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German Pages 354 Year 2022
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 2/2022
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Band 2/2022
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2022, S. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42712-2 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
Vorwort Das zweite Halbjahr 2022 war in den HR-Bereichen vor allem dadurch geprägt, dass Arbeitsverträge und Ergänzungsvereinbarungen an die neuen Vorgaben des NachwG angepasst werden mussten. Das Schriftformerfordernis, an dem der Gesetzgeber entgegen jeder Vernunft festgehalten hat, bereitet dabei nicht nur Aufwand, sondern begründet als Folge der Bußgeldregelungen auch erhebliche Sanktionsrisiken. Daneben waren die aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen, Maßnahmen zur Einsparung von Energiekosten, die Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung, Veränderungen in Bezug auf das Kurzarbeitergeld sowie die bevorstehenden Neuregelungen zum Hinweisgeberschutz und zu den Lieferketten umzusetzen. Parallel dazu stehen die Unternehmen vor der Frage, ob und in welcher Höhe eine steuerfreie Inflationsprämie gezahlt wird. Der Arbeitnehmerdatenschutz spielt weiterhin eine große Rolle. Das zeigen nicht nur Vorlagen der deutschen Gerichte, die als Folge einer EuGHEntscheidung zu einem Wegfall der Grundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungsverhältnis führen können, sondern auch zahlreiche Entscheidungen zu Schadensersatz bei einer Missachtung gesetzlicher Vorgaben. Dies wird ergänzt durch die Arbeit an dem EU-US Data Privacy Framework. Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung hat das BAG die Möglichkeit einer Verlängerung der Höchstüberlassung bestätigt. Gleichzeitig ist klargestellt, dass der Arbeitnehmereinsatz im gemeinsamen Betrieb keine Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Es fehlt allerdings noch die Antwort des EuGH auf die ganz wesentliche Frage zu Equal-Pay und Equal-Treatment, die im Bereich des Sozialversicherungsrechts auch die Entleiher trifft. Ergänzend waren Chancen und Risiken des Employers of Records aufzuzeigen. Im Bereich des Urlaubsrechts gibt es eine Reihe wichtiger Entscheidungen zu den Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bei Krankheit und Schwerbehinderung, der Verjährung von Urlaubsansprüchen und dem Verhältnis von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub. Im Bereich der Vergütung dürfte der Streit über die Zulässigkeit unterschiedlicher (tariflicher) Nachtarbeitszuschläge durch das BAG geklärt sein. Etwa 5.000 Verfahren bei den Arbeitsgerichten können auf dieser Grundlage endlich abgeschlossen werden. Im Kündigungsrecht stärkt das BAG die Praxis der Compliance-Bereiche, die Entscheidungen über etwaige Personalmaßnahmen häufig erst treffen, wenn der vollständige Sachverhalt mit einer Vielzahl Betroffener ausermittelt ist. Die Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlichen Kündigungen ist daV
Vorwort
mit nicht notwendig abgelaufen. Bei Massenentlassungen können SollAngaben weiterhin nachgereicht werden; die gegenteilige Sichtweise hat beim BAG keine Zustimmung gefunden. Betriebsverfassungsrechtlich zeigen mehrere Entscheidungen des BAG noch einmal das Risiko auf, dass der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber Erklärungen abgibt, ohne dass dazu wirksame Betriebsratsbeschlüsse getroffen wurden. Insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, aber auch bei unternehmensübergreifenden Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten müssen die Arbeitgeber dieses Risiko im Auge behalten und ggf. im Zusammenhang mit dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen die Wirksamkeit einer Beschlussfassung nachprüfen. Ergänzend hierzu muss die betriebliche Praxis Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Vorgesetztenwechsel in der Matrix-Struktur, bei der Einführung von Microsoft Office 365 sowie bei ESG-Maßnahmen im Auge behalten. Die letztgenannten Maßnahmen, die vor allem ökologische und soziale Ziele verfolgen, spielen in fast allen Unternehmen eine zunehmende Rolle. Beispielhaft sei nur auf die Förderung des ÖPNV, neue ESG-Ziele im Rahmen der variablen Vergütung, Maßnahmen zur Förderung eines Nebeneinanders von Beruf und Privatleben oder die Überprüfung von Lieferketten hingewiesen. Berechtigterweise abgelehnt hat das BAG ein Initiativrecht des Betriebsrats, um die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung durchzusetzen. Gleichzeitig hat es allerdings auch klargestellt, dass die Arbeitgeberseite auf der Grundlage der Generalklauseln des Arbeitsschutzes schon heute verpflichtet ist, eine objektive, verlässliche und zugängliche Arbeitszeiterfassung einzuführen. Dem ist zuzustimmen; auf die notwendige Anpassung von § 16 Abs. 2 ArbZG kommt es daher nicht an. Gleichwohl bleibt wichtig, dass der Gesetzgeber jetzt die richtigen Maßnahmen für eine Fortführung von Regelungen zur Vertrauensarbeitszeit trifft. Ich danke insbesondere Dietrich Boewer (Boe) für seine kritische und zugleich weiterführende Bewertung der aktuellen Rechtsprechung. Ebenso danke ich den Kolleginnen und Kollegen Dr. Saskia Pitzer (Pi), Dr. Daniela Rindone (Ri), Dr. Alexander Pionteck (Pio), Kai Roters (Ro) sowie Anna Maria Miklaszewska, Jeremiah Reuter (Re), Christin Rögels (Roe), Ajna Soeprapto und Frau Silvia Gwozdz für ihre Hilfe bei der fristgerechten Erstellung dieser hochaktuellen Zusammenfassung der Rechtsentwicklung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Köln, im November 2022
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort.......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................XVII
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ............................ 333
1.
Inkrafttreten der Änderungen des NachwG ..................................... 333
2.
Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit ......................................................................................... 333 a) Änderungen der gesetzlichen Grundlagen für den Bezug und die Höhe von Kurzarbeit .................................................... 333 b) Zulässigkeit und Grenzen von Kurzarbeit als Folge der Energiekrise ............................................................................... 337
3.
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns und Anpassung der geringfügigen Beschäftigung ........................................................... 338
4.
Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik................................................................................ 339
5.
Neue Corona-Schutzmaßnahmen für den Herbst 2022 ................... 340 a) Änderungen im IfSG ................................................................. 341 b) Neue Corona-Arbeitsschutzverordnung .................................... 344
6.
Zulässigkeit der telefonischen Krankschreibung ............................. 346
7.
Erneute Verlängerung der längeren Inanspruchnahme von Krankengeld ..................................................................................... 346
8.
Absenkung der Temperaturanforderungen am Arbeitsplatz ............ 347
VII
Inhaltsverzeichnis
9.
Stellungnahme der Bundesregierung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht .................................................. 350
10.
Die Rückkehr der virtuellen Einigungsstellensitzung ...................... 351
11.
Aktueller Stand zum Inkrafttreten der elektronischen AUBescheinigung .................................................................................. 352
12.
Gesetzliche Regelungen zum Inflationsausgleich............................ 354 a) Einführung einer Inflationsausgleichsprämie ........................... 354 b) Veränderungen des Einkommensteuertarifs und weitere Regelungen ................................................................................ 356
13.
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ...................................................................... 356 a) b) c) d)
Änderungen bei der Elternzeit .................................................. 357 Änderungen im PflegeZG und FPfZG ...................................... 357 Erweiterung der Rechte der Antidiskriminierungsstelle ........... 358 Keine Ergänzung von Regelungen zum Vaterschaftsurlaub..................................................................... 358 e) Recht auf Erörterung eines Wechsels in mobile Arbeit/Arbeit im Homeoffice .................................................... 360 14.
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie ............ 361 a) b) c) d) e) f) g)
Sachlicher Geltungsbereich ....................................................... 361 Persönlicher Anwendungsbereich ............................................. 363 Widerspruch zu Regelungen des GeschGehG .......................... 365 Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung ................ 366 Kennzeichnung der externen Meldestellen ............................... 368 Verhältnis zwischen externer Meldung und Offenlegung ........ 369 Verhältnis zwischen Hinweisgeberschutz und Datenschutz ............................................................................... 370 h) Zulassung konzernbezogener Meldestellen .............................. 371 i) Verbot von Repressalien – Beweislastumkehr.......................... 371 j) Schutz betroffener Personen ..................................................... 372 k) Verbot abweichender Vereinbarungen...................................... 374 l) Fazit ........................................................................................... 374 15.
VIII
Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen ........................................... 375
Inhaltsverzeichnis
a) Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie ................. 375 b) Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitender Umwandlung ............................................................................. 377 c) Fazit ........................................................................................... 379 16.
Antwort der Bundesregierung zur Tarifbindung in Deutschland ...................................................................................... 379
17.
Initiative der Fraktion DIE LINKE zur Ausweitung der deutschen Unternehmensmitbestimmung ........................................ 380
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht .......... 383
1.
Weitere Umsetzungsschritte für das EU-US Data Privacy Framework ....................................................................................... 383
2.
Entwurf einer Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit ................................. 384
3.
Neuer strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ............................................................... 385
4.
Einigung über eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU .......................................................................................... 388 a) Ausgangssituation ..................................................................... 388 b) Regelungen zur Förderung von Tarifverhandlungen im Entgeltbereich ........................................................................... 388 c) Vorgaben zur Angemessenheit eines (gesetzlichen) Mindestlohns ............................................................................. 389
5.
Richtlinie zur Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften ............................. 391
6.
Tarifverträge für Solo-Selbständige und Plattformbeschäftigte ...... 394
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................. 397
1.
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG ............................................................... 397 a) b) c) d)
Anwendungsbereich .................................................................. 397 Aufspaltung in Arbeitsvertrag und Nachweisdokument? ......... 398 Schriftformerfordernis anstatt Digitalisierung .......................... 399 Fristen für die Überlassung des Nachweises............................. 399 IX
Inhaltsverzeichnis
e) Anwendbarkeit bei Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613 a BGB ..................................................................... 401 f) Angaben zur Vertragsdauer....................................................... 402 g) Angaben zum Arbeitsort ........................................................... 403 h) Dauer der Probezeit ................................................................... 404 i) Angaben zur Vergütung ............................................................ 405 j) Angaben zur Arbeitszeit ............................................................ 407 k) Angaben zur vereinbarten Anordnung von Überstunden ......... 407 l) Angabe zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortbildung ................................................................................ 408 m) Angaben zur betrieblichen Altersversorgung ........................... 408 n) Verfahren bei Kündigungen ...................................................... 410 o) Bezugnahme auf Kollektivvereinbarungen ............................... 412 p) Anpassungsbedarf in Bezug auf bisherige Nachweistatbestände ................................................................. 413 q) Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse und Leiharbeitnehmer ...................................................................... 415 r) Nachweis durch Bezugnahme auf die anwendbaren Kollektivvereinbarungen ........................................................... 415 s) Beweislastumkehr und Bußgeldvorschriften ............................ 417 t) Fazit ........................................................................................... 419 2.
Befristung des Arbeitsvertrags wegen Führungsposition ................ 420
3.
Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen und -besetzungen ....................................... 421 a) Mögliche Rechtfertigungsgründe bei unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters ............................................ 421 b) Geschlechtsdiskriminierende Stellenausschreibung ................. 429
4.
Wirksamkeit arbeitgeberseitiger Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Infektion .............................................................................. 438 a) Anordnung einer Testpflicht des Arbeitnehmers ...................... 438 b) Hygienekonzept für eine Betriebsfeier ..................................... 442
5.
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei symptomloser Infektion ........................................................................................... 443
6.
Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit und Homeoffice .......................... 445
X
Inhaltsverzeichnis
7.
Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitnehmerüberlassung ................. 448 a) Keine Arbeitnehmerüberlassung im (echten) gemeinsamen Betrieb ................................................................ 448 b) Zulässigkeit einer tarifvertraglichen Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer .......................................................... 451 c) Zulässigkeit und Grenzen einer tarifvertraglichen Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz ................................... 453
8.
Employer of Records als (privilegierte) Form der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung ........................... 458 a) Ausgangssituation ..................................................................... 458 b) Keine Anwendbarkeit von §§ 9, 10 AÜG beim Leiharbeitsverhältnis mit ausländischem Arbeitsstatut ............ 459 c) Der Employer of Records.......................................................... 463 d) Fazit ........................................................................................... 466
9.
Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes ............................................................. 466 a) Gesetzliche Rechtfertigung einer Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungsverhältnis .......... 467 b) Aktuelle Rechtsprechung zum Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO ................................................................ 473 c) Schlussbemerkung..................................................................... 481
10.
Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr ...... 482
11.
Ausschlussfrist: Aktuelle Anforderungen aus Sicht der AGBKontrolle .......................................................................................... 485
12.
Übernahme von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei Auslandstätigkeit ........................................................................ 491 a) Zulässigkeit eines hypothetischen Besteuerungsverfahrens ............................................................ 491 b) Wechsel der Besteuerungsgrundlage durch Freistellung nach Kündigung ........................................................................ 493
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub ......................................... 497
1.
Gestaltungsspielraum und -grenzen beim tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag........................................................................ 497
XI
Inhaltsverzeichnis
a) Gleichheitswidrige Nachtarbeitszuschläge ............................... 497 b) Vertragliche Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags ............................................................... 500 2.
Unpfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung ................................. 503
3.
Wettrennen zwischen EuGH und Gesetzgeber: Verbrauch des Urlaubsanspruchs bei Quarantäne .................................................... 504
4.
Erfüllungsreihenfolge bei der Inanspruchnahme von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub? ................................... 508
5.
Verfall des Urlaubsanspruchs bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung ............................................. 510
6.
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ........................................... 513
7.
Voraussetzungen für eine Verjährung des Urlaubsanspruchs ......... 517
8.
Zulässigkeit einer Quotelung des Urlaubsanspruchs ....................... 520
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ............................................ 525
1.
Massenentlassungsanzeige: Entbehrlichkeit der Soll-Angaben....... 525
2.
Zulässigkeit des besonderen Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten .................................................................. 528
3.
Entschädigungsanspruch bei Kündigung schwerbehinderter Menschen ohne Zustimmung des Integrationsamts ......................... 534
4.
Kündigung einer Hebamme nach Austritt aus der katholischen Kirche .......................................................................... 537 a) Austritt aus der katholischen Kirche als Kündigungsgrund ...................................................................... 537 b) Kündigung eines Kantors wegen geplanter Ersatzmutterschaft einer Kolumbianerin .................................. 540
5.
Kein Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz ............................................................. 541
6.
Compliance-Sachverhalte: Beginn der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung..................................................... 543 a) Obliegenheit des Arbeitgebers zu gebotener Eile ..................... 543 b) Ermittlungen gegen eine Gruppe von Arbeitnehmern .............. 544
XII
Inhaltsverzeichnis
c) Zurechnung der Kenntnis Dritter .............................................. 545 d) Wissenszurechnung in einer Compliance-Organisation ........... 547 e) Fazit ........................................................................................... 550 7.
Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung ..................... 550
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ........................................................................ 557
1.
Karenzentschädigung: Einbeziehung von Sonderleistungen mit mehrjährigen Bezugszeiträumen ............................................... 557
2.
Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis .................................................................................. 559
G.
Tarifrecht ....................................................................................... 563
1.
EGMR: Tarifeinheitsgesetz ist konventionskonform ...................... 563
2.
Tarifvertragliche Erschwerniszulage bei Tragen einer Corona-Maske? ................................................................................ 567
3.
Auslegung und Transparenzgebot bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifvertrag .......................................................... 568
4.
Boykottaufruf als zulässige Maßnahme des Arbeitskampfes .......... 571
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 577
1.
Abschluss einer Betriebsvereinbarung ohne Beschlussfassung des Betriebsrats ................................................................................ 577
2.
Zustimmungsverweigerung: Nachweis einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats ................................................... 583
3.
Beteiligung eines Gemeinschaftsbetriebs am Gesamtbetriebsrat ............................................................................. 584
4.
Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice ......................................... 585 a) Allgemeine Auswirkungen der Freistellung ............................. 585 b) Betriebsratstätigkeiten in „New Work“ .................................... 586 c) Voraussetzungen und Schranken der Arbeit des Betriebsratsmitgliedes im Homeoffice...................................... 587
XIII
Inhaltsverzeichnis
d) Reaktionsmöglichkeiten bei unzulässiger Arbeit im Homeoffice ................................................................................ 589 e) Fortbestand der An- und Abmeldepflichten des Betriebsratsmitglieds ................................................................. 590 5.
Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats ............ 591
6.
Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Vorgesetztenwechsel in einer Matrix-Organisation ............................................................ 594
7.
Die Beteiligung des Betriebsrats bei ESG-Themen ......................... 598 a) Vielfalt der ESG-Themen in der betrieblichen Praxis .............. 598 b) Kennzeichnung der Beteiligungsrechte .................................... 599 c) Fazit ........................................................................................... 602
8.
Kein Anspruch des Betriebsrats auf Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung ................................................ 603 a) Arbeitsschutzrechtliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung auch ohne Änderung des ArbZG ............ 603 b) Gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum als Rechtfertigung für eine spätere Umsetzung? ............................ 604 c) Kein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung ......................................... 608
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Microsoft Office 365 ........................................................................ 611
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 617
1.
Betriebsratsloser Betrieb: Anspruch auf Sozialplan nach (späterer) Betriebsratswahl? ............................................................. 617
2.
Übergangs- oder Restmandat bei der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs ..................................................................... 620
J.
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht............ 625
1.
Steuerliche Erleichterungen durch das 4. CoronaSteuerhilfegesetz .............................................................................. 625
2.
Homeoffice und Grenzpendler: Keine weiteren Erleichterungen ................................................................................ 625
XIV
Inhaltsverzeichnis
3.
Steuerliche Behandlung von Arbeitnehmereinkünften bei Auslandstätigkeiten .......................................................................... 626
4.
Neufassung der Geringfügigkeitsrichtlinien .................................... 626
5.
Neue Richtlinien der Sozialversicherungsträger für Beschäftigungsverhältnisse im Übergangsbereich........................... 627
6.
Beitragsbemessungsgrößen der Sozialversicherung 2023 ............... 628
Stichwortverzeichnis .................................................................................. 629
XV
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Abkürzungsverzeichnis a. A. a. D. a. E. a. F. a. G. AA AAB ABl. EG ABl. EU abl. Abs. ABV abw. abzgl. AcP AE AEntG
AEUV AFBG
AFG AFKG Ag II-V
anderer Auffassung außer Dienst am Ende alte(r) Fassung auf Gegenseitigkeit Auswärtiges Amt Allgemeine Arbeitsbedingungen für die ver.diBeschäftigten Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz/Absätze Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen abweichend abzüglich Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Entscheidungen (Zeitschrift) Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz) Arbeitsförderungsgesetz Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz) Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) XVII
Abkürzungsverzeichnis
AG AGB AGBG AGG AGH AiB AktG AktuellAR allg. Alt. AltEinkG
AltvVerbG
AltZertG
AMP AMS amtl. ANBA ÄndG AnKSchG
Anl. Anm. AO AP APS XVIII
Amtsgericht bzw. Aktiengesellschaft bzw. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgerichtshof Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz B. Gaul bzw. Bearbeiter, Aktuelles Arbeitsrecht allgemein Alternative(n) Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz) Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Änderungsgesetz Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten (Angestelltenkündigungsschutzgesetz) Anlage(n) Anmerkung(en) Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht
Abkürzungsverzeichnis
ArbG ArbGG AR-Blattei ArbMedVV ArbNErfG ArbPlSchG
ArbR ArbRB ArbR-HB ArbSchG
ArbStättV ArbZG ARdGgw. ArGV
ARP ARST Art. ARUG AS ASAV
ASiG
ASR
Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindungsgesetz) Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Arbeitsrecht der Gegenwart Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung) Arbeitsschutz in Recht und Praxis (Zeitschrift) Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Aksjeselskap, norwegische Aktiengesellschaft Verordnung über Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an neueinreisende ausländische Arbeitnehmer (Anwerbestoppausnahmeverordnung) Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Technische Regeln für Arbeitsstätten
XIX
Abkürzungsverzeichnis
ASRG 1995 AsylG AsylVfG AT ATG ATV
AU AuA AufenthG
AufenthG/EWG
AufenthV Aufl. AÜG
AuR AURL
ausf. AVE AVmEG
XX
Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995) Asylgesetz Gesetz über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz) außertariflich(e) Altersteilzeitgesetz Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung) Arbeitsunfähigkeit Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsverordnung Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht (Zeitschrift) Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie) ausführlich Allgemeinverbindlicherklärung Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis
AVmG
AVR AVR-DD AWbG
AWStG
Az. BA BaFin BAG BAnz AT BÄO BAP BAT BAT-O BAT-VKA
BAuA bAV BAVAZ BayObLG BayVGH BB BBG
Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) Arbeitsvertragsrichtlinien in den Einrichtungen des Deutschen Caritas Verbandes Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Diakonie Deutschland Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz) Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz) Aktenzeichen Bundesagentur für Arbeit bzw. Blutalkohol (Zeitschrift) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Amtlicher Teil Bundesärzteordnung Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Bundesangestelltentarifvertrag für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin betriebliche Altersversorgung Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bayerisches Oberstes Landgericht Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beitragsbemessungsgrenze XXI
Abkürzungsverzeichnis
BBiG Bd. BDA BDSG BeamtVG
BeckOK BEEG BEG
Beil. BEM BerASichG BErzGG BeschCG BeschFG BeschSchG
BeschSiG
BeschV
BetrAV BetrAVG BetrSichV
BetrVG XXII
Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesdatenschutzgesetz Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz) Beck‘scher Online-Kommentar Arbeitsrecht Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) Beilage Betriebliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) Beschäftigungsförderungsgesetz Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) Gesetz zur Beschäftigungssicherung infolge der COVID-19-Pandemie (Beschäftigungssicherungsgesetz) Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung) Betriebliche Altersversorgung (Zeitschrift) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung) Betriebsverfassungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BIBB BildschArbV
BilMoG BilRUG BImSchG
BKAmt BKK BMAS BMBF BMDV BMEL BMF BMFSFJ BMG BMI BMJ BMT-G BMUV BMVg
Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bundesinstitut für Berufsbildung Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen (Bundesimmissionsschutzgesetz) Bundeskanzleramt Betriebskrankenkasse Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Digitales und Verkehr Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Innern und für Heimat Bundesministerium der Justiz Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz Bundesministerium der Verteidigung
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
BMWK BMWSB BMZ BNichtrSchG
BPersVG BPflV BPM BQFG
BQG br BRAO BR-Drucks. Brexit-StBG
Brexit-ÜG
BRG BRKG BRSG
BRTV-Bau BSeuchG
BSG XXIV
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz zur Einführung eines Rauchverbots in Einrichtungen des Bundes und in öffentlichen Verkehrsmitteln (Bundesnichtraucherschutzgesetz) Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespflegegeldverordnung Bundesverband der Personalmanager Gesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz) Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Gesetz über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz) Betriebsrätegesetz Bundesreisekostengesetz Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundesseuchengesetz) Bundessozialgericht
Abkürzungsverzeichnis
BSGE BSHG BSSichG
BStBl. BT-Drucks. BTHG
BUrlG BuW BV
BVD BvE BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVV BZgA bzgl. bzw. ca. C-ASR C-ASS C-ASV CCZ CEO CGM
Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz) Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) Betriebsvereinbarung bzw. Besloten Vennootschap, niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Bodenverkehrsdienste Beamter vom Einsatzdienst Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Amtliche Sammlung) Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bezüglich beziehungsweise circa SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) Corporate Compliance Zeitschrift Chief Executive Officer Christliche Gewerkschaft Metall XXV
Abkürzungsverzeichnis
CGZP ChemG ChGlFöG
CLPO Corona-StHG
CoronaVMeldeV COVID-19 COVID-19-ArbZV
COVInsAG
CR CSR d. h. DA DAG DAS DAV DB DBGrG
DCGK DD DDZ ders. XXVI
Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Civil Liberties Protection Officer for the Office of the Director of National Intelligence Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) Corona-Virus-Meldepflichtverordnung Coronavirus disease 2019 Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie (COVID-19-Arbeitszeitverordnung) Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz) Computer und Recht (Zeitschrift) Corporate Social Responsibility das heißt Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutscher AnwaltSpiegel (Online-Magazin) Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz) Deutscher Corporate Governance Kodex Due Diligence Däubler/Deinert/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht derselbe
Abkürzungsverzeichnis
DGB DGUV dies. diff. DKW DPRC DQR DrittelbG
DRV DSAG DSAnpUG-EU DSGVO DStR DStRE DTAG DTTS DuD DVKA DWWS e. V. EAO EAS eAU EBRG EBRRL EDSA EFG EFTA
Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung dieselbe(n) differenzierend Däubler/Klebe/Wedde, BetrVG Data Protection Review Court Deutscher Qualifikationsrahmen Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) Deutsche Rentenversicherung Datenschutzauditgesetz Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Telekom AG Deutsche Telekom Technischer Service Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Deutsche Verbindungsstelle für Krankenversicherungen – Ausland Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, EU-DSGVO und BDSG eingetragener Verein Erreichbarkeitsanordnung Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (Loseblattsammlung) elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) Europäische Betriebsräte Richtlinie Europäischer Datenschutzausschuss Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Agreement
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
EFZG
EG EGAktG EGBGB EGGmbHG
EGMR EGV ELENAVG EMRK EntgTranspG
EnSikuMav
EoR ERA ERA-TV ErfK ESC ESchG ESG EStB EStG etc. ETS-TV ETV EU
XXVIII
Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Einführungsgesetz zum GmbH-Gesetz) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) Europäische Menschenrechtskonvention Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz) Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung) Employer of Records Entgelt-Rahmenabkommen Entgelt-Rahmentarifvertrag Erfurter Kommentar Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) Environment, Social, Governance Ertrag-Steuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz et cetera Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag Einführungstarifvertrag Europäische Union
Abkürzungsverzeichnis
EuArbRK EuGH EUV EuZA EUZBLG
EuZW evtl. EVÜ
EWG EWiR EWR EzA f. FA FEG ff. FG Fitting FKS FMStG
Fn. FördElRV FPfZG FR FreizügG/EU FS
Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar Europäisches Arbeitsrecht Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell(e) Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht der/die/das Folgende Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Folgenden Finanzgericht Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG Finanzkontrolle Schwarzarbeit Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) Fußnote(n) Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetz) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz EU) Festschrift XXIX
Abkürzungsverzeichnis
FüPoG II
GA-AÜG G-BA GbR GBV GdB GefStoffV gem. GenDG GenTSV
GeschGehG GeschGehRL
GewO GG ggf. GK-BetrVG GKG GKV GLF
XXX
Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionen-Gesetz) Geschäftsanweisung zum Arbeinehmerüberlassungsgesetz Gemeinsamer Betriebsausschuss Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung Grad der Behinderung Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung) gemäß Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz) Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen (Gentechnik-Sicherheitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Richtlinie über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen) Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Wiese/Kreutz/Oetker u. a., Gemeinschaftskommentar BetrVG Gerichtskostengesetz Verbund Gesetzlicher Krankenkassen Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht
Abkürzungsverzeichnis
GmbH GmbHG GmbHR GMBl. GMG
GmS-OBG GNBZ GRC GrO GRUR GS GSA Fleisch GSG GVBl. GWB h. L. h. M. HAG Halbs. HBfDI HDSIG Hess u. a. HGB
Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz) GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gemeinsames Ministerialblatt Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft Gerätesicherheitsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) herrschende Lehre herrschende Meinung Heimarbeitsgesetz Halbsatz/Halbsätze Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Hessisches Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz Hess/Worzalla/Glock/Nicolai/Rose/Huke, BetrVG Handelsgesetzbuch
XXXI
Abkürzungsverzeichnis
HinSchG
HinSchRL
HK-KSchR HK-MuSchG/BEEG HMB HR HSE HTV HWK HwO HZvNG
i. d. F. i. E. i. H. a. i. H. v. i. S. d. i. S. v. i. V. m. IAO IfSG
iGZ IHK XXXII
Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzgesetz) Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeber-/Whistleblowerrichtlinie) Gallner/Mestwerdt/Nägele, Handkommentar Kündigungsschutzrecht Rancke, Handkommentar MuSchG und BEEG Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag Human Resources Health, Safety, Environment Haustarifvertrag Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz) in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf in Höhe von im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Internationale Arbeitsorganisation Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. Industrie- und Handelskammer
Abkürzungsverzeichnis
ILO InKDG InsO InstitutsVergV
IntG IntGVO InvG IPR IT IT-ArbR IT-ArGV
IT-AV
ITRB JArbSchG JStG JuMoG JURA jurisPK-IntR jurisPR-ArbR JuS JVGG K&R Kap. KAPOVAZ KassKomm KAVO
International Labour Organization Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) Integrationsgesetz Verordnung zum Integrationsgesetz (Integrationsgesetzverordnung) Investmentgesetz Internationales Privatrecht Informationstechnik/-technologie Kramer, IT-Arbeitsrecht Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie IT-Rechtsberater (Zeitschrift) Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Jahressteuergesetz Gesetz zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Heckmann, juris Praxis-Kommentar Internetrecht juris Praxis-Report Arbeitsrecht Juristische Schulung (Zeitschrift) Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht (Loseblattsammlung) Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung XXXIII
Abkürzungsverzeichnis
KBV KDVO KG KGaA KHZG KI KMU KO KR krit. KSchG KugBeV
KugÖV
KugV KugverlV
KugZuV
KündFG
KWG LadSchlG LAG LAGE XXXIV
Konzernbetriebsvereinbarung bzw. Kassenärztliche Bundesvereinigung Kirchliche Dienstvertragsordnung Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz) Künstliche Intelligenz Kleines oder mittleres Unternehmen Konkursordnung Bader/Fischermeier/Gallner u. a., Gemeinschaftskommentar KSchG kritisch Kündigungsschutzgesetz Verordnung über die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeldbezugsdauerverordnung) Verordnung über die Öffnung des Kurzarbeitergeldbezugs für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer (Kurzarbeitergeldöffnungsverordnung) Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung) Verordnung über die Bezugsdauer und Verlängerung der Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverlängerungsverordnung) Verordnung zur Verlängerung der Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld (Kurzarbeitergeldzugangsverordnung) Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz) Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Gesetz über den Ladenschluss (Ladenschlussgesetz) Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte
Abkürzungsverzeichnis
LasthandhabV
LFZG LG LHT Lit. lit. LK LKB LkSG
LPartG LPartÜAG LPK-SGB IX Ls. LSG LSSW LStDV LStR LTD LTI LuftVG m. E. m. w. N. m. W. v. MAG
Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten bei der Arbeit (Lastenhandhabungsverordnung) Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar Literatur littera (Buchstabe) Löwisch/Kaiser, BetrVG Linck/Krause/Bayreuther, KSchG Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Dau/Düwell/Joussen, SGB IX Lehr- und Praxiskommentar Leitsatz/Leitsätze Landessozialgericht Löwisch/Spinner/Schlünder/Wertheimer, KSchG Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuer-Richtlinien Limited, britische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Long Term Incentive Luftverkehrsgesetz meines Erachtens mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom Gesetz zur mobilen Arbeit (Mobile-Arbeit-Gesetz)
XXXV
Abkürzungsverzeichnis
MBO-Ä MDR MERL
MgFSG
MgVG
MiLoDokV
MiLoG MiLoV MindArbBedG
Mio. MitbEG
MitbG MMR MNB
XXXVI
(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Monatsschrift für Deutsches Recht Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Verordnung zu den Dokumentationspflichten nach §§ 16, 17 des Mindestlohngesetzes und §§ 18, 19 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in Bezug auf bestimmte Arbeitnehmergruppen (Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung) Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns (Mindestlohnanpassungsverordnung) Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz) Million(en) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung Mund-Nasen-Bedeckung
Abkürzungsverzeichnis
MontanMitbestErgG
MontanMitbestG
MTV MüKo MüKoAktG MünchArbR MünchGesR MuSchArbV MuSchG
MwSt. n. F. n. v. NachwG
NGG NJW NJW-RR NK-GA Nr. Nrn. NStZ NV NZA
Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montan-Mitbestimmungsgesetz) Manteltarifvertrag Münchener Kommentar BGB Münchener Kommentar AktG Münchener Handbuch Arbeitsrecht Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (Mutterschutzarbeitsverordnung) Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz) Mehrwertsteuer neue(r) Fassung (noch) nicht veröffentlicht Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Neue Juristische Wochenzeitschrift NJW Rechtsprechungs-Report Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht Nomos Kommentar Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht Naamloze Vennootschap, niederländische Aktiengesellschaft Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht XXXVII
Abkürzungsverzeichnis
NZA-RR NZG NZS o. g. öAT OECD OGH OLG OT OVG OWiG P&R p. a. PatG PBefG PC PCLOB PersVG PFARL PflBG PflegeArbbV
PflegeVG
PflegeZG PfWG
PLC PM XXXVIII
NZA Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht oben genannt(e) Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Organisation for Economic Co-operation and Development Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz) Park & Ride pro anno Patentgesetz Personenbeförderungsgesetz Personal Computer Privacy and Civil Liberties Oversight Board Personalvertretungsgesetz Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz) Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Pflegearbeitsbedingungenverordnung) Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz) Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz) Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) Public Limited Company, britische Aktiengesellschaft Pressemitteilung
Abkürzungsverzeichnis
PreisKlG
PSA PSABV
PStG PSV PublG
QCG
RÄ RabattG RAG RAGE RdA RdE RDV RG RGO RisikoBegrG
RIW RKI RL RL-V Rom I-VO Rs.
Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden (Preisklauselgesetz) Persönliche Schutzausrüstung Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit (PSA-Benutzungsverordnung) Personenstandsgesetz Pensionssicherungsverein Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz) Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) Rheinisches Ärzteblatt (Zeitschrift) Gesetz über Preisnachlässe (Rabattgesetz) Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Reichsgericht Ruhegeldordnung Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Robert-Koch-Institut Richtlinie(n) Richtlinienvorschlag Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtssache(n)
XXXIX
Abkürzungsverzeichnis
RsprEinhG
RSU RTV-Bau RVG
RVLeistVerbG
RVO Rz. RzK s. o. S. SA SaaS SAE SanInsFoG
SARL
SARS-CoV-2 SBV SCE SCEBG
SchulG
XL
Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Rechtsprechungseinheitsgesetz) Restricted Stock Unit Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) Reichsversicherungsordnung Randzahl(en)/Randziffer(n) Rechtsprechung zum Kündigungsrecht (Loseblattsammlung) siehe oben Seite bzw. Satz/Sätze Société Anonyme, schweizerische Aktiengesellschaft Software-as-a-Service Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) Société À Responsabilité Limitée, französische Kapitalgesellschaft bzw. schweizerische Gesellschaft mit beschränkter Haftung Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 Schwerbehindertenvertretung Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCE-Beteiligungsgesetz) Schulgesetz
Abkürzungsverzeichnis
SchwarzArbG
SchwbG
SDG SE SEAG
SEBG
SeemG SEVO SG SGB I SGB II SGB III SGB IV SGB V SGB VI SGB VII SGB VIII SGB IX SGB X
Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) Sustainable Development Goal bzw. Zeitschrift für nachhaltige Unternehmensführung Societas Europaea, Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) Seemannsgesetz Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft Sozialgericht Sozialgesetzbuch, I. Buch – Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch, II. Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialgesetzbuch, III. Buch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch, IV. Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch, V. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch, VI. Buch – Gesetzliche Rentenversicherung Sozialgesetzbuch, VII. Buch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch, VIII. Buch – Kinder- und Jugendhilfe Sozialgesetzbuch, IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Sozialgesetzbuch, X. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
XLI
Abkürzungsverzeichnis
SGB XI SGB XII SGb SigG SMG sog. SozplKonkG SozR SPA SPE SPI SprAuG SpTrUG SPV SR st. Rspr. StaRUG
Std. StGB StPO StVG StVO SvEV
XLII
Sozialgesetzbuch, XI. Buch – Soziale Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch, XII. Buch – Sozialhilfe Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz) Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Schnellinformation für Personalmanagement und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft Sozialpolitische Informationen (Zeitschrift) Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Soziales Recht (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz) Stunde(n) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung)
Abkürzungsverzeichnis
TAStG TEG TestV
TI TGV TKG TOP TransPuG
TSG
TS-TV TV LeiZ TV T-ZUG TV TV-EUmw/VKA
TVG TV-L TVöD TVöD-F TVöD-K TVöD-VKA
TzBfG u. a.
Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Corona-VirusTestverordnung) Telematikinfrastruktur Trennungsgeldverordnung Telekommunikationsgesetz Technisch, Organisatorisch, Persönlich Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) Gesetz über die Änderung von Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz) Transfer- und Sozialtarifvertrag Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld Tarifvertrag Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Flughäfen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich Krankenhäuser Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) und andere XLIII
Abkürzungsverzeichnis
Uabs. UkraineAufentÜV
UmwG UN-BRK
UNO UrhG UStG usw. ÜT UVV v. VAG
Var. VBL VermbG VermG VerSanG VersAusglG VG VGH vgl. VglO VKA VO XLIV
Unterabsatz/Unterabsätze Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung) Umwandlungsgesetz Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) United Nations Organization Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter übertariflich(e) Unfallverhütungsvorschriften vom Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Variante(n) Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Vermögensbildungsgesetz) Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz) Gesetz über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände Verordnung(en) bzw. Versorgungsordnung
Abkürzungsverzeichnis
Vorbem. VorstAG VorstOG
VSSR VTFF VTV VVG VwGO VwVfG WHSS
WiB WissZeitVG WKS WM WMVO WO-BetrVG
WO-SprAuG
WpHG WPK WPrax WpÜG WRV z. B. z. T.
Vorbemerkung(en) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V. Vergütungstarifvertrag Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift) Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Werkstätten-Mitwirkungsverordnung Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz) Erste Verordnung zur Durchführung des Sprecherausschussgesetzes (Wahlordnung zum Sprecherausschussgesetz) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG Wirtschaftsrecht und Praxis (Zeitschrift) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil XLV
Abkürzungsverzeichnis
ZAB ZAR ZAT ZAU ZD ZDG ZESAR ZEuP ZFA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZMGR ZPO ZRP ZSEG
ZTR zust. ZustRG
ZVertriebsR zzgl.
XLVI
Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Arbeitsrecht und Tarifpolitik in kirchlichen Unternehmen Zeitschrift für Arbeitsrecht im Unternehmen Zeitschrift für Datenschutz Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer(n) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Medizinrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz) Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) Zeitschrift für Vertriebsrecht zuzüglich
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Inkrafttreten der Änderungen des NachwG
Bereits im Frühjahr hatten wir über das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der EU im Bereich des Zivilrechts und zur Übertragung von Aufgaben an die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau berichtet. Es hat mit Wirkung zum 1.8.2022 zu grundlegenden Veränderungen im NachwG, in der GewO und dem TzBfG geführt1. Welche Konsequenzen sich dabei für die Arbeitsvertragsgestaltung ergeben, wird noch einmal gesondert an anderer Stelle aufgezeigt2. (Ga)
2.
Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit
Obwohl die Regelungen zur erleichterten Inanspruchnahme von Kurzarbeit an sich im September 2022 auslaufen sollten, haben Bundesregierung und Bundestag beschlossen, einen wesentlichen Teil dieser Regelungen erst einmal bis zum 31.12.20223 fortzuführen. Damit soll den fortbestehenden Belastungen als Folge der COVID-19-Pandemie, den neuen Belastungen der Energiekrise und den weltweiten Lieferengpässen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus wurden die Rechtsgrundlagen, aufgrund derer Ausnahmen von den allgemeinen Regelungen durch Rechtsverordnung festgelegt werden können, weitgehend einheitlich in § 109 SGB III zusammengefasst.
a)
Änderungen der gesetzlichen Grundlagen für den Bezug und die Höhe von Kurzarbeit
Die Höchstdauer des Bezugs von Kurzarbeit bleibt erst einmal bei dem gesetzlichen Regelmaß von 12 Monaten. Nach § 421 c Abs. 3 SGB III konnte Kurzarbeit damit für die Dauer von bis zu 28 Monaten nur noch für Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden, deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum Ablauf des 30.6.2021 entstanden ist. Die Möglichkeit endete aber am 30.6.2022. Von einer weiteren Verlängerung wurde (derzeit) Ab-
1 2 3
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 16 ff. B. Gaul/Pitzer/Pionteck, AktuellAR 2022, 397 ff. BGBl. I 2022, 1174.
333
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
stand genommen; hierfür bedürfte es einer neuen Rechtsverordnung auf der Grundlage von § 109 Abs. 4 SGB III. Falls die Bezugsdauer ausgeschöpft ist, kommt eine erneute Inanspruchnahme daher erst nach einer Unterbrechung von drei Monaten in Betracht, wenn dann auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 104 Abs. 3 SGB III). In diesem Fall kann die erneute Beantragung von Kurzarbeit auch genutzt werden, um den Bezugspunkt (Betrieb/Betriebsabteilung) zu ändern. Nach den verlängerten Sonderregelungen genügt es auch in der Zeit bis zum 31.12.2022 für den Bezug von Kurzarbeitergeld, dass die Zahl der Beschäftigten, die im Betrieb von einem Entgeltausfall betroffen sein müssen, abweichend von § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB III nur 10 % der Beschäftigten beträgt. Weiterhin wird auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden verzichtet (§ 421 c Abs. 4 SGB III). Grundlage ist die Verordnung zur Änderung der KugZuV. Sie gilt vom 27.9.20224 bis zum 31.12.2022. Die für Leiharbeitnehmer geltenden Sonderregelungen wurden ebenfalls bis zum 31.12.2022 verlängert. § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG findet damit keine Anwendung, wenn und solange für den Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Grundlage ist die Verordnung über die Öffnung des Kurzarbeitergeldbezugs für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeiternehmer (Kurzarbeitergeldöffnungsverordnung – KugÖV)5. Parallel zu diesen Veränderungen hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem die Verordnungsermächtigungen, die in §§ 109, 421 c SGB III enthalten waren, angepasst und einheitlich in § 109 SGB III eingebracht worden sind, wobei ein Teil der Verordnungsermächtigungen auf die Zeit bis zum 30.6.2023 befristet wurde6. § 421 c SGB III wurde insoweit gestrichen und § 109 SGB III ist wie folgt gefasst worden: (1) Das BMAS wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Wirtschaftszweige nach § 101 Abs. 1 Nr. 1 festzulegen. In der Regel sollen hierbei der fachliche Geltungsbereich tarifvertraglicher Regelungen berücksichtigt und die Tarifvertragsparteien vorher angehört werden. (2) Das BMAS wird ermächtigt, auf Grundlage von Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien durch Rechtsverordnung, die nicht der Zu-
4 5 6
BGBl. I 2022, 1507. BAnz AT 29.9.2022 V1. BT-Drucks. 20/3494, 20/3721.
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Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit
stimmung des Bundesrates bedarf, festzulegen, ob, in welcher Höhe und für welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die ergänzenden Leistungen nach § 102 Abs. 2 bis 4 in den Zweigen des Baugewerbes und den einzelnen Wirtschaftszweigen erbracht werden. (3) Bei den Festlegungen nach den Abs. 1, 2 ist zu berücksichtigen, ob diese voraussichtlich in besonderem Maße dazu beitragen, die wirtschaftliche Tätigkeit in der Schlechtwetterzeit zu beleben oder die Beschäftigungsverhältnisse der von saisonbedingten Arbeitsausfällen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stabilisieren. (4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld über die gesetzliche Bezugsdauer hinaus bis zur Dauer von 24 Monaten zu verlängern. Die Rechtsverordnung ist zeitlich zu befristen. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, 1. abweichend von § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 den Anteil der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sein müssen, auf bis zu 10 % herabzusetzen, 2. abweichend von § 96 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 die Vermeidbarkeit eines Arbeitsausfalls zu regeln, indem auf den vollständigen oder teilweisen Einsatz von Erholungsurlaub verzichtet wird, 3. abweichend von § 96 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 die Vermeidbarkeit eines Arbeitsausfalls zu regeln, indem auf den Einsatz von Arbeitszeitguthaben und negativen Arbeitszeitsalden vollständig oder teilweise verzichtet wird. Die Rechtsverordnung ist zeitlich zu befristen. Die Ermächtigungen nach S. 1 treten mit Ablauf des 30.6.2023 außer Kraft. (6) Die Bundesregierung wird ermächtigt, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, eine vollständige oder teilweise Erstattung der von den Arbeitgebern allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld beziehen, einzuführen. Die Rechtsver-
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ordnung ist zeitlich zu befristen. Die Ermächtigung nach S. 1 tritt mit Ablauf des 30.6.2023 außer Kraft. (7) Die Bundesregierung wird ermächtigt, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, abweichend von § 99 Abs. 2 S. 1 zu bestimmen, dass die Anzeige über den Arbeitsausfall auch dann als rechtzeitig erstattet gilt, wenn die Anzeige im Folgemonat erstattet wird. Die Rechtsverordnung ist zeitlich zu befristen. Die Ermächtigung nach S. 1 tritt mit Ablauf des 30.6.2023 außer Kraft. (8) Die Bundesregierung wird ermächtigt, für den Fall außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festzulegen, dass Entgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, die während des Bezuges von Kurzarbeitergeld aufgenommen worden ist, abweichend von § 106 Abs. 3 dem Ist-Entgelt nicht hinzugerechnet wird. Die Rechtsverordnung ist zeitlich zu befristen. Die Ermächtigung nach S. 1 tritt mit Ablauf des 30.6.2023 außer Kraft.
Die Verordnungsermächtigung für etwaige Besonderheiten bei Leiharbeitnehmern bleibt in § 11 a AÜG. Dieser lautet wie folgt: Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass das in § 11 Abs. 4 S. 2 geregelte Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Vereinbarung von Kurzarbeit für den Arbeitsausfall und für die Dauer aufgehoben ist, für die dem Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld nach dem SGB III gezahlt wird. Die Verordnung ist zeitlich zu befristen. Die Ermächtigung tritt mit Ablauf des 30.6.2023 außer Kraft.
Die Neuregelung ist rückwirkend am 1.10.20227 in Kraft getreten. Auf der Grundlage der damit jetzt in § 109 Abs. 8 SGB III enthaltenen Rechtsgrundlage hat die Bundesregierung im Oktober 2022 durch die Verordnung zur Änderung der KugZuV8 festgelegt, dass Einnahmen, die während der Kurzarbeit aus einer geringfügigen Beschäftigung erzielt werden, die in dieser Zeit aufgenommen wurde, weiterhin bis zum 31.12.2022 abweichend von
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BGBl. I 2022, 1790. BGBl. I 2022, 1790.
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Erneute Anpassung und Verlängerung der Regelungen zur Kurzarbeit
§ 106 Abs. 3 SGB III nicht auf das Ist-Entgelt angerechnet werden. Die entsprechende Sonderregelung war bereits zum 30.6.2022 ausgelaufen. Im Übrigen aber ist es bei der Entscheidung, einen Teil der für die COVID19-Pandemie entwickelten Sonderregelungen auslaufen zu lassen, geblieben. Damit bleibt es dabei, dass es schon seit dem 31.3.2022 keine automatische Erstattung der durch den Arbeitgeber während der Kurzarbeit zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge mehr gibt. Die entsprechende Erleichterung durch § 3 KugverlV ist ausgelaufen. Eine solche Erstattung, begrenzt auf 50 % der Sozialversicherungsbeiträge, kommt bis zum 31.7.2023 nur noch in Betracht, wenn die Beschäftigten eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme nach § 106 a SGB III vornehmen. Auch das höhere Kurzarbeitergeld ist nur noch bis zum 30.6.2022 gezahlt worden. § 421 c Abs. 2 SGB III wurde nicht mehr verlängert. Das gleiche gilt für die Steuerbegünstigung etwaiger Aufstockungsleistungen des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld. § 3 Nr. 28 a EStG endete am 30.6.2022. Entsprechende Leistungen sind ab dem 1.7.2022 wieder steuerpflichtig. Eine besondere Beitragspflicht im Bereich der Sozialversicherung besteht allerdings nur insoweit, als das Kurzarbeitergeld und der Aufstockungsbetrag 80 % des Unterschiedsbetrags zwischen dem Soll-Entgelt und dem IstEntgelt übersteigen (§ 1 Abs. 1 Nr. 8 SvEV). Denn der Arbeitgeber muss während der Kurzarbeit ohnehin den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von bis zu 80 % des Soll-Arbeitsentgelts zahlen.
b)
Zulässigkeit und Grenzen von Kurzarbeit als Folge der Energiekrise
Für viele Unternehmen, die von der Inflation und den Preissteigerungen als Folge der Energiekrise betroffen sind, stellt sich derzeit die Frage, ob bei einer Einschränkung oder Einstellung der betrieblichen Tätigkeit Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen werden kann. Dafür spricht zwar zunächst, dass darin ohne Weiteres ein erheblicher Arbeitsausfall liegen kann, der aus wirtschaftlicher Sicht unvermeidbar ist, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Die Voraussetzungen, wie sie § 96 SGB III für einen Bezug des Kurzarbeitergeldes nennt, dürften davon aber nur selten erfüllt sein. Denn der Arbeitsausfall muss auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruhen und zugleich auch nicht vermeidbar sein. Ein Arbeitsausfall ist nicht vermeidbar, wenn in einem Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalls zu verhindern. Als vermeidbar gilt insbesondere ein Arbeitsausfall, der überwiegend branchenüblich, betriebsüblich oder saisonbedingt ist oder ausschließlich auf betriebsorganisatorischen Gründen beruht. 337
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Hiervon ausgehend kommt die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld zwar in Betracht, wenn Zulieferer ausfallen, Aufträge storniert werden oder keine neuen Aufträge von Kunden erfolgen. Dies kann auch dadurch ausgelöst werden, dass kein Kunde bereit ist, die als Folge der gestiegenen Energiekosten angehobenen Produktpreise zu bezahlen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Lieferanten und/oder Kunden ihre Lieferungen bzw. die Abnahme von Produkten oder Dienstleistungen aus wirtschaftlichen Gründen (z. B. wegen der hohen Energiepreise), aus technischen Gründen oder als Folge des Krieges in der Ukraine beenden. In allen Fällen sind diese Entscheidungen für das Unternehmen, das seine Produktion nicht fortsetzen bzw. seine Produkte nicht mehr verkaufen kann, unvermeidbar. Sie resultieren aus einer allgemeinen, strukturellen Veränderung in einzelnen Branchen oder Regionen bzw. sind die Folge einer internationalen Störung des Wirtschaftslebens, die insoweit mit einem teilweisen oder vollständigen Ausfall der Lieferkette verbunden ist. Dass diese Folgen eine Reihe von Unternehmen oder die gesamte Branche betreffen, spielt unter diesen Voraussetzungen keine Rolle. Genauso wird man von einem unvermeidbaren Arbeitsausfall ausgehen müssen, wenn das Unternehmen nicht mehr mit Strom, Gas oder Öl beliefert wird und daher seine Arbeit nicht fortsetzen kann. Ob die fehlenden Energielieferungen auf einer behördlichen Entscheidung beruhen oder ob sie aus der fehlenden Lieferfähigkeit des Marktes resultieren, ist unerheblich. (Ga)
3.
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns und Anpassung der geringfügigen Beschäftigung
Im Frühjahr hatten wir eingehend auf das Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung hingewiesen9. Das Gesetz ist am 30.6.2022 veröffentlicht worden und am 1.10.2022 mit den wesentlichen Vorschriften in Kraft getreten10. Damit ist nicht nur der Mindestlohn zum 1.10.2022 auf 12 € angehoben worden. Auch die geringfügige Beschäftigung ist – in Abhängigkeit zum gesetzlichen Mindestlohn – auf 520 € angestiegen. Wichtig ist, in der betrieblichen Praxis neben diesen Änderungen auch die Auswirkungen auf die Abrufarbeit zu berücksichtigen, bei der die fehlende Vereinbarung eines Stundenvolumens zur Folge hat, dass eine individuelle Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche als vereinbart gilt. Dies hat eine Ver9 B. Gaul, AktuellAR 2022, 13 ff. 10 BGBl. I 2022, 974.
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Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik
gütung i. H. v. 1.040 € (brutto) im Monat zur Folge, die nicht mehr als geringfügige Beschäftigung behandelt werden kann. Denn auch die Ausnahmeregelungen zu einem Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze, die jetzt in § 8 Abs. 1 b SGB IV enthalten sind, setzen ein unvorhergesehenes Überschreiten voraus. Daran fehlt es, wenn sich die Zahlungspflicht bereits unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. § 12 TzBfG ergibt. Hilfreich dürfte sein, zur weiteren Erläuterung der praktischen Handhabe der gesetzlichen Änderungen durch die in den Unternehmen Verantwortlichen auch die neuen Richtlinien der Sozialversicherungsträger zur geringfügigen Beschäftigung und der Beschäftigung im Übergangsbereich zu berücksichtigen. Wir hatten darauf an anderer Stelle hingewiesen11. (Ga)
4.
Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik
Am 30.6.2022 hat der Sachverständigenausschuss nach § 5 Abs. 9 IfSG seinen Bericht zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik vorgelegt. Grundsätzlich soll der Bericht dem Gesetzgeber helfen, im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die richtigen – also wirksamen und angemessenen – Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu finden. Schlussendlich sind die Erkenntnisse, die der Bericht auf insgesamt 149 Seiten zusammenfasst, allerdings auch für den betrieblichen Arbeitsschutz relevant. Denn auch der Arbeitgeber muss bei seinen Maßnahmen auf der Grundlage von §§ 106 GewO, 618 BGB, 3 ff. ArbSchG geeignete, erforderliche und unter Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer, der Belegschaft sowie Dritter jeweils geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen festlegen. Im Hinblick darauf kann man dem Bericht entnehmen, dass die Wirkung eines Lockdowns und einer etwaigen Kontaktnachverfolgung durch den Sachverständigenausschuss nur zu Beginn der Pandemie als wirksam bewertet wird. Während der Lockdown im Laufe der Zeit an der Akzeptanz scheitere, sehen die Verfasser des Berichts die Schranken einer wirksamen Kontaktnachverfolgung auch in der unzureichenden Digitalisierung der Infektionserfassung mit bundesweit einheitlichen Systemen. Den Effekt von 2G-/3G-Maßnahmen wertet der Sachverständigenausschuss in den ersten Wochen nach der Boosterimpfung oder einer Genesung als 11 B. Gaul, AktuellAR 2022, 627 f.
339
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
hoch. Der Schutz vor einer Infektion lasse mit der Zeit jedoch deutlich nach. Angesichts der leichten Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 in der derzeitig vorherrschenden Omikron-Variante bei Geimpften sowie der Impf- und Genesungsquote habe deshalb eine Testung unabhängig vom Impfstatus als Zugangsbedingung Vorrang. Auch hier sieht der Sachverständigenausschuss allerdings Forschungsbedarf. Ob Schulschließungen tatsächlich trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien die Ausbreitung des Virus hätten eindämmen können, muss nach dem Bericht evaluiert werden. Schlussendlich wird als ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung übergreifend und phasenunabhängig nur das Tragen von Masken anerkannt. Voraussetzung sei aber das richtige und konsequente Tragen. Da die Übertragung des Virus im Innenbereich stärker als im Außenbereich sei, soll eine Maskenpflicht zukünftig allerdings auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben. Dabei sei eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2Masken aus den bisherigen Daten nicht ableitbar. Lediglich in „Risikosettings“, wie medizinischen oder pflegerischen Bereichen, soll nach dem Bericht aus hygienischer Sicht zum Fremd- und Selbstschutz aber die FFP2Maske präferiert werden. (Ga)
5.
Neue Corona-Schutzmaßnahmen für den Herbst 2022
Auch in diesem Herbst wird sich die betriebliche Praxis weiterhin mit Schutzmaßnahmen befassen müssen, die eine Infektion mit dem CoronaVirus verhindern sollen. Dabei helfen in jedem Fall die beiden Entscheidungen des BAG vom 1.6.202212 und vom 10.8.202213. Wir hatten an anderer Stelle bereits darauf verwiesen14. In diesen Entscheidungen hat sich das BAG eingehend mit der Frage befasst, welche Voraussetzungen und Schranken bei arbeitgeberseitigen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens auf der Grundlage von §§ 106 GewO, 618 BGB, 3 ff. ArbSchG zulässig sind. Ergänzend hierzu sind die inzwischen gelockerten Regelungen zum Schutz vor einer Corona-Infektion durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen
12 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. 13 BAG v. 10.8.2022 – 5 AZR 154/22 n. v. 14 B. Gaul, AktuellAR 2022, 438 ff.
340
Neue Corona-Schutzmaßnahmen für den Herbst 2022
vor COVID-19 vom 16.9.202215 und die neue C-ASV16 allerdings noch einmal verschärft worden. Wichtig ist, die damit verbundenen Handlungsvorgaben durch die Verantwortlichen in den Betrieben zu beachten.
a)
Änderungen im IfSG
aa)
Teilweise Fortschreibung von Test- und Maskenpflicht
Losgelöst von der Neuregelung zu einer Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Erholungsurlaub bei Quarantäneanordnung in § 59 IfSG17, den Änderungen beim Krankengeld18 sowie dem Wiederaufleben der in § 129 BetrVG getroffenen Regelungen zur Beschlussfassung der Einigungsstelle in Videooder Telefonsitzungen19 betreffen die Änderungen im Hinblick auf das Infektionsgeschehen aus arbeitsrechtlicher Sicht vor allem § 28 b IfSG. Danach wird die Maskenpflicht im öffentlichen Personenfernverkehr (§ 28 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSG) sowie in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen (§ 28 b Abs. 1 S. 1 Nrn. 3 bis 5 IfSG) fortgeschrieben. Dabei wird eine FFP2-Maske oder ein vergleichbarer Schutz vorgegeben. Der Luftverkehr wird zunächst einmal von der Maskenpflicht ausgenommen. Die entsprechende Vorgabe könnte indes durch Rechtsverordnung getroffen werden (§ 28 b Abs. 1 S. 2 IfSG). Weiterhin ausgenommen von der Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske werden 1. Kinder, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. Personen, die ärztlich bescheinigt aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, einer ärztlich bescheinigten chronischen Erkrankung oder einer Behinderung keine Atemschutzmaske oder medizinische Gesichtsmaske tragen können, und 3. gehörlose und schwerhörige Menschen und Personen, die mit ihnen kommunizieren, sowie ihre Begleitpersonen.
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die mit § 20 a IfSG begründet wurde20, wird durch die Neuregelungen nicht verändert. Sie läuft allerdings nur noch bis zum 31.12.2022. Derzeit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass 15 16 17 18 19 20
BGBl. I 2022, 1454. BAnz AT 28.9.2022 V1. Vgl. Boewer, AktuellAR 2022, 504 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 346 f. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 351. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 7 ff.
341
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
eine Verlängerung dieser Sonderregelung beabsichtigt ist21. Unabhängig davon begründet § 21 b Abs. 1 S. 1 Nrn. 3, 4 IfSG indes eine Verpflichtung der in solchen Einrichtungen Tätigen, mindestens dreimal pro Kalenderwoche einen Testnachweis i. S. d. § 22 a Abs. 3 IfSG vorzulegen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dieser Nachweis abweichend hiervon auch durch einen Antigen-Test zur Eigenanwendung ohne Überwachung erfolgen. Diese Vorgabe und ergänzende Regelungen in § 28 b Abs. 1 IfSG zu einer Testpflicht oder der Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises entsprechen den Erkenntnissen aus dem Evaluationsbericht, auf die wir an anderer Stelle hingewiesen hatten22. Eine 2G-/3G-Regelung ist nicht vorgesehen. Die vorstehenden Regelungen gelten vom 1.10.2022 bis zum 7.4.2023. bb)
Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems
Zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastrukturen können gemäß § 28 b Abs. 1 IfSG in der Zeit vom 1.10.2022 bis zum 7.4.2022 durch die zuständigen Behörden auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG ergänzende Schutzmaßnahmen getroffen werden. Sie gelten damit erst dann, wenn die Landesregierungen in Form von Rechtsverordnungen oder lokale Behörden durch Allgemeinverfügungen und/oder sonstige Verwaltungsakte entsprechende Maßnahmen festlegen. Die Festlegung der Maßnahmen differenziert also nach dem regionalen Infektionsgeschehen und wird die betriebliche Praxis in unterschiedlicher Weise im Herbst 2022 bestimmen. Zu den Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens bzw. der Kritischen Infrastruktur gehören insbesondere eine Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (MundNasen-Schutz) oder einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) in öffentlich zugänglichen Innenräumen, in denen sich mehrere Personen aufhalten, oder in Verkehrsmitteln des ÖPNV für Fahrgäste (§ 28 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSG). Ergänzend kann eine Pflicht zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) für das Kontroll- und Servicepersonal sowie das Fahr- und Steuerpersonal im ÖPNV bestimmt werden. Für die Schulen sind eingehende Regelungen vorgesehen, die allerdings keine Schließung zum Inhalt haben. Vielmehr geht es im Wesentlichen um
21 B. Gaul, AktuellAR 2022, 350 f. 22 B. Gaul, AktuellAR 2022, 339 f.
342
Neue Corona-Schutzmaßnahmen für den Herbst 2022
das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske und die Verpflichtung zur Durchführung von Tests auf das Vorliegen einer Infektion mit dem CoronaVirus (§ 28 b Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 IfSG). cc)
Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr
Gemäß § 28 b Abs. 4 IfSG können weitergehende Einschränkungen der Handlungsfreiheit der Bevölkerung, die auch für das Arbeitsleben Bedeutung hätten, in der Zeit vom 1.10.2022 bis zum 7.4.2023 nur bei einer konkreten Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastrukturen auf regionaler Ebene beschlossen werden, wenn das Parlament des betroffenen Landes dies für das Land oder eine oder mehrere konkret zu benennende Gebietskörperschaften festgestellt hat. Dabei werden die Anforderungen an eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen Kritischen Infrastruktur in § 28 b Abs. 7 IfSG spezifisch definiert. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, können also weitergehende Schutzmaßnahmen nicht wirksam getroffen werden. Zu den entsprechenden Schutzmaßnahmen kann eine Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) oder einer Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) bei Veranstaltungen im Außenbereich gehören, sobald ein Abstand von 1,5 Metern regelmäßig nicht eingehalten werden kann. Eine vergleichbare Verpflichtung kann für Veranstaltungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen festgelegt werden. Ergänzend hierzu können der Groß- und Einzelhandel, Betriebe, Einrichtungen, Gewerbe sowie Angebote und Veranstaltungen aus dem Freizeit-, Kultur- und Sportbereich verpflichtet werden, für öffentlich zugängliche Innenräume, in denen sich mehrere Personen aufhalten, Hygienekonzepte zu erstellen, die auch die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln sowie Maßnahmen zur Vermeidung unnötiger Kontakte und Lüftungskonzepte vorsehen können. Weitere Schutzmaßnahmen können ein Abstandsgebot mit einem Abstand von 1,5 Metern (Mindestabstand) im öffentlichen Raum sowie die Festlegung von Personenobergrenzen für Veranstaltungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen sein. Entsprechende Maßnahmen können nur vorübergehend getroffen werden. Sie gelten als aufgehoben, sofern das Parlament in dem betroffenen Land nicht spätestens drei Monate nach der Feststellung einer konkreten Gefahr die Feststellung erneut trifft (§ 28 b Abs. 4 S. 2 IfSG).
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
b)
Neue Corona-Arbeitsschutzverordnung
aa)
Allgemeine Handlungsleitlinien
Am 1.10.2022 ist auch eine neue C-ASV in Kraft getreten. Sie endet am 7.4.2023. Wie die vorangehenden Verordnungen dient auch die neue C-ASV dem Ziel, das Risiko einer Infektion mit dem Corona-Virus bei der Arbeit zu minimieren sowie die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen (§ 1 Abs. 1 C-ASV). Abweichende Vorschriften des Bundes oder der Länder zum Infektionsschutz bleiben unberührt (§ 1 Abs. 2 C-ASV)23. Gemäß § 1 Abs. 3 C-ASV ist bei der Umsetzung der Verordnung auch die C-ASR zu berücksichtigen. Problematisch daran ist, dass die letzte C-ASR bereits am 25.5.2022 ausgelaufen ist24. An einer Neufassung wird derzeit gearbeitet. Die Veröffentlichung soll noch im November erfolgen. Darauf wird zu achten sein, auch wenn sich daraus gegenüber der bisherigen C-ASR wohl keine besonderen Veränderungen ergeben dürften. Darüber hinaus können nach § 1 Abs. 3 C-ASV zur weiteren Orientierung über geeignete Maßnahmen insbesondere Handlungsempfehlungen der BAuA sowie die branchenbezogenen Handlungshilfen der Unfallversicherungsträger herangezogen werden. Auch dies erscheint sinnvoll. In der betrieblichen Praxis ist allerdings festzustellen, dass diese Leitlinien in der Regel veraltet sind und deshalb auch auf einem anderen Infektionsgeschehen aufbauen. So sind die letzten BAuA Handlungsempfehlungen auf den 29.3.2022 datiert. bb)
Betriebliches Hygienekonzept
Durch § 2 C-ASV werden die Unternehmen weiter verpflichtet, auf der Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung nach §§ 5, 6 ArbSchG ein betriebliches Hygienekonzept festzulegen und umzusetzen. Wichtig ist, dass das Hygienekonzept hierfür den Beschäftigten nicht nur in geeigneter Weise in der Arbeitsstätte zugänglich zu machen ist (§ 2 Abs. 4 C-ASV). Vielmehr dürfte es erforderlich sein, die Beschäftigten in Bezug auf die wesentlichen Handlungserfordernisse gemäß § 12 ArbSchG zu unterweisen25. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 2 C-ASV insbesondere die folgenden Maßnahmen zu prüfen:
23 Vgl. Weber, DB 2022, 2601. 24 B. Gaul, AktuellAR 2022, 3 ff. 25 Vgl. Grüneberg, ARP 2022, 291.
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Neue Corona-Schutzmaßnahmen für den Herbst 2022
1. die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen zwei Personen, 2. die Sicherstellung der Handhygiene, 3. die Einhaltung der Husten- und Niesetikette, 4. das infektionsschutzgerechte Lüften von Innenräumen, das allerdings im Einzelhandel durch § 10 EnSikuMaV (Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung) eingeschränkt wird, 5. die Verminderung von betriebsbedingten Personenkontakten, 6. das Angebot gegenüber Beschäftigten, geeignete Tätigkeiten in ihrer Wohnung auszuführen, wenn keine betriebsbedingten Gründe entgegenstehen, 7. das Angebot an Beschäftigte, die nicht ausschließlich von zu Hause aus arbeiten, sich zur Minderung des betrieblichen CoronaInfektionsrisikos regelmäßig kostenfrei durch In-vitro-Diagnostika zu testen.
Sofern die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass bei Unterschreiten des Mindestabstands von 1,5 Metern oder bei tätigkeitsbedingten Körperkontakten oder bei gleichzeitigem Aufenthalt mehrerer Personen in Innenräumen technische und organisatorische Schutzmaßnahmen zum Schutz der Beschäftigten nicht ausreichen, muss der Arbeitgeber seinen Beschäftigten medizinische Gesichtsmasken (Mund-Nasen-Schutz) oder die in der Anlage bezeichneten Atemschutzmasken bereitstellen. In diesem Fall müssen die Masken durch die Beschäftigten getragen werden. Das schreibt § 2 Abs. 3 S. 1, 2 CASV ausdrücklich vor. Ausgenommen werden lediglich Beschäftigte, die ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiten. cc)
Schutzimpfungen und Aufklärung
Durch § 3 C-ASV bleibt der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet, den Beschäftigten zu ermöglichen, sich während der Arbeitszeit gegen das CoronaVirus impfen zu lassen. Der Arbeitgeber hat außerdem die Betriebsärzte und die überbetrieblichen Dienste von Betriebsärzten, die Schutzimpfungen aus Gründen des Bevölkerungsschutzes im Betrieb durchführen, organisatorisch und personell zu unterstützen. Ergänzend hierzu bleibt der Arbeitgeber verpflichtet, die Beschäftigten im Rahmen der Unterweisung über die Gesundheitsgefährdung bei der Erkrankung an COVID-19 aufzuklären und über die Möglichkeit einer Schutzimpfung zu informieren. (Ga)
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
6.
Zulässigkeit der telefonischen Krankschreibung
Auch unter Berücksichtigung der besonderen Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine räumlich begrenzte und zeitlich befristete Ausnahme von den Regelungen der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AURL) durch Beschluss nur zulassen, wenn sie in Abhängigkeit von der Art des Ausbruchgeschehens zur Eindämmung und Bewältigung der Infektionen und zum Schutz der Einrichtungen der Krankenversorgung vor Überlastung notwendig und erforderlich ist. Das stellt § 8 Abs. 1 AURL klar. Auf dieser Grundlage kann dann die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Versicherten mit Erkrankung der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese und zwar im Wege der persönlichen ärztlichen Überzeugung vom Zustand der oder des Versicherten durch eingehende telefonische Befragung erfolgen; das Fortdauern der Arbeitsunfähigkeit kann im Wege der telefonischen Anamnese einmalig für einen weiteren Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen festgestellt werden. Am 4.8.2022 hat der G-BA beschlossen, diese Sonderregelung noch einmal befristet bis zum 30.11.2022 auszuweiten. Danach darf die erleichterte Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auf der Grundlage einer telefonischen Befragung für die Dauer von bis zu 14 Kalendertagen (7 Kalendertage + 7 Kalendertage) vorübergehend auch ohne Berücksichtigung der übrigen Voraussetzungen in § 8 Abs. 1 AURL erfolgen (§ 8 Abs. 1 a AURL). Hier kommt es also auf die Art des Ausbruchgeschehens oder die Notwendigkeit eines Schutzes von Einrichtungen der Krankenversorgung nicht an. (Ga)
7.
Erneute Verlängerung der längeren Inanspruchnahme von Krankengeld
Die Möglichkeit, nach § 45 Abs. 2 a SGB V für das Jahr 2022 für jedes Kind länger als 30 Arbeitstage (insgesamt nicht mehr als 65 Arbeitstage) und für alleinerziehende Versicherte für jedes Kind längstens 60 Arbeitstage (insgesamt nicht mehr als 130 Arbeitstage) Krankengeld in Anspruch nehmen zu können, ist für das Jahr 2023 verlängert worden26. Dieser Anspruch besteht bis zum Ablauf des 7.4.2023 auch dann, wenn Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behin26 BGBl. I 2022, 1454, 1466.
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Absenkung der Temperaturanforderungen am Arbeitsplatz
derung zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund des IfSG vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder das Kind aufgrund einer behördlichen Empfehlung die Einrichtung nicht besucht. Entsprechende Vorgänge sind allerdings der Krankenkasse auf geeignete Weise nachzuweisen. In dieser Zeit ruht für beide Elternteile der Anspruch auf Entschädigung nach § 56 Abs. 1 a IfSG (§ 45 Abs. 2 b SGB V). (Ga)
8.
Absenkung der Temperaturanforderungen am Arbeitsplatz
Grundsätzlich enthalten die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) A3.5 auch Anforderungen in Bezug auf die Lufttemperaturen in Arbeits-, Pausen-, Bereitschafts-, Sanitär-, Kantinen- und Erste-Hilfe-Räumen. Diese Werte sind während der gesamten Nutzungsdauer zu gewährleisten, was insbesondere bei Gleitzeitregelungen zu beachten ist, die über eine längere Zeitspanne hinweg die Nutzung der betrieblichen Räumlichkeiten gestatten. Mit der Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung – EnSikuMaV), die vom 1.9.2022 bis zum 28.2.2023 gilt, sind die Handlungsvorgaben zur Lufttemperatur in Nr. 4.2 ASR A3.5 in Bezug auf Arbeitsräume abgesenkt worden. Als Arbeitsraum gilt dabei ein Raum, in dem mindestens ein Arbeitsplatz innerhalb eines Gebäudes dauerhaft eingerichtet ist. Die entsprechenden Höchstwerte für die Lufttemperatur in Arbeitsräumen werden dabei durch §§ 6, 12 EnSikuMaV wie folgt festgelegt: 1. für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeit 19 °C, 2. für körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Stehen oder Gehen 18 °C, 3. für mittelschwere und überwiegend sitzende Tätigkeit 18 °C, 4. für mittelschwere Tätigkeit überwiegend im Stehen oder Gehen 16 °C oder 5. für körperlich schwere Tätigkeit 12 °C.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei einer entsprechenden Absenkung der Raumtemperaturen bestehen nicht. Denn die Maßnahme dient 347
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
nicht dem Arbeitsschutz, sondern einer Einsparung des Energieverbrauchs. Unabhängig davon ist natürlich sicherzustellen, dass die Mindesttemperaturen auch tatsächlich eingehalten werden. Der Betriebsrat kann im Rahmen seiner Mitbestimmung bei der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung aber darauf hinwirken, dass geprüft wird, ob durch die entsprechende Absenkung der Temperaturen keine Gefährdung der Gesundheit der hiervon betroffenen Arbeitnehmer bewirkt wird. Das entspricht auch §§ 6, 12 EnSikuMaV. Die Einhaltung dieser Vorschrift kann durch den Betriebsrat auch überwacht werden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Viele Arbeitgeber verbinden entsprechende Regelungen zur Absenkung der Lufttemperatur mit der Entscheidung, bestimmte Räumlichkeiten insgesamt der betrieblichen Nutzung zu entziehen. Anlass dafür ist die Beobachtung, dass die Ausweitung der mobilen Arbeit zur Folge hat, dass die Nutzungszeiten der Arbeitsplätze – insbesondere am Montag und Freitag – in den Betrieben außerordentlich gering sind. Auch wenn die Nutzungszeiten zur Wochenmitte typischerweise steigen, kann in der Regel allen Arbeitnehmern, die im Betrieb arbeiten wollen, selbst dann ein Arbeitsplatz angeboten werden, wenn die Anzahl der Arbeitsplätze um 20 % bis 40 % reduziert wird. Auch diese Entscheidung über eine Reduzierung der im Betrieb verfügbaren Arbeitsfläche/Arbeitsplätze ist nicht mit einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verbunden. Sie ist zwar mit dem Betriebsrat gemäß §§ 90, 91 BetrVG zu erörtern. Der Betriebsrat kann auch nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG überwachen, ob der Arbeitgeber für das neue Arbeitskonzept eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und – daran anknüpfend – erforderliche Schutzmaßnahen festgelegt hat. Sowohl die Gefährdungsbeurteilung als auch die Festlegung von Schutzmaßnahmen können mit Mitbestimmungsrechten aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verbunden sein. Die bloße Verlagerung von Arbeitsplätzen in ein anderes Büro und/oder Großraumbüro stellt aber keine Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 BetrVG dar, so dass auch keine Beteiligungsrechte aus § 99 BetrVG bestehen. Darauf hatten wir bereits im Frühjahr hingewiesen27. Das hatte das BAG bereits in den beiden Entscheidungen vom 27.6.200628 und vom 17.11.202129 klargestellt. Daran anknüpfend liegt auch keine Betriebsänderung vor. Voraussetzung ist natürlich, dass die räumlichen Veränderungen nicht zugleich mit einer Änderung des Ar-
27 B. Gaul, AktuellAR 2022, 284 ff. 28 BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 35/05, NZA 2006, 1289 Rz. 12 f. 29 BAG v. 17.11.2021 – 7 ABR 17/20, NZA 2022, 501 Rz. 14 ff.
348
Absenkung der Temperaturanforderungen am Arbeitsplatz
beits- und Ablaufverfahrens oder der Zuordnung von Arbeitnehmern in der Betriebsorganisation verbunden werden. Dass mit einer solchen Verlagerung ins Homeoffice Energiekosten der Unternehmen auch mithilfe der Arbeitnehmer reduziert werden, die den häuslichen Arbeitsplatz warmhalten müssen, verpflichtet den Arbeitgeber auf der Grundlage einer (rein) arbeitsrechtlichen Betrachtung nicht zum Ausgleich der damit verbundenen Kosten. Diese Mehrkosten sind ohnehin schwer festzustellen, ausgehend davon, dass der private Wohnraum auch ohne die Arbeit im Homeoffice beheizt werden muss. Solange der Arbeitgeber die Arbeit im Homeoffice nur als eine Option anbietet, über deren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer unter Berücksichtigung betrieblicher Schranken entschieden werden kann, weil zugleich dauerhaft ein Arbeitsplatz im Betrieb zur Verfügung gestellt wird, müssen Aufwendungen, die der Arbeitnehmer für die Einrichtung und Aufrechterhaltung des betrieblichen Arbeitsplatzes hat, durch den Arbeitgeber nicht bezahlt werden. Wir hatten auf die entsprechende Bewertung des BAG ebenfalls zuletzt im Frühjahr verwiesen30. In diesem Fall ist auch ein Schadensersatzanspruch, wie er zum Teil für denkbar gehalten wird31, ausgeschlossen. Ungeachtet dessen dürfte es aber aus personalpolitischen Gründen überlegenswert sein, darüber nachzudenken, etwaige Einsparungen des Arbeitgebers durch eine Veränderung des Betriebsnutzungskonzepts zum Anlass zu nehmen, sich an den gestiegenen Energiekosten der Arbeitnehmer zu beteiligen. Dabei handelt es sich aber um eine freiwillige Regelung, die auch nicht über § 670 BGB analog begründet werden kann. Daher dürfte ein entsprechender Ausgleich im Zweifel auch dann zu versteuern sein, wenn die Zahlung den typisierten Aufwendungen entspricht. Einen Ausweg für eine steuerbegünstigte Zahlung bietet allerdings die Inflationsausgleichsprämie, auf die wir an anderer Stelle verwiesen hatten32. Denn der Arbeitgeber kann die wirtschaftliche Belastung, die den Arbeitnehmer trifft, auf diese Weise auch ohne einen Bezug zu tatsächlich gestiegenen Energiekosten, mildern. Wichtig ist nur, dass der hiervon abweichende Zweck eines Inflationsausgleichs unabhängig von den Energiekosten erkennbar gemacht wird. Eine Pflicht der Arbeitnehmer, ohne eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag die Arbeit aus Gründen der Energiekosteneinsparung im Homeoffice zu verrichten, besteht nicht. (Ga) 30 B. Gaul, AktuellAR 2022, 102 ff. 31 Vgl. Hey, BB 2022, 2362. 32 B. Gaul, AktuellAR 2022, 354 ff.
349
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
9.
Stellungnahme der Bundesregierung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der AfD hat die Bundesregierung noch einmal zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht in § 20 a IfSG Stellung genommen33. Wir hatten auf die entsprechenden Regelungen im Frühjahr hingewiesen34. Auf die Frage, ob die Bundesregierung eine Verlängerung der Regelung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht über den 31.12.2022 hinaus plant, hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme aber keine konkrete Antwort gegeben. Die Prüfung einer etwaigen Änderung des Geltungszeitraums sei noch nicht abgeschlossen. Auch die Frage, wie sich die Anzahl der in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen in Deutschland beschäftigten Personen seit dem Jahr 2015 entwickelt hat, hat die Bundesregierung nicht abschließend beantwortet. Erkennbar wird lediglich, dass die Anzahl der Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in den Jahren 2015 bis 2017 bzw. 2015 bis 2020 zugenommen hat. Daraus lässt sich nicht erkennen, ob die gesetzlichen Vorgaben zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht in 2021 und 2022 einen (vorübergehenden) Rückgang der Beschäftigtenzahlen bewirkt haben. Die Antwort der Bundesregierung lässt allerdings die Vermutung zu, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu einer Steigerung der Impfquote geführt hat. Denn in der Zeit vom Dezember 2021 bis zum April 2022 ist jedenfalls in den stationären Pflegeeinrichtungen die Zahl der Beschäftigten mit einer dritten Impfung von 50,7 % auf 72 % angestiegen. Da dann aber auch im Juni 2022 weiterhin nur 72 % der Beschäftigten eine dritte Impfung in Anspruch genommen hatten, wird aber zugleich deutlich, dass sich Personen, die zu einer solchen Impfung nicht bereit waren, durch die Impfpflicht nicht haben zu einer anderen Sichtweise durchringen können. Ob die Bundesregierung angesichts der kontroversen Diskussion über eine Impfpflicht im Herbst 2021 bereit ist, die Sonderregelung für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen über den 31.12.2022 hinaus fortzuschreiben, erscheint zweifelhaft. Dies gilt umso mehr, als dass das aktuelle Infektionsgeschehen und die damit verbundene Auslastung der Krankenhäuser den Eindruck vermitteln, dass die Belastung auch in Bezug auf vulnerable Personen 33 BT-Drucks. 20/3561. 34 B. Gaul, AktuellAR 2022, 7 ff.
350
Die Rückkehr der virtuellen Einigungsstellensitzung
vertretbar ist. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen einer Corona-Erkrankung zunehmend beherrschbar erscheinen, so dass auch Personen, die sich ihrerseits nicht durch eine Impfung schützen können, vielfach durch medizinische Maßnahmen keinen schweren Verlauf erleiden. Die damit verbundene Veränderung der Sachlage muss im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung der Interessen berücksichtigt werden. (Ga)
10. Die Rückkehr der virtuellen Einigungsstellensitzung Durch Art. 6 d des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16.9.202235, auf das wir vorstehend bereits hingewiesen hatten36, ist § 129 BetrVG zurückgekehrt. Damit können nicht nur Betriebs- und Abteilungsversammlungen nach § 43 BetrVG, Betriebsräteversammlungen nach § 53 BetrVG sowie Jugend- und Auszubildendenversammlungen nach § 71 BetrVG bis zum Ablauf des 7.4.2023 auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt wird, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können (§ 129 Abs. 1 BetrVG). Auch die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle sowie die Beschlussfassung innerhalb der Einigungsstelle können bis zum Ablauf des 7.4.2023 mittels einer Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, das Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können (§ 129 Abs. 2 BetrVG). Eine Aufzeichnung ist in beiden Fällen unzulässig. Wichtig bleibt aber, dass Teilnehmer einer Einigungsstelle, die mittels Video- und Telefonkonferenz teilnehmen, ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden der Einigungsstelle in Textform bestätigen müssen. Entsprechende Regelungen hat der Gesetzgeber auch für den Europäischen Betriebsrat, den SE-Betriebsrat, den SCE-Betriebsrat und den Sprecherausschuss geschaffen. Dies ist zu begrüßen, wobei – wie schon zur früheren Fassung von § 129 BetrVG – die Frage im Raum steht, warum die entsprechende Organisationsform nur als Sonderregelung aus Anlass der COVID19-Pandemie gelten soll. Es ergibt Sinn, den Betriebsparteien diese Organisationsform jeweils auch losgelöst von einem pandemischen oder epidemischen Geschehen zu gestatten. Dann obliegt es den Betriebsparteien, unter Abwägung der Vor- und Nachteile einer Telefon- oder Videositzung und unter Berücksichtigung des jeweils in Rede stehenden Gegenstands über die 35 BGBl. I 2022, 1454. 36 B. Gaul, AktuellAR 2022, 341 ff.
351
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Inanspruchnahme dieser Form einer Sitzung oder Versammlung zu entscheiden. (Ga)
11.
Aktueller Stand zum Inkrafttreten der elektronischen AU-Bescheinigung
Auf der Grundlage von Art. 4 b des Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen vom 23.3.202237 werden Art. 9, 11 Nr. 3 BEG III vom 22.11.201938 am 1.1.2023 in Kraft gesetzt und durch die dann einsetzende Regelung des neu geschaffenen § 5 Abs. 1 a EFZG für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind, die Pflicht ausgelöst, zu den in § 5 Abs. 1 S. 2 bis 4 EFZG genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2 oder 4 EFZG aushändigen zu lassen. Damit soll die Digitalisierung der AU-Bescheinigung, genauer eine elektronische AU-Meldung, die bisher papiergebundenen Prozesse ersetzen. Die versicherten Arbeitnehmer haben nicht mehr den papiergebundenen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber zu führen. An die Stelle dieses Nachweises tritt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch den krankschreibenden Vertragsarzt, der die AU-Daten elektronisch über die Telematikinfrastruktur (TI) an die Krankenkassen zu übermitteln hat (§ 295 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). In einem weiteren sich anschließenden Schritt kann der Arbeitgeber die für ihn bestimmten AU-Daten von der Krankenkasse abfragen (§ 109 SGB IV). Der 1.1.2023 steht vor der Tür, weshalb die berechtigte Frage zu stellen ist, ob das Vorhaben des Gesetzgebers zu diesem Zeitpunkt Wirklichkeit wird, was voraussetzen würde, dass die dafür notwendige Informationstechnologie bei allen Beteiligten vorhanden ist und funktioniert. Bei einer Befragung von rund 4.000 Praxen im August 2022 durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nutzen erst 53 % der Befragten die Digitalisierung. Von diesen werden Probleme mit der Signatur und lange Wartezeiten bei der Problembehebung durch IT-Anbieter sowie doppelte Arbeit durch zusätzliche Papierausdrucke moniert. Angesichts dieser Daten muss bezweifelt wer-
37 BGBl. I 2022, 482, in Kraft seit dem 26.3.2022 (Art. 5 Abs. 1). 38 BGBl. I 2019, 1746.
352
Aktueller Stand zum Inkrafttreten der elektronischen AU-Bescheinigung
den, dass der „gelbe Schein“ ab dem kommenden Jahr ausgedient hat. Der Gesetzgeber hat allerdings Vorsorge getroffen. Mit der ab dem 1.1.2023 in § 5 Abs. 1 a EFZG vorgesehenen Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich eine (unterschriebene) ärztliche Bescheinigung (Ausdruck) nach § 5 Abs. 1 S. 2 oder 4 EFZG mit den für den Arbeitgeber bestimmten Daten aushändigen zu lassen, soll dem Arbeitnehmer die Papierbescheinigung als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel erhalten bleiben, um insbesondere in Störfällen – etwa einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren – das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG nachweisen zu können39. Dies gilt gleichermaßen, wenn der krankschreibende Arzt noch nicht über die notwendige IT-Lösung verfügt, um die elektronische Übermittlung der Krankheitsdaten des Arbeitnehmers an die zuständige Krankenkasse zu bewerkstelligen. Zweifelhaft kann allerdings sein, ob der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer verpflichtend auf das Beweismittel der Papierbescheinigung zurückgreifen darf, wenn er ab Januar 2023 mangels vorhandener IT die Abfrage bei der Krankenkasse nicht vornehmen kann. Einer vertraglichen Papierlösung dürfte die Unabdingbarkeitsregelung des § 12 EFZG im Wege stehen. Soweit ab dem 1.1.2023 die technischen Voraussetzungen in den Arztpraxen für eine elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeit noch nicht vorliegen, erhält der Arbeitnehmer weiterhin eine AU-Bescheinigung mit allen drei vom Arzt unterschriebenen Ausfertigungen auf Papier für die Krankenkasse, den Arbeitgeber und den versicherten Arbeitnehmer selbst. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber den AU-Ausdruck vorzulegen und einen weiteren AU-Ausdruck an seine Krankenkasse zu schicken. Die Einzelheiten der Änderung der Nachweispflicht ab dem 1.1.2023 für Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse hatten wir bereits dargestellt40. Dies gilt auch für die optionale Übergangsphase vom 1.1.2022 bis zum 31.12.2022 auf der Grundlage von § 125 SGB IV. Da zurzeit keine Anzeichen für eine weitere zeitliche Verschiebung der elektronischen AU-Meldung vorliegen, wird sich die Praxis darauf einstellen müssen, dass zumindest teilweise von der Neuregelung des § 5 Abs. 1 a EFZG Gebrauch gemacht wird. In jedem Fall sollte der Arbeitgeber über die IT-Voraussetzungen verfügen, um die notwendigen Abfragen der AU-Daten 39 Vgl. BT-Drucks. 454/19 S. 35. 40 Vgl. Boewer, AktuellAR 2022, 85 ff.
353
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
bei den Krankenkassen durchführen zu können, weil der Arbeitnehmer nur freiwillig die Papierbescheinigung des krankschreibenden Arztes vorlegen müsste. Im Hinblick darauf, dass die an dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit beteiligten Ärzte teilweise noch nicht über eine entsprechend funktionierende Informationstechnologie verfügen, was auch bei den Krankenkassen nicht auszuschließen ist, wäre daran zu denken, die Arbeitnehmer über die sich aus § 5 Abs. 1 a EFZG ergebenden Alternativen des Nachweises ihrer Arbeitsunfähigkeit besonders zu informieren oder eine derartige Regelung in den Arbeitsvertrag aufzunehmen und dies mit der Verpflichtung zu verbinden, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unverzüglich jeden Wechsel seiner Krankenkasse mitzuteilen hat. (Boe)
12. Gesetzliche Regelungen zum Inflationsausgleich a)
Einführung einer Inflationsausgleichsprämie
Im Rahmen des Gesetzes zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz, das am 1.10.2022 in Kraft getreten ist41, ist § 3 Nr. 11 b in das EStG eingefügt worden42. Danach sind zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26.10.2022 bis zum 31.12.2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3.000 € steuerfrei. Als Folge einer Anpassung von § 1 Abs. 1 Nr. 7 Ag II-V (Arbeitslosengelt II/Sozialgeld-Verordnung) sind auch keine Sozialversicherungsbeiträge fällig. Im Mittelpunkt der Herausforderungen zur betriebspraktischen Umsetzung dieser Regelung steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Zahlung oder Sachleistung auszugehen ist, die „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ gewährt wird. Problematisch daran ist, dass der BFH noch in verschiedenen Urteilen vom 1.8.201943 die These vertreten hat, dass eine „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ gewährte Leistung bereits dann vorliege, wenn der verwendungsfreie Arbeitslohn zu Gunsten verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich (zuvor) herabgesetzt werde (Lohnformwechsel). Die Rechtsprechung betraf Zuschüsse zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für
41 BGBl. I 2022, 1743. 42 BT-Drucks. 20/3530; BR-Drucks 476/22. 43 Vgl. nur BFH v. 1.8.2019 – VI R 32/18, NZA-RR 2019, 675 Rz. 30.
354
Gesetzliche Regelungen zum Inflationsausgleich
Fahrten zwischen Wohnungen erster Tätigkeitsstätte (§ 40 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 lit. b EStG), zur Übereignung betrieblicher Fahrräder (§ 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG) und zur Anwendung der 44 €-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten (§ 8 Abs. 2 S. 11 EStG). Hiervon will das BMF allerdings abweichen und hat durch Schreiben vom 5.2.202044 zur Gewährung von Zusatzleistungen und zur Zulässigkeit von Gehaltsumwandlungen klargestellt, dass bei der Kennzeichnung des Tatbestandsmerkmals „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ folgende Grundsätze gelten: I. S. d. EStG werden Leistungen des Arbeitgebers oder auf seine Veranlassung eines Dritten (Sachbezüge oder Zuschüsse) für eine Beschäftigung nur dann „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht, wenn 1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet, 2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zu Gunsten der Leistung herabgesetzt, 3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und 4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird. Dies gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unabhängig davon, ob der Arbeitslohn tarifgebunden ist. Es sind somit im gesamten Lohn- und Einkommensteuerrecht nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers steuerbegünstigt.
Hiervon wird man auch im Zusammenhang mit der Inflationsausgleichsprämie ausgehen müssen. Dies bedeutet, dass Leistungen, die bereits mit einem anderen Zweck vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung zugesagt wurden, nicht beseitigt und in gleicher oder darüber hinausgehender Höhe als Inflationsausgleichsprämie versprochen werde können. Denn dann würde die Prämie an die Stelle einer bereits vereinbarten (künftigen) Erhöhung des Arbeitslohns treten. Gut vertretbar erscheint lediglich, dass Leistungen, die durch den Arbeitgeber in Kenntnis des laufenden Gesetzgebungsverfahrens bereits im Oktober 2022 als Inflationsausgleich verspro44 BMF v. 5.2.2020 – IV C 5 – S 2334/19/10017: 002.
355
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
chen wurden, dann steuer- und sozialversicherungsfrei gewährt werden können, wenn ihr Zufluss erst nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt. Hier handelt es sich zwar um eine zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits vereinbarte Erhöhung des Arbeitslohns. Durch die gleiche Zweckbestimmung erfolgt aber keine Minderung in Bezug auf Leistungen, die ursprünglich mit anderer Zweckbestimmung (z. B. Urlaubsgeld) zugesagt wurden.
b)
Veränderungen des Einkommensteuertarifs und weitere Regelungen
Im Rahmen des Gesetzes zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Inflationsausgleichsgesetz45) sollen darüber hinaus der in den Einkommensteuertarif integrierte Grundfreibetrag angehoben und die Effekte der kalten Progression durch eine Anpassung der Eckwerte des Einkommensteuertarifs ausgeglichen werden. Lediglich der Tarifeckwert, ab dem der sog. „Reichensteuersatz“ beginnt, soll unverändert bleiben. Ergänzend hierzu ist vorgesehen, dass der Höchstbetrag für den steuerlichen Abzug von Unterhaltsleistungen angehoben und ab dem Jahr 2022 durch die Einführung eines dynamischen Verweises entsprechend angepasst wird. Außerdem soll den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Besteuerung von Familien im Rahmen des steuerlichen Familienleistungsausgleichs durch Freibeträge für Kinder und Kindergeld Rechnung getragen werden. Insofern soll der steuerliche Kinderfreibetrag für die Jahre 2022, 2023 und 2024 entsprechend angepasst werden. Außerdem soll das Kindergeld zum 1.1.2023 in einem einzigen Schritt für die Jahre 2023 und 2024 angehoben werden. Das Gesetzgebungsverfahren in Bezug auf diese Zielsetzungen ist noch nicht abgeschlossen. Es ist deutlich komplexer als die Inflationsausgleichsprämie, so dass abzuwarten bleibt, ob die im Ausgangspunkt durch die Bundesregierung vorgesehenen Veränderungen nicht doch noch eine Anpassung erfahren werden. (Ga)
13. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben Bereits früher hatten wir über die Richtlinie 2019/1158/EU zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur 45 BR-Drucks. 458/22.
356
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU berichtet46. Durch das Gesetz zur weiteren Umsetzung der Richtlinie 2019/1158/EU zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU, das die Bundesregierung im September vorgelegt hat47, sollen wesentliche Vorgaben der Richtlinie umgesetzt werden. Das Gesetz soll am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten.
a)
Änderungen bei der Elternzeit
Durch eine Ergänzung in § 15 Abs. 5 BEEG wird der Arbeitgeber verpflichtet, die Ablehnung eines etwaigen Antrags auf Verringerung der Arbeitszeit und ihre Verteilung gegenüber dem Arbeitnehmer innerhalb der in § 15 Abs. 5 S. 3 BEEG genannten Vier-Wochen-Frist zu begründen. Diese Begründungspflicht besteht derzeit noch nicht. Die übrigen Veränderungen im Wortlaut vom § 15 Abs. 5, 7 BEEG haben indes keine materiell-rechtliche Bedeutung.
b)
Änderungen im PflegeZG und FPfZG
Nach §§ 3, 4 PflegeZG können Arbeitnehmer unter weitergehenden Voraussetzungen für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen bereits heute längstens sechs Monate ganz oder zeitweise Pflegezeit in Anspruch nehmen. Davon sind allerdings Arbeitnehmer ausgenommen, deren Arbeitgeber in der Regel 15 und weniger Beschäftigte angestellt haben (§ 3 Abs. 1 S. 2 PflegeZG). Durch § 3 Abs. 6 a PflegeZG soll diesen Arbeitnehmern in Kleinunternehmen jetzt die Möglichkeit gegeben werden, bei ihrem Arbeitgeber den Abschluss einer Vereinbarung über eine Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG oder eine sonstige Freistellung nach § 3 Abs. 5 S. 1, 6 S. 1 PflegeZG zu beantragen. Der Arbeitgeber hat den Antrag innerhalb von vier Wochen nach Zugang zu beantworten. Eine Ablehnung ist zu begründen. Auch bei der Familienpflegezeit, die nach §§ 2, 2 a FPfZG bereits heute für die Dauer von bis zu 24 Monaten in Anspruch genommen werden kann, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit weiterhin in der Regel 15 Stunden pro Woche tätig ist, werden Arbeitgeber mit in der Regel 25 oder weniger Beschäftigten ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten ausgegrenzt (§ 2 Abs. 1 S. 4 FPfZG). Durch eine Einfügung von § 2 a Abs. 5 a 46 B. Gaul, AktuellAR 2019, 69 ff. 47 BT-Drucks. 20/3447.
357
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
FPfZG wird jetzt auch diesen Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, bei ihrem Arbeitgeber eine entsprechende Familienpflegezeit zu beantragen. Der Arbeitgeber hat den Antrag innerhalb von vier Wochen nach Zugang zu beantworten. Eine etwaige Ablehnung des Antrags ist zu begründen. Der Kündigungsschutz, der bei einer Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit für den betroffenen Arbeitnehmer gegeben ist, soll gemäß §§ 5 Abs. 1 PflegeZG, 3 Abs. 1 FPfZG bei einer Vereinbarung über die entsprechende Freistellung mit dem Beginn der jeweiligen Freistellung anfangen. Dann kann nur noch mit Zustimmung der zuständigen Behörde gekündigt werden.
c)
Erweiterung der Rechte der Antidiskriminierungsstelle
Mit dem Gesetz soll auch § 27 AGG angepasst werden. Auf der Grundlage der Neufassung können sich Beschäftigte an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch dann wenden, wenn sie der Ansicht sind, benachteiligt worden zu sein aufgrund • der Beantragung oder Inanspruchnahme einer Freistellung von der Arbeitsleistung oder der Anpassung der Arbeitszeit als Eltern oder pflegende Angehörige nach dem BEEG, PflegeZG oder FPfZG, • des Fernbleibens von der Arbeit nach § 2 FPfZG, oder • der Verweigerung ihrer persönlich zu erbringenden Arbeitsleistung aus dringenden familiären Gründen nach § 275 Abs. 3 BGB, wenn eine Erkrankung oder ein Unfall ihre unmittelbare Anwesenheit erforderten.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Erweiterung der Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes tatsächlich praktische Bedeutung gewinnen wird. Denkbar erscheint dies dort, wo Benachteiligungen von Arbeitnehmern wegen solcher Freistellungen unternehmensimmanent sind, so dass eine Beschwerde beim Arbeitgeber kaum Erfolgsaussichten hat. In diesen Fällen fungiert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes quasi als externe Meldestelle für entsprechende Beschwerden der betroffenen Arbeitnehmer.
d)
Keine Ergänzung von Regelungen zum Vaterschaftsurlaub
In dem Gesetz sind keine besonderen Regelungen zum Vaterschaftsurlaub vorgesehen. Die Bundesregierung hat die entsprechenden Vorgaben in
358
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Art. 4, 5 Richtlinie 2019/1158/EU zwar gesehen, geht aber davon aus, dass das geltende Recht bereits den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche48. Die Regelungen zum Vaterschaftsurlaub verpflichten die Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Dabei soll eine Entgeltfortzahlung erfolgen, die den Regelungen zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entspricht. Ausgegrenzt werden dürfen an sich nur Arbeitnehmer, die noch keine sechs Monate beschäftigt sind. Eine entsprechende Regelung ist im deutschen Recht an sich nicht zu finden. Denn die Elternzeit, die auch durch den Vater bzw. das zweite (gleichgestellte) Elternteil in Anspruch genommen werden kann, ist nicht mit einer Entgeltfortzahlung verbunden. Anzunehmen ist aber, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung, auf Änderungen des nationalen Rechts zu verzichten, mit Art. 20 Abs. 6, 7 Richtlinie 2019/1158/EU rechtfertigt. Danach können die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen aus Art. 4, 5, 6, 8 Richtlinie 2019/1158/EU sowie Richtlinie 92/85/EWG jeden Zeitraum und jede Bezahlung oder Vergütung für Arbeitsfreistellungen aus familiären Gründen, insbesondere Mutterschaftsurlaub, Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Urlaub für pflegende Angehörige, der auf nationaler Ebene vorgesehen ist und über dem Mindeststandard der beiden Richtlinien liegt, berücksichtigen, sofern die Mindestanforderungen für diesen Urlaub erfüllt sind und das allgemeine Niveau des Arbeitnehmerschutzes in den von den genannten Richtlinien erfassten Bereichen nicht abgesenkt wird. Dies allein dürfte den Verzicht auf Regelungen zum Vaterschaftsurlaub zwar noch nicht erlauben. Ergänzend hierzu wird allerdings klargestellt, dass die Mitgliedstaaten beschließen können, auf eine Umsetzung der Regelungen zur Entgeltfortzahlung aus Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 2019/1158/EU zu verzichten, wenn während eines Elternurlaubs von mindestens sechs Monaten Dauer für jeden Elternteil eine Bezahlung oder Vergütung i. H. v. mindestens 65 % des Nettoeinkommens gewährt wird. Dabei ist eine Obergrenze zulässig. Diese Ausnahmeregelung ist offenkundig unter Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland geschaffen worden. Denn das deutsche Recht erlaubt beiden Elternteilen, eine Elternzeit von mindestens sechs Monaten in Anspruch zu nehmen. Durch das Elterngeld wird, wenn auch mit einer 48 BT-Drucks. 20/3447 S. 1 f.
359
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Obergrenze, ein Nettoeinkommen i. H. v. 67 % gewährleistet. Dass hiervon Elternteile mit einem Jahreseinkommen oberhalb von 250.000 € ausgegrenzt werden (§ 1 Abs. 8 BEEG), dürfte zu vernachlässigen sein. Problematisch erscheint lediglich der Umstand, dass der Anspruch auf Elterngeld derzeit (noch) daran geknüpft ist, dass die Elternzeit für mindestens zwei Monate in Anspruch genommen wird. Wenn der Arbeitnehmer, was möglich wäre, als „Vaterschaftsurlaub“ nur für zehn Tage Elternzeit in Anspruch nimmt, ist das also derzeit (noch) nicht mit einem Anspruch auf Elterngeld verbunden. Abzuwarten bleibt, ob dieser Punkt im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen wird und eine entsprechende Korrektur im BEEG erfolgt. Dann bliebe nur noch die Ausgrenzung der Besserverdienenden.
e)
Recht auf Erörterung eines Wechsels in mobile Arbeit/Arbeit im Homeoffice
Auf der Grundlage von Art. 9 Richtlinie 2019/1158/EU sind die Mitgliedstaaten an sich gehalten, auf nationaler Ebene übergreifend zu gewährleisten, dass Arbeitnehmer mit Kindern bis zu einem bestimmten Alter, mindestens jedoch bis zum Alter von acht Jahren, sowie pflegende Angehörige das Recht haben, flexible Arbeitsregelungen für Betreuungs- und Pflegezwecke zu beantragen. Entsprechende Anträge müssen durch die Arbeitgeber geprüft werden und für den Fall der Ablehnung ist diese Ablehnung zu begründen. Derzeit ist im deutschen Recht eine solche Regelung nicht vorgesehen. Das Gesetz über die mobile Arbeit, in dem eine entsprechende Regelung enthalten war, ist in der vergangenen Legislaturperiode nicht verabschiedet worden49. Die Regelungen in §§ 8 TzBfG, 15 BEEG tragen diesem Gesichtspunkt nicht ausreichend Rechnung. Denn dort kann eine Flexibilisierung der Arbeitszeit nur im Zusammenhang mit einer Absenkung der Arbeitszeitdauer geltend gemacht werden. Außerdem sind die entsprechenden Regelungen nicht mit einem Wechsel des Arbeitsorts verbunden, wie dies bei mobiler Arbeit oder der Arbeit im Homeoffice der Fall sein kann. Auch wenn das Gesetz seinem Titel nach einer Umsetzung der Richtlinie 2019/1158/EU dient, liegt in diesem Punkt eine erhebliche Lücke, die zukünftig gefüllt werden muss. Schon deshalb ist zu erwarten, dass das BMAS in Kürze einen neuen Entwurf eines Gesetzes über mobile Arbeit vorlegen wird, durch das auch die Verpflichtung aus Art. 9 Richtlinie 2019/1158/EU umgesetzt würde. Wir werden darüber berichten. (Ga) 49 B. Gaul, AktuellAR 2020, 363 ff.
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Gesetzentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
14. Gesetzentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie Nachdem die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeber-/ Whistleblowerrichtlinie – HinSchRL), bereits am 17.12.2021 abgelaufen ist, hat die Bundesregierung jetzt (endlich) den Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (HinSchG-E), in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht50. Über die beiden vorangehenden Referentenentwürfe hatten wir bereits berichtet51. Nachfolgend sollen noch einmal die wesentlichen Aspekte aufgezeigt werden, deren Umsetzung auf individual- und kollektivrechtlicher Ebene Handlungsbedarf auslösen wird52. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen, die mindestens 250 Arbeitnehmer beschäftigen, bereits drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes interne Meldekanäle errichtet haben müssen.
a)
Sachlicher Geltungsbereich
Weiterhin werden nicht nur Meldungen über Verstöße gegen das Unionsrecht erfasst, wie sie in Art. 2 Abs. 1 HinSchRL genannt werden. Auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 2 HinSchRL werden Hinweisgeber und betroffene Personen auch im Zusammenhang mit Verstößen gegen nationales Recht geschützt, das keinen Bezug zum EU-Recht hat. Das erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit auch geboten, weil es insbesondere der hinweisgebenden Person nicht zugemutet werden kann, vor der Meldung eines Verstoßes eine rechtshistorische Klärung des Ursprungs einer gesetzlichen Regelung vorzunehmen. Darüber hinaus kommt in der entsprechenden Erweiterung zum Ausdruck, dass die unternehmerische Verpflichtung zur Regelkonformität und die daraus resultierende Pflicht der Geschäftsleitung, für eine Einhaltung der das Unternehmen verpflichtenden Rechtsvorschriften Sorge zu tragen, nicht auf Regeln begrenzt sind, die einen unionsrechtlichen Ursprung haben. Daran anknüpfend verlangt die Einrichtung eines nachhaltigen Compliance-Systems Maßnahmen, die es der hinweisgebenden Person ermöglichen, unter Ausschluss von Maßregelungen 50 BT-Drucks. 20/3442. 51 B. Gaul, AktuellAR 2021, 32 ff., 2022, 25 ff. 52 Eingehend vgl. auch Croonenbroek/Hansen, ArbR 2022, 139; Thüsing/Musiol, BB 2022, 2420.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Rechtsverletzungen zu melden und damit Risiken etwaiger Rechtsverstöße zu minimieren. Soweit dabei allerdings gleichwohl nicht alle Rechtsverletzungen erfasst werden, stellt dies hinweisgebende Personen, Beschäftigungsgeber und Betroffene weiterhin vor die Frage, wie Hinweise außerhalb des Geltungsbereichs des HinSchG-E zu behandeln sind. Aus arbeitsrechtlicher Sicht bleibt hier nur das Maßregelungsverbot aus § 612 a BGB, was unzureichend erscheint und deshalb schon in der Vergangenheit zu Vorschlägen einer Ergänzung und Erweiterung von § 612 a BGB geführt hatte53. Zu den in den Geltungsbereich einbezogenen Verstößen gehören nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E alle Verstöße, die strafbewehrt sind54. Außerdem werden Verstöße einbezogen, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift „dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“. Zu begrüßen ist, dass damit nicht jede Rechtsverletzung, sondern als Ergänzung zu Nr. 1 (strafbewehrte Vorschriften) nur bußgeldbewehrte Vorschriften (Nr. 2) erfasst werden. Damit bezieht der letztgenannte Teil aber nicht alle Vorschriften zum Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretungen mit ein, sondern nur solche, die bußgeldbewehrt sind. Die Einbeziehung entsprechender Meldungen wird damit von der staatlichen Sanktion abhängig gemacht, was von den hinweisgebenden Personen und den Beschäftigungsgebern eine juristische Subsumtion verlangt, die die Gefahr von Rechtsunsicherheit und im Ergebnis auch einen Verzicht auf Meldungen begründen kann. Eine nur schwer zu beantwortende Frage dürfte dabei sein, wann eine bußgeldbewehrte Vorschrift dem Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretungen „dient“. Fallen darunter auch die Regelungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), soweit dort menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken im Kreise von unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern erfasst werden, die für die Beschäftigten des Beschäftigungsgebers selbst erst einmal keine (unmittelbare) Bedeutung haben? Wie ist es mit den gesetzlichen Regelungen des Sozialversicherungsrechts? Darüber hinaus wird eine Reihe von Handlungsvorgaben zum Schutz von Beschäftigten und ihren Vertretern nicht erfasst, weil sie nicht bußgeldbewehrt sind. Betroffen hiervon sind zahlreiche Vorschriften des Arbeitsschutzes, des Schutzes besonderer Personengruppen (z. B. SGB IX) oder des Schutzes vor Diskriminierungen (z. B. AGG). Bei den weiteren Verstößen, die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 HinSchG-E genannt werden, hat der Gesetzgeber versucht, eine möglichst klare Eingrenzung auf 53 Vgl. BT-Drucks. 18/3039. 54 Vgl. Behr/Haas/Ellinger, DB 2022, 2137; Reufels/Osmakova, ArbRB 2022, 148.
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die in Betracht kommenden Regelungen und Regelungsbereiche vorzunehmen. Dabei bleibt natürlich Unsicherheit bestehen, da abstrakte Begriffe verwendet werden, denen die zuständigen Gerichte dann die entsprechenden Rechtsvorschriften zuordnen müssen. Beispielsweise sei nur auf den Begriff des Umweltschutzes, der „ökologischen Produktion“, der Rechnungslegung oder der öffentlichen Auftragsvergabe hingewiesen. Neben dem Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation wird der gesamte Datenschutz einbezogen, soweit er in den Anwendungsbereich der DSGVO fällt. Soweit in § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E auch rechtsmissbräuchliches Verhalten im Bereich des Steuerrechts erfasst wird, war dies zwar im Grundsatz in Art. 5 Nr. 1 lit. ii HinSchRL angelegt. Da das Steuerrecht aber nationales Recht ist, liegt im Anwendungsbereich in § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E eine Ausweitung gegenüber der Richtlinie. Gleichzeitig wird der Gesetzentwurf Art. 5 Nr. 1 lit. ii HinSchRL nicht gerecht, weil dieser als Verstoß Handlungen und Unterlassungen erfasst, die dem Ziel oder dem Zweck sämtlicher Rechtsakte zuwiderlaufen, die in Art. 2 HinSchRL genannt werden. Der Entwurf setzt EU-Recht insoweit also nicht vollständig um. Außerdem bleibt offen, wann ein Handeln im objektiven Widerspruch zu dem Zweck einer gesetzlichen Regelung steht. Meint dies schon die Ausschöpfung eines denkbaren Auslegungsspielraums, den subjektiven oder den objektiven bzw. institutionellen Rechtsmissbrauch? Abschließend bleibt festzuhalten: Die Regelungen zum sachlichen Anwendungsbereich sollten weiter geschärft, Überschneidungen beseitigt oder dadurch vereinfacht werden, dass ein größerer Kreis nationaler Rechtsvorschriften einbezogen wird, der eine einzelfallbezogene Rechtsprüfung vor der Meldung eines Verstoßes oder der Verarbeitung solcher Meldungen vereinfacht oder entbehrlich macht. Darüber hinaus muss der Rechtsmissbrauch in unionsrechtskonformer Weise erfasst werden, wobei – wie nachfolgend aufzuzeigen ist –auch die Überschneidungen zum GeschGehG bzw. zur Richtlinie 2016/943/EU über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (GeschGehRL) beachtet werden müssen.
b)
Persönlicher Anwendungsbereich
Kennzeichnung der Hinweisgeber: Der persönliche Geltungsbereich ist unklar und enthält Lücken gegenüber der Regelung in Art. 4 HinSchRL. Überlegenswert erscheint, den Wortlaut hier stärker an der Richtlinie auszurichten, ggf. den Wortlaut zu übernehmen, und allenfalls spezifische Klarstellungen vorzunehmen. 363
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So erfasst der Entwurf in § 3 Abs. 8 HinSchG-E als Beschäftigte neben Arbeitnehmern, zu denen auch Leiharbeitnehmer gehören (vgl. § 16 Abs. 1 HinSchG-E), auch arbeitnehmerähnliche Personen. Organmitglieder (Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat) werden zwar ebenfalls als Hinweisgeber erfasst55. Ihre Einbeziehung in das Gesetz erfolgt indes unabhängig von den Begriffsbestimmungen in § 3 HinSchG-E bereits über § 1 HinSchG-E, sofern die Meldung eines Verstoßes im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit erfolgt. Das gleich gilt für Bewerber, Solo-Selbständige oder ausgeschiedene Arbeitnehmer, die ebenfalls einbezogen werden. Kennzeichnung der Beschäftigungsgeber: Bei den Beschäftigungsgebern werden die privaten Beschäftigungsgeber gesondert gekennzeichnet, weil die nachfolgenden Regelungen zum Teil differenzierte Handlungspflichten vorsehen. Private Beschäftigungsgeber sind solche mit Ausnahme juristischer Personen des öffentlichen Rechts und solcher Beschäftigungsgeber, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen. Mit Blick auf die gesetzlichen Schwellenwerte für die betroffenen Beschäftigungsgeber sollte klargestellt werden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Ausland tätige Beschäftigte erfasst werden. Außerdem sollte klargestellt werden, ob Leiharbeitnehmer nur beim Verleiher oder auch beim Entleiher berücksichtigt werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass die HinSchRL nur juristische Personen als Beschäftigungsgeber erfasst, §§ 3 Abs. 9, 12 HinSchG-E aber auch natürliche Personen, die Beschäftigungsgeber sind. Damit werden unabhängig von den Schwellenwerten gemäß § 3 Abs. 9 HinSchG-E als „Beschäftigungsgeber“ auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Privathaushalte erfasst, wenn dort Beschäftigte (z. B. teilzeitbeschäftigte Reinigungskraft) oder Solo-Selbständige (z. B. Nachhilfe, Babysitter) eingesetzt werden. Hier besteht zwar keine Pflicht zur Errichtung einer internen Meldestelle, weil der Schwellenwert in § 12 Abs. 2 HinSchG-E (50 Beschäftigte) im Zweifel nicht überschritten wird. Sonstige Regelungen einschließlich des Verbots von Repressalien nebst Beweislastumkehr finden aber auch hier Anwendung, wenn in KMU bzw. Privathaushalten eine vermeintliche Straftat (z. B. Belästigung, Steuerhinterziehung) angezeigt und die hinweisgebende Person dann von dem KMU bzw. der Familie entlassen wird. 55 Vgl. Reufels/Osmakova, ArbRB 2022, 149.
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c)
Widerspruch zu Regelungen des GeschGehG
Geschäftsgeheimnisse können z. B. dann betroffen sein, wenn eine Meldung Verstöße zum Erwerb, Schutz oder Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses zum Gegenstand hat (z. B. Kartellabsprachen). Hier ist zum Schutz der hinweisgebenden Personen, aber auch zur Gewährleistung von Rechtssicherheit der betroffenen Beschäftigungsgeber, eine Harmonisierung und/oder Abgrenzung der unterschiedlichen Regelungen im GeschGehG und HinSchG-E erforderlich. Trotz offenkundiger Überschneidungen finden die Regelungen des GeschGehG und der GeschGehRL im Gesetzentwurf bislang noch keine ausreichende Berücksichtigung. Bisher wird in § 6 Abs. 1 HinSchG-E lediglich klargestellt, dass die Weitergabe eines Geschäftsgeheimnisses an eine zuständige Meldestelle oder dessen Offenlegung erlaubt ist, sofern die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung des konkreten Inhalts dieser Informationen notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken, und die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Nrn. 2, 3 HinSchG-E erfüllt sind. Im Mittelpunkt steht insoweit die Konkurrenz zwischen den Regelungen des HinSchG-E und § 5 Nr. 2 GeschGehG. Danach fällt die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses bereits dann nicht unter die Verbote des § 4 GeschGehG, wenn dies zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens erfolgt und die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse genügt also die objektive Eignung zum Schutz öffentlicher Interessen, um einen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen auszuschließen. Nach § 33 HinSchG-E wird der Hinweisgeber nach dem HinSchG-E aber nur geschützt, wenn 1. dieser intern gemäß § 17 oder extern gemäß § 18 Meldung erstattet oder eine Offenlegung nach § 32 vorgenommen hat, 2. zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihm gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen, und 3. die Informationen zugleich auch Verstöße im Anwendungsbereich des Gesetzes betreffen oder der Hinweisgeber zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass das der Fall sei.
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Das (objektive) öffentliche Interesse spielt bei vorrangig subjektiv bestimmter Rechtfertigung keine Rolle. Das gleiche gilt für § 35 Abs. 2 HinSchG-E, der – wiederum ohne Bezug zu § 5 Nr. 2 GeschGehG – darauf abstellt, ob der Hinweisgeber einen hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe der Informationen erforderlich war, um einen Verstoß aufzudecken. Hier geht es also nicht um die Annahme einer Richtigkeit der gemeldeten Informationen, sondern um die Erforderlichkeit der Meldung zur Offenlegung eines Verstoßes. Darüber hinaus erfasst § 5 Nr. 2 GeschGehG auch „sonstiges Fehlverhalten“, wodurch auch Aktivitäten miteinbezogen werden, die ein unethisches Verhalten darstellen, aber nicht notwendigerweise gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Als Beispiel hierzu werden Auslandsaktivitäten eines Unternehmens genannt, die in den betreffenden Ländern nicht rechtswidrig sind, aber dennoch von der Allgemeinheit als Fehlverhalten angesehen werden, wie z. B. Kinderarbeit oder gesundheits- bzw. umweltschädliche Produktionsbedingungen. Auch die systematische und unredliche Umgehung von Steuertatbeständen wird in der öffentlichen Diskussion häufig als unethisches Verhalten angesehen56. Dieses an „Redlichkeit“ und Ethik ausgerichtete Verständnis von § 5 Nr. 2 GeschGehG erfasst zwar auch Rechtsmissbrauch, weicht jedoch von den Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs ab, wie sie auch im Steuerrecht bei der Kennzeichnung von Umgehungstatbeständen über die Grundsätze zum Rechtsmissbrauch entwickelt wurden. Letztgenannte Maßstäbe sind aber nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 HinSchG-E für den Geltungsbereich des HinSchG maßgeblich.
d)
Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung
§ 7 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E bestimmt ein Wahlrecht des Hinweisgebers, ob die Meldung gegenüber einer internen oder externen Meldestelle erfolgt. Der Gesetzgeber verzichtet damit leider nach wie vor auf die Möglichkeit, sich auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 HinSchRL dafür einzusetzen oder den Unternehmen einen solchen Einsatz zu gestatten, aufgrund dessen eine Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. Damit bleibt es der hinweisgebenden Person unbenommen, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, wenn einem intern gemel-
56 BT-Drucks. 19/4724 S. 29.
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deten Verstoß nicht abgeholfen wird. Denn daraus folgt kein Vorrang des internen Meldeverfahrens, sondern nur die Möglichkeit, nach einer internen Meldung auch eine externe Meldung vorzunehmen. Das ist bedauerlich und berücksichtigt jedenfalls die Interessen der Beschäftigungsgeber nicht ausreichend. Denn aus der einem jeden Schuldverhältnis immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität (§ 241 Abs. 2 BGB) folgt die Verpflichtung, grundsätzlich – wenn nicht der Erfolg bereits infrage gestellt ist und/oder Repressalien drohen – eine Abhilfe bei Verstößen erst einmal intern zu versuchen. Dies gilt insbesondere dort, wo externe Meldungen in rechtsmissbräuchlicher Weise nur das Ziel verfolgen, die eigene Rechtsposition der hinweisgebenden Person in einer Auseinandersetzung mit dem Beschäftigungsgeber zu stärken, ohne dass ernstzunehmende Zweifel an der Bereitschaft des Beschäftigungsgebers bestanden hätten, den Verstoß zu beseitigen. Denn das Ziel einer Meldung spielt nach §§ 33 HinSchGE keine Rolle. Paradox wird der fehlende Vorrang einer internen Meldung insbesondere dort, wo gar keine internen Meldekanäle errichtet werden müssen. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob dort weiterhin – ggf. auf der Grundlage von § 241 Abs. 2 BGB – von dem Vorrang einer internen Meldung auszugehen ist oder ob dort – entsprechend § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E – ein Wahlrecht besteht. Der Verzicht auf einen Anreiz zu interner Meldung gefährdet auch die Rechtspositionen von hinweisgebenden Personen, die trotz der Möglichkeit einer internen Meldung unmittelbar eine externe Meldestelle ansprechen. Dies macht auch die Entscheidung des EGMR vom 16.2.202157 deutlich. Mit dieser Entscheidung hat der EGMR die Kündigung eines Arztes bestätigt, der gegenüber einer externen Meldestelle vermeintlich verbotene Sterbehilfe angezeigt hatte. Wie sich allerdings im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung herausstellte, war dieser Vorwurf, der sich gegen den leitenden Arzt richtete, unbegründet. Das hätte bei einer sorgfältigen Vorbereitung der Anzeige, die schon für den Hinweisgeber selbst durch eine Einsichtnahme in die Patientenakte auch möglich gewesen wäre, vermieden werden können. Da die unmittelbare Anzeige gegenüber einer externen Meldestelle erheblich in die Rechtsposition des leitenden Arztes eingegriffen und ebenso einen schweren Verdacht gegen das Klinikum in den Raum gestellt hatte, hielt der EGMR die Anzeige auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Meinungsäußerung für unverhältnismäßig. Wäre die ent-
57 EGMR v. 16.2.2021 – 23922/19, NZA 2021, 851 – Gawlik.
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sprechende Meldung unmittelbar erst einmal intern erfolgt, wäre im Zweifel kein Kündigungsgrund gegeben, auch wenn sich der Vorwurf nachträglich als unzutreffend herausgestellt hätte. Diesem grundsätzlichen Vorrang interner Meldewege entspricht auch § 17 Abs. 2 ArbSchG, der durch den vorliegenden Gesetzentwurf nur insoweit angepasst wird, als die Regelungen des HinSchG-E durch § 17 Abs. 2 ArbSchG nicht berührt werden. Damit entsteht die Situation, dass Beschäftigte etwaige Verstöße, die in den Anwendungsbereich von § 2 HinSchG-E fallen, gemäß § 7 HinSchG-E intern oder extern melden können. Dazu gehören vor allem die bußgeldbewehrten Vorschriften des Arbeitsschutzrechts. Der Vorrang einer internen Meldung, wie in § 17 Abs. 2 ArbSchG begründet wird, läuft leer. Nur bei solchen Verstößen, die nicht in den Geltungsbereich fallen, greift wieder der Vorrang aus § 17 Abs. 2 ArbSchG. Ob dafür dann eine interne Meldestelle nach § 12 HinSchG-E genutzt werden muss, ist völlig unklar, zumal in kleinen Unternehmen ggf. gar keine interne Meldestelle errichtet werden muss.
e)
Kennzeichnung der externen Meldestellen
Bemerkenswert ist, dass das HinSchG-E nach § 1 HinSchG-E nur auf hinweisgebende Personen anwendbar ist, die die im Gesetz genannten Meldestellen nutzen oder in den Grenzen des Gesetzes eine Offenlegung vornehmen. Für den Bund soll insoweit eine Stelle für externe Meldungen beim BMJ eingerichtet werden (§ 19 HinSchG-E); darüber hinaus gibt es ergänzende Stellen (§§ 21 ff. HinSchG-E). Bei den Ländern soll es weitere Meldestellen geben (§ 20 HinSchG-E). Welche Rechtsfolgen gelten, wenn andere – externe – Stellen angesprochen und Regelverletzungen gemeldet werden, bleibt ebenso unklar wie bei internen Meldungen, die außerhalb der internen Meldekanäle oder wegen des berechtigten oder unberechtigten Fehlens interner Meldekanäle bei anderen Stellen erfolgen. Beispielhaft sei nur eine Meldung genannt, die über den Betriebsrat erfolgt. Die Beschränkung auf bestimmte Meldestellen ist sinnvoll, auch um eine Abgrenzung zur Offenlegung vorzunehmen. Unklar ist aber, ob ein Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit (§§ 3 Abs. 5, 32 HinSchG-E) schon dann vorliegt, wenn die Meldung gegenüber Behörden im Bereich der Strafverfolgung, namentlich Staatsanwaltschaft und Polizei, erfolgt. Das lässt der Entwurf nicht erkennen, weil beide Stellen zwar einerseits keine externen Meldestellen sind, andererseits aber auch nicht mit der Öffentlichkeit gleichgesetzt werden dürfen. Hier ist eine Klarstellung notwendig.
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f)
Verhältnis zwischen externer Meldung und Offenlegung
§ 32 HinSchG-E konkretisiert und erweitert die Möglichkeiten einer Offenlegung gegenüber dem heutigen Recht. Dabei ist die Offenlegung unrichtiger Informationen über Verstöße zwar verboten. Gleichwohl greift der Schutz der hinweisgebenden Person nach § 33 HinSchG-E bereits dann, wenn die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen. Wichtig ist, dass die Voraussetzungen einer zulässigen Offenlegung durch § 32 HinSchG-E konkretisiert werden. Danach fallen Hinweisgeber nur dann unter die gesetzlichen Schutzmaßnahmen, wenn sie 1. zunächst gemäß Abschnitt 2 Unterabschnitt 4 eine externe Meldung erstattet haben und a) hierauf innerhalb der Fristen für eine Rückmeldung nach § 28 Abs. 4 keine geeigneten Folgemaßnahmen nach § 29 ergriffen wurden oder b) sie keine Rückmeldung über das Ergreifen solcher Folgemaßnahmen erhalten haben oder 2. hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass a) der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, b) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder c) Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten, Absprachen zwischen der zuständigen externen Meldestelle und dem Urheber des Verstoßes bestehen könnten oder aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen nach § 29 einleiten wird.
Hilfreich wäre, wenn die „Befürchtung“ von Repressalien durch eine externe Meldung weiter klargestellt wird. Denn es ist unklar, unter welchen Voraussetzungen eine solche Befürchtung gegenüber staatlichen Stellen gerechtfertigt ist.
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g)
Verhältnis zwischen Hinweisgeberschutz und Datenschutz
Durch § 10 HinSchG-E soll eine Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch interne und externe Meldestellen geschaffen werden, wenn dies zur Erfüllung ihrer in §§ 13, 24 HinSchG-E bezeichneten Aufgaben erforderlich ist. Dabei kann unterstellt werden, dass der Begriff der Erforderlichkeit – wie dies im Datenschutzrecht vielfach der Fall ist – die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit ist. Diese Klarstellung ist zunächst einmal hilfreich, auch wenn sie auf besondere personenbezogene Daten erweitert werden soll. Unabhängig davon wird man sich im Klaren darüber sein müssen, dass damit allein die weitere Verarbeitung nicht gerechtfertigt wird. Denn die Verarbeitung personenbezogener Daten, die durch Hinweisgeber bekannt werden, muss, wenn die Vorwürfe berechtigt sind, durch den Arbeitgeber auch bei der Umsetzung arbeitsrechtlicher Sanktionen gegen die Betroffenen oder der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber Dritten genutzt werden. Dabei dürfte, wenn man an dieser Stelle zunächst einmal von der Wirksamkeit ausgeht58, im Wesentlichen auf § 26 Abs. 1 BDSG bzw. eine entsprechende Betriebsvereinbarung (Beschäftigte) oder Art. 6 DSGVO (Dritte) zurückgegriffen werden. Gleiches gilt, falls die Vorwürfe unberechtigt sind, bei Maßnahmen gegenüber dem Hinweisgeber. Klärungsbedürftig bleibt auch nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf das Verhältnis zwischen dem Schutz des Hinweisgebers und dem Schutz der personenbezogenen Daten des Betroffenen. Hintergrund ist Art. 14 Abs. 1, 3 DSGVO. Danach muss eine von der Datenverarbeitung betroffene Person innerhalb eines Monats über die Quelle informiert werden, von der die Daten stammen. Verpflichtet dies losgelöst von den Regelungen des HinSchGE eine Preisgabe der Identität des Hinweisgebers an den Beschuldigten, dessen Handeln Gegenstand der Meldung geworden ist? Außerdem ist klarzustellen, ob Meldungen oder Offenlegungen der hinweisgebenden Person, die Bestandteil der verantwortlichen Stelle ist, den Arbeitgeber zu Schadensersatz oder Bußgeld verpflichten können. Dies gilt umso mehr, als es in der Praxis immer wieder vorkommt, dass die Betroffenen nach Art. 15 DSGVO Auskunft über die personenbezogenen Daten verlangen, die ihre Person betreffen und beim Arbeitgeber verarbeitet werden.
58 Vgl. zur datenschutzrechtlichen Problematik B. Gaul, AktuellAR 2022, 467 ff.
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Gesetzentwurf zur Umsetzung der Whistleblowerrichtlinie
h)
Zulassung konzernbezogener Meldestellen
Wichtig ist, dass der Gesetzgeber – abweichend von der bisherigen Sichtweise der EU-Kommission – in § 14 HinSchG-E berechtigterweise erlauben will, dass innerhalb eines Konzerns eine übergreifende Meldestelle eingerichtet wird59. Das berücksichtigen die Erwägungsgründe 54 ff. HinSchRL, die neben der Einbindung von eigenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmern in Doppelfunktion (z. B. Leitung Recht und Compliance, Personalleitung) auch die Einbeziehung Dritter für zulässig halten (z. B. Berater, Gewerkschaften) und dabei auch eine Gruppe von Unternehmen erfassen. Die übergreifende Meldestelle fungiert dann gegenüber den einzelnen Konzerngesellschaften als Dritter, wobei entsprechend den Vorgaben in Erwägungsgründe 78, 79 HinSchRL sicherzustellen ist, dass die notwendige Unabhängigkeit von der Konzernobergesellschaft bzw. der Gesellschaft gegeben ist, innerhalb welcher die Meldestelle als Dienstleistung erbracht wird. Die Meldestelle wird insoweit im Auftrag und in der Verantwortung der einzelnen Konzerngesellschaft tätig. Das gilt auch, wenn die Berichtspflichten gegenüber der Konzernobergesellschaft festgelegt werden. Wichtig aus arbeitsrechtlicher Sicht ist, dass die erforderliche Rechtsgrundlage für die unternehmensübergreifende Datenverarbeitung gesetzt wird. Denn die Verarbeitung erfolgt häufig gerade nicht nur im Rahmen einer Auftragsdatenverarbeitung. Im Zweifel ist daher eine Konzernbetriebsvereinbarung notwendig, die ihrerseits aber die allgemeinen Grenzen, insbesondere die Schranken der Verhältnismäßigkeit, beachten muss. Der Vorteil der Konzernbetriebsvereinbarung liegt insbesondere darin, dass neben der datenschutzrechtlichen Rechtfertigung auch eine Dokumentation dafür geschaffen wird, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6 BetrVG beachtet worden sind. Das gilt auch bei Formularen, die für etwaige Meldungen genutzt werden sollen60.
i)
Verbot von Repressalien – Beweislastumkehr
Das Benachteiligungsverbot und die Regelungen zur Beweislastumkehr in § 36 HinSchG-E sind im Grundsatz ebenso notwendig wie die Regelungen zum Schadensersatz nach Repressalien in § 37 HinSchG-E61. Dabei werden als Repressalien alle arbeitsrechtlichen Reaktionen erfasst, insbesondere 59 Vgl. Behr/Haas/Ellinger, DB 2022, 2138. 60 ArbG Siegen v. 17.2.2022 – 1 BV 5/21 n. v. 61 Vgl. Zimmer/Schwung, NZA 2022, 1167.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Abmahnung, Kündigung, Versetzung, Wegnahme und Umverteilung von Aufgaben, soweit damit ein Nachteil des Beschäftigten verbunden ist (vgl. Art. 19 HinSchRL). Dabei werden die §§ 35 bis 37 HinSchG entsprechend auch für Dritte, die mit der hinweisgebenden Person in Verbindung stehen und in einem beruflichen Zusammenhang eine Repressalie erlitten haben, angewandt, es sei denn, diese beruhen nicht auf der Meldung oder Offenlegung durch die hinweisgebende Person. Aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit erscheint geboten, die Vermutung einer Repressalie klarstellend einzuschränken. Dabei sollte sichergestellt werden, dass es nicht genügt, wenn die Benachteiligung gemäß § 36 Abs. 2 HinSchG-E in zeitlicher Hinsicht „nach“ einer Meldung oder Offenlegung erfolgt. Hier könnte, auch wenn dies in der Gesetzesbegründung erkennbar wird62, stärker zum Ausdruck gebracht werden, dass eine zeitliche Begrenzung (Frist) oder inhaltliche Verknüpfung (sachlicher Zusammenhang) durch weitere (hinreichende) Umstände gegeben sein muss, die dann analog § 22 AGG jedenfalls die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Benachteiligung begründen. Damit würde Art. 21 Abs. 5 HinSchRL konkretisiert, der nur Benachteiligungen „infolge“ der Meldung/Offenlegung erfasst. Andernfalls müssen Beschäftigungsgeber befürchten, dass die Vermutung einer Benachteiligung nach einer Meldung für das gesamte Beschäftigungsverhältnis bis zum Erreichen der Altersgrenze besteht. Damit stehen Schadensersatzansprüche im Raum, wenn durch Personalmaßnahmen etwa 10 oder 15 Jahre danach (z. B. Bewertung persönlicher Ziele im Rahmen einer variablen Vergütung, Ablehnung einer Beförderung) Nachteile entstehen. Ebenfalls problematisch ist, dass §§ 33, 36 Abs. 1 HinSchG-E auch Mittäter der gemeldeten Taten, Teilnehmer daran oder jedenfalls organisatorisch (durch Unterlassen) verantwortliche Führungskräfte vor Repressalien schützen wollen, die den gemeldeten Verstoß kannten und „weggesehen“ haben und anschließend melden oder den Hinweisgeber bei der Meldung „unterstützen“. Im Gesetz sollte klargestellt werden, dass es für den Arbeitgeber/das Unternehmen möglich ist, gegen diese Personen wegen ihrer Tatbeiträge und eigener Verstöße (arbeits-)rechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
j)
Schutz betroffener Personen
Ein Schutz der von Meldungen bzw. Offenlegungen betroffenen Personen erfolgt grundsätzlich nur dadurch, dass an verschiedenen Stellen (vgl. §§ 32 62 BT-Drucks. 20/3442 S. 95 ff.
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Abs. 2, 33 Abs. 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 Nr. 1, 38 HinSchG-E) „Falschmeldungen“ untersagt bzw. nicht geschützt werden. Unklar bleibt aber nach dem Wortlaut, ob dies auch für „leicht“ oder „mittel“ fahrlässige Falschmeldungen gilt oder nur ab der Schwelle der „groben Fahrlässigkeit“, wie nach § 38 HinSchG-E (Schadensersatz); in §§ 32 bis 34 HinSchG-E ist die Formulierung unklar („hinreichender Grund zu der Annahme“). Damit überlässt der Entwurf die Schaffung von größerer Klarheit/Rechtsicherheit offenbar den (Arbeits- und Verwaltungs-)Gerichten. In § 38 HinSchG-E wird festgelegt, dass die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Die darin liegende Haftungseinschränkung dürfte zwar gemäß Art. 23 Abs. 2 HinSchRL zulässig sein, zumal dort Sanktionen nur bei „wissentlicher“ Falschmeldung vorgesehen sind, was im Zweifel sogar dolus directus 2. Grades verlangt, also „mehr“ als grobe Fahrlässigkeit. Insoweit liegt eine Verschärfung gegenüber der HinSchRL vor, die angesichts des durch den deutschen Entwurf insgesamt stark erweiterten Anwendungsbereichs und der Berechtigung zur sofortigen externen oder gar öffentlichen Meldung gerechtfertigt ist. Darin liegt aber kein ausreichender Schutz der betroffenen Person, wenn sich die Meldung als falsch erweist. Wenn der Gesetzgeber aus politischen Gründen die Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit wünscht, sollte jedenfalls der Begriff der groben Fahrlässigkeit geklärt werden. Dabei könnte festgelegt werden, dass von einer grob fahrlässigen Meldung bzw. Offenlegung unrichtiger Informationen auszugehen ist, wenn die hinweisgebende Person keinen hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass die gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E). Das vermeidet Unsicherheit über das Vorliegen hinreichender Gründe und möglicher Schadensersatzansprüche. Darüber hinaus erscheint es geboten sicherzustellen, dass auch innerhalb des Beschäftigungsverhältnisses die Unschuldsvermutung sowie Verteidigungsrechte einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in die Personalakte gewahrt werden können. Diese Befugnisse müssen auch im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses durch entsprechende Auskunftsansprüche gewährleistet werden, selbst wenn diese an den Vorbehalt des Art. 15 Abs. 4 DSGVO geknüpft werden müssen. Ergänzend hierzu ist in Bezug auf die externen Meldeverfahren sicherzustellen, dass die Identität betroffener Personen während der Dauer einer durch die Meldung oder Offenlegung ausgelösten Untersuchung unter Berücksichtigung von Art. 12, 17, 18 HinSchRL geschützt bleibt. 373
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
k)
Verbot abweichender Vereinbarungen
Nach § 39 HinSchG-E sind Vereinbarungen, die die Rechte hinweisgebender Personen oder der nach § 34 HinSchG-E geschützten Personen einschränken, unwirksam. Dazu dürften auch fehlerhafte Fristen, eine Regelung über den Vorrang der internen Meldung oder vom Gesetz abweichende Meldestellen, die benutzt werden sollen, gehören. Dieser Vorgabe ist zuzustimmen, allerdings sollte nicht nur klargestellt werden, dass die Vereinbarungen nur insoweit unwirksam sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen in Arbeitsverträgen, Richtlinien über die Einführung eines Hinweisgebersystems oder Betriebsvereinbarungen die Frage zur Folge hat, ob sich daraus die Unwirksamkeit der Gesamtvereinbarung oder nur eine teilweise Unwirksamkeit ergibt. Losgelöst davon ist klarzustellen, dass auch die Rechte der von einer Meldung betroffenen Personen nicht eingeschränkt werden dürfen.
l)
Fazit
Der jetzt in Bundestag und Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf bedarf trotz der eingehenden Diskussion der vorangehenden Referentenentwürfe weiterhin einer Überarbeitung, um eine Vielzahl von Unklarheiten und Zweifeln zu beseitigen. Sie betreffen auch solche Unternehmen, die gar keine internen Meldekanäle errichten müssen oder entgegen der gesetzlichen Vorgabe errichtet haben. Hier ist zu klären, ob Hinweisgeber auch dann geschützt sind, wenn sie gleichwohl an einer selbst gewählten Stelle die interne Meldung vornehmen oder – gerade weil diese Stelle nicht besteht – unmittelbar eine externe Meldung veranlassen. Losgelöst davon sollten im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch Lücken geschlossen werden, die derzeit noch erkennbar werden. Hierzu gehört auch der Umstand, dass der Entwurf bedauerlicherweise auf eine Regelung zu der Frage verzichtet, ob Beschäftigte zu einer Meldung verpflichtet sind oder verpflichtet werden können, wenn schwerwiegende Rechtsverletzungen in Rede stehen. Das ist bemerkenswert, geht die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur doch davon aus, dass auch aus der Pflicht zur Rücksichtnahme bzw. Loyalität (§ 241 Abs. 2 BGB) außerhalb strafrechtlicher Handlungspflichten sowie außerhalb spezialgesetzlicher Regelungen (z. B. § 16 Abs. 1 ArbSchG) keine Anzeigepflicht folgt. Entsprechende Handlungspflichten müssen daher individual- oder kollektivvertraglich begründet werden. Hier hätte der Gesetzgeber eine eigene Entscheidung treffen und die Beschäftigten auch vor unverhältnismäßigen Anzeigepflichten 374
Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen
schützen können. Dabei sollte klargestellt werden, welche objektiven Verdachtsmomente eine Pflicht zur Meldung/Offenlegung in Bezug auf welche Schwere des Verstoßes rechtfertigen. Im Entwurf ungelöst bleibt weiterhin der Fall, dass Arbeitnehmer etwas beim Betriebsrat melden, dort um Anonymität bitten und der Betriebsrat dann zwar „weitermeldet“, aber eine Ermittlung und „Folgemaßnahmen“ wegen der Anonymität unmöglich oder stark erschwert werden. Hier ist zu klären, ob der Betriebsrat mangels gesetzlicher Befugnisse nach dem BetrVG eine solche Vertraulichkeit zusagen darf oder ob er zur vollständigen Weitergabe verpflichtet ist. (Ga)
15. Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen Inzwischen hat die Bundesregierung auch den Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie63 und – getrennt davon – den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen64 vorgelegt. Die Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie in innerstaatliches Recht muss bis zum 31.1.2023 erfolgen. Dieser Zeitpunkt wird nach den Entwürfen auch für das Inkrafttreten dieser Gesetze angestrebt.
a)
Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie
Das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie ist vor allem mit gesellschaftsrechtlichen Regelungen verbunden. Sie betreffen insbesondere das UmwG und haben zum Inhalt, dass in §§ 305 ff. UmwG Regelungen zur grenzüberschreitenden Umwandlung eingeführt werden. Dabei geht es um die Verschmelzung, die Spaltung und den Formwechsel. Veränderungen ergeben sich aus arbeitsrechtlicher Sicht dadurch, dass im Verschmelzungs-, Spaltungs- und Formwechselplan zukünftig auch Informationen über die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf Betriebsrenten und Betriebsrentenanwartschaften enthalten sein müssen (§§ 307 Abs. 2 Nr. 16, 322 Abs. 2, 335 Abs. 2 Nr. 14 UmwG n. F). Bei der Bekanntmachung des Verschmelzungs-, Spaltungs- oder Formwechselplans hat das Gericht den Hinweis an die zuständigen Betriebsräte der an 63 BR-Drucks. 371/22. 64 BT-Drucks. 20/3817.
375
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
der grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Gesellschaften oder, soweit es keinen Betriebsrat gibt, an die Arbeitnehmer der an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften mitzuteilen, dass sie der jeweiligen Gesellschaft spätestens fünf Arbeitstage vor dem Tag der Gesellschafterversammlung Bemerkungen zum Verschmelzungsplan übermitteln können (vgl. nur § 308 Abs. 1 Nr. 4 lit b UmwG n. F). Nach §§ 310, 324, 337 UmwG n. F. sind die Verschmelzungs-, Spaltungsund Formwechselberichte den Anteilsinhabern und den zuständigen Betriebsräten der in einer grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Gesellschaften oder, sofern es in der jeweiligen Gesellschaft keinen Betriebsrat gibt, den Arbeitnehmern spätestens sechs Wochen vor der Versammlung der Anteilsinhaber, die über die Zustimmung zum Umwandlungsplan beschließen soll, elektronisch zugänglich zu machen. Erhält das Vertretungsorgan der an der grenzüberschreitenden Umwandlung beteiligten Gesellschaft spätestens eine Woche vor der Versammlung der Anteilsinhaber in Textform eine Stellungnahme des zuständigen Betriebsrats oder, sofern es in der Gesellschaft keinen Betriebsrat gibt, der Arbeitnehmer, so unterrichtet die Gesellschaft ihre Anteilsinhaber hiervon unverzüglich nach Fristablauf durch elektronische Zugänglichmachung des einheitlichen Berichts oder des Berichts für die Arbeitnehmer unter Beifügung einer Kopie der Stellungnahme. Bei der Anmeldung der Umwandlung müssen die Mitglieder des Vertretungsorgans versichern, dass die Rechte der Arbeitnehmer gemäß §§ 308 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 lit. b, 310 Abs. 1, 3 eingehalten wurden. Auch muss das Vertretungsorgan dem Registergericht die Zahl der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verspätungsplans mitteilen. Entsprechendes gilt nach §§ 329, 342 Abs. 3 Nr. 3 UmwG n. F. für Spaltung und Formwechsel. Die Einfügung der besonderen Regelungen zur grenzüberschreitenden Umwandlung in den §§ 305 ff. UmwG hat zur Folge, dass die arbeits- und unternehmensmitbestimmungsrechtlichen Regelungen, wie sie derzeit in §§ 322 bis 325 UmwG n. F. enthalten sind, verschoben werden. So findet sich die Möglichkeit, im Interessenausgleich eine Zuordnung von Arbeitnehmern vorzunehmen, so dass diese durch das Arbeitsgericht nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (derzeit: § 323 Abs. 2 UmwG), zukünftig in § 35 a Abs. 1 UmwG n. F. Der Verweis auf § 613 a Abs. 1, 4 bis 6 BGB (derzeit: § 324 UmwG), findet sich zukünftig in § 35 a Abs. 2 UmwG n. F. Bei der Spaltung und Vermögensübertragung finden diese Regelungen durch Verweisungen Anwendung (z. B. § 125 UmwG). Die Regelungen zum Kündigungsschutz im Zusammenhang mit einer Spaltung, die derzeit noch in § 322 UmwG (gemeinsamer Betrieb) bzw. § 323 376
Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen
Abs. 1 UmwG (kündigungsrechtliche Stellung) enthalten sind, finden sich zukünftig in § 132 UmwG n. F. Die Regelungen zur Mitbestimmungsbeibehaltung, die die Abspaltung oder Ausgliederung betreffen und derzeit in § 325 UmwG enthalten sind, finden sich zukünftig in § 132 a UmwG n. F. Wichtig mit Blick auf Unterrichtungsschreiben nach § 613 a Abs. 5 BGB ist die Ergänzung in § 133 Abs. 3 UmwG n. F. Sie lautet wie folgt: Die Haftung des in S. 1 bezeichneten Rechtsträgers beschränkt sich auf den Wert des ihnen am Tag des Wirksamwerdens zugeteilten Nettoaktivvermögens.
Die darin liegende Einschränkung der gesamtschuldnerischen Haftung im Zusammenhang mit Spaltungen nach § 123 UmwG muss in den Unterrichtungsschreiben ergänzt werden. Andernfalls droht ihre Fehlerhaftigkeit, was zur Folge hat, dass ein etwaiger Widerspruch in den Grenzen der Verwirkung nach Ablauf der Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB erfolgen kann.
b)
Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitender Umwandlung
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen sollen Regelungen zur Sicherung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die von solchen Umwandlungen betroffen sind, in Kraft gesetzt werden65. Bei den entsprechenden Regelungen im Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG) geht es im Wesentlichen darum, auf den zur Gründung einer SE entwickelten Grundsätzen aufbauend eine Verhandlungslösung in Kraft zu setzen, die erst bei einem Scheitern der Verhandlungen durch eine gesetzliche Auffangregelung zur Sicherung erworbener Mitbestimmungsrechte („Vorher-Nachher-Prinzip”) ergänzt wird. Bemerkenswert daran ist, dass Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene nicht erst dann zu führen sind, wenn an der Umwandlung Rechtsträger beteiligt sind, bei denen die für diese Unternehmensmitbestimmung erforderlichen Schwellenwerte bereits überschritten wurden und eine entsprechende Arbeitnehmerbeteiligung besteht. Vielmehr genügt für eine Verhandlungspflicht, dass im Unternehmen bzw. Konzern 65 Vgl. Bungert/Strothotte, DB 2022, 1822.
377
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
mindestens 4/5 der im Recht des Mitgliedstaats der von der Umwandlung betroffenen Gesellschaft festgelegten Schwellenwerte für eine solche Mitbestimmung der Arbeitnehmer erreicht werden. Scheitern die Verhandlungen, bewirkt dies aber nicht, dass als Folge dieser Umwandlung auch unterhalb der Schwellenwerte eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat erfolgen muss. Vielmehr bleibt es dann bei einer Übernahme des bisherigen Status, in dem keine Unternehmensmitbestimmung vorgesehen ist. Nach § 5 Nr. 2 MgFSG bemisst sich der Umfang der Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach dem Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan, in Ausschüssen, in denen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erfolgt oder im Leitungsgremium, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaften zuständig ist. Da die gesetzlichen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Unternehmensmitbestimmung bei der grenzüberschreitenden Umwandlung die Regelungen zur SE-Umwandlung zur Grundlage genommen haben, wird man dabei auch die Vorgaben des EuGH im Urteil vom 18.10.202266 zu berücksichtigen haben. Bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung muss also ein getrennter Wahlgang für die Wahl der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter gewährleistet bleiben, wenn dies im bislang anwendbaren Recht vorgesehen ist. Das Verhandlungsverfahren orientiert sich an den Regelungen zur SEUmwandlung. Es dauert grundsätzlich sechs Monate, kann aber bis zu zwölf Monate verlängert werden. Ziel ist der Abschluss einer Vereinbarung über die Mitbestimmung. Scheitert sie, gilt die Mitbestimmung kraft Gesetzes. Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis haben die ergänzenden Vorschriften. Dort wird nicht nur bestimmt, dass bei innerstaatlichen Umwandlungen, die innerhalb von vier Jahren nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Umwandlung vorgenommen werden, neue Verhandlungen zur Unternehmensmitbestimmung geführt werden müssen, wenn in der hervorgehenden Gesellschaft eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer besteht (§ 32 MgFSG). Umstritten sind die weitergehenden Regelungen zu einem Missbrauchsverbot in § 36 MgFSG. Danach darf ein grenzüberschreitendes Vorhaben nicht dazu missbraucht werden, Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Bei einem Verstoß gegen das Missbrauchsverbot sind Verhandlungen über die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer entsprechend §§ 6 ff. MgFSG zu führen. Wird in diesen Verhandlungen keine 66 EuGH v. 18.10.2022 – C-677/20 n. v. (Rz. 46 ff.) – IG Metall und ver.di.
378
Antwort der Bundesregierung zur Tarifbindung in Deutschland
Einigung erzielt, sind die in §§ 25 ff. MgFSG enthaltenen Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes entsprechend anzuwenden. Problematisch daran ist nämlich, dass ein Missbrauch nicht nur dann vorliegen soll, wenn innerhalb von vier Jahren ab Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Vorhabens strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass ein Schwellenwert der Mitbestimmungsgesetze im Sitzstaat überschritten wird67. Diese Regelung ist weitestgehend an § 18 Abs. 3 SEBG ausgerichtet. Deutlich weitergehend ist die Idee, einen solchen Missbrauch auch dann als gegeben anzusehen, wenn „sonst Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden“. Denn mit dieser Regelung werden nicht nur Veränderungen erfasst, die auf der Unternehmensebene – beispielsweise durch Verschmelzung – zu Veränderungen führen, die Auswirkungen auf die Mitbestimmung in den beteiligten Unternehmen haben und auch gemäß § 18 Abs. 3 SEBG als strukturelle Änderung definiert werden. Mit der jetzt vorgesehenen Ausweitung würde auch ein Anstieg der Arbeitnehmerzahlen durch einen rechtsgeschäftlichen Betriebs- oder Betriebsteilübergang erfasst, was bislang nicht als strukturelle Änderung i. S. d. § 18 Abs. 3 SEBG definiert wurde68. Es bleibt abzuwarten, ob es hier nicht doch noch zu Veränderungen kommen wird. Dies wäre auch aus unionsrechtlicher Sicht geboten. Der Bundesrat unterstützt indes eine solche Nachverhandlungspflicht bei einem „Nachwachsen“ der Beschäftigtenzahlen69.
c)
Fazit
Beide Gesetze sind mit weiteren Änderungen in anderen Rechtsvorschriften (z. B. SCEBG, AktG) verbunden. Da die wesentlichen Regelungen durch die unionsrechtlichen Vorgaben bestimmt sind, steht aber nicht zu erwarten, dass das Gesetzgebungsverfahren insoweit noch zu wesentlichen Änderungen führen wird. (Ga)
16. Antwort der Bundesregierung zur Tarifbindung in Deutschland Im Oktober hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Antwort auf eine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE umfangreiche 67 Vgl. Bungert/Strothotte, DB 2022, 1823. 68 Vgl. MüKo/Jakobs, SEBG § 18 Rz. 19; Müller-Bonanni/Müntefering, BB 2009, 1699, 1702; Werner, NZG 2022, 541. 69 BR-Drucks. 360/22 S. 1 f.
379
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Informationen zur Tarifbindung in Deutschland vorgelegt70. Daraus lässt sich entnehmen, dass sich die Zahl der mit einer Tarifbindung beschäftigten Arbeitnehmer zwischen 2002 und 2021 kontinuierlich reduziert hat. Dies betrifft jedenfalls Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen durch einen Branchentarifvertrag bestimmt werden (2021: 42,7 %). Während die Zahl der auf der Grundlage eines Haustarifvertrags Beschäftigten leicht angestiegen ist (2021: 9,4 %), werden bereits 48 % der Arbeitnehmer ohne einen Tarifvertrag beschäftigt. Dabei sind die Unternehmen in Ostdeutschland stärker von der Tarifflucht betroffen. Außerdem wird erkennbar, dass vor allem größere Unternehmen zunehmend individuelle Lösungen durch Abschluss von Haustarifverträgen versuchen. Das macht deutlich, dass der Verbandstarifvertrag als übergreifende Kollektivvereinbarung an seine Grenzen stößt, weil individuellen Bedürfnissen in einzelnen Unternehmen nicht mehr ausreichend Rechnung getragen wird. Das zeigen auch die branchenbezogenen Unterschiede, die in den Übersichten als Anlage zur Antwort der Bundesregierung beigefügt sind. Die Antwort der Bundesregierung lässt auch erkennen, dass in der überwiegenden Zahl der Betriebe in Deutschland gar kein Betriebsrat errichtet wurde (92,1 %). In 69 % dieser Betriebe gelangt auch kein Tarifvertrag zur Anwendung. Die ergänzend von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen zum Anteil der Beschäftigten machen allerdings deutlich, dass dies vor allem kleine Betriebe betrifft. In den größeren Betrieben werden deutlich eher Betriebsräte errichtet. Denn in diesen Betrieben, in denen ein Betriebsrat gebildet wurde (7,9 %), werden 38,5 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig. Bei der Gesamtstatistik sind allerdings Kleinstbetriebe, in denen kein Betriebsrat gebildet werden kann, nicht berücksichtigt. (Ga)
17. Initiative der Fraktion DIE LINKE zur Ausweitung der deutschen Unternehmensmitbestimmung Im Oktober haben einige Abgeordnete und die Fraktion DIE LINKE im Bundestag einen Antrag eingebracht, durch den Lücken bei der deutschen Unternehmensmitbestimmung geschlossen werden sollen71. Durch den Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze auf Unternehmen ausländischer Rechtsform (z. B. SA, SARL, BV, NV, PLC, LTD, SE & Co. KG) mit Verwaltungssitz in 70 BT-Drucks. 20/3909. 71 BT-Drucks. 20/4056.
380
Ausweitung der deutschen Unternehmensmitbestimmung
Deutschland zu erstrecken. Außerdem soll im SEBG festgelegt werden, dass die Mitbestimmung bei strukturellen Änderungen des Konzerns oder bei Überschreitung der Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmungsgesetze neu verhandelt werden muss und dass eine an die überschrittenen Schwellenwerte angepasste Auffangregelung eingeführt wird. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass mit dem Wechsel in eine SE oder eine Kapitalgesellschaft ausländischer Rechtsform die fehlende Unternehmensmitbestimmung auch dann perpetuiert wird, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Schwellenwerte für Beschäftigtenzahlen überschritten werden, an die die Anwendbarkeit der deutschen Unternehmensmitbestimmung geknüpft wird. Ergänzend hierzu soll die Bundesregierung aufgefordert werden, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der • den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze lückenlos auf Stiftungen mit Geschäftsbetrieb, die GmbH & Co. KG sowie Kapitalgesellschaft und Co. KG erstreckt, • die Regelung zur Konzernzurechnung aus dem MitbG in das DrittelbG überträgt, • Sonderregelungen zur Unternehmensmitbestimmung für Tendenzunternehmen abschafft, • klare und effektive Sanktionen bei Nichtanwendung der Mitbestimmungsgesetze mit klar festgelegten Bußgeldern und Fristen definiert sowie die Anwendung der Gesetze der Unternehmensmitbestimmung für die Börsennotierung einer Kapitalgesellschaft zur Voraussetzung macht.
Es steht nicht zur erwarten, dass diese Gesetzesinitiative im Bundestag Erfolg haben wird. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung ihrerseits einen Gesetzentwurf vorlegt, der jedenfalls die Regelungen zur Konzernzurechnung, wie sie im MitbG enthalten sind, ganz oder teilweise in das DrittelbG übernimmt. Wir hatten darüber mit Blick auf die entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag berichtet72. (Ga)
72 B. Gaul, AktuellAR 2021, 27 ff., 360 ff., 2022, 43 f.
381
.
B. 1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Weitere Umsetzungsschritte für das EU-US Data Privacy Framework
Wir hatten bereits darüber berichtet, dass sich EU-Kommission und USA am 25.3.2022 auf ein neues EU-US-Datenschutzabkommen geeinigt hatten (EU-US Data Privacy Framework)1. Das neue Abkommen soll die Bedenken des EuGH in den Urteilen vom 6.10.20152 und vom 16.7.20203 aufgreifen und einen hinreichenden Datenschutzstandard auch bei einer Weiterleitung personenbezogener Daten in die USA sicherstellen. Der EuGH hatte bei seinen Feststellungen vor allem darauf verwiesen, dass nicht ausreichend sichergestellt sei, dass personenbezogene Daten, die aus der EU in die USA transferiert werden, vor einer weiteren Verarbeitung durch US-Behörden geschützt seien. Auch wenn das EU-US Data Privacy Shield dahingehende Einschränkungen vorsah, war zweifelhaft, ob die hiervon Betroffenen den Schutz personenbezogener Daten auch tatsächlich durchsetzen können. Hiervon ausgehend konnte ein Datentransfer in die USA nur auf Standardvertragsklauseln oder eine Einwilligung der Betroffenen gestützt werden. Mit einer Executive Order vom 7.10.2022 hat Präsident Biden jetzt die Vereinbarung in Kraft gesetzt und die Umsetzung eingeleitet. Inhaltlich gibt es im Wesentlichen zwei Veränderungen: Zunächst einmal regelt das Framework relativ genau, unter welchen Voraussetzungen die Nachrichtendienste weiterhin berechtigt sind, personenbezogene Daten aus elektronischer Kommunikation zu verarbeiten. Damit soll die anlasslose Massenverarbeitung personenbezogener Daten durch die Geheimdienste in der Vergangenheit eingeschränkt werden. Dabei wird zwischen zulässigen Zielen (z. B. Schutz der nationalen Sicherheit, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, Abwehr von Spionage, Eingriff in Wahlen) und unzulässigen Zielen (z. B. Eingriff in die Meinungsfreiheit, Einschränkung legitimer privater Ziele von Unternehmen und Privatpersonen, Einschränkung des Anwaltsgeheimnisses, Erlangung von Geschäftsgeheimnissen) differenziert und darüber hinaus die Verhältnismäßigkeit der
1 2 3
B. Gaul, AktuellAR 2022, 68 ff. EuGH v. 6.10.2015 – C-362/14, NJW 2015, 3151 – Schrems I. EuGH v. 16.7.2020 – C-311/18, NZA 2020, 2613 – Schrems II.
383
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Datenverarbeitung als Zulässigkeitsvoraussetzung bestimmt. Die Nachrichtendienste werden verpflichtet, ihre internen Regelungen in Bezug auf den Zugriff und die Verarbeitung personenbezogener Daten in Abstimmung mit dem Privacy and Civil Liberties Oversight Board (PCLOB) umzustellen. Unsicherheit entsteht allerdings dadurch, dass der Präsident der USA ein „Update“ dieser Liste vornehmen kann, wenn dies der nationalen Sicherheit dient, ohne dass dies – wenn nationale Sicherheit es gebietet – zwingend veröffentlicht werden muss. Für den Fall, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten in den USA bestehen, wird es einen zweistufigen Überprüfungsmechanismus geben. Zunächst einmal gibt es die Möglichkeit einer Beschwerde beim Civil Liberties Protection Officer for the Office of the Director of National Intelligence (CLPO). Dieser kann der Beschwerde abhelfen; entsprechende Entscheidungen haben auch für die Nachrichtendienste eine grundsätzlich bindende Wirkung. Gegen die Entscheidung des CLPO können alle beteiligten Nachrichtendienste oder Betroffene bei einem Data Protection Review Court (DPRC) Beschwerde einlegen. Der DPRC, dessen Entscheidungskörper aus drei Richtern besteht, kann dabei auch unter Einbeziehung klassifizierter Unterlagen selbständig Ermittlungen vornehmen, um auf dieser Grundlage seine Entscheidung zu treffen. Im Vorfeld soll ein Special Advocat im Interesse des Beschwerdeführers Stellung nehmen. Auch die Entscheidung des DPRC ist bindend. Die EU-Kommission beabsichtigt nun, den Europäischen Datenschutzausschuss (EDSA) und das EU-Parlament anzuhören. Wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten im Anschluss daran zugestimmt hat, will sie einen Angemessenheitsbeschluss gemäß Art. 45 Abs. 3 DSGVO treffen. Diese Entscheidung ist für das Frühjahr 2023 geplant. Auf dessen Grundlage wäre es möglich, unter Berücksichtigung der Vorgaben des neuen EU-US Datenschutzabkommens auch ohne die Verwendung von Standardvertragsklauseln oder das Vorliegen einer Einwilligung personenbezogene Daten in die USA zu transferieren. (Ga)
2.
Entwurf einer Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
Im Frühjahr hatten wir über den Vorschlag einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Än-
384
Neuer strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
derung der Richtlinie 2019/1937/EU berichtet, den die EU-Kommission am 23.2.2022 vorgelegt hat4. Der Vorschlag dürfte inzwischen dem EUParlament vorgelegt worden sein. Seine Stellungnahme liegt noch nicht vor. Sobald die Richtlinie verabschiedet wurde, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen. Dies würde – wie aufgezeigt – noch einmal eine Erweiterung der bereits durch das LkSG begründeten Rechtspflichten und auch der Folgen für den Fall einer Nichtbeachtung bewirken5. Wir werden darüber berichten. (Ga)
3.
Neuer strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
Am 10.3.2022 hat das EU-Parlament eine Entschließung über einen neuen strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz für die Zeit nach 2020 vorgelegt6. Unmittelbarer Handlungsbedarf folgt daraus nicht. Es wird aber erkennbar, wo das EU-Parlament bei seiner Arbeit, die natürlich auch Einfluss auf Vorschläge für Richtlinien oder Verordnungen der EU-Kommission haben wird, Schwerpunkte setzen will. Zu den Punkten, die in der Entschließung genannt werden, gehören insbesondere folgende Aspekte: • Hinsichtlich arbeitsbedingter Unfälle und Erkrankungen soll die „Vision Null“ verfolgt werden. Hierzu soll es eine enge Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern geben. Außerdem soll sichergestellt werden, dass Arbeitnehmern bei berufsbedingten Erkrankungen angemessene Entschädigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. • Die Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit soll ergänzt werden, um die neuen Anforderungen der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert und die jüngsten Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten, einschließlich der Bewertung von und des Umgangs mit psychosozialen Risiken besser zu erfassen. Dazu gehören auch Angstzustände, Depressionen, Burnout und Stress, die nach den Feststellungen des EU-Parla-
4 5 6
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 63 ff. Vgl. Lanfermann/Liepe, BB 2022, 2027. P9_TA(2022)0068.
385
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
ments auch auf strukturelle Probleme zurückzuführen sind, etwa die Organisation der Arbeit (d. h. schlechtes Management, schlechte Arbeitsgestaltung oder unzureichende Abstimmung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer in Bezug auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben). • EU-Kommission und Mitgliedstaaten sollen die Geschlechterperspektive durchgängig berücksichtigen und bei allen Maßnahmen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geschlechtsspezifischen Unterschieden Rechnung tragen. Darüber hinaus wird die EU-Kommission aufgefordert, die geplante Initiative zur Prävention und Bekämpfung von geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt auf die Rahmenvereinbarung zu Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz zu stützen. • Es sollen Strategien entwickelt werden, um sich auf eine alternde Erwerbsbevölkerung, eine höhere Prävalenz von Arbeitnehmern mit chronischen Krankheiten und die Notwendigkeit einzustellen, den Arbeitsplatz an die Bedürfnisse von Arbeitnehmern mit Behinderungen anzupassen. In diesem Zusammenhang sollen auch die allgemeine und berufliche Bildung und das lebenslange Lernen für Menschen jeden Alters sowie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und der Austausch zwischen den Generationen am Arbeitsplatz gefördert werden. • Auch Plattformbeschäftigte sollen stärker vor Gesundheits- und Sicherheitsrisiken geschützt werden. Dabei sollen insbesondere psychosoziale Gefahren, wie sie durch unvorhersehbare Arbeitszeiten, die Intensität der Arbeit, ein wettbewerbsorientiertes Umfeld, Informationsüberlastung und Isolation begründet werden, Berücksichtigung finden. • EU-Kommission und Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass alle Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis haben (einschließlich atypisch Beschäftigter und mobiler Arbeitnehmer) unter die Rechtsvorschriften und Maßnahmen im Bereich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz fallen. Dies entspricht der bereits an anderer Stelle vertretenen Annahme, dass die allgemeinen Vorgaben zum Arbeitsschutz auch bei mobiler Arbeit zur Anwendung kommen7.
7
B. Gaul, AktuellAR 2022, 445 ff.
386
Neuer strategischer Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
• Mit Blick auf den digitalen Wandel soll sichergestellt werden, dass KI-Lösungen am Arbeitsplatz ethisch und menschenzentriert, transparent und fair sein müssen und keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer haben dürfen. Hierzu werden Maßnahmen zum Schutz vor den nachteiligen Auswirkungen eines Managements mithilfe von Algorithmen auf die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer gefordert. Das EU-Parlament betont, dass Algorithmen, die in Arbeitsbereichen eingesetzt werden, transparent, diskriminierungsfrei und ethisch sein müssen, und dass auf Algorithmen beruhende Entscheidungen rechenschaftspflichtig, anfechtbar und ggf. umkehrbar sein und folglich einer menschlichen Kontrolle unterliegen müssen. • Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sollen als grundlegender Bestandteil bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gelten. • Die EU-Kommission wird aufgefordert, einen Rechtsrahmen für die Festlegung unionsweiter Mindestanforderungen für Telearbeit vorzuschlagen. Auf diese Weise sollen die Arbeitsbedingungen einschließlich der Bereitstellung und Nutzung von und der Haftung für Ausrüstung, auch was vorhandene und neue digitale Instrumente betrifft, geklärt werden. Außerdem soll sichergestellt werden, dass Telearbeit auf freiwilliger Basis erfolgt und die Rechte, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die Arbeitsbelastung und die Leistungsstandards von Telearbeitern denen vergleichbarer Arbeitnehmer entsprechen. Auch hier soll es im Übrigen ergänzend darum gehen, psychosoziale Risiken in Verbindung mit digitalen Arbeitsverfahren und Fernarbeitsverfahren sowie durchlässige Arbeitsumgebungen zu berücksichtigen. • Die EU-Kommission wird aufgefordert, eine Richtlinie über Mindeststandards und -bedingungen zu erlassen, um sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer ihr Recht auf Nichterreichbarkeit wirksam wahrnehmen können.
Es bleibt abzuwarten, welche dieser Ziele in den künftigen Maßnahmen des unionsrechtlichen Gesetzgebers zur Umsetzung kommen. Wichtig erscheint allerdings, dass sich die betriebliche Praxis auch ohne unionsrechtliche Vorgaben diese Überlegungen vor Augen führt und ggf. proaktiv bereits heute diesen strategischen Rahmen zur Grundlage eigener Maßnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes macht. (Ga)
387
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
4.
Einigung über eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU
a)
Ausgangssituation
Am 14.9.2022 hat sich das EU-Parlament über die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU geeinigt und eine legislative Entschließung getroffen8. Wir hatten über den Vorschlag, den die EU-Kommission am 28.10.2020 vorgelegt hatte9, und die politische Einigung von EU-Parlament und -Rat bereits berichtet10. Mit dem Beschluss hat sich das EU-Parlament über die Kritik an dem Entwurf hinweggesetzt, die in den darin liegenden Regelungen über die Kennzeichnung eines angemessenen Mindestlohns und die Förderpflichten zur Anhebung einer Tarifbindung einen Verstoß gegen Zuständigkeitsverteilung innerhalb der EU, die Tarifautonomie und das Subsidiaritätsprinzip gelegen hatte. Obwohl der Entwurf in seiner textlichen Ausgestaltung durch den Beschluss des EU-Parlaments noch einmal zahlreiche Veränderungen erfahren hat, sind die wesentlichen Aussagen fortgeschrieben worden. Durch die Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein Verfahren einzuführen, das die Angemessenheit von gesetzlichen Mindestlöhnen zum Ziel hat, damit angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen erreicht werden. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung zu fördern und einen effektiven Zugang der Arbeitnehmer auf Mindestlohnschutz zu verbessern (Art. 1).
b)
Regelungen zur Förderung von Tarifverhandlungen im Entgeltbereich
Auf diese Weise soll zwar die Tarifautonomie unangetastet bleiben. Eine Verpflichtung, Tarifverträge abzuschließen oder auf den Abschluss zu verzichten, bleibt unberührt (Art. 1). Wenn die „tarifvertragliche Abdeckung unterhalb einer Schwelle von 80 % liegt“, werden die Mitgliedstaaten aber nicht nur verpflichtet, einen Rahmen festzulegen, der die Voraussetzungen für Tarifverhandlungen schafft. Darüber hinaus soll ein Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen geschaffen werden (Art. 4).
8 P9_TA(2022)0316. 9 COM(2020) 682 final. 10 B. Gaul, AktuellAR 2022, 60 ff.
388
Einigung über eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU
Diese Vorgabe dürfte in Deutschland angesichts umfangreicher Regelungen zum Abschluss von Tarifverträgen, insbesondere also Art. 9 Abs. 3 GG und die Regelungen des TVG, keinen gesetzlichen Umsetzungsbedarf auslösen. Wie bereits im Frühjahr ausgeführt, bleibt aber der Begriff der „tarifvertraglichen Abdeckung“ völlig unklar. Denn es bleibt undefiniert, ob hierfür allein auf die Anzahl der Arbeitsverhältnisse abgestellt wird, die – wenn eine Tarifbindung gegeben wäre – in den räumlichen, sachlichen und persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen würden. Dieses Verständnis, für das der Begriff der „Abdeckung“ anstelle des Begriffs der „Bindung“ spricht, dürfte einfacher zu erreichen sein. Außerdem dürfte die Einhaltung durch einen Dritten feststellbar sein, dem – was bei Tarifregistern der Fall ist – die Tarifverträge zur Einsicht überlassen werden. Problematisch wäre, wenn darauf abgestellt würde, ob der Tarifvertrag kraft Gesetzes, Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder kraft Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien für das Arbeitsverhältnis Geltung beansprucht. Diese Voraussetzung stünde wohl nicht nur im Widerspruch zur negativen Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG, 12, 28 GRC gewährleistet wird. Sie wäre auch kaum feststellbar, weil eine Auskunftsverpflichtung in Bezug auf die individuelle Tarifbindung gegenüber Arbeitgeber und/oder Behörde nicht besteht.
c)
Vorgaben zur Angemessenheit eines (gesetzlichen) Mindestlohns
Mit Art. 5 ff. werden weitergehende Regelungen über ein Verfahren zur Festsetzung angemessener gesetzlicher Mindestlöhne eingeführt. Diese dürften an sich mit dem MiLoG gewährleistet sein, auch was die Einbeziehung der Sozialpartner betrifft. Denkbar ist aber, dass sich der Gesetzgeber entschließt, eine Konkretisierung aufzunehmen, mit der das Gebot der Angemessenheit des gesetzlichen Mindestlohns festgeschrieben wird. Hintergrund ist die entsprechende Regelung in Art. 5 der Richtlinie, die auszugsweise wie folgt lautet: 1. Die Mitgliedstaaten mit gesetzlichen Mindestlöhnen schaffen die erforderlichen Verfahren für die Festlegung und Aktualisierung der gesetzlichen Mindestlöhne. Bei dieser Festlegung und Aktualisierung werden Kriterien zugrunde gelegt, die zu ihrer Angemessenheit beitragen, mit dem Ziel, einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen, die Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verringern, den sozialen Zusammenhalt und die soziale Aufwärtskonvergenz zu fördern und das geschlechterspezifische Lohngefälle zu verringern. Die Mitgliedstaaten legen diese Kriterien im Einklang mit den nationalen Gepflogenheiten in einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, in Beschlüssen
389
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
ihrer zuständigen Stellen oder in dreiseitigen Vereinbarungen fest. Die Kriterien müssen klar definiert sein. Die Mitgliedstaaten können unter Berücksichtigung ihrer nationalen sozioökonomischen Bedingungen über das relative Gewicht dieser Kriterien einschließlich der in Abs. 2 genannten Aspekte entscheiden. 2. Die nationalen Kriterien nach Abs. 1 umfassen mindestens die folgenden Aspekte: a) die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten; b) das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung; c) die Wachstumsrate der Löhne; d) langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen. 3. Unbeschadet der in diesem Artikel festgelegten Verpflichtungen können die Mitgliedstaaten zusätzlich einen automatischen Mechanismus für Indexierungsanpassungen der gesetzlichen Mindestlöhne auf der Grundlage geeigneter Kriterien und gemäß den nationalen Rechtsvorschriften und im Einklang mit Gepflogenheiten anwenden, sofern die Anwendung dieses Mechanismus nicht zu einer Senkung des gesetzlichen Mindestlohns führt. 4. Die Mitgliedstaaten legen bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne Referenzwerte zugrunde. Zu diesem Zweck können sie auf internationaler Ebene übliche Referenzwerte wie 60 % des Bruttomedianlohns und 50 % des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden, verwenden. (…)
Sollte der Gesetzgeber den Bruttodurchschnittslohn als Referenzgröße festschreiben, wäre dieser Schwellenwert seit dem 1.10.2022 wohl erreicht. Denn das durchschnittliche monatliche Bruttogehalt eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Deutschland hat jedenfalls im Jahre 2021 bei etwa 4.100 € gelegen. Legt man der Vollzeitbeschäftigung – was selten der Fall ist – eine 40-Stunden-Woche zugrunde, entspricht dies einem Bruttostundenlohn i. H. v. 23,65 €. Der gesetzliche Mindestlohn, wie er seit dem 1.10.2022 gilt, beträgt also etwa 51 % des durchschnittlichen Bruttogehalts, was nach den vorstehenden Grundprinzipien in Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie die Angemessenheit des aktuellen (gesetzlichen) Mindestlohns bestätigen dürfte. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls aktuell nicht zu erwarten, dass die Umsetzung der Richtlinie eine kurzfristige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns zur Folge hat. Dass diese Schwelle aber zum 1.1.2024 nicht 390
Richtlinie zur Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen
mehr erreicht wird, ist schon deshalb naheliegend, wenn man sich die derzeitigen (inflationsbedingten) Entgeltsteigerungen vor Augen führt. (Ga)
5.
Richtlinie zur Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften
Am 17.10.2022 hat der Rat der EU der Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen zugestimmt. Über den Entwurf dieser Richtlinie, den die EU-Kommission bereits am 14.11.2012 vorgelegt hatte11, und das weitere Verfahren über seine Ausgestaltung hatten wir bereits bei früherer Gelegenheit berichtet12. Nach dem jetzt vorliegenden Bericht über die politische Einigung soll die Richtlinie, die bis 2026 umgesetzt werden muss, zwei verschiedene Modelle vorsehen. Grundsätzlich müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften mindestens 40 % durch Mitglieder des unterrepräsentierten Geschlechts besetzt werden sollten. Sollte sich ein Mitgliedstaat entscheiden, die neuen Regelungen sowohl auf geschäftsführende als auch nicht geschäftsführende Direktoren anzuwenden, muss das vorstehende Ziel nur zu 33 % erreicht werden. Im dualistischen Modell bedeutet dies dann, dass Vorstand und Aufsichtsrat gleichermaßen erfasst werden müssen. Mit der Neuregelung ist kein unmittelbarer Zwang einer entsprechenden Besetzung verbunden. Erreicht ein Unternehmen die Ziele nicht, muss aber das Auswahlverfahren angepasst werden, sofern in dem Mitgliedstaat nicht andere – gleich wirksame – Rechtsvorschriften bestehen, um das Ziel einer entsprechenden Quote zu erreichen. Auf diese Weise ist sicherzustellen, dass faire und transparente Auswahl- und Ernennungsverfahren geschaffen werden, die auf einem Vergleich der verschiedenen Kandidaten auf der Grundlage klarer und neutral formulierter Kriterien beruhen. Wenn Kandidaten die gleiche Qualifikation haben, was natürlich kaum überprüft werden kann, soll das Unternehmen dem Kandidaten des unterrepräsentierten Geschlechts Vorrang einräumen, sofern die Quote bis dahin nicht erfüllt ist.
11 COM(2012) 614 final. 12 B. Gaul, AktuellAR 2013, 25 ff., 2014, 330 ff., 2016, 47 ff.
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Die vorstehenden Regelungen werden durch eine Berichtspflicht ergänzt. Einmal jährlich müssen die Unternehmen über die Vertretung von Frauen und Männern in ihren Leitungsorganen sowie über Maßnahmen berichten, die mit dem Ziel einer Sicherstellung der Quote ergriffen wurden. Parallel dazu müssen die Mitgliedstaaten jährlich eine Liste veröffentlichen, in der die Unternehmen verzeichnet werden, die das Ziel erreicht haben. Da die Richtlinie in ihrer abschließenden Fassung Ausnahmen für Länder vorsehen soll, die bereits Maßnahmen zu Frauenquoten in den Leitungsoder Kontrollgremien der börsennotierten Unternehmen einschließlich einer Frauenquote eingeführt haben, scheint das BMFSFJ keinen Handlungsbedarf zu sehen. Es verweist insofern auf die Veränderungen durch das FüPoG II, über das wir im Herbst des vergangenen Jahres berichtet haben13. Damit habe man – ergänzend zu den bereits bestehenden Regelungen zur Frauenquote – die erforderlichen Maßnahmen zu einer Gleichstellung der Geschlechter in Aufsichtsrat und Vorstand geschaffen. Da keine der gesetzlichen Regelungen in Deutschland die Quoten erreicht, die mit der Richtlinie festgeschrieben werden sollen, wird man den genauen Wortlaut der Ausnahmeregelung abwarten müssen. Derzeit gelten für den Vorstand gemäß § 76 Abs. 3 a AktG folgende Regelungen: Besteht der Vorstand bei börsennotierten Gesellschaften, für die das MitbG, MontanMitbestG oder MitbestErgG gilt, aus mehr als drei Personen, so muss mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein. Eine Bestellung eines Vorstandsmitglieds unter Verstoß gegen dieses Beteiligungsgebot ist nichtig.
Mit der vorstehenden Regelung für den Vorstand wird nur eine Quote von 25 % (statt: 33 %) vorgegeben und zusätzlich an das Erfordernis geknüpft, dass mehr als drei Vorstandsmitglieder bestellt werden. Wird dieser Schwellenwert nicht überschritten, gibt es in der börsennotierten AG keine Quote für die Bestellung weiblicher Vorstandsmitglieder, so dass Deutschland an sich an die 40 %-Quote für die nicht geschäftsführenden Mitglieder im Vorstand oder Aufsichtsrat gebunden wäre. Hier bestimmt § 96 Abs. 2 AktG zwar eine feste Quote für beide Geschlechter im Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft, für die das MitbG, das MontanMitbestG oder das MitbestErgG gelten. Sie lautet wie folgt: Bei börsennotierten Gesellschaften, für die das MitbG, MontanMitbestG oder MitbestErgG gilt, setzt sich der Aufsichtsrat zu mindestens 13 B. Gaul, AktuellAR 2021, 360 ff.
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Richtlinie zur Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen
30 % aus Frauen und zu mindestens 30 % aus Männern zusammen. Der Mindestanteil ist vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen. Widerspricht die Seite der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter aufgrund eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses vor der Wahl der Gesamterfüllung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, so ist der Mindestanteil für diese Wahl von der Seite der Anteilseigner und der Seite der Arbeitnehmer getrennt zu erfüllen. Es ist in allen Fällen auf volle Personenzahlen mathematisch auf- bzw. abzurunden. Verringert sich bei Gesamterfüllung der höhere Frauenanteil einer Seite nachträglich und widerspricht sie nun der Gesamterfüllung, so wird dadurch die Besetzung auf der anderen Seite nicht unwirksam. Eine Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung und eine Entsendung in den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen das Mindestanteilsgebot ist nichtig. Ist eine Wahl aus anderen Gründen für nichtig erklärt, so verstoßen zwischenzeitlich erfolgte Wahlen insoweit nicht gegen das Mindestanteilsgebot. Auf die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer sind die in S. 1 genannten Gesetze zur Mitbestimmung anzuwenden.
Mit diesen Vorgaben werden aber nur 30 %, nicht 40 % der Mitglieder für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht gesichert, was im Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie steht, wenn nicht durch die Öffnungsklausel eine Sonderregelung mit geringeren Schwellen sanktioniert wird. Auch dann wird man aber zu prüfen haben, ob es schädlich ist, dass die Quote in § 96 Abs. 2 AktG an die Anwendbarkeit gesetzlicher Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung geknüpft ist, also bei börsennotierten Gesellschaften außerhalb des Geltungsbereichs dieser Regelung zur Unternehmensmitbestimmung nicht zur Anwendung kommt. Lässt man diese Regelung deshalb einmal unberücksichtigt, bleibt es bei der in § 111 Abs. 5 AktG enthaltenen Vorgabe zur Festlegung einer Frauenquote für den Vorstand und den Aufsichtsrat. Sie wird ergänzt um Vorgaben für eine Quote auf den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands, die durch den Vorstand selbst bestimmt wird (§ 76 Abs. 4 AktG). Der Aufsichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und im Vorstand Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen den angestrebten Frauenanteil am jeweiligen Gesamtgremium beschreiben und bei Angaben in Prozent vollen Personenzahlen entsprechen. Legt der Aufsichtsrat für den Aufsichtsrat oder den Vorstand die Zielgröße Null fest, so hat er diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 %, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. Wenn für den Aufsichtsrat bereits das Mindestanteilsgebot nach § 96 Abs. 2 oder 3 gilt, sind die Festlegungen nur für den Vorstand vorzunehmen. Gilt für den Vorstand das Beteiligungsgebot nach § 76 Abs. 3 a, entfällt auch die Pflicht zur Zielgrößensetzung für den Vorstand.
Ob diese Regelungen reichen, um den Handlungsvorgaben der Richtlinie zu genügen, wird man analysieren müssen, wenn der abschließende Text verfügbar ist. (Ga)
6.
Tarifverträge für Solo-Selbständige und Plattformbeschäftigte
Nach Art. 101 AEUV sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Dies schließt aber nicht aus, Teilbereiche von diesem Verbot auszunehmen. Das betrifft nicht nur Tarifverhandlungen, die für Arbeitnehmer geführt werden und zu Tarifverträgen führen, deren Mindestarbeitsbedingungen eine Vereinheitlichung und daraus folgend auch eine Einschränkung des Wettbewerbs auslösen14. Auf der Grundlage des am 18.3.2022 veröffentlichten Entwurfs15 hat die EU-Kommission am 30.9.2022 nach Abschluss des Konsultationsverfahrens weitergehende Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen veröffentlicht16, die auch Vereinbarungen privilegieren, durch die wirtschaftliche Bedingungen einer selbständigen Beschäftigung vereinheitlicht werden.
14 EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, NZA 2015, 55 Rz. 23 – FNV Kunsten Informatie en Media. 15 ABl. EU 2022, C 123, 1. 16 EU-Kommission, PM v. 9.12.2021.
394
Tarifverträge für Solo-Selbständige und Plattformbeschäftigte
Auf der Grundlage dieser Leitlinien werden Tarifverträge zugelassen, die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen und Plattformbeschäftigten regeln. Auch wenn insoweit eine einzelfallbezogene Bewertung erforderlich ist, werden hiervon im Ergebnis Solo-Selbständige erfasst, die sich in einer Situation befinden, die mit der von Arbeitnehmern vergleichbar ist. Die Leitlinien nennen dabei • wirtschaftlich abhängige Solo-Selbständige (3.1), • Solo-Selbständige, die „Seite an Seite“ mit Arbeitnehmern arbeiten (3.2) sowie • Solo-Selbständige, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten (3.3).
Für diese Personengruppen ist es nach Maßgabe der Leitlinien zulässig, ohne Verstoß gegen Art. 101 AEUV Tarifverträge abzuschließen und damit unternehmensübergreifend Arbeitsbedingungen festzulegen, selbst wenn damit ein Regulativ für den Wettbewerb der hiervon betroffenen Unternehmen geschaffen wird. (Ga)
395
.
C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
Nachdem das NachwG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1152/EU1 über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU mit Wirkung zum 1.8.20222 grundlegende Veränderungen erfahren hat, ist es wichtig, die Vertragspraxis in den Unternehmen entsprechend umzustellen3. Dies gilt nicht nur mit Blick auf das allgemeine Bestreben, sich gesetzeskonform zu verhalten, sondern auch mit Bezug auf die Bußgeldandrohung bei einem fehlenden, fehlerhaften oder verspäteten Nachweis.
a)
Anwendungsbereich
Die Neuregelungen im NachwG erfassen alle Arbeitsverhältnisse, obwohl nach der Richtlinie zulässig gewesen wäre, Arbeitsverhältnisse aus dem Anwendungsbereich auszuschließen, bei denen Arbeitnehmer innerhalb eines Referenzzeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen im Durchschnitt nicht mehr als drei Stunden pro Woche tätig sind. Soweit Arbeitsverträge bereits vor dem 1.8.2022 abgeschlossen wurden und auch begonnen haben, ist der entsprechende Nachweis allerdings erst auf Verlangen des Arbeitnehmers auszuhändigen (vgl. § 5 NachwG). Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind weiterhin Dienstverpflichtete, die nicht Arbeitnehmer i. S. d. § 611 a BGB bzw. § 6 Abs. 2 GewO sind. Abzuwarten bleibt, ob die Rechtsprechung im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung nicht auch alle unionsrechtlich definierten Arbeitnehmer erfasst, wie beispielsweise Fremd-Geschäftsführer, Richter und Beamte4. 1 2 3
4
ABl. EG 2019 L 186, 105. BGBl. I 2022, 1174. Eingehend auch Daum, NZA 2021, 920; Düwell, ArbR 2022 Anm. 1; Maul-Sartori, NZA 2019, 1161; ders., RdA 2021, 171; Möller, ArbR 2022, 299; Norda/Stoecker, NZA 2022, 8; Oberthür, ArbRB 2022, 221; Picker/Rathmann, RdA 2022, 61; Schubert, AuR 2022, 115; vgl. hinsichtlich der Folgen für den öffentlichen Dienst auch Brock, öAT 2022, 111; vgl. nach Inkrafttreten der Änderung des NachwG eingehend auch de Groot/Weiger, DB 2022, 2025; Ettlinger, BB 2022, 1972; Falter/Bissels/Meißner, DB 2022, 2217; Langohr-Plato, BA 2022, 359; Lunow/Pilgermayer, AiB 2022/10, 24; Preis/Schulze, NJW 2022, 2297; Reufels/Soltysiak, ArbRB 2022, 237; Rolfs/Schmid, NZA 2022, 945. In diese Richtung Oberthür, ArbRB 2022, 221, 223; Schubert, AuR 2022, 115, 116 f.; vgl. Maul-Sartori, NZA 2019, 1161, 1162.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Dagegen spricht allerdings, dass die Richtlinie 2009/1152/EU nur einen Umsetzungsrahmen schafft, innerhalb derer der nationale Gesetzgeber frei ist, die Vorgaben der Richtlinie umzusetzen. Da der Gesetzgeber in Deutschland von der Möglichkeit einer Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs gerade keinen Gebrauch gemacht hat, verbleibt für eine unionsrechtskonforme Extension des in § 1 NachwG geregelten Anwendungsbereichs nach diesseits vertretener Auffassung auch kein Raum.
b)
Aufspaltung in Arbeitsvertrag und Nachweisdokument?
Bei der Umsetzung stehen Arbeitgeber vielfach vor der Frage, ob es angesichts der zunehmenden Fülle nachweispflichtiger Tatbestände nicht zweckmäßig ist, künftig zwei gesonderte Dokumente anzufertigen: einen vom Rechtsbindungswillen getragenen Arbeitsvertrag und ein Nachweisdokument als bloße Wissenserklärung5. Dieser Vorschlag folgt der Idee, dass der getrennte Nachweis den Vorteil einer leichteren Änderbarkeit in sich trage, weil es sich bei der Angabe der nachweispflichtigen Informationen aus § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG nur um eine Wissens- und nicht um eine Willenserklärung handele. Auch wenn der Differenzierung zwischen Willens- und Wissenserklärung zuzustimmen ist, kann der Begründung nur für Sachverhalte gefolgt werden, in denen der Nachweis nicht bereits mit dem Arbeitsvertrag verschickt wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Denn bei einer gleichzeitigen Übersendung, die schon mit Blick auf das Ziel einer Minimierung des arbeitgeberseitigen Aufwands und die Notwendigkeit des Zugangsnachweises der Regelfall sein dürfte, wird man im Auge behalten müssen, dass auch nur informativ gemeinte Erklärungen in einem Nachweisdokument der Vertragsauslegung nach Maßgabe der §§ 133, 157, 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zugänglich und als „Begleitumstände“ entsprechend zu berücksichtigen sind6. Hinzu kommt, dass ein fehlerhafter Nachweis – auch wenn er in Form der Wissenserklärung erfolgt – nicht nur zu Bußgeldern führen kann. Fehlerhafte oder fehlende Nachweise können auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers zur Folge haben7. Außerdem erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Arbeitsgerichte auf der Grundlage
5
6 7
So Grimm, Bearbeitungshilfe zur Erteilung des Arbeitgebernachweises nach dem NachwG ab dem 1.8.2022, ArbRB-Blog (abrufbar unter: https://www.arbrb.de/blog/ 2022/06/29/bearbeitungshilfe-zur-erteilung-des-arbeitgebernachweises-nach-demnachwg-ab-dem-1-8-2022; zuletzt abgerufen am 20.10.2022). Vgl. BAG v. 4.11.2001 – 10 AZR 152/01, AiB 2003, 46; BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002. Vgl. BAG v. 5.11.2003 – 5 AZR 469/02, NZA 2004, 102; BAG v. 17.4.2002 – 5 AZR 89/01, NZA 2002, 1096; ErfK/Preis, NachwG § 2 Rz. 38 f.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
von Art. 15 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2019/1152/EU eine Vermutung zu Gunsten des Arbeitnehmers anstellen, wenn die gesetzlichen Nachweispflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt werden8. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoller, in einem einzigen Arbeitsvertragsdokument nach Möglichkeit umfassend und zutreffend festzuhalten, welche Arbeitsbedingungen gelten sollen. Eine andere Beurteilung ist lediglich bei den sog. Altbeschäftigten geboten, sollten sie einen schriftlichen Nachweis verlangen. Hier besteht nach § 5 NachwG die Pflicht zur Nachunterrichtung, für die ein gesondertes Nachweisdokument vorzubereiten ist, das die Besonderheiten der jeweiligen Vertragssituation erfasst.
c)
Schriftformerfordernis anstatt Digitalisierung
Dass die Bundesregierung, die sich die Digitalisierung zum Ziel gesetzt hat9, die Unternehmen durch §§ 2, 3, 5 NachwG weiterhin verpflichtet, den Nachweis der Arbeitsbedingungen in Schriftform zu überlassen, ist anachronistisch und lässt auch unberücksichtigt, dass Art. 3 Richtlinie 2009/1152/EU einen Nachweis in elektronischer Form zugelassen hätte. Die Betriebspraxis muss dies jetzt aber akzeptieren. Dass eine qualifizierte elektronische Signatur – wie bei befristeten Arbeitsverträgen nach § 4 Abs. 4 TzBfG – anstelle der Schriftform zulässig wäre10, stellt angesichts des Aufwands dieser Alternative bedauerlicherweise keine Hilfe dar. Damit ist sicherzustellen, dass ein entsprechendes Dokument eigenhändig von einer hierzu berechtigten Person unterzeichnet und sein Zugang beim Arbeitnehmer nachgewiesen wird. Das gilt auch für die täglichen Veränderungen (z. B. Gehaltserhöhung, Beförderung oder Änderung des Arbeitsorts), was gerade durch die häufige Arbeit von Arbeitnehmern im Homeoffice einen zusätzlichen Aufwand für die Unternehmen bedeutet.
d)
Fristen für die Überlassung des Nachweises
Unpraktikabel sind auch die Fristen, innerhalb derer ein solcher Nachweis erbracht werden soll. So sieht § 2 Abs. 1 S. 4 NachwG vor, dass dem Arbeitnehmer die Niederschrift mit den Angaben zu den Vertragsparteien, der Arbeitszeit und dem Urlaub spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung, die Niederschrift mit den Angaben insbesondere zum Beginn des Arbeitsverhältnisses, zum Arbeitsort, zur Tätigkeit und zum Entgelt spätestens am siebten Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses 8 EuArbRK/Kolbe, RL 2019/1152/EU Art. 15 Rz. 2. 9 Vgl. Koalitionsvertrag 2022 Rz. 153 ff. 10 Zum Meinungsstand vgl. Norda/Stoecker/Wilde, NZA 2022, 8, 9 ff.
399
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
und die Niederschrift mit den übrigen Angaben spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen ist. Es ist schlicht praxisfern anzunehmen, dass eine solche Zersplitterung des Nachweises der wesentlichen Arbeitsbedingungen erfolgt, ausgehend davon, dass diese Bedingungen in der Regel in einem einzigen Arbeitsvertrag sowie ergänzenden Vereinbarungen, auf die verwiesen wird, enthalten sind. Will man diese Vervielfältigung des Zeitpunkts des Nachweises vermeiden, müssen die Unternehmen gewährleisten, dass der Arbeitsvertrag mit allen erforderlichen Nachweisen spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer übergeben wird. Hinzu kommt die Herausforderung, jeweils auch den Zugang nachzuweisen, um die Erfüllung der Nachweispflicht im Bestreitensfall auch darlegen zu können. Diese Nachweisvorgabe betrifft auch Arbeitsverhältnisse, die bereits vor dem 1.8.2022 bestanden haben. So bestimmt § 5 S. 1 NachwG, dass dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung beim Arbeitgeber die Niederschrift mit den Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 bis 10 NachwG auszuhändigen ist. Die Niederschrift mit den übrigen Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG ist spätestens einen Monat nach Zugang der Aufforderung auszuhändigen. Soweit mit Arbeitnehmern bereits vor dem 1.8.2022 ein Vertrag geschlossen wurde, das Arbeitsverhältnis aber erst nach diesem Stichtag beginnen soll, wird man von einer Nachweispflicht ausgehen müssen, die bereits am ersten Arbeitstag zu erfüllen war. Denn es kommt bei der Sonderregelung für AltBeschäftigte in § 5 S. 1 NachwG nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern den Beginn des Arbeitsverhältnisses an. Diese Vorgaben in Bezug auf einen schriftlichen Nachweis einer Änderung des Arbeitsvertrags kommen gemäß § 3 S. 1 NachwG nicht nur bei einvernehmlichen Änderungen, sondern auch bei einer Änderungskündigung zum Tragen. Dabei stellt die Kündigung selbst noch nicht den schriftlichen Nachweis dar, obwohl auch sie schriftlich erfolgen muss (§ 623 BGB). Die Änderung des Vertrags wird frühestens mit der Annahme des Angebots durch die jeweils andere Vertragspartei wirksam, der die Annahme auch zugehen muss. Der schriftliche Nachweis gegenüber dem Arbeitnehmer sollte daher erst erbracht werden, wenn das Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrags – ggf. mit dem Vorbehalt einer sozialen Rechtfertigung – angenommen wurde. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage, nach der der Nachweis erst einen Monat nach der Änderung erfolgen musste, verlangt § 3 S. 1 NachwG jetzt allerdings, dass der Nachweis bereits an dem Tag erfolgen muss, an dem die Änderung wirksam wird. 400
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
Keiner Nachunterrichtung bedarf es, wenn die Änderung von Arbeitsbedingungen auf einer Umgestaltung des Gesetzes oder der einschlägigen Kollektivvereinbarungen beruht und ausdrücklich auf die jeweils gültige Fassung verwiesen wurde. Dies stellt der Gesetzgeber in § 3 S. 2 NachwG klar.
e)
Anwendbarkeit bei Betriebs- und Betriebsteilübergang nach § 613 a BGB
Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang löst zunächst einmal die Unterrichtungspflicht nach § 613 a Abs. 5 BGB aus, die durch Veräußerer oder Erwerber erfüllt werden kann. Dass sich dadurch die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen verändern, ist nach § 3 S. 2 NachwG zwar unerheblich. Das gilt selbst dann, wenn der frühere Nachweis im Arbeitsverhältnis damit falsch wird, weil er noch auf andere Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Bezug nimmt. Problematisch ist aber, dass mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses immer zumindest eine Änderung jedenfalls des Arbeitgebers als Vertragspartei verbunden ist, über die an sich nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 NachwG zu unterrichten ist. Daneben kann der Betriebs- oder Betriebsteilübergang durch die Parteien zum Anlass weiterer Änderungen genommen werden, die nachweispflichtige Arbeitsbedingungen betreffen. Da der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen § 613 a Abs. 5 BGB (Textform/Unterrichtung durch Veräußerer oder Erwerber) und §§ 2, 3 NachwG (Schriftform/Nachweis durch (neuen) Arbeitgeber) ungeregelt gelassen hat, wird man wohl von einer parallelen Verpflichtung ausgehen müssen11. Das ist zwar völlig überflüssig, löst einen enormen Aufwand der beteiligten Rechtsträger aus und wäre durch das Unionsrecht nicht vorgegeben, dürfte aber aus der verschiedenartigen Ausgestaltung der Unterrichtungspflichten in §§ 613 a Abs. 5 BGB, 2, 3 NachwG und ihrem unterschiedlichen Zweck folgen. Hätte der Gesetzgeber dies abweichend regeln wollen, hätte er festlegen müssen, dass die Unterrichtung nach § 613 a BGB ausreichend ist, selbst wenn sie durch den übertragenden Rechtsträger vorgenommen wird. Dabei hätte er allerdings klarstellen müssen, dass dies nur dann gilt, wenn (1) die Unterrichtung jedenfalls auch im Namen des übernehmenden Rechtsträgers erfolgt und (2) gewährleistet ist, dass der betroffene Arbeitnehmer die Informationen speichern und ausdrucken kann und (3) der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält. Das sind nämlich die weitergehenden Vorgaben in Richtlinie 2019/1152/EU, die sich insoweit von 11 Abw. Falter/Bissels/Meißner, DB 2022, 2217; Langner/Jöris, DStR 2022, 2060, die § 613 a Abs. 5 BGB als lex specialis kennzeichnen wollen.
401
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
den Regelungen in Art. 7 Richtlinie 2001/23/EU, die ohnehin vom Grundsatz her auf eine Unterrichtung und Beratung mit Arbeitnehmervertretern ausgerichtet ist, unterscheiden. Arbeitgeber, die von einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang bzw. einer Umwandlung betroffen sind, stehen nun vor der Frage, ob man den Aufwand einer schriftlichen Unterrichtung im Namen des Erwerbers jedenfalls so lange trotzdem in Kauf nimmt, bis eine höchstrichterliche Klarstellung vorliegt. Dafür spricht jedenfalls die Bußgeldverpflichtung in § 4 NachwG, die zur Anwendung kommen kann, wenn man §§ 2, 3 NachwG auch bei solchen Übertragungsvorgängen im Anwendungsbereich von § 613 a Abs. 5 BGB für anwendbar hält. Dagegen spricht lediglich, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Risikos gering erscheint, so dass das Bußgeld angesichts der bereits durch § 613 a Abs. 5 BGB gewährleisteten Unterrichtung am unteren Ende ausgerichtet sein muss und man – wie nachfolgend aufgezeigt wird – über den Grundsatz der Tateinheit nur zu einem einzigen Bußgeld mit Blick auf die fehlerhafte Unterrichtung anlässlich des Übertragungsvorgangs kommen muss. Voraussetzung ist aber, dass die Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB jedenfalls auch im Namen des Erwerbers erfolgt, so dass schlussendlich nur die fehlende Schriftform im Raum steht.
f)
Angaben zur Vertragsdauer
Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NachwG ist nunmehr nicht nur eine Angabe der vorhersehbaren Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch – sofern vereinbart – des konkreten Enddatums erforderlich. Bei der Zeitbefristung reicht es, auf das Datum zu verweisen, an dem der Vertrag ohne Ausspruch einer Kündigung endet. Bei einer auflösenden Bedingung ist das Ereignis, das zur Beendigung führen soll, aufzuzeigen. Falls eine Zweckbefristung erfolgt, muss neben dem Zweck auch auf die Frist des § 15 Abs. 2 TzBfG verwiesen werden. Wichtig ist, unabhängig von den Regelungen im NachwG auch das Schriftformerfordernis aus § 14 Abs. 4 TzBfG einzuhalten12. Eine formwirksame Befristung des Arbeitsverhältnisses setzt nämlich ohnehin voraus, dass die schriftliche Angabe den Endtermin oder den zu erreichenden Zweck benennt13. Soweit dabei zulässigerweise auf eine qualifizierte elektronische Signatur zurückgegriffen wird (§ 126 b BGB)14, erfüllt dies auch die Vorga12 ErfK/Preis, NachwG § 2 Rz. 13. 13 Vgl. BAG v. 14.12.2016 – 7 AZR 797/14, NZA 2017, 638 Rz. 13. 14 Ebenso ArbR-HB/Linck, § 32 Rz. 52 f.
402
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
ben des NachwG. Textform, die durch DocuSign, eine eingescannte Unterschrift oder vergleichbare Produkte gewahrt würde, genügt indes nicht15.
g)
Angaben zum Arbeitsort
In den schriftlichen Nachweis gehörte bereits vor der Umsetzung der Richtlinie ein Hinweis auf den Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NachwG). Das widerspricht zwar der materiellen Rechtslage. Denn das BAG geht gerade dann, wenn der Arbeitsvertrag zum Arbeitsort schweigt, auf der Grundlage von § 106 S. 1 GewO davon aus, dass der Arbeitnehmer auch an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann16. Die Transparenz der für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen lässt es aber nachvollziehbar erscheinen, dass der Arbeitsort oder – falls vereinbart – auch ein ortsbezogenes Direktionsrecht genannt werden. Schweigt der Arbeitsvertrag deshalb zum Arbeitsort, droht jetzt nicht nur ein Bußgeld nach § 4 NachwG. Denkbar ist auch, dass bei einer beabsichtigten Versetzung an einen anderen Ort zu Gunsten des Arbeitnehmers vermutet wird, dass der Einsatz an sich nur am bisherigen Arbeitsort möglich war, wenn nicht in Schriftform festgehalten wurde, dass der Arbeitnehmer auch an anderen Orten eingesetzt werden kann (vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2019/1152/EU). Gegen den Willen des Arbeitnehmers kann die Änderung des Arbeitsorts dann nur durch Änderungskündigung durchgesetzt werden. Losgelöst davon sieht die gesetzliche Neuregelung vor, dass im Nachweis auch erfasst werden soll, wenn der Arbeitnehmer das Recht hat, seinen Arbeitsort frei zu wählen. Damit will der Gesetzgeber einer veränderten sozialen Arbeitswirklichkeit Rechnung tragen, wonach Arbeitnehmer zunehmend auch an wechselnden Arbeitsorten oder im Homeoffice tätig werden. Problematisch daran ist, dass es nicht genügt, auf eine etwaige Regelung im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu mobiler Arbeit bzw. dem Homeoffice zu verweisen. Denn § 2 Abs. 4 NachwG nennt § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NachwG nicht. Insofern müsste der Hinweis, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort frei wählen kann, mit dem Zusatz verknüpft werden „nach den Maßgaben der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung XY“. Dieser Hinweis ist in Schriftform auch dann erforderlich, wenn erst nach dem 1.8.2022 eine Betriebsvereinbarung über mobile Arbeit abgeschlossen wird. Dass dies tat15 Vgl. anhängige Verfahren beim LAG Berlin-Brandenburg unter den Az. 20 Ca 8498/21 und 20 Ca 8500/21. 16 Vgl. BAG v. 13.6.2012 – 10 AZR 296/11, NZA 2012, 1154 Rz. 17.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sächlich für mehr Transparenz im Arbeitsverhältnis sorgt, erscheint zweifelhaft. Sonst besteht, insbesondere bei einer Einbindung im Arbeitsvertrag, das Risiko, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort kraft Vereinbarung unabhängig von den Vorgaben der Kollektivvereinbarung festlegen kann.
h)
Dauer der Probezeit
Im schriftlichen Nachweis ist nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 NachwG weiterhin – sofern vereinbart – die Dauer einer etwaigen Probezeit anzugeben. Nunmehr ist in diesem Zusammenhang aber auch zu berücksichtigen, dass § 15 Abs. 3 TzBfG für das befristete Arbeitsverhältnis eine Höchstdauer der Probezeit bewirkt. Danach darf die hier vereinbarte Probezeit nicht außer Verhältnis zu der erwarteten Dauer des Arbeitsverhältnisses und der Art der Tätigkeit stehen. Generell darf sie nicht länger als sechs Monate dauern17. Insbesondere bei einfachen Tätigkeiten kann dies im befristeten Arbeitsverhältnis eine Verkürzung der Probezeit erforderlich machen. Bedauerlicherweise verzichtet der Gesetzgeber auf eine Klarstellung, welche Dauer angemessen ist, auch wenn es gut vertretbar erscheint, generell eine Dauer von sechs Monaten noch für angemessen zu halten18. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber auch eine Befristung zum Zwecke der Erprobung für die Dauer von sechs Monaten erlaubt. Folgt ein Arbeitsgericht dieser Bewertung allerdings nicht, könnte es zur Annahme kommen, dass die Probezeit zu lang gewählt wurde. Damit die daraus folgende Unwirksamkeit der vereinbarten Dauer der Probezeit nicht die Befristung insgesamt gefährdet, sollte die Probezeitvereinbarung getrennt von der Befristungsabrede getroffen und zugleich klargestellt werden, dass dies nur Bedeutung für die Anwendbarkeit einer kürzeren Kündigungsfrist hat („Die ersten X Monate gelten dabei als Probezeit; in dieser Zeit kann das Arbeitsverhältnis wechselseitig mit einer Frist von Y gekündigt werden“). Dann hat die Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Dauer der Probezeit nur die Geltung einer längeren Kündigungsfrist zur Folge, was auch in der Betriebsratsanhörung und dem Kündigungsschreiben durch eine Kündigung zum nächstzulässigen Termin berücksichtigt werden sollte. Bei allen Überlegungen ist es wichtig, den Begriff der Probezeit in § 15 Abs. 3 TzBfG nicht mit dem der Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG gleichzusetzen. Unternehmen werden durch die gesetzliche Veränderung also nicht verpflichtet, schon vor Ablauf der sechs Monate eine Kündigung nur mit so-
17 ErfK/Preis, NachwG § 1 Rz. 5 c; Bayreuther, NZA 2022, 954. 18 So Preis/Schulze, NJW 2022, 2297 Rz. 24.
404
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
zialer Rechtfertigung auszusprechen. Vielmehr ist die Probezeit i. S. d. § 15 Abs. 3 TzBfG (nur) als ein Zeitraum zu verstehen, innerhalb dessen auf der Grundlage von § 622 Abs. 3 BGB bzw. eines Tarifvertrags eine kürzere Kündigungsfrist vereinbart werden kann.
i)
Angaben zur Vergütung
In den Nachweis sind nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG auch Angaben zur Zusammensetzung und zur Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, der Prämien und Sonderzahlungen sowie der anderen Bestandteile des Arbeitsentgelts, jeweils getrennt19 aufzunehmen und um Angaben zur Fälligkeit und Art der Auszahlung zu ergänzen. Dabei werden Geld- und Sachleistungen gleichermaßen erfasst. Bedeutung hat dies beispielsweise für AT-Verträge, bei denen häufig eine pauschale Abgeltung etwaiger Überstunden bzw. Mehrarbeit vereinbart wird. Solche Abgeltungsklauseln verstoßen damit nicht nur gegen § 307 Abs. 1 BGB und sind unwirksam20. Mit ihrer weiteren Verwendung dürfte wohl auch gegen § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG verstoßen werden, weil damit keine getrennte Angabe der Vergütung von Überstunden erfolgt. Denkbar – aber personalpolitisch herausfordernd – dürfte allerdings sein, dass in den Grenzen des MiLoG vereinbart wird, dass etwaige Überstunden nicht vergütet werden. Vor dem Hintergrund dieser Vorgaben reicht es künftig nicht mehr aus, nur die Höhe des Arbeitsentgelts zu benennen. Der Arbeitsvertrag muss auch Angaben zur Art und Weise der Auszahlung sowie zur Fälligkeit des Arbeitsentgelts beinhalten. Folgender Formulierungsvorschlag erfüllt diese Nachweisverpflichtung: Das monatliche Arbeitsentgelt beträgt [Betrag] € (brutto) und wird auf das vom Arbeitnehmer angegebene inländische Bankkonto überwiesen. Das Arbeitsentgelt wird jeweils zum Monatsende mit Ablauf des [Tag] fällig.
In entsprechender Weise sind auch eine vorgesehene Überstundenvergütung, eine variable Vergütung, ein 13. Monatseinkommen oder eine sonstige Sonderzahlung bzw. Prämie im Arbeitsvertrag festzuhalten. Das gilt auch für eine etwaige Inflationsprämie. 19 Die „getrennte“ Angabe wird ausdrücklich im Gesetzentwurf der Bundesregierung hervorgehoben: BT-Drucks. 20/1636 S. 26. 20 BAG v. 1.9.2010 − 5 AZR 517/09, NZA 2011, 575 Rz. 15 f.
405
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Erhebliche Bedeutung hat der Umstand, dass in diesem Zusammenhang auch von der in § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG enthaltenen Ersetzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und auf den insoweit einschlägigen Tarifvertrag bzw. die maßgebliche Betriebsvereinbarung verwiesen werden kann, wenn diese die maßgeblichen Regelungen beinhalten. Dabei genügt aber nicht nur ein abstrakter Hinweis auf die „im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge“. Das zeigt ein Vergleich des Wortlauts von § 2 Abs. 4 NachwG einerseits und § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG andererseits. Vielmehr muss die in Bezug auf den jeweiligen Entgeltbestandteil maßgebliche Kollektivvereinbarung in bestimmbarer Weise so konkret genannt werden, dass der Arbeitnehmer bereits aus dem Arbeitsvertrag heraus erkennen kann, welcher Tarifvertrag bzw. welche Betriebsvereinbarung gemeint ist. Das betrifft nicht nur die vorstehend genannten Vergütungsbestandteile, sondern auch Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld, die in Bezug auf Anspruchsvoraussetzungen, Höhe und Fälligkeit häufig durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt sind. Bei einer Tarifbindung kann der Nachweis des Gehalts auch durch den Hinweis auf eine Eingruppierung und das daraus folgende Tarifentgelt ersetzt werden. Dass der Tarifvertrag, auf den verwiesen wird, die maßgeblichen Regelungen (Höhe, Art und Weise der Auszahlung und Fälligkeit) auch enthält, muss aber im Arbeitsvertrag ausdrücklich klargestellt werden. Auch wenn das BAG dies in der Regel vermutet21, sollte dabei auch klargestellt werden, dass die Bezugnahme die „jeweils gültige“ Kollektivvereinbarung meint, also dynamischen Charakter hat. Allerdings sollte zugleich darauf verwiesen werden, dass diese Bezugnahme nach Maßgabe der generellen Bezugnahmeklausel erfolgt, bei einer großen dynamischen also dann ihren dynamischen Charakter verliert und/oder auf einen anderen Tarifvertrag verweist, wenn die gesetzliche Tarifbindung des Arbeitgebers sich verändert oder beendet wird. Nicht übersehen werden darf im Übrigen, dass zum „Arbeitsentgelt“ streng genommen auch seine Fortzahlung bei Krankheit oder Urlaub gehören. Zwar muss nicht auf gesetzliche Entgeltfortzahlungsvorschriften verwiesen werden. Wenn – was insbesondere im Zusammenhang mit Vereinbarungen über eine Flexibilisierung der Arbeitszeit häufig geschieht – in den maßgeblichen Kollektivvereinbarungen aber von §§ 3, 3 a, 1 EFZG, 11 BUrlG abweichende Regelungen zur Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts getroffen werden, dürfte dies durch Bezugnahme auf die einschlägige Kollektivvereinbarung in den Nachweis aufgenommen werden müssen.
21 B. Gaul, AktuellAR 2022, 568 ff.
406
Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
j)
Angaben zur Arbeitszeit
Soweit nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 NachwG darüber hinaus Angaben zur vereinbarten Arbeitszeit, zu den vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit zum Schichtsystem, zum Schichtrhythmus und zu den Voraussetzungen für Schichtänderungen aufgenommen werden müssen, dürfte in der Regel ein Verweis auf die insoweit maßgeblichen Betriebsvereinbarungen bzw. Tarifverträge erfolgen. Ein solcher Verweis wird in § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG ausdrücklich zugelassen, muss aber hinreichend konkret sein. Im Zweifel ist dabei sicherzustellen, dass erkennbar wird, dass die individuelle Arbeitszeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen und kollektivrechtlichen Schranken nach billigem Ermessen unregelmäßig verteilt werden kann und hierzu auch Einsätze an allen Wochentagen gehören können. Das entspricht § 106 S. 1 GewO. Ein gesonderter Hinweis auf das Recht, nach billigem Ermessen auch Nacht-, Samstags-, Sonntags- oder Feiertagsarbeit anzuordnen, ist dann nicht erforderlich. Da nur „vereinbarte“ Pausen genannt werden müssen, sind Hinweise auf gesetzliche Regelungen nicht geboten. Existiert für den Betrieb hierzu jedoch keine einschlägige Kollektivvereinbarung, muss der Arbeitsvertrag diese Angaben beinhalten. Ein zusätzlicher Nachweis über individuelle Schichtänderungen innerhalb des vereinbarten Schichtsystems und -rhythmus, die auf eine Aktualisierung von Dienstplänen zurückführbar sind, ist nicht erforderlich22. Ggf. ist aber darauf zu verweisen, dass Änderungen entsprechend § 106 S. 1 GewO durch den Arbeitgeber bestimmt werden können. Eine wichtige Neuregelung in Bezug auf die Arbeit auf Abruf begründet § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 NachwG. Danach sind bei Arbeit auf Abruf in den Nachweis auch die Vereinbarung, nach der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat, die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, der Zeitrahmen, bestimmt durch Referenztage und Referenzstunden, der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, und die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat, aufzunehmen. Die materiell-rechtliche Verpflichtung, diese Schranken zu beachten, wird durch eine Neufassung von § 12 Abs. 3 TzBfG geschaffen.
k)
Angaben zur vereinbarten Anordnung von Überstunden
Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG muss der Nachweis auch erkennen lassen, ob – falls vereinbart – die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden 22 BT-Drucks. 20/1636 S. 26.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
besteht und welche Voraussetzungen und Schranken einzuhalten sind23. Es empfiehlt sich, dies mit den Regelungen zur Arbeitszeit zu verknüpfen, zumal Überstunden bei einer unregelmäßigen Verteilung der Arbeitszeit erst auftreten, wenn nach Ablauf des Ausgleichszeitraums kein (vollständiger) Ausgleich etwaiger Plusstunden erfolgt ist. Ob dabei von Mehrarbeit oder Überstunden die Rede ist, spielt keine Rolle, zumal beide Begriffe sehr uneinheitlich verwendet werden. Ihre Kennzeichnung sollte aber mit den Begriffen abgestimmt werden, die in Kollektivvereinbarungen verwendet werden, die für das Arbeitsverhältnis gelten. § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG gestattet allerdings auch insoweit den Verweis auf den einschlägigen Tarifvertrag. Unabhängig von der tariflichen Berechtigung sollte der Arbeitsvertrag aber selbst das Recht zur Anordnung von Überstunden und Mehrarbeit erkennen lassen. Das betrifft insbesondere Arbeitnehmer ohne Tarifbindung und gewährleistet das Recht zur Anordnung auch bei einer Anpassung des Tarifvertrags. Entsprechendes gilt für den Ausgleich von Überstunden und Mehrarbeit, zumal der Ausgleich in Freizeit und/oder durch Entgelt erfolgen kann. Mit Blick auf § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG muss dabei auch deutlich werden, ob bei dem Ausgleich ein etwaiger Zuschlag in Geld oder Zeit erfolgt und welche Fristen für den Ausgleich bestimmt sind.
l)
Angabe zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortbildung
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 NachwG ist der Arbeitnehmer auch darauf hinzuweisen, dass er – soweit dies vereinbart wurde – einen Anspruch auf Fortbildung hat. Sinnvoll erscheint, dies mit dem ergänzenden Hinweis zu verknüpfen, dass der Arbeitnehmer auch zur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen verpflichtet ist, die für die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit geboten sind. Dies hat den Vorteil, dass der Arbeitgeber einen solchen Anspruch gegen den Arbeitnehmer besser darlegen und im Falle der Pflichtverletzung entsprechend rechtssicher sanktionieren kann. Gibt es bei Abschluss des Arbeitsvertrags keine Zusagen zu entsprechender Fortbildung, entfällt auch die Nachweispflicht.
m)
Angaben zur betrieblichen Altersversorgung
Die gesetzgeberische Entscheidung zu Gunsten eines strengen Schriftformerfordernisses hat auch Auswirkungen auf die Praxis betrieblicher Alters-
23 Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung handelt es sich dabei nur um eine klarstellende Konkretisierung des Nachweiskatalogs: BT-Drucks. 20/1636 S. 26.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
versorgung. Das betrifft vor allem solche Unternehmen, in denen bereits digitale BAV-Vorgänge etabliert wurden. Diese Vorgänge sollten durch einen verschriftlichten Nachweis ergänzt werden, um einen bußgeldbewehrten Verstoß gegen § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 NachwG zu vermeiden. Nach der Neuregelung müssen in Arbeitsverträgen künftig der Name und die Anschrift des Versorgungsträgers angegeben werden, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt. Eines solchen Hinweises bedarf es nur dann nicht, wenn der Versorgungsträger selbst zu diesen Angaben gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet ist. Die Nachweispflicht greift auch dann nicht, wenn die dem Arbeitnehmer zugesagte Versorgung unmittelbar durch den Arbeitgeber selbst erfolgt. Der Begriff des Versorgungsträgers ist insoweit als terminus technicus (vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 2, 1 b, Abs. 2 bis 4 BetrAVG) zu verstehen, durch den der Arbeitgeber selbst exkludiert wird24. Soweit eine Nachweispflicht allerdings greift, kann diese auch durch einen Hinweis auf die insoweit maßgebliche Kollektivvereinbarung nach § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG erfüllt werden, wenn der Nachweis ausreichend konkret ist. Auch hier sollte man diesen Nachweis zudem dynamisch ausgestalten, um die erforderliche Flexibilität zu dokumentieren. Besonderheiten gelten darüber hinaus, wenn zur Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung eine Entgeltumwandlung vereinbart wird. Hier müssen zwar Zuschüsse des Arbeitgebers als Bestandteil des Arbeitsentgelts im Nachweis erfasst werden. Ob man aber – in Übereinstimmung mit einem Informationsschreiben des BMAS – davon ausgehen darf, dass die zugrunde liegende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Umwandlung des künftigen Entgeltanspruchs im Rahmen des schriftlichen Nachweises nicht erfassen muss, ist zweifelhaft. Dafür spricht zwar, dass der Arbeitsentgeltanspruch durch die Umwandlung entsprechend gemindert wird und die Darstellung des verbleibenden Entgelts die Zahlungspflicht des Arbeitgebers vollständig wiedergibt. Dagegen spricht aber, dass mit der Entgeltumwandlung Höhe und Zusammensetzung der zukünftigen Entgeltansprüche verändert werden, dass das umgewandelte Entgelt bei Überschreiten der in §§ 3 Nr. 63 S. 1 EStG, 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV genannten Prozentsätze als steuer- und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt behandelt wird und zugleich eine Anwartschaft auf Versorgungsleistungen begründet (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG), die ihrerseits als Arbeitsentgelt zu qualifizieren ist. Insofern liegt gerade keine bloße Nettoentgeltverwendungsabrede vor, mit der der Arbeitnehmer vereinbart, was er mit dem bereits ver24 ErfK/Steinmeyer, BetrAVG § 1 Rz. 3; Höfer u. a./Höfer, BetrAVG § 1 Rz. 6.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
steuerten Einkommen macht. Folgt man der letztgenannten Sichtweise, hat dies zur Folge, dass insoweit auch die Art und Weise der Auszahlung und der Fälligkeit angegeben werden müssen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Regelungen in einer Gesamtzusage enthalten sind, auf die nach § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG nicht mehr mit ersetzender Wirkung verwiesen werden kann. Unklar bleibt dann allerdings die Frage, wie hinsichtlich der Fälligkeitsangabe im Zusammenhang mit Entgeltumwandlungen im Rahmen einer vom Arbeitgeber zugesagten betrieblichen Altersversorgung umgegangen werden soll. Denkbar sind nämlich mehrere Fälligkeitszeitpunkte, die dann im Arbeitsvertrag entsprechend dargestellt werden müssten: Eintritt des Versorgungsfalls, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Erfüllung der Wartezeit, Erreichung eines bestimmten Lebensalters.
n)
Verfahren bei Kündigungen
Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG ist künftig auch das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren nachweispflichtig25. Angesichts der Komplexität des deutschen Arbeitsrechts dürfte diese Verpflichtung kaum vollständig zu erfüllen sein, wenn man vermeiden will, dass bei Abschluss des Arbeitsvertrags Lehrbücher über das Kündigungsrecht überlassen werden. Zu begrüßen ist daher die vom Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung („insbesondere“), nach der es genügt, wenn – anstelle einer Beschreibung des Verfahrens – im Nachweis das Schriftformerfordernis der Kündigung, die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Fristen zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage genannt werden26. Fristen für die Klage wegen einer Befristung (§ 17 TzBfG) werden dabei nicht genannt. Insofern dürfte es ausreichen, sich auf die Kündigung zu beschränken. Allerdings empfiehlt es sich, dabei nicht bloß einen Verweis auf die gesetzlichen Vorgaben in § 4 KSchG in den schriftlichen Nachweis aufzunehmen. Denn § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG verlangt einen eigenen Nachweis oder die Bezugnahme auf eine Kollektivvereinbarung (§ 2 Abs. 4 NachwG). Eine Bezugnahme auf das Gesetz wird als Alternative hierzu nicht genannt. Vor diesem Hintergrund könnte die nachfolgende Formulierung erfolgen: Es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB [ggf. Verweis auf tarifliche oder arbeitsvertraglich anders vereinbarte Kündigungsfristen im Rahmen des gesetzlich Zulässigen]. Die Kündigung
25 Vgl. Lunow/Pilgermayer, AiB 2022/10, 25. 26 Vgl. Falter/Bissels/Meißner, DB 2022, 2219.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
hat beiderseits schriftlich zu erfolgen. Wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin geltend machen will, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, muss er/sie innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Bei einer Klage, die gegen eine Kündigung gerichtet ist, mit der die Änderung von Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden soll, ist die Klage auf Feststellung zu erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin ab27.
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die vom Gesetzgeber getroffene Klarstellung, dass die Anwendbarkeit von § 7 KSchG damit nicht eingeschränkt wird. Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, gilt die Kündigung daher ohne Rücksicht auf das Fehlen eines entsprechenden Hinweises im schriftlichen Nachweis der Arbeitsbedingungen als wirksam28. Das erscheint auch mit Blick auf den „effet utile“-Grundsatz vertretbar, zumal davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer bei einem fehlenden oder fehlerhaften Nachweis in Bezug auf das Schriftformerfordernis, die Kündigungsfrist und/oder die Klagefrist einen Schadensersatzanspruch gegen das Unternehmen wegen schuldhafter Nichterfüllung der gesetzlichen Nachweispflicht hat. Dabei kann unterstellt werden, dass er bei rechtzeitiger Klage einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durchgesetzt hätte. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu fehlenden Hinweisen auf die für ein Arbeitsverhältnis geltenden Ausschlussfristen29. Hier nimmt das BAG nämlich an, dass der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch hat, falls er als Folge des pflichtwidrig unterlassenen Hinweises auf die für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Ausschlussfristen daran gehindert ist, einen Anspruch durchzusetzen. Das BAG unterstellt dabei, dass bei pflichtgemäßer Vorgehensweise des Arbeitgebers eine rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs erfolgt wäre30.
27 Hinter diesen Vorgaben zurückbleibend Möller, ArbR 2022, 299, 301; siehe auch den Vorschlag von Oberthür, ArbRB 2022, 221, 223. 28 Vgl. Rolfs/Schmid, NZA 2022, 949. 29 Vgl. BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379. 30 BAG v. 30.10.2019 – 6 AZR 465/18, NZA 2020, 379 Rz. 47.
411
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
o)
Bezugnahme auf Kollektivvereinbarungen
Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG ist der Arbeitgeber verpflichtet, in dem schriftlichen Nachweis einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen, aufzunehmen. Eines gesonderten Hinweises auf etwaige tarifvertragliche Ausschlussfristen bedarf es dabei auch nach der Neufassung des Gesetzes nicht. Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Nachweisverpflichtung aus § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG bereits dann vollständig erfüllt, wenn allgemein auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrags hingewiesen wird31. Aus dem Unterschied zum Verweis mit Ersetzungswirkung nach § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG kann aus dem Umstand, dass § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG nur von einem „allgemeinen Hinweis“ spricht, darauf geschlossen werden, dass insoweit weniger strenge Bestimmtheitsanforderungen gelten. Dem genügt die folgende Formulierung: Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Arbeitgeber jeweils kraft Gesetzes maßgeblichen Bestimmungen des Firmen- oder Verbandstarifvertrags in seiner jeweils geltenden Fassung Anwendung, in deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fällt. Derzeit sind dies die Tarifverträge der X Branche. Daneben gelten für das Arbeitsverhältnis die vom Arbeitgeber abgeschlossenen verbindlichen Betriebsvereinbarungen, in deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis fällt.
Die vorstehende Klausel gewährleistet, dass die dynamische Bindung an einen Tarifvertrag endet, wenn der Arbeitgeber kraft Gesetzes nicht (mehr) an eine Neufassung gebunden ist. Das kann beispielsweise nach Austritt aus dem Arbeitgeberverband oder nach Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a BGB auf einen Arbeitgeber ohne Tarifbindung der Fall sein. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Nachweis der für das Arbeitsentgelt geltenden Bedingungen aufgezeigt wurde, kann in der betrieblichen Praxis ein Problem allerdings dadurch entstehen, dass an anderen Stellen des Arbeitsvertrags ebenfalls auf einen bestimmten Tarifvertrag verwiesen wird, ohne dass dort deutlich gemacht wird, dass dabei – wie in der allgemeinen Bezugnahmeklausel vorgesehen – als Bedingung eine gesetzliche Bindung 31 BAG v. 23.01.2002 – 4 AZR 56/01, NZA 2002, 800. Für eine ausdrückliche Aufnahme von Ausschlussfristen in den Nachweiskatalog des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG plädierend Maul-Sartori, RdA 2021, 171, 178.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
des Arbeitgebers an diesen Tarifvertrag gelten soll. Hier kann es sinnvoll sein, im Zusammenhang mit der allgemeinen Bezugnahme klarzustellen, dass der dort geregelte Mechanismus auch bei den übrigen Bezugnahmen innerhalb des Arbeitsverhältnisses gelten soll. Sinngemäß kann insoweit formuliert werden: Soweit in diesem Vertrag an anderer Stelle auf Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung verwiesen wird, setzt dies die hier genannte Tarifbindung voraus.
Alternativ kann an den übrigen Stellen im Arbeitsvertrag (z. B. Arbeitsentgelt, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsfristen) auf „den nach Maßgabe von Nr. X des Arbeitsvertrags geltenden Tarifvertrag Y“ verwiesen werden. Schließlich muss auch der gesetzgeberischen Anerkennung von Tarifpluralität im Betrieb nach § 4 a Abs. 2 S. 1 TVG Rechnung getragen und das in diesem Zusammenhang auf den Plan geworfene Konkretisierungsbedürfnis in Ansehung des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG befriedigt werden. Eine einfache Regelung hierzu könnte wie folgt lauten: Fällt das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich mehrerer für den Arbeitgeber kraft Gesetzes verbindlicher Tarifverträge zum gleichen Gegenstand, ist insoweit jeweils der nach seinem Geltungsbereich speziellere Tarifvertrag maßgeblich. Handelt es sich um Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften, ist der Tarifvertrag maßgeblich, dessen Geltung durch § 4 a TVG bestimmt wird.
p)
Anpassungsbedarf in Bezug auf bisherige Nachweistatbestände
Das NachwG hat in Ansehung der nunmehr enthaltenen Bußgeldandrohung für die Unternehmenspraxis eine gesteigerte Bedeutung erfahren. Das macht es erforderlich, auch die „alten“, unverändert fortgeschriebenen Nachweistatbestände punktuell noch einmal zu überdenken und nach rechtssicheren Gestaltungsmöglichkeiten zu fragen. aa)
Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
Arbeitsverträge enthalten häufig die Angabe, dass der Arbeitnehmer „mit Wirkung zum [Datum] eingestellt wird.“ Hier könnte mit Blick auf § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NachwG vorsorglich um folgende Formulierung ergänzt werden: „Zu diesem Zeitpunkt beginnt das Arbeitsverhältnis.“
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
bb)
Charakterisierung oder Beschreibung der Arbeitstätigkeit
Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NachwG muss der Nachweis auch eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit enthalten. Damit gehen erhöhte Bestimmtheitsanforderungen für die Nachweisverpflichtung einher, die durch Arbeitsverträge häufig nicht erfüllt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dort nur die Angabe der Jobbezeichnung (z. B. „Werkzeugmechaniker“) oder der Hinweis enthalten ist, dass man als „kaufmännischer Angestellter“ eingestellt werde. Als weitere Konkretisierung ist dann zum Teil nur eine Bezugnahme auf eine Tarifgruppe vorgesehen, in die der Arbeitnehmer eingruppiert wird. Hiervon ausgehend ist die Angabe einer Bezeichnung der auszuübenden Tätigkeit vorsorglich um eine stichwortartige Beschreibung der Aufgaben zu ergänzen, die dem Arbeitnehmer zunächst zugewiesen werden. Daran anschließend sollte im Rahmen einer üblichen Direktionsklausel deutlich gemacht werden, dass der Arbeitgeber diese Funktion und/oder diese Aufgaben nach billigem Ermessen ändern kann, sofern die neue Tätigkeit gleichwertig ist und sich im Rahmen der übergeordneten Bezeichnung des vereinbarten Jobs bewegt. cc)
Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
Unverändert fortgeschrieben wurde auch die in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 NachwG enthaltene Nachweisverpflichtung, nach der die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs anzugeben ist. Hierzu gehört eine Angabe des bezahlten Erholungsurlaubs, beziffert in Arbeits- oder Werktagen32. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, auf den – sofern gegeben – insoweit einschlägigen Tarifvertrag zu verweisen und den Jahresurlaub in Arbeitstagen wie folgt anzugeben: Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Jahresurlaub nach den Bestimmungen des Tarifvertrags [bestimmbare Bezeichnung des konkreten Tarifvertrags] in seiner jeweils gültigen Fassung. Derzeit sind dies 30 Arbeitstage auf der Grundlage einer Fünf-Tage-Woche.
Falls der Erholungsurlaub nur individualrechtlich vereinbart wurde, sollte deutlich zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglichen Mehrurlaub unterschieden werden. Denn dann können jedenfalls für den Mehrurlaub vom Gesetz abweichende Regelungen getroffen werden, die beispielsweise die Geltendmachung, die Übertragung oder die Abgeltung für den Fall der Vertragsbeendigung betreffen.
32 Vgl. BAG v. 24.05.2017 – 5 AZR 251/16 n. v.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
Im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung empfiehlt es sich, den Nachweis der Dauer des Urlaubs mit Blick auf die Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 2 lit. i Richtlinie 1152/2019/EU sinngemäß wie folgt zu ergänzen: Weitere Einzelheiten des Urlaubsanspruchs richten sich insbesondere in Bezug auf die Modalitäten der Gewährung und seine Festlegung nach den Regelungen des BUrlG sowie den Bestimmungen des vorstehend genannten Tarifvertrags.
q)
Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse und Leiharbeitnehmer
Soweit der Arbeitnehmer grenzüberschreitend eingesetzt wird, sind weitergehende Erfordernisse aus § 2 Abs. 2, 3 NachwG zu beachten. Wichtig ist, dass die entsprechenden Nachweise in Form einer Niederschrift bereits vor der Abreise ins Ausland ausgehändigt werden müssen. Sollte der Auslandsaufenthalt am Anfang des Arbeitsverhältnisses geplant sein, könnte daraus folgen, dass sich die Monatsfrist verkürzt oder ganz wegfällt. In Bezug auf das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher ist in § 11 Abs. 2 S. 4 AÜG festgelegt, dass dem Arbeitnehmer auch die Firma und Anschrift des Entleihers, dem er überlassen wird, in Textform mitgeteilt wird. Außerdem ist der Entleiher gemäß § 13 a Abs. 2 AÜG verpflichtet, einem Leiharbeitnehmer, der ihm seit mindestens sechs Monaten überlassen ist und der ihm in Textform den Wunsch nach Übernahme angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen. Das Recht entfällt nur dann, wenn dieser Wunsch in den letzten zwölf Monaten bereits angezeigt wurde. Freilich gelten für Leiharbeitnehmer unabhängig von den Vorgaben in § 11 AÜG auch die allgemeinen Regelungen zum Nachweis wesentlicher Arbeitsbedingungen aus § 2 NachwG. Bei einer Anpassung der Arbeitsverträge ist allerdings darauf zu achten, dass die Voraussetzungen einer Abweichung vom Grundsatz des Equal-Treatment bzw. Equal-Pay gemäß § 8 Abs. 2 bis 4 AÜG erfüllt werden. Wir hatten darauf bereits hingewiesen33.
r)
Nachweis durch Bezugnahme auf die anwendbaren Kollektivvereinbarungen
Das NachwG erlaubt Arbeitgebern durch § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG weiterhin, die nachweispflichtigen Angaben durch einen Verweis auf einschlägige
33 B. Gaul, AktuellAR 2022, 23 f.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Rechtsquellen zu erfüllen. Dies erscheint auch praktikabel, erleichtert es doch den administrativen Aufwand für Arbeitgeber, für jeden Arbeitnehmer die für ihn passenden Regelungen aus den Rechtsquellen herauszufiltern. Aus Gründen der Klarstellung empfiehlt es sich, die Bezugnahme auf die Kollektivvereinbarung auch im sachlichen und systematischen Zusammenhang, also in der jeweiligen Klausel, vorzunehmen, in der im Übrigen die jeweils nachweispflichtigen Arbeitsbedingungen genannt werden. Dabei bedarf es einer so genauen Bezeichnung der einschlägigen Kollektivvereinbarung, dass diese aus der Perspektive eines verständigen Durchschnittsarbeitnehmers ermittelbar ist. Jedenfalls bei Verbandstarifverträgen setzt dies in der Regel nicht voraus, dass die Parteien des Tarifvertrags und das Datum seiner aktuellen Fassung genannt werden. Allerdings sollte klargestellt werden, ob eine dynamische Bezugnahme gewünscht ist. Sollten die jeweiligen Arbeitsbedingungen, was beispielsweise bei Entgelt- und Entgeltrahmentarifverträgen der Fall sein kann, in verschiedenen Tarifverträgen geregelt sein, müssen alle maßgeblichen Tarifverträge so konkret genannt werden, dass sie aus der Perspektive eines verständigen Durchschnittsarbeitnehmers bestimmbar sind. Soweit der Tarifvertrag beim Arbeitsentgelt auch die Art und Weise der Auszahlung sowie die Fälligkeit regelt, ist auch hierauf hinzuweisen. Der Gesetzgeber hat den Tatbestand ersetzungsfähiger Rechtsquellenverweise allerdings erheblich verkürzt. Nicht mehr erfasst sind insbesondere Gesamtzusagen und betriebliche Übungen, die innerhalb der Unternehmenspraxis in aller Regel noch unter die „ähnlichen Regelungen“ subsumiert wurden34. Soweit darin Arbeitsbedingungen geregelt sind, die von einer Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG erfasst werden, muss der Nachweis dieser Regelung in den Arbeitsvertrag bzw. das Unterrichtungsschreiben nach § 5 NachwG selbst aufgenommen werden, was wegen des Schriftformerfordernisses eine Abschrift oder die verkörperte Anlage, die fest mit dem Nachweis verknüpft ist, erforderlich macht. Erhebliche Bedeutung hat dies für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung, in dem Regelungen vielfach noch durch Gesamtzusage getroffen werden. Hier ist es nicht ausreichend, auf die entsprechende Versorgungszusage zu verweisen. Vielmehr müssen maßgebliche Regelungen als Bestandteil des Arbeitsentgelts in den schriftlichen Nachweis gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 NachwG aufgenommen werden. Entsprechende Probleme bestehen bei dieser Umsetzung bei leitenden Angestellten sowie in Betrieben ohne Be-
34 Abw. bereits ErfK/Preis, NachwG § 2 Rz. 33.
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
triebsrat, weil in diesen Fällen gar keine Betriebsvereinbarungen geschaffen werden können. Das muss durch den Gesetzgeber korrigiert werden, da man angesichts der Abweichung vom früheren Wortlaut des Gesetzes und der Diskussion über diesen Aspekt wohl nicht von einer planwidrigen Regelungslücke sprechen kann, die im Wege der Analogie geschlossen werden kann. Dabei sollten neben „ähnlichen Regelungen“ auch Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss genannt werden. Denn auch diese Form der Kollektivvereinbarung wäre nach dem derzeitigen Entwurf durch § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG nicht mehr erfasst. Diese Verkürzung der Ersetzungsmöglichkeit gilt allerdings nur im Zusammenhang mit nachweispflichtigen Tatbeständen i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG. Möglich bleibt ein Verweis auf „ähnliche Regelungen“, beispielsweise in Gestalt von Gesamtzusagen, weiterhin, wenn insoweit nicht nachweispflichtige Arbeitsbedingungen betroffen sind. Darüber hinaus kann zur Konkretisierung der Nachweispflicht gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NachwG, wonach eine Charakterisierung oder Beschreibung der Arbeitstätigkeit zu erfolgen hat, auch auf eine Stellenbeschreibung verwiesen werden, wenn diese dem Arbeitsvertrag unter Wahrung des Schriftformerfordernisses körperlich verbunden angehängt ist. Wichtig ist dann aber durch einen klaren Bezug im Rahmen der Direktionsklausel deutlich zu machen, dass die in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben arbeitgeberseitig nach billigem Ermessen geändert werden können.
s)
Beweislastumkehr und Bußgeldvorschriften
Die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten wird nicht nur durch den bereits angesprochenen Schadensersatzanspruch abgesichert. Nicht ausgeschlossen ist, dass auch die Beweislastumkehr35, die in Art. 15 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2019/1152/EU vorgesehen ist, durch die Arbeitsgerichte genutzt wird, um die Durchsetzung von Ansprüchen eines Arbeitnehmers zu stärken. Dass der Gesetzgeber daran festgehalten hat, die Einhaltung der geänderten Nachweiserfordernisse über die Einstufung eines Nachweispflichtverstoßes flankierend als Ordnungswidrigkeit abzusichern, ist bedauerlich. Ordnungswidrig handelt nach § 4 NachwG, wer eine der in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG genannten Vertragsbedingungen entgegen § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise 35 Umstritten ist allerdings die Reichweite dieser Regelung; vgl. hierzu EuArbRK/Kolbe, RL 2019/1152/EU Art. 15 Rz. 8; für Beweislastumkehr Däubler/Hjort/Schubert/ Wolmerath/Schubert, NachwG § 2 Rz. 32; ErfK/Preis, NachwG § 2 Rz. 44; für Anscheinsbeweis Hold, AuA 1995, 290.
417
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
oder nicht rechtzeitig aushändigt. In gleicher Weise liegt eine Ordnungswidrigkeit dann vor, wenn entgegen § 2 Abs. 2, 3 NachwG eine dort genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ausgehändigt oder entgegen § 3 S. 1 NachwG eine Nichtmitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig bewirkt wird. Der Regelung in § 4 NachwG lässt sich leider nicht entnehmen, ob die Geldbuße i. H. v. bis zu 2.000 € an die Missachtung jeder einzelnen Nachweispflicht geknüpft werden kann, also durch den Abschluss eines Arbeitsvertrags mehrfach verwirkt wird, ob sie den Arbeitsvertrag bzw. den Nachweis durch eine nachträgliche Unterrichtung in seiner/ihrer Gesamtheit als Anknüpfungspunkt nimmt, also durch einen Arbeitsvertrag bzw. ein fehlerhaftes Unterrichtungsschreiben nur einfach ausgelöst wird, oder ob – wenn mehreren Arbeitsverträgen ein einheitliches (fehlerhaftes) Vertragsmuster zugrunde liegt – die mehrfache Verwendung eines solchen Vertragsmusters nur mit einer einzigen Geldbuße verfolgt werden kann. Für eine einheitliche Betrachtung mit der Folge einer einzigen Geldbuße für alle Verstöße gegen Nachweisvorgaben innerhalb eines Arbeitsvertrags spricht bereits das auch im Bereich der Ordnungswidrigkeiten geltende Prinzip der Tateinheit (§ 19 OWiG). Danach wird nur eine einzige Geldbuße festgesetzt, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze oder ein Gesetz mehrfach verletzt. § 19 OWiG kann auch dann zum Tragen kommen, wenn der Abschluss mehrerer Arbeitsverträge in Rede steht. Hier wird man dann aber einzelfallbezogen prüfen müssen, ob ein räumlich-zeitlicher sowie innerer Zusammenhang gegeben ist, der die Vorbereitung und/oder den Abschluss der Arbeitsverträge als eine natürliche Handlungseinheit erscheinen lässt. Dies aber ist nicht das einzige Problem: Denn mit der Neuregelung in § 4 NachwG wird auch der fehlende Nachweis einer Zahlungspflicht sanktioniert, die dem Arbeitgeber möglicherweise gar nicht bekannt ist, weil sie aus einer betrieblichen Übung oder – falls Leiharbeitnehmer betroffen sind – durch einen Vergleich mit dem Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung resultiert. Denkbar ist z. B. auch, dass der Arbeitgeber nicht erkannt hat, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde, was eine mitteilungspflichtige Änderung oder Ergänzung geltender Arbeitsbedingungen zur Folge hat. Sanktioniert wird jeweils der Vertragsarbeitgeber. Er ist die natürliche oder juristische Person, die mit dem Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag geschlos-
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Handlungsempfehlungen für die Arbeitsvertragsgestaltung im Lichte des neuen NachwG
sen hat36. Ebendiese juristische oder natürliche Person muss das Bußgeld bei Nichterfüllung der Nachweispflicht zahlen. Insgesamt überzeugt die Bußgeldregelung nicht, zumal auch viele Regelungen im Gesetz unbestimmt sind (z. B. Arbeitsentgelt, Probezeitdauer, Kündigungsverfahren). Daran eine Ordnungswidrigkeit zu knüpfen, missachtet das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot. Sie bedroht Unternehmen nicht nur mit Geldbußen für kaum vermeidbare Fehler, sondern bewirkt als Folge solcher Geldbußen auch negative Entscheidungen der Behörden in Bezug auf die für Genehmigungen erforderliche Einschätzung der Zuverlässigkeit des Arbeitgebers (z. B. für die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis) oder die Ausgrenzung von Unternehmen in Vergabeverfahren. Hinzu kommt, dass als Folge der fehlenden Zuständigkeit des Zolls unterschiedliche Behörden auf Ebene der Bundesländer für den Vollzug zuständig sind, was zu uneinheitlichen Entscheidungen führen wird.
t)
Fazit
Viele Bestandteile der gesetzlichen Neuregelung waren inhaltlich bereits durch die Richtlinie 2019/1152/EU vorgegeben. An diesen Punkten bestand kein Gestaltungsspielraum des deutschen Gesetzgebers. Dennoch wäre es richtig gewesen, die Augen vor der vielfältig geäußerten Kritik nicht zu verschließen und schon im Gesetzgebungsverfahren Nachbesserungen vorzunehmen. Dazu hätte gehört, dass hinsichtlich der Form des Nachweises auch die elektronische Form erlaubt wird, wie dies in Zeiten der Digitalisierung notwendig und üblich und durch die Richtlinie auch gestattet ist. Außerdem hätten die Regelungen zum Bußgeld gestrichen und „ähnliche Regelungen“ in § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG aufgenommen werden müssen, um insbesondere Vereinbarungen mit dem Sprecherausschuss und Gesamtzusagen zu erfassen. Es bleibt abzuwarten, welche Fehler die Gerichte korrigieren können. Der Betriebsrat, der die Einhaltung des NachwG nur im Rahmen von § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG überwachen kann, hat allenfalls Anspruch auf Überlassung von Vertragsmustern37. Eine einzelfallbezogene Prüfung sieht auch § 99 BetrVG vor, weil die Einstellung nicht den Abschluss des Arbeitsvertrags, sondern die Integration in die betriebliche Organisationsstruktur meint38. (Ga/Pi/Pio)
36 Siehe nur ErfK/Preis, BGB § 611 a Rz. 184. 37 Vgl. BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, NZA 2012, 744 Rz. 9. 38 Vgl. BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, NZA 2014, 1149 Rz. 18.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
2.
Befristung des Arbeitsvertrags wegen Führungsposition
In seinem Urteil vom 1.6.202239 musste sich das BAG mit der Frage befassen, ob die Befristung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG mit dem Umstand gerechtfertigt werden kann, dass der hiervon betroffene Arbeitnehmer als Führungskraft bzw. in leitender Position tätig wird. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Kläger auf der Grundlage einer befristeten Verlängerung seines bereits befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrags mit dem beklagten Klinikum zuletzt als kaufmännischer Direktor tätig. Das beklagte Klinikum rechtfertigte die letzte Befristung mit der Eigenart der dem Kläger übertragenen Arbeitsleistung. Diese erforderte eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Vorstand, der über die wesentlichen Aufgabenbereiche nicht eigenständig, sondern nur im Einvernehmen mit der Zentrumsdirektion entscheiden könne. Insgesamt sei aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelungen, etwa zur Höhe der Vergütung (170.000 €) und dem Recht, die Arbeitszeit frei einzuteilen, das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem typischerweise befristeten Dienstvertrag eines GmbH-Geschäftsführers vergleichbar. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des LAG Schleswig-Holstein hat das BAG der Entfristungsklage stattgegeben. Der Sachgrund der Eigenart der Arbeitsleistung i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG könne die Befristung eines Arbeitsvertrags jenseits besonderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen nur rechtfertigen, wenn die Arbeitsleistung Besonderheiten aufweise, aus denen sich ein berechtigtes Interesse der Parteien, insbesondere des Arbeitgebers, ergebe, statt eines unbefristeten nur einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen. Diese besonderen Umstände müssten das Interesse des Arbeitnehmers an der Begründung eines Dauerarbeitsverhältnisses überwiegen. Aus Sicht des BAG rechtfertigen jedenfalls die Tätigkeiten als Führungskraft oder in leitenden Positionen die Befristung des Arbeitsvertrags allein aus der Eigenart der Arbeitsleistung heraus nicht. Ein berechtigtes – und das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegendes – Befristungsinteresse des Arbeitgebers folge grundsätzlich weder aus einer herausgehobenen Position des Arbeitnehmers im Rahmen der Organisation des Unternehmens noch aus daraus folgenden Befugnissen. Auch eine weitergehende Weisungsfreiheit des Arbeitnehmers rechtfertige kein spezifisches Befristungsinteresse. Insofern bedürfe auch die Befristung des Arbeitsverhältnisses mit einem leiten39 BAG v. 1.6.2022 – 7 AZR 151/21 n. v. (Rz. 15 ff.).
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
den Angestellten – wenn die Voraussetzungen einer sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG nicht gegeben seien – eines Sachgrundes, dessen Vorliegen grundsätzlich nach denselben Maßstäben zu beurteilen sei, wie bei anderen Arbeitnehmern40. Dies gelte auch dann, wenn aufgrund einer weitgehend weisungsfreien Tätigkeit eine „geschäftsführerähnliche“ Stellung des Arbeitnehmers gegeben sei41. (Ga)
3.
Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen und -besetzungen
a)
Mögliche Rechtfertigungsgründe bei unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters
Ob die Ablehnung eines externen Bewerbers wegen der Überschreitung der sog. Regelaltersgrenze eine Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 S. 1, 2 AGG darin finden kann, dass der Arbeitgeber eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren Beschäftigten schaffen will, war Gegenstand einer Entschädigungsklage gemäß § 15 Abs. 2 AGG, die der 8. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 31.3.202242 zu beurteilen hatte. Die Beklagte, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, suchte per Stellenausschreibung eine Bürosachbearbeiterin/einen Bürosachbearbeiter mit einem Anforderungsprofil, das unter anderem eine abgeschlossene Ausbildung im kaufmännischen Bereich, Aufgeschlossenheit für ITAnwendungen, Freundlichkeit sowie gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen verlangte. Die Beklagte wandte den TVöD an, der in § 33 Abs. 1 a vorsah, dass das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat, und in Abs. 5 regelte, dass mit einem Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis nach Abs. 1 a geendet hat, ein neuer schriftlicher Arbeitsvertrag abzuschließen ist, wenn er weiterbeschäftigt werden soll. Der 74-jährige Kläger, ein Oberamtsrat a. D., bewarb sich mit einer E-Mail, die zahlreiche Rechtschreib- und Grammatikfehler enthielt, nicht über die in der Stellenausschreibung angegebene Bewerbungsanschrift, sondern über die Presseadresse der Beklagten. In dem Bewerbungsschreiben brachte der Kläger zum Ausdruck, dass seine monatliche Höchstverdienstgrenze pensionsbedingt 1.600 € (brutto) betrage. Auf eine E-Mail der Beklagten vom 1.5.2019 antwortete der Kläger mit E-Mail vom 40 BAG v. 1.6.2022 – 7 AZR 151/21 n. v. (Rz. 37), Boewer, TzBfG § 14 Rz. 37 f. 41 BAG v. 1.6.2022 – 7 AZR 151/21 n. v. (Rz. 38). 42 BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1401.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
gleichen Tag, dass er grundsätzlich Interesse an der Stelle habe, ihm jedoch der technische Kontakt zur Personalgewinnung nicht möglich sei. Mit EMail vom 19.9.2019 unterrichtete die Beklagte den Kläger über die Ablehnung seiner Bewerbung und erläuterte dies damit, dass sie grundsätzlich keine Arbeitsverhältnisse mit externen Personen begründe, die bereits die in § 33 TVöD vorgegebene sog. Regelaltersgrenze erreicht hätten. Der Kläger hat die Beklagte daraufhin nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung rechtzeitig (§§ 15 Abs. 4 AGG, 61 b ArbGG) vor dem ArbG Bonn auf Zahlung einer Entschädigung i. H. v. mindestens 10.000 € (brutto) nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen. Das ArbG hat der Klage unter Abweisung im Übrigen i. H. v. 2.500 € (ein Bruttogehalt) entsprochen. Das LAG Köln43 hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG die Klage insgesamt abgewiesen. Das BAG geht zunächst in Übereinstimmung mit dem LAG davon aus, dass der Kläger als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis unter den persönlichen Geltungsbereich des AGG fällt (§ 6 Abs. 1 S. 2 AGG) und durch die Zurückweisung seiner Bewerbung unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters (Überschreitung der sog. Regelaltersgrenze) benachteiligt worden sei44. Im Anschluss an diese Feststellung geht das BAG der Frage nach, ob für diese unterschiedliche Behandlung des Klägers wegen des Alters ein Rechtfertigungsgrund nach § 8 Abs. 1 AGG oder nach § 10 AGG bestehen kann. Soweit es um den Rechtfertigungsgrund nach § 8 Abs. 1 AGG geht, hat das BAG keinerlei Anhaltspunkte dafür ausmachen können, dass ein mit dem Alter des Klägers im Zusammenhang stehendes Merkmal wegen der Art der bei der Beklagten auszuführenden Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung oder eine Bedingung ihrer Ausübung darstellte45. Die dafür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte46 hatte dazu keine Anhaltspunkte in den Prozess eingebracht. Anschließend diskutiert das BAG, allerdings ohne abschließende Stellungnahme, ob der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG daran scheitert, dass die Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters ausnahmsweise nach § 10 AGG zulässig war. Nach S. 1 dieser Vorschrift ist eine un43 LAG Köln v. 5.2.2021 – 10 Sa 731/20 n. v. 44 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2020, 707 Rz. 20: Die Vergleichsperson kann auch eine fiktive bzw. hypothetische sein; BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707 Rz. 28 ff. 45 BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707 Rz. 39: Es muss ein direkter, objektiv überprüfbarer Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit bestehen. 46 BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707 Rz. 41.
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
terschiedliche Behandlung wegen des Alters ungeachtet des § 8 AGG zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung des Ziels müssen nach § 10 S. 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Das BAG47 hat bereits bei früherer Gelegenheit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH48 ausführlich begründet, wie legitime Ziele i. S. v. § 10 S. 1 AGG zu definieren sind und darunter in unionskonformer Abstimmung mit Art. 6 Abs. 1 Uabs. 1 Richtlinie 2000/78/EG nur rechtmäßige Ziele aus dem Bereich der Arbeitsund Sozialpolitik verstanden, die im Allgemeininteresse liegen und sich von Zielen unterscheiden, die das eigene Interesse des Arbeitgebers, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, betreffen. Im Streitfall ging es im Hinblick auf die vorbeschriebene Zielbestimmung darum, ob die von den Tarifvertragsparteien in § 33 Abs. 1 a TVöD zu einer automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende festgelegte Altersgrenze mit Erreichen der Regelaltersrente, die einer ausgewogenen Altersstruktur von jüngeren und älteren Arbeitnehmern dienen soll49, gleichermaßen für die Einstellung herangezogen werden kann. Anders formuliert geht es darum, ob das personalpolitische Ziel eines Arbeitgebers, eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren Arbeitnehmern zu schaffen, unter dieser Zweckdetermination die Zurückweisung eines Bewerbers rechtfertigt, der bereits die Regelaltersgrenze überschritten hat. Das BAG will der tarifvertraglichen Regelung des § 33 Abs. 1 a TVöD neben der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugleich die generelle Intention entnehmen, eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen auch im Hinblick auf die Einstellungspraxis zu bewirken. Diese von § 10 S. 1 AGG (Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG) legitimierte objektive und angemessene Zielbestimmung50 sei auch mit § 41 S. 3 SGB VI kompa47 BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1404 Rz. 28; ausf. BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13 n. v. (Rz. 111) m. w. N. 48 EuGH v. 2.4.2020 – C-670/18, NZA 2020, 575 Rz. 30, 34 – Comune di Gesturi; EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, NZA 2011, 1039 Rz. 80, 81 – Prigge u. a. 49 Zur Zulässigkeit EuGH v. 12.10.2010 – C-45/09, NZA 2010, 1167 Rz. 44 ff., 53, 74 – Rosenbladt: Dabei hat der EuGH berücksichtigt, dass mit der auf den Bezug der Regelaltersrente festgesetzten Befristung des Arbeitsverhältnisses nicht das Verbot einer anschließenden Beschäftigung verbunden ist und der Arbeitnehmer nach dem AGG eine diskriminierungsfreie Einstellungsentscheidung beanspruchen kann, sei es bei demselben Arbeitgeber oder einem Dritten; BAG v. 8.12.2010 – 7 AZR 438/09, NZA 2011, 586 Rz. 30. 50 Ebenso EuGH v. 2.4.2020 – C-670/18, NZA 2020, 575 Rz. 36 bis 38 – Comune di Gesturi im Hinblick auf eine italienische nationale Regelung, wonach Aufträge über Studien nicht an Personen im Ruhestand vergeben werden durften.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
tibel, weil die darin vorgesehene sachgrundlose Verschiebung des Beendigungszeitpunktes sicherstellen solle, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber reagieren können, wenn eine Nachbesetzung der entsprechenden Stelle nicht nahtlos erfolgen kann, oder wenn laufende Projekte zum Abschluss gebracht oder neu eingestellte Arbeitnehmer eingearbeitet werden sollen51. Im nächsten Prüfungsschritt bedurfte es daher der Klärung, ob die zur Erreichung des Ziels einer ausgewogenen Altersstruktur herangezogenen Mittel (Erreichen der Regelaltersrente) angemessen und erforderlich sind und die von jeglicher Einstellung ausgeschlossenen Ruheständler in ihren berechtigten Interessen, weiterhin beruflich aktiv zu sein (Art. 15 Abs. 1 GRC52), übermäßig beeinträchtigt werden (§ 10 S. 2 AGG). Unter Hinweis auf die dazu bestehenden unterschiedlichen Stimmen in der Literatur53, die einerseits eine Ablehnung entsprechender Bewerbungen aus den gleichen Gründen für gerechtfertigt und angemessen erachten, die sich aus der Rechtmäßigkeit einer einschlägigen tarifvertraglichen Altersgrenze ergeben, andererseits die Zurückweisung einer Bewerbung wegen des alleinigen Überschreitens der Regelaltersgrenze für diskriminierend und damit für unzulässig halten, neigt das BAG dazu, stets eigenständig zu prüfen, ob das alleinige Kriterium des Alters (Bezug der Regelaltersrente) tatsächlich dem Anliegen einer ausgewogenen Altersstruktur, insbesondere den Zugang zum Arbeitsmarkt für Jüngere zu fördern, im jeweiligen Fall gerecht wird. Aus dem Umstand, dass § 33 Abs. 5 TVöD der Beklagten neben § 33 Abs. 1 a TVöD die Möglichkeit einräumt, mit einem nach § 33 Abs. 1 a TVöD ausgeschiedenen Arbeitnehmer ein neues Arbeitsverhältnis ohne Kontrahierungszwang begründen zu können, will das BAG schlussfolgern, dass der Arbeitgeber davon nur eingeschränkt Gebrauch machen darf, um die Chancen jüngerer Arbeitnehmer auf Eingliederung in das Erwerbsleben nicht in relevantem Umfang zu schmälern, weshalb die Nichtberücksichtigung des Klägers i. S. v. § 10 S. 2 AGG erforderlich sein könnte, wenn für die zu besetzende Stelle kein noch nicht pensionierter geeigneter Bewerber zur Verfügung stand oder es sich um eine dauerhaft zu besetzende Stelle gehandelt habe. Ob unter dieser Prämisse das Bedürfnis für die Einstellung älterer Arbeitnehmer bei der Beklagten bestanden hat, hätte durch Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG geklärt werden müssen, wovon das
51 EuGH v. 28.2.2018 – C-46/17 NZA 2018, 355 Rz. 33 – John; BAG v. 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, NZA 2019, 523 Rz. 34; BT-Drucks. 18/1489 S. 25. 52 „Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.“ 53 Vgl. nur MüKo/Thüsing, AGG § 10 Rz. 31; Bayreuther, NJW 2011, 19, 20 m. w. N.
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
BAG abgesehen hat, weil das Entschädigungsverlangen des Klägers dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sei. Es entspricht gefestigter Spruchpraxis des BAG54 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH55, dass von einem Rechtsmissbrauch auszugehen ist, sofern sich eine Person nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Es muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher subjektiver Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. Dabei trifft den Arbeitgeber für das Vorliegen dieser Voraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast56. Aus der Würdigung des Inhalts sämtlicher Schreiben des Klägers und seines Verhaltens im Zusammenhang mit seiner Bewerbung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung hat das BAG geschlussfolgert, dass der Kläger es geradezu auf eine Absage der Beklagten angelegt, mithin eine Absage provoziert hat, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können. Maßgebend dafür waren für das BAG, dass der Kläger sein höheres Alter bei der Bewerbung in den Vordergrund gestellt hat sowie mit dem Hinweis auf die Höchstverdienstgrenze als Pensionär allenfalls eine Teilzeitbeschäftigung angestrebt hat, sich mit den Anforderungen der Stellenausschreibung nicht auseinandergesetzt hat und sich mit den gehäuften gravierenden Rechtschreib- und Grammatikfehlern im Bewerbungsschreiben nicht für die Besetzung der Stelle empfohlen hat, die ein gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen voraussetzte. Außerdem habe er zugleich eine mangelnde Aufgeschlossenheit für IT-Anwendungen, die zum Stellenprofil gehörten, zur Schau gestellt. Schließlich habe er an der zu besetzenden Stelle nur ein grundsätzliches Interesse signalisiert, um den formalen Status eines Bewerbers zu erreichen. Die Gesamtheit der mit der Bewerbung des Klägers einhergehenden Umstände haben das BAG zu der Annahme veranlasst, dass sich der Kläger bewusst als in wesentlichen Punkten ungeeigneter Bewerber präsentieren wollte. 54 Vgl. nur BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1405 Rz. 38; BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Rz. 46 m. w. N.; BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13 n. v. (Rz. 123 ff.). 55 Nur EuGH v. 28.7.2016 – C-423/15, NZA 2016, 1014 Rz. 35, 37 – Kratzer: Nach st. Rspr. des EuGH darf sich niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der EU berufen. 56 BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Rz. 48 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Im Ergebnis ist der Entscheidung des BAG beizupflichten. Bedauerlich ist allerdings, dass das BAG der Beantwortung der für die betriebliche Praxis wichtigen Frage ausweichen konnte, ob ein Rechtfertigungsgrund i. S. v. § 10 S. 1, 2 AGG i. V. m. Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG anzunehmen ist, wenn ein Arbeitgeber personalpolitisch eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen und damit den Zugang jüngerer Arbeitnehmer in eine Beschäftigung dadurch herbeiführen will, dass er Bewerber, die bereits die Regelaltersrente erreicht haben, von vornherein als Bewerber ablehnt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH57 im Hinblick auf das angestrebte Ziel, allgemein die Verjüngung der erwerbstätigen Bevölkerung sicherzustellen, die Auffassung für vertretbar hält, dass ein solches Ziel nicht über das Erforderliche hinausgeht, die Einstellung von Personen im Ruhestand, die ihr Berufsleben beendet haben und eine Altersrente beziehen, abzulehnen, um die Vollbeschäftigung der erwerbstätigen Bevölkerung oder den Zugang zum Arbeitsmarkt für Jüngere zu fördern. Ein derartiger Rechtfertigungsgrund würde freilich voraussetzen, dass der Arbeitgeber58 stringent und nachhaltig diese Personalpolitik verfolgt und davon nicht aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen abweicht. Deshalb hat der EuGH59 von dem vorlegenden Gericht auch die Klärung verlangt, ob möglicherweise nur haushaltspolitische Ziele bei der Verjüngung der Erwerbstätigen relevant waren. Auf den vorliegenden Fall bezogen erscheint die Argumentation des BAG schon deshalb nicht tragfähig, weil § 33 Abs. 5 TVöD allein durch die Eröffnung einer vertraglichen Wiedereinstellungsmöglichkeit von ehemals nach Abs. 1 a ausgeschiedenen Betriebsrentnern weder das Ziel einer ausgewogenen Altersstruktur erkennen lässt noch für den vom BAG entschiedenen Fall aussagekräftig ist, weil der Kläger als externer Bewerber zuvor nicht bei der Beklagten beschäftigt war. Die Praxis wird daher weiter abwarten müssen, wie sich das BAG zu der hier angesprochenen Problematik positioniert und möglicherweise von einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV Gebrauch macht. Die Frage der Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Alters ist auch Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des 8. Senats des BAG vom 24.2.202260 nach Art. 267 AEUV an den EuGH. Das Vorabentschei57 EuGH v. 2.4.2020 – C-670/18 NZA 2020, 575 Rz. 46 – Comune di Gesturi. 58 EuGH v. 26.9.2013 – C-476/11 n. v. (Rz. 60 ff.) – HK Danmark. Auch Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber anstrebt, werden erfasst. 59 EuGH v. 2.4.2020 – C-670/18, NZA 2020, 575 Rz. 51 – Comune di Gesturi; vgl. auch EuGH v. 15.4.2021 – C-511/19, NZA 2021, 699 Rz. 42. – Olympiako Athlitiko Kentro Athinon. 60 BAG v. 24.2.2022 – 8 AZR 208/21 (A), BB 2022, 2426.
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
dungsersuchen betrifft einen Rechtsstreit zwischen der Klägerin und einem beklagten Assistenzdienst, der nach § 78 SGB IX (Art. 19 UN-BRK) Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung durch seine Mitarbeiter Assistenzleistungen erbringt. Diese Leistungen umfassen die allgemeinen Erledigungen des Alltags, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben sowie die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten. Flankierend dazu enthält § 8 Abs. 1 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten bei der Entscheidung über die beanspruchten Leistungen, wobei unter anderem auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter und das Geschlecht der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen wird. Die Beklagte veröffentlichte im Juli 2018 ein Stellenangebot, wonach die 28-jährige Studentin A weibliche Assistentinnen in allen Lebensbereichen des Alltags suchte, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten. Die über 50-jährige Klägerin bewarb sich auf diese Stellenausschreibung und erhielt von der Beklagten eine Absage. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin die Beklagte rechtzeitig (§§ 15 Abs. 4 AGG, 61 b ArbGG) auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen. Die Beklagte verteidigte sich vor allem damit, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters nach § 8 Abs. 1 AGG, jedenfalls nach § 10 AGG im Hinblick auf die in §§ 8, 78 SGB IX geregelten Vorgaben gerechtfertigt sei. Während das ArbG Köln die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung an die Klägerin in Höhe eines potenziellen Bruttomonatsentgelts von 1.770 € verurteilt hat, ist die Klage vom LAG Köln61 im Hinblick auf §§ 8, 10 AGG abgewiesen worden. Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der 8. Senat des BAG mit Beschluss vom 24.2.202262 den EuGH gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Frage ersucht: Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der GRC sowie im Licht von Art. 19 UN-BRK – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?
Soweit es um Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG (§ 8 AGG) geht, wonach eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Dis61 LAG Köln v. 27.5.2020 – 11 Sa 284/19 n. v. 62 BAG v. 24.2.2022 – 8 AZR 208/21 (A), BB 2022, 2426.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
kriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt, spricht nach Auffassung des BAG einiges dafür, dass die Gewährleistung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf ein selbstbestimmtes Leben und damit die Wahlfreiheit einer persönlichen Assistenz die Vorgabe eines rechtmäßigen Zwecks erfüllt. Das BAG fragt sich jedoch, ob ein wunschgemäßes Alter einer persönlichen Assistenz ein Merkmal i. S. v. Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG ist und ob eine Alterspräferenz eine objektiv63 vorgegebene wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sein kann, weil der jeweilige Wunsch auf subjektive Prioritäten für die eigene, selbstbestimmte Lebensgestaltung des jeweiligen Menschen zählte64. Das BAG könne auch nicht beurteilen, ob die im Streitfall verwendete Mindest- und Höchstaltersgrenze (zwischen 18 und 30 Jahre alt) einen Rechtfertigungsgrund in Art. 6 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2000/78/EG finden könne. Das vom Gesetzgeber mit dem Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen bei Leistungen der persönlichen Assistenz verfolgte legitime im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel i. S. v. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2000/78/EG könnte nach Ansicht des BAG in der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Gestaltung der Lebensumstände zu sehen sein. Bejahendenfalls stelle sich die Frage, welche Vorgaben im Hinblick auf die Prüfung der Angemessenheit und Erforderlichkeit zu beachten seien. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH65 bereits verdeutlicht, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Licht des durch Art. 15 Abs. 1 GRC anerkannten Rechts, zu arbeiten, zu sehen sei. Daraus folgte, dass auf die Teilnahme älterer Arbeitnehmer am Berufsleben und damit am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben besonderes Augenmerk zu richten sei. Schließlich möchte das BAG vom EuGH wissen, inwiefern Art. 7 i. V. m. Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG, § 5 AGG für eine Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Alters für den vorliegenden Streitfall von Bedeutung sein können. So könnte die Rechtfertigung der Benachteiligung
63 EuGH v. 14.3.2017 – C-188/15, NZA 2017, 375 Rz. 40 – Bougnaoui und ADDH: Der Begriff kann sich hingegen nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen, erstrecken. 64 BAG v. 24.2.2022 – 8 AZR 208/21 (A), BB 2022, 2430 Rz. 42. 65 EuGH v. 15.4.2021 – C-511/19, NZA 2021, 699 Rz. 46 – Olympiako Athlitiko Kentro Athinon.
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
wegen des Alters durch die positive und spezifische Maßnahme der §§ 8, 78 SGB IX zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen gerechtfertigt sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Art. 7 Richtlinie 2000/78/EG mit der Gewährung der völligen Gleichstellung im Berufsleben und dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beschäftigt, wovon in § 78 SGB IX und in Art. 19 UN-BRK (unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) keine Rede ist. Nach Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG berührt die Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer notwendig sind. Insofern knüpft das BAG an das Urteil des EuGH vom 22.1.2019 66 an, das sich mit der Frage beschäftigen musste, ob es eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt, wenn eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen (hier: Angehörige der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche) angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung haben. Der EuGH hat die Frage bejaht und dies damit begründet, dass die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Regelungen weder als notwendige Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten Anderer i. S. d. Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78/EG noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion als Rechtfertigungsgründe67 i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden können. Ob im Hinblick auf Art. 19 UN-BRK und § 8 Abs. 1 SGB IX ein Wunschund Wahlrecht des Leistungsberechtigten zu seinem Schutz notwendig ist und bezüglich des Alters bei der Besetzung der Stelle zur persönlichen Assistenz eine Benachteiligung wegen des Alters rechtfertigt, bedarf nach Auffassung des BAG ebenfalls einer Entscheidung des EuGH.
b)
Geschlechtsdiskriminierende Stellenausschreibung
Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Geschieht dies, so kann die Vermutung i. S. v. § 22 AGG begründet sein, dass der erfolglose Bewerber im Stellenbeset-
66 EuGH v. 22.1.2019 – C-193/17, NZA 2019, 297 – Cresco Investigation. 67 EuGH v. 22.1.2019 – C-193/17, NZA 2019, 297 Rz. 52 – Cresco Investigation.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
zungsverfahren wegen eines Grundes i. S. v. § 1 AGG benachteiligt wurde. Dies ist indes dann zu verneinen, wenn die unmittelbare Benachteiligung nach §§ 8, 9 oder 10 AGG oder eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Aber auch ohne das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes genügt die Vermutung des § 22 AGG nicht ohne Weiteres für eine erfolgreiche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG. Dem Arbeitgeber bleibt es nämlich unbenommen, Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben68. Davon kann ausgegangen werden, wenn das Erfordernis, die Stelle überhaupt zu besetzen, entfallen ist, bevor die Bewerbung bei dem Arbeitgeber eingegangen ist, oder eine gesetzte Bewerbungsfrist vor Eingang der Bewerbung bereits abgelaufen war, oder wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt daraufhin sichtet, ob die Bewerber eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er sämtliche Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheiden lässt, bei denen dies nicht der Fall ist69. Bedient sich der Arbeitgeber zur Stellenausschreibung eines Dritten und verletzt dieser die Pflicht aus § 11 AGG, so ist dem Arbeitgeber dieses Verhalten in aller Regel zuzurechnen. Den Arbeitgeber trifft im Fall der Fremdausschreibung die Sorgfaltspflicht, die Ordnungsgemäßheit der Ausschreibung zu überwachen70. Unter einer Ausschreibung i. S. v. § 11 AGG ist nach der Rechtsprechung des BAG71 die an eine unbekannte Vielzahl von Personen gerichtete Aufforderung eines Arbeitgebers zu verstehen, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben. Dabei spielt die Form der Ausschreibung mangels einer entsprechenden Vorgabe in § 11 AGG keine Rolle, so dass die Bekanntgabe über das Internet, das Intranet oder am Schwarzen Brett erfolgen kann72. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt nur für Beschäftigte im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, so dass der in § 6 AGG geregelte persönliche
68 Nur BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 56. 69 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 89, 90: Wenn die Anforderung in der Stellenausschreibung „Anklang“ gefunden hat oder sich aus dem in der Stellenausschreibung formulierten Anforderungsprofil ableiten lässt. 70 BAG v. 5.2.2004 - 8 AZR 112/03, NZA 2004, 540 Rz. 66: Einschaltung der BA. 71 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, BB 2017, 508 Rz. 33. 72 LAG Köln v. 10.9.2021 – 10 Sa 1264/20, BB 2022, 1724 Rz. 2: Online-Jobplattform „StepStone“.
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Alters- oder geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Stellenausschreibungen
Geltungsbereich des AGG maßgebend ist. Nach § 6 Abs. 2 AGG gelten als Beschäftigte auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Was den Status eines Bewerbers anbelangt, hat das BAG73 zuletzt in ständiger Rechtsprechung einen formalen Bewerberbegriff entwickelt und denjenigen als Bewerber nach § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG angesehen, der eine Bewerbung beim Arbeitgeber eingereicht hat. Eingereicht ist eine Bewerbung dann, wenn sie dem Arbeitgeber i. S. v. § 130 BGB zugegangen ist74. Dabei spielt im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung75 weder die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung noch die objektive Eignung im Sinne einer vergleichbaren Situation nach § 3 Abs. 1, 2 AGG eine Rolle76. Danach sind Personen grundsätzlich bereits dann in einer vergleichbaren Situation, wenn sie sich für dieselbe Stelle beworben haben. Mit der Problematik einer geschlechtsdiskriminierenden Stellenausschreibung auf dem Internetportal eBay Kleinanzeigen hat sich das LAG Schleswig-Holstein in einer Entscheidung vom 21.6.202277 befasst. Die Beklagte betrieb in der Rechtsform einer GmbH einen familiengeführten Kleinbetrieb mit weniger als zehn Arbeitnehmern. Die Beklagte unterhielt eine Werkstatt und veräußerte Gebrauchtfahrzeuge. Im April 2021 gab der Bruder des Geschäftsführers der Beklagten auf dem Internetportal eBay Kleinanzeigen eine Anzeige auf, in der es hieß: „Sekretärin gesucht! Beschreibung: Wir suchen eine Sekretärin ab sofort. Vollzeit/Teilzeit. Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. Standort: B“. Auf diese Anzeige teilte der Kläger über die Chat-Funktion der App am 26.4.2021 unter anderem mit, Interesse an der Stelle zu haben und sich auf diese zu bewerben, über Berufserfahrungen im Büro mit Word und Excel zu verfügen, sonst typische Arbeiten einer Sekretärin erledigen zu können und eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann zu haben. Außerdem enthielt die Antwort des Klägers die Frage: „Suchen Sie ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau?“ Am 27.4.2021 teilte die Tochter des Geschäftsführers dem Kläger 73 Grundsätzlich unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18, NZA 2020, 851 Rz. 16; BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 62: Dies betrifft vielmehr die Frage, ob sich der Bewerber unter Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) den formalen Status als Bewerber i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG verschafft. 74 Vgl. BAG v. 22.8.2019 – 2 AZR 111/19, NZA 2019, 1490 Rz. 12 m. w. N. 75 Etwa BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063 Rz. 24. 76 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394 Rz. 18 unter Aufgabe der früher anderslautenden Rechtsprechung, vgl. nur BAG v. 23.1.2014 – 8 AZR 118/13, BB 2014, 1535 Rz. 16. 77 LAG Schleswig-Holstein v. 21.6.2022 – 2 Sa 21/22, NZA-RR 2022, 455.
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unter anderem mit: „Vielen Dank für Interesse in unserem Haus. Wir suchen eine Dame als Sekretärin. Wir wünschen Ihnen alles Gute.“ In einem Telefonat vom 30.4.2021 wurde das Anliegen des Klägers erneut unter Hinweis auf das Geschlecht abgelehnt. Mit Schreiben vom 27.5.2021 machte der Kläger einen Entschädigungsanspruch unter Vorlage eines vorformulierten Vergleichsvorschlags mit einer Entschädigungssumme von 3.500 € gegenüber der Beklagten geltend. Mit einer bei dem ArbG Elmshorn am 14.6.2021 eingegangenen und der Beklagten am 17.6.2021 zugestellten Klage hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung i. H. v. 7.800 € beansprucht. Die Beklagte, die zu einem späteren Zeitpunkt eine Frau als Sekretärin eingestellt hat, berief sich unter anderem darauf, der Bruder des Geschäftsführers habe die Annonce eigenmächtig bei eBay Kleinanzeigen ausgebracht. Es läge auch keine ernsthafte Bewerbung des Klägers vor, weil dieser keine üblichen Bewerbungsunterlagen bei der Beklagten eingereicht habe. Außerdem sei es dem Kläger nur um die Zahlung einer Entschädigung gegangen. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht als Bewerber i. S. d. § 6 Abs. 2 AGG angesehen werden könne. Dafür seien die von ihm gemachten Informationen nicht ausreichend gewesen. Deshalb habe die Information des Klägers die Grenzen einer bloßen Kontaktaufnahme und damit die Vorstufe einer Bewerbung nicht überschritten. Das LAG hat unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung dem Klageantrag auf Zahlung von 7.800 € nebst Zinsen nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Geschlechtsdiskriminierung des Klägers durch die Beklagte entsprochen. Dabei ist das LAG zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger als Bewerber i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu qualifizieren sei, weil die Beklagte ein Bewerbungsschreiben des Klägers erhalten habe. Dabei habe es sich nicht um eine reine Kontaktaufnahme, vielmehr um ein konkretes Bewerbungsschreiben gehandelt, bei dem die Person des Bewerbers identifizierbar gewesen und eine ausdrückliche Erklärung der Bewerbung enthalten gewesen sei. Mit der Erklärung gegenüber dem Kläger, nur eine Frau als Sekretärin einstellen zu wollen, sei ausschließlich das männliche Geschlecht des Klägers ursächlich für seine Ablehnung als Bewerber gewesen. Insofern müsse sich die Beklagte das Verhalten des Bruders und der Tochter des Geschäftsführers als Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB zurechnen lassen. Der Kläger habe auch zumindest im Vergleich zu der Person, die später eingestellt worden sei, wegen seines Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfahren, weshalb die erforderliche Kausalität zwischen der weniger günstigen Behandlung und des in § 1 AGG genannten Grundes vorläge.
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Das LAG hat auch den Einwand der Beklagten zurückgewiesen, das Entschädigungsverlangen des Klägers sei nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich, weil es ihm allein darum gegangen sei, nur den formalen Status als Bewerber zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen. Hierfür trage die Beklagte die Darlegungsund Beweislast78. Es müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass wesentlicher subjektiver Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils sei79. Das LAG hat bereits das Vorliegen hinreichender objektiver Umstände verneint, die den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers erlauben würden. Hierfür seien weder die wiederholten Nachfragen des Klägers, ob die Beklagte eine Frau suche, noch der Hinweis des Klägers auf seine Ausbildung als Industriekaufmann und sein Verweis auf ein Fernstudium im Wirtschaftsrecht noch das vorgerichtlich der Beklagten unterbreitete juristisch formulierte Vergleichsangebot ausreichend, weil sich dafür auch andere plausible Erklärungen finden ließen. Die Beklagte habe daher nicht widerlegen können, dass der Kläger ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der Stelle gehabt habe und mit der Erhebung der Entschädigungsklage zulässigerweise seine Rechte nach dem AGG wahrnehmen würde80. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung hat das LAG unter Berücksichtigung eines fiktiven monatlichen Bruttogehalts von 2.600 € drei Monatsgehälter und damit insgesamt 7.800 € für angemessen gehalten. Das LAG hat damit den vollen Rahmen nach § 15 Abs. 2 AGG ausgeschöpft, der eingehalten werden muss, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Das LAG hat zutreffend erkannt, dass der Kläger durch die Zurückweisung seiner Bewerbung unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt wurde, weil er eine weniger günstige Behandlung erfahren hat als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Insofern wäre es nicht einmal darauf angekommen, ob es überhaupt andere Bewerberinnen gegeben hat und ob die von der Beklagten ausgewählte Bewerberin die Stelle angetreten hat81. Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung i. S. v § 3 Abs. 1 AGG auch wegen seines Geschlechts
78 BAG v. 18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063 Rz. 26. 79 BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Rz. 48 ff.; BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13 n. v. (Rz. 124 ff.) m. w. N. 80 BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13 n. v. (Rz. 124 ff.) m. w. N. 81 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638 Rz. 20; BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707 Rz. 28 f.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
erfahren, denn seine Bewerbung hatte deshalb keinen Erfolg, weil die Beklagte dem Kläger eine Absage mit der Begründung erteilt hat, sie suche eine Dame für den Posten der Sekretärin. Vor diesem Hintergrund steht der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund außer Frage, so dass es nicht mehr darauf ankam, ob bereits die Ausschreibung als Sekretärinnenstelle Indizwirkung i. S. v. § 22 AGG hatte. Allerdings hat das LAG davon abgesehen, sich mit dem Einwand der Beklagten näher zu beschäftigen, die für die GmbH handelnden Personen wären nicht autorisiert gewesen, für diese ein Bewerbungsverfahren durchzuführen. Das LAG hat sich in diesem Zusammenhang als Zurechnungsgrund für die Beklagte mit einem Hinweis auf § 278 BGB begnügt, ohne der entscheidungserheblichen Frage nachzugehen, ob sich die Beklagte dieser Personen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient hat. Denn wer freiwillig handelt – etwa bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag – ist kein Erfüllungsgehilfe. Eine Entschädigungszahlungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer geschlechtlichen Selbstbestimmung hat auch das ArbG Koblenz in einer Entscheidung vom 9.2.202282 behandeln müssen. Eine Person männlichen Geschlechts, die sich als Frau erfolglos bei einem Arbeitgeber beworben hatte, führte diese Situation auf ihre behauptete Transsexualität zurück. Die klagende Partei, die biologisch ein Mann war und nach Statur, Frisur, Kleidung sowie Stimmlage auch so äußerlich in Erscheinung trat, arbeitete zusammen mit Arbeitnehmern der Beklagten seit 2020 auf einer Baustelle zur Sanierung eines Hauses der Kundin X als selbständiger Handwerker für den Bereich Elektrotechnik. Die Beklagte war mit den Gewerken Heizung und Sanitär beauftragt. Am 10.1.2021 veröffentlichte die Beklagte im Internet eine Stellenanzeige, in der es hieß: „Wir suchen coole Typen – Anlagenmechaniker – Bauhelfer (…)“. Per E-Mail vom 4.2.2021 bewarb sich hierauf die klagende Partei, wobei sie sich unter anderem als Elektrotechnikerin, Messund Regelungsmechanikerin bezeichnete und unter Darlegung weiterer Informationen ihre Person betreffend mitteilte, „Anlagentechnik und gerade Wärmepumpen interessieren mich sehr und aufgrund Ihrer Tätigkeit in diesem Bereich kann ich Sie gut unterstützen.“ Die E-Mail war unterzeichnet mit: „Frau Markus“. Der E-Mail waren verschiedene weitere Bewerbungsunterlagen beigefügt. Der Geschäftsführer der Beklagten leitete die Bewerbung am 4.2.2021 an die gemeinsamen Kunden mit der Anmerkung: „Was läuft da nur falsch“ mit einem Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln weiter. Im weiteren Verlauf der gemeinsamen Arbeit auf der Baustelle kam
82 ArbG Koblenz v. 9.2.2022 – 7 Ca 2291/21, NZA-RR 2022, 400.
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es zwischen den Parteien zu verschiedenen Unstimmigkeiten, die Mitte September 2021 eskalierten. Mit der am 7.10.2021 erhobenen Klage hat die vom ArbG als Klägerin bezeichnete klagende Partei mit einer bei dem ArbG am 7.10.2021 erhobenen Klage Entschädigungsansprüche wegen Altersdiskriminierung und sexueller Diskriminierung sowie wegen der Weitergabe ihrer Bewerbung an Dritte geltend gemacht, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, aber mindestens 10.250 € betragen sollte. In der Klagebegründung berief sich die klagende Partei darauf, dass die Formulierung „coole Typen“ an junge Leute gerichtet sei und sich die Anzeige im Übrigen ausschließlich an Männer und nicht an Personen weiblichen oder diversen Geschlechts gerichtet habe. Als Transsexueller, der über diese Eigenschaft ein Gutachten des LG Köln habe, fühle er sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig und werde durch die Stellenanzeige diskriminiert. Die Beklagte hat sich unter anderem damit verteidigt, der Begriff „cool“ weise keinen Bezug zum Alter auf, was auch für den Begriff „Typ“ gelte, und geschlechtsunspezifisch sei. Die Klägerin sei außerdem dem männlichen Geschlecht zuzuordnen und habe ihren Vornamen auch nicht nach § 45 b PStG angepasst. Das ArbG hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 6.000 € zu zahlen. In den Entscheidungsgründen hat das ArbG den einheitlichen Zahlungsantrag für zulässig gehalten und die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG für gegeben erachtet. Die Klägerin sei Bewerberin i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG. Die Klägerin sei auch von der Beklagten wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden, weil sie sich mit dem Gegengeschlecht identifiziere. Fielen – wie vorliegend – biologisches und psychisches Geschlecht auseinander, sei dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rechnung zu tragen und dessen selbstempfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuerkennen83. Auch der EuGH84 erstrecke den Diskriminierungsschutz auf transsexuelle Personen. So habe auch das BAG85 entschieden, dass sich in unionskonformer Auslegung des § 1 AGG die Transsexualität sowohl dem Grundgeschlecht als auch der sexuellen Identität zurechnen lasse. Die Klägerin habe im gesamten Verfahren gewünscht, trotz ihres maskulinen Erscheinungsbildes als Frau angesprochen zu werden. Wenn die Beklagte erst am Nachmittag vor dem Kammertermin vorgetragen habe, die Klägerin sei in Wahrheit ein Mann und könne durch die an Männer gerichtete Stellenan-
83 BVerfG v. 11.1.2011 – 1 BvR 3295/07, NJW 2011, 909 Rz. 51. 84 EuGH v. 30.4.1996 – C-13/94, NJW 1996, 2421 – P/S und Cornwall County Council. 85 BAG v. 17.12.2015 – 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 Rz. 30.
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zeige nicht diskriminiert worden sein, sei dieser Vortrag nach §§ 56 Abs. 2 ArbGG, 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO verspätet und daher unbeachtlich. Die Benachteiligung der Klägerin sei auch wegen ihres Geschlechts erfolgt. Die Klägerin habe ihrer Darlegungslast insoweit nach § 22 AGG genügt, weil sie ausreichende Indizien vorgetragen habe, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie von der Beklagten als transsexuelle Person wahrgenommen worden und deshalb benachteiligt worden sei. Ein klares Indiz sei insoweit die nur an Männer gerichtete Stellenausschreibung. Dies gelte auch für den Begleitkommentar des Geschäftsführers der Beklagten an die Auftraggeberin. Die Klägerin habe ihre Bewerbung auch ernst gemeint. Der Entschädigungsanspruch sei auch nicht nach § 15 Abs. 4 AGG verfristet, weil der Klägerin keine Ablehnung ihrer Bewerbung mitgeteilt worden sei. Was die Höhe der Entschädigung anginge, hielte das Gericht 5.000 € für angemessen. Darüber hinaus müsse die Beklagte eine weitere Entschädigung i. H. v. 1.000 € wegen einer Persönlichkeits-/Datenschutzverletzung an die Klägerin entrichten. Die Beklagte hat gegen die Entscheidung des ArbG Berufung beim LAG Rheinland-Pfalz86 eingelegt. In prozessualer Hinsicht ist zunächst anzumerken, dass das ArbG verkannt hat, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG und ein immaterieller Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG) jeweils eigenständige Streitgegenstände abbilden, die nicht gemeinsam in einer Summe geltend gemacht werden und ausgeurteilt werden können. Das ArbG hat auch für die angebliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die daraus abgeleitete Entschädigungspflicht keine Anspruchsgrundlage aufgeführt, so dass nicht erkennbar wird, in Relation zu welcher Vorschrift welche Tatbestandsmerkmale überhaupt geprüft werden. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht schwerwiegend verletzt hat und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann oder dem Arbeitgeber ein schwerwiegender Verschuldensvorwurf zu machen ist; geringfügige Eingriffe lösen keine Entschädigungsansprüche aus87. Die Zubilligung einer Geldentschädigung in derartigen Fällen beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit 86 Az.: 7 Sa 73/22 87 BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 37/11, NZA 2012, 910 Rz. 46 m. w. N. § 253 Abs. 2 BGB gewährt keinen Ausgleichsanspruch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 24, 25.
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verkümmern würde88. Demgegenüber kommt es für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG allein auf einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot an; Verschulden spielt keine Rolle89. Darüber hinaus hat das ArbG den am Tag vor der mündlichen Verhandlung von der Beklagten in das Verfahren eingebrachten Vortrag zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen und der Beklagten damit das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vorenthalten. Das ArbG hat nämlich übersehen, dass die den Vorwurf der groben Nachlässigkeit i. S. d. § 296 Abs. 2 ZPO begründenden Tatsachen positiv festgestellt werden müssen, weil für das Vorliegen grober Nachlässigkeit keine gesetzliche Vermutung besteht. Das Vorbringen der Beklagten hätte nur dann als verspätet zurückgewiesen werden dürfen, wenn das ArbG der Beklagten zuvor die Möglichkeit eingeräumt hätte, sich zu den vom ArbG angenommenen Umständen der groben Nachlässigkeit zu äußern90. Soweit das ArbG in der Sache selbst davon ausgeht, dass das BVerfG klargestellt habe, dass die Geschlechtszugehörigkeit von einer selbst empfundenen Geschlechtlichkeit abhinge, wird übersehen, dass der Fall einen Mann betraf, der bereits nach § 1 TSG seinen Vornamen in eine weibliche Form umgewandelt hatte (kleine Lösung) und in der Geburtsurkunde als Freifrau bezeichnet wurde91. Die Entscheidung des EuGH92 betraf eine Klägerin, die von ihrem Arbeitgeber im Anschluss an chirurgische Eingriffe, die ihr die Merkmale einer Frau verleihen sollten, gekündigt worden war. Das BAG93 war mit einem Fall befasst, bei dem die Klägerin im Prozess um die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG behauptet hat, der Vertreter der Beklagten habe ihre geschlechtliche Identität angezweifelt und sie nicht als Frau und damit als transsexuell wahrgenommen, sie deshalb benachteiligt. Die geschilderten Entscheidungen hatten daher mit dem Fall des ArbG nichts zu tun. Für den Ausgang des Verfahrens vor dem ArbG war für die Frage der Benachteiligung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die klagende Partei ausreichende Indizien dafür vorgetragen hat, die die Vermutung rechtfertigten, die Beklagte habe sie als nicht ihrem Geschlecht zugehörig und damit als transsexuell wahrgenommen. Das hat nichts – wie das ArbG irrtümlich annimmt – BGH v. 1.12.1999 – I ZR 49/97, NJW 2000, 2195 Rz. 48 f. Nur BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 37/11, NZA 2012, 910 Rz. 48. Vgl. nur BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 400/19, NZA 2020, 1261 m. w. N. BVerfG v. 11.1.2011 – 1 BvR 3295/07, NJW 2011, 908 Rz. 41. Vgl. EuGH v. 30.4.1996 – C-13/94, NJW 1996, 2421 Rz. 3 – P/S und Cornwall County Council. 93 Vgl. BAG v. 17.12.2015 – 8 AZR 421/14, NZA 2016, 888 Rz. 34. 88 89 90 91 92
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mit der ausschließlich an Männer gerichteten Ausschreibung des Arbeitsplatzes zu tun. Ebenso wenig kann dafür die Weitergabe der Bewerbung an die Auftraggeberin mit der Bemerkung „Was läuft da nur falsch“ mit dem Smiley sprechen, wofür eine Reihe von Gründen, die nichts mit einer Transsexualität zu tun haben, angeführt werden können. Dass ein Mann, der seiner biologischen Geschlechtszugehörigkeit entsprechend gekleidet und frisiert ist und wie ein Mann auftritt, nur deshalb als transsexuell von Dritten wahrgenommen werden muss, weil er sich bei einer Bewerbung als Frau geriert, reicht für die Indizwirkung des § 22 AGG nicht aus. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als die klagende Partei nach ihrer Bewerbung noch mehrere Monate auf der gemeinsamen Baustelle der Parteien als Mann aufgetreten ist. Das LAG wird sich damit erneut beschäftigen müssen. (Boe)
4.
Wirksamkeit arbeitgeberseitiger Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Infektion
a)
Anordnung einer Testpflicht des Arbeitnehmers
In seinen beiden Urteilen vom 1.6.202294 und vom 10.8.202295 hat sich das BAG intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber im Betrieb zum Schutz vor CoronaInfektionen eine Testpflicht der Arbeitnehmer (hier: PCR) anordnen darf. In der ersten Entscheidung musste sich der 5. Senat des BAG mit der Vergütungsklage einer Flötistin der Bayrischen Staatsoper beschäftigen, die wegen der Verweigerung von PCR-Tests zwischen August und Oktober 2020 nicht beschäftigt wurde. Zur Verhinderung von Ansteckungen der Arbeitnehmer mit dem Corona-Virus wurde bei der Bayrischen Staatsoper bereits im Frühsommer 2020 unter anderem durch einen Umbau die Fläche für das Orchester vergrößert, es wurden Plexiglas-Trennscheiben aufgestellt, Kürzungen und Umstellungen bei den auszuführenden Stücken vorgenommen und die Zu- bzw. Abtritte der Orchestermusiker genau geregelt und markiert. Soweit möglich, mussten Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Darüber hinaus hatte die Bayrische Staatsoper nach Beratung unter anderem durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und des Klinikums der Isar im Rahmen ihres fortlaufend fortentwickelten betrieblichen Hygienekonzepts eine Teststrategie entwickelt. Danach mussten alle Mitarbeiter der Spielzeit 2020/2021 nach den Theaterferien bei Dienstantritt im
94 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 21 ff.). 95 BAG v. 10.8.2022 – 5 AZR 154/22 n. v. (Rz. 42 ff.).
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Wirksamkeit arbeitgeberseitiger Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Infektion
August 2020 einen negativen PCR-Testbefund vorlegen. Folgetestungen sollten für Orchestermusiker wie die Klägerin alle ein bis drei Wochen stattfinden. Die Bayrische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an. Alternativ konnten die Arbeitnehmer PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Die Klägerin erklärte, dass sie sich diesen Tests nicht unterziehen werde. Sie wurde daraufhin bis zur ersten Vorlage eines Testergebnisses am 30.10.2020 weder beschäftigt noch bezahlt. Die Fortzahlung dieser auf Vergütung gerichteten Klage hatte keinen Erfolg. Das BAG hielt die Anordnung des Freistaats, PCR-Tests vorzunehmen, für wirksam. In seiner Begründung hat das BAG darauf hingewiesen, dass § 618 Abs. 1 BGB nicht nur eine Pflicht des Arbeitgebers zum Einschreiten gegen unmittelbare, konkret drohende Gefahren beinhalte. Vielmehr sei der Arbeitgeber aus § 618 Abs. 1 BGB heraus auch verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen, also der bloßen Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimme Anforderungen an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit, vorzunehmen. Dazu gehört es auch, Arbeitnehmer davor zu schützen, dass sie durch Ansteckungen anderer Arbeitnehmer in ihrer Gesundheit gefährdet werden. Bei der Umsetzung der Schutzpflichten ist das sog. TOP-Prinzip zu beachten. Danach sind vorrangig technische, dann organisatorische und zuletzt persönliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen. Soweit damit Anordnungen gegenüber dem Arbeitnehmer verbunden sind, können diese auf § 106 S. 2 GewO gestützt werden. Dieser erlaubt dem Arbeitgeber nicht nur, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen zu bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines annehmbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt werden. Ein entsprechendes Weisungsrecht gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb; auch insoweit sind der Grundsatz billigen Ermessens, Kollektivvereinbarungen und gesetzliche Vorschriften zu beachten96. Gerade im Hinblick auf die Vielfalt der im Arbeitsschutzrecht denkbaren Anordnungen ist es wichtig zu wissen, dass der Arbeitgeber mit diesen Weisungen auf der Grundlage von § 106 GewO zwar die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzanforderungen zur Umsetzung bringt. Soweit diese nicht zwingend klar definierte Maßnahmen vorgeben, hat die Umsetzung unter Beachtung billigen Ermessens zu erfolgen. Die aus den arbeitsschutzrechtli96 Vgl. BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 24 f.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
chen Vorschriften abgeleiteten Anforderungen stellen dabei aber – so das BAG – lediglich das Mindestmaß dessen dar, was zum Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmer und Dritten getarnt werden muss. Dem Arbeitgeber stehe es im Rahmen seines Ermessensspielraums frei, über dieses Mindestmaß hinauszugehen97. Soweit die Wirksamkeit konkreter Maßnahmen in Rede steht, ist nicht nur sicherzustellen, dass die Maßnahmen geeignet und erforderlich sind. Vielmehr muss auch die Angemessenheit gewährleistet werden, für die eine einzelfallbezogene Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers, des Arbeitnehmers und der übrigen Arbeitnehmer, die mit den Maßnahmen geschützt werden sollen, gewährleistet werden muss. Ob die – in der Regel beiderseitigen – Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt nach den Feststellungen des BAG einer vollen gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB). Hierbei komme es – so das BAG – nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der betroffenen Entscheidungen den gesetzlichen Anforderungen genüge. Maßgeblich sei dabei der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte98. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist das BAG von einer Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen Anordnungen zu PCR-Tests ausgegangen. Das Hygienekonzept der Bayrischen Staatsoper habe die Rahmenvorgabe des ArbSchG sowie die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie als Konkretisierung erlassenen Vorschriften und Empfehlungen (z. B. C-ASS, C-ASR) berücksichtigt. Dabei habe der Freistaat mit der Hilfe des externen Sachverstands auch den zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt. Ausgangspunkt war dabei, dass der Bundestag im März 2020 das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite festgestellt hatte, innerhalb derer als Folge einer Vielzahl von Infektionen auch schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle zu verzeichnen waren. Dass die damalige Anweisung, PCR-Tests durchführen zu lassen, über die arbeitsschutzrechtlichen (Mindest-)Anforderungen hinausgingen, stand der Wahrung des Grundsatzes billigen Ermessens nicht entgegen. Denn auch unter Berücksichtigung des mit der Durchführung der Tests verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Klägerin auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) war die Maßnahme aus Sicht des BAG verhältnismäßig und 97 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 26); Sagan, NZA-Beil. 2021, 21, 24. 98 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 27); BAG v. 27.4.2021 – 9 AZR 340/19, NZA-RR 2021, 612 Rz. 66.
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Wirksamkeit arbeitgeberseitiger Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Infektion
damit gerechtfertigt. Der PCR-Test, für den ein Nasen-Rachen-Abstrich durchgeführt werden müsse, sei minimal und mit Blick auf die damit bei Einbettung in ein betriebliches Hygienekonzept verfolgten legitimen arbeitsschutzrechtlichen Ziele verhältnismäßig und gerechtfertigt. Insoweit ist das BAG von der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit ausgegangen99. Von dieser arbeitsschutzrechtlichen Bewertung ausgehend hatte das BAG darüber hinaus angenommen, dass auch die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Verarbeitung der besonderen personenbezogenen Daten erfüllt waren. Rechtsgrund für die Verarbeitung sei § 26 Abs. 3 BDSG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 lit. b DSGVO100. Insoweit habe die Datenverarbeitung in Ausübung von Rechten und zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis stattgefunden. Diese Pflichten könnten auch aus dem Arbeitsvertrag selbst erwachsen, ohne dass es einer gesetzlichen Regelung bedürfe. Darüber hinaus habe der Arbeitgeber mit seiner Weisung arbeitsschutzrechtliche Pflichten aus §§ 618 BGB, 3 ff. ArbSchG zur Vermeidung von Infektionen im Betrieb umgesetzt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in § 26 Abs. 1, 3 BDSG durch den Begriff der Erforderlichkeit abgebildet werde, sei damit erfüllt worden101. Dass §§ 106 GewO, 618 BGB entsprechende Testanordnungen des Arbeitgebers nicht schrankenlos zulassen, zeigt die spätere Entscheidung vom 10.8.2022102. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber im Juli 2020 nicht nur angeordnet, dass Arbeitnehmer, die ihren Urlaub in einem Hochrisikogebiet verbringen würden, im Anschluss an ihre Rückkehr für 14 Tage in eine häusliche Quarantäne gehen sollten. Eine solche Verpflichtung, die das Privatleben der Arbeitnehmer betraf, war ohnehin unwirksam. Der Arbeitgeber hatte indes weitergehend verfügt, dass die betroffenen Arbeitnehmer darüber hinaus für die Dauer der „Quarantäne“ den Betrieb nicht betreten durften und auch kein Arbeitsentgelt erhalten sollten. Daran sollte selbst dann festgehalten werden, wenn – was beim Kläger der Fall war – durch mehrfache PCR-Tests die fehlende Ansteckung mit dem Corona-Virus nachgewiesen werden sollte. Der Arbeitgeber ignorierte insoweit, dass selbst das RKI eine Quarantäne unter diesen Voraussetzungen im Anschluss an die Rückkehr aus dem Hochrisikogebiet nicht für erforderlich hielt. Mit überzeugender Begründung hat das BAG klargestellt, dass die entsprechende Anordnung des Arbeitgebers (hier: Betretungsverbot) eine nicht er99 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 34 ff.). 100 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 55 ff.). 101 BAG v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 n. v. (Rz. 60 ff.). 102 BAG v. 10.8.2022 – 5 AZR 154/22 n. v. (Rz. 42 ff.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
forderliche Maßnahme des Arbeitsschutzes gewesen ist. Sie entsprach damit nicht billigem Ermessen und stand einem Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 S. 2 BGB) nicht entgegen. Denn dem Arbeitgeber hätte – so das BAG – mildere Mittel zur Verfügung gestanden, um den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen, einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherzustellen und zugleich die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. So hätte er – so das BAG – für Reiserückkehrer aus Risikogebieten vor der Arbeitsaufnahme die Vorlage eines weiteren (aktuellen) negativen PCR-Tests verlangen können, der zusätzlich zu den öffentlich-rechtlich durch die SARS-CoV-2Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin verlangten Tests hätte durchgeführt werden müssen. Dadurch hätte er das Risiko eines Eintritts des Virus in seinen Betrieb weitgehend ausschließen können.
b)
Hygienekonzept für eine Betriebsfeier
In seinem Beschluss vom 1.7.2022103 musste sich das BAG in Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens mit dem Antrag eines Arbeitnehmers befassen, der an einem Sommerfest der Antragsgegnerin auch ohne Einhaltung des vorgegebenen Hygienekonzepts teilnehmen wollte. Die Antragsgegnerin, die in Berlin ein Klinikum betrieb, hatte ihre Mitarbeiter zu einem Sommerfest eingeladen. Als Zugangsvoraussetzung hatte sie eine gültige, vollständige Impfung und/oder Genesung inklusive einer Auffrischungsimpfung, falls sechs Monate seit Genesung/Grundimmunisierung vergangen waren, sowie einen tagesaktuellen, negativen Antigen-Schnelltest bestimmt. Der Kläger hielt diese Zugangsvoraussetzungen für diskriminierend. Er machte geltend, dass es sich bei dem Veranstaltungsort außerhalb des Klinikums nicht um eine Einrichtung i. S. d. § 23 Abs. 3 IfSG handele. Darüber hinaus unterliege er als technischer Mitarbeiter nicht der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus § 20 a IfSG. Das Erfordernis einer Impfung/Genesung nebst einem tagesaktuellen Test sei daher unzulässig. Vielmehr sei die Antragsgegnerin verpflichtet, ihm den Zugang zum Sommerfest einzuräumen. Das LAG Berlin-Brandenburg ist dieser Sichtweise berechtigterweise nicht gefolgt. Zwar hat es bestätigt, dass die §§ 20 a, 23 Abs. 3 IfSG auf die Ausgestaltung des Hygienekonzepts für das Sommerfest keine Anwendung fänden. Dennoch sei die Antragsgegnerin berechtigt, in den Grenzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, Voraussetzungen für eine
103 LAG Berlin-Brandenburg v. 1.7.2022 – 6 Ta 673/22 n. v.
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Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei symptomloser Infektion
Teilnahme am Sommerfest festzulegen. Diese stünden einem Zugang des Antragsstellers entgegen, wenn ein hinreichender Sachgrund für den Ausschluss gegeben sei. Diese Rechtfertigung lag nach Auffassung des LAG vor. Wie sich aus den gesetzgeberischen Wertentscheidungen in §§ 23 Abs. 3, 20 a IfSG ergebe, gehe der Gesetzgeber davon aus, dass ein Krankenhaus im besonderen Maße dazu verpflichtet sei, Schutzmaßnahmen gegen Infektionen zu treffen. Dies beziehe sogar einen Impf- oder Genesenennachweis ein. Hinzu komme, dass auch das RKI empfohlen habe, eine Testung vorzunehmen und auf einen vollständigen Impfschutz zu achten. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Hygienekonzept nicht den Zugang und das Verhalten am Arbeitsplatz regele. Denn es liege auf der Hand, dass sich das Infektionsrisiko unabhängig davon verwirklichen könne, ob sich die Beschäftigten im dienstlichen Zusammenhang bei Ausübung ihrer Tätigkeit oder anlässlich einer Betriebsfeier versammelten. Berechtigterweise lehnte das LAG unter Berücksichtigung dieser Überlegungen auch ab, in der mit dem Hygienekonzept verbundenen Verarbeitung personenbezogener Daten einen Verstoß gegen Art. 9 DSGVO zu sehen. Denn Art. 9 Abs. 2 DSGVO erlaube eine Verarbeitung, wenn die verantwortliche Stelle die ihr aus dem Arbeitsrecht erwachsenden Rechte nur durch die Verarbeitung ausüben könne oder wenn die Verarbeitung aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wozu explizit auch der Schutz vor schwerwiegenden, grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren zähle, erforderlich sei. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wird man auch Hygienekonzepte für die bevorstehenden Weihnachtsfeiern festlegen können. Auch hier dürfte allerdings die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein. Dies kann zur Folge haben, dass eine Impfung bzw. Genesung zwar nicht als Zugangsvoraussetzung festgelegt werden könne. Das könnte auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes infrage gestellt werden. Ein tagesaktueller Test als Zugangsvoraussetzung dürfte indes nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich und angemessen sein. (Ga)
5.
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei symptomloser Infektion
In Übereinstimmung mit § 2 Abs. 1 AURL ist davon auszugehen, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mit der Folge einer Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auch im Zusammenhang mit einer COVID-19443
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Erkrankung nur vorliegt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit die zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Dabei ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt insoweit auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustands, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. Entgegen der früheren Bewertung gehen die Kassenärztlichen Vereinigungen inzwischen wohl zu Recht davon aus, dass diese Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in der Regel zur Folge haben, dass symptomlos Infizierte nicht zugleich auch krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind. Darauf hat auch das LAG Düsseldorf im Urteil vom 15.10.2021104 hingewiesen. Auch wenn die COVID-19-Infektion eine Quarantäneverpflichtung zur Folge hat, löst dies also nicht Entgeltfortzahlungsansprüche aus §§ 3, 4 EFZG aus. Vielmehr wird man wie folgt differenzieren müssen: Arbeitnehmer, die ihre Arbeit auch in Quarantäne – im Zweifel also im Homeoffice – erbringen können, sind weiterhin arbeitsfähig. Sie sind verpflichtet, ihre Arbeitsleistung anzubieten, um – jedenfalls bei einem symptomlosen Verlauf – die normale Arbeit im Homeoffice fortzusetzen. Bei Arbeitnehmern, deren Arbeit – gleich aus welchem Grunde – nur im Betrieb erfolgen kann, ist ein in der Person liegendes Leistungshindernis gegeben. Der Arbeitnehmer ist außerstande, den Betrieb zum Zwecke der Arbeit aufzusuchen. Ausgehend davon, dass die landesrechtlichen Vorgaben zur Quarantäne in der Regel auf fünf Tage beschränkt sind, löst dies grundsätzlich einen Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 616 BGB aus. Etwas anderes gilt nur dort, wo die Entgeltfortzahlung aus persönlichen Gründen durch Individual- oder Kollektivvereinbarung abweichend von § 616 BGB abschließend geregelt ist und – wovon auszugehen ist – eine Leistungsverhinderung als Folge einer Quarantäne nicht erfasst wird. In diesen Fällen entfällt der Entgeltfortzahlungsanspruch. Allerdings besteht ein Entschädigungsanspruch aus § 59 IfSG105. Der Arbeitnehmer wird also vor einem Entgeltausfall durch staatliche Leistungen geschützt. (Ga)
104 LAG Düsseldorf v. 15.10.2021 – 7 Sa 87/21, NZA-RR 2022, 164 Rz. 42. 105 Vgl. LAG Düsseldorf v. 15.10.2021 – 7 Sa 857/21, ZTR 2022, 112 Rz. 2, das allerdings den möglichen Vorrang von § 616 BGB in Bezug auf die Entschädigung nach § 59 IfSG nicht behandelt.
444
Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit und Homeoffice
6.
Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit und Homeoffice
Bereits in der Vergangenheit hatten wir uns mehrfach mit der Frage befasst, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen der Arbeitgeber auch bei mobiler Tätigkeit zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes verpflichtet ist, wenn die Sonderregelungen für die Telearbeit in §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 7 ArbStättV nicht zur Anwendung kommen106. Die Entscheidung des BAG vom 13.9.2022107 zum Initiativrecht des Betriebsrats im Zusammenhang mit den Dokumentationspflichten im Bereich des Arbeitsschutzes, die wir an anderer Stelle behandelt haben108, bietet Anlass, an dieser Stelle noch einmal den Arbeitsschutz im Homeoffice bzw. bei mobiler Tätigkeit aufzugreifen. Denn in dieser Entscheidung hat das BAG die Ansicht vertreten, dass der Arbeitgeber aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG heraus verpflichtet sei, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Damit geht das BAG zu Recht davon aus, dass der Arbeitgeber schon heute – kraft Gesetzes – zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH verpflichtet ist. Eine Änderung von § 16 Abs. 2 ArbZG, die für eine Umsetzung der Vorgaben des EuGH zum Teil noch für erforderlich gehalten wird109, ist bei dieser Betrachtungsweise nicht geboten. Überträgt man diese Grundsätze auf die hier in Rede stehende Frage, bestätigt dies die Annahme, dass die Arbeitgeber auch im Zusammenhang mit mobiler Arbeit verpflichtet sind, den allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Pflichten Rechnung zu tragen. Diese bestehen – anders als vielfach angenommen – nicht nur bei Telearbeitsplätzen. Hier besteht nach § 3 ArbStättV die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung, zur Unterweisung der Beschäftigten und zur Anwendung der besonderen Vorgaben zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen in Nr. 6 des Anhangs zu § 3 Abs. 1 ArbStättV. Auf das Homeoffice finden diese spezialgesetzlichen Regelungen nach § 2 Abs. 7 ArbStättV nur dann Anwendung, wenn es sich um einen fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz handelt, für den der Arbeitgeber eine mit dem Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat. Das entspricht auch den Vorgaben in Art. 1 Abs. 3 Richtlinie 90/270/EWG über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten, nach der
106 107 108 109
B. Gaul, AktuellAR 2020, 411 ff., 2021, 37 ff., 2022, 274 ff. BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/91 n. v. B. Gaul, AktuellAR 2022, 603 ff. So Bayreuther, EuZW 2019, 446; Gallner, FA 2019, 228.
445
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ihre Regelungen, die Grundlage von Nr. 6 des Anhangs zur ArbStättV sind, nicht für „tragbare“ Datenverarbeitungsanlagen gelten, sofern sie nicht regelmäßig an einem Arbeitsplatz eingesetzt werden. Auch außerhalb der Telearbeit müssen durch den Arbeitgeber aber die Grundsätze des Arbeitsschutzes aus §§ 3 ff. ArbSchG, 618 BGB eingehalten werden, selbst wenn die mobile Arbeit nicht mit der Überlassung von Betriebsmitteln und/oder der Einrichtung eines festen Arbeitsplatzes verbunden ist110. Auf die Fragen, wann der Arbeitgeber durch die Überlassung von Arbeitsmitteln einen Telearbeitsplatz begründet oder ob die „Verknappung“ zur Folge hat, dass mobile Arbeit zur Telearbeit führt, kommt es damit nicht an. Die Anwendbarkeit der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten auch bei mobiler Arbeit folgt entsprechend den vergleichbaren Überlegungen des BAG im Beschluss vom 13.9.2022111 bereits aus dem Umstand, dass diese Regelungen – in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 89/391/EWG über Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer – keine Bereichsausnahme für die mobile Arbeit enthalten. Insofern spielt es keine Rolle, ob die Tätigkeit im Betrieb oder außerhalb des Betriebs verrichtet wird, sofern entsprechend §§ 611 a Abs. 1 BGB, 1 BetrVG von einer Eingliederung der Beschäftigten in die betrieblichen Organisationsstrukturen auszugehen ist. Die daraus folgenden Pflichten des Beschäftigten sind so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird (§ 4 ArbSchG). Die Feststellungen in Nr. 4.2.4 Abs. 2 C-ASR in ihrer bis zum 25.5.2022 geltenden Fassung waren also zutreffend. Entsprechendes gilt für die Annahme, dass auch bei mobiler Arbeit oder im Homeoffice die Schranken des Arbeitszeitrechts zu beachten sind112. Die Anerkennung arbeitsschutzrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit mobiler Arbeit bedeutet indes nicht, dass die im Betrieb üblichen Praktiken bei ortsunabhängiger Tätigkeit ohne Einschränkung zur Anwendung kommen. Es muss „die Natur der Dienstleistung“ (§ 618 BGB) bzw. „die Art der Tätigkeit“ (§ 3 ArbSchG) bei den Maßnahmen beachtet werden. Schließlich gibt es außerhalb der Telearbeit gerade keinen festen Arbeitsplatz. Vielmehr ist der Beschäftigte berechtigt, innerhalb der Wohnung (Homeoffice) bzw. außerhalb des Wohnraums (mobile Arbeit) auf wechselnden Arbeitsplätzen tätig zu werden. Hinzu kommt, dass Art. 13 GG auch im Bereich des Ar110 Ebenso Hofmann, ARP 2022, 162, 164 f. 111 BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21 n. v. 112 So Müller, BB 2022, 1460.
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Arbeitsschutz bei mobiler Arbeit und Homeoffice
beitsschutzes verbietet, ohne Zustimmung des Beschäftigten und der weiteren Bewohner private Räumlichkeiten zu betreten. Außerdem muss jede Form des Arbeitsschutzes, wenn sie mit einer Überwachung verbunden ist, die Grenzen des Arbeitnehmerdatenschutzes beachten113. Auf der Grundlage der vorstehenden Überlegungen müssen sich die insoweit verantwortlichen Unternehmensvertreter daher auch bei mobiler Arbeit mit den grundsätzlichen Handlungspflichten des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Besonderheiten von mobiler Arbeit befassen. Das gilt auch ohne das Vorliegen von Telearbeit. Hierzu gehören insbesondere: • Durchführung und Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung (§§ 5, 6 ArbSchG, 10, 14 MuSchG)114, • Festlegung und Durchsetzung von Schutzmaßnahmen (§§ 3 ArbSchG, 10 ff. MuSchG) sowie • Unterweisung der Beschäftigten (§§ 12 ArbSchG, 14 MuSchG).
Eine Anpassung an die Erfordernisse der mobilen Arbeit kann unter Berücksichtigung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 7, 14 BetrVG z. B. dadurch erfolgen, dass die Gefährdungsbeurteilung durch eine Befragung der Beschäftigten vorgenommen wird. Grundlage kann eine Checkliste sein, die mit der Bitte um Selbstausfüllung überlassen wird. Erkenntnisse, die sich daraus in Bezug auf physische und psychische Gefährdungen115 ergeben, können dann für eine Unterweisung genutzt werden, mit der das Unternehmen auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen verweist. Im Mittelpunkt dürften dabei die Schranken des Arbeitszeitrechts, Regelungen zur Nichterreichbarkeit116, die Ergonomie der Bildschirmarbeitsplätze und die Ausgestaltung der Arbeit stehen (z. B. Arbeitsunterbrechungen durch andere Tätigkeiten, wechselnde Arbeitshaltungen, reflexionsvermeidende Aufstellung von Bildschirmgeräten)117. Die Beschäftigten sind verpflichtet, an der Gefährdungsbeurteilung und der Umsetzung etwaiger Schutzmaßnahmen mitzuwirken (§ 16 ArbSchG). Dass das Unternehmen bei mobiler Arbeit in der Regel nicht selbst überprüfen kann, ob seine Hinweise zur gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeit beachtet werden, ist mit Blick auf § 15 ArbSchG grundsätzlich hinzuneh113 114 115 116 117
Vgl. auch Korinth, ArbRB 2022, 150. Eingehend Wulff, AiB 2022/7-8, 10. Eingehend zu psychischen Belastungen auch BT-Drucks. 20/3671. Hierzu auch Dohrmann, BB 2022, 2228. Vgl. beispielsweise die Feststellungen der Berufsgenossenschaften (z. B. BG ETEM) oder des Instituts für Arbeit und Gesundheit der DGUV.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
men. Danach sind die Beschäftigten verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Unternehmens für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu sorgen. Etwas anderes gilt indes dann, wenn erkennbar wird, dass arbeitsschutzrechtliche Vorgaben im Rahmen mobiler Tätigkeit missachtet werden. Hier muss das Unternehmen durch ergänzende Maßnahmen auf die Einhaltung hinwirken und – falls auch dies keinen Erfolg hat – die mobile Arbeit verbieten. Dies entspricht der zum Teil geübten Praxis, nach der mobile Arbeit arbeitgeberseitig nur gestattet wird, wenn die Beschäftigten nachweisen, dass ergonomische Grunderfordernisse für ein gesundes Arbeiten auch ohne eine weitere Ausstattung des Arbeitsplatzes durch das Unternehmen gegeben sind. (Ga/Ri)
7.
Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitnehmerüberlassung
a)
Keine Arbeitnehmerüberlassung im (echten) gemeinsamen Betrieb
Mit seinem Urteil vom 24.5.2022118 hat das BAG noch einmal bestätigt, dass keine Arbeitnehmerüberlassung gegeben ist, wenn Arbeitnehmer in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen eingesetzt werden. Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb schlössen einander aus119. In seiner Begründung weist das BAG in überzeugender Weise darauf hin, dass es schon begrifflich nicht zur Arbeitnehmerüberlassung kommen könne, wenn mehrere Unternehmen in einem Gemeinschaftsbetrieb arbeitsteilig bestimmte Zwecke verfolgten, ohne dass die Beteiligten in ihrer Verbundenheit am Rechtsverkehr teilnähmen. Hier läge im Regelfall eine bloße Innengesellschaft vor, die als solche nicht Arbeitgeber und damit auch nicht Entleiher sein könne120. Es fehle ein „fremder Betrieb“, in den der Leiharbeitnehmer vollständig eingegliedert werden könne121. Im Gemeinschaftsbetrieb sei – so das BAG – die Arbeitsorganisation, innerhalb derer der Arbeitnehmer seine Arbeitsleitung erbringe, nicht die des Entleihers, sondern eine gemeinsame, an der auch der Verleiher beteiligt sei. Dieser verfolge in dem Gemeinschaftsbetrieb eigene Betriebszwecke. Zudem werde das Direktionsrecht von der einheitlichen Leitung des Gemeinschaftsbetriebs immer für 118 BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 337/21 n. v. (Rz. 45 ff.). 119 Ebenso BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99 n. v. (Rz. 24), ErfK/Wank/Roloff, AÜG § 1 Rz. 35. 120 Thüsing/Waas, AÜG § 1 Rz. 46. 121 Schüren/Hamann/Hamann, AÜG § 1 Rz. 82.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitnehmerüberlassung
den jeweiligen Vertragsarbeitnehmer ausgeübt, so dass der Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb keinen fremden Weisungen, sondern (weiterhin) allein den Weisungen seines Vertragsarbeitgebers unterliege122. An dieser Bewertung, die auch Gegenstand der früheren Rechtsprechung des BAG gewesen war, habe der Gesetzgeber auch im Zusammenhang mit der Einführung einer Legaldefinition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG zum 1.4.2017 nichts ändern wollen. Denn er habe nicht nur ausdrücklich festgehalten, dass der bisherige Anwendungsbereich des AÜG durch die gesetzliche Änderung nicht verändert werden solle123. Da die Rechtsprechung des BAG schon zu diesem Zeitpunkt den Arbeitseinsatz im Gemeinschaftsbetrieb nicht als Arbeitnehmerüberlassung qualifiziert hatte, müsse man daran auch heute weiterhin festhalten. Grundsätzlich hat die Bildung eines solchen Gemeinschaftsbetriebs zur Folge, dass die Arbeitnehmer der daran beteiligten Rechtsträger durch einen einzigen Betriebsrat repräsentiert werden. Die Leitidee „Ein Betrieb, ein Betriebsrat“ beruhe – so das BAG – letztlich auf der Erwägung, dass der einheitlichen Leitung auf Arbeitgeberseite ein einheitliches Gremium auf Arbeitnehmerseite gegenüberstehe, das die Interessen der Betriebsangehörigen auf dem Gebiet der personellen und sozialen Mitbestimmung zur Geltung bringe124. In seinem Urteil vom 24.5.2022125 stellt das BAG dann zwar nicht infrage, ob durch einen Strukturtarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs mehrere betriebsverfassungsrechtliche Einheiten gebildet werden können, die sodann als Betrieb gelten (§ 3 Abs. 5 BetrVG). Es macht aber deutlich, dass in einem solchen Fall geprüft werden müsse, ob tatsächlich noch ein (echter) Gemeinschaftsbetrieb gegeben sei, der einen Ausschluss der Arbeitnehmerüberlassung zur Folge habe, oder ob dieser Gemeinschaftsbetrieb nicht nur auf dem Papier bestehe, weil die am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Rechtsträger eigentlich – insoweit in Übereinstimmung mit den betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten – eine Personalführung etabliert hätten, die die Arbeitnehmer jeweils einheitlich nach den jeweiligen Vertragsarbeitgebern behandele. Insofern könne die durch Tarifvertrag bewirkte Aufteilung der Mitbestimmung auf zwei Gremien darauf hindeuten, dass die im Betrieb eingesetzten Arbeitnehmer 122 BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 337/21 n. v.; Schüren/Hamann/Hamann, AÜG § 1 Rz. 83. 123 BT-Drucks. 18/9232 S. 19. 124 BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 337/21 n. v., Rz. 62. 125 BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 337/21 n. v., Rz. 63 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
tatsächlich keiner einheitlichen, sondern einer nach Vertragsarbeitgebern getrennten Personalführung unterlägen. Die gewillkürte Etablierung zweier Betriebsräte, die Mandate für Arbeitnehmer jeweils unterschiedlicher Vertragsarbeitgeber hätten, könne erhebliche Auswirkungen auf die Einheitlichkeit der Personalführung haben, insbesondere soweit diese Mitbestimmungstatbestände i. S. d. § 87 Abs. 1 BetrVG berühre. Führe die Mehrzahl von Betriebsräten dazu, dass unterschiedliche betriebliche Regelungen für die Ordnung des Betriebs (Nr. 1), für die betriebliche Arbeitszeit (Nr. 2), für die zu leistenden Überstunden (Nr. 3), für die Urlaubsplanung und Festsetzung des Urlaubs (Nr. 5), für die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen (Nr. 6) nebst der Ausgestaltung mobiler Arbeit (Nr. 14) und für die Fragen der betrieblichen Lohngestaltung (Nr. 10) unter Einschluss leistungsbezogener Entgelte (Nr. 11) entstünden, sei dies ein wesentliches Indiz dafür, dass die Personalführung lediglich der Form, nicht aber dem Inhalt nach einheitlich erfolge. Das BAG hat die Entscheidung des LAG Hessen vor diesem Hintergrund aufgehoben und die Sache mit dem Ziel weiterer Feststellungen zum Sachverhalt zurückverwiesen. Dabei hat es allerdings noch einmal deutlich gemacht, dass die Existenz zweier Betriebsräte der Annahme, dass es sich bei dem von den beteiligten Unternehmen errichteten Betrieb um einen Gemeinschaftsbetrieb handele, nicht zwingend entgegenstehe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die betriebliche Mitbestimmung zu im Wesentlichen einheitlichen Regelungen führe, d. h. zu Regelungen, die zwar von verschiedenen Partnern verhandelt und vereinbart würden, aber inhaltlich weitgehend übereinstimmten oder zumindest aufeinander abgestimmt seien. In einem solchen Fall wären die betrieblichen Abläufe nicht aufgrund unterschiedlicher Regelungen nach Belegschaftsgruppen getrennt zu organisieren. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Weitergehend wird man allerdings zu berücksichtigen haben, dass schon durch die Unterschiedlichkeit der in den am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen geltenden Tarifverträge durchaus auch unterschiedliche Regelungen zur Arbeitszeit, zu Überstunden, zur betrieblichen Lohngestaltung sowie zum leistungsbezogenen Entgelt zu treffen sind, ohne dass daraus ein Indiz für eine getrennte Interessenlage und/oder eine getrennte Personalsteuerung abgeleitet werden kann. Denn auch in einem Gemeinschaftsbetrieb, für den nur ein einziger Betriebsrat zuständig ist, müsste mit Blick auf die unterschiedliche Tarifbindung auf betrieblicher Ebene eine nach den Vertragsarbeitgebern differenzierende Regelung im Rahmen von § 87 BetrVG getroffen werden. Das gleiche gilt beispielsweise für Fragen der Urlaubsplanung oder die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, wenn und soweit davon unterschiedli450
Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitnehmerüberlassung
che Tätigkeitsbereiche im gemeinsamen Betrieb mit einer verschiedenartigen Qualifikationsstruktur der dort behandelten Arbeitnehmer betroffen sind. Denn auch ein einziger Betriebsrat, der in einem Gemeinschaftsbetrieb gebildet wird, muss diesen Unterschieden Rechnung tragen, die, wenn sie auch der Unterschiedlichkeit des jeweiligen Vertragsarbeitgebers entsprechen, zu arbeitgeberbezogen unterschiedlichen Regelungen führen können.
b)
Zulässigkeit einer tarifvertraglichen Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer
Gemäß § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Entleiher überlassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Gemäß § 1 b Abs. 1 S. 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen übernommen werden. Ebenso kann in einer aufgrund eines Tarifvertrags von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung eine abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. In Betrieben eines nicht tarifgebundenen Entleihers kann davon bis zu 24 Monate Gebrauch gemacht werden, soweit nicht durch diesen Tarifvertrag eine abweichende Überlassungshöchstdauer für Betriebsoder Dienstvereinbarungen festgelegt ist. Mit Urteil vom 17.3.2022126 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, den Tarifvertragsparteien eine solche Befugnis zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer zu übertragen. Wir hatten darauf im Frühjahr hingewiesen127. Erforderlich sei lediglich, dass durch die Mitgliedstaaten gewährleistet werde, dass durch den Tarifvertrag keine missbräuchliche Ausgestaltung von Arbeitnehmerüberlassung erlaubt werde, die den Grundprinzipien der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit entgegensteht. Wenn diese Grenze eingehalten wird, erlaubt dies die Überlassung von Arbeitnehmern über die Dauer von 18 Monaten hinaus. Wenn diese Grenzen eingehalten werden, steht dies auch der Geltendmachung der
126 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 556 Rz. 111 – Daimler. 127 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 121 ff.
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Unwirksamkeit eines Leiharbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 b AÜG entgegen, so dass daran anknüpfend auch kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG fingiert werden kann. Wie wir bereits im Frühjahr deutlich gemacht hatten, ist in der betrieblichen Praxis aber erhebliche Rechtsunsicherheit durch den Umstand eingetreten, dass ein Teil der Instanzgerichte – beispielsweise das LAG BadenWürttemberg im Urteil vom 2.12.2020128 und das LAG Niedersachsen im Urteil vom 21.4.2022129 – die Ansicht vertreten hatten, dass diese Regelung nicht nur verfassungs- und unionsrechtswidrig sei. Losgelöst davon könne durch einen Tarifvertrag der Einsatzbranche schon deshalb keine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer bewirkt werden, weil der Leiharbeitnehmer an diese Regelung nicht gebunden sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – so das LAG Niedersachsen – der Kläger nicht Mitglied der Gewerkschaft sei, die diesen Tarifvertrag in der Einsatzbranche abgeschlossen habe. Mit Urteil vom 14.9.2022130 hat das BAG diese Sichtweise abgelehnt und mit überzeugender Begründung das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher abgelehnt. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger als Leiharbeitnehmer für knapp 24 Monate an die Beklagte überlassen. Bei der Beklagten, die Mitglied des Arbeitgeberverbands war, galt ein Tarifvertrag, nach dem die Höchstüberlassungsdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf 48 Monate bestimmt wurde. Der Kläger hielt diesen Tarifvertrag für unwirksam, jedenfalls in Bezug auf seinen Einsatz für unverbindlich. Mit seiner Klage wollte er deshalb festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten als Entleiherin aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Dabei verwies er unter anderem darauf, dass der Tarifvertrag für ihn auch mangels Mitgliedschaft in der IG Metall keine Anwendung finden könne. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat das BAG die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenden Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber (Verleiher) und unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend.
128 LAG Baden-Württemberg v. 2.12.2020 – 4 Sa 16/20, NZA-RR 2021, 188. 129 LAG Niedersachsen v. 21.4.2022 – 5 Sa 97/21 n. v. 130 BAG v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21 n. v.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitnehmerüberlassung
Dieser Sichtweise ist – wie bereits im Frühjahr ausgeführt131 – ohne Einschränkung zuzustimmen. Zu Recht verweist der 4. Senat des BAG in diesem Zusammenhang darauf, dass die Bindung an einen Tarifvertrag nicht nur auf der Grundlage der in §§ 3 ff. TVG geregelten Tatbestände bewirkt werden kann. Vielmehr handele es sich bei § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG um eine vom Gesetzgeber außerhalb des TVG vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestatte, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrags zu regeln. Dabei kommt es nach Auffassung des BAG nicht darauf an, ob der Leiharbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft ist. Denn eine gesetzliche Tarifbindung nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kommt ohnehin nicht in Betracht, weil auch der Verleiher nicht an den beim Entleiher geltenden Tarifvertrag gebunden ist, wenn es sich nicht zufällig um den gleichen Arbeitgeberverband handelt, in dem Verleiher und Entleiher Mitglied sind. Insofern bewirkt § 1 Abs. 1 b AÜG – vergleichbar mit dem AEntG – die Bindung von Arbeitsvertragsparteien an einen Tarifvertrag, ohne dass es auf die wechselseitige Organisation und/oder eine arbeitsvertragliche Bezugnahme ankommt. Jeder Leiharbeitnehmer, der im Geltungsbereich eines Tarifvertrags der Einsatzbranche tätig wird, in dem eine Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer vereinbart wurde, kann damit auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 b AÜG auch über die Dauer von 18 Monaten hinaus eingesetzt werden. Abschließend bestätigt das BAG, dass eine Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten mit den allgemeinen Schranken des Verfassungs- und Unionsrechts vereinbar ist. Dies überzeugt. Da die Frage, ob ein Missbrauchstatbestand i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG vorliegt, der nach den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 17.3.2022132 durch die Mitgliedstaaten zu ermitteln ist, bedurfte es hierfür auch keiner erneute Vorlage an den EuGH.
c)
Zulässigkeit und Grenzen einer tarifvertraglichen Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz
Grundsätzlich verpflichtet Art. 5 Richtlinie 2008/104/EG in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 1 AÜG den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Equal 131 B. Gaul, AktuellAR 2022, 128 f. 132 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 552 Rz. 63 – Daimler.
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Treatment/Equal Pay). Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat der Umstand, dass weiterhin keine Klarheit in Bezug auf die Frage besteht, ob die in § 8 Abs. 2, 3 AÜG vorgesehene Möglichkeit, von diesem Grundsatz abzuweichen, mit den Vorgaben in Art. 5 Abs. 2, 3 Richtlinie 2008/104/EG vereinbar ist. Wie bereits bei früherer Gelegenheit berichtet, hat das BAG deshalb den EuGH mit Urteil vom 16.12.2020133 die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: (1) Wie definiert sich der Begriff des „Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ in Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG, umfasst er insbesondere mehr als das, was nationales und Unionsrecht als Schutz für alle Arbeitnehmer zwingend vorgeben? (2) Welche Voraussetzungen und Kriterien müssen erfüllt sein für die Annahme, von dem in Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG festgelegten Grundsatz der Gleichbehandlung abweichende Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern in einem Tarifvertrag seien unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern erfolgt? a) Ist die Prüfung der Achtung des Gesamtschutzes – abstrakt – auf die tariflichen Arbeitsbedingungen der unter den Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags fallenden Leiharbeitnehmer bezogen oder ist eine vergleichende, wertende Betrachtung zwischen den tariflichen und den Arbeitsbedingungen geboten, die in dem Unternehmen bestehen, in das die Leiharbeitnehmer überlassen werden (Entleiher)? b) Verlangt bei einer Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt die in Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG vorgegebene Achtung des Gesamtschutzes, dass zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht? (3) Müssen die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG den Sozialpartnern vom nationalen Gesetzgeber vorgegeben werden, wenn er ihnen die Möglichkeit einräumt, Tarifverträge zu schließen, die von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichende Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern enthalten, und das nationale Tarifsystem Anforderungen vorsieht, die zwischen den Tarifvertragspar133 BAG v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A), NZA 2021, 802 Rz. 29 ff.
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teien einen angemessenen Interessenausgleich erwarten lassen (sog. Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen)? (4) Falls die dritte Frage bejaht wird: a) Ist die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG gewahrt mit gesetzlichen Regelungen, die wie die seit dem 1.4.2017 geltende Fassung des AÜG eine Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer, eine Höchstdauer für die Überlassung an denselben Entleiher, eine zeitliche Begrenzung der Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt, die Nichtgeltung einer vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichenden tariflichen Regelung für Leiharbeitnehmer, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher bei diesem oder einem Arbeitgeber, der mit dem Entleiher einen Konzern i. S. d. § 18 AktG bildet, ausgeschieden sind sowie die Verpflichtung des Entleihers, dem Leiharbeitnehmer grundsätzlich unter den gleichen Bedingungen, wie sie für Stammarbeitnehmer gelten, Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten (wie insbesondere Kinderbetreuungseinrichtungen, Gemeinschaftsverpflegung und Beförderungsmittel), zu gewähren, vorsehen? b) Falls dies bejaht wird: Gilt das auch dann, wenn in entsprechenden gesetzlichen Regelungen wie in der bis zum 31.3.2017 geltenden Fassung des AÜG eine zeitliche Begrenzung der Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt nicht vorgesehen ist und das Erfordernis, dass die Überlassung nur „vorübergehend“ sein darf, zeitlich nicht konkretisiert wird? (5) Falls die dritte Frage verneint wird: Dürfen die nationalen Gerichte bei vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichenden Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern durch Tarifverträge gemäß Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG diese Tarifverträge ohne Einschränkung daraufhin überprüfen, ob die Abweichungen unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern erfolgt sind oder gebieten Art. 28 GRC und/oder der Hinweis auf die „Autonomie der Sozialpartner“ im Erwägungsgrund 19 Richtlinie 2008/104/EG, den Tarifvertragsparteien in Bezug auf die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern einen gerichtlich nur beschränkt überprüfba-
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ren Beurteilungsspielraum einzuräumen und – wenn ja – wie weit reicht dieser?
Eine abschließende Entscheidung des EuGH zu diesen Fragen liegt zwar noch nicht vor. Allerdings hat der Generalanwalt am 14.7.2022134 seine Schlussanträge vorgelegt. Sollte der EuGH diesen Schlussanträgen folgen, dürfte eine Vielzahl der im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung bestehenden Tarifverträge die unionsrechtlichen Anforderungen einer Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung nicht erfüllen. Sollte die Arbeitsgerichtsbarkeit daraus auf die Unwirksamkeit dieser Tarifverträge schließen, hätte dies nicht nur arbeitsrechtliche Folgen. Denn der Verleiher wäre verpflichtet, für die Dauer des Einsatzes beim Entleiher den in § 8 Abs. 1 AÜG festgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz zu erfüllen. Das dürfte in der Regel einen Anspruch des Leiharbeitnehmers auf eine höhere Vergütung (ggf. einschließlich etwaiger Überstundenzuschläge) zur Folge haben, die innerhalb der Ausschlussfristen – falls solche bei einer Unwirksamkeit der Tarifverträge überhaupt gelten – oder der gesetzlichen Verjährung geltend gemacht werden kann. Losgelöst davon sind in den Grenzen der gesetzlichen Drei-Jahres-Frist auch Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, die unabhängig von einer etwaigen Ausschlussfrist im Rahmen einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 28 b Abs. 2 SGB IV durch Verleiher und Entleiher zu tragen sind. Hintergrund dieser Sorge ist der Umstand, dass der Generalanwalt abweichende Regelungen durch einen Tarifvertrag nur dann für statthaft hält, sofern solche Tarifverträge hierzu in einem angemessenen Verhältnis stehende Ausgleichsvorteile in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmer gewähren, so dass deren Gesamtschutz geachtet werde. Wie bereits durch Bissels/Singraven135 aufgezeigt wurde, dürfte diese Voraussetzung bei einer konsequenten Anwendung dieser Forderung nur erfüllt sein, wenn etwaige Nachteile in Bezug auf die Vergütung des Leiharbeitnehmers durch Vorteile an anderer Stelle (z. B. mehr Urlaubstage, kürzere Arbeitszeiten) ausgeglichen werden. Dass dies in den Tarifverträgen der Zeitarbeit, mit denen die Abweichung vom EqualPay- bzw. Equal-Treatment-Grundsatz begründet wird, vorgesehen ist, dürfte Seltenheitswert haben. Besondere Brisanz gewinnt die vorstehende Problematik auch dadurch, dass der Generalanwalt Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG so versteht, dass 134 Generalanwalt EuGH v. 14.7.2022 – C-311/21 n. v. – TimePartner Personalmanagement. 135 Bissels/Singraven, DB 2022, 2089.
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die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern durch einen Vergleich der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern mit den für vergleichbare, unmittelbar vom entleihenden Unternehmen eingestellte Arbeitnehmer geltenden Bedingungen zu beurteilen sein soll. Das bewirkt, dass der erforderliche Vergleich zur Gewährleistung des Gesamtschutzes nicht auf einer abstrakten – branchenbezogenen – Ebene erfolgen darf. Vielmehr muss, wenn man diesem Anspruch folgen will, jeweils individuell auf die Verhältnisse beim jeweiligen Entleiher abgestellt werden. Auch dies ist in den Tarifverträgen der Zeitarbeit nicht der Fall und dürfte insbesondere bei einem Einsatz von Leiharbeitnehmern bei Entleihern, die im Wechsel ihrer Einsätze unterschiedlichen Branchen zugeordnet werden, kaum umsetzbar sein. Von Vorteil in Bezug auf die aktuelle Diskussion hinsichtlich einer Wirksamkeit der im Bereich der Zeitarbeit bestehenden Tarifverträge dürfte in diesem Zusammenhang zwar sein, dass der Generalanwalt es für unschädlich hält, dass die Voraussetzung, dass bei Tarifverträgen, mit denen vom Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen wird, der Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern geachtet werden soll, in § 8 Abs. 2 bis 4 AÜG selbst nicht zum Ausdruck gebracht wird. Aus Sicht des Generalanwalts genügt es, dass diese tatbestandliche Voraussetzung aus Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG durch den jeweiligen Tarifvertrag tatsächlich gewährt wird. Problematisch dürfte allerdings sein, dass der Generalanwalt die Ansicht vertritt, dass solche Tarifverträge durch die Arbeitsgerichte daraufhin überprüfbar sind, ob sie den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG achten. Daher lehnt er es ab, auf der Grundlage der durch EU- und Verfassungsrecht gewährleisteten Tarifautonomie von einer eingeschränkten Überprüfbarkeit auszugehen. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dieser Sichtweise des Generalanwalts folgen wird. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre zu wünschen und mit Blick auf die unionsrechtliche Gewährleistung der Tarifautonomie auch geboten, die Tarifautonomie deutlich stärker zu gewichten. Dies hätte nicht nur zur Folge, dass die gerichtliche Überprüfbarkeit eingeschränkt wäre, weil der Beurteilungsspielraum und die damit verbundene Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien auch bei der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG zu beachten wären. Darüber hinaus erscheint es geboten, die Tarifverträge, mit denen vom Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen wird, abweichend von der Vorgehensweise des Generalanwalts nicht isoliert zu betrachten. Denn damit bleibt unberücksichtigt, dass der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer über den jeweiligen Tarifvertrag hinaus auch durch die gesetzlichen Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungs457
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
rechts bestimmt wird. Darauf hatte das BAG in seiner Vorlage zu Recht hingewiesen. Denn auch die Regelungen zur Lohnuntergrenze der Leiharbeitnehmer, die Höchstüberlassungsdauer, die Grenzen einer Abweichung vom Equal-Pay, die „Drehtür-Klausel“ in § 8 Abs. 3 AÜG, die Regelungen zum Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen sowie gesetzliche Regelungen zur Förderung einer Beschäftigung beim Entleiher prägen den Gesamtschutz, so dass eine isolierte Betrachtung des jeweiligen Tarifvertrags im Ergebnis ein unvollständiges Bild vermittelt. Auch in diesen Regelungen des Gesetzgebers, die einen eigenständigen Schutz von Leiharbeitnehmern begründen, sind Aspekte, die ihren Gesamtschutz bestimmen. (Ga)
8.
Employer of Records als (privilegierte) Form der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung
a)
Ausgangssituation
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir über die steuer-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Schranken einer mobilen Arbeit im Ausland berichtet136. Die damit verbundenen Herausforderungen kommen zum Tragen, wenn Arbeitnehmer, die in Deutschland angestellt und grundsätzlich in Deutschland im Einsatz sind, ihren Aufenthalts- und Arbeitsort vorübergehend oder sogar dauerhaft ins Ausland verlagern wollen. In vielen Fällen sind die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen dabei noch steuerbar, weil klare Regelungen greifen, die die Entsendung von Arbeitnehmern bestimmen137. Als problematisch erweisen sich allerdings nach wie vor die steuerlichen Folgen, die insbesondere mit der Frage verbunden sind, ob die Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Ausland die Errichtung einer Niederlassung des deutschen Arbeitgebers zur Folge hat, so dass eine Ertrags- und/oder Gewerbesteuerpflicht besteht. Neue Bewegung in die Diskussion hat jetzt nicht nur die Idee eines Employer of Records (EoR) gebracht. In diesem Modell wird der im Ausland bei einem dort ansässigen Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer auf der Grundlage von Weisungen eines deutschen Unternehmens tätig, ohne dafür den im Ausland gelegenen Arbeitsort zu verlassen. Daraus eröffnet sich weitergehender Gestaltungsspielraum, weil viele Schranken, die an eine Tätigkeit in Deutschland geknüpft sind, nicht zur Anwendung kommen. 136 Bonnani/Rindone, AktuellAR 2021, 404 ff. 137 Vgl. hierzu auch BMAS v. Juli 2022 – Papier zum Homeoffice bei Grenzgänger:innen.
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Employer of Records
b)
Keine Anwendbarkeit von §§ 9, 10 AÜG beim Leiharbeitsverhältnis mit ausländischem Arbeitsstatut
In den beiden Urteilen vom 26.4.2022138 musste sich das BAG mit einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung nach Deutschland befassen. In einem der beiden Fälle war die Klägerin französische Staatsangehörige und hatte ihren Wohnsitz in Frankreich. Sie wurde von A, einer französischen Gesellschaft, zum 1.10.2014 eingestellt und von diesem Zeitpunkt an bis zum 30.4.2016 im Betrieb der Beklagten in Karlsruhe als Technikerin/Beraterin eingesetzt. Der in französischer Sprache zwischen A und der Klägerin abgeschlossene Arbeitsvertrag sah als Arbeitsort Illkirch in Frankreich vor, berechtigte die A aber, die Klägerin vorübergehend – auch im Ausland – einzusetzen. Er verwies auf den einschlägigen französischen Manteltarifvertrag, die französischen Sozialversicherungssysteme sowie das französische Datenschutzrecht. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden in Frankreich abgeführt. Nachdem die Klägerin seit April 2016 bei anderen Kunden eingesetzt wurde, kündigte A das Arbeitsverhältnis zum 12.4.2019. Die Klägerin erhob daraufhin in Frankreich Klage und machte den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu A geltend. Als die Klägerin im April 2019 von der Bundesagentur für Arbeit die Mitteilung erhielt, dass A während ihres Einsatzes in Deutschland nicht in Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gewesen sei, erhob die Klägerin ergänzend hierzu Klage in Deutschland und machte geltend, dass zwischen ihr und der Beklagten gemäß §§ 9, 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis entstanden sei. Neben der entsprechenden Feststellung verlangte sie, dass ihr für die Dauer des Einsatzes Differenz- und Überstundenvergütung und für die Folgezeit Vergütung wegen Annahmeverzugs i. H. v. insgesamt etwa 170.000 € gezahlt werden müsse. Das BAG hat das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten abgelehnt und das hiervon abweichende Urteil des LAG Baden-Württemberg aufgehoben. In den Gründen seiner Entscheidung hat der 9. Senat des BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung zum damaligen Zeitpunkt zwar an sich einer Erlaubnis bedurft hätte. Dies folge aus dem Territorialitätsprinzip sowie den Bestimmungen in §§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 3 Abs. 4 AÜG a. F. Von dieser Bewertung würde man auch auf der Grundlage der heutigen Rechtslage 138 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257 Rz. 21 ff., 29 ff.; BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 139/21, NZA 2022, 1333.
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ausgehen. Die Nichtbeachtung der Erlaubnispflicht habe aber keine Unwirksamkeit des zwischen der Klägerin und A bestehenden Arbeitsverhältnisses zur Folge, so dass auch kein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten als zustande gekommen gelten könne. Denn diese Fiktion in § 10 AÜG knüpfe daran an, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher unwirksam sei. Maßgeblich für das BAG ist dabei vor allem der Umstand, dass § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. – was heute genauso zu sehen wäre139 – kein Nebeneinander von fortbestehendem Leiharbeitsvertrag und fingiertem Arbeitsverhältnis vorsehe. Vielmehr sei nach Wortlaut und Systematik der gesetzlichen Regelungen davon auszugehen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher nur dann zustande komme, wenn der zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer geschlossene Leiharbeitsvertrag als Folge einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung unwirksam sei. Soweit das LAG Baden-Württemberg in Übereinstimmung mit Teilen der Literatur davon ausgegangen sei, dass das kraft Gesetzes im Inland begründete Arbeitsverhältnis auf der Grundlage einer teleologischen Reduktion neben das im Ausland fortbestehende Arbeitsverhältnis treten könne140, fehlten hierfür – so das BAG – die erforderlichen Anknüpfungspunkte im Gesetz. Hiervon ausgehend komme ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG nur dann in Betracht, wenn die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung auch nach dem Recht des Herkunftslandes unzulässig sei und dies die Unwirksamkeit des Leiharbeitsverhältnisses zur Folge habe. Nur dann hält das BAG einen Schutz des Leiharbeitnehmers auch auf der privatrechtlichen Ebene für geboten141. Wenn die Unwirksamkeit des Leiharbeitsverhältnisses auf § 9 AÜG gestützt und daran anknüpfend mit Erfolg auch eine Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG geltend gemacht werden soll, setzt dies nach Auffassung des BAG voraus, dass für das Leiharbeitsverhältnis deutsches Arbeitsvertragsstatut gilt. Wenn aber für ein Leiharbeitsverhältnis, wie dies im vorliegenden Sachverhalt der Fall war, als Folge des Arbeitsvertragsstatuts das Recht eines anderen Mitgliedstaats der EU gelte, finde § 9 AÜG keine Anwendung142. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien zwar keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen. Das BAG ist unter Berück139 140 141 142
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BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257 Rz. 28. So Brors/Schüren, NZA 2022, 1310; Ulber, ZESAR 2015, 3, 6. BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1247 Rz. 24 ff. BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257 Rz. 29.
Employer of Records
sichtigung der Gesamtumstände des Arbeitsvertrags und seiner Abwicklung aber davon ausgegangen, dass französisches Recht aufgrund konkludenter Rechtswahl zur Anwendung kam (Art. 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO). Da für das Arbeitsverhältnis nach Auffassung des BAG französisches Recht auch ohne Rechtswahl zur Anwendung gekommen wäre, weil insoweit durch den gewöhnlichen Arbeitsort, den Sitz des Arbeitgebers, die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, den Wohnsitz der Klägerin und die steuerliche bzw. sozialversicherungsrechtliche Anknüpfung eine besondere Verbindung bestand, konnte die Anwendbarkeit von § 9 AÜG auch nicht als eine günstigere Regelung des Rechts zur Anwendung gebracht werden, das ohne Rechtswahl maßgeblich wäre (Art. 8 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4 Rom I-VO). Von diesen Grundsätzen ausgehend konnte eine Anwendbarkeit von § 9 Nr. 1 AÜG a. F. durch das BAG nur noch dann angenommen werden, wenn darin eine Vorschrift im Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 Nr. 4 AEntG oder aber eine Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu sehen gewesen wäre, die ohne Rücksicht auf das ausländische Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung gebracht werden muss. Auch dies hat das BAG in seinem Urteil vom 26.4.2022143 indes abgelehnt. Es handele sich bei § 9 Nr. 1 AÜG a. F. nicht um eine Regelung, die in den Anwendungsbereich von § 2 Nr. 4 AEntG a. F. falle. Dieser verpflichtet dazu, unabhängig von dem für ein Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsstatut die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen, anzuwenden. Abweichend von den Feststellungen des BAG im Urteil vom 21.3.2017144 geht das BAG in seinem Urteil vom 26.4.2022145 indes davon aus, dass sich die gesetzliche Vorgabe in § 2 Nr. 4 AEntG a. F. nur auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften des nationalen Rechts beziehe, die die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern regelten, sowie auf die im Inland geltenden Gewerbe-, Vermittlungs- und erlaubnisrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung. § 2 Nr. 4 AEntG a. F. ordne nicht die Geltung von Bestimmungen an, die – wie §§ 9, 10 AÜG – den Bestand des Leiharbeitsverhältnisses beträfen146. Auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 96/71/EG a. F. lasse die Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen, die dort genannt wer143 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257. 144 BAG v. 21.3.2017 – 7 AZR 207/15 n. v.; Boemke/Lembke/Boemke, AÜG § 9 Rz. 22; Deinert, ZESAR 2016, 107, 114. 145 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257. 146 Ebenso Thüsing/Thüsing, AÜG Einf. Rz. 62; Hennecke, ZESAR 2017, 117, 122.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
den, die Vertragsbeziehungen der bei der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Personen als solche unberührt. Sie beträfen nicht die Struktur der Arbeitnehmerüberlassung, die durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet sei. Insofern verpflichte die Richtlinie 96/71/EG die Mitgliedstaaten auch nicht, dafür Sorge zu tragen, dass die nach nationalem Recht bei der Verletzung erlaubnisrechtlicher Bestimmungen vorgesehenen Sanktionen unabhängig von dem auf das Leiharbeitsverhältnis anwendbaren Recht zwingend gelten würden. Fehle eine nationale Rechtsvorschrift, die eine Sanktion für die Nichteinhaltung der Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen vorsehe, könne der Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten. Darauf hatte auch der EuGH in seinem Urteil vom 17.3.2022147, auf das wir im Frühjahr verwiesen hatten148, hingewiesen. Auch das Vorliegen einer Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO hat das BAG indes abgelehnt. Eingriffsnormen i. S. d. § 9 Abs. 1 Rom I-VO seien zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrnehmung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen werden, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssten. Das setzte wiederum voraus, dass sie entweder ausdrücklich oder nach ihrem Sinn und Zweck ohne Rücksicht auf das nach den deutschen Koalitionsnormen anwendbare Recht gelten sollten. Erforderlich sei, dass eine Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet sei, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt würden149. Diese Voraussetzungen lägen in Bezug auf § 9 Nr. 1 AÜG a. F. nicht vor. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des AÜG a. F. lasse sich ein Gesetzesbefehl ableiten, dem zufolge – über die Vorgaben der Richtlinie 96/71/EG a. F. hinausgehend – § 9 Nr. 1 AÜG a. F., wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der EU unterliege, gegenüber diesem Recht vorrangig gelten solle. Aus Sicht des BAG si147 EuGH v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 Rz. 97 ff. – Daimler. 148 B. Gaul, AktuellAR 2022, 121 ff. 149 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257 Rz. 62.
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Employer of Records
chere das AÜG a. F. das öffentliche Interesse an der Einhaltung von § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG, indem § 16 Abs. 1 Nrn. 1, 2 AÜG a. F. die Verletzung der Erlaubnispflicht als Ordnungswidrigkeit sanktionierte. Hiervon wäre auch nach den letzten Änderungen im AÜG auszugehen. Folgt man diesen Überlegungen des BAG, die auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben überzeugen, lag in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall zwar eine Arbeitnehmerüberlassung vor, die ohne die nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis betrieben wurde. Dieser Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben war auch als Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren, die zu einem Bußgeld führen kann. Da § 9 Nr. 1 AÜG als Folge des französischen Arbeitsvertragsstatuts aber nicht zur Anwendung kam, konnte die Missachtung der Erlaubnispflicht nicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten führen. Dass damit eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Erlaubnis anderen Sanktionen unterworfen wird als ein Inlandssachverhalt, ist als Folge des Internationalen Privatrechts, das für die arbeitsvertraglichen Folgen maßgeblich ist, hinzunehmen.
c)
Der Employer of Records
aa)
Das Modell des Employer of Records
Auch der Employer of Records (EoR) ist durch eine Dreiecksbeziehung gekennzeichnet150. Grundlage des Modells ist die Einstellung eines Arbeitnehmers durch ein Unternehmen mit Sitz im Ausland. Das Arbeitsverhältnis wird grundsätzlich nach den arbeitsrechtlichen, steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben dieses Landes behandelt. Es hat allerdings in der Abwicklung eine Besonderheit: Auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem in einem anderen Land befindlichen Dritten wird der Dritte berechtigt, dem Arbeitnehmer gegenüber Weisungen jedenfalls in Bezug auf die Art und Zeit der Arbeitsleistung zu erbringen. Ihm wird also insoweit das Direktionsrecht übertragen, so dass er in der Lage ist, die Ergebnisse der Arbeit zu bestimmen und damit den eigenen Betriebszweck zu fördern. Die Arbeitsvergütung wird unmittelbar in dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt. Daran knüpft auch die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen an151. Der Dritte zahlt allerdings
150 Vgl. Bissels/Alles/Prokop, DB 2022, 1513; Schewiola/Grünewald, ArbRB 2022, 72. 151 Vgl. Bissels/Alles/Prokop, DB 2022, 1513.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
an den Arbeitgeber eine Vergütung als Ausgleich für den Umstand, dass ihm der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen wird. Mit dem Modell des EoR soll der Idee Rechnung getragen werden, Arbeitnehmer dauerhaft in einem Land arbeiten zu lassen, gleichzeitig aber in der Arbeitsorganisation eines Unternehmens mit Sitz in einem anderen Land tätig zu werden. Am Arbeitsort können auf diese Weise für das Arbeitsverhältnis arbeitsrechtliche, steuerrechtliche und/oder sozialversicherungsrechtliche Privilegien nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig ist der Arbeitnehmer aber in der Lage, seine fachlichen Fertigkeiten in die Arbeitsorganisation eines Unternehmens einzubringen, in dessen Land er aus persönlichen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen nicht arbeiten will. bb)
Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung
Der Einsatz von Arbeitnehmern im Rahmen des hier in Rede stehenden Modells wird man als Arbeitnehmerüberlassung qualifizieren müssen. Denn schlussendlich werden sie auf der Grundlage ihres mit dem Arbeitgeber im Land des Arbeitsorts bestehenden Arbeitsvertrags zur Arbeitsleistung einem anderen Unternehmen in einem anderen Land überlassen. Dies entspricht auch der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG. Der Umstand, dass die Arbeitnehmerüberlassung grenzüberschreitend erfolgt, macht sie jedenfalls auf der Grundlage des deutschen Rechts nicht unzulässig. Diese Bewertung wird man allerdings länderspezifisch überprüfen müssen. Denn es ist durchaus denkbar, dass die Arbeitnehmerüberlassung, wenn sie grenzüberschreitend erfolgt, nach dem für das Arbeitsverhältnis geltenden Recht am Arbeitsort nicht zulässig ist. Losgelöst von gewerberechtlichen Konsequenzen kann dies auch die Unwirksamkeit des Leiharbeitsverhältnisses zur Folge haben. cc)
Erlaubnispflicht der Arbeitnehmerüberlassung
Ob die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung durch den EoR einer Erlaubnis bedarf, ist nicht nur mit Blick auf die Gegebenheiten am Arbeitsort festzustellen. Vielmehr ist auch zu überprüfen, ob die Überlassung – wenn sie nach Deutschland erfolgt – nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG einer (weiteren) Erlaubnis der jeweils zuständigen Behörde bedarf. Lässt man unionsrechtliche Schranken einer solchen Erlaubnispflicht an dieser Stelle einmal unberücksichtigt, die wegen der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit zur Folge haben können, dass neben einer im Ausland bestehenden Erlaubnis keine (weitere) Erlaubnis der deutschen Be-
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Employer of Records
hörden erforderlich ist152, setzt die Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG indes einen Inlandsbezug der Arbeitnehmerüberlassung voraus. Dieser Inlandsbezug ist zweifelsohne dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer während seines Einsatzes für das deutsche Unternehmen auch in Deutschland tätig wird. Hiervon wird man auch dann ausgehen können, wenn die entsprechenden Einsätze auf kurze Zeitspannen begrenzt werden und/oder nur einen Know-how-Transfer zum Inhalt haben. Entsprechendes kann dann gelten, wenn der durch den EoR eingesetzte Arbeitnehmer nicht nur Weisungen des deutschen Unternehmens unterworfen ist, sondern auch Weisungen gegenüber den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern dieses Unternehmens erteilt. Abweichend von der durch Schewiola/Grünewald153 vorgenommenen Bewertung wird man insoweit nämlich nicht die Grundsätze der Matrix-Organisation übertragen können. Denn im Unterschied zu dem Vorgesetzten, der im Rahmen einer Matrix-Organisation tätig wird, erteilt der durch den EoR eingesetzte Arbeitnehmer nicht nur Weisungen im Inland. Vielmehr wird auch seine eigene Tätigkeit durch Weisungen des in Deutschland gelegenen Unternehmens gesteuert, so dass ein deutlich stärkerer Inlandsbezug als bei der bloßen Vorgesetztentätigkeit im Rahmen einer Matrix-Organisation gegeben ist. Um diese Probleme einer Erlaubnispflicht zu vermeiden, ist der Einsatz von Arbeitnehmern durch den EoR typischerweise an die Bedingung geknüpft, dass der Arbeitnehmer nicht im Land des Entleihers zum Einsatz kommt. Vielmehr ist sein Arbeitsort ausschließlich auf das Land begrenzt, in dem sich der Sitz seines Arbeitgebers befindet. Hiervon ausgehend erscheint es richtig, in Übereinstimmung mit Bissels/Alles/Prokop154 eine Erlaubnispflicht gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG abzulehnen. Denn in diesem Fall fehlt dauerhaft der für eine Erlaubnispflicht erforderliche Inlandsbezug. Dass durch die Steuerung des im Ausland tätigen Arbeitnehmers eine virtuelle Eingliederung in die inländische Betriebsorganisation erfolgt, die auch die Ergebnisse seiner Arbeit nutzt, genügt mit Blick auf das die Erlaubnispflicht begründende Territorialitätsprinzip nicht. Voraussetzung ist freilich, dass die Beibehaltung des ausländischen Arbeitsorts nicht nur im Arbeitsvertrag bzw. in der Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Dritten bestimmt wird, sondern auch tatsächlich in dieser Form gelebt wird155.
152 Eingehend hierzu vgl. Thüsing/Thüsing, AÜG § 1 Rz. 45; Timmermann/Uznanski/ Mävers/Klaus, Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter, Teil V. Rz. 1068. 153 Schewiola/Grünewald, ArbRB 2022, 272, 274 f. 154 Bissels/Alles/Prokop, DB 2022, 1513, 1514 f. 155 Bissels/Alles/Prokop, DB 2022, 1513, 1515.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
dd)
Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen
Ausgehend davon, dass der Arbeitnehmer dauerhaft in einem bestimmten Land tätig wird, sind die dort bestehenden Vorschriften auch für die Besteuerung des Arbeitslohns maßgeblich. Ganz überwiegend wird hiervon auch mit Blick auf die Sozialversicherungspflicht ausgegangen156, wobei allerdings im Auge behalten werden muss, dass diese Sichtweise bislang jedenfalls nicht unumstritten ist. Schließlich war das BSG in seiner Entscheidung vom 29.6.2016157 noch davon ausgegangen, dass die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nach §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG a. F. die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem deutschen Entleiher zur Folge habe, was auch sozialversicherungsrechtliche Pflichten des Entleihers bewirke. Hiervon wäre auf der Grundlage der Feststellungen des BAG nur noch dann auszugehen, wenn – wie ausgeführt – das Leiharbeitsverhältnis als Folge der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung auch nach dem am Arbeitsort geltenden Recht unwirksam wäre.
d)
Fazit
Insgesamt bieten die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung und das besondere Modell des EoR eine neue Form, Arbeitnehmer dauerhaft im Ausland einzusetzen. Allerdings sind mit dieser Einsatzform weitere Herausforderungen verbunden, die insbesondere mit Blick auf die steuerrechtliche Seite noch nicht abschließend geklärt sind. Auch für das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht dürfte die Diskussion noch nicht abgeschlossen sein, selbst wenn das BAG mit seinen Feststellungen im Urteil vom 26.4.2022158 in Bezug auf das Risiko der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem deutschen Entleiher eine klare Weichenstellung vorgenommen hat, die auch die sozialversicherungsrechtlichen Risiken einschränken sollte. (Ga)
9.
Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
Der Arbeitnehmerdatenschutz hat auch in diesem Herbst wieder die Gerichte beschäftigt. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen durch Missachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften ein Scha156 Berechtigterweise Barkow von Creytz, NZA 2022, 1314. 157 BSG v. 29.6.2016 – B 12 R 8/14, BB 2017, 389 Rz. 16. 158 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257.
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Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
densersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO ausgelöst wird. Auch wenn die Instanzgerichte die offenen Fragen in der Regel selbst entscheiden, gibt es in diesem Zusammenhang eine Reihe von Vorlagebeschlüssen, die zur Folge haben, dass eine abschließende Klarstellung zu den Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe des Schadensersatzes erst mit der Entscheidung des EuGH gegeben ist. Das gleiche gilt für die Frage, ob § 26 BDSG überhaupt geeignet ist, die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses zu rechtfertigen. Diese Frage stellt sich spätestens nach entsprechenden Vorlagen des BAG und des VG Frankfurt am Main. Folgt man den diesbezüglichen Feststellungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen vom 22.9.2022159, die sich mit einer entsprechenden Regelung des hessischen Beamtenrechts befassen, könnte der weitere Rückgriff auf die entsprechenden Regelungen in §§ 26 BDSG, 23 HDSIG zweifelhaft sein, was erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis besitzen würde. Nachfolgend soll versucht werden, diese Entwicklung zusammenzufassen. Soweit Art und Umfang des Kündigungsschutzes des Datenschutzbeauftragten inzwischen durch den EuGH geklärt sind, werden die daraus resultierenden Folgen an anderer Stelle aufgezeigt160. Gleiches gilt für die Frage, wie die datenschutzrechtlichen Pflichten durch den Betriebsrat umgesetzt werden müssen161.
a)
Gesetzliche Rechtfertigung einer Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungsverhältnis
aa)
Ausgangssituation
Bislang geht die betriebliche Praxis davon aus, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vor allem auf der Grundlage von § 26 BDSG gerechtfertigt werden kann. Außerhalb spezialgesetzlicher Regelungen erlaubt § 26 BDSG nicht nur, personenbezogene Daten von Beschäftigten auf der Grundlage einer Einwilligung oder einer Kollektivvereinbarung zu verarbeiten. Vielmehr enthält § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG eine Generalklausel, nach der personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden dürfen, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfül159 Generalanwalt EuGH v. 22.9.2022 – C-34/21 n. v. (Rz. 77 ff.) – Hauptpersonalrat. 160 Boewer, AktuellAR 2022, 528 ff. 161 B. Gaul, AktuellAR 2022, 591 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
lung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist. Ausgangssituation der entsprechenden Regelung ist Art. 88 DSGVO. Dieser erlaubt den Mitgliedstaaten, durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext, insbesondere für Zwecke der Einstellung, der Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung von durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen festgelegten Pflichten, des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gleichheit und Diversität am Arbeitsplatz, der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, des Schutzes des Eigentums der Arbeitgeber oder der Kunden sowie für Zwecke der Inanspruchnahme der mit der Beschäftigung zusammenhängenden individuellen oder kollektiven Rechte und Leistungen und für Zwecke der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vorzusehen (Art. 88 Abs. 1 DSGVO). Ergänzend hierzu bestimmt Art. 88 Abs. 2 DSGVO, dass entsprechende Vorschriften geeignete und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz umfassen. Aktuelle Vorlagebeschlüsse des VG Frankfurt am Main und des BAG haben Zweifel entstehen lassen, ob sich Unternehmen zukünftig weiterhin ohne die Berücksichtigung zusätzlicher Schranken auf diese gesetzliche Rechtfertigung durch § 26 BDSG verlassen können. bb)
Vorlagebeschluss des BAG
In seiner Entscheidung vom 22.9.2022162 musste sich das BAG mit der Frage befassen, ob die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Übermittlung personenbezogener Daten an die vormalige Konzernmutter der Arbeitgeberin in den USA gegen das Datenschutzrecht verstoßen und deshalb einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO ausgelöst hatte. Die Arbeitgeberin, die den Datentransfer auf § 26 BDSG, zwei ergänzende Betriebsvereinbarungen sowie Standardvertragsklauseln im Hinblick auf die transatlantische Übermittlung gestützt hatte, sah ihr Handeln insbesondere durch 162 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
die Betriebsvereinbarungen gerechtfertigt. Der Kläger verwies allerdings unter anderem darauf, dass mit der Betriebsvereinbarung nur eine Grundlage für die Verarbeitung eines Teils der von der Übermittlung betroffenen Daten zugelassen worden war. Wie nachfolgend auch im Zusammenhang mit dem Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO ausgeführt wird, hatte das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 25.2.2021163 einen solchen Schadensersatzanspruch noch mit der Begründung abgelehnt, dass der Arbeitgeber bei seiner Verarbeitung der personenbezogenen Daten (nur) die Schranken der Betriebsvereinbarung missachtet und daher (nur) gegen nationales Recht zum Schutz der personenbezogenen Daten verstoßen habe. Da Art. 82 DSGVO einen Verstoß gegen die Verordnung verlange, um einen Schadensersatzanspruch auszulösen, war die Klage aus seiner Sicht unbegründet. Das BAG hat diese Sichtweise offenkundig nicht übernommen. Jedenfalls aber hat es Klärungsbedarf in Bezug auf die Frage gesehen, ob sich der Arbeitgeber bei der Verarbeitung der personenbezogenen Daten ausschließlich auf § 26 BDSG i. V. m. der Betriebsvereinbarung berufen durfte oder ob darüber hinaus weitere Vorschriften der DSGVO als Schranke der Datenverarbeitung zu berücksichtigen waren. Sollte dies der Fall sein, wäre zu prüfen, ob die in Rede stehende Übermittlung der personenbezogenen Daten durch den Arbeitgeber auch mit diesen Vorschriften der DSGVO vereinbar war. Falls dies nicht der Fall gewesen sein sollte, könnte dies die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO bilden. Auf der Grundlage seines Beschlusses vom 22.9.2022164 hat das BAG den EuGH gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung unter anderem über folgende Fragen ersucht: 1. Ist eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie etwa § 26 Abs. 4 BDSG, in der bestimmt ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten – einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten – von Beschäftigen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen unter Beachtung von Art. 88 Abs. 2 DSGVO zulässig ist, dahin auszulegen, dass stets auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie etwa Art. 5, 6 Abs. 1, 9 Abs. 1, 2 DSGVO – einzuhalten sind? 2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
163 LAG Baden-Württemberg v. 25.2.2021 – 17 Sa 37/20 n. v. (Rz. 54 ff., 98 ff.). 164 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Darf eine nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO erlassene nationale Rechtsvorschrift – wie § 26 Abs. 4 BDSG – dahin ausgelegt werden, dass den Parteien einer Kollektivvereinbarung (hier den Parteien einer Betriebsvereinbarung) bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung i. S. d. Art. 5, 6 Abs. 1, 9 Abs. 1, 2 DSGVO ein Spielraum zusteht, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist? 3. Sofern die Frage zu 2. bejaht wird: Worauf darf in einem solchen Fall die gerichtliche Kontrolle beschränkt werden?
Mit seinen Fragen will das BAG nicht nur das Verhältnis zwischen den im nationalen Recht bestehenden Regelungen, die auf der Grundlage von Art. 88 DSGVO spezifische Vorschriften in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungsverhältnis setzen sollen, zu den allgemeinen Voraussetzungen einer Verarbeitung personenbezogener Daten durch Art. 5 ff. DSGVO klären lassen. Es will, was für die Betriebsverfassung und das Tarifvertragsrecht gleichermaßen von erheblicher Bedeutung ist, darüber hinaus durch den EuGH klären lassen, ob bei den Voraussetzungen der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Datenverarbeitung, wie sie beispielsweise in Art. 6 DSGVO oder § 26 BDSG vorausgesetzt werden, ein Beurteilungsspielraum der Parteien einer Kollektivvereinbarung besteht, der durch die Arbeitsgerichte nur eingeschränkt überprüft werden kann. Hiervon geht das BAG typischerweise in Bezug auf die Tarifvertragsparteien aus, zumal sich diese bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen auch auf die Tarifautonomie, wie sie auch durch Art. 12, 28 GRC, 9 Abs. 3 GG geschützt wird, stützen können. cc)
Vorlagebeschluss des VG Frankfurt am Main
Der Vorlagebeschluss des VG Frankfurt am Main befasst sich zwar nicht unmittelbar mit § 26 BDSG. Vielmehr geht es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall um die Frage, ob die beim hessischen Ministerium beschäftigten Lehrkräfte in die Übertragung ihres Unterrichts per Videokonferenz einwilligen müssen oder ob die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten, sofern sie nicht einwilligen, auf der Grundlage von § 23 HDSIG gerechtfertigt sein kann. Diese Regelung erlaubt – im Wortlaut weitgehend identisch mit § 26 BDSG – die Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten, wenn dies insbesondere zur Abwicklung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Dabei kann, wenn die Vorgaben aus Art. 5 DSGVO beachtet werden, auch auf Kollektivvereinbarungen zurückgegriffen werden.
470
Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
Das VG Frankfurt am Main hat in seiner Vorlage an den EuGH Zweifel daran geäußert, ob es sich bei § 23 Abs. 1 S. 1 HDSIG um eine Norm handele, die als eine „spezifischere Vorschrift“ hinsichtlich der Verarbeitung von personenbezogenen Beschäftigtendaten nach Art. 88 DSGVO anzusehen sei. Nach Ansicht des VG Frankfurt am Main erfüllt § 23 Abs. 1 S. 1 HDSIG die in Art. 88 Abs. 2 DSGVO gestellten Anforderungen nicht, da sie als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Daten der Beschäftigten bzw. Beamten lediglich auf die „Erforderlichkeit“ abstelle, obwohl bei jeder Verarbeitung von Beschäftigtendaten, die über die rein notwendige Datenverarbeitung aus dem Beschäftigungsvertrag hinausgehe, eine Interessenabwägung durchzuführen sei, die über die einfache Erforderlichkeit, wie sie in § 23 Abs. 1 S. 1 HDSIG genannt werde, hinausgehe. Mit der Aufnahme des Begriffs der „Erforderlichkeit“ habe der Gesetzgeber daher keine Konkretisierung der von Art. 88 Abs. 2 DSGVO enthaltenen Anforderungen vorgenommen. Dies gelte auch insoweit, als auf Art. 5 DSGVO verwiesen werde. Denn auch damit werde kein besonderer Schutz der Beschäftigten geschaffen. Vor diesem Hintergrund hat das VG Frankfurt am Main den EuGH um Beantwortung der folgenden Fragen ersucht: 1. Ist Art. 88 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass eine Rechtsvorschrift, um eine spezifischere Vorschrift zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext i. S. d. Art. 88 Abs. 1 DSGVO zu sein, die an solche Vorschriften nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO gestellten Anforderungen erfüllen muss? 2. Kann eine nationale Norm, wenn diese die Anforderungen nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO offensichtlich nicht erfüllt, trotzdem noch anwendbar bleiben?
In seinen Schlussanträgen vom 22.9.2022165 hat der Generalanwalt diese Bedenken aufgegriffen und die Ansicht vertreten, dass eine von einem Mitgliedstaat erlassene Rechtsvorschrift nur dann eine spezifischere Vorschrift zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext darstelle, wenn sie die nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO an solche Vorschriften gestellten Anforderungen erfülle. Dies bewirkt aus Sicht des Generalanwalts aber nicht automatisch ihre fehlende Anwendbarkeit. Vielmehr könne sie trotz fehlender Beachtung der in Art. 88 Abs. 2 DSGVO genannten 165 Generalanwalt EuGH v. 22.9.2022 – C-34/21 n. v. (Rz. 24 ff., 54 ff., 80) – Hauptpersonalrat.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Voraussetzungen weiterhin anwendbar sein, soweit sie durch andere Bestimmungen der DSGVO oder durch die in Art. 6 Abs. 2 DSGVO genannten, zur Anpassung erlassenen Vorschriften des nationalen Rechts gedeckt sei. Ob § 26 BDSG insgesamt tatsächlich keine Konkretisierung i. S. d. Art. 88 Abs. 1 DSGVO enthält, soll an dieser Stelle zunächst einmal nicht erörtert werden. Hier wird man deutlich differenzierter herangehen müssen. Denn jedenfalls die Regelungen zu unternehmensinternen Untersuchungen (§ 26 Abs. 1 S. 2 BDSG) und zur Einwilligung des Arbeitnehmers (§ 26 Abs. 2 BDSG) enthalten klare Konkretisierungen in Bezug auf die Voraussetzungen einer Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis. Unabhängig davon erscheint die Betrachtungsweise des Generalanwalts richtig, soweit anerkannt wird, dass eine nationale Vorschrift zur Rechtfertigung der Verarbeitung personenbezogener Daten auch im Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverhältnis nicht nur durch Art. 88 DSGVO gerechtfertigt sein kann. Art. 88 DSGVO erlaubt den Mitgliedstaaten, unter den dort genannten Voraussetzungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Begründung, Durchführung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen vorzusehen. Davon ungeachtet enthält die DSGVO nämlich auch an anderen Stellen Ermächtigungen der Mitgliedstaaten, die die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigen können. So erlaubt Art. 6 Abs. 2 DSGVO den Mitgliedstaaten, Regelungen zu treffen, die einer Anpassung der Anwendung bestimmter Vorschriften der DSGVO dienen. Dies kann auch das Beschäftigungsverhältnis betreffen, wenn die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist. Beispielhaft sei hier nur auf Vorgaben des Arbeitgebers im Arbeitsschutz verwiesen. Unbeachtet dieser grundsätzlich überzeugenden Sichtweise lässt allerdings bereits der Beschluss des VG Frankfurt am Main völlig unberücksichtigt, dass § 23 HDSIG – ebenso wie § 26 BDSG – ohne Weiteres unionsrechtskonform ausgelegt werden kann. Insofern ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BAG zu § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG davon auszugehen, dass die „Erforderlichkeit“ einer Datenverarbeitung erst dann gegeben ist, wenn die jeweils in Rede stehende Maßnahme geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen des Arbeitgebers auf der einen und des Arbeitnehmers auf der anderen Seite auch angemessen ist. Damit gewährleisten §§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG, 23 Abs. 1 S. 1 HDSIG die zum Schutz der Persönlichkeitsrechte erforderliche Interessenabwägung. Deutlich sensibler dürfte indes der Umstand sein, dass jedenfalls in §§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG, 23 Abs. 1 S. 1 HDSIG tatsächlich keine substanzielle 472
Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes
Konkretisierung der Voraussetzungen erfolgt, unter denen die im Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverhältnis stehende Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgen kann. Vielmehr beschränkt sich der nationale Gesetzgeber im Wesentlichen auf eine Widergabe der in Art. 88 Abs. 1 bzw. Art. 5, 9 DSGVO enthaltenen Schranken. Es liegt daher durchaus nahe, dem Gesetzgeber vorzuwerfen, dass damit jedenfalls keine spezifischeren Regelungen getroffen worden sind. Außerdem wird sich der Gesetzgeber vorwerfen lassen müssen, dass die Voraussetzungen, die in Art. 88 Abs. 2 DSGVO als Schranken der Datenverarbeitung genannt werden, in §§ 26 Abs. 1 BDSG, 23 Abs. 1 HDSIG im Grunde nicht erkennbar werden. Sie können daher nur im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung berücksichtigt werden, die dem Schutz personenbezogener Daten durch Art. 8 GRC, die konkretisierenden Regelungen der DSGVO, Art. 1, 2 GG sowie die Generalklauseln, wie sie in einfachen Gesetzen enthalten sind (z. B. §§ 241 Abs. 2 BGB, 75 BetrVG), Rechnung trägt. Ob es genügt, auf diese Weise weitere Schranken einer Verarbeitung personenbezogener Daten im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung der auf der Grundlage von Art. 88 DSGVO erlassenen Rechtsvorschriften in nationales Recht umzusetzen, wird jetzt der EuGH entscheiden müssen. dd)
Zwischenfazit
Die beiden Vorlagebeschlüsse begründen erhebliche Rechtsunsicherheit in der betrieblichen Praxis. Bis zu einer Klarstellung durch den EuGH wird man daher in der betrieblichen Praxis zu gewährleisten haben, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen stets nicht nur die generellen Vorgaben in §§ 26 Abs. 1 BDSG, 23 Abs. 1 HDSIG erfüllt sind, sondern auch die sonstigen Vorgaben der DSGVO – wie beispielsweise Art. 5, 6, 9 DSGVO – Beachtung finden. Diese Problematik dürfte auf gesetzgeberischer Ebene erst dann gelöst werden, wenn – was die Bundesregierung angekündigt hat – ein Beschäftigtendatenschutzgesetz kommt, mit dem dann tatsächlich spezifischere Regelungen zum Datenschutz in den Beschäftigungskontext gesetzt werden.
b)
Aktuelle Rechtsprechung zum Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO
Unabhängig von der Möglichkeit eines Unterlassungsanspruchs, der unmittelbar auf Art. 17 DSGVO gestützt werden kann166, kann eine Erhebung, Speicherung und Nutzung von Daten ohne eine in der DSGVO vorgesehene
166 Vgl. OLG Frankfurt v. 2.3.2022 – 13 U 206/20, NZA-RR 2022, 294 Rz. 38 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Rechtfertigung nach Art. 82 DSGVO zu Haftung und Schadensersatzansprüchen der davon betroffenen Person führen. Dabei werden materieller und immaterieller Schaden erfasst. Anspruchsgegner: Der Anspruch richtet sich gegen „jeden an einer Verarbeitung beteiligten Verantwortlichen“, wenn und soweit der Schaden durch eine nicht der DSGVO entsprechende Verarbeitung verursacht wurde. Bei der Auftragsdatenverarbeitung haftet das beauftragte Unternehmen selbst allerdings nur dann, wenn es entgegen den übertragenen Pflichten oder unter Nichtbeachtung einer rechtmäßigen Weisung tätig geworden ist. Kennzeichnung und Nachweis des immateriellen Schadens: In Übereinstimmung mit den Feststellungen des 8. Senats des BAG in den Gründen seines Vorlagebeschlusses vom 26.8.2021167 dürfte es für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO ausreichend sein, wenn eine Verletzung der DSGVO und diese konkretisierenden Vorschriften des nationalen Rechts geltend gemacht wird. Folgt man dieser Sichtweise, wäre nicht erforderlich, dass die verletzte Person einen (weiteren) von ihr erlittenen immateriellen Schaden darlegt. Dieses Verständnis von Art. 82 DSGVO ist allerdings weiterhin nicht unumstritten. So ist das OLG Frankfurt in seinem Urteil vom 2.3.2022168 davon ausgegangen, dass der bloße Verstoß gegen das Gesetz nicht genügt, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Dagegen spreche, dass Art. 82 DSGVO von einem „entstandenen“ Schaden und Erwägungsgrund 146 DSGVO von einem „erlittenen“ Schaden spreche, was die Annahme rechtfertige, dass die bloße Befürchtung eines Schadens nicht ausreichend sei. Auf diesen Wortlaut von Erwägungsgrund 146 DSGVO hat jetzt auch der 2. Senat des BAG in seinem Urteil vom 5.5.2022169 hingewiesen, schlussendlich aber offengelassen, ob wegen der daraus resultierenden Zweifel bereits durch die unvollständige Erfüllung eines Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO ein Schadensersatzanspruch entstehen könne. Welcher Sichtweise der EuGH folgt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Nachdem aber auch der OGH Österreich in seinem Beschluss vom 15.4.2021170 und der 8. Senat des BAG in einem weiteren Vorlagebeschluss vom 22.9.2022171 die Frage aufgeworfen haben, ob der Zuspruch von Schadensersatz neben einer Verletzung von Bestimmungen der DSGVO auch ver167 168 169 170 171
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BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 33). OLG Frankfurt v. 2.3.2022 – 13 U 206/20, NZA-RR 2022, 294 Rz. 63 ff., 70 f. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1192 Rz. 11. OGH Österreich v. 15.4.2021 – 6 Ob 35/21x n. v.. BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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langt, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat, oder ob es ausreicht, dass Bestimmungen der DSGVO verletzt worden sind, wird es zu einer unionsrechtlich erforderlichen Klarstellung kommen. Schließlich handelt es sich bei dem Begriff des Schadensersatzes in Art. 82 DSGVO um einen autonomen Begriff des Gemeinschaftsrechts, dessen inhaltliche Auslegung nur durch den EuGH bestimmt werden kann. Im Ergebnis dürfte ein Schadensersatzanspruch allerdings auch bei der engen Sichtweise nur im Ausnahmefall ausgeschlossen sein. Denn der Begriff des immateriellen Schadens ist, wie Erwägungsgrund 146 DSGVO deutlich macht, weit zu verstehen. Der immaterielle Schaden eines Arbeitnehmers durch Missachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften kann beispielsweise darin liegen, dass die Vertraulichkeit der Daten verloren geht, dass Daten für unzulässige Zwecke genutzt werden (z. B. Diskriminierung) oder dass die betroffene Person die Kontrolle über die personenbezogenen Daten verliert172. Das betrifft beispielsweise auch Bewerber, wenn ihre Daten außerhalb der eigentlichen Bewerbung oder ohne eine weitergehende Einwilligung genutzt werden173. Darüber hinaus können die übermittelten Daten eine Rufschädigung bei Behörden, der Öffentlichkeit oder Dritten zur Folge haben. Nach den Feststellungen des OLG Frankfurt im Urteil vom 2.3.2022174 kann der immaterielle Schaden auch in Ängsten, Stress sowie Komfort- und Zeiteinbußen liegen. Entsprechende Beeinträchtigungen müssen allerdings durch den betroffenen Arbeitnehmer vorgetragen werden; die bloße Darlegung der Missachtung gesetzlicher Vorschriften genügt nicht. Das gelte auch für eine „Schmach“ durch die unbefugte Weiterleitung personenbezogener Daten im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens. Kausalität: Grundsätzlich verlangt der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers kein schuldhaftes Handeln des Arbeitgebers. Nach ganz überwiegender Auffassung genügt es, dass der Schaden wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO entstanden ist175. Auf der Grundlage der durch das BAG am 22.9.2022176 beschlossenen Vorlage wird der EuGH jetzt allerdings klären müssen, ob bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die auf der Grundlage einer nach Art. 88 DSGVO erlassenen Rechtsvorschrift erfolgt, neben Art. 88 Abs. 2 DSGVO auch die sonstigen Vorschriften der DSGVO – 172 Vgl. ArbG Dresden v. 26.8.2020 – 13 Ca 1046/20 n. v. (Rz. 15) m. Anm. Böhm/Brams, NZA-RR 2020, 671. 173 Vgl. LG Darmstadt v. 26.5.2020 – 13 O 244/19 n. v. 174 OLG Frankfurt v. 2.3.2022 – 13 U 206/20, NZA-RR 2022, 294 Rz. 70 ff., 74. 175 Vgl. BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 39); a. A. Paal, MMR 2020, 14, 17. 176 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
wie etwa Art. 5, 6 Abs. 1, 9 Abs. 1, 2 DSGVO – zu beachten sind. Diese Frage war relevant, weil das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 25.2.2021177 einen Schadensersatzanspruch im Ergebnis mit der Begründung abgelehnt hatte, dass der Arbeitgeber bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch das Programm Workday (nur) gegen die Regelungen einer Betriebsvereinbarung verstoßen hatte, als er im Probebetrieb auch solche Daten verarbeitete (und an die amerikanische Konzernobergesellschaft gesandt hatte), deren Verarbeitung in der Betriebsvereinbarung nicht legitimiert worden waren. Denn darin läge (nur) ein Verstoß gegen § 26 Abs. 4 BDSG i. V. m. der Betriebsvereinbarung, welcher von Art. 82 DSGVO nicht erfasst werde. Diese Sichtweise wäre unzutreffend, wenn (1) § 26 BDSG unter Berücksichtigung der Vorlage durch das VG Frankfurt am Main ohnehin keine geeignete Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungsverhältnis darstellt oder (2) bei einem Überschreiten der durch § 26 Abs. 4 BDSG i. V. m. der Betriebsvereinbarung gesetzten Grenzen auch ein Verstoß gegen Art. 5, 6, 88 DSGVO gegeben ist. Möglichkeiten der Exkulpation: Problematisch ist aber nicht nur, wenn Mitarbeiter im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoßen, obwohl gegenteilige Handlungsvorgaben des Arbeitgebers bestanden haben178. Ebenso problematisch sind Verstöße des Betriebsrats gegen datenschutzrechtliche Vorgaben. Weil der Betriebsrat mit § 79 a BetrVG zu Recht als Teil der verantwortlichen Stelle bestimmt wird, kann dies eine Haftung des Arbeitgebers zur Folge haben. Darauf wird allerdings an anderer Stelle noch einmal eingegangen179. Grundsätzlich soll der Verantwortliche von seiner Haftung nur befreit werden, wenn er nachweist, dass er in keiner Weise für den Schaden verantwortlich ist (Erwägungsgrund 145, Art. 83 Abs. 3 DSGVO). Voraussetzung ist daher, dass der Arbeitgeber nachweisen kann, jedenfalls seinen Verpflichtungen zur Unterweisung, Organisation und Anweisung (gegenüber Arbeitnehmern) bzw. Hinwirkung und Unterstützung (gegenüber dem Betriebsrat) nachgekommen zu sein. Folgt man dem BAG in seinem Vorlagebeschluss vom 26.8.2021180, setzt das eine fehlende Beteiligung bzw. Kausalität in Bezug auf den Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben voraus. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast: Bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO gelten die allgemeinen 177 178 179 180
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LAG Baden-Württemberg v. 25.2.2021 – 17 Sa 37/20 n. v. (Rz. 98 ff.). Vgl. hierzu Ambrock, ZD 2020, 492, 496; Hanßen, DB 2020, 2730. B. Gaul, AktuellAR 2022, 591 ff. BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 40).
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Grundsätze des nationalen Prozessrechts. Es gibt also keine Beweislastumkehr in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass mit Art. 82 DSGVO eine Gefährdungshaftung geschaffen würde, wofür keine Anhaltspunkte in der DSGVO zu erkennen sind181. Damit muss der von einer Verarbeitung seiner Daten Betroffene grundsätzlich darlegen und ggf. beweisen, dass Vorschriften der DSGVO zum Schutz dieser Daten missachtet wurden. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des OLG Stuttgart im Urteil vom 31.3.2021182 ist davon auszugehen, dass es nicht genügt, dass der Betroffene Anhaltspunkte für einen Datenschutzverstoß vorträgt183. Ebenso wenig genügt es, Tatsachen vorzutragen, die es als möglich erscheinen lassen, dass datenschutzrechtliche Pflichten verletzt wurden184. Es fehlt an einer dem § 22 AGG entsprechenden Regelung zur Beweiserleichterung. Vielmehr wird den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität durch die Anwendung der zivilprozessualen Grundsätze zur sekundären Darlegungslast ausreichend Rechnung getragen185. Erst wenn die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs dargelegt sind, wird die Möglichkeit einer Exkulpation nach Art. 82 Abs. 3 DSGVO relevant. Darlegungs- und beweisbelastet für die fehlende Kausalität ist der Verantwortliche selbst. Er muss nicht nur darlegen, die durch die DSGVO begründeten Verpflichtungen erfüllt zu haben186. Es muss – so das BAG – weiterhin deutlich werden, dass der haftungsbegründende Tatbestand auf einem unzulässigen Eingriff durch einen Dritten beruht, der trotz aller gebotenen Sorgfaltsmaßnahmen keinen Erfolg hatte. Das dürfte allerdings auch bei einem Handeln von Arbeitnehmern und/oder Betriebsratsmitgliedern gegeben sein, die gegen klare Vorgaben (Arbeitnehmer) und Handlungshinweise (Betriebsrat) verstoßen. Kann diese Verantwortlichkeit nicht widerlegt werden, ist der Schadensersatzanspruch zwar dem Grunde nach anzuerkennen. Nicht ausgeschlossen erscheint aber, dass der Grad der Verantwortlichkeit bzw. ein fehlendes oder geringes Verschulden eine Minderung oder den Ausschluss des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Das hält das BAG berechtigterweise für möglich, hat aber den EuGH um Vorabentscheidung ersucht187.
181 182 183 184 185 186 187
OLG Stuttgart v. 31.3.2021 – 9 U 34/21 n. v. (Rz. 51). OLG Stuttgart v. 31.3.2021 – 9 U 34/21 n. v. (Rz. 44 ff.). So EuArbRK/Franzen, DSGVO Art. 82 Rz. 16. So Kohn, ZD 2019, 498, 502. Ebenso OLG Stuttgart v. 31.3.2021 – 9 U 34/21 n. v. (Rz. 44 ff.). So LG Rostock v. 15.9.2020 – 3 O 762/19 n. v. BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 38).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Höhe des Schadensersatzanspruchs: Einvernehmen besteht darüber, dass bei der Höhe des Schadensersatzanspruchs die Grundsätze von Effektivität und Äquivalenz zu beachten sind188. Weitergehende Vorgaben lassen sich, sofern der EuGH auf Vorlage des OGH Österreich keine hiervon abweichende Sichtweise vornimmt, der DSGVO selbst nicht entnehmen. Hiervon ausgehend kann das Gericht bei der Bemessung des Schadensersatzanspruchs auch auf § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO zurückgreifen189. Danach entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe. Denn diese Vorschrift findet im nationalen Recht auch bei der Durchsetzung anderer Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz Anwendung. Auf dieser Grundlage sind bei der Festsetzung des Schadensersatzes alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Schwere und Dauer des Verstoßes, die Art der betroffenen Daten (vor allem bei besonderen personenbezogenen Daten), das Gewicht des eingetretenen Schadens, der Grad des Verschuldens oder Maßnahmen zur Minderung des der Person entstandenen Schadens190. Hiervon geht auch der 8. Senat des BAG in den Gründen der beiden Vorlagebeschlüsse vom 26.8.2021191 und vom 22.9.2022192 aus. Da Art. 82 DSGVO oder vorangehende Rechtsprechung des EuGH diese Frage aber nicht beantwortet, will das BAG im Rahmen der Vorabentscheidung wissen, ob diese Berücksichtigung des Grads des Verschuldens bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden Schadens zulässig sei. Dabei geht es nicht nur darum, das Verschulden als Rechtfertigung für eine Anhebung des Schadensersatzes zu berücksichtigen193. Vielmehr soll der EuGH klarstellen, ob ein nicht vorliegendes oder geringes Verschulden auf Seiten des Verantwortlichen (bzw. des Auftraggebers) zu dessen Gunsten berücksichtigt werden darf. Insgesamt entspräche die Berücksichtigung des Verschuldens bei der Höhe des Schadensersatzes den Kriterien, die nach Art. 83 DSGVO bei der Festsetzung eines Bußgelds zu berücksichtigen sind194. Die Höhe des Gehalts eines von einer Verletzung datenschutzrechtli188 OGH Österreich v. 15.4.2021 – 6 Ob 35/21x n. v. 189 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1192 Rz. 12 ff. 190 Vgl. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1193 Rz. 18 ff.; AG Pforzheim v. 25.3.2020 – 13 C 160/19 n. v.; Wybitul/Haß/Albrecht, NJW 2018, 113, 115. 191 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 38 ff). 192 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v. 193 So BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1193 Rz. 18. 194 Offen zur Berücksichtigung des Kriterienkatalogs in Art. 82 Abs. 2 S. 2 DSGVO vgl. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1193 Rz. 17.
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cher Vorschriften Betroffenen spielt – so das BAG zutreffend – indes für den Schadensersatzanspruch keine Rolle195. In Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur nimmt das BAG in seinem Urteil vom 5.5.2022196 außerdem an, dass die Höhe des Schadensersatzanspruchs eine abschreckende Wirkung besitzen müsse197. Dabei sei es allerdings ermessensgerecht, einen Schadensersatz i. H. v. 1.000 € festzusetzen, wenn damit eine verspätete Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO sanktioniert werden solle. Für ein solches Verständnis spricht zunächst einmal, dass (auch) der Schadensersatzanspruch die Durchsetzung der Regelungen der DSGVO in den einzelnen Mitgliedstaaten bewirken, also der Wirksamkeit der unionsrechtlichen Handlungsvorgabe dienen soll (effet utile). Dagegen spricht aber, dass die „abschreckende“ Wirkung lediglich in Art. 83 DSGVO, also bei der Festsetzung von Geldbußen genannt wird. Hätte der Verordnungsgeber diese Wirkungsweise auch dem Anspruch auf Schadensersatz zuerkennen wollen, hätte es nahe gelegen, dies auch in Art. 82 DSGVO zu erwähnen. Das hätte der Vorgehensweise in Art. 17 Richtlinie 2000/78/EG, Art. 15 Richtlinie 2000/43/EG oder Art. 18, 25 Richtlinie 2006/54/EG entsprochen, die die abschreckende Wirkung von Schadensersatz ausdrücklich als eine denkbare – allerdings nicht zwingende198 – Sanktion zur Durchsetzung der Wirksamkeit einer der Richtlinien zur Gleichbehandlung benennen. Nachdem das BAG dem EuGH mit seinen Beschlüssen vom 26.8.2021199 und 22.9.2022200 jetzt aber auch die Frage vorgelegt hat, ob Art. 82 DSGVO spezial- bzw. generalpräventiven Charakter habe und dies bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden Schadens auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu Lasten des Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiters zu berücksichtigen sei, sollte bald eine Klarstellung erfolgen. Unabhängig davon, dass bei einer entsprechenden Festlegung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sei, will das BAG allerdings weiterhin wissen, ob die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz 195 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1193 Rz. 26. 196 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 363/21, NZA 2022, 1193 Rz. 23 ff. 197 So auch LG Lüneburg v. 14.7.2020 – 9 O 145/19 n. v.; AG Hildesheim v. 5.10.2020 – 43 C 145/19 n. v.; ArbG Dresden v. 26.8.2020 – 13 Ca 1046/20 n. v. (Rz. 17); AG Pforzheim v. 20.3.2020 – 13 C 160/19 n. v.; ähnlich Paal, MMR 2020, 14, 15; krit. OLG Dresden v. 20.8.2020 – 4 U 784/20, NJW-RR 2020, 1370; LG Karlsruhe v. 2.8.2019 – 8 O 26/19 n. v. 198 Vgl. EuGH v. 17.12.2015 – C-407/14, NZA 2016, 471 Rz. 34 ff. – Arjona Camacho. 199 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 35 ff). 200 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
auch in Bezug auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs zu berücksichtigen seien. Dabei geht das BAG zwar davon aus, dass Art. 82 DSGVO keine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten der EU enthalte und daher in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erfahren müsse. Gleichwohl könnten – so das BAG – womöglich in der Praxis unterschiedlich hohe Entschädigungsbeträge in den Mitgliedstaaten in vergleichbaren Fällen bei der Höhe eines immateriellen Schadensersatzes im Widerspruch zum Grundsatz der Äquivalenz stehen. Ausgrenzung von Bagatellverstößen: Gegenstand des Vorlagebeschlusses des BAG vom 22.9.2022201 ist auch die Frage, ob der immaterielle Schaden, der geltend gemacht wird, ein bestimmtes Gewicht haben muss, das – so schon der OGH Österreich – über den durch die Rechtsverletzung hervorgerufenen Ärger hinausgeht. Die Antwort auf diese Frage ist unmittelbar mit der Diskussion darüber verbunden, ob bereits der bloße Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs ausreichend ist, um von einem „erlittenen“ Schaden auszugehen. Denn in diesem Fall wird man einen Schadensersatzanspruch nicht mit der Begründung verneinen können, dass die jeweils in Rede stehende Vorschrift nur ein so geringes Gewicht hat, dass ihre Missachtung (noch) keinen Schadensersatzanspruch rechtfertigt. Soweit in der Rechtsprechung immer wieder darauf verwiesen wird, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht für die betroffene Person „spürbar“ sein müsse, Bagatellverstöße also auszugrenzen seien202, dürfte dies allerdings nach der hier vertretenen Auffassung mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar sein. Das gleiche gilt, wenn verlangt wird, dass „benennbare und tatsächliche Persönlichkeitsverletzungen“ dargelegt werden203 oder ein bloßes „Gefühl des Unbehagens“ nicht als ausreichend verstanden wird204. Für die letztgenannte Auffassung streitet zwar, dass der Schaden in Art. 82 DSGVO nicht per se vermutet wird. Gegen die Ausgrenzung von Bagatellschäden spricht aber bereits, dass diese Einschränkung im Wortlaut von Art. 82 DSGVO nicht angelegt ist.
201 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v. 202 So OLG Dresden v. 11.12.2019 – 4 U 1680/19, NJW-RR 2020, 426; LG Landshut v. 6.11.2020 – 51 O 513/20 n. v.; LG Köln v. 7.10.2020 – 28 O 71/20 n. v.; AG Hannover v. 9.3.2020 – 531 C 10952/19 n. v.; AG Bochum v. 11.3.2019 – 65 C 485/18 n. v.; AG Diez v. 7.11.2018 – 8 C 130/18 n. v. 203 So LG Hamburg v. 4.9.2020 – 324 S 9/19 n. v. 204 So AG Frankfurt v. 10.7.2020 – 385 C 155/19 (70) n. v.
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Hiervon ausgehend erscheint es – jedenfalls bis zu einer entsprechenden Klarstellung durch den EuGH – geboten, das Vorliegen eines Schadens zu prüfen, wenn Vorschriften der DSGVO verletzt sind205. So ist von einem relevanten Schaden immer dann auszugehen, wenn ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften gegeben ist, der einen Kontrollverlust bei den betroffenen Personen zur Folge hat, so dass auch vermeintliche Bagatellverstöße zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs ausreichen 206. Damit überzeugt es auch nicht, weiterhin eine „gewisse Erheblichkeit“ zu verlangen207. Insofern reicht es, wenn – wie dargestellt – durch den Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften ein Kontrollverlust des Arbeitnehmers in Bezug auf seine personenbezogenen Daten manifestiert wird. Von dieser Sichtweise geht auch das BAG in seinem Vorlagebeschluss vom 26.8.2021208 aus, wobei das Gewicht der Rechtsverletzung in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall gegeben war, so dass dieser Aspekt die Vorlage nicht erforderlich gemacht hatte. Nachdem aber schon das BVerfG in seinem Beschluss vom 14.1.2021209 auf die Klärungsbedürftigkeit hingewiesen und deshalb einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des AG Goslar vom 27.9.2019210 stattgegeben hatte, war es geboten, dass das BAG in seinem Beschluss vom 22.9.2022211 diese für seine Entscheidung wesentliche Frage noch einmal aufgegriffen hat. (Ga)
c)
Schlussbemerkung
Der Arbeitnehmerdatenschutz spielt für die Arbeit im Bereich HR eine ganz herausragende Rolle. Geht es doch immer darum, arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Begründung, Durchführung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen auf die besonderen Aspekte des Einzelfalls auszugestalten und umzusetzen. Das ist ohne Kenntnis der personenbezogenen Daten und deren Verarbeitung durch das Unternehmen und seine Führungskräfte ausgeschlossen. Wichtig ist es daher, dass alle Beteiligten wissen, welche Voraussetzungen und Grenzen für den Umgang mit diesen Daten durch die 205 Vgl. OLG Dresden v. 11.6.2019 – 4 U 760/19 n. v., das insoweit Fallgestaltungen mit einem bewusst rechtswidrigen Verhalten einbeziehen will. 206 Vgl. LAG Hamm v. 11.5.2021 – 6 Sa 1260/20 n. v. (Rz. 64 f.); LG Lüneburg v. 14.7.2020 – 9 O 145/19 n. v.; unklar LG Darmstadt v. 26.5.2020 – 13 O 244/19 n. v., das von einem Überschreiten der „Bagatellgrenze“ spricht. 207 So aber Wybitul, NJW 2019, 3265, 3268. 208 BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. (Rz. 33 f.). 209 BVerfG v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005 Rz. 17 ff. 210 AG Goslar v. 27.9.2019 – 28 C 7/19 n. v. 211 BAG v. 22.9.2022 – 8 AZR 209/21 (A) n. v.
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DSGVO, nationale Gesetze und Kollektivvereinbarungen gesetzt werden. Hier besteht Klarstellungsbedarf, der leider – weil dies zu Verzögerungen führt – vorerst nur durch den EuGH aufgelöst werden kann. (Ga)
10. Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr Unter Berücksichtigung der Entscheidung des LAG Köln vom 11.1.2022212 hatten wir uns bereits im Frühjahr mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen von dem Zugang einer E-Mail auszugehen ist und in welcher Weise die damit verbundene Darlegungs- und Beweislast zu erfüllen ist213. Diese Frage kann insbesondere dann von Relevanz sein, wenn der rechtzeitige Zugang einer Willenserklärung maßgeblich für den Zeitpunkt der Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder der Geltendmachung eines Anspruchs ist. Grundsätzlich wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, erst zu dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung auszugehen, wenn die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gerät, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann214. In Rechtsprechung und Literatur werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, wie diese Grundsätze auf den Zugang einer E-Mail zu übertragen sind. Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist215. Eine Ausnahme soll nach dieser Auffassung nur für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingehe. In diesem Fall bestehe der Zugang der Erklärung am Folgetag216. Nach anderer Ansicht soll eine EMail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden könne, an dem Tag zugehen, an dem sie abrufbereit im Postfach liege. Maßgeblich ist nach dieser Auffassung, dass der Absender mit einer
212 LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 55 ff.). 213 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2022, 130 ff. 214 BAG v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18, NZA 2019, 1639 Rz. 34; LAG Köln v. 11.1.2022 – 4 Sa 315/21 n. v. (Rz. 55). 215 OLG München v. 15.3.2012 – Verg 2/12 n. v. (Rz. 50); LG Hamburg v. 7.7.2009 – 312 O 142/09 n. v. (Rz. 19); MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 18 f. 216 OLG Düsseldorf v. 19.7.2011 – 24 U 186/10 n. v. (Rz. 33 ff.).
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Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr
Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen könne. Dabei wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mail spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten sei217. In dem dem BGH vorliegenden Fall kam es darauf an, ob die Klägerin, die der Beklagten durch E-Mail vom 14.12.2018 9:19 Uhr ein Angebot gemacht hatte, dieses Angebot durch eine ergänzende E-Mail vom 14.12.2018 9:56 Uhr noch wirksam widerrufen hatte. Denn dann hätte die Beklagte das Angebot am 21.12.2018 nicht mehr – konkludent – durch Zahlung eines Geldbetrags annehmen können. Nach Auffassung des BGH war von einem Zugang der E-Mail bereits um 9:19 Uhr auszugehen, so dass der erst um 9:56 Uhr erklärte Widerruf nicht (mehr) rechtzeitig erfolgt war. Das Angebot, das als E-Mail unter Abwesenden erfolgt war, konnte auch durch Zahlung angenommen werden. Denn aus Sicht des BGH musste die Klägerin damit rechnen, dass eine Antwort erst innerhalb von zwei Wochen erfolgt. Diese Frist sei durch die Zahlung innerhalb von sieben Tagen gewahrt worden. Nach Auffassung des BGH war für den Zugang der ersten E-Mail ausreichend, dass die E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wurde. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen. Denn dann sei der von ihm als Empfänger für den Empfang von E-Mails genutzte Mailserver als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen könnten. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails würden als Datei gespeichert und von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser werde über den Eingang der E-Mail unterrichtet. Von diesem Zeitpunkt an ist der Empfänger in der Lage, die EMail abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen. Damit sei ab diesem Zeitpunkt auch von dem Zugang der Willenserklärung auszugehen218. Für die betriebliche Praxis hat diese Klarstellung erhebliche Bedeutung. Denn sie bestätigt die E-Mail noch einmal als eine Form der Übermittlung von Willenserklärungen, deren Zugang materiell-rechtliche Rechtsfolgen auslösen kann. Ungeachtet dessen wird man allerdings daran festhalten 217 Vgl. Härting, Internetrecht Rz. 681; Thalmaier, NJW 2011, 14, 16. 218 BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21 n. v. (Rz. 19 f.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
müssen, dass es für den Nachweis des Zugangs nicht genügt, darzulegen und zu beweisen, dass ein Versand der E-Mail erfolgt ist219. Dies gilt selbst dann, wenn der Absender ein Sendeprotokoll vorgelegt hat220. Denn es besteht daran anknüpfend noch keine Gewissheit, dass die Nachricht nach dem Versenden der E-Mail auch auf dem Server des Empfängers eingegangen ist und ihm für einen Abruf zur Verfügung steht. Wie auch bei einfacher Post bleibt es möglich, dass die Nachricht auf dem Server des Empfängers nicht gespeichert wird. Hiervon ausgehend dürfte von einem Nachweis des Zugangs einer E-Mail erst dann auszugehen sein, wenn der Empfänger eine ausdrückliche Bestätigung schickt, die in eigenen Worten bestätigt, dass er die E-Mail erhalten hat221. Dies entspricht der Bewertung außerhalb elektronischer Kommunikationsmittel222. Eine entsprechende Bewertung in Form eines Anscheinsbeweises wird man auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des BGH annehmen können, wenn aus dem E-Mail-System des Empfängers eine Lesebestätigung verschickt wird. Denn selbst dann, wenn der Empfänger die E-Mail gar nicht gelesen hat, der Inhalt der Bestätigung also falsch ist, dokumentiert der durch den Server des Empfängers gesteuerte Versand der Lesebestätigung, dass dem Empfänger die E-Mail zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt worden ist223. Ob man das gleiche annehmen darf, wenn die E-Mail auf dem Server des Empfängers eingegangen ist und dies durch eine Out-of-Office-Notiz bestätigt wird, bleibt auch nach den Feststellungen des BGH offen. Dafür spricht, wie schon im Frühjahr ausgeführt, dass die „Out-of-Office-E-Mail“ nur versendet wird, wenn die Absender-E-Mail auf dem Empfangsserver eingegangen ist. Es obliegt dann dem Empfänger, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass er Kenntnis von der eingegangenen E-Mail erlangt. Dies entspricht den Obliegenheiten, die den Empfänger auch während des Urlaubs oder einer Krankheit in Bezug auf Postsendungen treffen, die in den Briefkasten eingeworfen werden224. Allerdings dürfte die Frage, ob der Zugang bereits mit Eingang der Out-of-Office-E-Mail beim Erklärenden er-
219 Ebenso LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2018 – 2 Sa 403/18 n. v. (Rz. 39); Erman/Arnold, BGB § 130 Rz. 33. 220 Ebenso MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 47. 221 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2018 – 2 Sa 403/18, NZA-RR 2019, 118 Rz. 24; Mankowski, NJW 2004, 1901, 1905 f. 222 Willems, MMR 2013, 551. 223 AG Hamburg v. 27.4.2018 – 12 C 214/17 n. v. (Rz. 16 f.); MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 47; Mankowski, NJW 2004, 1901. 224 Vgl. OLG München v. 15.3.2012 – Verg 2/12 n. v. (Rz. 52 ff.); Dreher/Hoffmann, GWB § 134 Rz. 84; Werthenbruch, JuS 2020, 481, 485.
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Ausschlussfrist: Aktuelle Anforderungen aus Sicht der AGB-Kontrolle
folgt, ob er zum Ende des Geschäftstages erfolgt oder ob – ausgehend davon, dass es sich um einen Werktag handelt – von einem Zugang der E-Mail erst am Folgetag auszugehen ist, nicht nur von der Uhrzeit des Versands der „Out-of-OfficeE-Mail“ abhängen. Vielmehr wird man auch Unterschiede zwischen gewerblich genutzten E-Mail-Accounts und privaten Accounts machen müssen. Schließlich wird man jedenfalls bei einer privaten E-Mail-Adresse keine mehrfache Abfrage während des Kalendertags unterstellen dürfen225. Dafür spricht auch, dass der BGH seine Feststellungen im Urteil vom 6.10.2022226 nur in Bezug auf den „unternehmerischen Geschäftsverkehr“ innerhalb der „üblichen Geschäftszeiten“ getroffen hat, was im Umkehrschluss deutlich macht, dass im privaten Geschäftsverkehr und/oder bei einem Eingang auf dem E-Mail-Server des Empfängers außerhalb der üblichen Geschäftszeiten (noch) kein Zugang ausgelöst wird. Ob und wann in diesen Fällen mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann, wird man dann einzelfallbezogen zu klären haben. Falls der rechtzeitige Zugang einer Willenserklärung in Rede steht, sollte daher auf das klassische Mittel einer Zustellung – ggf. eine verkörperte Willenserklärung durch einen Boten – zurückgegriffen werden. (Ga)
11.
Ausschlussfrist: Aktuelle Anforderungen aus Sicht der AGB-Kontrolle
Vertragliche Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen sind regelmäßig einer AGB-Kontrolle ausgesetzt, weil sie Gegenstand von AGB i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind oder Verbraucherverträge i. S. v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB darstellen227. Eine Wirksamkeitskontrolle vertraglicher Ausschlussfristen nach § 307 Abs. 1, 2 BGB und §§ 308, 309 BGB scheitert nicht an § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, wonach nur von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen der AGB-Kontrolle unterliegen. Vertragliche Ausschlussfristen haben diesen Charakter, weil entstandene Ansprüche nur unter Beachtung des gesetzlichen Verjährungsrechts rechtzeitig geltend gemacht werden müssen. In der Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 24.5.2022228 stritten die Parteien über die Abgeltung von 24 Urlaubstagen. Die Klägerin war bei der
225 226 227 228
Vgl. MüKo/Einsele, BGB § 130 Rz. 19. BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21 n. v. (Rz. 19 ff.). BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21, NZA 2022, 1328. BAG v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21, NZA 2022, 1328.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
beklagten Rechtsanwältin ab 2019 als Rechtsanwaltsfachangestellte in der Fünf-Tage-Woche mit einem Bruttomonatsentgelt i. H. v. 1.300 € tätig. Nach dem zwischen den Parteien schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag erhielt die Klägerin 24 Arbeitstage Urlaub. Außerdem vereinbarten die Parteien eine Ausschlussfrist folgenden Inhalts: Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner in Textform geltend gemacht werden und im Falle der Ablehnung durch den Vertragspartner innerhalb von weiteren drei Monaten eingeklagt werden. Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen. Die Ausschlussfrist gilt nicht für den Anspruch eines Arbeitnehmers/in auf den gesetzlichen Mindestlohn. Über den Mindestlohn hinausgehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers unterliegen hingegen der vereinbarten Ausschlussfrist. Bleibt die Geltendmachung erfolglos, erlöschen sie, wenn der Anspruch nicht innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung gerichtlich anhängig gemacht wird.
Vom 1.7. bis zum 19.7.2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 19.7.2019. Mit einer der Beklagten am 23.1.2020 zugestellten Klage und einer am 29.2.2020 zugestellten Klageerweiterung hat die Klägerin von der Beklagten die Abgeltung von insgesamt 24 Urlaubstagen i. H. v. 1.439,76 € (brutto) nebst Zinsen beansprucht. Auf den Einwand der nicht eingehaltenen vertraglichen Ausschlussfrist hat sich die Klägerin auf die Intransparenz der Regelung berufen. Die Zahlungsklage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das BAG ist in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Urlaubsabgeltung mit dem Ablauf des 19.10.2019 aufgrund der vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist untergegangen ist. In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung229 hält das BAG zunächst daran fest, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung als reiner Geldanspruch grundsätzlich von Ausschlussfristen erfasst wird, ohne dass damit der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG noch nach Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC verletzt wird.
229 BAG v. 9.3.2021 – 9 AZR 323/20, NZA 2021, 1257 Rz. 10 m. w. N.; BAG v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619 Rz. 29.
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Ausschlussfrist: Aktuelle Anforderungen aus Sicht der AGB-Kontrolle
Anschließend stellt das BAG fest, dass § 307 Abs. 3 S. 1 BGB einer uneingeschränkten Wirksamkeitskontrolle der Ausschlussklausel nach § 307 Abs. 1, 2 BGB sowie nach §§ 308, 309 BGB wegen ihrer Abweichung vom Verjährungsrecht nicht entgegensteht. Da die Ausschlussfristenregelung Ansprüche wegen vorsätzlichen Pflichtverletzungen ausnimmt, genügt sie nach Auffassung des BAG auch den Vorgaben der §§ 202 Abs. 1, 276 Abs. 3 BGB, wonach die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes durch Rechtsgeschäft nicht im Voraus erleichtert werden kann und die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden darf. Die Ausschlussfristenregelung trägt den Klauselverboten aus § 309 Nr. 7 BGB jedoch nur insoweit Rechnung, als sie Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen, von einem Verfall ausdrücklich ausnimmt. Mit dieser Formulierung werden nach Auffassung des BAG zugleich vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzungen eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders erfasst. Dass sich die Ausschlussfristenregelung ihrem Wortlaut nach auf die Haftung des Verwenders für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die aus einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen resultieren, erstreckt, führt nach Ansicht des BAG unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Haftung im Arbeitsverhältnis (§ 310 Abs. 4 S. 2 Halbs. 1 BGB) nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Dieses Ergebnis leitet das BAG aus den Bestimmungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 104 ff. SGB VII) ab, wonach die für das Arbeitsverhältnis typischen Haftungssituationen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Verletzungen von Leben, Körper oder Gesundheit sondergesetzlich geregelt sind und für den Verwender (Arbeitgeber) der Ausschlussfristenregelung einen Haftungsanspruch des Arbeitnehmers i. S. v. § 309 Nr. 7 lit. a BGB ausschließen230. Der Arbeitnehmer hat wegen Personenschäden, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Arbeitgebers (§ 104 SGB VII) oder seiner gesetzlichen Vertreter (§ 105 SGB VII) beruhen, nach §§ 104 ff. SGB VII grundsätzlich keinen Ersatzanspruch gegen den Arbeitgeber. Ist der Arbeitgeber keinen Haftungsansprüchen ausgesetzt, wenn die Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit des Arbeitnehmers auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung beruht, ist eine diese Ansprüche erfassende Ausschlussklausel bedeutungslos 231. 230 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 532/18, NZA 2020, 513 Rz. 23 ff. 231 BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 532/18, NZA 2020, 513 Rz. 27 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Da im Streitfall die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung die Geltendmachung ausdrücklich in Textform vorschreibt, war sie auch nach § 309 Nr. 13 lit. b BGB nicht zu beanstanden. Dies gilt nach Meinung des BAG unabhängig davon, dass in der zweiten Stufe der Ausschlussfrist eine schriftliche Geltendmachung geregelt ist. Das BAG hat für die ersten Stufe der Ausschlussfrist auch einen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Folge der Rechtsunwirksamkeit verneint. Der Verwender von AGB hat die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners so klar und verständlich darzustellen, dass dieser erkennen kann, welche Rechtsfolgen auf ihn zukommen und was er tun muss, um diese zu verhindern. Nicht erforderlich ist dabei, wie das BAG hervorhebt, dass streitlos gestellte oder anerkannte Ansprüche ausdrücklich aus der Ausschlussfristenregelung ausgeklammert werden müssen, wenn der Arbeitgeber unmissverständlich zum Ausdruck bringt, sich auf die Ausschlussfristenregelung nicht zu berufen. Unabhängig davon, ob die Herausnahme von tariflichen Ansprüchen (§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG) und Ansprüchen aus Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG) in einer Ausschlussfristenregelung schon dann überflüssig ist, wenn im Betrieb des Arbeitgebers keine kollektiven Normenverträge gelten, ist ihre Ausklammerung aus der Ausschlussfrist auch wegen der Besonderheiten im Arbeitsrecht (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB) unnötig, wie das BAG bereits entschieden hat232. Ein Verstoß einer in AGB vereinbarten Ausschlussfrist gegen § 4 Abs. 4 S. 3 TVG und § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG führt nur zur Teilnichtigkeit der Klausel (§ 139 BGB), weil Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen eine arbeitsrechtliche Besonderheit darstellen. Das BAG hat schließlich die Intransparenz der hier maßgebenden Ausschlussfristenregelung verneint, weil sie Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht ausdrücklich ausnimmt. Zunächst sieht § 7 Abs. 3 BUrlG für den Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs ein spezifisches Fristenregime vor, von dem die Arbeitsvertragsparteien nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichen dürfen (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Unabhängig davon weist das BAG darauf hin, dass sich für einen aufmerksamen und sorgfältigen Arbeitnehmer ohne Weiteres erschlösse, den ihm zustehenden Jahresurlaub nicht in den ersten drei Monaten des Urlaubsjahres in Textform geltend machen zu müssen, um ihn vor dem Verfall zu bewahren. Im Hinblick auf die zweite Stufe der hier maßgebenden Ausschlussfristenregelung lässt das BAG unentschieden, ob diese unwirksam sein könnte. Da 232 BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 43/18, NZA 2019, 768 Rz. 31 ff.
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Ausschlussfrist: Aktuelle Anforderungen aus Sicht der AGB-Kontrolle
die vorliegend zu beurteilende vertragliche Ausschlussfristenregelung mehrere Regelungen enthielte, die sprachlich eindeutig abgrenzbar seien, bliebe die erste Stufe der Ausschlussfrist als selbständige wirksame Regelung erhalten, weil der zweite Satzteil ohne Auswirkungen auf die Regelungen des ersten Satzteils vollständig gestrichen werden könne. Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin sei gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 19.7.2019 fällig geworden, so dass der Lauf der dreimonatigen Ausschlussfrist mit Ablauf des 19.10.2019 geendet habe (§ 188 Abs. 2 BGB). Die Klägerin habe jedoch ihren bereits verfallenen Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit ihrer der Beklagten am 23.1.2020 zugestellten Klage vom 16.1.2020 geltend gemacht. Dies gelte auch im Umfang des gesetzlichen Mindestlohns. Zwar bestimmt § 3 S. 1 MiLoG, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam sind. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei jedoch nicht als ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu qualifizieren233. Zu einem anderen Ergebnis ist der 5. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 13.7.2022234 im Falle einer Ausschlussfrist bezüglich des Mindestlohns bei der Geltendmachung einer Annahmeverzugsvergütung gelangt. Die Parteien des Rechtsstreits stritten über Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 9.8.2017. Der Kläger, der auch ein eigenes Baugewerbe betrieb, war seit Juli 2008 bei dem beklagten Bauunternehmen als Vorarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) anwendbar, der eine zweistufige Ausschlussfristenregelung enthielt. In der ersten Stufe mussten danach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, um nicht zu verfallen. Anlässlich eines Gesprächs am 21.6.2017 zwischen den Parteien wurde dem Kläger ein Schreiben vom selben Tag übergeben, in dem es unter anderem hieß, „Hiermit lösen wir im beiderseitigen Einvernehmen das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zum 21.6.2017.“ Nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage mit Schriftsatz vom 30.6.2017 teilte die Beklagte mit Anwalts233 BAG v. 27.10.2020 – 9 AZR 531/19, NZA 2021, 504 Rz. 47; BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 323/19, NZA 2020, 1713 Rz. 49. 234 BAG v. 13.7.2022 – 5 AZR 498/21, DB 2022, 2613.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
schreiben vom 9.8.2017 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unter anderem mit, dass keine außerordentliche fristlose oder sonstige Kündigung vom 21.6.2017 vorliege, sondern lediglich das Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 30.6.2017 und dass aus dem Schreiben keine Rechte hergeleitet würden. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, unverzüglich die Arbeit bei der Beklagten wiederaufzunehmen. Außerdem teilte die Beklagte dem ArbG Reutlingen mit, dass der Klageanspruch des Klägers vollumfänglich anerkannt werde. Der Kläger erschien nicht mehr zur Arbeit. Die Beklagte zahlte ihm Vergütung bis zum 30.6.2017. Am 24.8.2017 erließ das ArbG im Kündigungsschutzprozess ein AnerkenntnisTeilurteil, das die Verurteilung der Beklagten enthielt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen. Mit der mehr als zwei Jahre später am 1.10.2019 anhängig gemachten Zahlungsklage hat der Kläger von der Beklagten Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 9.8.2017 unter Abzug des für August 2017 erhaltenen Arbeitslosengeldes verlangt. Im Zuge dieses Rechtsstreits stritten die Parteien darüber, ob der Zahlungsanspruch des Klägers wegen der tariflichen Ausschlussfrist verfallen sei und sich der Kläger anderweitigen Verdienst in gleicher Höhe habe anrechnen lassen müssen. Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG Baden-Württemberg die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zur weiteren Aufklärung über den Leistungswillen des Klägers sowie über die Anrechnung anderweitigen Verdienstes zurückverwiesen. Das BAG ist allerdings der Auffassung des LAG beigetreten, dass ein möglicher Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht nach der tariflichen Ausschlussfristenregelung des BRTV-Bau verfallen wäre, weil dem Verfall § 3 S. 1 MiLoG entgegenstünde. Insoweit knüpft das BAG an seine Rechtsprechung zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nach § 3 Abs. 1 EFZG an235. Begründungsansatz für diese Aussage ist die Erwägung, dass der Arbeitnehmer im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle so zu stellen sei, als hätte er gearbeitet, weshalb er auch unter den in § 3 Abs. 1 EFZG genannten Voraussetzungen und dem dort bezeichneten Zeitraum den Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten müsse. Ebenso hat das BAG236 für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfällt, entschieden und aus dem Entgeltausfallprinzip nach § 2 235 BAG v. 20.6.2018 – 5 AZR 377/17, NZA 2018, 1494 Rz. 34. 236 BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 43/18, NZA 2019, 768 Rz. 38.
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Übernahme von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei Auslandstätigkeit
Abs. 1 EFZG abgeleitet, dass der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltzahlungsanspruchs für Feiertage einzustellen sei. Diese Erwägungen zum Lohnausfallprinzip überträgt das BAG auch auf den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug (§§ 615 S. 1, 611 a Abs. 2 BGB) unabhängig davon, dass § 3 S. 1 MiLoG unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit erfasst. Für § 615 S. 1 BGB, der im Annahmeverzugszeitraum den Vergütungsanspruch aus § 611 a Abs. 2 BGB aufrechterhält, gelte das Lohnausfallprinzip mit der Folge, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich so zu stellen sei, als hätte er gearbeitet. Dies rechtfertige es, den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG als Geldfaktor bei der Berechnung der Annahmeverzugsvergütung zu berücksichtigen. Andernfalls stünde der Arbeitnehmer schlechter dar als er bei tatsächlicher Arbeit gestanden hätte, weil er letzterenfalls – unbeschadet bestehender Ausschlussfristen – jedenfalls den gesetzlichen Mindestlohn erhalten hätte. Für die betriebliche Praxis hat diese Entscheidung eine besondere Bedeutung, weil nunmehr feststeht, dass seit dem 1.1.2015 der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer tariflichen oder sonstigen Ausschlussfrist nicht mehr unterworfen werden kann. Dies würde auch für Teile des gesetzlichen Mindestlohns gelten, wenn der Arbeitnehmer etwa bei Anrechnung anderweitigen Verdienstes noch einen Verdienstausfall erleidet, der die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht ausschöpft. (Boe)
12. Übernahme von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei Auslandstätigkeit a)
Zulässigkeit eines hypothetischen Besteuerungsverfahrens
In seinem Urteil vom 3.2.2022237, gegen das bereits Revision eingelegt wurde238, musste sich das LAG Hamburg mit der Frage auseinandersetzen, ob die Arbeitsvertragsparteien berechtigt waren, anlässlich der vorübergehenden Entsendung des Klägers nach Frankreich zu vereinbaren, dass das während des Auslandsaufenthalts erzielte Bruttomonatsgehalt (ohne entsendungsbedingt netto gewährte Sonderzahlungen) des Klägers fiktiv nach Maßgabe derjenige Steuerlast besteuert werden darf, die bei einer Tätigkeit 237 LAG Hamburg v. 3.2.2022 – 3 Sa 29/21 n. v. 238 Az.: 5 AZR 119/22.
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in Deutschland entstehen würden. Auf diese Weise sollte während der Entsendung eine Vergütung unabhängig von den tatsächlich relevanten Besteuerungssätzen und Sozialversicherungsbeiträgen gewährt werden (Tax Equalization). Problematisch in dem zugrunde liegenden Sachverhalt war, dass das LAG München durch rechtskräftige Entscheidung Regelungen in einer Konzernbetriebsvereinbarung, mit der das sog. „Hypotax-Verfahren“ für entsprechende Entsendetatbestände festgelegt worden war, auf kollektivrechtlicher Ebene für unwirksam erachtet hatte. Hinzu kam, dass der Kläger als Mitglied der IG Metall unmittelbar und zwingend an den bei der Beklagten, die Mitglied des Arbeitgeberverbands war, geltenden Manteltarifvertrag und den Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung gebunden war. In den Gründen seiner Entscheidung hat das LAG Hamburg zunächst einmal deutlich gemacht, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers für die Dauer der Entsendung weiterhin dem deutschen Arbeitsrecht unterlag. Dies folgt, wenn keine Rechtswahl getroffen wird, bereits aus Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO. Danach unterliegt das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht in Ermangelung einer Rechtwahl dem Recht des Staats, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet. Hiervon waren auch die Arbeitsvertragsparteien ausgegangen, die sogar vereinbart hatten, dass das deutsche Recht ohne Verweis auf die Kollisionsregeln zur Anwendung kommen sollte. Zu dem für das Arbeitsverhältnis während der vorübergehenden Auslandsentsendung geltenden Recht gehört – so das LAG Hamburg zutreffend – auch der Tarifvertrag, sofern dieser kraft Gesetzes (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) zur Anwendung kommt. Eine vom Mantel- bzw. Entgelttarifvertrag abweichende Regelung ist nur dann wirksam, wenn sie durch den Tarifvertrag gestattet wird oder eine Änderung der Regelungen zu Gunsten des Arbeitnehmers enthält (§ 4 Abs. 3 TVG). Die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips kann nur dann vermieden werden, wenn die Tarifverträge als Folge des Fehlens einer gesetzlichen Tarifbindung ohnehin nur kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme gelten. Denn eine solche Bezugnahme kann – auch durch die Vereinbarung eines Hypotax-Verfahrens – jederzeit geändert werden, wenn dabei die übrigen (allgemeinen) Schranken des Arbeitsvertragsrechts beachtet werden.
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Übernahme von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei Auslandstätigkeit
Nach Auffassung des LAG Hamburg im Urteil vom 3.2.2022239 war die arbeitsvertragliche Regelung unwirksam, weil sie den Kläger nicht in allen denkbaren Anwendungsfällen begünstigte. Denn die zwischen den Parteien vereinbarte Besteuerung wäre nur dann mit § 4 Abs. 3 TVG vereinbar, wenn sie in allen denkbaren Anwendungsfällen eines vorübergehenden Einsatzes in Frankreich zu einer geringeren Besteuerung des Arbeitsentgelts geführt hätte. Dies aber war nicht der Fall, was den Kläger auch veranlasste, die Klägerin zur Rückzahlung der Differenz aufzufordern, die sich zu seinen Lasten aus einer (fiktiven) Anwendung des deutschen Steuerrechts anstelle des an sich maßgeblichen französischen Arbeitsrechts ergeben hatte. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG die Sache bewerten wird. Für die betriebliche Praxis hat die Entscheidung des LAG Hamburg erhebliche Bedeutung, weil die Anwendbarkeit eines Hypotax-Verfahrens oder einer vergleichbaren Tax Equalization durchaus üblich ist, um Arbeitnehmern während ihres Auslandsaufenthalts Sicherheit über die Höhe ihres Arbeitsentgelts zu gewähren. Sollte das BAG, was jedenfalls für Arbeitsverhältnisse mit gesetzlicher Tarifbindung naheliegend erscheint, die instanzgerichtliche Entscheidung bestätigen, wird man wohl zukünftig von einer Pflicht zur Auszahlung des Arbeitsentgelts auf der Grundlage des im Einsatzland geltenden Steuerrechts ausgehen müssen. Wenn den Arbeitnehmern gleichwohl die gebotene Sicherheit über die Höhe ihres Arbeitsentgelts während des Auslandseinsatzes zu gewähren ist, könnte dies zur Folge haben, dass sich das Unternehmen für den Fall einer Benachteiligung des Arbeitnehmers durch das Steuerrecht am Einsatzort zu einem Nettoausgleich verpflichtet, der aus der Differenz zum Nettoarbeitsentgelt auf der Grundlage des Steuerrechts im Herkunftsland berechnet wird. Dies aber wäre mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden.
b)
Wechsel der Besteuerungsgrundlage durch Freistellung nach Kündigung
In dem der Entscheidung des BAG vom 31.3.2022240 zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien zunächst einmal vereinbart, dass der Kläger, der in Berlin wohnte, für die Beklagte, die ihren Sitz in Dubai hatte, als Niederlassungsleiter in Turkmenistan tätig werden solle. Die Tätigkeit begann am 1.9.2010. Dabei hatte die Parteien vereinbart, dass der Kläger im Rahmen eines sog. „On the job/Off the job“-Modells während der überwiegenden Zeit des Kalenderjahres in Turkmenistan sein und arbeiten sollte. 239 LAG Hamburg v. 3.2.2022 – 3 Sa 29/21 n. v. (Rz. 97 ff.). 240 BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 207/21 n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Mit Schreiben vom 28.2.2011 sowie vom 29.3.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und stellte den Kläger von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Der Kläger, der sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland befand, war deshalb gehindert, seine Arbeit in Turkmenistan wiederaufzunehmen. Eine förmliche Einladung, die schon für die Wiedereinreise erforderlich gewesen wäre, sprach die Beklagte nicht aus. Im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens stellte das ArbG Düsseldorf am 16.9.2011241 zwar die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Die Beklagte wurde verpflichtet, dem Kläger Annahmeverzugslohn zu zahlen. Das Arbeitsverhältnis endete schlussendlich aber durch außerordentlich (fristlose) Kündigung der Beklagten am 30.11.2011. Anlass für die Klage war der Umstand, dass das Finanzamt bei der Besteuerung des Arbeitsentgelts deutsches Steuerrecht zur Anwendung brachte und zur Begründung darauf verwies, dass sich der Kläger lediglich im Januar und Februar in Turkmenistan aufgehalten habe. Damit sei die 183-TageGrenze, die im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Turkmenistan festgelegt worden war, nicht überschritten worden. Für den Kläger hatte dies eine Steuernachzahlung i. H. v. 51.090,75 € zur Folge. Auf der Grundlage seiner Klage sollte die Beklagte daher verurteilt werden, den darin liegenden Steuerschaden, den er zuletzt mit 45.886,90 € bezifferte, auszugleichen. Zur Begründung verwies der Kläger darauf, dass die Parteien im Arbeitsvertrag festgelegt hatten, dass von der Gesellschaft die im jeweiligen Ausland anfallenden Steuern auf das Gehalt, insbesondere die Einkommenssteuer, sowie alle im Ausland für die Beschäftigung nach den dortigen Vorschriften obligatorischen Sozialversicherungsbeiträge oder sonstigen Beiträge direkt abgeführt würden. Das BAG hat die klagestattgebende Entscheidung des LAG Düsseldorf242 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ergibt sich allein aus der arbeitsvertraglichen Regelung, nach der der Arbeitgeber im jeweiligen Ausland auf das Gehalt anfallende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu tragen habe, keine Nettolohnabrede, auf deren Grundlage der Arbeitgeber im Innenverhältnis sämtliche Steuern und Sozialversicherungsbeiträge trage, auch soweit sie in Deutschland anfielen. Eine Nettolohnabrede sei die Ausnahme und müsse deshalb einen entsprechenden Willen klar erkennen lassen243.
241 ArbG Düsseldorf v. 15.3.2019 – 14 Ca 1541/14 n. v. 242 LAG Düsseldorf v. 17.11.2020 – 3 Sa 285/19 n. v. 243 BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 207/21, NZA 2022, 1288 Rz. 81 ff.
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Übernahme von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bei Auslandstätigkeit
Auch ein Schadensersatzanspruch wegen der fehlenden Beschäftigung des Klägers in Turkmenistan, der auf § 280 Abs. 1 S. 1 BGB hätte gestützt werden können, hat der 8. Senat des BAG nicht gesehen244. Denn die Beklagte sei bis zum Urteil des ArbG vom 16.9.2011245 nicht verpflichtet gewesen, den Kläger weiterzubeschäftigen. Dies folge bereits aus den allgemeinen Grundsätzen des Großen Senats vom 27.2.1985246. Danach sei der Arbeitgeber nach Zugang einer fristlosen Kündigung nur verpflichtet, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, wenn die Kündigung unwirksam sei und überwiegende Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstünden. Das Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen, überwiege daher in der Regel bis zu dem Zeitpunkt, zu dem im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz abschließendes Urteil ergehe, das die Unwirksamkeit der Kündigung feststelle. Eine Ausnahme, bei der von einem überwiegenden Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung auszugehen sei, liege lediglich dann vor, wenn die umstrittene Kündigung offensichtlich unwirksam sei. Da von einer offensichtlich unwirksamen Kündigung im Streitfall nicht auszugehen war, war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger in Turkmenistan zu beschäftigen. Ebenso wenig war die Beklagte nach Auffassung des BAG verpflichtet, dem Kläger zum Zwecke der (Weiter-)Beschäftigung eine Einreise nach Turkmenistan durch eine dafür erforderliche Einladung zu ermöglichen. Weitergehende Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertag, dem Kläger einen Aufenthalt in Turkmenistan allein mit dem Ziel zu ermöglichen, eine Steuerpflicht in Deutschland zu vermeiden, hat das BAG im Übrigen abgelehnt. Vielmehr sei auch unter Berücksichtigung der vertraglichen Regelung zur Besteuerung davon auszugehen, dass bei der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Turkmenistan nur dann abzuführen waren, wenn sich dies aus den gesetzlichen Vorgaben als Folge einer Beschäftigung des Klägers ergeben sollte. Dies aber war im Anschluss an die Freistellung des Klägers nicht mehr der Fall, so dass auch aus Sicht des BAG die Anwendbarkeit des deutschen Steuerrechts zutreffend war und einen Schadensersatzanspruch nicht begründen konnte. (Ga)
244 BAG v. 31.3.2022 – 8 AZR 207/21, NZA 2022, 1288 Rz. 71 ff. 245 ArbG Düsseldorf v. 15.3.2019 – 14 Ca 1541/14 n. v. 246 BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, NZA 1985, 702.
495
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D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Gestaltungsspielraum und -grenzen beim tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag
a)
Gleichheitswidrige Nachtarbeitszuschläge
Nach § 6 Abs. 1 ArbZG ist die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer nicht nur nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen. Vielmehr ergänzt § 6 Abs. 5 ArbZG diesen gesundheitsschutzrechtlichen Aspekt damit, dass der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren hat, wenn keine tarifliche Ausgleichsregelung besteht. Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen schadet Nachtarbeit der Gesundheit1. Ungeachtet dieser offenbar unangefochtenen Erkenntnis beziehen sich die vor den Arbeitsgerichten stattfindenden prozessualen Auseinandersetzungen um die Nachtarbeit vor allem auf die Bezahlung, insbesondere der in § 6 Abs. 5 ArbZG angesprochenen Zuschläge2. Streitgegenstand ist dabei zum einen, ob die in der Tarifpraxis übliche geringere Bezuschlagung der Nachtschichtarbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die nur gelegentlich außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig3 ist oder möglicherweise gegen Unionsrecht verstößt4. Zum anderen wird darüber gestritten, wie hoch der jeweils angemessene Nachtarbeitszuschlag, insbesondere bei Dauernachtarbeit, ausfallen muss5. Zum MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie, der für die Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 15 %, für die außerhalb von Schichtsystemen geleistete Nachtarbeit jedoch einen Zuschlag 1 2
3 4 5
BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, NZA 2021, 1110 Rz. 82. Nach den Ausführungen von Creutzfeldt, NZA 2022, 1032 waren nach einer Entscheidung des 10. Senats des BAG v. 21.3.2018 – 10 AZR 34/17, NZA 2019, 622 weit mehr als 5.000 Klagen wegen der Zahlung von Zuschlägen bei Nachtarbeit in der Arbeitsgerichtsbarkeit anhängig. Beim BAG warten noch ca. 400 Revisionen zu dieser Problematik auf eine Entscheidung. Vgl. nur BAG v. 9.12.2020 –10 AZR 334/20, NZA 2021, 1110 Rz. 82; BAG v. 21.3.2018 – 10 AZR 34/17, NZA 2019, 622 Rz. 45. BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 332/20 (A), NZA 2021, 1121. BAG v. 25.5.2022 – 10 AZR 230/19, DB 2022, 2294 Rz. 26 ff.
497
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
von 50 % zum Stundenlohn vorsah, hat das BAG6 eine Gleichheitswidrigkeit i. S. v. Art. 3 GG festgestellt, weil nach dem Zweck des Tarifvertrags zwischen den Nachtschichtarbeitnehmern und den Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, die eine derart unterschiedliche Nachtarbeitsvergütung rechtfertigten. Die gleichheitswidrige Ungleichbehandlung sei nur durch eine Anpassung „nach oben“ zu beseitigen7. Diese Entscheidung hat das BAG8 im Hinblick auf den MTV für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien in Hamburg und Schleswig-Holstein bestätigt, der für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 25 % vorsah und die Nachtarbeit außerhalb der Nachtschichtarbeit mit 50 % des Stundenlohns bezuschlagte. Insofern sah der Tarifvertrag zusätzlich vor, dass bei der Durchführung von Nachtarbeit auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen war. Auch in diesem Fall ist das BAG9 zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, nach der sich der Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn sie innerhalb eines Schichtsystems geleistet wird, gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Die Besonderheit der Fallkonstellation bestand jedoch darin, dass nicht nur Nachtarbeit der einen Gruppe mit der Nachtarbeit der anderen Gruppe unter Berücksichtigung gesundheitsbelastender Aspekte zu betrachten war, weil aufeinanderfolgende Nachtschichten nicht signifikant weniger gesundheitsschädlich sind als unregelmäßige Nachtarbeit, sondern der höhere Zuschlag für die unregelmäßig anfallende Nachtarbeit zusätzlich damit begründet wurde, dass er eine Entschädigung auch dafür sei, dass der betroffene Arbeitnehmer seine Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit am entsprechenden Abend oder in der Nacht unvorbereitet verliere. Im Streitfall hat das BAG dieses zusätzliche Argument nicht für entscheidungserheblich gehalten, weil der Tarifvertrag diesem Gesichtspunkt durch die Berücksichtigung der privaten und kulturellen Wünsche der Beschäftigten bereits Rechnung getragen hatte10. Gleichzeitig hat am 9.12.202011 der 10. Senat des BAG bezogen auf einen MTV der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und der Region Ost, der 6 7 8 9 10 11
BAG v. 21.3.2018 – 10 AZR 34/17, NZA 2019, 622 Rz. 45. BAG v. 21.3.2018 – 10 AZR 34/17, NZA 2019, 622 Rz. 58 m. w. N. BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, NZA 2021, 1110 Rz. 49. BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, NZA 2021, 1110 Rz. 49. BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 334/20, NZA 2021, 1110 Rz. 78. BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 332/20 (A), NZA 2021, 1121; BAG v. 9.12.2020 – 10 AZR 333/20 (A) n. v.
498
Gestaltungsspielraum und -grenzen beim tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag
ebenfalls höhere Ansprüche auf Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit (50 % je Stunde) als für regelmäßige Nachtarbeit (20 % je Stunde) vorsah, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 267 AEUV gerichtet. Auch in diesem Streitfall wurde der erhöhte Zuschlag für die unregelmäßig anfallende Nachtarbeit damit begründet, dass dieser nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen solle, sondern zusätzlich dafür gedacht sei, den Arbeitgeber davon abzuhalten, in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer einzugreifen und ihre Teilhabe am sozialen Leben zu beschränken. Im Gegensatz zum MTV der Brauereien enthielt der MTV-Erfrischungsgetränke-Industrie keine Rücksichtnahmeklausel bezogen auf die Wünsche und Belange der Arbeitnehmer. Das BAG hat dem EuGH folgende Fragen vorgelegt: 1. Wird mit einer tarifvertraglichen Regelung die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG i. S. v. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC durchgeführt, wenn die tarifvertragliche Regelung für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit? 2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird: Ist eine tarifvertragliche Regelung mit Art. 20 GRC vereinbar, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen?
Mit Urteil vom 7.7.202212 hat der EuGH wie folgt geantwortet: Mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, wird die Richtlinie 2003/88/EG nicht i. S. v. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt.
Mit dieser Aussage hat der EuGH die eigentliche Problematik der Gleichbehandlung bei Nachtarbeit im Hinblick auf Art. 20 GRC, die im Zentrum der Anfrage des BAG stand, unbeantwortet gelassen, weil der EuGH zu dem Ergebnis gelangt, dass die Frage des Vergütungszuschlags der Arbeitnehmer für die in Rede stehende Nachtarbeit nicht von der Richtlinie 2003/88/EG erfasst wird und diese insoweit nicht als Durchführung des Rechts der Union 12 EuGH v. 7.7.2022 – C-257/21 und C-258/21, NZA 2022, 971 – Coca-Cola; vgl. dazu die ausf. Stellungnahme von Creutzfeldt, NZA 2022, 1032.
499
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
i. S. v. Art. 51 Abs. 1 GRC in Betracht kommt. Damit war der Zugriff auf die Anwendung von Art. 20 GRC versperrt. Der EuGH begründet dieses Ergebnis damit, dass der Vergütungszuschlag für die in Rede stehende Nachtarbeit nicht in den Regelungsbereich der Art. 8 bis 13 Richtlinie 2003/88/EG fällt, weil darin lediglich die Aspekte geregelt werden, die den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten sollen. Dies gelte auch für Art. 3 Abs. 1, Art. 8 IAO-Übereinkommen über Nachtarbeit i. V. m. Erwägungsgrund 6 Arbeitszeitrichtlinie, weil das IAO-Übereinkommen Nr. 171 über Nachtarbeit von der Union nicht ratifiziert worden sei13. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass auch Art. 153 AEUV, der die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2003/88/EG bildet, nach seinem Abs. 5 nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht gilt, weil die Festsetzung des Lohns- und Gehaltsniveaus der Vertragsautonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet unterliege. Da das BAG den Rechtsstreit ohne die Vorlage an den EuGH hätte abschließend entscheiden können, wenn es der Meinung gewesen wäre, dass der MTV Erfrischungsgetränke-Industrie im Hinblick auf den höheren Nachtarbeitszuschlag für die unregelmäßige Nachtarbeit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde, ist nicht zu erwarten, dass diese rechtliche Bewertung im Lichte der Entscheidung des EuGH aufgegeben wird, so dass die vor dem BAG anhängige Klage auf Zahlung der Differenz zwischen den höheren Zuschlägen und den geleisteten Zuschlägen wohl abgewiesen wird.
b)
Vertragliche Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags
Über die Frage der Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags bei Dauernachtarbeitszeit musste der 10. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 25.5.2022 in einem Fall urteilen, bei dem wegen des konkreten Betreuungsbedarfs in einer stationären Wohneinrichtung für schwerbehinderte Menschen die Notwendigkeit bestand, mindestens eine geeignete Fachkraft im Nachtdienst einzusetzen. Die Klägerin leistete ihre Arbeit bei der Beklagten ausschließlich in der Nacht. Im Arbeitsvertrag war für die Nachtarbeit i. S. d. ArbZG ein Zuschlag von 20 % für jede Stunde vorgesehen. Im Zeitraum von September bis November 2016 leistete die Klägerin insgesamt
13 Das IAO-Übereinkommen Nr. 171 über Nachtarbeit ist bislang von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert worden, vgl. BT-Drucks. 13/2778 S. 5 unter f.
500
Gestaltungsspielraum und -grenzen beim tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag
280 Nachtarbeitsstunden, die mit dem 20 %-igen Zuschlag bezahlt wurden. Die Klägerin war der Meinung, ihr stünde ein Nachtarbeitszuschlag i. H. v. 30 % zu. Die Differenz zu dem gezahlten Nachtarbeitszuschlag von 10 % sowie eine Feststellung, dass die Beklagte einen Nachtarbeitszuschlag von 30 % zahlen müsse, war Gegenstand der Klage. Während das ArbG Köln Nachtarbeitszuschläge von 25 % zugesprochen hat, ist die Klage vom LAG Köln insgesamt abgewiesen worden. Mangels ausreichender Feststellungen des LAG Köln14 hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer (§ 2 Abs. 5 ArbZG) nach § 6 Abs. 5 ArbZG für die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Im Streitfall hatten die Arbeitsvertragsparteien die Höhe des Zuschlags auf vertraglicher Ebene15 mit 20 % des Bruttostundenlohns festgelegt. Wegen des zwingenden Charakters der Angemessenheit des Zuschlags hält das BAG eine vertragliche Vereinbarung, die zum Nachteil des Arbeitnehmers hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt, indes nach § 6 Abs. 5 ArbZG i. V. m. § 134 BGB für rechtsunwirksam16. Im Hinblick auf den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit des Zuschlags greift das BAG17 auf seine ständige Rechtsprechung zurück, wonach ein Zuschlag i. H. v. 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt bzw. die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit i. S. v. § 6 Abs. 5 ArbZG darstellt. Eine Erhöhung oder Verminderung des Regelwerts käme in Betracht, wenn die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen sei, den regelmäßig angemessenen Wert von 25 % wegen der im Vergleich zum Üblichen höheren oder niedrigeren Belastung als zu gering oder zu hoch erscheinen ließen18. Bei einer Arbeitsleistung in Dauer14 LAG Köln v. 4.10.2018 – 7 Sa 979/17 n. v. 15 Der in § 6 Abs. 5 ArbZG nur allgemein geregelte Anspruch auf angemessenen Ausgleich kann durch einzelvertragliche Regelung näher ausgestaltet werden: BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 25/17, NZA 2018, 1145 Rz. 35. 16 BAG v. 25.5.2022 – 10 AZR 230/19, NZA 2022, 1194 Rz. 21; BAG v. 25.4.2018 – 5 AZR 25/17, NZA 2018, 1145 Rz. 35. 17 Nur BAG v. 10.11.2021 – 10 AZR 261/20, NZA 2022, 707 Rz. 21; BAG v. 15.7.2020 – 10 AZR 123/19, NZA 2021, 44 Rz. 32. 18 BAG v. 25.5.2022 – 10 AZR 230/19, NZA 2022, 1194 Rz. 26.
501
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
nachtarbeit erhöhte sich deshalb der Anspruch in der Regel auf 30 %19. Dagegen könne ein geringerer als der regelmäßige Zuschlag angemessen sein, wenn in die Nachtarbeitszeit in nicht unerheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fiele oder es sich um nächtlichen Bereitschaftsdienst handele, bei dem von vornherein von einer geringeren Arbeitsbelastung auszugehen sei. Ein geringerer Nachtarbeitszuschlag könne auch darauf beruhen, dass Nachtarbeit aufgrund überragender Gründe des Gemeinwohls unvermeidlich sei und damit der mit dem Nachtarbeitszuschlag verfolgte Lenkungszweck der Verteuerung der Nachtarbeit nicht erreicht werden könne20. Als Orientierungshilfen könnten hierbei nach Ansicht des BAG repräsentative branchenmäßig einschlägige Tarifverträge herangezogen werden, ohne jedoch die Höhe der Ausgleichsleistung zu determinieren21. Auf den konkreten Fall bezogen erweitert das BAG das Spektrum der Angemessenheitsprüfung um den Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit der Nachtarbeit. Insoweit greift das BAG auf § 6 Abs. 1 ArbZG zurück, wonach den Arbeitgeber die Pflicht trifft, die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu organisieren. Hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin geht das BAG von einer Vermeidbarkeit der individuellen Dauernachtarbeit aus, weil die Beklagte durch die Einführung eines Wechselschichtmodells eine derartige Belastung für die Klägerin hätte vermeiden können. Da das LAG die vom BAG für relevant gehaltenen Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hatte, gab das BAG bei der Zurückverweisung dem LAG auf, bei der von der Klägerin zu leistenden Dauernachtarbeit von einem Regelwert eines Zuschlags von 30 % auf das Bruttostundenentgelt auszugehen, wofür spräche, dass die Beklagte die besonders schädliche Form der Dauernachtarbeit durch andere Arbeitszeitmodelle hätte vermeiden können. Zu klären sei des Weiteren, in welchem Umfang Zeiten von Arbeitsbereitschaft anfielen und in diesen Zeiten andere Arbeiten mit nicht geringer ausgeprägter Belastung in physischer und/oder psychischer Art anfielen. Die Regelung der Nachtzuschläge nach dem TVöD hält das BAG nicht für repräsentativ, weil die Beklagte keine Arbeitgeberin des öffentlichen Dienstes sei.
19 BAG v. 25.5.2022 – 10 AZR 230/19, NZA 2022, 1194 Rz. 27; BAG v. 10.11.2021 – 10 AZR 261/20, NZA 2022, 707 Rz. 25. 20 So bereits BAG v. 15.7.2020 – 10 AZR 123/19, NZA 2021, 252 Rz. 39 im Falle einer Altenpflegerin in einer Seniorenresidenz bei gesetzlich vorgeschriebener nächtlicher Betreuung. 21 BAG v. 25.5.2022 – 10 AZR 230/19, NZA 2022, 1194 Rz. 30.
502
Unpfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung
Mit dieser Entscheidung werden der betrieblichen Praxis vom BAG die entscheidenden Gesichtspunkte aufgezeigt, die im Falle einer vertraglichen Zuschlagsregelung für Nachtarbeit von Bedeutung sein können22. Davon zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichende Vereinbarungen haben keinen rechtlichen Bestand. (Boe)
2.
Unpfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung
Mit Urteil vom 25.8.202223 hat das BAG klargestellt, dass eine CoronaPrämie, die ein Arbeitgeber freiwillig seinen Beschäftigten zahlt, als Erschwerniszulage nach § 850 a Nr. 3 ZPO unpfändbar ist, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liege, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteige. In dem zugrunde liegenden Fall betrieb der Beklagte eine Gaststätte. Er zahlte an seine Beschäftigte, die als Küchenhilfe (Schuldnerin) eingestellt war, aber auch als Thekenkraft eingesetzt wurde, im September 2020 neben dem Monatslohn i. H. v. 1.350 € (brutto) und Sonntagszuschlägen i. H. v. 66,80 € (brutto) eine Corona-Prämie i. H. v. 400 € (brutto). Zwischen der Klägerin, die eine Pfändung des Vermögens der insolventen Schuldnerin betrieb, und dem Beklagten war streitig, ob die Corona-Prämie in den Anwendungsbereich von § 850 a Nr. 3 ZPO fiel und deshalb der Pfändung entzogen war. Da die Schuldnerin nicht im Bereich der Pflege beschäftigt war, war die Sonderregelung in § 150 a Abs. 8 S. 4 SGB XI nicht anwendbar. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ist auch der 8. Senat des BAG davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf den streitgegenständlichen Betrag hatte. Die Corona-Prämie gehöre gemäß § 850 a Nr. 3 ZPO nicht zum pfändbaren Einkommen der Schuldnerin, da die Leistung ausweislich der Zweckbestimmung durch den Beklagten eine bei der Arbeitsleistung der Schuldnerin tatsächlich gegebene Erschwernis kompensieren solle. Die Corona-Prämie habe auch nicht den Rahmen des Üblichen i. S. d. § 850 a Nr. 3 ZPO überschritten. Der Bewertung ist zuzustimmen. Die betriebliche Praxis wird sich angesichts der Voraussetzungen in § 850 a Nr. 3 ZPO allerdings darauf einstellen müssen, dass die Inflationsausgleichprämie24 durch § 850 a Nr. 3 ZPO nicht vor einer Pfändung geschützt wird. Denn auch wenn mit den Auswirkungen der Inflation eine wirtschaftliche 22 Vgl. Westhues, DB 2022, 2548. 23 BAG v. 25.8.2022 – 8 AZR 14/22 n. v. 24 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2022, 354 ff.
503
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Belastung verbunden ist, kann die Inflationsausgleichsprämie nicht mit einer Erschwerniszulage gleichgesetzt werden. Eine Sonderregelung, wie sie für die Corona-Prämie im Pflegebereich mit § 150 a Abs. 8 S. 4 SGB XI bestand, ist mit der Inflationsausgleichsprämie nicht verbunden. (Ga)
3.
Wettrennen zwischen EuGH und Gesetzgeber: Verbrauch des Urlaubsanspruchs bei Quarantäne
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden nach § 9 BUrlG die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Die Erfüllung eines Anspruchs auf Erholungsurlaub setzt voraus, dass der Arbeitnehmer durch eine sog. Freistellungserklärung des Arbeitgebers zu Erholungszwecken von seiner sonst bestehenden Arbeitspflicht befreit wird und der Arbeitgeber das Urlaubsentgelt vor Antritt des Urlaubs zahlt oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagt25. Der Arbeitgeber muss dabei mit der Freistellungserklärung konkretisieren, an welchen Tagen der Arbeitnehmer zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wird oder dem Arbeitnehmer die Auswahl der Urlaubstage überlassen. Ist der Arbeitnehmer bei der Erteilung des Urlaubs durch den Arbeitgeber bereits arbeitsunfähig erkrankt, entfällt deswegen die Arbeitspflicht, so dass eine weitere Freistellung im Sinne der Urlaubserfüllung (§ 362 BGB) unmöglich wird (§ 275 Abs. 1 BGB). Die Regelung des § 9 BUrlG betrifft nur den Fall, dass der Arbeitgeber den Urlaub bereits erteilt hat, und der Arbeitnehmer während des Urlaubs i. S. v. § 3 EFZG arbeitsunfähig erkrankt. Die Vorschrift ist auch dann einschlägig, wenn der Arbeitnehmer vor Antritt seines Naturalurlaubs arbeitsunfähig erkrankt und sich diese Erkrankung in der Zeit des Urlaubs fortsetzt. