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German Pages [333] Year 2019
Tiefe
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2019
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Tiefe
Band 1/2019
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Tiefe
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2019, S. ...
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Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0948-2369 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
Vorwort Das Frühjahr ist von vielen Neuerungen und geplanten Veränderungen für das Arbeitsrecht geprägt. In Kraft getreten sind u. a. die Änderungen zur Brückenteilzeit, zur Abrufarbeit und Tarifeinheit, zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, zur Beseitigung der Altersgrenze in § 622 BGB, zur Abschaffung der Gleitzone, zur Öffnung der Betriebsverfassung für Luftfahrtunternehmen und zu der Einbindung des diversen Geschlechts in den Personenstand. Kurz vor der Verabschiedung steht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Für den Herbst sind gesetzliche Maßnahmen zur Klarstellung bei befristeten Arbeitsverträgen, zur elektronischen AU-Bescheinigung, zur Dynamisierung der Mini-Jobs, zur Ausweitung der Nachunternehmerhaftung bei den Paketzustellern, zur Einschränkung der Bürgenhaftung beim Mindestlohn und zu Dokumentationspflichten im Bereich der Arbeitszeit geplant. Diese sollen die Vorgaben des EuGH aus dem Urteil vom 14.5.2019 umsetzen und Vertrauensarbeitszeit weiterhin zulassen. Ohne eine Aufzeichnung der Arbeitszeit, selbst wenn sie auf Arbeitnehmer delegiert wird, dürfte dies allerdings unionsrechtskonform nicht möglich sein. Auf Europäischer Ebene gilt es, sich mit den neuen Richtlinien zum Schutz von Whistleblowern, über transparente Arbeitsbedingungen und zur WorkLife-Balance zu befassen, die erstmals einen Vaterschaftsurlaub bringen wird. Alle Vorgaben werden zu gesetzlichen Änderungen führen. Dabei steht der Bereich der Compliance vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Vorgaben aus der EU-Richtlinie und dem GeschGehG innerhalb der unternehmens- oder konzernbezogenen Hinweisgebersysteme umzusetzen. In diesem Zusammenhang sollte auch den Auskunftsansprüchen von Arbeitnehmern aus der DSGVO Rechnung getragen werden, mit denen sich das LAG Baden-Württemberg befasst hat. Auf arbeitsvertraglicher Ebene helfen neue Klarstellungen zur Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Beschäftigung, zur Projektbefristung und zur Verlängerung von Arbeitsverträgen über die Altersgrenze hinaus. Entsprechendes gilt für die Entscheidungen des BAG zur Vergütung von Reisezeiten, der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten – ggf. auch von Frauen – bei Mehrarbeitszuschlägen, wie sie vor allem in Tarifverträgen vorgesehen sind. Hier besteht erheblicher Anpassungsbedarf, der zu Mehrkosten führen wird. Ergänzend hierzu muss die Praxis sicherstellen, dass die veränderte Rechtsprechung zur Gewährung von Urlaubsansprüchen, der Abwicklung von Wertguthaben bei Altersteilzeit und Sabbatical sowie zur Kürzung bei Elternzeit umgesetzt wird. Im Bereich der Vertragsbeendigung gehören hierzu V
Vorwort
auch das „Gebot fairen Verhandelns“, die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen und neue (umstrittene) Ideen zur Massenentlassung. Wenn betriebliche Altersversorgung auf unternehmensbezogener Ebene gewährt wird, sollte geprüft werden, ob die bestehenden Regelungen zum Altersabstand und zur Mindestehedauer angemessen und mit dem Verbot einer Altersdiskriminierung vereinbar sind. In der Betriebsverfassung stehen weiter Vergütungsansprüche sowie Ansprüche des Betriebsrats auf Sach- und Reisekosten im Vordergrund. Außerhalb dieser Fragestellungen helfen Feststellungen der Rechtsprechung zur Überlassung von Entgeltlisten, zur Mitbestimmung bei Mitarbeiterbefragungen und zum Einigungsstellenverfahren bei teilmitbestimmten Angelegenheiten. Neue Feststellungen zur Aufhebung einer Personalmaßnahme zeigen, welche Risiken der Verzicht auf eine Beteiligung des Betriebsrats bei Einstellung oder Versetzung hat. Im Zusammenhang mit Betriebsänderungen erlaubt auch das BVerfG die Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Benachteiligung von nichtorganisierten Arbeitnehmern auch aus Betriebsratssicht durchsetzt, steht sie doch im Widerspruch zur negativen Koalitionsfreiheit und zur gewerkschaftlichen Neutralität der Betriebsverfassung. Hingewiesen sei an dieser Stelle darüber hinaus auf die ergänzenden Feststellungen zum Gestaltungsspielraum bei der Sozialauswahl und der Kündigung einer nach Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB fortgeltenden Betriebsvereinbarung. Sozialversicherungsrechtlich war von den Entscheidungen des BSG zum Arbeitsunfall im Homeoffice und zur Berechnung des ALG-Anspruchs nach unwiderruflicher Freistellung des Arbeitnehmers zu berichten. Damit hat das BSG seine eigene Rechtsprechung bzw. die Praxis der Agentur für Arbeit verändert. Ganz herzlich danke ich Herrn Dietrich Boewer (Boe) für seine erneut außerordentlich kompetente, praxisnahe und engagierte Kommentierung der aktuellen Rechtsentwicklung. Ebenso sei Frau Linda Kriebel Volk (Kr), Julia Kunzmann (Ku), Frau Anna Maria Miklaszewska, Frau Christin Rögels, Frau Elisa von der Thüsen und Frau Doris Hensch gedankt, die mit hohem Einsatz und mit Flexibilität in diesem Frühjahr die Grundlage dafür gesetzt haben, erneut eine umfassende Darstellung der Rechtsentwicklung im ersten Halbjahr 2019 zu erstellen. Köln, im Juni 2019
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort........................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................ XVII
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................1
1.
Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts und zur Einführung einer Brückenteilzeit..........................................................1
2.
Gesetz zur Stärkung der Qualifizierung und mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung ...............................................................2
3.
Gesetzliche Änderungen zur personenstandsrechtlichen Registrierung des Geschlechts ..............................................................4
4.
Neuregelung zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bestimmungen zur Tarifeinheit .......................................6
5.
Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb ......................................8 a) Einführung .....................................................................................8 b) Die betriebsverfassungsrechtliche Kennzeichnung des „Betriebs“ ......................................................................................9 c) Gestaltungsspielraum aufgrund der gesetzlichen Neuregelung im Luftfahrtunternehmen ....................................... 11 d) Auswirkungen der betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsstruktur für das Tarifrecht im Luftfahrtunternehmen ..................................................................12 e) Fazit .............................................................................................15
6.
Änderungen der sozialversicherungsrechtlichen „Gleitzone“ in „Übergangsbereich“........................................................................16
7.
Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ................................17 a) Kennzeichnung eines Geschäftsgeheimnisses .............................17
VII
Inhaltsverzeichnis
b) Rechtfertigungsgründe für die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen ................................................................19 c) Rechtsfolgen bei rechtswidrigem Umgang mit Geschäftsgeheimnissen ................................................................21 8.
Streichung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ..............................................21
9.
Gesetzliche Erleichterung einer Kündigung von Risikoträgern und Risikoträgerinnen in Banken .......................................................22
10.
Übergangsregelungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit nach dem Wirksamwerden des Brexits ...............................................................23
11.
Anpassung des Arbeitszeitrechts an die EuGHRechtsprechung zur Dokumentation und sonstige Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt .............................24 a) Aktuelle Überlegungen der Bundesregierung .............................24 b) Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen................26
12.
Anhebung und Dynamisierung der Verdienstgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung ..............................................................28
13.
Eckpunkte des BMAS für die Umsetzung der Entsenderichtlinie ...............................................................................29 a) b) c) d)
Ausgangssituation ........................................................................29 Gleicher Lohn für gleiche Arbeit .................................................29 Bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen ...................................30 Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf Arbeitsentgeltansprüche ..............................................................31 e) Ergänzende Maßnahmen zum Schutz langzeitentsandter Arbeitnehmer ...............................................................................31 f) Information über die für Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer in Deutschland geltenden Arbeitsbedingungen .....................................................................32 g) Schutz vor Ausbeutung durch faire Mobilität .............................33 h) Fazit .............................................................................................33 14.
Einführung einer einheitlichen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung......................................................33
15.
Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland ...................................34
VIII
Inhaltsverzeichnis
16.
Gesetzliche Regelungen zur Beschränkung des Gestaltungsspielraums bei Managergehältern ....................................36 a) Orientierung der Managergehälter am langfristigen Unternehmenserfolg ....................................................................36 b) Gesetzliche Beschränkung der Managergehälter ........................38 c) Ablehnung der Gesetzesentwürfe ................................................38
17.
Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit – Vorschläge der SPD zu weiteren Reformen im Arbeitsrecht ....................................................39
18.
Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ..............................41
19.
Gesetzliche Initiativen zum Schutz vor einer Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts .................................43
20.
Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch ..................................................................44
21.
Arbeitsbezogene psychische Belastungen in Deutschland .................44
22.
Nachunternehmerhaftung für Paketdienstleister ................................45
23.
Einschränkung der Bürgenhaftung beim Mindestlohn .......................45
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht.............47
1.
Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen ............................................................................47 a) b) c) d) e) f)
Anwendungsbereich der Richtlinie .............................................47 Katalog der nachzuweisenden Arbeitsbedingungen ....................48 Form und Zeitpunkt des Nachweises ..........................................49 Nachweis über Kollektivvereinbarungen ....................................49 Höchstdauer einer Probezeit ........................................................50 Zulässigkeit einer Nebentätigkeit bzw. Mehrfachbeschäftigung ...............................................................50 g) Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit ............................................51 h) Übergang zu einer anderen Arbeitsform ......................................51 i) Fazit .............................................................................................51 2.
Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde ..................................52
3.
Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie) ...............................53
IX
Inhaltsverzeichnis
a) b) c) d) e) f) g) h)
Ausgangssituation ........................................................................53 Anwendungsbereich der Richtlinie .............................................54 Allgemeine Voraussetzungen und Begriffsbestimmungen ..........55 Interne Meldungen und Folgemaßnahmen ..................................57 Externe Meldungen und Folgemaßnahmen .................................60 Regelungen zum Schutz von Whistleblowern .............................62 Regelungen zum Schutz der Betroffenen ....................................67 Umsetzung der Richtlinie ............................................................68
4.
Neue Entwicklungen zur A1-Bescheinigung......................................68
5.
Richtlinie zur Work-Life-Balance ......................................................69 a) b) c) d) e) f)
Geltungsbereich ...........................................................................69 Vaterschaftsurlaub .......................................................................70 Elternurlaub .................................................................................70 Arbeitsfreistellung zur Pflege von Angehörigen .........................71 Flexibilisierung der Beschäftigung..............................................72 Kündigungsschutz .......................................................................72
6.
Ethische Grundsätze bei der Einführung und Anwendung von künstlicher Intelligenz ........................................................................73
7.
Notfallmaßnahmen im Bereich der Koordinierung der sozialen Sicherheit nach dem Brexit ..................................................74
8.
Empfehlung des Rats zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige..........................................................74
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ................................77
1.
Kennzeichnung relevanter Vorbeschäftigungen für sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG ...........................77
2.
Befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über Altersgrenze hinaus ............................................................................82
3.
Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Teilnahme an einem Projekt ......................................................................................83
4.
Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgabe einer schriftlichen Stellenbeschreibung .......................................................86
X
Inhaltsverzeichnis
5.
Nochmals: AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen bei AltVerträgen .............................................................................................89
6.
Beweiswert einer über Internet und WhatsApp erlangten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung......................................................95
7.
Keine Entschädigung für AGG-Hopper .............................................98
8.
Anspruch des Arbeitnehmers auf Auskunft über die beim Arbeitgeber gespeicherten Leistungs- und Verhaltensdaten.............101 a) Anspruch auf Einsichtnahme in Personalakte ...........................102 b) Anspruch auf Auskunft und Überlassung einer Kopie aus Art. 15 DSGVO .........................................................................103 c) Fazit ...........................................................................................104
9.
Datenschutzrechtliche Schranken der Einsichtnahme in private E-Mails .................................................................................105
10.
Unzulässige Abwerbemaßnahmen während des Arbeitsverhältnisses ..........................................................................109
11.
Kein Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Statusprüfung vor arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzung über die Kennzeichnung als Arbeitsverhältnis ................................. 111
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub .......................................... 113
1.
Allgemeine Pflicht zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit – Ende der Vertrauensarbeitszeit? .................................. 113
2.
Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifvertragliche Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen ................. 117
3.
Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung ...............................123 a) Betriebliche Übung – Entgelterhöhung .....................................125 b) Keine betriebliche Übung bei rechtsirrtümlicher Erfüllung individual- oder kollektivrechtlicher Regelungen ................................................................................127
4.
Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten ...............130 a) Grundsätzliche Kennzeichnung vergütungspflichtiger Reisezeit .....................................................................................130 b) Vergütung von Reisezeit bei Auslandsentsendung ....................131 c) Reisezeiten zu Fortbildungen ....................................................136 XI
Inhaltsverzeichnis
d) Handlungsoptionen und -risiken in der betrieblichen Praxis .........................................................................................137 5.
Präklusion durch Begründung der Ablehnung einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit ..................................138
6.
Urlaub und Urlaubsentgelt bei der Abwicklung von Wertguthabenvereinbarungen (z. B. Altersteilzeit, Sabbatjahr) .......140
7.
Urlaubsentgelt im Zusammenhang mit Kurzarbeit ..........................146
8.
Klarstellungen des BAG zu den Obliegenheiten des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Übertragung des Erholungsurlaubs ..............................................................................151
9.
Endlich: Kein Urlaub nach unbezahltem Sonderurlaub ...................155
10
Zulässige Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Elternzeit ..........159
11.
Anspruch auf Altersfreizeit bei Teilzeitbeschäftigung .....................163
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................... 165
1.
Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige.........................................165
2.
Konsequenzen des unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Darlegungs- und Beweislast .........................................................................................167
3.
Das „Gebot fairen Verhandelns“ beim Abschluss von Aufhebungsverträgen........................................................................171
4.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen ....................................................................................175
5.
Außerordentliche Kündigung bei gemeinsam fehlerhaft ausgefüllten Überstundenformularen ...............................................180
6.
Schranken für die kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten der Kirchen .............................................................184
7.
Feststellung des Zugangs einer Kündigung bei der Vorbereitung eines Kündigungsschutzprozesses ..............................189
XII
Inhaltsverzeichnis
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ....................................................................... 195
1.
Angemessenheit einer Altersabstandsklausel im Bereich der betrieblichen Altersversorgung .........................................................195
2.
Hinterbliebenenversorgung: Mindestehedauer als unangemessene Benachteiligung ......................................................199
3.
Anrechnung einer Pensionskassenrente auf Direktversicherung ...........................................................................203
G.
Tarifrecht ........................................................................................207
1.
Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz .........................................207
2.
Streikbruchprämie als zulässiges Arbeitskampfmittel...................... 211
3.
Inhalt und Rechtsfolgen des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG .................................................................................216
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung.................................223
1.
Gewährung einer pauschalierten Zulage für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit an Betriebsratsmitglieder ..........223
2.
Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit .........................................................................................227
3.
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Erstattung von Reisekosten .......................................................................................230
4.
Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über Verhandlungspflichten der Betriebsparteien.....................................232
5.
Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch Regelungsabrede .......235
6.
Entgelttransparenz: Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung von Entgeltlisten ..........................................................236
7.
Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle von Fremdpersonal ..................................................................................240
8.
Aufhebung einer Personalmaßnahme ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats .............................................................241
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Twitter-Account des Arbeitgebers......................................................................................244 XIII
Inhaltsverzeichnis
10.
Mitbestimmung des Konzernbetriebsrats bei Mitarbeiterbefragung ........................................................................249
11.
Durchführung eines freiwilligen Einigungsstellenverfahrens in teilmitbestimmter Angelegenheit .................................................252
12.
Keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten zur Durchsetzung des durch den Betriebsrat abgetretenen Kostenerstattungsanspruchs .....................255
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ...............................259
1.
Beurteilungsspielraum bei Auswahlentscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl ...............................................................259
2.
Zulässige Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Tarifsozialplan ..................................................................................262
3.
Anrechnung des Nachteilsausgleichsanspruchs auf eine Sozialplanabfindung .........................................................................266
4.
Kündigung einer nach Betriebsübergang fortgeltenden Betriebsvereinbarung ........................................................................267 a) Ausgangssituation ......................................................................267 b) Rechtsnatur der Fortgeltung als Inhalt des Arbeitsverhältnisses ...................................................................268 c) Einjährige Änderungssperre ......................................................269 d) Kündigung der als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Betriebsvereinbarung ..........................................269 e) Fazit ...........................................................................................273
5.
Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses .......................................273
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................277
1.
Arbeitslosengeldanspruch nach unwiderruflicher Freistellung des Arbeitnehmers ............................................................................277
2.
Kein Wegeunfall bei der Fahrt zum Waschsalon vor Arbeitsantritt .....................................................................................279
XIV
Inhaltsverzeichnis
3.
Versicherungsschutz durch gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitstätigkeiten im Home-Office ............................................281
Stichwortverzeichnis ...................................................................................285
XV
Abkürzungsverzeichnis 2. DSAnpUG-EU a. A. a. E. a. F. a. G. AA abl. ABl. EG ABl. EU Abs. ABV abw. AcP AE AEntG
AEUV AFG AFKG AG AGB AGBG AGG AGH AiB AktG AktuellAR allg. Alt.
Zweites Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungasgesetz EU anderer Auffassung am Ende alte(r) Fassung auf Gegenseitigkeit Auswärtiges Amt ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen abweichend Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Entscheidungen (Zeitschrift) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (ArbeitnehmerEntsendegesetz) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) Amtsgericht bzw. Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgerichtshof Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz B. Gaul bzw. Bearbeiter, Aktuelles Arbeitsrecht allgemein Alternative
XVII
Abkürzungsverzeichnis
AltEinkG
AltvVerbG AltZertG AMP AMS amtl. ÄndG Anl. Anm. AO AP APS ArbG ArbGG AR-Blattei ArBMedVV ArbNErfG ArbPlSchG ArbR ArbRB ArbR-HB ArbSchG
ArbStättV ArbZG ARdGgw. XVIII
Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz) Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Änderungsgesetz Anlage Anmerkung(en) Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindungsgesetz) Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Arbeitsrecht der Gegenwart
Abkürzungsverzeichnis
ArGV ARST Art. ASAV
ASiG AsylG AsylVfG AT AtG ATV AuA AU-Bescheinigung AufenthG AufenthG/EWG Aufl. AÜG AuR ausf. AVmG
AVR
Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung) Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Verordnung über Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an neueinreisende ausländische Arbeitnehmer (Anwerbestoppausnahmeverordnung) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Asylgesetz Gesetz über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz) außertariflich Altersteilzeitgesetz Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung) Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht (Zeitschrift) ausführlich Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) Arbeitsvertragsrichtlinien in den Einrichtungen des Deutschen Caritas Verbandes
XIX
Abkürzungsverzeichnis
AVR-DD AWbG AWStG
Az. BA BaFin BAG BÄO BAP BAT BAT-O BAT-VKA BAV BAVAZ BB BBG BBiG Bd. BDA BDSG BeckOK BEEG Beil. bEM BerASichG BErzGG BeschCG BeschFG XX
Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Diakonie Deutschland Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz) Aktenzeichen Bundesanstalt für Arbeit bzw. Blutalkohol (Zeitschrift) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesärzteordnung Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleiter e. V. Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Bundesangestelltentarifvertrag für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Betriebliche Altersversorgung Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz Beck´scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) Beilage berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) Beschäftigungsförderungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BeschSchG BeschV BetrAV BetrAVG BetrSichV BetrVG BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BildschArbV BilMoG BImSchG
BKK BMAS BMBF BMEL BMF BMFSFJ BMG BMI
Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung) Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen (Bundesimmissionsschutzgesetz) Betriebskrankenkasse Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bundesministerium für Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat XXI
Abkürzungsverzeichnis
BMJV BMT-G BMU BMVg BMVI BMWi BMZ BNichtrSchG
BPersVG BPM BQFG br BRAO Brexit-StBG
BR-Drucks. BRSG BRTV-Bau BSeuchG BSG BSGE BSHG BSSichG
XXII
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz zur Einführung eines Rauchverbots in Einrichtungen des Bundes und in öffentlichen Verkehrsmitteln (Bundesnichtraucherschutzgesetz) Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesverband der Personalmanager Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) Bundesratsdrucksache Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundesseuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der
Abkürzungsverzeichnis
BStBl. BT-Drucks. BTHG BUrlG BuW BV BVD BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca. CGM CGZP ChemG ChGlFöG d. h. DA DAG DB DBGrG DCGK DDZ ders.
gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz) Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Betriebsvereinbarung bzw. besloten vennootschap, niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Bodenverkehrsdienste Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Amtliche Sammlung) bezüglich beziehungsweise circa Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen das heißt Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz) Deutscher Corporate Governance Kodex Däubler/Deinert/Zwanziger, KSchR derselbe XXIII
Abkürzungsverzeichnis
DGB DGUV dies. diff. DKKW DrittelbG DRV DSAG DSAnpUG-EU DSGVO DStR DStRE DTAG DTTS DuD DVKA e. V. EAS EBRG EBR-Richtlinie EFG EFTA EFZG EG EGBGB EGMR EGV ELENAVG EMRK XXIV
Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung dieselbe differenzierend Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) Deutsche Rentenversicherung Datenschutzauditgesetz Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Telekom AG Deutsche Telekom Technischer Service Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Deutsche Verbindungsstelle für Krankenversicherungen – Ausland eingetragener Verein Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (Loseblattsammlung) Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) Europäische Betriebsräte Richtlinie Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) Europäische Menschenrechtskonvention
Abkürzungsverzeichnis
EntgTranspG ErfK ESC EstB EStG etc. ETS-TV EU EuGH EUV EUZBLG EuZW evtl. EVÜ EWG EWiR EzA f. FEG ff. FG Fitting FKS FMStG Fn. FördElRV FPflZG FR FS
Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Ertrag-Steuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz et cetera Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht der/die/das Folgende Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Folgenden Finanzgericht Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG Finanzkontrolle Schwarzarbeit Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) Fußnote Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetz) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Festschrift XXV
Abkürzungsverzeichnis
GA-AÜG GbR GBV GefStoffV gem. GenDG GenTSV
GeschGehG GewO GG ggf. GK-BetrVG GKG GKV GLF GmbH GmbHR GMBl. GmS-OBG GNBZ GRC GrO GRUR GS GSG GWB h. L. h. M. XXVI
Geschäftsanweisung zum AÜG Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtbetriebsvereinbarung Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung) gemäß Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz) Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen (GentechnikSicherheitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Wiese/Kreutz/Oetker u. a., Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Gerichtskostengesetz Verbund Gesetzlicher Krankenkassen Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Gerätesicherheitsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) herrschende Lehre herrschende Meinung
Abkürzungsverzeichnis
HAG Halbs. Hess u. a. HGB HinGebSchG HK-KSchR HTV HWK HZvNG
i. d. F. i. E. i. H. a. i. H. i. S. i. V. iGZ InKDG InsO InstitutsVergV IntG IntGVO InvG IPR IT IT-ArGV
Heimarbeitsgesetz Halbsatz Hess/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG Handelsgesetzbuch Hinweisgeberschutzgesetz Gallner/Mestwerdt/Nägele, Handkommentar zum Kündigungsschutzrecht Haustarifvertrag Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches ZusatzversicherungsNeuregelungs-Gesetz) in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf in Höhe im Sinne in Verbindung Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) Integrationsgesetz Verordnung zum Integrationsgesetz (Integrationsgesetzverordnung) Investmentgesetz Internationales Privatrecht Informationstechnik/-technologie Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
IT-AV ITRB JArbSchG JuMoG JURA jurisPR-ArbR K&R Kap. KAPOVAZ KassKomm KBV KG KI KO KR krit. KSchG KWG LadSchlG LAG LAGE LasthandhabV
LFZG LG LHT Lit. lit. LK
XXVIII
Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie IT-Rechtsberater (Zeitschrift) Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) juris Praxis-Report Arbeitsrecht Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht (Loseblattsammlung) Konzernbetriebsvereinbarung Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Künstliche Intelligenz Konkursordnung Bader/Fischermeier/Gallner u. a., Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Gesetz über den Ladenschluss (Ladenschlussgesetz) Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung) Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar Literatur littera (Buchstabe) Löwisch/Kaiser, BetrVG
Abkürzungsverzeichnis
LPartG LPartÜAG LPK-SGB IX Ls. LSG LSSW LStDV LStR LuftVG m. E. m. w. N. MDR ME-Richtlinie MgVG MiLoG MiLoV MiLoV2 MindArbBedG Mio. MitbestErgG MitbestG MontanMitbestErgG
Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX Lehrund Praxiskommentar Leitsatz Landessozialgericht Löwisch/Spinner/Schlünder/Wertheimer, KSchG Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuer-Richtlinien Luftverkehrsgesetz meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Mindestlohnanpassungsverordnung) Zweite Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Zweite Mindestlohnanpassungsverordnung) Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz) Million(en) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-MitbestimmungsErgänzungsgesetz) XXIX
Abkürzungsverzeichnis
MontanMitbestG
MTV MüKo MüKoAktG MünchArbR MünchGesR MuSchArbV MuSchG n. F. n. v. NachwG NJW NJW-RR NK-GA Nr. Nrn. NZA NZA-RR NZG NZS o. g. öAT OLG OT OVG OWiG P&R PatG XXX
Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (MontanMitbestimmungsgesetz) Manteltarifvertrag Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (Mutterschutzarbeitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) neue(r) Fassung (noch) nicht veröffentlicht Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW Rechtsprechungs-Report Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht Nomos Kommentar Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht oben genannt(e) Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Oberlandesgericht ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz) Park & Ride Patentgesetz
Abkürzungsverzeichnis
PC PersVG PflegeArbbV PflegeVG PflegeZG PfWG PreisKlG PSABV
PStG PSV PublG RabattG RAG RAGE RdA RDV RisikoBegrG RIW RL Rs. RsprEinhG RTV-Bau
Personal Computer Personalvertretungsgesetz Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung) Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVersicherungsgesetz) Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz) Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PflegeWeiterentwicklungsgesetz) Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden (Preisklauselgesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit (PSABenutzungsverordnung) Personenstandsgesetz Pensionssicherungsverein Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz) Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie(n) Rechtssache Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Rechtsprechungseinheitsgesetz) Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes
XXXI
Abkürzungsverzeichnis
RVLeistVerbG RVO Rz. RzK s. o. S. s. SA SAE SchwarzArbG SchwbG SE SEAG SEBG SeemG SE-VO SG SGB I SGB II SGB III SGB IV SGB V SGB VI
XXXII
Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVLeistungsverbesserungsgesetz) Reichsversicherungsordnung Randzahl/Randziffer Rechtsprechung zum Kündigungsrecht (Loseblattsammlung) siehe oben Seite bzw. Satz siehe Société Anonyme, schweizerische Aktiengesellschaft Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Societas Europaea, Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBeteiligungsgesetz) Seemannsgesetz Verordnung 2157/2001/EG über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgericht Sozialgesetzbuch, I. Buch – Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch, II. Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialgesetzbuch, III. Buch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch, IV. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch, V. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch, VI. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung
Abkürzungsverzeichnis
SGB VII SGB VIII SGB IX SGB X SGB XI SGB XII SGb SigG sog. SozplKonkG SozR SPE SPI SprAuG SpTrUG SR st. Rspr. Std. StGB TAStG TKG TransPuG TS-TV TV T-Zug TV TVG TV-L
Sozialgesetzbuch, VII. Buch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch, VIII. Buch – Kinder- und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch, IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Sozialgesetzbuch, X. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz Sozialgesetzbuch, XI. Buch – Soziale Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch, XII. Buch – Sozialhilfe Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft Sozialpolitische Informationen (Zeitschrift) Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Soziales Recht (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Stunde(n) Strafgesetzbuch Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Telekommunikationsgesetz Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) Transfer- und Sozialtarifvertrag Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder XXXIII
Abkürzungsverzeichnis
TVöD TVöD-F TVöD-VKA TzBfG u. ä. u. a. Uabs. UmwG UrhG UStG usw. ÜT UVV v. VAG Var. VBL VermbG VermG VersAusglG VG VGH vgl. VglO vHH/L VKA VO Vorbem. VorstAG
XXXIV
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Flughafen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) und ähnlich und andere Unterabsatz Umwandlungsgesetz Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter übertariflich Unfallverhütungsvorschriften vom Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Vermögensbildungsgesetz) Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Gesetz über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Verordnung(en) Vorbemerkung(en) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung
Abkürzungsverzeichnis
VorstOG VSSR VTFF VTV VVG VwGO VwVfG WHSS WiB WissZeitVG WKS WM WO WpHG WPK WPrax WpÜG WRV z. B. z. T. ZD ZDG ZESAR ZEuP ZFA ZGR ZHR
Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (VorstandsvergütungsOffenlegungsgesetz) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V. Vergütungstarifvertrag Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG Wirtschaftsrecht und Praxis (Zeitschrift) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Datenschutz Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht XXXV
Abkürzungsverzeichnis
Ziff. ZIP ZPO ZSEG ZTR zust. ZustRG ZVertriebsR
XXXVI
Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz) Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) Zeitschrift für Vertriebsrecht
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts und zur Einführung einer Brückenteilzeit
Bereits im Herbst hatten wir eingehend über das Gesetz zur Weiterentwicklung des Teilzeitrechts und zur Einführung einer Brückenteilzeit berichtet1. Das Gesetz ist zwischenzeitlich im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und am 1.1.2019 in Kraft getreten2. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass bei der Umsetzung dieser Veränderungen auch die sozialversicherungsrechtlichen Folgen in Bezug auf die Abrufarbeit beachtet werden. Danach muss die Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (§ 12 Abs. 1 S. 2, 3 TzBfG). Da diese Dauer der fiktiven Wochenarbeitszeit einen entsprechenden Entgeltanspruch des Arbeitnehmers auch dann zur Folge hat, wenn die Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen und tatsächlich bezahlt wird (§ 615 BGB), bestimmt er auch die Höhe der Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Darauf haben der GKV-Spitzenverband, die DRV und die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Besprechung am 21.3.2019 ausdrücklich hingewiesen. Da der gesetzliche Mindestlohn i. H. von derzeit 9,19 € in Verbindung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden zu einem Überschreiten der Entgeltgrenzen einer geringfügigen Beschäftigung i. S. des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV führt, können Arbeitnehmer, bei denen keine entsprechenden Vereinbarungen über die Dauer der durchschnittlichen Arbeitszeit getroffen werden, nicht mehr als geringfügig Beschäftigte behandelt werden. Das ist insbesondere bei einer Vielzahl von Aushilfen der Fall. Zu empfehlen ist hier, Klarstellungen zu treffen, selbst wenn diese eine Stundenzahl nennen, die bei bestimmten betrieblichen Erfordernissen um mehr als 25 % überschritten wird. Wichtig ist nur, dass auch dann die Schranken einer geringfügigen Grenze nicht (dauerhaft) überschritten werden. Dass der Arbeit-
1 2
B. Gaul, AktuellAR 2018, 241 ff. BGBl. I 2018, 2384; ausf. dazu vgl. Bayreuther, NZA 2018, 1577; Löwisch, BB 2018, 3061; Mayer, AuR 2019, 104; Merkel/Steinat, DB 2018, 3118.
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nehmer einer solchen Anhebung wegen des Überschreitens der in § 12 Abs. 2 TzBfG genannten Grenzen im Zweifel zustimmen muss, dürfte in der Praxis im Regelfall kein Problem sein. (Ga)
2.
Gesetz zur Stärkung der Qualifizierung und mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung
Das Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz), über das wir bereits im Herbst berichtet haben3, ist durch den Bundestag verabschiedet worden4 und am 1.1.2019 in Kraft getreten5. Mit der Neuregelung ist eine umfassende Förderung der Weiterbildung von Arbeitnehmern verbunden, die in einem bestehenden Arbeitsverhältnis Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Im Wesentlichen geht es dabei um eine teilweise Erstattung der damit verbundenen Kosten einschließlich der Arbeitsentgeltkosten, die in weiterbildungsrelevanten Zeiten anfallen. Hierzu gehört, dass Arbeitnehmer abweichend von § 81 SGB III bei beruflicher Weiterbildung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses durch volle oder teilweise Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn 1. Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die über ausschließlich arbeitsplatzbezogene, kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinausgehen, 2. der Erwerb des Berufsabschlusses, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist, in der Regel mindestens vier Jahre zurückliegt, 3. die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in den letzten vier Jahren vor Antragstellung nicht an einer nach dieser Vorschrift geförderten Weiterbildung teilgenommen hat, 4. die Maßnahme außerhalb des Betriebs oder von einem zugelassenen Träger im Betrieb, dem sie angehören, durchgeführt wird und mehr als 160 Stunden dauert und 5. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind. 3 4 5
2
B. Gaul, AktuellAR 2018, 260 ff. BT-Drucks. 19/6146; BR-Drucks. 605/18. BGBl. I 2018, 2651.
Gesetz zur Stärkung der Qualifizierung und mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung
Wenn und soweit unternehmens- oder konzernbezogene Besonderheiten im Rahmen einer Ausbildung berücksichtigt werden sollen, ist es erforderlich, dass diese Inhalte durch einen zugelassenen Träger der Fort- und Weiterbildung beachtet werden. Unter diesen Voraussetzungen kann die Ausbildung auch unternehmensintern abgewickelt werden. Bereits durch die Mindestdauer von mehr als 160 Stunden soll sichergestellt werden, dass keine arbeitsplatzbezogenen Einweisungen in den Geltungsbereich von § 82 SGB III gebracht werden und damit staatliche Fördermaßnahmen auslösen. Diese Kosten sollen bei den Arbeitgebern verbleiben. Grundsätzlich soll die Förderung dieser Maßnahmen Arbeitnehmern, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die durch Technologien ersetzt werden können, oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind, eine Anpassung und Fortentwicklung ihrer beruflichen Kompetenzen ermöglichen, um den genannten Herausforderungen besser begegnen zu können. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die eine Weiterbildung in einem Engpassberuf anstreben (§ 82 Abs. 1 S. 2, 3 SGB III). Auf eine Berücksichtigung dieser Besonderheiten soll nur dort verzichtet werden, wo Arbeitnehmer einem Betrieb mit weniger als 250 Beschäftigten angehören und soweit sie nach dem 31.12.2020 mit der Teilnahme beginnen, das 45. Lebensjahr vollendet haben oder schwerbehindert i. S. des § 2 Abs. 2 SGB IX sind. Voraussetzung einer entsprechenden Förderung der Weiterbildungskosten ist nach den Vorstellungen der Bundesregierung eine angemessene Beteiligung des Arbeitgebers an den Lehrgangskosten. Während bei Betrieben mit in der Regel weniger als zehn Beschäftigten von einer solchen Kostenbeteiligung zwar abgesehen werden kann, soll der Arbeitgeber in Unternehmen mit mindestens zehn und weniger als 250 Beschäftigten mindestens 50 %, bei 250 Beschäftigten, aber weniger als 2.500 Beschäftigten mindestens 75 % und bei 2.500 Beschäftigten oder mehr grundsätzlich mindestens 85 %, bei Vorliegen einer Betriebsvereinbarung über die berufliche Weiterbildung oder eines Tarifvertrags, der betriebsbezogene berufliche Weiterbildung vorsieht, mindestens 80 % der Lehrgangskosten selbst tragen. Dann geht das Gesetz von einer angemessenen Beteiligung aus. Ausnahmen von diesem Grundsatz sollen lediglich für Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten gelten, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn der Teilnahme das 45. Lebensjahr vollendet hat oder schwerbehindert i. S. des § 2 Abs. 2 SGB IX ist. Auf diese Weise soll eine Fokussierung der Förderung auf besonders schutzwürdige Arbeitnehmer erreicht werden. Ergänzend hierzu können Arbeitgeber für die berufliche Weiterbildung von Arbeitnehmern durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gefördert werden. Für Arbeitnehmer, bei denen die Voraussetzungen für eine Weiterbildungsförde3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rung wegen eines fehlenden Berufsabschlusses nach § 81 Abs. 2 SGB III erfüllt sind, kann die Förderung bis zur Höhe des Betrags erbracht werden, der sich als anteiliges Arbeitsentgelt für weiterbildungsrelevante Zeiten ohne Arbeitsleistung errechnet. Das bezieht den Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ein (§ 82 Abs. 3 S. 1, 2 SGB III). In den übrigen Fällen gilt allerdings eine Einschränkung, die die Betriebsgröße berücksichtigt. Danach werden in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten bis zu 75 %, in Betrieben mit zwischen zehn und 250 Beschäftigten bis zu 50 % und in Betrieben mit 250 Beschäftigten und mehr bis zu 25 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts gezahlt. Bei allen Schwellenwerten werden Teilzeitbeschäftigte entsprechend den Regelungen in § 23 Abs. 1 KSchG nur anteilig einbezogen (§ 82 Abs. 4 SGB III). Soweit Ermessensentscheidungen zu treffen sind, hat die Agentur für Arbeit die unterschiedlichen Betriebsgrößen angemessen zu berücksichtigen (§ 82 Abs. 5 SGB III). (Ga)
3.
Gesetzliche Änderungen zur personenstandsrechtlichen Registrierung des Geschlechts
In seinem Urteil vom 10.10.20176, über das wir berichtet hatten7, hatte das BVerfG deutlich gemacht, dass es mit dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) nicht vereinbar ist, dass Menschen durch die gegenwärtigen Regelungen im Personenstandsrecht gezwungen werden, eine Eintragung mit der Bezeichnung „männlich“ oder „weiblich“ vorzunehmen, um ihr Geschlecht zu kennzeichnen, obwohl sie biologisch keinem dieser Geschlechte zugeordnet werden können. Mit Wirkung zum 22.12.20188 hat der Gesetzgeber die entsprechenden Regelungen in § 22 Abs. 3 PStG angepasst. Die Neuregelung sieht vor, dass ein Kind auch ohne die Angabe „männlich“ oder „weiblich“ oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden kann. Dies erlaubt, auf die fehlende Zuordnung zu dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zu reagieren. Ergänzend hierfür wird in § 45 b PStG klargestellt, dass auch eine Korrektur bestehender Einträge möglich ist. Danach können Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung gegenüber dem Standesamt erklären, dass die 6 7 8
4
BVerfG v. 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16, NJW 2017, 3643 Rz. 39 f. B. Gaul, AktuellAR 2018, 27 ff. BGBl. I 2018, 2635; vgl. zum Entwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 19/4669.
Gesetzliche Änderungen zur personenstandsrechtlichen Registrierung des Geschlechts
Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Abs. 3 PStG vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. Liegt kein deutscher Personenstandseintrag vor, können sie gegenüber dem Standesamt erklären, welche der in § 22 Abs. 3 PStG vorgesehenen Bezeichnungen für sie maßgeblich ist oder auf die Angabe einer Geschlechterbezeichnung verzichten, wenn sie zu einer der im Gesetz genannten Personengruppen gehören. Dies sind unter anderem • Personen, die als Staatenlose oder heimatlose Ausländer ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, • Personen, die als Asylberechtigte oder ausländische Flüchtlinge ihren Wohnsitz im Inland haben oder • Personen, die als Ausländer, deren Heimatrecht keine vergleichbare Regelung kennt, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen, eine verlängerte Aufenthaltserlaubnis besitzen und sich dauerhaft rechtmäßig im Inland aufhalten oder eine Blaue Karte/EU besitzen.
Mit der Erklärung können auch neue Vornamen bestimmt werden. Für ein Kind, das geschäftsunfähig oder noch nicht 14 Jahre alt ist, kann nur sein gesetzlicher Vertreter die Erklärung abgeben. Der Nachweis, dass eine Person nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, ist durch ärztliche Bescheinigung zu führen. Inhaltliche Vorgaben zu der Art des Nachweises sieht das Gesetz nicht vor. Das erlaubt, die fehlende Zuordnung nicht nur biologisch-genetisch, sondern auch unter Einbeziehung psychosozialer Gesichtspunkte zu rechtfertigen. Ausgenommen von dem Nachweiserfordernis werden Personen, die über keine ärztliche Bescheinigung verfügen und bei denen das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann, sofern sie dies an Eides statt versichern. Natürlich muss auch die arbeitsrechtliche Praxis auf diese Klarstellung reagieren. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Kennzeichnung der denkbaren Geschlechtervielfalt bei Stellenausschreibungen, die durch die zusätzliche Abkürzung „d“ oder „divers“ erfasst werden kann. Eine entsprechende Klarstellung vermeidet eine geschlechtsbezogene Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Darüber hinaus sollte im Wortlaut etwaiger Kollektivvereinbarungen klargestellt werden, dass der Begriff des „Arbeitnehmers“ allein aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung anstelle von „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“ verwendet wird und Personen jeden Geschlechts erfasst. Bei Arbeitsverträgen oder Anschreiben könnte in die direk-
5
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
te Anrede „Guten Morgen, Petra Schmitz“ oder die „Sie“-Form gewechselt werden, um die Verwendung von Frau/Herr zu vermeiden. Dies zeigt auch insoweit die notwendige Sensibilität und bewirkt, dass bereits im Ansatz der Vorwurf einer Diskriminierung wegen des Geschlechts verhindert wird. (Ga)
4.
Neuregelung zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bestimmungen zur Tarifeinheit
Mit seinem Urteil vom 11.7.20179, über das wir berichtet haben10, hatte das BVerfG festgestellt, dass die gesetzlichen Regelungen zur Tarifeinheit in § 4 a TVG einen erheblichen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellen, die nicht nur enorme Einschränkungen bei der weiteren Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte erforderlich machten. Vielmehr sei es notwendig, eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen vorzunehmen, die bis zum 31.12.2018 erfolgen müsse. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Im Zusammenhang mit dem Qualifizierungschancengesetz, das bereits an anderer Stelle behandelt wurde11, ist eine entsprechende Änderung beschlossen worden und am 1.1.2019 in Kraft getreten12. Durch die Neuregelung wird § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG zunächst einmal um den Begriff des Mehrheitstarifvertrags ergänzt. Es ist der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Ergänzend hierzu wird festgelegt: Wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach § 4 a Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 TVG nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags nicht anwendbar. In diesem Fall kommt also die normale Rechtsfolge aus § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG nicht zur Anwendung. Danach sind, soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerk-
9 10 11 12
6
BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915 Rz. 30. B. Gaul, AktuellAR 2017, 517 ff. B. Gaul, AktuellAR 2019, 2 ff. BGBl. I 2018, 2651, 2656; eingehend dazu Giesen/Rixen, NZA 2019, 577; Klein, DB 2019, 545.
Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bestimmungen zur Tarifeinheit
schaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), im Betrieb nur die Rechtsnormen des Mehrheitstarifvertrags anwendbar. Wichtig für die praktische Umsetzung dieser Neuregelung sind allerdings vor allem zwei Punkte. Zunächst einmal bleiben die Auslegungsvorgaben, die das BVerfG gesetzt hat, unverändert bestehen. Das hat zur Folge, dass die gesetzlichen Regelungen zur Tarifeinheit weiterhin nur in einer erheblich eingeschränkten Form zur Anwendung kommen können. Denn die Arbeitsgerichte sind mit Blick auf den Schutz der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft nicht nur verpflichtet, in dem Gesetz keinerlei Einschränkung der Befugnisse im Bereich des Arbeitskampfs zu sehen. Die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen wird unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung durch Art. 9 Abs. 3 GG weiterhin an den Grenzen der Verhältnismäßigkeit gemessen13. Eine entsprechende Unsicherheit ist allerdings auch mit der gesetzlichen Neuregelung verbunden. Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Wortlaut seiner Ergänzung der Kritik des BVerfG Rechnung getragen, nach der in der bisherigen Fassung von § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG nicht gewährleistet gewesen sei, dass ein Tarifvertrag von einem kollidierenden Tarifvertrag nur verdrängt werden könne, wenn plausibel dargelegt werde, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt werde, ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt habe. Der Gesetzgeber hat aber darauf verzichtet, selbst Merkmale festzulegen, mit denen diese Berücksichtigung der Interessen der Minderheitsgewerkschaft festgestellt werden kann. Insofern obliegt es erneut den Arbeitsgerichten, die dafür maßgeblichen Kriterien zu entwickeln. Das BVerfG hatte in diesem Zusammenhang nur beispielhaft auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Berufsgruppe, die die Minderheitsgewerkschaft repräsentiert, in einem bestimmten Mindestmaß in der Gewerkschaft des Mehrheitstarifvertrags organisiert ist. Wie dies festgestellt werden soll, ist allerdings offen, zumal unwahrscheinlich erscheint, dass Arbeitnehmer gleichzeitig Mitglied in beiden Gewerkschaften sind. Alternativ soll nach den Überlegungen des BVerfG geprüft werden, ob der Berufsgruppe, die in der Minderheitsgewerkschaft organisiert ist, in der Satzung der Mehrheitsgewerkschaft ein hinreichender Einfluss auf die für sie relevanten tarifpolitischen Verbandsentscheidungen eingeräumt sei14.
13 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 426. 14 BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915 Rz. 215.
7
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Abschließend bleibt damit festzuhalten: Die gesetzliche Regelung zur Auflösung einer Tarifpluralität dürfte jetzt trotz fehlender Bestimmtheit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sein. Denn es ist möglich, die Grundsätze des BVerfG zur Gewährleistung der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft und ihrer Mitglieder im Wege der Auslegung von § 4 a TVG zu berücksichtigen. Es wäre allerdings nicht nur wünschenswert gewesen, dass der Gesetzgeber dem Rechtsanwender die notwendige Rechtsklarheit selbst verschafft, statt sich auf die Korrektur und Reparatur seiner unvollkommenen Regelungen durch die Fachgerichte zu verlassen. Hilfreich wäre ebenfalls gewesen, wenn der Gesetzgeber auch das Arbeitskampfrecht gestaltet hätte, um weiterhin zulässige Maßnahmen der Minderheitsgewerkschaft auf der Grundlage einer gesetzlichen Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit in angemessene Strukturen zu bringen. Diesen Weg müssen jetzt die Tarifvertragsparteien beschreiten, indem sie z. B. Vereinbarungen treffen, die einen Streik an bestimmte Voraussetzungen knüpfen und/oder in seinem Umfang beschränken. Das Zugeständnis der Arbeitgeberseite könnte bei solchen Vereinbarungen darin liegen, dass ein Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft trotz Tarifpluralität zur Anwendung kommt. Wichtig ist nur, dass entsprechende Vereinbarungen zur Auflösung der Tarifpluralität nur bei einer Einbeziehung der Mehrheitsgewerkschaft zulässig sind15. (Ga)
5.
Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb
a)
Einführung
§ 117 BetrVG ist mit Wirkung zum 1.5.2019 geändert worden16. Nach der Neuregelung findet das BetrVG (auch) auf im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen Anwendung, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 BetrVG errichtet ist. Darüber hinaus wird jetzt in § 117 Abs. 2 BetrVG festgestellt, dass auf einen Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 S. 1, 2 BetrVG die gesetzliche Regelung zur Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG anwendbar ist. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, welcher Gestaltungsspielraum in Bezug auf die übergreifende Bildung von Betriebsräten besteht. Weiterhin soll der Frage nachgegangen werden, welche Konsequenzen sich daraus für den Fall der Tarifpluralität ergeben, wenn eine entsprechende Tarifkollision unter Berücksichtigung der
15 BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915 Rz. 173, 177 ff. 16 BGBl. I 2018, 2651, 2656; eingehend dazu Müller/Becker, BB 2019, 884.
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Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb
gesetzlichen Änderungen zum 1.1.201917 und der ergänzenden Auslegungsvorgaben des BVerfG aus der Entscheidung vom 11.7.201718 nach Maßgabe von § 4 a TVG aufgelöst wird.
b)
Die betriebsverfassungsrechtliche Kennzeichnung des „Betriebs“
Die im § 117 BetrVG vorgenommene Differenzierung von Flug- und Landbetrieb stellt eine Abgrenzung dar, die Begriffsbestimmungen nutzbar macht, die für den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens nach § 20 Abs. 1 S. 1 LuftVG maßgeblich sind. Luftfahrtunternehmen sind dabei Unternehmen, die gewerbsmäßig Personen und/oder Güter durch Luftfahrzeuge befördern. Der „Flugbetrieb“ ist der Teil eines Luftfahrtunternehmens, dessen arbeitstechnischer Zweck unmittelbar darauf gerichtet ist, Personen, Post oder Fracht durch Luftfahrzeuge zu befördern19. Das entspricht der tätigkeitsbezogenen Kennzeichnung eines Gewerbebetriebs, wie sie schon in § 1 GewO enthalten und durch § 20 LuftVG konkretisiert wird. Folgerichtig sind im „Flugbetrieb“ beschäftigte Arbeitnehmer solche Personen, die unmittelbar diese Beförderungstätigkeit ausführen, sei es, dass sie das Flugzeug als Luftfahrer führen oder dabei mitwirken, sei es, dass sie Personen während der Beförderung betreuen und die mit der Beförderung verbundenen Dienstleistungen erbringen. Betroffen von dieser tätigkeitsbezogenen Kennzeichnung sind die Bereiche Cockpit und Kabine und die damit verbundenen Tätigkeiten als Pilot(in) und Flugbegleiter(in) an Bord von Flugzeugen. Der Flugbetrieb kennzeichnet insoweit also das Flugpersonal. Demgegenüber erfasst der Begriff „Landbetrieb“ tätigkeitsbezogen solche Bereiche bzw. darin beschäftigte Arbeitnehmer eines Luftfahrtunternehmens, die (nur) mittelbar dem Flugbetrieb dienen, indem sie ihn „technisch, organisatorisch und kaufmännisch möglich machen und alle Aktivitäten verwalten“20. Sie bieten ortsgebundene Infrastruktur und Dienstleistungen für den Flugbetrieb an. Hierzu gehören vor allem Hangars, Verwaltung, Vertrieb, Werften oder Rechenzentren. Soweit Bodenverkehrsdienste (noch) in Eigenregie bewirkt werden, können auch diese Bestandteil des Landbetriebs sein. In der Vergangenheit war mit der Unterscheidung zwischen dem „Flug-“ und dem „Landbetrieb“ trotz der Einbindung der Bezeichnung „Betrieb“ keine organisationsbezogene Unterteilung verbunden. Vielmehr war durch 17 18 19 20
Vgl. hierzu Hromadka, NZA 2019, 215; Klein, DB 2019, 545; Winkel, AiB 2019/2, 20. BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915. BAG v. 14.10.1986 – 1 ABR 13/85 n. v. (Rz. 17). BAG v. 14.10.1986 – 1 ABR 13/85 n. v. (Rz. 17).
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
§ 117 Abs. 1 BetrVG eine ausschließlich tätigkeitsbezogene Zuordnung erfolgt21, die unberücksichtigt ließ, ob es organisatorisch übergreifende Steuerungsstrukturen gegeben hat, die Arbeitnehmer im Land- und Flugbetrieb eines Luftfahrtunternehmens gleichermaßen erfassten. Ziel war es, die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer einer Zuständigkeit des Betriebsrats zu entziehen und die Interessenvertretung eigenständigen Regelungen außerhalb der Betriebsverfassung zu unterwerfen. Da das BetrVG allerdings auf die Arbeitnehmer im Flugbetrieb keine Anwendung fand, konnte dort eine Interessenvertretung nur durch Tarifvertrag gebildet werden22. Folgerichtig haben vor allem die Vereinigung Cockpit (VC) und die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) Tarifverträge über Bordvertretungen für die von ihnen im Flugbetrieb vertretenen Arbeitnehmer abgeschlossen. Diese Gestaltungsmöglichkeit hat § 117 Abs. 1 BetrVG durch seine Neufassung grundsätzlich nicht beseitigt. Auch die Neufassung erlaubt eine tätigkeitsbezogene Unterscheidung, knüpft dies aber an die Voraussetzung, dass tatsächlich entsprechende Tarifverträge zum Abschluss kommen. Innerhalb ihres Geltungsbereichs bewirken die Tarifverträge dann durch die Festlegung der Zuständigkeit von Arbeitnehmervertretungen eine Zuordnung von Arbeitnehmern, die in ihren Auswirkungen der Zusammenfassung in einem betriebsverfassungsrechtlichen Betrieb entspricht. Fehlen solche Tarifverträge, fallen auch die im Luftbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer in den Geltungs- und Anwendungsbereich des BetrVG. Das aber lässt die Frage entstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sie im Anwendungsbereich des BetrVG unter Einbindung anderer Bereiche des Landbetriebs innerhalb eines Luftfahrtunternehmens einen Betrieb bilden, der dann jedenfalls für das Betriebsverfassungsrecht maßgeblich ist. Das BetrVG enthält keine Definition des Betriebs. Da mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats eine effektive Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber sichergestellt werden soll, muss als dann entscheidendes Merkmal der organisatorischen Einheit der einheitliche Leitungsapparat in den wesentlichen mitbestimmungs- und mitwirkungspflichtigen Angelegenheiten herangezogen werden. Diese gesetzgeberische Entscheidung bringt auch § 1 Abs. 2 BetrVG zum Ausdruck, wenn dort auf den „Einsatz“ der Arbeitnehmer und Betriebsmittel (Nr. 1) und die „Organisation des betroffenen Betriebs“ (Nr. 2) abgestellt wird. Daran anschließend wird der Betrieb deshalb zu Recht als organisatorische Einheit definiert, in21 LAG Düsseldorf v. 22.7.2004 – 11 TaBV 31/04 n. v.; Richardi/Richardi, BetrVG § 117 Rz. 11. 22 Ebenso Fitting, BetrVG § 117 Rz. 6; a. A. GK-BetrVG/Franzen, § 117 Rz. 13.
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Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb
nerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt23. Entscheidend ist die Einheit der Organisation, weniger der arbeitstechnischen Zweckbestimmung24. Entscheidungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten können zentral oder dezentral getroffen und in ihrer Umsetzung gesteuert werden. Für den Betriebsbegriff spielt dies keine Rolle25.
c)
Gestaltungsspielraum aufgrund der gesetzlichen Neuregelung im Luftfahrtunternehmen
Hiervon ausgehend hängt die betriebsverfassungsrechtliche Betriebsstruktur in einem Luftfahrtunternehmen davon ab, wie die Steuerungsstrukturen im Einzelfall ausgestaltet worden sind. Entscheidend für die jeweils vorliegenden Betriebsstrukturen ist also, wie sich das Luftfahrtunternehmen organisiert. In der Regel ist dabei nicht nur eine einzige Betriebsstruktur möglich. Vielmehr bewirkt die Geltung des BetrVG für die im Flugbetrieb tätigen Arbeitnehmer, dass sich auch die Kennzeichnung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten nach den allgemeinen Grundsätzen zu §§ 1, 4 BetrVG bestimmt. Entscheidend für die Kennzeichnung der Betriebsstrukturen als Grundlage für die Bildung von Betriebsräten ist damit die Entscheidung des Arbeitgebers in Bezug auf die Wahrnehmung der Leitungsmacht hinsichtlich der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten. Sie kann zu einer (weiterhin) getrennten Zusammenfassung des am Boden und in der Luft eingesetzten Personals führen, so dass „echte“ Flug- und Landbetriebe entstehen. Wenn die Arbeitnehmer eines Luftfahrtunternehmens aber unabhängig von ihrer konkreten Tätigkeit übergreifend in Bezug auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gesteuert werden, hat dies einen einheitlichen betriebsverfassungsrechtlichen Betrieb dieser Arbeitnehmer zur Folge. Im Zweifel dürfte er einen Flughafen als Bezugspunkt haben, weil in der Regel von dort aus die Steuerung des Arbeitseinsatzes erfolgt. Gibt es mehrere Flughäfen, wird man schon wegen der räumlichen Entfernung im Zweifel von mehreren Betrieben i. S. der §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG ausgehen müssen, in denen dann aber wiederum
23 Vgl. BAG v. 13.2.2013 – 7 ABR 36/11, NZA-RR 2013, 521 Rz. 27. 24 Vgl. nur BAG v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, NZA 1989, 190 Rz. 17; BAG v. 23.3.1984 – 7 AZR 515/82, NZA 1984, 88 Rz. 27. 25 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977 Rz. 28.
11
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
jeweils Arbeitnehmer des sog. Land- und Flugbetriebs zusammengefasst sind. Unabhängig von der vorstehenden Kennzeichnung der Betriebsstruktur eines Luftfahrtunternehmens ist es möglich, die Betriebsstruktur durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG festzulegen. Fehlen Tarifverträge, wäre auch eine Neuregelung durch Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarung möglich. Wegen der weiteren Einzelheiten sei insoweit auf die entsprechende Kommentierung verwiesen26.
d)
Auswirkungen der betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsstruktur für das Tarifrecht im Luftfahrtunternehmen
Bedeutung hat die Kennzeichnung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs nicht nur im BetrVG selbst, sondern auch für die Anwendbarkeit weiterer Vorschriften, für die der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich ist (z. B. §§ 17 KSchG, 4 a TVG). Gerade für den Bereich der Tarifpluralität kann die Veränderung der Betriebsstruktur im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne aber erwähnenswerte Konsequenzen mit sich bringen. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass es in der Vergangenheit nicht erforderlich war, eine gesetzliche Kennzeichnung des Betriebsbegriffs vorzunehmen. Vielmehr oblag es den Tarifvertragsparteien, bei der Kennzeichnung des Geltungsbereichs ihrer Vereinbarungen festzulegen, welche Struktur für die Anwendung des Tarifvertrags maßgeblich sein sollte. aa)
Der Betriebsbegriff bei Tarifpluralität
Erst mit den Regelungen zur Auflösung der Tarifpluralität in § 4 a TVG war die Aufnahme eines Bezugspunkts erforderlich. Dabei hat der Gesetzgeber den Betrieb gewählt und in § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG bestimmt, dass in einem Betrieb, in dem sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar sind, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag). Welcher Betriebsbegriff den Anwendungsbereich des Tarifeinheitsgesetzes bestimmt, wird in § 4 a TVG nicht ausdrücklich bestimmt. So spricht § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG lediglich vom „Betrieb“, ohne diesen selbst zu kennzeichnen. 26 HWK/B. Gaul, BetrVG § 3 Rz. 3 ff. m. w. N.
12
Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb
Der Gesetzgeber ging insoweit zwar davon aus, dass der Betriebsbegriff, der für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse zugrunde zu legen ist, tarifrechtlich bestimmt werden müsse. Soweit er daran anknüpfend als Betrieb diejenige organisatorische Einheit definiert hat, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, hat er allerdings an den gleichen Kriterien angeknüpft, die auch für § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG maßgeblich sind. Insofern war es nur folgerichtig, dass die Begründung des Gesetzesentwurfs davon spricht, dass der tarifrechtliche Betriebsbegriff in seiner grundsätzlichen Ausrichtung dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff entspreche, der infolge seiner Konturierung durch die Rechtsprechung einen für die Praxis praktikablen Rahmen setze27. Diesen Anknüpfungspunkt setzt § 4 a Abs. 2 S. 4 TVG fort, indem er auch den Gemeinschaftsbetrieb i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG und den tariflich gewillkürten Betrieb gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 TVG als Rahmen für die Auflösung einer Tarifpluralität nimmt. Diese Bezugnahmen bilden insoweit Ausnahmen gegenüber dem ungenannten Grundsatz, dass im Übrigen der „normale“ Betriebsbegriff der §§ 1 Abs. 1 S. 1, 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG maßgeblich ist. Soweit nicht durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 TVG eine von der gesetzlichen Grundkonzeption abweichende Kennzeichnung des Betriebs bestimmt wird, ist damit der aus dem Gesetz heraus bestimmte Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsrechts der maßgebliche Rahmen zur Auflösung einer möglichen Tarifpluralität28. bb)
Auswirkungen denkbarer Gestaltungsoptionen auf der betrieblichen Ebene bei Tarifpluralität
Von diesen Grundsätzen ausgehend ist der Betriebsbegriff nach §§ 1, 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch für die Auflösung einer Tarifpluralität im Luftfahrtunternehmen maßgeblich. Dass es insoweit nicht genügt, dass sich die Geltungsbereiche von Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, soll vorliegend nicht vertieft werden. Wichtig ist allerdings, dass trotz der Ergänzung von § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG, die am 1.1.2019 in Kraft getreten ist, die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Aus-
27 Vgl. BT-Drucks. 18/4062 S. 14. 28 Vgl. BeckOK/Giesen, TVG § 4 a Rz. 18; ErfK/Franzen, TVG § 4 a Rz. 18 ff.; Löwisch/Rieble, TVG § 4 a Rz. 81 ff.; Wiedemann/Jacobs, TVG § 4 a Rz. 190.
13
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
legung und Einschränkung aus seinem Urteil vom 11.7.201729 zu beachten sind30. Entscheidend ist, dass die Anwendbarkeit von § 4 a TVG davon abhängig ist, dass innerhalb des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs eines Luftfahrtunternehmens kollidierende Tarifverträge vorhanden sind. Dabei geht es derzeit im Wesentlichen noch um Tarifverträge, die mit den Gewerkschaften ver.di, Cockpit und UFO abgeschlossen worden sind. Überschneiden sich diese Tarifverträge innerhalb des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs in Bezug auf ihren Geltungsbereich und – so die ergänzende Vorgabe des BVerfG – gehören sie nicht zu verschiedenen Regelungsbereichen, findet nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag). Fehlt ein Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG, sind die Organisationsstrukturen maßgeblich, die im Luftfahrtunternehmen bestimmt wurden. Werden die Arbeitnehmer des Flug- und des Landbetriebs insoweit getrennt in Bezug auf die wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten gesteuert, liegen – wie ausgeführt – mindestens zwei Betriebe vor. Gibt es mehrere Flughäfen, die räumlich weit voneinander entfernt sind, wird man jedem dieser Flughäfen einen Betrieb für das Flugpersonal und einen Betrieb für das Bodenpersonal zuordnen müssen. Innerhalb dieser Betriebe ist dann auf die Mehrheitsverhältnisse der Gewerkschaften zu schließen, deren Tarifverträge von ihrem Geltungsbereich den jeweiligen Betrieb erfassen. Am Boden dürfte dies im Zweifel zu einer Anwendung des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrags führen. In Bezug auf die Betriebe des Flugpersonals hängt die Anwendbarkeit davon ab, ob dort ver.di, Cockpit oder UFO die meisten Mitglieder hat. Das Ergebnis ist an die individuelle Situation in den betroffenen Luftfahrtunternehmen geknüpft. Zahlenmäßig dürfte das Kabinenpersonal das Personal im Cockpit übersteigen. Entscheidend ist aber der Organisationsgrad, der in der Kabine unter dem des Cockpits liegen dürfte. Gleiche Überlegungen, jedoch mit anderen tarifvertraglichen Konsequenzen, gelten bei der Bildung eines übergreifenden Betriebs aus Arbeitnehmern des Flug- und Bodenpersonals. Denn hier kommt es unmittelbar zu einer Konkurrenz der Tarifverträge der drei Gewerkschaften, die nach Maßga29 BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915. 30 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 247 ff.
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Erweiterung des BetrVG auf den Flugbetrieb
be der Repräsentativität aufgelöst werden muss. Welche Personengruppe überwiegt, hängt auch davon ab, ob das Bodenpersonal in seiner Gesamtheit noch bei dem Luftfahrtunternehmen selbst beschäftigt ist. Ausgehend davon, dass Reparatur, IT, Vertrieb und Verwaltung ebenso wie die Abfertigung an den einzelnen Flughäfen durchaus mehr Personal beansprucht, als dies für die Führung der Flugzeuge selbst erforderlich ist, spricht dies zwar zunächst einmal für ein Überwiegen des Bodenpersonals und der dort vertretenen Gewerkschaft. Dies ist aber vielfach nicht mehr der Fall, weil viele Funktionen durch die Luftfahrtunternehmen auf andere Rechtsträger ausgegliedert wurden und durch Tochter- oder Schwesterunternehmen bzw. konzernfremde Dienstleister wahrgenommen werden. Diese Arbeitnehmer könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn gemeinsame Betriebe i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG gebildet würden. Insofern ist bei der übergreifenden Bildung eines Betriebs aus Arbeitnehmern des Flug- und Landbetriebs einzelfallbezogen festzustellen, welche Gewerkschaft innerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit die meisten Mitglieder hat.
e)
Fazit
Mit der Ausweitung des BetrVG auf die im Flugbetrieb eingesetzten Arbeitnehmer gehen weitreichende Konsequenzen auch in Bezug auf die Tarifbindung der Arbeitnehmer einher. Sie kann zur Folge haben, dass Tarifverträge, die mit Spartengewerkschaften abgeschlossen wurden und werden (z. B. UFO, Cockpit), keine Anwendung finden, weil innerhalb des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebs eine größere Gewerkschaft (z. B. ver.di) mehr Mitglieder hat. Voraussetzung ist natürlich, dass es (noch) keinen Tarifvertrag nach § 117 Abs. 1 BetrVG gibt, der einer Anwendung des BetrVG entgegenstünde. Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. inwieweit in den Luftfahrtunternehmen von der Gestaltungsmöglichkeit in Bezug auf die Bildung von Betriebsräten Gebrauch gemacht wird. Die Anwendbarkeit des BetrVG als Folge der gesetzlichen Neuregelung könnte überall dort, wo Mitbestimmungsstrukturen noch nicht durch Tarifvertrag bestimmt wurden, eine alternative Gestaltungsoption möglich machen. Wenn dabei übergreifende Organisationsstrukturen geschaffen werden, die Arbeitnehmer des Land- und Flugbetriebs übergreifend betreffen, dürfte dies die Bedeutung von Cockpit und UFO gleichermaßen in Frage stellen. Dies gilt jedenfalls dort, wo die Zahl der Arbeitnehmer außerhalb des Flugpersonals und dessen gewerkschaftlicher Organisationsgrad zu einer höheren Repräsentativität der Gewerkschaft ver.di führt. In den Unternehmen, in denen das BetrVG für Arbeitnehmer im Flugbetrieb nicht zur Anwendung kommt, weil bereits Tarifverträge beste15
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
hen, kann diese Gestaltungsmöglichkeit nur im Anschluss an einen Betriebsoder Betriebsteilübergang nach § 613 a BGB nutzbar gemacht werden. Denn die Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Strukturen werden nicht von § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB erfasst, was zur Folge hat, dass der Erwerber an sie nicht gebunden ist. Hier gilt wieder uneingeschränkt das BetrVG, sofern keine neuen Tarifverträge abgeschlossen werden. (Ga/Ku)
6.
Änderungen der sozialversicherungsrechtlichen „Gleitzone“ in „Übergangsbereich“
Am 1.1.2019 sind wesentliche Regelungen des Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVLeistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz)31 in Kraft getreten. Mit dem Gesetz sind nicht nur weitreichende Veränderungen im Bereich der Rentenversicherung verbunden. Sie betreffen vielmehr die weitergehende Anerkennung von Erziehungszeiten und gesetzgeberischen Garantien für die Höhe der gesetzlichen Altersrente und den Beitragssatz zur Rentenversicherung. Nach der Neuregelung darf das Sicherungsniveau von Steuern in der allgemeinen Versicherung bis zum Jahre 2025 48 % nicht unterschreiten. Der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung darf bis zum Jahre 2025 20 % nicht überschreiten. Ausgehend davon, dass die Beiträge für eine Finanzierung dieser Zusage nicht genügen, hat der Gesetzgeber einen Bundeszuschuss vorgesehen. Ergänzend hierzu hat der Gesetzgeber die bisherigen Regelungen zur sozialversicherungsrechtlichen „Gleitzone“ mit Wirkung zum 1.7.2019 aufgehoben und durch Regelungen zu einem „Übergangsbereich“ ersetzt. Der Übergangsbereich beginnt wie auch die Gleitzone mit der Überschreitung der für eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV geltenden Arbeitsentgeltgrenzen (450 € monatlich). Der Übergangsbereich geht allerdings nicht mehr nur bis 850 €, sondern umfasst Arbeitnehmer mit einem monatlichen Arbeitsentgeltanspruch von bis zu 1.300 € (§ 20 Abs. 2 SGB IV). Entsprechend der bisherigen Regelungen zur Gleitzone steigt der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag innerhalb des Übergangsbereichs an. Allerdings werden solche Arbeitnehmer im Bereich der Rentenversicherung privilegiert. Denn auf der Grundlage einer Neuregelung in § 70 Abs. 1 a SGB VI wird der Versicherte so gestellt, als hätte er den vollen Beitragssatz auf das gesamte Arbeitsentgelt entrichtet. Auf diese Weise wird vermieden, dass der Arbeitnehmer als Folge seiner abgesenkten 31 BT-Drucks. 19/5586; 19/4668.
16
Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung später auch entsprechend geringere Leistungen als gesetzliche Altersrente erhält. Geringverdiener werden damit auf Kosten der Solidargemeinschaft bessergestellt, um in Bezug auf diesen Personenkreis Altersarmut zu bekämpfen. (Ga)
7.
Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Auf der Grundlage der unionsrechtlichen Vorgaben durch die Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung hat der Bundestag das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) verabschiedet. Es ist am 26.4.2019 in Kraft getreten32. Obwohl in § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG klargestellt wird, dass das Gesetz Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen unberührt lässt, hat es auch für die arbeitsrechtliche Praxis Bedeutung33.
a)
Kennzeichnung eines Geschäftsgeheimnisses
Zunächst einmal definiert § 2 Abs. 1 GeschGehG das Geschäftsgeheimnis als Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich und daher von wirtschaftlichem Wert ist. Es dürfte nicht nur hilfreich sein, diese Begriffsbestimmung bei arbeitsvertraglichen Regelungen zur Verschwiegenheit in Bezug auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu nutzen, ohne dass die bisherige Unterscheidung zwischen technischem und kaufmännischem Wissen geboten ist. Das gilt für den Musterarbeitsvertrag (z. B. Verschwiegenheitsklauseln, Hinweise auf gesetzliches Wettbewerbsverbot während des bestehenden Anstellungsvertrags, Datenschutzklauseln) und den Aufhebungsvertrag ebenso wie für gesonderte Verschwiegenheitsvereinbarungen, die aus bestimmten Anlässen (z. B. Vorbereitungen eines Unternehmenskaufs) vereinbart werden sollen. Der Begriff des wirtschaftlichen Werts ist allerdings in Übereinstimmung 32 BGBl. I 2019, 466; vgl. BT-Drucks. 19/7704, 19/7453; BR-Drucks. 382/18, 382/1/18, 382/18 (B). 33 Eingehend vgl. Apel/Walling, DB 2019, 891; Brammsen, BB 2018, 2446; Dumont, BB 2018, 2441; Freckmann/Schmoll, BB 2017, 1780; Fuhlrott/Hiéramente, DB 2019, 967; Karthaus, NZA 2018, 1180; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583; Richters/Wodtke, NZA-RR 2003, 281.
17
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
mit den unionsrechtlichen Vorgaben als „kommerzieller“ Wert zu verstehen, der auch durch einen Marktwert oder die Marktrelevanz einer Information begründet wird34. Wichtig ist, dass als Geschäftsgeheimnisse durch das GeschGehG nur noch Informationen geschützt werden, für deren Geheimhaltung der Arbeitgeber als rechtmäßiger Inhaber den Umständen nach angemessene Maßnahmen getroffen hat. Maßgeblich ist der Einzelfall; entscheidend für die Angemessenheit ist dabei ein objektiver Maßstab35. Hierzu dürften nicht nur entsprechende Klauseln in Musterarbeitsverträgen gehören, die allerdings ausreichend konkretisiert werden müssen, um den Vorgaben der Transparenz aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB Rechnung zu tragen. Insoweit kann an den Grundsätzen angeknüpft werden, die das BAG bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung in seinem Urteil vom 19.5.199836 getroffen hat. Danach begründen eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht sowie eine allgemeine nachvertragliche Treuepflicht für den Arbeitgeber regelmäßig keinen Anspruch gegen den ehemaligen Arbeitnehmer auf Unterlassung von Wettbewerb nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Parteien könnten aber im Einzelfall vereinbaren, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein bestimmtes Betriebsgeheimnis des Arbeitgebers auf Dauer nicht für eine eigene berufliche Tätigkeit nutze. Allerdings genüge es nicht, eine Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf Geschäftsvorgänge auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufzuerlegen. Eine solche Verpflichtung, die sich nicht auf ein oder mehrere konkret festgelegte Betriebsgeheimnisse, sondern unterschiedslos auf alle Geschäftsvorgänge beziehe, sei unangemessen. Denn dem Arbeitnehmer werde damit jede berufliche Verwertung seiner im Geschäftsbereich des Arbeitgebers erworbenen Kenntnisse verwehrt. Damit werde die Grenze zum entschädigungspflichtigen und höchstens auf zwei Jahre befristeten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot überschritten. Unabhängig davon dürfte es zukünftig verstärkt notwendig sein, weitere Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu ergreifen. Hierzu können anlassbezogene Verschwiegenheitsvereinbarungen (z. B. im Vorfeld eines Unternehmenskaufs), technische Maßnahmen zur Datensicherung (z. B. Kontrollen, Codes, Zugriffschranken), Zutrittsschranken für bestimm-
34 Vgl. Karthaus, NZA 2018, 1180, 1182. 35 Dumont, BB 2018, 2441, 2443. 36 BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1990, 200 Rz. 52 ff.; vgl. BAG v. 15.6.1993 – 9 AZR 558/91, NZA 1994, 502; LAG Hamm v. 5.10.1988 – 15 Sa 1403/88, DB 1989, 783; eingehend dazu D. Gaul, NZA 1998, 225; Kunz, DB 1993, 2482.
18
Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
te Räumlichkeiten, entsprechende Regelungen in einem Code of Conduct oder konkrete Vorgaben gegenüber dem Betriebsrat nach § 79 BetrVG gehören. Ausgehend davon, dass diese Vorgabe gemäß §§ 106 S. 2 GewO, 241 Abs. 2 BGB einseitig erteilt und vom Arbeitnehmer auch akzeptiert werden muss, besteht kein Anspruch des Arbeitgebers, dass der Betriebsrat vor der Weitergabe von Informationen eine entsprechende Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnet. Der Arbeitgeber muss auch ohne diese Vereinbarung seine gesetzlichen Unterrichtungspflichten erfüllen. Das bestätigt § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG. Danach wird die Geltendmachung von Informations- und Anhörungsrechten der Arbeitnehmer (z. B. EntgTranspG) oder Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmervertretung nicht dadurch eingeschränkt, dass ihre Erfüllung an die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen geknüpft ist. Die Rechtsprechung wird sich damit z. B. bei der Auslegung und Anwendung von §§ 106 Abs. 2 S. 1, 109 BetrVG zu befassen haben.
b)
Rechtfertigungsgründe für die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen
Besondere Bedeutung für das Arbeitsverhältnis und die in den Unternehmen bestehenden Regelungen für den Umgang mit Hinweisgebern haben die Rechtfertigungsgründe, die in § 5 GeschGehG genannt werden. Dieser lautet wie folgt: Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere 1. zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien; 2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen; 3. im Rahmen der Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertretung, wenn dies erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgaben erfüllen kann.
Diese Regelungen stehen im Widerspruch zu den ganz überwiegend bestehenden Vorstellungen zu den Grenzen einer Tätigkeit von Hinweisgebern. Denn sie erlauben Hinweisgebern, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse un19
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ter den dort genannten Voraussetzungen unternehmensintern oder -extern zu offenbaren. Dies entspricht den Regelungen in Art. 5 Richtlinie 2016/943/EG, wie wir bereits bei früherer Gelegenheit berichteten37. Bemerkenswert daran ist, dass nicht nur die Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung das Beschaffen, Nutzen oder Offenlegen eines Geschäftsgeheimnisses rechtfertigen kann. Es genügt, dass ein „anderes Fehlverhalten“ in Rede steht. Mit diesem Begriff sollen über das rechtswidrige Verhalten hinaus nicht nur Verstöße gegen berufsständische Normen erfasst werden. Auch wird die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gerechtfertigt, um ein „sonstiges Fehlverhalten“ aufzudecken. Hiervon können Aktivitäten erfasst werden, die ein unethisches Verhalten darstellen, aber nicht notwendigerweise gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Die Begründung des Gesetzesentwurfs nennt – insoweit orientiert an den Feststellungen zur Begründung der Richtlinie – Auslandsaktivitäten eines Unternehmens, die in den betreffenden Ländern nicht rechtswidrig sind, aber dennoch von der Allgemeinheit als Fehlverhalten gesehen werden könnten (z. B. Kinderarbeit oder gesundheits- bzw. umweltschädliche Produktionsbedingungen). Auch die systematische und unredliche Umgehung von Steuertatbeständen werde, so der Gesetzgeber, in der öffentlichen Diskussion häufig als unethisches Verhalten angesehen und soll deshalb erfasst sein. Damit wird die Beschaffung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen auch dann erlaubt, wenn steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten mit den rechtlichen Rahmenregelungen eines Landes vereinbar sind. Dies erscheint mehr als fraglich, zumal es genügt, dass die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Eine Vielzahl der in der betrieblichen Praxis geschaffenen Hinweisgebersysteme dürfte eine solche Form des Whistleblowings nicht erfassen. Hier wird man Anpassungen vornehmen und zugleich im Auge behalten müssen, dass die neue Richtlinie zum Schutz von Personen, die über Verstöße gegen das Unionsrecht berichten (Whistleblower-Richtlinie), ebenfalls Handlungsvorgaben enthält, die bei der Ausgestaltung von Hinweisgebersystemen zu berücksichtigen sind. Wir berichten darüber an anderer Stelle38.
37 B. Gaul, AktuellAR 2017, 359 ff. 38 B. Gaul, AktuellAR 2019, 53 ff.
20
Streichung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB
c)
Rechtsfolgen bei rechtswidrigem Umgang mit Geschäftsgeheimnissen
In den §§ 6 ff. GeschGehG werden umfangreiche Regelungen zu Ansprüchen des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses für den Fall einer Rechtsverletzung getroffen. Rechtsverletzer ist dabei jeder, der entgegen § 4 GeschGehG ein Geschäftsgeheimnis rechtswidrig erlangt, nutzt oder offenbart. Als rechtsverletzend wird ein Produkt dann behandelt, wenn dessen Konzeption, Merkmale, Funktionsweise, Herstellungsprozess oder Marketing in erheblichem Umfang auf einem rechtswidrig erlangten, genutzten oder offengelegten Geschäftsgeheimnis beruht (§ 2 Nr. 4 GeschGehG). Bei den Rechtsfolgen geht es vor allem um einen Anspruch auf Unterlassung oder Schadensersatz. Ist der Rechtsverletzer Beschäftigter oder Beauftragter eines Unternehmens, so bestehen diese Ansprüche auch gegen den Inhaber des Unternehmens (§ 12 GeschGehG). Damit kann also auch das Konkurrenzunternehmen, das das Geschäftsgeheimnis nutzt, direkt in Anspruch genommen werden. Soweit in § 15 GeschGehG eine ausschließliche Zuständigkeit der Zivilkammern der Landgerichte ohne Rücksicht auf den Streitwert für Klagen, durch die Ansprüche nach dem GeschGehG geltend gemacht werden (Geschäftsgeheimnisstreitsachen), vorgesehen ist, schließt dies nicht aus, dass wegen einer Abmahnung oder Kündigung bei der Missachtung rechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit dem Umgang mit Geschäftsgeheimnissen Klage beim Arbeitsgericht erhoben wird. Die Regelung erfasst nur solche Klagen, für die die ordentliche Gerichtsbarkeit ohnehin zuständig ist. (Ga)
8.
Streichung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB
Im Zusammenhang mit dem Qualifizierungschancengesetz hat der Gesetzgeber § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gestrichen. Die Änderung ist mit Ablauf des 31.12.2018 wirksam geworden39. Betriebszugehörigkeitszeiten werden damit ohne Rücksicht auf das Lebensalter des Arbeitnehmers bei der Berechnung von Kündigungsfristen erfasst. (Ga)
39 BGBl. I 2018, 2651, 2655 f.
21
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
9.
Gesetzliche Erleichterung einer Kündigung von Risikoträgern und Risikoträgerinnen in Banken
Im Zusammenhang mit dem Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-StBG), das am 29.3.2019 in Kraft getreten ist40, ist auch das Kreditwesengesetz (KWG) geändert worden, um eine Kündigung von Risikoträgern und Risikoträgerinnen bedeutender Finanzinstitute zu erleichtern41. Als Risikoträger werden dabei Mitarbeiter qualifiziert, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil eines Instituts auswirkt (§ 1 Abs. 21 KWG). Gemäß § 25 a Abs. 5 a KWG werden Risikoträger bedeutender Institute, deren jährliche fixe Vergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung i. S. des § 195 SGB VI überschreitet und die keine Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitenden Angestellten sind, die zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, diesem Personenkreis im Rahmen von § 9 KSchG gleichgestellt. Damit bedarf der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung. Wenn die Kündigung nur deshalb unwirksam ist, weil ihre soziale Rechtfertigung nicht gegeben ist, kann der Arbeitgeber eine Beendigung gegen Zahlung einer Abfindung auch gegen den Willen des hiervon betroffenen Arbeitnehmers durchsetzen. Ergänzend hierzu bestimmt § 25 a Abs. 5 b KWG, dass ein bedeutendes Institut auf der Grundlage einer Risikoanalyse eigenverantwortlich seine Risikoträger und Risikoträgerinnen zu ermitteln hat. Im Anschluss daran teilt das Institut den betreffenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Einstufung als Risikoträger mit. Die Risikoanalyse ist schriftlich oder elektronisch zu dokumentieren und regelmäßig zu aktualisieren. Konsequenz der entsprechenden Kennzeichnung ist, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich seines Kündigungsschutzes nicht unwesentlich eingeschränkt wird. Dies mag man mit Blick auf die besondere Rolle der Risikoträger im Bereich der Finanzdienstleister noch vom Grundsatz her für zulässig halten. Problematisch daran ist aber, dass es keine vergleichbaren Regelungen in anderen Branchen gibt, in denen Arbeitnehmer mit einer ähnlichen Bedeutung beschäftigt werden. Beispielhaft sei insoweit nur auf die Versicherungsbranche verwiesen. Vor diesem Hintergrund werden sich die Arbeitsgerichte auch mit der Frage
40 BGBl. I 2019, 357. 41 Ausf. dazu vgl. Bonanni, ArbRB 2019, 79; Jensen, BB 2019, I.
22
Wirksamwerden des Brexits
zu befassen haben, ob die besondere Regelung für die Risikoträger im Bankenbereich mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die Bedeutung der gesetzlichen Neuregelung ist allerdings beschränkt. In Deutschland gibt es nur etwa 5.000 Arbeitnehmer, deren Vergütung die gesetzlichen Schwellenwerte in § 25 a Abs. 5 a KWG übersteigt. Im Westen handelt es sich dabei um 241.200 €, im Osten geht es um 221.400 €, die als Fixvergütung mit den betroffenen Arbeitnehmern vereinbart worden sein muss. (Ga)
10. Übergangsregelungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit nach dem Wirksamwerden des Brexits Bereits im Februar und März haben der Bundestag bzw. der Bundesrat den erst im Januar eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu Übergangsregelungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union42 verabschiedet. Das Gesetz ist am 11.4.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden43. Es ergänzt Regelungen, die auf europäischer Ebene mit Blick auf den Bereich der Sozialversicherung getroffen werden44. Mit dem Gesetz werden vielfältige Regelungen zu offenen Fragen im Bereich der Sozialversicherung getroffen. Lediglich beispielhaft sei die Anrechnung von Versicherungszeiten, die bis zum Brexit in Großbritannien zurückgelegt wurden. Darüber hinaus geht es um den Fortbestand der in Deutschland bestehenden Kranken- und Pflegeversicherung für britische Staatsangehörige, um Übergangsregelungen für eine Krankenversorgung in Großbritannien oder eine Fortgeltung einer Einbindung in die wechselseitigen Regelungen zur gesetzlichen Rentenversicherung für eine Übergangszeit von fünf Jahren nach dem Wirksamwerden des Brexits. Ergänzende Regelungen betreffen die Unfallversicherung, Berufsausbildungen und gesetzliche Regelungen zur Ausbildungsförderung. Weiterhin werden die bestehenden Vorschriften geändert, um Einbürgerungsanträge zu erleichtern und darüber kurzfristig entscheiden zu können.
42 BT-Drucks. 19/7376; BR-Drucks. 82/19 (B). 43 BGBl. I 2019, 418. 44 Vgl. B. Gaul, AktuellAR, 2019, 74.
23
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung wird festgelegt, dass Erlaubnisse nach § 1 a AÜG für Staatsangehörige aus Großbritannien und für Verleiher mit Sitz in Großbritannien, die vor dem Tag des Austritts erteilt wurden, als mit Wirkung zum Tag des Austritts als widerrufen gelten. § 2 Abs. 4 S. 4 a AÜG gilt entsprechend, wenn die Ausübung der Arbeitnehmerüberlassung aus einem Betrieb, Betriebsteil oder Nebenbetrieb erfolgt, der in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum liegt. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer aus Großbritannien auch innerhalb von zwölf Monaten nach dem Wirksamwerden des Brexits weiter innerhalb der Europäischen Union überlassen werden können, wenn die Arbeitnehmerüberlassung aus einem Mitgliedstaat heraus erfolgt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Übergangsregelungen tatsächlich notwendig werden. Dies ist angesichts der offenen Diskussion in Großbritannien derzeit nicht absehbar. Ungeachtet dessen wird man davon ausgehen müssen, dass weitere Diskussionen über die Konsequenzen des Brexits auch ergänzende Regelungen zum Übergang notwendig machen. (Ga)
11.
Anpassung des Arbeitszeitrechts an die EuGHRechtsprechung zur Dokumentation und sonstige Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt
a)
Aktuelle Überlegungen der Bundesregierung
Mit seinem Urteil vom 14.5.201945, auf das wir an anderer Stelle hingewiesen haben46, hat der EuGH klargestellt, dass der Arbeitgeber auf der Grundlage der unionsrechtlichen Vorgaben verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit zu dokumentieren, damit die Einhaltung der Schranken des Arbeitszeitrechts durch Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter und Aufsichtsbehörden geprüft werden kann. Im Zweifel wird man diese Verpflichtung auch auf die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage erweitern müssen, um festzustellen, ob etwaige Schranken zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen eingehalten werden. Da sich der Umfang der daraus folgenden Aufzeichnungspflichten danach ausrichtet, welche Schranken für die Verteilung der Arbeitszeit auf nationaler Ebene unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben bestimmt 45 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – Deutsche Bank SAE. 46 B. Gaul, AktuellAR 2019, 113 ff.
24
Anpassung des Arbeitszeitrechts an die EuGH-Rechtsprechung
wurden, ist es richtig, dass die Bundesregierung jetzt (endlich) darüber nachdenkt, eine wöchentliche Höchstdauer der Arbeitszeit an die Stelle der bisherigen Regelungen zu stellen, mit denen auf die kalendertägliche Arbeitszeit abgestellt wird. Damit würde die heute noch in § 3 ArbZG enthaltene Höchstgrenze von acht bzw. zehn Stunden pro Werktag entfallen. In Übereinstimmung mit Art. 3 ff. Richtlinie 2003/88/EG wäre es möglich, die Arbeitszeit innerhalb eines sieben-Tage-Zeitraums auf durchschnittlich 48 Stunden (einschließlich Überstunden) zu verteilen, wenn die ergänzenden Regelungen zu den Ruhezeiten und Ruhepausen eingehalten werden. Wichtig wäre allerdings, dass dabei die weitergehenden Flexibilisierungsmöglichkeiten des Art. 21 Richtlinie 2003/88/EG genutzt werden. Zwar lässt sich auch bei einer solchen Grenze für die Arbeitszeitverteilung nicht vermeiden, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ebenso wie ihre Verteilung auf die einzelnen Wochentage dokumentiert werden müssen. Abweichend von der aktuellen Regelung wäre es aber möglich, deutlich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Entsprechend der aktuellen Handhabe der Aufzeichnungspflicht aus § 16 Abs. 2 ArbZG wird man es dabei für zulässig halten müssen, dass das Erfordernis einer Dokumentation auf den Arbeitnehmer übertragen wird. Ergänzend hierzu beabsichtigt die Bundesregierung, den Personenkreis, der von der Aufzeichnungspflicht gemäß § 17 MiLoG erfasst ist, einzuschränken. Derzeit verpflichtet § 17 MiLoG den Arbeitgeber, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren, soweit geringfügig oder kurzzeitig Beschäftigte gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV oder Arbeitnehmer im Bereich des Baugewerbes, des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes, der Personenbeförderung, des Bereichs Spedition, Transport und der verbundenen Logistik, Schausteller, Arbeitnehmer der Forstwirtschaft, der Gebäudereinigung, des Messebaus, der Fleischwirtschaft oder der Prostitution beschäftigt werden. Entsprechendes gilt für den Entleiher, dem ein Verleiher Arbeitnehmer überlässt, die in den vorgenannten Bereichen eingesetzt werden. Beabsichtigt ist, diese Pflicht auf Arbeitnehmer zu begrenzen, die nicht mehr als 2.000 € (brutto) pro Monat verdienen. Derzeit entfällt die Pflicht zur Arbeitszeitdokumentation erst, wenn das Entgelt der betroffenen Arbeitnehmer 2.958 € (brutto) übersteigt oder durch den Arbeitgeber in den letzten Monaten nachweislich jeweils 2.000 € (brutto) pro Monat gezahlt wurden. Diese Entgeltschwelle berücksichtigt eine denkbare Höchstüberlassungszeit von 325 Stunden pro Monat und multipliziert diese mit dem aktuellen Min25
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
destlohn i. H. von 9,19 € (brutto). Gleichzeitig soll diese Entgeltgrenze aber für Teilzeitbeschäftigte proportional abgesenkt werden. Mit einer entsprechenden Änderung reduziert die Bundesregierung natürlich die aus dem MiLoG resultierenden Aufzeichnungspflichten erheblich. Folgt man den Zahlen, wie sie in den aktuellen Überlegungen zum Bürokratieentlastungsgesetz III zu finden sind, entfällt damit eine Dokumentationspflicht in Bezug auf 1,5 Mio. Arbeitnehmer. Problematisch an den jetzt in Bezug auf das MiLoG und das ArbZG vorgesehenen Änderungen dürfte allerdings sein, dass sie die Vorgaben des EuGH aus dem Urteil vom 14.5.201947 noch nicht berücksichtigen. Denn auch dann, wenn das aktuelle Recht einen flexibleren Einsatz der Arbeitnehmer erlaubt, bleibt die Dokumentation von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit sowie ihrer Verteilung auf die einzelnen Wochentage geboten, wenn damit eine Einhaltung der (verbleibenden) Schranken des Arbeitszeitrechts ermöglicht werden soll. Dass der Betriebsrat über § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BetrVG schon heute einen solchen Nachweis verlangen kann, genügt nicht, weil damit nur zukunftsbezogene Zeiten erfasst werden. Hinzu kommt, dass die Durchsetzung durch den einzelnen Arbeitnehmer wohl nicht ausreichend gewährleistet ist. Wenn verhindert werden soll, dass Art. 31 GRC ohne weitergehende Konkretisierung als Anspruchsgrundlage für die Dokumentationspflicht genutzt wird, müssen entsprechende Klarstellungen durch den Gesetzgeber selbst bewirkt werden.
b)
Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen
Bereits im Januar hatte das Land Nordrhein-Westfalen den Entwurf einer Entschließung des Bundesrats zu einer Anpassung der Arbeitszeiten an die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt eingebracht48. Ausgangspunkt war dabei die Erkenntnis, dass die voranschreitende Digitalisierung die Arbeitswelt verändert und eine Vielzahl von Chancen eröffnet, zu deren Nutzung eine weitere Flexibilisierung des ArbZG notwendig ist. Hierzu gehörte aus Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine flexible Arbeitsgestaltung, um den Bedürfnissen der Unternehmen und Beschäftigten in Bezug auf ein zeitflexibles und ortsunabhängiges Arbeiten in einer modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Hiervon ausgehend sollte der Bundesrat die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzesentwurf zur Flexibilisierung des ArbZG einzubringen. Damit sollten im Wesentlichen folgende Änderungen verbunden sein:
47 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – Deutsche Bank SAE. 48 BR-Drucks. 24/19.
