung nur dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer Beiträge aus einem Arbeitsentgelt zur Finanzierung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung u. a. an eine Pensionskasse erbringt und die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfasst (Umfassungszusage), wurde erst durch das Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung mit Wirkung vom 1.7.2002 in das BetrAVG eingefügt. Ungeachtet dessen findet § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG nach Ansicht des BAG auch auf Versorgungszusagen Anwendung, die – wie die des Klägers – vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung erteilt wurden. Diese Schlussfolgerung entnimmt das BAG nicht nur der Entstehungsgeschichte, sondern auch dem Umstand, dass ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Regelung „klargestellt wird, dass betriebliche Altersversorgung auch vorliegt, soweit neben Arbeitgeberbeiträgen, d. h. während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, auch Beiträge vom Arbeitnehmer aus dem Arbeitsentgelt zur Finanzierung einer betrieblichen Altersversorgung (z. 14 BAG v. 19. 6. 2012 – 3 AZR 408/10, NZA-RR 2013, 426 Rz. 44. 15 BAG v. 30. 9. 2014 – 3 AZR 617/12, NZA 2015, 544 Rz. 33.
208
Abgrenzung von Beitragszusage und beitragsbezogener Leistungszusage
B. nach der Satzung einer Pensionskasse) geleistet werden, wobei allerdings die Zusage des Arbeitgebers auch die Leistungen aus diesen Beiträgen umfassen muss“16. Der Zweck des § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG, eine ohnehin bereits zuvor bestehende Rechtslage klarzustellen, bestätigt, dass die Norm auch für Versorgungszusagen gilt, die vor ihrem Inkrafttreten erteilt wurden. Da im vorliegenden Fall eine derartige Umfassungszusage seitens der Beklagten nicht erteilt worden war, ließ sich eine darauf fußende Einstandspflicht der Beklagten für die Eigenbeiträge des Klägers nicht begründen. Dabei trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Zusage i. S. v. § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG vorliegt, den Versorgungsberechtigten, der Ansprüche aufgrund der Einstandspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG beansprucht17. Insofern hatte daher der Kläger – wie bei einer reinen Beitragszusage – das Risiko der Erfüllung der Betriebsrente zu tragen. Die Beklagte war darüber hinaus nach Ansicht des BAG gehalten, gemäß § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden, sodass diese Prüfung zu den Anpassungsstichtagen 1.10.2008, 1.10.2011 und 1.10.2014 bezogen auf den Kaufkraftverlust (Verbraucherpreisindex für Deutschland) vorzunehmen war. Dabei geht das BAG davon aus, dass diese Anpassungsprüfung nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Neufassung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie vom 21.12.201518 am 31.12.2015 nachträglich entfallen ist. Nach der bisherigen, bis zum 30.12.2015 geltenden Fassung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG entfiel die Verpflichtung zur Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Direktversicherung i. S. d. § 1 b Abs. 2 BetrAVG oder über eine Pensionskasse i. S. d. § 1 b Abs. 3 BetrAVG durchgeführt wird, ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden und zur Berechnung der garantierten Leistung der nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a VAG festgesetzte Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten wurde. Diese Bestimmung galt nach Ansicht des BAG19 nicht
16 17 18 19
BT-Drucks. 14/9007 S. 34 f. BAG v. 15.3.2016 – 3 AZR 827/14, NZA 2016, 1205 Rz. 42. BGBl. I 2016, 2553. BAG v. 30.9.2014 – 3 AZR 617/12, NZA 2015, 544 Rz. 68.
209
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
für laufende Versorgungsleistungen, die – wie im Fall des Klägers – auf Versorgungszusagen beruhten, die vor Inkrafttreten der DeckRV20 am 16.5.1996 erteilt wurden, weil § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG über die Verweisung auf den nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a VAG festgesetzten Höchstzinssatz den in § 2 DeckRV bestimmten Höchstrechnungszins in Bezug nimmt und die DeckRV erst am 16.5.1996 in Kraft getreten ist21 und damit erst ab diesem Zeitpunkt die in § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG genannten Voraussetzungen erfüllbar waren. An dieser Rechtsprechung hält der 3. Senat des BAG in der vorliegenden Entscheidung vom 31.12.201622 fest. Nach der ab 31.12.2015 geltenden Fassung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG n. F., die für Anpassungen ab diesem Zeitpunkt ausschließlich gilt, entfällt die Verpflichtung zur Anpassungsprüfung und Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Direktversicherung i. S. d. § 1 b Abs. 2 BetrAVG oder über eine Pensionskasse i. S. d. § 1 b Abs. 3 BetrAVG durchgeführt wird und ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallende Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. Diese Neuregelung will das BAG für Anpassungsprüfung vor dem 31.12.2015 nicht heranziehen, weil damit eine Rückwirkung dieser gesetzlichen Neuregelung verbunden wäre, die sich weder aus dem Gesetz selbst noch aus der Zielsetzung der gesetzlichen Neuregelung oder aus den Gesetzesmaterialien herleiten ließe23. In der Regierungsbegründung24 heißt es hierzu: Mit der Streichung des Halbsatzes wird bewirkt, dass die Anpassungsprüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 16 bereits dann entfällt, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Direktversicherung oder eine Pensionskasse organisiert wird und diese Einrichtungen sämtliche auf den Rentenbestand entfallende Überschussanteile zur Erhöhung der Betriebsrenten verwenden. In diesem Fall entfällt somit die Anpassungsprüfungspflicht ausnahmslos für alle bestehenden und künftigen Zusagen, die über eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt werden. Damit erhalten die betroffenen Arbeitgeber die
20 Verordnung über Rechnungsgrundlagen für die Deckungsrückstellungen (Deckungsrückstellungsverordnung) i. d. F. v. 18.5.2016 BGBl. I 2016, 1231. 21 BGBl. I 2016, 670. 22 BAG v. 31.12.2016 – 3 AZR 342/15, DB 2017, 613 Rz. 54 Döring, BB 2016, 2933. 23 A. A. Diller/Zeh Döring, BB 2016, 2933 Greiner/Bitzenhofer, NZA Kaufmann/Herrmann, DB 2016, 2603. 24 BT-Drucks. 18/6283 S. 13.
210
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner
notwendige Planungssicherheit, ohne die der angestrebte weitere Aufund Ausbau der betrieblichen Altersversorgung gefährdet wäre.
Nach Ansicht des BAG ist das gesetzgeberische Ziel, Planungssicherheit für die Arbeitgeber zu schaffen, auch ohne eine rückwirkende Neuregelung erreicht, weil diese nur für künftige Anpassungsstichtage und für Neuzusagen eintreten soll. In dieser Bewertung sieht das BAG auch keinen Widerspruch dazu, dass die Neuregelung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG auch der Absicherung der betrieblichen Altersversorgung dienen soll, weil diese Wirkung auch ohne ein rückwirkendes Inkrafttreten der Vorschrift eintritt. Angesichts dessen war das BAG auch der Beantwortung der Frage enthoben, ob bei einem rückwirkenden Inkrafttreten von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG eine echte oder eine unechte Rückwirkung vorläge und ob die dafür verfassungsrechtlich erforderlichen Voraussetzungen gegeben wären. Für die betriebliche Praxis der Altersversorgung enthält die Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 13.12.2016 zwei wichtige Aussagen: Hat der Arbeitgeber den versorgungsberechtigten Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden, die von ihrem satzungsgemäßen Recht Gebrauch macht, ihre Leistungen herabzusetzen oder gar einzustellen, hat der Arbeitgeber gegenüber dem Versorgungsempfänger für die entsprechenden Leistungskürzungen gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG einzustehen. Des Weiteren führt die Änderung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG durch das Gesetz zur Umsetzung der EUMobilitäts-Richtlinie vom 21.12.2015 nicht zu einer Anwendung bei Anpassungsstichtagen, die vor dem 31.12.2015 liegen. (Boe)
2.
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner
In Versorgungszusagen finden sich häufig Regelungen, die vorsehen, dass eine Witwen- oder Witwerrente dann nicht gewährt wird, wenn die Ehe erst nach Vollendung eines bestimmten Alters, nach Eintritt der Invalidität oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wurde, oder wenn die Ehe vor dem Tode des Betriebsangehörigen noch nicht ein Jahr bestanden hat. Die Beschränkung des Kreises derer, die einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung erwerben können, steht nicht im Widerspruch zu der gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmung des § 1 b Abs. 1 BetrAVG, wonach dem Arbeitnehmer die Anwartschaft auf Leistungen aus einer zugesagten betrieblichen Altersversorgung erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet
211
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner
notwendige Planungssicherheit, ohne die der angestrebte weitere Aufund Ausbau der betrieblichen Altersversorgung gefährdet wäre.
Nach Ansicht des BAG ist das gesetzgeberische Ziel, Planungssicherheit für die Arbeitgeber zu schaffen, auch ohne eine rückwirkende Neuregelung erreicht, weil diese nur für künftige Anpassungsstichtage und für Neuzusagen eintreten soll. In dieser Bewertung sieht das BAG auch keinen Widerspruch dazu, dass die Neuregelung des § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG auch der Absicherung der betrieblichen Altersversorgung dienen soll, weil diese Wirkung auch ohne ein rückwirkendes Inkrafttreten der Vorschrift eintritt. Angesichts dessen war das BAG auch der Beantwortung der Frage enthoben, ob bei einem rückwirkenden Inkrafttreten von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG eine echte oder eine unechte Rückwirkung vorläge und ob die dafür verfassungsrechtlich erforderlichen Voraussetzungen gegeben wären. Für die betriebliche Praxis der Altersversorgung enthält die Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 13.12.2016 zwei wichtige Aussagen: Hat der Arbeitgeber den versorgungsberechtigten Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden, die von ihrem satzungsgemäßen Recht Gebrauch macht, ihre Leistungen herabzusetzen oder gar einzustellen, hat der Arbeitgeber gegenüber dem Versorgungsempfänger für die entsprechenden Leistungskürzungen gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG einzustehen. Des Weiteren führt die Änderung von § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG durch das Gesetz zur Umsetzung der EUMobilitäts-Richtlinie vom 21.12.2015 nicht zu einer Anwendung bei Anpassungsstichtagen, die vor dem 31.12.2015 liegen. (Boe)
2.
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner
In Versorgungszusagen finden sich häufig Regelungen, die vorsehen, dass eine Witwen- oder Witwerrente dann nicht gewährt wird, wenn die Ehe erst nach Vollendung eines bestimmten Alters, nach Eintritt der Invalidität oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wurde, oder wenn die Ehe vor dem Tode des Betriebsangehörigen noch nicht ein Jahr bestanden hat. Die Beschränkung des Kreises derer, die einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung erwerben können, steht nicht im Widerspruch zu der gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmung des § 1 b Abs. 1 BetrAVG, wonach dem Arbeitnehmer die Anwartschaft auf Leistungen aus einer zugesagten betrieblichen Altersversorgung erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet
211
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat (unverfallbare Anwartschaft)25. Diese Bestimmung legt nur unabdingbar fest (§ 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG), dass ein von vornherein eingeräumter Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht dahin eingeschränkt werden kann, dass er nur entstehen soll, wenn der Arbeitnehmer über den Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist hinaus bis zum Versorgungsfall im Arbeitsverhältnis verbleibt. Eine Begrenzung des Kreises der anspruchsberechtigten Dritten durch zusätzliche anspruchsbegründende oder besondere anspruchsausschließende Merkmale wird gerade im Bereich der Hinterbliebenenversorgung deswegen praktiziert, weil ein dahingehendes Leistungsversprechen für den Arbeitgeber zusätzliche wirtschaftliche Unwägbarkeiten und Risiken mit sich bringt. Diese betreffen nicht nur den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch die Dauer der Leistungserbringung, weshalb der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat, die mit der Hinterbliebenenversorgung verbundenen zusätzlichen Risiken zu begrenzen26. Soweit derartige einschränkende Voraussetzungen Gegenstand einer Gesamtzusage27 sind, stellt sich die Frage, ob darin ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG oder gegen § 307 Abs. 1 BGB zu sehen ist. In der Entscheidung vom 21.2.2017 hatte der 3. Senat des BAG28 eine Hinterbliebenenversorgungszusage zu beurteilen, die vom Juni 1983 datierte und in der Folgendes vorgesehen war: Nach Ihrem Tode erhält Ihre jetzige Ehefrau eine lebenslängliche Witwenrente unter der Voraussetzung, dass die Ehe zwischenzeitlich nicht geschieden wird (...). Die Witwenrente erlischt bei Wiederverheiratung der Witwe.
Zum Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage im Juli 1983 war der Kläger verheiratet. Diese Ehe wurde zum 31.12.2004 nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis geschieden. Am 8.4.2006 heiratete der 25 Durch das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie v. 21.12.2015 (BGBl. I 2015, 2553) wird § 1 b Abs. 1 S. 1 BetrAVG ab dem 1.1.2018 (Art. 4) dahingehend geändert, dass die unverfallbare Anwartschaft erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 21. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens drei Jahre bestanden hat. 26 BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 509/08, NZA 2011, 1092 Rz. BAG v. 28.7.2005 – 3 AZR 457/04, NZA-RR 2006, 591 Rz. 36. 27 BAG v. 4.6.2008 – 4 AZR 421/07, NZA 2008, 1360 Rz. BAG v. 11.12.2007 – 1 AZR 953/06, DB 2008, 1215 Rz. 13. 28 BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15 n. v.
212
Unangemessene Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf „aktuellen“ Ehepartner
Kläger die am 31.10.1972 geborene Frau M. in zweiter Ehe. Seit dem 1.5.2014 erhielt der Kläger Altersversorgungsleistungen von dem beklagten Pensions-Sicherungs-Verein, nachdem über das Vermögen des früheren Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet worden war. Der Kläger hat den beklagten Pensions-Sicherungs-Verein auf Feststellung in Anspruch genommen, dass der zweiten Ehefrau eine Witwenrente zusteht. Ebenso wie die Vorinstanzen hat das BAG die Feststellungsklage des Klägers abgewiesen. Dabei geht das BAG zunächst davon aus, dass die Versorgungszusage nur die Ehefrau betraf, mit der der Kläger am 1.7.1983 – dem Zeitpunkt der Zusage – verheiratet war. Während das LAG Köln29 vor allem der Frage nachgegangen ist, ob die Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung auf die „jetzige“ Ehefrau zum Zeitpunkt ihrer Zusage im Hinblick auf die zweite aktuelle Ehefrau gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstößt oder eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters i. S. v. § 3 Abs. 2 AGG darstellt oder Art. 6 Abs. 1 GG verletzt und dies verneint, hält das BAG auf der Grundlage der AGB-Kontrolle die in der Versorgungszusage enthaltene Einschränkung der Witwenrente nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB für unangemessen benachteiligend und daher für rechtsunwirksam, weil dafür seitens des Arbeitgebers keine berechtigten Gründe bestehen. Allerdings hält das BAG eine ergänzende Vertragsauslegung für geboten, um die entstehende Lücke zu schließen, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage im Jahre 1983 eine AGB-Kontrolle noch nicht vorgesehen war. Diese Lückenausfüllung soll in der Weise erfolgen, dass die Witwenrente nur dann zu gewähren ist, wenn die Ehe bereits während des Arbeitsverhältnisses bestanden hat. Anlass für die AGB-Kontrolle ist nicht die Zusage der Hinterbliebenenversorgung als solche, die insoweit eine Hauptabrede darstellt, sondern die vom BetrAVG abweichende Einschränkung ihres Geltungsanspruchs auf die „jetzige“ Ehefrau mit ausschließendem Charakter „weiterer“ Ehefrauen (§ 307 Abs. 3 BGB). Die Besonderheit der Fallkonstellation lag zudem darin, dass es um die AGB-Kontrolle einer Regelung ging, die lange vor Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB geschaffen worden war. Die Regelungen zur Gestaltung der Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Fassung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sind nach der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 5 EGBGB anzuwenden. Gemäß Art. 229 § 5 EGBGB findet auf Dauerschuldverhältnisse, die vor dem
29 LAG Köln v. 24.4.2015 – 9 Sa 108/15 n. v. Rz. 33.
213
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
1.1.2002 begründet worden sind, vom 1.1.2003 an das BGB in der dann geltenden Fassung Anwendung. Hierzu gehören auch die §§ 305 bis 310 BGB. Vertrauensschutz hat das Gesetz nur bis zum 31.12.2002 eingeräumt. Ungeachtet dessen hat das BAG30 bei vor dem 1.1.2002 abgeschlossenen Verträgen eine unwirksame Klausel nicht an § 306 Abs. 2 BGB ersatzlos scheitern lassen, wenn diese Konsequenz einen rückwirkenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatautonomie bedeutete und keine angemessene, den typischen Interessen der Vertragspartner Rechnung tragende Lösung bieten würde. Bei derartigem Befund bedarf es der ergänzenden Vertragsauslegung, um die durch den Gesetzesverstoß entstandene Lücke zu schließen. Maßgeblich ist dabei, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten. Insofern bietet sich die vom BAG entwickelte Lösung der Lückenausfüllung an, weil im Falle des Wegfalls der in der Versorgungsordnung vorgesehenen Einschränkung der Hinterbliebenenversorgung die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung als Teil einer umfassenden Versorgungsregelung die Rechtsfolge gewesen wäre. Angesichts dessen ist es gerechtfertigt, die vom Arbeitgeber freiwillig eingeführte Hinterbliebenenversorgung auf einen Personenkreis zu beschränken, von dem er während des laufenden Arbeitsverhältnisses Kenntnis erhalten hat, um seinen Aufwand und seine Rückstellungen für die Hinterbliebenenversorgung abschätzen zu können. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, eine Hinterbliebenenversorgung zu schaffen, sodass es keinen Bedenken unterliegt, wenn diese von zusätzlichen Erfordernissen abhängig gemacht wird. Damit wird auch dem berechtigten Interesse des Versorgungsempfängers Rechnung getragen, der im Hinblick auf die finanzielle Absicherung seiner Hinterbliebenen entlastet wird, weil jedenfalls derjenige Ehegatte an der Hinterbliebenenversorgung teilnimmt, der während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses diese Position bekleidet. Insofern erfüllt auch die Hinterbliebenenversorgung als Gegenleistung für die Gesamtheit der erbrachten Arbeitsleistung im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis ihre Zweckbestimmung. (Boe)
30 BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87 Rz. 34.
214
Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften durch Altersgrenze?
3.
Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften durch Altersgrenze?
In einer Entscheidung vom 4.8.2015 hat der 3. Senat des BAG31 unter Berücksichtigung des AGG in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung32 eine Spätehenklausel, nach der Witwen- und Witwerversorgung nur gewährt wird, wenn der Arbeitnehmer, dem die Versorgungszusage erteilt wurde, die Ehe vor Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat, als unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters qualifiziert, die nicht nach § 10 S. 1 und S. 2 AGG gerechtfertigt ist. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gestattet, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Eine derartige Rechtfertigung für die Spätehenklausel, die auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abstellt, hat das BAG unter Hinweis darauf verneint, dass der vollständige Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung im Hinblick auf die Begrenzung des Versorgungsaufwands zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten führt und über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Dabei hat das BAG die Auffassung vertreten, dass § 10 S. 3 Nr. 4 AGG, wonach eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Falle der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen gerechtfertigt sein kann, im Falle der Hinterbliebenenversorgung nicht einschlägig ist, weil diese Vorschrift ausschließlich die Alters- und Invaliditätsversorgung, nicht aber das Risiko des Todes und damit die Hinterbliebenenversorgung betrifft. Versorgungszusagen, die den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung davon abhängig machen, dass die Ehe vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder vor Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer geschlossen wurde, hat das BAG33 hingegen als rechtlich unbedenklich eingestuft.
31 BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447. Abl. ErfK/Steinmeyer § 1 BetrAVG Rz. 8. 32 BAG v. 28.7.2005 – 3 AZR 457/04, NZA-RR 2006, 591. 33 BAG v. 15.10.2013 – 3 AZR 294/11, NZA 2014, 1203 Rz. 19 BAG v. 15.10.2013 – 3 AZR 653/11, NZA 2014, 308 Rz. BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 509/08, NZA 2011, 1092 Rz. 46 ff.
215
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Nunmehr war der EuGH in einem Urteil vom 24.11.201634 in einem Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage eines irischen Arbeitsgerichts u. a. mit der Frage befasst, ob Art. 2 und 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/7835 dahin auszulegen sind, dass eine nationale Regelung, die im Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems den Anspruch überlebender eingetragener Lebenspartner an die Voraussetzung knüpft, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen wurde, bevor das Mitglied das 60. Lebensjahr vollendet hat, obwohl es dem Mitglied nach nationalem Recht nicht möglich war, vor Erreichen dieser Altersgrenze eine eingetragene Lebenspartnerschaft zu schließen, eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung oder eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Soweit es um die Diskriminierung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Hinblick auf die gestellte Vorlagefrage geht, verneint der EuGH eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung gemäß Art. 2 der Richtlinie 2000/78, wonach es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe – zu denen u. a. die sexuelle Ausrichtung gehört – geben darf. Da das Versorgungssystem die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung sowohl an überlebende Ehegatten von Mitgliedern als auch an überlebende eingetragene Lebenspartner von Mitgliedern vorsieht und gleichermaßen an die Voraussetzung knüpft, dass die Ehe oder die eingetragene Lebenspartnerschaft vor der Vollendung des 60. Lebensjahres des Mitglieds geschlossen worden sein muss, ist sie nach Ansicht des EuGH neutral formuliert. Sie betrifft damit homosexuelle Arbeitnehmer ebenso wie heterosexuelle Arbeitnehmer, sodass überlebenden eingetragenen Lebenspartnern bezüglich der Hinterbliebenenversorgung keine weniger günstige Behandlung zuteilwird als überlebenden Ehegatten. Der EuGH geht zusätzlich der Frage nach, ob insoweit eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 anzunehmen ist, die vorliegt, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, dass diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Unabhängig davon, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines Eintritts in den Ruhestand nicht in der Lage war,
34 EuGH v. 24.11.2016 – C-443/15, NZA 2017, 233. – Parris. 35 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, ABl.L 303 vom 2.12.2000, S. 16.
216
Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften durch Altersgrenze?
die vorgesehenen Voraussetzungen für die Entstehung einer Anwartschaft auf die Hinterbliebenenversorgung zugunsten seines Lebenspartners zu erfüllen, weil eine solche Lebenspartnerschaft gesetzlich noch nicht anerkannt worden war, ist den Mitgliedstaaten nach Ansicht des EuGH auf der Grundlage der Richtlinie 2000/78 freigestellt, für Personen gleichen Geschlechts die Ehe oder eine alternative Form der gesetzlichen Anerkennung ihrer Beziehung vorzusehen oder nicht und ggf. den dafür maßgebenden Zeitpunkt festzulegen. Diese Schlussfolgerung entnimmt der EuGH dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78, wonach ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Richtlinie die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt lässt. Unter diesen Umständen kann nach Auffassung des EuGH keine mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung des Klägers angenommen werden. Sodann widmet sich der EuGH der weiteren Frage, ob die streitige Hinterbliebenenregelung eine Diskriminierung wegen des Alters begründet. Dabei konstatiert der EuGH zunächst, dass die zu beurteilende Regelung des betrieblichen Versorgungssystems eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters aufweist, weil sie die Begründung der Hinterbliebenenversorgung unmittelbar an die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft vor Vollendung des 60. Lebensjahres und damit an ein konkretes Alter anbindet. Damit war nach Ansicht des EuGH zu prüfen, ob eine derartige Ungleichbehandlung unter Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 einzuordnen ist, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Der EuGH bejaht dies und geht davon aus, dass die im Ausgangsverfahren streitige Hinterbliebenenversorgung, wonach das Mitglied des Versorgungssystems vor dem 60. Lebensjahr geheiratet oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft geschlossen hat, eine Altersgrenze für den Zugang zu der dem betreffenden Altersversorgungssystem entspringenden Hinterbliebenenversorgung festlegt. Da eine derartige Bestimmung unter Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 fällt, schlussfolgert der EuGH daraus, dass die Ungleichbehandlung wegen des Alters der streitigen Hinterbliebenenversorgung keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt.
217
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Angesichts dieser Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 durch den EuGH kann der 3. Senat des BAG ohne erneute Vorlage an den EuGH (Art. 267 AEUV) an seiner Rechtsprechung zur Spätehenklausel vom 4.8.201536 nicht mehr festhalten, weil § 10 S. 3 Nr. 4 AGG der Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dienen soll. Die vom BAG diagnostizierte Lücke in § 10 S. 3 Nr. 4 AGG für die Hinterbliebenenversorgung ist zu verneinen, sodass bei Spätehenklauseln ein Rechtfertigungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters entgegen der Auffassung des BAG zu bejahen ist. (Boe)
4.
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag
Im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 BetrAVG, wonach der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden hat, wurde zwar von der Rechtsprechung des BAG37 stets betont, dass sich die Anpassungspflicht auf dasjenige Unternehmen konzentriert, das als Arbeitgeber die entsprechende Versorgungszusage übernommen hat. Daher kam es grundsätzlich auf die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung des Versorgungsschuldners an, wenn es darum ging, die Anpassung der Betriebsrenten an den im Prüfungszeitraum eingetretenen Kaufkraftverlust bei unzureichender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigern zu dürfen. Davon wurde in Gestalt eines sogenannten Berechnungsdurchgriffs dann eine Ausnahme gemacht, wenn der Versorgungsschuldner in einen Konzern eingebunden war und trotz seiner Selbständigkeit und der Trennung der jeweiligen Vermögensmassen dem Versorgungsschuldner die günstige wirtschaftliche Lage eines anderen Konzernunternehmens zugerechnet wurde. Der Berechnungsdurchgriff hatte zur Folge, dass der Versorgungsschuldner, der eigentlich selbst wirtschaftlich außerstande war, die Betriebsrentenanpassung zu leisten, gleichwohl die entsprechende Anpassung des Ruhegeldes vornehmen musste, wenn die wirtschaftliche Lage des anderen Konzernunternehmens dies erlaubte und sich der Versorgungsschuldner die geleistete Betriebsrentenanpassung von dem anderen Konzernunternehmen erstatten lassen konnte.
36 BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447 Rz. 36. 37 Vgl. nur BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/13, NZA 2015,1187 Rz. BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 51/12, DB 2014, 2054 Rz. 18 ff. BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, NZA 2014, 87 Rz. 17 ff.
218
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Angesichts dieser Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 durch den EuGH kann der 3. Senat des BAG ohne erneute Vorlage an den EuGH (Art. 267 AEUV) an seiner Rechtsprechung zur Spätehenklausel vom 4.8.201536 nicht mehr festhalten, weil § 10 S. 3 Nr. 4 AGG der Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dienen soll. Die vom BAG diagnostizierte Lücke in § 10 S. 3 Nr. 4 AGG für die Hinterbliebenenversorgung ist zu verneinen, sodass bei Spätehenklauseln ein Rechtfertigungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters entgegen der Auffassung des BAG zu bejahen ist. (Boe)
4.
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag
Im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 BetrAVG, wonach der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden hat, wurde zwar von der Rechtsprechung des BAG37 stets betont, dass sich die Anpassungspflicht auf dasjenige Unternehmen konzentriert, das als Arbeitgeber die entsprechende Versorgungszusage übernommen hat. Daher kam es grundsätzlich auf die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung des Versorgungsschuldners an, wenn es darum ging, die Anpassung der Betriebsrenten an den im Prüfungszeitraum eingetretenen Kaufkraftverlust bei unzureichender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigern zu dürfen. Davon wurde in Gestalt eines sogenannten Berechnungsdurchgriffs dann eine Ausnahme gemacht, wenn der Versorgungsschuldner in einen Konzern eingebunden war und trotz seiner Selbständigkeit und der Trennung der jeweiligen Vermögensmassen dem Versorgungsschuldner die günstige wirtschaftliche Lage eines anderen Konzernunternehmens zugerechnet wurde. Der Berechnungsdurchgriff hatte zur Folge, dass der Versorgungsschuldner, der eigentlich selbst wirtschaftlich außerstande war, die Betriebsrentenanpassung zu leisten, gleichwohl die entsprechende Anpassung des Ruhegeldes vornehmen musste, wenn die wirtschaftliche Lage des anderen Konzernunternehmens dies erlaubte und sich der Versorgungsschuldner die geleistete Betriebsrentenanpassung von dem anderen Konzernunternehmen erstatten lassen konnte.
36 BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447 Rz. 36. 37 Vgl. nur BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/13, NZA 2015,1187 Rz. BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 51/12, DB 2014, 2054 Rz. 18 ff. BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, NZA 2014, 87 Rz. 17 ff.
218
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag
Eine derartige Konzernverbindung wurde angenommen, wenn entweder ein Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag bestand (Vertragskonzern) oder wenn ein konzernangehöriges Unternehmen die Geschäfte des Versorgungsschuldners tatsächlich dauernd und umfassend geführt hatte (qualifiziert faktischer Konzern) und eine konzerntypische Gefahr verwirklicht worden war. Von der Verwirklichung einer konzerntypischen Gefahr wurde im qualifiziert faktischen Konzern ausgegangen, wenn die vom herrschenden Unternehmen ausgeübte Leitungsmacht keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft genommen, sondern stattdessen die Interessen anderer dem Konzern angehörender Unternehmen oder seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt hatte und dadurch die mangelnde Leistungsfähigkeit des beherrschten Unternehmens verursacht worden war38. Im Hinblick auf den Vertragskonzern wurde unwiderlegbar vermutet, dass allein die Existenz eines Beherrschungsvertrags die haftungsbegründende konzerntypische Gefahr (keine angemessene Rücksichtnahme auf die Belange des abhängigen Unternehmens) auslöste, weil das verbundene Unternehmen seine wirtschaftliche Selbständigkeit eingebüßt habe (Fusion auf Zeit). Infolge eines Rechtsprechungswandels des BGH39, der für den qualifiziert faktischen Konzern das von ihm entwickelte Haftungskonzept der Durchgriffshaftung aufgegeben und an deren Stelle eine Verhaltenshaftung des Gesellschafters des herrschenden Unternehmens gegenüber der (abhängigen) Gesellschaft im Sinne einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB wegen eines kompensationslosen Entzugs von Vermögenswerten und eine dadurch hervorgerufene Insolvenz der Gesellschaft bzw. deren Vertiefung gesetzt hat, ist auch der 3. Senat des BAG40 beim qualifiziert faktischen Konzern vom Berechnungsdurchgriff zur Anpassung der Betriebsrente nach § 16 Abs. 1 BetrAVG abgerückt. Damit ist auch nach der Rechtsprechung des BAG an die Stelle der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern nach den §§ 302, 303 AktG analog ein zum Schadensersatz nach § 826 BGB verpflichtender existenzvernichtender Eingriff der Gesellschafter durch kompensationslosen Vermögensentzug getreten, der eine insolvenzverursachende Wirkung ausgelöst hat. Die Besonderheit dieses Rechtsprechungswandels besteht vor allem darin, dass bei Anwendung der Durchgriffshaftung die Haftungsbeschränkung einer Gesellschaft – etwa nach § 13 Abs. 2 GmbHG – mit der 38 BAG v. 21.10.2014 – 3 AZR 1027/12, NZA-RR 2015, 90 Rz. BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, NZA 2014, 87 Rz. 33. 39 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, NJW 2012, 3231 Rz. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, ZIP 2012, 1071 Rz. 13 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 Rz. 17, 22 f., 44. 40 BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, NZA 2014, 87 Rz. 35.
219
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Folge ausgeblendet wurde, dass die Gesellschafter im Sinne einer Außenhaftung gegenüber den Gläubigern persönlich hafteten, wie dies in § 128 HGB für die Gesellschafter einer Personengesellschaft vorgesehen ist. Durch den Rechtsprechungswandel ist nunmehr an die Stelle der Außenhaftung der Gesellschafter eine schadensersatzrechtliche Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft nach § 826 BGB getreten, sodass die Gläubiger die Gesellschafter nicht mehr unmittelbar in Anspruch nehmen können. Angesichts dessen wird jedenfalls bei einer qualifiziert faktischen Beherrschung eine Existenzvernichtungshaftung im Falle von Rentenanpassungen bedeutungslos, weil bei einer Insolvenz des tatsächlich beherrschten Versorgungsschuldners der Pensions-Sicherungs-Verein eintritt. Im Falle eines Beherrschungsvertrags hat allerdings das BAG in der Entscheidung vom 17.6.201441 – ohne weitere Voraussetzungen – einen Berechnungsdurchgriff auf das herrschende Unternehmen bejaht und dies damit begründet, dass das abhängige Unternehmen Anpassungsansprüche seiner Betriebsrentner nicht mit der Begründung ablehnen kann, seine schlechte wirtschaftliche Lage sei nicht durch Weisungen des herrschenden Unternehmens verursacht worden. Das herrschende Unternehmen habe die infolge der Anpassung der Betriebsrenten etwa entstehenden Verluste der abhängigen Gesellschaft nach § 302 AktG auszugleichen42. Ob Entsprechendes gilt, wenn kein Beherrschungsvertrag, sondern lediglich ein Ergebnis- bzw. Gewinnabführungsvertrag besteht, hat das BAG offen gelassen, weil der Gewinnabführungsvertrag der Konzernobergesellschaft – anders als der Beherrschungsvertrag – nicht das Recht und die Möglichkeit einräumt, ihre eigene unternehmerische Zielkonzeption zu entwickeln und zu verfolgen und diese, ggf. durch Ausübung des Weisungsrechts, in der durch den Unternehmensvertrag verbundenen Gesellschaft durchzusetzen. Konsequenz dieser Rechtsprechung war, dass sich das beherrschte Unternehmen als Versorgungsschuldner wegen der unwiderlegbaren Vermutung eines haftungsrelevanten Verhaltens des herrschenden Unternehmens bei einem Beherrschungsvertrag der Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG nicht entziehen konnte. Allerdings kommt es auf die wirtschaftliche Situation des Versorgungsschuldners vor der Gewinnabführung an. Auch diese Rechtsprechung des BAG zum Berechnungsdurchgriff bei einem Beherrschungsvertrag hat durch eine weitere Entscheidung des 3. Senats vom
41 BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BB 2015, 190 Rz. 80. 42 BAG v. 26.5.2009 – 3 AZR 369/07, NZA 2010, 641 Rz. 30.
220
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag
10.3.201543 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung44 eine Änderung erfahren. Nunmehr rückt der 3. Senat des BAG von der Bewertung ab, dass ein Beherrschungsvertrag per se unwiderlegbar die Vermutung der Begründung einer konzerntypischen Gefahrenlage (keine angemessene Rücksichtnahme auf die Belange des abhängigen Unternehmens) auslöst, was bislang dem Versorgungsschuldner den Einwand abgeschnitten hat, dass sich die im Beherrschungsvertrag angelegte Gefahrenlage überhaupt nicht verwirklicht habe. Der jetzt zur Entscheidung gestellte Fall betraf eine Rentner- bzw. Abwicklungsgesellschaft, deren eigene wirtschaftliche Lage der Anpassung der Betriebsrente des Klägers an den seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust entgegenstand, weil feststand, dass diese bis zum nächsten Anpassungsstichtag keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erzielen konnte. Da die Gesellschaft Teil eines Konzerns war und ein Beherrschungsvertrag mit einer anderen Konzerngesellschaft bestand, ging es um die Frage, ob die Rentnergesellschaft – wie das LAG Hamm als Vorinstanz angenommen hat – im Wege des Berechnungsdurchgriffs gleichwohl die vom versorgungsberechtigten Kläger verlangte Betriebsrentenanpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG vorzunehmen hatte, weil ihr die günstige wirtschaftliche Lage des herrschenden anderen Konzernunternehmens zuzurechnen war. Das BAG bestätigt erneut, dass der Berechnungsdurchgriff nichts an der Schuldnerstellung ändert, sodass Schuldner der Anpassungsprüfung sowie der Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG der Versorgungsschuldner bleibt. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung geht nunmehr der Ruhegeldsenat des BAG davon aus, dass das Bestehen eines Beherrschungsvertrags nicht ohne weiteres einen Berechnungsdurchgriff rechtfertigt und dieser zu verneinen ist, wenn sich die aus einem Beherrschungsvertrag ergebende Gefahrenlage für die Betriebsrentner nicht verwirklicht hat. Dabei lässt das BAG den Gedanken fallen, dass bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags unwiderlegbar vermutet wird, das herrschende Unternehmen habe bei der Ausübung der Leitungsmacht keine angemessene Rücksicht auf die Belange des abhängigen Unternehmens genommen. Grundlage dieses bisherigen Denkansatzes bildeten die Wertungen der §§ 302, 303 AktG, wonach das herrschende Unternehmen die infolge der Anpassung der Betriebsrenten entstehenden Verluste der abhängigen Gesellschaft auszugleichen habe. Unterstützend war dabei die Überlegung herangezogen worden, dass die herrschende Gesellschaft 43 BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/13, NZA 2015, 1187. 44 BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BB 2015, 190 BAG v. 26.5.2009 – 3 AZR 369/07, NZA 2010, 641.
221
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
ihre eigene unternehmerische Zielkonzeption durch Ausübung des Weisungsrechts nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG gegenüber der durch den Beherrschungsvertrag verbundenen Gesellschaft durchsetzen kann (Fusion auf Zeit)45. Das BAG verzichtet zwar nicht generell auf einen Berechnungsdurchgriff bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrags, gibt jedoch den Gedanken auf, dass der Verlustausgleich nach § 302 AktG eine Grundlage für einen ansonsten voraussetzungslosen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens abgibt. Der Beherrschungsvertrag begründet zwar eine konzerntypische Gefahrenlage für die Betriebsrentner am durch § 16 Abs. 1 BetrAVG geschützten Werterhalt der Betriebsrente, zumal § 308 Abs. 1 AktG der herrschenden Gesellschaft über den Beherrschungsvertrag die Möglichkeit einräumt, Weisungen auch zum Nachteil der beherrschten Gesellschaft zu erteilen, erfordert allerdings im Interesse der Versorgungsempfänger für einen Berechnungsdurchgriff die (tatsächliche) Verwirklichung der Gefahrenlage. Sind der beherrschten Gesellschaft keine Weisungen erteilt worden oder waren derartige Weisungen nicht ursächlich für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Versorgungsschuldners, besteht nach geänderter Auffassung des BAG kein Grund für einen Berechnungsdurchgriff, weil der Betriebsrentner durch die Konzernzugehörigkeit nicht bessergestellt werden soll, als er stehen würde, wenn der Versorgungsschuldner konzernunabhängig wäre. Die mit dem Beherrschungsvertrag entstandene Gefahrenlage stellt nach dieser neuen Bewertung des BAG eine Ausnahmesituation dar, für die der Versorgungsempfänger die Darlegungs- und Beweislast trägt. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wird allerdings vom BAG dahingehend abgemildert, dass der Versorgungsempfänger zunächst nur das Bestehen eines Beherrschungsvertrags darlegen und nachweisen muss, was ihm regelmäßig wegen einer entsprechenden Eintragung ins Handelsregister (§ 294 AktG) nicht schwerfallen dürfte. Zusätzlich muss der Versorgungsempfänger zumindest behaupten, dass sich die dem Beherrschungsvertrag eigene Gefahrenlage verwirklicht hat. Es ist dann Sache des Versorgungsschuldners unter Mitteilung von Beweismitteln nachvollziehbar darzulegen, dass die konzerntypische Gefahrenlage für die negative wirtschaftliche Situation nicht ursächlich ist, insbesondere, wie sich erteilte Weisungen des herrschenden Unternehmens auf sein Unternehmen wirtschaftlich ausgewirkt haben oder dass er auch ohne Weisungen 45 Krit. dazu OLG Frankfurt v. 26.1.2015 – 16 U 56/14 n. Cisch/Kruip, Diller/Beck, Forst/Granetzny, BetrAV 2011, 118 Rolfs/Heikel, NZA 2014, 1161, 1163.
222
Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff bei Beherrschungsvertrag
zur Anpassung der Betriebsrente wegen Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage nicht verpflichtet wäre. Falls sich der Versorgungsschuldner damit verteidigt, keine Weisungen der herrschenden Gesellschaft erhalten zu haben, muss er nach Ansicht des BAG nachvollziehbar erläutern, aus welchen Gründen der Beherrschungsvertrag geschlossen wurde, wie dieser in der Praxis umgesetzt wurde und welche wirtschaftlichen Auswirkungen er hatte. Unterlässt der Arbeitgeber und Versorgungsschuldner einen entsprechenden Sachvortrag, so will das BAG die Behauptung des Versorgungsempfängers, die durch den Beherrschungsvertrag geschaffene Gefahrenlage habe sich verwirklicht, als zugestanden (§ 138 Abs. 2 ZPO) ansehen. Benennt der Arbeitgeber keine Beweismittel, auf die sich anschließend der Arbeitnehmer für seinen gegenteiligen Vortrag berufen kann, soll dies vom Gericht als Beweisvereitelung nach § 286 ZPO berücksichtigt werden. Diesem Rechtsprechungswandel des BAG hat sich der 2. Senat des BGH in einer Entscheidung vom 27.9.201646 ausdrücklich angeschlossen. Der Fall betraf ein ehemaliges Vorstandsmitglied einer Tochtergesellschaft, mit der ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen worden war. Nach Aufgabe ihres operativen Geschäfts verfügte die Tochtergesellschaft nicht mehr über genügend wirtschaftliche Mittel für eine Betriebsrentenanpassung, die der Kläger vor dem Landgericht geltend gemacht hat. Die Auswirkungen dieser Rechtsprechungsänderung sind für die betriebliche Praxis beträchtlich. Soweit eine Konzernverbindung die Qualität eines qualifiziert faktischen Konzerns aufweist, hat sich die Durchgriffshaftung des Versorgungsschuldners praktisch erledigt. Beruht die Konzernverbindung auf einem Beherrschungsvertrag, tritt ebenfalls eine deutliche Haftungserleichterung des Versorgungsschuldners durch die neue Rechtsprechung des BAG insofern ein, als die beherrschte Gesellschaft sich erfolgreich damit verteidigen kann, infolge des Beherrschungsvertrags nicht in eine wirtschaftliche Lage manövriert worden zu sein, die eine Rentenanpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ausschließt. (Boe)
46 BGH v. 27.9.2016 – II ZR 57/15, DB 2016, 2653.
223
G. Tarifrecht 1.
Altvertrag: Wegfall des Privilegs einer Gleichstellungsabrede durch Änderung des Arbeitsvertrags nach Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung
Die Schuldrechtsmodernisierung ist am 1.1.2002 in Kraft getreten. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 BGB) hat dies zur Folge, dass Arbeitsverträge im Zweifel den Schranken der AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB) unterworfen sind. Arbeitsverträge, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen worden waren (Altverträge), mussten diese Schranken erst ab dem 1.1.2003 beachten. Dann lief die Übergangsregelung aus Art. 229 § 5 EGBGB aus. In der Regel haben die Arbeitsvertragsparteien diese Jahresfrist nicht genutzt, den Arbeitsvertrag an die neuen Vorgaben der Schuldrechtsmodernisierung anzupassen. Regelungen, die die neuen Schranken missachteten, sind damit grundsätzlich unwirksam (§ 306 BGB). Ausnahmen hat die Rechtsprechung bislang nur für die dynamische Bezugnahme auf die für den Arbeitgeber jeweils verbindlichen Tarifverträge (Gleichstellungsabreden)1, Widerrufsvorbehalte in Bezug auf übertarifliche Zulagen2 sowie arbeitsvertragliche Ausschlussfristen3 anerkannt. Hier sollen die den Arbeitgeber günstiger stellenden Überlegungen zur Auslegung und Anwendung entsprechender Klauseln – ggf. eingeschränkt – jedenfalls dann noch zur Anwendung kommen, wenn es sich um einen Altvertrag handelt. Angesichts der Bedeutung entsprechender Klauseln ist es für den Arbeitgeber wichtig sicherzustellen, dass dieses Privileg nicht durch den Abschluss einer ergänzenden Vereinbarung zum Arbeitsvertrag verloren geht. Dies hat – in Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen4 – das BAG mit seinem Urteil vom 7.12.20165 deutlich gemacht. In dem zugrundeliegenden Fall
1 2 3 4 5
BAG v. 23.2.2011 – 4 AZR 536/09, NZA-RR 2011, 1725 Rz. 17 f.; BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607 Rz. 24 ff. BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87; BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465. Vgl. BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, NZA 2016, 1539 Rz. 20. BAG v. 18.11.2009 – 4 AZR 514/08, NZA 2010, 170 Rz. 23; BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1173 ff. BAG v. 7.12.2016 - 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 29 ff., 32 ff.
225
Tarifrecht
hatten die Parteien im Arbeitsvertrag vom 30.9.1992 unter anderem vereinbart: §2 Anwendung von Tarifverträgen Auf das Arbeitsverhältnis finden in der jeweils gültigen Fassung Anwendung: a) Der Bundesmanteltarifvertrag zwischen dem Bundesverband Deutscher Privatkrankenanstalten e. V. (BDPK) einerseits und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr sowie der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft andererseits, b) Der Vergütungs- und Lohntarifvertrag zwischen dem Verband der Privatkrankenanstalten (Landesverband der BDPK) einerseits und der Bezirksverwaltung … der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr sowie dem Landesverband … der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft andererseits. …
Nachdem die Arbeitgeberin bereits 1994 aus der tarifgebundenen in eine außerordentliche Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) im Verband der Privatkrankenanstalten in Bayern e. V. (VPKA), welcher seinerseits Mitglied im BDPK ist, gewechselt war, stellte sich die Frage, ob die Klägerin Zahlungsansprüche nach der jeweils aktuellen Entgelttabelle der im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge verlangen konnte. Zur Begründung verwies die Klägerin auf eine Änderungsvereinbarung, die am 9.12.2003 abgeschlossen worden war. Darin hieß es u. a.: Die Vertragsparteien stimmen überein, dass der § 7 – Beschäftigungszeit – des am 30.9.1992 geschlossenen Arbeitsvertrages gegenstandslos ist und durch den folgenden ersetzt wird. §7 Beschäftigungszeit (1)
Die Beschäftigungszeit (§ 9 des Bundesmanteltarifvertrages) beginnt am 01.09.2003. Frau B wird auf Ihren eigenen Wunsch mit 100 Stunden monatlich beschäftigt. Weitere Paragraphen des Arbeitsvertrages vom 30.09.1992 bleiben unberührt.
Als Konsequenz dieser Vereinbarung über die Änderung des Arbeitsvertrags komme ein etwaiges für Altverträge geltendes Privileg in Bezug auf die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel nicht mehr zur Anwendung. Vielmehr 226
Änderung des Arbeitsvertrags nach Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung
sei – entsprechend ihrem Wortlaut – von einer Bezugnahme auf die aktuellen Entgeltregelungen auszugehen. Dass arbeitgeberseitig vertreten werde, dass der Satz, nachdem weitere Paragrafen des Arbeitsvertrags unberührt bleiben sollen, lediglich floskelhaft aufgenommen worden sei, spiele keine Rolle. Das BAG hat die Sichtweise der Klägerin bestätigt und einen Anspruch auf eine Vergütung nach Maßgabe der aktuellen Entgelttabelle anerkannt. In seiner Begründung ist es zunächst einmal davon ausgegangen, dass es sich bei einer Bezugnahmeklausel, die – wie hier – auf bestimmte Tarifverträge „in der jeweils gültigen Fassung“ verweise, regelmäßig um eine sogenannte kleine dynamische Bezugnahmeklausel handele, die auch ändernde Tarifverträge einbeziehe. Hiervor würden auch Tarifverträge der Gewerkschaft ver.di erfasst, die als Rechtsnachfolgerin der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr tätig geworden sei. Entgegen der arbeitgeberseitig vertretenen Auffassung könne als Folge der Vertragsänderung auch nicht mehr von einer Gleichstellungsabrede ausgegangen werden, die nach dem Wechsel in die OT-Mitgliedschaft nur noch auf die zu diesem Zeitpunkt geltenden Tarifverträge verweise. Zwar galt nach der früheren Rechtsprechung des BAG die – widerlegbare – Vermutung, es gehe einem am Arbeitsvertrag in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten Beschäftigten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Daraus hatte das BAG die Konsequenz gezogen, dass ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder aus den Begleitumständen bei Vertragsschluss für den Fall einer normativen Gebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge Bezugnahmeklauseln in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen seien. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung sei deshalb einschränkend dahin auszulegen, dass die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik nur so weit gehe, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reiche. Sie ende also dann, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden sei. Diese Rechtsprechung hatte das BAG allerdings für Vereinbarungen aufgegeben, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002 vereinbart wurden. Hiervon werden allerdings nicht nur neue Arbeitsverträge erfasst, die im Zusammenhang mit Neueinstellungen abgeschlossen werden. Vielmehr geht der 4. Senat des BAG davon aus, dass die frühere Auslegungsregel auch dann nicht – mehr – zum Tragen kommt,
227
Tarifrecht
wenn ein Altvertrag aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung nach dem 31.12.2001 geändert wurde. Wie das BAG in seinem Urteil vom 7.12.20166 noch einmal deutlich gemacht hat, kommt es für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung einer Klausel um einen Neu- oder Altvertrag handelt, maßgebend darauf an, ob die Klausel im Zusammenhang mit einer Vertragsänderung in der Zeit nach dem 31.12.2001 zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Nur wenn dies der Fall sei, werde die jeweilige Klausel von der Vertragsänderung erfasst7. Von diesen Grundsätzen ausgehend sieht das BAG einen „deutlichen Ausdruck“ dafür, dass eine zuvor bestehende Bezugnahmeklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Arbeitsvertragsparteien gemacht worden ist und nach dem Willen der Vertragsparteien daran auch nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung festgehalten werden soll, beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben“8. Eine solche Regelung hindere die Annahme eines „Altvertrags“ und damit auch eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes9. Konsequenterweise ist das BAG damit auch im vorliegenden Fall zu der Annahme eines Neuvertrags gelangt. Mit der Formulierung „weitere Paragraphen des Arbeitsvertrages vom 30.09.1992 bleiben unberührt.“, hätten die Arbeitsvertragsparteien – so das BAG – deutlich gemacht, dass sie sämtliche vorherigen Vereinbarungen und damit auch die bisherige Bezugnahmeklausel in ihre rechtsgeschäftliche Willensbildung einbezogen haben. Dies gelte umso mehr, wenn – wie hier – eine Änderungsvereinbarung abgeschlossen werde, ohne dass dies dazu genutzt werde, die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel an die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen (hier: OTMitgliedschaft) anzupassen10. So konsequent diese Rechtsprechung ist, so wenig berücksichtigt sie doch die in der betrieblichen Praxis typische Interessenlage, die bei Abschluss solcher Änderungsvereinbarungen auch für den Arbeitnehmer erkennbar wird. Denn entgegen der durch den 4. Senat des BAG angenommenen 6 7
BAG v. 7.12.2016 - 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 31. Ebenso bereits BAG v. 8.7.2015 – 4 AZR 51/14, NZA 2015, 1462 Rz. 26; BAG v. 24.2.2010 – 4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530 Rz. 25. 8 So BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1173 Rz. 49. 9 So BAG v. 18.11.2009 – 4 AZR 514/08, NZA 2010, 170 Rz. 25. 10 BAG v. 7.12.2016 – 4 AZR 414/14, NZA 2017, 597 Rz. 32 ff., 35.
228
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitgebers
Zweckbestimmung geht es den Arbeitsvertragsparteien bei der isolierten Änderung einer bestimmten Vertragsklausel in der Regel nur darum, insoweit neue Arbeitsbedingungen festzulegen. Andernfalls würde man insgesamt einen neuen Arbeitsvertrag abschließen. Mit dem Zusatz, dass der Arbeitsvertrag im Übrigen „unberührt“ bleiben soll, wird deshalb zum Ausdruck gebracht, dass die dort in Bezug auf andere Rechte und Pflichten getroffenen Regelungen gerade nicht Gegenstand der aktuellen Änderungsvereinbarung sind. Sie bleiben unberührt, unangetastet und sollen deshalb auch nicht Gegenstand einer erneuten Bestätigung sein. Schlussendlich bleibt der betrieblichen Praxis aber nichts anderes übrig, als diese Rechtsprechung hinzunehmen und arbeitsvertragliche Änderungsvereinbarungen anzupassen. Sie dürfen nicht mehr nur eine Feststellung enthalten, nach der die übrigen Regelungen des Arbeitsvertrags unberührt bleiben. Vielmehr sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass die übrigen Regelungen des Arbeitsvertrags nicht Gegenstand dieser Änderungsvereinbarung sind und gerade deshalb unangetastet, unberührt oder unverändert bleiben. Die letztgenannte Feststellung dient damit der Klarstellung, hat aber angesichts des Umstands, dass die übrigen Regelungen eben nicht Gegenstand der erneuten Vereinbarung sind, nur deklaratorischen Charakter. Dies ist wichtig, um auch weiterhin die Privilegien eines Altvertrags in Bezug auf eine etwaige Bezugnahmeklausel, eine Ausschlussfrist und/oder den Widerrufsvorbehalt in Bezug auf übertarifliche Zulagen nutzbar machen zu können. (Ga)
2.
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitgebers zu dem Ergebnis von Tarifvertragsverhandlungen
In der betrieblichen Praxis besteht häufig das Bedürfnis, die von einer Änderung des Tarifvertrags betroffenen Arbeitnehmer über die wesentlichen Verhandlungsergebnisse in Kenntnis zu setzen. Entsprechende Informationen erfolgen in der Regel dann, wenn Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung oder Interessenausgleich und Sozialplan zum Abschluss gekommen sind. Dabei kann die Information durch ein Rundschreiben, durch mündliche Auskünfte oder durch eine Veröffentlichung im Intranet vorgenommen werden. In allen Fällen stellt sich aber die Frage, welche Rechtsfolgen eine fehlerhafte oder in wesentlichen Punkten unvollständige Information durch den Arbeitgeber besitzt, wenn diese den Arbeitnehmer veranlasst, Ansprüche nicht oder nicht vollständig geltend zu machen.
229
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitgebers
Zweckbestimmung geht es den Arbeitsvertragsparteien bei der isolierten Änderung einer bestimmten Vertragsklausel in der Regel nur darum, insoweit neue Arbeitsbedingungen festzulegen. Andernfalls würde man insgesamt einen neuen Arbeitsvertrag abschließen. Mit dem Zusatz, dass der Arbeitsvertrag im Übrigen „unberührt“ bleiben soll, wird deshalb zum Ausdruck gebracht, dass die dort in Bezug auf andere Rechte und Pflichten getroffenen Regelungen gerade nicht Gegenstand der aktuellen Änderungsvereinbarung sind. Sie bleiben unberührt, unangetastet und sollen deshalb auch nicht Gegenstand einer erneuten Bestätigung sein. Schlussendlich bleibt der betrieblichen Praxis aber nichts anderes übrig, als diese Rechtsprechung hinzunehmen und arbeitsvertragliche Änderungsvereinbarungen anzupassen. Sie dürfen nicht mehr nur eine Feststellung enthalten, nach der die übrigen Regelungen des Arbeitsvertrags unberührt bleiben. Vielmehr sollte ausdrücklich festgehalten werden, dass die übrigen Regelungen des Arbeitsvertrags nicht Gegenstand dieser Änderungsvereinbarung sind und gerade deshalb unangetastet, unberührt oder unverändert bleiben. Die letztgenannte Feststellung dient damit der Klarstellung, hat aber angesichts des Umstands, dass die übrigen Regelungen eben nicht Gegenstand der erneuten Vereinbarung sind, nur deklaratorischen Charakter. Dies ist wichtig, um auch weiterhin die Privilegien eines Altvertrags in Bezug auf eine etwaige Bezugnahmeklausel, eine Ausschlussfrist und/oder den Widerrufsvorbehalt in Bezug auf übertarifliche Zulagen nutzbar machen zu können. (Ga)
2.
Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitgebers zu dem Ergebnis von Tarifvertragsverhandlungen
In der betrieblichen Praxis besteht häufig das Bedürfnis, die von einer Änderung des Tarifvertrags betroffenen Arbeitnehmer über die wesentlichen Verhandlungsergebnisse in Kenntnis zu setzen. Entsprechende Informationen erfolgen in der Regel dann, wenn Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung oder Interessenausgleich und Sozialplan zum Abschluss gekommen sind. Dabei kann die Information durch ein Rundschreiben, durch mündliche Auskünfte oder durch eine Veröffentlichung im Intranet vorgenommen werden. In allen Fällen stellt sich aber die Frage, welche Rechtsfolgen eine fehlerhafte oder in wesentlichen Punkten unvollständige Information durch den Arbeitgeber besitzt, wenn diese den Arbeitnehmer veranlasst, Ansprüche nicht oder nicht vollständig geltend zu machen.
229
Tarifrecht
In seinem Urteil vom 15.12.201611 hat der 6. Senat des BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass der Arbeitnehmer dem Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist bei der Geltendmachung etwaiger Ansprüche aus der geänderten Kollektivvereinbarung grundsätzlich mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung u. a. dann begegnen könne, wenn es der Arbeitgeber pflichtwidrig unterlassen habe, ihm Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Frist veranlasst hätten12. Ein solcher Einwand dürfte allerdings nur im Ausnahmefall mit Erfolg geltend gemacht werden können. Grundsätzlich ist es – so das BAG – Sache des Arbeitnehmers, sich über die Rechtslage hinsichtlich eines Anspruchs selbst zu informieren. Denn aufgrund der im Zivilrecht geltenden Privatautonomie habe im Arbeitsverhältnis jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen grundsätzlich selbst zu sorgen. Dies gelte auch für die Wahrung der Ausschlussfrist. Hiervon ausgehend sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer auf tarifliche Änderungen hinzuweisen, damit er daran anknüpfend etwaige Ansprüche fristgerecht geltend machen kann13. In dem der Entscheidung vom 15.12.201614 zugrundeliegenden Fall hatte das BAG deshalb den Arbeitgeber auch für berechtigt gehalten, sich im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines tarifvertraglichen Anspruchs auf eine Funktionsstufe auf den Ablauf der tarifvertraglichen Ausschlussfrist zu berufen. Dass die Beklagte den Kläger im Zusammenhang mit der Änderung des Tarifvertrags nicht auf den Umstand hingewiesen hatte, dass als Folge dieser Änderung ein Anspruch auf Zahlung einer Funktionsstufe entstanden sei, stehe dieser Berechtigung nicht entgegen. Schließlich habe sich der Kläger als Folge dieser Auskunft nicht weiter informiert und den Anspruch deshalb nicht fristgerecht geltend gemacht. Dieses Unterlassen falle aber allein in seine Risikosphäre, so dass der Beklagten kein widersprüchliches Verhalten vorgeworfen werden könne. Unabhängig davon weist das BAG allerdings daraufhin, dass der Arbeitgeber gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen der Erteilung einer falschen Auskunft über einen etwaigen Anspruch des Arbeitnehmers zum Schadensersatz verpflichtet sein kann, wenn der Kläger im Vorfeld dieser Auskunft ein gesteigertes Informationsbedürfnis zu erkennen gegeben hätte. Hiervon sei insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf dessen ausdrückliches Verlangen nach einer entsprechenden Information 11 12 13 14
BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 15. Ebenso BAG v. 18.2.2016 – 6 AZR 628/14, NZA-RR 2016, 330 Rz. 25. BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 16 f. BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 18.
230
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
falsch informiere oder wenn er ihn im Rahmen von Verhandlungen über Vertragsänderungen, die arbeitgeberseitig initiiert wurden, falsch berate. Denn wenn der Arbeitgeber einer solchen Bitte um eine entsprechende Auskunft nachkomme, müsse diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Sei dies nicht der Fall, hafte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Schäden, für die eine von ihm schuldhaft erteilte fehlerhafte Auskunft ursächlich gewesen sei. Dies gelte selbst dann, wenn der Arbeitgeber auf ein vom Arbeitnehmer offenbartes Informationsbedürfnis hin eine überobligatorische Auskunft erteile. § 280 Abs. 1 BGB verlagere insoweit das Risiko, dass die erteilte Auskunft inhaltlich zutreffe, in die Risikosphäre des Arbeitgebers15. Dieser Differenzierung des BAG in Bezug auf die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitnehmers über die Ergebnisse von Verhandlungen über eine Kollektivvereinbarung überzeugt. Hiervon ausgehend sind Schadenersatzansprüche von Arbeitnehmern auch dann abzulehnen, wenn entsprechende (Wissens-)Erklärungen zu dem Inhalt solcher Vereinbarungen in wesentlichen Punkten unvollständig und oder fehlerhaft sind. Ohne die Annahme eines gesteigerten Informationsbedürfnisses obliegt es generell dem Arbeitnehmer, sich selbst Kenntnis zum Inhalt der für ihn relevanten Regelungen einer solchen Kollektivvereinbarung zu verschaffen. (Ga)
3.
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
a)
Klarstellung des EuGH zur dynamischen Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang?
Im vergangenen Jahr hatten wir darauf verwiesen, dass der 4. Senat des BAG durch sein Urteil vom 7.6.201516 den EuGH gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung in Bezug auf die Frage angerufen hatte, ob die bisherige Rechtsprechung zur Wirkungsweise einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag im Anschluss an einen Betrieb- oder Betriebsteilübergang mit Art. 16 GRC bzw. der Richtlinie 2001/23/EG vereinbar ist. Ziel des Vorabentscheidungsersuchens war es, bei der Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), die durch den Veräußerer eines Betriebs vereinbart wurde, gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB auch den Erwerber verpflichten zu
15 BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 23 ff., 26 f. 16 BAG v. 7.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373.
231
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
falsch informiere oder wenn er ihn im Rahmen von Verhandlungen über Vertragsänderungen, die arbeitgeberseitig initiiert wurden, falsch berate. Denn wenn der Arbeitgeber einer solchen Bitte um eine entsprechende Auskunft nachkomme, müsse diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Sei dies nicht der Fall, hafte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Schäden, für die eine von ihm schuldhaft erteilte fehlerhafte Auskunft ursächlich gewesen sei. Dies gelte selbst dann, wenn der Arbeitgeber auf ein vom Arbeitnehmer offenbartes Informationsbedürfnis hin eine überobligatorische Auskunft erteile. § 280 Abs. 1 BGB verlagere insoweit das Risiko, dass die erteilte Auskunft inhaltlich zutreffe, in die Risikosphäre des Arbeitgebers15. Dieser Differenzierung des BAG in Bezug auf die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Information des Arbeitnehmers über die Ergebnisse von Verhandlungen über eine Kollektivvereinbarung überzeugt. Hiervon ausgehend sind Schadenersatzansprüche von Arbeitnehmern auch dann abzulehnen, wenn entsprechende (Wissens-)Erklärungen zu dem Inhalt solcher Vereinbarungen in wesentlichen Punkten unvollständig und oder fehlerhaft sind. Ohne die Annahme eines gesteigerten Informationsbedürfnisses obliegt es generell dem Arbeitnehmer, sich selbst Kenntnis zum Inhalt der für ihn relevanten Regelungen einer solchen Kollektivvereinbarung zu verschaffen. (Ga)
3.
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
a)
Klarstellung des EuGH zur dynamischen Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang?
Im vergangenen Jahr hatten wir darauf verwiesen, dass der 4. Senat des BAG durch sein Urteil vom 7.6.201516 den EuGH gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung in Bezug auf die Frage angerufen hatte, ob die bisherige Rechtsprechung zur Wirkungsweise einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag im Anschluss an einen Betrieb- oder Betriebsteilübergang mit Art. 16 GRC bzw. der Richtlinie 2001/23/EG vereinbar ist. Ziel des Vorabentscheidungsersuchens war es, bei der Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), die durch den Veräußerer eines Betriebs vereinbart wurde, gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB auch den Erwerber verpflichten zu
15 BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 578/15, NZA 2017, 528 Rz. 23 ff., 26 f. 16 BAG v. 7.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373.
231
Tarifrecht
können, weiterhin die jeweils gültige Fassung dieses Tarifvertrags anzuwenden, selbst wenn er selbst kraft Gesetzes nicht an diesen Firmen- oder Verbandstarifvertrag gebunden ist. Nach Auffassung des BAG stehe diese Auslegung und Anwendung von § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB nicht im Widerspruch zur Richtlinie 2001/23/EG. Vielmehr gehörten die durch den übertragenen Rechtsträger getroffenen Vereinbarungen zum Bestand der auf den Erwerber übergehenden „Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nach Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG. Ausgehend davon, dass der EuGH mit seinen Entscheidungen vom 18.7.201317 und vom 11.9.201418 auch unter Berücksichtigung der durch Art. 16 GRC geschützten Interesse der beteiligten Unternehmen keine hiervon abweichende Einschränkung des Schutzniveaus habe vornehmen wollen, sei deshalb auch eine Übernahme dieser Rechtsposition durch den Erwerber gerechtfertigt19. Von dieser Annahme ausgehend hatte das BAG den EuGH u. a. um Beantwortung folgender Fragen ersucht: Steht Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG … einer nationalen Regelung entgegen, die vorsieht, dass im Falle eines Unternehmens- oder Betriebsübergangs alle zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom und individuell im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen auf den Erwerber unverändert übergehen, so als hätte er sie selbst mit dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart, wenn das nationale Recht sowohl einvernehmlich als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht?
Eine entsprechende Frage hatte das BAG in Bezug auf die Vereinbarkeit mit Art. 16 GRC gestellt. Mit seinem Urteil vom 27.4.201720 hat der EuGH das Vorabentscheidungsersuchen beantwortet und klargestellt, dass § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB eine dynamische Bindung des Erwerbers an die in einer Bezugnahmeklausel genannten Tarifverträge begründen kann. Denn Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG i. V. mit Art. 16 GRC sei dahin auszulegen, dass sich bei einem Betriebsübergang die Fortgeltung der sich für den Veräußerer aus einem Arbeitsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten auf die zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom vereinbarte Klausel erstrecke, wonach sich ihr Arbeitsverhältnis nicht nur nach dem zum Zeitpunkt des Übergangs 17 EuGH v. 18.7.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835 Rz. 25 – Alemo Herron. 18 EuGH v. 11.9.2014 – C-328/13, NZA 2014, 1092 Rz. 29 – Österreichischer Gewerkschaftsbund. 19 BAG v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A), NZA 2016, 373 Rz. 32 ff., 38. 20 EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 und C-681/15, BB 2017, 1076 – Felja/Graf.
232
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
geltenden Kollektivvertrag, sondern auch nach den diesen nach dem Übergang ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Kollektivverträgen richte. Auf den ersten Blick könnte damit die in der Vergangenheit geführte Diskussion über die Rechtsfolgen einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel beim Betriebsübergang beantwortet sein. Tatsächlich ist dies aber nicht der Fall, wie bereits die Entscheidungsgründe des Urteils vom 27.4.201721 unter Berücksichtigung der vorangehenden Feststellungen des BAG im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchens deutlich machen. Zwar erkennt der EuGH in seinem Urteil einleitend an, dass die Richtlinie 2001/23/EG grundsätzlich so zu verstehen sei, dass die sich aus einem Arbeitsvertrag ergebende Pflicht auf den Erwerber übergehe. Hierzu gehöre auch eine „dynamische“ Vertragsklausel. Unter Bezugnahme auf seine vorangehenden Entscheidungen verweist der EuGH allerdings auch in seinem aktuellen Urteil noch einmal darauf, dass die Richtlinie 2001/23/EG nicht nur auf die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer abziele, sondern auch und insbesondere darauf, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen des Erwerbers zu gewährleisten. Hieraus ergebe sich insbesondere, dass der Erwerber in der Lage sein müsse, nach dem Übergang die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Insbesondere impliziere Art. 3 Richtlinie 2001/23/EG in Zusammenschau mit der unternehmerischen Freiheit, dass es dem Erwerber möglich sein müsste, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln. Auf der Grundlage der Ausführungen des BAG im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens geht der EuGH davon aus, dass diese Voraussetzungen im Anschluss an einen Betriebsübergang in Deutschland erfüllt sind. Denn das BAG hatte darauf verwiesen, dass der Erwerber, ebenso wie der Veräußerer, den Inhalt einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel jederzeit durch Kündigung oder Vereinbarung ändern könne22. Hiervon ausgehend sei – so der EuGH – anzunehmen, dass die Auslegung und Anwendung von
21 EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 und C-681/15, BB 2017, 1076 Rz. 20 ff., 27 f. – Felja/Graf. 22 Ebenso jetzt Schinz/Eylert, RdA 2017, 140, 145 f.
233
Tarifrecht
§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB den Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH – insbesondere im Urteil vom 18.7.201323 – genüge. Entgegen der von Schinz/Eylert24 zur Rechtfertigung der zum Teil mitverantworteten Entscheidung des BAG aufgeworfenen These einer zulässigen Änderungskündigung auch in Bezug auf Bezugnahmeklauseln lässt diese Annahme aber die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Anforderungen einer sozialgerechtfertigten Änderungskündigung unberücksichtigt. Sie beschreibt eine Rechtslage, die mit der tatsächlichen Situation in Deutschland nicht vereinbar ist. Zwar ist es ohne Einschränkung möglich, einvernehmlich arbeitsvertragliche Regelungen mit Wirkung für die Zukunft anzupassen. Scheitern solche Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Erwerber, ist es dem Erwerber allerdings außerhalb des Kleinbetriebs bzw. der noch in der Wartezeit befindlichen Arbeitsverhältnisse rechtstatsächlich nicht möglich, die kleine dynamische Bezugnahmeklausel im Wege einer Änderungskündigung anzupassen. Entgegen den diesbezüglichen Ausführungen des 4. Senats des BAG im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchens dürfte es jedenfalls im Anwendungsbereich von §§ 1, 2 KSchG ausgeschlossen sein, die Voraussetzungen einer wirksamen Änderungskündigung darzulegen25. Diese Voraussetzungen müssen aber erfüllt sein, wenn nach Ablauf der Wartefrist (§ 1 Abs. 1 KSchG) in einem Betrieb i. S. d. § 23 Abs. 1 KSchG die Bezugnahmeklausel einseitig geändert werden soll26. Eine betriebliche Übung, mit der ohne ausdrückliche Zustimmung des Arbeitnehmers eine Bezugnahme angepasst wird, ist ohnehin unwirksam27. Voraussetzung einer sozial gerechtfertigten Änderungskündigung wäre, dass der Erwerber darlegen könnte, dass es mit Blick auf dringende betriebliche Erfordernisse geboten ist, die dynamische Anpassung des im Arbeitsvertrag genannten oder aufgrund betrieblicher Übung zur Anwendung gebrachten Tarifvertrags zu beenden. Handelt es sich um eine Bezugnahme auf mehrere 23 EuGH v. 18.7.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835 Rz. 25, 33 – Alemo Herron. 24 RdA 2017, 140, 145 f. 25 Ebenso Möller, NZA 2006, 579, 583; Panzer-Heemeier in Grobys/Panzer, Teil 60 Rz. 38; Willemsen/Grau, NJW 2014, 12, 15; Naber/Krois, BB 2015, 1600, 1602 f.; Trebeck, ArbRB 2015, 231, 235; Latsch, RdA 2014, 110, 116; a. A. Giesen, NZA 2006, 625, 631. 26 Zutreffend Giesen, NZA 2006, 625, 631; Holthausen in Maschmann/Sieg/Göpfert, C.240 Rz. 82. 27 Vgl. Panzer-Heemeier in Grobys/Panzer, Teil 60 Rz. 38.
234
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
Tarifverträge, muss diese Voraussetzung für jeden Tarifvertrag dargestellt werden. Dabei genügt es indes nicht, auf das Interesse des Arbeitgebers an einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen und/oder eine branchenbezogene Ausrichtung der Arbeitsbedingungen im Anschluss an die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils zu verweisen28. Unter Berücksichtigung der durch das BAG zu Änderungskündigungen im Entgeltbereich entwickelten Grundsätzen obliegt es dem Arbeitgeber, substantiiert in Bezug auf jede einzelne Regelung des Tarifvertrags, deren Dynamik beendet werden soll, die Notwendigkeit einer nur noch statischen Fortgeltung darzulegen. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn Arbeitsbedingungen durch Bezugnahme zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht werden29. Schinz/Eylert30 sprechen insoweit zu Recht von dem Nachweis der „betrieblichen Unabweisbarkeit“ der beabsichtigten Veränderung arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, unterstellen aber ohne weitere Darlegung, dass solche Voraussetzungen (theoretisch) in Bezug auf die Regelungen des in Bezug genommenen Tarifvertrag dargestellt werden können. Eine solche Darlegung dürfte aber in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang bereits deshalb ausgeschlossen sein, weil künftige Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags bzw. der Tarifverträge, deren Auswirkungen in Bezug auf die betrieblichen Gegebenheiten dargestellt werden müssten, zum Zeitpunkt der Änderungskündigung im Zweifel noch gar nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass unterstellt werden kann, dass nicht jede Regelung eines Tarifvertrags Bedeutung für das Arbeitsverhältnis besitzt, so dass auch die dringenden betrieblichen Erfordernisse auch nicht in Bezug auf die Beseitigung der Dynamik jeder Regelung des in Bezug genommenen Tarifvertrags dargelegt werden kann31. Folgerichtig mag es zwar mit Blick auf Regelungen zum Arbeitsentgelt theoretisch noch möglich sein, darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass eine weitere Anhebung von Vergütung eine so schwere Belastung des Arbeitgebers zur Folge hat, dass es auch unter Berücksichtigung von sonstigen Maß28 Ebenso Möller, NZA 2006, 579, 583. 29 Abw. Hohenstatt/Schramm, NZA 2006, 251, 253 f., die insbesondere die richterrechtlich entwickelten Voraussetzungen einer Änderungskündigung im Entgeltbereich nicht für anwendbar halten, wenn die Dynamik einer Bezugnahmeklausel in die Statik geführt werden soll. Vielmehr sollen, vergleichbar mit zukunftsgerichteten Anpassungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, sachliche, nachvollziehbare und willkürfreie Gründe ausreichend. 30 RdA 2017, 140, 145. 31 Vgl. auch BAG v. 15.1.2009 – 2 AZR 641/07, NZA 2009, 957; Löwisch/Rieble, TVG § 3 Rz. 716.
235
Tarifrecht
nahmen außerhalb des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, diese Dynamik zu beenden, um den absehbaren Ausspruch von Beendigungskündigungen zu vermeiden32. Schon in Bezug auf die Regelungen zur Eingruppierung einschließlich der Merkmale einzelner Gehaltsgruppen, die ebenfalls Bestandteil des Tarifvertrags sein können, dürften diese Voraussetzungen aber nicht dargestellt werden können. Völlig ausgeschlossen sein dürfte es, solche dringenden betrieblichen Erfordernisse in Bezug auf eine Beendigung der Dynamik einer Tarifbindung ergänzend hierzu beispielsweise im Hinblick auf Regelungen eines Manteltarifvertrags einschließlich etwaiger Ausschlussfristen, Schriftformklauseln oder Konkretisierungen der Rechte und Pflichten im Krankheitsfall darzustellen, der – wenn man nur auf Vorgaben zur Arbeitszeit, zum Urlaub und zur Entgeltfortzahlung verweist – ebenfalls nicht unerhebliche Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens besitzt. Wenn man zum Zeitpunkt der Kündigung überhaupt weiß, welche Belastungen durch künftige Änderungen der Tarifverträge bewirkt werden, käme damit allenfalls eine Änderungskündigung mit dem Ziel einer teilweisen Beendigung der dynamischen Bezugnahme auf diese Tarifverträge in Betracht. Denn es dürfte dem Arbeitgeber auch unter Berücksichtigung seiner Interessen zumutbar sein, jedenfalls an einem Teil der Dynamik der tariflichen Arbeitsbedingungen festzuhalten. Dass die Beseitigung der Dynamik den Arbeitnehmer im Zweitpunkt ihres Wirksamwerdens nicht unmittelbar benachteiligt, genügt nicht, um von einer sozialen Rechtfertigung auszugehen33. Darauf hatte das BAG schon in seinem Urteil vom 12.1.200634 hingewiesen. Dort hatte der Arbeitgeber versucht, innerhalb seines mit einem Leiharbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnisses durch Änderungskündigung eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag der Zeitarbeit wirksam werden zu lassen, damit das Equal-Pay- und Equal-Treatment-Gebot nicht zur Anwendung kommt. Obwohl der Arbeitgeber erklärt hatte, zugunsten des Arbeitnehmers immer die günstigere Regelung anzuwenden (Arbeitsvertrag/Tarifvertrag), hat das BAG das Vorliegen einer sozialen Rechtfertigung abzulehnen. Hier kommt hinzu, dass dem Arbeitnehmer durch die Beseitigung der Dynamik die Chance genommen wird, an künftigen Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags teilzuhaben. Die darin liegende „Individualisierung“ der Vertragsbedingungen, die auch vor Verschlechterungen schützt, genügt aber nicht, um das 32 Vgl. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 Rz. 18; BAG 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, NZA 2002, 750 Rz. 64; BAG 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, NZA 1986, 824 Rz. 37; HWK/Molkenbur, KSchG § 2 Rz. 10 ff. 33 Abw. Giesen, NZA 2006, 625, 631 f. 34 BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 587 Rz. 18 ff.
236
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse anzunehmen35. Auch wenn dies aus Arbeitgebersicht wünschenswert wäre, dürfte es ebenso unzureichend sein, die Änderungskündigung mit der Änderung der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede36 und/oder dem Vereinheitlichungsinteresse des Arbeitgebers zu begründen37. Möglicherweise wird man allerdings überlegen müssen, ob nicht Art. 9 Abs. 3 GG eine teleologische Einschränkung von §§ 1, 2 KSchG mit dem Ziel fordert, eine Änderungskündigung zur (Wieder-)Herstellung der negativen Koalitionsfreiheit hinzuweisen. Auf diesen überzeugenden Ansatz hatte Bayreuther 38 hingewiesen. Es bleibt zu hoffen, dass der 4. Senat des BAG im Nachgang zur EuGHEntscheidung die Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens noch einmal sehr kritisch hinterfragt. Die damit verbundene Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu §§ 1, 2 KSchG ist dringend erforderlich, zumal auch der EuGH seine Entscheidung mit dem klaren Hinweis verbunden hat, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, eine Bewertung in Bezug auf die Anpassungsmöglichkeiten im Anschluss an einen Betriebsübergang vorzunehmen39. Entgegen der von Schinz/Eylert40 zum Ausdruck gebrachten Aufforderung ist es schon wegen Art. 12, 16, 51 GRC notwendig, die Richtlinie 2001/23/EG nicht nur als Arbeitnehmerschutzvorschrift zu sehen, sondern auch die grundrechtlich geschützten Arbeitgeberinteressen einzubinden. Für die betriebliche Praxis ist die aktuelle Situation überaus misslich. Denn damit fehlt nach wie vor die erforderliche Klarstellung des EuGH zu den Rechtsfolgen einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel im Anschluss an einen Betriebs- und Betriebsteilübergang. Hinzu kommt, dass die hier streitgegenständliche Entscheidung des BAG gar keinen klassischen Fall einer solchen Bezugnahmeklausel betraf. Denn der Veräußerer hatte eine dynamische Bindung an die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes zugesagt, 35 Abw. Giesen, NZA 2006, 625, 631, der das Fehlen einer Entgeltabsenkung und die Beseitigung der Abhängigkeit von Dritten (Tarifvertrag) für ausreichend zu halten scheint, um von einer sozialen Rechtfertigung auszugehen. 36 So Löwisch/Rieble, TVG § 3 Rz. 715. 37 So i. E. Jacobs, NZA 2009 Beilage 1 S. 45, 53, der aber zu Recht deutlich macht, dass das Ergebnis nur bei einer Aufgabe des „überkommenen“ Maßstabs der Änderungskündigung im Anwendungsbereich von §§ 1, 2 KSchG vertretbar ist. Insofern müsse es genügen, wenn „willkürfreie, nachvollziehbare und anerkennenswerte“ Gründe (so Hohenstatt/Schramm, NZA 2006, 251, 252 f.) sowie ein besonders ausgeprägtes Vereinheitlichungsinteresse des Erwerbers nach einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang mit Blick auf die Gesamtbelegschaft gegeben seien. 38 DB 2007, 166, 167 f. 39 EuGH v. 27.4.2017 – C-680/15 und C-681/15, BB 2017, 1076 Rz. 27 f. – Felja/Graf. 40 RdA 2017, 140, 149.
237
Tarifrecht
obwohl er seinerseits an diese Tarifverträge kraft Gesetzes nicht gebunden war. In der Regel werden solche Zusagen – abweichend von dem hier in Rede stehenden Sachverhalt – durch tarifgebundene Unternehmen mit dem Ziel vorgenommen, durch den Arbeitsvertrag nur die gesetzliche Tarifbindung nachzubilden und eine Gleichbehandlung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern zu erreichen. Insofern ist nach dem Urteil des EuGH ebenfalls offen, wie solche „klassischen“ Formen der Gleichstellungsabrede im Anschluss an einen Betriebs- und Betriebsteilübergangs zu behandeln sind. Das hat erhebliche Bedeutung nicht nur für die materielle Rechtslage, sondern auch für die Ausgestaltung der nach § 613 a Abs. 5 BGB erforderlichen Unterrichtungsschreiben. (Ga)
b)
Konsequenzen des Share-Deals für die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel
In seinem Urteil vom 23.3.201741 hat das BAG deutlich gemacht, dass die vorstehende Diskussion über die Rechtsfolgen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs in Bezug auf eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag keine Bedeutung besitzt, wenn es in Bezug auf den Arbeitgeber zu einem Verkauf der Geschäftsanteile (share deal) kommt. Denn ein solcher Übertragungsvorgang sei nicht mit einem Arbeitgeberwechsel verbunden, so dass der Vorgang auch nicht in den Anwendungsbereich von § 613 a BGB bzw. Richtlinie 2001/23/EG falle. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Kläger bereits seit 1984 bei der Beklagten, die eine Rehabilitationsklinik betrieb, beschäftigt. Arbeitsvertraglich war die Geltung des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) und der in diesem Tarifvertrag ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung vereinbart. Da die Beklagte diese Bezugnahmeklausel in den Arbeitsvertrag eingebunden hatte, obwohl sie selbst keiner gesetzlichen Tarifbindung unterworfen war, hatte das ArbG Essen bereits im Rahmen eines Vorprozesses rechtskräftig festgestellt, dass auch das Arbeitsverhältnis der Parteien die Regelungen des TVöD vom 13.9.2005 einschließlich der diese Vorschriften ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Von diesem Verständnis der arbeitsvertraglichen Regelung ist – so das BAG – auch im Anschluss an einen share deal (weiterhin) auszugehen. Denn auch im Anschluss an diesen Übertragungsvorgang besteht das Arbeitsver41 BAG v. 23.3.2017 – 8 AZR 89/15 n. v.
238
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
hältnis weiterhin zwischen den Parteien, die bereits 1984 den Arbeitsvertrag abgeschlossen hatten. Es gibt deshalb auch keinen Betriebs- oder Betriebsteilübergang, der zur Anwendung von § 613 a BGB führen kann. Folgerichtig kommt auch eine Anwendung von Art. 12, 16 GRC, die nur bei der Auslegung und Anwendung unionsrechtlicher Rechtsvorschriften zu berücksichtigen sind (Art. 51 GRC), nicht in Betracht. Da auch Art. 9 Abs. 3 GG keine Grundlage dafür bietet, den Arbeitgeber nachträglich von einem selbst abgegebenen Versprechen in Form einer dynamischen Bezugnahme auf den jeweils geltenden Tarifvertrag zu befreien, war von dem Inhalt des Arbeitsvertrags auszugehen, wie es durch das ArbG Essen in der rechtskräftigen Vorentscheidung bestätigt worden war. Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass die dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag insbesondere dort, wo arbeitgeberseitig keine gesetzliche Tarifbindung besteht, zu einer unbefristeten und im Zweifel auch durch Änderungskündigung nicht mehr veränderbaren Tarifbindung führt. Hier dürfte es für die betroffenen Arbeitgeber vorteilhafter sein, nur auf den jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Tarifvertrag zu verweisen. Wenn dieser im Nachgang geändert wird, kann gesondert zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung des neuen Tarifvertrags vereinbart werden. Diese unbedingte und unbefristete (dynamische) Tarifbindung kann zwar leichter vermieden werden, wenn arbeitgeberseitig eine gesetzliche Bindung an den Tarifvertrag besteht, der im Rahmen der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel genannt wird. Vorteilhafter ist es allerdings auch bei einer gesetzlichen Tarifbindung, nicht per se auf einen bestimmten (namentlich genannten) Tarifvertrag Bezug zu nehmen. Vielmehr sollte statt einer solchen (kleinen) Bezugnahmeklausel nur abstrakt-generell auf die für den Arbeitgeber kraft Gesetzes gültigen Tarifverträge verwiesen werden. Diese Bezugnahme kann dann klarstellend mit einem Hinweis auf die Tarifverträge verbunden werden, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gelten. Eine solche (große) Bezugnahmeklausel hat den Vorteil, dass die Dynamik beendet wird, wenn der Arbeitgeber kraft Gesetzes nicht mehr an den geänderten Tarifvertrag gebunden ist.
239
Tarifrecht
c)
Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Anerkennungstarifvertrag
In seinem Urteil vom 22.3.201742 musste sich das BAG mit den Konsequenzen einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Anerkennungstarifvertrag befassen, den die Beklagte zum 31.12.2011 gekündigt hatte. Im Rahmen dieses Anerkennungstarifvertrages hatte die Beklagte mit der IG BCE vereinbart, dass alle Tarifverträge anerkannt und angewendet werden, welche von der IG BCE im Bereich der westdeutschen Chemischen Industrie abgeschlossen wurden bzw. werden. Ausdrücklich sollten dabei auch solche Tarifverträge einbezogen werden, die erst nach Abschluss dieses Anerkennungstarifvertrages abgeschlossen werden. Mit seiner Klage begehrte der Kläger u. a. die Feststellung, dass für das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nach dem 31.12.2011 dynamisch jeweils die Tarifverträge, die von der IG BCE im Bereich der Westdeutschen Chemischen Industrie abgeschlossen wurden bzw. noch werden, in der jeweils aktuellen Fassung zur Anwendung kommen. Zur Begründung verwies er auf eine Vereinbarung, mit der ergänzend zum Arbeitsvertrag am 14.7.2010 vereinbart worden war, dass der Anerkennungstarifvertrag voll umfänglich auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollte. Daraus folge die Verpflichtung des Arbeitgebers, auch im Anschluss an eine Kündigung des Anerkennungstarifvertrags weiterhin die jeweils gültigen Tarifverträge zur Anwendung zu bringen. Mit überzeugender Begründung hat der 4. Senat des BAG die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung konnte durch die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel nur eine Bindung an den Anerkennungstarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung und die daraus folgende Bindung an die Verbandstarifverträge erreicht werden. Dies unterscheide die Bezugnahme auf einen Anerkennungstarifvertrag von der Bezugnahme auf die jeweils im Anerkennungstarifvertrag in Bezug genommenen Tarifverträge. Ausgangspunkt dieser Feststellung ist der Umstand, dass mit der Kündigung des Anerkennungstarifvertrags die tarifvertragliche Dynamik einer Einbeziehung der Regelungen der Verbandstarifverträge beendet wird. Vielmehr gelten die Regelungen der Tarifverträge der Chemischen Industrie Westdeutschlands auf der Grundlage des hier in Rede stehenden Anerkennungstarifvertrags im Anschluss an den Ablauf der Kündigungsfrist nur noch statisch in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung weiter. Rechtsgrundlage hierfür ist § 4 Abs. 5 TVG. Eine Verpflichtung, im Rahmen der Nachwir42 BAG v. 22.3.2017 – 4 AZR 462/16 n. v.
240
Aktuelle Rechtsprechung zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
kung des Anerkennungstarifvertrags weiterhin eine Dynamisierung vorzunehmen, besteht nicht43. Hiervon ausgehend habe – so das BAG – die ausschließliche arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die Regelungen des Anerkennungstarifvertrags zur Folge, dass die Dynamik des Verbandstarifvertrags für das Arbeitsverhältnis beendet werde, sobald der diese Verweisung begründende Anerkennungstarifvertrag diese Dynamik nicht mehr zu vermitteln vermöge. Von diesem Grundsatz sei auch dann auszugehen, wenn die nachwirkende Tarifnorm (hier: Anerkennungstarifvertrag) auf eine fremde Regelung (hier: Verbandstarifverträge der Westdeutschen Chemischen Industrie) verweise, die ihrerseits während der Zeit der Nachwirkung des verweisenden Anerkennungstarifvertrags inhaltlich verändert würden. An der späteren Entwicklung der Bestimmung, auf die der Anerkennungstarifvertrag verweise, nähmen die Tarifunterworfenen ab Beginn der Nachwirkung nicht mehr teil. Das entspreche Sinn und Zweck von § 4 Abs. 5 TVG, der zwar eine vertragliche – auch einzelvertragliche – Änderung der bisherigen Tarifnorm erlaube, aber bis zu einer solchen Änderung den bisherigen Rechtszustand erhalten wolle44. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen.
d)
Fazit
Die vorstehenden Entscheidungen von BAG und EuGH machen noch einmal deutlich, dass nach wie vor keine abschließende Klarheit über die Rechtsfolgen arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln bestehen, wenn die Arbeitsverhältnisse Gegenstand von Restrukturierungsmaßnahmen sind. Bedauerlicherweise wird man auch aus der EuGH-Entscheidung keine Klarheit zu den Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs ableiten können. Die Ausgangslage, von der diese Entscheidung geprägt wird, ist durch das BAG bedauerlicherweise in einer unvollständigen und deshalb auch fehlerhaften Weise dargestellt worden. Der betrieblichen Praxis sei allerdings empfohlen, alle Unbestimmtheiten dadurch zu vermeiden, dass von der Vereinbarung einer „kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel“ Abstand genommen wird. Denn diese lässt in einer nicht unberechtigten Weise auf Arbeitnehmerseite den Eindruck entstehen, dass ohne Rücksicht auf künftige Veränderungen jeweils der dort
43 BAG v. 22.3.2017 – 4 AZR 462/16 n. v. Rz. 18; Löwisch/Rieble, TVG § 1 Rz. 40; Däubler/Nebe, TVG § 1 Rz. 209. 44 BAG v. 22.3.2017 – 4 AZR 462/16 n. v. Rz. 20; BAG v. 10.3.2004 – 4 AZR 140/03, ZTR 2004, 407 Rz. 17 f.
241
Tarifrecht
genannte Tarifvertrag in seiner jeweils gültigen Fassung zur Anwendung gebracht werden soll. Günstiger ist es, in Form der „großen dynamischen Bezugnahmeklausel“ im Arbeitsvertrag festzuhalten, dass jeweils der für den Arbeitgeber kraft Gesetzes verbindliche Firmen- oder Verbandstarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen soll, sofern dieses in dessen Geltungsbereich fällt. Um die für den Arbeitnehmer notwendige Klarheit dieser sehr abstrakten Feststellung zu schaffen, kann dahinter auf den derzeit bei Vertragsabschluss geltenden Tarifvertrag bzw. die Tarifverträge verwiesen werden. Der Vorteil dieser Klausel liegt darin, dass bei einem Wegfall oder einem Wechsel der Tarifbindung jeweils eine Statik bzw. die Bindung an den neuen Tarifvertrag hergestellt wird. (Ga)
242
H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Unionsrechtliche Notwendigkeit der Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die Unternehmensmitbestimmung
Im vergangenen Jahr hatten wir zuletzt auf das inzwischen beim EuGH anhängige Verfahren verwiesen, im Rahmen dessen auf Vorlage des KG Berlin über die unionsrechtliche Notwendigkeit der Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die deutsche Unternehmensmitbestimmung entschieden wird. Dieses Verfahren war durch einen Aktionär gegen die TUI AG mit dem Ziel eingeleitet worden festzustellen, ob neben den etwa 10.000 in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern auch etwa 40.000 im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksichtigen sind und ggf. auch mit einem aktiven und passiven Wahlrecht ausgestattet werden müssen. Nach der bislang ganz überwiegenden Auffassung werden die in ausländischen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Ausgangspunkt ist § 5 Abs. 1 BetrVG, auf den in §§ 3 MitbestG, 3 DrittelBG verwiesen wird. Das KG Berlin hatte aber Bedenken, ob darin eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit liegen könnte, die im Widerspruch zu Art. 18 AEUV stünde. Darüber hinaus hielt es das KG Berlin für möglich, dass in einer solchen Interpretation der deutschen Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung eine mit Art. 45 AEUV unvereinbare Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund hatte es den EuGH gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht. Seit dem 4.5.2017 liegt der Schlussantrag des Generalanwalts vor. Darin hat der Generalanwalt Saugmandsgaard sowohl einen Verstoß gegen Art. 18 AEUV als auch gegen Art. 45 AEUV abgelehnt. In seiner rechtlichen Würdigung zur Vorbereitung einer Entscheidung des EuGH hat der Generalanwalt zunächst einmal darauf verwiesen, dass ein Verstoß gegen Art. 8 AEUV bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil dieser eigenständig nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen zur Anwendung komme, für die der Vertrag keine besondere Diskriminierungsverbote vorsehe. Da vorliegend allerdings eine Missachtung der durch Art. 45 Abs. 2 AEUV gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit in Rede stünde, sei eine
243
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Äußerung zu Art. 18 AEUV entbehrlich, wenn Art. 45 AEUV anwendbar sei1. Von einer solchen Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV ist der Generalanwalt ausgegangen. Denn das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der TUI AG falle unter den Begriff der „sonstigen Arbeitsbedingung i. S. d. Art. 45 Abs. 2 AEUV“, so dass die Möglichkeit seiner Verletzung durch die hier in Rede stehende Interpretation der Regelungen zur deutschen Unternehmensmitbestimmung geprüft werden könne. Ungeachtet dessen geht der Generalanwalt davon aus, dass Art. 45 AEUV nicht für die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer der TUIGruppe gelte, sondern nur auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der Gruppe angewendet werden könne. Hier aber führe die im Streit stehende Interpretation der gesetzlichen Vorschriften nicht zu einer Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass Art. 45 AEUV die Freizügigkeit in zweierlei Hinsicht gewährleiste. Zum einen hätten die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift das Recht, auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaats ebenso behandelt zu werden, wie die inländischen Arbeitnehmer. Zum anderen untersage diese Vorschrift es dem Herkunftsmitgliedsstaat, das Recht seiner Staatsangehörigen, das Hoheitsgebiet zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat zu verlassen, ungerechtfertigt einzuschränken. Die Lage der bei Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe entspreche aber, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit nie ausgeübt hätten, keiner dieser Fallkonstellationen2. Denn der Umstand, dass die Gesellschaft, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt sei, im Eigentum oder unter der Kontrolle einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat stehe, genüge für sich allein nicht, damit ein Bezug zu einem der von Art. 45 AEUV in Betracht gezogenen Sachverhalte gegeben sei3. Soweit darüber hinaus von einer Betroffenheit der in Deutschland beschäftigen Arbeitnehmer ausgegangen werde, weil sie andere Arbeitsbedingungen erführen, wenn sie in ein anderes Land der europäischen Union wechselten, sei dies nicht als Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit anzusehen. Art. 45 AEUV umfasse das Recht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten,
1 2 3
Generalanwalt v. 4.5.2017 – C-566/15 n. v. Rz. 38 ff. – Erzberger. Generalanwalt v. 4.5.2017 – C-566/15 n. v. Rz. 41, 51 f. – Erzberger. Generalanwalt v. 4.5.2017 – C-566/15 n. v. Rz. 55 – Erzberger.
244
Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die Unternehmensmitbestimmung
um dort „nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechtsund Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben“. Hiervon ausgehend könne ein Wanderarbeitnehmer aus Art. 45 AEUV einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den inländischen Arbeitnehmern im Aufnahmestaat geltend machen, der zur Folge habe, dass er dort im Einklang mit den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben könne. Dagegen verschaffe ihm Art. 45 AEUV nicht das Recht, die Arbeitsbedingungen, die für ihn in seinem Herkunftsmitgliedsstaat bestünden, in einen anderen Mitgliedstaat zu „exportieren“. Folgerichtig erfasse Art. 45 AEUV keine etwaigen Unterschiede in der Behandlung, die sich aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnern und der einzelnen Mitgliedsstaaten ergäben, sofern diese Rechtsordnungen auf alle ihrer Herrschaft unterworfenen Personen nach objektiven Kriterien und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar seien4. Hiervon ist mit Blick auf die Anwendbarkeit der Deutschen Unternehmensmitbestimmung auf alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer auszugehen. Obwohl das Vorabentscheidungsersuchen des KG Berlin auf dieser Grundlage abschließend beantwortet werden könnte, weist der Generalanwalt hilfsweise daraufhin, dass jedenfalls eine Rechtfertigung für die im Streit stehende Annahme einer Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegeben sei. Dies folge aus dem Umstand, dass die im Streit stehenden Regelungen der deutschen Unternehmensmitbestimmung ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsmarkts und – allgemeiner – der deutschen Sozialordnung seien. Das dahinterliegende Ziel einer Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Leitung der Gesellschaft stelle ein unionsrechtlich legitimes Ziel dar. Dass insoweit Unterschiede zwischen den Beteiligungsformen in den einzelnen Mitgliedsstaaten bestehen, werde durch das Unionsrecht anerkannt. Vielmehr bleibe es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie Rechtsvorschriften im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung in der Gesellschaft erlassen wollten und wie sie ihre jeweiligen Regelungen in diesem Bereich ausgestalteten. Hierzu gehöre es auch, dass die deutsche Unternehmensmitbestimmung durch einen besonders hohen Anteil der Arbeitnehmer an der Leitung der Gesellschaft gekennzeichnet sei und zugleich verhältnismäßig komplexe Verfahren vorsehe, auf deren Grundlage die Wahlen der Arbeitnehmervertreter erfolgten. Es sei geeignet, erforderlich und angemessen, wenn das nationale Recht aus sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gründen die daraus folgende Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung auf Arbeitnehmer be-
4
Generalanwalt v. 4.5.2017 – C-566/15 n. v. Rz. 74 ff. – Erzberger
245
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
schränkte, die in Deutschland liegenden Betrieben angehörten. Insofern sei anzuerkennen, dass die außerhalb Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsregelung einbezogen werden könnten, ohne dass die grundlegenden Merkmale dieser Regelung geändert werden müssten. Eine solche Erweiterung der deutschen Regelung würde – so der Generalanwalt – nämlich voraussetzen, dass die Verantwortlichkeit für die Organisation und die Durchführung der Wahlen von den Arbeitnehmern und den Gesellschaften des Konzerns auf die Leitung der deutschen Muttergesellschaft übertragen werden müsste, was den Grundsätzen zuwiderliefe, auf denen die Regelung beruhte. Den Ausführungen des Generalanwalts ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Zu hoffen bleibt, dass der EuGH möglichst kurzfristig eine in Übereinstimmung mit diesen Überlegungen stehende Entscheidung trifft, so dass die aktuelle Rechtsunsicherheit über die Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die deutsche Unternehmensmitbestimmung beendet wird. (Ga)
2.
Betriebsratswahl: Abgrenzung der Wahlvorschläge der Arbeitnehmer von den gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen
Nach § 14 Abs. 3 BetrVG können zur Wahl des Betriebsrats sowohl die wahlberechtigten Arbeitnehmer als auch die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge machen. Jeder Wahlvorschlag der Arbeitnehmer muss von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten unterzeichnet sein. In Kleinbetrieben mit in der Regel bis zu zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern genügt die Unterzeichnung durch zwei Wahlberechtigte. In jedem Fall genügt die Unterzeichnung durch fünfzig wahlberechtigte Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 4 BetrVG). Demgegenüber schreibt § 14 Abs. 5 BetrVG für einen Wahlvorschlag einer Gewerkschaft vor, dass diese von zwei Beauftragten unterzeichnet sein muss. Der Wahlvorstand hat nach § 7 der Wahlordnung (WO) eine Prüfung der eingereichten Vorschlagslisten vorzunehmen und gemäß § 7 Abs. 2 WO die eingereichten Vorschlagslisten, wenn die Liste nicht mit einem Kennwort versehen ist, mit Familienname und Vornahme der beiden in der Liste an erster Stelle Benannten zu bezeichnen. 246
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
schränkte, die in Deutschland liegenden Betrieben angehörten. Insofern sei anzuerkennen, dass die außerhalb Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsregelung einbezogen werden könnten, ohne dass die grundlegenden Merkmale dieser Regelung geändert werden müssten. Eine solche Erweiterung der deutschen Regelung würde – so der Generalanwalt – nämlich voraussetzen, dass die Verantwortlichkeit für die Organisation und die Durchführung der Wahlen von den Arbeitnehmern und den Gesellschaften des Konzerns auf die Leitung der deutschen Muttergesellschaft übertragen werden müsste, was den Grundsätzen zuwiderliefe, auf denen die Regelung beruhte. Den Ausführungen des Generalanwalts ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Zu hoffen bleibt, dass der EuGH möglichst kurzfristig eine in Übereinstimmung mit diesen Überlegungen stehende Entscheidung trifft, so dass die aktuelle Rechtsunsicherheit über die Einbeziehung ausländischer Tochtergesellschaften in die deutsche Unternehmensmitbestimmung beendet wird. (Ga)
2.
Betriebsratswahl: Abgrenzung der Wahlvorschläge der Arbeitnehmer von den gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen
Nach § 14 Abs. 3 BetrVG können zur Wahl des Betriebsrats sowohl die wahlberechtigten Arbeitnehmer als auch die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Wahlvorschläge machen. Jeder Wahlvorschlag der Arbeitnehmer muss von mindestens einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten unterzeichnet sein. In Kleinbetrieben mit in der Regel bis zu zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern genügt die Unterzeichnung durch zwei Wahlberechtigte. In jedem Fall genügt die Unterzeichnung durch fünfzig wahlberechtigte Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 4 BetrVG). Demgegenüber schreibt § 14 Abs. 5 BetrVG für einen Wahlvorschlag einer Gewerkschaft vor, dass diese von zwei Beauftragten unterzeichnet sein muss. Der Wahlvorstand hat nach § 7 der Wahlordnung (WO) eine Prüfung der eingereichten Vorschlagslisten vorzunehmen und gemäß § 7 Abs. 2 WO die eingereichten Vorschlagslisten, wenn die Liste nicht mit einem Kennwort versehen ist, mit Familienname und Vornahme der beiden in der Liste an erster Stelle Benannten zu bezeichnen. 246
Betriebsratswahl: Abgrenzung der Wahlvorschläge der Arbeitnehmer
Das BetrVG unterscheidet damit ausdrücklich zwischen Wahlvorschlägen der Arbeitnehmer und gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen und legt damit fest, wann ein gewerkschaftlicher Wahlvorschlag vorliegt. Ein gewerkschaftlicher Wahlvorschlag zur Betriebsratswahl liegt danach nur dann vor, wenn er nach § 14 Abs. 5 BetrVG von zwei Gewerkschaftsbeauftragten unterzeichnet ist. Nur dann darf die Bezeichnung der Gewerkschaft auch als Kennwort verwendet werden5. Das BAG hält es jedoch für unproblematisch, wenn zusätzlich ein Wahlvorschlag nach § 14 Abs. 5 BetrVG mit Stützunterschriften wahlberechtigter Arbeitnehmer versehen wird, um zu verdeutlichen, dass es sich auch um einen aus der Belegschaft unterstützten Wahlvorschlag handelt6. Im Rahmen der Anfechtung einer Betriebsratswahl musste der 7. Senat des BAG in einem Beschluss vom 26.10.20167 darüber entscheiden, ob die Verwendung eines Kennworts bei einer Betriebsratswahl unzulässig ist, wenn dieses den unzutreffenden Eindruck erweckt, bei der Vorschlagsliste handele es sich um einen Wahlvorschlag einer Gewerkschaft nach § 14 Abs. 3 BetrVG. In dem Wahlverfahren zur Betriebsratswahl waren drei Vorschlagslisten bei dem Wahlvorstand eingereicht worden, von denen eine mit dem Kennwort „IG Metall Kompetenz für gute Arbeit“ versehen worden war. Diese Liste war mit der erforderlichen Anzahl von Stützunterschriften aus der Belegschaft versehen worden, nicht aber mit Stützunterschriften zweier Beauftragter der IG Metall. Nach Einreichung der Liste beim Wahlvorstand teilten der 1. Bevollmächtigte der IG Metall sowie ein Gewerkschaftssekretär dem Wahlvorstand brieflich mit, dass die eingereichte Vorschlagsliste als offizieller IG Metall-Listenvorschlag autorisiert werde. Der Wahlvorstand wertete sämtliche Vorschlagslisten als gültig und ließ sie zur Wahl zu. Eine andere im Betrieb vertretene Gewerkschaft, auf deren Listenvorschlag keine Stimme entfallen war, focht die Wahl rechtzeitig an und beantragte die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. ArbG und LAG haben dem Anfechtungsbegehren entsprochen. Das BAG hat die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und der Arbeitgeberin für unbegründet angesehen. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Wahlanfechtung liegen gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG vor, wenn bei der Betriebsratswahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei
5 6 7
BAG v. 15.5.2013 – 7 ABR 40/11, NZA 2013, 1095 Rz. 24. BAG v. 26.10.2016 – 7 ABR 4/15, NZA-RR 2017, 194 Rz. 25, BAG v. 15.5.2013 – 7 ABR 40/11, NZA 2013, 1095 Rz. 24. BAG v. 26.10.2016 – 7 ABR 4/15, NZA-RR 2017, 194.
247
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Im Streitfall hat nach Ansicht des BAG der Wahlvorstand gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen, indem er die Vorschlagsliste „IG Metall Kompetenz für gute Arbeit“ zur Wahl zugelassen hat, obwohl die Liste ein unzulässiges Kennwort enthielt. Diesen Verfahrensverstoß leitet das BAG aus § 7 Abs. 2 S. 2 der Wahlordnung her, wonach der Wahlvorstand eine eingereichte Vorschlagsliste unverzüglich, möglichst binnen einer Frist von zwei Arbeitstagen nach ihrem Eingang, zu prüfen und bei Ungültigkeit oder Beanstandung die Listenvertreterin oder den Listenvertreter unverzüglich schriftlich unter Angabe der Gründe zu unterrichten hat. Dabei umfasst die Prüfungspflicht sämtliche Umstände, die geeignet sein können, die Gültigkeit einer Vorschlagsliste infrage zu stellen8, wozu auch die Prüfung des Kennworts einer eingereichten Vorschlagsliste gehört. Vermittelt daher die Verwendung eines Kennworts mit Bezug auf eine bestimmte Gewerkschaft – hier IG Metall – den Eindruck, es handele sich dabei um einen Wahlvorschlag der Gewerkschaft nach § 14 Abs. 3, 5 BetrVG, hat der Wahlvorstand zu kontrollieren, ob die dafür notwendigen Voraussetzungen vorliegen. Dies war vorliegend gerade nicht der Fall, weil die obligatorische Unterzeichnung der Vorschlagsliste durch zwei Beauftragte der Gewerkschaft fehlte und nicht durch das Schreiben der IG Metall ersetzt werden konnte, den Wahlvorschlag als einen solchen der Gewerkschaft zu autorisieren. Die Unzulässigkeit des Kennworts auf der Vorschlagsliste führte zwar nach Auffassung des BAG nicht zu deren Unwirksamkeit. Der Wahlvorstand durfte jedoch die Liste mit dem verwendeten Kennwort zur Wahl nicht zulassen. Da § 8 der WO die Unzulässigkeit eines Kennworts nicht als möglichen Grund für die Ungültigkeit einer Vorschlagsliste aufführt, durfte der Wahlvorstand den eingereichten Wahlvorschlag nicht wegen der Unzulässigkeit des Kennworts insgesamt zurückweisen, sondern hätte nach Auffassung des BAG das unzulässige Kennwort wie ein fehlendes Kennwort behandeln und die Vorschlagsliste mit den Namen und Vornamen der beiden in ihr an erster Stelle benannten Bewerber bezeichnen müssen. Von dieser Möglichkeit hatte der Wahlvorstand jedoch keinen Gebrauch gemacht. Da nicht auszuschließen war, dass dieser Verfahrensverstoß bei hypothetischer Betrachtungsweise das Wahlergebnis der Betriebsratswahl beeinflusst hat, d. h. das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre, war die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. (Boe) 8
So bereits BAG v. 15.5.2013 – 7 ABR 40/11, NZA 2013, 1095 21.1.2009 – 7 ABR 65/07, NZA-RR 2009, 481 Rz. 25.
248
BAG v.
Vergütungspflicht für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
3.
Vergütungspflicht für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Da Betriebsratsmitglieder betriebsrätliche Aufgaben grundsätzlich während ihrer Arbeitszeit wahrnehmen sollen, schreibt der Gesetzgeber in § 37 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich vor, dass sie von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien sind, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Muss aus betriebsbedingten Gründen die Betriebsratstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds durchgeführt werden, enthält dafür § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eine spezifische Regelung: Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Diese Arbeitsbefreiung dingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten. Der 7. Senat des BAG war in zwei Entscheidungen vom 28.9.20169 und 27.7.201610 mit dem Anwendungsbereich von § 37 Abs. 3 BetrVG befasst, bei denen es zum einen um die Frage ging, ob ein freigestelltes Betriebsratsmitglied auch ohne die besonderen Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 BetrVG die Einstellung von Stunden, die aufgrund einer Überschreitung der persönlichen Arbeitszeit entstanden sind, auf ein Überstundenkonto verlangen kann, und ob § 37 Abs. 3 BetrVG für außerhalb der Arbeitszeit liegende Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeiten einen Anspruch auf Freizeitausgleich oder Vergütung auslöst.
a)
Handhabe eines freigestellten Betriebsratsmitglieds im Anwendungsbereich eines Arbeitszeitkontos
In der Fallkonstellation des 7. Senats des BAG vom 28.9.201611 klagte ein freigestelltes Betriebsratsmitglied auf Verurteilung der beklagten Arbeitgeberin, auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto zu einem bestimmten Stichtag 276,93 Stunden einzustellen. Vor der Freistellung hatte die Beklag9
BAG v. 28.9.2016 – 7 Schönhöft/Oelze, NZA 2017, 284. 10 BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 255/14, NZA 2016, 1418. 11 BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 248/14, NZA 2017, 335.
Kleinebrink
249
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
te die Überstunden des Klägers, die durch Überschreitung seiner persönlichen Arbeitszeit von im Durchschnitt 37,5 Stunden pro Woche angefallen waren, nach einer „Rahmenbetriebsvereinbarung flexibler Arbeitszeit für das Bodenpersonal“ mit einem Faktor 1,25 dem Überstundenkonto gutgeschrieben. Nachdem der Kläger freigestelltes Betriebsratsmitglied geworden war, buchte zwar die Beklagte den gesamten Bestand der Stunden auf dem Flexikonto, unterließ jedoch eine Einstellung der Stunden auf das Überstundenkonto. Der Kläger berief sich darauf, stets innerhalb des Gleitzeitrahmens von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr im Betrieb anwesend gewesen zu sein und in dieser Zeit innerhalb der Arbeitszeit betriebsrätliche Aufgaben wahrgenommen zu haben. Dagegen hat sich die Beklagte mit dem Hinweis verteidigt, der Kläger habe nicht darlegen können, dass er Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit habe durchführen müssen. Überdies sei es für den Kläger möglich gewesen, die auf dem Flexikonto aufgelaufenen Plusstunden innerhalb des Bezugszeitraums auszugleichen. Während das ArbG der Klage im Wesentlichen entsprochen hat, ist sie vom LAG Hamburg12 abgewiesen worden. Das BAG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das BAG begründet zunächst, dass dem Kläger auf der Grundlage der Rahmenbetriebsvereinbarung kein Anspruch auf Gutschrift der aufgelaufenen Plusstunden auf dem Überstundenkonto zugestanden hat, weil sich diese Rahmenbetriebsvereinbarung auf Zeitguthaben bezog, die sich aus der Erbringung vergütungspflichtiger Arbeit ergab. Freigestellte Betriebsratsmitglieder erbringen im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Betriebsratstätigkeit keine vergütungspflichtige Arbeitsleistung, weil an die Stelle der Arbeitspflicht die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds tritt, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeiten bereitzuhalten13. Aus dieser Pflichtenstellung des vollständig von der Arbeit freigestellten Betriebsratsmitglieds (§ 38 Abs. 1 BetrVG) schlussfolgert das BAG auch ein berechtigtes Interesse daran, dass diese Betriebsratsmitglieder ihre Anwesenheitszeiten im Betrieb dokumentieren und deshalb an dem in einer Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitszeiterfassungssystem teilnehmen können14. Geschieht dies – wie im Streitfall – kann das freigestellte Betriebsratsmitglied
12 LAG Hamburg v. 27.2.2014 – 7 Sa 57/13 n. v. 13 So bereits BAG v. 10.7.2013 – 7 ABR 22/12, NZA 2013, 1221 Rz. 20 m. w. N. 14 BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 2 48/14, NZA 2017, 335 Rz. 30 BAG v. 10.7.2013 – 7 ABR 22/12, NZA 2013, 1221 Rz. 16.
250
Vergütungspflicht für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
nach Ansicht des BAG eine etwaige Überschreitung der persönlichen Arbeitszeit, wenn die Betriebsratstätigkeit innerhalb des Gleitzeitrahmens erfolgt, grundsätzlich im Rahmen des vorgegebenen Zeitrahmens ausgleichen, ohne dass es einer besonderen Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs bedarf. Kann der Zeitausgleich am Ende eines Ausgleichszeitraums nicht vollständig erfolgen und steht fest, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied seine vertraglich geschuldete Arbeitszeit im Bezugszeitraum überschritten hat, so ist diese Überschreitung – wie das BAG zu Recht ausführt – allein durch die Betriebsratstätigkeit veranlasst. Damit kann jedoch kein Ausgleich für außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Betriebsratstätigkeit nach § 37 Abs. 3 BetrVG verbunden werden, weil eine entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung nur dann erfolgen darf, wenn die Betriebsratstätigkeit allein aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit erbracht wurde. Ohne diese Voraussetzung lässt der Gesetzgeber eine Vergütung der außerhalb der Arbeitszeit aufgewendeten Zeit wie für Mehrarbeit nicht zu. Unabhängig davon, dass das in der Rahmenbetriebsvereinbarung vorgesehene Arbeitszeitsystem eine derartige Beschränkung nicht vorgesehen hat, ist diese – wie das BAG zu Recht herausstellt – geboten, weil § 37 Abs. 3 BetrVG wegen seiner zwingenden Natur weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung abbedungen werden darf. Im Anschluss an diese Bewertung verneint das BAG konsequent den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf die begehrte Gutschrift auf dem Überstundenkonto auch aus einer unmittelbaren Anwendung von § 37 Abs. 3 BetrVG. Das BAG betont in diesem Zusammenhang, dass der darin geregelte Freizeitausgleich unter Fortzahlung der Bezüge nach dem Lohnausfallprinzip lediglich die Folgen einer aus betriebsbedingten Gründen notwendigen Abweichung von dem Grundsatz, dass Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit stattzufinden hat, zum Ausgleich bringt und der in § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG vorgesehene Mehrarbeitsvergütungsanspruch dieses Regelungskonzept des Gesetzgebers nicht verändert. Freizeitopfer, die ein freigestelltes Betriebsratsmitglied für Betriebsratsarbeit erbringt, ohne dass dieser Umstand auf betriebliche Gründe zurückzuführen ist, sind nach diesem Gesetzeskonzept wirtschaftlich im Sinne einer Entgeltfortzahlung nicht auszugleichen. In Anbetracht dieser Erwägungen hätte der vom Kläger geltend gemachte Anspruch vorausgesetzt, dass – so das BAG – die außerhalb der Arbeitszeit erbrachte Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen nicht in der zur Verfügung stehenden individuellen Arbeitszeit erbracht werden konnte.
251
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Ergänzend weist das BAG darauf hin, dass die Nichtgewährung der begehrten Stundengutschrift auch nicht gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verstößt, wonach Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen. Das BAG unterstreicht dabei die ergänzende Funktion dieser Vorschrift zu § 37 Abs. 1 BetrVG, weil das Ehrenamtsprinzip die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder wahren soll15. Das BAG verneint eine Benachteiligung des Klägers, die bereits vorliegen würde, wenn dieser objektiv gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern aus Gründen der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied schlechter gestellt wird, weil diese Ungleichbehandlung durch die zwingenden Vorgaben des § 37 Abs. 3 BetrVG geboten ist.
b)
Vergütung der Wege-, Fahrt- und Reisezeiten von Betriebsratsmitgliedern
Das Urteil des BAG vom 27.7.201616 behandelt die Frage, ob Fahrtzeiten zwischen Wohnung und Betrieb, die ein Betriebsratsmitglied in seiner arbeitsfreien Zeit zur Wahrnehmung einer Betriebsratstätigkeit im Betrieb aufwendet, der Amtsausübung zuzurechnen und wie Arbeitszeit zu vergüten sind. Die Klägerin ist bei der Beklagten als Assistentin beschäftigt und gehört dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat an. Bei der Beklagten handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der durch persönliche Assistenten behinderte Schüler während der Schulzeit betreut. Derartige Assistenzen werden während der jährlich für einen Zeitraum von 12 Wochen anfallenden Schulferien nicht erbracht und die Assistenten in dieser Zeit nicht zur Arbeitsleistung herangezogen. Erforderliche Betriebsratstätigkeit fällt auch während der Schulferien an. Die Klägerin hatte zur Wahrnehmung von Betriebsratssitzungen an drei Tagen insgesamt drei Stunden an Fahrtzeiten aufwenden müssen, deren Vergütung sie von der Beklagten beanspruchte. Während das LAG Bremen17 der Zahlungsklage in Höhe von 40,35 € brutto entsprochen hat, hatte das BAG die klageabweisende Entscheidung des ArbG Bremen-Bremerhaven wiederhergestellt. Nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Nach § 37 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 15 Vgl. BAG v. 18.5.2016 – 7 AZR 401/14, NZA 2016, 1212 Rz. 21 m. w. N. 16 BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 255/14, NZA 2016, 1418. 17 LAG Bremen v. 27.11.2013 – 2 Sa 18/13 n. v.
252
Vergütungspflicht für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist nach § 37 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 BetrVG die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten. Diese gesetzliche Regelung nimmt das BAG zum Ausgang der rechtlichen Bewertung, ob auch Wegezeiten zwischen Wohnung und Betrieb, die ein Betriebsratsmitglied aufwenden muss, um außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an einer Betriebsratssitzung teilnehmen zu können, vergütungspflichtig sind. Hierbei zieht das BAG eine Parallele zu Arbeitnehmern ohne Betriebsratsmandat, die von der Wohnung zur Betriebsstätte unterwegs sind18. Derartige Wegezeiten sind regelmäßig der Privatsphäre des Arbeitnehmers zuzuordnen und nicht zu vergüten. Sie hängen zudem davon ab, welchen Wohnort ein Arbeitnehmer gewählt hat. Daraus schlussfolgert das BAG, dass auch Fahrtzeiten zwischen der Wohnung und dem Betrieb, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit aufwendet, nicht nach § 37 Abs. 3 BetrVG ausgleichs- oder vergütungspflichtig sind. Dadurch wird das Betriebsratsmitglied nicht wegen seines Betriebsratsamts benachteiligt, weil § 37 Abs. 3 BetrVG eine Kompensation dafür schaffen will, dass das Betriebsratsmitglied hinsichtlich der ihm zustehenden Vergütung nicht auf § 37 Abs. 2 BetrVG zurückgreifen kann, wenn es aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner Arbeitszeit während seiner Freizeit Betriebsratsaufgaben wahrnehmen muss19. Dieser zeitlich verschobene Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 2 BetrVG20 umfasst die Wegezeiten von der Wohnung zur Betriebsstätte nicht. Es würde gegen das Begünstigungsverbot verstoßen, wenn dem Betriebsratsmitglied – anders als einem Arbeitnehmer ohne Betriebsratsamt – ein Entgelt für Fahrten vom Wohnort zum Sitz des Betriebsrats als Ort der Leistungserbringung gezahlt werden müsste. Zusammenfassend stellt das BAG fest, dass nach der Gesamtkonzeption des BetrVG grundsätzlich kein Entgeltanspruch für die von einem Betriebsratsmitglied erbrachten Freizeitopfer besteht. Der zu verneinende Vergütungsanspruch für die Wegezeiten von der Wohnung zur Betriebsstätte ändert allerdings nichts daran, dass nach der Rechtsprechung des BAG der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zur Erstattung von Reisekosten verpflichtet ist, die dem Betriebsratsmitglied für die Fahrten von seiner Wohnung zum Betrieb deshalb erwachsen, weil es außerhalb seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit ausübt und den Betrieb ausschließlich
18 Vgl. BAG v. 21.12.2006 – 6 AZR 341/06, ZTR 2007, 446 Rz. 13. 19 So bereits BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, NZA 2008, 546 Rz. 15. 20 BAG v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025 Rz. 29.
253
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
aus diesem Grunde aufsuchen muss21. Der Anspruch auf Erstattung der Reisekosten hängt insoweit nicht davon ab, ob die Betriebsratssitzung aus betriebsbedingten Gründen i. S. v. § 37 Abs. 3 BetrVG außerhalb der Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds stattgefunden hat, weil dem Betriebsratsmitglied die durch die Erfüllung seiner Pflicht entstehenden Vermögensopfer vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu ersetzen sind. Für die betriebliche Praxis stellt das BAG damit unmissverständlich klar, dass es mit dem Ehrenamtsprinzip und dem Begünstigungsverbot nicht im Einklang steht, Betriebsratsmitgliedern die Betriebsratstätigkeit zu vergüten. (Boe)
4.
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Ruhezeit im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Dieser Entgeltschutz des Betriebsratsmitglieds betrifft alle Fälle, in denen eine während der Arbeitszeit verrichtete Betriebsratstätigkeit unmittelbar den Ausfall der Arbeitsleistung zur Folge hat. Er dient der Sicherung der Amtsführung des Betriebsrats und dem Schutz des Betriebsratsmitglieds vor Entgeltnachteilen durch Arbeitsversäumnis infolge von Betriebsratstätigkeit. Die Vorschrift will grundsätzlich verhindern, dass das Betriebsratsmitglied infolge einer erforderlichen Betriebsratstätigkeit eine Entgelteinbuße erleidet, sodass auch durch eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit keine Minderung des Arbeitsentgelts des Betriebsratsmitglieds eintreten darf, soweit die Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat22. In diesem Sinne hat das BAG23 eine bezahlte Freistellung eines Betriebsratsmitglieds während der Nachtschicht zur Teilnahme an einer tagsüber stattfindenden Betriebsratssitzung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG bejaht, wenn diesem unmöglich oder unzumutbar war, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten.
21 BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, NZA 2008, 546 Rz. 15 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 13. 22 So bereits BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, NZA 1990, 531 Rz. 13. 23 BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, NZA 1990, 531 Rz. 14.
254
2007 – 7
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
aus diesem Grunde aufsuchen muss21. Der Anspruch auf Erstattung der Reisekosten hängt insoweit nicht davon ab, ob die Betriebsratssitzung aus betriebsbedingten Gründen i. S. v. § 37 Abs. 3 BetrVG außerhalb der Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds stattgefunden hat, weil dem Betriebsratsmitglied die durch die Erfüllung seiner Pflicht entstehenden Vermögensopfer vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu ersetzen sind. Für die betriebliche Praxis stellt das BAG damit unmissverständlich klar, dass es mit dem Ehrenamtsprinzip und dem Begünstigungsverbot nicht im Einklang steht, Betriebsratsmitgliedern die Betriebsratstätigkeit zu vergüten. (Boe)
4.
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Ruhezeit im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind nicht freigestellte Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Dieser Entgeltschutz des Betriebsratsmitglieds betrifft alle Fälle, in denen eine während der Arbeitszeit verrichtete Betriebsratstätigkeit unmittelbar den Ausfall der Arbeitsleistung zur Folge hat. Er dient der Sicherung der Amtsführung des Betriebsrats und dem Schutz des Betriebsratsmitglieds vor Entgeltnachteilen durch Arbeitsversäumnis infolge von Betriebsratstätigkeit. Die Vorschrift will grundsätzlich verhindern, dass das Betriebsratsmitglied infolge einer erforderlichen Betriebsratstätigkeit eine Entgelteinbuße erleidet, sodass auch durch eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit keine Minderung des Arbeitsentgelts des Betriebsratsmitglieds eintreten darf, soweit die Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat22. In diesem Sinne hat das BAG23 eine bezahlte Freistellung eines Betriebsratsmitglieds während der Nachtschicht zur Teilnahme an einer tagsüber stattfindenden Betriebsratssitzung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG bejaht, wenn diesem unmöglich oder unzumutbar war, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten.
21 BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, NZA 2008, 546 Rz. 15 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 13. 22 So bereits BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, NZA 1990, 531 Rz. 13. 23 BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, NZA 1990, 531 Rz. 14.
254
2007 – 7
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Ruhezeit
Nunmehr war der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 18.1.201724 erneut mit der Frage befasst, ob einem Betriebsratsmitglied, das an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teilnimmt gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung zusteht, wenn es ihm unmöglich oder unzumutbar ist, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten. Der Kläger, Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats, arbeitet im Dreischichtbetrieb und war in der Nacht vom 16.7. auf den 17.7.2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer halbstündigen Pause von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eingeteilt. Am 17.7.2013 nahm der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte der Kläger seine Arbeit bereits um 2:30 Uhr ein, sodass bis zum Beginn der Betriebsratssitzung eine Zeitspanne ohne Arbeit von 10,5 Stunden bestand. Die Parteien stritten nun darüber, in welchem Umfang dem Kläger eine Gutschrift für die ausgefallene Arbeitszeit zustand. Das BAG hat die vom Kläger für die ausgefallene Arbeitszeit in der Nachtschicht beanspruchte Gutschrift nach § 37 Abs. 2 BetrVG für berechtigt gehalten und dies damit begründet, dass durch eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit auch dann keine Entgelteinbuße eintreten darf, wenn dem Betriebsratsmitglied wegen der Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar ist. Dabei nimmt nunmehr das BAG Gelegenheit, genauer zu konkretisieren, welcher Zeitraum anzusetzen ist, wenn das Betriebsratsmitglied außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit betriebsrätlichen Aufgaben nachzugehen hat. Insofern orientiert sich das BAG bei der Beurteilung, ob und wann dem Betriebsratsmitglied die Fortsetzung der Arbeit wegen einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit anfallenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar ist, an der in § 5 Abs. 1 ArbZG zum Ausdruck kommenden Wertung. Danach ist ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht zu einem Zeitpunkt einzustellen, der eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag ermöglicht, in der weder eine Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist. Dabei lässt das BAG unentschieden, ob die Erbringung von Betriebsratstätigkeit als Arbeitszeit i. S. v. § 2 Abs. 1 ArbZG zu qualifizieren ist25. Die dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dienende Erholungszeit des § 5 Abs. 1 ArbZG 24 BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 224/15. 25 So wohl Schulze, ArbRAktuell 2012, 475, 476 und AiB 2012, 657 BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, NZA 1990, 531 Thüsing, BetrVG Tillmanns, Schaub/Vogelsang, ArbR-HdB § 156 Rz. 14.
255
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
wird nach Ansicht des BAG durch eine Betriebsratstätigkeit in vergleichbarer Weise relevant wie durch die Erbringung von Arbeitsleistung. Daran ändert nichts, wie das BAG ausführt, dass Betriebsratsmitglieder ihre Tätigkeit nach § 37 Abs. 1 BetrVG als Ehrenamt ausüben, weil die Mandatsausübung einen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist. Soweit es um die Teilnahme des Klägers an der Betriebsratssitzung im Umfang von 2,5 Stunden geht, hat dieser – wie das BAG überzeugend ausführt – nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG einen Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe i. S. von § 37 Abs. 3 S. 2 BetrVG liegen auch dann vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Angesichts dessen kann nicht zweifelhaft sein, dass die Teilnahme eines in Wechselschicht arbeitenden Betriebsratsmitglieds an einer Betriebsratssitzung, die in die arbeitsfreie Zeit fällt, diese Voraussetzungen erfüllt. Das BAG wiederholt in diesem Zusammenhang, dass die Erfüllung des geschuldeten Anspruchs auf bezahlte Freistellung von der Arbeit nach § 362 BGB auch nach Ablauf eines Monats erfolgen kann, weil die gesetzliche Monatsfrist nicht die Bedeutung einer Ausschlussfrist hat26. Die Freistellung des Betriebsratsmitglieds bedarf einer empfangsbedürftigen gestaltenden Erklärung des Arbeitgebers, mit der er auf sein vertragliches Recht auf Leistung der geschuldeten Arbeitsleistung in einem bestimmten Umfang verzichtet27, wobei der Arbeitgeber bei der Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG die Wünsche des Arbeitnehmers zur zeitlichen Lage nicht entsprechend § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG berücksichtigen muss28. Der von dem Betriebsratsmitglied geäußerte Wunsch ist nur ein Aspekt der nach billigem Ermessen i. S. v. § 106 S. 1 GewO, 315 Abs. 3 BGB festzulegenden zeitlichen Lage der Arbeitsbefreiung. Der Freizeitanspruch lässt sich nicht nach dem Wunsch des Arbeitgebers oder des Betriebsratsmitglieds durch ein Abgeltungsentgelt in wirksamer Weise ersetzen, ohne dass die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG vorliegen29. Der Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG entsteht nur, wenn die Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist. Davon ist auszugehen, wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft und deshalb den Freizeitausgleich
26 27 28 29
So bereits BAG v. 15.2.2012 – 7 AZR 774/10, NZA 2012, 1112 Rz. 22. BAG v. 15.2.2012 – 7 AZR 774/10, NZA 2012, 1112 Rz. 22. BAG v. 15.2.2012 – 7 AZR 774/10, NZA 2012, 1112 Rz. 26. BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 224/15 n. BAG v. 28.5.2014 – 7 AZR 404/12, NZA 2015, 564 Rz. 21.
256
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Personalplanung
verweigert. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist das Betriebsratsmitglied darauf angewiesen, den Freizeitausgleichsanspruch geltend zu machen und notfalls gerichtlich durchzusetzen30. Die weiterführende Bedeutung dieser Entscheidung besteht für die betriebliche Praxis darin, dass nunmehr durch die vom BAG befürwortete Bezugnahme auf § 5 Abs. 1 ArbZG klargestellt ist, dass ein Betriebsratsmitglied, das außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an einer Betriebsratssitzung teilnimmt, zuvor eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden beanspruchen kann und deshalb die dadurch ausfallende Arbeitszeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu vergüten ist. Offengeblieben ist allerdings, ob diese Grundsätze einer ununterbrochenen Ruhezeit auch im Anschluss an die Betriebsratstätigkeit (Betriebsratssitzung) gelten, sodass das Betriebsratsmitglied entsprechend später seine Arbeit – etwa in der Nachtschicht – aufnehmen kann und auch die dadurch ausfallende Arbeitszeit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG vom Arbeitgeber zu vergüten ist. (Boe)
5.
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Personalplanung
Gemäß § 92 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen und Maßnahmen der Berufsbildung anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Auf der Grundlage dieser Unterrichtung hat er mit dem Betriebsrat über Art und Umfang der erforderlichen Maßnahme und über die Vermeidung etwaiger Härten zu beraten. Zur Personalplanung gehören insoweit die Personalbedarfsplanung, die Personaldeckungsplanung, die Personalentwicklungsplanung und die Personaleinsatzplanung. Über die insoweit gekennzeichnete Personalsituation des Betriebs und deren Entwicklung soll der Betriebsrat zu einem möglichst frühen Zeitpunkt umfassend anhand von Unterlagen unterrichtet werden31. Wie das BAG im Beschluss vom 8.11.201632 noch einmal deutlich macht, hat die Unterrichtung aber anhand derjenigen Unterlagen zu erfolgen, die der Arbeitgeber selbst seiner Personalplanung zugrunde legt. Unerheblich dabei ist, in welchem Zusammenhang diese Unterlagen erhoben und/oder 30 BAG v. 28.5.2014 – 7 AZR 404/12, NZA 2015, 564 Rz. 23. 31 BAG v. 23.3.2010 – 1 ABR 81/08, NZA 2011, 811 Rz. 60/89, NZA 1991, 358 Rz. 23. 32 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 n. v. Rz. 13.
– 1 ABR
257
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Personalplanung
verweigert. Solange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist das Betriebsratsmitglied darauf angewiesen, den Freizeitausgleichsanspruch geltend zu machen und notfalls gerichtlich durchzusetzen30. Die weiterführende Bedeutung dieser Entscheidung besteht für die betriebliche Praxis darin, dass nunmehr durch die vom BAG befürwortete Bezugnahme auf § 5 Abs. 1 ArbZG klargestellt ist, dass ein Betriebsratsmitglied, das außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an einer Betriebsratssitzung teilnimmt, zuvor eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden beanspruchen kann und deshalb die dadurch ausfallende Arbeitszeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu vergüten ist. Offengeblieben ist allerdings, ob diese Grundsätze einer ununterbrochenen Ruhezeit auch im Anschluss an die Betriebsratstätigkeit (Betriebsratssitzung) gelten, sodass das Betriebsratsmitglied entsprechend später seine Arbeit – etwa in der Nachtschicht – aufnehmen kann und auch die dadurch ausfallende Arbeitszeit gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG vom Arbeitgeber zu vergüten ist. (Boe)
5.
Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats bei der Personalplanung
Gemäß § 92 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen und Maßnahmen der Berufsbildung anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Auf der Grundlage dieser Unterrichtung hat er mit dem Betriebsrat über Art und Umfang der erforderlichen Maßnahme und über die Vermeidung etwaiger Härten zu beraten. Zur Personalplanung gehören insoweit die Personalbedarfsplanung, die Personaldeckungsplanung, die Personalentwicklungsplanung und die Personaleinsatzplanung. Über die insoweit gekennzeichnete Personalsituation des Betriebs und deren Entwicklung soll der Betriebsrat zu einem möglichst frühen Zeitpunkt umfassend anhand von Unterlagen unterrichtet werden31. Wie das BAG im Beschluss vom 8.11.201632 noch einmal deutlich macht, hat die Unterrichtung aber anhand derjenigen Unterlagen zu erfolgen, die der Arbeitgeber selbst seiner Personalplanung zugrunde legt. Unerheblich dabei ist, in welchem Zusammenhang diese Unterlagen erhoben und/oder 30 BAG v. 28.5.2014 – 7 AZR 404/12, NZA 2015, 564 Rz. 23. 31 BAG v. 23.3.2010 – 1 ABR 81/08, NZA 2011, 811 Rz. 60/89, NZA 1991, 358 Rz. 23. 32 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 n. v. Rz. 13.
– 1 ABR
257
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
erstellt wurden. Außerdem spielt es keine Rolle, ob der Arbeitgeber mit diesen Unterlagen auch anderweitige Zwecke verfolgt. In dem der vorstehend genannten Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Fall hatte der Betriebsrat die Vorlage von Unterlagen verlangt, die der Arbeitgeber, eine Fachklinik, im Zusammenhang mit Budgetverhandlungen mit den Kostenträgern in Bezug auf ihren Personalbedarf erstellt hatte. Der Arbeitgeber verweigerte indes die Vorlage dieser Unterlage mit der Begründung, dass er sie bei der eigenen Personalplanung nicht berücksichtige. Hierfür erstelle er separate Stellenpläne. Außerdem erhebe er für seine Personalplanung die Pflege- oder Behandlungsintensitäten und erfasse Daten zur Fluktuation, zur Arbeitsunfähigkeits- und sonstigen Ausfallquoten sowie der Entwicklung der Überlastanzeigen, um die Belastung einzelner Arbeitnehmer zu erkennen. Diese Daten würden dem Betriebsrat im Rahmen von § 92 Abs. 1 BetrVG verfügbar gemacht. Da der Betriebsrat keine Anhaltspunkte dafür vortragen konnte, dass die für die Kostenträger erstellten Stichtagserhebungen tatsächlich auch der eigenen Personalplanung zugrunde gelegt wurden, hat das BAG eine Überlassung dieser Unterlagen auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 BetrVG zu Recht abgelehnt. Der 1. Senat des BAG hat allerdings darauf verwiesen, dass der Betriebsrat auch ohne eine konkrete Verwendung dieser Unterlagen im Zusammenhang mit der arbeitgeberseitigen Personalplanung einen Anspruch auf Vorlage der Stichtagserhebungen haben könne. Grundlage hierfür sei § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Danach hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und ihm auf Verlangen die dazu erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Hieraus folge – so das BAG – ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich sei33. Hiervon ausgehend obliegt es dem Betriebsrat bei der Geltendmachung eines dahingehenden Auskunftsanspruchs, dass nicht nur eine Aufgabe erkennbar wird, in deren Zusammenhang eine Nutzung der Unterlagen erfolgen soll. Vielmehr muss der Betriebsrat auch darlegen, dass die begehrte Information im Einzelfall auch zur Wahrnehmung dieser Aufgabe erforderlich ist34.
33 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 n. v. Rz. 18 f. 34 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 n. v. Rz. 2012, 744 Rz. 7.
258
– 1 ABR 46/10, NZA
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
Diese Voraussetzungen konnte der Betriebsrat in dem hier in Rede stehenden Fall nicht darlegen. Zwar war davon auszugehen, dass er diese Unterlagen nutzbar machen wollte, um auf dieser Grundlage von seinem Vorschlagsrecht aus § 92 Abs. 2 BetrVG Gebrauch zu machen. Danach kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und ihre Durchführung machen. Hierzu gehört auch eine Änderung der bestehenden und durch den Arbeitgeber praktizierten Personalplanung. Der Betriebsrat hatte allerdings nicht ausreichend dargelegt, dass die Vorlage der streitgegenständlichen Stichtagserhebungen erforderlich war, um eigene Vorschläge zur Änderung der bisherigen Personalplanung des Arbeitgebers machen zu können. Hierfür hätte erkennbar gemacht werden sollen, inwieweit die diesen Unterlagen enthaltenen Angaben notwendig sind, um neue Kriterien für die Personalplanung aufzuzeigen. (Ga)
6.
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
Bereits an anderer Stelle hatten wir eingehend die Handlungserfordernisse im Zusammenhang mit einer Umsetzung der AÜG-Reform behandelt35. Neben den individualarbeitsrechtlichen Konsequenzen gehören hierzu auch erweiterte Beteiligungsrechte des Betriebsrats, die in §§ 80 Abs. 2, 92 BetrVG festgelegt wurden. Im Hinblick darauf sei auf die dortigen Ausführungen verwiesen36. Nachfolgend sollen weitere Beteiligungsrechte behandelt werden, wie sie sich vor allem aus den Beschlüssen des BAG vom 24.8.201637, vom 8.11.201638 und vom 13.12.201639 ergeben.
a)
Beteiligung wegen beabsichtigter Einstellung nach § 99 BetrVG
Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben. Dabei muss er dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen
35 36 37 38 39
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 66 ff. B. Gaul, AktuellAR 2016, 330 f. BAG v. 24.8.2016 – 7 ABR 2/15, NZA 2017, 269 ff. BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14, ZTR 2017, 121 ff. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 ff.
259
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
Diese Voraussetzungen konnte der Betriebsrat in dem hier in Rede stehenden Fall nicht darlegen. Zwar war davon auszugehen, dass er diese Unterlagen nutzbar machen wollte, um auf dieser Grundlage von seinem Vorschlagsrecht aus § 92 Abs. 2 BetrVG Gebrauch zu machen. Danach kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge für die Einführung einer Personalplanung und ihre Durchführung machen. Hierzu gehört auch eine Änderung der bestehenden und durch den Arbeitgeber praktizierten Personalplanung. Der Betriebsrat hatte allerdings nicht ausreichend dargelegt, dass die Vorlage der streitgegenständlichen Stichtagserhebungen erforderlich war, um eigene Vorschläge zur Änderung der bisherigen Personalplanung des Arbeitgebers machen zu können. Hierfür hätte erkennbar gemacht werden sollen, inwieweit die diesen Unterlagen enthaltenen Angaben notwendig sind, um neue Kriterien für die Personalplanung aufzuzeigen. (Ga)
6.
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
Bereits an anderer Stelle hatten wir eingehend die Handlungserfordernisse im Zusammenhang mit einer Umsetzung der AÜG-Reform behandelt35. Neben den individualarbeitsrechtlichen Konsequenzen gehören hierzu auch erweiterte Beteiligungsrechte des Betriebsrats, die in §§ 80 Abs. 2, 92 BetrVG festgelegt wurden. Im Hinblick darauf sei auf die dortigen Ausführungen verwiesen36. Nachfolgend sollen weitere Beteiligungsrechte behandelt werden, wie sie sich vor allem aus den Beschlüssen des BAG vom 24.8.201637, vom 8.11.201638 und vom 13.12.201639 ergeben.
a)
Beteiligung wegen beabsichtigter Einstellung nach § 99 BetrVG
Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben. Dabei muss er dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen
35 36 37 38 39
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 66 ff. B. Gaul, AktuellAR 2016, 330 f. BAG v. 24.8.2016 – 7 ABR 2/15, NZA 2017, 269 ff. BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14, ZTR 2017, 121 ff. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 ff.
259
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einholen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem die Personen zum Betriebsinhaber stehen, kommt es nicht an. Eingegliedert ist, wer eine ihrer Art nach weisungsgebundene Tätigkeit verrichtet, die der Arbeitgeber organisiert. Insofern muss der Beschäftigte so in die betriebliche Arbeitsorganisation integriert sein, dass der Arbeitgeber das für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht innehat und die Entscheidung über den Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit trifft. Insofern kann ohne weiteres an den Kriterien angeknüpft werden, wie sie auch im Zusammenhang mit der Kennzeichnung einer Eingliederung bzw. der weisungsgebundenen Tätigkeit nach §§ 1 Abs. 1 AÜG, 611 a Abs. 1 BGB zur Anwendung kommen40. Wie das BAG übereinstimmend in den Beschlüssen vom 8.11.201641 und vom 13.12.201642 zum Ausdruck gebracht hat, hängt die Frage der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab43. Die Eingliederung in den Betrieb und dessen Organisation sei allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn Personen im Betrieb des Auftraggebers tätig würden und ihre Dienstleistung oder das von ihnen zu erstellende Werk nach Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den betrieblichen Arbeitsprozess eingeplant oder detailliert beschrieben sei. Ebenso wenig genügten die enge räumliche Zusammenarbeit von Arbeitnehmern im Betrieb oder die Einweisung und Koordination des Fremdfirmeneinsatzes durch Beschäftigte des Betriebsinhabers oder der Umstand, dass die betreffende Tätigkeit bislang von Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs ausgeführt wurde oder zu bestimmten Zeiten weiterhin durchgeführt werde44. Weder aus der früheren Leistungserbringung durch Beschäftigte des Einsatzbetriebs noch aus einer Verzahnung mit den dortigen Betriebsabläufen folge eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligungspflichtige Eingliederung45.
40
41 42 43 44 45
B. Gaul, AktuellAR 2017, 59 ff. BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14, ZTR 2017, Rz. 15, 20. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 25, 29. Ebenso bereits BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, NZA 2014, 1149 Rz. 18. Ebenso BAG v. 13.5.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 14. BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14, ZTR 2017, 121 Rz. 20.
260
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
In überzeugender Weise hat das BAG auch darauf hingewiesen, dass es keine Rolle spielt, wie häufig der jeweils in Rede stehende Einsatz im Betrieb des Arbeitgebers erfolgt und wie lange er tatsächlich dauert46. Kurze Einsätze können ebenso wie lange Einsätze – ohne Rücksicht auf ihre Häufigkeit – sowohl im Rahmen einer weisungsgebundenen Tätigkeit als auch auf der Grundlage einer selbständigen Beschäftigung auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers erfolgen. Die insoweit erforderliche Eingliederung in die betrieblichen Abläufe kann auch darin erkennbar werden, dass der einer Zusammenarbeit zweier Unternehmen zugrundeliegende Vertrag keine Vorgaben für die Durchführung der Dienstleistung enthält, weil beide Parteien davon ausgegangen sind, dass die eigentliche Konkretisierung der geschuldeten Tätigkeit durch Tätigkeitsund ablaufbezogene Weisungen des Auftraggebers gegenüber den Arbeitnehmern des Auftragnehmers nach Beginn der Leistungserbringung erfolgt. Damit aber handelt es sich, wie das BAG im Beschluss vom 13.12.201647 ausgeführt hat, im Zweifel um Weisungen, die arbeitsvertraglicher Art sind und zu einer Einstellung nach § 99 BetrVG führen. Wichtig ist, dass entsprechende Weisungen des Auftraggebers allerdings nicht zwangsläufig zu einer Eingliederung führen. Denn auch im Dienstoder Werkvertrag sind entsprechend § 645 BGB Anweisungen zulässig, die gegenüber dem Auftragnehmer oder dessen Erfüllungsgehilfen erteilt werden48. Darauf hat das BAG auch im Beschluss vom 8.11.201649 noch einmal hingewiesen. Diese dienstvertraglichen Anweisungen sind allerdings von arbeitsvertraglichen Weisungen und der damit verbundenen Ausübung des Direktionsrechts zu unterscheiden. Entscheidend ist schlussendlich, ob nur eine Konkretisierung des bereits vor Aufnahme der Tätigkeit vereinbarten Werks bzw. der Dienstleistung erfolgt oder ob – weil entsprechende Vorgaben zur Art, zum Ort oder zur Zeit der Tätigkeit fehlen – die Hinweise notwendig sind, damit der Auftragnehmer bzw. seine Arbeitnehmer überhaupt wissen, welche Tätigkeit verrichtet werden soll. Um die Abgrenzung der beiden Formen etwaiger Weisungen zu erleichtern, ist es in der betrieblichen Praxis überaus wichtig, den Inhalt der geschuldeten Dienst- oder Werkleistung möglichst genau im Vorfeld bereits festzule-
46 BAG v. 13.12.2016 –1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 29.6 47 BAG v. 13.12.2016 - 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. 35. 48 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, NZA 2017, 525 Rz. AZR 723/10, NZA-RR 2012, 455 Rz. 27. 49 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14, ZTR 2017, 121 Rz. 21.
BAG v. 18.1.2012 – 7
261
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
gen. Wir hatten darauf an anderer Stelle bereits hingewiesen50. Dann sind nachträgliche Weisungen, die auch zu einer Modifikation einzelner Anforderungen führen können, im Zweifel Weisungen entsprechend § 645 BGB. Dies gilt insbesondere dann, wenn - was zu empfehlen ist – diese Weisungen nicht unmittelbar gegenüber den Arbeitnehmern des Auftragnehmers, sondern gegenüber dem Auftragnehmer selbst bzw. einem von diesem bereits im Vorfeld benannten Vertreter erfolgen, damit dieser die darin liegende Modifikation der geschuldeten Werk- bzw. Dienstleistung durch Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts im Namen des Auftragnehmers den Arbeitnehmern des Auftragnehmers gegenüber zur Umsetzung bringt.
b)
Aufteilung der Mitbestimmungsrechte nach Eingliederung in die Betriebsorganisation
Leiharbeitnehmer, die im Anschluss an ihre Einstellung innerhalb der betrieblichen Organisation des Entleihers tätig werden, bleiben zwar auch in dieser Zeit Angehörige des Betriebs des Verleihers (§ 14 Abs. 1 AÜG). Dennoch folgt – so das BAG – aus dieser Zuordnung nicht die Zuständigkeit des für einen Verleiherbetrieb gewählten Betriebsrats in allen die Leiharbeitnehmer betreffenden sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Dies würde unberücksichtigt lassen, dass die Leiharbeitnehmer für die Dauer ihrer Überlassung zusätzlich in die Organisation des Entleiherbetriebs eingegliedert sind und dort dem Weisungsrecht des Entleihers unterstehen. Diese Aufspaltung der Arbeitgeberfunktion darf die Schutzfunktion der Betriebsverfassung nicht außer Kraft setzen. Hiervon ausgehend bestimmt sich die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in Bezug auf Leiharbeitnehmer nach dem Gegenstand des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht des jeweiligen Arbeitgebers51. Auf dieser Grundlage ist der im Betrieb des Entleihers gebildete Betriebsrat für alle Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuständig, die sich daraus ergeben, dass das arbeitgeberseitige Direktionsrecht in Bezug auf Art, Ort und Zeit der Tätigkeit während der Überlassung durch den Entleiher ausgeübt wird. Dabei geht es insbesondere um § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 7 BetrVG. Soweit der Bestand des Arbeitsverhältnisses betroffen ist und insoweit relevante Entscheidungen in Rede stehen, fällt die Ausübung etwaiger Beteiligungsrechte in die Zuständigkeit des in den Betrieb des Verleihers gebilde50 B. Gaul, AktuellAR 2017, 59 ff. 63 ff. 51 BAG v. 24.8.2016 – 7 ABR 2/15, NZA 2017, 269 Rz. 25/14, NZA 2016, 1420 Rz. 13.
262
– 1 ABR
Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats beim Einsatzbetrieb von Fremdpersonal
ten Betriebsrats. Beispielsweise sei insoweit auf die Höhe des Arbeitsentgelts (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) oder eine etwaige Kündigung (§ 102 BetrVG) hingewiesen.
c)
Betriebsverfassungsrechtliches Statusverfahren zur Kennzeichnung von Fremdpersonal
Grundsätzlich obliegt es dem jeweils betroffenen Leiharbeitnehmer, den Bestand eines zwischen ihm und dem Entleiher bestehenden Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Der Betriebsrat ist nicht berechtigt, individualrechtliche Ansprüche einzelner Arbeitnehmer geltend zu machen. Dies schließt das im Betrieb eingesetzte Fremdpersonal ein. In seinem Beschluss vom 24.8.201652 hat das BAG indes deutlich gemacht, dass jedenfalls die Begründung eines Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 9, 10 AÜG zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher durch den Betriebsrat des Entleiherbetriebs im Rahmen eines Beschlussverfahrens festgestellt werden kann. Denn nach diesem Beschluss ist der Betriebsrat berechtigt, beim Arbeitsgericht zu beantragen festzustellen, dass ein konkret zu benennender Leiharbeitnehmer Arbeitnehmer i. S. d. § 5 Abs. 1 BetrVG im Betrieb des Entleihers ist. Dass in dem seiner Entscheidung zugrundliegenden Fall der entsprechende Antrag als unbegründet bewertet wurde, lag schlicht und einfach daran, dass die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher auf der Grundlage der bis zum 31.3.2017 geltenden Rechtslage mit einer nicht nur vorübergehenden Überlassung begründet wurde. Das BAG hatte allerdings bereits in den Urteilen vom 10.12.201353 deutlich gemacht, dass ein Verstoß gegen das in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG enthaltene Verbot der nicht nur vorübergehenden Überlassung ohne eine dahingehende Regelung des Gesetzgebers nicht zu einem Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher führen würde. Diese Regelungslücke hat der Gesetzgeber allerdings – wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde54 – zum 1.4.2017 geschlossen. Ausgangspunkt der entsprechenden Antragstellung ist § 5 Abs. 1 BetrVG. Dieser definiert den Arbeitnehmerbegriff nicht, sondern setzt ihn als Grundlage für die Kennzeichnung etwaiger Beteiligungsrechte des Betriebsrats voraus. Hiervon ausgehend ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, 52 BAG v. 24.8.2016 – 7 ABR 2/15, NZA 2017, 269 Rz. 10 ff., 19 ff., 25 f. 53 BAG v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196 Rz. BAG v. 12.7.2016 – 9 AZR 352/15, BB 2016, 2686 Rz. 13. 54 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 1, 66 ff.
263
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das darin liegende Arbeitsverhältnis genügt allerdings noch nicht, um zu rechtfertigen, dass der Arbeitnehmer auch im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne Arbeitnehmer „des Betriebs“ ist. Vielmehr setzt die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des Arbeitnehmers voraus, dass er zugleich auch in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist55. Wichtig ist allerdings, dass nach der Aufgabe der Zwei-Komponenten-Lehre im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung eine arbeitsvertragliche Beziehung nach Auffassung der Rechtsprechung nicht notwendig ist, um von einer Kennzeichnung als Arbeitnehmer auszugehen. Vielmehr soll unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweils in Rede stehenden Regelung geprüft werden, ob der Leiharbeitnehmer auch ohne eine entsprechende Vertragsbeziehung als Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers qualifiziert werden kann. Eine solche Kennzeichnung im Zusammenhang mit der Einstellung nach § 99 BetrVG ist nicht erforderlich, weil hier die Notwendigkeit einer Beteiligung des Betriebsrats bereits durch § 14 Abs. 3 AÜG bestimmt wird. Eine entsprechende Einbeziehung ist bei der Berechnung der Schwellenwerte für etwaige Beteiligungsrechte im Rahmen der Betriebsverfassung anzunehmen, was mit Wirkung zum 1.4.2017 auch durch § 14 Abs. 2 AÜG klargestellt wird. Während die Einbeziehung der Leiharbeitnehmer in die Berechnung der Schwellenwerte oder die Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG noch keine Qualifizierung als Arbeitnehmer i. S. d. § 5 Abs. 1 BetrVG rechtfertigt, ist ein entsprechender Feststellungsantrag des Betriebsrats begründet, wenn eine Missachtung der Form- und Fristerfordernisse im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nach § 9 Abs. 1 AÜG zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher geführt hat. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn die Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Erlaubnis erfolgt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Die gleiche Rechtsfolge tritt seit dem Wirksamwerden der AÜG-Reform am 1.4.2017 ein, wenn die Kennzeichnungspflicht aus § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG oder die Höchstüberlassungsdauer aus § 1 Abs. 1 b AÜG missachtet werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 a, 1 b AÜG). Hiervon ausgehend kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen festzustellen, dass ein bestimmter Arbeitnehmer, der als Folge einer Miss55 BAG v. 24.8.2016 – 7 ABR 2/15, NZA 2017, 269 Rz. 42/13, NZA 2016, 559 Rz. 28.
264
BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
achtung der Form- und Fristerfordernisse gemäß § 9 Abs. 1 AÜG in ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher getreten ist, Arbeitnehmer i. S. d. § 5 Abs. 1 BetrVG im Betrieb des Entleihers ist. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits daraus, dass er als Folge dieser Kennzeichnung nicht nur Beteiligungsrechte wegen der Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts geltend machen kann. Vielmehr ist er auch für die am Bestand des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuständig. Die Kosten eines solchen „betriebsverfassungsrechtlichen Statusverfahrens“ sind durch den Arbeitgeber zu tragen (§ 40 Abs. 1 BetrVG). (Ga)
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
a)
Ausgangssituation
Viele Unternehmen präsentieren sich heute in den Social Media. Auf diese Weise wird nicht nur eine schnellere Kommunikation aus dem Unternehmen heraus zu potenziellen Kunden oder Meinungsmachern möglich gemacht. Ein ganz wesentlicher Bestandteil von Aktivitäten im Rahmen von Social Media ist, dass auf eine sehr unkomplizierte Weise ein Dialog zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite und Kunden, potenziellen Kunden, Meinungsmachern und Kritikern auf der anderen Seite eröffnet wird. Da dieser Dialog im Zweifel mit Arbeitnehmern des Unternehmens geführt wird und Arbeitnehmer auch Gegenstand dieses Dialogs sein können, stellt sich die Frage, ob insoweit auch Beteiligungsrechte des Betriebsrats gegeben sind. Mit dem Beschluss des BAG vom 13.12.201656, das die vorangehende Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 12.1.201557 aufgehoben hat, liegen allerdings Feststellungen vor, die eine grundlegende Abkehr von den zuletzt noch im Beschluss des BAG vom 10.12.201358 getroffenen Grundsätzen zu den Anwendungsvoraussetzungen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zum Ausdruck bringen, die weit über den Bereich von Social Media hinausgehende Bedeutung haben. Bedauerlicherweise sind diese Aussagen allerdings nicht widerspruchsfrei.
56 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15 n. v. 57 LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 TaBV 51/14 n. v. 58 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 ff.
265
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
achtung der Form- und Fristerfordernisse gemäß § 9 Abs. 1 AÜG in ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher getreten ist, Arbeitnehmer i. S. d. § 5 Abs. 1 BetrVG im Betrieb des Entleihers ist. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits daraus, dass er als Folge dieser Kennzeichnung nicht nur Beteiligungsrechte wegen der Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts geltend machen kann. Vielmehr ist er auch für die am Bestand des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuständig. Die Kosten eines solchen „betriebsverfassungsrechtlichen Statusverfahrens“ sind durch den Arbeitgeber zu tragen (§ 40 Abs. 1 BetrVG). (Ga)
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
a)
Ausgangssituation
Viele Unternehmen präsentieren sich heute in den Social Media. Auf diese Weise wird nicht nur eine schnellere Kommunikation aus dem Unternehmen heraus zu potenziellen Kunden oder Meinungsmachern möglich gemacht. Ein ganz wesentlicher Bestandteil von Aktivitäten im Rahmen von Social Media ist, dass auf eine sehr unkomplizierte Weise ein Dialog zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite und Kunden, potenziellen Kunden, Meinungsmachern und Kritikern auf der anderen Seite eröffnet wird. Da dieser Dialog im Zweifel mit Arbeitnehmern des Unternehmens geführt wird und Arbeitnehmer auch Gegenstand dieses Dialogs sein können, stellt sich die Frage, ob insoweit auch Beteiligungsrechte des Betriebsrats gegeben sind. Mit dem Beschluss des BAG vom 13.12.201656, das die vorangehende Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 12.1.201557 aufgehoben hat, liegen allerdings Feststellungen vor, die eine grundlegende Abkehr von den zuletzt noch im Beschluss des BAG vom 10.12.201358 getroffenen Grundsätzen zu den Anwendungsvoraussetzungen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zum Ausdruck bringen, die weit über den Bereich von Social Media hinausgehende Bedeutung haben. Bedauerlicherweise sind diese Aussagen allerdings nicht widerspruchsfrei.
56 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15 n. v. 57 LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 TaBV 51/14 n. v. 58 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 ff.
265
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
b)
Mitbestimmungsrechtlich relevanter Sachverhalt
In dem der vorstehend genannten Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Fall betrieb die Arbeitgeberin fünf Transfusionszentren, in denen Blutspenden entgegengenommen, verarbeitet und veräußert wurden. Am 15.4.2013 eröffnete der Arbeitgeber bei Facebook verschiedene Seiten, u. a. die im Antrag genannte. Im Rahmen dieses Auftritts wird es Facebook-Nutzern ermöglicht, Kommentare (sog. Postings) abzugeben, die dann auf einer virtuellen Pinnwand eingestellt werden und von allen Facebook-Nutzern angesehen bzw. weiter kommentiert werden können. Dazu gehört in der bekannten Weise auch die Kennzeichnung mit einem „Gefällt mir“, einem sog. „Like“. Die Mitarbeiter des Arbeitgebers wurden – ebenso wie potenzielle Spender – auf den Facebook-Auftritt hingewiesen. Besondere Handlungsvorgaben waren damit nicht verbunden. Allerdings verteilte die Arbeitgeberin einen allgemeinen Leitfaden zum Umgang mit Social Media, in dem es u. a. hieß: Jeder ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter des Roten Kreuzes verpflichtet sich den Rotkreuzgrundsätzen. Dein Ton sollte immer freundlich sein. Es gilt die allgemeine Netiquette.
Am 15.4.2013 stellte ein Blutspender einen kritischen Kommentar auf der Pinnwand der Facebook-Seite ein, der wie folgt lautete: Ich war am 14. April 2013 in N. mein kostbares abzapfen lassen. Gehe schon spenden seit ich 18 bin. Muss aber sagen die gestern die Nadel gesetzt hat, solle es noch lernen. Stechen kann die nicht.
Am 16.4.2013 um 13.15 Uhr wurde dieser Kommentar seitens der Arbeitgeberin kommentiert. Unter dem 14.6.2013 ging ein weiterer Kommentar über einen Arzt ein, dem vorgeworfen wurde, er habe die Untersuchung vor der Blutabnahme nicht regelgerecht vorgenommen. Daraufhin sei eine ältere Spenderin beinahe kollabiert und habe per Infusion stabilisiert werden müssen. Die Facebook-Seite selbst wurde auf Seiten des Arbeitgebers durch eine Gruppe von etwa zehn Mitarbeitern betreut. Ihnen oblag es, Informationen einzustellen und Postings zu kommentieren. Hierzu konnten sich die Mitarbeiter auf die Seite aufschalten und diese als Administratoren bearbeiten. Wer von ihnen die Bearbeitung vorgenommen hatte, ließ sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des LAG Düsseldorf nicht mehr erkennen. Denn der Arbeitgeber hatte, nachdem anfangs individuelle Administratorenkennungen vergeben waren, im laufenden Verfahren allen Administratoren die gleiche
266
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
Kennung zugewiesen, so dass eine Individualisierung ihrer Arbeit als Konsequenz eines Zugangs nicht mehr möglich war. Ungeachtet dessen machte der Konzernbetriebsrat geltend, dass in dem Betrieb der Facebook-Seite eine Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte zu sehen sei. Dies ergebe sich nicht nur aus der Möglichkeit, sich individuell unter Namensnennung zu einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu äußern. Die Mitbestimmungsberechtigung folge auch aus dem Umstand, dass Facebook die Möglichkeit eröffne, auch außerhalb der Einträge auf der Arbeitgeberseite Internetsuchen zu starten, aus denen heraus Aktivitäten von Arbeitnehmern - z. B. während etwaiger Krankheitszeiten – erkennbar würden. Losgelöst davon erfolge ein Mitbestimmungsrecht aus dem Umstand, dass die Administratoren und ihre Arbeit aufgezeichnet würden, was neben datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zur Folge habe. Der Konzernbetriebsrat beantragte deshalb, dem Arbeitgeber aufzugeben, einen weiteren Betrieb der Facebook-Seite zu unterlassen, sofern keine Zustimmung des Betriebsrats oder eine die Zustimmung des Betriebsrats ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle vorliege.
c)
Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
aa)
Grundsätzliche Kennzeichnung
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Denn die auf technischem Wege erfolgende Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung berge – so das BAG – die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht würden, die anonym personen- oder leistungsbezogene Informationen erhebe, speichere, verknüpfe und sichtbar mache59. Entsprechendes gilt für den Konzernbetriebsrat, wobei dessen Zuständigkeit aus dem Umstand resultierte, dass der Arbeitgeber – als unternehmerische 59 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017 n. v. Rz. ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 27.
–1
267
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Vermarktungsentscheidung mitbestimmungsfrei – vorgegeben hatte, eine Facebookseite als konzernweite Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings mit einer einheitlichen Ausgestaltung einzurichten und zu betreiben. Damit waren die Voraussetzungen seiner Zuständigkeit aus § 58 Abs. 1 BetrVG erfüllt. Auf der Grundlage dieser Kennzeichnung hat das BAG zwischen (1) der Mitbestimmung wegen der Freischaltung einer Facebook-Seite, (2) der Einbeziehung von Arbeitnehmern des Arbeitgebers bei der Pflege und Bearbeitung dieser Seite und (3) der Freischaltung einer Besucherseite mit der Möglichkeit personenbezogener Postings unterschieden. bb)
Mitbestimmung wegen der Freischaltung einer Facebookseite
Hiervon ausgehend hat das BAG zunächst einmal ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats abgelehnt, soweit der Betrieb der Facebook-Seite in seiner Gesamtheit in Rede stand. Die Funktionen der Facebookseite ermöglichten keine Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern, so dass die Voraussetzungen aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht erfüllt seien. Dies gelte mangels einer Identifizierbarkeit der einzelnen Arbeitnehmer auch insoweit, als der Arbeitgeber Arbeitnehmer mit der Bearbeitung der Facebookseite beschäftigte. Ausgangspunkt dabei war die Annahme das BAG, dass das "Überwachen" i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einen Vorgang erfasse, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung eines Arbeitnehmers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet würden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Das setze voraus, dass die Informationen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden könnten60. Wichtig ist allerdings, dass der 1. Senat auch in seinem Beschluss vom 13.12.2016 zunächst einmal annimmt, dass die nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erforderliche Überwachung durch die technische Einrichtung selbst und automatisch bewirkt werden muss. Dazu muss diese Einrichtung – so das BAG – aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar, d. h. wenigstens in ihrem Kern, die Überwachung vornehmen, in dem sie selbst das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer kontrol-
60 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017 n. v. Rz. –1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20 BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556 Rz. Stuck Jacobi, ArbRB 2014, 107.
268
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
liere. Dabei genüge es, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung bewirkt werde61. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen konnte die Facebookseite mit ihren vorgegebenen Funktionen nicht als technische Einrichtung qualifiziert werden, die aufgrund ihrer derzeitigen Auswertungsmöglichkeiten dazu bestimmt war, das Verhalten und die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Es sei – so das BAG – nicht erkennbar, dass die von Facebook bereitgestellten Funktionen – „Auswertung von Ergebnissen“ – geeignet sein sollen, das Verhalten und die Leistung einzelner im Konzern beschäftigter Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse zu überwachen. Die Funktionen „Seitenstatistiken“ mit den Bereichen „Beiträge“, „Besuche“, „Gefällt-mir-Angaben“, „Reichweite“ gestatte keine individualisierbaren Auswertungen. Gleiches gelte für die Auswertungsfunktionen „Werbeanzeigenberichte“ und „Offline-Conversions“. cc)
Mitbestimmung wegen der Bearbeitung arbeitgeberseitiger Beiträge
Auch der Umstand, dass die arbeitgeberseitigen „Beiträge“ und „Kommentare“ der mit der Pflege der Facebook-Seite beschäftigten Arbeitnehmer auf dieser mit dem Datum und der Uhrzeit der Erstellung versehen hat, konnte ein Mitbestimmungsrecht nicht begründen. Zwar würden durch das Aufzeichnen von Datum und Uhrzeit der Einstellung von „Beiträgen“ und „Kommentaren“ entsprechende Leistungsdaten erfasst und dokumentiert. Es fehlte aber an einer Individualisierbarkeit, ohne die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht in Betracht komme. dd)
Mitbestimmung wegen der Freischaltung von Postings
Entgegen der Auffassung des LAG Düsseldorf geht das BAG indes davon aus, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG habe, wenn der Arbeitgeber Nutzern gestatte, „Postings“ auf der Facebookseite einzustellen. In diesem Zusammenhang geht das BAG nicht nur davon aus, dass es sich bei der Facebookseite des Arbeitgebers um eine technische Einrichtung handele. Sie ermögliche durch die Funktion „Besucher-Beiträge“ auch eine Überwachung des Verhaltens und der Leistung der im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer. Denn diese Funktion erlaube den Nutzern von Facebook, Postings zum Verhalten und zur Leistung konzernangehöriger Arbeitnehmer
61 Ebenso BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 15.12.1992 – 1 ABR 24/92, CR 1994, 111 Rz. 32.
BAG v.
269
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
einzustellen. Denkbar sei, dass diese Postings auch namentlich oder situationsbezogen einem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet werden können. Dadurch würden Arbeitnehmer einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt. Sie müssten jederzeit damit rechnen, dass Beiträge zu ihrer Leistung oder ihrem Verhalten gepostet werden und damit nicht nur dem Arbeitgeber, sondern einer unbestimmten Anzahl von Personen, die diese Seite aufrufen, offenbart werden. Durch diese Fertigkeit sei die Facebookseite auch zur Überwachung bestimmt62. Nach Auffassung des BAG erfolgt diese Überwachung auch mit Hilfe einer technischen Einrichtung. Obwohl das BAG in der gleichen Entscheidung nur wenige Absätze vorher noch das genaue Gegenteil angenommen hatte, stellt es im Zusammenhang mit den Postings ausdrücklich klar, dass es für eine Anwendung von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht erforderlich sei, dass die Daten über das Verhalten oder die Leistung des einzelnen Arbeitnehmers durch die technische Einrichtung zunächst selbst und „automatisch“ erhoben würden. Daher genüge es, wenn die Informationen durch die Nutzer der Facebookseite aufgrund der dort vorhandenen Funktion „Besucher-Beiträge“ eingegeben und mittels der von Facebook eingesetzten Software einer dauerhaften Speicherung und zeitlich unbegrenzten Zugriffsmöglichkeit zugeführt würden. Dieser vollständige Wechsel der Anwendungsvoraussetzungen ist nicht nachvollziehbar und wird durch den 1. Senat auch nicht begründet. Insofern bleibt auch unklar, ob auf die Voraussetzung einer „automatischen Erhebung“ durch die technische Einrichtung selbst nun nach Belieben verzichtet werden kann, um von einem Mitbestimmungsrecht auszugehen, oder ob diese Voraussetzung nur dann entfällt, wenn die eingegebenen Daten über die in Rede stehende Software dauerhaft auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Denn auf diese Form der Veröffentlichung weist das BAG ergänzend zu seinen vorangehenden Ausführungen hin und nimmt dies zum Anlass, darin auch den maßgeblichen Unterschied zu einem an den Arbeitgeber gerichteten Beschwerdebrief zu sehen. Insgesamt sind diese Ausführungen des BAG nicht überzeugend. Sie sind in sich widersprüchlich und ungenau. Insbesondere lassen sie nicht erkennen, ob die händische Eingabe von leistungs- oder verhaltensbezogener Daten auch dann nicht zu einer Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG führt, wenn die weitere Verarbeitung und Nutzung durch eine technische Einrichtung des Arbeitgebers bewirkt wird. Hiervon war das
62 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, n. v. Rz. 36 ff.
270
Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Facebook-Seite
BAG noch in seinem Urteil vom 10.12.201363 ausgegangen und hatte ein Mitbestimmungsrecht bei der Nutzung von Google Maps abgelehnt, wenn die Verarbeitung personen- oder leistungsbezogener Daten ausschließlich durch menschliches Handeln in Gang gesetzt wird, der Verwender einer technischen Einrichtung also selbst über den Einsatz und den Umfang der dort verarbeiteten Daten entscheidet. Hier liege – so das BAG im Beschluss vom 10.12.201364 - kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vor. Denn hier stehe die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Nachprüfung ebenso wie die Entscheidung über den Einsatz von weiteren Aufklärungsmitteln alleine in der Entscheidungsbefugnis des Bearbeiters. Insgesamt gewinnt man bei einer Durchsicht der aktuellen Entscheidung den Eindruck, dass das BAG den Überwachungsdruck hat genügen lassen, den die Zugänglichkeit der leistungs- oder verhaltensbezogenen Daten im Internet für die betroffenen Arbeitnehmer begründet hat, um ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anzuerkennen. Das aber verlässt den bisherigen Ausgangspunkt bei der Auslegung und Anwendung und bewirkt, dass jede Software, die Verhaltens- oder Leistungsdaten verarbeitet, nur mit Zustimmung des Betriebsrats eingeführt und genutzt werden kann, selbst wenn der Arbeitnehmer, der die Software benutzt, selbst nicht identifizierbar ist. Es genügt sogar, dass Anwesenheitszeiten in einem Tabellenprogramm (z. B. Excel) oder das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung in einem Textverarbeitungsprogramm (z. B. Word) festgehalten und durch eine elektronische Verarbeitung einer späteren Nutzung zugänglich gemacht werden. Dies würde nach dem Aufbau der Argumentation durch das BAG selbst dann gelten, wenn diese Datensätze nur dem Arbeitgeber, nicht aber der Öffentlichkeit zugänglich sind. Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG überzeugt nicht. Sinn und Zweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen65. Denn die auf technischem Weg erfolgte Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über den Arbeitnehmer (die einer nichttechnischen Überwachung nicht zugänglich sind) birgt die Gefahr in sich, dass in dessen Persönlichkeitsbereich eingedrungen wird, und der Arbeitnehmer auf diese Weise zum Objekt einer Überwa-
63 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20. 64 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20. 65 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2014 Rz. Jacobi, ArbRB 2014, 107, 108.
271
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
chungstechnik gemacht wird, der er sich nicht entziehen kann. Wie das BAG in seinem Beschluss vom 10.12.201366 deutlich gemacht hat, gilt dies umso mehr, wenn die Abläufe der technikgestützten Datenermittlung für den Arbeitnehmer nicht wahrnehmbar sind und es regelmäßig an einer Möglichkeit fehle, sich dieser zu entziehen. Die Einbindung in eine von ihm nicht beeinflussbare Überwachungstechnik könne auf diese Weise zu einer erhöhten Abhängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern67. Diese Voraussetzungen sind aber bei Postings, bei denen der Besucher individuell über das „Ob“ und den Inhalt entscheidet, nicht erfüllt. Es fehlt an einer automatisierten Erfassung personenbezogener Daten. Richtigerweise hätte das BAG deshalb eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch in Bezug auf die Zulassung von Postings ablehnen müssen.
d)
Unterlassungsanspruch wegen Missachtung des Datenschutzrechts
Überzeugender wäre es gewesen, wenn das BAG die in Rede stehende Veröffentlichung arbeitnehmerbezogener Daten im Internet als datenschutzrechtliches Problem behandelt hätte. Hier dürfte auch ein Unterlassungsoder Löschungsanspruch bestehen, den allerdings der betroffene Arbeitnehmer, nicht aber der Betriebsrat, hätte geltend machen müssen. Der Betriebsrat hätte lediglich die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben im Rahmen seiner Überwachungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG prüfen und den Arbeitgeber zu einer Änderung dieser Praxis anhalten können, soweit die gewählte Praxis der Postings datenschutzrechtliche Vorgaben missachtete. Ein Anspruch auf Unterlassung von Verhaltensweisen, die im Widerspruch zu datenschutzrechtlichen Vorgaben stehen, kann der Betriebsrat aus dieser Überwachungsaufgabe nicht ableiten. Etwaige Rechtsverstöße des Arbeitgebers begründeten keine betriebsverfassungswidrige Lage im Verhältnis zum Betriebsrat68.
66 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 27. 67 Ebenso BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. LAG Düsseldorf v. 12.1.2015 – 9 TaBV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 67. 68 BAG v. 17.5.2011 – 1 ABR 121/09, AiB 2012, 538 Rz. 17 BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 40/01, NZA 2008, 1248 Rz. 39 v. 12.1.2015 – 9 Ta BV 51/14, AuR 2015, 76 Rz. 88 ff.
272
Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit
e)
Fazit
Mit der Facebook-Entscheidung hat das BAG die klaren Grundsätze seiner Google Maps-Entscheidung verlassen. Das ist überaus bedauerlich, zumal gerade der Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in der betrieblichen Praxis erhebliche Probleme bereitet. Da die Entscheidungsgründe des Beschlusses vom 13.12.201669 völlig gegensätzliche Feststellungen enthalten, bleibt zu hoffen, dass das BAG möglichst kurzfristig für die notwendige Klarheit sorgen kann. Wichtig wäre, dass zu dem bislang zu Recht vertretenen Grundsatz, wonach die Mitbestimmung an die automatische Erfassung personenbezogener Daten durch eine technische Einrichtung geknüpft ist, zurückgekehrt wird. Andernfalls droht die Gefahr, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG Mitbestimmungsrechte auch über den Inhalt elektronisch gespeicherter Daten eröffnet, wenn diese Leistung und/oder Verhalten von Arbeitnehmern betreffen. Losgelöst davon dürfte es ebenso richtig sein, die datenschutzrechtlichen Probleme im Umgang mit den Arbeitnehmerdaten im Rahmen von Social Media zu adressieren und als Betriebsrat auf eine rechtmäßige Verhaltensweise hinzuwirken. Anknüpfungspunkt dafür ist aber § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. (Ga)
8.
Entscheidungsspielraum der Einigungsstelle bei der Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit
a)
Handlungspflichten nach Maßgabe des ASiG
Gemäß § 1 ASiG hat der Arbeitgeber nach Maßgabe dieses Gesetzes Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Sie sollen ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen. Die entsprechende Bestellung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieure, -techniker, -meister) hat schriftlich zu erfolgen und muss mit einer Übertragung der in § 6 ASiG genannten Aufgaben erfolgen (§ 5 Abs. 1 ASiG). Nach § 19 ASiG kann dabei auch ein überbetrieblicher Dienst von Fachkräften für Arbeitssicherheit zur Wahrnehmung der in § 6 ASiG genannten Aufgaben verpflichtet werden. Gemäß § 9 Abs. 3 ASiG kann die entsprechende Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit nur mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgen70. Entsprechendes gilt für ihre Abberufung oder die Erweiterung bzw. Einschränkung ihrer Aufgaben. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann 69 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, n. v. Rz. 22 einerseits und Rz. 41 andererseits. 70 Lückers/Weller, BB 2016, 116, 119.
273
Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit
e)
Fazit
Mit der Facebook-Entscheidung hat das BAG die klaren Grundsätze seiner Google Maps-Entscheidung verlassen. Das ist überaus bedauerlich, zumal gerade der Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in der betrieblichen Praxis erhebliche Probleme bereitet. Da die Entscheidungsgründe des Beschlusses vom 13.12.201669 völlig gegensätzliche Feststellungen enthalten, bleibt zu hoffen, dass das BAG möglichst kurzfristig für die notwendige Klarheit sorgen kann. Wichtig wäre, dass zu dem bislang zu Recht vertretenen Grundsatz, wonach die Mitbestimmung an die automatische Erfassung personenbezogener Daten durch eine technische Einrichtung geknüpft ist, zurückgekehrt wird. Andernfalls droht die Gefahr, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG Mitbestimmungsrechte auch über den Inhalt elektronisch gespeicherter Daten eröffnet, wenn diese Leistung und/oder Verhalten von Arbeitnehmern betreffen. Losgelöst davon dürfte es ebenso richtig sein, die datenschutzrechtlichen Probleme im Umgang mit den Arbeitnehmerdaten im Rahmen von Social Media zu adressieren und als Betriebsrat auf eine rechtmäßige Verhaltensweise hinzuwirken. Anknüpfungspunkt dafür ist aber § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. (Ga)
8.
Entscheidungsspielraum der Einigungsstelle bei der Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit
a)
Handlungspflichten nach Maßgabe des ASiG
Gemäß § 1 ASiG hat der Arbeitgeber nach Maßgabe dieses Gesetzes Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Sie sollen ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen. Die entsprechende Bestellung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieure, -techniker, -meister) hat schriftlich zu erfolgen und muss mit einer Übertragung der in § 6 ASiG genannten Aufgaben erfolgen (§ 5 Abs. 1 ASiG). Nach § 19 ASiG kann dabei auch ein überbetrieblicher Dienst von Fachkräften für Arbeitssicherheit zur Wahrnehmung der in § 6 ASiG genannten Aufgaben verpflichtet werden. Gemäß § 9 Abs. 3 ASiG kann die entsprechende Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit nur mit Zustimmung des Betriebsrats erfolgen70. Entsprechendes gilt für ihre Abberufung oder die Erweiterung bzw. Einschränkung ihrer Aufgaben. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann 69 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, n. v. Rz. 22 einerseits und Rz. 41 andererseits. 70 Lückers/Weller, BB 2016, 116, 119.
273
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden (§§ 9 Abs. 3 S. 2 ASiG, 87 Abs. 2, 76 BetrVG).
b)
Unionsrechtliche Grundlage
Die vorstehend genannten Handlungspflichten des Arbeitgebers lassen sich im Wesentlichen auf Art. 7 Richtlinie 89/391/EWG zurückführen. Danach benennt der Arbeitgeber unbeschadet seiner allgemeinen Pflichten im Bereich des Arbeitsschutzes einen oder mehrere Arbeitnehmer, die er mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung betriebsbedingter Gefahren im Unternehmen bzw. im Betrieb beauftragt. Die Arbeitnehmer müssen, um den sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nachkommen zu können, über die entsprechende Zeit verfügen. Reichen die Möglichkeiten im Unternehmen bzw. im Betrieb nicht aus, um die Organisation dieser Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung durchzuführen, muss der Arbeitgeber außerbetriebliche Fachleute (Personen oder Dienste) hinzuziehen. In diesem Fall hat er die betreffenden Personen oder Dienste über diejenigen Faktoren zu unterrichten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie Auswirkungen auf die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer haben, und ihnen Zugang zu den erforderlichen Informationen über die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit sowie die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung im Unternehmen bzw. im Betrieb im Allgemeinen und für die einzelnen Arten von Arbeitsplätzen bzw. Aufgabenbereiche sowie die Maßnahmen für Erste Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Arbeitnehmer verschaffen. Bereits in seinen Urteilen vom 22.5.200371 und vom 6.4.200672 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass die in Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 89/391/EWG enthaltene Verpflichtung zur Hinzuziehung außerbetrieblicher Fachleute gegenüber der in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 89/391/EWG vorgesehenen Bestellung von Arbeitnehmern subsidiären Charakter besitzt. Insofern bestehe eine Berechtigung des Arbeitgebers zur Einbeziehung außerbetrieblicher Fachleute nur dann, wenn die Möglichkeit im Unternehmen bzw. im Betrieb nicht ausreicht, um die Organisation dieser Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung durchzuführen. Diese Rangfolge der Verpflichtungen muss auch bei der Auslegung und Anwendung von § 19 ASiG beachtet werden.
71 EuGH v. 22.5.2003 – C-441/01 n. v. Rz. 20 ff. 72 EuGH v. 6.4.2006 – C-428/04 n. v. Rz. 49, 69.
274
Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit
c)
Konsequenzen für den Entscheidungsspielraum der Einigungsstelle
Zu Recht geht das LAG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 7.7.201673 davon aus, dass auch die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung nach §§ 9 Abs. 3 ASiG, 87 Abs. 2, 76 BetrVG diese Rangfolge der Bestellungsmöglichkeiten beachten muss. Dabei könne indes keine abstraktgenerelle Bewertung erfolgen. Vielmehr hänge eine Entscheidung im Einzelfall davon ab, welche konkreten Aufgaben im Rahmen der Grundbetreuung und betriebsspezifischen Betreuung mit welchen Schwerpunkten durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit wahrgenommen werden sollen. Folgerichtig könne über die bestehenden Möglichkeiten des Unternehmens bzw. des Betriebs zur Bestellung von Arbeitnehmern zu Fachkräften für Arbeitssicherheit erst entschieden werden, wenn feststünde, welche konkreten Aufgaben im Rahmen der Grundbetreuung und betriebsspezifischen Betreuung mit welchen Schwerpunkten wahrgenommen werden sollten. Erst wenn diese Aufgaben und deren Verteilung feststünden, könne entschieden werden, ob auch eine Bestellung außerbetrieblicher Fachkräfte für Arbeitssicherheit zulässig sei74. Trotz dieser völlig zutreffenden Ausgangsbewertung überdehnt das LAG Berlin-Brandenburg in der vorstehend genannten Entscheidung allerdings die Kriterien, nach denen noch von der Möglichkeit einer innerbetrieblichen Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit ausgegangen werden kann. Denn offenkundig geht das LAG Berlin-Brandenburg davon aus, dass eine solche Möglichkeit der innerbetrieblichen Bestellung auch dann gegeben sei, wenn keine Arbeitnehmer vorhanden sind, die mit Blick auf ihre Arbeitszeit und/oder ihre personenbezogenen Kenntnisse in der Lage wären, eine entsprechende Aufgabe zu übernehmen. Vielmehr geht das LAG BerlinBrandenburg davon aus, dass allein der Umstand, dass der Arbeitgeber aktuell keine für die Aufgaben einer Fachkraft für Arbeitssicherheit qualifizierten Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer beschäftige, noch nicht bedeute, dass eine innerbetriebliche Wahrnehmung zumindest eines Teils der Aufgaben der Grundbetreuung und der betriebsspezifischen Betreuung nicht machbar wäre. Denn nach seiner Auffassung komme grundsätzlich auch eine Ausbildung von Beschäftigten jedenfalls zur Fachkraft für Arbeitssicherheit oder
73 LAG Berlin-Brandenburg v. 7.7.2016 – 21 TaBV 195/16, NZA-RR 2016, 644 Rz. 127. 74 LAG Berlin-Brandenburg v. 7.7.2016 – 21 TaBV 195/16, NZA-RR 2016, 644 Rz. 129.
275
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
die Neueinstellung und Begründung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses mit einer bereits ausgebildeten Fachkraft in Betracht75. Dies überzeugt nicht. Bei einer Bewertung der Möglichkeiten des Arbeitgebers, innerbetrieblich eine Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit vorzunehmen, muss der Status quo zugrunde gelegt werden. Dieser wird durch das vorhandene Personal und seine Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die arbeitszeitbezogenen Dispositionsmöglichkeiten bestimmt. Insofern besteht keine Möglichkeit für den Arbeitgeber, eine innerbetriebliche Bestellung vorzunehmen, wenn diese Arbeitnehmer weder bereit noch in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen. Eine Verpflichtung, Ersatzeinstellungen vorzunehmen, um der Subsidiarität einer außerbetrieblichen Bestellung Rechnung zu tragen, ist abzulehnen. Folgerichtig ist auch ein Spruch der Einigungsstelle, der eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers begründen will, rechtsfehlerhaft und aufzuheben. Ob das BAG dieser Bewertung folgen wird, bleibt abzuwarten. Es ist Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg eingelegt worden. (Ga)
9.
Mitbestimmung bei der Anrechnung einer zweistufigen Tariflohnerhöhung
Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung bei der Anrechnung einer Tarifanhebung auf übertarifliche Zulagen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bejaht, wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht76. Eine Mitbestimmung des Betriebsrats ist daher zu verneinen, wenn die Anrechnung das Zulagenvolumen vollständig aufzehrt oder wenn die Tarifanhebung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird. Rechnet der Arbeitgeber dagegen eine Erhöhung des Tarifentgelts nur teilweise auf die freiwilligen übertariflichen Zulagen an, hat er den Betriebsrat
75 LAG Berlin-Brandenburg v. 7.7.2016 – 21 TaBV 195/16, NZA-RR 2016, 644 Rz. Lückers/Weller, BB 2016, 116. A. A. ASP/Greiner, ASiG § 9 Rz. BetrVG/Wiese, § 87 Rz. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 316, 320. 76 Vgl. nur BAG v. 24.1.2017 – 1 ABR 6/15 n. v. Rz. 15 BAG v. 10.3.2009 – 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684 Rz. 17 f. m. w. N.
276
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
die Neueinstellung und Begründung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses mit einer bereits ausgebildeten Fachkraft in Betracht75. Dies überzeugt nicht. Bei einer Bewertung der Möglichkeiten des Arbeitgebers, innerbetrieblich eine Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit vorzunehmen, muss der Status quo zugrunde gelegt werden. Dieser wird durch das vorhandene Personal und seine Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die arbeitszeitbezogenen Dispositionsmöglichkeiten bestimmt. Insofern besteht keine Möglichkeit für den Arbeitgeber, eine innerbetriebliche Bestellung vorzunehmen, wenn diese Arbeitnehmer weder bereit noch in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen. Eine Verpflichtung, Ersatzeinstellungen vorzunehmen, um der Subsidiarität einer außerbetrieblichen Bestellung Rechnung zu tragen, ist abzulehnen. Folgerichtig ist auch ein Spruch der Einigungsstelle, der eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers begründen will, rechtsfehlerhaft und aufzuheben. Ob das BAG dieser Bewertung folgen wird, bleibt abzuwarten. Es ist Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg eingelegt worden. (Ga)
9.
Mitbestimmung bei der Anrechnung einer zweistufigen Tariflohnerhöhung
Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung bei der Anrechnung einer Tarifanhebung auf übertarifliche Zulagen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bejaht, wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht76. Eine Mitbestimmung des Betriebsrats ist daher zu verneinen, wenn die Anrechnung das Zulagenvolumen vollständig aufzehrt oder wenn die Tarifanhebung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird. Rechnet der Arbeitgeber dagegen eine Erhöhung des Tarifentgelts nur teilweise auf die freiwilligen übertariflichen Zulagen an, hat er den Betriebsrat
75 LAG Berlin-Brandenburg v. 7.7.2016 – 21 TaBV 195/16, NZA-RR 2016, 644 Rz. Lückers/Weller, BB 2016, 116. A. A. ASP/Greiner, ASiG § 9 Rz. BetrVG/Wiese, § 87 Rz. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 316, 320. 76 Vgl. nur BAG v. 24.1.2017 – 1 ABR 6/15 n. v. Rz. 15 BAG v. 10.3.2009 – 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684 Rz. 17 f. m. w. N.
276
Anrechnung einer zweistufigen Tariflohnerhöhung
nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen, da in diesem Fall Raum für eine andere Verteilungsentscheidung verbleibt77. Erfolgt eine Tarifentgelterhöhung zeitlich versetzt in mehreren Abschnitten, hängt nach der Rechtsprechung des BAG78 die Mitbestimmung des Betriebsrats davon ab, ob die Konzeption des Arbeitgebers einen Gestaltungsspielraum belässt. Ein derartiger Gestaltungsspielraum ist zu verneinen, wenn der Arbeitgeber bei zeitversetzten tariflichen Lohnerhöhungen mehrere voneinander unabhängige Entscheidungen über eine mögliche Anrechnung trifft, die einer Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG entzogen sind79. Die Frage der Einheitlichkeit der arbeitgeberseitigen Konzeption und Planung hat das BAG bei früherer Gelegenheit dahingehend beantwortet, dass dafür vor allem der zeitliche Abstand zwischen den Anrechnungsmaßnahmen relevant sein kann. Beträgt der zeitliche Abstand nur wenige Wochen, wird ohne entgegenstehende Anhaltspunkte regelmäßig von einem einheitlichen Konzept des Arbeitgebers ausgegangen werden können. Liegen zwischen den Anrechnungsentscheidungen viele Monate, wird häufig bei der ersten Entscheidung noch keine Planung für die Reaktion auf die zweite Stufe der Tariferhöhung vorliegen. Eine einheitliche Konzeption liegt ferner regelmäßig dann nahe, wenn der zweite Abschnitt einer Tariferhöhung den ersten verdrängt bzw. an dessen Stelle tritt80. Letzteres ist etwa der Fall, wenn die zurückliegende Zeit durch einen Pauschalbetrag abgegolten wird und danach ein bestimmter Prozentsatz den Gegenstand der Tarifentgelterhöhung bildet. Über eine derartige Fallkonstellation hatte der 1. Senat des BAG in dem Beschluss vom 24.1.201781 zu befinden. Die Beteiligten stritten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tarifentgelterhöhung, die auf der Grundlage des Entgelttarifvertrags in zwei zeitlich versetzten Stufen erfolgte. Zum 1. Oktober sollten sich die Tarifentgelte in allen Entgeltgruppen um 50, € erhöhen und zum 1. Juli des darauffolgenden Jahres um 2 %. Die Arbeitgeberin zahlt übertarifliche Zulagen in unterschiedlicher Höhe. Sie rechnete die Tariflohnerhöhung von 50,- € in voller Höhe auf die übertariflichen Zulagen an und gab im November bekannt, die zweite Stufe der Tariferhöhung nicht auf die übertariflichen Zulagen anzurechnen. 77 BAG v. 10.3.2009 – 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684 Rz. 17 ff. m. w. N. 78 BAG v. 10.3.2009 – 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684 Rz. 19 ff. m. w. N. 79 Vgl. BAG v. 8.6.2004 – 1 AZR 308/03, NZA 2005, 66 Rz. BAG v. 17.1.1995 – 1 ABR 19/94, NZA 1995, 792 Rz. 21. 80 BAG v. 10.3.2009 – 1 AZR 55/08, NZA 2009, 684 Rz. 19 ff. BAG v. 17.1.1995 – 1 ABR 19/94, NZA 1995, 792 Rz. 24 ff. 81 BAG v. 24.1.2017 – 1 ABR 6/15 n. v.
277
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Der Betriebsrat war der Ansicht, die Anrechnung der Tariferhöhung unterliege nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG seiner Mitbestimmung. Der entsprechende Antrag des Betriebsrats war in allen Instanzen erfolglos. Zunächst geht das BAG in Übereinstimmung mit der Vorinstanz davon aus, dass bei der Anrechnung der Tarifentgelterhöhung zum 1. Oktober für sich betrachtet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht bestanden hat. Da die Arbeitgeberin die Tarifanhebung vollständig im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen auf die übertariflichen Zulagen der Arbeitnehmer angerechnet hat, verblieb kein Spielraum für eine andere Verteilung, die der Betriebsrat hätte mitgestalten können82. Eine andere Bewertung wäre allerdings geboten gewesen, wenn die Anrechnung der ersten Stufe der Tarifanhebung und die Nichtanrechnung der zweiten Stufe der Tarifanhebung einem einheitlichen Konzept der Arbeitgeberin entsprochen hätten. Eine derartige Situation wäre mitbestimmungsrechtlich ebenso zu behandeln, als würde der Arbeitgeber nur einen Teil der Tarifanhebung auf die übertariflichen Lohnbestandteile verrechnen, weil sich damit nicht nur das Zulagenverhältnis zueinander veränderte, sondern zugleich ein Spielraum für die Verteilung des nicht angerechneten Volumens der Tariflohnerhöhung verbliebe. Das hat im Streitfall derartiges Gesamtkonzept verneint, weil die Geschäftsführung der Arbeitgeberin bereits vor dem Abschluss des Tarifvertrags die Entscheidung getroffen hatte, die zu erwartende Tarifanhebung bei allen Mitarbeitern auf bestehende übertarifliche Zulagen anzurechnen, zumal zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, dass eine zweistufige Tarifanhebung abgeschlossen würde. Mit dieser Entscheidung hat das BAG erneut bestätigt, dass bei mehrstufigen Tarifanhebungen die Frage der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anrechnung auf übertarifliche Lohnbestandteile nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auf Arbeitgeberseite steuerbar ist, weil sie davon abhängt, ob der Arbeitgeber von vornherein ein Gesamtkonzept bezüglich einer Anrechnung beschließt oder vollständig getrennte Entscheidungen darüber trifft, ob und inwieweit eine Anrechnung erfolgen soll. Auf Arbeitgeberseite ist in diesem Zusammenhang stets zu bedenken, dass nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine unterlassene Mitbestimmung des Betriebsrats bei der
82 BAG v. 24.1.2017 – 1 ABR 6/15 n. v. Rz. 18.
278
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Gehaltsanpassung
Anrechnung der Tarifanhebung auf übertarifliche Lohnbestandteile zur Unwirksamkeit dieser Anrechnung führt83. (Boe)
10. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Gehaltsanpassung Grundsätzlich hat der Betriebsrat bei Entscheidungen des Arbeitgebers im Bereich der Vergütung nur ein eingeschränktes Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Denn der Arbeitgeber kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG bei einer freiwilligen Leistung grundsätzlich mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er die Leistung gewährt, welchen Dotierungsrahmen er dafür zur Verfügung stellen will und an welchen Empfängerkreis er die Leistung zu erbringen bereit ist84. In seinem Beschluss vom 21.2.201785 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass sich der nicht tarifgebundene Arbeitgeber auf diese Einschränkung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht berufen kann, wenn er mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über den Rahmen einer leistungsabhängigen Gehaltsanpassung vereinbart, Arbeitnehmer bestimmter Geschäftsbereiche hiervon allerdings ausnehmen will. Denn die Herausnahme der Arbeitnehmer habe zur Folge, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen der Arbeitnehmer des Betriebs zueinander verändere. Das löse ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus. Denn im Kern stelle der Arbeitgeber bei einer solchen Form der Gehaltsanpassung nicht erstmals ein bestimmtes Volumen für einen bestimmten Leistungszweck und einen abgrenzbaren Personenkreis zur Verfügung. Vielmehr erhöhe er lediglich das auch schon bisher für die Vergütung der Arbeitnehmer bereit gestellte (gesamte) Dotierungsvolumen. Folgerichtig habe der Betriebsrat mitzubestimmen, in welcher Weise dieses Volumen auf die Arbeitnehmer im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergütungsordnung verteilt würde. (Ga)
83 Vgl. nur BAG v. 23.2.2016 ‒ 1 AZR 73/14, NZA 2016, 906 Rz. 16 m. w. N BAG v. 22.10.2014 – 5 AZR 731/12, NZA 2015, 501 Rz. 31. 84 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15 EzA-SD 2017, Nr. 10, 11 Rz. – 1 AZR 454/06, NZA 2007, 1184 Rz. 23. 85 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15 EzA-SD 2017, Nr. 10, 11 Rz. 26 ff., 30.
279
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Gehaltsanpassung
Anrechnung der Tarifanhebung auf übertarifliche Lohnbestandteile zur Unwirksamkeit dieser Anrechnung führt83. (Boe)
10. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Gehaltsanpassung Grundsätzlich hat der Betriebsrat bei Entscheidungen des Arbeitgebers im Bereich der Vergütung nur ein eingeschränktes Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Denn der Arbeitgeber kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG bei einer freiwilligen Leistung grundsätzlich mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob er die Leistung gewährt, welchen Dotierungsrahmen er dafür zur Verfügung stellen will und an welchen Empfängerkreis er die Leistung zu erbringen bereit ist84. In seinem Beschluss vom 21.2.201785 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass sich der nicht tarifgebundene Arbeitgeber auf diese Einschränkung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht berufen kann, wenn er mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung über den Rahmen einer leistungsabhängigen Gehaltsanpassung vereinbart, Arbeitnehmer bestimmter Geschäftsbereiche hiervon allerdings ausnehmen will. Denn die Herausnahme der Arbeitnehmer habe zur Folge, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen der Arbeitnehmer des Betriebs zueinander verändere. Das löse ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus. Denn im Kern stelle der Arbeitgeber bei einer solchen Form der Gehaltsanpassung nicht erstmals ein bestimmtes Volumen für einen bestimmten Leistungszweck und einen abgrenzbaren Personenkreis zur Verfügung. Vielmehr erhöhe er lediglich das auch schon bisher für die Vergütung der Arbeitnehmer bereit gestellte (gesamte) Dotierungsvolumen. Folgerichtig habe der Betriebsrat mitzubestimmen, in welcher Weise dieses Volumen auf die Arbeitnehmer im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergütungsordnung verteilt würde. (Ga)
83 Vgl. nur BAG v. 23.2.2016 ‒ 1 AZR 73/14, NZA 2016, 906 Rz. 16 m. w. N BAG v. 22.10.2014 – 5 AZR 731/12, NZA 2015, 501 Rz. 31. 84 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15 EzA-SD 2017, Nr. 10, 11 Rz. – 1 AZR 454/06, NZA 2007, 1184 Rz. 23. 85 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15 EzA-SD 2017, Nr. 10, 11 Rz. 26 ff., 30.
279
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
11.
Festlegung einer Altersgrenze durch Betriebsvereinbarung
Mit Urteil vom 21.2.201786 hat das BAG noch einmal bestätigt, dass Betriebsvereinbarungen eine auf das Regelrentenalter bezogene Altersgrenze bestimmen können. Allerdings müssten sie die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG beachten und mit höherrangigem Recht vereinbar sein (§ 75 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BetrVG). Hiervon ausgehend kann durch die Arbeitsgerichte nicht nur geprüft werden, ob eine entsprechende Betriebsvereinbarung noch eine verhältnismäßige Beeinträchtigung der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit des Arbeitnehmers begründet. Hiervon ist – so das BAG – dann auszugehen, wenn mit der Anknüpfung an die Regelaltersgrenze eine sachliche Rechtfertigung entsprechend § 14 Abs. 1 TzBfG für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist. Weitergehend muss die Betriebsvereinbarung allerdings auch dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gebot des Vertrauensschutzes Rechnung tragen. Führten die Betriebsparteien mit einer Betriebsvereinbarung für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer erstmals eine Altersgrenze ein, gebiete es daher der rechtsstaatliche Vertrauensschutz, auf die Interessen der bei Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung bereits rentennahen Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Aufgrund ihrer Rentennähe profitiere diese Personengruppe von den mit der Einführung einer betrieblichen Altersgrenze üblicherweise verbundenen Vorteilen – Verbesserung der Aufstiegschancen durch das altersbedingte Ausscheiden anderer Arbeitnehmer – in der Regel nur eingeschränkt. Andererseits hätten diese Arbeitnehmer typischerweise ein schutzwürdiges Bedürfnis, über eine angemessene Zeit zu verfügen, um sich auf eine veränderte rechtliche Lage einzustellen und ihre Lebensführung oder -planung ggf. an diese anzupassen. Diese besondere Situation erfordere für rentennahe Jahrgänge grundsätzlich Übergangsregelungen, deren nähere Ausgestaltung dem Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien unterliege. Diese Schranke hatte die Betriebsvereinbarung in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall nicht berücksichtigt. Denn sie hatte auch für solche Arbeitnehmer eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgelegt, die nur noch kurze Zeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung standen. Übergangsregelungen, etwa in Form individu-
86 BAG v. 21.2.2017 – 1 AZR 292/15 n. v. Rz. 16.
280
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
11.
Festlegung einer Altersgrenze durch Betriebsvereinbarung
Mit Urteil vom 21.2.201786 hat das BAG noch einmal bestätigt, dass Betriebsvereinbarungen eine auf das Regelrentenalter bezogene Altersgrenze bestimmen können. Allerdings müssten sie die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG beachten und mit höherrangigem Recht vereinbar sein (§ 75 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BetrVG). Hiervon ausgehend kann durch die Arbeitsgerichte nicht nur geprüft werden, ob eine entsprechende Betriebsvereinbarung noch eine verhältnismäßige Beeinträchtigung der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit des Arbeitnehmers begründet. Hiervon ist – so das BAG – dann auszugehen, wenn mit der Anknüpfung an die Regelaltersgrenze eine sachliche Rechtfertigung entsprechend § 14 Abs. 1 TzBfG für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist. Weitergehend muss die Betriebsvereinbarung allerdings auch dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gebot des Vertrauensschutzes Rechnung tragen. Führten die Betriebsparteien mit einer Betriebsvereinbarung für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer erstmals eine Altersgrenze ein, gebiete es daher der rechtsstaatliche Vertrauensschutz, auf die Interessen der bei Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung bereits rentennahen Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Aufgrund ihrer Rentennähe profitiere diese Personengruppe von den mit der Einführung einer betrieblichen Altersgrenze üblicherweise verbundenen Vorteilen – Verbesserung der Aufstiegschancen durch das altersbedingte Ausscheiden anderer Arbeitnehmer – in der Regel nur eingeschränkt. Andererseits hätten diese Arbeitnehmer typischerweise ein schutzwürdiges Bedürfnis, über eine angemessene Zeit zu verfügen, um sich auf eine veränderte rechtliche Lage einzustellen und ihre Lebensführung oder -planung ggf. an diese anzupassen. Diese besondere Situation erfordere für rentennahe Jahrgänge grundsätzlich Übergangsregelungen, deren nähere Ausgestaltung dem Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien unterliege. Diese Schranke hatte die Betriebsvereinbarung in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall nicht berücksichtigt. Denn sie hatte auch für solche Arbeitnehmer eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgelegt, die nur noch kurze Zeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung standen. Übergangsregelungen, etwa in Form individu-
86 BAG v. 21.2.2017 – 1 AZR 292/15 n. v. Rz. 16.
280
Festlegung einer Altersgrenze durch Betriebsvereinbarung
eller Verlängerungsmöglichkeiten, finanzieller Kompensationen oder dem Hinausschieben oder Absehen von der Einführung einer Altersgrenze für diese Personengruppe, war nicht vorgesehen. Die Entscheidung des BAG bestätigt zu Recht, dass Arbeitgeber und Betriebsrat die in Arbeitsverträgen enthaltene Regelungslücke in Bezug auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze schließen können. Es überzeugt, wenn das BAG diesen Gestaltungsspielraum zum Nachteil älterer Arbeitnehmer gleichzeitig mit dem Erfordernis verknüpft, Ausgleichsregelungen zu treffen, die dem berechtigten Vertrauen in das Fehlen einer einzelvertraglichen Altersgrenzenregelung schützen. Darauf wird bei der Ausgestaltung entsprechender Betriebsvereinbarungen in der betrieblichen Praxis zu achten sein. (Ga)
281
I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Unzulässige Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds durch höhere Abfindung?
Nach § 78 S. 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Ein Verstoß gegen diese Vorgabe kann gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Darüber hinaus können Zahlungen, die in diesem Zusammenhang durch den Arbeitgeber geleistet werden, als strafbare Untreue gemäß § 266 StGB qualifiziert werden. Das Verbot einer Begünstigung von Mitgliedern des Betriebsrats gilt nicht nur für die laufende Vergütung, etwaige Jahressonderleistungen und die betriebliche Altersversorgung, wie wir bei früherer Gelegenheit ausgeführt haben1. § 78 S. 2 BetrVG verbietet auch eine Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern bei der Gewährung von Abfindungen wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Unerheblich ist, ob solche Leistungen individualoder kollektivrechtlich zugesagt werden2. Diese grundsätzliche Anwendbarkeit des Begünstigungsverbots im Zusammenhang mit Vereinbarungen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses hat jetzt noch einmal das LAG Saarland durch sein Urteil vom 22.6.20163 zum Ausdruck gebracht. Gegen die Entscheidung ist Revision eingelegt4. In dem zugrundeliegenden Fall war der Kläger seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 1990 war er Mitglied des Betriebsrats, seit 2006 freigestellter Betriebsratsvorsitzender, zugleich Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Sein monatliches Gehalt betrug etwa 5.000,- € (brutto). Nach einem gescheiterten Antrag gemäß § 103 BetrVG leitete die Beklagte im Juli 2013 beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren ein, mit dem sie erreichen wollte, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ersetzt wird. Anlass dafür war der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe in der zweiten Jahreshälfte 2012 und in der ersten Jahreshälfte 2013 eine ihm unterstellte Mitar1 2 3 4
B. Gaul, AktuellAR 2015, 231 ff., 235 ff.; 2016, 244 ff. ErfK/Kania, BetrVG § 78 Rz. 6 ff.; HWK/Sittard, BetrVG § 78 Rz. 10 ff. LAG Saarland v. 22.6.2016 – 1 Sa 63/15, AuA 2017, 50. BAG – 7 AZR 590/16.
283
Betriebsänderung und Betriebsübergang
beiterin, die für den Betriebsrat tätige Sekretärin bzw. Assistentin, sexuell belästigt. Erhoben wurde von der Beklagten darüber hinaus der Vorwurf des Stalkings gegenüber der Mitarbeiterin. Um ihre Darstellung zu stützen, legte die Beklagte in dem Beschlussverfahren eine eidesstattliche Erklärung der Mitarbeiterin einschließlich einer Vielzahl von Kurznachrichten (SMS, WhatsApp-Nachrichten und E-Mails) vor, die der Kläger an die Mitarbeiterin gerichtet hatte. Ergänzend hierzu beantragte die Beklagte, den Kläger gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG aus dem Betriebsrat auszuschließen. Gestützt war dieser Antrag darauf, dass der Kläger unter Missbrauch seines Amtes als Betriebsratsmitglied die Mitarbeiterin sexuell belästigt, ihr nachgestellt und diese unter Druck gesetzt habe, mit ihm eine sexuelle Beziehung aufzunehmen, sowie darauf, dass zwischenzeitlich auch eine Belegschaftsversammlung stattgefunden habe, in der der Kläger einseitig seine Sicht der Dinge dargestellt habe. Bereits am 22.7.2013 schloss die Beklagte mit dem Kläger dann allerdings außergerichtlich einen Aufhebungsvertrag, der im Wesentlichen folgende Regelungen enthielt: • Der Arbeitsvertrag wird mit Wirkung zum 31.12.2015 beendet. • Der Kläger wird mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung auf etwaige Urlaubsansprüche von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit. Gleichzeitig verzichtet der Kläger auf seine Ämter als Mitglied des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats und des Aufsichtsrats. • Die Beklagte zahlt an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 189.000,- €, die hälftig jeweils im August und Dezember 2013 zur Zahlung fällig ist. • Im Übrigen wird das Arbeitsverhältnis unter Fortzahlung der monatlichen Vergütung in Höhe von 4.961,26 € bis zum 31.12.2015 abgewickelt.
Nachdem auch die zweite Rate der Abfindung ausgezahlt war und der Kläger den wesentlichen Teil seiner Abfindung zur Finanzierung einer Hochzeit verbraucht hatte, erhob er im Juli 2014 beim Arbeitsgericht Klage mit dem Ziel festzustellen, dass der Aufhebungsvertrag wegen einer darin liegenden Begünstigung als Mitglied des Betriebsrats nichtig sei und das Arbeitsverhältnis über den 31.12.2015 hinaus fortbestehe. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LAG Saarland in seinem Urteil vom 22.6.20165 eine Begünstigung ablehnt und die Sichtweise des Ar5
LAG Saarland v. 22.6.2016 – 1 Sa 63/15, AuA 2017, 50.
284
Unzulässige Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds
beitgebers bestätigt, nach der das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag zum 31.12.2015 beendet wurde. Nach seiner Auffassung liegt eine nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässige Begünstigung des Betriebsratsmitglieds nicht schon deshalb vor, weil es wegen des ihm nach den §§ 15 Abs. 1 KSchG, 103 BetrVG zukommenden Sonderkündigungsschutzes im Rahmen eines Aufhebungsvertrags, der vor dem Hintergrund einer von dem Arbeitgeber beabsichtigten außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung geschlossen wird, günstigere Bedingungen für die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aushandeln kann als ein Arbeitnehmer ohne einen solchen Sonderkündigungsschutz. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls erscheint diese Bewertung noch vertretbar, auch wenn der Umfang der hier in Rede stehenden Leistungen des Arbeitgebers durchaus grenzwertigen Charakter besitzt. Im Ergebnis hat das LAG Saarland aber zu Recht auf folgende Umstände hingewiesen, die einer unzulässigen Begünstigung des Klägers als Mitglied des Betriebsrats entgegenstanden: • Unter Berücksichtigung des durch §§ 15 Abs. 1 KSchG, 103 BetrVG begründeten Sonderkündigungsschutzes wäre der Ausspruch einer Kündigung voraussichtlich nicht vor Ende 2015 möglich gewesen. Dies folge bereits aus der Dauer des auf die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats gerichteten Verfahrens nach § 103 BetrVG, das einschließlich einer Beweisaufnahme durch drei Instanzen geführt werden könne. • Auch nach einem erfolgreichen Abschluss dieses Verfahrens könne das Arbeitsverhältnis für die Dauer eines Jahres nur außerordentlich gekündigt werden. Eine ordentliche Kündigung sei erst nach Ablauf des durch § 15 KSchG begründeten Sonderkündigungsschutzes möglich. Die Beklagte habe daher das Risiko, eine streitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur durchsetzen zu können, wenn die Wirksamkeit der außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens festgestellt werde. Auch unter Berücksichtigung des Vorwurfs einer sexuellen Belästigung werde dabei durch die Arbeitsgerichte ein strenger Maßstab angelegt, um dem Betriebsrat und seine personelle Zusammensetzung zu schützen. • Mit der Abfindung sei zwar die in §§ 9, 10 KSchG genannte Höchstgrenze überschritten worden. Diese habe aber für eine Vereinbarung außerhalb ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs keine Bedeutung. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger (Lebensalter:
285
Betriebsänderung und Betriebsübergang
51 Jahre) mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einen erheblichen (sozialen und wirtschaftlichen) Besitzstand verzichte, dessen Kompensation durch eine Anschlussbeschäftigung offen sei. • Bis zu dem Vorwurf der sexuellen Belästigung war das Arbeitsverhältnis beanstandungsfrei geführt worden. Die sexuelle Belästigung selbst war umstritten. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft war am 8.1.2014 bereits eingestellt worden, weil der Tatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) nicht als erfüllt anzusehen gewesen sei und nicht festgestellt werden konnte, wie sich der Vorgang zugetragen gehabt habe. Dieser Umstand wäre durch ein Arbeitsgericht im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens zu berücksichtigen gewesen. • Eine Mitwirkung an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte für den Kläger eine Sperrzeit zur Folge, die auch eine Verkürzung des Arbeitslosengeldanspruchs um ein Viertel bewirkt hätte. • Mit der Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung hatte nicht nur der Kläger einen Vorteil erhalten. Durch die Freistellung und den damit verbundenen Verzicht des Klägers auf seine Ämter als Mitglied des Betriebsrats, Mitglied des Gesamtbetriebsrats und Mitglied des Aufsichtsrats war ein ganz wesentlicher Schritt zur Herstellung des Betriebsfriedens erreicht worden.
Die vorstehenden Gründe sprachen aus Sicht des LAG Saarland in ihrer Gesamtheit gegen die Annahme, in dem Abschluss des Aufhebungsvertrags und den darin getroffenen Vereinbarungen einen Verstoß gegen § 78 S. 2 BetrVG zu sehen. Dies gelte auch dann, wenn man berücksichtige, dass sich die Beklagte zu den in Rede stehenden Leistungen ganz wesentlich nur deshalb entschlossen hatte, weil der Kläger Sonderkündigungsschutz als Mitglied des Betriebsrats besaß. Denn nach Auffassung des LAG Saarland handele es sich bei dem besonderen Kündigungsschutz aus §§ 15 Abs. 1 KSchG, 103 BetrVG um eine bereits im Gesetz angelegte und trotz § 78 S. 2 BetrVG zulässige Bevorzugung von Betriebsratsmitgliedern, um deren Schutz im Zusammenhang mit der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten zu bewirken. Aus dieser (zulässigen) Bevorzugung von Mitgliedern des Betriebsrats resultierten für den Arbeitgeber, der einem Mitglied des Betriebsrats kündigen möchte, erheblich höhere zu bewältigende Hürden als in dem Fall, in dem der Arbeitgeber eine Kündigung gegenüber einem anderen Arbeitnehmer beabsichtige. Dies führe auch zu deutlich höheren finanziellen Risiken des Arbeitgebers, wenn er eine solche Kündigung erklären und durchsetzen möchte. Wenn dem im Rahmen eines Aufhebungsvertrags durch besondere Vereinbarungen Rechnung getragen werde, 286
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans
so sei dies letztlich eine mittelbare Folge der gesetzlichen Konzeption der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG einerseits und des § 78 S. 2 BetrVG andererseits. Der hier erfolgten Bewertung ist auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zuzustimmen. Allerdings sei die betriebliche Praxis darauf hingewiesen, dass die Grenzen zwischen einer noch gerechtfertigten Unterscheidung zwischen Mitgliedern des Betriebsrats und „normalen“ Arbeitnehmern einerseits und einer durch § 78 S. 2 BetrVG verbotenen Begünstigung andererseits fließend sind. Angesichts der strafrechtlichen Sanktionen, die mit einem Verstoß gegen § 78 S. 2 BetrVG verknüpft sind, sollte deshalb sehr zurückhaltend auf entsprechende Überlegungen einer Besserstellung von Betriebsratsmitgliedern reagiert werden. Allerdings zeigt die hier in Rede stehende Entscheidung des LAG Saarland, dass eine Besserstellung, zu der sich Arbeitgeber und Mitglied des Betriebsrats auch unter Berücksichtigung von § 78 S. 2 BetrVG entschließen, nicht per se unzulässig ist. (Ga)
2.
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans
Vielfach werden in der betrieblichen Praxis Verhandlungen über Interessenausgleich, Sozialplan und ergänzende Betriebsvereinbarungen über viele Wochen und Monate hinweg geführt. Auf der Grundlage wechselseitiger Formulierungsvorschläge kommt es dann schlussendlich zu dem Abschluss einer Vereinbarung, mit der der übereinstimmende Wille beider Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht werden soll. Wünschenswert ist, dass alle denkbaren Adressaten solcher Regelungen ein gemeinsames Verständnis dieser Regelungen erzielen und es zu einer einvernehmlichen Umsetzung kommt. Immer wieder passiert es aber, dass zwar bei den an den Verhandlungen beteiligten Vertretern von Arbeitgeber und Betriebsrat Einvernehmen über den Inhalt ihrer Vereinbarung besteht, außerhalb dieser Runde aber ein unterschiedliches Verständnis in Bezug auf einzelne Klauseln gegeben ist. Zunächst einmal muss versucht werden, solche Zweifel in Bezug auf den Inhalt einer Kollektivvereinbarung im Wege der Auslegung zu lösen. Sozialpläne sind dabei ebenso wie Betriebsvereinbarungen in Bezug auf den normativen Teil wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es daher auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmungen an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt – so das BAG – derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem
287
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans
so sei dies letztlich eine mittelbare Folge der gesetzlichen Konzeption der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG einerseits und des § 78 S. 2 BetrVG andererseits. Der hier erfolgten Bewertung ist auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zuzustimmen. Allerdings sei die betriebliche Praxis darauf hingewiesen, dass die Grenzen zwischen einer noch gerechtfertigten Unterscheidung zwischen Mitgliedern des Betriebsrats und „normalen“ Arbeitnehmern einerseits und einer durch § 78 S. 2 BetrVG verbotenen Begünstigung andererseits fließend sind. Angesichts der strafrechtlichen Sanktionen, die mit einem Verstoß gegen § 78 S. 2 BetrVG verknüpft sind, sollte deshalb sehr zurückhaltend auf entsprechende Überlegungen einer Besserstellung von Betriebsratsmitgliedern reagiert werden. Allerdings zeigt die hier in Rede stehende Entscheidung des LAG Saarland, dass eine Besserstellung, zu der sich Arbeitgeber und Mitglied des Betriebsrats auch unter Berücksichtigung von § 78 S. 2 BetrVG entschließen, nicht per se unzulässig ist. (Ga)
2.
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans
Vielfach werden in der betrieblichen Praxis Verhandlungen über Interessenausgleich, Sozialplan und ergänzende Betriebsvereinbarungen über viele Wochen und Monate hinweg geführt. Auf der Grundlage wechselseitiger Formulierungsvorschläge kommt es dann schlussendlich zu dem Abschluss einer Vereinbarung, mit der der übereinstimmende Wille beider Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht werden soll. Wünschenswert ist, dass alle denkbaren Adressaten solcher Regelungen ein gemeinsames Verständnis dieser Regelungen erzielen und es zu einer einvernehmlichen Umsetzung kommt. Immer wieder passiert es aber, dass zwar bei den an den Verhandlungen beteiligten Vertretern von Arbeitgeber und Betriebsrat Einvernehmen über den Inhalt ihrer Vereinbarung besteht, außerhalb dieser Runde aber ein unterschiedliches Verständnis in Bezug auf einzelne Klauseln gegeben ist. Zunächst einmal muss versucht werden, solche Zweifel in Bezug auf den Inhalt einer Kollektivvereinbarung im Wege der Auslegung zu lösen. Sozialpläne sind dabei ebenso wie Betriebsvereinbarungen in Bezug auf den normativen Teil wie Tarifverträge auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es daher auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmungen an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt – so das BAG – derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem
287
Betriebsänderung und Betriebsübergang
sachgerechten, zweckorientierten, praktisch und brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Zweck der Regelung und der Regelungswille der Parteien in der Betriebsvereinbarung selbst oder ergänzenden Regelungen der Parteien in einer schriftlich verkörperten Form zum Ausdruck gebracht wird6. Wenn durch eine solche Auslegung allerdings nicht die erforderliche Klarheit in Bezug auf einen bestimmten Regelungsinhalt erzielt wird, kommen zwei Lösungen in Betracht: Zum einen können die Parteien der Betriebsvereinbarung bzw. des Sozialplans eine nachträgliche Änderung bzw. Ergänzung dieser Vereinbarung vornehmen. Denkbar ist allerdings auch, dass sie ergänzend zu dieser Vereinbarung mit dem Ziel einer Klarstellung festhalten, was nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien Inhalt der Regelung ist. Problematisch an einer nachträglichen Änderung bzw. Ergänzung einer Betriebsvereinbarung ist, dass damit unter Umständen in bereits entstandene Ansprüche eingegriffen wird. Ein solcher Eingriff muss die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachten und kommt deshalb außerhalb der allgemeinen Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen in Betracht. Schließlich müssen insoweit die richterrechtlich entwickelten Grundsätze einer rückwirkenden Änderung von Rechtsnormen beachtet werden7. Wie das BAG mit Urteil vom 15.11.20168 deutlich gemacht hat, müssen die Schranken einer rückwirkenden (Neu)Regelung allerdings nicht beachtet werden, wenn die Betriebsparteien nur eine Klarstellung vornehmen, ohne dass damit eine Änderung oder Ergänzung der Betriebsvereinbarung bzw. des Sozialplans verbunden ist. In dem zugrundeliegenden Fall hatten Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat im Zusammenhang mit einer Restrukturierung im Jahre 2012 in der Anlage zu einem Sozialplan Regelungen getroffen, auf deren Grundlage Arbeitnehmer durch Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden konnten. Ein Wesentlicher Teil dieser Regelungen bestand dabei aus einer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, in dem auch die Grundsätze zur Berechnung der Höhe des Vorruhestandsgeldes enthalten waren. Un6 7 8
BAG v. 15.11.2016 – 9 AZR 91/16, NZA 2017, 264 Rz. 18; BAG v. 17.11.2015 – 1 AZR 881/13 n. v. Rz. 13; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 90 ff. Vgl. BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, NZA 2014, 1030 Rz. 42 ff.; HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. 92; Fitting, BetrVG § 77 Rz. 33; Richardi/Richardi, BetrVG § 77 Rz. 49. BAG v. 15.11.2016 – 9 AZR 81/16, NZA 2017, 264 Rz. 24 ff.
288
Nachträgliche Beseitigung etwaiger Unklarheiten eines Sozialplans
ter Bezugnahme auf diesen Sozialplan nebst seiner Anlage schloss die Klägerin mit der Beklagten im Februar 2014 einen Vorruhestandsvertrag, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2014 und einen Vorruhestand vom 1.7.2014 bis zum 31.8.2018 vorsah. Nachdem der Arbeitsvertrag beendet und erste Zahlungen im Rahmen des Vorruhestandes erfolgt waren, machte die Klägerin geltend, dass sie nach dem Sozialplan in Verbindung mit dem Tarifvertrag einen Anspruch auf die Berücksichtigung der in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehenen Jahrestantiemen besitze. Diesen Vergütungsbestandteil hatte die Beklagte – wie auch andere Bestandteile der variablen Vergütung – bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes nicht berücksichtigt und zu ihrer Begründung auf die Regelungen des Sozialplans und des dort in Bezug genommenen Tarifvertrags hingewiesen. Die Klägerin stellte diese Auskunft nicht zufrieden, so dass sie Klage auf Zahlung eines entsprechend höheren Vorruhestandsgeldes erhob. Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat, die das Begehren der Klägerin auch unter Berücksichtigung der in Rede stehenden Kollektivvereinbarungen für unbegründet hielten, erklärten sodann am 21.5.2015 in einer Protokollnotiz zum Sozialplan 2012 wie folgt: Aus gegebenen Anlass sehen sich die Parteien veranlasst, folgende Klarstellung zu Teil B Ziff. VII. Abs. 1 des Sozialplans G 2012 vom 19.07.2012 in Verbindung mit § 4 des tariflichen Vorruhestandsabkommens für die Versicherungswirtschaft vom 25.9.1991 (nachstehend „VorRA“ genannt) zu protokollieren, um zu dokumentieren, was mit der Klausel immer schon zum Ausdruck gebrachten werden sollte und auch weiterhin gelten soll: Zwischen den Parteien besteht Einvernehmen, dass weder der Bonus gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung über die übertarifliche Vergütung der G vom 04.02.2013, noch der Jahresbonus gemäß Betriebsvereinbarung über die übertarifliche Vergütung des Innendienstes der Zentrale der V AG vom 26.03.2013, noch die Tantieme gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung über die übertarifliche Vergütung der V Ag vom 25.05.2011 einen variablen Entgeltbestandteil im Sinne des § 4 (1) Vo[r]RA darstellt und demzufolge bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes unberücksichtigt bleibt.
Unter Berücksichtigung dieser Protokollnotiz hat das BAG die Zahlungsklage abgewiesen. Nach seinen Feststellungen folgte zwar bereits aus dem Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang der Kollektivvereinbarung sowie dem Sinn und Zweck des Vorruhestandsgeldes, dass variable Vergütungsbestand289
Betriebsänderung und Betriebsübergang
teile keine Berücksichtigung finden sollten. Ganz wesentliche Bedeutung für dieses Auslegungsergebnis hatte allerdings die Protokollnotiz, wie sie zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat am 21.5.2015 getroffen worden war. Protokollnotizen normsetzender Parteien hätten – so das BAG – unterschiedliche Bedeutung. Sie könnten eigenständige tarifliche oder betriebsverfassungsrechtliche Regelungen darstellen, aber auch nur den Charakter einer authentischen Interpretation des Tarifvertrags bzw. der Betriebsvereinbarung oder eines bloßen Hinweises auf Motive der Vertragsschließenden haben. Welcher rechtliche Status ihnen zukomme, sei durch Auslegung festzustellen9. In dem hier in Rede stehenden Fall hat das BAG angenommen, dass der Sozialplan in Verbindung mit der tarifvertraglichen Regelung zum Vorruhestand durch die Protokollnotiz nicht verändert wurde. Vielmehr hätten die Parteien des Sozialplans nur übereinstimmend erklärt, welchen Inhalt der Sozialplan nebst der darin enthaltenen Bezugnahmeklausel ihrer Meinung nach haben sollte. Dies zeige die Formulierung des Einleitungssatzes der Protokollnotiz. Danach solle die „folgende Klarstellung“ das dokumentieren, „was mit der Klausel immer schon zum Ausdruck gebracht werden sollte und auch weiterhin gelten soll“. Daraus werde deutlich, dass damit gerade keine selbständige Bestimmung und bindende Vorgabe zur Berechnung des Vorruhrstandgeldes geschaffen werden sollte. Damit stelle sich auch nicht die Frage, ob mit der Protokollnotiz in unzulässiger Weise in rechtlich geschützte Positionen der Klägerin rückwirkend eingegriffen werde. Inhaltlich hätten die Parteien mit der Protokollnotiz eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrem Verständnis variable Vergütungsbestandteile bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes von vorne herein unberücksichtigt bleiben sollten. Hiervon sei deshalb auch im Rahmen der Auslegung auszugehen. Entgegen der Auffassung des Klägers konnten die Tantieme und weitere variable Gehaltsbestandteile deshalb zu keiner Anhebung der Zahlung im Rahmen des Vorruhestandes führen. Wichtig ist, die vorstehende Differenzierung zwischen einer nachträglichen Änderung und einer (bloßen) Klarstellung bei vergleichbaren Auseinandersetzungen zu berücksichtigen. Diese Unterscheidung sollte – wie der hier in Rede stehende Fall deutlich macht – bereits im Wortlaut einer entsprechenden Protokollnotiz zum Ausdruck gebracht werden. (Ga)
9
BAG v. 15.11.2016 – 9 AZR 81/16, NZA 2017, 264 Rz. 25; BAG v. 2.10.2007 – 1 AZR 815/06, NZA-RR 2008, 242 Rz. 15.
290
Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Rahmen des Restmandats
3.
Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Rahmen des Restmandats
Geht ein Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung unter, bleibt dessen Betriebsrat gemäß § 21 b BetrVG solange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. Wie das BAG im Beschluss vom 11.10.201610 deutlich gemacht hat, trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass die Amtszeit des Betriebsrats vorzeitig endet, wenn die betriebliche Organisation, für die er gebildet ist, wegfällt und er deshalb außerstande ist, die mit der Änderung der betrieblichen Organisation einhergehenden Beteiligungsrechte wahrzunehmen. Hiervon ausgehend verlangt das BAG für die Anerkennung eines Restmandats im Rahmen von § 21 b BetrVG einen funktionalen Bezug zu den durch die Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung ausgelösten Aufgaben des Betriebsrats. Im Unterschied zu § 21 a BetrVG handelt es sich also nicht um ein Vollmandat. Vielmehr wandelt sich das originäre Vollmandat des Betriebsrats mit dem Wegfall der betrieblichen Organisation in ein – vom Umfang her beschränktes – Restmandat um. In ihm sei angelegt, das im originären Vollmandat bestehende Mitbestimmungsrechte, die in keinem funktionalem Bezug zu den in § 21 b BetrVG angeführten Tatbeständen stünden, nicht mehr ausgefüllt werden könnten. Hiervon ausgehend hat das BAG einen Auskunftsanspruch eines Betriebsrats, dessen Betrieb bereits stillgelegt worden war, abgewiesen. Denn dieses Auskunftsverlangen sollte ein etwaiges Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorbereiten, das der Betriebsrat im Hinblick auf Bonuszahlungen im Vorfeld der Betriebsstilllegung geltend machte. Das BAG hat insoweit den für § 21 b BetrVG erforderlichen funktionalen Zusammenhang abgelehnt. Denn die variable Vergütung wurde nicht wegen der oder im Hinblick auf die Betriebsstilllegung gezahlt. Da das Restmandat aus § 21 b BetrVG nicht der Sanktion eines betriebsverfassungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers diene, sondern auf Gegenstände beschränkt sei, die durch die Betriebsstilllegung bedingt werden, könne der Betriebsrat nach dem Vollzug der Betriebsstilllegung und der damit verbundenen Auflösung des Betriebs keine weitergehenden Beteiligungsrechte mehr geltend machen. (Ga)
10 BAG v. 11.10.2016 – 1 ABR 51/14, NZA 2017, 68 Rz. 11.
291
Betriebsänderung und Betriebsübergang
4.
Rechtsfolgen der Verschmelzung für einen Firmentarifvertrag
Grundsätzlich kann § 613 a BGB auch im Zusammenhang mit einer umwandlungsrechtlichen Verschmelzung zur Anwendung kommen. Dies gilt beispielsweise für den Kündigungsschutz und die Unterrichtungspflicht aus § 613 a Abs. 4, 5 BGB11. Umstritten war bislang immer wieder, ob und ggf. mit welchen Folgen auch § 613 a Abs. 1 BGB bei einer Umwandlung zur Anwendung kommt, wenn sich Rechtfolgen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis und die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien bereits durch die allgemeinen Grundsätze der Gesamtrechtsnachfolge begründen lassen. Im Hinblick darauf ist es wichtig, dass der 4. Senat des BAG im Urteil vom 15.6.201612 wichtige Klarstellungen in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Verschmelzung für einen Firmentarifvertrag (Haustarifvertrag) vorgenommen hat. In dem zugrundeliegenden Fall hatte die SWK GmbH mit der IG Metall einen Firmentarifvertrag (Haustarifvertrag) abgeschlossen. Dieser bewirkte eine Anerkenntnis der jeweils zwischen dem Arbeitgeberverband für das Tarifgebiet Südbaden und der IG Metall abgeschlossenen Verbandstarifverträge, enthielt aber Besonderheiten, die – so die Regelung zum Geltungsbereich – „für alle in der Firma SWK GmbH beschäftigten Arbeiter/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind“, gelten sollten. Die Beklagte führte am Standort S mit der SWK GmbH einen gemeinsamen Betrieb. Sie war weder Mitglied in einem Arbeitgeberverband, noch hatte sie selbst einen Firmentarifvertrag abgeschlossen. Mit Verschmelzungsvertrag vom 29.6.2012 übertrug sodann die SWK GmbH als übertragende Gesellschaft ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung gemäß §§ 2 ff., 46 ff. UmwG auf die Beklagte als übernehmende Gesellschaft. Die entsprechende Eintragung im Handelsregister war am 26.7.2012 erfolgt. Nachdem der für Südbaden geltende Entgelttarifvertrag im Anschluss an das Wirksamwerden der Verschmelzung angepasst worden war, machte die Klägerin, die schon vor der Verschmelzung (nur) bei der Beklagten tätig war, eine entsprechende Anpassung ihres Arbeitsentgelts geltend. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Beklagte als Konsequenz der Umwand11 HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, BGB § 613 a Rz. 304 ff., 315 ff.; HWK/Willemsen, UmwG, § 324 Rz. 17 ff. 12 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 ff.
292
Rechtsfolgen der Verschmelzung für einen Firmentarifvertrag
lung Partei des Firmentarifvertrags mit der Folge geworden sei, dass auch die vor der Umwandlung bereits bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer tarifvertragliche Ansprüche aus dem Firmentarifvertrag geltend machen könnten. Der Geltungsbereich des Firmentarifvertrags beziehe sich nunmehr auf das Unternehmen der Beklagten als Ganzes. Mit überzeugender Begründung hat das BAG der auf Feststellung einer Anwendbarkeit des Tarifvertrags gerichteten Klage stattgegeben. Auch wenn die Rechtsfolgen insoweit einen Arbeitnehmer betreffen, der seinerseits nicht von dem Übergang des Arbeitsverhältnisses betroffen war, haben die Feststellungen des BAG unmittelbare Bedeutung auch für eine Kennzeichnung der Rechtsfolgen für Arbeitsverhältnisse, die von einer umwandlungsrechtlichen Übertragung betroffen sind. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das BAG darauf verwiesen, dass die Beklagte mit Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister als aufnehmendes Unternehmen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Stellung als Partei des Firmentarifvertrags eingetreten sei. Diese Rechtsfolge sei nicht nur auf eine Verschmelzung im Wege der Neugründung begrenzt, sondern gelte auch bei der Verschmelzung durch Aufnahme. In beiden Fällen gehe der Firmentarifvertrag als Konsequenz der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge auf den neu gegründeten bzw. den aufnehmenden Rechtsträger über. Dieser werde damit Partei des für den übertragenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrags, was die unmittelbare Tarifbindung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG zur Folge habe. Der Firmentarifvertrag wirke kollektivrechtlich fort, sodass § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB nicht zur Anwendung komme13. Damit behandelt das BAG die Rechtsfolgen für den Firmentarifvertrag ebenso wie Vollmachten, öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse oder sonstige Vertragsbeziehungen. Der übernehmende Rechtsträger wird so behandelt, als hätte er den Firmentarifvertrag selbst vereinbart. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Tarifvertrag Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen oder ob darin Regelungen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten oder Normen über gemeinsame Einrichtungen getroffen werden. Auch die schuldrechtlichen Absprachen eines Firmentarifvertrags gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über14. 13 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 33 ff; BAG v. 10.6.2009 – 4 ABR 21/08, NZA 2010, 51 Rz. 27; BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 2180 Rz. 28 f.; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, BGB § 613 a Rz. 262; HWK/Henssler, TVG § 3 Rz. 47. 14 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 36 f.
293
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Folgerichtig tritt der übernehmende Rechtsträger in den Tarifvertrag auch so ein, wie er seinem Wortlaut nach formuliert wurde. Bestehen Zweifel, welche Rechtsfolgen mit den durch den übertragenden Rechtsträger und die IG Metall abgeschlossenen Vereinbarungen ausgelöst werden sollten, muss auf der Grundlage allgemeiner Grundsätze eine Auslegung vorgenommen werden. Dies gilt – so das BAG – auch dann, wenn Streit über die Frage besteht, ob die bereits vor dem Wirksamwerden der Umwandlung beim übernehmenden Rechtsträger beschäftigten Arbeitnehmer im Anschluss an das Wirksamwerden der Umwandlung in den Geltungsbereich des Firmentarifvertrags fallen. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Hiervon ausgehend hatte das BAG eine Auslegung des streitgegenständlichen Firmentarifvertrags vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass er für alle bei der Beklagten beschäftigten Arbeiter/innen, Angestellten und Auszubildenden, die Mitglied der IG Metall sind, gilt. Damit war auch die Klägerin einbezogen. Zur Begründung hat der 4. Senat des BAG im Urteil vom 15.6.201515 nicht nur auf den Wortlaut, sondern vor allem auf den Sinn und Zweck entsprechender Regelungen zum Geltungsbereich hingewiesen. Diese seien typischerweise darauf gerichtet, nicht nur die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags beim Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer einzubeziehen, sondern sollten – neben danach begründeten Arbeitsverhältnissen – auch die Arbeitnehmer später hinzukommender Betriebe des Arbeitgebers erfassen16. Eine hiervon abweichende Auslegung habe nur dann Vorrang, wenn die Begrenzung auf eine bestimmte Arbeitnehmergruppe und/oder einen Betrieb im Wortlaut des Tarifvertrags erkennbar werde. Richtigerweise ist das BAG auch nicht davon ausgegangen, dass die Besonderheiten einer Verschmelzung auf einen anderen Rechtsträger zu einer Anpassung des Tarifvertrags führten. Wenn der Geltungsbereich in Bezug auf den Tarifvertrag schließenden Arbeitgeber uneingeschränkt unternehmensbezogen auszulegen sei, gelte dies auch für das übernehmende Unternehmen. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne deshalb auch nicht von einer „Ausweitung“ oder „Ausdehnung“ gesprochen werden. Vielmehr geht es um eine Anwendung eines unveränderten Tarifvertrags, dessen Inhalt im Wege einer Auslegung festgestellt würde. Insofern sei dies die typische
15 BAG v. 15.6.2015 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 38 ff. 16 So auch B. Gaul/Otto, BB 2014, 500, 504.
294
Rechtsfolgen der Verschmelzung für einen Firmentarifvertrag
Konsequenz einer Gesamtrechtsnachfolge, die zu einem Eintritt in den bereits bestehenden Vertrag führe17. Unerheblich sei auch, dass der Firmentarifvertrag in den Regelungen zum Geltungsbereich die SWK GmbH namentlich nenne. Denn mit einer solchen Formulierung werde nur in der allgemein üblichen Form der Rechtsträger genannt, auf dessen Unternehmen sich der Tarifvertrag zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beziehe. Für den Geltungsbereich nach Eintritt einer Gesamtrechtsnachfolge ergebe sich hieraus keine Beschränkung. Vielmehr sei – wie im Wege der Auslegung festgestellt – mit einer solchen Formulierung nur der Arbeitgeber, zu dem ein Arbeitsverhältnis bestehe, gemeint. Hiervon ausgehend werden auch solche Arbeitsverhältnisse einbezogen, die bereits vor dem Wirksamwerden der Umwandlung beim übernehmenden Rechtsträger bestanden haben. Abschließend lehnt der 4. Senat des BAG auch eine einschränkende Auslegung ab, die von einem Teil der Literatur18 für erforderlich gehalten worden war. Denn die Gesamtrechtsnachfolge könne – so die Literatur – keine Ausweitung des personellen Geltungsbereichs eines Tarifvertrags bewirken. Außerdem müsse man annehmen, dass die Parteien des Firmentarifvertrags bei seinem Abschluss nur die Betriebe und die dort beschäftigten Arbeitnehmer hätten erfassen wollen, die zu diesem Zeitpunkt dem Unternehmen zugeordnet waren. Diese Überlegungen teilt das BAG nicht. Denn schlussendlich bewirkt diese Vorgehensweise eine unterschiedliche Behandlung von Firmentarifverträgen für den Fall einer Verschmelzung zur Neugründung und der Verschmelzung zur Aufnahme. Bei der Verschmelzung zur Neugründung soll der Tarifvertrag ohne Veränderung übergehen und – wenn zu einem späteren Zeitpunkt Arbeitnehmer eingestellt und/oder Betriebe übernommen werden – auch solche Arbeitsverhältnisse erfassen. Bei der Verschmelzung zur Aufnahme soll hingegen der Tarifvertrag nur für die Arbeitnehmer gelten, die von seinem Geltungsbereich bereits vor dem Wirksamwerden der Umwandlung erfasst waren. Eine solche Auslegung des Geltungsbereichs, die nach den konkreten Verhältnissen, die beim aufnehmenden oder neu entstandenen Unternehmen bestehen, unterscheide, lasse sich jedoch – so das BAG – nicht rechtfertigen. Die bei einer Universalsukzession gesetzlich angeordnete Gesamtrechtsnachfolge unterscheide nicht nach den rechtlichen oder tatsächli17 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 46 ff.; Wittmann/MayerWälzholz, UmwG Vorbem. Zu §§ 321 ff. Rz. 29. 18 So Böcken, SAE 2000, 162, 165; Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz S. 191; Picot/Schnitker, Arbeitsrecht bei Unternehmenskauf und Restrukturierung Teil I Rz. 310.
295
Betriebsänderung und Betriebsübergang
chen Verhältnissen und Anknüpfungspunkten beim aufnehmenden Rechtsträger. Vielmehr trete dieser unverändert in die beim übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Vereinbarungen ein. Daher bleibe es dabei, dass sich etwaige Einschränkungen allenfalls im Wege einer Auslegung der im Streit stehenden Vereinbarung ergeben könnten, die aber ohne Rücksicht auf den Umstand einer Verschmelzung zu dem gleichen Ergebnis führen muss. Soweit eine Schutzbedürftigkeit des aufnehmenden Unternehmens anerkannt werde, werde dieser in § 21 UmwG Rechnung getragen. Diese Regelung greife die dort real anzutreffenden Folgeprobleme einer Universalsukzession auf und sehe für bestimmte „unvereinbare“ Verpflichtungen oder bei einer „schweren Unbilligkeit“ eine Neubestimmung der Verpflichtungen des aufnehmenden Unternehmens vor. Diese Voraussetzungen lägen bei der hier in Rede stehenden kollektivrechtlichen Fortgeltung eines Firmentarifvertrags indes nicht vor19. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Wichtig ist es, im Vorfeld einer etwaigen Verschmelzung diese Rechtsfolgen immer dann im Auge zu behalten, wenn Firmentarifverträge bestehen. Denn die vorstehend beschriebene Rechtsfolge kann die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen, in welche Richtung die Verschmelzung erfolgt. § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB kommt bei der Verschmelzung damit nur dann zum Tragen, wenn Verbandstarifverträge bestehen. Falls im Anschluss an eine Verschmelzung beim übernehmenden Rechtsträger mehrere Tarifverträge bestehen, die gleichermaßen für ein Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchen, muss dies, wenn sie durch die gleiche Gewerkschaft abgeschlossen wurden, nach den allgemeinen Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz entschieden werden. Damit hat der speziellere Tarifvertrag Vorrang. Geht es um Tarifverträge, die durch verschiedene Gewerkschaft abgeschlossen wurden, ist – soweit keine abschließende Entscheidung zur Verfassungsgemäßheit getroffen wurde – § 4 a TVG maßgeblich. (Ga)
5.
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten wegen der Vertretung bei Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen
Üblicherweise binden Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Abwicklung der aus §§ 17 Abs. 2 KSchG, 111, 112 BetrVG resultierenden Beteiligungsrechte anwaltliche Berater ein. Da diese nicht unentgeltlich tätig werden, stellt sich
19 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 52 ff., 67.
296
Betriebsänderung und Betriebsübergang
chen Verhältnissen und Anknüpfungspunkten beim aufnehmenden Rechtsträger. Vielmehr trete dieser unverändert in die beim übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Vereinbarungen ein. Daher bleibe es dabei, dass sich etwaige Einschränkungen allenfalls im Wege einer Auslegung der im Streit stehenden Vereinbarung ergeben könnten, die aber ohne Rücksicht auf den Umstand einer Verschmelzung zu dem gleichen Ergebnis führen muss. Soweit eine Schutzbedürftigkeit des aufnehmenden Unternehmens anerkannt werde, werde dieser in § 21 UmwG Rechnung getragen. Diese Regelung greife die dort real anzutreffenden Folgeprobleme einer Universalsukzession auf und sehe für bestimmte „unvereinbare“ Verpflichtungen oder bei einer „schweren Unbilligkeit“ eine Neubestimmung der Verpflichtungen des aufnehmenden Unternehmens vor. Diese Voraussetzungen lägen bei der hier in Rede stehenden kollektivrechtlichen Fortgeltung eines Firmentarifvertrags indes nicht vor19. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Wichtig ist es, im Vorfeld einer etwaigen Verschmelzung diese Rechtsfolgen immer dann im Auge zu behalten, wenn Firmentarifverträge bestehen. Denn die vorstehend beschriebene Rechtsfolge kann die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen, in welche Richtung die Verschmelzung erfolgt. § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB kommt bei der Verschmelzung damit nur dann zum Tragen, wenn Verbandstarifverträge bestehen. Falls im Anschluss an eine Verschmelzung beim übernehmenden Rechtsträger mehrere Tarifverträge bestehen, die gleichermaßen für ein Arbeitsverhältnis Geltung beanspruchen, muss dies, wenn sie durch die gleiche Gewerkschaft abgeschlossen wurden, nach den allgemeinen Grundsätzen zur Tarifkonkurrenz entschieden werden. Damit hat der speziellere Tarifvertrag Vorrang. Geht es um Tarifverträge, die durch verschiedene Gewerkschaft abgeschlossen wurden, ist – soweit keine abschließende Entscheidung zur Verfassungsgemäßheit getroffen wurde – § 4 a TVG maßgeblich. (Ga)
5.
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten wegen der Vertretung bei Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen
Üblicherweise binden Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Abwicklung der aus §§ 17 Abs. 2 KSchG, 111, 112 BetrVG resultierenden Beteiligungsrechte anwaltliche Berater ein. Da diese nicht unentgeltlich tätig werden, stellt sich
19 BAG v. 15.6.2016 – 4 AZR 805/14, NZA 2017, 326 Rz. 52 ff., 67.
296
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten
aus Sicht des Arbeitgebers die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang er Rechtsanwaltskosten zu tragen hat, die durch eine Beauftragung durch den Betriebsrat entstehen. Die gleiche Frage stellt sich natürlich auch für den Betriebsrat. Denn nach den Feststellungen des BGH im Urteil vom 25.10.201220, auf das wir hingewiesen hatten21, ist das beauftragende Betriebsratsmitglied gehalten, die Kosten eines externen Beraters selbst zu übernehmen, wenn ein Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber nicht besteht. Mit eben dieser Frage hat sich das BAG im Beschluss vom 14.12.201622 eingehend auseinandergesetzt. In dem zugrundeliegenden Fall hatte der Betriebsrat im Zusammenhang mit Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan, eine Auswahlrichtlinie und ein Freiwilligenprogramm einen Rechtsanwalt als Berater und Vertreter im Rahmen der Verhandlungen beauftragt. Nachdem es der Arbeitgeber abgelehnt hatte, einer Vereinbarung über ein Stundenhonorar in Höhe von 290,- € sowie weiteren 100,- € für jede Stunde der Reisezeit zuzustimmen, kam es im Anschluss an den Abschluss der Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu einem Streit, ob die Gesamtkosten des Rechtsanwalts in Höhe von 35.996,- € durch den Arbeitgeber zu tragen waren. Der Betriebsrat machte zu seiner Begründung geltend, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem Rechtsanwalt bestanden habe, dass es sich um eine komplexe Angelegenheit gehandelt hätte und Alternativen aus seiner Sicht nicht bestanden hätten. Auch wenn das BAG keine abschließende Entscheidung treffen konnte, hat es doch klargestellt, dass diese Überlegungen nicht genügen, um von einem Kostenerstattungsanspruch des Betriebsrats auf der Grundlage einer solchen Honorarvereinbarung auszugehen. Grundlage eines Kostenerstattungsanspruchs im Zusammenhang mit Verhandlungen wegen einer Betriebsänderung können grundsätzlich §§ 80 Abs. 3, 111 S. 2 BetrVG sein. Nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Nach § 111 S. 2 BetrVG kann der Betriebsrat bei Betriebsänderungen in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unterstützung einen Berater hinzuziehen, ohne dass eine solche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber getroffen werden muss. Auf diese Weise soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, die 20 BGH v. 25.10.2012 – III ZR 266/11, NZA 2012, 1382. 21 B. Gaul, AktuellAR 2015, 599 ff. 22 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 ff.
297
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Auswirkungen einer geplanten Betriebsänderung rasch zu erfassen und in kurzer Zeit fundierte Alternativvorschläge vorzulegen. Im Beschluss vom 14.12.201623 hat das BAG indes deutlich gemacht, dass die vorstehend genannten Regelungen keine Anwendung finden, wenn es um die Vertretung des Betriebsrats bei der Durchsetzung oder Ausübung seiner Mitbestimmung in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren oder Einigungsstellenverfahren oder in deren Vorfeld gehe. Die Aufgabe eines Sachverständigen i. S. d. § 80 Abs. 3 BetrVG und eines Beraters i. S. d. § 111 S. 2 BetrVG sei es, die fehlende Sachkunde des Betriebsrats zu ersetzen, ihn also hinsichtlich konkreter Fragestellungen zu beraten, um ihn in die Lage zu versetzen, die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber selbst sachkundig führen zu können. Insofern könne er im Vorfeld der Beratungen über eine oder einen Interessenausgleich hinzugezogen werden. Entgegen der hier durch den Betriebsrat vertretenen Auffassung sei es allerdings weder Aufgabe eines Sachverständigen noch Aufgabe eines Beraters, als Vertreter des Betriebsrats aufzutreten und Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen24. Hiervon ausgehend konnte der Betriebsrat seinen Freistellungsanspruch nicht auf §§ 80 Abs. 3, 111 S. 2 BetrVG stützen. Denn der durch ihn beauftragte Anwalt war, was die geltend gemachten Kosten betraf, nicht als Berater tätig. Vielmehr war er damit beauftragt, für den Betriebsrat die Verhandlungen über die Restrukturierungsmaßnahmen zu führen. Damit war der geltend gemachte Freistellungsanspruch allerdings nicht abzuweisen. Vielmehr kann sich ein Anspruch des Betriebsrats auf die durch eine solche Beauftragung ergebenden Kosten aus § 40 Abs. 1 BetrVG ergeben. Danach trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Zu diesen Kosten gehören auch Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren oder in einem Einigungsstellenverfahren der Betriebsrat zur Durchsetzung oder Ausübung eines von ihm in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrechts für erforderlich halten durfte. Entsprechendes gilt, wenn – so das BAG – der Betriebsrat einen Rechtsanwalt damit beauftragt, Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder eine Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber zu führen. Auch dabei gehe es um die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte im Vorfeld eines Einigungsstel-
23 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 14. 24 Vgl. auch BAG v. 13.5.1998 – 7 ABR 65/96, NZA 1998, 900 Rz. 19; Richardi/Annuß, BetrVG § 111 Rz. 55.
298
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten
lenverfahrens mit dem Ziel, das Einigungsstellenverfahren entbehrlich zu machen25. Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber indes nur solche durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts entstehenden Honorarkosten zu tragen, die der Betriebsrat unter Berücksichtigung des ihm zuzuerkennenden Beurteilungsspielraums für erforderlich halten durfte. Dies betrifft die Frage, ob ein Rechtsanwalt beauftragt werden durfte, ob der konkrete (nicht ortsansässige) Rechtsanwalt eingebunden werden durfte und ob die konkret geltend gemachten Kosten notwendig waren. Stehen dem Betriebsrat zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte mehrere gleich geeignete Möglichkeiten zur Verfügung, muss er die für den Arbeitgeber kostengünstigere auswählen26. Nach den Feststellungen des BAG bestimmt sich die Erforderlichkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts in erster Linie nach materiellen Gesichtspunkten. Insofern könne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Vertreter des Betriebsrats in Verhandlungen geboten sein, wenn der Regelungsgegenstand schwierige Rechtsfragen aufwerfe, die zwischen den Beteiligten umstritten sind und kein Betriebsratsmitglied über den zur sachgerechten Interessenwahrnehmung und Verhandlungsführung notwendigen juristischen Sachverstand verfüge. Dabei komme dem Verhalten des Arbeitgebers zwar nur eine indizielle Bedeutung zu. Lasse er sich in den Verhandlungen durch einen Rechtsanwalt vertreten, sei dies aber ein Anzeichen dafür, dass die Regelungsmaterie mit rechtlichen Schwierigkeiten verbunden sei27. Diese Voraussetzungen hat das BAG im vorliegenden Fall angenommen. Denn das LAG Niedersachsen hatte insoweit rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass die Restrukturierung unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten ein hohes Maß an Komplexität aufgewiesen habe und durch den Versuch der Arbeitgeberin, einen Tarifsozialplan für einen Teil der betroffenen Standorte abzuschließen, eher erschwert als vereinfacht worden sei. Soweit der Betriebsrat beschließt, ein nicht ortsansässiges, sondern ein auswärtiges Anwaltsbüro mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen, ist zu prüfen, ob die dadurch unvermeidbar entstehenden Mehrkosten vertretbar und sachlich gerechtfertigt sind. Allein der Umstand, dass das be25 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 10 f. 26 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 17 ff., 22; BAG v. 25.6.2014 – 7 ABR 70/12, NZA 2015, 626 Rz. 28. 27 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 26; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 25/95, NZA 1996, 892 Rz. 21, 23.
299
Betriebsänderung und Betriebsübergang
auftragte Rechtsanwaltsbüro für die Vertretung der Arbeitnehmer und Betriebsräte als überdurchschnittlich qualifiziert bekannt und mit den Gegebenheiten im Konzern vertraut sei, genügt – so das BAG – nicht. Ausreichend war für den 7. Senat des BAG allerdings, dass der Betriebsrat die Beauftragung des in H ansässigen Rechtsanwalts aufgrund der günstigen Lage des Büros, der langjährigen Zusammenarbeit und der Vertretung der Arbeitgeberseite durch ein Anwaltsbüro aus D für erforderlich gehalten hatte. Der Arbeitgeber hatte diesen Punkt der Kostenrechnung indes nicht angegriffen28. Streitentscheidend war damit, ob der Betriebsrat die in Rede stehende Honorarvereinbarung mit dem geltend gemachten Stundenhonorar für erforderlich halten durfte. Denn auch insoweit hat der Betriebsrat zu prüfen, ob die Kosteninteressen des Arbeitgebers ausreichend berücksichtigt sind. Hintergrund dieser Verpflichtung ist der Umstand, dass der Grundsatz, dass unter mehreren gleich geeigneten Möglichkeiten die für den Arbeitgeber kostengünstigere auszuwählen ist, auch für die Erteilung einer Honorarzusage gilt. Im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Begrenzung seiner Kostenbelastung darf der Betriebsrat deshalb die Erteilung einer Honorarzusage, die zu höheren als den gesetzlichen Gebühren führt, grundsätzlich nicht für erforderlich halten. Dies gilt ohne Rücksicht auf etwaige Schwierigkeiten, die bei der Ermittlung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit insbesondere nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten bestehen können. Könne der Betriebsrat nicht einschätzen, ob die Honorarzusage zu höheren als den gesetzlichen Gebühren führe, habe er – so das BAG – von der Erteilung einer Honorarzusage abzusehen. Dies gelte insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass die Höhe eines von der Verhandlungsdauer abhängigen Honorars – anders als die des gesetzlichen Pauschalhonorars – nicht von vorneherein planbar sei29. Hiervon ausgehend kommt die Erteilung einer Honorarzusage nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies könne – so das BAG – der Fall sein, wenn der Arbeitgeber mit der Honorarvereinbarung einverstanden sei oder in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen die Erteilung einer solchen Zusage stets akzeptiert habe. Ein solcher Ausnahmefall könne auch dann vorliegen, wenn der Verhandlungsgegenstand eine spezielle Rechtsmaterie betreffe, der vom Betriebsrat ausgewählte, über die entsprechenden Spezialkenntnisse verfügende Rechtsanwalt zur Übernahme des Mandats nur bei Vereinbarung eines
28 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 20, 28, 33. 29 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 30.
300
Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Rechtswaltskosten
Zeithonorars bereit sei und der Betriebsrat keinen vergleichbar qualifizierten Rechtsanwalt zu günstigeren Konditionen finde. Da der Betriebsrat in dem konkret zur Entscheidung stehenden Fall nicht behauptet hatte, dass der Rechtsanwalt ohne Honorarzusage nicht zur Übernahme des Mandats bereit gewesen sei, kam es auf die vorstehenden Ausnahmemöglichkeiten nicht an. Vielmehr war zu prüfen, ob das geltend gemachte Stundenhonorar die Kosten, die auf der Grundlage der gesetzlichen Gebühren zu erstatten gewesen wären, überstieg. Eine abschließende Entscheidung konnte das BAG zu diesem Punkt zwar nicht treffen. Die ergänzenden Ausführungen machen allerdings deutlich, dass sich die betriebliche Praxis genau überlegen muss, ob tatsächlich eine Vergütung auf der Grundlage der gesetzlichen Gebühren gewählt wird. Diese eröffnen zwar die Möglichkeit, dass sie in ihrer Höhe genau bestimmt sind und durch eine bewusste Ausweitung der Dauer von Verhandlungen nicht beeinflusst werden können. Problematisch an den gesetzlichen Gebühren ist allerdings, dass der insoweit maßgeblich Gegenstandswert insbesondere in kollektivrechtlichen Angelegenheiten, die eine außergerichtliche Beteiligung des Betriebsrats erforderlich machen, vielfach schwer zu bestimmen sind. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich teilweise um vermögensrechtliche und teilweise um nicht vermögensrechtliche Angelegenheiten handelt. Darauf weist auch das BAG hin30. So betrafen die in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall geführten Verhandlungen über den Sozialplan und das Freiwilligenprogramm vermögensrechtliche Angelegenheiten. Deren Gegenstandswert sei ggf. unter Berücksichtigung von § 23 Abs. 3 S. 2 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Dabei sei er in erster Linie – ohne Begrenzung auf einen Höchstbetrag – zu schätzen. Fehle es an genügenden Anhaltspunkten für eine Schätzung, sei der Gegenstandswert nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG auf 5.000,- €, nach Lage des Falls auch niedriger oder höher, jedoch nicht über den Betrag von 500.000,- € hinaus, anzusetzen. Wichtig ist allerdings, dass eine solche Bestimmung des Gegenstandswertes nur dann erfolgen kann, wenn keine genügenden Anhaltspunkte für eine Schätzung vorliegen. Sieht man solche Anhaltspunkte allerdings in der Differenz zwischen dem Angebot des Arbeitgebers für ein Sozialplanvolumen auf der einen Seite und der Forderung des Betriebsrats für ein Sozialplanvolumen auf der anderen Seite, wie es das BAG im Beschluss vom 9.11.200431 30 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 38 ff. 31 BAG v. 9.11.2004 – 1 ABR 11/02, NZA 2005, 70 Rz. 11.
301
Betriebsänderung und Betriebsübergang
getan hat, kann der Gegenstandswert ohne weiteres den Betrag von 500.000,- € übersteigen. Darüber hinaus wird erkennbar, dass der Betriebsrat – vertreten durch seinen Rechtsanwalt – bereits durch die Höhe seiner Forderung auch das Honorarvolumen seines Rechtsanwalts beeinflussen kann. Ob und inwieweit der Gegenstand des Sozialplans auch für den Interessenausgleich maßgeblich ist, lässt das BAG nicht genau erkennen. Einerseits spricht es davon, dass der Gegenstandswert der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen maßgebend durch den Sozialplan bestimmt werde32. Andererseits aber kennzeichnet es den Interessenausgleich und eine etwaige Auswahlrichtlinie zu Recht als eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit, bei der der Gegenstandswert gemäß § 23 Abs. 3 S. 2 RVG unter Berücksichtigung der Bedeutung, des Umfangs und des Schwierigkeitsgrads der Sache zu bestimmen sei. Hier trägt die Arbeitgeberseite also eine erhebliche Unsicherheit, zumal man auf die Idee kommen könnte, den Wert auch einer Betriebsänderung mit den Einsparungen, die durch solche Maßnahmen erzielt werden sollen, gleichzusetzen. Konsequenz aus dieser Rechtsunsicherheit ist, dass arbeitgeberseitig durchaus auch der Abschluss einer Honorarvereinbarung auf der Grundlage eines Stundenhonorars in die Überlegungen einbezogen werden sollte. Planungssicherheit kann dabei nicht nur durch eine Begrenzung des Beratungsgegenstandes und/oder die Vereinbarung einer Höchstgrenze erreicht werden. Denkbar ist auch, dass die Beratung und Vertretung des Betriebsrats durch einen Rechtsanwalt im Wege einer Pauschale erfasst wird. Vorstellbar ist, dass eine solche Pauschalierung auch Einfluss auf die Dauer von Verhandlungen hat. (Ga)
32 BAG v. 14.12.2016 – 7ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. 35.
302
J. 1.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht Besonderer Erfüllungseinwand des Arbeitgebers bei Lohnsteuerabzug
In dem durch das BAG am 21.12.20161 entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber berechtigt war, eine Nachberechnung des geldwerten Vorteils für die Privatnutzung des Dienstwagens für mehrere Jahre mit der Folge vorzunehmen, dass innerhalb von zwei Monaten ein zusätzlicher geldwerter Vorteil in Höhe von 13.000,- € (brutto) und 12.704,80 € (brutto) anfiel und daraus folgende Lohnsteuer durch den Kläger zu zahlen war. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber zum Einbehalt und Abzug der Lohnsteuer verpflichtet (§ 38 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 S. 1 EstG). In diesem Zusammenhang kann er gemäß §§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB, 42 d Abs. 1 Nr. 1 EstG auch die Erstattung nach entrichteter Lohnsteuer vom Arbeitnehmer verlangen, wenn er zu wenig Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt hat. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Die Abführung – so das BAG – begründet insoweit einen besonderen Erfüllungseinwand. Eine Aufrechnung ist hierfür nicht erforderlich. Denn der Einbehalt des Arbeitgebers für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 3 S. 1 EstG) diene der Vorbereitung der Abführung. Erfüllt werde erst durch die Abführung nach § 41 a EstG, wobei der Arbeitgeber in einer Art treuhänderischen Stellung für den Steuerfiskus tätig werde2. Grundsätzlich sind die Gerichte für Arbeitssachen – so das BAG – nicht befugt, die Berechtigung der arbeitgeberseitigen Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Der Arbeitgeber erfülle beim Lohnsteuerabzug öffentlich-rechtliche Aufgaben, die allein ihm oblägen. Er sei Steuerentrichtungspflichtiger i. S. d. § 43 S. 2 AO. Lege der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt habe, könne der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Es sei vielmehr auf die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Rechtsbehelfe 1 2
BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. 14 ff. BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. 17.
303
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestanden habe. Andernfalls trete die Erfüllungswirkung ein3. Dieses Privileg gilt allerdings nicht schrankenlos. Insofern lehnt das BAG eine Berechtigung des Arbeitgebers ab, eine Nachberechtigung für mehrere Jahre und über mehrere Monate hinweg vorzunehmen. Ein Lohnsteuerabzug i. S. d. Rechtsprechung gehört zum besonderen Erfüllungseinwand, nur im anzurechnenden Kalendermonat in Betracht, allenfalls als Korrektur für den Vormonat (§ 41 c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EstG). Verrechnungen wegen etwaiger Ansprüche auf Erstattung nachträglich abgeführter Lohnsteuer würden dieses Vorrecht nicht genießen, sondern seien mittels Aufrechnung nach den dafür bestehenden besonderen Regelungen vorzunehmen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung den Lohnsteuerabzug nicht mehr ändern dürfe. Die Lohnsteuerbescheinigung sei Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, wie er tatsächlich stattgefunden habe4. Hiervon ausgehend hat das BAG den Arbeitgeber nur für berechtigt gehalten, etwaige noch nicht erhobene Lohnsteuer für Mai und Juni sowie ggf. für April einzubehalten. Ein nachträglicher Lohnsteuereinbehalt im Mai und Juni für die vorangehenden Jahre könne den besonderen Erfüllungseinwand nicht begründen. Konsequenz sei, dass einem Zahlungsanspruch des Arbeitgebers in Bezug auf die in diesen Monaten fälligen Gehaltsansprüche stattgegeben werden muss, wenn der Arbeitgeber nicht eine hiervon gesonderte Aufrechnung erklärt hat. (Ga)
2.
Steuerminderung bei einer Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten der privaten Dienstwagennutzung
Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die private Nutzung des Dienstwagens gestattet, begründet dies einen geldwerten Vorteil. Dieser ist zu besteuern, wobei – mit Bindungswirkung für das laufende Kalenderjahr – der Arbeitnehmer zwischen der sogenannten „Ein-Prozent-Regel“ oder der Besteuerung auf der Grundlage eines Fahrtenbuchs wählen kann. Bei der EinProzent-Regelung wird ohne Beachtung der Kfz-Kosten und der tatsächlich gefahrenen Kilometer für die private Nutzung pauschal ein Prozent des 3 4
BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. 20. BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. VI R 38/11, DB 2013, 322 Rz. 16.
304
–
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestanden habe. Andernfalls trete die Erfüllungswirkung ein3. Dieses Privileg gilt allerdings nicht schrankenlos. Insofern lehnt das BAG eine Berechtigung des Arbeitgebers ab, eine Nachberechtigung für mehrere Jahre und über mehrere Monate hinweg vorzunehmen. Ein Lohnsteuerabzug i. S. d. Rechtsprechung gehört zum besonderen Erfüllungseinwand, nur im anzurechnenden Kalendermonat in Betracht, allenfalls als Korrektur für den Vormonat (§ 41 c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EstG). Verrechnungen wegen etwaiger Ansprüche auf Erstattung nachträglich abgeführter Lohnsteuer würden dieses Vorrecht nicht genießen, sondern seien mittels Aufrechnung nach den dafür bestehenden besonderen Regelungen vorzunehmen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung den Lohnsteuerabzug nicht mehr ändern dürfe. Die Lohnsteuerbescheinigung sei Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, wie er tatsächlich stattgefunden habe4. Hiervon ausgehend hat das BAG den Arbeitgeber nur für berechtigt gehalten, etwaige noch nicht erhobene Lohnsteuer für Mai und Juni sowie ggf. für April einzubehalten. Ein nachträglicher Lohnsteuereinbehalt im Mai und Juni für die vorangehenden Jahre könne den besonderen Erfüllungseinwand nicht begründen. Konsequenz sei, dass einem Zahlungsanspruch des Arbeitgebers in Bezug auf die in diesen Monaten fälligen Gehaltsansprüche stattgegeben werden muss, wenn der Arbeitgeber nicht eine hiervon gesonderte Aufrechnung erklärt hat. (Ga)
2.
Steuerminderung bei einer Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten der privaten Dienstwagennutzung
Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die private Nutzung des Dienstwagens gestattet, begründet dies einen geldwerten Vorteil. Dieser ist zu besteuern, wobei – mit Bindungswirkung für das laufende Kalenderjahr – der Arbeitnehmer zwischen der sogenannten „Ein-Prozent-Regel“ oder der Besteuerung auf der Grundlage eines Fahrtenbuchs wählen kann. Bei der EinProzent-Regelung wird ohne Beachtung der Kfz-Kosten und der tatsächlich gefahrenen Kilometer für die private Nutzung pauschal ein Prozent des 3 4
BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. 20. BAG v. 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, NZA 2017, 531 Rz. VI R 38/11, DB 2013, 322 Rz. 16.
304
–
Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten der privaten Dienstwagennutzung
Fahrzeuglistenpreises (gleich inländischer Bruttolistenpreis zum Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich etwaiger Sonderausstattung) pro Monat als steuerpflichtiger Arbeitslohn angesetzt. Für etwaige Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte erhöht sich der Betrag um 0,03 % des Listenpreises pro Entfernungskilometer. Bei einer doppelten Haushaltsführung sind weitere 0,002 % pro Heimfahrt und Entfernungskilometer hinzuzurechnen, sofern die Kosten nicht als Werbungskosten abgezogen werden können. Grundsätzlich regeln beide vom Gesetz vorgegebenen Alternativen zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzung eines Firmenfahrzeugs einheitlich und abschließend, welche Aufwendungen von dem gefundenen Wertansatz erfasst und in welchem Umfang die dem Steuerpflichtigen hieraus zufließenden Sachbezüge abgegolten werden. Unabhängig davon bleibt der Arbeitnehmer berechtigt, eigenen Aufwand, der im Hinblick auf die außerdienstliche Nutzung des Dienstwagens erbracht wird, steuermindernd zu berücksichtigen. Auf die insoweit maßgeblichen Voraussetzungen hat der BFH in seinem Urteil vom 30.11.20165 noch einmal hingewiesen. Zunächst einmal mindert ein etwaiges Nutzungsentgelt, das der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung zahlen muss, den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung. Insoweit fehle es an einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit an einer Grundvoraussetzung für das Vorliegen von Arbeitslohn i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EstG. In Höhe des Nutzungsentgelts wende der Arbeitgeber dem ArbeitNutzungsentgelts nicht bereichert, sondern vielmehr endgültig belastet. Folgerichtig mindere das Nutzungsentgelt bereits auf der Einnahmeseite den Vorteil aus der Überlassung des Dienstwagens zu Privatfahrten. Der steuerbare Vorteil des Arbeitnehmers bestehe lediglich in der Differenz zwischen dem Wert der Nutzungsüberlassung nach § 8 Abs. 2 S. 4 EstG und dem vom Arbeitnehmer zu zahlenden Nutzungsentgelt. Nichts Anderes gilt nach den Feststellungen des BFH, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der Privatnutzung einzelne (individuelle) Kosten (hier: Kraftstoffkosten) des betrieblichen Pkw trage. Soweit der Arbeitnehmer einzelne nutzungsabhängige Kfz-Kosten übernehme, fehle es auch insoweit schon dem Grunde nach an einem lohnsteuerbaren Vorteil des Arbeitnehmers. Denn der Gesetzgeber sei sowohl bei der Bewertung des Nutzungsvorteils nach der Fahrtenbuchmethode als auch bei Bemessung nach der
5
BFH v. 30.11.2016 – VI R 2/15, DB 2017, 342 Rz. 11 ff.
305
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
Ein-Prozent-Regelung davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Vorteil als Arbeitslohn dadurch zuwende, dass er ihm ein Kfz zur Privatnutzung zur Verfügung stelle und – dies ist wichtig – alle mit dem Kfz verbundenen Kosten trage. Treffe diese Grundannahme nicht zu, wende der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer jedenfalls keinen Arbeitslohn in dem Umfang zu, den der Gesetzgeber mit der Ein-Prozent-Regelung typisieren wolle. Vielmehr sei der Arbeitnehmer insoweit nicht bereichert, als er Kosten aufwende, die durch die private Nutzung des ihm überlassenen betrieblichen Pkw veranlasst würden6. Berechtigterweise überträgt der BFH diese Überlegungen auf etwaige Leasingraten, die dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber – beispielsweise durch eine erhöhte Ausstattung – auferlegt würden. Leasingraten seien ebenso wie Kraftstoffkosten und Versicherungsbeiträge mit dem Kfz verbundene individuelle Kosten. In allen Fällen fehle es an einer Bereicherung des Arbeitnehmers, soweit diese Kosten eigenständig zu tragen seien. Wichtig ist allerdings, dass die Eigenleistungen des Arbeitnehmers in Bezug auf die Privatnutzung des Dienstwagens nur insoweit berücksichtigt werden, als nach der Ein-Prozent-Regelung oder der Fahrtenbuchmethode von einem geldwerten Vorteil aus der Privatnutzung ausgegangen werden kann. Übersteigen die Eigenleistungen des Arbeitnehmers den privaten Nutzungsvorteil, führt – so der BFH – der übersteigende Betrag weder zu negativem Arbeitslohn noch zu Werbungskosten. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass der Arbeitnehmer den geltend gemachten Pkw-bezogenen Aufwand im Einzelnen darlegen und auch beweisen kann7. Die betriebliche Praxis sollte diese Entscheidung zum Anlass nehmen, bestehende Regelungen über etwaige Eigenbeteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten eines auch privat genutzten Dienstwagens zu überprüfen. Denn schlussendlich verpflichten die hier dargestellten Grundsätze der BFHRechtsprechung den Arbeitgeber, bei einem entsprechenden Nachweis eine Eigenbeteiligung an den notwendigen Kosten der Privatnutzung eine Neuberechnung des vermögenswerten Vorteils vorzunehmen. Dieser kann – wenn die Eigenbeteiligung schwankt – zu monatlich unterschiedlichen Annahmen in Bezug auf den geldwerten Vorteil führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht prognostizierbare Kosten bei dieser Eigenbeteiligung berücksichtigt werden (z. B. Betriebsstoffe, Reinigungskosten, Reparaturen, Auslandskilometer). Der mit einer solchen Umstellung der Abrechnung verbundene Aufwand auf Arbeitgeberseite kann durchaus Anlass zu der Entschei6 7
BFH v. 30.11.2016 – VI R 2/15, DB 2017, 342 Rz. 11 ff. BFH v. 30.11.2016 – VI R 2/15, DB 2017, 342 Rz. 19 f.
306
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag
dung sein, auf eine entsprechende Beteiligung des Arbeitnehmers zu verzichten. Dies gilt umso mehr, als eine Neuberechnung des steuerpflichtigen Arbeitslohns auch bei den Abführungen von Beiträgen zur Sozialversicherung berücksichtigt werden muss8. (Ga)
3.
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag
Gemäß § 159 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 SGB III ruht der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit9, wenn sich der Arbeitnehmer dadurch versicherungswidrig verhält, indem er das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Eine solche Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beginnt mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und beträgt grundsätzlich 12 Wochen (§ 159 Abs. 2, 3 SGB III). Konsequenz ist nicht nur, dass der Arbeitnehmer das Arbeitslosengeld zu einem späteren Zeitpunkt erhält. Vielmehr hat eine solche Sperrzeit ergänzend hierzu zur Folge, dass sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen dieser Sperrzeit, bei einer Sperrzeit von 12 Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die der oder dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht, verkürzt wird (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die vorstehenden Konsequenzen einer Mitwirkung bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags treten nicht ein, wenn der Arbeitnehmer für dieses Handeln einen wichtigen Grund hat10. Wann ein solcher Grund vorliegt, bestimmt das Gesetz selbst zwar nicht. § 159 Abs. 1 S. 3 SGB III hält lediglich fest, dass die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebende Tatsachen darlegen und nachweisen muss, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, bei entsprechenden Vereinbarungen in der betrieblichen Praxis die Leitlinien zu berücksichtigen, die durch die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen fachlicher Weisungen zur Auslegung und Anwendung von § 159 SGB III veröffentlich sind. Dies gilt umso mehr, als die fachliche Weisung zu § 159 SGB III im Dezember 2016 aktualisiert 8 Eingehend auch Niermann, DB 2017, 510 ff. 9 Grimm/Freh, ArbRB 2017, 81 ff. 10 Vgl. Fuhlrott, NZA 2017, 225 f.
307
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag
dung sein, auf eine entsprechende Beteiligung des Arbeitnehmers zu verzichten. Dies gilt umso mehr, als eine Neuberechnung des steuerpflichtigen Arbeitslohns auch bei den Abführungen von Beiträgen zur Sozialversicherung berücksichtigt werden muss8. (Ga)
3.
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag
Gemäß § 159 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 SGB III ruht der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit9, wenn sich der Arbeitnehmer dadurch versicherungswidrig verhält, indem er das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Eine solche Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beginnt mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und beträgt grundsätzlich 12 Wochen (§ 159 Abs. 2, 3 SGB III). Konsequenz ist nicht nur, dass der Arbeitnehmer das Arbeitslosengeld zu einem späteren Zeitpunkt erhält. Vielmehr hat eine solche Sperrzeit ergänzend hierzu zur Folge, dass sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen dieser Sperrzeit, bei einer Sperrzeit von 12 Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die der oder dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht, verkürzt wird (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die vorstehenden Konsequenzen einer Mitwirkung bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags treten nicht ein, wenn der Arbeitnehmer für dieses Handeln einen wichtigen Grund hat10. Wann ein solcher Grund vorliegt, bestimmt das Gesetz selbst zwar nicht. § 159 Abs. 1 S. 3 SGB III hält lediglich fest, dass die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebende Tatsachen darlegen und nachweisen muss, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, bei entsprechenden Vereinbarungen in der betrieblichen Praxis die Leitlinien zu berücksichtigen, die durch die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen fachlicher Weisungen zur Auslegung und Anwendung von § 159 SGB III veröffentlich sind. Dies gilt umso mehr, als die fachliche Weisung zu § 159 SGB III im Dezember 2016 aktualisiert 8 Eingehend auch Niermann, DB 2017, 510 ff. 9 Grimm/Freh, ArbRB 2017, 81 ff. 10 Vgl. Fuhlrott, NZA 2017, 225 f.
307
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
wurde. Konsequenz sind Erleichterungen in Bezug auf die Annahme eines wichtigen Grundes. Dieser soll bei der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auch dann vorliegen, wenn die drohende Arbeitgeberkündigung auf personenbezogene (nicht aber verhaltensbedingte) Gründe gestützt würde. Darüber hinaus steht die Zahlung einer Abfindung der Anerkennung eines wichtigen Grundes selbst dann nicht entgegen, wenn die Untergrenze von 0,25 Monatsgehältern für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit nicht erreicht wird. Im Rahmen der Neufassung der fachlichen Weisung stellt 159.1.2.1 nicht nur klar, dass ein wichtiger Grund für die Eigenlösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht bereits darin zu sehen ist, dass dem Arbeitslosen eine arbeitgeberseitige Kündigung drohte. Nach den aktualisierten Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit liegt ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder einer Eigenkündigung allerdings dann vor, wenn • eine Kündigung durch den Arbeitgeber mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt worden ist, • die drohende Arbeitgeberkündigung auf betriebliche oder personenbezogene (nicht aber verhaltensbedingte) Gründe gestützt würde, • die Arbeitgeberkündigung zu dem selben Zeitpunkt, zu dem das Beschäftigungsverhältnis geendet hat, oder früher wirksam wurde; bei einer einvernehmlichen Freistellung ist das Ende des Arbeitsverhältnisses maßgebend, wenn bis dahin Arbeitsentgelt gezahlt wurde, • im Falle der Arbeitgeberkündigung die Kündigungsfrist eingehalten würde, • der Arbeitnehmer nicht unkündbar war und 1.
eine Abfindung von bis zu 0,5 Monatsgehältern für jedes Jahr des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitnehmer gezahlt wird (in Anlehnung an § 1 a KSchG). In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob die drohende Arbeitgeberkündigung rechtmäßig ist,
oder 2.
der Arbeitslose
a) objektive Nachteile aus einer arbeitgeberseitigen Kündigung für sein berufliches Fortkommen vermieden hat oder
308
Neue fachliche Weisung zu Sperrzeiten beim Aufhebungsvertrag
b) sonstige Gründe darlegt, aus denen er objektiv Nachteile aus einer arbeitgeberseitigen Kündigung befürchten musste. Solche Gründe können Vergünstigungen sein, auf die im Fall der Kündigung kein Anspruch bestanden hätte. Solche Vergünstigungen sind z. B. Abfindungen, die höher sind, als 0,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr und auf die ohne Abschluss des Aufhebungsvertrags kein Anspruch bestanden hätte (z. B. eine um 10 % höhere Abfindung als bei einer Arbeitgeberkündigung). In den Fallgestaltungen nach Nr. 2 a und 2 b kommt es darauf an, dass die drohende Kündigung rechtmäßig wäre.
Für die betriebliche Praxis bietet sich damit die Chance, außerhalb einer verhaltensbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch ohne die Gefahr einer Sperrzeit einvernehmlich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Wichtig ist allerdings, dass die Grenze einer Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsgehältern für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit nicht überschritten wird. Möglich erscheint aber, dass dem wirtschaftlichen Interesse des Arbeitnehmers an einer höheren Ausgleichsleistung durch den späteren Zeitpunkt einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechnung getragen wird. Das (auch) diese Zeit mit einer Freistellung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung verknüpft wird, bewirkt nach den vorstehenden Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit keine Sperrzeit. Vielmehr verzögert dies nur die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und damit auch den Eintritt der Rechtsfolge, durch die ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes überhaupt erst die Sperrzeit ausgelöst wird. Bedauerlicherweise enthält die fachliche Weisung keinen Hinweis, wie Aufhebungsverträge zu behandeln sind, bei denen als Konsequenz eines Sozialplans oder einer sonstigen Betriebsvereinbarung höhere Abfindungen bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags gezahlt werden. Geht man davon aus, dass diese Fälle von der zweiten Gestaltungsvariante erfasst werden, kann eine Sperrzeit nur vermieden werden, wenn gegenüber der Agentur für Arbeit die Rechtmäßigkeit einer alternativen (betriebsbedingten) Kündigung aufgezeigt werden kann. Denkbar wäre allerdings auch hier, dass – mit Zustimmung des Betriebsrats – ein Teil der Abfindung in eine Verlängerung der Kündigungsfrist verwandelt wird. Alternativ könnte der über 0,5 pro Jahr der Betriebszugehörigkeit hinausgehende Betrag außerhalb des Sozialplans als Zuschlag für den Fall gezahlt werden, dass keine Kündigungsschutzklage erheben wird. (Ga)
309
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
4.
Versicherungsrechtliche Beurteilung von beschäftigten Studenten und Praktikanten
Am 23.11.2016 haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung ein aktualisiertes Rundschreiben zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von beschäftigten Studenten und Praktikanten veröffentlich. Es löst die bisherige Fassung des Rundschreibens vom 27.7.2004 ab und findet ab 1.1.2017 Anwendung. Im Wesentlichen sind mit dem Rundschreiben folgende Veränderungen vorgesehen: •
Die Hochschulausbildung i. S. d. Anwendung des Werkstudentenprivilegs wird nicht mehr mit der letzten Prüfungsleistung, sondern mit Ablauf des Monats, in dem der Studierende vom Gesamtergebnis der Prüfungsleistung offiziell schriftlich unterrichtet worden ist, als beendet angesehen.
•
Die Versicherungsfreiheit bei befristeter Beschäftigung muss nicht zwingend auf der Anwendung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit aufgrund des Werkstudentenprivilegs beruhen. Sie kann auch auf die Regelungen zur Versicherungsfreiheit bei geringfügiger (kurzfristiger) Beschäftigung zurückzuführen sein.
•
Die im Zusammenhang mit der Ausübung mehrerer Beschäftigungen im Laufe des Jahres maßgebende 26-Wochen-Regelung wird auf den Ursprung ihrer Bedeutung zurückgeführt. Die 26-Wochen-Regelung dient nicht dazu, eine Versicherungsfreiheit zu begründen. Vielmehr soll sie eine auf der Grundlage des Werkstudentenprivilegs grundsätzlich einzuräumende Versicherungsfreiheit ausschließen.
•
Es wird klargestellt, dass auch bei nur kurzen Unterbrechungen beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium nicht von einem durchgehenden Fortbestehen der Zugehörigkeit zum Personenkreis der ordentlich Studierenden auszugehen ist.
•
Die Ausführungen zu den Teilnehmern an dualen Studiengängen sind aufgrund ihrer seit dem 1.1.2012 geltenden sozialversicherungsrechtlichen Sonderstellung neu gefasst worden.
•
Im Unterschied zur Ausübung einer regulären Beschäftigung wird bei Ableistung eines in der Studien- oder Prüfungsordnung vorgeschriebenen Praktikums während des Urlaubssemesters Versicherungsfreiheit aufgrund des Werkstudentenprivilegs angenommen.
•
Von einem vorgeschriebenen Praktikum ist nicht nur für die in einer Studien- oder Prüfungsordnung vorgeschriebene Mindestdauer des
310
Versicherungsrechtliche Beurteilung von beschäftigten Studenten
Praktikums auszugehen, sondern darüber hinaus auch für den die Mindestdauer überschreitenden Zeitraum, wenn (weiterhin) ein Zusammenhang zwischen dem Praktikum und dem Studium besteht. •
Praktikanten, die ein vorgeschriebenes Vorpraktikum über den Zeitpunkt der Studienaufnahme hinaus in unverändertem Umfang für einen kurzen Zeitraum fortführen, sind weiterhin als Vorpraktikanten und nicht als Zwischenpraktikanten zu behandeln.
Die im alten Rundschreiben enthaltenen Ausführungen, die allein oder vornehmlich auf das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung i. S. d. § 8 SGB IV abzielten, sind in den Rundschreiben zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von beschäftigten Studenten und Praktikanten weitgehend entfallen. Wegen der insoweit maßgeblichen Kriterien sei auf die diesbezüglichen Feststellungen der Sozialversicherungsträger an anderer Stelle verwiesen. Wichtig ist, dass die Änderungen des hier in Rede stehenden Rundschreibens auch dann zur Anwendung kommen, wenn eine Beschäftigung bereits vor dem 1.1.2017 aufgenommen worden ist. Sofern bei der Aufnahme einer Beschäftigung vor dem 1.1.2017 durch die Anwendung der 26Wochen-Regelung nach dem Verständnis des gemeinsamen Rundschreibens in der Fassung vom 27.7.2004 von Versicherungsfreiheit aufgrund des Werkstudentenprivilegs ausgegangen werden durfte, wird dies allerdings für die Dauer dieser Beschäftigung nicht beanstandet. (Ga)
311
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen. Abfindung - Betriebsratsmitglied 283 ff. - Sozialplan 194 f. Abfindungsangebot, Kündigung 192 ff. AGB-Kontrolle - Allgemeine Geschäftsbedingungen 138 f. - Altvertrag 225 ff. - Anwendungsbereich 138 f. - Auslegung 139 - Betriebsrente 213 f. - Bezugnahmeklausel 225 - Gleichstellungsabrede 225 ff. - Individualabrede 138 - Neuvertrag 225 ff. - salvatorische Klausel 124 ff. - Schriftformklausel 138 - Schuldrechtsmodernisierung 225 - Versorgungszusage 213 f. - Vertragsänderung 228 f. AGG - Bewerberbegriff 77 ff. - Entschädigung 83 AGG-Hopper 79 ff. Aktiengesellschaft, Gehaltsgrenze 41 f. Alkohol, Kündigung 163 Allgemeine Geschäftsbedingungen, Auslegung 139 Allgemeinverbindlicherklärung, Tarifvertrag 38 Altersgrenze - Betriebsrente 215 ff. - Betriebsvereinbarung 280 f.
Altersteilzeit, Erholungsurlaub 146 ff. Altvertrag, AGB-Kontrolle 225 f. Änderungskündigung - Bezugnahmeklausel 234 f. - Entgelt 235 f. - Tarifbindung 234 ff., 237 - teleologische Einschränkung 237 Anerkennungstarifvertrag - Bezugnahmeklausel 240 f. - Kündigung 240 f. - Nachwirkung 240 f. Anfechtung, Insolvenz 42 Anhörung, Schwerbehindertenvertretung 183 f. Anpassung, Betriebsrente 218 ff. Anti-Stress-Verordnung, Gefährdungsbeurteilung 43 f. Anzeigepflicht, Arbeitsunfähigkeit 161 f. Arbeiten 4.0 29 ff. - Datenschutz 32 - digitaler Wandel 30 f. - Mitbestimmung 32 - Sozialversicherung 33 - Tarifbindung 32 - Wahlarbeitsgesetz 32 - Weiterbildung 31 Arbeitgeber, Lohnsteuerabzug 303 f. Arbeitnehmer, Anzeigepflicht 110 ff. Arbeitnehmerfreizügigkeit, Unternehmensmitbestimmung 244 f. 313
Stichwortverzeichnis
Arbeitnehmerüberlassung - Anzeigepflicht 110 ff. - Arbeitgeberbezug 70 - Arbeitgeberwechsel 70, 73 f. - Arbeitnehmerbezug 70 - Arbeitnehmerüberlassungsvertrag 68 f. - Arbeitsplatzbezug 70 - Arbeitsvertrag 63 f. - AÜG-Reform 1, 59 ff. - Ausland 46 f., 67 - Begriff 59 ff., 61 f., 66 f. - Betriebsbezug 70 - Betriebsrat 259 ff., 263 ff. - Bezeichnung 62 - Dauer 69 ff. - Deutsches-Rotes-Kreuz 63 f. - Einsatzzeiten 69 ff. - Equal-Pay 74 ff. - Fachliche Weisung 66 ff. - Fallschirmlösung 68 - Festhalteerklärung 68 - grenzüberschreitende 46 f., 67 - Hemmung 71 - Höchstüberlassungsdauer 69 ff. - Kennzeichnungspflichten 68 f. - Konzern 67 f. - Rechtsnachfolge 74 - Schadensersatz 73 f. - Schulung 65 - Statusverfahren Betriebsrat 263 ff. - Streikverbot 68 - Tarifvertrag 72 - Unterbrechung 71 f. - Weisungen 64 f. Arbeitnehmerüberlassungsvertrag 68 f. Arbeitsentgelt, Anfechtung 42 Arbeitslosengeld, Sperrzeit 309
314
Arbeitsmigration, Blaue Karte EU 47 ff. Arbeitsmigration, Drittstaatangehörige 47 ff. Arbeitsort - Direktionsrecht 114 ff. - Versetzung 114 ff. Arbeitsschutz - Erholungsurlaub 143 ff. - Kosten 134 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 273 ff. - persönliche Schutzausrüstung 131 - Umkleidezeiten 131 ff. Arbeitsunfähigkeit → auch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitsunfähigkeit, Anzeigepflicht 161 f. Arbeitsvertrag - AÜG-Reform 59 ff. - Befristung 97 ff. - Begriff 59 ff. - Betriebsrat 263 ff. - Bezeichnung 62 - Bezugnahmeklausel 231 ff. - Eigenart 61 - Eingliederung 61 - Fremdgeschäftsführer 59 - Merkmale 60 ff. - Probezeit 189 ff. - räumliche Lage 61 - salvatorische Klausel 124 ff. - Statusverfahren 263 ff. - Weisungsrecht 61 Arbeitszeit - Arbeitsvertrag - Betriebsratsmitglied 254 ff. - EU-Richtlinie 55 f.
Stichwortverzeichnis
Arbeitszeit - freigestelltes Betriebsratsmitglied 249 ff. - Umkleidezeiten 131 ff. - Vergütungspflicht 132 f., 137 ff. Arbeitszeiterhöhung, Schadensersatz 129 ff. Arbeitszeitwidrige Beschäftigung 137 ff. ArbZG - Geltungsbereich 32 - Wahlarbeitsgesetz 32 Ärztliches Beschäftigungsverbot 19 AufenthG-Änderung 36 Aufhebungsvertrag - Abfindung 307 ff. - Abgrenzung Befristung 196 ff. - Befristungskontrolle 196 ff. - Betriebsratsmitglied 283 ff. - Kennzeichnung 196 ff. - Massenentlassung 160 - Probezeit 196 ff. - Sperrzeit 307 ff. AÜG-Reform 1, 66 ff. Auskunftsanspruch, Entgelttransparenz 5 Ausschreibung, Diskriminierung 79 Außerordentliche Kündigung - Alkohol 163 - Arbeitsverweigerung 175 ff. - Drogen-Konsum 161 ff. - Kassiererin 164 f. - Kündigungserklärungsfrist 165 ff. - Kündigungsgrund 175 f. - LKW-Fahrer 161 ff. - Pfandbon 164 f. - Pflichtverletzung 175 ff. - Prozessbeschäftigung 165
Außerordentliche Kündigung - Rechtsirrtum 178 - Vermögensdelikt 164 ff. - wichtiger Grund 164 f. - Zwei-Wochen-Frist 165 ff.
BDSG-Änderung 22 ff. Befristete Teilzeit 13 f. Befristeter Arbeitsvertrag 97 ff. - Abgrenzung Aufhebungsvertrag 196 ff. - Betriebsänderung 104 ff. - Betriebsschließung 104 ff. - Gesamtdauer 100 ff. - Höchstgrenze 100 ff. - Personalreserve 97 ff. - Rechtsmissbrauch 99 ff. - Sachgrund 97 ff. - sachgrundlose Befristung 102 ff. - Schriftform 108 f. - Tarifvertrag 102 - Vertretung 97 ff. - vorübergehender Bedarf 99, 104 ff. - Zweckbefristung 107 Begünstigung, Betriebsratsmitglied 283 ff. Beherrschungsvertrag, Betriebsrente 218 ff. Behinderung - Begriff 21 f. - Diskriminierung 129 ff. - UN-BRK 21 f. Beitragszusage, BetrAVGÄnderung 29 Benachteiligungsverbot, Entgelttransparenz 5 Berater, Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff. 315
Stichwortverzeichnis
Berechnungsdurchgriff, Betriebsrente 218 ff. Berichterstattung, nichtfinanzielle 33 ff. Berufserfahrung, Diskriminierung 90 ff. Beschäftigtendatenschutz → Datenschutz Beschäftigungsverbot, Mutterschutz 18 f. BetrAVG-Änderung 29 Betrieb, Zutrittsrecht Gewerkschaft 39 Betriebliche Altersversorgung - AGB-Kontrolle 213 f. - aktueller Ehepartner 211 ff. - Altersgrenze 215 ff. - Beherrschungsvertrag 218 ff. - beitragsbezogene Leistungszusage 201 ff. - Beitragsleistung mit Eigenbeiträgen 205 ff. - Beitragszusage 29, 201 ff., 206 - Berechnungsdurchgriff 218 ff. - Betriebsrentenanpassung 218 ff. - Betriebsrentenstärkungsgesetz 29, 202 - Diskriminierung 215 ff. - Einstandspflicht 207 f. - Entgeltumwandlung 29 - Geringverdiener 29 - Hinterbliebenenversorgung 211 ff. - Konzern 218 ff. - Lebenspartnerschaft 215 ff. - Lohnsteuer 29 - Sozialversicherungsfreiheit 29 - Steuerfreibeträge 29 - Umfassungszusage 205 ff. Betriebsänderung - befristeter Arbeitsvertrag 104 ff. 316
Betriebsänderung - Rechtsanwaltskosten 296 ff. Betriebsbegriff, Massenentlassung 157 f. Betriebsrat - Arbeitszeitkonto 249 ff. - Berater 296 ff. - DGB-Position 40 - Entgelttransparenz 4, 7 f. - Konsultationsverfahren 153 ff. - Kostenerstattung 296 ff. - Massenentlassung 153 ff., 160 - Prüfverfahren 10 f. - Rechtsanwaltskosten 296 ff. - Restmandat 291 - Sachverständiger 296 ff. - Sphärentheorie 155 f. - Unklarheiten 287 ff. - Verhandlungsdauer 155 f. - Vertreter 297 f. Betriebsratsanhörung - Ergänzung 191 f. - Kündigung 191 f. - Wiederholung 191 f. Betriebsratsmitglied - Abfindung 283 ff. - Arbeitszeit 254 ff. - Arbeitszeitkonto 249 ff. - Aufhebungsvertrag 283 ff. - Begünstigung 283 ff. - Entgeltfortzahlung 254 ff. - Fahrzeit 252 ff. - Freistellung 249 ff. - Freistellungsanspruch 256 f. - Mehrarbeit 249 ff. - Reisezeit 252 ff. - Ruhezeit 254 ff. - Sonderkündigungsschutz 285 - Überstunden 249 ff. - Vergütungsanspruch 249 ff. - Wegezeit 252 ff.
Stichwortverzeichnis
Betriebsratswahl - gewerkschaftlicher Vorschlag 246 ff. - Wahlvorschlag 246 ff. Betriebsrente → betriebliche Altersversorgung Betriebsrentenstärkungsgesetz 29, 202 Betriebsschließung, befristeter Arbeitsvertrag 104 ff. Betriebsstilllegung, Restmandat 291 Betriebsübergang - Bezugnahmeklausel 231 ff. - Firmentarifvertrag 292 ff. Betriebsvereinbarung - Altersgrenze 280 f. - Anzeigepflicht 13 f. - Auslegung 287 f. - betriebliche Übung 189 - Compliance-System 113 f. - Datenschutz 23, 26 - Falschinformation 229 ff. - Höchstüberlassungsdauer 72 - Information 229 ff. - Klarstellung 290 - Korrektur 287 ff. - Protokollnotiz 289 f. - Rückwirkung 290 - Sonderkündigungsschutz 185 ff. - Sperrwirkung Tarifvertrag 185 ff. - Tarifüblichkeit 185 - Tarifvorbehalt 185 f. - Umdeutung 188 f. - Unwirksamkeit 185 ff. Beweisverwertung, Videoüberwachung 167 ff. Beweisverwertungsverbot 162 ff. Bewerber - AGG-Hopper 79 ff., 89 f.
Bewerber - Alter 79 ff. - Berufsanfänger 79 ff. - Berufserfahrung 79 ff. - Diskriminierung 77 ff. - Entschädigung 83 - objektive Eignung 77, 79 ff. - Rechtsmissbrauch 89 f. Bezugnahme auf Tarifvertrag → Bezugnahmeklausel Bezugnahmeklausel - Änderung 233 ff. - Änderungskündigung 234 ff. - Anerkennungstarifvertrag 240 f. - Arbeitsvertrag 231 ff. - Betriebsübergang 231 ff. - dynamische 233 - große dynamische 242 - kleine dynamische 241 - Richtlinie 2001/23/EG 231 ff. - Share Deal 238 f. - Vorabentscheidung 231 ff. Blaue Karte EU 47 ff. BMAS, Weißbuch Arbeiten 4.0 29 ff. Brexit, Auswirkungen 45 f. Bundesteilhabegesetz (BTHG) 21 f.
Compliance - Anzeigepflicht Arbeitnehmer 110 ff. - Betriebsvereinbarung 113 f. Compliance-ManagementSystem 110 ff. Corporate Social Responsibility 33 ff. CSR-Richtlinie 33
Darlegungs- und Beweislast - Diskriminierung 82 317
Stichwortverzeichnis
Darlegungs- und Beweislast - Entgelttransparenz 8 Datenschutz - Arbeiten 4.0 32 - Begriffsbestimmungen 23 - Beschäftigtenbegriff 24 f. - Beschäftigtendaten 23 ff. - besondere Kategorien 25 - Betriebsvereinbarung 23 - Betriebsvereinbarung 26 - Dateisystem 25 - Datenschutzbeauftragter 28 - Dienstvereinbarung 23 - DSGVO 22 ff. - Einwilligung 26 f. - Entgelttransparenz 7 - Gesundheit 25 - Kollektivvereinbarung 23 - Konzern 25 f. - Krankheit 25 - Mitbestimmung Betriebsrat 272 - Pflichtverletzung 23 f. - Straftat 23 f. - Tarifvertrag 23 - verdeckte Ermittlungen 23 f. - Videoüberwachung 167 ff. - Zweckbindung 27 Datenschutzbeauftragter 28 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 22 ff. DGB-Position, Tarifbindung 37 ff. Dienstvereinbarung, Datenschutz 23 Dienstvertrag - Begriff 59 ff. - Betriebszweck 62 - Bezeichnung 62 - Eingliederung 61 - Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff. - Schulung 65 318
Dienstvertrag - Weisungen 62 f. Dienstwagen - Abrechnung 306 f. - Besteuerung 304 ff. - Eigenbeteiligung Arbeitnehmer 304 ff. - geldwerter Vorteil 304 ff. - Kraftstoffkosten 305 - Nutzungsentgelt 305 - Steuerminderung 304 ff. - Werbungskosten 306 Digitalisierung 30 Direktionsrecht, Arbeitsort 114 ff. Diskriminierung - AGG-Hopper 79 ff. - Alter 79 ff. - Arbeitszeiterhöhung 129 ff. - Ausschreibung 79 - Behinderung 129 ff. - Berufserfahrung 79 ff., 90 ff. - Bewerber 77 ff. - Bewerberbegriff 78 - Darlegungs- und Beweislast 8, 82 - dynamisches Team 83, 90 ff. - Entgeltlücke 1 ff. - Entschädigung 83, 92, 130 - Gewerkschaftsmitgliedschaft 39 - Gewissensfreiheit 95 - junges Team 83, 90 ff. - Junior 91 - Kopftuch 94 ff. - Lebenspartnerschaft 215 ff. - Massenentlassung 151 ff. - muslimischer Glaube 94 ff. - objektive Eignung 79 ff. - Rechtfertigung 85 - Rechtsmissbrauch 89 f. - Religion 94 ff. - Schadensersatz 92, 130
Stichwortverzeichnis
Diskriminierung - Stellenausschreibung 79 ff. - vergleichbare Situation 77 - Vermutung 131 - Weltanschauung 95 Drogen-Konsum, Kündigung 161 ff. DSAnpUG-EU 22 ff. Duales Studium, Sozialversicherung 310
Eingliederung - Arbeitsvertrag 61 - Mitbestimmung Betriebsrat 262 f. Einigungsstelle, Fachkraft Arbeitssicherheit 273 ff. Einstellung, Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff. Einwilligung, Datenschutz 26 f. Elternurlaub → Elternzeit Elternzeit - Arbeitszeitflexibilisierung 54 - EU-Richtlinie 51, 52 f. - Kündigungsschutz 54 - Massenentlassung 151 ff. Entgelt - Diskriminierung 1 ff. - gleichwertige Tätigkeit 3 - Transparenz → Entgelttransparenz Entgeltbenachteiligung 2 ff. Entgeltfortzahlung, Betriebsratsmitglied 154 ff. Entgeltlücke 1 Entgelttransparenz - Auskunftsanspruch 5 ff. - Auskunftserteilung 6 ff. - Benachteiligungsverbot 5 - Betriebsbezug 5 - Betriebsrat 4, 7 f.
Entgelttransparenz - Beweislastumkehr 8 f. - Datenschutz 7 - Frist 8 - gleichwertige Tätigkeit 3, 9 - ILO-Leitfaden 11 - Lagebericht 12 - Leiharbeitnehmer 5 f. - Maßregelungsverbot 5 - Prüfverfahren 10 ff. - Sachleistungen 7 - Tarifvertragsparteien 7 f. - Vergleichsentgelt 5 - Vergleichstätigkeit EntgTranspG 1 ff. Entschädigung, Diskriminierung 83 Entsende-Richtlinie, Änderung 46 f. Equal-Pay - AÜG 74 ff. - Entgeltbegriff 76 - Entgeltbestandteile 74 - Gesamtvergleich 75 - Tarifvertrag 75 f. - Vergleichsentgelt 74 f. Equal-Treatment, Tarifvertrag 75 f. Erholungsurlaub - Altersteilzeit 146 ff. - Arbeitsschutz 143 ff. - Freistellungsphase 146 ff. - Inanspruchnahme 143 ff. - Initiativlast Arbeitgeber 143 ff. Ermessen, Versetzung 114 ff. EU-Richtlinie - Arbeitsschutz 144 ff., 274 - Arbeitszeit 6 f. - Arbeitszeitflexibilisierung 54 - Beruf und Privatleben 51 ff. - Betriebsübergang 231 ff. - CSR-Richtlinie 33 - Drittstaatsangehörige 47 ff. 319
Stichwortverzeichnis
EU-Richtlinie - Elternzeit 51 f. - Entsende-Richtlinie 46 f. - Gleichbehandlung 80, 94 - ICT-Richtlinie 36 - Kündigungsschutz 54 - Nachweis-Richtlinie 50 f. - Pflege Angehörige 53 - REST-Richtlinie 36 - Richtlinie 2009/50/EG 47 - Richtlinie 2001/23/EG 231 ff. - Saisonarbeitnehmer 36 - Vaterschaftsurlaub 52 Europäische Säule sozialer Rechte 56 f.
Facebook, Mitbestimmung Betriebsrat 265 ff. Fachkraft Arbeitssicherheit 271 ff. - Einigungsstelle 273 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 275 f. - überbetrieblicher Dienst 273 ff. - Unionsrecht 274 Fachliche Weisung - AÜG-Reform 66 ff. - Massenentlassung 156 ff. - Sperrzeit 307 ff. Fahruntauglichkeit, Anzeigepflicht 161 f. Fahrzeit, Betriebsratsmitglied 252 ff. Falschinformation, Schadensersatz 229 ff. Feiertagsarbeit, Mutterschutz 15 f. Firmentarifvertrag - Auslegung 294 f. - Betriebsübergang 292 ff. - Geltungsbereich 294 f. - Gesamtrechtsnachfolge 292 ff., 295 f. 320
Firmentarifvertrag - Tarifeinheit 296 - Tarifkonkurrenz 296 - Tarifpluralität 296 - Umwandlung 292 ff. - Verschmelzung 292 ff. Freigestelltes Betriebsratsmitglied, Arbeitszeit 249 ff. Freistellung, Stillzeiten 16 Freistellungsphase, Altersteilzeit 146 ff. Fremdgeschäftsführer, Arbeitsvertrag 59 Fremdgeschäftsführerin, Mutterschutz 15 Fremdpersonal, Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff.
Gefährdung, Mutterschutz 17 Gefährdungsbeurteilung - Anti-Stress-Verordnung 43 f. - Beschäftigungsverbot 18 f. - Dokumentationspflichten 17 ff. - Gefährdung 17 - Mutterschutz 16 ff. - psychische Belastung 43 f. Gendergerechtigkeit 1 Gender-Pay-Gap 1 Gesamtbetriebsrat, Entgelttransparenz 4 Geschäftsführung, Gehaltsgrenze 41 f. Gewerkschaft - Wahlvorschlag 246 ff. - Zutrittsrecht 39 Gewerkschaftsmitglied, Begünstigung 39 Gewerkschaftsmitgliedschaft, DGBPosition 39 Gleichbehandlung, Umkleidezeiten 135 f.
Stichwortverzeichnis
GmbH, Fremdgeschäftsführer 59 Google Maps, Mitbestimmung Betriebsrat 271 Grenzüberschreitende Leiharbeit 46 f. Große dynamische Bezugnahmeklausel 242
Haustarifvertrag → Firmentarifvertrag Hinweisgebersystem 110 ff. - AÜG 69 ff. - Berechnung 70 f. - Betriebsvereinbarung 72 - Tarifvertrag 72
ICT-Richtlinie 36 Individualabrede, AGBKontrolle 138 Insolvenz, Anfechtung 42 Interessenausgleich, Rechtsanwaltskosten 296 ff. ISO 26.000 35
Kennzeichnung, Aufhebungsvertrag 196 ff. Kirchen, Tarifvertrag 41 Klageverzicht, Sozialplan 194 ff. Kleine dynamische Bezugnahmeklausel 241 Konzern - Arbeitnehmerüberlassung 67 f. - ausländische Tochtergesellschaften 243 ff. - Beherrschungsvertrag 218 ff. - Betriebsrente 218 ff. - Datenschutz 25 f. - Streikverbot 68 Konzernbetriebsrat, Entgelttransparenz 4 Kopftuch, Diskriminierung 94 ff.
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Personalgespräch 119 ff. Kündigung - Abfindungsangebot 192 ff. - Alkohol 163 - Anerkennungstarifvertrag 240 f. - Anhörung Betriebsrat 191 f. - Betriebsrat 191 ff. - Betriebsratsanhörung 191 f. - Drogen-Konsum 161 ff. - Mutterschutz 19 f. - Prozessbeschäftigung 165 - Rechtsirrtum 178 - Schwerbehindertenvertretung 21, 182 ff. - schwerbehinderter Arbeitnehmer 21, 179 ff. - SGB IX-Änderung 182 ff. - unbekannte Behinderung 179 ff. - Vermögensdelikt 164 ff. - Videoüberwachung 167 ff. - Vorbereitungshandlung 19 f. Kündigungsfrist - Probezeit 189 ff. - Sperrzeit 309 Kündigungsschutz - Mutterschutz 19 f. - Vorbereitungshandlung 19 f.
Lagebericht -
Arbeitnehmerbelange 34 Entgelttransparenz 12 Geschlechtergleichstellung 12 Menschenrechte 34 Nachhaltigkeitsindex 35 nichtfinanzielle Berichterstattung 33 ff. - Sozialstandards 35 - Umweltbelange 34 321
Stichwortverzeichnis
Lebenspartnerschaft - Betriebsrente 215 ff. - Diskriminierung 215 ff. Leiharbeit → Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer, Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff., 263 ff. LKW-Fahrer - Alkohol 163 - Drogen 161 ff. Lohnsteuerabzug 303 f.
Managergehälter 41 f. Massenentlassung - Aufhebungsvertrag 160 - Betriebsbegriff 157 f. - Betriebsrat 153 ff. - Diskriminierung 151 ff. - Elternzeit 151 ff. - fachliche Weisung 156 ff. - Formulare 159 f. - Konsultationsverfahren 153 ff. - Mutterschutz 151 ff. - Nachkündigung 153 f. - Schriftform 154 f., 158 - schwangere Arbeitnehmerin 151 ff. - Schwellenwert 151 ff., 158 - schwerbehinderte Arbeitnehmer 151 ff. - Sphärentheorie 155 f. - Stellungnahme Betriebsrat 160 - Textform 154 f. - Verhandlungsdauer 155 f. - Wiederholungskündigung 153 f. Massenentlassungsanzeige, Formerfordernis 158 f. Maßregelungsverbot, Entgelttransparenz 5 Masterstudium, Sozialversicherung 310 322
Mehrarbeit - Betriebsratsmitglied 249 ff. - Mutterschutz 15 f. Migration 36 Mitbestimmung Betriebsrat - Adressatenkreis 279 - Altersgrenze 280 f. - Arbeitsschutz 273 ff. - Berater 259 ff. - Datenschutz 272 - Dienstvertrag 259 ff. - Dotierung 279 - Eingliederung 262 f. - Einstellung, 259 ff. - Entgelt 276 ff., 279 - Excel 271 - Facebook 265 ff. - Fachkraft Arbeitssicherheit 273 ff. - Fremdpersonal 259 ff. - Gehaltsanpassung 279 - Gehaltserhöhung 279 - Google Maps 271 - Kündigung 191 f. - Leiharbeitnehmer 259 ff., 263 ff. - Leistungsdaten 265 ff. - Massenentlassung 153 ff. - Personalplanung 257 ff. - Persönlichkeitsrecht 271 - Postings 269 ff. - Social Media 265 ff. - Statusverfahren 263 ff. - Tariflohnerhöhung 276 ff. - technische Einrichtung 265 ff. - Überwachungseinrichtung 267 - Unterlassungsanspruch 272 - Verhaltensdaten 265 ff. - Videoüberwachung 173 ff. - Werkvertrag 259 ff. - Word 271
Stichwortverzeichnis
MuSchArbV-Änderung 14 MuSchG - Änderung 14 ff. - Anwendungsbereich 15 - Aushang 20 - Bußgeldvorschriften 20 Mutterschutz - ärztliches Beschäftigungsverbot 18 f., 19 - Feiertagsarbeit 15 f. - Fremdgeschäftsführerin 15 - Gefährdung 17 - Gefährdungsbeurteilung 16 ff. - Kündigungsschutz 19 f. - Massenentlassung 151 ff. - Mehrarbeit 15 f. - Nachtarbeit 15 f. - Praktikantin 15 - psychische Belastung 16 f. - Sonntagsarbeit 15 f. - Überstunden 15 f.
Nachbindung, Tarifvertrag 38 Nachhaltigkeitsindex, Lagebericht 35 Nachtarbeit, Mutterschutz 15 f. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot, salvatorische Klausel 124 ff. Nachweis-Richtlinie 50 f. Nachwirkung - Anerkennungstarifvertrag 240 f. - Tarifvertrag 240 f. - Tarifvertrag 38 Nichtfinanzielle Berichterstattung 33 ff.
Objektive Eignung, Bewerber 77 Öffentliche Auftragsvergabe 43
OT-Mitgliedschaft, DGBPosition 37
Pay Gap 1 Personalgespräch - Anordnung 119 ff. - krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit 119 ff. Personalplanung - Unterlagen 257 f. - Unterrichtung Betriebsrat 257 - Vorschläge 258 f. Pflegeangehörige - Arbeitszeitflexibilisierung 54 - EU-Richtlinie 53 - Kündigungsschutz 54 Pflichtverletzung, Anzeigepflicht 110 ff. Praktikant, Sozialversicherung 310 f. Probezeit - Arbeitsvertrag 189 ff. - Aufhebungsvertrag 196 ff. - Kündigungsfrist 189 ff. Protokollnotiz - Betriebsvereinbarung 289 f. - Sozialplan 289 f. Prozessbeschäftigung, Kündigung 165 Prüfverfahren, Entgelttransparenz 10 ff.
Rechtsanwaltskosten, Betriebsänderung 297 ff. Rechtsirrtum, Kündigung 178 Regelverstoß, Anzeigepflicht Arbeitnehmer 110 ff. Reisezeit, Betriebsratsmitglied 252 ff. Religion, Diskriminierung 94 ff. 323
Stichwortverzeichnis
Restmandat - Betriebsrat 291 - Betriebsstilllegung 291 REST-Richtlinie 36 Restrukturierung, Rechtsanwaltskosten 296 ff. Ruhezeit, Betriebsratsmitglied 254 ff.
Sachgrundlose Befristung, Tarifvertrag 102 ff. Saisonarbeitnehmer-Richtlinie 36 Salvatorische Klausel, AGBKontrolle 124 ff. Säule sozialer Rechte 56 f. Schadensersatz, Falschinformation 229 ff. Scheindienstvertrag 59 ff. Schriftform - befristeter Arbeitsvertrag 108 f. - Massenentlassung 154 f., 158 f. Schriftformklausel, AGBKontrolle 138 Schwangerschaft, Massenentlassung 151 ff. SchwarzArbG-Änderung 43 Schwellenwert - Massenentlassung 151 ff., 158 - Unternehmensmitbestimmung 243 ff. Schwerbehinderte Arbeitnehmer, Massenentlassung 151 ff. Schwerbehindertenvertretung - Anhörung 183 f. - Beteiligung Kündigung 21, 182 ff. - Büropersonal 21 - Freistellung 21 - Kündigung 182 ff., - Schulung 21 - Übergangsmandat 21 324
Schwerbehindertenvertretung - Vertrauensleute 21 Schwerbehinderter Arbeitnehmer - Kündigung 21, 179 ff. - Verwirkung 180 SGB IX-Änderung 182 ff. Share Deal, Bezugnahmeklausel 238 f. Social Media, Mitbestimmung Betriebsrat 265 ff. Sonderkündigungsschutz, Betriebsvereinbarung 185 ff. Sonntagsarbeit, Mutterschutz 15 f. Sozialplan - Auslegung 287 f. - Klageverzicht 194 ff. - Korrektur 287 ff. - Protokollnotiz 289 f. - Rechtsanwaltskosten 296 ff. - Sperrzeit 309 - Unklarheiten 287 ff. - Vorruhestand 287 ff. Sozialversicherung - Praktikant 310 f. - Student 310 f. Sperrzeit - Abfindung 307 ff. - Aufhebungsvertrag 307 ff. - Fachliche Weisung 307 ff. - Kündigungsfrist 309 - Sozialplan 309 - wichtiger Grund 307 Statusverfahren, Mitbestimmung Betriebsrat 263 ff. Stellenausschreibung, Diskriminierung 79 ff. Stillzeiten, Freistellung 16 Streikverbot, Konzern 68 Student, Sozialversicherung 310 f.
Tarifanwendender Arbeitgeber 2
Stichwortverzeichnis
Tarifgebundener Arbeitgeber 2 Tariflohnerhöhung - Mitbestimmung Betriebsrat 276 ff. - zweistufige 276 ff. Tariftreue, DGB-Position 38 Tarifvertrag - Allgemeinverbindlicherklärung 38 - Arbeiten 4.0 32 - arbeitnehmerähnliche Person 40 - Arbeitnehmerüberlassung 72 - Auslegung 40 - Bezugnahmeklausel 2, 225, 231 ff. - Datenschutz 23 - Equal-Pay 75 f. - Equal-Treatment 75 f. - Falschinformation 229 ff. - Gleichstellungsabrede 225 ff. - Höchstüberlassungsdauer 72 - Information 229 ff. - Kirchen 41 - Mindestschutz 37 - Nachbindung 38, 240 f. - Nachwirkung 38 - OT-Mitgliedschaft 37 - sachgrundlose Befristung 102 ff. - Umkleidezeiten 133 ff. - Umwandlung 37 - Verbandsklagerecht 38 Tarifvorbehalt, Betriebsvereinbarung 185 f. Teilzeit, befristete 13 f. TzBfG-Änderung 13 f.
Übergangsmandat, Schwerbehindertenvertretung 21 Überstunden - Betriebsratsmitglied 249 ff.
Überstunden - Mutterschutz 15 f. Umdeutung, Betriebsvereinbarung 188 Umkleidezeiten - Arbeitsschutz 131 ff. - Gleichbehandlung 135 - Tarifvertrag 133 ff. - Vergütungspflicht 131 ff. Umwandlung - Firmentarifvertrag 292 ff. - Tarifvertrag 37 UN-BRK, Behinderung 21 f. UN-Global-Compact 35 Unternehmensmitbestimmung - Arbeiten 4.0 32 - Arbeitnehmerfreizügigkeit 244 f. - ausländische Tochtergesellschaften 243 ff. - Schwellenwerte 243 ff. - Staatsangehörigkeit 243
Vaterschaft, Arbeitszeitflexibilisierung 54 Vaterschaftsurlaub - EU-Richtlinie 52 - Kündigungsschutz 54 Verbandsklagerecht, Tarifvertrag 38 Verdeckte Ermittlungen 23 f. Vergabeverfahren, SchwarzArbG 43 Vergleichsentgelt, Entgelttransparenz 5 Vergütung, Betriebsratsmitglied 249 ff. Vermögensdelikt, Kündigung 164 ff. Verschmelzung, Firmentarifvertrag 292 ff. 325
Stichwortverzeichnis
Verschulden, Rechtsirrtum 178 Versetzung, Ermessensspielraum 114 ff. Versetzung, Ortsänderung 114 ff. Verwirkung, Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderung 179 ff. Videoüberwachung - Beweisverwertung 167 ff. - Datenschutz 167 ff. - Kündigung 167 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 173 f. Vorpraktikum, Sozialversicherung 310 Vorruhestand, Sozialplan 287 ff. Vorstand, Gehaltsgrenze 41 f.
Wegezeit, Betriebsratsmitglied 252 ff. Weißbuch, Arbeiten 4.0 29 ff. Weisungsrecht, Arbeitsvertrag 61 Werkvertrag - Begriff 59 ff. - Betriebszweck 63 - Bezeichnung 62 - Eingliederung 61 - Mitbestimmung Betriebsrat 259 ff. - Schulung 65 - Weisungen 64 f. Wettbewerbsverbot, salvatorische Klausel 124 ff. Wichtiger Grund, außerordentliche Kündigung 164 f.
Wahlvorschlag,
Zweckbindung, Datenschutz 27
Gewerkschaft 246 ff.
326