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Anpassung des Arbeitszeitrechts an die EuGH-Rechtsprechung
• Vereinbarung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit anstelle der werktäglichen Arbeitszeit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer entsprechend Art. 6 Arbeitszeitrichtlinie. Die Höhe der gesetzlichen maximalen Wochenarbeitszeit sollte dabei unverändert bleiben. Gleichzeitig sollte geregelt werden, dass die in der Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Ausgleichszeiten gewährt werden. • Vereinbarung einer Verkürzung der vorgeschriebenen Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen entsprechend Art. 18 Arbeitszeitrichtlinie. Eine Verkürzung sollte nach den Vorstellungen des Landes Nordrhein-Westfalen nur unter der Voraussetzung zulässig sein, dass die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz der Gesundheit und Sicherheit erhalten.
Die vorstehenden Gestaltungsmöglichkeiten sollten nach dem Entschließungsantrag nicht uneingeschränkt eingeräumt werden. Vielmehr sollte der erweiterte Gestaltungsspielraum nur tarifgebundenen Arbeitgebern vorbehalten sein. Auf diese Weise sollte ein positiver Anreiz zu einer höheren Tarifbindung geschaffen und gewährleistet werden, dass nur unabhängige und durchsetzungsstarke, also nach den Kriterien des BAG tariffähige, Gewerkschaften Abweichungen von den gesetzlichen Arbeitnehmerschutzrechten vorsehen können. Obwohl an sich kein ernstzunehmender Streit über die Notwendigkeit entsprechender Veränderungen im Arbeitszeitrecht bestehen dürfte, was auch die aktuellen Vorschläge der Bundesregierung erkennen lassen, hatte der Bundesrat die Entschließung noch am 15.3.2019 abgelehnt49. Offenkundig war den Beteiligten nicht bewusst, welchen Druck die Entscheidung des EuGH bewirken würde. Jetzt bleibt zu hoffen, dass das BMAS möglichst kurzfristig die notwendigen Vorschläge entwickelt, um Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen höhere Flexibilität bei der selbstbestimmten Ausgestaltung der Arbeit einzuräumen. Entsprechende Initiativen waren im Koalitionsvertrag ausdrücklich vorgesehen. (Ga)
49 BR-Drucks. 24/1/19; 24/19 (B).
27
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
12. Anhebung und Dynamisierung der Verdienstgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung Im Herbst hatten wir auf den Gesetzesentwurf der FDP zur Dynamisierung der Verdienstgrenzen der geringfügigen Beschäftigung50 hingewiesen51. Die FDP hatte in ihrer Begründung darauf verwiesen, dass die Höchstgrenzen für geringfügig entlohnte Beschäftigung (sog. Mini-Jobs) und für eine Beschäftigung in der Gleitzone (heute: Übergangsbereich) durch den Gesetzgeber seit der letzten Anpassung im Jahre 2013 nicht mehr verändert worden waren. Trotz des kontinuierlichen Anstiegs des gesetzlichen Mindestlohns, der gerade bei dieser Personengruppe relevant ist, hat dies für die hiervon betroffenen Arbeitnehmer zwar nicht automatisch ein Absinken der monatlichen Verdienstmöglichkeiten zur Folge. Um ein Überschreiten dieser Höchstgrenzen zu verhindern, war es aber erforderlich, fortlaufend den zeitbezogenen Umfang der individuellen Arbeitszeit anzupassen. Denn die Anhebung der stundenbezogenen Vergütung bewirkt, dass die maßgeblichen Höchstgrenzen mit weniger (zeitbezogenem) Aufwand erreicht werden. Damit erzielen Arbeitnehmer im Mini-Job trotz des Anstiegs des Mindestlohns keinen höheren Verdienst. Zur Lösung dieser Problematik hatte die FDP vorgeschlagen, die betragsbezogenen Höchstgrenzen durch eine Dynamik zu ersetzen, die an das MiLoG geknüpft ist. So sollte die Verdienstgrenze bei geringfügiger Beschäftigung zum 1.1.2019 auf das 60-fache des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns festgelegt werden. Hiervon ausgehend wären weitere (zukünftige) Anpassungen nicht mehr erforderlich. Vielmehr könnten Arbeitnehmer, die auf der Grundlage des Mindestlohns vergütet würden, im Rahmen eines Mini-Jobs bis zu 60 Stunden im Monat tätig sein. Entsprechendes hatte die FDP für die damalige Gleitzone vorgeschlagen. Nachdem dieser Entwurf im Gesetzgebungsverfahren zunächst einmal abgelehnt worden war52, hat die Bundesregierung diese Idee in ihren Überlegungen zum Bürokratieentlastungsgesetz III im Mai 2019 aufgegriffen. Die Bundesregierung plant jetzt, die Verdienstgrenze für den Mini-Job auf 500 € anzuheben, was auf der Grundlage des für den 1.1.2020 geplanten Mindestlohns i. H. von 9,35 € eine Arbeitszeit von 55 Stunden pro Monat ermöglichen würde. Dieser Betrag soll dann in den Folgejahren an die Mindestlohnentwicklung gekoppelt werden. Etwa 700.000 Beschäftigte erhalten damit 50 BT-Drucks. 19/4764; BR-Drucks. 467/18; Referentenentwurf des BMAS v. 30.8.2018. 51 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 272 ff. 52 BR-Drucks. 419/18.
28
Eckpunkte des BMAS für die Umsetzung der Entsenderichtlinie
bei einem gleichbleibenden Umfang ihrer Arbeit mit dem jeweiligen Anstieg des Mindestlohns auch eine höhere Vergütung. (Ga)
13. Eckpunkte des BMAS für die Umsetzung der Entsenderichtlinie a)
Ausgangssituation
Im vergangenen Jahr hatten wir über die Verabschiedung der Richtlinie 2018/957/EU zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) berichtet53. Sie ist im Amtsblatt veröffentlicht54. Die neuen Regelungen, die bis zum 30.7.2020 umzusetzen sind, sollen vor allem gleiche Lohnbedingungen für entsandte wie einheimische Arbeitnehmer gewährleisten. Bedeutung besitzt dabei vor allem die Verpflichtung, nach einer Entsendedauer von 18 Monaten das Recht des Einsatzstaates zur Anwendung zu bringen. Dies bewirkt über die sozialversicherungsrechtlichen Dokumentationspflichten der A1-Bescheinigungen hinaus, die an anderer Stelle noch einmal behandelt werden55, zusätzliche Komplexität in Entsendetatbeständen und eine nicht unerhebliche Mehrbelastung der betroffenen Unternehmen56. Im Mai hat das BMAS jetzt unter der Überschrift „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – für alle in Europa: Lohndumping verhindern. Ordnung auf dem Arbeitsmarkt sichern. Mobilität fair gestalten.“ Eckpunkte zur Umsetzung der Entsenderichtlinie vorgestellt. Im Sommer soll auf dieser Grundlage ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der insbesondere mit Änderungen des AEntG verbunden ist. Nach dem Eckpunktepapier sollen vor allem folgende Ziele verfolgt werden:
b)
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Zunächst einmal sollen mit dem Gesetzesentwurf weitere Maßnahmen in Kraft gesetzt werden, um Lohndumping zu verhindern. Dabei soll die Ver53 B. Gaul, AktuellAR 2018, 19 f., 275 ff. 54 ABl. EU 2018, L 173, 16. 55 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 68 f.; B. Gaul/Kriebel Volk, AktuellAR 2018, 519 ff.; Klein/Schneider, SR 2019, 72. 56 Vgl. zu den Auswirkungen auch die Antworten der Bundesregierung auf Fragen der FDP-Fraktion: BT-Drucks. 19/2806; Boysen, DB 2018, 1668.
29
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gütung für die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer soweit wie möglich an die für inländische Arbeitnehmer vorgeschriebene Vergütung angeglichen werden. Die Bundesregierung beabsichtigt sicherzustellen, dass diese Gleichstellung nicht nur die Mindestlohnsätze betrifft. Andernfalls könnten Entsendetatbestände in Branchen, in denen Löhne oberhalb des Mindestlohns gezahlt würden, zu Verwerfungen führen. Mit den Änderungen soll deshalb die Grundlage dafür gesetzt werden, dass die Entlohnungsvorschriften auch jenseits reiner Mindestlohnsätze auf entsandte Arbeitnehmer angewendet werden können. Zur Vermeidung einer Diskriminierung ausländischer Arbeitgeber muss in diesem Zusammenhang lediglich sichergestellt werden, dass ausländische und inländische Arbeitgeber gleichbehandelt werden. Zu diesem Zweck soll unter Beachtung der Tarifautonomie sichergestellt werden, dass alle gesetzlichen Entlohnungsvorschriften auch auf entsandte Arbeitnehmer Anwendung finden können. Darüber hinaus soll der rechtliche Rahmen dafür geschaffen werden, dass die Tarifvertragsparteien entsandte Arbeitnehmer in relevanten Bereichen unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Gebots der Gleichbehandlung durch mit zwingender Wirkung erstreckte Entlohnungsvorschriften schützen können.
c)
Bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen
Die gesetzliche Neuregelung soll sicherstellen, dass EU-Arbeitgeber, die in Deutschland wirtschaftlich aktiv sind, die Kosten für Unterkunft, Reisen oder Verpflegung nicht ihren Arbeitskräften auflasten. Entsendebedingte Kosten sollen deshalb nach der Entsenderichtlinie grundsätzlich von der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber nach den Regeln in ihrem Herkunftsland getragen werden. Wenn entsandte Arbeitnehmer innerhalb des Staates reisen müssen, in den sie entsandt worden sind, sollen allerdings die gleichen rechtlichen Bedingungen wie auf dem inländischen Arbeitsmarkt gelten. Soweit also in Deutschland solche Kostenerstattungen vorgesehen sind, kann dann auch der EU-Arbeitnehmer die Erstattung seiner entsendebedingten Kosten verlangen. Darüber hinaus will das BMAS durch gesetzliche Regelungen gewährleisten, dass Arbeitnehmer während der Entsendung nicht unter unwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Beispielhaft sind dabei „Bauwagenkolonnen“. Es bleibt abzuwarten, auf welche Weise „miese Unterkunftsbedingungen“ beschrieben und welche Standards alternativ festgesetzt werden sollen. Das Gesetz zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Sozial-
30
Eckpunkte des BMAS für die Umsetzung der Entsenderichtlinie
leistungsmissbrauch57, das als eine der Maßnahmen zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen genannt wird, enthält keine entsprechende Regelung.
d)
Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf Arbeitsentgeltansprüche
Zulagen, die entsandte Arbeitnehmer erhalten, um die Kosten auszugleichen, die ihnen infolge der Entsendung entstehen (Unterkunft, Reise, Verpflegung), sind nach den Vorgaben der EU-Richtlinie kein Bestandteil der Entlohnung. Sie dürfen nicht auf den Arbeitsentgeltanspruch angerechnet werden. In der Vergangenheit war es in der Praxis häufig unklar, ob und in welchem Umfang Entsendezulagen der Aufwandserstattung dienten. Nach den Feststellungen des BMAS führte dies dazu, dass EU-Unternehmen oft Entsendezulagen für ihre Arbeitnehmer pauschal zu Lohn oder Gehalt hinzurechneten, um die Höhe des Mindestlohns zu erreichen, obwohl diese Zulagen eigentlich nur den Aufwand des Arbeitnehmers für die Entsendung ausgleichen sollten. Für die Kontrollbehörden, wie z. B. in Deutschland den Zoll, führte dies bei den Kontrollen zu praktisch schwierigen Fragen bei der Zuordnung dieser Entsendezulagen. Um diese Unsicherheiten zu beseitigen, soll künftig die bereits in der EURichtlinie enthaltene Vermutung in das Gesetz übernommen werden, nach der auf der Entgeltabrechnung ausgewiesene Entsendezulagen grundsätzlich nicht Lohn oder Gehalt sind, sondern eben den zusätzlichen Kostenaufwand des Arbeitnehmers für Reise, Unterkunft und Verpflegung ausgleichen sollen. Erst dann, wenn der fehlende Bezug zu tatsächlichen entsendebedingten Kosten klar erkennbar ist, soll die Anrechnung möglich sein. Was erforderlich ist, um auf diese Weise die Vermutung zu widerlegen, bleibt abzuwarten.
e)
Ergänzende Maßnahmen zum Schutz langzeitentsandter Arbeitnehmer
Langzeitentsandte Arbeitnehmer sollen mit der Neuregelung besonders geschützt werden. Dabei geht das BMAS davon aus, dass die Dauer des Arbeitseinsatzes von EU-Arbeitskräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Lohn- und Wettbewerbskonkurrenz gegenüber inländischen 57 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2019, 44.
31
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Arbeitnehmern einen Unterschied mache. Das entspricht auch der geänderten Entsenderichtlinie, die Sonderregelungen für Arbeitnehmer enthält, die länger als 12 bzw. 18 Monate in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden. Hiervon ausgehend sollen folgende Punkte geregelt werden: • Umfassende Anwendbarkeit deutschen Rechts auf langzeitentsandte Arbeitnehmer. Hierfür sollen die Mechanismen erweitert werden, um die in Deutschland geltenden allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge auf langzeitentsandte Arbeitnehmer anzuwenden. • Transparente und unbürokratische Erweiterung der Frist für die Kennzeichnung einer Langzeitentsendung von 12 auf 18 Monate. • Ausschluss einer Umgehung der Regelungen zu Langzeitentsendungen durch die Aneinanderreihungen von mehreren Entsendungen („Kettenentsendungen“).
f)
Information über die für Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer in Deutschland geltenden Arbeitsbedingungen
Sonderregelungen sollen einen Schutz von Leiharbeitnehmern bewirken, die aus dem Ausland heraus in Deutschland zum Einsatz kommen. Hintergrund ist, dass die Entsenderichtlinie – insoweit auch mit den Regelungen zur Kettenentsendung – ebenfalls Leiharbeitnehmer erfasst und den allgemeinen Schutzvorschriften für den Fall der Entsendung unterwirft. Hierzu sollen gesetzliche Informationspflichten eingeführt werden, durch die Verleiher im Ausland darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass ihre Arbeitnehmer in Deutschland eingesetzt werden. In diesen Zusammenhang gehört auch die Absicht, insgesamt für mehr Transparenz in Bezug auf die in Deutschland geltenden Arbeitsbedingungen zu schaffen. Damit soll auf den Umstand reagiert werden, dass die EUMitgliedstaaten durch die Entsenderichtlinie verpflichtet werden, mehr Informationen über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei Entsendungen bereitzustellen. In Deutschland soll deshalb die Internetseite www.zoll.de fortentwickelt werden, um Arbeitgebern mit Sitz im Ausland und ihren hierhin entsandten Arbeitnehmern einen leichten und vollständigen Überblick über die in Deutschland zu beachtenden Arbeitsbedingungen zu gewähren. Dabei sollen alle Tarifverträge, die für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten, zugänglich gemacht werden. Eine solche Maßnahme ist zu begrüßen. Sinnvoll wäre, alle Tarifverträge in Deutschland auf diese Weise öffentlich zugänglich zu machen. Derzeit ist
32
Einführung einer einheitlichen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
dies auch bei Verbandstarifverträgen häufig noch an die Bereitschaft der Tarifvertragsparteien zur Offenlegung geknüpft.
g)
Schutz vor Ausbeutung durch faire Mobilität
Nach den Feststellungen des BMAS im Eckpunktepapier sollen entsandte Arbeitnehmer ihre Rechte besser durchsetzen können. Dafür soll das Klagerecht von EU-Beschäftigten mit dem Ziel gestärkt werden, dass entsandte Arbeitnehmer die als Folge der geänderten Entsenderichtlinie erweiterten Rechte auch in Deutschland einklagen können. Ausgehend davon, dass entsandte ausländische Arbeitnehmer wegen unzureichender Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Rechtssystems ihre nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz bestehenden Rechte oft nicht in gleichem Maße wie im Inland wohnende Arbeitnehmer geltend machen und durchsetzen können, sollen die Gewerkschaften in die Lage versetzt werden, auch solche (entsandte) Arbeitnehmer bei der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen, bei denen keine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft besteht. Darüber hinaus sollen unabhängige staatliche Beratungsangebote für entsandte Arbeitnehmer aus EU-Mitgliedstaaten geschaffen werden. Dabei soll an das Projekt „Faire Mobilität“ (www.faire-mobilitaet.de/faelle) mit seinen mehrsprachig ausgerichteten Beratungsstellen in Deutschland angeknüpft werden.
h)
Fazit
Die Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung muss zwar erst bis zum Juli 2020 erfolgen. Angesichts der weitreichenden Folgen, die mit der Erweiterung der Mindestarbeitsbedingungen insbesondere bei Kettenentsendungen verbunden sind, wäre es aber tatsächlich wünschenswert, schon frühzeitig den Rechtsrahmen zu setzen, damit sich die Praxis organisatorisch und personell darauf einstellen kann. (Ga)
14. Einführung einer einheitlichen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Ab 2021 wird es einen elektronischen Austausch der Arbeitsunfähigkeitsdaten zwischen Ärzten und Krankenkassen geben. Nach den Feststellungen im Eckpunktepapier zum Bürokratieentlastungsgesetz III vom Mai 2019 beabsichtigt die Bundesregierung zu ermöglichen, dass die Arbeitsunfähigkeitsdaten von den Krankenkassen oder dem Arzt direkt an den Arbeitgeber übermittelt werden. Durch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheini33
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gung sollen jährlich mehr als 250 Mio. papiergebundene Bescheinigungen und der damit verbundene manuelle Bearbeitungsaufwand eingespart werden. Diese Veränderung erscheint sinnvoll. Sie hat allerdings nichts zu tun mit der Frage, ob es möglich ist, allein durch den Austausch elektronischer Kommunikation (hier: Fragebogen im Internet) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten. Ebenso wenig ist damit die Frage verbunden, ob in der Zwischenzeit der vorläufige Versand per WhatsApp mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar ist. Wir hatten dieses neue Internet-Angebot an anderer Stelle behandelt58. (Ga)
15. Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung überaus interessante Details zur Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland veröffentlicht59. Zunächst einmal ergibt sich aus der Antwort, dass die Zahl der Verbandstarifverträge in Deutschland in den Jahren 2012 bis 2017 stagniert. Ungeachtet dessen plant die Bundesregierung keine Änderungen des Tarifrechts. Insbesondere sollen die in §§ 613 a Abs. 1 S. 2, 3 BGB, 324 UmwG enthaltenen Regelungen zum Tarifwechsel nicht eingeschränkt werden, was schon aus unionsrechtlichen Gründen schwierig gewesen wäre. Auch ist nicht geplant, die Nachwirkung eines Tarifvertrags gemäß § 4 Abs. 5 TVG auf Neueinstellungen auszuweiten. In einer Reihe von tabellarischen Übersichten zeigt die Bundesregierung darüber hinaus auf, wie sich im Verhältnis dazu die Zahl der Firmentarifverträge verändert. Dabei findet eine Zuordnung der Firmen- und Verbandstarifverträge zu den einzelnen Branchen statt. Des Weiteren erfolgt eine Differenzierung, die die Betriebsgröße erkennen lässt. Sie macht deutlich, dass die tarifvertragliche Gestaltung von Arbeitsbedingungen mit der Größe der betroffenen Betriebe steigt. Erkennbar wird auch, dass die Zahl der Haustarifverträge in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Dabei ist allerdings nicht erkennbar, ob diese Tarifverträge materiell-rechtliche Arbeitsbedingungen betreffen. Ebenso denkbar ist, dass mit solchen Haustarifverträgen zunehmend Vereinbarungen über die Betriebsratsstruktur (§ 3 BetrVG) oder zur Flexibilisierung der Ar58 B. Gaul, AktuellAR 2019, 95 ff. 59 BT-Drucks. 19/6502; 19/5853.
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Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland
beitnehmerüberlassung (§§ 1, 8 AÜG) getroffen wurden. Gerade weil der Gesetzgeber in diesen Bereichen echte Gestaltungsmöglichkeiten nur den Tarifvertragsparteien zugestanden hat, liegt es nahe, dass den spezifischen Bedürfnissen einzelner Unternehmen außerhalb der Verbandstarifverträge Rechnung getragen worden ist. Von Interesse sind auch Feststellungen zum Anteil der übertariflich Beschäftigten. Sie lassen nicht nur erkennen, dass etwa 1/3 der Unternehmen, die an sich an einen Tarifvertrag gebunden sind, eine übertarifliche Bezahlung vereinbart haben. Von dieser Besserstellung gegenüber dem Tarifvertrag sind nach den Übersichten der Bundesregierung in der Regel auch mehr als 50 % der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer betroffen. Deutlich wird allerdings auch, dass die Bereitschaft zur übertariflichen Bezahlung in den westlichen Bundesländern stärker ausgeprägt ist als im Osten Deutschlands. Ob dies einer stärkeren Konkurrenz der Unternehmen auf dem Bewerbermarkt Rechnung trägt, ist nicht erkennbar. Erstaunlich ist ein weiteres Ergebnis, das die Tarifbindung mit der Richtung von Betriebsräten verknüpft. Danach haben in Westdeutschland etwa 64 % der Betriebe weder einen Betriebsrat noch einen Tarifvertrag. Etwa 25 % der Betriebe haben zwar eine Bindung an einen Verbandstarifvertrag, ein Betriebsrat wurde aber nicht errichtet. Nur etwa 5 % der Betriebe haben einen Betriebsrat und eine Tarifbindung, die durch Verbands- oder Firmentarifvertrag bewirkt wird. Im Vordergrund stehen dabei Unternehmen aus den Bereichen Energie/Wasser/Abfall und Bergbau sowie Dienstleister der Finanzund Versicherungsbranche. Regional findet sich der stärkste Organisationsgrad in Hessen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Dabei lässt die Statistik aber nicht erkennen, wann Tarifverträge auch ohne eine gesetzliche Verbindlichkeit zur Anwendung gebracht werden. Dies dürfte vor allem in kleineren Betrieben häufig der Fall sein. Für die betriebliche Praxis zeigt die Übersicht, dass die Bedeutung von Tarifverträgen nach wie vor stagniert, wenn nicht gar sinkt. Bemühungen des BAG und des Gesetzgebers, den Gestaltungsspielraum insbesondere zu Gunsten der Tarifvertragsparteien zu stärken, haben hier keine Änderung zur Folge gehabt. Offenbar gelingt es trotz zunehmender Beschäftigung, auf betrieblicher Ebene – mit oder ohne Betriebsrat – für die Beschäftigten durchaus angemessene Regelungen zu finden. Für die Gewerkschaften bedeutet dies, dass sie vor allem eine stärkere Flexibilität in Bezug auf branchen- oder unternehmensbezogene Regelungen entwickeln müssen. Verbandstarifverträge, die die Entwicklungen des Arbeitsmarkts, Bedürfnisse unterschiedlicher Beschäftigungsgruppen oder regionale Unterschiede nicht ausrei-
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
chend berücksichtigen, werden sich mittelfristig nicht durchsetzen. Sie bewirken auch, dass die Rolle der Spartengewerkschaften steigt. (Ga)
16. Gesetzliche Regelungen zur Beschränkung des Gestaltungsspielraums bei Managergehältern Die Diskussion über die Managergehälter wird nicht nur durch den Umstand geprägt, dass sich die Schere zwischen dem durchschnittlichen Gehalt eines Dax-Vorstands und dem durchschnittlichen Verdienst eines Angestellten des gleichen Dax-Unternehmens immer stärker vergrößert. Hinzu kommt, dass weiterhin Lösungen für die Frage gesucht werden, auf welche Weise die Höhe von Managergehältern stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet werden kann. Dem tragen auch die Grundsätze Rechnung, wie sie im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) enthalten sind. Danach soll das Vergütungssystem zur Umsetzung der strategischen Ziele und der langfristigen Entwicklung des Unternehmens beitragen. Die Zielund die Maximal-Gesamtvergütung sollen in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandmitglieds sowie zur Lage des Unternehmens stehen. Dabei sollen die variablen Vergütungselemente Anreize zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung setzen. Ergänzend hierzu haben einige Abgeordnete und die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN60 sowie einige Abgeordnete und die Fraktion DIE LINKE61 Eigeninitiativen zur Begrenzung des Gestaltungsspielraums in Bezug auf Managergehälter in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Sie sollen nachfolgend kurz zusammengefasst werden.
a)
Orientierung der Managergehälter am langfristigen Unternehmenserfolg
Nach Auffassung der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist es bislang nicht gelungen, mit freiwilligen Empfehlungen, wie sie auch im DCGK enthalten sind, eine Begrenzung der Managerbezüge zu erreichen und deren Voraussetzungen am langfristigen Erfolg des Unternehmens auszurichten. Darüber hinaus habe man es bislang nicht erreicht, eine ressourcenschonende Produktion, die Innovation und den Einsatz neuer klimaschonender Technologien sowie ein auf soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit ausgerichtetes Wirtschaften mit langfristigen Investitionen bei der 60 BT-Drucks. 19/8282. 61 BT-Drucks. 19/7979.
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Regelungen zur Beschränkung des Gestaltungsspielraums bei Managergehältern
Festsetzung der Vergütungssysteme zu berücksichtigen. Diese müssten nach Auffassung der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so ausgerichtet werden, dass sie die nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens sowie die Übernahme von Verantwortung für soziale und ökologische Nachhaltigkeit und nicht nur kurzfristige Aktiengewinne belohnen. Im Hinblick darauf sollte der Deutsche Bundestag durch die Initiative aufgefordert werden, gesetzliche Regelungen vorzulegen • um die Mitfinanzierung von überhöhten Gehältern, Abfindungen und Versorgungszusagen durch die Bürgerinnen und Bürger zu begrenzen. Dazu soll der Betriebsausgabenabzug von Abfindungen auf 1.000.000 € pro Kopf begrenzt werden. Verschiedenste Gestaltungsmöglichkeiten, wie z. B. Übergangsgelder oder Aktienoptionen, sollen in diese Grenze umfassend einbezogen werden; der Betriebsausgabenabzug von Gehältern auf 500.000 € jährlich pro Kopf begrenzt werden. Die Begrenzung gilt für alle fixen und variablen Gehaltsbestandteile; die steuerliche Abzugsfähigkeit von Versorgungszusagen auf die gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge (Höchstsatz) von aktuell 80.400 € jährlich pro Kopf begrenzt werden. • welche die Gehälterstärke am langfristigen Erfolg des Unternehmens orientieren. Dazu soll das Gesamtgehalt höchstens zu einem Viertel variabel, also an den Erfolg geknüpft sein. Davon sollen alle variablen Bestandteile, wie z. B. Boni, Tantiemen und Aktienoptionen, erfasst sein; eine Erfolgsbeteiligung künftig grundsätzlich an den langfristigen Erfolg des Unternehmens geknüpft sein. Das bedeutet z. B., dass Aktienoptionen erst nach fünf Jahren ausgekehrt werden dürfen und der Bezugswert nicht unter dem Aktienkurs zum Zeitpunkt der Ausgabe der Aktienoptionen liegen darf; auch die Erfüllung sozialer und ökologischer Kriterien in die Erfolgsbeteiligung miteinbezogen werden; einer Erfolgsbeteiligung auch eine Beteiligung bei den Verlusten des Unternehmens gegenüberstehen beispielsweise durch die gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme sog. Claw-Back-Klauseln in Verträgen von Vorständen und oberem Management, die die Rück-
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
zahlung von variablen Gehaltsbestandteilen bei Nichterfüllung vorab festgelegter Ziele ermöglichen; der Aufsichtsrat bei der Gestaltung der Vergütungssysteme ausdrücklich dazu verpflichtet sein, ein Verhältnis der Vorstandsgehälter zu den Gehältern des oberen Führungskreises und der gesamten Belegschaft festzulegen. Diese Relation soll als Teil der Vergütungspolitik auch der Aktionärsversammlung als Abstimmung vorgelegt werden und im Anhang des Jahresabschlusses einer Kapitalgesellschaft veröffentlicht werden, um für mehr Transparenz zu sorgen.
b)
Gesetzliche Beschränkung der Managergehälter
Auch die Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, dass gesetzliche Regelungen zu Höchstgrenzen einer Vergütung von Vorstandsmitgliedern bzw. „Managern“ notwendig seien. Nach ihrem Antrag sollte die Bundesregierung deshalb aufgefordert werden, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, nach dem • die Gesamtbezüge eines Vorstandmitglieds nicht mehr als das Zwanzigfache eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der untersten Lohn- und Gehaltsgruppe des jeweiligen Unternehmens betragen dürfen; • Managervergütungen nur bis 500.000 € im Jahr als Betriebsausgabe vom zum versteuernden Gewinn abzugsfähig sein sollen und es im Falle einer Überschreitung nicht nur beim Manager selbst, sondern auch beim auszuzahlenden Unternehmen der vollen Besteuerung unterliegen soll und • eine Vergütung der Unternehmensvorstände mit Aktienoptionen ausgeschlossen sein soll sowie übermäßige Abfindungen beschränkt werden sollen.
c)
Ablehnung der Gesetzesentwürfe
Auf der Grundlage der Beratung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sind die vorstehend genannten Anträge der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE abgelehnt worden62. Derzeit wird man daher davon ausgehen müssen, dass es außerhalb der freiwilligen Regelun-
62 BT-Drucks. 19/9299.
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Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit – Vorschläge der SPD
gen in Form des DCGK wohl keine über die bestehenden Regelungen im AktG hinausgehenden Vorgaben für die Festsetzung einer Vergütung von Vorstandsmitgliedern geben wird. Weitergehende Regelungen für die Vergütung von GmbH-Geschäftsführern oder Führungskräften außerhalb von Vorstand und Geschäftsführung sind ohnehin fernab der Besonderheiten im Bereich der Finanzdienstleister nicht existent. (Ga)
17. Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit – Vorschläge der SPD zu weiteren Reformen im Arbeitsrecht Nachdem die erste Hälfte der Legislaturperiode in Kürze abgelaufen sein wird, wird man sich die Frage stellen müssen, in welche Richtung das von der SPD geführte BMAS in Bezug auf das Arbeitsrecht in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode gehen wird. Wichtige Anhaltspunkte dafür lassen sich in dem jetzt vorliegenden Papier mit Reformvorschlägen unter der Überschrift „Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit“ finden. Ausgangspunkt ist dabei das Ziel, in einer neuen Arbeitswelt Chancen zu eröffnen, um einen Schutz der Arbeitnehmer zu schaffen. Hierzu sollen die Sozialpartnerschaft und Tarifbindung ausgeweitet, der Mindestlohn angehoben und die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats erweitert werden. Hierzu soll auch eine Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern gehören, wie sie jetzt auch durch das BVerfG gebilligt worden ist63. Gleichzeitig sollen neue Erwerbsformen dadurch abgesichert werden, dass Selbständige in der Alterssicherung geschützt, Statusfeststellungsverfahren zwischen abhängig Beschäftigten und Selbständigen beschleunigt werden und ein neuer Arbeitnehmer- und Betriebsbegriff entwickelt wird. Die SPD hat dabei vor allem solche Beschäftigungsformen im Auge, die im Bereich der Digitalisierung durch Plattformen, Netzwerke und Solo-Selbständige im IT-Bereich geprägt sind. Hier soll nicht nur eine sozialversicherungsrechtliche Einbeziehung erfolgen, die über eine Ausweitung der Beitragspflichten und eine Beschleunigung der Statusfeststellungen bei Zweifeln in Bezug auf eine etwaige Selbständigkeit erreicht werden soll. Dem SPD-Papier ist auch die Idee zu entnehmen, einen neuen Betriebsbegriff zu entwickeln, der die Veränderungen zu vernetzten Unternehmen abbildet und zur Einbeziehung von Plattformen führt. Auf dieser Grundlage soll auch ein neuer Arbeitnehmerbegriff eingeführt werden, durch den Beschäftigten in der Plattformwirt-
63 B. Gaul, AktuellAR 2019, 262 ff.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
schaft Arbeitsrechte und Mindestarbeitsbedingungen ebenso wie Mindesthonorare und sozialer Schutz gesichert werden. Obwohl die entsprechende Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat noch abgelehnt wurde64, will auch die SPD Maßnahmen einleiten, die den Beschäftigten eine höhere Zeitsouveränität verschaffen. In ihrem Papier werden dabei ein Ausbau der Brückenteilzeit, die Einführung der Familienarbeitszeit mit Familiengeld, die Einführung eines persönlichen Zeitkontos, das Recht auf mobiles Arbeiten und der Schutz vor Entgrenzung genannt. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben zum Gesundheitsschutz soll damit ein Anspruch auf die Arbeit im Home-Office geschaffen werden, damit Arbeitnehmer von den digitalen Vorteilen profitieren könnten. Gleichzeitig aber soll das Recht auf Nichterreichbarkeit geschützt werden. Arbeitszeitkonten sollen bei einem Wechsel des Arbeitgebers übertragen werden können. Auf diese Weise soll ein persönliches Arbeitszeitmodell eingeführt werden, das eine flexiblere Verteilung der Zeiten für Arbeit, Kinder, Familie sowie die Pflege von Angehörigen möglich macht. Ergänzend hierzu sollen dadurch mehr Chancen in der Arbeitswelt eröffnet werden, dass das Qualifizierungschancengesetz zu einem Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung entwickelt wird, dass ein drittes Umschulungsjahr finanziert und die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung verändert wird. Gelingt es trotz dieser Maßnahmen nicht, Arbeitnehmer in Arbeit zu halten bzw. ihnen Arbeit zu verschaffen, soll die Lebensleistung in der solidarischen Arbeitsversicherung stärker anerkannt werden. Hierzu sollen mehr Menschen in den Schutz der Arbeitslosenversicherung einbezogen werden. Darüber hinaus soll das Arbeitslosengeld bei Qualifizierungsmaßnahmen verlängert und unter Berücksichtigung der individuellen Beschäftigungszeiten auch insgesamt länger gezahlt werden. Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. in welcher Weise diese Vorstellungen zu konkreten Gesetzesvorschlägen führen. Da sich ein Teil dieser Überlegungen bereits als Zielvorgabe im Koalitionsvertrag findet, wird man davon ausgehen müssen, dass die SPD noch in dieser Legislaturperiode auf ihre Umsetzung hinwirken wird. (Ga)
64 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 26 f.
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Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
18. Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes Im März hat die Bundesregierung den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG) in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Mit dem Gesetz soll dem Fachkräftemangel, der insbesondere die Gesundheits- und Pflegebranche sowie die sog. MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), und das Handwerk betrifft, Rechnung getragen werden. Im Gegensatz zu den Fördermaßnahmen der Vergangenheit, die vor allem auf Fachkräfte mit einer akademischen Ausbildung ausgerichtet waren, geht es jetzt im Wesentlichen um Fachkräfte mit qualifizierten Berufsausbildungen, die keinen Hochschulabschluss besitzen. Mit dem Gesetzentwurf werden vor allem Regelungen des AufenthG und der BeschV angepasst. Ergänzende Regelungen betreffen beispielsweise das SGB III, das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) und die Bundesärzteordnung (BÄO). Mit der gesetzlichen Neuregelung sind nicht nur systematische Vereinfachungen verbunden, die das Verfahren insgesamt übersichtlicher und transparenter gestalten sollen. Durch eine Konzentration der ausländerbehördlichen Zuständigkeit für die Einreise von Fachkräften bei einer zentralen Stelle soll ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren geschaffen werden. Im Einzelnen wird dies in § 81 a AufenthG geregelt. Im Rahmen des beschleunigten Fachkräfteverfahrens ist es unter anderem Aufgabe der zuständigen Ausländerbehörde, • den Arbeitgeber zum Verfahren und den einzureichenden Nachweisen zu beraten, • soweit erforderlich, das Verfahren zur Feststellung der Gleichwertigkeit der im Ausland erworbenen Berufsqualifikation oder zur Zeugnisbewertung des ausländischen Hochschulabschlusses bei der jeweils zuständigen Stelle unter Hinweis auf das beschleunigte Fachkräfteverfahren einzuleiten; soll der Ausländer in einem im Inland reglementierten Beruf beschäftigt werden, ist die Berufsausübungserlaubnis einzuholen, • die Eingangs- und Vollständigkeitsbestätigungen der zuständigen Stellen dem Arbeitgeber unverzüglich zur Kenntnis zu übersenden, wenn ein solches Verfahren eingeleitet wurde, • soweit erforderlich, unter Hinweis auf das beschleunigte Fachkräfteverfahren die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einzuholen,
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
• die zuständige Auslandsvertretung über die bevorstehende Visumantragstellung durch den Ausländer zu informieren und • bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen, einschließlich der Feststellung der Gleichwertigkeit oder des Vorliegens der Vergleichbarkeit der Berufsqualifikation sowie der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit, der Visumerteilung unverzüglich vorab zuzustimmen.
Das entsprechende Verfahren soll auch den Familiennachzug des Ehegatten und minderjähriger, lediger Kinder umfassen, deren Visumanträge in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden. Eine wesentliche Erleichterung durch das FEG soll vor allem darin liegen, dass Fachkräfte in allen Berufen, zu denen sie ihre im Ausland erworbene Qualifikation befähigt, arbeiten können, wenn ein Arbeitsvertrag und eine anerkannte Qualifikation vorliegen. In diesem Fall soll eine Beschränkung auf die Engpassbetrachtung entfallen. Auch auf die Vorrangprüfung soll bei Fachkräften im Grundsatz verzichtet werden. Allerdings besteht die Möglichkeit, die Vorrangprüfung kurzfristig wieder einzuführen, falls Veränderungen im Arbeitsmarkt erkennbar werden. Entsprechend den bereits bestehenden Regelungen für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung soll für Fachkräfte mit einer Berufsausbildung die Möglichkeit einer befristeten Einreise zur Arbeitsplatzsuche geschaffen und für fünf Jahre befristet erprobt werden. Darüber hinaus wird der Aufenthalt zu ergänzenden Qualifikationsmaßnahmen für Drittstaatsangehörige mit im Ausland abgeschlossener Berufsausbildung im Rahmen der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikation erweitert und attraktiver gestaltet und unter Einbindung der Bundesagentur für Arbeit eine begrenzte Möglichkeit geschaffen, unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung erst in Deutschland durchzuführen. Insgesamt ist es zu begrüßen, dass mit dem FEG eine aktive Steuerung der Migration vorgenommen wird. Es macht keinen Sinn, den wirtschaftlich motivierten Zuzug von Menschen nach Deutschland allein mit den Mechanismen des Asylverfahrens zu bearbeiten. Insofern ist es richtig, mit dem FEG ein transparentes und beschleunigtes Verfahren für den Zuzug insbesondere solcher Menschen zu schaffen, die im deutschen Arbeitsmarkt benötigt werden65.
65 Eingehend zum FEG vgl. Mävers, AuA 2019, 208.
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Initiativen zum Schutz vor einer Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts
Es bleibt abzuwarten, welche Veränderungen der Gesetzesentwurf in weiteren Gesetzgebungsverfahren erfahren wird. Nach seiner ersten Beratung im Bundestag ist der Entwurf zunächst einmal für die weitere Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales verwiesen worden. (Ga)
19. Gesetzliche Initiativen zum Schutz vor einer Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts Einige Abgeordnete und die Fraktion DIE LINKE hatten bereits im Februar des vergangenen Jahres eine Entschließung in den Bundestag eingebracht, durch die die Bundesregierung zu weitergehenden Maßnahmen zur Beseitigung der Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern aufgefordert werden sollte. Diese Maßnahmen sollten unter anderem • die Schaffung eines Auskunftsanspruchs über die betriebliche Entlohnung unabhängig von der Betriebsgröße, • die Verpflichtung zur betrieblichen Überprüfung der Entgeltgleichheit bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern ab 25 Beschäftigten, • die Einführung eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts für Betriebs- und Personalräte bei der Durchführung von betrieblichen Maßnahmen im Sinne der tatsächlichen Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, • die Einführung eines Verbandsklagerechts bei Klagen wegen Entgeltdiskriminierung und • die Festsetzung von Geldbußen i. H. von bis zu 500.000 € bei Verstößen gegen das Gesetz
umfassen. Ergänzend hierzu hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im März 201866 verlangt, dass die Möglichkeit einer Verbandsklage für Verbände, die sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzen, Betriebsräte sowie Gewerkschaften im Zusammenhang mit einer Durchsetzung der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer eröffnet wird67. Auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von März 201968 hat der Bundestag am 22.3.2019 nach abschließender Debatte die vorstehend genannten Anträge
66 BT-Drucks. 19/1005. 67 BT-Drucks. 19/1192. 68 BT-Drucks. 19/8612.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
abgelehnt. Damit wird es insbesondere im EntgTranspG keine Veränderungen geben. Die Bundesregierung lässt allerdings derzeit noch die Wirksamkeit des EntgTranspG evaluieren69. (Ga)
20. Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch Am 25.3.2019 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch70 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Damit soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) als Teil der Zollverwaltung bei der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung, Sozialleistungsmissbrauch und Schwarzarbeit weiter gestärkt werden. Zu diesem Zweck werden die Rahmenbedingungen für die Prüfungs- und Ermittlungstätigkeiten der FKS weiter verbessert, um Arbeitnehmer vor illegalen Lohnpraktiken zu schützen und konsequent gegen das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und damit verbundener Steuerhinterziehung, Sozialversicherungsbetrug und illegale Beschäftigung vorzugehen sowie die Einhaltung gesetzlicher Mindestlohnverpflichtungen zu überprüfen. Die FKS wird daher zu einer zentralen Prüfungs- und Ermittlungsbehörde in wesentlichen Bereichen des Arbeits- und Sozialrechts fortentwickelt. Gleichzeitig werden allerdings auch materiell-rechtliche Regelungen in Bezug auf die Inanspruchnahme von Kindergeld angepasst, um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme entgegenzuwirken. Das Gesetz befindet sich noch im weiteren Verfahren. Wesentliche Auswirkungen für die arbeitsrechtliche Betriebspraxis sind damit aber am Ende wohl nicht verbunden. (Ga)
21. Arbeitsbezogene psychische Belastungen in Deutschland In ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE hat die Bundesregierung eine Reihe von Informationen über die arbeitsbezogene psychische Belastung in Deutschland vorgelegt. Soweit in der betrieblichen Praxis im Bereich des Arbeitsschutzes Maßnahmen zur Vermeidung entsprechender Belastungen geprüft und festgelegt werden sollen, dürfte es hilfreich sein, sich mit den denkbaren Er69 Vgl. BT-Drucks. 18/8625. 70 BT-Drucks. 19/8691.
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Nachunternehmerhaftung für Paketdienstleister
scheinungsformen zu befassen, wobei sich die Antwort vor allem mit der Belastung von Arbeitnehmern im Bereich der Bundesministerien und sonstiger Geschäftsbereichsbehörden und einzelner Institute (z. B. Robert-KochInstitut) befasst. Bei ihren Erläuterungen macht die Bundesregierung allerdings deutlich, dass derzeit nicht daran gedacht wird, weitere gesetzgeberische Vorgaben einschließlich einer Anti-Stress-Verordnung zu schaffen. (Ga)
22. Nachunternehmerhaftung für Paketdienstleister Der Koalitionsausschuss hat am 14.5.2019 beschlossen, dass ein Gesetz zur Nachunternehmerhaftung für bessere Arbeitsbedingungen in der Paketbranche verabschiedet werden soll. Auf diese Weise will die Bundesregierung für Beitragsehrlichkeit, eine soziale Absicherung aller Paketzusteller und zugleich für einen fairen Wettbewerb sorgen. Hiervon sind etwa 200.000 Zustellerinnen und Zusteller in Deutschland betroffen. Die Gesetzesinitiative entspricht einer Entschließung des Bundesrats, die dieser auf der Grundlage eines Antrags des Landes Niedersachsen71 am 12.4.2019 verabschiedet hatte. Auch die Fraktion DIE LINKE hatte im Bundestag geltend gemacht, dass eine Nachunternehmerhaftung für Paketdienstleister eingeführt und konsequent überwacht werden sollte72. Es ist zu erwarten, dass die gesetzliche Regelung kurzfristig kommt. Wichtig ist, dass die entsprechenden Auftragsverhältnisse deshalb in der Praxis kurzfristig geprüft werden, um Haftungstatbestände auszuschließen. (Ga)
23. Einschränkung der Bürgenhaftung beim Mindestlohn Im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetzes III soll auch die aktuelle Regelung zur Bürgenhaftung in §§ 13 MiLoG, 14 AEntG deutlich eingeschränkt und auf bestimmte Branchen begrenzt werden. Über weitere Initiativen, die mit dem Bürokratieentlastungsgesetz III umgesetzt werden können, hatten wir schon an anderer Stelle berichtet73. Derzeit bestimmt § 14 AEntG, der gemäß § 13 MiLoG im Geltungsbereich des MiLoG entsprechende Anwendung findet, dass ein Unternehmer, der ei71 BR-Drucks. 92/19. 72 BT-Drucks. 19/10289. 73 B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff., 28, 33.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG wie ein Bürge haftet, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Das Mindestentgelt umfasst dabei allerdings nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt). Diese verschuldensunabhängige Haftung über alle Subunternehmerebenen hinweg, die ohne Bezug zu einer bestimmten Branche gilt und zu einem Bußgeld von bis zu 500.000 € und einem Ausschluss von Vergabeverfahren führen kann, soll nur noch in Bezug auf die Branchen fortgeführt werden, die in § 2 a SchwarzArbG genannt werden. Hierzu gehören entsprechende Werk- oder Dienstleistungsverträge im Baugewerbe, im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, im Personenbeförderungsgewerbe, im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, im Schaustellergewerbe, bei Unternehmen der Forstwirtschaft, im Gebäudereinigungsgewerbe, bei Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen, in der Fleischwirtschaft und im Prostitutionsgewerbe. In entsprechender Weise soll eine Haftung für Entgeltansprüche von Leiharbeitnehmern bestehen, die ein Subunternehmer in einem der in § 2 a SchwarzArbG genannten Wirtschaftszweige einsetzt. Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich bei den vorgenannten Branchen bleibt. Wir werden berichten. (Ga)
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B.
1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen
Auf der Grundlage des Trilogs von EU-Parlament, Kommission und Rat wurde inzwischen Einvernehmen über den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union1 erzielt. Wir hatten darüber bereits im letzten Jahr berichtet2. Mit der Richtlinie soll eine Modernisierung der Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (Nachweisrichtlinie) bewirkt werden3. Weitergehend werden Regelungen getroffen, die sich mit der Durchsetzung vertraglicher Rechte und Pflichten sowie mit Ansprüchen auf eine Veränderung bestehender Arbeitsverträge befassen.
a)
Anwendungsbereich der Richtlinie
Die Richtlinie gilt gemäß Art. 1 Abs. 2 nicht nur für jeden Arbeitnehmer, der nach den Rechtsvorschriften von Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder den Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht. Um möglichst übergreifend einen einheitlichen Geltungsbereich der Richtlinie sicherzustellen, muss bei der Auslegung und Anwendung der nationalen Grundsätze zur Kennzeichnung eines Arbeitsverhältnisses zusätzlich die EuGH-Rechtsprechung berücksichtigt werden. Dies kann beispielsweise zur Folge haben, dass die nachstehenden Vorgaben der Richtlinie auch auf den Fremdgeschäftsführer der GmbH zur Anwendung kommen. Dies entspricht den Grundsätzen des EuGH, wie sie mit Blick auf den Geltungsbereich der Mutterschutzrichtlinie entwickelt wurden4. Grundsätzlich werden zwar Arbeitsverhältnisse aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen, bei denen Arbeitnehmer innerhalb eines Referenzzeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen im Durchschnitt nicht mehr als drei 1 2 3 4
COM(2017) 797 final. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 20 ff., 277 ff. Eingehend Maul-Sartori, ZESAR 2018, 369. Vgl. EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, NZA 2011, 143 – Danosa.
47
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Stunden pro Woche tätig sind. Dabei sind auch etwaige Überstunden einzubeziehen. Arbeitnehmer, die im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses ohne eine bestimmte Stundenvorgabe tätig sind (Null-Stunden-Verträge) werden hingegen einbezogen (Art. 1 Abs. 3, 4 Richtlinie – Vorabfassung). Arbeitsverhältnisse werden auch dann erfasst, wenn gemäß § 12 Abs. 1 TzBfG von einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden auszugehen ist.
b)
Katalog der nachzuweisenden Arbeitsbedingungen
Art. 4 Richtlinie – Vorabfassung enthält einen umfassenden Katalog der Arbeitsbedingungen, hinsichtlich derer dem Arbeitnehmer eine entsprechende Dokumentation zugänglich gemacht werden muss. Dieser Katalog erweitert die derzeit noch in § 2 NachwG enthaltenen Arbeitsbedingungen. Zu diesen Arbeitsbedingungen gehören nicht nur Informationen zum Arbeitsort bzw. – falls es sich nicht um einen festen oder vorhersehbaren Arbeitsort handelt – der Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich an verschiedenen Orten tätig wird oder seinen Arbeitsort frei wählen kann. Materiell-rechtlich wäre dies an sich nicht erforderlich. Denn der Arbeitgeber ist bereits auf der Grundlage von § 106 S. 1 GewO berechtigt, den Arbeitsort in den Grenzen billigen Ermessens einseitig abzuändern, soweit dadurch nicht gegen ein Gesetz, eine Kollektivvereinbarung oder arbeitsvertragliche Zusagen verstoßen wird. Das Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung zum Arbeitsort begründet damit zwar das Recht, den Arbeitnehmer auch an anderen Orten einzusetzen. Gleichzeitig werden damit aber die unionsrechtlichen Vorgaben zum Nachweis dieser ortsübergreifenden Einsatzberechtigung missachtet. Im Streitfall kann dies zur Folge haben, dass der Arbeitnehmer in den Genuss der für ihn günstigeren Regelung kommt (Art. 15 Abs. 1 lit. a Richtlinie – Vorabfassung). Ergänzend hierzu begründet Art. 4 Richtlinie – Vorabfassung die Notwendigkeit, dass die dem Arbeitnehmer überlassene Information Angaben über das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen enthält. Berücksichtigt man die Feststellungen im Erwägungsgrund 18, dürfte hierzu nicht nur ein Hinweis auf die notwendige Schriftform einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gehören (§ 623 BGB). Vielmehr geht der Erwägungsgrund 18 davon aus, dass zu den Angaben auch Hinweise auf die Frist für die Einreichung einer Klage gegen die Kündigung gehören. Fehlt ein solcher Hinweis, könnte dies einen 48
Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen
Schadensersatzanspruch begründen, falls die Kündigung wegen der verspäteten Erhebung einer Kündigungsschutzklage als wirksam gilt. Wegen der übrigen Arbeitsbedingungen, die in den entsprechenden Nachweis aufzunehmen sind, sei auf den Wortlaut der Richtlinie verwiesen. Klarstellungsbedarf wird sich für eine Vielzahl von Musterarbeitsverträgen insbesondere in Bezug auf die Anforderungen an die Angaben zu Arbeitsentgelt und Arbeitszeit ergeben.
c)
Form und Zeitpunkt des Nachweises
Gemäß Art. 3 Richtlinie – Vorabfassung soll der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer die gemäß dieser Richtlinie erforderlichen Informationen schriftlich zur Verfügung stellen. Dies muss allerdings nicht notwendig in Papierform geschehen. Sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausdruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- und Empfangsnachweis erhält, ist es möglich, die Informationen dem Arbeitnehmer auch in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln. Grundsätzlich soll die Überlassung zwischen dem ersten Arbeitstag und dem siebten Kalendertag bewirkt werden. Für einen Teil der Informationen ist eine entsprechende Überlassung allerdings noch innerhalb eines Zeitraums von einem Monat ab dem ersten Arbeitstag ausreichend. Lediglich dann, wenn es um zusätzliche Informationen für den in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland entsandten Arbeitnehmer geht, muss der Nachweis vor der Abreise vorliegen (Art. 7 Richtlinie – Vorabfassung).
d)
Nachweis über Kollektivvereinbarungen
Gemäß Art. 5 Abs. 3 Richtlinie – Vorabfassung müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Informationen über die Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. die Satzungsbestimmungen oder allgemeinverbindlichen Kollektiv- bzw. Tarifverträge, die den anwendbaren Rechtsrahmen regeln und vom Arbeitgeber kommuniziert werden müssen, allgemein und kostenlos sowie in klarer, transparenter, umfassender und leicht zugänglicher Art und Weise durch Fernkommunikationsmittel oder auf elektronischem Wege zur Verfügung gestellt werden.
49
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
e)
Höchstdauer einer Probezeit
Im Kapitel III werden darüber hinaus Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen festgelegt. Hierzu gehört auch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass eine Probezeit, falls das Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des nationalen Rechts oder der nationalen Gepflogenheiten eine solche umfasst, nicht länger als sechs Monate andauert. Dies schließt längere Probezeiten in Ausnahmefällen nicht aus, wenn dies durch die Art der Tätigkeit gerechtfertigt oder im Interesse des Arbeitnehmers ist. Ergänzend hierzu erlaubt die Richtlinie den Mitgliedstaaten festzulegen, dass die Probezeit in Fällen, in denen der Arbeitnehmer während der Probezeit der Arbeit ferngeblieben war, entsprechend verlängert werden kann. Die vorstehenden Regelungen dürften im Wesentlichen noch mit §§ 1 Abs. 1 KSchG, 622 Abs. 3 BGB vereinbar sein. Problematisch dürfte allerdings die Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung sein. Danach tragen die Mitgliedstaaten bei befristeten Arbeitsverhältnissen dafür Sorge, dass die Probezeitdauer im Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrags und der Art der Tätigkeit steht. Folgt man dem Erwägungsgrund 28, sollen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Regelung jedenfalls bei befristeten Arbeitsverhältnissen mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten sicherstellen, dass diese Anforderungen erfüllt werden. Gleichzeitig soll es den hiervon betroffenen Arbeitnehmern ermöglicht werden, während der Probezeit Arbeitnehmerrechte zu erwerben. rfolgt eine Vertragsverlängerung für dieselbe Funktion und dieselben Aufgaben, soll für das Arbeitsverhältnis überhaupt keine neue Probezeit vereinbart werden können.
f)
Zulässigkeit einer Nebentätigkeit bzw. Mehrfachbeschäftigung
Durch Art. 9 Abs. 1 Richtlinie – Vorabfassung werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer weder verbieten darf, außerhalb des von ihm festgelegten Arbeitsplans ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber aufzunehmen, noch ihn dafür benachteiligen, dass er dies tut. Wichtig ist, dass diese unionsrechtliche Vorgabe bei der künftigen Ausgestaltung arbeitsvertraglicher Nebentätigkeitsklauseln beachtet wird. Generelle Nebentätigkeitsverbote wären daher unangemessen und unwirksam. Im Hinblick darauf sollte versucht werden, etwaige Schranken für die Ausübung einer Nebentätigkeit ausdrücklich festzuschreiben. Hierzu gehören auch Bedingungen, bei deren Vorliegen die Arbeitgeber aus objektiven
50
Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen
Gründen Unvereinbarkeitsbestimmungen anwenden dürfen, etwa aus Gründen der Gesundheit und der Sicherheit, der Integrität des öffentlichen Dienstes, zur Vermeidung von Interessenkonflikten oder zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
g)
Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit
Gemäß Art. 10 Richtlinie – Vorabfassung sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsmuster völlig und größtenteils unvorhersehbar sind, nicht vom Arbeitgeber verpflichtet werden kann, zu arbeiten, es sei denn, die Arbeit findet innerhalb der vorab bestimmten Referenzstunden und Referenztage statt oder wird dem Arbeitnehmer innerhalb einer angemessenen Ankündigungsfrist mitgeteilt. Ist dies nicht der Fall, ist der Arbeitnehmer berechtigt, einen Arbeitsauftrag abzulehnen, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen.
h)
Übergang zu einer anderen Arbeitsform
Obwohl die Richtlinie an sich nur die Transparenz von Arbeitsbedingungen gewährleisten soll, enthält auch Art. 12 Richtlinie – Vorabfassung im Kern weitergehende Vorgaben. Denn die Mitgliedstaaten werden damit verpflichtet sicherzustellen, dass Arbeitnehmer, die eine etwaige Probezeit abgeschlossen haben und seit mindestens sechs Monaten bei demselben Arbeitgeber tätig sind, ihren Arbeitgeber um eine Arbeitsform mit vorhersehbaren und sicheren Arbeitsbedingungen, falls verfügbar, ersuchen dürfen und eine begründete schriftliche Antwort erhalten. Den Mitgliedstaaten bleibt vorbehalten, die Häufigkeit solcher Ersuchen zu begrenzen. Im Übrigen aber bleibt ihnen nur die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer eine schriftliche und begründete Antwort auf sein Ersuchen grundsätzlich innerhalb eines Monats erhält. Lediglich bei Kleinstunternehmen sowie bei kleinen und mittleren Unternehmen kann auf der Ebene der Mitgliedstaaten eine Verlängerung dieser Frist auf höchstens drei Monate bestimmt werden. Eine mündliche Antwort soll nur dann genügen, wenn derselbe Arbeitnehmer bereits ein ähnliches Ersuchen vorgebracht hat und die Begründung für die Antwort bezüglich der Situation des Arbeitnehmers gleich geblieben ist.
i)
Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit der Gesetzgeber die Richtlinie zum Anlass nehmen wird, über das NachwG hinaus Veränderungen vorzunehmen. 51
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Denkbar wäre, entsprechende Handlungsvorgaben im TzBfG, in der GewO oder im BGB unterzubringen. Die Richtlinie soll den Mitgliedstaaten hierfür in ihrer finalen Fassung eine Frist von drei Jahren gewähren. Wir werden über den weiteren Fortgang berichten. (Ga)
2.
Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde
Am 16.4.2019 hat das Europäische Parlament der bereits am 14.2.2019 erfolgten (politischen) Einigung über den Entwurf einer Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde zugestimmt5. Den Vorschlag hierzu hatte die Europäische Kommission eingebracht6. Mit der Arbeitsbehörde soll die Mobilität von Bürgern auf dem europäischen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Sie soll das Netz der europäischen Arbeitsverwaltungen (EURES) unterstützen und Aufgaben der europäischen Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit übernehmen. Die Teilnahme der Mitgliedstaaten an Tätigkeiten der Arbeitsbehörde ist nur auf freiwilliger Basis vorgesehen. Darüber hinaus stellt der Entwurf der Verordnung ausdrücklich klar, dass mit ihr keinerlei Einschränkungen der Koalitionsfreiheit verbunden sind (Art. 1 Abs. 3 Verordnung – Vorabfassung). Die Europäische Arbeitsbehörde ist eine Einrichtung der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie soll in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit besitzen, die juristischen Personen nach ihrem nationalen Recht zuerkannt wird. Hoheitliches Handeln ist mit der Europäischen Arbeitsbehörde allerdings nicht verbunden. Vielmehr soll sie die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern und Kontrollmaßnahmen unterstützen. Ergänzend hierzu sieht der Entwurf in Art. 13 Verordnung – Vorabfassung vor, dass die Europäische Arbeitsbehörde unbeschadet der Zuständigkeit des Gerichtshofs bei Streitigkeiten zwischen zwei Mitgliedstaaten über die Anwendung von Unionsrecht in Einzelfällen in Bereichen, die unter die Verordnung fallen, eine Schlichtung herbeiführen kann. Der Zweck einer solchen Mediation liegt darin, die unterschiedlichen Standpunkte der Mitgliedstaaten miteinander in Einklang zu bringen und eine unverbindliche Stellungnahme abzugeben. Ob die Errichtung einer solchen Institution auch auf Unionsebene wirklich notwendig ist oder ob darauf nicht mit Blick auf die Subsidiarität 5 6
52
T8_TA-PROV(2019)0380. COM(2018) 0131.
Whistleblower-Richtlinie
unionsrechtlicher Maßnahmen hätte verzichtet werden können, ist zweifelhaft. Der Umfang der Regelungen zur Organisation der Europäischen Arbeitsbehörde und ihres Haushalts machen jedenfalls deutlich, dass mit ihr ein nicht unerheblicher Aufwand in personeller und wirtschaftlicher Hinsicht verbunden ist. (Ga)
3.
Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie)
a)
Ausgangssituation
Am 23.4.2018 hatte die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vorgelegt7. Damit soll ein einheitlicher Rahmen zum Schutz von Whistleblowern (Hinweisgebern) geschaffen werden. Gleichzeitig sollen Unternehmen und Behörden verpflichtet werden, einen verbindlichen Rahmen für die Schaffung der Voraussetzungen für interne und externe Meldungen zu setzen. Im Rahmen des Trilogs haben Rat und EU-Parlament im März 2019 eine vorläufige Einigung über den Entwurf erzielt. Es ist zu erwarten, dass die finale Fassung in Kürze beschlossen und im Amtsblatt verkündet wird. Sie muss dann innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Mit der Einschränkung ihres Geltungsbereichs trägt die Richtlinie zwar dem Umstand Rechnung, dass Regelungen zur Durchsetzung des Unionsrechts schlussendlich nur dort getroffen werden können, wo die Europäische Union im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit ihrerseits zur Rechtssetzung berechtigt war. Zu erwarten ist aber, dass eine Umsetzung der Richtlinie auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht nur Bedeutung für Whistleblower besitzt, die Verstöße gegen das EU-Recht melden. Da der Ursprung einer nationalen Rechtsvorschrift, deren Missachtung Gegenstand entsprechender Meldungen ist, für den Whistleblower kaum erkennbar ist, steht zu erwarten, dass nationale Regelungen zur Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben zum Umgang mit Whistleblowern auch Meldungen in ihren Anwendungsbereich einbeziehen, die eine Missachtung nationaler Rechtsvorschriften ohne unionsrechtlichen Bezug zum Gegenstand haben. Art. 2 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung lässt das ausdrücklich zu. Wichtig ist es deshalb, bestehende 7
COM(2018) 218 final.
53
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Regelungen zum Umgang mit Whistleblowern, die auf Unternehmens- oder auf Konzernebene bestehen, nicht nur insoweit anzupassen, als Meldungen von Verstößen gegen Unionsrecht in Rede stehen. Ausgehend davon, dass unternehmens- oder konzernspezifische Regelungen typischerweise nicht zwischen dem nationalen oder unionsrechtlichen Ursprung einer Rechtsvorschrift unterscheiden, deren (vermutete) Missachtung zu einer Meldung durch den Whistleblower geführt hat, müssen auf der Grundlage der Richtlinie übergreifende Anpassungen bewirkt werden8.
b)
Anwendungsbereich der Richtlinie
In Art. 1 Richtlinie – Vorabfassung werden zunächst einmal die Rechtsakte genannt, deren Missachtung als Verstoß zur Anwendbarkeit der Richtlinie führen soll. Dabei werden – soweit vorliegend von Bedeutung – der Umweltschutz, die öffentliche Gesundheit und der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen genannt. Obwohl der Arbeitsschutz insgesamt ganz wesentlich durch unionsrechtliche Vorgaben geprägt wird, findet er sich nur zum Teil unter dem Begriff der öffentlichen Gesundheit. Die Kommission wird aber aufgefordert, innerhalb der nächsten vier Jahre zu prüfen, ob das Bedürfnis nach einer Erweiterung der Richtlinie insbesondere mit Blick auf den Bereich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes besteht (Art. 27 Abs. 3 Richtlinie – Vorabfassung). Als Verstöße definiert Art. 6 Abs. 1 Richtlinie – Vorabfassung Handlungen oder Unterlassungen, die rechtswidrig sind und mit den in Art. 2 Richtlinie – Vorabfassung und im Anhang genannten Rechtsakten der Union und den dort aufgeführten Bereichen im Zusammenhang stehen, oder die dem Ziel oder dem Zweck der Vorschriften in diesen Unionsrechtsakten und Bereichen zuwiderlaufen. Unklar ist, ob mit der letztgenannten Kennzeichnung auch solche Verhaltensweisen erfasst werden, bei denen Rechte in missbräuchlicher Weise wahrgenommen werden. Das setzte voraus, dass auch die objektiven und ggf. auch subjektiven Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Im Zweifel sollte davon ausgegangen werden. Das zeigt sich bereits durch § 5 GeschGehG. Danach ist die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen auch dann zulässig, wenn ein „berufliches oder sonstiges Fehlverhalten“ in Rede steht. Das setzt kein rechtswidriges Handeln der Person voraus, dessen „Fehlverhalten“ in Rede steht9.
8 9
54
Vgl. Garden/Hiéramente, BB 2019, 963. B. Gaul, AktuellAR 2019, 19 f.
Whistleblower-Richtlinie
Auf persönlicher Ebene werden als Whistleblower Arbeitnehmer i. S. des Art. 45 AEUV, Selbständige i. S. des Art. 49 AEUV, Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören (einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder), sowie Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferantenarbeitern tätig sind, erfasst. Darüber hinaus werden im persönlichen Anwendungsbereich des Art. 2 Richtlinie – Vorabfassung auch Freiwillige und unbezahlte Praktikanten genannt. Der Schutz solcher Personen setzt nicht voraus, dass entsprechende Vertragsverhältnisse bereits zum Abschluss gelangt sind oder noch bestehen. Whistleblower sollen auch dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen werden, wenn ihr Beschäftigungsverhältnis noch nicht begonnen hat und während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über einen Verstoß erlangt werden. Sie werden auch dann erfasst, wenn das Beschäftigungsverhältnis bereits beendet ist. Wichtig ist, dass nach den letzten Änderungen auch solche Personen erfasst werden, die Whistleblower bei einer geschützten Tätigkeit unterstützen (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie – Vorabfassung). Hierzu gehören ggf. auch Mittler sowie Dritte, die mit den Hinweisgebern in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten (z. B. Kollegen oder Verwandte des Hinweisgebers) und juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers stehen oder für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht.
c)
Allgemeine Voraussetzungen und Begriffsbestimmungen
Whistleblower, also Personen, die Informationen über Verstöße in den unter diese Richtlinie fallenden Bereichen melden, haben gemäß Art. 5 Richtlinie – Vorabfassung Anspruch auf Schutz, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass die Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen und intern gemäß Art. 7 und extern gemäß Art. 10 Meldung erstattet oder gemäß Art. 15 dieser Richtlinie auf direktem Wege extern oder öffentlich Informationen gemeldet haben. Unbeschadet der nach Unionsrecht bestehenden Verpflichtungen in Bezug auf anonyme Meldungen berührt diese Richtlinie nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob juristische Personen des privaten oder öffentlichen Sektors und zuständige Behörden anonyme Meldungen von Verstößen entgegennehmen und diesen nachgehen sollten oder nicht.
55
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Personen, die Informationen anonym gemeldet oder öffentlich gemacht haben, anschließend jedoch identifiziert wurden, haben für den Fall, dass sie Repressalien erleiden, dennoch Anspruch auf Schutz, sofern sie die vorstehend genannten Voraussetzungen einer geschützten Meldung erfüllen. Dabei haben Whistleblower, die die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße den zuständigen Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union melden, unter den gleichen Bedingungen Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie wie Hinweisgeber, die extern Meldung erstattet haben. Es dürfte nicht nur sinnvoll sein, die vorstehenden Voraussetzungen bei der unternehmens- oder konzerninternen Ausgestaltung von Systemen zum Schutz von Whistleblowern zu berücksichtigen. Das Gleiche gilt für die weitergehenden Begriffsbestimmungen in Art. 6 Richtlinie – Vorabfassung. Sie lauten im Übrigen wie folgt: Informationen über Verstöße: Informationen oder begründete Verdachtsmomente in Bezug auf tatsächliche oder potenzielle Verstöße und auf Versuche der Verschleierung bereits begangener oder sehr wahrscheinlich erfolgender Verstöße in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand; Meldung: die Übermittlung von Informationen über Verstöße; interne Meldung: die Übermittlung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen oder des privaten Rechts; externe Meldung: die Übermittlung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden; Offenlegung: das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße; Hinweisgeber: eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt; Mittler: eine natürliche Person, die den Hinweisgeber bei dem Meldeverfahren in einem beruflichen Kontext unterstützt; diese Unterstützung sollte vertraulich sein; beruflicher Kontext: laufende oder frühere Arbeitstätigkeiten im öffentlichen oder im privaten Sektor, durch die unabhängig von ihrer Art Personen Informationen über Verstöße erlangen können und bei denen
56
Whistleblower-Richtlinie
sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen können, wenn sie diese Informationen melden; betroffene Person: eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in den offengelegten Informationen als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat oder an diesem beteiligt ist; Repressalien: direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch die interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht bzw. entstehen kann; Folgemaßnahmen: vom Empfänger der Meldung oder einer zuständigen Behörde ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und ggf. zur Abstellung des gemeldeten Verstoßes (durch interne Nachforschungen, Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder-) Einziehung von Mitteln, Verfahrensabschluss usw.); Rückmeldung: die Unterrichtung des Hinweisgebers über die aufgrund seiner Meldung geplanten oder bereits ergriffenen Folgemaßnahmen und die Gründe für diese Folgemaßnahmen; zuständige Behörde: die nationale Behörde, die befugt ist, Meldungen nach Kapitel III der Richtlinie entgegenzunehmen und dem Hinweisgeber Rückmeldung zu geben und/oder als die Behörde benannt wurde, welche die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben – insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen zu den eingegangenen Meldungen – erfüllt.
Die Verwendung solcher Begriffe vermeidet, dass bei der Auslegung der unternehmensspezifischen Regelungen, insbesondere also von Richtlinien oder Betriebsvereinbarungen, abweichende Ergebnisse erzielt werden, die im Zweifel zu Gunsten der gesetzlichen oder einer für den Whistleblower günstigeren Vorgabe aufgelöst werden müssen.
d)
Interne Meldungen und Folgemaßnahmen
aa)
Verpflichtete Unternehmen
Art. 7 ff. Richtlinie – Vorabfassung verpflichten die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass juristische Personen im privaten und öffentlichen Sektor geeignete interne Meldekanäle und Verfahren für die Entgegennahme und Weiterverfolgung der Meldungen einrichten und die potenziellen Hinweisgeber 57
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
darüber in Kenntnis setzen. Soweit dies an eine Einbindung der Sozialpartner geknüpft ist, wie dies beispielsweise durch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG bestimmt wird, müssen diese Beteiligungsrechte berücksichtigt werden. Die Kanäle und Verfahren müssen den Beschäftigten einer juristischen Person die Übermittlung etwaiger Meldungen ermöglichen. Als juristische Person werden dabei juristische Personen des Privatrechts mit 50 oder mehr Beschäftigten bezeichnet. Dabei können juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Beschäftigten für den Zweck der Entgegennahme und Untersuchung von Meldungen Ressourcen teilen. Dies gilt unbeschadet ihrer Verpflichtung, Vertraulichkeit zu wahren, Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen. Problematisch an der Kennzeichnung des Adressatenkreises ist nicht nur, dass der Kreis dieser Unternehmen im Anwendungsbereich der Richtlinie - was die Schwellenwerte betrifft – auch Kleinstunternehmen einbezieht und daher als zu weit gefasst erscheint. Gleichzeitig aber wird nicht berücksichtigt, dass entsprechende Handlungsvorgaben zum Schutz der Whistleblower selbstverständlich auch bei Personengesellschaften und sonstigen Formen einer unternehmerischen Tätigkeit geboten sind. Der Praxis sei bereits wegen der allgemeinen Handlungspflichten im Bereich der Compliance empfohlen, auch ohne entsprechende Erweiterung die Regelungen in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung zu berücksichtigen. Weiterhin wird man überlegen müssen, wie Ressourcen auch innerhalb von Konzernbindungen geteilt werden können. Dies erscheint nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen geboten. Im Zweifel erlaubt nur eine unternehmensübergreifende Eröffnung von Meldeverfahren und die daraus folgende Bearbeitung, den unternehmensübergreifenden Arbeitsprozessen und ihrer Steuerung angemessen Rechnung zu tragen. bb)
Ausgestaltung interner Meldekanäle
Ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis besitzt der Umstand, dass Art. 7 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung keine Verpflichtung mehr enthält, dass Meldungen grundsätzlich intern zu erfolgen haben. Vielmehr sollen sich die Mitgliedstaaten nur noch dafür einsetzen, dass die Nutzung interner Kanäle der externen Meldung in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. Problematisch sind solche Fälle, in denen objektiv zwar von der Möglichkeit eines wirksamen internen Vorgehens gegen einen Verstoß ausgegangen wird, der Hinweisgeber aber gleichwohl Sorge hat, dass bei einer Meldung Repressalien ergriffen werden. Man wird davon
58
Whistleblower-Richtlinie
ausgehen müssen, dass eine solche Einschätzung den Whistleblower berechtigt, eine Meldung unmittelbar gegenüber einer Behörde vorzunehmen. Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Dienststelle betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie – Vorabfassung genannten Garantien und Anforderungen müssen auch von Dritten eingehalten werden, die damit beauftragt sind, den Meldekanal für eine juristische Person des privaten Sektors zu betreiben. Dabei schließen die in Art. 8 Richtlinie – Vorabfassung genannten Verfahren für Meldungen und Folgemaßnahmen gemäß Art. 9 Richtlinie – Vorabfassung Folgendes ein: •
Meldekanäle, die so sicher konzipiert, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff auf diese Kanäle verwehrt wird;
•
eine innerhalb einer Frist von höchstens sieben Tagen nach Eingang der Meldung an den Hinweisgeber zu richtende Bestätigung dieses Eingangs;
•
die Benennung einer unparteiischen Person oder Dienststelle, die für die Folgemaßnahmen zu den Meldungen zuständig ist, wobei es sich um dieselbe Person oder Dienststelle handeln kann, die die Meldungen entgegennimmt und die mit dem Hinweisgeber in Kontakt bleibt, diesen erforderlichenfalls um weitere Informationen ersucht und ihm Rückmeldung gibt;
•
ordnungsgemäße Folgemaßnahmen der benannten Person oder Dienststelle zu den Meldungen;
•
ordnungsgemäße Folgemaßnahmen in Bezug auf anonyme Meldungen entsprechend dem einzelstaatlichen Recht;
•
einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber über die Folgemaßnahmen zu der Meldung, und zwar von maximal drei Monaten ab der Bestätigung des Eingang der Meldung bzw. – wenn der Eingang nicht bestätigt wurde – nach Ablauf von sieben Tagen nach Eingang der Meldung;
•
klare und leicht zugängliche Informationen über die Bedingungen und Verfahren für externe Meldungen an die zuständigen Behörden nach Art. 10 Richtlinie – Vorabfassung und ggf. an Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union.
59
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Die vorstehend genannten Meldekanäle müssen nicht nur die schriftliche oder mündliche Übermittlung von Meldungen ermöglichen. Sie müssen auch eine telefonische oder andere Art der Sprachübermittlung sowie auf Ersuchen des Hinweisgebers im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich machen. Problematisch daran ist, dass die Frist zu einer angemessenen Reaktion nicht auch bei der Rückmeldung vorgesehen ist. Die starre Frist von drei Monaten kann insbesondere dort, wo komplexe und zunächst einmal vertrauliche Untersuchungen geboten sind, problematisch sein, weil die Rückmeldung zu einer Aufdeckung dieser Ermittlungen führen kann. Warum die Möglichkeit einer Verlängerung auf sechs Monate nur für die externen Meldekanäle vorgesehen ist, erschließt sich aus der Richtlinie nicht. Hier wird es wichtig sein, den Whistleblower seinerseits zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Bedauerlicherweise fehlen Regelungen, wie die Verpflichtung zu erfüllen ist, wenn anonyme Hinweise vorgenommen werden. Unberücksichtigt bleibt auch, dass es nicht in allen Fällen opportun erscheint, dem Whistleblower Details etwaiger Folgemaßnahmen mitzuteilen.
e)
Externe Meldungen und Folgemaßnahmen
In den Art. 10 ff. Richtlinie – Vorabfassung werden die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass Hinweisgeber Informationen über Verstöße auch extern melden können, wenn sie zuvor interne Kanäle genutzt haben oder unter Verzicht auf diese Möglichkeit unmittelbar externe Meldekanäle in Anspruch nehmen. Gemäß Art. 11 Abs. 1, 4 Richtlinie – Vorabfassung benennen die Mitgliedstaaten die zuständigen Behörden, die befugt sind, Meldungen entgegenzunehmen, Rückmeldung dazu zu geben und entsprechende Folgemaßnahmen zu ergreifen, und statten diese Behörden mit angemessenen Ressourcen aus. Hierzu gehören entsprechende Zuständigkeiten und eine ggf. notwendige Ausbildung. Dabei ist sicherzustellen,
60
•
dass die zuständigen Behörden unabhängige und autonome externe Meldekanäle für die Entgegennahme und Bearbeitung der von Hinweisgebern übermittelten Informationen einrichten;
•
den Eingang der Meldungen innerhalb von sieben Tagen zu bestätigen, sofern der Hinweisgeber sich nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen oder die zuständige Behörde Grund zu der Annahme hat, dass die Bestätigung des Eingangs der Meldung den Schutz der Identität des Hinweisgebers beeinträchtigen würde;
Whistleblower-Richtlinie
•
ordnungsgemäße Folgemaßnahmen zu den Meldungen zu ergreifen;
•
Hinweisgebern binnen eines angemessenen Zeitrahmens von maximal drei Monaten (bzw. sechs Monaten in hinreichend begründeten Fällen) Rückmeldung über die zu ihren Meldungen ergriffenen Folgemaßnahmen zu erstatten. Dabei teilen die zuständigen Behörden dem Hinweisgeber das abschließende Ergebnis der Untersuchungen nach den im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren mit;
•
die in der Meldung enthaltenen Informationen rechtzeitig an die jeweils zuständigen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur weiteren Untersuchung (sofern diese Möglichkeit nach dem Unionsrecht besteht) weiterzuleiten;
•
dass die zuständigen Behörden in einem gesonderten sowie leicht erkennbaren und zugänglichen Abschnitt ihrer Website die Bedingungen veröffentlichen, unter denen Hinweisgeber Anspruch auf Schutz nach Maßgabe der Richtlinie haben, sowie die Kontaktdaten für die Nutzung der externen Meldekanäle gemäß Art. 12 Richtlinie – Vorabfassung (insbesondere E-Mail-Adressen, Postanschriften, Telefonnummern mit der Angabe, ob die Telefongespräche aufgezeichnet werden), die geltenden Verfahrensvorschriften für die Meldung von Verstößen, der Zeitrahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber sowie Art und Inhalt dieser Rückmeldung und die geltende Vertraulichkeitsregelung für Meldungen und insbesondere die Informationen über die Verarbeitung personenbezogener Daten.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden nach ordnungsgemäßer Prüfung des Sachverhalts beschließen können, dass ein gemeldeter Verstoß eindeutig geringfügig ist und keine weiteren Folgemaßnahmen gemäß dieser Richtlinie erfordert. Dies berührt nicht andere Verpflichtungen oder andere geltende Verfahren betreffend das Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, oder den durch diese Richtlinie gewährten Schutz in Bezug auf Meldungen über die internen und/oder externen Kanäle. Ebenso können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, dass wiederholte Meldungen, die im Vergleich zu einer vorangegangenen und bereits abschließend bearbeiteten Meldung keine neuen zweckdienlichen Informationen beinhalten, keine Folgemaßnahmen erfordern, es sei denn, neue rechtliche oder sachliche Umstände rechtfertigen ein anderes Vorgehen. In beiden Fällen teilen die zuständigen Behörden dem Hinweisgeber den Beschluss und die Gründe für ihren Beschluss mit. Für den Fall, dass sehr viele Meldungen eingehen, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden Meldungen von schwerwiegenden 61
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Verstößen oder von Verstößen gegen wesentliche in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Bestimmungen vorrangig behandeln können. Warum diese Berechtigung zur Priorisierung und Vereinfachung der Verfahren nicht auch für die internen Meldeverfahren vorgesehen ist, ist nicht erkennbar. Nach Art. 12 Abs. 1 Richtlinie – Vorabfassung gelten externe Meldekanäle als unabhängig und autonom, wenn sie so gestaltet, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vollständigkeit, Integrität und Vertraulichkeit der Informationen gewährleistet ist und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff verwehrt wird. Darüber hinaus müssen sie die Speicherung dauerhafter Informationen gemäß Art. 18 Richtlinie – Vorabfassung zulassen, um weitere Untersuchungen zu ermöglichen. Auch die externen Meldekanäle müssen die Übermittlung von Meldungen in folgender Weise ermöglichen: schriftlich und mündlich – per Telefon oder anderer Art der Sprachübermittlung – und auf Ersuchen des Hinweisgebers im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens.
f)
Regelungen zum Schutz von Whistleblowern
Ganz wesentliche Bedeutung haben die in Art. 15 ff. Richtlinie – Vorabfassung getroffenen Regelungen zur Offenlegung und zum Schutz der Whistleblower. aa)
Objektive und subjektive Voraussetzungen einer Einbeziehung
Ausgangspunkt ist dabei Art. 15 Richtlinie – Vorabfassung. Danach hat ein Hinweisgeber, der Informationen über unter diese Richtlinie fallende Verstöße offenlegt, Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:
62
•
Der Whistleblower hat zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern gemäß den Kapiteln II und III der Richtlinie Meldung erstattet, aber zu seiner Meldung wurden innerhalb des Zeitrahmens gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. f und Art. 11 Abs. 2 lit. d Richtlinie – Vorabfassung keine geeigneten Maßnahmen ergriffen; oder
•
Der Whistleblower hat hinreichenden Grund zu der Annahme, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann (z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens) oder bei einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam
Whistleblower-Richtlinie
gegen den Verstoß vorgegangen wird, weil beispielsweise Beweismittel unterschlagen oder vernichtet werden könnten oder weil zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt ist.
Diese Schranken gelten allerdings dann nicht, wenn eine Person aufgrund spezifischer nationaler Bestimmungen, mit denen ein System zum Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit eingerichtet wurde, Informationen unmittelbar an die Presse weitergibt. bb)
Vertraulichkeit und Dokumentationserfordernisse
Die Mitgliedstaaten stellen nach Art. 16 Richtlinie – Vorabfassung sicher, dass die Identität des Hinweisgebers ohne dessen ausdrückliche Zustimmung keinen anderen Personen gegenüber offengelegt wird als den befugten Mitarbeitern, die für die Entgegennahme und/oder Folgemaßnahmen zu Meldungen zuständig sind. Dies gilt auch für alle anderen Informationen, aus denen die Identität des Hinweisgebers direkt oder indirekt abgeleitet werden kann. Eine Ausnahme von dieser Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf die Identität des Hinweisgebers sowie die vorstehend genannten Informationen besteht nur dann, wenn dies nach Unionsrecht oder nationalem Recht eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen der Untersuchungen durch nationale Behörden oder von Gerichtsverfahren darstellt, so auch im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person. Dabei muss der Hinweisgeber unterrichtet werden, bevor seine Identität offengelegt wird, es sei denn, diese Unterrichtung würde die Untersuchungen oder Gerichtsverfahren gefährden. Im Rahmen der Unterrichtung des Hinweisgebers übermittelt die zuständige Behörde diesem eine schriftliche Begründung für die Offenlegung der betreffenden vertraulichen Daten. Soweit den zuständigen Behörden, denen Meldungen zugehen, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten, sind sie verpflichtet, diese nicht für Zwecke zu benutzen oder offenzulegen, die über das für ordnungsgemäße Folgemaßnahmen zu den Meldungen erforderliche Maß hinausgehen. Diese Vorgabe ist sicher gerechtfertigt. Problematisch ist allerdings, dass die in dieser Richtlinie getroffenen Regelungen nicht mit den abweichenden Vorgaben der Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abgestimmt sind. § 5 GeschGehG enthält deshalb hiervon abweichende Möglichkeiten der Rechtfertigung für die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gegenüber einer Behörde und Dritten10.
10 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 19 f.
63
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Losgelöst davon werden die zuständigen Behörden sowie die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors verpflichtet, alle eingehenden Meldungen im Einklang mit den vorstehenden Vertraulichkeitspflichten zu dokumentieren. Die Meldungen werden nicht länger aufbewahrt, als dies im Hinblick auf die Verpflichtungen der zuständigen Behörden sowie der juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors nach Maßgabe dieser Richtlinie erforderlich und verhältnismäßig ist. Bei telefonisch oder auf andere Art der Sprachübermittlung erfolgten Meldungen, die aufgezeichnet werden, können die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers die mündliche Meldung durch Tonaufzeichnung des Gesprächs oder die vollständige und genaue Transkription des Gesprächs durch die für die Bearbeitung der Meldungen verantwortlichen Mitarbeiter der zuständigen Behörde dokumentieren. Die Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors geben dem Hinweisgeber allerdings Gelegenheit, die Transkription zu überprüfen, ggf. zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen. Bei telefonisch oder auf andere Art der Sprachübermittlung erfolgten Meldungen, die nicht aufgezeichnet werden, können die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors die mündliche Meldung mittels eines genauen, von den für die Bearbeitung der Meldungen verantwortlichen Mitarbeitern erstellten, Gesprächsprotokolls dokumentieren. Im Anschluss daran ist dem Hinweisgeber die Möglichkeit zu geben, das Gesprächsprotokoll zu überprüfen, ggf. zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen. Bittet ein Hinweisgeber um eine persönliche Zusammenkunft, um einen Verstoß zu melden, so sorgen die zuständigen Behörden und die juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Sektors vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers dafür, dass vollständige und genaue Aufzeichnungen über die Zusammenkunft in dauerhafter und abrufbarer Form aufbewahrt werden. cc)
Schutz vor Repressalien
Unbeschadet von Art. 3 Abs. 2, 3 Richtlinie – Vorabfassung gelten Hinweisgeber, die nach dieser Richtlinie eine Meldung erstatten oder Informationen offenlegen, nicht als Personen, die eine Offenlegungsbeschränkung verletzt haben (Art. 21 Richtlinie – Vorabfassung). Sie können für diese Meldung oder Offenlegung in keiner Weise haftbar gemacht werden, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Informationen notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie 64
Whistleblower-Richtlinie
aufzudecken. Ergänzend hierzu wird in Verfahren vor einem Gericht oder einer anderen Behörde, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung beziehen und in denen der Hinweisgeber geltend macht, diese Benachteiligung infolge seiner Meldung oder Offenlegung erlitten zu haben, davon ausgegangen, dass die Benachteiligung eine Vergeltungsmaßnahme für die Meldung oder Offenlegung war. In diesen Fällen obliegt es der Person, die die Benachteiligung veranlasst hat, nachzuweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichenden sonstigen Gründen basierte. Hiervon ausgehend können Hinweisgeber nicht für die Beschaffung oder den Zugang zu den betreffenden Informationen haftbar gemacht werden, sofern die Beschaffung oder der Zugang nicht als solche eine eigenständige Straftat dargestellt hat. In letzterem Fall unterliegt die strafrechtliche Haftung weiterhin dem einzelstaatlichen Recht. Unabhängig davon unterliegt jede weitere mögliche Haftung des Hinweisgebers aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung im Zusammenhang stehen oder für die Aufdeckung eines Verstoßes nach dieser Richtlinie nicht erforderlich sind, weiterhin dem geltenden Unionsrecht oder nationalem Recht. Auf der Grundlage von Art. 19 Richtlinie – Vorabfassung müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um jede Form von Repressalien, einschließlich der Androhung und des Versuchs von Repressalien direkter oder indirekter Art, zu untersagen. Dies schließt insbesondere folgende Repressalien ein: •
Suspendierung, Entlassung oder vergleichbare Maßnahmen;
•
Herabstufung oder Versagung einer Beförderung;
•
Aufgabenverlagerung, Verlagerung des Arbeitsplatzes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeiten;
•
Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen;
•
negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses;
•
disziplinarischer Verweis, Rüge oder sonstige Sanktion (auch finanzieller Art);
•
Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung;
•
Diskriminierung, Benachteiligung oder Ungleichbehandlung;
65
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
•
Nichtumwandlung eines Zeitarbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der/die Bedienstete zu Recht erwarten durfte, eine unbefristete Stelle angeboten zu bekommen;
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Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines Zeitarbeitsvertrags;
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Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmenverluste);
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Erfassung des Hinweisgebers auf einer schwarzen Liste auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet;
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vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen;
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Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung und
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psychiatrische oder ärztliche Überweisungen.
Diese Liste ist allerdings abschließend, so dass einzelfallbezogen zu entscheiden ist. Ergänzend hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die in Art. 4 Richtlinie – Vorabfassung genannten Personen ggf. Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen haben, wozu insbesondere ein einfacher und kostenloser Zugang der Öffentlichkeit zu umfassender und unabhängiger Information und Beratung über die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien und die Rechte der betroffenen Person sowie Zugang zu wirksamer Unterstützung von Seiten der zuständigen Behörden beim Kontakt mit etwaigen für den Schutz vor Repressalien zuständigen Behörden, einschließlich – sofern nach nationalem Recht vorgesehen – einer Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für einen Schutz gemäß dieser Richtlinie erfüllt sind. Darüber hinaus soll Zugang zur Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und in grenzüberschreitenden Zivilverfahren gemäß der Richtlinie (EU) 2016/1919 und der Richtlinie 2008/52/EG und Zugang zur Prozesskostenhilfe in weiteren Verfahren sowie zu Rechtsberatung und anderer Rechtsbetreuung nach einzelstaatlichem Recht eingeräumt werden. Weiterhin können die Mitgliedstaaten im Rahmen gerichtlicher Verfahren Finanzhilfe und Unterstützung, einschließlich psychologischer Betreuung, für Hinweisgeber bereitstellen. Dabei können die Unterstützungsmaßnahmen ggf. von einem Informationszentrum oder einer einzigen, eindeutig benannten unabhängigen Verwaltungsbehörde bereitgestellt werden. 66
Whistleblower-Richtlinie
Kommt es zu einer Auseinandersetzung vor einem Gericht oder einer anderen Behörde, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung bezieht und in der der Hinweisgeber geltend macht, diese Benachteiligung infolge seiner Meldung oder Offenlegung erlitten zu haben, wird davon ausgegangen, dass die Benachteiligung eine Vergeltungsmaßnahme für die Meldung oder Offenlegung war. In diesen Fällen obliegt es der Person, die die Benachteiligung veranlasst hat, nachzuweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichenden sonstigen Gründen basierte. Ergänzend hierzu ist sicherzustellen, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte und Rechtsmittel nicht aufgrund einer Beschäftigungsvereinbarung, -bestimmung, -art oder -bedingung, einschließlich einer Vorab-Schiedsvereinbarung, aufgehoben oder eingeschränkt werden.
g)
Regelungen zum Schutz der Betroffenen
Gemäß Art. 22 Richtlinie – Vorabfassung stellen die Mitgliedstaaten gemäß der GRC sicher, dass betroffene Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Gerichtsverfahren und die Wahrung der Unschuldsvermutung sowie ihre Verteidigungsrechte, einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in ihre Akte, in vollem Umfang ausüben können. Dies entspricht im Ergebnis den aus Art. 15 DSGVO, § 83 BetrVG abgeleiteten Feststellungen des LAG Baden-Württemberg, auf die wir an anderer Stelle verwiesen haben11. In diesem Zusammenhang stellen die zuständigen Behörden sicher, dass die Identität der betroffenen Personen während der Dauer der Untersuchung gemäß einzelstaatlichem Recht geschützt bleibt. Dabei gelten die in Art. 12, 17 und 18 Richtlinie – Vorabfassung festgelegten Verfahren auch für den Schutz der Identität der betroffenen Personen. Der Schutz der Betroffenen wird damit nur zum Teil geregelt. Wichtiger ist deshalb, dass die Mitgliedstaaten durch Art. 23 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung verpflichtet werden, wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Personen festzulegen, denen nachgewiesen wird, dass sie wissentlich falsche Meldungen oder Offenlegungen vorgenommen haben. Die Mitgliedstaaten sehen auch Maßnahmen nach einzelstaatlichem Recht zur Wiedergutmachung von Schäden vor, die durch diese Meldungen oder Offenlegungen entstanden sind. Damit sind frühere Begriffsbestimmungen, die noch
11 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 101 ff.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
auf Meldungen in „böswilliger und rechtsmissbräuchlicher Absicht“ abgestellt hatten, entfallen.
h)
Umsetzung der Richtlinie
Die Richtlinie muss spätestens innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Verkündung im Amtsblatt umgesetzt werden. Soweit juristische Personen mit mehr als 50 und weniger als 250 Beschäftigten betroffen sind, kann die Umsetzung um weitere zwei Jahre ausgesetzt werden. Zu den Maßnahmen der Umsetzung gehören auch wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für natürliche oder juristische Personen, die Meldungen behindern oder zu behindern versuchen, die Repressalien gegen Whistleblower und ihre Unterstützer ergreifen, die mutwillige Gerichtsverfahren gegen diese Personen anstrengen oder die gegen Pflicht gemäß Art. 16 Richtlinie – Vorabfassung verstoßen, die Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern zu wahren. Der betrieblichen Praxis sei empfohlen, die in dieser Richtlinie niedergelegten Grundsätze bereits heute bei der Ausgestaltung unternehmensinterner Regelungen zu beachten. Dabei müssen allerdings auch die Regelungen, die zum 26.4.2019 mit dem GeschGehG in Kraft gesetzt wurden12, beachtet werden. (Ga)
4.
Neue Entwicklungen zur A1-Bescheinigung
Im Herbst hatten wir auf die Veränderungen im Hinblick auf die elektronische Abwicklung des Antragsverfahrens im Zusammenhang mit den A1-Bescheinigungen für vorübergehende Auslandstätigkeiten berichtet. Bedauerlicherweise ist derzeit keine Vereinfachung und/oder Einschränkung des Verfahrens in Sicht. Zwar hatte der Bundesrat in seiner Sitzung am 15.3.2019 beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, im anhängigen EU-Gesetzgebungsverfahren (Trilog) zur Revision der Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme darauf hinzuwirken, dass die derzeit eingeforderte Ausstellung der A1-Bescheinigungen für kurzfristige Dienst- und Geschäftsreisen ins EUAusland aufgehoben bzw. zumindest flexibler gehandhabt wird13. Am 20.3.2019 hatten sich auch das EU-Parlament und der Rat auf eine
12 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2019, 17 ff. 13 Vgl. BR-Drucks. 95/19.
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Richtlinie zur Work-Life-Balance
Vereinfachung der Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit geeinigt, im Rahmen derer die Pflicht für die Beantragung der A1Bescheinigung für Dienstreisen in Gänze abgeschafft werden sollte. Bedauerlicherweise ist darüber im Rahmen des Trilogs am 27.3.2019 keine Einigung erzielt worden. Der aktuelle Vorschlag zur Änderung der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Verordnung zur Festlegung der Modalitäten für ihre Durchführung sieht deshalb keinerlei Einschränkungen in Bezug auf die A1-Bescheinigung vor. Damit ist weiterhin zu gewährleisten, dass auch bei kurzzeitigen Auslandsaufenthalten entsprechende Bescheinigungen beantragt werden. Dies gilt nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 24.1.201914 auch für Drittstaatsangehörige, die sich vorübergehend in verschiedenen Mitgliedstaaten aufhalten und dort für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber tätig sind. (Ga)
5.
Richtlinie zur Work-Life-Balance
Im Rahmen der abschließenden Verhandlungen zwischen Rat, EU-Kommission und EU-Parlament vor den Neuwahlen des EU-Parlaments ist im April 2019 auch eine Einigung über den Richtlinienvorschlag zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU (Richtlinie zur Work-Life-Balance) erzielt worden15, den die EU-Kommission schon 2017 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hatte16. Wir hatten über das Verfahren schon mehrfach berichtet17.
a)
Geltungsbereich
Vergleichbar mit der Richtlinie zu den transparenten und verlässlichen Arbeitsbedingungen18 gilt die Richtlinie nicht nur für Arbeitnehmer, die nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften, Kollektivverträge und/oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen. Vielmehr soll auch hier bei der Kennzeichnung des persönlichen Anwendungsbereichs die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigt werden (Art. 2 Richtlinie – Vorabfassung). Konsequenz
14 15 16 17 18
EuGH v. 24.1.2019 – C-477/17, NZA 2019, 383 – Balandin. Vgl. Interinstitutionelles Dossier 2017/0085(COD) 8061/19 v. 11.4.2019. COM(2017) 523 final. B. Gaul, AktuellAR 2018, 23 ff., 278 ff., 355 ff. Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2019, 47 ff.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
ist, dass die nachfolgenden Regelungen z. B. auch auf Fremd-Geschäftsführer Anwendung finden19. Auch dieser Personenkreis kann damit einen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub oder Freistellung zum Zwecke der Pflege von Angehörigen geltend machen. Allerdings kann die Dauer des Urlaubs bei Teilzeitbeschäftigten entsprechend dem Verhältnis zur Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter angepasst werden (Art. 3 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung).
b)
Vaterschaftsurlaub
Der Vaterschaftsurlaub ist die Arbeitsfreistellung für Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – das „äquivalente zweite Elternteil“ anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Betreuung und Pflege (Art. 3 Abs. 1 lit. a Richtlinie – Vorabfassung). Damit kann es auch in gleich- oder diversgeschlechtlichen Partnerschaften mit Elterncharakter geltend gemacht werden. Vaterschaftsurlaub kann nach Art. 4 Richtlinie – Vorabfassung bis zu zehn Arbeitstage dauern. Die Mitgliedstaaten legen fest, ob er auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach genommen werden kann und ob in diesem Zusammenhang auch flexible Beschäftigungsformen durchsetzbar sind (z. B. Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung). Der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub selbst ist nicht an eine Mindestbetriebszugehörigkeitsdauer geknüpft. Gemäß Art. 8 Abs. 2 Richtlinie – Vorabfassung ist er mit einem Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung verbunden, der der Vergütung für den Fall der Krankheit entspricht. Die Entgeltfortzahlung darf auf der Ebene der Mitgliedstaaten aber auf Arbeitnehmer begrenzt werden, die zum Zeitpunkt des errechneten Geburtstermins noch keine sechs Monate Betriebszugehörigkeit haben. Derzeit besteht keine entsprechende Regelung im deutschen Recht. Denkbar ist, dass das MuSchG oder das BEEG entsprechend ergänzt werden.
c)
Elternurlaub
Der Elternurlaub kennzeichnet die Arbeitsfreistellung von Eltern anlässlich der Geburt oder Adoption eines Kindes zur Betreuung dieses Kindes (Art. 3 Abs. 1 lit. b Richtlinie – Vorabfassung). Nach Art. 5 Richtlinie – Vorabfassung soll er für die Dauer von vier Monaten bestehen und geltend gemacht werden können, bis das Kind das achte Lebensjahr erreicht hat. Das 19 Vgl. zur Mutterschutzrichtlinie bereits EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, NZA 2011, 143 Rz. 43, 51 – Danosa.
70
Richtlinie zur Work-Life-Balance
maßgebliche Lebensalter soll durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung so bestimmt werden, dass gewährleistet ist, dass jeder Elternteil sein Recht auf Elternurlaub tatsächlich und gleichberechtigt wahrnehmen kann. Ebenso kann durch Gesetz oder Kollektivvereinbarung bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber verlangen kann, dass der Elternurlaub innerhalb eines vernünftigen zeitlichen Rahmens verschoben wird. In diesem Fall muss dafür allerdings eine schriftliche Begründung erfolgen (Art. 5 Abs. 5 Richtlinie – Vorabfassung). Anspruchsinhaber für den Elternurlaub sind beide Elternteile, wobei zwei Monate nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden können. Dabei soll die Inanspruchnahme flexibel beantragt und mit einer anderen Form der Beschäftigung (z. B. Teilzeit) verbunden werden können. Der Elternurlaub ist nach der Richtlinie nicht von einer bestimmten Mindestbetriebszugehörigkeitsdauer abhängig. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten darf die Inanspruchnahme aber an eine Mindestdauer von bis zu zwölf Monaten geknüpft werden. Da § 15 BEEG solche Voraussetzungen bei der Inanspruchnahme von Elternzeit derzeit nicht kennt, ist nicht zu erwarten, dass bei der Umsetzung erstmals hiervon Gebrauch gemacht wird. Soweit die Mitgliedstaaten den Anspruch auf Elternurlaub von einer bestimmten Beschäftigungs- oder Betriebszugehörigkeitsdauer abhängig machen wollen, darf diese ein Jahr nicht übersteigen. Problematisch sind die Regelungen zur Vergütung. Denn sie sehen nur vor, dass eine Bezahlung festzulegen ist, die „die Inanspruchnahme von Elternurlaub durch beide Elternteile erleichtert“ (Art. 8 Abs. 3 Richtlinie – Vorabfassung). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme von Elternurlaub oft zu einem Einkommensverlust in der Familie führt und dass Erstverdiener in einer Familie ihren Anspruch auf Elternurlaub nur dann geltend machen können, wenn dieser ausreichend vergütet wird, so dass ein angemessener Lebensstandard gewährleistet wird (Erwägungsgrund 31). Dies dürfte über das Elterngeld hinausgehen, weil dort abstrakt-generelle Schranken durch die Beitragsbemessungsgrenzen gesetzt werden. Die ursprüngliche Idee, deshalb eine Vergütung in Höhe von mindestens 75 % des Bruttolohns festzuschreiben, hat in den Schlussverhandlungen aber keine Mehrheit gefunden.
d)
Arbeitsfreistellung zur Pflege von Angehörigen
Der Urlaub für pflegende Angehörige, der richtigerweise als Arbeitsfreistellung (nicht Urlaub) von Arbeitnehmern mit dem Ziel gekennzeichnet wird, einen Angehörigen oder eine im gleichen Haushalt wie der Arbeitnehmer lebende Person, die aus schwerwiegenden medizinischen Gründen gemäß der 71
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Definition des einzelnen Mitgliedstaats auf erhebliche Pflege und Unterstützung angewiesen ist, zu pflegen und zu unterstützen (Art. 3 Abs. 1 lit. b Richtlinie – Vorabfassung), ist ein weiterer Bestandteil der Richtlinie. Angehörige sind dabei Sohn, Tochter, Mutter, Vater, Ehepartner und Partner in einer eingetragenen Partnerschaft (Art. 3 Abs. 1 lit. d Richtlinie – Vorabfassung). Die Pflegefreistellung ist nach Art. 6 Richtlinie – Vorabfassung für bis zu fünf Arbeitstage pro Kalenderjahr einzuräumen. Weitergehende Voraussetzungen einschließlich eines etwaigen Nachweises für die Pflegebedürftigkeit können dabei auf nationaler Ebene festgelegt werden. Zu erwarten ist, dass das PflegeZG und das FPflZG entsprechend angepasst werden. Welche Vergütung dabei festgelegt wird, ist offen. Ziel der Richtlinie ist es sicherzustellen, dass pflegende Angehörige - insbesondere Männer – ihr Recht tatsächlich in Anspruch nehmen (Erwägungsgrund 32).
e)
Flexibilisierung der Beschäftigung
Durch Art. 9 Richtlinie – Vorabfassung werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Regelungen zu schaffen, die im Zusammenhang mit Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Freistellung zur Pflege von Angehörigen flexible Beschäftigungsformen nutzbar machen. Dabei sollen Fristen für die Beantragung sowie Gründe und Fristen für eine Ablehnung bestimmt werden, wie dies heute insbesondere in §§ 8, 9, 9 a TzBfG, 15 BEEG geregelt ist. Soweit dabei eine bestimmte Mindestbetriebszugehörigkeit verlangt wird, darf diese sechs Monate nicht übersteigen.
f)
Kündigungsschutz
Veränderungen bewirkt auch Art. 12 Richtlinie – Vorabfassung. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen für ein Verbot der Kündigung zu ergreifen und auch alle Vorbereitungen für eine solche Kündigung aufgrund der Beantragung oder der Inanspruchnahme von Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Freistellung zur Pflege von Angehörigen, flexiblen Beschäftigungsformen oder der Beantragung einer Arbeitszeitflexibilisierung wegen dieser Freistellungen zu treffen. Wichtig ist, dass nur vor Kündigungen und Vorbereitungsmaßnahmen geschützt wird, die zu einer Beendigung wegen der Inanspruchnahme der hier geregelten Ansprüche führen sollen. Solche Maßnahmen dürften schon mit § 612 a BGB nicht vereinbar sein. Kündigungen aus anderen Gründen sind unter Berücksichtigung der sonstigen Regelungen zum Schutz dieser Personengruppen zulässig und können auch vorbereitet werden. Insofern ist der 72
Ethische Grundsätze bei der Einführung und Anwendung von künstlicher Intelligenz
Schutz geringer, als dies durch § 17 MuSchG der Fall ist. Dort werden Kündigungen auch aus anderen Gründen (einschließlich ihrer Vorbereitung) erfasst. (Ga)
6.
Ethische Grundsätze bei der Einführung und Anwendung von künstlicher Intelligenz
Künstliche Intelligenz findet auch bei der Arbeit in den Personalbereichen zunehmende Anwendung. Dies gilt nicht nur für Auswahlentscheidungen, die in Bezug auf Bewerber erfolgen müssen. Auch die unternehmensinterne Personalentwicklung verwendet immer häufiger KI, obwohl das klassische Assessmentcenter, das Personalgespräch und/oder sonstige Beurteilungsverfahren hier noch im Vordergrund stehen. Bei der rechtlichen Bewertung des Einsatzes solcher Verfahren stehen natürlich die gesetzlichen Diskriminierungsverbote und der Datenschutz als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes im Vordergrund. Ungeachtet dessen wird sich die Praxis zukünftig verstärkt mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit über den geltenden Rechtsrahmen hinaus auch ethische Schranken bestehen und losgelöst von einer fehlenden Rechtspflicht beachtet werden. Diese Entscheidung ist im gesamten Prozess einer Einbindung von KI geboten, auch und insbesondere aber bei der Frage, welche Aufgaben durch KI übernommen werden. Denn diese Entscheidung ist sehr eng mit der Frage verbunden, welche Wertmaßstäbe die Grundlage der automatisierten Entscheidungsprozesse bieten. Voraussetzung für eine solche Entscheidungsmöglichkeit ist natürlich, dass der auf Unternehmensseite Verantwortliche weiß, nach welcher Logik die Datenverarbeitung vorgenommen wird. Fehlen entsprechende Erkenntnisse, sind diese durch den Anbieter entsprechender Verfahren bereitzustellen. Eine entsprechende Notwendigkeit folgt bereits aus Art. 13 Abs. 2 lit. f DSGVO. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer bzw. Bewerber das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling in Verbindung mit aussagekräftigen Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person mitzuteilen. Wer sich mit dieser Frage intensiver befasst, sei nicht nur auf die Arbeit des Ethik-Beirats HR-Tech hingewiesen, den der Bundesverband der Personalmanager (BPM) und die Unternehmensberatung hkp gegründet haben. Ergänzend hierzu sollte man sich mit den Ethik-Richtlinien für eine
73
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
vertrauenswürdige KI befassen, die eine hochrangige Expertengruppe der Europäischen Kommission für Künstliche Intelligenz im April 2019 vorgelegt hat. (Ga)
7.
Notfallmaßnahmen im Bereich der Koordinierung der sozialen Sicherheit nach dem Brexit
Am 28.3.2019 ist die Verordnung zur Einführung von Notfallmaßnahmen im Bereich der Koordinierung der sozialen Sicherheit nach Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union in Kraft getreten20. Mit dieser Verordnung, die nur zur Anwendung kommen soll, wenn der Austritt des Vereinigten Königreichs ohne ein wirksames Austrittsabkommen geschieht, werden Übergangsregelungen zum Schutz solcher Personen getroffen, die vor dem Wirksamwerden des Brexits unter Einbeziehung von Großbritannien von ihrem Freizügigkeitsrecht oder ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht haben. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedstaaten weiterhin die in den Verordnungen 883/2004/EG und 987/2009/EG niedergelegten Grundsätze der Gleichbehandlung, der Gleichstellung, der Zusammenrechnung im Hinblick auf die von diesen Vorschriften erfassten Personen sowie auf Sachverhalte, Ereignisse und Zeiten anwenden, die vor dem Wirksamwerden des Brexits eingetreten sind bzw. zurückgelegt wurden. Ergänzende Vereinbarungen, die zu einem späteren Zeitpunkt und/oder auf bilateraler Ebene abgeschlossen werden, bleiben davon unberührt. (Ga)
8.
Empfehlung des Rats zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige
Bundestag und Bundesrat haben der Bundesregierung gestattet, im Rat dem Vorschlag für eine Empfehlung zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige zuzustimmen21. Die politische Einigung über diesen Vorschlag hatte der Rat am 10.12.2018 veröffentlicht22. Mit dem Papier wird den Mitgliedstaaten unter anderem empfohlen, allen Arbeitnehmern und Selbständigen in den Mitgliedstaaten Zugang zu einem angemessenen Sozialschutz zu gewähren und zwar im Einklang mit dieser Empfehlung und unbeschadet der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die
20 ABl. EU 2019, L 85 I, 35. 21 BT-Drucks. -Drucks. 189/19. 22 15394/18 SOC 775 EMPL 583 7416/18.
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Empfehlung des Rats zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige
Ausgestaltung ihrer Sozialschutzsysteme. Mit dieser Einbindung soll auch ein Mindeststandard verbunden werden, ohne dass dieser durch die Empfehlung bereits weitergehend konkretisiert wird. Dabei wird anerkannt, dass für Arbeitnehmer und Selbständige unterschiedliche Regeln gelten können. Die Empfehlung des Rats ist rechtlich nicht bindend und begründet keine neue sozialpolitische Kompetenz der europäischen Ebene. Gesetzliche Handlungsverpflichtungen für Deutschland ergeben sich daraus nicht. Darauf hatte die Bundesregierung in ihrem entsprechenden Gesetzesentwurf, auf dessen Grundlage die Zustimmung im Rat erfolgen wird, ausdrücklich hingewiesen23. (Ga)
23 BT-Drucks. 19/8460.
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C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Kennzeichnung relevanter Vorbeschäftigungen für sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG
Da der Gesetzgeber bislang die im Koalitionsvertrag vom 7.2.2018 annoncierte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung1 bei Arbeitgebern mit mehr als 75 Beschäftigten noch nicht in Angriff genommen hat, gilt immer noch die bisherige Fassung des § 14 Abs. 2 TzBfG. Nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes unzulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Diese gesetzliche Regelung dient der Umsetzung von § 5 Nr. 1 der EGBUNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG (Rahmenvereinbarung)2. Nach § 5 der Rahmenvereinbarung ergreifen die Mitgliedstaaten, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere der in § 5 Nr. 1 lit. a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen. Entschließt sich ein Mitgliedstaat zu einer dieser Maßnahmen oder zu mehreren, hat er das unionsrechtlich vorgegebene Ziel der Verhinderung des Missbrauchs von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen zu gewährleisten. In einer Grundsatzentscheidung vom 6.4.20113 hatte der 7. Senat des BAG ungeachtet der anderslautenden Genese des Gesetzes aus verfassungsrechtlichen Erwägungen wegen eines zu befürchtenden Einstellungshindernisses (Art. 12 GG) im Falle, dass das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt, eine erneute sachgrundlose Befristung für zulässig erachtet. Die Reaktion in der Literatur4 und in den
1 2 3
4
Koalitionsvertrag Rz. 2341 ff. ABl. EG 1999, L 175, 43. BAG v. 6.4.2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905 Rz.
dung ergänzt durch BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 375/10, NZA 2012, 255 Rz. hatte der 2. Senat des BAG v. 6.11.2003 – 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218 Rz. 25 jedwede Vorbeschäftigung als Anschlussverbot angesehen. ErfK/Müller-Glöge, TzBfG § 14 Rz. 99 Preis, FS Wank S. 413 Wedel, AuR 2011, 413 jeweils m. w. N.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Instanzgerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit5 war teilweise zustimmend, aber auch ablehnend. Das BVerfG6 hat sich der Bewertung des 7. Senats des BAG nicht anschließen können und im Ergebnis – von Ausnahmen abgesehen – jede Zuvorbeschäftigung als gesetzliche Beschränkung befristeter Beschäftigungsformen qualifiziert und entschieden, dass die Sicherung der unbefristeten Dauerbeschäftigung als Regelbeschäftigungsform der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Pflicht des Staates zum Schutz der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG Rechnung trägt. Damit hat sich grundsätzlich das vom 7. Senat des BAG – ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – zeitlich begrenzte Vorbeschäftigungsverbot für die betriebliche Praxis erledigt, so dass der Arbeitgeber vor der Einstellung eines Arbeitnehmers Nachfrage halten muss, ob bereits jemals zuvor arbeitsvertragliche Beziehungen bestanden haben. Der Bewerber ist gehalten, hierauf wahrheitsgemäß zu antworten, weil sich ansonsten der Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) von dem Arbeitsverhältnis lösen kann. Die verfassungsrechtlichen Erwägungen des 7. Senats des BAG haben gleichwohl das BVerfG mit Blick auf Art. 12 GG veranlasst, das gesetzliche Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber als unzumutbar zu erachten, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Diese Unzumutbarkeit kann nach Ansicht des BVerfG zu bejahen sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist, wie dies etwa bei geringfügigen Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden oder bei einer Unterbrechung der Erwerbsbiografie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht, der Fall ist. Insoweit müssen die Arbeitsgerichte in derartigen Fällen durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG einschränken.
5 6
78
Vgl. die Zusammenstellung der Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte: LAG Düsseldorf v. 10.10.2018 – 7 Sa 792/17, NZA-RR 2019, 71 Rz. 34 LAG MecklenburgVorpommern v. 17.10.2017 – 5 Sa 256/16 n. v. (Rz. 26). BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Ls. 1.
Kennzeichnung relevanter Vorbeschäftigungen für sachgrundlose Befristung
Nunmehr war der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 23.1.20197 im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG erstmalig mit einer einige Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung eines anschließend sachgrundlos befristeten Arbeitnehmers befasst. Der Kläger war bei der Beklagten bereits vom 19.3.2004 bis zum 30.9.2005 als gewerblicher Arbeitnehmer tätig und wurde mit Wirkung zum 19.8.2013 erneut sachgrundlos befristet für die Zeit bis zum 28.2.2014 als Facharbeiter eingestellt. Die Parteien verlängerten die Vertragslaufzeit mehrfach, zuletzt bis zum 18.8.2015. Mit seiner Entfristungsklage (§ 17 TzBfG) hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt nicht geendet hat. Die Entfristungsklage war in allen drei Instanzen erfolgreich. Unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 6.6.20188 gab der 7. Senat des BAG seine bisherige Rechtsprechung zu § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, wonach länger als drei Jahre zurückliegende Vorbeschäftigungen einer erneuten sachgrundlosen Befristung nicht im Wege stehen, auf, so dass die Vorbeschäftigung des Klägers prinzipiell keine sachgrundlose Beschäftigung bei der Beklagten zuließ. Anders wäre nur zu entscheiden gewesen, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung als unzumutbar angesehen werden konnte, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit des Klägers bei Abschluss der Befristungsvereinbarung nicht vorlag und damit das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich war, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Im Streitfall hat das BAG eine derartige verfassungskonforme Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG verneint, weil das vorangegangene Arbeitsverhältnis lediglich acht Jahre und damit nicht sehr lange zurücklag. Aufgrund dieses Zeitablaufs sei das Verbot der sachgrundlosen Befristung für die Arbeitsvertragsparteien nicht unzumutbar. Zwar dürfte nach Ansicht des BAG bei dieser Zeitspanne eine Gefahr der Kettenbefristung eher gering sein. Allerdings würde die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung bei einer erneuten Einstellung acht Jahre nach dem Ende der Vorbeschäftigung allein wegen des Zeitablaufs den vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG verfolgten Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren soziale Sicherung und insbesondere auch die Versorgung im Alter maßgeblich an die Erwerbstätigkeit anknüpft, seien auf langfristige und unbefristete Arbeitsverhältnisse angewiesen. Im Einklang mit 7 8
BAG v. 23.1.2019 – 7 ! "# Kossens, AiB 4/2019, 20. BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 71.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
dem sozialpolitischen Zweck des Schutzes der unbefristeten Beschäftigung als Regelfall müsse daher die sachgrundlose Befristung bei der erneuten Einstellung eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Da ein Erwerbsleben bei typisierender Betrachtung mindestens 40 Jahre umfasste9, könnte ein Arbeitgeber jedenfalls vier sachgrundlos befristete Arbeitsverträge von jeweils zweijähriger Dauer mit demselben Arbeitnehmer schließen. Damit wäre die sachgrundlose Befristung nicht mehr die Ausnahme, wodurch das angestrebte Ziel einer langfristigen und dauerhaften Beschäftigung gefährdet würde. Ungeachtet dieser Begründung müsste auch gewichtet werden, dass der Kläger zwar in der zweiten Beschäftigung als Facharbeiter eingesetzt wurde, jedoch zuvor bereits als gewerblicher Arbeitnehmer für die Beklagte tätig geworden war. Die vom Kläger während seiner Vorbeschäftigung in den Jahren 2004 und 2005 geschuldeten Tätigkeiten wären auch keine ganz anderen als jene, die der Kläger ab dem 19.8.2013 habe erbringen müssen. Schließlich sei das erste zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis mit einer Laufzeit von etwa 18 Monaten auch nicht von sehr kurzer Dauer gewesen. Das BAG hielt die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht für erforderlich, weil die im Vergleich zur früheren Rechtsprechung weitergehende Beschränkung der Möglichkeit zur (erneuten) sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen mit den Vorgaben der Richtlinie 1999/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEPRahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Einklang stünde und eine Überschreitung des Schutzstandards der Richtlinie bedenkenfrei sei. Das BAG hat auch einen von der Beklagten reklamierten Schutz des Vertrauens in die frühere Rechtsprechung des 7. Senats des BAG bezüglich einer mehr als drei Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung nicht gelten lassen. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann regelmäßig nur bei dem Hinzutreten weiterer Umstände entstehen10. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an 9 Vgl. BAG v. 18.3.2014 – 3 AZR 69/12, NZA 2014, 606 Rz. 27. 10 BVerfG v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, DB 2015, 2927 Rz. 12.
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Kennzeichnung relevanter Vorbeschäftigungen für sachgrundlose Befristung
einer bestimmten Rechtsauffassung aus der bisherigen Judikatur festhalten. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage kann allenfalls bei einer gefestigten und langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entstehen. In Anwendung dieser der Rechtsprechung des BVerfG11 entsprechenden Grundsätze konnte sich noch kein Vertrauensschutz entwickelt haben, wonach eine mehr als drei Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung kein Hinderungsgrund für eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG darstellte. Wie bereits zuvor dargelegt worden ist, war die Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 6.4.201112 stets umstritten und es war allgemein bekannt, dass diese Rechtsprechung auch Gegenstand von Verfassungsbeschwerden war, so dass jeder Arbeitgeber auf eigenes Risiko handelte, wenn er sich dieser Rechtsprechung des BAG anschloss. Abgesehen davon war das BAG wegen der Gesetzeskraft der Entscheidung des BVerfG daran gehindert, aus Gründen des Vertrauensschutzes seine bisherige Rechtsprechung fortzusetzen. Auch das LAG Düsseldorf musste sich in der Entscheidung vom 10.10.201813 mit der Frage befassen, ob eine Vorbeschäftigung unschädlich war oder die Anwendung von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ausschloss. Der Fall betraf einen Koch, der bereits bei der Beklagten in der Zeit vom 1.1.2005 bis zum 30.9.2006 auf der Grundlage eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt worden war. Anschließend wurde er aufgrund eines weiteren ohne Sachgrund befristeten Vertrags vom 15.11.2011 bis zum 14.11.2013 von der Beklagten als Küchenmeister eingesetzt. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG14 geht das LAG Düsseldorf davon aus, dass der zwischen den befristeten Arbeitsverhältnissen liegende Zeitraum von fünf Jahren nicht als sehr lange zurückliegende Vorbeschäftigung angesehen werden kann und sich damit die weitere sachgrundlose Befristung als gesetzeswidrig und rechtsunwirksam erwies. Angesichts der Vorbeschäftigung als Koch konnte auch keine berufliche Neuorientierung angenommen werden, wenn der Kläger anschließend als Küchenmeister bei der Beklagten eingesetzt worden war. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG15 kam auch in diesem Fall zu Gunsten der Beklagten kein Vertrauensschutz in die
11 12 13 14 15
BVerfG v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, DB 2015, 2927 Rz. 12 m. w. N. BAG v. 6.4.2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905. LAG Düsseldorf v. 10.10.2018 – 7 Sa 792/17, NZA-RR 2019, 71. BVerfG v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, NZA 2018, 774 Rz. 63. BVerfG v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, DB 2015, 2927 Rz. 12 m. w. N.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG16 in Betracht, weil diese weder langjährig noch gefestigt war. Solange keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu den vom BVerfG genannten Unzumutbarkeitsausnahmen vorliegt, wird der betrieblichen Praxis anzuraten sein, bei Vorbeschäftigungen, auch wenn sie viele Jahre zurückliegen, von einem erneuten sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag Abstand zu nehmen, was sicherlich die Einstellungschancen dieser Mitarbeiter deutlich minimiert. Da der Gesetzgeber vorhat, in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesänderung von § 14 Abs. 2 TzBfG vorzunehmen, ist zu hoffen, dass er sich wiederholt der Frage annimmt, welche Karenzzeit angemessen ist, um eine erneute sachgrundlose Beschäftigung zu erlauben. (Boe)
2.
Befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über Altersgrenze hinaus
Wenn das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage einer individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarung an sich mit Erreichen der Regelaltersgrenze beendet wird, gestattet § 41 S. 3 SGB VI den Arbeitsvertragsparteien, durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, ggf. auch mehrfach, hinauszuschieben. Nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 28.2.201817 ist § 41 S. 3 SGB VI jedenfalls insoweit unionrechtskonform, als damit ein Hinausschieben des Beendigungstermins ohne Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen ermöglicht wird. Eine Benachteiligung wegen des Alters sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil Personen, die das Rentenalter erreicht hätten, im Gegensatz zu jüngeren Arbeitnehmern zwischen der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses und dem völligen Ausscheiden aus dem Berufsleben wählen könnten. Da sie in diesem Zusammenhang auch die Modalitäten für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mitbestimmen könnten, liege darin auch dann keine Benachteiligung, wenn die Verlängerung mehrfach erfolgen würde. Ein Verstoß gegen die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG werde nicht nur dadurch ausgeschlossen, dass sich der hierfür betroffene Arbeitnehmer regelmäßig am Ende seines Berufslebens befinde und deshalb im Hinblick auf die Befristung seines Arbeitsvertrags nicht vor der Alternative stehe, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Vielmehr sei durch die Anforderungen an
16 BAG v. 6.4.2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905. 17 EuGH v. 28.2.2018 – C-46/17, NZA 2018, 355 Rz. 34 – John.
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Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Teilnahme an einem Projekt
eine Befristung nach § 41 S. 3 SGB VI auch gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiter beschäftigt werde und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behalte. Dies gelte jedenfalls dann, wenn im Zusammenhang mit der Verlängerung nicht zugleich auch eine Änderung der Arbeitsbedingungen vereinbart werde. In seinem Urteil vom 19.12.201818 hat sich das BAG dieser Rechtsprechung angeschlossen und mit entsprechender Begründung deutlich gemacht, dass § 41 S. 3 SGB VI auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Dabei setze eine Befristung nach § 41 S. 3 SGB VI nicht das Bestehen eines Sachgrunds i. S. des § 14 Abs. 1 TzBfG voraus19. In seinem Urteil hat das BAG offengelassen, ob § 41 S. 3 SGB VI verlange, dass nur der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses geändert werde und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert bleibe20. In jedem Fall sei die Vereinbarung aber wirksam, wenn – was hier geschehen war – die Änderung der Arbeitsbedingungen erst elf Tage nach der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts getroffen worden sei21. Dieser Bewertung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Man wird sogar davon ausgehen können, dass der problematische Zusammenhang von Änderung und Verlängerung bereits dann vermieden wird, wenn die Vereinbarungen an unterschiedlichen Tagen abgeschlossen werden. Zulässig ist auch, die Vereinbarung über eine Änderung der Arbeitsbedingungen unter die aufschiebende Bedingung zu stellen, dass (zu einem späteren Zeitpunkt) die Verlängerung vereinbart wird und in Kraft tritt. Denn damit werden die Änderungen zwar zum gleichen Zeitpunkt wirksam. Die zugrunde liegende Vereinbarung wurde aber anderweitig abgeschlossen. (Ga)
3.
Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Teilnahme an einem Projekt
Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Nach den Feststellungen des BAG kann ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf sowohl durch einen
18 BAG v. 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, NZA 2019, 523 Rz. 33 ff. 19 APS/Greiner, SGB VI § 41 Rz. Poguntke, NZA 2014, 1372, 1373. 20 ErfK/Rolfs, SGB VI § 41 Rz. $Bader, TzBfG § 23 Rz. "%! &'Greiner, SGB VI § 41 Rz. Bauer ( )) Poguntke, NZA, 2014, 1372, 1374. 21 BAG v. 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, NZA 2019, 523 Rz. 20, 29, 31.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
temporären Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen als auch durch die Übernahme eines Projekts oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht genügt. Der Sachgrund setze aber voraus, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sei, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr bestehe. Hierüber habe der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssten. Die Prognose sei Teil des Sachgrunds für die Befristung. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose habe der Arbeitgeber im Prozess darzulegen22. Dabei rechtfertigt die allgemeine Unsicherheit über die zukünftig bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten keine Befristung. Eine solche Unsicherheit gehört – so das BAG – zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags auf den Arbeitnehmer abwälzen darf23. In seinem Urteil vom 21.11.201824 hat sich das BAG eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Befristung des Arbeitsvertrags mit der Klägerin durch ihre Mitwirkung an unterschiedlichen Projekten der Entwicklungshilfe gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt werden konnte. Im Ergebnis hat das BAG dabei die Befristung bestätigt. Nach seinen diesbezüglichen Feststellungen verlangt ein Rückgriff auf § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG, dass es sich bei dem Projekt um eine auf vorübergehende Dauer angelegte und gegenüber den Daueraufgaben des Arbeitgebers abgrenzbare Zusatzaufgabe handelt. Dies sei nicht der Fall bei Tätigkeiten, die der Arbeitgeber im Rahmen des von ihm verfolgten Betriebszwecks dauerhaft wahrnehme oder zu deren Durchführung er verpflichtet sei. Daueraufgaben des Arbeitgebers seien dabei Tätigkeiten, die im Rahmen seiner unternehmerischen Ausrichtung kontinuierlich und im Wesentlichen unverändert anfielen. Davon abzugrenzen seien Zusatzaufgaben, die nur für eine begrenzte Zeit durchzuführen seien und keinen auf längere Zeit planbaren Personalbedarf mit sich brächten. Allein aus dem Umstand, dass ein Arbeitgeber ständig in erheblichem Umfang Projekte durchführe, ergebe sich nicht zwangsläufig, dass es sich hierbei 22 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. * ) – 7 AZR 21/16, NZA 2018, 663 Rz. 16. 23 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. * – 7 AZR 222/15, NZA 2017, 631 Rz. 28. 24 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. 17 ff.
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Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Teilnahme an einem Projekt
um Daueraufgaben handele. Entscheidend sei, ob die Tätigkeiten im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfielen (dann handele es sich um Daueraufgaben) oder ob sie entweder nur unregelmäßig – z. B. aus besonderem Anlass – ausgeführt würden oder mit unvorhersehbaren besonderen Anforderungen auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verbunden seien und deshalb einen nicht vorhersehbaren Personalbedarf sowohl in qualitativer Hinsicht als auch in Bezug auf die Qualifikation des benötigten Personals verursachten (dann lägen Zusatzaufgaben vor)25. Wichtig ist, dass sich der Arbeitgeber nach den Feststellungen des BAG im Bereich der Daueraufgaben nicht dadurch Befristungsmöglichkeiten schaffen kann, dass er diese Aufgaben künstlich in „Projekte“ zergliedert. Könne der Arbeitgeber im Rahmen seines Betriebszwecks einen im Wesentlichen unveränderten Personalbedarf prognostizieren und einschätzen, sei es ihm – so das BAG – regelmäßig verwehrt, diesen Arbeitsanfall unter Berufung auf den Sachgrund der Projektbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG mit befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu bewältigen. Daueraufgaben eines Arbeitnehmers könnten daher regelmäßig nicht für bestimmte Branchen allein anhand des Betriebszwecks übergreifend begriffsmäßig allgemein beschrieben werden, etwa mit einem Schlagwort „Entwicklungshilfe“ oder „Forschung“. Vielmehr sei losgelöst von der Bezeichnung zu ermitteln, ob die Aufgaben, für die der Arbeitnehmer befristet eingestellt werde, im Rahmen des Betriebszwecks kontinuierlich und im Wesentlichen unverändert anfielen und einen planbaren Personalbedarf verursachten26. Hiervon ausgehend spricht es regelmäßig für das Vorliegen eines Projekts nach Auffassung des BAG, wenn dem Arbeitgeber für die Durchführung der in dem Projekt verfolgten Tätigkeiten von einem Dritten finanzielle Mittel oder Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden. Werde ein Arbeitnehmer für die Mitwirkung an einem Projekt befristet eingestellt, müsse aber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erwarten sein, dass die im Rahmen des Projekts durchgeführten Aufgaben nicht dauerhaft anfielen. Hierfür bedürfe es ausreichend konkreter Anhaltspunkte. Diese müssten sich auf den vorhersehbaren Wegfall des zusätzlichen Beschäftigungsbedarfs für den befristet eingestellten Arbeitnehmer beziehen. Unerheblich sei dabei, ob der befristet beschäftigte Arbeitnehmer nach Fristablauf aufgrund seiner Qualifikation auf
25 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. 17, 27. 26 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. 27.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
einen freien Arbeitsplatz außerhalb des Projekts befristet oder unbefristet beschäftigt werden könnte27. Für die betriebliche Praxis ergeben sich aus diesen klaren Leitsätzen des BAG wichtige Anknüpfungspunkte, an denen die Berechtigung eines Rückgriffs auf § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG geprüft werden kann. Wichtig dabei ist, dass die typische Aufteilung der in einem Unternehmen ohnehin zu bewältigenden Arbeit in wechselnde Projekte danach in der Regel nicht genügt, um eine Befristung des Arbeitsvertrags zu rechtfertigen. (Ga)
4.
Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgabe einer schriftlichen Stellenbeschreibung
Insbesondere bei Restrukturierungsmaßnahmen verlangen Betriebsräte immer wieder Stellenbeschreibungen, aus denen heraus das Anforderungsprofil der Arbeitsplätze in der Soll-Struktur erkennbar wird. Auf diese Weise soll nicht nur die Plausibilität der unternehmerischen Entscheidung für eine neue Arbeitsplatz-, Arbeits- und Ablaufstruktur überprüft werden. Entsprechende Stellenbeschreibungen sollen auch helfen zu überprüfen, welche personellen Einzelmaßnahmen erforderlich und/oder zulässig sind. Denn das Anforderungsprofil der Stelle bestimmt nicht nur, wann Versetzungen vorliegen. Es ist auch maßgeblich für die Frage, ob die Weiterbeschäftigung auf einem Arbeitsplatz gemäß § 1 Abs. 2 KSchG angeboten werden muss. Auf kollektivrechtlicher Ebene ist ein Anspruch auf entsprechender Stellenbeschreibungen indes nicht gegeben.
Erstellung
§§ 80 Abs. 2 S. 2, 106 Abs. 2 S. 1, 111 S. 1 BetrVG28 verpflichten den Arbeitgeber nur, etwaige vorhandene Unterlagen, die für die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats erforderlich sind, zu überlassen. Wenn personelle Einzelmaßnahmen in Rede stehen, die eine Beteiligung des Betriebsrats nach §§ 99, 102 BetrVG erforderlich machen, bestimmt der Arbeitgeber die Form der Unterrichtung. Soweit dabei auch Unterlagen vorzulegen sind (§ 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG), betrifft dies wiederum nur solche,
27 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 234/17, NZA 2019, 611 Rz. 17 * ) – 7 AZR 21/16, NZA 2018, 663 Rz. * – 7 AZR 545/14, NZA 2016, 1531 Rz. 19. 28 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, NZA 2003, 1348 Rz. +,$Sittard, BetrVG § 80 Rz. 37.
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Abgabe einer schriftlichen Stellenbeschreibung
die bereits vorhanden sind29. Auch über § 93 BetrVG kann der Betriebsrat keine Stellenausschreibung durchsetzen. § 93 BetrVG berechtigt ihn nur zu verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. Den Inhalt der Ausschreibung bestimmt der Arbeitgeber30. Mit Urteil vom 24.10.201831 hat das BAG deutlich gemacht, dass auch auf individualrechtlicher Ebene durch den Arbeitnehmer nicht verlangt werden kann, dass eine schriftliche Beschreibung der arbeitsvertraglichen Tätigkeiten erfolgt. Es genügt, wenn der schriftliche Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit enthält (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NachwG). In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Rechtsschutzsekretär Klage gegen die DGB Rechtsschutz GmbH mit dem Ziel erhoben, eine bestimmte Tätigkeitsbeschreibung zu erhalten und daran anknüpfend eine Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag abzuschließen. Aus den entsprechenden Dokumenten sollte sich seine fachliche Unabhängigkeit ergeben. Er beabsichtigte, auf dieser Grundlage einen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu stellen. Nachdem der Kläger bis zur Änderung der Rechtsprechung des BSG auch im Rahmen seiner Tätigkeit für die DGB Rechtsschutz GmbH von der Rentenversicherung befreit und Mitglied eines Versorgungswerks der Rechtsanwälte gewesen war, sollte dieser Zustand auf der Grundlage der entsprechenden Erklärungen der DGB Rechtsschutz GmbH wiederhergestellt werden. Die DGB Rechtsschutz GmbH wiederum hatte ihn auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung zum 1.1.2016 bei der Deutschen Rentenversicherung angemeldet. Zur Begründung hatte sie unter anderem darauf verwiesen, dass der Kläger ein in sein Dezernat fallendes Mandat nicht ablehnen könne. Darüber hinaus sei er nach den Regelungen seines Arbeitsvertrags verpflichtet, bei seiner Tätigkeit die politischen Grund- und Zielvorstellungen des DGB, wie es in der Satzung und den Beschlüssen der Organe des DGB zum Ausdruck kam, zu beachten. Dies widerspreche einer vertraglich gewährleisteten fachlichen Unabhängigkeit. Das BAG hat zwar im Ausgangspunkt anerkannt, dass die gesetzliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB) auch eine Verpflichtung des 29 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, NZA 2003, 1348 Rz. 61. 30 BAG v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12, NZA 2014, 214 Rz. 18. 31 BAG v. 24.10.2018 – 10 AZR 69/18, NZA 2019, 161 Rz. 21 ff., 48 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Arbeitgebers begründen könne, bei der Wahrung oder Entstehung von Ansprüchen seiner Arbeitnehmer mitzuwirken, wenn diese gegenüber Dritten erworben werden können. Allerdings verlange § 241 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber nicht, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwilliger Belange durchzusetzen. Vielmehr müsse bei einer Kennzeichnung der wechselseitigen Pflichten ebenfalls das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berücksichtigt werden. Dieses umfasse auch die negative Meinungsfreiheit, also die Freiheit, eine Meinung nicht zu haben, nicht zu äußern, insoweit zu schweigen und nicht gezwungen zu werden, sich eine fremde Meinung als eigene zurechnen lassen oder verbreiten zu müssen. Darüber hinaus gebe es kein im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB schutzwürdiges Interesse des Arbeitnehmers auf Behauptung falscher Tatsachen durch den Arbeitgeber gegenüber Dritten. Hiervon ausgehend konnte die Beklagte nicht verpflichtet werden, die gewünschte Erklärung abzugeben. Denn die Beklagte würde auf diese Weise gezwungen, falsche Tatsachen gegenüber Dritten zu bekunden. Zum einen stelle die Beschäftigung als Rechtssekretär bzw. Rechtsschutzsekretär keine Beschäftigung als Rechtsanwalt oder Syndikusrechtsanwalt dar. Zum anderen sei die fachliche Unabhängigkeit des Klägers als Folge der arbeitsvertraglichen Pflicht, Anweisungen des Arbeitgebers auch unter Berücksichtigung politischer Zielvorstellungen zu beachten, nicht gegeben32. Dies überzeugt. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass das BAG in seinen weitergehenden Feststellungen einen Anspruch auf Erstellung einer Stellenbeschreibung auch ohne Bezug zu dem Umstand begründet, dass die vom Kläger begehrte Aussage nicht in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Gegebenheiten gestanden hatte. Dies folgte schlussendlich aus seinen Feststellungen, mit denen ein Anspruch auf Abschluss einer Ergänzungsabrede zum Arbeitsvertrag abgelehnt wird. Nach den entsprechenden Ausführungen steht es den Parteien nämlich grundsätzlich frei, Abschluss, Inhalt und Form des Arbeitsvertrags zu vereinbaren (§ 105 GewO). Dies gelte grundsätzlich auch für Änderungs- und Ergänzungsverträge, so dass außerhalb der Pflichten für einen schriftlichen Nachweis der auch anderweitig vereinbarten Arbeitsbedingungen durch § 2 NachwG keine schriftlichen Vereinbarungen abgeschlossen werden müssten. Auch § 241 Abs. 2 BGB könne einen solchen Anspruch nicht begründen.
32 BAG v. 24.10.2018 – 10 AZR 69/18, NZA 2019, 161 Rz. 24 ff., 31, 35 ff.
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AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen bei Alt-Verträgen
Losgelöst von der hier in Rede stehenden Fallkonstellation kann es allerdings gleichwohl sinnvoll sein, die mit einer Stelle verbundenen Aufgaben auch einmal schriftlich zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Streit über den Inhalt der mit einem Arbeitsplatz verbundenen Aufgaben besteht. Anlass dafür können insbesondere betriebliche Reorganisationsmaßnahmen oder Mängel in Bezug auf die Aufgabenerfüllung sein. Damit Klarheit für den Arbeitnehmer über den Inhalt seiner Arbeitspflichten besteht und für den Fall der Nichterfüllung auch Sanktionen erfolgen können, kann der Arbeitgeber sein Direktionsrecht gemäß § 106 S. 1 GewO ausüben und seine Weisungen auch schriftlich dokumentieren. Eine Vereinbarung muss darüber nicht geschlossen werden. Es genügt, dass die entsprechenden Vorgaben dem Arbeitnehmer in einer transparenten Weise zugänglich gemacht werden. (Ga)
5.
Nochmals: AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen bei Alt-Verträgen
Wir haben bereits bei früherer Gelegenheit33 die Problematik von Ausschlussfristen im Hinblick auf den Mindestlohn thematisiert. In seiner Entscheidung vom 18.9.2018 hat der 9. Senat des BAG34 nunmehr eine Reihe von Streitfragen geklärt, soweit vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklauseln den gesetzlichen Mindestlohn nicht explizit ausschließen. So wurde im Schrifttum kontrovers darüber diskutiert, ob § 3 S. 1 MiLoG in seinem Anwendungsbereich sowohl das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) als auch das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (§ 306 BGB) verdrängt35 oder die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 3 S. 1 MiLoG, 307 Abs. 1 S. 2 und 306 BGB nebeneinander zur Anwendung kommen36. Da das MiLoG durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.201437 eingeführt und am 16.8.2014, dem Tag nach seiner Verkündung (Art. 15 Abs. 1
33 Vgl. Boewer, AktuellAR 2018, 320 ff. 34 BAG v. 18.9.2018 – 9 ) ) ! "# Lingemann, ArbR 2018, 498 Naber/Schulte - Schmitt-Rolfes, AuA 2018, 639. 35 Vgl. etwa Thüsing/Greiner, MiLoG § 3 Rz. Bayreuther, . () () Lembke, NZA 2016, 1, 8 Lingemann/Otte, - - Preis/Ulber, Ausschlussfristen und Mindestlohngesetz S. 47 ff. 36 ArbR-HB/Vogelsang, § 66 Rz. 45 ErfK/Franzen, MiLoG § 3 Rz. 3 a HWK/Roloff, BGB Anh. §§ 305-310 Rz. ( MüKo/Müller-Glöge, MiLoG § 3 Rz. Kamanabrou, ZFA 2018, 92, 102, 108. 37 BGBl. I 2014, 1348.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Tarifautonomiestärkungsgesetz), in Kraft getreten ist, der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn jedoch erst seit dem 1.1.2015 (§ 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG) besteht, war zweifelhaft, ab wann die Schutzfunktion der Unabdingbarkeit des Mindestlohns Geltung beansprucht. Auf diese Fragen hat der 9. Senat des BAG der betrieblichen Praxis Antworten gegeben, wenn auch offengeblieben ist, ob die fehlende Ausnahme sonstiger Ansprüche, für deren Geltendmachung die Vereinbarung von Ausschlussfristen kraft Gesetzes (etwa § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG, § 4 Abs. 4 S. 3 TVG) der Regelungsmacht der Arbeitsvertragsparteien teilweise entzogen ist, ebenfalls zur Intransparenz einer vom Arbeitgeber gestellten arbeitsvertraglichen Verfallklausel führt. Ebenso unentschieden ist geblieben, wie mit einer vertraglichen Ausschlussfrist umzugehen ist, die mit oder nach Inkrafttreten des MiLoG am 16.8.2014, aber vor Geltung des Mindestlohns ab dem 1.1.2015 vereinbart wurde. Der vom BAG entschiedene Fall betraf einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung eines Klägers, der zuletzt auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 1.9.2015 bei dem Beklagten beschäftigt war. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Verfallfrist, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Nach Ausspruch einer Kündigung des Beklagten und der Erhebung einer Kündigungsschutzklage schlossen die Parteien einen Prozessvergleich. Danach endete das Arbeitsverhältnis mit dem 15.8.2016. Der Beklagte verpflichtete sich, das Arbeitsverhältnis bis zum 15.9.2016 ordnungsgemäß abzurechnen und die sich ergebenden Nettobeträge an den Kläger zu zahlen. Der Prozessvergleich schloss mit der Klausel ab, dass damit alle Ansprüche der Parteien gegeneinander aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung sowie der Rechtsstreit erledigt waren. Dem Kläger standen unstreitig noch 20 Urlaubstage zu, die hätten abgegolten werden müssen. Der Beklagte erteilte dem Kläger am 6.10.2016 eine Abrechnung, in der der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht enthalten war. Mit einer am 17.1.2017 beim ArbG38 eingegangenen und am 25.1.2017 zugestellten Klage hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung der Urlaubsabgeltung i. H. von 1687,20 € (brutto) in Anspruch genommen. Vor dem LAG39 verteidigte sich der Beklagte erfolgreich mit dem Untergang der Urlaubsabgeltung aufgrund der
38 ArbG Hamburg v. 31.8.2017 – 29 Ca 39/17 n. v. 39 LAG Hamburg v. 31.1.2018 – 33 Sa 17/17 n. v.
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AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen bei Alt-Verträgen
Ausschlussklausel, während das Urlaubsabgeltung entsprochen hat.
BAG
insoweit
der
Klage
auf
Zunächst stellt das BAG klar, dass die im Prozessvergleich vereinbarte Ausgleichsklausel nicht als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis i. S. des § 397 Abs. 2 BGB zu qualifizieren ist und damit der Durchsetzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht entgegensteht. Von einem umfassenden Anspruchsausschluss kann nämlich dann nicht gesprochen werden, wenn die Parteien – wie im vorliegenden Fall geschehen – ausdrücklich vereinbaren, dass noch weitere, nicht näher bezeichnete Ansprüche vom Arbeitgeber zu erfüllen sind. Dies gilt ungeachtet dessen, dass ein Arbeitnehmer, der nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich die Möglichkeit hat, die Abgeltung des ihm zustehenden gesetzlichen Mindesturlaubs in Anspruch zu nehmen, mit einer umfassenden Ausgleichsklausel, die sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst, in wirksamer Weise auch seinen Urlaubsabgeltungsanspruch aufgeben kann40. Die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung scheitert weder an § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG noch an Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, weil der Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nur im laufenden Arbeitsverhältnis vorgesehen ist und der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch nicht nur von Ausschlussfristen, sondern auch von einem konstitutiven negativen Schuldanerkenntnis erfasst wird. Hatte der Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit, seinen Urlaubsabgeltungsanspruch vor dessen Untergang zu realisieren, kann er darüber auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG) verfügen41. Da die im Prozessvergleich vereinbarte Ausgleichsklausel den Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers nicht zu Fall bringen konnte, kam es darauf an, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch durch die Versäumung der Ausschlussfrist verfallen war. Dies hat das BAG verneint, weil die am 1.9.2015 vereinbarte Klausel intransparent und damit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB insgesamt rechtsunwirksam war. Die Intransparenz ergibt sich daraus, dass die Ausschlussfrist entgegen § 3 S. 1 MiLoG auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 MiLoG) erfasst, der nach dem am 16.8.2014 in Kraft getretenen MiLoG ab dem 1.1.2015 zu zahlen ist. Damit ist an die Stelle der vertraglichen Ausschlussfrist die Rechtsfolge der gesetzlichen Bestimmungen getreten (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB), so dass allenfalls die Frage der hier nicht einschlägigen Verjährung auftreten konnte.
40 BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 10. 41 BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 16 m. w. N.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Das BAG geht dabei zunächst davon aus, dass die im Arbeitsvertrag 2015 getroffenen Abreden den Charakter Allgemeiner Geschäftsbedingungen aufweisen, wobei es nicht darauf ankam, ob es sich um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen handelte (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB) oder ein Verbrauchervertrag i. S. von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB vorlag42. Sodann gelangt das BAG zu Recht zu dem Ergebnis, dass die hier maßgebende Ausschlussfrist dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB schon deswegen nicht gerecht wird, weil die Klausel entgegen § 3 S. 1 MiLoG den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, wonach Vereinbarungen, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam sind. Mit dieser gesetzlichen Regelung kann zweifelsfrei der Mindestlohnanspruch von einer vertraglichen Ausschlussfrist nicht erfasst werden43. Der damit verbundene Verstoß gegen das Transparenzgebot i. S. des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB resultiert daraus, dass die hier maßgebende Ausschlussfrist insoweit unzutreffend und missverständlich ist, als sie durch ihre alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfassende Formulierung geeignet ist, den Arbeitnehmer von der Durchsetzung auch seines Mindestlohnanspruchs abzuhalten und damit den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Denn eine derartige Ausschlussfristenregelung suggeriert dem verständigen Arbeitnehmer, er müsse auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn innerhalb der vorgesehenen Ausschlussfrist geltend machen, so dass er nach Ablauf der Ausschlussfrist wegen seines angenommenen Verfalls von einer Durchsetzung des Mindestlohns absieht44. Da es für die Prüfung der Transparenz einer in einem Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) gestellten oder als Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB) vereinbarten Ausschlussfrist ausschließlich auf die Gesetzeslage bei Vertragsabschluss ankommt45, standen für den Zeitpunkt der Prüfung mehrere Daten zur Auswahl: das Ausfertigungsdatum des Gesetzes vom 11.8.2014, das Verkündungsdatum des Gesetzes vom 14.8.2014, sein
42 BAG v. 13.2.2013 – 5 AZR 2/12, NZA 2013, 1024 Rz. 14. 43 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. * – 9 AZR 80/17, NZA 2018, 57 Rz. % # / 9 AEntG: BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, NZA 2016, 1539 Rz. 21. 44 Vgl. zu § 2 PflegeArbbV: BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. ( BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, NZA 2016, 1539 Rz. 30. 45 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. ( *+ -2014 – VIII ZR 344/13, NJW 2014, 3016 Rz. ) * – 8 AZR 897/08, NZA 2011, 89 Rz. 22.
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AGB-Kontrolle von Ausschlussfristen bei Alt-Verträgen
Inkrafttreten am 16.8.2014 (Art. 15 Abs. 1 Tarifautonomiestärkungsgesetz) sowie die erstmalige Inanspruchnahme des Mindestlohns ab dem 1.1.2015 (§ 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG). Im Hinblick darauf, dass der den Schutz des Mindestlohnanspruchs bezweckende § 3 S. 1 MiLoG eine zeitliche Parallelität von arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltansprüchen einerseits und dem Mindestlohnanspruch andererseits voraussetzt, hat sich das BAG am 1.1.2015 orientiert und ab diesem Zeitpunkt die Teilunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung nach § 3 S. 1 MiLoG angenommen. Demgegenüber steht nach Ansicht des BAG für den Zeitraum bis zum 31.12.2014 § 3 S. 1 MiLoG der Wirksamkeit der Ausschlussfrist nichts entgegen, weil die Norm das Bestehen eines Mindestlohnanspruchs voraussetze. Im Anschluss an diese Bewertung und den Hinweis darauf, dass die an die Transparenz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gestellten Anforderungen den Verwender nicht überfordern dürfen, schlägt das BAG46 zur Vermeidung der Intransparenz der Ausschlussfrist eine Formulierung vor, wonach „die vertragliche Ausschlussfrist nicht für Ansprüche des Arbeitnehmers gilt, die kraft Gesetzes der vereinbarten Ausschlussfrist entzogen sind.“ Alternativ verweist das BAG auf einen 47 Formulierungsvorschlag von Roloff , der wie folgt lautet: Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und mit diesem im Zusammenhang stehende verfallen, wenn sie nicht binnen drei Monaten nach Fälligkeit beim Vertragspartner in Textform (§ 126 b BGB) geltend gemacht werden. Die Ausschlussfrist gilt nicht (1) für die Haftung aufgrund Vorsatzes (2) für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit oder (3) für Ansprüche des Arbeitnehmers, die kraft Gesetzes dieser Ausschlussfrist entzogen sind (z. B. AEntG, MiLoG, BetrVG, TVG).
Wenn auch die vom BAG vorgeschlagene Formulierung den Mindestlohn nicht ausdrücklich benennt, wird sie nach seiner Ansicht dem Transparenzgebot gerecht, weil der Klauselverwender Rechtsbegriffe aus der Gesetzessprache ebenso wie unbestimmte und auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe benutzen darf und von ihm nicht verlangt werden kann, die 46 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 51. 47 Roloff, FS Willemsen S. 416.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Folgen einer Vertragsbestimmung für alle denkbaren Fallgestaltungen zu erläutern. Ob die fehlende Ausnahme sonstiger Ansprüche, für deren Geltendmachung die Vereinbarung von Ausschlussfristen kraft Gesetzes, wie etwa nach § 9 AEntG, § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG, § 4 Abs. 4 S. 3 TVG, ausgeschlossen ist, ebenfalls zur Intransparenz der im Streitfall zu beurteilenden Ausschlussfrist führte, hat das BAG unentschieden gelassen. Da gemäß § 3 S. 1 MiLoG Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn beschränken oder ausschließen, nur insoweit unwirksam sind, enthält diese Vorschrift eine gesetzliche Anordnung einer ansonsten unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion. Soweit es um diese Vorschrift geht, sind demzufolge Ausschlussfristen nur gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam, sofern sie sich auf gesetzliche Mindestlohnansprüche eiben sie wirksam. Angesichts dessen war vom BAG 48 die im Schrifttum umstrittene Frage zu klären, ob § 3 S. 1 MiLoG und § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zueinander in einem Rangverhältnis der Spezialität oder Subsidiarität stehen, oder ob sie nebeneinander zur Anwendung gelangen. Das BAG hat sich im Meinungsstreit dahingehend festgelegt, dass das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB die limitierte Rechtsfolge des § 3 S. 1 MiLoG überlagert, weil sich letztere Vorschrift zur Transparenz von Ausschlussfristen und den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot nicht verhält. Dabei beruft sich das BAG vor allem auf den Sinn und Zweck des § 3 S. 1 MiLoG, weil mit dieser Vorschrift der Mindestlohnanspruch gesichert und eine Umgehung des MiLoG durch missbräuchliche Konstruktionen verhindert werden sollte49. Dieser Normzweck stünde nicht im Einklang mit der Annahme, § 3 S. 1 MiLoG erhalte im Wege einer gesetzlich vorgegebenen Teilbarkeit oder geltungserhaltenden Reduktion Ausschlussfristen aufrecht, die aufgrund ihres irreführenden Inhalts den Arbeitnehmer davon abhalten könnten, nach Verstreichen der vereinbarten Ausschlussfrist den gesetzlichen Mindestlohn – in der Annahme, er sei verfallen – noch geltend zu machen. Auch die nach § 310 Abs. 4 S. 2 Halbs. 1 BGB gebotene angemessene Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten kann nach Ansicht des BAG keine Rechtfertigung für eine Aufrechterhaltung einer sich auch auf den gesetzlichen Mindestlohn erstreckenden Ausschlussfrist abgeben, weil eine geltungserhaltende Reduktion sich vor allem zu Gunsten des Verwenders
48 Vgl. Nachweise bei Fn. 35 und 36. 49 BT-Drucks. 18/1558 S. 35.
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Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
auswirkte, während die Intransparenz der Ausschlussfristenregelung faktisch zur Gefahr von Rechtsverlusten für den Arbeitnehmer führte. Für die betriebliche Praxis ist mit dieser Entscheidung klargestellt, dass für vom Arbeitgeber vorformulierte vertragliche Ausschlussfristenregelungen, die nach dem 31.12.2014 abgeschlossen wurden und entgegen § 3 S. 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfassen, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen und damit insgesamt rechtsunwirksam sind. Wurde hingegen der Arbeitsvertrag jedenfalls vor Inkrafttreten des MiLoG geschlossen, so führt die Anwendung des MiLoG nicht nachträglich nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zur Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung wegen Intransparenz, sondern vielmehr ab dem 1.1.2015 lediglich zu ihrer Teilunwirksamkeit nach § 3 S. 1 MiLoG, soweit der Mindestlohnanspruch in Rede steht. (Boe)
6.
Beweiswert einer über Internet und WhatsApp erlangten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Bereits in seinem Urteil vom 11.8.197650 hat das BAG darauf hingewiesen, dass die ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit keine gesetzliche Vermutung i. S. des § 292 ZPO für die in der Bescheinigung bestätigte Erkrankung begründet. Zwar habe eine ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert. Die Bescheinigung sei gesetzlich vorgesehen und der wichtigste Beweis für die Tatsache einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Der Beweiswert der Bescheinigung ergebe sich aber aus der Lebenserfahrung. Der Tatrichter könne normalerweise den Beweis der Erkrankung als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlege. Wenn die Parteien im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung darüber streiten, ob tatsächlich eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, muss das Arbeitsgericht neben der AU-Bescheinigung alle Tatsachen, die zu ernsthaften Zweifeln Anlass geben, in seine Beweiswürdigung einbeziehen. Zweifel können sich dabei nicht nur aus Erklärungen des Arbeitnehmers vor der Erkrankung („angekündigtes Krankfeiern“), aus seinem Verhalten während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (z. B. Schwarzarbeit) oder aus dem Umstand ergeben, dass sich der Arbeitnehmer einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst entzieht. Wie das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung
50 BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 10 ff., 14.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
deutlich gemacht hat, wird der Beweiswert einer AU-Bescheinigung auch dadurch beeinträchtigt, dass der Arzt den Arbeitnehmer nicht vor der Ausstellung der Bescheinigung untersucht hat, den Befund also nicht selbst erhoben hat51. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Kläger krankheitsbedingt ausgefallen. Zweifel an der Richtigkeit der vorgelegten AU-Bescheinigung hatten sich für den Arbeitgeber nicht nur aus dem Umstand ergeben, dass der Arbeitnehmer am Vortag seiner Erkrankung nach der Zuweisung einer als unangenehm geltenden Arbeit sinngemäß erklärt hatte, dass er nicht zur Arbeit gekommen, sondern zu Hause geblieben wäre, wenn er gewusst hätte, dass er diese Arbeit verrichten müsse. Im Anschluss daran hatte er jedenfalls an diesem Tage gearbeitet, ohne gesundheitliche Beschwerden zu äußern. Zweifel entstanden für den Arbeitgeber in Bezug auf die Richtigkeit der AU-Bescheinigung allerdings auch als Folge des Umstands, dass diese Bescheinigung ohne ein Aufsuchen des Arztes erstellt worden war. Nach dem Vortrag des Klägers hatte seine Ehefrau den Hausarzt angerufen und ihm erklärt, dass ihr Mann fieberhaft erkrankt sei. Der Arzt habe daraufhin die Ehefrau des Klägers gebeten, in der Praxis ein Rezept über ein Medikament und ein Attest abzuholen. Nach dem insoweit umstrittenen Vortrag des Klägers hatte die Ehefrau den Arzt zuvor gebeten, einen Hausbesuch durchzuführen. Der Arzt, der den Kläger seit mehreren Jahren kannte, hatte aber darauf verzichtet, als ihm die Ehefrau mitteilte, dass – so der Klägervortrag – er eine Temperatur von 39,2 oder 39,3 °C habe. Das BAG ist zu Recht davon ausgegangen, dass diese Gesamtumstände den Beweiswert der vom Kläger vorgelegten AU-Bescheinigung beeinträchtigten. Allerdings oblag es dem LAG Hamm, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurückverwiesen wurde, eine umfassende Würdigung aller Umstände vorzunehmen. Hierzu gehörten nicht nur die Umstände, die Zweifel an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung entstehen ließen. Vielmehr musste sich das LAG Hamm auch mit den Zeugenaussagen der Ehefrau befassen, die das Krankenbild des Klägers beschrieben hatte. Das LAG Hamm hatte insoweit nur eine unvollständige und in sich nicht widerspruchsfreie Beweiswürdigung vorgenommen. Die vorstehenden Grundsätze kommen auch dann zum Tragen, wenn Arbeitnehmer Dienstleister in Anspruch nehmen, die auf der Grundlage von Angaben des Arbeitnehmers im Internet eine AU-Bescheinigung ausstellen
51 BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 16.
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Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
und diese per WhatsApp (nachgeschaltet im Original per Post) zusenden. Grundlage für die entsprechende AU-Bescheinigung, die derzeit offenbar nur für Erkältungen ausgestellt wird, ist die Angabe von Symptomen, die dem Arbeitnehmer bereits auf der Website genannt werden, so dass deren Vorliegen durch einfaches Anklicken bestätigt werden kann. Dass der ausstellende Arzt den Arbeitnehmer hierfür nicht persönlich untersucht, bewirkt nicht bereits die Unzulässigkeit einer solchen Vorgehensweise. Dies gilt jedenfalls in Schleswig-Holstein und Bayern, wo eine Beratung oder Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien erlaubt ist, wenn dies ärztlich vertretbar und ein persönlicher Kontakt mit den Patienten nicht erforderlich ist. Ausgangspunkt sind Regelungen in der Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. Danach soll eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Entgegen der von Heider52 geäußerten Auffassung dürfte allein der Umstand, dass der mit solchen Dienstleistern in Verbindung stehende Arzt möglicherweise nur (noch) solche AU-Bescheinigungen ausstellt, noch kein Grund sein, den Beweiswert der über das Internet erlangten AUBescheinigung zu erschüttern. Schlussendlich kann dieser durch den Arbeitgeber ohnehin nur „ins Blaue“ erhobene Vorwurf aber dahingestellt bleiben. Denn der Beweiswert dieser über das Internet erlangten AUBescheinigung ist bereits deshalb erschüttert, weil keine persönliche Beratung und Behandlung durch den ausstellenden Arzt erfolgt ist. Insoweit kann ohne Einschränkung auf die Feststellungen des BAG im Urteil vom 11.8.197653 zurückgegriffen werden. Dies gilt erst recht, wenn – was nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie zulässig ist – ohne persönliche Beratung und Behandlung eine Rückdatierung erfolgt. Grundsätzlich kann der Einsatz von Kommunikationsmedien bei der ärztlichen Beratung und Behandlung durchaus sinnvoll sein. Dies gilt nicht nur im ländlichen Bereich, wo der Besuch eines Arztes mit einem hohen zeitlichen Aufwand und ggf. auch mit einer gesundheitlichen Belastung verbunden sein kann. Hinzu kommt, dass solche Dienste auch zu einer 52 Heider, NZA 2019, 288, 289. 53 BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, DB 1977, 119 Rz. 16.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Entlastung der Sprechstunden in den Arztpraxen beitragen, was die Behandlungsgeschwindigkeit für andere Patienten erhöht. Um den Missbrauch solcher Dienstleistungen einzuschränken, wird man allerdings verlangen müssen, dass neben der bloßen Beantwortung von Fragen auch eine Kontaktaufnahme durch Video erfolgt, sofern dies technisch möglich ist. Das stärkt die Diagnosemöglichkeiten des Arztes. Darüber hinaus wird man den Arzt entsprechend der Muster-Berufsordnung für verpflichtet halten müssen, den Arbeitnehmer auf den Umstand hinzuweisen, dass die Ausstellung einer AU-Bescheinigung ohne eine persönliche Beratung und Behandlung den Beweiswert der AU-Bescheinigung insofern erschüttert, dass bei entsprechenden Zweifeln des Arbeitgebers weitergehende Darlegungen und ggf. auch Beweismittel auf Arbeitnehmerseite erforderlich sind. (Ga)
7.
Keine Entschädigung für AGG-Hopper
Seit Inkrafttreten der Schadensersatz- und Entschädigungsregelungen des AGG wird einzelfallbezogen darüber diskutiert, ob Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG auch von solchen Personen mit Erfolg geltend gemacht werden können, die durch die Vielzahl ihrer Verfahren und die damit einhergehende Konzentration ihrer Bewerbungen auf Stellenausschreibungen mit offenkundig diskriminierungsrelevanten Fehlern auffällig geworden sind54. Im Vordergrund steht dabei Herr Kratzer, ein Rechtsanwalt aus München, der zahlreiche Verfahren wegen behaupteter Diskriminierung wegen seines Alters, des Geschlechts und der Religion anhängig gemacht hat. Hierzu gehört auch das gegen die R+V Versicherung geführte Verfahren, das zwischenzeitlich auch das BAG und den EuGH befasst hat. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die auf Entschädigung und Schadensersatz gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen werden kann, dass entsprechende Forderungen rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat der EuGH in seinem Urteil vom 28.7.201655 zunächst einmal deutlich gemacht, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne der 54 Ausf. dazu Korinth, ArbRB 2019, 82. 55 EuGH v. 28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 Rz. 44 – Kratzer.
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Keine Entschädigung für AGG-Hopper
Richtlinie 2000/78/EG bzw. Art. 14 Richtlinie 2006/54/EG falle und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorlägen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden könne. Ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens vorlägen, müsse allerdings durch die nationalen Gerichte festgestellt werden. Das BAG hatte diese Vorgaben in seinem Urteil vom 26.1.201756 umgesetzt, die Entscheidung des LAG Hessen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Dabei hatte es nicht nur deutlich gemacht, dass in dem Kriterium eines nicht mehr als ein Jahr zurückliegenden Hochschulabschlusses durchaus ein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters liegen könne, weil damit mittelbar ältere Arbeitnehmer mit einem länger zurückliegenden Berufsabschluss ausgegrenzt würden. Entsprechendes gelte für die damit verbundene Überlegung, Bewerber anzusprechen, die keine nennenswerte Berufserfahrung besitzen. Schließlich habe die Beklagte auch nicht ausreichend dargetan, dass die mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer durch einen sachlichen und angemessenen Grund gerechtfertigt sei. Damit hätte ein Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung nur vermieden werden können, wenn die objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB vorgelegen hätten. Davon aber war nach Auffassung des BAG nicht auszugehen. Nach seiner Würdigung des wechselseitigen Sachvortrags der Parteien ergaben sich diese weder aus dem Bewerbungsschreiben des Klägers noch aus dem Umstand, dass der Kläger sich in vergleichbarer Weise mit anschließenden Schadensersatzklagen auf zahlreiche Stellen im gesamten Bundesgebiet beworben habe. Ein solches Vorgehen – so das BAG – könne ebenso dafür sprechen, dass der Kläger – zumal er zum Zeitpunkt seiner Bewerbung arbeitslos war und sich neu orientiert habe – tatsächlich eine neue berufliche Herausforderung und finanzielle Absicherung gesucht habe und es ihm deshalb mit seiner Bewerbung auch bei der Beklagten ernst gewesen sei. Ungeachtet dessen hatte das BAG die Sache aber zu weiteren Feststellungen zum Rechtsmissbrauchseinwand zurückverwiesen57.
56 BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13 n. v. 57 Das LAG Hessen hat mit Urteil v. 18.6.2018 – 7 Sa 851/17, NZA-RR 2018, 584 die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung i. H. von 14.000 € verurteilt. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist offenbar am 12.12.2018 zurückgewiesen worden. Damit dürfte das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sein.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
In seinem Urteil vom 25.10.201858 musste sich der 8. Senat des BAG jetzt allerdings mit einer weiteren Entschädigungsklage vom Herrn Kratzer im Zusammenhang mit einer anderen Bewerbung auseinandersetzen. Betroffen war diesmal ein Zusammenschluss der Träger diakonischer Arbeit im Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Diese hatten in einer Stellenausschreibung für einen Referenten Arbeitsrecht nicht nur davon gesprochen, dass erste Berufserfahrungen (drei Jahre) wünschenswert seien. Man hatte darüber hinaus darauf verwiesen, dass eine Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche oder zu einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen erwartet würde. Der Kläger hatte bereits im Bewerbungsschreiben nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass er eine vieljährige Berufserfahrung als Rechtsanwalt besäße. Er hatte abschließend auch darauf hingewiesen, dass er aus finanziellen Gründen nicht mehr der evangelischen Kirche angehöre, sich jedoch mit ihren Glaubensgrundsätzen identifizieren könne, da er lange Mitglied der evangelischen Kirche gewesen sei. Die Beklagte hatte dem Kläger unter Hinweis auf eine „Personalentscheidung über die Besetzung der Stelle“ abgesagt und war daraufhin durch den Kläger auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von vier Bruttomonatsgehältern à 4.000 € in Anspruch genommen worden. Unter Bezugnahme auf die Vorgaben des EuGH in seinem Urteil vom 17.4.201859, mit denen wir uns bereits an anderer Stelle befasst haben60, hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei, für die Stelle eines Referenten Arbeitsrecht eine bestimmte Religionszugehörigkeit zu verlangen. Die Stellenausschreibung der Beklagten begründete damit ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Religion. Denn unstreitig lag die religionsbezogene Voraussetzung für die Besetzung der Stelle nicht vor. Das BAG hat die Klage aber gleichwohl zurückgewiesen, weil das Entschädigungsverlangen des Klägers einem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sei. Der Kläger habe sich nicht beworben, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten. Vielmehr sei es ihm bei der Bewerbung darum gegangen, nur den formalen Status als
58 BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527. 59 EuGH v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rz. 71 ff. – Egenberger. 60 Boewer, AktuellAR 2019, 184 ff. ) f.
100
Auskunft über die beim Arbeitgeber gespeicherten Leistungs- und Verhaltensdaten
Bewerber i. S. des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen. In der weiteren Begründung hat das BAG vor allem darauf verwiesen, dass bereits eine Würdigung des Inhalts des Bewerbungsschreibens des Klägers zu der Erkenntnis führe, dass er es geradezu auf eine Absage der Beklagten angelegt habe. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte könne hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass es ihm nicht darum gegangen sei, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern mit der Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung zu schaffen. Dies folge nicht nur daraus, dass der Kläger nicht nur auf die fehlende Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche verwiesen habe, sondern dies auch mit dem Hinweis auf den aktiven Austritt verknüpft habe. Auch der Umstand, dass er sich mit den Glaubensgrundsätzen nur identifizieren „könne“, zeige die floskelhafte Darstellung seiner Haltung zum christlichen Glauben. Unabhängig davon mache das Bewerbungsschreiben und sein Inhalt erkennbar, dass der Kläger offenkundig nur Feststellungen zu solchen Anforderungen der Stellenausschreibung getroffen habe, die Bedeutung in Bezug auf eine mögliche Diskriminierung wegen des Alters oder der Religion besessen hätten. Dass er auch andere Anforderungen (z. B. EDV-Kenntnisse) nicht erfüllte, blieb in seinem Bewerbungsschreiben unerwähnt. Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie kommt spät, aber sie ist richtig. Schon das vorangehende Verfahren gegen die R+V Versicherung hatte allerdings eine Fülle vergleichbarer Anhaltspunkte geboten, ebenfalls von einem solchen Rechtsmissbrauch auszugehen. Man hätte auch hier einzelfallbezogen ohne Weiteres die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs feststellen können. Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass bei einem Verdacht des Rechtsmissbrauchs Abwehrmaßnahmen durchaus Aussicht auf Erfolg haben. Wichtiger aber ist es, die Bewerbungsverfahren so auszugestalten, dass durch den Arbeitgeber bereits im Ansatz keine Indizien für eine etwaige Benachteiligung gesetzt werden. (Ga)
8.
Anspruch des Arbeitnehmers auf Auskunft über die beim Arbeitgeber gespeicherten Leistungs- und Verhaltensdaten
Im Rahmen eines beim LAG Baden-Württemberg anhängigen Kündigungsschutzverfahrens hatte der Kläger nicht nur geltend gemacht, dass ihm Einsicht in eine Akte gewährt werden sollte, in der der Arbeitgeber 101
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Informationen zu einem Sachverhalt aufbewahrte, der sich im Rahmen von Ermittlungen auf der Grundlage eines Hinweisgebersystems mit dem Vorwurf eines vertragswidrigen Verhaltens des Klägers befasste. Die Beklagte hatte auf die Daten dieser Akte zurückgegriffen, als geprüft wurde, ob dem Kläger eine bestimmte Stelle im Rechtsbereich zugewiesen werden konnte. Darüber hinaus hatte der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft über die von ihr verarbeiteten und nicht in der Personalakte des Klägers gespeicherten personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten des Klägers zu erteilen und ihm eine Kopie seiner personenbezogenen Leistungsund Verhaltensdaten, die Gegenstand der von ihr vorgenommenen Verarbeitung waren, zur Verfügung zu stellen. Das LAG Baden-Württemberg hat beiden Anträgen im Urteil vom 20.12.201861 stattgegeben.
a)
Anspruch auf Einsichtnahme in Personalakte
Gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat der Arbeitnehmer das Recht, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen. Dabei wird unter dem Begriff der Personalakte jede Sammlung von Unterlagen verstanden, die mit dem Arbeitnehmer in einem inneren Zusammenhang steht, unabhängig von Form, Material, Stelle und Ort, an dem sie geführt wird. Auf die Bezeichnung durch den Arbeitgeber kommt es dabei nicht an. Auch Sonder- oder Nebenakten, gleichgültig wo und durch wen sie im Zusammenhang mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses geführt werden, sind Bestandteile der Personalakte62. Von dieser Begriffsbestimmung ausgehend hat das LAG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Einsichtnahme in die hinsichtlich seiner Person im Rahmen des Hinweisgebersystems geführte Akte bestätigt. Denn bei den darin gespeicherten Informationen ging es um einen Vorgang, innerhalb dessen dem Kläger Vorwürfe in Bezug auf die Einhaltung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten gemachten wurden. Diese besaßen auch Bedeutung für die weitere Abwicklung des Arbeitsverhältnisses, wie der Umstand deutlich machte, dass vor der Besetzung einer Stelle im Rechtsbereich eine Einsichtnahme in diese Akte erfolgte.
61 LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA 2019, 711 (Revision unter dem Az. 5 AZR 66/19 eingelegt). 62 So BAG v. 7.5.1980 – 4 AZR 214/78, AuR 1981, 124 Rz. 0* " -Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA 2019, 711 Rz. -) Fitting, BetrVG § 83 Rz. 5.
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Auskunft über die beim Arbeitgeber gespeicherten Leistungs- und Verhaltensdaten
Grundsätzlich erkennt das LAG Baden-Württemberg dann zwar an, dass trotz des uneingeschränkten Wortlauts von § 83 BetrVG Begrenzungen zum Schutz berechtigter Interessen Dritter geboten sein können. Dies gelte beispielsweise dann, wenn die Einsicht laufende betriebsinterne Ermittlungen behindern könnte. Denkbar sei auch, dass die einem Hinweisgeber gegebene Zusage zur Wahrung der Anonymität eine Begründung dafür liefere, jedenfalls solche Angaben in der Personalakte zu schwärzen, die eine Identifikation des Hinweisgebers ermöglichten. Insofern sei der Arbeitgeber berechtigt, nur den Teil des Hinweises zur Personalakte im materiellen Sinne zu nehmen, der die Person des Hinweisgebers nicht offenbare oder Rückschlüsse auf seine Person zulasse. Voraussetzung sei aber, dass der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeber konkrete Tatsachen vortrage, aus denen sich das überwiegende Interesse Dritter an einer Einschränkung des Anspruchs auf Einsichtnahme ergebe. Dies war durch den Arbeitgeber im konkreten Fall nicht erfolgt, so dass die Personalakte insgesamt zur Einsichtnahme verfügbar gemacht werden musste63.
b)
Anspruch auf Auskunft und Überlassung einer Kopie aus Art. 15 DSGVO
Mit überzeugender Begründung ist das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 20.12.201864 auch davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung der geltend gemachten Auskünfte und auf Überlassung einer Kopie der gespeicherten Daten aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO habe. Der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO könne auch im Arbeitsverhältnis geltend gemacht werden, soweit der Arbeitgeber dort – was zwangsläufig der Fall ist – personenbezogene Daten des Arbeitnehmers verarbeitet. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn – was zulässig ist – das Auskunftsverlangen auf personenbezogene Leistungs- und Verhaltensdaten beschränkt werde. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auskunft und Überlassung einer Kopie der personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO kann allerdings auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 lit. i DSGVO eingeschränkt werden, wenn dies dem Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen dient und die Grenze der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Deutschland hat von dieser Einschränkungsmöglichkeit durch §§ 29 Abs. 1 S. 2, 34 Abs. 1 BDSG Gebrauch gemacht. Unter
63 LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA 2019, 711 Rz. 162 ff. 64 LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA 2019, 711 Rz. 170 ff.
103
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Berücksichtigung der bereits in Art. 15 Abs. 4 DSGVO in Bezug auf die Überlassung einer Kopie enthaltenen Einschränkung ist ein Anspruch auf Auskunft und Überlassung einer Kopie ausgeschlossen, soweit damit Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Aus diesen Regelungen folgt allerdings keine generelle Berechtigung des Arbeitgebers, beim Vorliegen berechtigter Interessen Dritter die Auskunft bzw. die Überlassung einer Kopie insgesamt zu verweigern. Vielmehr muss eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen. Nur soweit in Bezug auf einzelne Daten von einem Überwiegen der Interessen eines Dritten hinsichtlich des Unterbleibens einer Auskunft bzw. des Überlassens einer Kopie ausgegangen werden kann, werden die Ansprüche aus Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO eingeschränkt. Voraussetzung ist also nicht nur, dass ein legitimes Interesse des Arbeitgebers bzw. Dritter besteht, dass die Daten gegenüber dem Arbeitnehmer geheim gehalten werden. Dieses Interesse muss auch unter Berücksichtigung des Auskunftsinteresses des Arbeitnehmers im Einzelfall gewichtiger sein. Das LAG Baden-Württemberg hat in dem zu entscheidenden Fall eine solche Einschränkung abgelehnt. Der Arbeitgeber hatte nämlich nur abstraktgenerell vorgetragen, dass sein Interesse an einer Anonymität etwaiger Hinweisgeber einer Auskunft bzw. der Überlassung einer Kopie der zur Verarbeitung verwendeten Daten in Bezug auf die Leistung und das Verhalten des Klägers entgegenstehe. Ein solcher – unsubstantiierter – Sachvortrag erlaubt keine Interessenabwägung und konnte deshalb einer klagestattgebenden Entscheidung nicht entgegenstehen.
c)
Fazit
Die Entscheidung hat für die betriebliche Praxis ganz erhebliche Bedeutung. Auf der einen Seite trägt sie generellen datenschutzrechtlichen Vorgaben als Konsequenz der DSGVO Rechnung. Schlussendlich wird man aus der gebotenen Interessenabwägung auch Schranken in Bezug auf die Einsichtnahme in die Personalakte aus § 83 BetrVG rechtfertigen können. Die Arbeitgeberseite muss sich zukünftig allerdings darauf einstellen, dass Arbeitnehmer – insbesondere im Zusammenhang mit prozessualen Auseinandersetzungen über Kündigungen, leistungs- oder erfolgsbezogene Vergütungen und Zeugnisse – Auskunft über die Daten verlangen, die in Bezug auf das streitgegenständliche Verhalten des Arbeitnehmers in Personalakten oder sonstigen Datensammlungen des Arbeitgebers 104
Datenschutzrechtliche Schranken der Einsichtnahme in private E-Mails
gespeichert werden. Dabei wird man aber im Auge behalten müssen, dass die Ansprüche aus § 83 BetrVG, Art. 15 DSGVO daran geknüpft sind, dass die personenbezogenen Daten automatisiert gespeichert und verarbeitet werden oder jedenfalls Gegenstand einer strukturierten Datensammlung des Arbeitgebers geworden sind. Andernfalls liegt keine Personalakte vor65. Auch der Anwendungsbereich von Art. 15 DSGVO ist nicht erfüllt (Art. 2 Abs. 1 DSGVO). Dass § 26 Abs. 7 BDSG eine datenschutzrechtliche Rechtfertigung für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten auch dann verlangt, wenn sie nicht in einem Datensystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen, spielt keine Rolle. Daraus folgen auch datenschutzrechtliche Schranken für den Arbeitgeber, wenn unstrukturiert Daten eines Beschäftigten erhoben, gespeichert oder genutzt werden. Denn auch in solchen Fällen ist § 26 Abs. 1 BDSG anwendbar. Da Art. 15 DSGVO in seinem Anwendungsbereich dadurch aber nicht erweitert wird und § 34 BDSG nur Einschränkungen des Auskunftsrechts gegenüber einer nichtöffentlichen Stelle enthält, wäre insoweit ein Auskunftsverlangen unbegründet. (Ga)
9.
Datenschutzrechtliche Schranken der Einsichtnahme in private E-Mails
Bereits in der Vergangenheit hatten wir uns – auch unter Berücksichtigung entsprechender Feststellungen des EGMR – verschiedentlich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber berechtigt ist, Informationen zur Nutzung von E-Mail, Internet und Social Media im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmer zu nutzen. In der Regel geht es dabei um die Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung. Sie gelingt nur dann, wenn der Arbeitgeber substantiiert Gründe darlegen und ggf. auch beweisen kann, die eine soziale Rechtfertigung nach § 1 KSchG oder einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB erkennen lassen. Problematisch wird dies aber dann, wenn arbeitnehmerseitig geltend gemacht wird, dass die Daten unter Missachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften erlangt wurden66. Grundsätzlich geht das BAG im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben davon aus, dass weder die ZPO 65 Vgl. BAG v. 12.9.2006 – 9 BAG v. 15.7.1987 – 5 AZR -) )) - * - ) – 4 AZR 214/78, AuR 1981, 124 Rz. 11. 66 Vgl. EGMR v. 5.10.2010 – 420/07 n. * – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327.
105
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
noch das ArbGG Bestimmungen enthielten, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränkten, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt habe. Ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ komme nur in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Das gebiete der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör. Voraussetzung für die Anerkennung eines entsprechenden Verwertungsverbots sei deshalb in der Regel, dass bereits durch die Informations- oder Beweisbeschaffung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Partei verletzt worden sei, ohne dass dies durch die überwiegenden Belange der anderen Partei gerechtfertigt gewesen wäre. Darüber hinaus müssten die betroffenen Schutzzwecke des bei der Gewinnung verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnisse oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen. Insofern müsse auch die prozessuale Verwertung selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen67. Darauf hatte bereits das BVerfG im Urteil vom 9.10.200268 hingewiesen. Auf dieser Grundlage muss an sich eine Abwägung der wechselseitigen Interessen im Einzelfall vorgenommen werden. Diese ist aber entbehrlich, wenn man berücksichtigt, dass die Bestimmungen des BDSG – ebenso wie die Vorgaben der DSGVO – nach den Feststellungen des BAG eine Konkretisierung des Schutzes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung enthalten. Wenn eine betreffende Maßnahme nach den Vorgaben des Datenschutzrechts zulässig ist, liegt – so das BAG – deshalb auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Ein Verwertungsverbot ist also von vornherein ausgeschlossen69. An diese Grundsätze anschließend hat das LAG Hessen im Urteil vom 21.9.201870 dem Arbeitgeber verwehrt, den Inhalt privater E-Mails des Klägers im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zu nutzen. Denn diese Daten hatte der Arbeitgeber nicht nur unter Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben gewonnen. Ihre anschließende Verwertung hätte auch zu einer unverhältnismäßigen Perpetuierung des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) geführt. Insofern hat das LAG Hessen die Grundsätze
67 BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rz. ( * – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443 Rz. 16 * 6 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112 Rz. 20 ff. 68 BVerfG v. 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619 Rz. 17. 69 BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rz. 15. 70 LAG Hessen v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130 Rz. 78 ff.
106
Datenschutzrechtliche Schranken der Einsichtnahme in private E-Mails
übernommen, die das BAG in seiner Keylogger-Entscheidung vom 27.7.200771 dargestellt hatte. In dem der Entscheidung des LAG Hessen zugrunde liegenden Fall hatte die Arbeitgeberin im Anschluss an eine Eigenkündigung des Klägers von Kunden gehört, dass sich der Kläger in geschäftsschädigender Weise geäußert habe. Sie hatte dies zum Anlass genommen, Einsicht in den E-Mail-Account zu nehmen und eingehende wie auch abgehende E-Mails eines Zeitraums von mehr als zwölf Monaten durchzusehen. In diesen E-Mails, die der Kläger allerdings entgegen einer IT-Sicherheitsrichtlinie nicht als privat gekennzeichnet hatte, hatte er sich beleidigend und herabwürdigend insbesondere über den Geschäftsführer der Beklagten geäußert. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, eine außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen. Nach den Feststellungen des LAG Hessen stand § 88 Abs. 3 TKG einer Verwertung dieser E-Mails nicht entgegen. Dies gelte selbst dann, wenn man – entgegen der Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg72 – die Ansicht vertritt, dass der Arbeitgeber durch das Erlauben einer Privatnutzung des Internets bzw. des E-Mail-Accounts als Dienstanbieter i. S. des § 3 Nr. 6 TKG zu qualifizieren ist. Denn nach der wohl herrschenden Meinung kann davon ausgegangen werden, dass die daraus folgende Schranke einer Einsichtnahme in § 88 Abs. 2 TKG nicht mehr zur Anwendung kommt, wenn der eigentliche Übertragungsvorgang abgeschlossen ist und die E-Mail lediglich auf dem Provider-Server „ruht“. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie als Folge der abgeschlossenen Übertragung gelesen werden kann, ohne dass dafür ein Internetzugang erforderlich ist73. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt. Insofern kam es nur darauf an, ob der Arbeitnehmer nach Abschluss des Übertragungsvorgangs durch die allgemeinen Regelungen des Datenschutzrechts geschützt wird. Diese Vorgaben standen dann allerdings einer Verwertung durch den Arbeitgeber entgegen. Nach § 26 Abs. 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses 71 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327 Rz. 16. 72 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, BB 2016, 891 Rz. 81. 73 So BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 Rz. ( 1* – 2 BvR 2099/04, NJW 2006, 976 Rz. ) 0* Hessen v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130 Rz. 70 0* !
-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, BB 2016, 891 Rz. 81.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Wie das BAG bereits bei früher Gelegenheit deutlich gemacht hat, ist diese Erforderlichkeit dann gegeben, wenn die Verarbeitung der personenbezogenen Daten einem legitimen Zweck dient und auch unter Berücksichtigung des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den in Rede stehenden Zweck zu erreichen74. Darauf weist auch das LAG Hessen – wenn auch noch unter Berücksichtigung von § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a. F. – hin. Nach seiner Auffassung stellte sich die Auswertung des Inhalts der E-Mails als eine unverhältnismäßige Maßnahme der Arbeitgeberin dar, die auch ihrer prozessualen Verwertung entgegenstand. Bei seiner weitergehenden Begründung hat das LAG Hessen darauf verwiesen, dass keine Anhaltspunkte für eine Straftat oder die einer straftatvergleichbaren, schwerwiegenden Pflichtverletzung des Klägers gegeben waren. Vielmehr hatte die Beklagte allein den Hinweis von Kunden, dass der Kläger sich in geschäftsschädigender Weise geäußert habe, zum Anlass der Ermittlungen genommen. In welcher Weise dieses geschäftsschädigende Verhalten zum Ausdruck gekommen sein soll, wer davon betroffen war und welcher Schaden dadurch bewirkt worden ist, hatte die Beklagte nicht vorgetragen. Damit stand der Anlass in keinem Verhältnis zu der Intensität der Kontrolle. Hinzu komme, dass der Kläger auch ohne besondere Kennzeichnung als privat darauf habe vertrauen können, dass eine Kommunikation mit privaten Bekannten, wie sie hier offenbar in Rede stand, grundsätzlich vertraulich behandelt würde. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Kommunikation nicht in einem persönlichen Gespräch, sondern per EMail erfolgt sei75. Dass die IT-Richtlinie den Arbeitnehmern erlaubte, einen persönlichen Ordner für die Speicherung privater E-Mails anzulegen, was der Kläger nicht gemacht hatte, bot keine Rechtfertigung für die Verwertung. Denn auch unter diesen Umständen war eine Verarbeitung der personenbezogenen Daten durch die Arbeitgeberin nur in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit zulässig. Wichtig allerdings ist, dass das LAG Hessen in seiner Entscheidung noch einmal bestätigt, dass der Arbeitgeber bei der Nutzung seines E-Mail74 Vgl. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329 Rz. 24. 75 Vgl. EGMR v. 5.9.2017 – 61496/08, NZA 2017, 1443 Rz. 74 – B rbulescu.
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Unzulässige Abwerbemaßnahmen während des Arbeitsverhältnisses
Accounts entsprechende Vorgaben zur Nutzung auch zu privaten Zwecken machen darf. Dies folgt schlussendlich aus § 106 S. 1, 2 GewO. Auch wenn insoweit, was die Privatnutzung betrifft, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG gegeben sind, können entsprechende Vorgaben mit einer Regelung verbunden werden, nach der die Privatnutzung nur unter der Voraussetzung erlaubt wird, dass der Arbeitnehmer in die Einsichtnahme der nicht als privat gekennzeichneten EMails einwilligt. Eine solche Einwilligung macht das Erfordernis entbehrlich, die in §§ 88 Abs. 2 TKG, 26 Abs. 1 BDSG genannten Voraussetzungen zu überprüfen. Wenn die Einwilligung transparent ist und den allgemeinen Voraussetzungen aus Art. 7 DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG Rechnung trägt, bietet sie eine eigenständige Rechtfertigung. Dies gilt umso mehr, als durch die Gestattung der Privatnutzung für den Arbeitnehmer ein wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird, der die Freiwilligkeit der Einwilligung nahe legt (§ 26 Abs. 2 S. 2 BDSG). (Ga)
10. Unzulässige Abwerbemaßnahmen während des Arbeitsverhältnisses Gemäß § 60 Abs. 1 HGB darf ein Handlungsgehilfe ohne Einwilligung des Prinzipals weder ein Handelsgewerbe betreiben noch in dem Handelszweig des Prinzipals für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Diese Vorgabe findet auch für andere Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses Anwendung76. Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer – so das BAG – im Marktbereich seines Arbeitgebers ohne dessen Einwilligung Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten darf. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen77. Wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gemäß §§ 74 ff. HGB vereinbart wurde, ist der Arbeitnehmer allerdings berechtigt, schon vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorzubereiten. Das kommt mittelbar auch in § 629 BGB zum Ausdruck, wonach der Arbeitnehmer noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Freizeit
76 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. - * -) – 10 AZR 780/16, NZA 2018, 1425 Rz. 33. 77 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. - * .2013 – 10 AZR 560/11, NZA 2013, 748 Rz. 15.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
zur Stellensuche besitzt. Unzulässig ist während des bestehenden Arbeitsverhältnisses allerdings nach ständiger Rechtsprechung des BAG die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, z. B. durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden oder Arbeitnehmern. Solche Verhaltensweisen stellen keine bloßen Vorbereitungshandlungen mehr dar78. Vor diesem Hintergrund hatte sich das BAG im Urteil vom 19.12.201879 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Widerbeklagte – eine Arbeitnehmerin – noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses im Anschluss an eine Eigenkündigung in unzulässiger Weise andere Arbeitnehmer des Arbeitgebers abgeworben hatte. Die hierfür erforderliche Abgrenzung zwischen dem verbotenen Abwerben von Arbeitnehmern im bestehenden Arbeitsverhältnis und erlaubten Gesprächen unter Arbeitskollegen über einen beabsichtigten Stellenwechsel könne – so das BAG – im Einzelfall schwierig sein. In jedem Fall setze eine unzulässige Abwerbung aber voraus, dass der Arbeitnehmer ernsthaft und beharrlich auf Kollegen einwirke, um sie zu veranlassen, für den Abwerbenden oder einen anderen Arbeitgeber tätig zu werden80. Ein solcher Verstoß gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot wäre aus Sicht des BAG wohl anzunehmen, wenn – was noch aufzuklären sein wird – die Arbeitnehmerin noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses tatsächlich Kollegen in eine Bäckerei eingeladen, dort auf ihre zukünftige (selbständige) Konkurrenztätigkeit hingewiesen und Mustertexte für eine Kündigung der bisherigen Arbeitsverhältnisse sowie Arbeitsverträge mit ihrem eigenen Unternehmen vorgelegt hätte. Die Kündigungen und die neuen Arbeitsverträge sollen – so der Arbeitgebervortrag – noch an Ort und Stelle unterzeichnet worden sein. Abhängig von dem insoweit noch durch das LAG festzustellenden Sachverhalt könnte damit die Grenze zu einer verbotenen Abwerbung überschritten sein. Denn die Widerbeklagte hätte damit in einer Weise ernsthaft und beharrlich auf einen Arbeitsgeberwechsel hingewirkt, so dass von einem Wettbewerbsverstoß auszugehen wäre. Ergänzend hierzu weist das BAG in seiner Entscheidung darauf hin, dass ein Wettbewerbsverstoß auch darin liegen könne, dass während des bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Visitenkarte an Kunden des Arbeitgebers gegeben werde, die zu einem Wechsel bewegt werden sollen. Dies gelte selbst dann,
78 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. - * – 10 AZR 560/11, NZA 2013, 748 Rz. 17. 79 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. 54 ff. 80 BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. - +,$Thüsing, BGB § 611 a Rz. 541.
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Kein Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Statusprüfung
wenn auf der Grundlage der Überlassung der Visitenkarte noch keine Geschäfte abgeschlossen worden sind. Konsequenz eines entsprechenden Verstoßes gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot sind nicht nur Unterlassungsansprüche. Vielmehr kann auch ein Schadensersatzanspruch begründet sein, wenngleich es schwierig sein dürfte, die Kausalität zwischen einem Schaden des Arbeitgebers und der Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten durch den Arbeitnehmer darzulegen und ggf. zu beweisen. In vielen Fällen dürften schon deshalb Zweifel bestehen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch ohne das unzulässige Abwerben der geltend gemachte Schaden – beispielsweise der Wechsel eines Kunden – eingetreten worden wäre. Ungeachtet dessen dürfte es hilfreich sein, bei ersten Anzeichen für ein entsprechendes Vorgehen von Arbeitnehmern auf das gesetzliche Wettbewerbsverbot und die beabsichtigte Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche hinzuweisen. (Ga)
11.
Kein Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Statusprüfung vor arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzung über die Kennzeichnung als Arbeitsverhältnis
Immer wieder gibt es in der betrieblichen Praxis Auseinandersetzungen über die Frage, ob die auf der Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrags beschäftigten Personen nicht doch in einem arbeits- bzw. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig sind. Lässt man die steuerrechtliche Handhabe solcher Beschäftigungsverhältnisse einmal außer Acht, kann der Streit über die Rechtsnatur nicht nur im Rahmen eines sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens relevant werden. Denkbar ist auch, dass Klage beim Arbeitsgericht erhoben wird, mit der – mittelbar oder unmittelbar – das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bestätigt werden soll. Dass dabei einheitliche Ergebnisse gefunden werden, ist keineswegs sicher. Denn die arbeitsrechtliche und die sozialversicherungsrechtliche Kennzeichnung eines arbeitsrechtlichen bzw. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt durchaus auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien. Viele Kriterien, die die Arbeitsgerichte für irrelevant und/oder ambivalent halten, werden von den Sozialgerichten als Indiz für das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung herangezogen. Vor diesem Hintergrund besteht zum Teil das Interesse der an sich als Fremdpersonal beschäftigten Personen, vorrangig das sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellungsverfahren bzw. die damit zusammenhängende 111
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Auseinandersetzung vor den Sozialgerichten zu führen. Das damit verbundene Ziel einer Anerkennung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung soll dann die Geltendmachung eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung erleichtern. Unabhängig von dieser Zielsetzung hat es das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 6.2.201881 abgelehnt, ein arbeitsgerichtliches Statusfeststellungsverfahren bis zum Abschluss eines parallel betriebenen sozialversicherungsrechtlichen Statusverfahrens der Deutschen Rentenversicherung auszusetzen. Es fehle an einer zumindest teilweise rechtlich präjudiziellen Bedeutung der sozialversicherungsrechtlichen Prüfung für das arbeitsgerichtliche Verfahren i. S. des § 148 ZPO. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass der Begriff einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV und der des Arbeitsverhältnisses gemäß § 611 a Abs. 1 BGB nicht deckungsgleich seien. Ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis könne auch dann vorliegen, wenn die Beschäftigungsform nicht als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden könne. Insofern obliege es den Arbeitsgerichten, auf der Grundlage eigenständiger Kriterien über den dort anhängigen Streitgegenstand zu entscheiden. Dieser Auffassung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie vermeidet auch, dass die Dauer der sozialversicherungsrechtlichen Auseinandersetzungen als weiteres Risiko in die arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung übertragen wird. Hiervon ausgehend war deshalb durch das LAG Düsseldorf auch eigenständig darüber zu befinden, ob der auf der Grundlage eines freien Dienstverhältnisses als Honorararzt beschäftige Kläger im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsvertrags tätig war. Unter Berücksichtigung der im Einzelfall erkennbaren Kriterien für die Beschäftigungsform und die von den Parteien gewählte Bezeichnung ihrer Beschäftigung hat das LAG Düsseldorf sodann das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses abgelehnt. (Ga)
81 LAG Düsseldorf v. 6.2.2018 – 3 Sa 632/17 n. v. (Rz. 54).
112
D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Allgemeine Pflicht zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit – Ende der Vertrauensarbeitszeit?
Eine Arbeitszeiterfassung ist keineswegs der übliche Standard in der betrieblichen Praxis. Vielmehr gibt es eine Reihe von Unternehmen, die insbesondere im Rahmen der sog. Vertrauensarbeitszeit auf die Erfassung der individuellen täglichen Arbeitszeit verzichten. Ausgangspunkt dabei ist die Annahme, dass die Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der ihnen übertragenen Aufgaben frei darin sind, Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage festzulegen. Solange die individuellen Aufgaben erledigt werden und die Betriebsabläufe funktionieren, wird darauf verzichtet, Umfang und Grenzen der Arbeitszeit zu kontrollieren. Problematisch an dem jeweiligen Verzicht auf eine Erfassung der individuellen Arbeitszeit war schon in der Vergangenheit § 16 Abs. 2 ArbZG. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 ArbZG eingewilligt haben. Diese Verpflichtung kann auf die Arbeitnehmer übertragen werden. In allen Fällen sind die Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Denkbar ist nicht nur, dass die Gewerbeaufsicht überprüft, ob entsprechende Aufzeichnungen vorgenommen werden. Auch der Betriebsrat ist auf der Grundlage von § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 BetrVG berechtigt, vom Arbeitgeber Auskunft über die Dauer der kalendertäglichen Arbeitszeit, Beginn und Ende sowie ihre Verteilung auf die einzelnen Wochentage zu verlangen. Denn diese Auskunft ist erforderlich, um überprüfen zu können, ob die aus §§ 3 ff. ArbZG folgenden Grenzen des Arbeitsschutzrechts eingehalten werden. Problematisch daran war bereits in der Vergangenheit, dass solche Auskünfte durch den Arbeitgeber nur erteilt werden können, wenn hierfür zuvor eine entsprechende Erfassung erfolgt ist. Im Zweifel war der Betriebsrat damit in der Lage, den Arbeitgeber jedenfalls für die Zukunft zu zwingen, entsprechende Aufzeichnungen vorzunehmen. Zukünftig ist ein Rückgriff auf § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BetrVG nicht mehr erforderlich. Denn nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom
113
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
14.5.20191 wird man davon ausgehen müssen, dass bereits aus Art. 31 Abs. 2 GRC in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) eine unionsrechtliche Verpflichtung besteht, eine Aufzeichnung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, ihrer Dauer und der Verteilung auf die einzelnen Wochentage vorzunehmen. In dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Fall ging es um eine Auseinandersetzung zwischen der spanischen Arbeitsschutzbehörde CCOO und der Deutschen Bank SAE über die nach spanischem Recht bestehende Verpflichtung, die Arbeitszeit zu erfassen. Nach den insoweit maßgeblichen Regelungen beträgt die Regelarbeitszeit im Jahresdurchschnitt höchstens 40 tatsächlich geleistete Wochenstunden. Arbeitsstunden, die über diese Höchstdauer der Regelarbeitszeit hinaus geleistet werden, stellen Überstunden dar. Die Zahl solcher Überstunden darf 80 Stunden jährlich nicht überschreiten. Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahl der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt, wobei dem Arbeitnehmer eine Kopie der Aufstellung im Beleg zur entsprechenden Zahlung übermittelt wird. Die Deutsche Bank SAE war der Auffassung, dass es insgesamt ausreichend sei, wenn die Überstunden erfasst würden. Diese Aufzeichnungspflicht entspricht § 16 Abs. 2 ArbZG. Im Gegensatz dazu hielt es die Arbeitsschutzbehörde in Übereinstimmung mit der für die Deutsche Bank SAE zuständigen Gewerkschaft für erforderlich, ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern insgesamt geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit einzuführen. Obwohl nach der spanischen Rechtsprechung eine solche Verpflichtung bislang nicht angenommen worden war, hat der nationale Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH unter anderem folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Sind Art. 31 Abs. 2 GRC sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 Richtlinie 2003/88/EG i. V. mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 Richtlinie 89/391/EWG dahin auszulegen, dass die innerstaatlichen Rechtsvorschriften den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts entgegenstehen, was nach gefestigter Rechtsprechung nicht abzuleiten ist, so dass von dem Unternehmen verlangt werden könne, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mo-
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EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – Deutsche Bank SAE.
Allgemeine Pflicht zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit
bilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?
In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Generalanwalts geht auch der EuGH von einer entsprechenden Aufzeichnungspflicht aus. Nach seinem Verständnis spricht für eine solche Verpflichtung bereits der Umstand, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG die „erforderlichen Maßnahmen“ zur Einhaltung der in dieser Richtlinie aufgestellten Mindestvorschriften in Bezug auf die Höchstdauer der wöchentlichen Arbeitszeit, die Ruhezeiten und Ruhepausen zu gewährleisten hätten. Nur diese Auslegung entspreche nämlich dem Ziel der Richtlinie, einen wirksamen Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten2. Nach den weitergehenden Feststellungen des EuGH gibt es ohne ein solches System der Aufzeichnung keine Garantie, dass die von der Richtlinie 2003/88/EG festgelegten zeitlichen Beschränkungen tatsächlich beachtet werden und daher dafür, dass die Rechte, die die Richtlinie den Arbeitnehmern gewähre, ohne Hindernisse ausgeübt werden könnten. Ohne ein System zur Messung der Arbeitszeiten könnten nämlich weder die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage noch die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende und als Überstunden geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermittelt werden. Das aber sei erforderlich, um zu beurteilen, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit, die Ruhezeiten und Ruhepausen auch eingehalten werden. Schließlich könne auch die Einstufung als Überstunden erst dann erfolgen, wenn die Dauer der von dem jeweiligen Arbeitnehmer geleisteten Arbeitszeit bekannt ist und somit zuvor gemessen worden sei. Die bloße Verpflichtung, Überstunden zu erfassen, biete kein wirksames Mittel, um festzustellen, ob die arbeitszeitrechtlichen Schranken eingehalten werden. Aus diesen Überlegungen heraus folgt für den EuGH, dass eine nationale Regelung, die keine Verpflichtung enthält, von einem Instrument Gebrauch zu machen, mit dem die Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden objektiv und verlässlich festgestellt werden kann, nicht geeignet sei, eine verlässliche Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben zu gewährleisten3. Entsprechendes wird man in Bezug auf die Verteilung der Lage der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage annehmen müssen, weil nur so die
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EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 40 f., 50 ff., 60 ff. – Deutsche Bank SAE. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 50 – Deutsche Bank SAE.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Einhaltung der Ruhezeiten, der Ruhepausen sowie etwaige Arbeitsverbote an Sonn- und Feiertagen überprüft werden können. Die vorstehenden Grundsätze dienen nach den Feststellungen des EuGH nicht nur dazu, die Behörden mit entsprechenden Informationen zu versorgen. Im Vordergrund steht für den EuGH, dass die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter in die Lage versetzt werden sollen, die Einhaltung der Schranken des Arbeitszeitrechts zu erkennen und bei einer Missachtung auch durchzusetzen. Dass dafür auch andere Beweismittel als eine Aufzeichnung nutzbar sind, erkennt der EuGH zwar ausdrücklich an. Nach seiner Auffassung sei aber gerade der Zeugenbeweis mit dem Risiko verbunden, dass Arbeitnehmer zögerten, gegen ihren Arbeitgeber auszusagen, weil sie befürchteten, dass Maßnahmen zu ihrem Nachteil ergriffen würden. Ein System, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne, stelle für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter hingegen ein besonders wirksames Mittel dar, um objektive und verlässliche Daten zu erhalten, die auch von den Gerichten verwertet werden könnten4. Wichtig ist allerdings, dass der EuGH in der Begründung seiner Schlussanträge keine Konkretisierung auf eine bestimmte Form der Aufzeichnung vornimmt. Vielmehr geht er davon aus, dass die Mitgliedstaaten einen Spielraum haben, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und der Eigenheiten bestimmter Unternehmen – namentlich ihrer Größe – festzulegen. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Generalanwalts wird man es daher für zulässig halten müssen, dass eine einfache Aufzeichnung in Papierform, in elektronischer Form oder durch ein anderes Instrument erfolgt, sofern das verwendete Mittel für das Ziel geeignet ist. Hierzu wird man auch mit einer Delegation der Aufzeichnung auf den Arbeitnehmer rechnen müssen, solange der Arbeitgeber in der Lage ist, im Bedarfsfall auf diese Aufzeichnungen zurückzugreifen. Wichtig ist der Umstand, dass der EuGH als Grundlage einer solchen Aufzeichnungspflicht nicht nur die Richtlinie 2003/88/EG nennt. Vielmehr ist er der Auffassung, dass die vorstehend genannte Aufzeichnungspflicht auch auf Art. 31 Abs. 2 GRC zurückgeführt werden könne5. Dies hat für die betriebliche Praxis erhebliche Bedeutung. Denn mit Art. 31 Abs. 2 GRC greift der EuGH auf eine Rechtsgrundlage zurück, die in den einzelnen Mitglied4 5
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EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 53 ff., 62 – Deutsche Bank SAE. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 30 ff., 65 ff. – Deutsche Bank SAE.
Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen
staaten unmittelbar geltendes Recht ist. Damit können sich Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter in ihren Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber unmittelbar auf Art. 31 Abs. 2 GRC berufen und auch ohne einfachgesetzliche Konkretisierung eine entsprechende Aufzeichnungspflicht geltend machen. Das gilt jedenfalls dort, wo unionsrechtliche Schranken der Arbeitszeit in Rede stehen. Auch wenn die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen plant, um die Möglichkeiten der Arbeitszeitverteilung zu flexibilisieren und die Aufzeichnungspflichten zu reduzieren6, steht zu erwarten, dass damit jedenfalls auf unionsrechtlicher Ebene kein vollständiger Verzicht auf eine Arbeitszeiterfassung mehr verbunden sein kann. Insbesondere genügt es nicht (mehr), nur die Arbeitszeit zu erfassen, die kalendertäglich über eine bestimmte Schranke hinaus geleistet wird, wie dies derzeit noch in § 16 Abs. 2 ArbZG vorgesehen ist. Denn auch bei einer Umstellung auf eine Wochenarbeitszeit wird damit keine Grundlage für eine Kontrolle der Einhaltung der sonstigen Schranken (wöchentliche Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten, Ruhepausen und Sonn- bzw. Feiertagsarbeit) geschaffen. Damit ist der Gestaltungsspielraum auch für den deutschen Gesetzgeber eingeschränkt. (Ga)
2.
Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifvertragliche Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen
Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Konkretisierend bestimmt § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG, dass einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren ist, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Diesen Vorgaben müssen alle individual- und kollektivrechtlichen Regelungen, auch Tarifverträge, entsprechen. Hiervon ausgehend hat das BAG mit Urteil vom 19.12.20187 klargestellt, dass die im Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie vom 17.12.2014 (MTV) enthaltenen Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen als Diskriminierung wegen Teilzeitbeschäftigung anzusehen wären, wenn sie so zu verste6 7
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 24 ff. BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, ZTR 2019, 268 Rz. 50.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
hen wären, dass Teilzeitbeschäftigte erst dann Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge hätten, wenn sie die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten. Denn dann würden für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte identische Belastungsgrenzen festgelegt, die für Teilzeitbeschäftigte jedoch eine höhere individuelle Belastungsgrenze mit sich brächten. Da für Teilzeitbeschäftigte die Schwelle, von der an ein Anspruch entstünde, nicht proportional zu ihrer individuellen Arbeitszeit abgesenkt würden, käme es zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung und damit zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung8. In dem zugrunde liegenden Fall verlangte die Klägerin, die in Teilzeit als stellvertretende Filialleiterin in der Systemgastronomie beschäftigt wurde, Mehrarbeitszuschläge für Zeiten, in denen sie im Rahmen einer Jahresarbeitszeit nach Ablauf des Ausgleichszeitraums oberhalb der individuell vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit gearbeitet hat. Problematisch daran war, dass im Tarifvertrag unterschiedliche Begriffsbestimmungen für Mehrarbeit enthalten waren, an die der Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge geknüpft war. Hintergrund war vor allem, dass Arbeitnehmer nicht nur innerhalb eines monatlichen Arbeitszeitmodells beschäftigt wurden. Vielmehr konnte einzelvertraglich auch eine Jahresarbeitszeit vereinbart werden. Im Hinblick darauf hatten die Tarifvertragsparteien unter anderem wie folgt geregelt: § 4 Arbeitszeit (…) 4. Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschlag Mehrarbeit im Sinne dieses Tarifvertrags ist diejenige Arbeitsleistung, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit nach Nr. 1 hinausgeht und ausdrücklich vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde. Mehrarbeit ist mit einem Zuschlag von 25 % des Bruttostundenentgelts gemäß den Bestimmungen des Entgelttarifvertrags zu vergüten. (…) Mehrarbeit im Sinne der Jahresarbeitszeit ist mit einem Zuschlag von 33 % zu vergüten. (…) Bei einer festgelegten Jahresarbeitszeit nach Nr. 3 ist Mehrarbeit diejenige Arbeitsleistung, die vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurde und die am Ende des zwölf-Monats-Zeitraums über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgeht. (…) 8
118
Ebenso BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16, NZA-RR 2018, 45 Rz. 51, 53; krit. Rambach, ZTR 2019, 195, 198 ff.
Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen
§ 5 Teilzeit (…) 5. Bei Teilzeitkräften ist Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit nach § 4 Nr. 1 hinausgeht.
Das BAG hat der Klage stattgegeben und angenommen, dass es sich bei den Stunden, die die Klägerin über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinaus geleistet hatte, um zuschlagspflichtige Mehrarbeit handelte. In der Begründung hat das BAG zunächst einmal die bereits vom LAG Berlin-Brandenburg9 in der Vorinstanz vorgenommene Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen zur Mehrarbeit bestätigt. Danach war auch bei der Klägerin als Teilzeitbeschäftigte auf den Begriff der Mehrarbeit in § 4 Nr. 4 Abs. 5 MTV abzustellen. Dieser knüpfte den Begriff der Mehrarbeit an die Arbeitszeit an, die am Ende des zwölf-Monats-Zeitraums über die „vereinbarte Jahresarbeitszeit“ hinausging. Dabei fehlte eine Differenzierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten, wie sie in § 5 Abs. 5 MTV enthalten war. Wenn es den Tarifvertragsparteien darum gegangen wäre, dass Mehrarbeit erst dann vorläge, wenn die Dauer der Arbeitszeit bei einer Vollzeitbeschäftigung im Modell der Jahresarbeitszeit überschritten wird, hätten sie anstelle des Begriffs der „vereinbarten Jahresarbeitszeit“ den Begriff der „Jahresarbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit“ verwenden können. Dass § 5 Nr. 5 MTV ausdrücklich eine besondere Kennzeichnung der Mehrarbeit für Teilzeitbeschäftigte vorgenommen hatte, stand dieser Interpretation für Arbeitnehmer im Jahresarbeitszeitmodell nicht entgegen. Zwar könne die Regelung mit Blick auf die Überschrift des Abschnitts so verstanden werden, dass sie auch für Teilzeitbeschäftigte mit einer vereinbarten Jahresarbeitszeit gelte. Dagegen sprächen aber systematische Erwägungen. Denn wenn die Regelung so zu verstehen sei, dass zuschlagspflichtige Mehrarbeit bei einem Jahresarbeitszeitkonto bereits dann anfiele, wenn die regelmäßige Monatsarbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten würde, wären Arbeitgeber bei Teilzeitbeschäftigten auch dann zur Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen verpflichtet, wenn sich die geleistete monatliche Arbeitszeit der Teilzeitkraft innerhalb des nach dem Tarifvertrag zulässigen Schwankungsbereichs bewegte. Denn diese erlaubte eine Anhebung der monatlichen Arbeitszeit auf bis zu 115 % der regelmäßigen Arbeitszeit. Dieses Ergebnis liefe der mit der Vereinbarung einer Jahresarbeitszeit verfolgten Flexibilisierung zuwider10.
9 10
LAG Berlin-Brandenburg v. 26.1.2018 – 2 Sa 1365/17 n. v. BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, ZTR 2019, 268 Rz. 10 ff., 25.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass das BAG seine klagestattgebende Entscheidung darüber hinaus mit der Begründung gerechtfertigt hat, dass eine hiervon abweichende Auslegung der Regelungen des MTV zu einem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG führen würde. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind auch auf andere Sachverhalte übertragbar und dürften generell der Festlegung einheitlicher Schwellenwerte für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte in Bezug auf den Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge entgegenstehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wovon das BAG auch im vorliegenden Fall auf der Grundlage einer Auslegung des MTV ausgegangen ist – mit den Mehrarbeitszuschlägen ein Schutz des individuellen Freizeitbereichs des von der Mehrarbeit betroffenen Arbeitnehmers verfolgt wird. Hiervon ist im Zweifel auszugehen, wenn die individuelle Belastung des Arbeitnehmers durch Mehrarbeit auch an aufeinanderfolgenden Tagen nicht zu einem Mehrarbeitszuschlag führt, weil der Arbeitgeber durch die Festlegung von Ausgleichszeiträumen in die Lage versetzt wird, diese Belastung durch eine Minderung der Arbeitszeit an anderen Tagen auszugleichen. Grundsätzlich erkennt das BAG in diesem Zusammenhang zwar an, dass durch die Gewährung von Mehrarbeitszuschlägen unterschiedliche Zwecke verfolgt werden können. So sei bei Mehrarbeitszuschlägen, die bei dem Überschreiten eines bestimmten Tages- oder Wochenarbeitsvolumens zu zahlen sind, im Wesentlichen der Zweck verfolgt, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch zusätzliches Entgelt auszugleichen. Ohne Anhaltspunkte im Tarifvertrag könne in solchen Fällen nicht davon ausgegangen werden, dass es den Tarifvertragsparteien darum gegangen sei, durch Verteuerung der individuell geschuldeten Arbeitsleistung hinausgehenden Arbeitszeiten den individuellen Freizeitbereich zu schützen11. Im Gegensatz zu dieser Sichtweise des 10. Senats hatte der 6. Senat des BAG allerdings angenommen, dass mit einem Überstundenzuschlag allein der Umstand belohnt werden solle, dass Arbeitnehmer ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich vereinbart arbeiteten und damit planwidrig die Möglichkeit einbüßten, über ihre Zeit frei zu verfügen. Hiervon sei auszugehen, wenn Überstundenzuschläge für die Arbeitsstunden zu bezahlen seien, die über die regelmäßige Arbeitszeit einer Vollzeitkraft in den Grenzen des ArbZG hinausgingen und bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche nicht ausgeglichen worden seien. Im vorliegenden Fall war für das BAG von einem Schutz des individuellen Freizeitbereichs auszugehen. Dafür spreche nicht nur, dass der Tarifvertrag 11
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So BAG v. 26.4.2017 – 10 AZR 589/15, NZA 2017, 1069 Rz. 28; BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 358/10, NZA 2011, 1358 Rz. 26.
Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen
keinen Programmsatz enthielt, wonach Mehrarbeit zu vermeiden sei. Vielmehr gestattete er nicht nur das Überschreiten der individuell geschuldeten Arbeitsleistung um bis zu 15 % pro Monat. Es war sogar zulässig, dass dafür innerhalb des Jahresarbeitszeitkontos kein Freizeitausgleich erfolgte. Die Tarifvertragsparteien hatten also die damit einhergehenden Belastungen in Kauf genommen. Von dieser Zweckbestimmung ausgehend ist es nach Auffassung des BAG allerdings nicht zulässig, für Teilzeit- und Vollzeitkräfte eine einheitliche Belastungsgrenze festzusetzen, nach deren Überschreiten Mehrarbeitszuschläge gezahlt werden. Für die einheitliche Festsetzung eines Schwellenwerts sprachen zwar Überlegungen, wie sie der EuGH in seinem Urteil vom 15.12.199412 und verschiedene Senate des BAG in ihrer früheren Rechtsprechung13 zum Ausdruck gebracht hatten. Denn in diesen Entscheidungen war eine Ungleichbehandlung bereits mit der Begründung abgelehnt worden, dass Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte bei einem einheitlichen Schwellenwert jeweils für die gleiche Dauer der Arbeitszeit auch die gleiche Gesamtvergütung erhielten. Diese Rechtsprechung hat der 10. Senat des BAG in einem Urteil vom 19.12.201814 mit Blick auf aktuellere Feststellungen des EuGH im Urteil vom 27.5.200415 und des 6. Senats des BAG im Urteil vom 23.3.201716 aufgegeben. Nach diesen Grundsätzen sind die Geldbestandteile im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Diskriminierung wegen der Teilzeitbeschäftigung und/oder des Geschlechts erfolgt, getrennt zu betrachten. Hiervon ausgehend liegt eine Diskriminierung wegen Teilzeitbeschäftigung vor, wenn die Anzahl zusätzlicher Stunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, bei Teilzeitbeschäftigten nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit abgesenkt wird. Sind hiervon überwiegend Frauen betroffen, liegt darin auch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Von diesen Grundsätzen ausgehend war es nur folgerichtig, bei einheitlichen Schwellenwerten von einer unmittelbaren Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten auszugehen. Während Vollzeitkräfte Zuschläge bereits für die erste Stunde Mehrarbeit erhielten, würden Teilzeitkräfte erst dann in den
12 13 14 15 16
EuGH v. 15.12.1994 – C-399/92 u. a., NZA 1995, 218 Rz. 26 ff. – Helmig. Vgl. nur BAG v. 26.4.2017 – 10 AZR 589/15, NZA 2017, 1069 Rz. 33; BAG v. 16.6.2014 – 5 AZR 448/03, ZTR 2004, 526 Rz. 49; BAG v. 23.4.1998 – 6 AZR 558/96 n. v. (Rz. 17). BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, ZTR 2019, 268 Rz. 58 ff. EuGH v. 27.5.2004 – C-285/02, NZA 2004, 783 Rz. 15, 17 – Elsner-Lakeberg. BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16, NZA-RR 2018, 45 Rz. 53.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Genuss von Zuschlägen kommen, wenn sie das Delta zwischen der individuellen Teilzeitquote und der Arbeitszeit von Vollzeittätigkeit gearbeitet hätten. Damit ginge – so das BAG – eine wegen ihrer Teilzeitquote höhere Belastungsgrenze einher17. Einen sachlichen Grund für diese Differenzierung hat das BAG nicht gesehen. Dem ist jedenfalls dann zuzustimmen, wenn – was im vorliegenden Sachverhalt schon wegen der Länge des Ausgleichszeitraums der Fall war – mit den Mehrarbeitszuschlägen der Zweck verfolgt wird, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Engriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten. Denn der Arbeitgeber hätte die Zuschläge auch bei einer körperlichen Inanspruchnahme der Arbeitnehmer bis zu den Grenzen des arbeitszeitrechtlich zulässigen dadurch vermeiden können, dass er bis zum Ende des jährlichen Ausgleichszeitraums eine entsprechende Freistellung sicherstellt. Die freizeitbezogene Zweckbestimmung betrifft dann aber Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen, kann indes nur erreicht werden, wenn die Zuschläge von der individuell vereinbarten Arbeitszeit abhängen. Einheitliche Schwellenwerte, mit denen vom pro-rata-temporis-Grundsatz abgewichen wird, seien nicht zu rechtfertigen18. Offenkundig will das BAG diese Feststellungen nicht auf Arbeitnehmer begrenzen, mit denen eine Jahresarbeitszeit vereinbart wurde. Denn nach seinen weiterführenden Feststellungen wäre auch ein Tarifverständnis, das zur Folge hätte, dass Teilzeitkräfte mit einer Monatsarbeitszeit Mehrarbeitszuschläge erst erhielten, wenn sie die Monatsarbeitszeit bei einer Vollzeittätigkeit überschreiten würden, mit § 4 Abs. 1 TzBfG unvereinbar. Für die betriebliche Praxis folgt aus diesen Feststellungen des BAG, dass die regelmäßig vereinbarte Anknüpfung von Mehrarbeitszuschlägen an ein Überschreiten der bei Vollzeitbeschäftigung geltenden Arbeitszeit bereits als sachwidrige Benachteiligung unwirksam ist. Auf die Frage, ob darin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt, was nahe liegt, kommt es nicht (mehr) an. Denkbar erscheint die Rechtfertigung eines einheitlichen Schwellenwerts allenfalls dann, wenn Mehrarbeitszuschläge ein Überschreiten der täglichen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zum Bezugspunkt nehmen und ihre Zahlung auch dadurch nicht vermieden wer17 18
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BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, ZTR 2019, 268 Rz. 64. BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, ZTR 2019, 268 Rz. 67. Das wird von Rambach (ZTR 2019, 195, 200) zu wenig berücksichtigt, wenn er bereits in den einheitlichen Schwellenwerten ein Indiz dafür liegt, dass die Zuschläge vor allem einem Ausgleich der Arbeitsbelastung dienten.
Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung
den kann, dass ein entsprechender Ausgleich dieser Mehrarbeit durch Freizeit an anderen Tagen erfolgt. Denn hier stünde erkennbar die gesundheitliche Belastung im Vordergrund, die auch bei Teilzeitbeschäftigten erst dann eine relevante Größe erreicht, wenn die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. Da solche Regelungen zur Kennzeichnung der Mehrarbeit aber dem Flexibilisierungsbedürfnis entgegenstehen, das insbesondere mit monatlichen, quartalsbezogenen oder jahresbezogenen Ausgleichszeiträumen verfolgt wird, ist die Relevanz einer solchen Gestaltungsmöglichkeit außerordentlich gering. In den meisten Fällen dürfte auf längere Ausgleichszeiträume abgestellt werden, was nahe legt, dass schlussendlich nicht die gesundheitliche Belastung, sondern der auch nach Ablauf des Ausgleichszeitraums noch erkennbare Eingriff in die Freizeit honoriert werden soll. Das aber schließt einheitliche Schwellenwerte für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte aus und verpflichtet, die jeweils individuell vereinbarte (regelmäßige) Arbeitszeit als Bezugspunkt zu nehmen. Solange Tarifverträge nicht geändert werden, können Teilzeitbeschäftigte an der individuellen Arbeitszeit anknüpfend Mehrarbeitszuschläge innerhalb der Ausschlussfristen geltend machen. Darin liegt keine Tarifzensur, denn auch die Tarifvertragsparteien müssen Art. 3 Abs. 1 GG sowie das übergreifende Verbot einer Diskriminierung wegen des Geschlechts beachten (Ga)
3.
Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung
Unter einer betrieblichen Übung ist nach gefestigter Rechtsprechung des BAG19 die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus einem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Für die Entstehung eines vertraglichen Anspruchs ist dabei entscheidend, wie die Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mussten und ob sie auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften. Dabei ist unerheb-
19 Vgl. nur BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106 Rz. 16; BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630 Rz. 29 m. w. N.; BAG v. 23.8.2017 – 10 AZR 136/17, NZA 2018, 44 Rz. 18.
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lich, ob der Arbeitgeber tatsächlich mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Ebenso unerheblich für die Entstehung eines vertraglichen Anspruchs aus betrieblicher Übung ist, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist, weil sie sich an alle Beschäftigten eines Betriebs oder zumindest kollektiv abgrenzbare Gruppen richtet. Aus der Sicht der Erklärungsempfänger ist das Vertragsangebot des Arbeitgebers regelmäßig dahingehend zu deuten, dass er – vorbehaltlich anderweitiger Abreden – alle Arbeitnehmer zu den im Betrieb üblichen Bedingungen beschäftigen will20. Wenn der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern will, muss er bei oder im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung den Beschäftigten gegenüber klar und verständlich erklären, dass diese Leistung einmalig sei und zukünftige Ansprüche ausschließe, um eine Bindung für die Zukunft zu vermeiden21. Als Allgemeine Geschäftsbedingung hält ein derartiger Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für die Zukunft einer Inhaltskontrolle nach § 308 Nr. 4 BGB und einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB stand22. Da mit dem Vorbehalt jeder Rechtsanspruch für die Zukunft ausgeschlossen wird, fehlt es schon an einer versprochenen Leistung i. S. von § 308 Nr. 4 BGB. Der im Vorbehalt formulierte Ausschluss jeden Rechtsanspruchs für die Zukunft konfligiert auch nicht mit § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wonach eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, der einen Rechtsanspruch auf Sonderleistungen ausschließt, weicht nicht von § 611 a Abs. 2 BGB ab, wonach der Arbeitgeber als Dienstgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist23. Das Entstehen einer betrieblichen Übung lässt sich zwar nicht durch eine einfache Schriftformabrede im Arbeitsvertrag verhindern, weil dieser Formzwang jederzeit formlos und konkludent beseitigt werden kann, wohl aber durch eine doppelte Schriftformklausel, bei der auch die Änderung der Schriftformklausel selbst von der Schriftform abhängig ist. Hier ist aller-
20 BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106 Rz. 16; BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 Rz. 18; ArbR-HB/Ahrendt, § 110 Rz. 21. 21 BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106 Rz. 16; BAG v. 18.3.2009 – 10 AZR 289/08, NZA 2009, 535 Rz. 17. 22 BAG v. 18.3.2009 – 10 AZR 289/08, NZA 2009, 535 Rz. 18 ff. 23 Vgl. auch ErfK/Preis, BGB § 611 a Rz. 222; HWK/Thüsing, BGB § 611 a Rz. 384.
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Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung
dings unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle zu beachten, dass Individualvereinbarungen dadurch nicht berührt werden dürfen24. Will der Arbeitgeber eine betriebliche Übung beseitigen, braucht er abändernde Individualvereinbarungen oder -kündigungen oder zulässige ablösende Betriebsvereinbarungen25.
a)
Betriebliche Übung – Entgelterhöhung
Die Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen und die damit verbundenen Voraussetzungen der Entstehung einer betrieblichen Übung waren Gegenstand einer Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 19.9.201826. Der Kläger war seit 1989 bei der nicht tarifgebundenen Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags beschäftigt, wonach sich das Arbeitsverhältnis unter anderem nach dem Tarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV Banken) richten sollte. Der MTV Banken sah eine nach der auszuübenden Tätigkeit erfolgende Eingruppierung in neun Tarifgruppen vor, die ihrerseits nach Berufsjahren zuzuordnende Stufen enthielten. Die Beklagte fügte seit jeher als Haustarif jeder der neun Vergütungsgruppen sog. übertarifliche Stufen – nummeriert mit 21, 31, 41 und 51 – hinzu. Bis zum Jahr 2016 wurden die Gehälter der Beschäftigten, einschließlich der übertariflichen Stufe, entsprechend den Tariferhöhungen im Bankgewerbe angehoben. Zur Tariferhöhung von 1,5 % ab dem 1.10.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass diese vollständig auf den übertariflichen Anteil der übertariflichen Gehälter angerechnet werde. Mit seiner Klage wollte der Kläger eine Erhöhung seines Effektivgehalts um 1,5 % durchsetzen. Während die Vorinstanzen die entsprechende Zahlungsklage abgewiesen haben, hat das BAG den Anspruch auf diese Gehaltserhöhung bestätigt. Die Besonderheit der Fallkonstellation bestand darin, dass nach der Rechtsprechung des BAG27 bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber eine betriebliche Übung, die zu einem Rechtsanspruch auf Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifge-
24 Etwa BAG v. 21.1.2009 – 10 AZR 219/08, NZA 2009, 310 Rz. 13 ff.; BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 274/07, NZA 2008, 941 Rz. 20 ff. 25 Vgl. nur BAG v. 24.10.2017 – 1 AZR 846/15, ZTR 2018, 221 Rz. 17 ff.; diff. BAG v. 11.4.2018 – 4 AZR 119/17, NZA 2018, 1273 Rz. 58 ff. für eine konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit. 26 BAG v. 19.9.2018 – 5 AZR 439/17, NZA 2019, 106. 27 Nur BAG v. 24.2.2016 – 4 AZR 990/13, NZA 2016, 557 Rz. 22; BAG v. 23.3.2011 – 4 AZR 268/09 n. v. (Rz. 61); BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173 Rz. 26.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
biet führt, nur angenommen werden kann, wenn deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür erkennbar sind, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien jeweils ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Maßgebend ist dafür die Erwägung, dass sich ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen will. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprächen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers, sich dauerhaft zu einer Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet verpflichten zu wollen. Mit dieser Argumentation hat die Vorinstanz, das LAG Hamburg28, die Entstehung einer betrieblichen Übung verneint, weil es hierfür neben den regelmäßigen Erhöhungen zusätzlicher Anhaltspunkte bedurft hätte, die nicht vorlagen. Demgegenüber hat das BAG für den Streitfall eine Heranziehung dieser (Ausnahme-)Rechtsprechung verneint, weil sie nur zur Anwendung gelangt, wenn der Wille des Arbeitgebers, sich für die Zukunft nicht binden zu wollen, für die Arbeitnehmer erkennbar ist. Dafür hat das BAG im Streitfall die bereits fehlende Tarifbindung der Beklagten für sich betrachtet nicht genügen lassen. Hierfür sprach nach Ansicht des BAG nicht nur die dynamische Ausgestaltung der Bezugnahme auf das tarifliche Regelungswerk für die Zukunft, sondern auch die Schaffung eines betrieblichen Entgeltsystems, das innerhalb des tariflichen Vergütungs- und Eingruppierungssystems eigene Steigerungsstufen beinhaltete, die über Jahre hinweg entsprechend den Tariferhöhungen im Bankgewerbe miterhöht worden waren. Aus der autonom von der Beklagten entwickelten Gehaltsstruktur schlussfolgert das BAG, dass insoweit die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung keine Rolle spielt, so dass bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einer betrieblichen Übung die von der Beklagten selbst geschaffenen übertariflichen Stufen als übertarifliche Entgeltbestandteile der dynamischen Ausgestaltung unterworfen sind. Aus der entsprechenden jahrzehntelangen Praxis der Beklagten konnten die Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG die stete Anhebung der Effektivbezüge auf der Grundlage der tarifvertraglichen Entwicklung nur dahingehend deuten, dass die jeweiligen Tarifsteigerungen im Bereich des privaten Bankgewerbes fortwährend zugleich die übertariflichen Gehaltsbestandteile erfassten. Einen anderslautenden und diesem Deutungsergebnis entgegenstehenden Vorbehalt hat die Beklagte im Zusammenhang mit den Entgelterhöhungen in der Vergangenheit nicht geäußert, so dass eine Anrechnung der Tarif28 LAG Hamburg v. 13.7.2017 – 7 Sa 37/17 n. v. (Rz. 52 ff.).
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Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung
anhebung auf die übertariflichen Lohnbestandteile des Klägers ausgeschlossen war. Als Resümee für die betriebliche Praxis ergibt sich aus dieser Entscheidung des BAG, dass ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber, der sich gegenüber seinen Arbeitnehmern durch eine dynamische Bezugnahmeklausel an den maßgebenden Entgelttarifvertrag arbeitsvertraglich bindet und die entsprechenden Entgelterhöhungen nicht nur auf den tariflichen Entgeltbestandteil beschränkt, sondern zugleich den zusätzlich gewährten übertariflichen Vergütungsbestandteil in gleicher Weise anhebt, zur Vermeidung einer Bindungswirkung für die Zukunft durch betriebliche Übung mit der Gewährung dieser Leistung den Beschäftigten gegenüber klar und verständlich kommunizieren muss, dass diese Leistung jeweils einmalig ist und keine zukünftigen Ansprüche begründet werden.
b)
Keine betriebliche Übung bei rechtsirrtümlicher Erfüllung individual- oder kollektivrechtlicher Regelungen
Kann eine betriebliche Übung in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber zu den zu ihrer – möglichen – Begründung angeführten Verhaltensweisen durch andere Rechtsgrundlagen verpflichtet war oder sich irrtümlich aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung aus einer anderen Rechtsgrundlage zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte? Darum ging es in der Entscheidung des 4. Senats des BAG vom 11.7.201829. Der Fall betraf eine nicht tarifgebundene Klägerin, die seit 1994 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen in einem Klinikum beschäftigt wurde und in deren Arbeitsvertrag eine dynamische Bezugnahme auf den BAT in der für den Bereich der VKA jeweils geltenden Fassung vorgesehen war. Außerdem sollten die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung finden. Ab dem Jahr 2005 wurde das Beschäftigungsverhältnis in den TVöD übergeleitet. 2007 ging das Klinikum im Wege eines Betriebsübergangs auf die S-Klinikum GmbH über, die zunächst weiterhin den TVöD anwandte. Mit Schreiben vom 20.8.2010 teilte die S-Klinikum GmbH der Klägerin mit, dass rückwirkend zum 1.1.2010 die haustariflichen Sana-Tarifverträge in Kraft getreten seien und das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund in das neue Tarifrecht übergeleitet werde. Mit Wirkung zum 1.11.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über, die die Klägerin mit Schreiben vom 7.11.2013 dahingehend informierte, dass die bisherigen tarifvertraglichen Regelungen von Sana durch den mit ver.di abgeschlossenen Haustarif29 BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
vertrag AMEOS-HTV abgelöst werden. Die Klägerin hat klageweise die Feststellung begehrt, dass für sie weiterhin die Sana-Tarifverträge gölten. ArbG30 und LAG31 haben der Feststellungsklage der Klägerin entsprochen. Dabei ging das LAG Sachsen-Anhalt hinsichtlich der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag zwar nicht von einer großen dynamischen Verweisung, d. h. einer Tarifwechselklausel, sondern von einer kleinen dynamischen Verweisung aus, war jedoch der Ansicht, dass die Sana-Tarifverträge auf der Grundlage einer betrieblichen Übung anwendbar seien, die die ursprüngliche vertragliche Bezugnahmeklausel abgelöst habe. Soweit es um die Bewertung der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Parteien als Tarifwechselklausel oder kleine dynamische Verweisung geht, ist das BAG dem LAG Sachsen-Anhalt gefolgt, weil durch die Formulierung in der vertraglich vereinbarten Bezugnahmeklausel, dass „außerdem“ die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung finden sollten, nur Tarifverträge gemeint sein konnten, die „neben“ dem BAT-VKA bzw. TVöD-VKA oder „zusätzlich“ zu diesem Geltung beanspruchen können, nicht aber solche, die an die Stelle des BAT-VKA bzw. TVöD-VKA treten sollten32. Dieses Verständnis folge nach Ansicht des BAG daraus, dass ein verständiger und redlicher Vertragspartner des Arbeitgebers als der Verwender der Klausel diese Formulierung dahingehend verstehen musste, dass es sich insoweit um solche Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von den Tarifverträgen des BAT-VKA bzw. TVöD-VKA unterscheiden und diese nicht verdrängen. In diesem Zusammenhang betont das BAG, dass eine kleine dynamische Verweisung über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) auf den jeweils für den Betrieb fachlich bzw. betrieblich geltenden Tarifvertrag ausgelegt werden kann, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt33. Da derartige Umstände im Streitfall nicht vorlagen, kam die von der Beklagten gewünschte Anwendung des Haustarifvertrags (AMEOS-HTV) mangels einer vorliegenden Tarifwechselklausel nicht in Betracht. Vielmehr musste entschieden werden, ob die von der Klägerin im Klageantrag genannten Tarifverträge aufgrund einer betrieblichen Übung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar waren, wovon das LAG Sachsen-Anhalt ausgegangen ist. Das BAG hält zunächst unter Berufung auf seine frühere Rechtspre30 31 32 33
ArbG Magdeburg v. 18.2.2015 – 7 Ca 1216/14 n. v. LAG Sachsen-Anhalt v. 14.8.2017 – 6 Sa 216/15 n. v. So bereits BAG v. 26.8.2015 – 4 AZR 719/13, NZA 2016, 177 Rz. 17. BAG v. 6.7.2011 – 4 AZR 706/09, NZA 2012, 100 Rz. 45.
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Neue Rechtsprechung zur betrieblichen Übung
chung34 daran fest, dass auch Tarifverträge grundsätzlich im Wege einer betrieblichen Übung von den Arbeitsvertragsparteien in Bezug genommen werden können. Indes kommt nach Ansicht des BAG eine betriebliche Übung dann nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber durch andere Rechtsgrundlagen zu den für eine betriebliche Übung maßgebenden Verhaltensweisen angehalten war35 oder wenn sich der Arbeitgeber irrtümlich aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung aus einer anderen Rechtsgrundlage zur Leistungserbringung verpflichtet glaubte36. Da für die Entstehung einer betrieblichen Übung unerheblich ist, ob der Arbeitgeber tatsächlich mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat, verhindert eine irrtümlich vom Arbeitgeber übernommene Verpflichtung nur dann die Entstehung einer betrieblichen Übung, wenn für den Arbeitnehmer tatsächlich erkennbar ist, dass er die Leistung aufgrund einer anderen, und sei es auch tatsächlich nicht bestehenden, Rechtspflicht hat erbringen wollen. Unter dieser Prämisse kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass ihm eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht vom Arbeitgeber gewährt werden soll37. Von einer derartigen für die Klägerin erkennbar irrtümlichen Anwendung der Sana-Tarifverträge durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten geht das BAG im Streitfall aus, weil die Klägerin keine Veranlassung hatte anzunehmen, die Sana-Tarifverträge hätten unabhängig von einer vermeintlichen Rechtspflicht auf Dauer zur Anwendung gelangen sollen. Dies schlussfolgert das BAG aus dem Hinweis der Rechtsvorgängerin, das Inkrafttreten der neuen Tarifverträge habe eine derartige Überleitung erfordert, woraus die Klägerin habe schließen müssen, dass die Rechtsvorgängerin – wenn auch rechtsirrtümlich – von einer vertraglichen Tarifwechselklausel ausgegangen sei. Damit war der Klägerin zur Feststellungsklage der Boden entzogen. (Boe) 34 BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630 Rz. 29; BAG v. 9.5.2007 – 4 AZR 275/06, NZA 2007, 1439 Rz. 26 m. w. N.; BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879 Rz. 50 ff. 35 So bereits BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630 Rz. 30; BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 832/11, NZA-RR 2014, 375 Rz. 62; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 653/05, DB 2007, 2598 Rz. 43; BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04, NZA 2005, 349 Rz. 44. 36 Vgl. etwa BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630 Rz. 30; BAG v. 16.6.2004 – 4 AZR 417/03 n. v. (Rz. 36); BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390 Rz. 60. 37 BAG v. 11.7.2018 – 4 AZR 443/17, NZA 2018, 1630 Rz. 30; BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 832/11, NZA-RR 2014, 375 Rz. 62; BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 653/05, DB 2007, 2598 Rz. 43 m. w. N.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
4.
Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten
a)
Grundsätzliche Kennzeichnung vergütungspflichtiger Reisezeit
In der Vergangenheit ist die Frage einer Vergütung von Reisezeiten38 in der Regel über §§ 611, 612 Abs. 1, 2 BGB beantwortet worden. Insofern wurde danach unterschieden, ob das Reisen Bestandteil der Hauptleistungspflicht ist oder ob es sich dabei um eine vorbereitende Tätigkeit handelt, die einer Zeit der Erfüllung der eigentlichen Hauptleistungspflicht vor- oder nachgeschaltet ist. Hiervon ausgehend bestand eine uneingeschränkte Vergütungspflicht, wenn der Arbeitnehmer diese Reisetätigkeit als Bestandteil seiner Hauptleistungspflicht zu verrichten hatte. Das typische Beispiel hierfür war der Außendienstmitarbeiter oder der Monteur, der beim Kunden handwerkliche Arbeit verrichtet. In diesen Fällen war § 611 BGB (heute: § 611 a Abs. 2 BGB) immer schon die rechtliche Grundlage für ihre Vergütung39. Wenn der Arbeitnehmer grundsätzlich eine ortsbezogene Tätigkeit verrichtet, aber hierfür im Einzelfall auch reisen muss und hinsichtlich der Vergütung keine ausdrückliche Regelung getroffen worden war, musste die Frage einer Vergütung grundsätzlich auf der Grundlage von § 612 BGB entschieden werden. Danach gilt eine Vergütung auch für die Reisezeiten als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Wann das der Fall war, musste zwar einzelfallbezogen ermittelt werden. Das BAG hatte insoweit aber den Grundsatz entwickelt, dass eine Vergütung des betroffenen Arbeitnehmers oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel einem gesonderten Vergütungsanspruch für entsprechende Reisen entgegensteht40. Wenn dies nicht der Fall war und deshalb nach § 612 Abs. 1 BGB von einem Vergütungsanspruch auszugehen ist, ist eine einzelfallbezogene Entscheidung über das „Ob“ und den zeitlichen Umfang der Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB sowie über die Höhe des danach relevanten Zeitaufwands gemäß § 612 Abs. 2 BGB zu treffen41. Diese Sichtweise hat das BAG einer grundlegenden Veränderung unterworfen. In seiner neuen Rechtsprechung, die in den letzten Jahren eine wesentli38 Eingehend dazu Stöhr/Stolzenberg, NZA 2019, 505. 39 Vgl. BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 16. 40 Vgl. BAG v. 27.6.2012 – 5 AZR 530/11, NZA 2012, 1147 Rz. 19; BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, NZA 2012, 861 Rz. 21. 41 Ebenso BAG v. 8.11.1994 – 9 AZR 576/90, NZA 1995, 583.
130
Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten
che Ausprägung in den Entscheidungen zur Vergütung von Umkleidezeiten gefunden hat42, hat das BAG ein erweitertes Verständnis der „versprochenen Dienste“ i. S. des § 611 Abs. 1 BGB entwickelt, deren Vorliegen ohne die ergänzenden Prüfungsschritte des § 612 BGB bereits nach § 611 a Abs. 2 BGB zu einem Anspruch auf Vergütung dieser Zeit führt, wenn keine hiervon abweichenden (ausschließenden) Vereinbarungen getroffen werden. Danach gehört zu den versprochenen Diensten nicht nur die „eigentliche Tätigkeit“, sondern – so das BAG – jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Dies gilt jedenfalls dort, wo entsprechende Tätigkeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers verrichtet werden. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste i. S. des § 611 Abs. 1 BGB sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene43. Auf die arbeitszeitrechtliche Zuordnung kommt es dabei nicht an44.
b)
Vergütung von Reisezeit bei Auslandsentsendung
Hiervon ausgehend hat sich das BAG im Urteil vom 17.10.201845 eingehend mit der Frage befasst, ob und inwieweit die Reisezeit des Klägers, der als technischer Mitarbeiter eines Bauunternehmens im Ausland eingesetzt wurde, mit einem Vergütungsanspruch verknüpft war. Lässt man die Frage der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung entsprechender Reisezeiten ins Ausland, die wir bereits bei früherer Gelegenheit behandelt haben46, hier einmal unberücksichtigt, steht die Praxis immer wieder vor der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang solche Reisezeiten zu vergüten sind. In Übereinstimmung mit seiner aktuellen Rechtsprechung zu Umkleidezeiten knüpft das BAG die Frage der Vergütungspflicht bezüglich der Leistung der nach § 611 Abs. 1 BGB versprochenen Dienste daran, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer diese aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt (vgl. § 106 GewO)47. Grundsätzlich erbringe ein 42 Vgl. BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211; BAG v. 6.9.2017 – 5 AZR 382/16, NZA 2018, 180. 43 Vgl. BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 13 ff. 44 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 16; ErfK/Wank, ArbZG § 2 Rz. 17; ErfK/Preis, BGB § 611 a Rz. 516 g f. 45 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 11 ff.; vgl. dazu Salamon/Wessels, ArbRB 2019, 19. 46 B. Gaul/Kriebel Volk, AktuellAR 2018, 519 ff. 47 BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 16; BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 226/16 n. v. (Rz. 22).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitnehmer mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders sei es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen habe. In diesem Fall gehöre das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstätte zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet sei, Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehöre zwingend die jeweilige An- und Abreise, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgten48 und in jedem Fall dann, wenn der Arbeitnehmer zur Leistung der auswärtigen Tätigkeit ein Fahrzeug mit den zur Montage erforderlichen Werkzeugen führen müsse49. Für Montagemitarbeiter wie auch für Außendienstler gehöre es zu ihren vergütungspflichtigen Hauptleistungen, ohne festen Arbeitsort an verschiedenen Orten tätig zu sein50. Außerhalb solcher Fallgestaltungen wurde bislang nur die Reisezeit vergütet, innerhalb derer Arbeit erledigt wurde oder in der der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers mit dem Auto angereist ist und dieses gefahren hat51. Reisezeit sei nur dann als Arbeitszeit einzuordnen, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit im Interesse des Arbeitgebers tätig wurde52. Das bloße Reisen, während dessen der Arbeitnehmer keine dienstlichen Aufgaben habe und auch das Verkehrsmittel nicht selbst steuern müsse, stelle keine vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Das gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber zwar die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel anordne, aber während der Fahrt keine Aufgaben erledigt würden53. In seinem Urteil vom 17.10.201854 hat das BAG nun entschieden, dass Reisen zu einer im Ausland gelegenen Arbeitsstätte, zu der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsende, über diese früheren Grundsätze hinausgehend auch dann auf dem Hin- und Rückweg grundsätzlich wie Arbeitszeit vergütet werden müssten, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen worden sei. Hiervon war vorliegend auszugehen, zumal der streitgegenständliche 48 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 14; BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 18; ErfK/Preis, BGB § 611 a Rz. 516 a ff. 49 Vgl. BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 18. 50 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 292/08, NZA-RR 2010, 231 Rz. 15. 51 Vgl. BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 226/16 n. v. (Rz. 22); BAG v. 23.7.1996 – 1 ABR 17/96, NZA 1997, 216 Rz. 29 f. 52 BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 18. 53 HWK/Thüsing, BGB § 611 a Rz. 484; Hunold, NZA 2006, 38. 54 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 17.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten
Tarifvertrag die Regelung enthielt, nach der der Angestellte einen Anspruch auf Fortzahlung seines Gehalts ohne jeden Zuschlag für die Zeit einer Beförderung zur Arbeitsstelle habe. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um einen technischen Mitarbeiter, der arbeitsvertraglich verpflichtet war, auf Baustellen im In- und Ausland tätig zu werden. Grundlage war ein gesonderter Entsendevertrag, der neben dem eigentlichen (in dieser Zeit ruhenden) Arbeitsvertrag für die Dauer der Auslandstätigkeit abgeschlossen wurde. Vom 10.8.2015 bis zum 30.10.2015 war er durch den Arbeitgeber auf eine Baustelle nach China entsandt worden. Diese Reise hatte er aber nicht, wie vom Arbeitgeber ursprünglich geplant, in einem Direktflug von Frankfurt nach Shanghai durchgeführt. Vielmehr war er in der Business-Class über Dubai geflogen, hatte dort eine Nacht verbracht und war deshalb auf dem Hin- und Rückweg jeweils deutlich länger unterwegs. Da es aber dem Kläger – so die Beklagte – wichtiger gewesen sei, in der Business-Class zu reisen, anstatt einen erheblich geringeren Zeitaufwand im Rahmen des Direktflugs zu betreiben, sei es ihr bei erkennbarer Kostenneutralität der Reise über Dubai gleichgültig gewesen, welche Buchungsklasse und welchen Zeitraum dies in Anspruch nehme. Sie habe deshalb der veränderten Buchung zugestimmt und diese veranlasst. Von diesem Sachverhalt ausgehend vergütete der Arbeitgeber die vier Reisetage jeweils nur mit der vertraglich vereinbarten Vergütung für acht Stunden à 35,92 €, insgesamt 1.149,44 €. Der Kläger meinte, dass diese Vergütung nicht ausreichend sei. Er verlangte eine Vergütung für weitere 37 Stunden als zuschlagspflichtige Überstunden mit der Begründung, dass die gesamte Reisezeit von seiner Wohnung bis zur Arbeitsstelle und zurück wie Arbeit zu vergüten sei. Gearbeitet hatte er während der Reise zu keinem Zeitpunkt. Dieser Sichtweise ist das BAG nicht gefolgt. Abweichend von der klagestattgebenden Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz55 ist der 5. Senat des BAG davon ausgegangen, dass dem Kläger zwar die Reisen zur auswärtigen Arbeitsstelle und von dort zurück wie Arbeitszeit vergütet werden müssten. Denn er sei insoweit ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers tätig gewesen. Erforderlich sei aber grundsätzlich nur die Reisezeit, die bei einem Flug in der Economy-Class anfalle. Eine abschließende Entscheidung hat das BAG hierzu indes nicht getroffen, sondern die Sache wegen notwendiger Feststellungen zur Erforderlichkeit der Reisezeiten zurückverwiesen. Wichtig für den hier zur Entscheidung stehenden Fall ist zunächst einmal, dass die Regelungen zur Dauer der Arbeitszeit in der Richtlinie 2003/88/EG 55 LAG Rheinland-Pfalz v. 13.7.2017 – 2 Sa 468/16 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
für die Vergütung keine Bedeutung haben. Sie betreffen den Arbeitsschutz und damit die Frage, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer berechtigterweise veranlassen darf, in einer bestimmten Weise für eine bestimmte Dauer tätig zu werden. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 10.9.201556 in Bezug auf einen Montagemitarbeiter in Spanien deutlich gemacht hat, ist das Unionsrecht für die Vergütung innerhalb des Arbeitsverhältnisses ohne Bedeutung. Insoweit kommt auch ein Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH und seine Überlegungen zur Kennzeichnung der Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG nicht in Betracht. Die Regelungen in Art. 2 Richtlinie 2003/88/EG bestimmen, ob die Reisezeiten als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne zu qualifizieren sind und deshalb bei Überschreiten der Höchstarbeitszeit in § 3 ArbZG eingestellt werden müssen, falls nicht auf der Grundlage von §§ 7, 15 ArbZG hiervon abweichende Regelungen durch Kollektivvereinbarung oder behördliche Erlaubnis getroffen wurden. Maßgeblich war damit, dass im Entsendevertrag keine ausdrückliche Vereinbarung zur Vergütung von Reisezeiten enthalten war. Vielmehr waren die allgemeinen Regelungen maßgeblich, wie sie durch den Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau), der kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Geltung beanspruchte, bestimmt wurden. In § 7 RTV-Bau war auszugsweise geregelt worden: 4.3 An- und Abreise Der Arbeitgeber hat den Angestellten kostenlos zur Arbeitsstelle zu befördern oder ihm die Fahrtkosten i. H. von 0,20 € je gefahrenen Kilometer ohne Begrenzung zu erstatten. Das gilt auch für den unmittelbaren Wechsel zu einer anderen Arbeitsstelle und für die Rückfahrt zu seiner Wohnung nach Beendigung der Tätigkeit auf der Arbeitsstelle. Im Übrigen gilt Nr. 3.1. In diesen Fällen hat der Angestellte für die erforderliche Zeit Anspruch auf Fortzahlung seines Gehalts ohne jeden Zuschlag.
Auch wenn die Tarifvertragsparteien möglicherweise keine Auslandsentsendung im Auge hatten, als sie in § 7 RTV-Bau bestimmten, dass der Arbeitnehmer sowohl im Büro als auch auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Betriebs eingesetzt werden kann, auch wenn er diese von seiner Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann, dürfte davon mangels gegenteiliger Anknüpfungspunkte im Wortlaut des Tarifvertrags im 56 EuGH v. 10.9.2015 – C-266/14, NZA 2015, 1177 Rz. 47 f. – Federación de Servicios Privados.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten
Zweifel auch die Auslandsentsendung umfasst sein. Schlussendlich konnte die Frage aber offenbleiben. Denn wenn der Tarifvertrag mit der vorstehenden Klausel keine Regelung für die Auslandsentsendung schaffen wollte, gibt es gar keine Regelung, mit der eine von der grundsätzlichen Vergütungspflicht abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Bedeutung hatte der Tarifvertrag dann nur insoweit, als damit vereinbart worden wäre, dass die Vergütungspflicht für Reisezeiten keine Zuschläge wegen Mehrarbeit auslösen konnte. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG indes deutlich gemacht, dass auch bei einer Anerkennung der grundsätzlichen Pflicht zur Vergütung die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müsse, so dass nur die erforderliche Reisezeit zu bezahlen war. Richtigerweise ist das BAG damit der Auffassung des LAG Rheinland-Pfalz nicht gefolgt, nach der vorliegend auch der zeitliche Mehraufwand der Reise über Dubai hätte bezahlt werden sollen. Zwar diene das Kriterium der Erforderlichkeit einer Ausgrenzung von Reisezeiten, die durch nicht nachvollziehbare Umwege, überflüssige Unterbrechungen oder Ähnliches ausgelöst würden. Davon sei allerdings nicht immer dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber selbst die Reise gebucht habe. Vielmehr gelten für die Erforderlichkeit von Reisezeiten folgende Grundsätze57: Gibt der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vor, ist diejenige Reisezeit erforderlich, die der Arbeitnehmer benötigt, um entsprechend dieser Vorgaben des Arbeitgebers das Reiseziel zu erreichen. Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Wahl von Reisemittel und/oder Reiseverlauf, ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragsteils (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, das kostengünstigste Verkehrsmittel bzw. den kostengünstigsten Reiseverlauf zu wählen. Bei einer Flugreise ist deshalb – so das BAG – grundsätzlich die Reisezeit erforderlich, die bei einem Direktflug in der Economy-Class anfällt, es sei denn, ein solcher wäre wegen besonderer Umstände dem Arbeitnehmer nicht zumutbar. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte dem Kläger zwar die Wahl des Reiseverlaufs überlassen. Da es aber keine Anhaltspunkte gab, dass dem Kläger ein Direktflug in der Economy-Class nicht zumutbar gewesen wäre, war der zusätzliche Zeitaufwand des Umwegs über Dubai jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht erforderlich und deshalb nicht vergütungspflichtig. Da-
57 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 22 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
ran änderte sich auch durch den Umstand nichts, dass die Beklagte für den Kläger die Buchung vorgenommen hatte. Denn die Flugverbindung wurde dem Wunsch des Klägers gemäß ausgewählt. Für den Fall etwaiger Auseinandersetzungen über entsprechende Reisezeiten ist es wichtig zu wissen, dass neben den eigentlichen Beförderungszeiten auch die Wegezeiten zum/vom Flughafen sowie die Zeiten für das Einchecken und die Gepäckausgabe gehören. Nicht erfasst wird allerdings ein rein eigennütziger Zeitaufwand, zu dem auch das Kofferpacken und Duschen gehört. Bestehen Zweifel über den tatsächlichen Umfang bzw. die Erforderlichkeit, greift insoweit allerdings eine unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast. Falls der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vorgegeben hat, genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, indem er vorträgt, welcher Zeitaufwand ihm im Einzelnen durch die Vorgaben entstanden ist. Soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer hinsichtlich Reisemittel und/oder Reiseverlauf Wahlmöglichkeiten lässt, muss der Arbeitnehmer die Umstände darlegen, aus denen sich ergeben soll, dass er sich für den kostengünstigsten Reiseverlauf entschieden hat oder aufgrund welcher persönlichen Umstände dieser für ihn nicht zumutbar war58.
c)
Reisezeiten zu Fortbildungen
Die vorstehenden Grundsätze zur Vergütung von Reisezeiten hat das BAG mit Urteil vom 15.11.201859 auf Reisen zu Fortbildungsveranstaltungen übertragen. Mit einer entsprechenden Einordnung als Arbeitszeit sei aber noch nicht geklärt, ob die Reisezeiten wie Vollarbeit zu vergüten seien. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag könne eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit getroffen werden. Dabei gelte es zu beachten, dass die Vergütung der „versprochenen Dienste“ nicht nur in Geld, sondern auch durch eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto erfolgen könne. Denn dieses drücke im Allgemeinen aus, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeit geleistet habe und deshalb Vergütung beanspruchen könne bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen müsse60. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall war nach den Feststellungen des BAG durch Tarifvertrag keine vom Grundsatz abweichende Vereinbarung getroffen worden. Die diesbezügliche Regelung im Tarifvertrag lautete auszugsweise wie folgt: 58 BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 27 ff. 59 BAG v. 15.11.2018 – 6 AZR 294/17, NZA 2019, 486 Rz. 23 ff. 60 Vgl. auch BAG v. 24.10.2013 – 6 AZR 286/12, ZTR 2014, 215 Rz. 28.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Vergütung von Reisezeiten
Bei Dienstreisen wird für jeden Werktag die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme, einschließlich An- und Abreise, bei mehrtägigen Dienstreisen mindestens jedoch die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit berücksichtigt. Bei Dienstreisen, deren Dauer einschließlich der Fahrtzeiten weniger als die dienstplanmäßige bzw. betriebsübliche Arbeitszeit beträgt, gilt die tatsächliche Abwesenheit als Arbeitszeit. Erfolgt die An- oder Abreise aus dienstlichen Gründen an einem arbeitsfreien Tag, wird die Fahrtzeit zur Hälfte als Arbeitszeit berücksichtigt. Reisezeiten werden bei der Erfassung in Bezug auf die Feststellung der Höchstarbeitszeiten nach dem ArbZG nicht berücksichtigt.
Ergänzend hierzu war als Dienstreise eine Reise „zur vorübergehenden Erledigung von Dienstgeschäften außerhalb des Dienstortes des/der Beschäftigten, die schriftlich angeordnet oder genehmigt ist“, definiert worden. Hiervon ausgehend hatte das BAG festgestellt, dass die vom Arbeitgeber veranlasste Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung außerhalb des Dienstortes als Dienstreise und damit als vergütungspflichtige Zeit zu qualifizieren war. Dass die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung eine hiervon abweichende Regelung getroffen hatten, spielte bereits wegen § 77 Abs. 3 BetrVG keine Rolle. Die dahingehende Regelung des Tarifvertrags war unwirksam61. Auch der letztgenannten Bewertung in Bezug auf die Üblichkeit einer tarifvertraglichen Regelung und ihre Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen ist zuzustimmen. Ungeachtet dessen wird man in der betrieblichen Praxis überlegen müssen, ob nicht trotz dieser Unwirksamkeit entsprechende Regelungen getroffen werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Akzeptanz bei einvernehmlichen Regelungen der Betriebsparteien hoch ist. Sie erleichtern außerdem die praktische Umsetzung, weil individuelle Feststellungen zur Dauer der Arbeitszeit nur noch eingeschränkt notwendig sind und zugleich Höchstgrenzen festgesetzt werden. Einzelfallbezogene Risiken müssen dann durch wirksame Ausschlussfristen aufgefangen werden.
d)
Handlungsoptionen und -risiken in der betrieblichen Praxis
Die Änderung der Anspruchsgrundlage für die Geltendmachung von Reisezeiten habe in der betrieblichen Praxis erhebliche Bedeutung. Denn sie bewirkt, dass Zahlungsansprüche ohne Rücksicht auf das Restgehalt entstehen können, weil die nach § 612 Abs. 1 BGB noch erforderliche Frage, ob eine 61 BAG v. 15.11.2018 – 6 AZR 294/17, NZA 2019, 486 Rz. 26.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Vergütung dafür erwartet werden kann, entfällt. Ausgehend davon, dass das BAG diese neue Rechtsprechung zum Anwendungsbereich von §§ 611, 611 a Abs. 2 BGB ohne Weiteres auch auf die Rechtsprechung zur Vergütung von Überstunden und Mehrarbeit übertragen muss, können entsprechende Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern, mit denen unwirksame Klauseln zum Ausschluss von Überstunden- oder Mehrarbeitsvergütung getroffen wurden62, nicht mehr auf der Grundlage von § 612 BGB abgelehnt oder eingeschränkt werden. Hier ist es umso wichtiger, wirksame Ausschlussklauseln zu vereinbaren. Falls in der betrieblichen Praxis Reisezeiten auftreten können, wird man zu berücksichtigen haben, dass diesbezüglich durch Arbeits- und Tarifvertrag besondere Vergütungsregelungen getroffen werden können63. Das gilt auch und insbesondere bei Entsendungen ins Ausland64. Voraussetzung ist allerdings, dass allgemeine Schranken aus §§ 1 f. MiLoG und – soweit arbeitsvertragliche Regelungen in Rede stehen – aus zwingenden Vorgaben eines kraft Gesetzes oder Allgemeinverbindlichkeit maßgeblichen Tarifvertrags beachtet werden65. Nur wenn keine abweichenden Regelungen bestehen, riskiert der Arbeitgeber nach der Entscheidung des BAG vom 17.10.201866, dass Reisezeiten auch ohne tatsächliche Arbeit – also auch solche, in denen der Arbeitnehmer schläft – wie Arbeit zu vergüten sind. (Ga/Kr)
5.
Präklusion durch Begründung der Ablehnung einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit
Gemäß § 15 Abs. 6 BEEG kann der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gegenüber dem Arbeitgeber, wenn eine einvernehmliche Regelung über die Absenkung der Arbeitszeit und ihre Verteilung nicht möglich ist, unter den in § 15 Abs. 7 BEEG genannten Voraussetzungen während der Gesamtdauer der Elternzeit zweimal eine Verringerung seiner oder ihrer Arbeitszeit beanspruchen. Dabei geht das BAG – abweichend vom Wortlaut des Gesetzes – davon aus, dass sich der Verringerungsanspruch auch auf die Verteilung der
62 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2017, 137 ff.; 2012, 63 ff. 63 BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 424/17, NZA 2018, 1211 Rz. 18; BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 226/16 n. v. (Rz. 23); zu Umkleide- und umkleidebedingten innerbetrieblichen Wegezeiten vgl. BAG v. 6.9.2017 – 5 AZR 382/16, NZA 2018, 180 Rz. 23. 64 LAG Rheinland-Pfalz v. 13.7.2017 – 2 Sa 468/16 n. v. (Rz. 27 ff.). 65 Vgl. BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 18 ff. 66 Vgl. BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019, 159 Rz. 18 ff.
138
Ablehnung einer Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit
verringerten Arbeitszeit erstreckt67. Dies folgt nach den Änderungen durch den Gesetzgeber schlussendlich aus den Regelungen zu den Rechtsfolgen, die bei einer nicht form- oder fristgerechten Ablehnung eines entsprechenden Antrags eintreten. Falls der Arbeitgeber die beanspruchte Verringerung oder Verteilung der Arbeitszeit ablehnen will, muss er dies innerhalb der in § 15 Abs. 7 S. 5 BEEG genannten Frist mit schriftlicher Begründung tun. Voraussetzung ist also nicht nur, dass die Ablehnung mit einer eigenhändigen Namensunterschrift oder einem notariell beglaubigten Handzeichen versehen wird. Der Arbeitgeber ist auch verpflichtet, den wesentlichen Kern der betrieblichen Hinderungsgründe zu benennen. Er muss also – so das BAG – die Tatsachen mitteilen, die für die Ablehnung maßgeblich sind. Eine weitergehende „schlüssige“ oder eine „substantiierte“ Darlegung ist nicht erforderlich68. In seinem Urteil vom 11.12.201869 hat sich der 9. Senat des BAG der bereits im Schrifttum wohl überwiegend vertretenen Auffassung angeschlossen, nach der sich der Arbeitgeber im Prozess nur auf solche Gründe stützen kann, die er in einem form- und fristgerechten Ablehnungsschreiben genannt hat70. Dies folgt nach Auffassung des BAG vor allem aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck von § 15 Abs. 7 S. 4 BEEG. Dass der Elternzeitantrag – anders als das Teilzeitverlangen nach § 8 Abs. 2 TzBfG – langfristig im Voraus gestellt werden kann und sich die betriebliche Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nicht sicher prognostizieren lässt, steht aus Sicht des BAG einer solchen Präklusion nicht entgegen. Nach der gesetzgeberischen Konzeption habe der Arbeitgeber dieses Prognoserisiko zu tragen. Aufgrund seiner Verpflichtung, dem Arbeitnehmer die Ablehnung des Elternteilzeitantrags innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 15 Abs. 7 S. 4 BEEG mit schriftlicher Begründung mitzuteilen, habe der Arbeitgeber binnen dieses Zeitraums abschließend zu beurteilen, ob der begehrten Elternteilzeit dringende betriebliche Gründe entgegenstünden. Wenn der Arbeitgeber Gründe, die er im Ablehnungsschreiben nicht benannt habe, noch in einem späteren Prozess einführen könnte, führte dies zu einer faktischen Verlängerung der vom Gesetz bestimmten Vier-Wochen-Frist71.
67 68 69 70 71
BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 26; BAG v. 19.2.2013 – 9 AZR 461/11, NZA 2013, 907 Rz. 32. BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 29 f. BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 31. Ebenso HWK/B. Gaul, BEEG § 15 Rz. 21; a. A. ErfK/Gallner, BEEG § 15 Rz. 17. BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 35.
139
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der von einer solchen Ablehnung des Arbeitgebers betroffene Arbeitnehmer kann auch dann noch im Klagewege eine Zustimmung des Arbeitgebers verlangen, wenn diese durch Urteil zu einem Zeitpunkt fingiert wird, zu dem eine Verringerung der Arbeitszeit bzw. die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung wegen Zeitablaufs nicht mehr in Betracht kommt. Dies folgt aus § 311 a BGB. Dieser erlaubt die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung auch dann, wenn damit ein Vertragsangebot angenommen werden soll, das rückwirkend auf eine Vertragsänderung zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt gerichtet ist. Das für eine solche Entscheidung des Arbeitsgerichts erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass bei unberechtigter Ablehnung der Teilzeitbeschäftigung ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers aus §§ 611 a Abs. 2, 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1, 275 Abs. 1 BGB besteht. Dieser verpflichtet den Arbeitgeber – vorbehaltlich eines Abzugs etwaiger Aufwendungen des Arbeitnehmers – zu einer Zahlung, die in ihrer Höhe der Vergütung des Arbeitnehmers während der beantragten Teilzeitbeschäftigung entspricht72. (Ga)
6.
Urlaub und Urlaubsentgelt bei der Abwicklung von Wertguthabenvereinbarungen (z. B. Altersteilzeit, Sabbatjahr)
Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach S. 2 dieser Vorschrift ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Mit der Regelung in § 4 Abs. 1 TzBfG hat der deutsche Gesetzgeber den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus § 4 Nr. 1 und 2 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit73 im Anhang der Richtlinie 97/81/EG, in der durch die Richtlinie 98/23/EG geänderten Fassung74, in nationales Recht umgesetzt. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar sein, weil die Diskriminie-
72 BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, NZA 2019, 616 Rz. 18 ff. 73 ABl. EG 1998, L 14, 9. 74 ABl. EG 1998, L 131, 10.
140
Urlaub und Urlaubsentgelt bei der Abwicklung von Wertguthabenvereinbarungen
rungsverbote nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehen (§ 22 TzBfG). Eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit liegt vor, wenn der Umfang der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft75. Methodisch ist der Vergleich von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten für jeden einzelnen Vertragsbestandteil vorzunehmen, wobei sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung am Zweck der Leistung zu orientieren hat. Eine geringere Arbeitszeit darf daher grundsätzlich nur quantitativ, nicht aber qualitativ anders behandelt werden als Vollzeitarbeit. Die Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit hat im Hinblick auf den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht nur den EuGH76, sondern auch das BAG77 immer wieder beschäftigt. Es ging unter anderem um die Frage, ob sich die Anzahl der während einer Vollzeitbeschäftigung in der fünfTage-Woche erworbenen Urlaubstage mindert, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr an fünf, sondern an weniger Tagen in der Woche beschäftigt wird78. In diesem Zusammenhang hat der EuGH entschieden, dass § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 81/97/EG dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsumfangs eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung wechselt, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nunmehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann79. Unter Aufgabe seiner früheren anderslautenden Rechtspre-
75 Vgl. etwa BAG v. 19.1.2016 – 9 AZR 564/14, NZA 2016, 776 Rz. 15; BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 (F), NZA 2015, 1005 Rz. 17. 76 EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775 Rz. 27 ff. – Brandes; EuGH v. 22.4.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557 Rz. 23 ff. – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols. 77 BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 486/17, NZA 2018, 851 Rz. 15 ff.; BAG v. 14.3.2017 – 9 AZR 7/16, NZA-RR 2017, 376 Rz. 19 ff.; BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 (F), NZA 2015, 1005 Rz. 19 ff. 78 So etwa BAG v. 28.4.1998 – 9 AZR 314/97, NZA 1999, 156 Ls. 1. 79 EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775 Rz. 33 – Brandes; EuGH v. 22.4.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557 Rz. 27 ff. – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
chung hat sich der 9. Senat des BAG80 dieser Rechtsprechung bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs angeschlossen. In der Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 18.9.201881 ging es um die Frage, ob ein Verstoß gegen das die Teilzeitbeschäftigten schützende Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG vorliegt, wenn eine tarifvertragliche Regelung dazu führt, dass in der Ansparphase eines Sabbatjahres erworbene Urlaubsentgeltansprüche, die über das dem Arbeitnehmer in der Ansparphase zustehende Teilzeitentgelt hinausgehen, erst während der Freistellungsphase an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Der Fall betraf einen Kläger, der bei dem beklagten Land als Informatiker beschäftigt wurde und auf dessen Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) anwendbar war. In § 21 TV-L i. d. F. vom 28.3.2015 (Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung) war geregelt, dass der Arbeitnehmer für den Urlaubszeitraum Anspruch auf Fortzahlung des Tabellenentgelts sowie der sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile hatte. Außerdem sah eine tarifvertragliche Regelung eine Teilzeitbeschäftigung in Form eines Sabbatjahres mit verschiedenen Varianten vor. Die Parteien vereinbarten am 23.8.2016 ein Sabbatjahr, wonach der Kläger ab dem 1.3.2016 bis zum 29.2.2024 als Teilzeitbeschäftigter mit 87,5 % der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten weiterbeschäftigt wurde. Die Teilzeitbeschäftigung sollte in Form von siebenjähriger Vollbeschäftigung bis zum 28.2.2023 und einjähriger Freistellung in der Zeit vom 1.3.2023 bis zum 29.2.2024 erfolgen. Zu Beginn der Ansparphase am 1.3.2016 standen dem Kläger noch 23 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2015 sowie fünf Arbeitstage anteiligen Urlaubs aus den Monaten Januar und Februar 2016 zu. In der Folgezeit gewährte das beklagte Land dem Kläger diesen Urlaub und zahlte an ihn für insgesamt 28 Urlaubstage nur Urlaubsentgelt i. H. von 87,5 % des Entgelts eines in Vollzeit Beschäftigten. Den Restbetrag behielt das beklagte Land zurück. Der Kläger war hingegen der Meinung, das beklagte Land diskriminiere ihn als Teilzeitbeschäftigten, indem es einen Teil des von ihm verdienten Urlaubsentgelts erst in der Freistellungsphase zur Auszahlung bringen wolle und beanspruchte im Klagewege weitere 731,70 € (brutto).
80 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 159/18, NZA 2019, 262; BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 486/17, NZA 2018, 851; BAG v. 14.3.2017 – 9 AZR 7/16, NZA-RR 2017, 376; BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 (F), NZA 2015, 1005. 81 BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 159/18, NZA 2019, 262.
142
Urlaub und Urlaubsentgelt bei der Abwicklung von Wertguthabenvereinbarungen
ArbG82 und LAG83 haben der Klage entsprochen, das BAG84 hat hingegen die Klage abgewiesen. In Übereinstimmung mit dem LAG Schleswig-Holstein und der inzwischen auf Veranlassung des EuGH85 geänderten Rechtsprechung des BAG86 geht der 9. Senat des BAG in der Entscheidung vom 18.9.2018 davon aus, dass das Entgelt für die 28 Arbeitstage Urlaub, die der Kläger in der Zeit vor der Reduzierung seiner regelmäßigen Arbeitszeit beanspruchen konnte, unter Zugrundelegung der Vergütung eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers berechnet werden muss. Insoweit erweist sich die Regelung in § 21 S. 1 i. V. mit § 26 Abs. 1 S. 1 TV-L wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften (§ 4 Abs. 1 TzBfG) gemäß § 134 BGB als nichtig, weil sie dem Arbeitnehmer für einen Urlaub, der aus der Zeit vor der Arbeitszeitreduzierung stammt, nur das zu beanspruchende Entgelt nach der Verringerung seiner wöchentlichen Regelarbeitszeit konzediert. Das BAG geht daher im Streitfall davon aus, dass das Urlaubsentgelt auf der Grundlage der vor der Arbeitszeitreduzierung geltenden Regelarbeitszeit zu ermitteln ist. Diesen Berechnungsmodus hat das beklagte Land prinzipiell zugrunde gelegt, auch wenn keine vollständige Auszahlung des Urlaubsentgelts an den Kläger erfolgt ist. Durch die vom beklagten Land vorgenommene Wertstellung von nicht vergütetem Urlaubsentgelt auf dem Konto des Klägers während der Ansparphase ist nach Ansicht des BAG mangels Auszahlung noch keine Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 1 BGB) des erweiterten Urlaubsentgeltanspruchs eingetreten. Vielmehr sei auf der Grundlage der Vereinbarung eines Sabbatjahres der Anspruch des Klägers auf das Resturlaubsentgelt noch nicht fällig, weil hierfür bis zum Freistellungsjahr eine Stundung vorläge. Diese Rechtsfolge knüpft das BAG an die Erwägung, dass der Arbeitnehmer vereinbarungsgemäß in der Ansparphase lediglich das Arbeitsentgelt erhält, das der Teilzeitquote während der Gesamtdauer der Vereinbarung entspricht. Ähnlich einem Arbeitnehmer im Blockmodell der Altersteilzeit trete ein Arbeitnehmer in der Ansparphase mit seiner vollen Arbeitsleistung im Hinblick auf die sich anschließende Freistellungsphase in Vorleistung. Dies gelte sowohl für Zeiten der Arbeitsleistung als auch für Zeiten, in denen der Arbeitgeber an den
82 83 84 85
ArbG Kiel v. 12.7.2017 – 2 Ca 369 e/17 n. v. LAG Schleswig-Holstein v. 6.2.2018 – 2 Sa 359/17, ZTR 2018, 400. BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 159/18, NZA 2019, 262. EuGH v. 13.6.2013 – C-415/12, NZA 2013, 775 Rz. 33 – Brandes; EuGH v. 22.4.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557 Rz. 35 – Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols. 86 Nur BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 486/17, NZA 2018, 851 Rz. 11 ff. m. w. N.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Arbeitnehmer Vergütung zu zahlen habe, obwohl dieser – wie in Zeiten des Urlaubs – keine Arbeitsleistung erbracht habe. Da das Diskriminierungsverbot aus § 4 Abs. 1 TzBfG nur unter der Prämisse verletzt wird, dass eine Ungleichbehandlung an den Umfang der Arbeitszeit anknüpft87, stellt nach Auffassung des BAG die Stundung des nicht ausgezahlten Urlaubsentgeltanspruchs nicht auf den Umfang der Arbeitszeit ab, sondern betrifft ausschließlich deren Lage, was einen Konflikt mit § 4 Abs. 1 TzBfG ausschließt. Diese Bewertung des BAG überzeugt, weil der Urlaubsentgeltanspruch des Arbeitnehmers seiner Vollarbeitszeit entspricht und nicht im Umfang der Zurückbehaltung geschmälert, sondern lediglich der Teilzeitvereinbarung entsprechend teilweise zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt wird. Das BAG hat von einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV abgesehen, weil Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) nach der Rechtsprechung des EuGH88 nicht den Zeitpunkt bestimmt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub an den Arbeitnehmer zu zahlen sei. Da der Kläger im Ergebnis das Urlaubsentgelt erhielte, das seiner Höhe nach der Vergütung entspricht, die er im Falle geleisteter Arbeit erhalten hätte, werde Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG nicht verletzt. Nach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Zu diesen Bedingungen gehört – wie der EuGH89 ausführt – die Festlegung des Zeitpunkts, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist. Bei dieser Festlegung haben die Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass die innerstaatlichen Durchführungsmodalitäten den sich aus der Richtlinie selbst ergebenden Grenzen Rechnung tragen, die das BAG wohl nicht überschreitet. Soweit der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers während der Freistellungsphase in der Altersteilzeit in Rede steht, fehlt bislang eine höchstrichterliche Aussage des BAG. Das LAG Düsseldorf hat in einer Entscheidung vom
87 BAG v. 19.1.2016 – 9 AZR 564/14, NZA 2016, 776 Rz. 15; BAG v. 10.2.2015 – 9 AZR 53/14 (F), NZA 2015, 1005 Rz. 17. 88 EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 Rz. 54 ff. – RobinsonSteele: Hierzu ist festzustellen, dass keine Bestimmung der Richtlinie ausdrücklich den Zeitpunkt festlegt, zu dem das Entgelt für den Jahresurlaub zu zahlen ist. 89 EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 Rz. 56 – Robinson-Steele.
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Urlaub und Urlaubsentgelt bei der Abwicklung von Wertguthabenvereinbarungen
13.7.201890 in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit einer Regelung in einer Altersteilzeitvereinbarung beurteilen müssen, wonach mit der Freistellung alle Urlaubsansprüche sowie sonstige Freistellungsansprüche als erfüllt gelten sollten. Die Arbeitszeit wurde so verteilt, dass der Kläger in der Zeit vom 1.12.2014 bis zum 31.3.2016 voll arbeitete (Arbeitsphase) und ab dem 1.4.2016 bis zum 31.7.2017 freigestellt wurde (Freistellungsphase). Der Kläger beanspruchte von der Beklagten für auch während der Freistellungsphase erworbene Urlaubsansprüche die Zahlung einer Urlaubsabgeltung i. H. von 16.820,96 € (brutto). Wie die Vorinstanz hat auch das LAG Düsseldorf den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung für unberechtigt erachtet und die klageabweisende Entscheidung des ArbG Essen91 bestätigt. Soweit es um die Urlaubsabgeltung für 2016 ging, hat das LAG Düsseldorf den Anspruch unrichtigerweise92 daran scheitern lassen, dass der Kläger seinen Naturalurlaubsanspruch gegenüber der Beklagten nicht rechtzeitig geltend gemacht habe, so dass dieser mit dem Jahresende, jedenfalls mit dem Ablauf der Übertragungsfrist am 31.3.2017, untergegangen sei und deshalb nicht mehr abgegolten werden könne. Nach der geänderten Rechtsprechung des BAG93, die der Rechtsprechung des EuGH94 folgt, erlischt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat. Damit obliegt dem Arbeitgeber unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Da jedoch der Arbeitnehmer während der Freistellungsphase bei vereinbarter Altersteilzeit im Blockmodell keinerlei Arbeitsleistung zu erbringen hat, kann insoweit der für Teilzeitarbeit vorgesehene pro-rata-temporis-Grundsatz herangezogen werden, so dass sich der Naturalurlaubsanspruch auf null Tage reduziert95 und damit kein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehen kann.
90 LAG Düsseldorf v. 13.7.2018 – 6 Sa 272/18, NZA-RR 2018, 648 Rz. 63 ff., anhängig beim BAG unter dem Az. 9 AZR 481/18; vgl. dazu Anm. Glatzel, NZA-RR 2018, 650. 91 ArbG Essen v. 8.3.2018 – 1 Ca 2868/17 n. v. 92 Vgl. dazu EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-PlanckGesellschaft; BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 n. v. 93 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 n. v. 94 EuGH v. 6.11.2018 – C–684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 24 ff. – Max-PlanckGesellschaft. 95 Vgl. dazu auch EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 28 – Dicu.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Bezüglich des Urlaubsabgeltungsanspruchs für das Kalenderjahr 2017 hat sich das LAG Düsseldorf vor allem von der Erwägung leiten lassen, dass die Freistellungsphase im Rahmen der Altersteilzeit faktisch einer „Teilzeit Null“ entspricht und damit eine Umrechnung zu erfolgen hat, wonach die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht pro Kalenderwoche mit der Anzahl der Urlaubstage ins Verhältnis zu setzen sei. Dies habe im Streitfall zur Konsequenz, dass zu Gunsten des Klägers bei der Berechnung 30 : 5 x 0 = 0 kein Naturalurlaubsanspruch entstanden sei, der hätte abgegolten werden können. Dieses Ergebnis steht nach Auffassung des LAG Düsseldorf in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH96, wonach Kurzarbeiter als „vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer“ anzusehen sind, da ihre Situation faktisch mit der von Teilzeitbeschäftigten vergleichbar ist, für die der pro-rata-temporis-Grundsatz gilt. Ungeachtet der noch fehlenden höchstrichterlichen Entscheidung zur Frage der Entstehung von Urlaubsansprüchen während der Freistellungsphase im Blockmodell der Altersteilzeit spricht vieles dafür, dass der für Teilzeitarbeit vorgesehene pro-rata-temporis-Grundsatz ohne eine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers keinen Naturalurlaubsanspruch entstehen lässt, der mangels Realisierbarkeit wegen bereits erfolgter Freistellung am Ende der Altersteilzeit abzugelten wäre. (Boe)
7.
Urlaubsentgelt im Zusammenhang mit Kurzarbeit
Gemäß § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Damit verlangt das Gesetz unmissverständlich, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit vergütet werden muss. Insoweit besteht eine Übereinstimmung mit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie), wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG geht die Rechtsprechung des EuGH97 davon aus, dass die Richtlinie den Anspruch auf Jahres-
96 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11, C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 32 – Heimann und Toltschin. 97 EuGH v. 22.5.2014 – C-539/12, NZA 2014, 593 Rz. 16 – Lock; EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 Rz. 50 – Robinson-Steele.
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Urlaubsentgelt im Zusammenhang mit Kurzarbeit
urlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die bezüglich des Urlaubsentgelts den Zeiten geleisteter Arbeit entspricht und vergleichbar ist. Gemäß § 11 Abs. 1 BUrlG bemisst sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Verdienst auszugehen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht. Abgesehen von den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG von den Bestimmungen des BUrlG auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Zum einen erhält § 11 Abs. 1 BUrlG für die Dauer des gesetzlichen Mindesturlaubs den Anspruch auf Vergütung der infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitszeit aufrecht (Zeitfaktor)98; zum anderen wird geregelt, wie diese Zeit zu vergüten ist, wobei unter Zugrundelegung des Referenzprinzips ein Geldfaktor geregelt wird, der als Berechnungsgrundlage auf den Verdienst abstellt, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor Urlaubsbeginn erhalten hat. Dazu zählt jede Form der Vergütung, die als Gegenleistung für erbrachte Tätigkeiten im Referenzzeitraum gezahlt wird99. Ausgenommen sind für Überstunden geleistete Vergütungen (§ 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG a. E.) und Einmalzahlungen. Außer Betracht bleiben bei der Ermittlung des Geldfaktors Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten (§ 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Nach ständiger Spruchpraxis des BAG100 dürfen Tarifverträge die aus § 1 BUrlG folgende Entgeltfortzahlungspflicht nicht durch eine von § 11 Abs. 1 BUrlG abweichende Berechnung der weiterzuzahlenden Vergütung mindern. Die Tarifvertragsparteien können jedoch jede Berechnungsmethode
98
BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 429/15, NZA 2017, 76 Rz. 23; BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 714/10 n. v. (Rz. 16 ff.). 99 Vgl. nur BAG v. 21.9.2010 – 9 AZR 510/09, NZA 2011, 805 Rz. 16 m. w. N. 100 BAG v. 15.1.2013 – 9 AZR 465/11, NZA-RR 2013, 585 Rz. 16; BAG v. 21.9.2010 – 9 AZR 510/09, NZA 2011, 805 Rz. 19; BAG v. 17.11.2009 – 9 AZR 844/08, NZA 2010, 1020 Rz. 39 m. w. N.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
wählen, die geeignet ist, ein Urlaubsentgelt sicherzustellen, wie es der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit ohne Freistellung voraussichtlich hätte erwarten können. Ob die Tarifvertragsparteien im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG ihren Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Berechnung des Urlaubsentgelts eingehalten oder überschritten hatten, war Gegenstand einer Entscheidung des EuGH vom 13.12.2018101 auf Vorlage des ArbG Verden vom 19.6.2017102. Das ArbG Verden hatte dem EuGH nach Art. 267 AEUV die Frage vorgelegt, ob Art. 31 GRC und Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen seien, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstünden, nach der in Tarifverträgen bestimmt werden könne, dass Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit eintreten, auf die Berechnung des Urlaubsentgelts Einfluss haben, mit der Folge, dass der Arbeitnehmer für die Dauer des jährlichen Mindesturlaubs von vier Wochen eine geringere Urlaubsvergütung – bzw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine geringere Urlaubsabgeltung – erhält, als er erhielte, wenn der Berechnung der Urlaubsvergütung der durchschnittliche Arbeitsverdienst zugrunde gelegt wird, den der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum ohne solche Verdienstkürzungen erhalten hätte. Veranlasst war die Vorlage nach Ansicht des ArbG Verden wegen der im BRTV-Bau (§ 8 Nr. 5.2)103 vorgesehenen Berechnung des Urlaubsentgelts nach der Referenzmethode, die für Zeiten der Saisonkurzarbeit die ersten 90 Stunden unberücksichtigt ließ. Diese Berechnungsmethode des Tarifvertrags führte im Streitfall dazu, dass die Höhe der Urlaubsvergütung den normalen Stundenlohn, den der Kläger im Falle der Erbringung seiner Arbeitsleistung erzielt hätte, deutlich unterschritt. Zunächst betont der EuGH, dass der jedem Arbeitnehmer zustehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG – von dem diese Richtlinie keine Abweichung zulässt – in Art. 31 Abs. 2 GRC, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zuerkannt wird, als ein besonders bedeutsamer Grundsatz
101 EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 Rz. 41 ff. – Hein. 102 ArbG Verden v. 19.6.2017 – 1 Ca 142/16 n. v. (Rz. 78 ff.). 103 § 8 Nr. 5.2: Für jede Ausfallstunde in dem Zeitraum vom 1.12. bis zum 31.3., für die der Arbeitnehmer Saison-Kurzarbeitergeld bezieht, erhöht sich die nach Nr. 4.1 errechnete Urlaubsvergütung nach Ablauf dieses Zeitraums um 14,25 % des zuletzt nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VTV gemeldeten Bruttolohns. Dabei bleiben die ersten 90 Ausfallstunden mit Bezug von Saison-Kurzarbeitergeld unberücksichtigt.
148
Urlaubsentgelt im Zusammenhang mit Kurzarbeit
des Sozialrechts der Union anzusehen ist104. Diese Bewertung führt dazu, dass das nationale Gericht in einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und auch einem privaten Arbeitgeber das nationale Recht unangewendet lassen muss, wenn es einer unionskonformen Auslegung nicht mehr zugänglich ist105. Sodann wiederholt der EuGH seine bereits in früheren Entscheidungen106 getroffene Aussage, dass der Anspruch auf Jahresurlaub und auf Zahlung des Urlaubsentgelts in der Richtlinie 2003/88/EG als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt werden, wobei zwischen der Dauer des Mindesturlaubs und dem für die unionsrechtlich garantierte Mindesturlaubsdauer zu zahlenden Entgelt zu differenzieren ist. Soweit im Streitfall die Dauer des Urlaubs in Rede steht, ist diese grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen107. Der Zweck, sich von obliegenden Aufgaben zu erholen, durch den sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken unterscheidet, beruht nach Ansicht des EuGH auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Für den der Vorlage zugrunde liegenden Fall schlussfolgert der EuGH daraus, dass für Kurzarbeitszeiten, in denen der Kläger nicht gearbeitet hat, gemäß Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG kein Naturalurlaubsanspruch entstanden ist. Da die Richtlinie nur Mindestvorschriften aufstellt, bleibt das Recht der Mitgliedstaaten, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden, allerdings unberührt (Art. 15 Richtlinie 2003/88/EG). Was das Urlaubsentgelt für den unionsrechtlich zu gewährenden Mindesturlaub anbelangt, ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des EuGH108 das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die Dauer des Urlaubs weiter zu gewähren, das mit dem Entgelt für Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Der Erhalt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts während des bezahlten Jahresurlaubs soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Da sich im vorliegenden Fall aus § 8 Nr. 5.2 BRTV-Bau für den 104 So bereits EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 24 f. – Dicu; EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 33 – King; EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11, C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 22 – Heimann und Toltschin. 105 EuGH v. 6.11.2018 – C-569/16, C-570/16, NZA 2018, 1467 Rz. 27 f. – Bauer. 106 EuGH v. 15.9.2011 – C-155/10, NZA 2011, 1167 Rz. 26 – Williams; EuGH v. 20.1.2009 – C-350/06, C-520/06, NZA 2009, 135 Rz. 60 – Schultz-Hoff. 107 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 27 – Dicu. 108 EuGH v. 15.9.2011 – C-155/10, NZA 2011, 1167 Rz. 19 – Williams; EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 Rz. 50 – Robinson-Steele.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Kläger eine deutliche Verringerung des Urlaubsentgelts im Vergleich zu demjenigen ergab, welches er ohne Berücksichtigung der Kurzarbeitszeiten erhalten hätte, widerspricht diese tarifvertragliche Regelung nach Ansicht des EuGH der Berechnung des Urlaubsentgelts aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG, soweit der darin vorgegebene Mindesturlaub betroffen ist, wobei im Streitfall Beachtung verdient, dass der Kläger auf der Grundlage dieser unionsrechtlichen Vorschrift Urlaubsansprüche nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erworben hat. In diesem Zusammenhang verneint der EuGH, dass die in Relation zu Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG vorgenommene Minderung des Urlaubsentgelts dadurch kompensiert werden könnte, dass der Arbeitgeber einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaub gewährt oder die Arbeitnehmer über die Möglichkeit der Kurzarbeit vor einer Kündigung bewahrt werden. Ob vom Arbeitnehmer geleistete Überstunden bei der Berechnung des geschuldeten Urlaubsentgelts zu berücksichtigen sind, hängt nach Ansicht des EuGH davon ab, ob diese nur im Ausnahmefall oder weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich anfallen. Haben die Überstunden Ausnahmecharakter, ist ihre Vergütung grundsätzlich nicht Teil des gewöhnlichen Arbeitsentgelts i. S. von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG, das der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs beanspruchen kann. Gehört die Ableistung von Überstunden hingegen zur gewöhnlichen Ausübung der Tätigkeit des Arbeitnehmers, so dass deren Vergütung einen wesentlichen Teil des gesamten Arbeitsentgelts ausmacht, muss diese in das Urlaubsentgelt einbezogen werden, damit der Arbeitnehmer während des Urlaubs in den Genuss der wirtschaftlichen Bedingungen gelangt, die mit denen bei der Ausübung seiner Arbeit vergleichbar sind. Letzterenfalls ist wohl für die betriebliche Praxis davon auszugehen, dass § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG, wonach bei der Bemessung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt (Überstundenzuschläge) unberücksichtigt bleibt, bei ständig anfallenden Überstunden im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG unionskonform dahingehend ausgelegt werden muss und auch kann, dass die Überstundenzuschläge in die Berechnung des Urlaubsentgelts einfließen. (Boe)
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Vermeidung einer Übertragung des Erholungsurlaubs
8.
Klarstellungen des BAG zu den Obliegenheiten des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Übertragung des Erholungsurlaubs
Mit Beschluss vom 13.12.2016 hat der 9. Senat des BAG109 dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt: 1. Steht Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 88/2003/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung wie der in § 7 BUrlG entgegen, die als Modalität für die Wahrnehmung des Anspruchs auf Erholungsurlaub vorsieht, dass der Arbeitnehmer unter Angabe seiner Wünsche bezüglich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs diesen beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht, und die den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums festzulegen? 2. Falls die Frage zu 1. bejaht wird: Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen bestand?
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG110 stellt der Urlaubsanspruch auf der Grundlage des BUrlG (§ 1 BUrlG) einen gesetzlich bedingten Anspruch des Arbeitnehmers (§ 194 Abs. 1 BGB) gegen den Arbeitgeber auf Befreiung von der Arbeitspflicht dar. Er entsteht nach Ablauf der Wartezeit mit Beginn des jeweiligen Urlaubsjahres und erlischt mit dem Ende des Urlaubsjahres, sofern er nicht vom Arbeitnehmer so rechtzeitig geltend gemacht wird, dass er noch vorher vom Arbeitgeber erfüllt werden kann. Unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 BUrlG verlängert sich die Frist bis zum 31.3. des Folgejahres. Insoweit unterstellt § 7 Abs. 3 BUrlG die gesetzlichen Urlaubsansprüche einem eigenständigen Fristenregime, das den Arbeitnehmer zwingt, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zu verlangen, um sie nicht zu verlieren111. Danach trifft ausschließlich den Arbeitnehmer die Obliegenheit, den gesetzlichen Mindesturlaub vom Arbeitgeber zu beanspruchen. Hat der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 S. 1,
109 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A), NZA 2017, 271 Rz. 14 ff. 110 So bereits BAG v. 7.12.1993 – 9 AZR 683/92, NZA 1994, 802 Rz. 17; BAG v. 26.6.1969 – 5 AZR 393/68, BB 1970, 80 Rz. 16 ff. 111 Vgl. noch BAG v. 19.6.2018 – 9 AZR 615/17, NZA 2018, 1480 Rz. 38.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
§ 286 Abs. 1 S. 1, § 287 S. 2 und § 249 Abs. 1 BGB in einen Schadensersatzanspruch um, der die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt hat112. Im Hinblick auf Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG sind einige LAG113 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH114 dieser Linie des BAG nicht mehr gefolgt und haben den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzugs, sondern unter dem der zu vertretenden Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1, § 280 Abs. 1 bis 3, § 283 BGB i. V. mit § 249 Abs. 1 BGB) betrachtet und daraus geschlussfolgert, dass die Initiativlast für die Urlaubserteilung beim Arbeitgeber liegt. Das LAG Hamm hatte in seiner Vorlage vom 14.2.2013115 dem EuGH bereits die Frage vorgelegt, ob im Hinblick darauf, dass die Richtlinie 2003/88/EG Mindestvorschriften für die Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers bei der Arbeitszeitgestaltung enthält, eine effektive Umsetzung der Richtlinie eine dahingehende Initiativlast des Arbeitgebers erfordert. Sie ist vom EuGH116 nicht beantwortet worden. Auf die entsprechende Vorlage des BAG117 hat die Große Kammer des EuGH mit Urteil vom 6.11.2018118 unter anderem wie folgt geantwortet: Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch
112 St. Rspr.: vgl. nur BAG v. 16.5.2017 – 9 AZR 572/16, NZA 2017, 1056 Rz. 12; BAG v. 12.4.2016 – 9 AZR 659/14, NZA-RR 2016, 438 Rz. 14; BAG v. 19.1.2016 – 9 AZR 507/14, NZA-RR 2016, 235 Rz. 21; BAG v. 17.5.2011 – 9 AZR 197/10, DB 2012, 182 Rz. 11. 113 LAG Köln v. 22.4.2016 – 4 Sa 1095/15, NZA-RR 2016, 466 Rz. 20 ff.; LAG München v. 6.5.2015 – 8 Sa 982/14, ZTR 2016, 35 Rz. 60 ff.; LAG Berlin-Brandenburg v. 12.6.2014 – 21 Sa 221/14, NZA-RR 2014, 631 Rz. 36 ff. 114 EuGH v. 20.7.2016 – C-341/15, NZA 2016, 1067 – Maschek; EuGH v. 30.6.2016 – C-178/15, NZA 2016, 877 – Sobczyszyn; EuGH v. 12.6.2014 – C-118/13, NZA 2014, 651 – Bollacke. 115 LAG Hamm v. 14.2.2013 – 16 Sa 1511/12, AuR 2013, 362 Rz. 85. 116 EuGH v. 12.6.2014 – C-118/13, NZA 2014, 651 – Bollacke. 117 BAG v. 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A), NZA 2017, 271 Rz. 14 ff. 118 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 1 ff. – Max-PlanckGesellschaft; krit. zu der Parallelentscheidung EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16, NZA 2018, 1612 – Kreuziger vgl. Anm. Hildebrand, ZESAR 2019, 181.
152
Vermeidung einer Übertragung des Erholungsurlaubs
auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen. Die Beachtung der Verpflichtung des Arbeitgebers aus Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG kann nicht so weit gehen, von diesem zu verlangen, dass er seine Arbeitnehmer zwingt, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen119. Er muss den Arbeitnehmer jedoch in die Lage versetzen, einen solchen Anspruch wahrzunehmen120. Der Arbeitgeber ist in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub und angesichts des Erfordernisses, die praktische Wirksamkeit von Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG zu gewährleisten, unter anderem verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Die Beweislast trägt insoweit der Arbeitgeber121. Kann er nicht nachweisen, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, verstießen das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Art. 7 Abs. 1 und gegen Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG. In dem Fall, dass eine nationale Regelung wie die in dem Ausgangsverfahren fragliche nicht im Einklang mit Art. 7 Richtlinie
119 Vgl. in diesem Sinne EuGH v. 7.9.2006 – C-484/04 n. v. (Rz. 43) – Kommission/Vereinigtes Königreich. 120 Vgl. dazu EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 63 – King. 121 EuGH v. 16.3.2006 – C-131/04, C-257/04, NZA 2006, 481 Rz. 68 – Robinson-Steele.
153
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC ausgelegt werden kann, ergibt sich aus Art. 31 Abs. 2 GRC, dass das mit einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht diese nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen hat, dass der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um ihn tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm nach dem Unionsrecht zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, weder seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub noch entsprechend – im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – die finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub, deren Zahlung in diesem Fall unmittelbar dem betreffenden Arbeitgeber obliegt, verlieren kann.
Nach Erledigung der Vorlage durch die Vorabentscheidung des EuGH vom 6.11.2018122 hat der 9. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 19.2.2019123 die Vorgaben des EuGH umgesetzt. Der Fall betraf einen Kläger, der bei der Beklagten vom 1.8.2001 bis zum 31.12.2013 als Wissenschaftler beschäftigt worden war. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger ohne Erfolg, den von ihm nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag i. H. von 11.979,26 € abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hat er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt. Die Vorinstanzen hatten der Klage entsprochen. Das BAG hat den Rechtsstreit nunmehr an das LAG zurückverwiesen. In Übereinstimmung mit der Vorabentscheidung des EuGH geht das BAG nunmehr unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den ihm zustehenden Urlaub zu nehmen sowie unter klarer und rechtzeitiger Belehrung über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums untergeht, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Keine Änderung erfährt der Grundsatz, so das BAG, dass es dem Arbeitgeber nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG vorbehalten bleibt, die zeitli122 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft. 123 BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15 n. v.
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Endlich: Kein Urlaub nach unbezahltem Sonderurlaub
che Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. In Übereinstimmung mit dem EuGH geht das BAG ebenfalls davon aus, dass der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG nicht gezwungen ist, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub gewähren zu müssen. Jedoch obliege dem Arbeitgeber unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. In Anbetracht dieser Vorgaben hat das LAG aufzuklären, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen ist. Da bisher nur der Pressebericht der Entscheidung des BAG vom 19.2.2019 vorliegt, ist zu erwarten, dass der 9. Senat des BAG in den Entscheidungsgründen näher definiert, in welcher Weise die Initiativlast des Arbeitgebers für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs umzusetzen ist, insbesondere, wie die konkrete Aufforderung, den Urlaub nehmen zu müssen, sowie die Hinweispflicht des Arbeitgebers ausgestaltet sein müssen, um der neuen Rechtsprechung genügen zu können. Mit dieser Rechtsprechung ist ein für das deutsche Urlaubsrecht entscheidender Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs eingetreten, der sich unter Berücksichtigung der Gesetzesformulierung in den §§ 1 und 7 Abs. 1 BUrlG nur schwerlich mit einer unionskonformen Interpretation in Übereinstimmung bringen lässt. Angesichts der Deutungshoheit des EuGH in Bezug auf die urlaubsrechtliche Regelung in Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. mit Art. 31 Abs. 2 GRC und der vom EuGH hinsichtlich des BUrlG und der daraus bereits entwickelten und davon abweichenden Bewertungsansätze für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch selbst und seine Durchsetzung, wird es für das BAG immer schwieriger, die unionskonformen Interpretationen in das BUrlG zu integrieren. Es besteht daher Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. (Boe)
9.
Endlich: Kein Urlaub nach unbezahltem Sonderurlaub
Nach bisherigem Rechtsverständnis des BAG124 war für das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem BUrlG allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 Abs. 1
124 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 11 ff.; BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 Rz. 8 m. w. N.; BAG v. 28.1.1982 – 6 AZR 571/79, DB 1982, 1065 Rz. 61.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
BUrlG ist nicht von der Bedingung abhängig, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat125. Auch wenn das Arbeitsverhältnis wegen eines vom Arbeitnehmer beantragten Sonderurlaubs ruhte, war unter dieser Prämisse ein gesetzlicher Urlaubsanspruch zu Gunsten des Arbeitnehmers entstanden126. Das BAG berief sich zur Begründung dieser Ansicht darauf, dass weder § 1 BUrlG, nach dem jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat, eine Ausnahmeregelung für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses enthält, noch § 2 S. 1 BUrlG Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis kraft Abrede der Arbeitsvertragsparteien oder aufgrund tariflicher Anordnung ruht, vom Geltungsbereich des BUrlG ausnimmt und auch § 5 BUrlG keine Quotelung des Urlaubsanspruchs für Zeiten eines Kalenderjahres vorsieht, in denen das Arbeitsverhältnis ruht. Ergänzend sollten auch § 17 BEEG und § 4 ArbPlSchG bezeugen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass im ruhenden Arbeitsverhältnis Urlaubsansprüche entstehen, wofür die in diesen Vorschriften geregelten Kürzungsbefugnisse des Arbeitgebers sprächen127, weil nur ein entstandener Urlaubsanspruch gekürzt werden könne. Ebenso wenig ließ sich das BAG von der Ansicht überzeugen, ein ruhendes Arbeitsverhältnis stehe einem Teilzeitarbeitsverhältnis mit einer Arbeitspflicht an „null Tagen“ in der Woche gleich, so dass nach der bei Teilzeitbeschäftigungen üblichen Umrechnungsformel der Urlaubsanspruch „null Tage“ betrage128. Vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien das Ruhen des Arbeitsverhältnisses und damit die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, begründeten sie kein Teilzeitarbeitsverhältnis i. S. von § 2 Abs. 1 TzBfG, weil der Arbeitnehmer gar nicht beschäftigt werde und keinerlei Arbeitsleistung schulde. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs setze begrifflich voraus, dass die Arbeitspflicht „an sich“ fortbestehe, die indes während des Sonderurlaubs entfallen sei. Das BAG129 hat auch abgelehnt, den während des Sonderurlaubs entstehenden gesetzlichen Urlaubsanspruch in entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 1 BEEG und § 4 Abs. 1 ArbPlSchG kürzen zu dürfen, weil die in diesen Normen vorgesehenen Kürzungsmöglichkeiten nicht Ausdruck eines 125 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 11 ff.; BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 Rz. 8 m. w. N. 126 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 11 ff. 127 BAG v. 17.5.2011 – 9 AZR 197/10, DB 2012, 182 Rz. 24. 128 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 14; BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 Rz. 14 ff. 129 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 19.
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Endlich: Kein Urlaub nach unbezahltem Sonderurlaub
allgemeinen Rechtsgedankens und damit nicht auf alle Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses analog anwendbar seien130. Schließlich hielt es das BAG131 auch unionsrechtlich für unbedenklich, wenn das nationale deutsche Recht, auch im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs, das Entstehen von Urlaubsansprüchen vorsieht. Zwar gehe der EuGH132 bei Arbeitnehmern, in deren Arbeitsverhältnis die gegenseitigen (Haupt-)Leistungspflichten aufgrund von Kurzarbeit suspendiert seien, faktisch von einer Teilzeitbeschäftigung aus und lasse auf der Grundlage von Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC zu, dass der Anspruch eines Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis berechnet werde. Daraus folge jedoch nicht, dass es unionsrechtlich geboten sei, den Jahresurlaub nach deutschem Urlaubsrecht bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu kürzen, weil Art. 15 Richtlinie 2003/88/EG ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lasse, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden. Nunmehr hat der 9. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 19.3.2019133 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung einen Meinungswandel vollzogen und entschieden, dass für die Berechnung des gesetzlichen Mindesturlaubs Zeiten eines unbezahlten Sonderurlaubs unberücksichtigt bleiben. Der Fall betraf eine Klägerin, die von der Beklagten in der Zeit vom 1.9.2013 bis zum 31.8.2014 unbezahlten Sonderurlaub, der einvernehmlich bis zum 31.8.2015 verlängert wurde, erhalten hatte. Die Klägerin verlangte nach Beendigung des Sonderurlaubs von der Beklagten, ihr den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen für das Jahr 2014 zu gewähren. Das ArbG134 hat die Klage abgewiesen. Das LAG135 hat der Klage unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 6.5.2014136 entsprochen. Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung des ArbG wiederhergestellt.
130 Vgl. auch BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 Rz. 19. 131 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 20. 132 EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11, C-230/11, NZA 2012, 1273 Rz. 32 – Heimann und Toltschin. 133 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 n. v. 134 ArbG Cottbus v. 26.10.2016 – 2 Ca 1516/15 n. v. 135 LAG Berlin-Brandenburg v. 20.6.2017 – 11 Sa 2068/16, ZTR 2017, 535. 136 BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der Urlaubssenat des BAG137 gelangt nunmehr unter Heranziehung von § 3 Abs. 1 BUrlG, wonach der Urlaub jährlich mindestens 24 Werktage beträgt, zu dem entgegengesetzten Ergebnis, indem er von der Umrechnungsformel für Teilzeitkräfte, die nur an einzelnen Tagen in der Woche arbeiten, ausgeht. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG orientiert sich die Dauer des gesetzlichen Urlaubsanspruchs an den in der Woche tatsächlich anfallenden Arbeitstagen138. Das geschieht durch Umrechnung bezogen auf einen vierwöchigen Jahresurlaub, der dem Arbeitnehmer gemäß Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG139 i. V. mit Art. 31 Abs. 2 GRC als gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch zusteht. Bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips ist für die sechs-Tage-Arbeitswoche ein Urlaub von 24 Werk- oder Arbeitstagen zu gewähren, um den Anspruch des Arbeitnehmers auf einen vierwöchigen Urlaub zu erfüllen. Arbeitet der Arbeitnehmer in der fünf-Tage-Woche, hat eine Umrechnung auf 20 Arbeitstage zur Gewährung eines vierwöchigen Urlaubs zu erfolgen. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer an weniger als fünf Tagen in der Woche tätig ist. Erbringt der Arbeitnehmer – wie im Falle eines unbezahlten Sonderurlaubs – in der Woche überhaupt keine Arbeitsleistung, steht dem Arbeitnehmer danach kein Anspruch auf Erholungsurlaub zu. Das BAG will mit dieser von ihm entwickelten Lösung, um die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer gewährleisten. Diese Umrechnung wird im Übrigen für den Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen in § 208 S. 1 Halbs. 2 SGB IX vom Gesetzgeber praktiziert und ist gängige Praxis in Tarifverträgen140. Vom Ergebnis her liegt diese Neuorientierung der Rechtsprechung des BAG auf der Linie des EuGH141, wonach die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub gemäß Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen sind, was dem Zweck des Urlaubsanspruchs entspricht,
137 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 n. v. 138 BAG v. 18.2.1997 – 9 AZR 738/95, NZA 1997, 1123 Rz. 18; BAG v. 27.1.1987 – 8 AZR 579/84, NZA 1987, 462 Rz. 15 ff.; vgl. auch EuGH v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, 1501 – Greenfield. 139 So bereits Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 93/104/EG. 140 Vgl. zu zahlreichen Varianten der Verteilung der Arbeitszeit die Berechnungsbeispiele bei HWK/Schinz, BUrlG § 3 Rz. 18 ff. 141 Vgl. EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 – Hein; EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 – Dicu; EuGH v. 8.11.2012 – C-229/11, C-230/11, NZA 2012, 1273 – Heimann und Toltschin.
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Zulässige Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Elternzeit
sich von der Ausübung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen. Diese Zweckdetermination kann prinzipiell nicht relevant werden, wenn der Arbeitnehmer unbezahlten Sonderurlaub erhält, weil in dieser Zeit keinerlei Arbeitsleistung anfällt. Die betriebliche Praxis wird die Entscheidung des BAG vom 19.3.2019142 begrüßen, zumal in der Vergangenheit bereits in tarifvertraglichen Regelungen143 bei unbezahltem Urlaub die Entstehung eines Naturalurlaubsanspruchs ausgeschlossen wurde. Es war der Praxis auch kaum zu vermitteln, dass für den Fall, dass ein Arbeitnehmer nur an zwei Tagen in der Woche arbeitet, sein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch auf acht Arbeitstage abschmolz, während ihm ohne Arbeitsleistung der volle Urlaubsanspruch zustehen sollte. (Boe)
10. Zulässige Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Elternzeit Nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Ob die in § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG vorgesehene Möglichkeit zur Kürzung des Erholungsurlaubs mit Unionsrecht vereinbart werden kann, ist bislang Gegenstand kontroverser Diskussionen in der Rechtsprechung der Instanzgerichte144, aber auch der Literatur145 gewesen. Das BAG hatte sich bis zur Entscheidung vom 19.3.2019146 zu dieser Problematik nicht geäußert. Unionsrechtliche Zweifel an der Wirksamkeit des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG konnten sich einerseits aus § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über den El-
142 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 n. v. 143 Vgl. dazu den Charité-Fall BAG v. 6.5.2014 – 9 AZR 678/12, NZA 2014, 959 Rz. 3. In § 26 Abs. 2 lit. c TV-Charité war geregelt: Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel. 144 Vgl. etwa LAG Berlin-Brandenburg v. 15.6.2018 – 3 Sa 42/18 n. v.; LAG Hamm v. 31.1.2018 – 5 Sa 625/17 n. v.; LAG Niedersachsen v. 16.9.2014 – 15 Sa 533/14 n. v.; LAG Rheinland-Pfalz v. 16.1.2014 – 5 Sa 180/13 n. v.; LAG Hessen v. 6.12.2013 – 3 Sa 980/12 n. v.; LAG Niedersachsen v. 16.11.2010 – 3 Sa 1288/10 n. v. 145 HWK/Gaul, BEEG § 17 Rz. 1; Boecken, FS Düwell S. 53 ff.; Dawirs, NJW 2014, 3612, 3616; Kamanabrou, RdA 2014, 321, 327, die von einer teilweisen oder vollständigen Unionsrechtswidrigkeit des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG ausgehen. A. A. NKGA/Rancke, BEEG § 17 Rz. 1 (unionskonform). 146 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
ternurlaub aufgrund der Richtlinie 2010/19/EU (Mutterschutzrichtlinie)147 und andererseits aus Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie)148 ergeben. § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung sieht vor, dass die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben und im Anschluss an den Elternurlaub diese Rechte mit den Änderungen Anwendung finden, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten ergeben. § 5 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung regelt, dass die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner den Status des Arbeitsvertrags oder Beschäftigungsverhältnisses für den Zeitraum des Elternurlaubs bestimmen. Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Dieser Mindestjahresurlaub darf gemäß Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben von § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung ist durchaus zweifelhaft, ob infolge der Regelung des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG bei einem Arbeitnehmer, der erst im Laufe des Kalenderjahres, insbesondere in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres, Elternzeit in Anspruch nimmt, der bereits am Jahresanfang vollständig erworbene gesetzliche Naturalurlaubsanspruch nachträglich um ein Zwölftel für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit gekürzt werden kann oder diese Kürzungsmöglichkeit nur auf Urlaubsansprüche, die rein rechnerisch auf die Elternzeit entfallen, zu begrenzen ist (§ 5 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung). Da die in § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG vorgesehene Kürzungsmöglichkeit denknotwendig die Entstehung des vollen gesetzlichen Urlaubsanspruchs voraussetzt, welcher der Rechtsfolge des § 1 i. V. mit § 4 BUrlG entspricht, wonach der volle Erholungsurlaub nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig ist, sondern nur die Ableistung der Wartezeit in Form eines sechsmonatigen Bestands des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, konnte man durchaus bezweifeln, ob der von dieser Vorschrift vorgesehene nachträgliche Verlust des Naturalurlaubs infolge einer Kürzungserklärung des Arbeitge-
147 ABl. EU 2013, L 353, 7. 148 ABl. EG 2003, L 299, 9.
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Zulässige Kürzung von Urlaubsansprüchen in der Elternzeit
bers mit Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG in Übereinstimmung zu bringen war. Die Große Kammer des EuGH hat mit Urteil vom 4.10.2018149 auf Vorlage eines rumänischen Gerichts dazu Stellung bezogen, ob eine nationale Bestimmung, wonach bei der Berechnung der Dauer des einem Arbeitnehmer gewährleisteten bezahlten Jahresurlaubs die Dauer eines von dem Arbeitnehmer genommenen Elternurlaubs nicht berücksichtigt wird, mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG und § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung, vereinbar ist. Der EuGH bejaht dies und führt dazu aus, dass zwar die Mitgliedstaaten nicht bereits die Entstehung des sich unmittelbar aus der Richtlinie 2003/88/EG ergebenden Anspruchs auf einen bezahlten Jahresurlaub von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen dürfen, aber aufgrund der Zweckdetermination des in Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG jedem Arbeitnehmer gewährleisteten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen sind150. Dies gilt unabhängig davon, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH in bestimmten Fällen, in denen ein Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, wegen einer ordnungsgemäß belegten Krankheit seine Aufgaben zu erfüllen, der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden darf, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat151. Nach Ansicht des EuGH unterscheidet sich die Situation des Arbeitnehmers im Elternurlaub gleichermaßen von der der Arbeitnehmerin, die ihr Recht auf Mutterschaftsurlaub in Anspruch nimmt. Der Mutterschaftsurlaub solle nämlich zum einen dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach ihrer Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der an Schwangerschaft und Entbindung anschließenden Zeit dienen, damit diese Beziehung nicht durch die Doppelbelastung infolge der gleichzeitigen Ausübung eines Berufs gestört werde. Mit diesen Aussagen des EuGH sind auch für die unionsrechtliche Bewertung von § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG wesentliche Weichen gestellt worden. So war diese Vorabentscheidung Maßstab für die Entscheidung des 9. Senats 149 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 – Dicu; vgl. dazu Lohse/Germeroth, DB 2019, 311; Oberthür, ArbRB 2019, 13. 150 Vgl. in diesem Sinne EuGH v. 13.12.2018 – C-385/17, NZA 2019, 47 Rz. 4117 – Hein; EuGH v. 11.11.2015 – C-219/14, NZA 2015, 1501 Rz. 29 – Greenfield. 151 Nur EuGH v. 24.1.2012 – C-282/10, NZA 2012, 139 Rz. 20 m. w. N. – Dominguez.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
des BAG vom 19.3.2019152, der sich erstmalig mit dem Verhältnis von § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG zum Unionsrecht beschäftigen musste. Der Fall betraf eine bei der Beklagten seit dem 1.6.2001 beschäftigte Klägerin, die sich vom 1.1.2013 bis zum 15.12.2015 durchgehend in Elternzeit befand. Mit Schreiben vom 23.3.2016 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2016 und beantragte unter Einbeziehung der während der Elternzeit entstandenen Urlaubsansprüche, ihr für den Zeitraum der Kündigungsfrist Urlaub zu gewähren. Da sich die Beklagte mit Schreiben vom 4.4.2016 weigerte, der Klägerin den auf die Elternzeit entfallenden Urlaub zu gewähren, nahm diese die Beklagte auf Zahlung einer Abgeltung von 89,5 Arbeitstagen Urlaub aus dem Zeitraum ihrer Elternzeit in Anspruch. Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Zunächst weist das BAG darauf hin, dass der Arbeitgeber, der von seiner ihm durch § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG eingeräumten Befugnis Gebrauch machen will, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen, eine darauf gerichtete empfangsbedürftige rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben muss. Diese bedarf keiner besonderen Form. Es reicht vielmehr aus, dass für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass der Arbeitgeber von seiner Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen will. Dabei erfasst nach Aussage des BAG das Kürzungsrecht des Arbeitgebers auch den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien für diesen keine von § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG abweichende Regelung vereinbart haben. Sodann verdeutlicht das BAG unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH vom 4.10.2018153, dass die Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubs weder gegen Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) noch gegen § 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang der Richtlinie 2010/18/EU verstößt. Dieses Ergebnis verbindet das BAG mit der Begründung, dass das Unionsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht verlangt, Arbeitnehmer, die wegen Elternzeit im Bezugszeitraum nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet waren, Arbeitnehmern gleichzustellen, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben. Mit dieser Entscheidung des BAG ist die Rechtsunsicherheit bezüglich der Kürzungsregelungen des § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG für die betriebliche Praxis beseitigt. Gleichzeitig wird vom BAG klargestellt, dass die abzugebende und an den Arbeitnehmer zugangsbedürftige Kürzungserklärung nicht in jedem Kalenderjahr gesondert vom Arbeitgeber abgegeben werden muss, sondern 152 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 362/18 n. v. 153 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 – Dicu.
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Anspruch auf Altersfreizeit bei Teilzeitbeschäftigung
es vielmehr ausreicht, wenn der Arbeitgeber, bevor das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, dem Arbeitnehmer die Kürzungserklärung auch für mehrere Jahre zugehen lässt. Denn die Regelung in § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG setzt voraus, dass der Arbeitgeber die Erklärung nach dieser Vorschrift im bestehenden Arbeitsverhältnis, d. h. wenn der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht, abgeben muss, falls er von seiner Kürzungsbefugnis Gebrauch machen will154. § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG sieht bereits seinem Wortlaut nach nur die Kürzung des Urlaubsanspruchs und nicht des Urlaubsabgeltungsanspruchs vor. Da das BAG unter Aufgabe der Surrogationstheorie nicht mehr von einer Zweckidentität155 zwischen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen ausgeht, sondern den Anspruch auf Urlaubsabgeltung als reinen Geldanspruch qualifiziert156, der sich nicht von anderen Zahlungsansprüchen unterscheidet, hat nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG die auf dem Surrogationsgedanken beruhende Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihre Berechtigung verloren. (Boe)
11.
Anspruch auf Altersfreizeit bei Teilzeitbeschäftigung
§ 4 Abs. 1 TzBfG verbietet die Benachteiligung eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers wegen der Teilzeitarbeit gegenüber einem vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, sofern nicht sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Daraus folgend müssen einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder andere teilbare geldwerte Leistungen mindestens in dem Umfang gewährt werden, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 23.1.2019157 einen Anspruch des in Teilzeit beschäftigten Klägers auf die im Tarifvertrag geregelte Altersfreizeit bestätigt. Diese Altersfreizeit wurde Arbeitnehmern, die das 57. Lebensjahr vollendet hatten, in einem Umfang von 2,5 Stunden pro Woche gewährt. Bei Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit nur um bis zu 2,5 Stunden pro Woche reduziert war, sollte die Altersfreizeit ungekürzt eingeräumt werden. Bei Arbeitnehmern, die eine wei-
154 BAG v. 19.5.2015 – 9 AZR 725/13, NZA 2015, 989 Rz. 16 ff.; unter Aufgabe der früher anderslautenden Rechtsprechung, vgl. etwa BAG v. 23.4.1996 – 9 AZR 165/95, NZA 1997, 44. 155 BAG v. 19.6.2012 – 9 AZR 652/10, NZA 2012, 1087 Rz. 16. 156 Vgl. nur BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, NZA 2013, 1098 Rz. 14. 157 LAG Düsseldorf v. 23.1.2019 – 12 Sa 615/18 n. v. (Rz. 51 ff.).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
tergehende Teilzeitbeschäftigung ausübten, schloss der Tarifvertrag aber eine Altersfreizeit insgesamt aus. Zu Recht sieht das LAG Düsseldorf darin eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten. Der Kläger, der wegen seines Alters an sich in den begünstigten Personenkreis gehörte, konnte deshalb eine Altersfreizeit entsprechend dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter geltend machen. Schließlich handelte es sich um eine geldwerte und zugleich teilbare Leistung, die arbeitgeberseitig in Form der bezahlten Freistellung pro Kalenderwoche gewährt wurde. Gründe, die bei einem Teil der Teilzeitbeschäftigten eine ungekürzte Begünstigung und bei den übrigen Teilzeitbeschäftigten einen vollständigen Ausschluss vorsahen, konnten auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Altersfreizeit nicht dargestellt werden. (Ga)
164
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige
Gemäß § 17 Abs. 1, 3 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit eine Anzeige zu erstatten, wenn durch bevorstehende Entlassungen die Schwellenwerte einer Massenentlassung erreicht werden. Die Anzeige ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, werden vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam. Die Zustimmung kann auch rückwirkend zum Tage der Antragstellung erteilt werden (§ 18 Abs. 1 KSchG). Kündigungen, die vor der Massenentlassungsanzeige erfolgen, sind unwirksam. Darauf hat das BAG bereits bei früherer Gelegenheit unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH im Urteil vom 27.1.20051 hingewiesen2. Dabei ist nicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist abzustellen. Vielmehr kommt es auf den Ausspruch der Kündigung bzw. den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an3. In seinem Urteil vom 21.8.20184 hat das LAG Baden-Württemberg jetzt die These aufgestellt, dass für den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung im Zusammenhang mit einer Massenentlassungsanzeige nicht auf den Zugang beim Arbeitnehmer abzustellen sei. Hiervon geht allerdings die ganz herrschende Meinung bisher aus5. Vielmehr stellt das LAG Baden-Württemberg hiervon abweichend auf die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens ab. In seiner Begründung verweist das LAG Baden-Württemberg darauf, dass die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG unter anderem Angaben zu den Gründen für die „geplanten“ Entlassungen sowie zu den „vor1 2 3 4 5
EuGH v. 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213 Rz. 40 ff. – Junk. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14 n. v. (Rz. 37); BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 493/05 n. v. (Rz. 24 ff.). Vgl. BAG v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14 n. v. (Rz. 47); HWK/Molkenbur, KSchG § 17 Rz. 14 f. LAG Baden-Württemberg v. 21.8.2018 – 12 Sa 17/18, NZA-RR 2019, 24 Rz. 53 ff. Vgl. BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12 n. v. (Rz. 155); BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845 Rz. 37, 48; APS/Moll, KSchG § 18 Rz. 43 a; HWK/Molkenbur, KSchG § 17 Rz. 16 m. w. N.
165
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gesehenen“ Kriterien für die Auswahl der „zu entlassenden“ Arbeitnehmer enthalten müsse. Die Massenentlassungsanzeige sei deshalb zu einem Zeitpunkt zu erstellen, in dem die Kündigungen geplant, aber noch nicht entschieden seien. Die Anzeige müsse daher die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe und das Kündigungsschreiben unterzeichne. Dass die Kündigung erst mit Zugang wirksam werde, spiele keine Rolle. Entscheidend sei, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch keine Entscheidung des Arbeitgebers über ihren Ausspruch getroffen und durch Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiert worden sei. Diese Auslegung von § 17 KSchG überzeugt nicht. Ausgehend davon, dass eine Kündigung erst mit ihrem Zugang wirksam und damit in rechtserheblicher Weise existent wird, ist sie auch dann noch geplant, wenn das Kündigungsschreiben zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige bereits unterzeichnet wurde. Insoweit legt bereits der Wortlaut von § 17 Abs. 1, 3 KSchG nahe, den Zeitpunkt der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens nicht zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber unabhängig von einer bereits vollzogenen Unterschrift die Entscheidung treffen kann, erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit den Auftrag für eine Zustellung des Kündigungsschreibens zu erteilen. Erst mit Vollzug dieser Verfügung und Zugang der Kündigung wird die Entscheidung des Arbeitgebers manifestiert, das Arbeitsverhältnis einseitig beenden zu wollen. Unabhängig davon lässt das LAG Baden-Württemberg bei seiner Entscheidung unberücksichtigt, dass §§ 17, 18 KSchG keine Reaktion der Agentur für Arbeit verlangen, bevor die Kündigung erfolgen kann. Eine Konsultation durch Unterrichtung und Beratung ist ausschließlich mit dem Betriebsrat vorgesehen (§ 17 Abs. 2 KSchG) und muss zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige abgeschlossen sein. Dies dokumentiert der Arbeitgeber mit der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. seiner Beschreibung über die Unterrichtung des Betriebsrats und den Stand der Beratungen gemäß § 17 Abs. 3 S. 2, 3 KSchG. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass der Arbeitgeber erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit die Entscheidung treffen darf, das Kündigungsschreiben auch zu unterzeichnen. Es genügt, dass diese Entscheidung erst im Anschluss an die Beratungen mit dem Betriebsrat getroffen wird. Sobald die Agentur für Arbeit als Folge der Massenentlassungsanzeige weiß, dass Arbeitnehmer aufgrund einer Entlassung von einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bedroht sind, ist dem Zweck der Arbeitsförderung Genüge getan. Dieser Schutzzweck der Massenentlassungsanzeige hängt nicht vom Zeitpunkt der 166
Konsequenzen des unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements
Unterschrift des Arbeitgebers, sondern vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. der rechtsverbindlichen Unterschrift eines Aufhebungsvertrags ab. Gegen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg ist Revision eingelegt worden6. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG kurzfristig die erforderliche Klarstellung vornimmt. Aus Gründen der äußersten Vorsorge sei der betrieblichen Praxis aber empfohlen, in Übereinstimmung mit dem LAG BadenWürttemberg zunächst einmal Unterzeichnungen etwaiger Kündigungen im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erst dann vorzunehmen, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingereicht worden ist. (Ga)
2.
Konsequenzen des unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Darlegungs- und Beweislast
In seinem Urteil vom 21.11.20187 musste sich das BAG nicht nur mit der Frage befassen, ob die in einem Arbeitsvertrag mit einem Piloten enthaltene Bedingung, nach der das Arbeitsverhältnis bei festgestellter Fluguntauglichkeit enden sollte, zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geführt hatte. In Bezug auf diese Frage hat das BAG eine Beendigung abgelehnt, weil die hierfür erforderliche Untersuchung in einem flugmedizinischen Zentrum nicht erfolgt war. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand deshalb die Frage, ob die personenbedingte Kündigung, die der Arbeitgeber wegen der angenommenen Fluguntauglichkeit vorsorglich erklärt hatte, gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt war. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger bereits seit dem 1.7.2003, zuletzt als Flugkapitän, beschäftigt. Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen war der Arbeitgeber berechtigt, dem Kläger auch anderweitige, seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende zumutbare Tätigkeiten zuzuweisen. Dies sollte auch für den Fall gelten, dass bei bestehender Fluguntauglichkeit die Arbeitsunfähigkeit nicht bescheinigt werde bzw. weiterhin Arbeitsunfähigkeit gegeben sei. Relevant wurde diese Regelung, nachdem der Kläger seit dem 10.5.2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war. Der Kläger litt dabei unter Krankheitssymptomen wie Erschöpfung, Kon6 7
Az.: 6 AZR 459/18. BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309.
167
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
zentrationsstörungen, starken Schlafstörungen, Nervenschmerzen in den Extremitäten, Sprachstörungen, Vergesslichkeit und Koordinationsproblemen. Im Hinblick darauf wurde am 30.11.2010 bereits wegen der damit verbundenen Schlafstörungen und Depressionen eine Fluguntauglichkeit festgestellt. Ergänzend hierzu teilte der Kläger der Beklagten im Oktober 2015 mit, dass er am sog. aero-toxischem Syndrom leide, das durch verunreinigte Kabinenluft am Arbeitsplatz ausgelöst worden sei. Im Hinblick auf seine physische Beeinträchtigung und angesichts der zur Schmerzdämmung erforderlichen Medikation sei nicht absehbar, ob er jemals wieder seine Beschäftigung werde aufnehmen können. Obwohl kein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchgeführt worden war, verwies der Arbeitgeber auf die auflösende Bedingung und kündigte das Arbeitsverhältnis deshalb vorsorglich personenbedingt zum 30.4.2016. Der Kläger machte geltend, dass die Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirken könne. Insbesondere habe der Arbeitgeber nicht ausreichend dargelegt, dass keine alternativen (leidensgerechten) Beschäftigungsmöglichkeiten gegeben seien. Der 7. Senat des BAG ist diesen Überlegungen des Klägers in seinem Urteil vom 21.11.20188 gefolgt. Auch nach Auffassung des BAG hatte der Arbeitgeber nicht hinreichend dargetan, dass keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger „am Boden“, also ohne fliegerische Tätigkeit, bestanden hätten. Dabei spiele es keine Rolle, ob dem Kläger aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund von Fluguntauglichkeit gekündigt worden sei. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG darauf hingewiesen, dass eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam sei, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich sei. Eine Kündigung sei insoweit nicht durch Krankheit oder andere Gründe in der Person „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gebe. Mildere Mittel könnten insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderem – leidensgerechten – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus könne sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die wahrscheinlich künftigen Fehlzeiten auszuschließen. Auch der Verlust oder der Entzug
8
BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 33 ff.
168
Konsequenzen des unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements
der Fluglizenz könne deshalb die ordentliche Kündigung aus personenbedingten Gründen nicht allein rechtfertigen. Vielmehr sei auch zu berücksichtigen, ob bei Fehlen einer Erlaubnis eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen möglich sei9. Grundsätzlich trägt zwar der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Dabei kann er sich aber darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe auch unter Berücksichtigung zumutbarer Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Hier obliegt es dann dem Arbeitnehmer, solche Beschäftigungsmöglichkeiten – ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen – aufzuzeigen. Wichtig ist, dass die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bestehende Verpflichtung zur Durchführung eines bEM gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verändern kann. Besteht nämlich eine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM, die durch den Arbeitgeber im Vorfeld einer Kündigung nicht erfüllt wurde, trifft ihn die Obliegenheit, detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestand, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden10. Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber für den Fall eines unterlassenen bEM auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein bEM entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte erbringen können. Dazu muss er – so das BAG – umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Dies gelte auch dann, wenn keine betriebliche Interessenvertretung (z. B. Betriebsrat) gebildet wurde11. In dem hier in Rede stehenden Fall hatte der Arbeitgeber im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung trotz des zuvor unterbliebenen bEM keine weiteren Einzelheiten zu der Frage vorgetragen, ob es – wie auch im Rahmen der Direktionsklausel vorgesehen – möglich gewesen wäre, den Kläger „am Boden“ mit einer anderweitigen Tätigkeit einzusetzen. Ebenso wenig 9
BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 36; BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 68/95, NZA 1996, 819 Rz. 29. 10 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 38; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 27. 11 BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 38; BAG v. 27.7.2011 – 7 AZR 402/10, ZTR 2012, 162 Rz. 60.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
hatte der Arbeitgeber geltend gemacht, dass die Durchführung eines bEM im Falle des Klägers nutzlos gewesen wäre. Ausgehend davon, dass die Symptome des Klägers, die 2010 bereits zu einer Anerkennung der Fluguntauglichkeit geführt hatten, Ausdruck eines bestimmten Krankheitszustands gewesen sind, lag aber eine Arbeitsunfähigkeit vor. Diese hätte angesichts der Dauer des Ausfalls des Klägers die Durchführung des bEM erforderlich gemacht. Insoweit geht das BAG in Übereinstimmung mit der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses davon aus, dass Arbeitsunfähigkeit entsprechend §§ 167 Abs. 2 SGB IX, 3 Abs. 1 EFZG vorliegt, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustands, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die unmittelbar Arbeitsunfähigkeit hervorrufen12. Von Bedeutung für die betriebliche Praxis ist, dass der 7. Senat des BAG im Urteil vom 21.11.201813 mehrfach auf seine Ausführungen im Urteil vom 20.11.201414 verweist. Darin stellt das BAG klar, dass ein denkbares Ergebnis des bEM sein könne, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem stehe nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhänge und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers stehe. Ggf. müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung könne er erst dann wirksam erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen sei15. Im Kern hat dies zur Folge, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der Umsetzung der Ergebnisse des bEM zunächst einmal abgemahnt werden muss, wenn seinerseits mildere Möglichkeiten zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeiten ungenutzt bleiben. Bewirkt auch die darin liegende Kündigungsandrohung nicht, dass der Arbeitnehmer die ihm darin eröffnete Chance nutzt, kann der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Erkennbarkeit eines milderen Mittels die personenbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären. Schließlich ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, das mildere Mittel – hier die Rehabilitationsmöglichkeit – 12 13 14 15
BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 41. BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, NZA 2019, 309 Rz. 36, 38. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, NZA 2015, 612 Rz. 27 ff., 49. Vgl. bereits BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08, NZA 2010, 398 Rz. 29.
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Das „Gebot fairen Verhandelns“ beim Abschluss von Aufhebungsverträgen
auszunutzen. Ebenso wenig wäre er verpflichtet, einer Änderung seines Arbeitsvertrags mit dem Ziel zuzustimmen, eine leidensgerechte Tätigkeit auszuüben. Das Risiko für ihn liegt allerdings darin, dass die spätere Kündigung bei einem Verzicht auf eine Änderung der Art, des Ortes oder der Zeit seiner Tätigkeit mit dem Ziel einer leidensgerechten Beschäftigung im Zweifel nicht an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitert. (Ga)
3.
Das „Gebot fairen Verhandelns“ beim Abschluss von Aufhebungsverträgen
Gemäß §§ 312 Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Ausgehend davon, dass der Arbeitnehmer in seiner Rechtsbeziehung zum Arbeitgeber als Verbraucher zu kennzeichnen ist16, war deshalb bereits in der Vergangenheit die Frage entstanden, ob dem Arbeitnehmer beim Abschluss eines Arbeits- oder Aufhebungsvertrags außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers ein Widerrufsrecht zuzuerkennen ist. In diesem Fall wäre er nicht mehr an seine diesbezüglichen Willenserklärungen gebunden, wenn der Widerruf fristgerecht unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 355 BGB erklärt worden wäre. In seinem Urteil vom 7.2.201917 hat der 6. Senat des BAG mit überzeugender Begründung klargestellt, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB fallen. Auch wenn der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber als Verbraucher zu kennzeichnen sei, ergebe sich aus dem systematischen Zusammenhang und dem im Gesetzgebungsverfahren erkennbaren Willen des Gesetzgebers, dass ein Widerruf auch bei Abschluss entsprechender Verträge außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers nicht auf §§ 312, 312 g, 355 BGB gestützt werden könne. Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften sei für einen Aufhebungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet. Nach Auffassung des BAG müsse allerdings geprüft werden, ob der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag nicht unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam sei.
16 Vgl. BAG v. 19.12.2018 – 10 AZR 233/18, NZA 2019, 571 Rz. 29; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 30; BAG v. 26.10.2017 – 6 AZR 158/16, NZA 2018, 297 Rz. 17; HWK/Roloff, BGB § 310 Rz. 1. 17 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 13 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Dass die Klägerin den daraus folgenden Anspruch auf Schadensersatz gar nicht zum Gegenstand ihrer Klage gemacht hatte und deshalb eine Klageänderung vorlag, die mangels abschließender Feststellungen zum Sachverhalt in der Revision nicht mehr erfolgen durfte, soll vorliegend dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und die daraus resultierenden Folgen eine Reihe von Fragen aufwerfen, die mit dem jetzt vorliegenden Urteil des 6. Senats des BAG leider nicht beantwortet werden. In dem zugrunde liegenden Fall war die Klägerin bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Anlass für die prozessuale Auseinandersetzung zwischen den Parteien war, dass sie in ihrer Wohnung mit dem Lebenspartner der Beklagten einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hatte, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorgesehen hatte. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen waren umstritten. Nach Darstellung der Klägerin war sie jedenfalls am Tag des Vertragsschlusses krank und habe im Bett gelegen, als der Lebenspartner der Beklagten unangekündigt geklingelt habe. Er habe ihr gesagt, dass er ihre Faulheit nicht unterstütze und ihr den Vertrag hingehalten. Sie habe ihn dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben und erst hinterher gemerkt, was sie da gemacht habe. Nachdem sie den Aufhebungsvertrag innerhalb von zwei Tagen wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen hatte, musste das BAG nun über die Frage entscheiden, ob durch den Aufhebungsvertrag eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkt wurde. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG nicht nur ein Widerrufsrecht gemäß §§ 312, 312 g, 355 BGB abgelehnt. Es hat auch die instanzgerichtliche Bewertung bestätigt, nach der sich dem Vortrag der Klägerin kein Grund für eine Anfechtung des Aufhebungsvertrags entnehmen ließ. Ungeachtet dessen hat das BAG in seinem Urteil vom 7.2.201918 die Entscheidung des LAG Niedersachsen19 aufgehoben und mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen zurückverwiesen. Das LAG Niedersachsen – so das BAG – habe nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags beachtet worden sei. Das Gebot fairen Verhandelns ist nach den Feststellungen des BAG eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht i. S. der §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags 18 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 30 ff., 34. 19 LAG Niedersachsen v. 7.11.2017 – 10 Sa 1159/16, NZA-RR 2018, 361.
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Das „Gebot fairen Verhandelns“ beim Abschluss von Aufhebungsverträgen
könne eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführe oder ausnutze, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstelle. § 241 Abs. 2 BGB schütze mit den „Interessen“ auch die Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners und solle damit einer unzulässigen Fremdbestimmung bei der Willensbildung in der vorkonsensualen Phase begegnen. Dabei gehe es aber nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit nach Auffassung des BAG noch nicht gegeben, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit oder ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräume. Es bestehe auch keine Verpflichtung, die Absicht, einen Aufhebungsvertrag abschließen zu wollen, im Vorfeld anzukündigen. Eine Verhandlungssituation sei allerdings dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder sogar unmöglich mache. Dies könne – so das BAG – durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenkten oder sogar den Fluchtinstinkt weckten, geschehen. Denkbar seien auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichende Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments könne ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich sei die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen. Wenn solche (kritischen) Rahmenbedingungen für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns durch den Arbeitgeber schuldhaft geschaffen oder aufrechterhalten werden, hat dies „im Regelfall“ die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags zur Folge. Diese Feststellung ist aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen stellt sich die Frage, was den Regel- vom Ausnahmefall unterscheiden soll. Zum anderen lässt das BAG in seinen Entscheidungsgründen unbeantwortet, ob die Unwirksamkeit automatisch eintritt oder ob sie – vergleichbar mit der Anfechtung oder dem Widerruf – gegenüber dem Vertragspartner geltend gemacht werden muss. Ausgehend davon, dass das BAG davon spricht, dass der Schadensersatzanspruch wegen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns „unmittelbar“ zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Auf-
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
hebungsvertrags und damit zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führe20, scheint es davon auszugehen, dass die entsprechende Rechtsfolge ohne eine weitere Erklärung des Arbeitnehmers ausgelöst wird. Andererseits spricht das BAG davon, dass der Geschädigte unter Anwendung der §§ 280, 249 BGB die Lösung von dem Vertrag als Naturalrestitution verlangen könne21. Der für beide Parteien ganz wesentliche Unterschied läge darin, dass der Arbeitnehmer – beispielsweise wegen einer Anschlussbeschäftigung bei einem Konkurrenzunternehmen – ohne die Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruchs von einer (weiterhin) wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehen kann. Grundlage für die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags ist aus Sicht des BAG ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers, im Rahmen dessen er als Folge der Naturalrestitution so zu stellen sei, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrags stünde. Hierfür bedürfe es keines Neuabschlusses des Arbeitsvertrags. Dass sich damit die Rechtsfolgen der Verletzung einer Aufklärungspflicht im Vorfeld eines Vertragsschlusses (hier: Anspruch auf Schadensersatz durch Geldleistung) von der Verletzung des Gebots fairen Verhandelns (hier: Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags) unterscheiden, hält das BAG für gerechtfertigt, obgleich beides auf §§ 241 Abs. 2, 249 ff. BGB gestützt wird. Bei der Verletzung der Aufklärungspflicht gehe es nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern nur um Folgen der Aufhebung. Diese werden damit selbst nicht in Frage gestellt. Bei dem Gebot fairen Verhandelns gehe es hingegen um die Aufhebung selbst. Auch diese Differenzierung überzeugt nicht. Auch bei einer Missachtung der Aufklärungspflicht kann ein Interesse an der Beseitigung des Aufhebungsvertrags bestehen, weil dessen Folgen grundlegend andere sind, als sie der Vertragspartner angenommen hatte. Umgekehrt kann das Ergebnis eines Aufhebungsvertrags, der in unfairer Weise zustande gekommen ist, gleichwohl im Interesse des Vertragspartners liegen. Richtigerweise hätte daher in allen Fällen eine einzelfallbezogene Entscheidung über den Inhalt des Schadensersatzanspruchs getroffen werden müssen oder auch in Bezug auf eine Missachtung des Gebots fairen Verhandelns nur ein Anspruch auf Schadensersatz in Form von Geldersatz angenommen werden dürfen. Denn beide Formen der Nebenpflichtverletzung betreffen – abweichend von der Sichtweise des BAG – den Weg des Vertragsabschlusses und deshalb immer auch
20 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 37. 21 BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688 Rz. 39.
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den Inhalt. Ohne eine Störung auf dem Weg wäre möglicherweise auch der Inhalt des Vertrags ein anderer geworden. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns in weiteren Entscheidungen weiter präzisieren und ggf. auch einschränken wird. In jedem Fall wird man in der Zukunft bei Vertragsabschlüssen nicht nur die gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Vertragspartners prüfen müssen. Das BAG deutet an, dass der Arbeitgeber ggf. bis zur Genesung des Arbeitnehmers warten muss, bevor Verhandlungen geführt werden. Darüber hinaus wird man vorsichtiger sein müssen, wenn beabsichtigt ist, Arbeitnehmer ohne weitere Vorbereitung in einer Besprechung mit mehreren Arbeitgebervertretern, die nach Rang, Sachkunde und/oder Zahl überlegen sind, zum Abschluss wesentlicher rechtsverbindlicher Erklärungen zu bringen. Unabhängig von den strengen Voraussetzungen einer Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung kann hier eine Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zu einer Unwirksamkeit der darin getroffenen Vereinbarungen führen. (Ga)
4.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen
Gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören; er hat der Schwerbehindertenvertretung die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine solche Beteiligung ausspricht, ist unwirksam (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX). In Literatur und Rechtsprechung war bislang umstritten, wie diese Handlungsvorgabe durch den Arbeitgeber im Vorfeld einer Kündigung umzusetzen war. Wir hatten darauf mit eigenen Handlungsempfehlungen hingewiesen22. Von erheblicher Bedeutung ist, dass der 2. Senat des BAG mit seinem Urteil vom 13.12.201823 im Grunde alle Fragen – zum Teil durchaus abweichend von der bislang wohl herrschend vertretenen Auffassung – beantwortet und
22 B. Gaul, AktuellAR 2018, 410 ff.; 2017, 182 ff. 23 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
damit Leitlinien für die praktische Umsetzung der Handlungspflichten aus § 178 Abs. 2 SGB IX aufgestellt hat. Zunächst einmal hat das BAG klargestellt, dass die Schwerbehindertenvertretung vor jeder Änderungs- oder Beendigungskündigung zu beteiligen ist. Dies gelte auch für Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX, nach dem eine Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich ist, findet – so das BAG – weder direkt noch analog auf die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX Anwendung. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung stehe. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses „berühre“ den einzelnen Schwerbehinderten oder einen dem Schwerbehinderten gleichgestellten behinderten Menschen stets i. S. von § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX, weil damit seine Teilhabe am Arbeitsleben in den betroffenen Unternehmen beendet werde und die Vermittlungschancen für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen erheblich schlechter stünden24. Obwohl § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX die Unwirksamkeit einer Kündigung ohne eine Beteiligung nach § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX bestimmt, hält es das BAG nicht für erforderlich, diese Unwirksamkeit auch dann anzunehmen, wenn die Pflicht des Arbeitgebers missachtet wird, der Schwerbehindertenvertretung seine Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Mit der „Beteiligung nach S. 1“ habe der Gesetzgeber nur die Unterrichtung und Anhörung gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 SGB IX in Bezug genommen. Insofern umfasse diese Beteiligung auch nur solche Schritte, die vor dem Treffen einer Entscheidung liegen würden. In der bloßen Mitteilung liege auch keine Mitwirkung oder Beteiligung. Einer Verletzung dieser Pflicht komme deshalb in Bezug auf eine Kündigung keine Bedeutung zu, wenn die Schwerbehindertenvertretung vor dem Vollzug der betreffenden Entscheidung im Übrigen ordnungsgemäß angehört worden sei25. Entscheidend für die Wirksamkeit einer Kündigung ist damit, dass die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet und angehört wird. Auch hier nimmt das BAG allerdings eine sehr restriktive Auslegung der gesetzlichen Verhaltenspflicht vor. Zwar sei – so das BAG – die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 24 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 12. 25 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 14; ErfK/Rolfs, SGB IX § 178 Rz. 10; a. A. LPK-SGB IX/Düwell, § 178 Rz. 58; Mühlmann, NZA 2017, 884, 887; Schmitt, BB 2017, 2293, 2297 f.
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S. 1 SGB IX grundsätzlich „unverzüglich“ zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Nach Auffassung des 2. Senats des BAG könne (und ggf. müsse) eine verspätete Beteiligung nach § 178 Abs. 2 S. 2 SGB IX auch nachgeholt werden. Die Nachholungsmöglichkeit bestehe kraft Gesetzes, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen sei. Erfolgten Unterrichtung und Anhörung vor Durchführung bzw. Vollzug der Entscheidung, liege noch eine „Beteiligung nach S. 1“ vor. Diese Nachholungsmöglichkeit gehe auf § 22 Abs. 2 S. 2 SchwbG zurück und sei gerade im Hinblick auf personelle Einzelmaßnahmen – wie eine Kündigung – eingeführt worden26. Die wohl herrschende Meinung hatte hier bislang eine andere Auffassung vertreten, die sich an der zeitlichen Vorgabe durch die „unverzügliche“ Unterrichtungspflicht orientiert hatte27. Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat die sich daran anschließende Klarstellung des BAG, nach der eine Anhörung zur Abwendung der Unwirksamkeit einer Kündigung nicht schon erfolgen müsse, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht habe28. Auch dies war in der Literatur bislang ganz überwiegend abweichend bewertet worden29. Das BAG begründet seine Auffassung damit, dass die Kündigungsentscheidung erst durch den Kündigungsausspruch „vollzogen“ werde. Mit der Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats oder dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt nehme der Arbeitgeber die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vorweg noch lege er sie fest30. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung knüpft das BAG an § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG an. Die Unterrichtung müsse die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Dabei bestehe keine Reduzierung des Unterrichtungsinhalts auf schwerbehindertenspezifische Kün26 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 17; BAG v. 22.8.2013 – 8 AZR 563/12, NZA 2014, 82 Rz. 58; LPK-SGB IX/Düwell, § 178 Rz. 77; BT-Drucks. 10/5701 S. 7 f. 27 Vgl. ErfK/Rolfs, SGB IX § 178 Rz. 9 f.; Bayreuther, NZA 2017, 87, 90 f.; Boecken, VSSR 2017, 69, 92 f.; Kleinebrink, DB 2017, 126, 130. 28 So BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 19; LAG Hamm v. 11.10.2018 – 15 Sa 426/18, NZA-RR 2019, 253; Mühlmann, NZA 2017, 884, 886. 29 Vgl. ErfK/Rolfs, SGB IX § 178 Rz. 9; LPK-SGB IX/Düwell, § 178 Rz. 60; Bayreuther, NZA 2017, 87, 90; Boecken, VSSR 2017, 69, 94 f.; Grimm/Freh, ArbRB 2017, 16, 17. 30 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 19.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
digungsbezüge31. Zum einen sei die Schwerbehindertenvertretung mandatiert, die Interessen von Schwerbehinderten und der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen umfassend zu vertreten (§ 178 Abs. 1 SGB IX). Dies beinhalte, auch „nicht behinderungsspezifische“ Einwände gegen eine beabsichtigte Kündigung zu erheben. Zum anderen müsse die Schwerbehindertenvertretung selbst beurteilen können, ob sie einen Bezug der beabsichtigten Kündigung zur Behinderung des betreffenden Arbeitnehmers für gegeben erachte. Deshalb bleibe der notwendige Inhalt der Unterrichtung nicht hinter derjenigen für die Anhörung des Betriebsrats zurück. Der Arbeitgeber müsse den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen wolle, so umfassend beschreiben, dass sich die Schwerbehindertenvertretung ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen könne, ob es sinnvoll sei, Bedenken zu erheben. Der Arbeitgeber müsse also die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt hätten. Dabei dürfe er Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten, der Schwerbehindertenvertretung nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. Darin liege eine objektive Schranke der subjektiven Determination des Anhörungsverfahrens32. Neben dem Kündigungssachverhalt sind im Rahmen der Anhörung auch der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grundsätzlich die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen. Gründe, die der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Beteiligungen nach § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht mitgeteilt wurden, können im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens nicht berücksichtigt werden33. Im Anschluss an diese Unterrichtung ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Schwerbehindertenvertretung ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben34. Zu Recht weist das BAG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 178 Abs. 2 SGB IX seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge eine planwidrige 31 Ebenso LPK-SGB IX/Düwell, § 178 Rz. 62; Kleinebrink, DB 2017, 126, 129; Mühlmann, NZA 2017, 884, 885; a. A. Bayreuther, NZA 2017, 87, 89; Lingemann/Steinhauser, NJW 2017, 1369, 1370. 32 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 21; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99 Rz. 14 ff. 33 Vgl. BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 21; BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798 Rz. 35. 34 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 22; BAG v. 20.6.2018 – 7 ABR 39/16, NZA 2019, 54 Rz. 15.
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Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigungen
Regelungslücke enthält. Sie sei – so das BAG – durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen35. Das habe zur Folge, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen habe. Abweichend von dem hier entwickelten Vorschlag36 sei eine ausdrückliche Fristsetzung durch den Arbeitgeber daher nicht erforderlich. Ebenso sei es unzulässig, die Fristenregelungen aus den einschlägigen Personalvertretungsgesetzen zu übernehmen37. Das Verfahren zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung im Vorfeld einer Kündigung ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze, wie sie durch das BAG zu § 102 BetrVG entwickelt wurden38. In dem dem Urteil des BAG zugrunde liegenden Fall war das LAG Sachsen noch von einer abweichenden Auslegung der Handlungsvorgaben aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ausgegangen. Ausgehend davon, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung – parallel zum Betriebsrat – erst angehört hatte, nachdem das Integrationsamt einer Kündigung zugestimmt hatte, war der Kündigungsschutzklage noch stattgegeben worden. Das BAG dürfte insoweit zu einem abweichenden Ergebnis kommen, hat die Sache aber an das LAG Sachsen zurückverwiesen. Auch wenn die Auslegung von § 178 Abs. 2 SGB IX, die das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung vorgenommen hat, nicht zwingend erscheint, gewinnt die betriebliche Praxis damit eine vernünftige Handlungsvorgabe in Bezug auf den Umgang mit der Schwerbehindertenvertretung. Es können alle inhaltlichen Erkenntnisse der Betriebsratsanhörung nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig ist es möglich, auch den Zeitraum einer Einbindung des Betriebsrats an § 102 BetrVG auszurichten. Die Fehler des Gesetzgebers, die durch die bloße Einfügung der Unwirksamkeitsfolge in § 178 Abs. 2 S. 3 BetrVG entstanden waren, sind damit beseitigt. (Ga)
35 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 23; Bayreuther, NZA 2017, 87, 90; Boecken, VSSR 2017, 69, 76 f.; Grimm/Freh, ArbRB 2017, 16, 18; Schmitt, BB 2017, 2293, 2297. 36 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 412 f. 37 A. A. LPK-SGB XI/Düwell, § 178 Rz. 76; MünchArbR/Zimmermann, § 178 Rz. 147. 38 Vgl. BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NZA 2019, 305 Rz. 24; BAG v. 25.5.2016 – 2 AZR 345/15, NZA 2016, 1140 Rz. 24 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
5.
Außerordentliche Kündigung bei gemeinsam fehlerhaft ausgefüllten Überstundenformularen
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Spruchpraxis des BAG39 erfolgt dabei eine Prüfung in zwei Schritten: zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht, wobei regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen sind40. Überdies kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind, wozu etwa eine Abmahnung, Versetzung oder ordentliche Kündigung gehören, um das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden41. Die mildere Reaktionsmöglichkeit einer Abmahnung anstelle der Kündigung stellt sich für den Arbeitgeber vor allem dann, wenn die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruht und davon auszugehen ist, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von
39 Vgl. nur BAG v. 25.1.2018 – 2 AZR 382/17, NZA 2018, 845 Rz. 26; BAG v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443 Rz. 44; BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11, NZA-RR 2013, 627 Rz. 13; BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567 Rz. 13. 40 Vgl. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 235/18 n. v. (Rz. 40); BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121 Rz. 27. 41 BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 235/18 n. v. (Rz. 40); BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121 Rz. 27.
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Kündigung bei gemeinsam fehlerhaft ausgefüllten Überstundenformularen
Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann42. Die Problematik der Interessenabwägung, die jedenfalls häufig – von Extremfällen abgesehen – keine sichere Prognose über die Entscheidungsfindung des Gerichts erlaubt, stand auch im Mittelpunkt der Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 13.12.201843. Der Fall betraf die außerordentliche fristlose Kündigung eines Abteilungsleiters eines Nationaltheaters, der seit 2008 von der Beklagten beschäftigt wurde, 1967 geboren und verheiratet war sowie zwei minderjährige Kinder hatte. Seit der Tätigkeit als Abteilungsleiter im Jahre 2010 erhielt der Kläger – wie für die bis dahin ausgeübte Tätigkeit – weiterhin versehentlich eine Erschwerniszulage, die ihm nicht zustand. Dies teilte die Personalreferentin dem Kläger im Januar 2012 unter Hinweis auf eine möglicherweise bestehende Rückzahlungspflicht mit. Der Kläger sah darin eine Missachtung seiner Arbeit. Die Personalreferentin eröffnete ihm in einem Gespräch in Anwesenheit des technischen Leiters, dass die Zulage etwa der Vergütung für sieben Überstunden monatlich entspräche. In diesem Umfang könne er übergangsweise zusätzliche Überstunden aufschreiben, während man versuche, eine Höhergruppierung zu betreiben. Anlässlich des Jahresabschlusses 2015/2016 stellte die Beklagte fest, dass dem Kläger in der Vergangenheit Überstunden mit bestimmten zahlenmäßigen Auffälligkeiten ausbezahlt worden waren. Darauf am 3.3.2017 angesprochen, äußerte der Kläger per E-Mail am 6.3.2017, dass die von Januar 2015 bis Januar 2017 aufgezeichneten 24 × 7 = 168 Stunden als Grauausgleich die nicht mehr gezahlten Erschwerniszuschläge repräsentierten. Nach schriftlicher Beteiligung des Personalrats vom 13.3.2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit am 16.3.2017 dem Kläger zugegangenen Schreiben außerordentlich fristlos. Das ArbG Mannheim44 hat die fristlose Kündigung für unverhältnismäßig angesehen, weil die Beklagte mit dem milderen Mittel einer Abmahnung hätte reagieren müssen. Das LAG Baden-Württemberg45 hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Berechtigung der fristlosen Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung am geringen Verschulden scheitern lassen, weil zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, von einer
42 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NZA 2019, 445 Rz. 40 m. w. N.; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, NZA 2015, 294 Rz. 22. 43 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NZA 2019, 445. 44 ArbG Mannheim v. 21.9.2017 – 12 Ca 63/17 n. v. 45 LAG Baden-Württemberg v. 29.5.2018 – 19 Sa 61/17 n. v. (Rz. 67) mit zust. Anm. von Flohr, ZVertriebsR 2019, 12.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Mitarbeiterin des Personalbereichs unter Billigung seines unmittelbaren Vorgesetzten zu seinem betrügerischen Verhalten angestiftet worden zu sein. Dabei hat sich das LAG Baden-Württemberg von der Erwägung leiten lassen, dass das Verschulden durch seine Beweggründe und Ziele charakterisiert werde, wie dies bei § 46 Abs. 2 StGB der Fall sei. Beide Faktoren seien gewichtige Erkenntnismittel zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit und der Verwerflichkeit der Tat. Das BAG hat unter Aufhebung und Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Klage abgewiesen und zunächst konstatiert, dass die Verhaltensweise des Klägers „an sich“ geeignet sei, als wichtiger Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB angesehen zu werden. Insofern knüpft das BAG an frühere Entscheidungen an46, wonach der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der damit verbundene Vertrauensbruch wiege schwer, weil sich der Arbeitgeber darauf verlassen können müsse, dass die dem Arbeitnehmer überlassenen Nachweise der geleisteten Arbeitszeit korrekt erfüllt werden. Das BAG betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass das Verhalten des Klägers nicht von einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit der Arbeitgeberin im Sinne einer ausreichenden Vertretungsbefugnis der Personalreferentin (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) gedeckt wäre. Ebenso wenig unterläge der Kläger einem unverschuldeten Rechtsirrtum, dass die Beklagte entsprechende Vereinbarungen schließen oder billigen würde. Im Hinblick auf die im zweiten Schritt anzustellende Interessenabwägung geht das BAG davon aus, dass der Kläger durch die über Jahre hinweg vorgenommene Arbeitszeittäuschung und dadurch erschlichenen Zahlungen seine Pflichten so schwerwiegend verletzt habe, dass eine Hinnahme dieses vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens nach objektiven Maßstäben für die Beklagte unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen wäre. Soweit das LAG Baden-Württemberg demgegenüber unter Rückgriff auf § 46 Abs. 2 StGB die Beweggründe und Ziele zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit des Klägers und zur Bewertung und Gewichtung seines Verhaltens in den Vordergrund gestellt habe, sei der für die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung maßgebende Verschuldensbegriff verkannt worden. Das Verschulden im zivilrechtlichen Sinne ist auf der Grundlage 46 Vgl. BAG v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443 Rz. 54; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027 Rz. 14.
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Kündigung bei gemeinsam fehlerhaft ausgefüllten Überstundenformularen
von § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen und nicht – wovon das LAG BadenWürttemberg irrtümlich ausgeht – wie bei einer Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB zu bestimmen. Damit – so das BAG – hat das LAG BadenWürttemberg verkannt, dass es bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nicht um eine repressive Strafzumessung oder Sanktion für begangenes Unrecht in der Vergangenheit geht, sondern um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses47. Die Interessenabwägung betrifft vor allem die Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zugemutet werden kann oder nicht. Da der Kläger im Streitfall vorsätzlich im zivilrechtlichen Sinne gehandelt hat, erwies sich die Annahme des LAG Baden-Württemberg, es läge nur ein geringes Verschulden vor, als verfehlt. Die vorsätzlich begangene Pflichtverletzung erwies sich auch deswegen als besonders gravierend, weil der Kläger über fünf Jahre hinweg jeden Monat durch bewusst falsches Ausfüllen der Zeitnachweise mit ausgeprägter Nachhaltigkeit sein rechtswidriges Verhalten fortgesetzt und sich unrechtmäßige Vorteile verschafft (ca. 6.500 €) hat. Das BAG hat außerdem erschwerend im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt, dass es sich bei der Pflichtverletzung um ein auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten gehandelt habe. Schließlich gewichtet das BAG in diesem Zusammenhang die Vorbildfunktion des Klägers als Vorgesetzter. Nach Ansicht des BAG wird das Gewicht der Pflichtverletzung des Klägers nicht dadurch gemildert, dass er auf Anregung der Personalreferentin und mit Billigung seines Vorgesetzten gehandelt habe. Im Gegensatz zur Auffassung des LAG Baden-Württemberg verstärkt nach Ansicht des BAG das kollusive Zusammenwirken mit diesen Mitarbeitern zum Nachteil der Beklagten das Gewicht der Pflichtverletzung, weil damit die Gefahr der Entdeckung deutlich relativiert wurde. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit konnte zu Gunsten des Klägers nicht gewichtet werden, weil sie in den letzten fünf Jahren durch das permanente rechtswidrige Verhalten des Klägers belastet war. Das BAG will zwar bei der Interessenabwägung zusätzlich das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Klägers berücksichtigen, hält diese sozialen Belange jedoch im Hinblick auf das schwerwiegende, systematische und vorsätzliche Fehlverhalten des Klägers nicht für ausschlaggebend. Damit gelangt das BAG im Gegensatz zur Auffassung des LAG Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass der Beklagten die Fortsetzung des 47 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NZA 2019, 445 Rz. 38; BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 235/18 n. v. (Rz. 40); BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121 Rz. 27.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen sei. Damit erübrigte sich zugleich auch eine Diskussion darüber, ob eine Abmahnung als milderes Mittel vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung hätte in Betracht kommen können. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten war oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist48. Mit dieser Entscheidung setzt das BAG seine Spruchpraxis in Fällen des Arbeitszeitbetrugs fort, wobei die erneute Klarstellung erfolgt, dass die verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung – und Gleiches gilt für die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung – nicht der Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens in der Vergangenheit dient, sondern den Arbeitgeber vor einer künftigen Belastung des Vertragsverhältnisses durch ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers bewahren soll. Zu begrüßen ist auch der Hinweis des BAG, dass ein bewusstes und kollusives Zusammenwirken mit anderen Beschäftigten zum Nachteil des Arbeitgebers – im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz – bei der Interessenabwägung regelmäßig zu Lasten des Arbeitnehmers zu gewichten ist. (Boe)
6.
Schranken für die kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten der Kirchen
Der Einfluss von Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG bezüglich der Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV) und die korporative Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) bildet die Ausgangslage ab, die seit zehn Jahren die Arbeitsgerichtsbarkeit49, das 48 Nur BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703 Rz. 11 m. w. N.; BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, NZA 2016, 540 Rz. 24. 49 Verfahrensgang: ArbG Düsseldorf v. 30.7.2009 – 6 Ca 2377/09 n. v.; LAG Düsseldorf v. 1.7.2010 – 5 Sa 996/09 n. v.; BAG v. 8.9.2011 – 2 AZR 543/10, NZA 2012, 443 (Zurückweisung); BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 (Aufhebung der Entscheidung des BAG und Zurückweisung); BAG v. 28.7.2016 – 2 AZR 746/14 (A), NZA 2017, 388 (Aussetzung aufgrund Vorabentscheidungsersuchens);
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Schranken für die kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten der Kirchen
BVerfG50, aber auch den EuGH51 beschäftigt und nunmehr zunächst einen vorläufigen Abschluss durch die Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 20.2.201952 gefunden hat. Worum ging es? Der katholische Kläger war bei der Beklagten, die institutionell mit der katholischen Kirche verbunden war, als Chefarzt in einem Krankenhaus in Düsseldorf beschäftigt. Ihrem Arbeitsvertrag legten die Parteien die vom Erzbischof von Köln erlassene Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23.9.1993 (GrO) zugrunde. Nach Art. 5 Abs. 2 GrO handelte es sich unter anderem beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte und bei leitenden Arbeitnehmern nach Einschätzung der Kirche im Regelfall rechtfertigte. Der nach katholischem Ritus verheiratete Kläger ließ sich von seiner Frau scheiden und heiratete im Jahre 2008 ein weiteres Mal standesamtlich. Nachdem die Beklagte davon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.9.2009. Die gegen diese Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers war vor dem ArbG, dem LAG und dem BAG erfolgreich53. Durch Beschluss vom 22.10.2014 hat das BVerfG die Entscheidung des BAG vom 8.9.2011 aufgehoben, weil das BAG bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV und der korporativen Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) auf Seiten der Beklagten in Relation zu Art. 6 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 12 EMRK ein zu geringes Gewicht beigemessen und damit dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG einen Vorrang vor der kirchlichen Rechtsposition zuerkannt habe. Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang außerdem, dass die staatlichen Gerichte nur im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das glaubensdefinierte Selbstverständnis der verfassten Kirche überprüfen dürfen, wozu gehört, ob eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht dieser Loyalitätsobliegenheit und einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt.
50 51 52 53
EuGH v. 11.9.2018 – C-68/17, NZA 2018, 1187 – IR; BAG v. 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 n. v. BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387. EuGH v. 11.9.2018 – C-68/17, NZA 2018, 1187 – IR. BAG v. 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 n. v. S. die Nachweise bei Fn. 49.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Nach der Zurückverweisung hat sich der 2. Senat des BAG54 veranlasst gesehen, eine Vorabentscheidung des EuGH darüber herbeizuführen, ob die Kirchen im Lichte von Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG verbindlich bestimmen könnten, was ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des Ethos der Organisation darstelle und ob sie autonom auch eine Differenzierung von Loyalitätsanforderungen bei gleicher Leitungsfunktion allein nach der Konfessionszugehörigkeit des Beschäftigten vornehmen dürften. Außerdem wollte das BAG wissen, ob ein nationales Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, eine nationale Rechtsvorschrift – hier § 9 Abs. 2 AGG – unangewendet zu lassen, wenn sie nicht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG ausgelegt werden kann. Der EuGH55 hat zunächst – im Gegensatz zur Entscheidung des BVerfG – betont, dass die ein Krankenhaus betreibende Kirche nach Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne des kirchlichen Ethos stellen zu dürfen, ohne dass dieser Beschluss Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann. Des Weiteren steht nach Ansicht des EuGH eine Ungleichbehandlung im vorbeschriebenen Sinne nur dann mit der Richtlinie im Einklang, wenn die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung darstellt, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Schließlich schlussfolgert der EuGH aus dem in Art. 21 GRC zwingend niedergelegten Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht gehalten ist, eine nationale Vorschrift unangewendet zu lassen, sofern diese nicht unionskonform ausgelegt werden kann. Auf der Grundlage dieser Entscheidung des EuGH hat nunmehr der 2. Senat des BAG mit Urteil vom 20.2.201956 im Chefarztfall erneut die Revision der Beklagten zurückgewiesen, weil die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO in Bezug genommen wurde, gemäß Art. 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist, als sie das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als 54 BAG v. 28.7.2016 – 2 AZR 746/14 (A), NZA 2017, 388. 55 EuGH v. 11.9.2018 – C-68/17, NZA 2018, 1187 Rz. 61 ff. – IR. 56 BAG v. 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 n. v.
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Schranken für die kündigungsschutzrechtlichen Besonderheiten der Kirchen
schwerwiegenden Loyalitätsverstoß vorsieht. Diese Regelung benachteiligt den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeiter wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt sei. Dies folge aus einer unionsrechtskonformen Auslegung dieser Vorschrift, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die hier in Rede stehende Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war nach Ansicht des BAG im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Das BAG geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der EuGH mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten habe, weil das Unionsrecht die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten darf. Für die Kirchen und ihre Einrichtungen, die neben dem Staat und seinen Einrichtungen der größte Arbeitgeber sind, hat die Rechtsprechung des EuGH und des BAG, die im Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG steht, im Hinblick auf das ihnen nach deutschem Verfassungsverständnis garantierte Selbstbestimmungsrecht, wozu auch bestimmte Loyalitätsobliegenheiten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gehören können, eine deutlich einschränkende Qualität. Angesichts dessen ist die Erwartung berechtigt, dass die Kirche erneut den Weg zum BVerfG suchen wird, das seinerseits möglicherweise erneut dem EuGH die Problematik zur Prüfung auf der Grundlage der unionsrechtlichen Vorgaben vorlegen wird. Dies gilt umso mehr, als nach Art. 17 Abs. 1 AEUV die Union den Status achtet, den Kirchen in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und ihn nicht beeinträchtigt. Der EuGH57 misst dieser Vorschrift nur die Bedeutung bei, dass sie die Neutralität der Union zum Ausdruck bringt, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, weswegen dieser Artikel nicht bewirken könne, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen wird. Ob sich Art. 17 Abs. 1 AEUV auf diese Aussage reduzieren lässt, erscheint schon deswegen zweifelhaft, weil gemäß Art. 4 EUV ohnehin alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten ge57 EuGH v. 11.9.2018 – C-68/17, NZA 2018, 1187 Rz. 48 – IR; so bereits EuGH v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rz. 58 – Egenberger.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
mäß Art. 5 EUV bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Deshalb wäre es durchaus angebracht, Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG im Lichte einer weiterreichenden Bedeutung von Art. 17 Abs. 1 AEUV und nicht nur als Neutralitätsgebot der Union (keine Einmischung der Union in das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu ihren Kirchen) zu interpretieren. Dem stehen weder Art. 21 GRC (keine Diskriminierung wegen der Religion) noch Art. 19 AEUV (Antidiskriminierungsmaßnahmen des Rats) entgegen, weil nur den Kirchen die Ungleichbehandlung wegen der Religion erlaubt wird, wodurch das Diskriminierungsverbot wegen der Religion im Übrigen keine Beschränkung erfährt. Jedenfalls hat der 8. Senat des BAG im Urteil vom 25.10.201858 im Hinblick auf die Entscheidung der Großen Kammer des EuGH vom 17.4.201859 bereits entschieden, dass § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG nicht unionskonform ausgelegt werden kann und unangewendet bleiben muss, während § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG unionskonform dahingehend angepasst werden muss, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform nur zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Diese in Übereinstimmung mit der zu Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG vorgenommene Bewertung des EuGH führt in der Konsequenz dazu, dass sich die Frage der praktischen Konkordanz für die im Streitfall zu beurteilende Kündigung des Chefarztes nicht mehr bei der Anwendung von § 1 Abs. 2 KSchG stellt (so aber das BVerfG), sondern vielmehr die Wirksamkeit der Kündigung an § 7 AGG scheitert, weil sie sich als Diskriminierungsakt wegen der Religion entpuppt, der sich nicht aus § 9 AGG rechtfertigen lässt. Umfasst das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV die Befugnis, im Rahmen von Arbeitsverhältnissen bestimmte Loyalitätsobliegenheiten vorzugeben, ihr Gewicht festzulegen und zu regeln, welches Gewicht einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt60, ist bei einer weiteren Anwendung von § 9 AGG unter dem Schrankenvorbehalt des für alle geltenden Gesetzes (Art. 137 Abs. 3 WRV) – hier bei der Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG – 58 BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, NZA 2019, 455 Rz. 24, 32, 62. 59 EuGH v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rz. 24 ff., 62 – Egenberger. 60 So BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 Ls. 3.
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Feststellung des Zugangs einer Kündigung
eine Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen im Sinne einer praktischen Konkordanz vorzunehmen. Dabei ist für den Ausgleich der gegenläufigen Interessen auf Seiten der Kirche zu beachten, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und jedenfalls nach Ansicht des BVerfG61 dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht beigemessen werden muss. Die vom EuGH auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG dagegen vorgenommene Relativierung des Selbstbestimmungsrechts im Hinblick auf die Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung des Ethos der betreffenden Kirche führt dazu, dass eine berufliche Tätigkeit bei der Kirche ohne Mitwirkung an der Bestimmung ihres Ethos oder ohne einen Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag von vornherein die Rechtmäßigkeit einer Ungleichbehandlung wegen der Religion ausschließt und damit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Gesamtabwägung der im Widerstreit stehenden Interessen im Hinblick auf § 1 Abs. 2 KSchG keine Rolle mehr spielt. Der nicht zu rechtfertigende Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen der Religion führt bereits nach § 7 AGG zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. Schließt man sich der einschränkenden Deutung von Art. 17 AEUV (Neutralitätsgebot der Union im Verhältnis der Mitgliedstaaten zu ihren Religionsträgern) an, darf in der Tat das Unionsrecht – wie der 2. Senat des BAG in der Entscheidung vom 20.2.201962 annimmt – die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten und damit in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen reglementierend eingreifen. Dann handelt es sich auch nicht um einen „ultra-vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird, wie das BAG resümiert. Nach deutschem Verfassungsverständnis ist jedoch eine derartige Zwangssäkularisierung der Kirchen nicht vorgesehen. (Boe)
7.
Feststellung des Zugangs einer Kündigung bei der Vorbereitung eines Kündigungsschutzprozesses
Will ein Arbeitnehmer die Wirksamkeit einer ihm gegenüber vom Arbeitgeber erklärten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung angreifen,
61 BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 Ls. 1. 62 BAG v. 20.2.2019 – 2 AZR 746/14 n. v.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
muss er gemäß § 4 S. 1 KSchG (§ 13 Abs. 2 KSchG) innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gilt diese Klageerhebungsfrist von drei Wochen unabhängig von der Größe des Beschäftigungsbetriebs und damit unabhängig von der Anwendung des KSchG. Lässt der Arbeitnehmer die Klageerhebungsfrist ungenutzt verstreichen, so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam (§ 7 KSchG). Da die Berechnung der Klageerhebungsfrist auf der Grundlage von §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 BGB erfolgt, bedarf es stets der Feststellung des Zugangs der schriftlichen Kündigung beim Kündigungsadressaten. Insofern wird zunächst danach differenziert, ob der Zugang der schriftlichen Kündigung unter Anwesenden oder unter Abwesenden (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgt. Nach der Rechtsprechung des BAG63 geht eine verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden zu – und wird damit entsprechend § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam –, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt, wobei eine dauerhafte Erlangung der Verfügungsgewalt über das Schriftstück nicht erforderlich ist. Vielmehr genügen die Aushändigung und Übergabe, so dass der Adressat in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist daher auch dann bewirkt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und, falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Abwesenden i. S. von § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu – so das BAG64 –, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine
63 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183 Rz. 20; BAG v. 4.11.2004 – 2 AZR 17/04, NZA 2005, 513 Rz. 18 m. w. N. 64 BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183 Rz. 37.
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Feststellung des Zugangs einer Kündigung
generalisierende Betrachtung geboten. Davon macht das BAG65 eine Ausnahme, wenn der Adressat des Kündigungsschreibens weiß oder – etwa durch entsprechenden Hinweis per E-Mail oder in sonstiger Weise – annehmen muss, dass das Kündigungsschreiben erst nach den üblichen Postzustellzeiten in dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird. Dann wird der Zugang unter gewöhnlichen Verhältnissen noch am selben Tag angenommen. Der Eintritt der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Adressaten einer verkörperten Willenserklärung unter Abwesenden kann auch durch einen Empfangsboten des Adressaten erfolgen, dem die schriftliche Kündigung ausgehändigt wird66. Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt worden oder nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen ist, Willenserklärungen oder diesen gleichstehende Mitteilungen mit Wirkung für den Erklärungsempfänger entgegenzunehmen67. Im Falle der Einschaltung eines Empfangsboten als personifizierte Empfangseinrichtung ist der Zugang der verkörperten Willenserklärung i. S. von § 130 Abs. 1 S. 1 BGB anzunehmen, sobald nach den gewöhnlichen Umständen mit der Weiterleitung an den Adressaten zu rechnen ist68. Die Frage, inwieweit sich ein Rechtsanwalt auf Angaben seines Mandanten über den Zeitpunkt des Zugangs eines Kündigungsschreibens verlassen darf, war Gegenstand einer Entscheidung des BGH vom 14.2.201969, bei der es unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Anwaltshaftung um Schadensersatzansprüche wegen entgangener Vergütung ging. Der Arbeitgeber hatte mit Schreiben vom 22.12.2011 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich gekündigt und ließ das Kündigungsschreiben durch Boten am selben Tag in einem Umschlag, der die Aufschrift „per Boten“ enthielt, in den Briefkasten der Klägerin einwerfen. Anfang Januar 2012 beauftragte die Klägerin den beklagten Rechtsanwalt, Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung zu erheben und teilte diesem auf Befragen mit, die Kündigung sei am 23.12.2011 zugestellt worden. Nachdem der beklagte Rechtsanwalt die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung eingeholt hatte, reichte er am 13.1.2012 Klage beim Arbeitsgericht ein, die mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die nach §§ 13 Abs. 1 S. 2, 4 S. 1 KSchG bestehende Klagefrist von drei Wochen – ausgehend von einem Zugang des Kündigungsschreibens am 22.12.2011 – bereits am 12.1.2012 abgelaufen sei. Die
65 66 67 68 69
BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183 Rz. 38. Vgl. dazu zuletzt BAG v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18, NZA 2018, 1335 Rz. 25. BAG v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18, NZA 2018, 1335 Rz. 26 m. w. N. BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 687/09, NZA 2011, 847 Rz. 18. BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 181/17, NJW 2019, 1151.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
dagegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Die Klägerin verlangte nunmehr vom Beklagten wegen der verspäteten Einreichung der Kündigungsschutzklage die Erstattung von Verdienstausfall für die Zeit vom 1.7.2012 bis zum 31.8.2014 i. H. von insgesamt 25.770,22 €. LG70 und OLG71 haben die Klage der Klägerin abgewiesen. Der BGH hat mit der von ihm zugelassenen Revision das Urteil des OLG Hamburg unter Zurückweisung der Sache an das OLG aufgehoben. Im Gegensatz zur Auffassung des OLG Hamburg, das davon ausgegangen war, der Beklagte habe sich auf die Angabe der Mandantin verlassen dürfen, dass die Kündigung erst am 23.12.2011 zugestellt worden sei, geht der BGH davon aus, dass der beklagte Rechtsanwalt hätte näher aufklären müssen, ob die Angaben über den Zustellungszeitpunkt tatsächlich zutreffend waren. Denn insofern sei es nicht nur um eine Information tatsächlicher Art, sondern darüber hinaus um die rechtliche Beurteilung eines tatsächlichen Geschehensablaufs – hier den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – gegangen. Wird nämlich ein Brief in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen, gelangt dieser sofort in seine Verfügungsgewalt, der Zugang wird jedoch erst bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme aus dem Briefkasten zu rechnen ist. Erreicht daher eine Erklärung den Briefkasten des Empfängers zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Empfänger nicht mehr zu erwarten ist, geht die Willenserklärung nicht mehr an diesem Tage, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt zu. Nach Ansicht des BGH72 musste der Beklagte unter Berücksichtigung des Ausstellungsdatums des Kündigungsschreibens am 22.12.2011 im Zusammenhang mit der Aufschrift auf dem Briefumschlag „per Boten“ zumindest in Erwägung ziehen und damit rechnen, dass die Möglichkeit eines Zugangs – je nach dem Zeitpunkt des Einwurfs der Kündigung in den Briefkasten – bereits mit dem 22.12.2011 eingetreten war und sich darüber entsprechende Klarheit verschaffen. Wäre bei einer diesbezüglichen Recherche nicht mit Sicherheit auszuschließen gewesen, dass das Kündigungsschreiben nicht bereits am 22.12.2011 zugegangen war, hätte der Beklagte den sichersten Weg wählen und die Kündigungsschutzklage bereits spätestens am 12.1.2012 bei dem Arbeitsgericht einreichen müssen. Da das OLG Hamburg von einer Aufklärung des Zeitpunkts des Einwurfs der Kündigung in den Briefkasten ebenso abgesehen hatte, wie davon, der Klägerin auf geeignete Weise Gele70 LG Hamburg v. 14.10.2016 – 322 O 615/15 n. v. 71 OLG Hamburg v. 30.6.2017 – 5 U 238/16 n. v. 72 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 181/17, NJW 2019, 1151 Rz. 12.
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Feststellung des Zugangs einer Kündigung
genheit zur Stellungnahme zu geben und damit den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör verletzt hatte, waren die Aufhebung der Entscheidung des OLG Hamburg und die Zurückverweisung geboten. Da der Zugang einer verkörperten Kündigungserklärung nicht nur ihre gestaltende Wirkung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses auslöst, sondern auch den Zeitpunkt der Berechnung der Klageerhebungsfrist aus § 4 KSchG markiert, ist in der betrieblichen Praxis zumindest zu erwägen, die Zustellung einer Kündigung durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers zu bewerkstelligen (§ 132 Abs. 1 BGB), weil der Erklärende eine öffentliche Urkunde (§ 418 ZPO i. V. mit § 182 Abs. 1 S. 2 ZPO) über die Zustellung erlangt (§§ 182 Abs. 1 S. 2, 191, 193 Abs. 3 ZPO) und damit ein sicheres Beweismittel vorliegt. Allerdings kann diese Art der Zustellung auf Kosten der Schnelligkeit gehen, wenn es etwa um die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB geht, und verursacht deutlich höhere Kosten als die Ausführung eines Zustellungsauftrags durch die Post. (Boe)
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F. Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags 1.
Angemessenheit einer Altersabstandsklausel im Bereich der betrieblichen Altersversorgung
Die Zulässigkeit von Altersabstandsklauseln und Spätehenklauseln in der Hinterbliebenenversorgung hat in jüngerer Vergangenheit immer wieder die Rechtsprechung des BAG1 und des EuGH2 beschäftigt. Anlass dafür war vor allem die Frage, ob derartige an das Alter des Arbeitnehmers anknüpfende Klauseln aus Gründen einer Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG rechtsunwirksam sind oder gemäß § 10 AGG als zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters eine Rechtfertigung erfahren. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein, wobei der anzuwendende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Interessenabwägung gebietet. Die im Interesse des Hinterbliebenen zugesagte Altersversorgung neben der Versorgung des Arbeitnehmers selbst löst eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung des Versorgungsträgers aus, die dieser durch Risikobegrenzungen zu relativieren versucht. Es geht im Ergebnis darum, Versorgungsverpflichtungen gegenüber Hinterbliebenen zu vermeiden, die über das normalerweise kalkulierbare Maß und das damit verbundene wirtschaftliche Risiko hinausgehen. Auf der anderen Seite soll die wirtschaftliche Risikobegrenzung des Versorgungsträgers nicht dazu führen, dass der Wert der Hinterbliebenenversorgung eine übermäßige Beeinträchtigung erfährt und für den betroffenen Versorgungsberechtigten wirtschaftlich weitgehend bedeutungslos wird. Der Ruhegeldsenat des BAG hatte unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt des Verbots der Benachteiligung wegen des Alters in zwei Entscheidungen vom 16.10.20183 und vom 11.12.20184 über die Angemessenheit von Al1
2 3
BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 43/17, NZA 2018, 712; BAG v. 14.11.2017 – 3 AZR 781/16, NZA 2018, 453; BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447; BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 509/08, NZA 2011, 1092; BAG v. 28.7.2005 – 3 AZR 457/04, NZA-RR 2006, 591. EuGH v. 24.11.2016 – C-443/15, NZA 2017, 233 – Parris; vgl. auch EuGH v. 13.7.2017 – C-354/16, NZA 2017, 1047 – Kleinsteuber. BAG v. 16.10.2018 – 3 AZR 520/17, NZA 2019, 176.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
tersabstandsklauseln zu befinden. In dem Urteil vom 16.10.2018 ging es darum, dass die 1972 geborene Klägerin seit 1993 mit ihrem im Jahre 2013 verstorbenen Ehemann, der 1943 geboren und bei der Beklagten bis zum 30.9.1996 beschäftigt war, verheiratet gewesen ist. Die maßgebende Versorgungsordnung der Beklagten sah vor, dass eine Witwenpension um 5 % für jedes Jahr gekürzt wird, das die hinterbliebene Ehefrau mehr als 15 Jahre jünger ist als der versorgungsberechtigte Ehegatte. Der verstorbene Ehemann der Klägerin bezog zuletzt eine Pension i. H. von 3662,25 € (brutto). Nach seinem Tod erhielt die Klägerin ab Januar 2014 eine Witwenpension, die seitens der Beklagten jedoch wegen des Altersunterschieds zwischen den Eheleuten von der Beklagten um 70 % gemindert wurde. Die Witwenpension betrug daher zu Beginn 604,27 € (brutto) monatlich und seit Oktober 2014 aufgrund einer Pensionsanpassung 613,33 € (brutto) monatlich. Die Klägerin hielt die Altersabstandsklauseln für rechtsunwirksam und beanspruchte von der Beklagten, eine Witwenpension i. H. von 55 % der zuletzt von ihrem verstorbenen Ehemann bezogenen Pension unter Berücksichtigung der Pensionsanpassungen zu zahlen, was einer Forderung i. H. von 59.916,75 € entsprach. Der Fall, der Gegenstand der Entscheidung vom 11.12.2018 war, betraf eine im Oktober 1945 geborene Klägerin, die ihren im November 1930 geborenen und 2014 verstorbenen Ehemann im Jahre 1966 geheiratet hatte. Nach der für den Ehemann der Klägerin maßgebenden Versorgungsordnung war die Witwenrente, wenn die hinterbliebene Ehefrau mehr als zehn Jahre jünger war als der verstorbene Ehemann, für jedes volle über zehn Jahre hinausgehende Jahr des Altersunterschieds um 5 % gekürzt. Da die Klägerin 14 volle Jahre jünger als ihr im November 1930 geborene Ehemann war, hat die Beklagte die Witwenrente um 20 % gekürzt. Die Klägerin hielt diese Kürzung aus Gründen des Benachteiligungsverbots wegen des Alters für rechtsunwirksam und nahm die Beklagte auf ungekürzte Hinterbliebenenrente i. H. von 60 % der Betriebsrente ihres verstorbenen Ehemanns in Anspruch. In beiden Fällen hat der 3. Senat des BAG die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Altersabstandsklauseln bejaht und die entsprechenden Zahlungsklagen der Klägerinnen abgewiesen. Dabei stellt das BAG zunächst heraus, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG für die Witwen nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 AGG ungeachtet dessen eröffnet ist, dass sie im Verhältnis zu den Beklagten nicht unmittelbar zu den in dieser Rechtsvorschrift genannten Personengruppen zählen, weil insoweit auf den versorgungsberechtigten Ar4
BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 400/17, NZA 2019, 537.
196
Angemessenheit einer Altersabstandsklausel
beitnehmer abzustellen ist. Gleiches gilt für den zeitlichen Anwendungsbereich des AGG, weil auch insoweit auf das Rechtsverhältnis mit den Arbeitnehmern abzustellen ist, die in den jeweiligen Streitfällen nach Inkrafttreten des AGG am 18.8.2006 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bezogen hatten5. In beiden Streitfällen kam es daher entscheidungserheblich darauf an, ob die jeweiligen Altersabstandsklauseln in den Versorgungszusagen, die unmittelbar an das Alter anknüpfen und mit ihren Kürzungsregelungen eine Benachteiligung wegen des Alters bewirken, eine Rechtfertigung in § 10 S. 1 und S. 2 AGG finden. Dabei enthält § 10 S. 3 AGG wie Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG, der durch § 10 AGG in nationales Recht umgesetzt worden ist, gesetzliche Beispiele für eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters. So sieht § 10 S. 3 Nr. 4 AGG als Rechtfertigungsgrund die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG vor. Daraus schlussfolgert das BAG, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel i. S. von § 10 S. 1 AGG gerechtfertigt ist. Im Hinblick auf die jeweils konkret gewählte Altersgrenze als Mittel i. S. von § 10 S. 2 AGG geht jedoch das BAG über das nach Unionsrecht Erforderliche hinaus6 und prüft, ob diese Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsordnung angemessen und erforderlich ist. Daraus entwickelt das BAG die Aussage, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 10 S. 3 Nr. 4 AGG eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig ist7. Da sich jedoch das BAG nicht festlegen wollte, ob es sich bei Altersabstandsklauseln um eine Altersgrenze i. S. von § 10 S. 3 Nr. 4 AGG handelt, hat es ungeachtet dieser Vorschrift auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 S. 1 AGG geprüft und bejaht. Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Legitime Ziele sind – wegen der in Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG genannten Beispiele – sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung. In diesem Zusammenhang betont 5 6 7
BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 43/17, NZA 2018, 712 Rz. 14 m. w. N. Vgl. dazu grundsätzlich BAG v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16, NZA 2018, 315 Rz. 40 ff. So bereits BAG v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16, NZA 2018, 315 Rz. 38.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
das BAG8 in Übereinstimmung mit dem EuGH9, dass auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt, hierunter zu subsumieren sind. Dazu gehört nach der auch vom EuGH10 geteilten Ansicht des BAG11, dass den unternehmerischen Belangen einer kalkulierbaren Belastung Rechnung getragen wird, um die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Diesem Ziel dient auch die Möglichkeit der Kürzung der Hinterbliebenenrente in beiden Fallkonstellationen, um im Interesse des Arbeitgebers eine kalkulierbare Versorgungslast ohne zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken zu schaffen. Das BAG hält auch in beiden Fällen die Kürzung der Witwenrenten i. S. von § 10 S. 2 AGG für angemessen. Davon ist auszugehen, wenn die benachteiligende Regelung erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel i. S. von § 10 S. 1 AGG zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der nachteilig betroffenen Arbeitnehmer zu führen. Die konkrete Altersabstandsklausel ist erforderlich, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist. Ungeachtet dessen, dass auch die Hinterbliebenenversorgung nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter hat, führen die in den Streitfällen maßgebenden Altersabstandsklauseln mit dem Ziel der wirtschaftlichen Risikobegrenzung nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Interessen der Arbeitnehmer an einer umfänglichen Versorgung ihrer Hinterbliebenen, weil erst bei einem Altersabstand von mehr als zehn Jahren bzw. mehr als 15 Jahren eine maßvolle schrittweise Kürzung von 5 % der Ausgangsrente für jedes weitere volle Jahr des Altersabstands bewirkt wird. Das Merkmal der Erforderlichkeit ist nach Auffassung des BAG erfüllt, weil sich durch ein anderes milderes Mittel der gleiche Effekt der wirtschaftlichen Risikobegrenzung nicht erreichen lässt. Da das BAG Altersabstandsklauseln im Bereich der betrieblichen Altersversorgung im Sinne einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nicht stets als zulässig erachtet, sondern den geregelten konkreten Altersabstand i. S. von § 10 S. 2 AGG einer Angemessenheitsprüfung unterzieht, kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an, ob die Erforderlichkeit und Angemessenheit der maßgebenden Kürzungs- oder Ausschlussklausel gerecht-
8 9 10 11
BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 400/17, NZA 2019, 537 Rz. 26. EuGH v. 26.9.2013 – C-476/11 n. v. (Rz. 60 ff.) – HK Danmark. EuGH 13.7.2017 – C-354/16, NZA 2017, 1047 Rz. 62 ff. – Kleinsteuber. BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 400/17, NZA 2019, 537 Rz. 26; BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 43/17, NZA 2018, 712 Rz. 26 m. w. N.
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Hinterbliebenenversorgung: Mindestehedauer als unangemessene Benachteiligung
fertigt ist. So hat das BAG12 bei einer Altersabstandsklausel von 15 Jahren sogar den vollständigen Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung für zulässig erachtet, ohne dass darin ein Widerspruch zu dem Verbot der Altersdiskriminierung zu sehen war. (Boe)
2.
Hinterbliebenenversorgung: Mindestehedauer als unangemessene Benachteiligung
Betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (§ 1 S. 1 BetrAVG). Gemäß § 1 Abs. 2 BetrAVG liegt betriebliche Altersversorgung auch vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine beitragsorientierte Leistungszusage (Nr. 1), eine Beitragszusage mit Mindestleistung (Nr. 2), eine reine Beitragszusage (Nr. 3) erteilt oder eine Entgeltumwandlung (Nr. 4) bzw. eine Umfassungszusage auf Eigenbeiträge des Arbeitnehmers (Nr. 5) vorliegen. Rechtsgrund für eine derartige betriebliche Altersversorgung können kollektive Normenverträge (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung), aber auch individualrechtliche Zusagen des Arbeitgebers sein, denen gemäß § 1 b Abs. 1 S. 4 BetrAVG Versorgungsverpflichtungen gleichstehen, die auf einer betrieblichen Übung oder dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen. Liegen dabei die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 BGB oder des § 310 Abs. 3 BGB (Einmalbedingungen) vor, wovon in der betrieblichen Praxis im Regelfall ausgegangen werden kann, so unterliegen die entsprechenden Versorgungszusagen seit dem 1.1.200213 der Inhaltskontrolle auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB. Angesichts dessen sind vertragliche Versorgungsversprechen als Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht nur nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind14, sondern auch auf ihre Angemessenheit i. S. von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB hin zu überprüfen.
12 BAG v. 20.2.2018 – 3 AZR 43/17, NZA 2018, 712 Rz. 11. 13 Art. 9 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001: BGBl. I 2001, 3138, 3187. 14 Vgl. nur BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 21 m. w. N.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, wobei diese Benachteiligung nach S. 2 dieser Vorschrift auch in der Intransparenz der Regelung liegen kann. Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB gilt § 307 Abs. 1 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzenden Regelungen vereinbart werden. Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des BAG15 und BGH16 auch Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kontrollfähig, die die sich aus der Natur des Vertrags ergebenden wesentlichen Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Daher sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen modifizieren oder einschränken sowie Abweichungen, von der sich aus rechtlichen Vorgaben ergebenden Vertragstypik her einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle ausgesetzt17. Keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegt hingegen die Höhe der vertraglich zugesagten Versorgung, weil insofern eine rechtliche Vorgabe fehlt18. Eine derartige Regelung muss lediglich dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügen. Für eine Hinterbliebenenversorgung ist kennzeichnend und damit vertragstypisch, dass sie der Absicherung eines für den Todesfall bestehenden typisierten Versorgungsinteresses des Arbeitnehmers für eine bestimmte Kategorie von Personen dient. Schränkt der Arbeitgeber in der Versorgungszusage den damit erfassten Personenkreis zu Lasten des Arbeitnehmers wieder ein, ist diese Einschränkung einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unterworfen19. Mit einer derartigen Einschränkung war der 3. Senat des BAG in der Entscheidung vom 19.2.201920 befasst. Der Fall betraf eine Klägerin, deren Ehe 2008 geschlossen wurde und die als Witwe ihres 2015 verstorbenen Mannes die diesem vom Arbeitgeber zugesagte Hinterbliebenenversorgung beanspruchte. Nach der Versorgungszusage entfiel die Witwenversorgung, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Versorgungsberechtigten nicht mindes15 16 17 18
Nur BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 30. BGH v. 10.12.2013 – X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 Rz. 16 m. w. N. BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 30. BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 31; BAG v. 30.11.2010 – 3 AZR 798/08, NZA-RR 2011, 255 Rz. 23. 19 BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 400/17, NZA 2019, 537 Rz. 39; BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 32. 20 BAG v. 19.2.2019 – 3 AZR 150/18 n. v.
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Hinterbliebenenversorgung: Mindestehedauer als unangemessene Benachteiligung
tens zehn Jahre bestanden hatte. Da sich die Beklagte aufgrund dessen weigerte, die Witwenrente zu zahlen, nahm die Klägerin die Beklagte auf entsprechende Zahlung klageweise in Anspruch. Während die Vorinstanzen die Klage abgewiesen haben, war sie vor dem BAG erfolgreich. Im Gegensatz zur Ansicht des LAG Hessen21, das wegen der Begrenzung des Versorgungsrisikos eine unangemessene Benachteiligung verneint hat, wird diese vom BAG zum Nachteil des Versorgungsberechtigten i. S. von § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB bejaht, da von der die Hinterbliebenenversorgung kennzeichnenden Vertragstypik abgewichen, der Vertragszweck erheblich gefährdet wird und kein innerer Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis als Grundlage der betrieblichen Altersversorgung besteht. Schränkt der Arbeitgeber bei der Hinterbliebenenversorgung – wie im vorliegenden Fall – den danach erfassten Personenkreis zu Lasten des Arbeitnehmers in der Versorgungszusage weiter ein, indem die Zusage auf Ehepartner beschränkt wird, mit denen der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens zehn Jahre verheiratet war, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weil die Regelung von den im BetrAVG angelegten Formen der Risikoabdeckung abweicht und den verstorbenen Ehemann unangemessen benachteiligt. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG22 ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers unangemessen, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile kompensiert wird. Ob die Benachteiligung unangemessen ist, bedarf danach einer wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung anzuerkennender Interessen der Vertragsparteien, wobei ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab angelegt werden muss23. Bei Anwendung dieses Maßstabs sieht das BAG in der im Streitfall vorgesehenen Mindestehedauer von zehn Jahren eine unangemessene Benachteiligung, weil eine derartige Einschränkung nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann. Sie orientiert sich nach Ansicht des BAG nicht an irgendwelchen Risikoerwägungen, sondern knüpft an eine willkürlich gegriffene Zeitspanne der Dauer der Ehe 21 LAG Hessen v. 29.11.2017 – 6 Sa 486/17 n. v. (Rz. 21). 22 Vgl. nur BAG v. 19.2.2019 – 3 AZR 150/18 n. v. (Rz. 27); BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 35 m. w. N. 23 BAG v. 21.2.2017 – 3 AZR 297/15, NZA 2017, 723 Rz. 35; BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09, NZA 2012, 738 Rz. 22.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
an, die ohne inneren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis steht und den Zweck der Hinterbliebenenversorgung gefährdet. Diese Bewertung des BAG ist überzeugend, weil das gerechtfertigte und billigenswerte Interesse des Arbeitgebers an einer wirtschaftlichen Risikobegrenzung durch eine derartige Klausel, anders als bei einer Spätehenklausel oder Altersabstandsklausel, nur völlig unzureichend umgesetzt werden kann. Der hinterbliebene Ehegatte kann gleichaltrig oder sogar deutlich älter sein, so dass sich schon aus diesem Grunde das wirtschaftliche Risiko, den Ehegatten noch längere Zeit nach dem Tod des Versorgungsberechtigten mit einer Versorgung ausstatten zu müssen, nur in sehr eingeschränktem Maße oder überhaupt nicht stellt. Da betriebliche Altersversorgung auch Entgeltcharakter aufweist, besteht ein genuines Interesse des berechtigten Arbeitnehmers, dass auch der mit der Versorgung abgesicherte Hinterbliebene in den Genuss der Hinterbliebenenversorgung gelangt. Soll dieses berechtigte Interesse des Arbeitnehmers zurücktreten, muss das Verwenderinteresse des Arbeitgebers, sein wirtschaftliches Risiko zu relativieren, ausreichend deutlich und billigenswert zutage treten. Das BAG verneint im Streitfall auch überzeugend ein etwaiges Interesse des Arbeitgebers an einer Versorgungsehe, was grundsätzlich anzuerkennen sei. Um dieses Ziel zu verwirklichen, sei die geforderte Mindestdauer von zehn Jahren bei Weitem nicht erforderlich, weil es darum ginge, kurzzeitige Versorgungsehen auszuschließen, wie ein Vergleich mit § 46 Abs. 2 a SGB VI belege, wonach der Gesetzgeber im Bereich der gesetzlichen Rente eine Ehedauer von einem Jahr für ausreichend erachtet, um Versorgungsehen auszuschließen. Der Verstoß der Mindestehedauer gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB führt zur Unwirksamkeit dieser Regelung mit der Maßgabe, dass die Versorgungsregelung im Übrigen wirksam bleibt (§ 306 Abs. 1 BGB), wobei eine geltungserhaltende Reduktion auf den zulässigen Inhalt durch das Gericht grundsätzlich ausscheidet24. Das BAG sieht in dieser Rechtsfolge für die Beklagte auch keine unzumutbare Härte i. S. von § 306 Abs. 3 BGB, deren Vorliegen eine ergänzende Vertragsauslegung ermöglichen würde, zumal diese im Hinblick auf den Ausschluss einer Versorgungsehe der gesetzlichen Wertung von § 46 Abs. 2 a SGB VI entsprechend nur eine Mindestehedauer von einem Jahr erfordern würde mit der Möglichkeit, auch in diesem Fall das Vorliegen einer Versorgungsehe zu widerlegen.
24 BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, NZA 2016, 1539 Rz. 25.
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Anrechnung einer Pensionskassenrente auf Direktversicherung
Die betriebliche Praxis ist daher gut beraten, wenn sie bei der Hinterbliebenenversorgung zur wirtschaftlichen Kalkulierbarkeit und besseren Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos auf Spätehenklauseln und Altersabstandsklauseln zurückgreift, weil allein die Mindestehedauer kein adäquates Mittel der Risikobegrenzung darstellt, wie die vorliegende Entscheidung des Ruhegeldsenats verdeutlicht. (Boe)
3.
Anrechnung einer Pensionskassenrente auf Direktversicherung
Nach § 5 Abs. 1 BetrAVG dürfen die bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht mehr dadurch gemindert oder entzogen werden, dass Beträge, um die sich andere Versorgungsbezüge nach diesem Zeitpunkt durch Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung erhöhen, angerechnet oder bei der Begrenzung der Gesamtversorgung auf einen Höchstbetrag berücksichtigt werden. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung dürfen nach § 5 Abs. 2 S. 1 BetrAVG durch Anrechnung oder Berücksichtigung anderer Versorgungsbezüge nicht gekürzt werden, soweit sie auf Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. Nach § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG gilt das jedoch nicht für Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, soweit sie auf Pflichtbeiträgen beruhen, sowie für sonstige Versorgungsbezüge, die mindestens zur Hälfte auf Beiträgen oder Zuschüssen des Arbeitgebers beruhen. § 5 Abs. 1 BetrAVG enthält ein Auszehrungsverbot mit der Maßgabe, dass der bei Eintritt des Versorgungsfalls zu Gunsten des Versorgungsberechtigten entstandene Versorgungsanspruch festgeschrieben wird und nach Eintritt des Versorgungsfalls nicht mehr geschmälert werden darf, wenn anzurechnende Leistungen – etwa aus der gesetzlichen Rentenversicherung – an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden25. Diesem Zweck entsprechend ist eine Anrechnung bei späterem Hinzutreten einer anderen Versorgungsleistung nicht ausgeschlossen. Das in § 5 Abs. 2 S. 1 BetrAVG zwingend (§ 19 Abs. 3 BetrAVG) vorgegebene Anrechnungsverbot anderweitiger Versorgungsbezüge, die auf eigenen Beiträgen des Versorgungsempfängers beruhen, wie etwa Leistungen von privaten Lebensversicherungen oder Leistungen von berufsständischen Versorgungseinrichtungen26, wird durch 25 Vgl. BT-Drucks. 7/1281 S. 29 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 26.11.1973; BAG v. 18.5.2010 – 3 AZR 80/08, BB 2011, 443 Rz. 24. 26 Vgl. etwa BAG v. 22.2.2000 – 3 AZR 39/99, NZA 2001, 541.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
§ 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG dahingehend eingeschränkt, dass Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, soweit sie auf Pflichtbeiträgen beruhen, die regelmäßig zu gleichen Teilen vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu entrichten sind, sowie sonstige Versorgungsbezüge, die mindestens zur Hälfte auf Beiträgen oder Zuschüssen des Arbeitgebers beruhen, bei entsprechender Regelung in vollem Umfang auf die erworbenen Betriebsrentenansprüche anrechenbar sind. In der Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 11.12.201827 ging es um die Frage, in welchem Umfang ein anderweitiger Versorgungsbezug auf die Betriebsrente des Klägers angerechnet werden durfte. Der im November 1944 geborene Kläger war vom 1.10.1973 bis zum 30.11.2009 bei der Beklagten, einer Bank, beschäftigt und bereits seit April 1965 bei dem BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G. (BVV) versichert. Bis zum 30.9.1973 wurden die Beiträge zum BVV jeweils zu einem Drittel vom Kläger und zu zwei Dritteln von den Arbeitgebern geleistet. Im Arbeitsvertrag vom 26.9./1.10.1973 wurde vereinbart, dass die beim BVV bestehende Zusatzversicherung weitergeführt wird, wobei die Bank zwei Drittel des Beitrags und der Kläger ein Drittel des Beitrags zu übernehmen hatten. In einem weiteren Arbeitsvertrag vom 29.10.1986 gewährte die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin dem Kläger ein Ruhegehalt unter entsprechender Anwendung des jeweils gültigen Beamtenversorgungsgesetzes unter gleichzeitiger Vereinbarung der Anrechnung der Renten- und Hinterbliebenenbezüge aus der Angestelltenversicherung sowie aus den betrieblichen Zusatzversicherungen auf das Ruhegehalt bzw. die Hinterbliebenenversorgung. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde der Kläger aufgefordert, die Zusatzpensionsversicherung beim BVV zum 1.1.1987 beitragsfrei zu stellen, was seitens des Klägers geschah. Ab 1997 zahlte der Kläger wieder Beiträge an den BVV, ohne seine Arbeitgeberin hiervon in Kenntnis zu setzen. Im November 2003 vereinbarten die Parteien die Freistellung des Klägers ab dem 1.1.2005 und legten in § 16 der Freistellungsvereinbarung fest, dass die von der BfA, der Provinzial Rheinland Lebensversicherung-AG und dem Beamtenversicherungsverein bewilligten Renten ab Beginn der Bewilligung auf die Versorgungsbezüge der Bank angerechnet werden. Nach Information der Beklagten über die Fortführung der Versicherung beim BVV mit eigenen Beiträgen vereinbarten die Parteien am 19./24.11.2003 in Ergänzung zu § 16 der Freistellungsvereinbarung, dass die Bank die BVV-Pension nur insoweit anrechnen wird, als sie auf Beiträgen bis zum einschließlich 31.12.1986 beruht. Die Beklagte setzte das Ruhegehalt des Klägers ab Beginn seines Ru-
27 BAG v. 11.12.2018 – 3 AZR 453/17, NZA 2019, 471.
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Anrechnung einer Pensionskassenrente auf Direktversicherung
hestands am 1.12.2009 auf 9.023,25 € fest und rechnete darauf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Rente von der Provinzial vollständig an, während sie die vom BVV i. H. von 974,53 € geleistete Rente anteilig in Höhe eines Betrags von 522,83 € berücksichtigte. Dieser Betrag setzte sich aus den vom Kläger von 1965 bis zum 31.12.1986 aufgebrachten eigenen Beiträgen von einem Drittel i. H. von 174,28 € sowie in diesem Zeitraum von den Arbeitgebern geleisteten zwei Dritteln der Beiträge i. H. von 348,55 € zusammen. Die weiteren 451,70 € der BVV-Rente hatte der Kläger nach dem 1.1.1987 durch eigene Beitragsleistungen aufgebracht. Der Kläger war der Meinung, die Beklagte sei nicht berechtigt, den Anteil der BVV-Rente i. H. von 174,28 € auf sein betriebliches Ruhegehalt anzurechnen, weil diese Anrechnung gegen § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG verstieße und hat die Beklagte auf entsprechende Zahlung in Anspruch genommen. Während das ArbG28 der Klage entsprochen hat, hat das LAG29 die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Das BAG geht zunächst davon aus, dass § 16 der Freistellungsvereinbarung in Verbindung mit der Vereinbarung vom November 2003 die maßgebende Anrechnungsregelung unter Abänderung der ursprünglichen Anrechnungsklausel von 1986 darstellt. Diese Anrechnungsregelung ist aus der Sicht des BAG hinreichend bestimmt30, weil sie klar erkennen lässt, welche Renten in welchem Umfang auf das Ruhegehalt angerechnet werden sollen und weicht auch nicht zu Ungunsten des Klägers von den Bestimmungen des BetrAVG mit der Folge der Unwirksamkeit ab (§ 19 Abs. 3 BetrAVG). Damit ging es um die für den Ausgang des Rechtsstreits maßgebliche Frage, ob die vereinbarte Anrechnung der BVV-Rente auf das Ruhegehalt des Klägers, auch soweit sie auf eigenen Beiträgen des Klägers im Zeitraum vom 1.4.1965 bis zum 31.12.1986 beruht, gegen § 5 Abs. 2 BetrAVG verstößt. Nach S. 1 dieser Vorschrift dürfen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Anrechnung anderer Versorgungsbezüge nicht gekürzt werden, soweit diese auf eigenen Beiträgen des Versorgungsberechtigten beruhen. Dieser grundsätzliche Anrechnungsausschluss wird durch § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG seinerseits relativiert, als neben auf Pflichtbeiträgen beruhenden Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sonstige Versorgungsbezüge anrechenbar sind, die mindestens zur Hälfte auf Beiträgen oder Zuschüssen des Arbeitgebers beruhen. Von dieser Erweiterung der Anrechnungsmöglichkeit war nach Ansicht des BAG im Hinblick auf die BBV28 ArbG Düsseldorf v. 19.10.2016 – 12 Ca 1574/16 n. v. 29 LAG Düsseldorf v. 2.6.2017 – 6 Sa 111/17 n. v. 30 Vgl. dazu BAG v. 18.5.2010 – 3 AZR 80/08, BB 2011, 443 Rz. 20 m. w. N.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Rente des Klägers auszugehen, ungeachtet dessen, dass diese wegen der Eigenbeiträge des Klägers grundsätzlich dem Anrechnungsverbot des § 5 Abs. 2 S. 1 BetrAVG unterfiel. Dabei geht das BAG davon aus, dass als „sonstige Versorgungsbezüge“ i. S. von § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG nicht nur Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach § 1 BetrVG in Betracht kommen, weil der Gesetzgeber auch Zuschüsse des Arbeitgebers anspricht, auf denen ein derartiger Versorgungsbezug beruht. Dieser Bewertung ist auch deshalb beizutreten, weil der Gesetzgeber davon Abstand genommen hat, die sonstigen Versorgungsbezüge als solche des § 1 BetrVG zu kennzeichnen und darauf zu beschränken. Da die gesamte vom BVV gezahlte Rente i. H. von 974,53 € auf Beitragsleistungen des Klägers i. H. von 625,98 € und Beitragsleistungen der Beklagten bzw. der Arbeitgeber i. H. von 348,55 € beruhte und damit die Gesamtrente des BVV nicht mindestens zur Hälfte auf Beiträge des Arbeitgebers zurückzuführen war, ging es um die weitere Frage, ob für die Erfüllung der Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 S. 2 BetrVG hinsichtlich der erworbenen BVV-Rente nur auf die Beiträge in der Zeit vom 1.4.1965 bis zum 31.12.1986, die zu einem Drittel vom Kläger und zu zwei Dritteln von den jeweiligen Arbeitgebern geleistet worden waren, abgestellt werden musste. Diese Zuordnung von Beiträgen hat das BAG im vorliegenden Fall bejaht, weil sich der Umfang der BVV-Rente in Bezug auf den jeweiligen Zeitraum der Beitragszahlungen getrennt ermitteln ließ. Dabei war nach Auffassung des BAG unerheblich, dass die Arbeitgeberbeiträge vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses von anderen Arbeitgebern geleistet worden waren, weil von § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG die Gesamtheit der Arbeitgeber angesprochen wird. Nach alledem bewegte sich die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der BVV-Rente i. H. von 522,83 € auf die betriebliche Altersversorgung des Klägers für die Zeit vom 1.4.1965 bis zum 31.12.1986, die zu 174,28 € vom Kläger finanziert worden war, im Rahmen des Gesetzes und war zulässig. Die in § 5 Abs. 2 S. 2 BetrAVG vorgesehene – wenn auch eingeschränkte – Anrechnungsmöglichkeit anderweitiger Versorgungsbezüge, durch die der Versorgungsbedarf des Versorgungsempfängers bereits anderweitig abgedeckt sein kann, setzt eine entsprechende, dem Bestimmtheitsgebot der AGB-Kontrolle genügende, vertragliche Vereinbarung voraus, aus der sich für den Arbeitnehmer unmissverständlich ergibt, welche anderweitigen Versorgungsleistungen auf die betriebliche Altersversorgung anrechenbar sein sollen. (Boe)
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G. Tarifrecht 1.
Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz
Bereits seit einigen Jahren ist ver.di bemüht, im Versandhandel die Tarifverträge des Einzelhandels durchzusetzen. Insbesondere Amazon vertritt hier die – gut nachvollziehbare – Begründung, dass sich der eigentliche Handel ausschließlich im Internet vollziehe. Soweit es um Betriebe gehe, in denen die Lagerung und der Versand von Waren abgewickelt würden, die bereits online bestellt worden seien oder deren Bestellung erwartet würden, gehe es um Logistik, für die andere Tarifverträge einschlägig seien. Die in diesen Tarifverträgen vorgesehene Vergütung wird in der Regel gezahlt. Ungeachtet dessen kommt es aber weiterhin zu Streikmaßnahmen, durch die eine Bindung an die Tarifverträge des Einzelhandels bewirkt werden soll. Wie das BAG in mehreren Entscheidungen vom 20.11.20181 zum Ausdruck gebracht hat, umfasst das Streikrecht insoweit auch die Befugnis einer streikführenden Gewerkschaft, die zur Arbeitsniederlegung aufgerufenen Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Betrieb anzusprechen, um sie für die Teilnahme am Streik zu gewinnen. Eine solche Aktion könne – abhängig von den konkreten örtlichen Gegebenheiten – mangels anderer Mobilisierungsmöglichkeiten auch auf einem vom bestreikten Arbeitgeber vorgehaltenen Firmenparkplatz vor dem Betriebsgebäude zulässig sein. Der zugrunde liegende Fall betraf eine Klägerin, die in einem außerörtlich gelegenen Gewerbebetrieb ein Versand- und Logistikzentrum führte. Zu dem von ihr gepachteten Gelände gehörte ein Betriebsgebäude, das über einen zentralen Eingang zugänglich war, sowie ein etwa 28.000 m² großer Parkplatz, der zur Nutzung für die überwiegend mit dem Auto zur Arbeit kommenden Mitarbeiter bestimmt war. Im Zusammenhang mit einem Streik im September 2015 baute die streikführende Gewerkschaft an zwei Tagen auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen auf und postierte dort ihre Vertreter sowie streikende Arbeitnehmer. Diese verteilten Flyer und forderten die zur Arbeit erscheinenden Arbeitnehmer zur Teilnahme am Streik auf. Physische Zugangsbehinderungen waren damit nicht verbunden. Ähnliches wiederholte sich bei einem eintägigen Streik im März 2016.
1
BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402 Rz. 35; BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 12/17 n. v. (Rz. 28).
207
Tarifrecht
Unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten im Einzelfall hat das BAG die durch die Arbeitgeberin erhobene Klage auf künftige Unterlassung solcher Aktionen für nicht begründet erachtet. Damit wurde die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 29.3.20172 bestätigt. Die vorangehende Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 31.8.20163, die in einem vergleichbaren Sachverhalt noch zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen war, ist aufgehoben worden. Ausgangspunkt der Entscheidung über den streitgegenständlichen Unterlassungsantrag war für das BAG § 862 Abs. 1 BGB. Danach kann der Besitzer im Falle einer Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht i. S. des § 858 Abs. 1 BGB die Beseitigung der Störung oder, wenn weitere Störungen zu besorgen sind, deren Unterlassung verlangen. Auf diese Weise wird dem Besitzer (z. B. Mieter, Pächter oder Leasingnehmer) ein Anspruch zuerkannt, der dem Abwehranspruch des Eigentümers aus § 1004 BGB entspricht4. Eine Besitzstörung liegt vor, wenn der Besitzer einer Sache an der Ausübung seiner Herrschaft über diese in einzelnen Beziehungen gehindert wird. Hiervon war vorliegend an sich auszugehen, weil der Arbeitgeber das ihm als Besitzer des Grundstücks zustehende Hausrecht gegenüber der Gewerkschaft nicht mehr wirksam ausüben konnte. Denn die Gewerkschaft widersetzte sich gerade seiner Aufforderung, den Firmenparkplatz vor dem Haupteingang zu verlassen. Voraussetzung für eine stattgebende Entscheidung über den Unterlassungsantrag wäre allerdings gewesen, dass in dem betreffenden Verhalten der Gewerkschaft eine verbotene Eigenmacht i. S. des § 858 Abs. 1 BGB zu sehen gewesen wäre. Das wiederum hätte vorausgesetzt, dass die entsprechende Maßnahme als Bestandteil des Streiks auch unter Berücksichtigung der richterrechtlich aus Art. 9 Abs. 3 GG gewonnenen Grundsätze nicht (mehr) als zulässige Wahrnehmung des verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsrechts hätte qualifiziert werden können. Denn gerade die grundsätzlich zunächst einmal schrankenlos gewährleistete Koalitionsfreiheit erlaubt es, auch die Ausübung anderer Grundrechte einzuschränken. Die Gerichte sind allerdings bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen – mithin auch bei §§ 858, 862 BGB – verpflichtet, die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Der unter Rücksicht2 3 4
LAG Berlin-Brandenburg v. 29.3.2017 – 24 Sa 979/16, AuR 2018, 248. LAG Rheinland-Pfalz v. 31.8.2016 – 4 Sa 512/15 n. v. Vgl. BGH v. 16.1.2015 – V ZR 110/14, NJW 2015, 2023 Rz. 5.
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Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz
nahme auf kollidierende Verfassungswerte notwendig werdende Ausgleich kann dabei – so das BAG – in der Regel nicht generell, sondern nur im Einzelfall durch Abwägung vorgenommen werden. Er betreffe insoweit nicht den gesamten Bereich der jeweiligen verfassungsrechtlichen Gewährleistung, sondern sei auf den Ausgleich der konkreten Kollisionslage beschränkt5. Unter Abwägung der im konkreten Einzelfall in Rede stehenden Grundrechtspositionen ist der 1. Senat des BAG sodann in seinen Urteilen vom 20.11.20186 davon ausgegangen, dass nur eine (noch) verhältnismäßige Einschränkung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Arbeitgeberin gegeben war, so dass §§ 858, 862 BGB keinen Unterlassungsanspruch rechtfertigten. Dabei hat es das BAG zunächst einmal abgelehnt, eine Beeinträchtigung der Arbeitgeberin in Bezug auf ihre negative Koalitionsfreiheit anzuerkennen. Die gewerkschaftlichen Maßnahmen hätten – so das BAG – keinen Zwang begründet, einen Haustarifvertrag abzuschließen. Auch seien sie nicht von dem Ziel getragen, die Arbeitgeberin zu einem Verbandsbeitritt zu bewegen. Dass damit Druck auf die Arbeitgeberin ausgeübt werden sollte, den Tarifvertrag des Einzelhandels anzuwenden, sei ein normaler Ausfluss der Tarifautonomie. Anzuerkennen war allerdings, dass die Arbeitgeberin nicht nur in ihrem durch Art. 14 GG geschützten Hausrecht beeinträchtigt war. Soweit die Aktionen der Gewerkschaft darauf abzielten, arbeitswillige Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Streik zu motivieren, um als Folge dieser Arbeitsniederlegung den Betriebsablauf zu stören, wäre damit auch eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit in Gestalt der unternehmerischen Handlungsfreiheit verbunden. Dies beträfe auch – so das BAG – einen von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belang, der – i. V. mit Art. 2 Abs. 1 GG – die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitgeberin umfasse7. Auch die Gewerkschaft konnte sich bei ihrer Maßnahme allerdings auf das verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Grundrecht der Koalitionsfreiheit berufen. Dies beinhaltet grundsätzlich die Befugnis, Mitglieder und Nichtorganisierte zur Arbeitsniederlegung aufzurufen, um den Arbeitgeber zu Verhandlungen und zum Abschluss eines deren Arbeitsbedin-
5 6 7
Vgl. BVerfG v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667 Rz. 32; BAG v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437 Rz. 51 ff. BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402 Rz. 21 ff. BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402 Rz. 23 f. m. w. N.
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Tarifrecht
gungen regelnden Tarifvertrags zu bewegen. Damit ist auch die Befugnis verbunden, die zum Streik aufgerufenen (noch) arbeitswilligen Arbeitnehmer anzusprechen und zu versuchen, sie auf diesem Wege für eine Streikteilnahme zu motivieren. Schließlich entscheide die Gewerkschaft im Rahmen ihrer Interessenwahrnehmung selbst über die Mittel, die als Bestandteil des Arbeitskampfs zum Einsatz kommen sollen. Insofern seien die hier in Rede stehenden Ansprachen gegenüber Arbeitnehmern typische, akzessorische und unmittelbar dem Streiksinn dienende Handlungen8. Nach Auffassung des BAG ergab die Abwägung dieser widerstreitenden Grundrechtspositionen, dass die Arbeitgeberin die Maßnahmen der Gewerkschaft hinzunehmen hatte. Aus Sicht des BAG sprach dafür nicht nur der Umstand, dass die Gewerkschaft die streikmobilisierenden Aktionen auf die Dauer der ihrerseits kurzzeitigen Streikmaßnahmen begrenzt hatte. Auch hatte sie nur den Eingangsbereich zum ohnehin gesondert zugangsgesicherten Betriebsgebäude genutzt, so dass lediglich eine zeitlich und örtlich beschränkte, situative Inanspruchnahme geringer Flächen des Firmenparkplatzes gegeben war. Dieser konnte auch weiterhin zu den typischen Zwecken genutzt werden, weil weiterhin ausreichende Parkmöglichkeiten vorhanden waren. Ein- und Ausfahrten waren nicht blockiert. Dies galt aus Sicht des BAG umso mehr, als die Gewerkschaft sonst keine realistische Möglichkeit gehabt hätte, Arbeitswillige mit dem Ziel einer Teilnahme am Arbeitskampf zu beeinflussen. Denn in der konkreten Situation des zur Entscheidung stehenden Falls war der Eingang zum Betrieb nur über den Parkplatz zugänglich. Angesichts der außerörtlichen Lage des Betriebs fuhr die Mehrzahl der Arbeitnehmer mit dem Pkw an. Dass auch grundsätzlich gesprächswillige Mitarbeiter bereit gewesen wären, ihre Zufahrt zum Gebäude an der Einfahrt zum Parkplatz zu unterbrechen, um aus dem Auto heraus mit Vertretern der Gewerkschaft zu sprechen, war aus Sicht des BAG unwahrscheinlich. Darin lag deshalb kein gleich geeignetes milderes Mittel. Unabhängig davon hätte eine solche Vorgehensweise der Gewerkschaft zu einer Blockade des Zugangs zum Firmengelände geführt. Anderweitige Möglichkeiten, in geeigneter Weise Einfluss auf die arbeitswilligen Arbeitnehmer zu nehmen, waren nach Auffassung des BAG nicht gegeben. Insbesondere sei es keine Alternative, Kurznachrichtendienste zu nutzen oder externe Räumlichkeiten anzumieten, um auf diese Weise einen kommunikativen Zugang zu den Mitarbeitern zu erhalten.
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BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402 Rz. 29.
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Streikbruchprämie als zulässiges Arbeitskampfmittel
Abschließend weist das BAG allerdings darauf hin, dass mit seinen Feststellungen nicht jegliche Streikmobilisierung auf dem Firmenparkplatz des Arbeitgebers gestattet sei. Dessen grundrechtlich geschützte Positionen stünden zeitlich, räumlich oder situativ entgrenzten Inanspruchnahmen von Flächen entgegen. Um solche handelte es sich in den hier in Rede stehenden Entscheidungen indes nicht. Dass die Gewerkschaft damit Betriebsmittel der Arbeitgeberin nutzte, um ihre Ziele zu erreichen, war hinzunehmen. Daher lag – so das BAG – auch kein Widerspruch seiner Feststellungen zum Verbot einer Nutzung des betrieblichen Intranets, soweit damit zur Beteiligung an einem Streik aufgerufen werden sollte. Denn in der diesbezüglichen Entscheidung vom 15.10.20139 hatte das BAG entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass die betriebsangehörigen Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft zur Wahrnehmung ihres Koalitionsrechts nicht auf die Nutzung der arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten Kommunikationsinfrastruktur angewiesen waren. Der Eingriff in die arbeitgeberseitige Rechtsposition war also nicht erforderlich, weil andere – mildere – Gestaltungsmittel zur Wahrnehmung des Streikrechts zur Verfügung standen10. Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass eine Beurteilung von Arbeitskampfmaßnahmen einzelfallbezogen Gegenstand einer Interessenabwägung ist, deren Ergebnis nicht mit letzter Sicherheit prognostiziert werden kann. Darauf müssen sich Arbeitgeber einstellen, wenn Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft in einen Arbeitskampf münden. (Ga)
2.
Streikbruchprämie als zulässiges Arbeitskampfmittel
Bereits an anderer Stelle hatten wir uns mit der Zulässigkeit einer Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Rahmen eines Tarifsozialplans befasst11. BAG und BVerfG hatten hier gleichermaßen einen unzulässigen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit, wie sie durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, abgelehnt12.
9 10 11 12
BAG v. 15.10.2013 – 1 ABR 31/12, NZA 2014, 319 Rz. 37. BAG v. 20.11.2018 – 1 AZR 189/17, NZA 2019, 402 Rz. 42. B. Gaul, AktuellAR 2019, 262 ff. BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, NZA 2019, 112 Rz. 4 ff.; BAG v. 27.1.2016 – 4 AZR 441/14 n. v. (Rz. 10); BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 796/13, NZA 2015, 1388 Rz. 25 ff.
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Tarifrecht
Auch wenn die darin liegende Bewertung mit Blick auf die tatsächliche Ausgangssituation entsprechender Tarifsozialpläne nicht überzeugt, ist es nur konsequent, dass das BAG seine Grundsätze zu den Voraussetzungen einer Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit auch auf arbeitgeberseitige Maßnahmen zur Einschränkung der Beeinträchtigungen durch einen Streik überträgt. Insofern hat es mit Urteil vom 14.8.201813 den Grundsatz aufgestellt, dass ein Arbeitgeber versuchen kann, zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer mit dem Versprechen einer finanziellen Leistung von der Teilnahme am Streik abzuhalten, um seinen Betrieb fortzuführen. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger bei der Beklagten, einem Einzelhandelsunternehmen, als Verkäufer in Vollzeit beschäftigt. In den Jahren 2015 und 2016 wurde der Betrieb, in dem er eingesetzt war, an mehreren Tagen bestreikt. Dazu hatte ver.di mit dem Ziel aufgerufen, einen Tarifvertrag zur Anerkennung regionaler Einzelhandelstarifverträge zu schließen. Vor Streikbeginn versprach der Arbeitgeber in einem betrieblichen Aushang allen Arbeitnehmern, die sich nicht am Streik beteiligten und ihrer regulären Tätigkeit nachgingen, die Zahlung einer Streikbruchprämie. Diese war zunächst pro Streiktag i. H. von 200 € (brutto) und in einem zweiten betrieblichen Aushang i. H. von 100 € (brutto) zugesagt worden (bei einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend anteilig). Der Kläger, der ein Bruttomonatseinkommen i. H. von 1.480 € bezog, ließ sich dadurch nicht vom Streik abhalten und legte die Arbeit an mehreren Tagen nieder. Gestützt auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz machte er insgesamt 1.200 € geltend, die ihm die Beklagte wegen seiner Teilnahme am Streik bzw. einer gleichzeitigen Verrichtung von Aufgaben als Mitglied des Betriebsrats nicht gezahlt hatte. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat das BAG die Klageabweisung bestätigt. Die Voraussetzungen, die der Arbeitgeber im Rahmen seiner Gesamtzusage für den Bezug der Prämie bestimmt hatte, waren durch den Kläger nicht erfüllt worden. Insofern kam es darauf an, ob sich der Zahlungsanspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder §§ 37 Abs. 2, 78 BetrVG ergeben würde. Voraussetzung für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist, dass der Arbeitgeber – so das BAG – durch ein eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung geschaffen hat. Liegen einer Leistung bestimmte Voraussetzungen zugrunde, müsse die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung ge-
13 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100 Rz. 24 ff., 31 ff.
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Streikbruchprämie als zulässiges Arbeitskampfmittel
messen am Zweck der Leistung sachlich gerechtfertigt sein. Dies sei der Fall, wenn die Differenzierungsgründe unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Leistung auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhten und nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder gesetzliche Verbote verstießen. Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist dann die Korrektur der arbeitgeberseitig bestimmten, gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung. Damit könne der Arbeitnehmer, der ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt wurde, die Leistung verlangen, von der er nach der Regelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidrigen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen gewesen sei, wenn es keine weiteren Voraussetzungen gebe oder etwaige weitere Voraussetzungen von ihm erfüllt wurden14. Ausgehend davon, dass die Beklagte bei dem Versprechen der Zahlung einer Streikbruchprämie eine abstrakt-generelle Zusage gemacht hatte, waren die Voraussetzungen einer Anwendbarkeit des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eröffnet. Entscheidend war damit, ob der Zweck der Prämie, Arbeitnehmer zu bewegen, sich nicht an dem von ver.di angekündigten Streik zu beteiligen, zulässig war. Problematisch war daran vor allem, dass Arbeitnehmer veranlasst werden sollten, von ihrem durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Recht auf Teilnahme an einer Arbeitskampfmaßnahme keinen Gebrauch zu machen. Aus Sicht des BAG war diese Zweckbestimmung zunächst einmal zulässig. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich berechtigt zu versuchen, durch Gegenmaßnahmen die Folgen einer streikbedingten Betriebsstörung zu begrenzen. Das Versprechen, eine finanzielle Zusatzleistung für den Fall einer unterbliebenen Teilnahme am Streik zu gewähren, stellt dabei eine Arbeitskampfmaßnahme dar. In Übereinstimmung mit den zur Zulässigkeit eines Streiks entwickelten Grundsätzen liegt darin auch eine (noch) zulässige Beeinträchtigung der positiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft, wenn das Kampfmittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfziels geeignet und erforderlich ist und bezogen auf das Kampfziel auch angemessen (proportional) eingesetzt wird. Dabei ist – so das BAG – nicht entscheidend, ob es sich um eine von einem Arbeitgeberverband getragene Abwehr- oder Verteidigungsaktion gegen einen auf den Abschluss eines Verbandstarifvertrags gerichteten Streik handelt oder um eine gegen die Erzwingung eines Hausta14 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100 Rz. 25; BAG v. 21.5.2014 – 4 AZR 50/13, NZA 2015, 115 Rz. 22 f.; BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547 Rz. 35.
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Tarifrecht
rifvertrags gerichtete Maßnahme eines nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers15. Vielmehr sei – so das BAG – in die notwendige Abwägung einzubeziehen, dass es gerade Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme sei, Druck zur Erreichung eines legitimen Ziels auszuüben. Unverhältnismäßig seien Arbeitskampfmittel daher erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen darstelle16. Von diesen Grundsätzen ausgehend war die hier gewährte Streikbruchprämie nach Auffassung des BAG statthaft. Denn die Prämie sei nicht von vornherein ungeeignet und auch nicht offensichtlich nicht erforderlich. Insbesondere seien Arbeitgeber, denen gegenüber Streikmaßnahmen durch die Gewerkschaft konkret in Aussicht gestellt worden seien, nicht gehalten, mit der Auslobung einer Streikbruchprämie zu warten, bis der Streik tatsächlich begonnen wurde. Eine Streikbruchprämie sei auch nicht unangemessen. Zum einen sei die Gewerkschaft einer solchen Arbeitgeberstrategie nicht wehrlos ausgesetzt. Vielmehr könne sie – für ihre Forderungen werbend – auf zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer einwirken und versuchen, sie trotz zugesagter Streikbruchprämie für eine Teilnahme am gewerkschaftlichen Streik zu gewinnen. Zum anderen könne sie ihre Kampftaktik auf eine Streikbruchprämienauslobung einstellen und eine gezielte Rotation der tatsächlich die Arbeit niederlegenden Arbeitnehmer organisieren, um die Selbstschädigung der Streikenden zu mildern und eine Abschöpfung der ausgelobten Prämien als Schädigung des Arbeitgebers zu bewirken. Unabhängig davon müsse berücksichtigt werden, dass die Auslobung einer Streikbruchprämie für den Arbeitgeber mit finanziellen Aufwendungen verbunden sei. Darüber hinaus bestehe das Risiko, aufgrund einer vereinbarten Maßregelungsklausel nach Abschluss eines Tarifvertrags die Prämienzahlungen auch streikenden Arbeitnehmern (nachträglich) gewähren zu müssen. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass das BAG auch die Höhe der Streikbruchprämie – und deren Verhältnis zum Verdienst der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer – billigt. Dabei geht es davon aus, dass die Höhe der Streikbruchprämie regelmäßig bereits kein geeignetes Kriterium für die Angemessenheitsprüfung des Arbeitskampfmittels sei. Hinzu komme, dass nicht unberücksichtigt bleiben könne, dass die gegen eine Streikbruchprämie mögliche Abwehrstrategie einer Ge15 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100 Rz. 29 ff., 33. 16 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100 Rz. 36; BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347 Rz. 44.
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Streikbruchprämie als zulässiges Arbeitskampfmittel
werkschaft umso wirkungsvoller erscheinen dürfte, je höher die Prämie im Verhältnis zum Verdienst ausfalle und sie – wie vorliegend – für jeden einzelnen Streiktag zugesagt werde. Darüber hinaus unterliege eine Streikbruchprämie einem ökonomisch-selbstregulierendem Effekt. Ein Arbeitgeber werde das Streikbruchprämienversprechen typischerweise nicht so ausgestalten, dass ihn die streikbedingten Sonderzahlungen finanziell stärker belasteten als ein Nachgeben gegenüber den Forderungen der streikführenden Gewerkschaft. Ungeachtet dessen bewirke auch eine gegenüber dem Entgeltanspruch der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer sehr hohe Streikbruchprämie nur einen Anreiz und keinen Zwang, nicht am gewerkschaftlichen Streik teilzunehmen. Diese Einschätzung des BAG ist bereits deshalb bemerkenswert, weil der Kläger einen Zahlungsanspruch annähernd in der Höhe seines Monatsgehalts nur für neun Tage geltend machte, an denen er nicht am Streik teilgenommen hatte. Obwohl damit sein Tagesverdienst durch die Streikbruchprämie um ein Mehrfaches überschritten wurde, stellte dies aus Sicht des BAG auch keinen unzulässigen Eingriff in seine Koalitionsfreiheit dar17. Ausdrücklich weist der 1. Senat des BAG in seinem Urteil vom 14.8.201818 darauf hin, dass auch die durch Art. 11 EMRK geschützte Versammlungsund Vereinigungsfreiheit und das damit verbundene Streikrecht durch die streitgegenständliche Streikbruchprämie nicht verletzt würden. Zwar habe der EGMR in seinem Urteil vom 2.7.200219 deutlich gemacht, dass eine beträchtliche Gehaltserhöhung, die Arbeitnehmern als Anreiz für die Beendigung der Anwendung der bisher geltenden Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis sowie das Systems kollektiven Verhandelns und gewerkschaftlicher Vertretung versprochen wird, als Verletzung von Art. 11 EMRK zu qualifizieren sei. Die in einer konkreten kampfweisen Auseinandersetzung versprochene Streikbruchprämie sei aber mit der Zusage eines höheren Entgelts bei einem Gewerkschaftsaustritt oder einem Verzicht auf wesentliche Gewerkschaftsrechte nicht vergleichbar. Denn die hier in Rede stehende Prämie bezwecke nicht, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, einer Gewerkschaft beizutreten oder eine solche zu gründen. Ebenso wenig ziele sie darauf ab, einen Streik zu verbieten oder den Einzelnen auf Dauer von der Teilnahme an einem Streik und damit der Ausübung seines Streikrechts abzuhalten. Hinzu komme, dass der finanzielle Vorteil der Prämie für nicht
17 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17, NZA 2019, 100 Rz. 42, 47. 18 BAG v. 14.8.2018 – 1 AZR 287/17; NZA 2019, 100 Rz. 52 f. 19 EGMR v. 2.7.2002 – 30668/96 u. a. n. v. – Wilson.
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Tarifrecht
streikende Arbeitnehmer von vornherein auf die Dauer des Streiks begrenzt war. Als konsequente Umsetzung der durchaus diskussionswürdigen Entscheidungen zur Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern in Tarifsozialplänen ist der hier in Rede stehenden Sichtweise des BAG zur Gewährung von Streikbruchprämien zuzustimmen. Sie eröffnen dem Arbeitgeber ein durchaus geeignetes Mittel, Betriebsablaufstörungen als Konsequenz eines angekündigten Streiks zu vermeiden oder in ihren Folgen jedenfalls einzuschränken. Es obliegt dann den Arbeitnehmern, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Vorteile und des sozialen Drucks, der durch streikende Arbeitnehmer und/oder die Gewerkschaft ausgelöst werden dürfte, ihre Entscheidung über eine Teilnahme am Arbeitskampf zu treffen. Da die Prämie an Gewerkschaftsmitglieder und nicht organisierte Arbeitnehmer gleichermaßen gezahlt wird, ist damit ein Druck oder gar Zwang, eine etwaige Gewerkschaftsmitgliedschaft zu beenden, nicht verbunden. (Ga)
3.
Inhalt und Rechtsfolgen des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG
Gemäß § 4 Abs. 3 TVG sind die von einem Tarifvertrag abweichenden Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zu Gunsten des Arbeitnehmers enthalten. Voraussetzung ist allerdings, dass der Tarifvertrag kraft Gesetzes auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommt. Damit ist eine beiderseitige Tarifgebundenheit oder eine allgemeinverbindliche Erklärung erforderlich. Außerdem muss das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen (§§ 3, 4 Abs. 1, 5 Abs. 4 TVG). Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns mit der Frage befasst, wie der insoweit erforderliche Günstigkeitsvergleich durchgeführt werden muss. Dabei ging es beispielsweise um die Festlegung der für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblichen Kündigungsfrist oder die Feststellung, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die im Arbeitsvertrag (ggf. mit der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag) vorgesehene Sonderzahlung oder die in einem Tarifvertrag, der kraft Gesetzes für das Arbeitsverhältnis verbindlich war, enthaltene Sonderzahlung besaß20.
20 Vgl. BAG v. 21.1.2015 – 4 AZR 797/13, ZTR 2015, 638; BAG v. 10.12.2014 – 4 AZR 503/12, BB 2015, 1850 Rz. 18 ff.
216
Inhalt und Rechtsfolgen des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG
Mit seinem Urteil vom 22.8.201821 hat das BAG seine dahingehende Rechtsprechung noch einmal bestätigt und in einem für die Betriebspraxis wichtigen Sachverhalt im Anschluss an einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB zur Anwendung gebracht. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger bereits 1991 bei einem Rechtsvorgänger eingestellt worden. Im Arbeitsvertrag war die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag enthalten, die wie folgt lautete: Für das Arbeitsverhältnis gelten die für das in Art. 3 des Einigungsvertrags genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrags für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost Telekom (TVAng. (Ost) bzw. TVArb. (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom in ihrer jeweils geltenden Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.
Zum 1.1.1995 wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zuge der Postreform auf die DTAG übergeleitet. Diese wendete auf das Arbeitsverhältnis die von ihr mit ver.di geschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung an. Am 25.6.2007 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers dann im Wege eines weiteren Betriebsübergangs auf die Beklagte über, die am selben Tag mit ver.di mehrere Tarifverträge schloss, unter anderem einen Manteltarifvertrag (MTV DTTS) und einen Tarifvertrag Erholungszeit (TV Erholungszeit DTTS). Im Abschnitt „Regelungen zur Arbeitszeit“ hatte § 16 im Manteltarifvertrag Deutsche Telekom AG i. d. F. vom 1.3.2004 (MTV DTAG) zur Arbeit an Vorfesttagen noch Folgendes bestimmt: (1) Als Arbeit an Vorfesttagen gilt die am 24.12. und am 31.12. sowie am Samstag vor Ostersonntag und Pfingstsonntag in der Zeit von 14:00 Uhr bis 24:00 Uhr geleistete Arbeit. (2) Am 24.12. und am 31.12. wird, soweit es die dienstlichen bzw. betrieblichen Verhältnisse zulassen, Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Monatsentgelts gewährt. (3) Kann die Arbeitsbefreiung nach Abs. 2 aus betrieblichen Gründen nicht erfolgen, wird dem Arbeitnehmer spätestens bis zum 30.6. des Folgejahres an einem anderen Arbeitstag ein zusammenhängender Zeitausgleich in Höhe der erbrachten Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Monatsentgelts gewährt.
21 BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 14 ff.
217
Tarifrecht
(4) Für Arbeitsleistungen am 24.12. und am 31.12. wird neben dem vorgenannten Zeitausgleich kein Zuschlag für Sonntagsarbeit oder Feiertagsarbeit gewährt. Soweit Mehrarbeit an diesen Tagen entsteht, wird lediglich der Mehrarbeitszuschlag gewährt.
Der von der DTAG mit ver.di geschlossene Tarifvertrag Erholungszeit i. d. F. vom 7.6.2006 (TV Erholungszeit DTAG) bestimmte unter anderem: § 1 Geltungsbereich Dieser Tarifvertrag gilt für die Arbeitnehmer, die bei der Deutschen Telekom AG beschäftigt sind und unter den Geltungsbereich des MTV fallen, soweit sie Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sind. Für Arbeitnehmer, die den Bereichen TI als Monteur (AtNr. 33249) und TK als Kundendienst Techniker, Service Monteur und Monteur (AtNr. 37323, 37328 und 37329) zugeordnet sind, finden die §§ 2 und 3 keine Anwendung. (…) § 2 Erholungszeit 1. Allgemeiner Zeitzuschlag Der Arbeitnehmer erhält eine angemessene Erholungszeit. Sie beträgt für eine Arbeitsstunde 4,19 Minuten. (…) 4. Zusammenfassung von Erholungszeiten zu Kurzpausen (1) Grundsätzlich sind Erholungszeiten nach den Abschnitten I und II zu 75 % zu Kurzpausen zusammenzufassen und im Dienstplan auszuweisen. Diese Kurzpausen beginnen und enden am Arbeitsplatz. Sie gelten nicht als Arbeitsunterbrechung im Sinne der bei der Deutschen Telekom AG geltenden Regelungen zur Arbeitsunterbrechung aufgrund einer Tätigkeit an einem Bildschirmgerät. (…)
Im Gegensatz dazu sind bei der Beklagten nach §§ 16, 20 Abs. 1 lit. c MTV DTTS die Vorfesttage 24.12 und 31.12. nicht arbeitsfrei oder zeitausgleichspflichtig. Die Beschäftigten erhalten lediglich für die an diesen Tagen ab 12:00 Uhr geleistete Arbeit einen Zuschlag i. H. von 50 % und für die ab 18:00 Uhr geleistete Arbeit einen Zuschlag i. H. von 100 % je Arbeitsstunde. Bereits durch einen Vorprozess hatte das BAG klargestellt, dass für das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund beiderseitiger (gesetzlicher) Tarifgebundenheit die Tarifverträge, die die Beklagte mit ver.di geschlossen hatte, unmittelbar und zwingend zur Anwendung kamen. Darüber hinaus fanden auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die für die
218
Inhalt und Rechtsfolgen des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG
DTAG geltenden Tarifverträge statisch mit dem Tarifstand 25.6.2007 Anwendung, soweit sie günstiger waren22. Damit konnten die kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme geltenden Regelungen der DTAG-Tarifverträge die kraft Gesetzes geltenden Tarifverträge der Beklagten nur verdrängen, wenn und soweit sie günstiger waren. Diese Günstigkeit der arbeitsvertraglichen Regelungen hat das BAG in seinem Urteil vom 22.8.201823 abgelehnt. Nach seinen Feststellungen kommt bei der Prüfung der Günstigkeit weder ein punktueller Vergleich von Einzelregelungen noch ein Gesamtvergleich in Betracht. Vielmehr sei ein Sachgruppenvergleich durchzuführen, bei dem die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen, die in einem inneren Zusammenhang stünden, verglichen würden. Maßgeblich seien bei dem anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich die abstrakten Regelungen und nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im Einzelfall. Sei objektiv nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die vom normativ geltenden Tarifvertrag abweichende Regelung im Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer günstiger sei, sei es, weil es sich um eine ambivalente, sei es, weil es sich um eine neutrale Regelung handelt, verbleibe es bei der zwingenden Geltung des kraft Gesetzes verbindlichen Tarifvertrags24. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass bei dem insoweit erforderlichen Vergleich die Dauer der Arbeitszeit und das dem Arbeitnehmer als Gegenleistung zustehende Entgelt als eine Sachgruppe zusammenzufassen sind. Sie stehen – so das BAG – als Teile der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten in einem engen, inneren sachlichen Zusammenhang, weil die Günstigkeit einer kürzeren oder längeren Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitsverhältnisses sich ebenso wenig isoliert beurteilen lasse wie das Arbeitsentgelt ohne Rücksicht auf die hierfür aufzuwendende Arbeitszeit25. Hiervon ausgehend stellt das BAG – abweichend von der Vorinstanz – fest, dass die Regelungen in § 16 MTV DTAG zur Arbeit an den Vorfesttagen 24.12. und 31.12. keine eigene Sachgruppe bildeten, sondern der Sachgruppe „Arbeitszeit und Arbeitsentgelt“ zuzuordnen seien. Dies folge nicht nur aus ihrer systematischen Einbindung in die „Regelungen zur Arbeitszeit“, 22 BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 27. 23 BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 14 ff. 24 BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 14; BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 28 ff. 25 BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 15; BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 587/13, NZA 2015, 1274 Rz. 35 ff.
219
Tarifrecht
sondern auch aus dem engen, inneren sachlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsentgelt. In gleicher Weise seien auch die Regelungen zur Gewährung einer Erholungszeit der Sachgruppe „Arbeitszeit und Arbeitsentgelt“ zuzuordnen. Insoweit sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Erholungszeit als einen „Zeitzuschlag“ verstanden hätten, der inhaltlich nichts anderes sei als eine bezahlte Pause. Voraussetzung dafür, dass die kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme geltenden Regelungen der DTAGTarifverträge an die Stelle der kraft Gesetzes verbindlichen DTTSTarifverträge der Beklagten treten können, war damit, dass sie in allen denkbaren Geltungsformen eine in Bezug auf Arbeitsentgelt und Arbeitszeit für den Kläger günstigere Regelung enthielten. Dies aber war nicht der Fall. Denn der Kläger musste nach den bei der Beklagten kraft Gesetzes verbindlichen Tarifverträgen länger arbeiten. Das Entgelt, das der Kläger nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LAG Berlin-Brandenburg26 im Streitzeitraum erhielt, lag in jedem Jahr erheblich über demjenigen, das er nach den Tarifregelungen der DTAG – Stand 24.6.2007 – erhalten hätte. Damit waren die DTAG-Tarifverträge, die kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung kommen sollten, gegenüber den kraft Gesetzes verbindlichen Tarifverträgen nicht günstiger, sondern lediglich als ambivalent zu qualifizieren. Sie konnten die kraft Gesetzes verbindlichen Tarifverträge der Beklagten gemäß § 4 Abs. 3 TVG nicht verdrängen27. Für die betriebliche Praxis hat dieser Grundsatz zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs in § 4 Abs. 3 TVG ganz erhebliche Bedeutung für die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs. Denn es passiert immer wieder, dass ein Arbeitsverhältnis im Anschluss an einen Übergang gemäß § 613 a Abs. 1 BGB in den Anwendungsbereich eines anderen Tarifvertrags fällt. Wenn dieser andere Tarifvertrag wegen der beiderseitigen Tarifbindung oder einer allgemeinverbindlichen Erklärung kraft Gesetzes für das Arbeitsverhältnis gilt, kann der bisherige Tarifvertrag, der – statisch oder dynamisch – gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich weiterhin für das Arbeitsverhältnis Geltung beansprucht, nur dann neben oder an die Stelle des kraft Gesetzes verbindlichen Tarifvertrags des Erwerbers treten, wenn die Günstigkeit des § 4 Abs. 3 TVG gewahrt ist. Ausgehend davon, dass insoweit ein Sachgruppenvergleich erforderlich ist, kann dies – bezogen auf die einzelnen Sachgruppen – zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Diese Rechtsfolge muss jedenfalls in abstrakt-genereller Weise unter Bezugnahme 26 LAG Berlin Brandenburg v. 31.8.2017 – 21 Sa 315/17 n. v. 27 BAG v. 22.8.2018 – 5 AZR 551/17, NZA 2019, 51 Rz. 22.
220
Inhalt und Rechtsfolgen des Günstigkeitsvergleichs gemäß § 4 Abs. 3 TVG
auf § 4 Abs. 3 TVG als Ausnahme von den allgemeinen Rechtsfolgen eines Eintritts in das Arbeitsverhältnis gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB in die Unterrichtungsschreiben nach § 613 a Abs. 5 BGB eingebracht werden. Dies ist in der Praxis vielfach nicht der Fall. (Ga)
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Gewährung einer pauschalierten Zulage für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit an Betriebsratsmitglieder
Bereits seit einigen Jahren setzt sich das BAG verstärkt mit der Frage auseinander, ob die den Betriebsratsmitgliedern gewährte Vergütung den gesetzlichen Vorgaben aus §§ 37, 78 S. 2 BetrVG entspricht oder ob darin eine unzulässige Begünstigung oder Benachteiligung liegt. Wir hatten auf diese Entscheidungen und die diesbezügliche Auseinandersetzung in der Literatur, die auch die strafrechtliche Bedeutung einer Missachtung der gesetzlichen Handlungsvorgaben erkennbar macht, schon mehrfach hingewiesen1. Gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ist einem Betriebsratsmitglied während der Zeit, in der eine erforderliche Betriebsratstätigkeit verrichtet wird, das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen, das es verdient hätte, wenn es gearbeitet hätte. Wie das BAG mit Urteil vom 29.8.20182 deutlich macht, gehören zu dem weiterzuzahlenden Arbeitsentgelt alle Vergütungsbestandteile, auch Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Nur Aufwendungsersatz gehört nicht zu den Leistungen, die ohne Rücksicht auf eine etwaige Freistellung nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen sind. Umgekehrt folgt aus § 78 S. 2 BetrVG, dass Vergütungsbestandteile, die das Betriebsratsmitglied nicht erhalten hätte, wenn es ohne Betriebsratstätigkeit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachgegangen wäre, nicht gewährt werden dürfen. Darin läge eine Begünstigung des Betriebsratsmitglieds, die auch ohne Begünstigungsabsicht nicht erfolgen darf. Folgerichtig liegt ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG vor, wenn Betriebsratsmitgliedern während der Mandatstätigkeit eine Vergütung zugesagt wird, die über das nach § 37 Abs. 2 bis 4 BetrVG geregelte Maß hinausgeht. Arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die gegen das Begünstigungs- oder Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig3. Entsprechendes gilt für Vereinbarungen, die im Wege des Vergleichs zur Beendigung einer gerichtlichen Auseinandersetzung getroffen werden. Auch der 1 2 3
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 155 ff., 449 ff. 2017, 554 ff., 576 2015, 59 ff. ders./Pitzer Bayreuther, DB 2019, 1207. BAG v. 29.8.2018 – 7 AZR 206/17, NZA 2019, 253 Rz. 30 zur Vergütung von Freigestellten Bayreuther Meissner, AiB 4/2019, 28. BAG v. 29.8.2018 – 7 AZR 206/17, NZA 2019, 253 Rz. – 7 AZR 590/16, NZA 2018, 1019 Rz. 16.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
gerichtliche Vergleich ist nicht in der Lage, die zwingenden Vorgaben zum Schutz des Ehrenamtsprinzips zu durchbrechen. In dem dem Urteil des BAG vom 29.8.20184 zugrunde liegenden Fall war der Kläger seit 2002 Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Freistellung im Jahre 2006 war er als „Ramp-Agent“ im Schichtdienst tätig und zuletzt in die Entgeltgruppe E 10 TVöD-F eingruppiert. Während seiner Freistellung zahlte die Beklagte neben der Tabellenvergütung monatlich eine Schichtzulage und eine „pauschalvariable Zulage“, die der Abgeltung von Zeitzuschlägen diente, welche Kläger erhalten hätte, wenn er nicht freigestellt wäre, sondern arbeiten würde. Im Juli 2011 wurde der Kläger in die Entgeltgruppe E 11 Stufe 5 TVöD-F eingruppiert. Die Höhergruppierung erfolgte, weil der Kläger sich ohne sein Betriebsratsamt beruflich auf eine Stelle als Aufgabenleiter Betrieb und Verfahren im strategischen Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste (BVD) entwickelt hätte, die nach der Entgeltgruppe E 11 TVöD-F zu vergüten war. In diesem Zusammenhang trafen die Parteien eine Vereinbarung, die auszugsweise wie folgt lautete: Der Beschäftigte ist nach den tariflichen Bestimmungen mit Wirkung vom 1.7.2011 in die Entgeltgruppe E 11 des TVöD eingruppiert. Er erhält in dieser Entgeltgruppe ein Tabellenentgelt der Stufe 5. Nach den zum 1.7.2011 gültigen Entgelttabellen resultiert hieraus ein Monatsgehalt i. H. von 3.976,20 € (brutto) ohne Zulagen. Gleichzeitig erhält der Beschäftigte eine pauschalvariable Zulage i. H. von 395,89 € (brutto) und eine Schichtzulage i. H. von 124,55 € (brutto) monatlich.
Bis einschließlich Oktober 2014 zahlte die Beklagte monatlich die pauschalvariable Zulage i. H. von zuletzt 411,90 € (brutto) und die Schichtzulage i. H. von 124,55 € (brutto). Ab dem 1.11.2014 stellte die Beklagte die Zahlung beider Zulagen ein, was sie damit begründete, dass in der Funktion der Aufgabenleiter weder Zeitzuschläge noch eine Schichtzulage anfiele, weil die bei ihr tätigen Aufgabenleiter ausschließlich in Gleitzeit eingesetzt würden. Die weitere Zahlung der entsprechenden Zulagen stellte deshalb aus ihrer Sicht eine unzulässige Begünstigung des Klägers wegen seiner Betriebsratstätigkeit dar. In Übereinstimmung mit der insoweit zutreffenden Argumentation der Beklagten hat das BAG die Entscheidung des LAG Hessen5 aufgehoben und die 4 5
BAG v. 29.8.2018 – 7 AZR 206/17, NZA 2019, 253. LAG Hessen v. 20.2.2017 – 7 Sa 513/16 n. v.
224
Zulage für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit an Betriebsratsmitglieder
Sache zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen. In der Begründung seiner Entscheidung hat es darauf hingewiesen, dass das LAG Hessen zwar zutreffend angenommen habe, dass auch die Zusage eines pauschalierten Monatsbetrags für die Fortzahlung von Zeit- oder Erschwerniszuschlägen an ein freigestelltes Betriebsratsmitglied zulässig sein könne. Würden im vollzogenen Arbeitsverhältnis Zuschläge für die Erschwernis der Arbeit zu ungünstigen Zeiten gewährt, etwa für Sonntagsarbeit, Nachtarbeit, Arbeit an Feiertagen oder Ähnliches, die nach § 37 Abs. 2 BetrVG zum fortzuzahlenden Entgelt zählten, stünden diese einem nach § 38 BetrVG vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied auch dann zu, wenn es aufgrund seiner Amtstätigkeit tatsächlich überhaupt keine Arbeitstätigkeiten und auch keine Tätigkeiten zu den zuschlagsrelevanten ungünstigen Zeiten geleistet habe6. Da die Zuschläge in diesem Fall hypothetisch zu berechnen seien und – so das BAG – bei einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied zur Ermittlung der hypothetischen Zuschlagshöhe ggf. eine Schätzung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 2 ZPO anhand der von vergleichbaren Arbeitnehmern geleisteten Tätigkeiten zu zuschlagsrelevanten Zeiten vorzunehmen sei, könne auch die Festlegung eines pauschalen Monatsbetrags im Einklang mit §§ 37 Abs. 2, 78 S. 2 BetrVG stehen, sofern die Pauschale im Wesentlichen dem Durchschnitt der tatsächlichen hypothetischen Zuschlagsansprüche entspreche, sich in der pauschalen Zahlung also keine versteckte zusätzliche Vergütung verberge. Der pauschalierte Betrag müsse sich zur Vermeidung einer unzulässigen Begünstigung an dem Umfang der üblicherweise erbrachten zuschlagspflichtigen Tätigkeiten orientieren und dürfe lediglich einer rechnerischen Erleichterung dienen7. Bezugspunkt für die Berechnung der entsprechenden Zuschläge ist grundsätzlich die Tätigkeit, an deren Ausübung das Betriebsratsmitglied als Folge der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben gehindert ist. In der Regel handelt es sich dabei um die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Arbeitgeber gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG zu einer Anpassung der Vergütung an das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung verpflichtet ist. In diesem Fall bestimmt sich nämlich nicht nur das Grundgehalt nach Maßgabe der Vergütung, die vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung erhalten. Das Betriebsratsmitglied ist insgesamt in
6 7
BAG v. 29.8.2018 – 7 AZR 206/17, NZA 2019, 253 Rz. – 7 AZR 477/93, NZA 1995, 588 Rz. 16 ff. BAG v. 29.8.2018 – 7 AZR 206/17, NZA 2019, 253 Rz. – 5 AZR 11/17, NZA 2018, 528 Rz. Richardi/Thüsing, BetrVG § 37 Rz. 35.
225
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Bezug auf die Höhe und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts so zu behandeln wie Arbeitnehmer, die eine betriebsübliche Entwicklung mitgemacht haben. Hiervon ausgehend durfte dem Kläger im Anschluss an die Anpassung seiner Vergütung an das Arbeitsentgelt der im Betrieb der Beklagten tätigen Aufgabenleiter keine Schichtzulage und auch keine pauschalierte Zulage für etwaige Zeitzuschläge mehr gewährt werden. Denn solche Zuschläge wurden auch an Aufgabenleiter, die in Gleitzeit eingesetzt waren, nicht gezahlt. Da ein Betriebsratsmitglied gemäß § 37 Abs. 2, 4 BetrVG nur einen Anspruch auf die Vergütung hat, die – auch unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen beruflichen Entwicklung – ohne die Verrichtung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben durch den Arbeitgeber gezahlt worden wäre, durfte seit dem 1.7.2011 nur noch ein Monatsgehalt entsprechend der Entgeltgruppe E 11 Stufe 5 TVöD-F gezahlt werden. Dabei soll unterstellt werden, dass auch die Eingruppierung in die Stufe 5 der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der betriebsüblichen Entwicklung gleichermaßen entsprochen hat. Dass die Arbeitsvertragsparteien 2012 eine weitergehende Vereinbarung über die Gewährung der streitgegenständlichen Zuschläge getroffen hatten, spielte keine Rolle. Die diesbezügliche Vereinbarung war gemäß § 134 BGB nichtig, weil sie im Widerspruch zum Begünstigungsverbot in § 78 S. 2 BetrVG stand. Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass es aus dem Gesichtspunkt der arbeitsrechtlichen Compliance heraus notwendig ist, die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern regelmäßig zu überprüfen. Andernfalls besteht nicht nur die Gefahr, dass Leistungen ohne Rechtsgrund gewährt werden und damit gegen das gesetzliche Begünstigungsverbot verstoßen wird. Vielmehr besteht auch die Gefahr einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, die bei einem entsprechenden (Organisations-)Verschulden auch Ausgleichsansprüche des Arbeitgebers gegenüber Organmitgliedern oder Führungskräften zur Folge haben kann. Hinzu kommt, dass entsprechende Zahlungen steuerlich nicht als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, so dass auch auf dieser Ebene Nachzahlungspflichten und Steuerstraftatbestände in Rede stehen können. Ob und inwieweit der Arbeitgeber gehalten ist, Betriebsratsmitglieder aufzufordern, Überzahlungen der Vergangenheit zurückzuzahlen, ist umstritten. Während das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 17.4.20198 zuletzt eine 8
LAG Düsseldorf v. 17.4.2019 – 7 Sa 1065/18 n. v.
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Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
Rückforderung im Anwendungsbereich von § 817 BGB abgelehnt hat, hatte das BAG in seinem Urteil vom 8.11.20179 einen Rückforderungsanspruch anerkannt und eine Anwendbarkeit des § 817 S. 2 BGB zu Gunsten des betroffenen Betriebsratsmitglieds abgelehnt. Da die fehlende Inanspruchnahme von Forderungen zu Gunsten des Arbeitgebers den Vorwurf strafrechtlich relevanter Untreue verwirklichen kann, muss diese Frage einzelfallbezogen geklärt werden, bevor eine abschließende Entscheidung durch die unternehmensseitigen Verantwortlichen getroffen wird. Andernfalls besteht die Gefahr, dass auch diese Entscheidung erneut unter dem Gesichtspunkt der Compliance den Vorwurf nicht regelgerechten Verhaltens begründet. (Ga)
2.
Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
Gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG hat das Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, einen Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen dabei auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren. Ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten. In seinem Urteil vom 26.9.201810 hat der 7. Senat des BAG deutlich gemacht, dass dieser Freizeitausgleichsanspruch nur in dem zeitlichen Umfang besteht, in dem das Betriebsratsmitglied außerhalb der Arbeitszeit Betriebsratstätigkeiten wahrgenommen hat. Der Kläger in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war bei dem beklagten Verein, einem Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes, als Rettungssanitäter beschäftigt und nicht freigestelltes Mitglied des Betriebsrats. Unter Berücksichtigung eines einjährigen Ausgleichszeitraums war er verpflichtet, im Wochendurchschnitt 38,5 Stunden zu arbeiten. Soweit er während seiner Arbeitszeit an achtstündigen Betriebsratssitzungen teilgenommen hatte, gewährte der Arbeitgeber hierfür im Rahmen des Arbeitszeitkontos eine Gutschrift von zwölf Stunden. Nach Auffassung des Arbeitgebers war im Anschluss an die Betriebsratssitzung ein sinnvoller Einsatz für die restliche Zeit – etwa in Teilschichten – nicht möglich. Als der Kläger 9 BAG v. 8.11.2017 – 5 AZR 11/17, NZA 2018, 528 Rz. 34 ff. 10 BAG v. 26.9.2018 – 7 AZR 829/16, NZA 2019, 259 Rz. 14 ff.
227
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
auch außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an entsprechenden Betriebsratssitzungen teilgenommen hatte, machte er geltend, dass auch insoweit eine Zeitgutschrift von zwölf Stunden erfolgen müsse. Andernfalls werde er benachteiligt gegenüber den Betriebsratsmitgliedern, die an der gleichen Sitzung während ihrer individuellen Arbeitszeit teilgenommen hätten. Im Übrigen müsse man berücksichtigen, dass eine Betriebsratstätigkeit von acht Stunden der im Rettungsdienst durch Zeiten der Arbeitsbereitschaft ausgedehnten zwölf-Stunden-Arbeitsschicht entspräche. Denn während der Betriebsratstätigkeit falle keine Arbeitsbereitschaft an. Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung des LAG BadenWürttemberg11 bestätigt und einen Anspruch auf eine Zeitgutschrift i. H. von 64 Stunden für 16 Tage, an denen der Kläger in den Jahren 2014 und 2015 an Betriebsratssitzungen außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit teilgenommen hatte, abgelehnt. Ein Arbeitszeitkonto halte – so das BAG – fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht habe oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands (z. B. § 37 Abs. 2 BetrVG) nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. im welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und bereits gezahlte Vergütung erbringen muss. Ein Anspruch auf eine nachträgliche Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto setze deshalb voraus, dass der Arbeitnehmer Arbeitsstunden erbracht habe oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen müsse und diese bisher nicht vergütet und nicht in das Arbeitszeitkonto eingestellt worden seien12. Diese Grundsätze fänden gleichermaßen bei Angaben Anwendung, die ein durch Befreiung von der Arbeitspflicht auszugleichendes Zeitguthaben auswiesen. Auch hinsichtlich dieser Daten habe der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos und könnte bei fehlerhaften Angaben eine Berichtigung verlangen13. In Bezug auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt hat das BAG allerdings einen Anspruch auf eine entsprechende Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung aus § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG abgelehnt. § 37 Abs. 3 S. 1 BGB verpflichtet den Arbeitgeber nicht, dem Kläger Arbeitsbefreiung im Umfang von jeweils weiteren vier Stunden zu gewähren. Vielmehr bestehe der An11 LAG Baden-Württemberg v. 25.10.2016 – 19 Sa 26/16 n. v. 12 BAG v. 26.9.2018 – 7 AZR 829/16, NZA 2019, 259 Rz. AZR 224/15, NZA 2017, 791 Rz. 20. 13 BAG v. 26.9.2018 – 7 AZR 829/16, NZA 2019, 259 Rz. AZR 774/10, NZA 2012, 1112 Rz. 20.
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18.1.2017 – 7
–7
Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit
spruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts wegen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit erbrachter Betriebsratstätigkeit nur in dem zeitlichen Umfang, in dem das Betriebsratsmitglied außerhalb der Arbeitszeit tatsächlich Betriebsratstätigkeiten wahrgenommen habe14. Diese Betrachtungsweise folge nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern entspreche auch dem mit § 37 Abs. 3 BetrVG verfolgten Regelungszweck. Denn bei den Ansprüchen aus § 37 Abs. 3 BetrVG handele es sich im Ergebnis um ein zeitlich verschobenes Arbeitsentgelt für eine sonst in der persönlichen Arbeitszeit anfallende Betriebsratstätigkeit, die nur infolge eines dem Arbeitgeber zuzurechnenden Umstands in die Freizeit verlegt worden sei. Im Übrigen bestehe nach der Gesamtkonzeption des BetrVG jedenfalls grundsätzlich kein Entgeltanspruch für die von Betriebsratsmitgliedern erbrachten Freizeitopfer. Dies folge insbesondere aus dem in § 37 Abs. 1 BetrVG normierten Ehrenamtsprinzip, den Regelungen in § 37 Abs. 2, 3 BetrVG sowie dem in § 78 S. 2 BetrVG geregelten Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot. Mit diesem Ehrenamtsprinzip sei es insbesondere nicht vereinbar, dass Betriebsratsmitglieder durch ihre Betriebsratstätigkeit zusätzliche Vergütungsansprüche erwerben würden15. Zu Recht hat es das BAG auch abgelehnt, in dem Ausschluss eines entsprechenden Zeitguthabens eine Missachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu sehen. Richtig war zwar, dass die Betriebsratsmitglieder, die an der achtstündigen Sitzung während ihrer Arbeitszeit teilnahmen, auch ohne weitere Arbeit eine ergänzende Zeitgutschrift in Höhe von vier Stunden erhalten hatten. Mit dieser Gutschrift hatte der Arbeitgeber allerdings seiner Zahlungspflicht aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs aus §§ 611 a Abs. 2, 615, 293 ff. BGB Rechnung getragen. Denn auch ohne Inanspruchnahme der Arbeitsleistung war er für diese Zeiten zur Zahlung verpflichtet, was im Rahmen eines Arbeitszeitkontos eine entsprechende Zeitgutschrift auslöste. Diese Zahlungspflicht aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs heraus war in Bezug auf den Kläger, der außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an der Betriebsratssitzung teilgenommen hatte, nicht gegeben. Insofern bestand ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Betriebsratsmitglieder. Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Wichtig ist in der betrieblichen Praxis, die Besonderheiten für etwaige Zeitgutschrif-
14 BAG v. 26.9.2018 – 7 AZR 829/16, NZA 2019, 259 Rz. 19 Richardi/Thüsing, BetrVG § 37 Rz. 55. 15 BAG v. 26.9.2018 – 7 AZR 829/16, NZA 2019, 259 Rz. – 7 AZR 728/08 Rz. 27 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ten als Folge einer Betriebsratstätigkeit vor allem bei der Führung von Arbeitszeitkonten zu berücksichtigen. Denn immer dann, wenn Gutschriften erfolgen, die über das Bestehen entsprechender Zahlungsansprüche aus § 37 Abs. 2 bis 4 BetrVG hinausgehen, besteht die Gefahr einer Begünstigung nach § 78 S. 2 BetrVG. Dies gilt insbesondere dann, wenn jede Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben unterschiedslos als Plusstunde in Form eines etwaigen Zeitguthabens erfasst wird. Soweit entsprechende Tätigkeiten während der persönlichen Arbeitszeit verrichtet werden und erforderlich waren, bestehen zwar keine Bedenken. Unzulässig wäre eine entsprechende Zeitgutschrift allerdings dann, wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne eine betriebliche Notwendigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit verrichtet würden. Denn in diesem Fall wäre gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG kein Anspruch auf eine entsprechende Arbeitsbefreiung gegeben, was auch einer Zeitgutschrift entgegenstünde. Darauf hatte das BAG bereits in seinen Urteilen vom 28.9.201616 und 27.7.201617 hingewiesen18. (Ga)
3.
Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Erstattung von Reisekosten
Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Dazu gehören auch die Kosten, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Neben den eigentlichen Seminargebühren hat der Arbeitgeber insoweit auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds zu tragen19. In seinem Beschluss vom 24.10.201820 weist das BAG noch einmal darauf hin, dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung nach § 40 Abs. 1 BetrVG unter dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit stehe. Der Betriebsrat sei daher verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er für angemessen halten dürfe. Er habe darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kos16 17 18 19
BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 248/14, NZA 2017, 335 Rz. 33 ff. BAG v. 27.7.2016 – 7 AZR 255/14, NZA 2016, 1418 Rz. 16 ff. Vgl. Boewer, AktuellAR 2017, 249 ff. BAG v. 24.10.2018 – 7 ABR 23/17, NZA 2019, 407 Rz. ABR 26/13, NZA 2015, 1141 Rz. 15. 20 BAG v. 24.10.2018 – 7 ABR 23/17, NZA 2019, 407 Rz. 12 ff.
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Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Erstattung von Reisekosten
ten auf das notwendige Maß zu beschränken. Diese Pflicht gelte auch für das einzelne Betriebsratsmitglied21. Daraus folge, dass das Betriebsratsmitglied für Reisen zu Schulungsveranstaltungen grundsätzlich das kostengünstigste zumutbare Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen habe. Dabei sei das Betriebsratsmitglied grundsätzlich nicht verpflichtet, seinen privaten Pkw einzusetzen. Entschließe es sich aber, bei einer von mehreren Betriebsratsmitgliedern durchzuführenden Reise seinen privaten Pkw zu nutzen, sei es für ihn und für die anderen Betriebsratsmitglieder nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich zumutbar, eine Fahrgemeinschaft zu bilden. Dies gelte nur dann nicht, wenn die Bildung einer Fahrgemeinschaft aufgrund besonderer, vom Betriebsratsmitglied darzulegender Umstände im Einzelfall als nicht zumutbar erscheine, z. B. wenn die begründete Besorgnis bestehe, dass der Mitfahrende sich dadurch in eine besondere Gefahr begebe22. Daran hält das BAG ausdrücklich trotz der zum Teil im Schrifttum geäußerten Kritik23 fest, was überzeugt24. Nach der weiteren sehr ausführlichen Begründung des BAG kann der Gefahr einer Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Obliegenheit, die Gründe darlegen zu müssen, die aus Sicht des Betriebsratsmitglieds eine Fahrgemeinschaft mit einem Kollegen als unzumutbar erscheinen lassen, dadurch Rechnung getragen werden, dass die Anforderungen an die Darlegung konkreter Gründe nicht überspannt werden. Dass die Bildung von Fahrgemeinschaften zur Folge hat, dass sich das Betriebsratsmitglied den allgemeinen Unfall-, Verletzungs- und Haftungsrisiken des Straßenverkehrs aussetzt, führe ebenfalls nicht zur Unzumutbarkeit. Diesen Risiken setze sich ein Betriebsratsmitglied bereits dadurch aus, dass es sich aufgrund eigenen Willensentschlusses für die Fahrt mit dem Pkw entscheidet. Im Übrigen sei das Betriebsratsmitglied gegen diese Risiken versichert. Wenn keine anderen besonderen Anhaltspunkte gegeben seien, könne auch davon ausgegangen werden, dass bei dem Vorliegen einer Hauptuntersuchung und keinen äußeren Anzeichen für eine Fahruntauglichkeit weder durch das Fremd-Kfz noch durch den Fremdfahrer besondere (unzumutbare) Risiken geschaffen würden.
21 So bereits BAG v. 27.5.2015 – 7 ABR 26/13, NZA 2015, 1141 Rz. 15 f. 22 BAG v. 24.10.2018 – 7 ABR 23/17, NZA 2019, 407 Rz. – 7 ABR 10/92 n. v. (Rz. 26). 23 So DKKW/Wedde, BetrVG § 40 Rz. 68. 24 Ebenso Stege/Weinspach/Schiefer, BetrVG § 40 Rz. Däubler Künzl, ZfA 1993, 341, 364 bei Geltung einer entsprechenden betrieblichen Reisekostenregelung Fitting, BetrVG § 40 Rz. !Kreft, BetrVG § 40 Rz. 25.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Wichtig allerdings ist, dass insoweit eine Gleichbehandlung der Betriebsratsmitglieder mit anderen Arbeitnehmern erfolgt, die an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen außerhalb des Betriebs teilnehmen. Wenn Betriebsratsmitglieder aus dem Gesichtspunkt der vertrauensvollen Zusammenarbeit heraus zur Kostenminderung verpflichtet sein sollen, Fahrgemeinschaften zu bilden, muss Gleiches auch für Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs gelten, falls diese mit privatem Pkw reisen. Andernfalls läge eine Benachteiligung der Betriebsratsmitglieder vor, die mit § 78 S. 2 BetrVG nicht vereinbar wäre. Darüber hinaus müssen die den Betriebsratsmitgliedern zur Verfügung stehenden Pkw auch geeignet sein, die in Rede stehende Personenzahl nebst Gepäck in zumutbarer Weise zu transportieren. Dies hatte das BAG im streitgegenständlichen Fall angenommen. Die Entscheidung des BAG macht noch einmal deutlich, wie hilfreich es ist, die Abwicklung von Reisekosten eines Betriebsrats nach Maßgabe einer allgemeinen Reisekostenrichtlinie abzuwickeln. Zum einen gewährleistet dies, dass keine unzulässige Begünstigung oder Benachteiligung der Betriebsratsmitglieder stattfindet. Zum anderen schafft die Anwendbarkeit einer Reisekostenrichtlinie Transparenz und erlaubt es beiden Betriebsparteien, in einer vorbestimmten und nach Art und Umfang festgelegten Weise Reisekosten zur Abrechnung zu bringen. Missverständnisse, die in ungeregelten Bereichen eintreten können, werden vermieden. Damit sinkt auch die Gefahr, dass die unzulässige Erstattung nicht erforderlicher Aufwendungen als Begünstigung i. S. des § 78 S. 2 BetrVG qualifiziert und dies den Verantwortlichen – ggf. als Organisationsverschulden – zur Last gelegt wird. (Ga)
4.
Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über Verhandlungspflichten der Betriebsparteien
Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. In anderen Angelegenheiten kommt die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung nur in Betracht, wenn dies zwischen den Parteien vereinbart wird25. In seinem Beschluss vom 23.10.201826 hat das BAG klargestellt, dass eine Betriebsvereinbarung, die ausschließlich bestimmte Verhandlungspflichten 25 Vgl. BAG v. 28.4.1998 – 1 ABR 43/97, NZA 1998, 1348 Rz. BetrVG § 77 Rz. 44. 26 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 10/17, NZA 2019, 186 Rz. 16 ff.
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B. Gaul,
Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über Verhandlungspflichten der Betriebsparteien
der Betriebsparteien mit dem Ziel ihrer zeitnahen Einigung über einen der zwingenden Mitbestimmung unterliegenden Gegenstand festlegt, eine freiwillige Angelegenheit darstellt. Sie wirkt deshalb auch nicht gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG kraft Gesetzes nach. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit dem Gesamtbetriebsrat eine „Übergangsvereinbarung erfolgsbezogene variable Vergütungsbestandteile“ (GBV) abgeschlossen. Gegenstand der GBV waren Übergangsregelungen für den Fall, dass die Grundlagen der leistungsbezogenen variablen Vergütung, die im Unternehmen jeweils geschäftsjahresbezogen auf der Grundlage von Vergütungsplänen und PlanRahmenbedingungen ermittelt und ausgezahlt wurden, für ein Geschäftsjahr erst nach Geschäftsjahresbeginn zwischen dem Arbeitgeber und dem Gesamtbetriebsrat vereinbart werden können und hierzu in einer bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung keine entsprechenden Regelungen getroffen waren. Im Mitteilpunkt standen deshalb Regelungen zur gemeinsamen Entwicklung der Vergütungspläne durch einen Vorschlag des Arbeitgebers, eine Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats und anschließende Verhandlungen. Wenn nach Beginn des Bezugszeitraums auf dieser Grundlage keine Einigung erfolgt sein sollte, verpflichtete sich der Arbeitgeber im Rahmen der Gesamtbetriebsvereinbarung, monatliche Abschlagszahlungen zu leisten. Jeder Betriebspartei sollte es in dieser Zeit unbenommen bleiben, parallel oder ersatzweise die Einigungsstelle anzurufen. Die GBV trat mit Unterzeichnung in Kraft und galt für das Geschäftsjahr 2015 sowie die nachfolgenden Geschäftsjahre. Beide Parteien waren berechtigt, sie zu jedem Geschäftsjahresende unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen. Ergänzend war vereinbart worden: Eine Nachwirkung wird nicht ausgeschlossen.
Der Arbeitgeber kündigte die GBV fristgerecht mit Wirkung zum 30.4.2015. Zu diesem Zeitpunkt endete das Geschäftsjahr. Die Zahlung der Abschlagszahlungen wurde sodann auch zum 30.4.2015 eingestellt. Mit dem hier in Rede stehenden Verfahren machte der Betriebsrat geltend, dass die GBV über den 30.4.2015 hinaus nachwirkte, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt würde. Nach seiner Auffassung regelte die GBV eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit und wirkte deshalb gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Jedenfalls sei durch die vorstehend wiedergegebenen Regelungen eine Nachwirkung vereinbart worden. Das BAG ist dieser Sichtweise nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung betraf die GBV keinen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG. Sie betraf ausschließlich prozedurale Bestim233
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
mungen, die das Verfahren zur Ausübung der Mitbestimmung des Betriebsrats bei den variablen Vergütungsbestandteilen flankierten. Zwar wurden mit den wechselseitigen Verpflichtungen, die die Verhandlungen über die Vergütungsregelungen zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres begleiten sollten, auch Ansprüche der Arbeitnehmer auf Abschlagszahlungen verknüpft. Im Innenverhältnis der Betriebsparteien lag darin ein sanktionsähnlicher Inhalt. Eine Regelung für den Inhalt der Vergütungspläne und PlanRahmenbedingungen war damit allerdings nicht verbunden. Die eigentliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit blieb damit ungeregelt. Mit überzeugender Begründung ist das BAG daran anschließend davon ausgegangen, dass sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG nicht auf verfahrensrechtliche Regelungen, mit denen eine zügige Einigung der Betriebsparteien über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung sichergestellt werden soll, beziehe. Wenn die Parteien – auch in Form einer Betriebsvereinbarung – Regelungen träfen, die zum Ziel hätten, Verzögerungen von Verhandlungen über einen mitbestimmungspflichtigen Gegenstand zu vermeiden, handele es sich um eine freiwillige Angelegenheit i. S. des § 88 BetrVG. Damit aber ist auch eine Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG ausgeschlossen27. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Betriebsparteien eine Nachwirkung der freiwilligen Betriebsvereinbarung vereinbart hätten. Eine darauf bezogene Regelung enthielt die GBV allerdings nicht. Denn die Feststellung, dass eine Nachwirkung nicht ausgeschlossen werde, geht bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen ins Leere, weil Vereinbarungen dieser Art ohnehin keine Nachwirkung besitzen28. Über den hier in Rede stehenden Gegenstand hinaus haben entsprechende Betriebsvereinbarungen über Verhandlungspflichten der Betriebsparteien in der betrieblichen Praxis durchaus eine nicht unerhebliche Bedeutung. Lediglich beispielhaft sei auf Regelungen einer Rahmen-IT-Betriebsvereinbarung oder eines Rahmen-Interessenausgleichs verwiesen. Solche Vereinbarungen enthalten typischerweise keine konkrete und abschließende Festlegung, wie mit einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit zu verfahren ist. Vielmehr treffen die Betriebsparteien grundsätzliche Handlungspflichten, deren Schwerpunkt in der Regel in der Feststellung liegt, wie die weitere Beteiligung des Betriebsrats bei einer konkreten Betriebsänderung oder der Einführung/Anwendung einer bestimmen Software in zeitlicher und inhaltlicher Sicht abgewickelt werden soll. Dies kann durchaus hilfreich sein, zumal 27 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 10/17, NZA 2019, 186 Rz. 20 f. 28 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 10/17, NZA 2019, 186 Rz. 25 ff.
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Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch Regelungsabrede
man in entsprechenden Vereinbarungen Regelungen zu Arbeitsgruppen, zur Termingestaltung, zu Bearbeitungsfristen und zu etwaigen Eskalationsszenarien treffen kann. Darüber hinaus ist es möglich, gemeinsam festzulegen, wie die wechselseitige Information der Betriebsparteien erfolgen soll. Beispielsweise könnte festgelegt werden, dass wechselseitige Informationsbedürfnisse durch das Einstellen von Daten in einem Datenraum bzw. auf einem Server erfüllt werden, der für alle Beteiligten zugänglich ist. Wird erkennbar, dass die darin liegenden Verfahrens- oder Verhandlungspflichten nicht praktikabel sind und scheitern Verhandlungen über ihre Anpassung, können entsprechende Vereinbarungen auf der Grundlage der hier in Rede stehenden Entscheidung des BAG vom 23.10.201829 ohne Nachwirkung gekündigt werden. (Ga)
5.
Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch Regelungsabrede
Eine Betriebsvereinbarung kann nicht nur durch Kündigung enden. Ihre Beendigung kann auch durch Zeitablauf (Befristung) bzw. Zweckerfüllung oder -verfehlung (auflösende Bedingung) herbeigeführt werden30. Einvernehmen besteht auch darüber, dass eine Betriebsvereinbarung durch einen Aufhebungsvertrag der Betriebsparteien beendet werden kann. Allerdings ist umstritten, ob hierfür – wie bei der Kündigung – die Schriftform gewahrt werden muss31. In Übereinstimmung mit seiner Forderung nach einer Schriftform des Aufhebungsvertrags lehnt das BAG auch die Ablösung oder Aufhebung einer Betriebsvereinbarung durch eine (formlose) Regelungsabrede ab32. Dies gilt nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 23.10.201833 jedenfalls dann, wenn sich die Betriebsvereinbarung noch im ungekündigten Zustand befindet. In dieser Zeit könne die Regelungsabrede die Betriebsvereinbarung als höherrangiges Recht nicht ablösen. Auch wenn diese Sichtweise des BAG das Argument der Rechtsklarheit für sich hat, erscheint es nicht zwingend. Dies folgt bereits aus dem Umstand,
29 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 10/17, NZA 2019, 186. 30 BAG v. 14.12.1966 – 4 AZR 18/65, DB 1967, 1181 Rz. 13. 31 So DKKW/Berg, BetrVG § 77 Rz. Fitting, BetrVG § 77 Rz. # A. HWK/B. Gaul, BetrVG § 77 Rz. Schaub $% 20.11.1990 – 1 AZR 643/89, NZA 1991, 426 Rz. 45 f. 32 So BAG v. 27.6.1985 – 6 AZR 392/81, NZA 1986, 401 Rz. 28. 33 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 26/17, NZA 2019, 483 Rz. 28.
235
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
dass auch eine Kündigung mündlich erklärt werden kann. Wenn sich aber die Betriebsparteien im Anschluss an eine mündliche Kündigung im Wege der Regelungsabrede auf eine neue Abwicklung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit verständigen können, muss es auch möglich sein, dies unmittelbar im Rahmen einer Regelungsabrede, die neben einer Beendigung der Betriebsvereinbarung auch die Neuregelung beinhaltet, zu tun. Da eine Neuregelung nicht zwingend normativen Charakter haben muss, steht der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ einer solchen Ablösung nicht entgegen34. Da das BAG seine vorstehend wiedergegebene Rechtsauffassung offenkundig nicht verändern will, ist es in der Praxis zu empfehlen, bei einer Kündigung oder der einvernehmlichen Beendigung einer Betriebsvereinbarung die gesetzliche Schriftform (§ 126 BGB) einzuhalten. Soweit mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten in Rede stehen, ist es wichtig, im Anschluss daran eine erneute Einigung mit dem Betriebsrat zu finden. Diese Einigung kann in Form einer Betriebsvereinbarung oder einer Regelungsabrede getroffen werden. Wichtig allerding ist, dass – so das BAG – die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers durch den Betriebsrat grundsätzlich nicht auf den Abschluss einer – wie auch immer gearteten – formfreien Regelungsabrede schließen lässt. Die Vereinbarung einer Regelungsabrede setzt nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 23.10.201835 zumindest eine auf die Zustimmung zu der Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung durch den Betriebsratsvorsitzenden gegenüber dem Arbeitgeber voraus36. Fehlt es daran, kann der Betriebsrat eine Unterlassung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers verlangen. Duldung ist eben auch im Betriebsverfassungsrecht keine Zustimmung. (Ga)
6.
Entgelttransparenz: Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung von Entgeltlisten
Das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (EntgTranspG) vom 30.6.201737, das gemäß Art. 3 dieses Gesetzes am 6.7.2017 in Kraft getreten ist, hat sich in § 1 zum Ziel gesetzt, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwerti-
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A. A. BAG v. 20.11.1990 – 1 AZR 643/89, NZA 1991, 426 Rz. 43. BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 26/17, NZA 2019, 483 Rz. 29. Ebenso bereits BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 75/12, NZA 2014, 984 Rz. 33. BGBl. I 2017, 2152.
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Entgelttransparenz: Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung von Entgeltlisten
ger Arbeit durchzusetzen. Damit trägt das EntgTranspG nicht nur dem in Art. 3 GG verankerten Gebot des gleichen Entgelts für Männer und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit Rechnung, sondern entspricht auch Art. 157 Abs. 1 AEUV i. V. mit Art. 23 GRC, wonach unionsrechtlich jeder Mitgliedstaat gehalten ist, die Anwendung des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Die Förderung der Entgelttransparenz soll darauf hinwirken, unmittelbare und mittelbare, verdeckte Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts erkennen und beseitigen zu können38. In diesem Zusammenhang werden die Aufgaben und Rechte der betrieblichen Interessenvertretungen in Bezug auf die Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern konkretisiert und gestärkt. Zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots im Sinne des EntgTranspG stellt der Gesetzgeber in Betrieben eines Arbeitgebers mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten (§ 12 EntgTranspG) in § 10 den Beschäftigten einen individuellen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 bis 16 EntgTranspG zu dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt nach § 5 Abs. 1 EntgTranspG und bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen zur Verfügung, wenn die Vergleichstätigkeit von mindestens sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird (§ 12 Abs. 3 S. 2 EntgTranspG). Besteht im Betrieb des Arbeitgebers ein Betriebsrat, so nimmt dieser nach § 13 Abs. 1 S. 2 EntgTranspG die in § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 2 EntgTranspG verfahrenstechnisch näher geregelten Auskunftsverpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern wahr, soweit der Arbeitgeber die Auskunftsverpflichtung nicht generell oder in bestimmten Fällen an sich gezogen (§ 14 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG) oder vom Betriebsrat zugewiesen bekommen hat (§ 14 Abs. 1 S. 4 EntgTranspG). Angesichts dessen wenden sich die Beschäftigten für das in Textform (§ 126 b BGB) zu stellende (§ 10 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG) Auskunftsverlangen nach § 10 EntgTranspG regelmäßig an ihren Betriebsrat. In § 13 EntgTranspG werden die Aufgaben und Rechte des Betriebsrats und speziell des Betriebsausschusses im Rahmen des Auskunftsanspruchs der Beschäftigten nach § 10 EntgTranspG geregelt, wenn der Betriebsrat die Auskunftsverpflichtung wahrnimmt. § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG sieht vor, auf welcher Datengrundlage der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG) oder ein nach § 28 Abs. 1 S. 3 BetrVG beauftragter Ausschuss die Antwort auf das Auskunftsersuchen der Beschäftigten zu erstellen hat und wie er an die
38 BT-Drucks. 18/11133 S. 1, 3, 17.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
erforderlichen Informationen gelangt. Dazu bestimmt § 13 Abs. 2 S. 2 EntgTranspG, dass der Betriebsausschuss nach § 27 BetrVG oder ein nach § 28 Abs. 1 S. 3 BetrVG beauftragter Ausschuss für die Erfüllung seiner Aufgaben nach § 13 Abs. 1 EntgTranspG das Recht hat, die in § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG genannten Listen über die Bruttolöhne und -gehälter einzusehen und auszuwerten39. Nach § 13 Abs. 3 EntgTranspG hat der Arbeitgeber dem Betriebsausschuss Einblick in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter der Beschäftigten zu gewähren und diese aufzuschlüsseln. Dabei müssen die nach Geschlecht aufgezeigten Entgeltlisten alle Entgeltbestandteile enthalten, einschließlich übertariflicher Zulagen und solcher Zahlungen, die individuell ausgehandelt und gezahlt werden. Der Arbeitgeber hat die Entgeltlisten so aufzubereiten, dass der Betriebsausschuss im Rahmen seines Einblicksrechts die Auskunft ordnungsgemäß erfüllen kann. In der Regierungsbegründung40 heißt es dazu: Die S. 1 und 2 normieren damit die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG, mit der die Pflichten des Arbeitgebers im Hinblick auf die Ausgestaltung und die Qualität der Entgeltlisten konkretisiert wurden41. In der Rechtsprechung des BAG ist zudem bereits entschieden, dass bei unzureichenden Entgeltlisten die Pflicht des Arbeitgebers zu weitergehenden Auskünften aus § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG folgt42. Eine Überlassung der Entgeltlisten in physischer Form an den Betriebsausschuss ist nicht verlangt. Der Betriebsausschuss muss jedoch Einblick erhalten und sich Notizen machen können43. Andernfalls kann dieser seine gesetzliche Aufgabe nicht erfüllen. Daher verlangt S. 3, dass die Entgeltlisten vom Arbeitgeber so aufbereitet werden, dass der Betriebsausschuss im Rahmen seines Einblicksrechts die Auskunft ordnungsgemäß erteilen kann. Der Betriebsausschuss muss insbesondere das erfragte Vergleichsentgelt nach § 11 Abs. 2 EntgTranspG auf Basis der aufbereiteten Entgeltlisten tatsächlich ermitteln 39 Ausf. zur Verarbeitung personenbezogener Entgeltdaten vgl. Maschmann, BB 2019, 628. 40 BT-Drucks. 18/11133 S. 63. 41 BAG v. 10.2.1987 – 1 ABR 43/84, NZA 1987, 385 zum Anspruch des Betriebsrates auf Einblick in die vollständige Liste aller Bruttolöhne und -gehälter einschließlich al% &$'%()#*)%% BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 54/12, NZA 2014, 738: keine entgegenstehenden datenschutzrechtlichen Belange. 42 BAG v. 30.9.2008 – 1 ABR 54/07, NZA 2009, 502 Rz. 27. 43 BAG v. 3.12.1981 – 6 ABR 8/80, DB 1982, 653 Rz. 15.6.1976 – 1 ABR 116/74, DB 1976, 1773 Rz. 18.
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Entgelttransparenz: Anspruch des Betriebsrats auf Überlassung von Entgeltlisten
können. Dazu benötigt er insbesondere eine auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete und nach Gehaltshöhe sortierte Auflistung, mit der er den Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalts, ggf. unter Zuhilfenahme elektronischer Hilfsmittel, berechnen kann.
Zum Umfang der Informationspflicht des Arbeitgebers nach § 13 Abs. 2 EntgTranspG Stellung zu nehmen, war erstmalig das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 23.10.201844 aufgerufen. Betriebsrat und Arbeitgeber stritten darüber, ob dem Betriebsausschuss für die nach § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG vorzunehmende Auswertung Entgeltlisten in gedruckter Papierform zu übergeben oder in elektronischer Form zugänglich zu machen waren. Das LAG Düsseldorf hat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz auch auf der Grundlage von § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG im Zusammenspiel mit § 80 Abs. 1 Nr. 2 a, Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 BetrVG eine Pflicht des Arbeitgebers verneint, dem Betriebsausschuss Entgeltlisten in elektronischer bzw. gedruckter Form überlassen zu müssen. Zu diesem Ergebnis gelangt das LAG Düsseldorf zunächst mit dem Hinweis, dass das EntgTranspG an keiner Stelle seinem Wortlaut nach dem Betriebsrat bzw. dem Betriebsausschuss einen Überlassungsanspruch von Entgeltlisten einräumt, sondern vielmehr auf die Spezialregelung des § 80 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 BetrVG verweist, wonach der Betriebsausschuss berechtigt ist, in die Entgeltlisten „Einblick zu nehmen“45. Damit sei gerade keine Einräumung einer dauerhaften physischen Verfügungsgewalt über die Entgeltlisten verbunden. Auch das dem Betriebsausschuss nach § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG neben dem Einsichtsrecht gewährte Recht zur Auswertung der Entgeltlisten könne keinen Überlassungsanspruch begründen, weil der Gesichtspunkt der Auswertung dem Einblicksrecht bereits immanent sei, da sich dieses nicht auf einen reinen Selbstzweck beschränke. Mit dem Hinweis auf die Auswertung verbindet der Gesetzgeber nach Ansicht des LAG Düsseldorf keine über das Einsichtsrecht hinausgehenden Aufgaben, sondern stellt lediglich klar, zu welchem Zweck dem Betriebsausschuss die Entgeltlisten vorzulegen sind. Schließlich beruft sich das LAG Düsseldorf zutreffend auf die Gesetzesbegründung, in der es ausdrücklich heißt, dass eine Überlassung der Entgeltlis-
44 LAG Düsseldorf v. 23.10.2018 – 8 TaBV 42/18, ZTR 2019, 188, anhängig beim BAG unter dem Az. 1 ABR 6/19. 45 Vgl. dazu näher BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 54/12, NZA 2014, 738 Rz. 18 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ten in physischer Form an den Betriebsausschuss gerade nicht verlangt ist46, so dass es bei der Anwendung von § 80 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 BetrVG bleibt. Insgesamt gesehen ist der Beschluss des LAG Düsseldorf überzeugend begründet, unabhängig davon, dass noch das BAG in der Sache das letzte Wort haben wird. (Boe)
7.
Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle von Fremdpersonal
Gemäß § 89 Abs. 1 BetrVG hat sich der Betriebsrat dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen. Damit korrespondierend werden der Arbeitgeber und die vorstehend genannten Stellen durch § 89 Abs. 2 BetrVG verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen sowie bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen. Daran anknüpfend kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber auch verlangen, über Arbeitsunfälle unterrichtet zu werden, die Beschäftigte eines anderen Unternehmens im Zusammenhang mit der Nutzung der betrieblichen Infrastruktur des Arbeitgebers erleiden. Darauf hat das BAG mit Beschluss vom 12.3.201947 hingewiesen. In dem der vorstehend genannten Entscheidung zugrunde liegenden Beschlussverfahren ging es um einen Arbeitgeber, der Zustelldienste erbrachte. Auf seinem Betriebsgelände waren im Rahmen von Werkverträgen auch Arbeitnehmer anderer Unternehmen tätig. Nachdem sich zwei dieser Beschäftigten bei der Beladung von Palletten infolge wegrutschender Überladebleche verletzten, hatte der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Vorlage von Kopien der Unfallanzeigen erbeten. Darüber hinaus verlangte er, künftig über entsprechende Arbeitsunfälle des Fremdpersonals informiert zu werden. Außerdem forderte er, ihm jeweils die Unfallanzeigen zur Gegenzeichnung vorzulegen und in Kopie auszuhändigen.
46 BT-Drucks. 18/11133 S. 63. 47 BAG v. 12.3.2019 – 1 ABR 48/17 n. v.
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Aufhebung einer Personalmaßnahme ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats
Nach Auffassung des BAG begründet § 89 Abs. 2 BetrVG nicht nur ein umfangreiches Beteiligungsrecht des Betriebsrats. Damit korrespondiert auch ein entsprechender Auskunftsanspruch des Betriebsrats, der ihn in die Lage versetzt, dieser betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabe nachzukommen. Grundlage hierfür ist § 80 Abs. 2 BetrVG. Danach ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz rechtzeitig und umfasauf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, und umfasst insbesondere den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen. Ergänzend hierzu sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. In Übereinstimmung mit dem BAG wird man davon ausgehen müssen, dass entsprechende Auskünfte nicht allein in Bezug auf Leiharbeitnehmer geltend gemacht werden können. Hier ist ohnehin eine umfassende Zuständigkeit des Betriebsrats des Einsatzbetriebs für Fragen des Arbeitsschutzes aus §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 87 Abs. 1 Nr. 7, 89 BetrVG anzuerkennen. Der Auskunftsanspruch des Betriebsrats erfasst auch Personen, die weder beim Arbeitgeber angestellt noch im Betrieb als Leiharbeitnehmer zum Einsatz kommen. Denn aus den Arbeitsunfällen des Fremdpersonals können – so das BAG – arbeitsschutzrelevante Erkenntnisse für die betriebszugehörigen Arbeitnehmer, für die der Betriebsrat zuständig ist, gewonnen werden. Im Zweifel folgt dies auch aus der Verpflichtung zu überprüfen, ob der Arbeitgeber seine Pflicht zur Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen beim Einsatz von Fremdpersonal (vgl. nur § 13 BetrSichV) erfüllt (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 2 BetrVG). Da der Arbeitgeber frei darüber entscheiden kann, wie er den Informationsanspruch des Betriebsrats erfüllt, gibt es keine Verpflichtung, Unfallanzeigen vorzulegen. Darüber hinaus besteht keine Verpflichtung, den Betriebsrat um eine Gegenzeichnung solcher Anzeigen zu bitten. (Ga)
8.
Aufhebung einer Personalmaßnahme ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats
Wenn der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme i. S. des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführt oder eine vorläufige personelle Maßnahme entgegen § 100 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 BetrVG aufrechterhält, kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben. Eine solche Ver241
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
pflichtung zur Aufhebung der Personalmaßnahme besteht lediglich dann nicht, wenn die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG als erteilt gilt, weil der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Zustimmungsverweigerung nicht fristgerecht und/oder nicht unter Angabe beachtlicher Gründe i. S. des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG erklärt hat48. Voraussetzung für den Eintritt der gesetzlichen Zustimmungsfiktion ist freilich eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG durch den Arbeitgeber. Nur dann kann überhaupt die Frist für eine Verweigerung der Zustimmung in Lauf gesetzt werden49. Die Unterrichtung des Betriebsrats muss gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch vor der tatsächlichen Einstellung bzw. Versetzung erfolgen. Der Gesetzgeber spricht deshalb auch von einer „geplanten“ Personalmaßnahme. Insofern ist es – wie das BAG im Beschluss vom 21.11.201850 deutlich macht – grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine abschließende und endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder eine solche noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann. Eine erst nach Aufnahme der tatsächlichen Beschäftigung im Betrieb erfolgte Unterrichtung des Betriebsrats ist deshalb – so das BAG – nicht fristgerecht und damit nicht ordnungsgemäß i. S. des § 99 Abs. 1 BetrVG. Sie kann den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG im Hinblick auf die bereits vollzogene Einstellung nicht bewirken. Diese Voraussetzungen waren in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall gegeben. Denn der Arbeitgeber hatte Herrn M. zum 1.10.2015 in einem Betrieb als „Branch Manager“ eingestellt. Da er Herrn M. für einen leitenden Angestellten i. S. des § 5 Abs. 3 BetrVG hielt, hatte er den Betriebsrat zuvor lediglich nach § 105 BetrVG über die Einstellung unterrichtet, nicht aber dessen Zustimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG eingeholt. Der Betriebsrat begehrte deshalb gemäß § 101 BetrVG die Aufhebung der Einstellung des Arbeitnehmers, der – was während des Beschlussverfahrens in einem Parallelverfahren rechtskräftig festgestellt wurde – tatsächlich nicht als leitender Angestellter qualifiziert werden konnte. Dass der Arbeitgeber nach der bereits erfolgten Einstellung eine vorsorgliche Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 BetrVG vorgenommen und den Betriebsrat nachträglich um Zustim-
48 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. + !Kania, BetrVG § 101 Rz. 3. 49 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. 16 13.5.2014 – 1 ABR 9/12, NZA-RR 2015, 23 Rz. 18. 50 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. 18.
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Aufhebung einer Personalmaßnahme ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats
mung gebeten hatte, hielt der Betriebsrat für unbeachtlich. Der Arbeitgeber hätte die Einstellung zuvor aufheben müssen, was nicht erfolgt war. Der 7. Senat des BAG hat dieser Sichtweise des Betriebsrats im Beschluss vom 21.11.201851 Recht gegeben. Zwar könne der Arbeitgeber, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung in beachtlicher Weise verweigere, jederzeit ein erneutes Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG einleiten und – wenn die Zustimmung wiederum verweigert wird – ein Beschlussverfahren gerichtet auf die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG einleiten. Die entsprechenden Verfahren hätten jedoch trotz des gleichen Rechtsschutzziels prozessual unterschiedliche Gegenstände52. In der betrieblichen Praxis ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber eine ohne Beteiligung des Betriebsrats und damit betriebsverfassungswidrig durchgeführte Einstellung oder Versetzung nach diesen Grundsätzen des BAG nicht heilen und deren Aufhebung nach § 101 BetrVG dadurch verhindern kann, dass er hinsichtlich dieser bereits erfolgten Personalmaßnahme nur das Beteiligungsverfahren nachholt, ohne die Personalmaßnahme zuvor aufzuheben und ggf. ein neues Verfahren nach § 99 Abs. 1 BetrVG einzuleiten. Darauf weist das BAG im Beschluss vom 21.11.201853 ausdrücklich hin. Halte der Arbeitgeber eine ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführte Einstellung aufrecht, bleibe diese auch dann betriebsverfassungswidrig, wenn er den Betriebsrat nachträglich um Zustimmung zu dieser bereits vorgenommenen Einstellung ersuche und der Betriebsrat seine Zustimmung hierauf nicht erteile. Erst wenn der Arbeitgeber die Personalmaßnahme aufhebt und im Anschluss daran ein neues Mitbestimmungsverfahren einleitet, erledigt sich nicht nur das die ursprüngliche Maßnahme betreffende Verfahren nach § 101 BetrVG. Vielmehr wird neu über die Berechtigung der Personalmaßnahme entschieden und – wenn keine Gründe für die Zustimmungsverweigerung vorliegen – die fehlende Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzt. Das setzt wiederum voraus, dass im Anschluss an die Aufhebung der Personalmaßnahme eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats in Verbindung mit einem Antrag auf Zustimmung zu der Personalmaßnahme gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG erfolgt ist. Ausdrücklich weist das BAG in seinem Beschluss vom 21.11.201854 darauf hin, dass die Notwendigkeit einer Aufhebung der Personalmaßnahme nicht 51 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. 13 ff. 52 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. ABR 1/05, NZA 2006, 1178 Rz. 26. 53 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. 22. 54 BAG v. 21.11.2018 – 7 ABR 16/17, NZA 2019, 711 Rz. 24.
–1
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
besteht, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat vor dem tatsächlichen Vollzug zwar unterrichtet hat, sich aber nachträglich Fehler dieser Unterrichtung herausstellen. Die Aufhebung der Personalmaßnahme ist also nur notwendig, wenn gar keine Unterrichtung vor dem Vollzug der Personalmaßnahme erfolgt ist. Hat der Betriebsrat im Anschluss an eine unvollständige Unterrichtung seine Zustimmung zu einer personellen Maßnahme verweigert, kann der Arbeitgeber (weiterhin) auch noch im Zustimmungsersetzungsverfahren die fehlenden Informationen nachholen, sofern für den Betriebsrat erkennbar ist, dass er die Informationen auch deswegen vervollständigt, weil er seiner ggf. noch nicht vollständig erfüllten Unterrichtungspflicht aus § 99 Abs. 1 S. 1, 2 BetrVG nachkommen möchte55. Hiervon ausgehend ist es wichtig, jedenfalls nach besten Kräften zu versuchen, den Betriebsrat vor der Durchführung einer personellen Einzelmaßnahme gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß zu unterrichten. Etwaige Fehler, die gleichwohl gemacht werden, können dann unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Ziel einer nachträglichen Vervollständigung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG im Rahmen des Beschlussverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG beseitigt und der Betriebsrat erneut um Zustimmung gebeten werden. Eine weiterhin verweigerte Zustimmung ist dann aber nur relevant, wenn sie im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens form- und fristgerecht gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG erklärt wird. (Ga)
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Twitter-Account des Arbeitgebers
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat hinsichtlich der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, ein über den Spruch der Einigungsstelle erzwingbares (§ 87 Abs. 2 BetrVG) Mitbestimmungsrecht. Der Regelungszweck des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist darauf angelegt, Arbeitnehmer vor einer Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts mittels Einsatzes technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt oder unverhältnismäßig sind56. Begründungsansatz bildet dabei die Erwägung, dass durch die auf technischem Wege erfolgte Ermittlung und Auf-
55 Ebenso BAG v. 21.3.2018 – 7 ABR 38/16, NZA 2018, 1090 Rz. – 7 ABR 25/09, NZA 2011, 1304 Rz. 45. 56 Vgl. nur BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 21 BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 Rz. 17 m. w. N.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei Twitter-Account des Arbeitgebers
zeichnung von Informationen der Arbeitnehmer zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht wird, der er sich regelmäßig nicht entziehen kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer technisierten Ermittlung von Verhaltens- und Leistungsdaten das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gegenüber einer Überwachung durch den Menschen eine ungleich größere Beeinträchtigung erfährt57. In der Routenplaner-Entscheidung vom 10.12.201358 hat der 1. Senat des BAG den Begriff der „Überwachung“ in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dahin umschrieben, dass es sich bei der „Überwachung“ im Sinne der genannten Vorschrift um einen Vorgang handelt, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können59. Die Überwachung muss aber durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Dazu muss diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar, d. h. wenigstens in ihrem Kern die Überwachung vornehmen, indem sie das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer kontrolliert. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG setzt daher voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge verarbeitet60. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt61.
Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen i. S. von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bereits dann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen der Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf eine subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an62. In der Facebook-Entscheidung vom 13.12.201663 hat der 1. Senat des BAG im Hinblick auf die Freischaltung der Funktion „Besucher-Beiträge“ auf ei57 58 59 60 61 62 63
BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 27 m. w. N. BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20. BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556 Rz. 27. BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. 17 ff. BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 24/92 n. v. (Rz. 29 ff.). BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 22 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ner vom Arbeitgeber betriebenen Facebook-Seite, die es registrierten Nutzern erlaubte, Besucher-Beiträge einzustellen (posten), die von allen Besuchern der Seite eingesehen werden konnten, die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bejaht, weil dadurch eine Überwachung des Verhaltens und der Leistung der vom Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer durch eine technische Einrichtung ermöglicht wird. Mit dieser Aussage hat der 1. Senat des BAG die begriffliche Kennzeichnung der Überwachung mittels einer technischen Einrichtung nicht nur auf die Datenerhebung, sondern gleichermaßen auf die bloße Datenauswertung mittels dieser Einrichtung bezogen64. Der 1. Senat des BAG hat bereits am 14.9.198465 entschieden, dass eine datenverarbeitende Anlage auch dann eine zur Überwachung von Leistung oder Verhalten der Arbeitnehmer bestimmte technische Einrichtung i. S. von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sein könne, wenn die leistungs- oder verhaltensbezogenen Daten nicht auf technischem Wege durch die Einrichtung selbst gewonnen werden, sondern dem System zum Zwecke der Speicherung und Verarbeitung eingegeben werden müssen. Daher genügte es dem BAG66 für die Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn die Informationen durch die Nutzer der Facebook-Seite aufgrund der dort vorhandenen Funktion „Besucher-Beiträge“ eingegeben und mittels der von Facebook eingesetzten Software einer dauerhaften Speicherung und zeitlich unbegrenzter Zugriffsmöglichkeit zugeführt werden. Denn diese erlaubt Facebook-Nutzern, Postings zum Verhalten und zur Leistung der bei dem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer, die namentlich oder situationsbedingt einem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet werden können, einzustellen. Angesichts dessen hat das BAG auf entsprechenden Antrag des Betriebsrats die Arbeitgeberin verpflichtet, es zu unterlassen, die Nutzung der Funktion „Besucher-Beiträge“ auf ihrer Facebook-Seite zu ermöglichen, solange nicht die Zustimmung des Konzernbetriebsrats oder ein die Zustimmung ersetzender Beschluss der Einigungsstelle vorliegt. Nunmehr hat auch das Informationsnetzwerk und die Social Media Plattform Twitter die Frage ausgelöst, inwieweit eine Arbeitgeberin, die auf der Internetplattform Twitter einen Account mit einer Internetseite unterhält, bezüglich der Funktion „Antwort“ ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslöst. Damit war das LAG Hamburg in ei-
64 So bereits BAG v. 23.4.1985 – 1 ABR 39/81, NZA 1985, 669 Rz. 36 f. m. w. N. 65 BAG v. 14.9.1984 – 1 ABR 23/82, NZA 1985, 28 Rz. 63 ff. 66 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 41.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei Twitter-Account des Arbeitgebers
ner Entscheidung vom 13.9.201867 befasst. Der Fall betraf eine Arbeitgeberin, die in insgesamt 30 Betriebsstätten Lichtspieltheater betrieb und auf der Internetplattform Twitter einen Account unterhielt, der für alle Kinobetriebe genutzt wurde. Die Administration der Internetseite erfolgte durch eigene Mitarbeiter in der Hamburger Zentralverwaltung. Über Twitter konnten angemeldete Nutzer Kurznachrichten (Tweets) mit max. 140 Zeichen68 verbreiten, die allen Personen (Followern) angezeigt wurden, die diesem Nutzer folgten. Antworten von angemeldeten Twitter-Nutzern auf Tweets der Arbeitgeberin waren auf ihrem Account sichtbar. Unstreitig konnte die Arbeitgeberin derartige Antworten nicht verhindern oder löschen, weil die Funktionen „Antwort“, „Retweet“ und „Erwähnung“ nicht deaktiviert werden konnten. Der Gesamtbetriebsrat vertrat die Auffassung, dass die Nutzung der Twitter-Seite durch die Arbeitgeberin der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliege, weil die Funktionen „Antwort“ und „Retweet“ eine Überwachung des Verhaltens und der Leistung der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer erlaubten und nahm die Arbeitgeberin auf Unterlassung in Anspruch, bei der Internetplattform Twitter die Veröffentlichung der Seite aufrechtzuerhalten, solange nicht die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats oder eine die Zustimmung ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle vorliegt. Das LAG Hamburg hat dem Unterlassungsantrag69 des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG entsprochen. Dabei hat es sich im Wesentlichen von der Facebook-Entscheidung des BAG70 leiten lassen, weil die Arbeitgeberin mit den bei ihr vorhandenen EDV-Einrichtungen eine von Twitter Inc. bereitgestellte webbasierte Software durch die Öffnung eines entsprechenden Twitter-Accounts als technische Einrichtung nutzte, die es durch die Antworten der Twitter-Nutzer ermöglichte, Informationen zur Leistung ihrer Mitarbeiter zu erhalten. Die Arbeitgeberin sei auch je nach dem Inhalt der Antworten in der Lage, diese namentlich oder situationsbedingt einem bestimmten Arbeitnehmer zuzuordnen, womit die Voraussetzungen von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfüllt seien. Dabei betont das LAG Hamburg in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG71, dass es bei den Tweets der 67 LAG Hamburg v. 13.9.2018 – 2 TaBV 5/18, NZA-RR 2018, 655. Vgl. dazu Klumpp, DB 2019, 133. 68 Derzeit 280 Zeichen. 69 Vgl. zum allgemeinen Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG: BAG v. 20.2.2018 – 1 ABR 53/16, NZA 2018, 954 Rz. 18 BAG v. 30.6.2015 – 1 ABR 71/13 n. v. (Rz. 16). 70 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 41. 71 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Arbeitgeberin nicht darauf ankommt, von den Nutzern Reaktionen auf ein Verhalten ihrer Mitarbeiter zu erhalten, weil die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers für die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht relevant ist. Deshalb spielt es für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach Auffassung des LAG Hamburg auch keine Rolle, ob die Arbeitgeberin von einer Auswertung der Antworten der Nutzer unter dem Gesichtspunkt der Verhaltens- oder Leistungskontrolle absieht. Das Verbot einer derartigen Auswertung kann Gegenstand des Spruchs der Einigungsstelle sein. Das in diesem Zusammenhang zusätzlich vom LAG Hamburg herangezogene Argument, die Funktion „Antwort“ ließe sich bei Twitter nicht löschen, hat keine entscheidende Bedeutung für die Eignung einer Technologie als Überwachungsinstrument, weil es vor allem auf das Vorhandensein dieser Funktion ankommt. Es ist zu berücksichtigen, dass die Kontrolle des Verhaltens der Arbeitnehmer mittels einer technischen Einrichtung von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht verboten, sondern der Mitbestimmung des Betriebsrats unterworfen wird. Deshalb wäre es eine Frage, die von der Einigungsstelle gelöst werden kann, ob die Löschung einer bestimmten Funktion einer technischen Einrichtung ausreichend wäre, um ihre Überwachungsfunktion zu neutralisieren. Ebenso wenig ist im Gegensatz zur Auffassung des LAG Hamburg72 für die Anwendung von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG entscheidungserheblich, dass möglicherweise der Überwachungsdruck für die Arbeitnehmer dadurch steigt, dass die Nachrichten der Twitter-Nutzer auch der Öffentlichkeit zugänglich sind. Das Vorhandensein und Ausmaß eines Überwachungsdrucks stellt kein Tatbestandsmerkmal von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar, das geprüft werden müsste. Vielmehr unterstellt der Gesetzgeber, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer mittels einer technischen Einrichtung ungleich stärker ausfällt als die durch eine Person vorgenommene Kontrolle des Arbeitnehmers. Gegen die Entscheidung des LAG Hamburg ist Rechtsbeschwerde beim BAG73 eingelegt. Aufgrund der Facebook-Entscheidung des BAG sowie des Beschlusses des LAG Hamburg74 ist bei einer Verwendung von Twitter – möglicherweise für den direkten Kundendialog oder für Unternehmensinformationen – in der betrieblichen Praxis die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu bedenken, weil der Betriebsrat ohne seine Beteiligung mit Unterlassungsansprüchen gegen die Nutzung durch 72 LAG Hamburg v. 13.9.2018 – 2 TaBV 5/18, NZA-RR 2018, 655 Rz. 72. 73 Az.: 1 ABR 40/18. 74 LAG Hamburg v. 13.9.2018 – 2 TaBV 5/18, NZA-RR 2018, 655.
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Mitbestimmung des Konzernbetriebsrats bei Mitarbeiterbefragung
den Arbeitgeber vorgehen kann, soweit Verhaltens- und Leistungskontrollen bestimmter oder bestimmbarer Arbeitnehmer ermöglicht werden. (Boe)
10. Mitbestimmung des Konzernbetriebsrats bei Mitarbeiterbefragung In seinem Beschluss vom 11.12.201875 hat das BAG noch einmal bestätigt, dass der Konzernbetriebsrat gemäß § 58 Abs. 1 BetrVG zuständig ist, wenn eine Konzernobergesellschaft – im vorliegenden Fall jährlich – eine konzernweite Mitarbeiterbefragung auf der Grundlage eines einheitlich standardisierten Fragebogens in elektronischer Form durchführt, wenn und soweit dadurch ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand ausgelöst wird76. Wichtiger sind allerdings seine Feststellungen in Bezug auf die Voraussetzungen einer Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Denn das BAG hat darin noch einmal sein weitgehendes Verständnis für die Kennzeichnung einer technischen Einrichtung i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestätigt, wie es in der Facebook-Entscheidung vom 13.12.201677 entwickelt wurde. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Arbeitgeberin – ein Logistik- und Postunternehmen – als Konzernobergesellschaft seit 2007 einmal jährlich alle Mitarbeiter der konzernangehörigen Unternehmen zu mehreren Themen befragt. Mit der Durchführung dieser Mitarbeiterbefragung war ein Drittunternehmen beauftragt. Das hierfür verwandte IT-System „Employee Opinion Survey“ (EOS) wurde auf der Grundlage der mit dem Konzernbetriebsrat geschlossenen Konzernbetriebsvereinbarung „Informationstechnologie des Konzerns D-AG“ (KBV IT) eingeführt. Im Rahmen eines Informationsdokuments, dem der Konzernbetriebsrat nach Maßgabe der KBV IT zugestimmt hatte, war sehr ausführlich die IT-relevante Vorgehensweise bei der Datenerhebung und der Auswertung, sowohl bei der elektronischen Befragung (Online Survey), als auch bei der Papier- und Bleistift-Befragung dargestellt. Hierzu gehörten unter anderem die Ziele und Aufgaben des ITSystems, der Grundsatz einer freiwilligen Teilnahme der Mitarbeiter, die softwareergonomische Beurteilung, das IT-Konzept (Rechnersysteme, Programme und technische Verfahren), die Erfassung personenbezogener Daten zur Kennzeichnung der Teilnehmer, die Art und Weise einer Verarbeitung von Antworten und Ergebnissen, die Erstellung von Ergebnisberichten so75 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 13/17 n. v. (Rz. 21). 76 BAG v. 21.11.2017 – 1 ABR 47/16, NZA 2018, 380 Rz. 24. 77 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 22 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
wie der Hinweis, dass keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle erfolgen sollte. Im Jahre 2015 entschloss sich die Konzernobergesellschaft, die Fragen zur aktiven Führung abzuändern, ohne dass dazu eine Zustimmung des Konzernbetriebsrats eingeholt worden war. Der Konzernbetriebsrat hielt dies für unzulässig und begehrte deshalb die Feststellung, dass ihm insoweit ein Mitbestimmungsrecht aus §§ 87 Abs. 1 Nr. 6, 7, 94 Abs. 1 BetrVG zustehe. Obwohl das BAG ein Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wegen der noch bestehenden KBV IT abgelehnt hat, bestätigte der 1. Senat des BAG den weiten Anwendungsbereich des Beteiligungsrechts. Dieses geht dem Wortlaut nach davon aus, dass der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen hat. Überwachung i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG setzt nach den Feststellungen des BAG indes nicht erst beim Auswerten und der weiteren Verarbeitung schon vorliegender Informationen an, sondern erfasst bereits das Sammeln derselben. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an. Auch reicht es aus Sicht des BAG aus, wenn die leistungs- oder verhaltensbezogenen Daten nicht auf technischem Wege durch die Einrichtung selbst gewonnen werden, sondern manuell eingegeben und von der technischen Einrichtung weiter verwertet werden. Insofern ist die Kennzeichnung als technische Einrichtung nicht notwendig daran geknüpft, dass Daten über das Verhalten oder die Leistung des einzelnen Arbeitnehmers durch die technische Einrichtung selbst und „automatisch“ generiert werden78. Von diesem Verständnis ausgehend war das zur konzernweiten Mitarbeiterbefragung eingesetzte IT-System EOS als technische Einrichtung i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu qualifizieren. Allerdings hatte der Konzernbetriebsrat der Nutzung des Systems bereits mit Abschluss der KBV IT zugestimmt. Dass die Konzernobergesellschaft im Jahre 2005 Fragen zu einem bestimmten Komplex geändert hatte, löste nach Auffassung des BAG kein erneutes Mitbestimmungsrecht aus. Denn die Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 78 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 13/17 n. v. (Rz. 24 , 7/15, NZA 2017, 657 Rz. 22 ff.
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– 1 ABR
Mitbestimmung des Konzernbetriebsrats bei Mitarbeiterbefragung
BetrVG bezieht sich allein auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine technische Einrichtung. Haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Art der Daten, den Zweck der Datennutzung und die technische Vorgehensweise verständigt, ist das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausgeübt. Wenn der Konzernbetriebsrat glaubt, dass durch die veränderten Fragen und/oder eine neue Verknüpfung weitergehende Rückschlüsse auf bestimmte Personen gezogen werden können, weil die bisherigen Mechanismen zur Anonymisierung nicht ausreichend sind, muss er die Konzernbetriebsvereinbarung kündigen und Verhandlungen über eine Neuregelung führen79. Zu Recht geht das BAG davon aus, dass der Betriebsrat sein Beteiligungsrecht auch nicht auf § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG stützen konnte. Da die Teilnahme an der Befragung freiwillig und hinsichtlich der die Fragen beantwortenden Arbeitnehmer anonymisiert erfolgte, konnte darin keine Regelung in Bezug auf Fragen der Ordnung des Betriebs oder des Verhaltens der Arbeitnehmer gesehen werden. Die fehlende Bestimmbarkeit einzelner Arbeitnehmer stand auch einem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. mit §§ 3, 5 ArbSchG entgegen. Auch das Mitbestimmungsrecht aus § 94 Abs. 2 BetrVG (Personalbeurteilung) war wegen der fehlenden Individualisierbarkeit der Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung nicht gegeben. Ein Mitbestimmungsrecht aus § 94 Abs. 1 BetrVG (Personalfragebogen) hat das BAG abgelehnt, weil die Teilnahme an der Mitarbeiterbefragung freiwillig war und insoweit durch die Konzernbetriebsvereinbarung etwaige verbleibende Mitbestimmungsrechte aus § 94 Abs. 1 BetrVG bereits ausgeübt worden waren. Auch wenn die Ausführungen des BAG zum Umfang des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG weiterhin nicht zu überzeugen vermögen, weil sie – möglicherweise vor dem Hintergrund eines beabsichtigten Datenschutzes – schlussendlich jede Form der Verarbeitung personen- oder leistungsbezogener Daten an eine Zustimmung des Betriebsrats knüpfen, ist den Feststellungen zu der Sperrwirkung einer bereits bestehenden Konzernbetriebsvereinbarung in Bezug auf weitergehende Mitbestimmungsrechte zuzustimmen. Für die betriebliche Praxis folgt daraus, dass beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen im Bereich der IT sehr genau darauf geachtet werden muss, ob und ggf. inwieweit eine Einigung über die Einfuhr und Anwendung eines Systems auch künftige Veränderungen einbezieht. Dies erscheint insbesondere dort sinnvoll, wo Änderungen einer Software (z. B. Updates) weder zu einer Veränderung der Art der erhobenen Daten noch des 79 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 13/17 n. v. (Rz. 26 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Verwendungszwecks führen, sondern nur die technische Verarbeitung innerhalb des Programms verbessern, um Störungen auszuschließen. Angesichts des Schriftformerfordernisses einer Betriebsvereinbarung dürfte es dabei sinnvoll sein, die Einbeziehung solcher Veränderungen in der Betriebsvereinbarung selbst deutlich erkennbar zu machen. Den Interessen des Betriebsrats an einer diesbezüglichen Einbindung wird man insoweit Rechnung tragen können, wenn Informationspflichten des Arbeitgebers in Bezug auf solche Veränderungen und ihre technischen Umsetzungen festgelegt werden. (Ga)
11.
Durchführung eines freiwilligen Einigungsstellenverfahrens in teilmitbestimmter Angelegenheit
In vielen wesentlichen Angelegenheiten der Betriebsverfassung kann die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden (vgl. §§ 87, 94, 95 Abs. 2, 97 Abs. 2, 112 Abs. 4 BetrVG). In diesem Fall kann die Einigungsstelle durch beide Seiten angerufen werden. Das weitere Verfahren bestimmt sich nach § 76 Abs. 5 BetrVG. Gerade weil in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten in der Regel auch über Fragen mit dem Ziel einer Regelung verhandelt wird, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterfallen, müssen die Betriebsparteien im Auge behalten, dass eine Einigungsstelle über Angelegenheiten, in denen nicht bereits kraft Gesetzes die Möglichkeit vorgesehen ist, die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch Spruch der Einigungsstelle zu ersetzen, nur unter den in § 76 Abs. 6 BetrVG genannten Voraussetzungen mit Verbindlichkeit für die Betriebsparteien entscheiden kann. Hilfreich ist, dass das BAG mit seinem Beschluss vom 11.1.201880 sehr grundsätzliche Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen und den Rechtsfolgen eines solchen Einigungsstellenverfahrens getroffen hat. Anlass dafür war, dass der Betriebsrat den Spruch einer Einigungsstelle mit der Begründung angefochten hatte, dass die Einigungsstelle insoweit außerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse entschieden hatte. Grundsätzlich wird die Einigungsstelle außerhalb von § 76 Abs. 5 BetrVG nur tätig, wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden sind (§ 76 Abs. 6 S. 1 BetrVG). In diesen Fällen ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im Voraus unterworfen oder ihn nachträglich ange80 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. 25 ff.
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Durchführung eines freiwilligen Einigungsstellenverfahrens
nommen haben (§ 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG). Fehlt es an einer wirksamen vorherigen Unterwerfung oder nachträglichen Annahme, kann der Spruch der Einigungsstelle das Rechtsverhältnis der Betriebsparteien nicht gestalten81. Wichtig ist, dass das erforderliche Einverständnis über die Errichtung und Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens außerhalb des Anwendungsbereichs von § 76 Abs. 5 BetrVG auch nachträglich erklärt werden kann. Dabei gilt es als erklärt, wenn sich beide Parteien auf eine Verhandlung vor der Einigungsstelle eingelassen haben82. Voraussetzung ist allerdings, dass die Betriebsparteien bei der Abgabe einer solchen Erklärung jeweils wirksam vertreten worden sind. Für die Arbeitgeber bestimmt sich dies nach den zivilrechtlichen Grundsätzen einer Vertretung, die insoweit auch konkludent erfolgen kann. Der Betriebsrat wird bei der Abgabe einer entsprechenden Erklärung allerdings nur dann wirksam vertreten, wenn der Betriebsratsvorsitzende diese Erklärung auf der Grundlage einer entsprechenden Beschlussfassung des Kollegialorgans abgegeben hat. Das Einverständnis mit der Errichtung einer freiwilligen Einigungsstelle kann jederzeit widerrufen werden. Ein solcher Widerruf kann auch konkludent erklärt werden, etwa durch Zurückziehung der benannten Beisitzer aus der Einigungsstelle. Damit kann – anders als im erzwingbaren Einigungsstellenverfahren – eine Entscheidung der Einigungsstelle grundsätzlich nicht ergehen, wenn die Beisitzer einer Seite – trotz rechtzeitiger Ladung – bewusst der Sitzung der Einigungsstelle fernbleiben83. Auch die Verbindlichkeit eines solchen Spruchs der Einigungsstelle setzt eine gesonderte Erklärung der beiden Betriebsparteien voraus. Wie die Entscheidung des BAG vom 11.12.201884 deutlich gemacht hat, bedarf es dabei wiederum einer Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden, die auf eine entsprechende (wirksame) Beschlussfassung des Betriebsrats zurückgeführt werden kann (§§ 76 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 1 BetrVG). Nach Auffassung des BAG reicht es für die erforderliche Beschlussfassung zur Unterwerfung unter einen Spruch der Einigungsstelle nicht aus, wenn der Betriebsrat einen Beschluss über die einvernehmliche Errichtung der Einigungsstelle oder die Entsendung seiner beiden Beisitzer gefasst hat. Hiervon wird man auch dann ausgehen müssen, wenn der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung einen 81 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. 32. 82 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. Fitting, BetrVG § 76 Rz. !Preis, BetrVG § 76 Rz. 8. 83 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. Fitting, BetrVG § 76 Rz. 104. 84 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. 35 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Gegenstand definiert hat, den man zum Teil auch als freiwillige Angelegenheit qualifizieren muss. Das folgt im Anschluss an die Ausführungen des BAG aus der Systematik von § 76 Abs. 6 BetrVG. Denn darin unterscheidet der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen der Richtung der Einigungsstelle und der für die Verbindlichkeit des Spruchs notwendigen vorherigen Unterwerfung bzw. nachträglichen Annahme beider Seiten. Das bloße Einverständnis mit dem Tätigwerden einer Einigungsstelle einschließlich der Teilnahme an ihren Verhandlungen kann deshalb noch keine Verbindlichkeit ihres Spruchs begründen85. Solange nicht der Betriebsrat selbst auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung den Betriebsratsvorsitzenden zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung berechtigt, können auch die Beisitzer einer Einigungsstelle – weder ausdrücklich noch konkludent – eine entsprechende Erklärung abgeben. Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsratsvorsitzende an den Verhandlungen der Einigungsstelle teilnehmen sollte, denn es fehlt insoweit an der zur Meinungsbildung erforderlichen Beschlussfassung des Kollegialorgans. Auch darauf weist das BAG zutreffend hin86. Eine fehlende Beschlussfassung sei auch nicht deswegen unbeachtlich, weil der Arbeitgeber von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Betriebsratsvorsitzenden habe ausgehen dürfen. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine widerlegbare Vermutung bestehen könne, wonach die vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärungen auf einem entsprechenden Beschluss des Gremiums beruhten, bedürfe indes keiner Entscheidung87. Eine solche Vermutung könne allenfalls die prozessuale Folge haben, dass für das Gericht auch im Beschlussverfahren kein Anlass bestehe, von sich aus die Wirksamkeit einer Beschlussfassung aufzuklären. Die Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass bei der Errichtung und Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens und entsprechenden Anträgen auf einen Spruch der Einigungsstelle sehr genau zwischen mitbestimmungspflichtiger Angelegenheit i. S. des § 76 Abs. 5 BetrVG und sonstiger Angelegenheit unterschieden werden muss. Nur die mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten können auch gegen den Willen einer Betriebspartei zum Gegenstand eines Spruchs gemacht und damit rechtsverbindlich geregelt werden. Bei allen anderen Angelegenheiten, auch wenn sie in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang stehen, bedarf es insbesondere einer Erklärung beider Betriebsparteien, sich einer verbindlichen Spruchfassung der Einigungsstelle zu unterwerfen.
85 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. 37. 86 BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 17/17, NZA 2019, 714 Rz. 38 f. 87 Vgl. hierzu BAG v. 9.12.2014 – 1 ABR 19/13, NZA 2015, 368 Rz. 17.
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Keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten
Wenn die Arbeitgeberseite bereit ist, eine solche Rechtsfolge hinzunehmen, ist sicherzustellen, dass auch auf Seiten des Betriebsrats die hierfür erforderliche Beschlussfassung und anschließende Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden gegeben ist. Dabei dürfte es sinnvoll sein, dass beide Parteien bereits vor dem Spruch der Einigungsstelle in rechtsverbindlicher Weise eine Unterwerfungserklärung abgeben, wenn die grundsätzliche Bereitschaft hierzu besteht. Wird dies als zu risikoreich angesehen, müssen alle Angelegenheiten, die nicht von § 76 Abs. 5 BetrVG erfasst werden, aus dem Beschlussantrag herausgenommen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Spruch der Einigungsstelle wegen der Einbeziehung freiwilliger Angelegenheiten nicht nur teilweise, sondern insgesamt entsprechend § 139 BGB unwirksam ist. (Ga)
12. Keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten zur Durchsetzung des durch den Betriebsrat abgetretenen Kostenerstattungsanspruchs Zu den nach § 40 Abs. 1 BetrVG vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten, die durch die Betriebsratstätigkeit entstehen, gehören auch die Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Betriebsrat in Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte für erforderlich halten durfte88. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist der Betriebsrat gehalten, die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts einerseits und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers andererseits gegeneinander abzuwägen. Er hat wie jeder, der auf Kosten eines anderen handeln kann, die Maßstäbe einzuhalten, die er ggf. bei eigener Kostentragung anwenden würde, wenn er selbst bzw. seine beschließenden Mitglieder die Kosten tragen müssten89. Daher entfällt die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers bei einer offensichtlich aussichtslosen oder mutwilligen Rechtsverfolgung des Betriebsrats90, die grundsätzlich für den jeweiligen Rechtszug gesondert vorzunehmen ist.
88 BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 34/16, NZA 2018, 461 Rz. 11 BAG v. 14.12.2016 – 7 ABR 8/15, NZA 2017, 514 Rz. BAG v. 18.3.2015 – 7 ABR 4/13, NZA 2015, 954 Rz. 10. 89 So BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 34/16, NZA 2018, 461 Rz. 12 m. w. N. 90 BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 34/16, NZA 2018, 461 Rz. BAG v. 18.3.2015 – 7 ABR 4/13, NZA 2015, 954 Rz. 11.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Steht dem Betriebsrat nach § 40 Abs. 1 BetrVG gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Freistellung von den durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts verursachten erforderlichen Kosten zu, wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat ein gesetzliches Schuldverhältnis vermögensrechtlicher Art begründet. Gläubiger ist der Betriebsrat. Tritt der Betriebsrat den Freistellungsanspruch an den beauftragten Rechtsanwalt ab, wandelt sich der Freistellungsanspruch des Betriebsrats in einen Zahlungsanspruch des beauftragten Rechtsanwalts gegen den Arbeitgeber um91, der eine Angelegenheit aus dem BetrVG i. S. des § 2 a Nr. 1 ArbGG ist und im Beschlussverfahren gegen den Arbeitgeber geltend gemacht werden muss. Jedoch stellt die Durchsetzung des von dem Betriebsrat an den Rechtsanwalt abgetretenen Anspruchs keine Betriebsratstätigkeit dar92. Im Zusammenhang mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs an den beauftragten Rechtsanwalt stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt seine Rechtsverfolgungskosten nach § 280 Abs. 1 BGB vom Arbeitgeber beanspruchen kann, wenn sich dieser mit der Bezahlung des Honorars in Verzug befindet. Über eine derartige Klage auf Zahlung der Rechtsverfolgungskosten hatte der 7. Senat des BAG mit Beschluss vom 1.8.201893 zu entscheiden. Die Antragstellerin, eine Rechtsanwaltskanzlei in der Form einer GbR, hatte den Betriebsrat der Arbeitgeberin in einem durch Prozessvergleich beendeten Beschlussverfahren vertreten, woraus sich ein Gebührenanspruch i. H. von 2.299,55 € ergab. Der Betriebsrat trat seinen Freistellungsanspruch an die Antragstellerin ab, die ihrerseits die Anwaltsgebühren von der Arbeitgeberin zunächst vergeblich beanspruchte. Nachdem die Antragstellerin der Arbeitgeberin eine Zahlungsfrist gesetzt und in diesem Zusammenhang die Erstattung weiterer Rechtsverfolgungskosten für die Durchsetzung dieser Forderung i. H. von 523,60 € geltend gemacht hatte, zahlte die Arbeitgeberin zwar die geltend gemachten Anwaltsgebühren, nicht aber die weiteren Rechtsverfolgungskosten, die Gegenstand einer im Beschlussverfahren erhobenen Zahlungsklage der Antragstellerin geworden sind. Nach Abweisung des Antrags durch das ArbG94 hat das LAG95 dem Antrag auf Zahlung entsprochen. Das BAG hat den Beschluss des LAG Düsseldorf aufgehoben, soweit die Arbeitgeberin verpflichtet wurde, weitere 523,60 €
91 BAG v. 29.7.2009 – 7 ABR 95/07, NZA 2009, 1223 Rz. BAG v. 13.5.1998 – 7 ABR 65/96, NZA 1998, 900 Rz. 13. 92 BAG v. 22.11.2017 – 7 ABR 34/16, NZA 2018, 461 Rz. 22. 93 BAG v. 1.8.2018 – 7 ABR 41/17, NZA 2018, 1574. 94 ArbG Wesel v. 26.10.2015 – 6 BV 39/15 n. v. 95 LAG Düsseldorf v. 26.4.2017 – 12 TaBV 110/16 n. v.
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Keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten
an die Antragstellerin (Rechtsanwaltskanzlei) zu zahlen. In den Beschlussgründen verweist der 7. Senat des BAG unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des 1. Senats des BAG96 zunächst darauf, dass Rechtsdurchsetzungskosten grundsätzlich nur verlangt werden können, wenn dies in den einschlägigen betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen vorgesehen ist. In Verfahren nach § 2 a Abs. 1 ArbGG werden gemäß § 2 Abs. 2 GKG weder Gerichtskosten erhoben noch außergerichtliche Kosten erstattet. Die für das Urteilsverfahren – mit den sich aus § 12 a ArbGG ergebenden Maßgaben – anwendbaren §§ 91 ff. ZPO sind im ArbGG für das Beschlussverfahren weder in Bezug genommen noch entsprechend anzuwenden. Lediglich § 126 Abs. 3 S. 2 InsO, der in Beschlussverfahren nach § 126 Abs. 1 S. 1 InsO für das Verfahren vor dem BAG die Vorschriften der ZPO über die Erstattung der Kosten des Rechtsstreits für entsprechend anwendbar erklärt, macht hiervon eine Ausnahme. Daraus schlussfolgert das BAG die gesetzgeberische Entscheidung, dass jeder Beteiligte eines Beschlussverfahrens seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat. Wegen dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers käme es auch nicht darauf an, dass eine dem § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG entsprechende Vorschrift für das Beschlussverfahren im ArbGG nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Demgemäß ist der Arbeitgeber regelmäßig auch nicht nach § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 Abs. 1 BGB verpflichtet, einem Rechtsanwalt des Betriebsrats die anwaltlichen Gebühren und Kosten als Verzugsschaden zu erstatten, die diesem zur Durchsetzung eines an ihn abgetretenen Anspruchs des Betriebsrats auf Freistellung von Kosten einer erforderlichen Rechtsverfolgung entstanden sind. Soweit nach § 40 Abs. 1 BetrVG zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten der Betriebsratstätigkeit auch Rechtsanwaltskosten als Rechtsverfolgungskosten gehören, die durch die gerichtliche Verfolgung oder Verteidigung von Rechten des Betriebsrats entstehen, könne der Betriebsrat diese nicht ohne Weiteres vom Arbeitgeber beanspruchen, sondern nur unter der Prämisse, dass er die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten durfte. Die Besonderheit von § 40 Abs. 1 BetrVG besteht nach Ansicht des BAG gerade darin, dass diese Vorschrift – anders als die §§ 91 ff. ZPO – nicht an ein Obsiegen und Unterliegen und – anders als § 280 BGB – nicht an ein Verschulden, sondern an die Erforderlichkeit der Kosten anknüpft. Bei dieser Konzeption des Gesetzes entstünde nach Ansicht des BAG ein Wertungswiderspruch, wenn ein Rechtsanwalt nach Abtretung des Freistellungsanspruchs durch den Betriebsrat neben den Anwaltsgebühren seine 96 BAG v. 2.10.2007 – 1 ABR 59/06, NZA 2008, 372 Rz. 11 f.
257
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Rechtsverfolgungskosten nach § 280 Abs. 1 BGB ohne Weiteres als Verzugsschaden vom Arbeitgeber beanspruchen könnte. Das BAG hat mit dem Beschluss vom 1.8.201897 an seiner bisherigen Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten, wonach Rechtsverfolgungskosten eines Anwalts des Betriebsrats nach Abtretung des Freistellungsanspruchs (§ 40 Abs. 1 BetrVG) durch den Betriebsrat auch nicht als Verzugsschaden (§§ 280, 286 BGB) in Betracht kommen und damit die Entscheidung des LAG Düsseldorf98 korrigiert, das sein anderslautendes Ergebnis mit der Entscheidung des BAG vom 27.7.199499 begründet hat, wonach ein unternehmensfremder Einigungsstellenbeisitzer aufgrund eines gemäß § 76 a BetrVG entstehenden auftragsähnlichen Schuldverhältnisses seine Honorardurchsetzungskosten in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren als Verzugsschaden gemäß § 286 Abs. 1 BGB verlangen könne. Für die betriebliche Praxis ist diese abschließende Klärung des BAG und die damit verbundene Beseitigung der durch die Entscheidung des LAG Düsseldorf eingetretenen Rechtsunsicherheit begrüßenswert. (Boe)
97 BAG v. 1.8.2018 – 7 ABR 41/17, NZA 2018, 1574 Rz. 12. 98 LAG Düsseldorf v. 26.4.2017 – 12 TaBV 110/16 n. v. (Rz. 88). 99 BAG v. 27.7.1994 – 7 ABR 10/93, NZA 1995, 545 Rz. 17 ff.
258
I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Beurteilungsspielraum bei Auswahlentscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl
Gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. In diese Auswahl sind nur solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG). In seinem Urteil vom 18.9.20181 hat das BAG noch einmal darauf hingewiesen, dass dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zusteht. Dem Gesetzeswortlaut sei nicht zu entnehmen, wie die vier Kriterien zueinander ins Verhältnis zu setzen seien. Deshalb komme keinem Kriterium eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr seien stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren „Sozialdaten“ zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei brauche der Arbeitgeber nicht die „bestmögliche“ Sozialauswahl vorgenommen zu haben. Ebenso wenig sei es entscheidend, ob das Gericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die sozialen Grundlagen hätte gewichten müssen. Der dem Arbeitgeber einzuräumende Wertungsspielraum führe deshalb auch dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen könnten2. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es nicht um die Wirksamkeit einer Kündigung, sondern um einen Einstellungsanspruch, den der Kläger auf der Grundlage der in einem Interessensausgleich enthaltenen Regelungen gegenüber einem Fremdunternehmen geltend machte. In diesem Interessenausgleich zwischen dem Arbeitgeber des Klägers und dem zuständigen Betriebsrat war auszugsweise wie folgt vereinbart worden:
1 2
BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 20/18 n. v. (Rz. 28). Ebenso BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 11.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung § 12 Arbeitsplatzangebot bei der W GmbH 12.1 Alle Stellen, die bei T und bei der W GmbH zur Neubesetzung bekannt werden, werden nochmals gesondert ausgeschrieben, so dass die von diesem Interessenausgleich betroffenen Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten sollen, sich auf diese offenen Stellen zu bewerben. 12.2 Voraussichtlich werden zwei Vollzeitstellen im Rohwarenlager bei der W GmbH zum 1.1.2017 frei. T und die W GmbH sichern – vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrats der W GmbH – zu, dass diese beiden Stellen mit Mitarbeiter[n] von der Namensliste (Anlage 1) nachbesetzt werden, sofern sich diese Mitarbeiter bewerben. 12.3 Bewerben sich mehr als zwei Mitarbeiter auf diese beiden Stellen, werden die sozialschutzwürdigeren Bewerber berücksichtigt (Sozialauswahl analog § 1 KSchG), sofern sie fachlich geeignet sind. (…) 12.5 Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Einstellung besteht nicht. (…)
Der Interessenausgleich war nicht nur durch die Betriebsparteien, sondern auch durch den Geschäftsführer der W GmbH unterzeichnet worden. An die den Interessenausgleich abschließenden Unterschriften schloss sich folgender Text an, der durch den Geschäftsführer der Beklagten noch einmal unterzeichnet worden war: Hinsichtlich des o. g. § 12 tritt die W GmbH dieser Vereinbarung bei und anerkennt ihre dort dargelegte Verpflichtung zur Neubesetzung der beiden Stellen.
Der Kläger bewarb sich mit weiteren Arbeitnehmern auf die in § 12 Interessenausgleich genannten Stellen. Die Beklagte traf daraufhin eine Auswahlentscheidung, der sie im ersten Schritt folgendes Punkteschema zugrunde legte: Betriebszugehörigkeit: 1 Punkt je volles Beschäftigungsjahr Lebensalter: 1 Punkt für jedes vollendete Lebensjahr Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern, Ehegatten/Lebenspartnern: Je 8 Punkte für jedes unterhaltsberechtigte Kind bzw. je 8 Punkte für den unterhaltsberechtigten Ehegatten/Lebenspartner
260
Beurteilungsspielraum bei Auswahlentscheidungen im Rahmen der Sozialauswahl
Schwerbehinderung: 5 Punkte ab einem Grad der Behinderung von 50 % und jeweils 1 weiteren Punkt für jede 10 % des Grads der Behinderung bei Überschreiten von einem Behinderungsgrad von 50 %.
Die höchste Punktzahl mit jeweils 78 Punkten erreichten der am 22.10.1958 geborene, geschiedene und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger und ein weiterer Arbeitnehmer, der am 8.9.1970 geboren und seiner Ehefrau sowie drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet war. Die Betriebszugehörigkeit des Klägers betrug mehr als 22 Jahre, wohingegen die Betriebszugehörigkeit seines Konkurrenten nur etwas mehr als zwei Jahre betrug. Als sich die W GmbH entschloss, den Konkurrenten anstelle des Klägers einzustellen, erhob dieser Klage mit dem Ziel, dass auch ihm der Abschluss eines Arbeitsvertrags angeboten werden würde. Nach seiner Auffassung habe die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl nicht den Anforderungen von § 1 Abs. 3 KSchG entsprochen. Denn das Punkteschema gewichte Unterhaltspflichten überproportional stark und bewirke damit, dass ältere Arbeitnehmer benachteiligt werden. Das BAG ist dieser Sichtweise des Klägers nicht gefolgt und hat die Angemessenheit der Auswahlentscheidung bestätigt. Nach Auffassung des BAG ergab sich eine deutlich höhere Schutzwürdigkeit des Klägers nicht bereits daraus, dass dieser im Hinblick auf zwei Kriterien, nämlich Dauer der Betriebszugehörigkeit und Lebensalter, schutzwürdiger war als sein Konkurrent, der lediglich mit dem Kriterium der Unterhaltspflichten eine stärkere Schutzbedürftigkeit hatte. Die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien verlange, die mit ihnen verbundenen Daten der betroffenen Arbeitnehmer in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Dazu gehörte auch eine entsprechend hohe Bewertung der Unterhaltspflichten, mit der dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass ältere Arbeitnehmer durch das Abstellen auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter ohnehin überproportional begünstigt sein können. Schließlich gehe eine lange Betriebszugehörigkeit regelmäßig mit einem höheren Lebensalter einher3. Diese Überlegungen können uneingeschränkt auf eine Auswahlentscheidung im Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Kündigung übertragen werden. Sie machen noch einmal deutlich, welcher Spielraum bei der Festlegung eines Punkteschemas gegeben ist. Dies gilt umso mehr, wenn die Gewichtung der Sozialdaten durch ein Punkteschema zum Gegenstand einer Betriebsvereinbarung i. S. des § 1 Abs. 4 KSchG gemacht wird. Dabei kann 3
BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 20/18 n. v. (Rz. 30 f.); BAG v. 29.1.2015 – 2 AZR 164/14, NZA 2015, 426 Rz. 17 ff.; BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791 Rz. 31.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
das potenzielle Übergewicht älterer Arbeitnehmer durch die Kriterien des Alters und der Betriebszugehörigkeit auch dadurch reduziert werden, dass das Lebensalter in Stufen/Gruppen einem bestimmten Punktwert zugeordnet wird. So könnten alle Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres mit 3, 4 oder 5 Punkten versehen werden. Diese Punktzahl könnte für die nachfolgenden Altersgruppen um jeweils 3, 4 oder 5 Punkte erhöht werden, wobei auch die Gruppenbildung flexibel zwischen fünf und zehn Jahren denkbar ist. Eine solche Vorgehensweise vermeidet die lineare Anhebung der Punktwerte mit dem zunehmenden Lebensalter. Die damit verbundene Gleichsetzung von Arbeitnehmern einer Altersgruppe trägt darüber hinaus dem Umstand Rechnung, dass die Auswirkungen einer betriebsbedingten Kündigung im Hinblick auf die drohende Arbeitslosigkeit nicht so genau für jedes einzelne Lebensalter mit erkennbaren Unterschieden verbunden sind. Naheliegender erscheint vielmehr, bei Arbeitnehmern einer Altersgruppe typisiert von einer vergleichbaren Betroffenheit auszugehen. Wichtig ist, dass diese Gewichtung der Sozialdaten nicht erst im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung dargelegt wird. Sie muss bereits zum Inhalt der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG gemacht werden, damit die Kündigung nicht schon aufgrund formaler Fehler unwirksam ist. (Ga)
2.
Zulässige Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Tarifsozialplan
In mehreren Entscheidungen hatte es das BAG für zulässig gehalten, Gewerkschaftsmitglieder gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern im Rahmen eines Tarifsozialplans zu begünstigen4. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit der IG Metall am 4.4.2012 einen Transferund Sozialtarifvertrag (TS-TV) sowie einen Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag (ETS-TV) geschlossen, dessen persönlicher Geltungsbereich nur diejenigen Arbeitnehmer erfasste, die bis zum einschließlich 23.3.2012 12:00 Uhr, Mitglied der IG Metall geworden waren. Ergänzend hierzu vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat am 4.4.2012 einen Interessenausgleich. Auf den Abschluss eines Sozialplans wurde mit Blick auf den TSTV verzichtet. Der Kläger schied aufgrund einer dreiseitigen Vereinbarung, mit der das Arbeitsverhältnis beendet und ein Wechsel in eine Transfergesellschaft festge-
4
Vgl. nur BAG v. 27.1.2016 – 4 AZR 796/13, BB 2015, 2362; BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 796/13, NZA 2015, 1388.
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Zulässige Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Tarifsozialplan
legt wurde, aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber aus. Da er nicht Mitglied der IG Metall war, wurden Begünstigungen von Gewerkschaftsmitgliedern, die im ETS-TV enthalten waren, nicht gewährt. Er erhob deshalb Klage auf Zahlung einer weiteren Abfindung i. H. von 10.000 € sowie ergänzender Leistungen der Transfergesellschaft, die deutlich über 60.000 € betrugen. Zur Begründung machte er geltend, dass diese für den Fall einer Gewerkschaftsmitgliedschaft vorgesehenen Leistungen wegen einer Verletzung des arbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu zahlen seien. Das BAG hatte die klageabweisende Entscheidung des LAG München5 bestätigt. Nach seiner Auffassung verstieß die Ausgrenzung der nicht organisierten Arbeitnehmer durch die Regelungen zum Geltungsbereich des ETSTV weder gegen die negative Koalitionsfreiheit noch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ebenso wenig könne sich der Kläger auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder eine Missachtung von § 75 BetrVG berufen. Denn die Stichtagsregelung, die auf eine Mitgliedschaft in der IG Metall bereits am 23.3.2012 abgestellt hatte, könne zum Zeitpunkt des Abschlusses des ETS-TV keinen Zwang (mehr) ausüben, in die Gewerkschaft einzutreten. Damit sei auch die negative Koalitionsfreiheit des Klägers nicht betroffen. Dass für alle Betroffenen der Betriebsänderung bereits im Vorfeld des Abschlusses der beiden Tarifverträge erkennbar war, dass nur bei einer Mitgliedschaft in der IG Metall die Begünstigungen des ETS-TV gewährt würden, blieb unberücksichtigt. Vielmehr war das BAG bei seiner Entscheidung offenbar von dem Gedanken getragen, dass der maßgebliche Stichtag erst nachträglich zum Inhalt der Tarifvertragsverhandlungen gemacht worden war und es deshalb zum Zeitpunkt seiner Einbindung in den Tarifvertrag keinen Anlass mehr geben konnte, in die IG Metall einzutreten. Schon dies erscheint zweifelhaft. Darüber hinaus hatte das BAG auch einen Verstoß gegen § 75 BetrVG abgelehnt, obwohl durch den Verzicht auf einen Sozialplan und die bloße Bezugnahme auf die beiden Tarifverträge unter Mitwirkung des Betriebsrats eine Ausgleichsregelung für wirtschaftliche Nachteile der Betriebsänderung gefunden worden war, die für die Betriebsparteien erkennbar zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und nicht organisierten Arbeitnehmern unterschieden hatte. Angesichts der koalitionsspezifischen Neutralitätspflicht des Betriebsrats war auch dies durchaus kritisch zu sehen6.
5 6
LAG München v. 27.3.2014 – 3 Sa 127/13 n. v. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2018, 425 ff.; 2015, 635 ff.; 2014, 457 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Das BVerfG7 ist dieser Kritik indes nicht gefolgt und hat die gegen das Urteil des BAG8 erhobene Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Nach seiner Auffassung sei nicht erkennbar, dass durch die Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und nicht organisierten Arbeitnehmern Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt worden wären. Art. 9 Abs. 3 GG schütze die Anwendung von einmal geschlossenen Tarifverträgen ebenso wie das Recht, Vereinigungen zur Forderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und damit auch dem Geltungsbereich entsprechender Tarifverträge fernzubleiben. Daher dürfe zwar kein Zwang oder Druck in Richtung einer Mitgliedschaft ausgeübt werden. Die Tatsache, dass organisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber anders behandelt würden als nicht organisierte Beschäftigte, bedeute insofern jedoch noch keine Grundrechtsverletzung, selbst wenn sich daraus ein eventueller faktischer Anreiz zum Beitritt ergebe. Darin läge weder Zwang oder Druck, der für eine Verletzung der Koalitionsfreiheit notwendig wäre9. Einen solchen Druck oder Zwang sieht das BVerfG in Übereinstimmung mit dem BAG nicht. Vielmehr sei es nachvollziehbar, davon auszugehen, dass durch die Differenzierung innerhalb des Geltungsbereichs der beiden Tarifverträge kein höherer Druck erzeugt werde als derjenige, der sich ergebe, wenn die individualvertraglichen Vereinbarungen hinter den Abreden zurückbleiben, die eine Gewerkschaft im Wege eines Tarifvertrags nur für ihre Mitglieder treffen könne. Dass sich Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit befänden, mache zwar weitergehende Vorkehrungen zur Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen erforderlich. Dies sei vor allem durch §§ 305 ff. BGB geschehen. Einen hinreichenden Schutz davor, dass eine Unterlegenheit ausgenutzt werde, könnten aber auch Tarifverträge bewirken. Insofern dürfe davon ausgegangen werden, dass die von den Tarifvertragsparteien erzielten Verhandlungsergebnisse die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich brächten. Dem Tarifvertrag komme daher eine Richtigkeitsvermutung zu. Dabei will das BAG nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass den Grundrechtspositionen von „Außenseitern“ bei tarifvertraglichen Differenzierungen nicht Rechnung getragen würde. Auch für den Fall von Betriebsvereinbarungen werde davon ausgegangen, dass die Interessen aller Beschäftigten Beach7 8 9
BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, NZA 2019, 112. BAG v. 27.1.2016 – 4 AZR 441/14 n. v. BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, NZA 2019, 112 Rz. 4; BVerfG v. 3.7.2000 – 1 BvR 945/00, NZA 2000, 947 Rz. 7.
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Zulässige Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Tarifsozialplan
tung fänden, zumal nach der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung der betrieblichen Mitbestimmung alle Beschäftigten repräsentiert würden. Hinzu komme, dass insbesondere § 75 Abs. 1 BetrVG nachteilige Ungleichbehandlungen ausschließe10. Diese Grundsätze wurden nach Auffassung des BVerfG durch das BAG berücksichtigt. Das BAG habe geprüft, ob die Differenzierungsklausel gegen höherrangiges Recht verstoße, weil insbesondere nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen vorlägen. Das sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei habe das BAG die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft an einem Stichtag für sachlich begründet erachtet. Es habe – so das BVerfG – nachvollziehbar dargelegt, dass diese Differenzierung auf den besonderen Kündigungsschutz derjenigen abhebe, die bereits Mitglied gewesen seien, weshalb ein Stichtag erforderlich sei, um verlässlich zu bestimmen, wer die vereinbarten Leistungen erhalten würde. Zudem sei die Gewerkschaft ohnehin nur befugt, Abreden für ihre Mitglieder zu treffen. Sie könne schon aufgrund der Tarifautonomie nicht als verpflichtet angesehen werden, dabei alle Beschäftigten gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Differenzierung nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sei insofern von Gründen getragen gewesen, die sich auf den Zweck des Tarifvertrags bezogen hätten11. Nach Auffassung des BVerfG liegt auch kein Grund vor, generell anzunehmen, dass Sozialplanvolumina im Wege eigenständiger tarifvertraglicher Vereinbarungen zu Gunsten von Mitgliedern der Gewerkschaften zu Lasten der Nichtorganisierten ausgezehrt würden. Der Einwand des Klägers und Beschwerdeführers, die Betriebs- und Tarifvertragsparteien hätten kollusiv zu seinen Lasten zusammengewirkt, verfange nicht. Insbesondere sei hier das Zustandekommen des Betriebsänderungsmodells insgesamt davon abhängig gewesen, dass der ganz überwiegende Teil – 90 % – der vom Ausscheiden betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diesem Modell selbst zugestimmt habe. In Anbetracht des Organisationsgrads der Gewerkschaft sei dies wiederum nur erreichbar gewesen, wenn auch die betroffenen Beschäftigten, die nicht Mitglieder der Gewerkschaft waren, mehrheitlich ihre Zustimmung zu den Abreden erklärt hätten. Zudem erreichten die auf bisherige Mitglieder der Gewerkschaft beschränkten Vergünstigungen kein Ausmaß, das angesichts des Gesamtvolumens der vereinbarten Leistungen eine Auszehrung nahe legen würde. Dass dem Kläger als nicht organisiertem 10 BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, NZA 2019, 112 Rz. 7 f. 11 BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, NZA 2019, 112 Rz. 10; BAG v. 15.4.2015 – 4 AZR 796/13, NZA 2015, 1388 Rz. 40 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Arbeitnehmer vorliegend mehr als 70.000 € an zusätzlichen Leistungen verwehrt blieb, hält das BVerfG dann aber erstaunlicherweise nicht für erheblich. Mit der Entscheidung des BVerfG dürfte das letzte Wort in Bezug auf die Zulässigkeit der hier in Rede stehenden Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern im Zusammenhang mit einem Sozialtarifvertrag gesprochen sein. Ausgehend davon, dass BAG und BVerfG gleichermaßen einen Sachverhalt unterstellt haben, der wegen des Vergangenheitsbezugs des Stichtags keinen Druck ausgeübt haben soll, der Gewerkschaft beizutreten, mag die Begründungslinie auch vertretbar sein. Dies dürfte aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechender Verhandlungen im Rahmen von Betriebsänderungen, die sich – auch mit dem Ziel einer Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedern – über Wochen und Monate hinziehen, kaum vereinbar sein. Die betriebliche Praxis wird sich allerdings darauf einstellen müssen, dass verstärkt solche Forderungen gerade bei einem hohen Organisationsgrad der Mitglieder durch die Gewerkschaften zukünftig geltend gemacht werden. Um die damit verbundene Benachteiligung nicht organisierter Arbeitnehmer auszuschließen, ist es wichtig, frühzeitig auf der betrieblichen Ebene in konstruktive Verhandlungen zum Abschluss eines nicht diskriminierenden Sozialplans einzutreten. Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Gewerkschaft parallel dazu Arbeitskampfmaßnahmen einleitet, um einen Tarifsozialplan abzuschließen12. (Ga)
3.
Anrechnung des Nachteilsausgleichsanspruchs auf eine Sozialplanabfindung
Wenn der Arbeitgeber eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und in Folge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden, können diese einen Nachteilsausgleich geltend machen. In der Regel hat dies die Zahlung einer Abfindung zur Folge, deren Höhe entsprechend § 10 KSchG bestimmt wird (§ 113 Abs. 1, 3 BetrVG). In seinem Urteil vom 12.2.201913 hat der 1. Senat des BAG in Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung deutlich gemacht, dass nicht nur eine gezahlte Sozialplanabfindung auf einen Anspruch auf gesetzlichen Nachteils-
12 Vgl. LAG Hessen v. 16.7.2018 – 16 SaGa 933/18 n. v. (Rz. 28 ff.). 13 BAG v. 12.2.2019 – 1 AZR 279/17, NZA 2019, 719 Rz. 10 ff.
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Kündigung einer nach Betriebsübergang fortgeltenden Betriebsvereinbarung
ausgleich anzurechnen sei und ihr insoweit Erfüllungswirkung zukomme. Vielmehr sei auch im umgekehrten Fall davon auszugehen, dass ein bereits gezahlter Nachteilsausgleich Erfüllungswirkung in Bezug auf einen Anspruch auf Sozialplanabfindung habe14. Somit stünden der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan nach § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG einerseits und der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 1, 3 BetrVG andererseits nicht beziehungslos nebeneinander und könnten auch nicht kumulativ verlangt werden. Vielmehr bestünde insoweit Zweckidentität, als beide dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile einer Betriebsänderung dienten. Dass der Nachteilsausgleichsanspruch darüber hinaus einen Sanktionszweck verfolge, stünde dieser Verrechnung nicht entgegen. Mit ausführlicher Begründung sieht das BAG in dieser wechselseitigen Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung auch keinen Verstoß gegen die Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG). Denn mit seiner Rechtsprechung, nach der eine Missachtung des in § 17 Abs. 2 KSchG vorgesehenen Konsultationsverfahrens zu einer Unwirksamkeit der Kündigungen führe, liege eine hinreichend wirksame Sanktion i. S. von Art. 6 Richtlinie 98/59/EG vor. Eine weitergehende Sanktion, wie sie mit dem Verbot einer Anrechnung des Nachteilsausgleichsanspruchs auf den Sozialplananspruch verbunden wäre, sei deshalb nicht zu rechtfertigen15. (Ga)
4.
Kündigung einer nach Betriebsübergang fortgeltenden Betriebsvereinbarung
a)
Ausgangssituation
Gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB werden Rechte und Pflichten, die bis zum Übergang eines Arbeitsverhältnisses durch Betriebsvereinbarung geregelt waren, Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Es dürfte Einvernehmen über die Frage bestehen, dass diese Regelung nur Auffangcharakter hat. Immer dann, wenn die betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätze bereits zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung einer Betriebs-
14 Ebenso Richardi/Annuß, BetrVG § 113 Rz. 65; krit. DKKW/Däubler, BetrVG §§ 112, 112 a Rz. 123. 15 BAG v. 12.2.2019 – 1 AZR 279/17, NZA 2019, 719 Rz. 21 ff.
267
Betriebsänderung und Betriebsübergang
vereinbarung kommen, gelangt § 613 a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB nicht zur Anwendung. Dies gilt insbesondere beim Übergang eines Betriebs unter Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Identität. Hier gilt die Betriebsvereinbarung ohnehin kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarung fort. Wenn allerdings – beispielsweise wegen des Übergangs eines Betriebsteils und seiner Integration in einen Betrieb ohne eine entsprechende Betriebsvereinbarung – von einer Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung als Inhalt des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Erwerber eine Änderung oder Beendigung vornehmen kann. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des LAG Hamm im Urteil vom 30.5.201816 soll nachfolgend aufgezeigt werden, welche Anforderungen an eine Kündigung gestellt werden müssen17.
b)
Rechtsnatur der Fortgeltung als Inhalt des Arbeitsverhältnisses
Folgt man den Feststellungen des BAG in den Urteilen vom 22.4.200918 und 26.8.200919 zu den Konsequenzen tariflicher Regelungen und überträgt diese auf die Rechtsfolgen eines Betriebsteilübergangs für Betriebsvereinbarungen, hat § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB keine individualrechtliche Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer früheren Betriebsvereinbarung zur Folge. Vielmehr behalten sie ihren kollektivrechtlichen Charakter auch nach dem Betriebsübergang. Der Erwerber ist in den übergegangenen Arbeitsverhältnissen an die transformierten Normen gebunden wie der Betriebsveräußerer, wobei die unmittelbare und zwingende Geltung der Regelungen längstens auf die Dauer eines Jahres befristet ist. Die Normen der bis dahin gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG gültigen Betriebsvereinbarung gelten nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses einseitig zwingend als Mindestarbeitsbedingungen weiter. Vom Übergang in den Arbeitsvertrag betroffen sind Inhalts- und Beendigungsnormen, nicht aber Abschlussnormen oder Normen über betriebliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Letztgenannte Regelungen entfallen für die Arbeitnehmer in dem von der Übertragung betroffenen Be-
16 LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18 n. v. (Revision unter dem Az. 1 AZR 386/18). 17 Zu den sonstigen Formen einer Änderung oder Beendigung eingehend B. Gaul, FS Bauer S. 339 ff. 18 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41. 19 BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238.
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Kündigung einer nach Betriebsübergang fortgeltenden Betriebsvereinbarung
triebsteil. Weitergehende Besonderheiten gelten lediglich für unternehmensoder konzernbezogene Sonderregelungen (z. B. Kindergarten, Firmenunfallversicherung, Sozialeinrichtungen, Belegschaftsaktien). Hier muss geprüft werden, ob nicht basierend auf den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage oder wegen des immanenten Vorbehalts einer weiteren Zugehörigkeit des Betriebsteils zu dem übertragenden Rechtsträger eine Anpassung oder gar ein Wegfall solcher Ansprüche anzunehmen ist20.
c)
Einjährige Änderungssperre
Rechte und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung, die beim übernehmenden Rechtsträger Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geworden sind, dürfen für die Dauer eines Jahres nicht durch eine einzelvertragliche Abrede zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden. Einzelvertragliche Änderungen sind nur statthaft, wenn – bezogen auf vergleichbare Sachgruppen – insgesamt keine Schlechterstellung der Arbeitnehmer erfolgt. Dies gilt für Änderungsvereinbarung und -kündigung gleichermaßen. Das Günstigkeitsprinzip zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag, das bis zum Betriebsübergang durch § 77 Abs. 3 BetrVG bestimmt wurde, besteht also – abgeschwächt auf ein Benachteiligungsverbot – grundsätzlich für die Jahresfrist fort. Vorbehaltlich der Besonderheiten für den Fall, dass die Betriebsvereinbarung innerhalb der Jahresfrist auch aus anderen Gründen enden würde (§ 613 a Abs. 1 S. 4 Alt. 1 BGB), kann eine Änderung oder Verschlechterung der Betriebsvereinbarung innerhalb der Jahresfrist damit grundsätzlich nur durch eine neue oder andere Betriebsvereinbarung oder einen vorrangigen Tarifvertrag durchgesetzt werden.
d)
Kündigung der als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Betriebsvereinbarung
Auch unter Berücksichtigung dieser Jahresfrist stellt sich die Frage, ob die Betriebsvereinbarung auch dann noch gekündigt werden kann, wenn sie „nur“ noch gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB als Inhalt des Arbeitsverhältnisses fort gilt. Gegen eine solche Kündigungsmöglichkeit spricht zunächst einmal, dass der bisherige Betriebsinhaber als vertragsschließende Partei nach der Transformation der Betriebsvereinbarung in das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Erwerber aus der Betriebsvereinbarung in Be20 Vgl. BAG v. 13.12.2006 – 10 AZR 792/05, NZA 2007, 325; BAG v. 7.9.2004 – 9 AZR 631/03, DB 2005, 1223; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 13 Rz. 38 ff., 55 ff., § 25 Rz. 121.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
zug auf die von dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer weder berechtigt noch verpflichtet wird. Einschränkungen ergeben sich allenfalls aus der Nachhaftung gemäß §§ 613 a Abs. 2 BGB, 133, 134 UmwG. Dies spricht zunächst einmal für die Annahme, dass eine Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber nur bis zum Übergang der Arbeitsverhältnisse erklärt werden kann. Naheliegend ist darüber hinaus, dass etwaige Änderungen oder eine Beendigung nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse deshalb nur noch durch den Erwerber auf der Ebene des Individualarbeitsrechts veranlasst werden können, also durch Änderungskündigung oder -vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und übernehmendem Rechtsträger. Insbesondere eine Kündigung könnte hiervon ausgehend mit Wirkung für die übernommenen Arbeitnehmer nur noch von und gegenüber den Arbeitnehmern, nicht etwa von und gegenüber einem nunmehr zuständigen Betriebsrat bzw. dem Betriebserwerber gegenüber ausgeübt werden21. Folgt man dieser individualrechtlichen Betrachtungsweise, erscheint es allerdings geboten, im Hinblick auf die Notwendigkeit einer generellen Rechtfertigung solcher Änderungskündigungen an §§ 1, 2 KSchG dann eine Ausnahme zu machen, wenn die als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Rechte und Pflichten bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung geregelt waren. Um zu verhindern, dass der vom Betriebsübergang bzw. der Umwandlung betroffene Arbeitnehmer als Folge der Transformation der Betriebsvereinbarung in das Arbeitsverhältnis – was nicht beabsichtigt ist – besser gestellt wird, als er ohne den Übertragungsvorgang stehen würde, ist hier eine Änderungskündigung ohne Rücksicht auf die durch §§ 1, 2 KSchG festgeschriebenen Schranken erlaubt22. Nicht erforderlich erscheint auch, den Betriebsrat nach § 102 BetrVG anzuhören23. Vielmehr kann der übernehmende Rechtsträger durch einseitige Erklärung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern die individualrechtlich fortgeltenden Ansprüche beseitigen. Für die inhaltlichen Anforderungen an die Kündigung gilt also weiter § 77 BetrVG, eine materiell-rechtliche Rechtfertigung ist also nicht erforderlich. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass die Fortgeltung der früheren Betriebsvereinbarung als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses nicht Folge einer kollektivrechtlich vereinbarten Nachwirkung ist. In diesem Fall bliebe es bei dem Erfordernis,
21 So Erman/Hanau, BGB § 613 a Rz. 85; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 25 Rz. 134; Meyer, DB 2000, 1174, 1178. 22 Vgl. Bauer/v. Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 25 Rz. 135; Henssler, NZA 1994, 913, 919 f. 23 Ebenso Bauer/v. Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508.
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Kündigung einer nach Betriebsübergang fortgeltenden Betriebsvereinbarung
eine Änderungskündigung gemäß §§ 1, 2 KSchG aussprechen zu müssen24. Andernfalls bliebe unberücksichtigt, dass es arbeitgeberseitig auch ohne den Betriebsübergang bzw. die Umwandlung nur im Wege eines Einigungsstellenverfahrens möglich gewesen wäre, eine Abänderung oder gar Aufhebung der Rechte und Pflichten aus der Betriebsvereinbarung zu erreichen25. Die hier entwickelte Ausnahme bleibt deshalb auf solche Fallgestaltungen begrenzt, in denen bis zum Übergang des Arbeitsverhältnisses weder eine Kündigung noch eine Befristung der freiwilligen Betriebsvereinbarung vorgenommen wurde, § 613 a Abs. 1 S. 4 Alt. 1 BGB also nicht zur Anwendung kommen konnte. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass die allgemeinen Grundsätze zur Kündigung freiwilliger Betriebsvereinbarungen, wie sie vor allem mit Blick auf § 75 BetrVG entwickelt wurden, beachtet werden. Dies gilt insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Außerdem muss der übernehmende Rechtsträger beim Ausspruch seiner Kündigung, die insoweit berechtigterweise als Teilkündigung qualifiziert werden kann26, die in der Betriebsvereinbarung vereinbarte oder aus § 77 Abs. 5 BetrVG resultierende Kündigungsfrist einhalten27. § 622 BGB findet keine Anwendung28. Diesen individualrechtlichen Lösungsansatz wird man allerdings mit Blick auf die Feststellungen des BAG im Urteil vom 22.4.200929 noch einmal überdenken müssen. In dieser Entscheidung hatte der 4. Senat des BAG die kollektivrechtliche Fortgeltung der Regelungen eines Tarifvertrags auch nach ihrem Übergang in das Arbeitsverhältnis nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB im Anschluss an einen Betriebsübergang angenommen. Überträgt man diese Bewertung auf die Fortgeltung der Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB, was in Übereinstimmung mit den Feststellungen des LAG Hamm im Urteil vom 30.5.201830 richtig erscheint, wäre auch hier eine individualvertragliche Fortgeltung abzulehnen. Vielmehr würde die Betriebsvereinbarung kollek24 Abw. Bauer/v. Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508 f., die auch in diesen Fällen eine Teilkündigung ohne Beschränkung aus §§ 1, 2 KSchG für zulässig halten. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch den übernehmenden Rechtsträger soll hier lediglich einer an § 315 BGB orientierten Billigkeitskontrolle unterliegen und an das Vorliegen eines sachlichen Grundes geknüpft sein. 25 Vgl. BAG v. 28.4.1998 – 1 ABR 43/97, NZA 1998, 1348. 26 So Bauer/v. Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508. 27 Ebenso Erman/Hanau, BGB § 613 a Rz. 85. 28 Bauer/v. Steinau-Steinrück, NZA 2000, 505, 508. 29 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41. 30 LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18 n. v. (Rz. 104).
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
tivrechtlich als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses weitergelten, was zunächst einmal zur Folge hätte, dass der übertragende Rechtsträger auch nach dem Betriebsübergang gegenüber dem bis dahin zuständigen Betriebsrat noch eine Kündigung erklären könnte, die auch für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse Bedeutung hätte31. Denn diese Kündigung kann zu einer Beendigung der Betriebsvereinbarung führen, die mit Ablauf der Kündigungsfrist ihren vollständigen Wegfall oder aber den Wegfall des zwingenden Charakters dieser Betriebsvereinbarung zur Folge hat (§ 613 a Abs. 1 S. 4 Alt. 1 BGB). Darüber hinaus könnte auch der übernehmende Rechtsträger eine Kündigung dieser Betriebsvereinbarung aussprechen. Diese Kündigung kann in jedem Fall gegenüber dem Betriebsrat erklärt werden, der im Rahmen des Übergangsmandats gemäß § 21 a BetrVG noch für den übertragenen Betriebsteil zuständig ist. Denn dieser war und ist auf Arbeitnehmerseite Vertragspartner dieser kollektivrechtlichen Vereinbarung und insoweit auch der zuständige Ansprechpartner für Maßnahmen des Erwerbers. Ausgehend davon, dass der Erwerber als Rechtsnachfolger in die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung des früheren Betriebsinhabers eintritt, ist damit auch die Befugnis verbunden, Änderungen zu vereinbaren oder eine Kündigung auszusprechen. Ergänzend hierzu wird man als Konsequenz der kollektivrechtlichen Fortgeltung eine Kündigungsmöglichkeit aber auch gegenüber dem Betriebsrat annehmen müssen, der als Folge einer Neuwahl oder der späteren Eingliederung in einen anderen Betrieb des Erwerbers für die vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer zuständig wird32. Denn auch insoweit ist eine Rechtsnachfolge gegeben, aus der sich ein Eintritt in die Position als Partei der bis zum Betriebsteilübergang geltenden Betriebsvereinbarung ergibt. Im Rahmen dieser Rechtsnachfolge ist der neue Betriebsrat auch berechtigt, eine Änderung oder Beendigung der Betriebsvereinbarung auszumachen33 bzw. durch Kündigung durchzusetzen. Zu Recht verweist das LAG Hamm in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass der Bestand einer nach Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB fortgeltenden Betriebsvereinbarung nicht weiter geschützt sein könne, als er bei einem Fortbestehen der Betriebsänderung und kollektiver Weitergeltung geschützt wäre. Daher müsse nicht nur eine Ablösung, sondern auch eine Kündigung unter den gleichen Voraussetzungen möglich sein wie bei normativer Fortgeltung der Regelungen. Dies schließt die Befugnis 31 Ebenso LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18 n. v. (Rz. 107). 32 Ebenso LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18 n. v. (Rz. 107). 33 Vgl. BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00, NZA 2002, 276 Rz. 65.
272
Art und Umfang der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses
ein, die Kündigung nicht gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer erklären zu müssen, sondern sie gegenüber dem Betriebsrat erklären zu können, der zum Zeitpunkt der Kündigung für die hiervon betroffenen Arbeitnehmer zuständig ist34. Die zum Teil vertretene Auffassung, nach der eine solche Kündigung gegenüber den Arbeitnehmern selbst auszusprechen sei, überzeugt nicht. Eine solche Situation kommt allenfalls dann in Betracht, wenn nach Ablauf eines etwaigen Übergangsmandats kein neuer Betriebsrat gewählt wurde, also ein betriebsratsloser Betrieb gegeben ist35.
e)
Fazit
Auch die nach dem Übergang eines Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit einem Betriebsteilübergang „nur“ noch als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgeltenden Betriebsvereinbarungen können auf vielfältige Weise geändert werden. Wichtig insbesondere für den Erwerber ist, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten zu analysieren. Dabei wird man aus den Feststellungen des BAG in den Urteilen vom 22.4.200936 und 26.8.200937 eine weitere Rechtfertigung für die Annahme ableiten können, dass Rechte und Pflichten einer Betriebsvereinbarung, deren Fortgeltung durch § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt wird, durch Kündigung gegenüber dem jeweils zuständigen Betriebsrat beendet werden können. Dabei gelten die aus § 77 BetrVG zur Kündigung einer normativ geltenden Betriebsvereinbarung entwickelten Grundsätze. Eine soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß §§ 1, 2 KSchG ist ebenso wenig erforderlich wie eine Kündigung, die gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer erklärt wird. Eine solche Kündigung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern kommt nur in Betracht, wenn in der Einheit, in der der Betriebsteil fortgeführt wird, auch nach Ablauf eines etwaigen Übergangsmandats kein Betriebsrat besteht. (Ga)
5.
Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses
Wenn eine Auskunft über wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens gemäß § 106 BetrVG entgegen dem Verlangen des Wirtschaftsausschusses nicht, nicht rechtzeitig oder nur ungenügend erteilt wird und hier34 35 36 37
LAG Hamm v. 30.5.2018 – 6 Sa 55/18 n. v. (Rz. 107). Vgl. BAG v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/02 n. v. BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41. BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238.
273
Betriebsänderung und Betriebsübergang
über zwischen Unternehmer und Betriebsrat keine Einigung zustande kommt, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 109 S. 1, 2 BetrVG). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die aus § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG resultierende Pflicht des Arbeitgebers, den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, durchgesetzt werden kann. Mit Beschluss vom 12.2.201938 entschied das BAG, dass sich diese gesetzliche Zuständigkeit der Einigungsstelle bei Konflikten über ein Auskunftsverlangen des Wirtschaftsausschusses auch auf Streitigkeiten über die Art und Weise der Erteilung von Auskünften bezieht. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet war, dem Wirtschaftsausschuss bestimmte Unterlagen auch auf elektronischem Wege als elektronische Datei im Excel-Format zu übermitteln. Eine solche Zuständigkeit sei dem Wortlaut von § 109 BetrVG zwar nicht zwingend zu entnehmen. Sinn und Zweck von § 109 BetrVG spreche aber – so das BAG – für eine umfassende Primärzuständigkeit der Einigungsstelle auch bei Meinungsverschiedenheiten der Betriebsparteien über konkrete Modularitäten der Unterrichtungs- und Vorlagepflicht des Unternehmers gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Sinn des Einigungsstellenverfahrens sei es, eine der „internsten Angelegenheiten der Unternehmensleitung“ zunächst einmal unter einer unternehmensinternen Regelung zuzuführen. Die Form der Vorlage von Unterlagen gegenüber dem Wirtschaftsausschuss – als Papierausdruck oder als elektronische Datei – sei regelmäßig nicht nur vom Umfang der Auskunftserteilung abhängig, sondern auch von deren Inhalten. Insofern könne dies bei einfachen Datensätzen anders zu beurteilen sein als bei umfangreichen Dokumenten. Vor allem aber könnten – inhaltsabhängig – diverse unternehmensspezifische Belange zu beachten sein, etwa ein Interesse an Blatt- und Kopierschutz bei elektronischen Dateien. Gerade derartige „inhaltskontextuelle Fragen“ sollten aber nach § 109 BetrVG einer unternehmensinternen Lösung zugeführt werden. Das Gleiche gelte, wenn Streitigkeiten über den Adressatenkreis der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses bestünden39. Wichtig an der Anerkennung dieser Zuständigkeit der Einigungsstelle ist, dass eine Klage des Betriebsrats, durch die ein entsprechendes Auskunfts38 BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17 n. v. (Rz. 19 ff.). 39 BAG v. 12.2.2019 – 1 ABR 37/17 n. v. (Rz. 21 f.).
274
Art und Umfang der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses
verlangen des Wirtschaftsausschusses durchgesetzt werden soll, nicht zulässig ist. Der Betriebsrat muss zunächst einmal versuchen, seine Ansprüche im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens durchzusetzen. Lehnt die Einigungsstelle durch Spruch eine entsprechende Auskunft ab, kann der Betriebsrat diesen anfechten. Bestätigt die Einigungsstelle durch Spruch eine bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers zur Auskunft, obliegt es dem Arbeitgeber, den Spruch anzufechten, falls die darin liegende Anspruchsgrundlage beseitigt werden soll. Erfolgt keine Anfechtung, kann der Betriebsrat im Beschlussverfahren die Erfüllung der aus dem Spruch folgenden Verpflichtungen durchsetzen40. (Ga)
40 HWK/Willemsen/Lembke, BetrVG § 109 Rz. 15 ff.; vgl. BAG v. 8.8.1989 – 1 ABR 61/88, NZA 1990, 150.
275
J. Aktuelles aus Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht 1.
Arbeitslosengeldanspruch nach unwiderruflicher Freistellung des Arbeitnehmers
Vielfach werden Arbeitnehmer im Anschluss an eine Kündigung oder den Abschluss eines Aufhebungsvertrags bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich unter Anrechnung auf Resturlaubsansprüche und Arbeitszeitguthaben von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit. Als Bemessungsentgelt für die Festsetzung des Arbeitslosengeldanspruchs ist ein fiktives – ggf. niedrigeres – Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, wenn innerhalb des zweijährigen Bemessungszeitraums nicht mindestens 150 Tage mit einem Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden können (§ 152 Abs. 1 S. 1 SGB III). Das fiktive Arbeitsentgelt wird dabei nach einer Qualifikationsgruppe ermittelt, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die sich die Vermittlungsbemühungen erstrecken. In der Vergangenheit hatte die Agentur für Arbeit jedenfalls Zeiten einer einvernehmlichen Freistellung innerhalb des Bemessungsrahmens bei der Berechnung des Bemessungsentgelts nicht berücksichtigt. Zur Begründung war darauf verwiesen worden, dass mit der Freistellung das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis ende. Denn hierfür sei eine tatsächliche Arbeitsleistung erforderlich1. Mit seinem Urteil vom 30.8.20182 hat das BSG diese Sichtweise abgelehnt und deutlich gemacht, dass auf der Grundlage des versicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriffs bei der Berechnung des Arbeitslosengeldanspruchs auch das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist, das während einer vereinbarten Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Dass beispielsweise in § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III von einer Beschäftigungslosigkeit auszugehen ist, wenn – ohne Rücksicht auf einen fortbestehenden Arbeitsentgeltanspruch – keine Beschäftigung des Arbeitnehmers mehr erfolgt, stehe dieser Bewertung nicht entgegen. Denn der Begriff der Beschäftigung sei jeweils „funktionsdifferent“, also sachbezogen nach Stellung und Aufgabe der Regelung in der Rechtsordnung, zu bestimmen.
1 2
Ebenso LSG Baden-Württemberg v. 29.6.2018 – L 8 AL 27/18 n. v. (Rz. 31). BSG v. 30.8.2018 – B 11 AL 15/17 R, NZA-RR 2019, 217 Rz. 24.
277
Aktuelles aus Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
In dem zugrunde liegenden Fall war die Klägerin Arzthelferin und Kinderkrankenschwerster. Sie arbeitete seit dem 1.10.1996 als Pharmareferentin. Aus betrieblichen Gründen vereinbarte die Klägerin mit dem Arbeitgeber am 9.3.2011 eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.4.2012. Damit verbunden war eine unwiderrufliche Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung i. H. von 5.280,22 € (brutto), die bereits zum 1.5.2011 erfolgte. Nachdem die Klägerin zunächst einmal Krankentagegeld bezogen hatte, beantragte sie zum 25.3.2013 Arbeitslosengeld, das ihr auch für die Dauer von 540 Kalendertagen bewilligt wurde. Grundlage hierfür war ein Bemessungsentgelt i. H. von kalendertäglich 71,87 €, das einem fiktiven Arbeitsentgelt der Qualifikationsgruppe 3 entsprach. Ausgangspunkt war dabei die Annahme der Agentur für Arbeit, dass als Folge der Freistellung ein Anspruch auf Arbeitsentgelt von weniger als 150 Tagen immer weiter im Bemessungsrahmen gegeben war. Das BSG hat deutlich gemacht, dass – abweichend von dieser Sichtweise – von einem Fortbestand des aus der Beschäftigung folgenden Versicherungspflichtverhältnisses auch während der Freistellung auszugehen war. Denn das Versicherungspflichtverhältnis wegen einer Beschäftigung i. S. des § 24 Abs. 1 Alt. 1 SGB III bestehe bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses bei Fortzahlung des Entgelts, auch wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Beschäftigung bereits aufgegeben habe und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich und unwiderruflich freigestellt werde3. Insofern halte der Senat daran fest, dass das durch nichtselbständige Arbeit in einem tatsächlich vollzogenen Arbeitsverhältnis begründete versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bei der Vereinbarung einer Freistellung von der Arbeitsleistung nicht bereits mit der Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, sondern erst mit dem regulären Ende des Arbeitsverhältnisses aufhöre, wenn bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt gezahlt werde. Dies gelte unabhängig von einer etwaigen Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber zur Beantwortung von Fragen und zur Erteilung von Informationen jederzeit zur Verfügung zu stehen4. Damit war auf das durchschnittlich während dieses Zeitraums ausgezahlte Arbeitsentgelt abzustellen. Denn dieser Zeitraum wurde trotz der anschließenden Arbeitsunfähigkeit nebst Krankengeldbezug als Konsequenz der Erweiterung des Bemessungszeitraums berücksichtigt (§ 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III). Eine fiktive Bemessung, wie sie die Agentur für Arbeit vorge3 4
Ebenso bereits BSG v. 11.12.2014 – B 11 AL 2/14 R n. v. (Rz. 20) – B 12 KR 22/07 R, NZA-RR 2009, 272 Rz. 13 ff., 20. BSG v. 30.8.2018 – B 11 AL 15/17 R, NZA-RR 2019, 217 Rz. 16 f.
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Kein Wegeunfall bei der Fahrt zum Waschsalon vor Arbeitsantritt
nommen hatte, kam nicht in Betracht. Ob die Klägerin einzelne Arbeitsentgeltzahlungen – gleich aus welchem Grund – erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten hatte, war ebenfalls unerheblich. Bemessungsrechtlich war – so das BSG – nur relevant, dass der Anspruch auf beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens entstanden und das Entgelt später zugeflossen ist. Abschließend hat das BSG darauf hingewiesen, dass es an Feststellungen in früheren Entscheidungen, mit denen ohne nähere Begründung der Standpunkt eingenommen worden sei, die Zeiten einer unwiderruflichen Freistellung blieben bei der Bemessung des Arbeitslosengeldanspruchs unberücksichtigt5, nicht mehr festhalte. Damit bestehen jedenfalls sozialversicherungsrechtlich keine Gründe, von einer Freistellung des Arbeitnehmers bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Abstand zu nehmen, wenn in dieser Zeit Arbeitsentgeltansprüche weiterhin fortbestehen. (Ga)
2.
Kein Wegeunfall bei der Fahrt zum Waschsalon vor Arbeitsantritt
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VI Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VI begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Hierzu gehört auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges wird nur unter den in § 8 Abs. 2 Nr. 2, 3 SGB VI vorgesehenen Voraussetzungen einbezogen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und Zielpunkt begrenzt ist. Nach diesen Vorgaben des BSG ist deshalb in der gesetzlichen Unfallversicherung das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit einzubeziehen. Der Versicherungsschutz bestehe, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt werde, den Ort der Tätigkeit – oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung – zu erreichen. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusam-
5
So BSG v. 30.4.2010 – B 11 AL 160/09 B n. v. (Rz. 3) 14/08 R n. v. (Rz. 22).
– B 11 AL
279
Aktuelles aus Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
menhang sei, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet sei, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, d. h. ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte bezogen ist6. In dem einer Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 29.6.20187 zugrunde liegenden Fall ist diese objektive Handlungstendenz bei einer Fahrt zum Waschsalon vor Arbeitsantritt abgelehnt worden. Wenn die Fahrt von der Wohnung mit der Absicht aufgenommen worden sei, nach einer längeren, aber unter zwei Stunden liegenden Unterbrechung der Fahrt zur Wahrnehmung privatnütziger Zwecke den Arbeitsplatz zu erreichen, sei ein auf dem gewöhnlichen Weg zur Arbeit und noch vor Erreichen des geplanten Abweges zur privaten Verrichtung erlittener Unfall nur dann gesetzlich unfallversichert, wenn nach den Grundsätzen einer gemischten Handlungstendenz die Verrichtung objektiv eine versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lasse, diese also wesentliche Grundlage der unfallbringenden Fahrt gewesen ist. Hiervon ist nach der Auffassung des LSG BadenWürttemberg aber nicht auszugehen, wenn die Fahrt zur Arbeitsstelle ohne das Ansteuern des privaten Zwischenziels nicht zum gleichen Zeitpunkt, sondern erst deutlich später erfolgt wäre. Dabei spielt es keine Rolle, ob während des Besuchs im Waschsalon auch dienstliche Kleidung hätte gewaschen werden sollen. In dem konkreten Fall hatte der Kläger seine Wohnung bereits um 9:20 Uhr verlassen, obwohl der übliche Dienstbeginn erst um 13:55 Uhr war. Der Unfall war bereits um 9:25 Uhr geschehen. Konkrete Terminabsprachen mit Kollegen oder dringend zur Erledigung anstehende Dienstgeschäfte, die einen früheren Dienstbeginn erforderten, waren nicht erkennbar. Dass zu einem späteren Zeitpunkt (auch) eine Fahrt zum Arbeitsplatz von der Wohnung aus stattgefunden hätte, spielte für die Beurteilung der wesentlichen Handlungstendenz, die der Unfallfahrt zugrunde lag, keine Rolle. Ohne die private Motivation des Aufsuchens des Waschsalons wäre es – so das LAG Baden-Württemberg – nicht zur der konkreten zum Unfallzeitpunkt ausgeübten Verrichtung gekommen, da der Kläger erst deutlich später den Weg zum Beschäftigungsort hätte antreten müssen, weshalb das Zurücklegen des Weges zum Zeitpunkt des Unfalls nicht durch betriebliche Erfordernisse bestimmt gewesen wäre, sondern in der eigenwirtschaftlichen Motivation des 6 7
BSG v. 23.1.2018 – B 2 U 3/16 R, NJW 2018, 2149 Rz. 12 -Württemberg v. 29.6.2018 – L 8 U 4324/16 n. v. (Rz. 24). LSG Baden-Württemberg v. 29.6.2018 – L 8 U 4324/16 n. v. (Rz. 27 ff.).
280
Versicherungsschutz durch gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitstätigkeiten
Aufsuchens des Waschsalons seinen Grund gefunden hätte. Eine versicherungsbezogene Handlungstendenz war deshalb objektiv nicht zu erkennen. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie macht noch einmal deutlich, dass Arbeitnehmer, wenn die gesetzliche Unfallversicherung in Anspruch genommen werden soll, damit rechnen müssen, dass sehr genau überprüft wird, ob und ggf. aus welchem Grund die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsplatz unterbrochen wurde. Bewirkt die Unterbrechung, dass als Folge einer (auch) privaten Zweckbestimmung eine gemischte Handlungstendenz in Rede steht, muss der Arbeitnehmer darlegen und ggf. auch beweisen, dass objektiv eine Verrichtung der versicherungsbezogenen Handlungstendenz im Vordergrund stand. (Ga)
3.
Versicherungsschutz durch gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitstätigkeiten im Home-Office
Die zunehmende Verlagerung von Arbeiten ins Home-Office ist nicht nur mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen verbunden8. Vielmehr stellt sich auch sozialversicherungsrechtlich die Frage, ob Arbeitnehmer bei einem Unfall Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen können. Insofern ist es von erheblicher Bedeutung für die betriebliche Praxis, dass das BSG seine bisherige Rechtsprechung in mehreren Urteilen vom 27.11.20189 in wesentlichen Punkten geändert und Leitlinien entwickelt hat, nach denen auch solche Unfälle in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aufgenommen werden. In der ersten Entscheidung ging es um einen Gesellschafter-Geschäftsführer, der seine Geschäftsräume an sich im ersten Obergeschoss eines sechsstöckigen Mehrfamilienhauses hatte. Im Kellergeschoss des Gebäudes befanden sich allerdings Serveranlage und Archiv. Alle Stockwerke waren über ein gemeinsames Treppenhaus verbunden, das der Kläger auch dann benutzte, wenn er sich in seine Wohnung im fünften Obergeschoss begab. Am Unfalltag führte der Kläger nach der Rückkehr von einem auswertigen Geschäftstermin gegen 0:00 Uhr ein größeres Software-Update durch. Dies machte es notwendig, dass er zwischen dem Computer, der im ersten Obergeschoss in den Büroräumen stand, und dem im Kellergeschoss befindlichen Serverraum hin und her gehen musste, um den Vorgang und seinen Ablauf zu überwachen. Auf einem seiner Wege vom Serverraum im Kellergeschoss
8 9
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2017, 441 2016, 81 ff., 461 ff. BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 8/17 R n. v. – B 2 U 28/17 R n. v.
281
Aktuelles aus Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
zum Büro im ersten Obergeschoss stürzte er nachts gegen 1:30 Uhr auf der Haustreppe und zog sich dabei eine Kahnbeinfraktur zu. Da Wohnung und Arbeitsstätte in einem Gebäude lagen, lehnte es die gesetzliche Unfallversicherung ab, Entschädigungsleistungen zu erbringen. Nach ihrer Auffassung standen nur die jeweiligen Arbeitsräume, nicht aber die Wege innerhalb des Gebäudes unter Versicherungsschutz. In dem zweiten Fall war die Klägerin zwar schwerpunktmäßig im Außendienst eingesetzt. Weitere Ausführungen zum Arbeitsplatz der Klägerin enthielt der Arbeitsvertrag indes nicht, insbesondere waren darin keine Vorgaben zur Einrichtung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im häuslichen Bereich vorgesehen. Zum Unfallzeitpunkt wohnte die Klägerin in einem „Haus im Haus“. Von der Diele im Erdgeschoss führte eine Treppe in das Kellergeschoss. Im Keller befanden sich mehrere Räume, unter anderem ein Raum, der nach Angaben der Klägerin als Büro bzw. Home-Office genutzt wurde und in dem sich ein Schreibtisch befand. Weitere Räume wurden zur Ablage von Produktblättern und Ordnern sowie als Lagerraum für Schulungsunterlagen, Druckfarbe, Stifte und private Dokumente genutzt. Am Unfalltag hielt sich die Klägerin auf einem Messegelände auf, um Kunden für ein Projekt zu gewinnen. Nachdem eine Mitarbeiterin des Arbeitgebers sie gegen 14:45 Uhr telefonisch aufgefordert hatte, den Geschäftsführer um 16:30 Uhr anzurufen, fuhr sie nach Hause und wollte dort in ihrem Büro im Kellergeschoss den mitgeführten Laptop anschließen, um mit dem Geschäftsführer telefonisch in Kontakt zu treten. Beim Hinuntergehen auf der Kellertreppe rutschte sie allerdings gegen etwa 16:10 Uhr aus, stürzte und verletzte sich im Wirbelsäulenbereich. Auch hier lehnte die Unfallversicherung eine Anerkennung ab, weil auf Treppen zwischen privat und geschäftlich genutzten Räumen kein Versicherungsschutz für zurückgelegte Wege bestehe. In beiden Fällen hat das BSG diese Sichtweise der Unfallversicherung abgelehnt und angenommen, dass ein Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII vorgelegen hat. Die Kläger hatten einen Unfall erlitten, vor dessen Eintritt sie durch eine Verrichtung den gesetzlichen Tatbestand einer versicherungspflichtigen Tätigkeit erfüllt hatten und deshalb „Versicherte“ waren. Die Verrichtung der Kläger zur Zeit des Unfallereignisses – das Hinabbzw. Hinaufsteigen der Kellertreppe – stand auch in einem sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit als GesellschafterGeschäftsführer bzw. als Sales und Key Account Managerin. Denn die Kläger legten zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg i. S. der §§ 8 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zurück, als sie die Treppe benutzten, um den mitgeführten Laptop anzuschließen und den Geschäftsführer anzurufen bzw. das Software-Update zu überwachen. Betriebswege sind Wege – so das 282
Versicherungsschutz durch gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitstätigkeiten
BSG –, die in Ausübung der Versichertentätigkeit zurückgelegt werden, somit Teil der versicherten Tätigkeit und der Betriebsarbeit gleichstehend10. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit i. S. des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der Versichertentätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind auch nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen11. Dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin bzw. dem Gebäude mit ihrer Wohnung ereignete, stand dem Versicherungsschutz nicht entgegen. Insoweit spielt auch die Grenze zwischen dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges und dem unversicherten häuslichen Lebensbereich an dieser Stelle keine Rolle. Denn diese Grenzziehung durch das Durchschreiten der Außentür eines Wohngebäudes, an das das BSG in der Vergangenheit regelmäßig angeknüpft hatte, greift nach den aktuellen Feststellungen des BSG im Urteil vom 27.11.201812 im Unterschied zur Wegeunfallversicherung nach § 8 Abs. 2 SGB VII für Betriebswege nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und der Betriebsweg in Ausführung der Versichertentätigkeit zurückgelegt wird. Ob und inwieweit die Arbeitsstätte im häuslichen Bereich liegt, ist auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Regelungen einzelfallbezogen festzustellen. Darauf weist das BSG hin. Die Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung setzt nach seinen Feststellungen voraus, dass der Arbeitnehmer kraft Vereinbarung regelmäßig (ausschließlich oder alternierend) in Räumlichkeiten tätig wird, die sich in dem gleichen Haus befinden, in dem er auch wohnt. Liege der arbeitsvertragliche Erfüllungsort (§ 269 BGB) für die Arbeitsleistung (Arbeitsort) dagegen außerhalb des Wohnhauses des Beschäftigten und erledige er seine Arbeit (ggf. eigeninitiativ außerhalb der Arbeitszeit) zu Hause, ohne dies arbeitsvertraglich vereinbart zu haben oder dazu aufgrund einer (Einzel-)Weisung des Arbeitgebers angehalten worden zu sein, scheide eine „Home-Office“-Konstellation regelmäßig aus13. Wenn die gesetzliche Unfallversicherung in Anspruch genommen werden soll, muss 10 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 17) – B 2 U 9/16 R, NJW 2018, 1207 Rz. 10. 11 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 17)
– 2 RU 34/89 n. v. (Rz. 17). 12 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 18). 13 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 19) – B 2 U 7/12 R n. v. (Rz. 19).
283
Aktuelles aus Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
also eine Vereinbarung über ein Home-Office oder die Arbeit in den privaten Räumlichkeiten im Rahmen der mobilen Arbeit getroffen werden. Abweichend von der früheren Rechtsprechung des BSG spielt das Kriterium der „objektiven“ Nutzungshäufigkeit des Unfallorts keine Rolle mehr. Auf der Grundlage seiner Feststellungen im Urteil vom 31.8.201714 gibt bei der Feststellung eines Arbeitsunfalls im häuslichen Bereich die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen, den Ausschlag. Ob ein Weg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt werde und deshalb im sachlichen Zusammenhang mit der Versichertentätigkeit stehe, bestimme sich – so das BSG – vielmehr vorrangig danach, ob der Versicherte bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt werde. Entscheidend sei daher, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck der Versicherte in dem Moment des Unfalls ausgeübt hatte. Dabei können insbesondere der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens und dessen objektive Zweckbestimmung als Indiz Berücksichtigung finden. Insoweit gelten für Wege, die innerhalb oder außerhalb des Wohngebäudes zurückgelegt werden, die gleichen Maßstäbe15. Dass im häuslichen Bereich die Beweisführung hinsichtlich der Handlungstendenz und die entsprechende Überprüfung klägerseitiger Angaben besonders schwierig sein kann, weil der Kreis der „unternehmensdienlichen“ Verrichtungen bei Selbständigen sowie bei abhängig Beschäftigten, die im „Home-Office“ tätig sind, typischerweise mit weiten Teilen des Privatlebens verwoben ist, nimmt das BSG hin. Ein Schutz der Unfallversicherung erfolgt dadurch, dass die objektiven Umstände des Einzelfalls im Vollbeweis bestätigt werden müssen16. (Ga)
14 BSG v. 31.8.2017 – B 2 U 9/16 R, NJW 2018, 1207 Rz. 12. 15 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 21 ff.). 16 BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R n. v. (Rz. 23) 28/05 R n. v. (Rz. 22).
284
– B 2 U
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen
A1-Bescheinigung 29, 68 f. Abmahnung - außerordentliche Kündigung 180 - Eingliederungsmanagement 170 Abrufarbeit - Arbeitszeitdauer 1 f. - Gesetzesänderung 1 f. - Mini-Job 1 f. - Sozialversicherung 1 f. Abwerbung - Arbeitnehmer 109 ff. - Wettbewerbsverbot 109 ff. AGB-Kontrolle - Alt-Vertrag 89 ff. - Ausschlussfrist 89 ff. - Verbrauchervertrag 92 AGG-Hopper 98 ff. Altersabstandsklausel, Betriebsrente 195 ff. Altersfreizeit, Teilzeitbeschäftigung 163 f. Altersgrenze, befristeter Arbeitsvertrag 82 f. Altersteilzeit, Urlaub 140 ff., 146 Änderungskündigung, Betriebsübergang 270 Arbeitnehmer - Abwerbung 109 ff. - Arbeitslosengeld 277 ff. - Auskunftsanspruch 101 ff. - Freistellung 277 ff. - Kirche 184 ff. - Konkurrenztätigkeit 109 - Reisezeit 130 ff. - Sozialschutz 75
Arbeitnehmer - Statusprüfung 111 f. - Whistleblower 55 Arbeitnehmerbegriff, EURichtlinie 47 f. Arbeitnehmerdatenschutz ĺ Datenschutz Arbeitsbehörde, Europäische 52 Arbeitsentgelt - Auslandsentsendung 31, 131 ff. - Außendienst 130 - Beitragsbemessungsgrenze 130 - Betriebsratsmitglied 223 ff. - Betriebsvereinbarung 137 - Entgeltliste 236 ff. - Monteur 130 - Reisezeit 130 ff. - Tarifvertrag 137 f. Arbeitskampf - E-Mail-Account 211 - Interessenabwägung 208 ff. - Kommunikationsinfrastruktur 211 - Streik 207 ff. - Streikbruchprämie 211 ff. - Twitter 210 - Unterlassungsanspruch 208 f. Arbeitslosengeld - Bemessungsentgelt 278 f. - Bemessungszeitraum 278 f. - Beschäftigungsbegriff 277 ff. - Freistellung 277 ff. Arbeitslosenversicherung, Brexit 23 f. Arbeitsort, Arbeitsvertrag 48 285
Stichwortverzeichnis
Arbeitsschutz - Arbeitszeit 113 ff. - Betriebsrat 240 f. - Fremdpersonal 240 f. - Leiharbeitnehmer 240 f. - psychische Belastung 44 f. - Urlaubsgewährung 151 ff. Arbeitsunfähigkeit, Begriff 170 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ĺ AU-Bescheinigung Arbeitsunfall - Fremdpersonal 240 f. - Home-Office 281 ff. - Leiharbeitnehmer 240 f. Arbeitsvertrag - Änderung 51 - Arbeitsort 48 - Befristung ĺ befristeter Arbeitsvertrag - Flexibilisierung 72 - Geschäftsgeheimnis 18 - Günstigkeitsvergleich 216 ff. - Kennzeichnung 111 f. - Nachweis 49 - Nebentätigkeit 50 - Probezeit 50 - Reisezeit 137 f. - Schriftform 49 - Schriftformklausel 124 - Stellenbeschreibung 86 ff. - Verschwiegenheitsklausel 17 ff. Arbeitszeit - Arbeitsschutz 113 - Aufzeichnungspflicht 24 ff., 113 ff. - Ausgleichszeitraum 117 ff. - Auskunftsanspruch Betriebsrat 26, 113 - Betriebsratsmitglied 227 ff. - Delegation 25 - Diskriminierung 117 ff. 286
Arbeitszeit - Dokumentationspflicht 24 ff., 113 ff. - Feiertage 25 - Flexibilisierung 24 ff. - Gesetzesänderung 25 f. - Gewerbeaufsicht 113 - GRC 116 f. - Höchstgrenze 25 - Mehrarbeitszuschlag 117 ff. - MiLoG 25 f. - Richtlinie 24 ff. - Ruhepause 25, 115 - Ruhezeit 25, 27, 115 - Sonntage 25 - tägliche 24 f., 115 - Überstunden 25 - Überstundenzuschlag 117 ff. - Vergütungspflicht 130 ff. - Vertrauensarbeitszeit 113 ff. - Wochenarbeitszeit 25, 27, 115 Arbeitszeitbetrug, Kündigung 180 ff. AU-Bescheinigung - ärztliche Untersuchung 96 f. - Berufsordnung Ärzte 96 f. - Beweiswert 95 ff. - elektronische 33 f. - Internet 95 ff. - Kommunikationsmedien 96 f. - WhatsApp 95 ff. Aufhebungsvertrag - Drucksituation 173 - faires Verhandeln 171 ff. - Naturalrestitution 173 ff. - Schadensersatz 173 ff. - Überraschung 173 - Überrumplung 173 Aufwandsentschädigung, Entsendung 31
Stichwortverzeichnis
Ausgleichszeitraum, Mehrarbeit 117 ff. Auskunftsanspruch, Entgelttransparenz 236 ff. Auslandsentsendung - Business-Class 133 - Reisezeit 131 ff. - Überstunden 132 ff. Ausschlussfrist - AGB-Kontrolle 89 ff. - Formulierungsvorschlag 93 - MiLoG 89 ff. - Urlaubsabgeltung 91 Außendienst, Reisezeit 130 Außerordentliche Kündigung - Abmahnung 180, 184 - Arbeitszeitbetrug 180 ff. - Interessenabwägung 180, 183 f. - Schaden 183 - Verschulden 182 f.
Befristeter Arbeitsvertrag - ältere Arbeitnehmer 83 - Altersgrenze 82 f. - Änderung 83 - Arbeitsbedingungen 83 - Diskriminierung 82 f. - Projekt 83 ff. - sachgrundlos 77 ff. - Verlängerung 82 f. - Vorbeschäftigung 77 ff. Begünstigung, Betriebsratsmitglied 223 ff. Belastung, psychische 44 f. Benachteiligung, Betriebsratsmitglied 223 ff. Betriebliche Altersversorgung - Altersabstandsklausel 195 ff. - Altersdiskriminierung 195 ff. - Anrechnung 203 ff. - Direktversicherung 203 ff.
Betriebliche Altersversorgung - Ehegatte 195 ff., 199 ff. - Hinterbliebene 195 ff., 199 ff. - Lebenspartner 195 ff., 199 ff. - Mindestehedauer 199 ff. - Pensionskassenrente 203 ff. - Spätehe 202 - Witwe/Witwer 195 ff. Betriebliche Übung - Begriff 123 - Entgelterhöhung 125 ff. - Irrtum 127 ff. - Neueinstellung 123 f. - Rechtsirrtum 127 ff. - Schriftformklausel 124 - Tariflohnerhöhung 125 ff. - übertarifliche Leistungen 125 ff. Betriebsänderung - Nachteilsausgleich 266 f. - Tarifsozialplan 262 ff. - Wirtschaftsausschuss 273 ff. Betriebsarzt, Statusverfahren 111 f. Betriebsbedingte Kündigung - Massenentlassungsanzeige 165 ff. - Punkteschema 260 f. - Sozialauswahl 259 ff. - Unterschrift 165 ff. Betriebsbegriff, BetrVG 9 ff. Betriebsrat - Geschäftsgeheimnis 19 f. - Rechtsanwaltskosten 255 ff. - Regelungsabrede 235 f. - Sachkostenerstattung 255 ff. Betriebsratsmitglied - Arbeitszeit 227 ff. - Begünstigung 223 ff. - Benachteiligung 223 ff., 232 - berufliche Entwicklung 223 ff. - Compliance 226 f. - Ehrenamtsprinzip 229 287
Stichwortverzeichnis
Betriebsratsmitglied - Entgeltfortzahlung 223 - Fahrgemeinschaft 231 - Freistellung 223 ff., 225 - Freizeitausgleich 227 ff. - Mehrarbeitszuschlag 223 ff. - Nacharbeitszuschlag 223 ff. - Reisekosten 230 ff. - Sonntagszuschlag 223 ff. - Übernachtungskosten 230 ff. - Überstundenzuschlag 223 ff. - Untreue 226 f. - Vergütung 223 ff. - Vergütungsvereinbarung 226 - Verpflegungskosten 230 ff. - Zuschläge 223 ff. Betriebsrente ĺ betriebliche Altersversorgung Betriebsübergang - Änderungskündigung 270 - Änderungssperre 269 - Betriebsvereinbarung 267 ff. - Bezugnahmeklausel 220 f. - Ein-Jahres-Frist 269 - Günstigkeitsvergleich 216 ff., 220 f. - Kollektivvereinbarung 269 ff. - Tarifvertrag 220 f. - Unterrichtung 220 f. - Wirtschaftsausschuss 273 ff. Betriebsvereinbarung - Ablösung 235 f. - Beendigung 235 f. - betriebliche Übung 127 ff. - Betriebsübergang 267 ff. - freiwillige 232 ff. - IT 234 - Kündigung 267 ff. - Nachwirkung 232 ff. - Rahmen-Interessenausgleich 234 288
Betriebsvereinbarung - Regelungsabrede 235 f. - Reisezeit 137 - Schriftform 236, 251 f. - Verhandlungspflichten 232 ff. BetrVG - Betriebsbegriff 9 ff. - Flugbetrieb 8 ff. - Luftfahrtunternehmen 8 ff. Bewerber, AGG-Hopper 98 ff. Bezugnahmeklausel - Betriebsübergang 220 f. - Tarifvertrag 220 f. BPM, Ethik-Beirat 74 Brexit - Arbeitslosenversicherung 23 f. - Freizügigkeit 74 - Gleichbehandlung 74 - Krankenversicherung 23 f. - Niederlassungsfreiheit 74 - Pflegeversicherung 23 f. - Sozialversicherung 74 - Staatsangehörigkeit 23 f. - Übergangsregelungen 23 f. Brückenteilzeit 1 f. Bürgenhaftung, Mindestlohn 45
Compliance, Betriebsratsvergütung 226 f.
Datenschutz -
Anwendungsbereich 104 f. Auskunftsanspruch 101 ff. Darlegungsverbot 105 ff. DSGVO 103 f. Einwilligung 108 E-Mail 105 ff. Entgeltliste 236 ff. Erforderlichkeit 107 Keylogger 106 Kopie 103 f.
Stichwortverzeichnis
Datenschutz - Kündigung 105 ff. - Leistungsdaten 101 ff. - Personalakte 102 ff. - Straftat 108 - Verhaltensdaten 101 ff. - Verwertungsverbot 105 ff. Deutscher Corporate Governance Kodex ĺ DCGK DCGK - Änderung 36 ff. - Vorstandsvergütung 36 Dienstleistung, grenzüberschreitende 29 ff. Dienstvertrag, Statusverfahren 111 f. Direktversicherung, Anrechnung 203 ff. Diskriminierung - AGG-Hopper 98 ff. - Alter 98 ff., 195 ff. - Altersabstandsklausel 195 ff. - Altersfreizeit 163 f. - befristeter Arbeitsvertrag 82 f. - Betriebsrente 195 ff. - Bewerber 98 ff. - Entgelt 43 f. - Geschlecht 5 f., 43 f., 121 f. - Kirche 184 ff. - Koalitionsfreiheit 262 ff. - Kündigungsfristen 21 - Mehrarbeitszuschlag 117 ff. - Nicht-Gewerkschaftsmitglied 262 ff. - Religion 98 ff., 184 ff. - Teilzeitbeschäftigte 117 ff. - Überstundenzuschlag 117 ff. Drittstaatsangehörige, FEG 41 ff. DSGVO, Auskunftsanspruch 103 f.
Ehrenamtsprinzip - Betriebsratsmitglied 229 Eingliederungsmanagement - Beweislast 167 ff. - Darlegungslast 167 ff. - personenbedingte Kündigung 167 ff. Einigungsstelle - freiwillige 252 ff. - Spruch 254 f. - teilmitbestimmte Angelegenheit 252 ff. - Wirtschaftsausschuss 273 ff. - Zuständigkeit 253 ff. Einstellung - Aufhebung 241 ff. - Zustimmungsersetzung 241 ff. Einwilligung, Datenschutz 108 Elternurlaub ĺ Elternzeit Elternzeit - Erholungsurlaub 159 ff. - EU-Richtlinie 71 f. - Kündigung 73 - Teilzeitbeschäftigung 138 ff. - Urlaubskürzung 159 ff. E-Mail, Datenschutz 105 ff. EMRK, Streikbruchprämie 215 Entgeltdiskriminierung, Geschlecht 43 f. Entgeltliste, Einsichtnahme 236 ff. Entgelttransparenz - Auskunftsanspruch 236 ff. - Betriebsrat 236 ff. - Entgeltlisten 236 ff. - Mehrarbeitszuschlag 121 f. - Überstundenzuschlag 121 f. Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), Änderung 43 f. Entsenderichtlinie, Umsetzung 29 ff. 289
Stichwortverzeichnis
Entsendung - Aufwandsentschädigung 31 - langandauernde 31 f. - Leiharbeitnehmer 32 f. Erholungsurlaub - Altersteilzeit 140 ff., 146 - Arbeitsschutz 151 f. - Elternzeit 159 ff. - Geldfaktor 147 - Gewährung 151 ff. - Verfall 151 ff. - GRC 155, 158 - Inanspruchnahme 151 ff. - Kurzarbeit 146 ff. - Mehrarbeit 150 - MiLoG 90 f. - Mutterschutz 159 f. - Sabbatjahr 140 ff., 155 ff. - Sonderurlaub 155 ff. - Teilzeit 140 ff. - Überstunden 150 - Urlaubsentgelt 140 ff., 147 - Zeitfaktor 147 Ethik - Beirat 74 - Künstliche Intelligenz 73 f. EU-Richtlinie - Arbeitnehmerbegriff 47 f. - Arbeitszeit 24 ff., 113 ff., 146, 152 - befristeter Arbeitsvertrag 80, 82 f. - Elternurlaub 71 f. - Entsenderichtlinie 29 ff. - grenzüberschreitende Dienstleistung 29 ff. - Hinweisgeber 53 ff. - Nachweisrichtlinie 47 - Nebentätigkeit 50 - Pflegezeit 72 - Probezeit 50 290
EU-Richtlinie - Religionsfreiheit 186 - Teilzeitbeschäftigung 140 - transparente Arbeitsbedingungen 47 ff. - Vaterschaftsurlaub 70 f. - verlässliche Arbeitsbedingungen 47 ff. - Whistlelower 53 ff. - Work-Life-Balance 69 ff. Europäische Arbeitsbehörde 52
Fachkräfteeinwanderungsgesetz 41 ff. - Angehörige 42 - Drittstaatsangehörige 42 - Engpassprüfung 42 - MINT-Berufe 41 - Qualifikationserwerb 42 - Verfahrensbeschleunigung 41 f. - Vorrangprüfung 42 Faires Verhandeln 171 ff. FPflZG, Änderung 72 Feiertagszuschlag, Betriebsratsmitglied 223 ff. Finanzinstitut, Risikoträger 22 f. Firmenparkplatz, Streik 207 ff. Firmentarifvertrag 34 f. Flugbetrieb, BetrVG 8 ff. Fortbildung, Reisezeit 136 f. Fortbildungskosten 2 ff. Freistellung - Arbeitslosengeld 277 ff. - unwiderrufliche 277 ff. Freizeitausgleich, Betriebsratsmitglied 227 ff. Fremdpersonal - Arbeitsschutz 240 f. - Arbeitsunfall 240 f.
Stichwortverzeichnis
Fristlose Kündigung ĺ außerordentliche Kündigung
Gebot fairen Verhandelns 171 ff. Geringfügige Beschäftigung - Abrufarbeit 1 f. - Anhebung 28 - Arbeitszeit 1 f. - Dynamisierung 28 - Mindestlohn 28 Geschäftsführer - Gehalt 36 ff. - Whistleblower 55 Geschäftsgeheimnis - Arbeitsvertrag 18 - Begriff 17 ff. - Betriebsrat 19 f. - Ethik 20 - Kennzeichnung 17 ff. - Meinungsäußerung 19 - Schadensersatz 21 - Schutz 17 ff. - Schutzmaßnahmen 18 f. - Treuepflicht 18 - Unterlassung 21 - Verschwiegenheitspflicht 18 - Weitergabe 19 ff. - Whistleblower 19 f. GeschGehG 17 ff. Geschlecht - Diskriminierung 5 f. - divers 4 ff. - Stellenausschreibung 5 f. Geschlechtsbezeichnung 4 ff. Gewerkschaftsmitglied, Tarifsozialplan 262 ff. Gleichgestellte ĺ schwerbehinderte Menschen Gleitzone 16 f.
GRC - Arbeitszeit 116 f. - Erholungsurlaub 155, 158 Günstigkeitsvergleich - Sachgruppe 219 - Tarifvertrag 216 ff.
Haustarifvertrag ĺ
Firmentarifvertrag Hinweisgeber ĺ Whistleblower Home-Office - Arbeitsunfall 281 ff. - Wegeunfall 281 ff.
Illegale Beschäftigung 44 Interessenausgleich - freiwilliger 234 - Nachwirkung 234 - Punkteschema 260 f. - Rahmen 234 IT, Mitbestimmung Betriebsrat 249 ff. IT-Betriebsvereinbarung, Nachwirkung 234
Kirche - Diskriminierung 184 ff. - Kündigungsschutz 184 ff. - Selbstbestimmungsrecht 184 ff. Konkurrenztätigkeit, nachvertragliche 109 Konzernbetriebsrat, Zuständigkeit 249 Krankenversicherung, Brexit 23 f. Krankheitsbedingte Kündigung - Abmahnung 170 - Arbeitsunfähigkeit 170 - Eingliederungsmanagement 167 ff. - Rehabilitationsmöglichkeit 170 f. 291
Stichwortverzeichnis
Kündigung - Auskunftsanspruch 101 ff. - betriebsbedingte ĺ betriebsbedingte Kündigung - Darlegungsverbot 105 ff. - Elternzeit 73 - Gleichgestellte 175 ff. - Kirche 184 ff. - krankheitsbedingte ĺ krankheitsbedingte Kündigung - Leistungsdaten 101 ff. - Massenentlassungsanzeige 165 ff. - personenbedingte ĺ personenbedingte Kündigung - Pflegezeit 73 - Risikoträger 22 f. - Schwerbehindertenvertretung 175 ff. - Sozialauswahl 259 ff. - Unterschrift 165 f. - Vaterschaftsurlaub 73 - Verhaltensdaten 101 ff. - Verwertungsverbot 105 ff. - Whistleblower 66 - Zugang 189 ff. Kündigungsfrist - Betriebszugehörigkeit 21 - Günstigkeitsvergleich 216 - jüngere Arbeitnehmer 21 - Lebensalter 21 Kündigungsschutzprozess, Datenschutz 105 ff. Künstliche Intelligenz, Ethik 73 f. Kurzarbeit - Tarifvertrag 148 - Urlaub 146 ff. KWG, Risikoträger 22 f. 292
Leiharbeitnehmer - Arbeitsschutz 240 f. - Arbeitsunfall 240 f. - Bürgenhaftung 46 - Entsendung 32 f. - Mindestlohn 46 Leitender Angestellter, Mitbestimmung Betriebsrat 241 ff. Luftfahrtunternehmen - Betriebsbegriff 11 f. - BetrVG 8 ff.
Managergehälter 36 Massenentlassung - Anzeige 165 ff. - Nachteilsausgleich 267 - Sozialplanabfindung 267 - Zeitpunkt 165 ff. Mehrarbeit, Urlaubsentgelt 150 Mehrarbeitszuschlag - Betriebsratsmitglied 223 ff. - Diskriminierung 117 ff. - Teilzeitbeschäftigte 117 ff. Mehrfachbeschäftigung 50 MiLoG - Aufzeichnungspflicht 25 f. - Ausschlussfrist 89 ff. - Reisezeit 138 Mindestehedauer, Betriebsrente 199 ff. Mindestlohn - Baugewerbe 46 - Bürgenhaftung 45 - Fleischwirtschaft 46 - Gaststättengewerbe 46 - Leiharbeit 46 - Logistik 46 - Mini-Job 28 - Speditionsgewerbe 46 - Subunternehmer 45
Stichwortverzeichnis
Mindestlohn - Transportgewerbe 46 Mini-Job ĺ geringfügige Beschäftigung Mitarbeiterbefragung Mitbestimmung Betriebsrat 249 ff. Mitbestimmung Betriebsrat - Arbeitsschutz 240 f. - Arbeitsunfall 240 f. - Arbeitszeit 26, 113 - Einigungsstelle 252 ff. - Einstellung 241 ff. - Entgelttransparenz 236 ff. - Facebook 245 f., 249 - freiwillige Einigungsstelle 252 ff. - Fremdpersonal 240 f. - IT 249 ff. - Leiharbeitnehmer 240 f. - Leistungsdaten 244 ff. - leitender Angestellter 241 ff. - Mitarbeiterbefragung 249 ff. - Ordnung des Betriebs 251 - Personalbeurteilung 251 - Personalfragebogen 251 - Personalmaßnahme 241 ff. - Schriftform 251 f. - technische Einrichtung 244 ff., 250 f. - teilmitbestimmte Angelegenheit 252 ff. - Twitter 244 ff. - Überwachung 244 ff., 249 ff. - Verhalten der Arbeitnehmer 251 - Verhaltensdaten 244 ff. - Versetzung 244 ff. Monteur, Reisezeit 130 Mutterschutz, Erholungsurlaub 159 f.
Nachtarbeitszuschlag, Betriebsratsmitglied 223 ff. Nachteilsausgleich - Betriebsänderung 266 f. Nachteilsausgleich - Sozialplan 266 f. Nachunternehmerhaftung, Paketdienstleister 45 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot 109 - Abwerbemaßnahmen 109 f. Nachweisrichtlinie 47 ff. NachwG - Änderung 47 ff. - EU-Richtlinie 47 ff. - Kollektivvereinbarung 49 - Schriftform 49 Nachwirkung, Betriebsvereinbarung 232 ff. Nebenpflicht, faires Verhandeln 171 ff. Nebentätigkeit - Arbeitsvertrag 50 - Schranken 50
Paketdienstleister, Nachunternehmerhaftung 45 Pensionskassenrente, Anrechnung 203 ff. Personalakte - Auskunftsanspruch 102 ff. - Begriff 102, 104 - Einsichtnahme 102 ff. Personenbedingte Kündigung - Abmahnung 170 - Eingliederungsmanagement 167 ff. - leidensgerechte Beschäftigung 168 - milderes Mittel 168 ff. - Weiterbeschäftigung 169 f. 293
Stichwortverzeichnis
Personenstandsregister, Geschlecht 4 ff. Pflegeversicherung, Brexit 23 f. Pflegezeit - EU-Richtlinie 72 - Kündigung 73 PflegeZG, Änderung 72 Probezeit, Höchstdauer 50 Projektbefristung 83 ff. Prozessvergleich 90 f. Psychische Belastung 44 f. Punkteschema - Gruppenbildung 261 f. - Interessenausgleich 260 f. - Kündigung 260 f. - Spielraum 261 f.
Qualifizierungschancengesetz 2 ff.
Rechtsanwaltskosten, Betriebsrat 255 ff. Regelungsabrede, Betriebsrat 235 f. Reisekosten 230 ff. - Betriebsratsmitglied 230 ff. Reisekostenrichtlinie, Betriebsrat 232 Reisezeit, - Arbeitsvertrag 137 f. - Betriebsvereinbarung 137 - Fortbildung 136 ff. - MiLoG 138 - Tarifvertrag 134, 137 f. - Vergütung 130 ff. - Weiterbildung 136 f. Religion, Diskriminierung 184 ff. Risikoträger, Kündigung 22 f. Ruhepause, Gesetzesänderung 25, 27 Ruhezeit, Gesetzesänderung 25, 27 294
Sabbatjahr, Urlaub 140 ff., 155 ff. Schadensersatz, Aufhebungsvertrag 173 ff. Schriftform, Betriebsvereinbarung 236 Schriftformklausel, betriebliche Übung 124 Schwerbehinderte Menschen, Kündigung 175 ff. Schwerbehindertenvertretung, Kündigung 175 ff. Selbständige, Sozialschutz 75 Selbstbestimmungsrecht, Kirche 184 ff. Sonderurlaub, Urlaub 155 ff. Sonntagszuschlag, Betriebsratsmitglied 223 ff. Sozialauswahl - Alter 261 f. - Betriebszugehörigkeit 261 f. - Gruppenbildung 261 f. - Kündigung 259 ff. - Schwerbehinderung 261 f. - Unterhaltspflichten 261 f. Sozialleistungsmissbrauch 44 Sozialplan - Gewerkschaftsmitglied 262 ff. - Nachteilsausgleich 266 f. Sozialversicherung Gleitzone 16 f. - Statusverfahren 111 f. - Übergangsbereich 16 f. Spartengewerkschaft - Tarifeinheit 6 ff. - Tarifpluralität 6 ff. Spätehe, Betriebsrente 202 SPD, Reformvorschläge 39 f. Staatsangehörigkeit, Brexit 23 f. Stellenausschreibung, Geschlecht 5 f.
Stichwortverzeichnis
Stellenbeschreibung, schriftliche 86 ff. Streik - Firmenparkplatz 207 ff. - Streikbruchprämie 211 ff. Streikbruchprämie - Arbeitskampf 211 ff. - EMRK 215 - Verhältnismäßigkeit 213 f. Subunternehmer, Mindestlohn 45
Tarifeinheit - Änderung 6 ff. - Betriebsbegriff 12 ff. - Cockpit 13 ff. - Luftfahrtunternehmen 12 ff. - UFO 13 ff. - ver.di 13 ff. Tariflohnerhöhung, betriebliche Übung 125 ff. Tarifpluralität, Betriebsbegriff 12 ff. Tarifsozialplan 262 ff. - Betriebsänderung 262 ff. - Gewerkschaftsmitglieder 262 ff. Tarifvertrag - Betriebliche Übung 127 ff. - Betriebsgröße 34 - Betriebsübergang 220 f. - Entwicklung 34 ff. - Firmentarifvertrag 34 f. - Günstigkeitsvergleich 216 ff. - Haustarifvertrag 34 f. - Kurzarbeit 148 - Mehrarbeitszuschlag 117 ff. - Mehrheitstarifvertrag 6 - Minderheitsgewerkschaft 7 f. - Reisezeit 134, 137 f. - Ruhepause 27 - Ruhezeit 27 - Sachgruppe 219
Tarifvertrag - Sozialplan 262 ff. - Spartengewerkschaft 6 ff. - Tarifbindung 34 ff. - Tarifeinheit 6 ff. - Tarifpluralität 6 ff. - Teilzeitbeschäftigte 117 ff. - Überstundenzuschlag 117 ff. - Zustandekommen 7 f. Technische Einrichtung - Begriff 250 - Mitbestimmung Betriebsrat 244 ff. Teilmitbestimmte Angelegenheit 252 ff. Teilzeitbeschäftigung - Ablehnung 138 ff. - Abrufarbeit 1 f. - Altersfreizeit 163 f. - Brückenteilzeit 1 f. - Elternzeit 138 ff. - Urlaub 140 ff. - Urlaubsentgelt 140 ff. Transparente Arbeitsbedingungen 47 ff. Twitter - Arbeitskampf 210 - Mitbestimmung Betriebsrat 244 ff.
Übergangsbereich 16 f. Überrumplung, Aufhebungsvertrag 173 Überstunden - Gesetzesänderung 24 f. - Urlaubsentgelt 150 Überstundenzuschlag - Betriebsratsmitglied 223 ff. - Diskriminierung 117 ff. - Teilzeitbeschäftigte 117 ff. 295
Stichwortverzeichnis
Unfallversicherung - Home-Office 281 ff. - Wegeunfall 279 ff. Untreue, Betriebsratsvergütung 226 f. Unwiderrufliche Freistellung 277 ff. Urlaub ĺ Erholungsurlaub Urlaubsabgeltung, Ausschlussfrist 91
Vaterschaftsurlaub - EU-Richtlinie 70 f. - Kündigung 73 Verbrauchervertrag, AGBKontrolle 92 Vergütung ĺ Arbeitsentgelt Verschulden, Kündigung 182 f. Versetzung - Aufhebung 241 ff. - Zustimmungsersetzung 241 ff. Vertrauensarbeitszeit 113 ff. Vorbeschäftigung, Befristung 77 ff. Vorstand - Gehalt 36 ff. - Whistleblower 55
Wegeunfall - Home-Office 281 ff. - Unfallversicherung 279 ff. Weiterbildung, Reisezeit 136 f. Weiterbildungskosten 2 ff. Werkvertrag, Statusverfahren 111 f. Wettbewerbsverbot, Abwerbung 109 ff. WhatsApp, AUBescheinigung 95 ff. Whistleblower - ethisches Fehlverhalten 20 - Fehlverhalten 20 296
Whistleblower - Geschäftsgeheimnis 19 ff. - Hinweisgebersystem 20 - Kündigung 66 Whistleblower-Richtlinie 53 ff. - Adressatenkreis 58 - Anonymität 56 - Anwendungsbereich 54 ff. - Arbeitnehmer 55 - Befristung 66 - Behörde 57 - betroffene Person 57, 67 f. - Diskriminierung 66 - Dokumentation 63 ff. - externe Meldung 60 ff. - Folgemaßnahme 57 - Fremdpersonal 55 - Fristen 59 f., 61 - Geltungsbereich 54 f. - Geschäftsführer 55 - interne Meldung 59 f. - Kennzeichnung 55 - Kleinunternehmen 58 - Kündigung 66 - Lieferant 55 - Meldung 56 - Offenlegung 56 - Repressalien 56, 62 ff., 65 ff. - Rückmeldung 57, 59 f., 61 - Sanktion 68 - Schutzmaßnahmen 62 ff. - Subunternehmer 55 - Umsetzung 68 - Unterstützer 55 - verpflichtete Unternehmen 58 - Vertraulichkeit 63 ff. - Vorstand 55 Wirtschaftsausschuss - Einigungsstelle 273 ff. - Unterrichtung 273 ff.
Stichwortverzeichnis
Work-Life-Balance - Elternurlaub 70 f. - Geltungsbereich 70 - Pflegezeit 72 - Richtlinie 69 ff. - Vaterschaftsurlaub 70 f.
Zeugnis - Leistungsdaten 101 ff. - Verhaltensdaten 101 ff. Zugang, Kündigung 189 ff. Zuständigkeit, Konzernbetriebsrat 249 Zustimmungsersetzungsverfahren 241 ff.
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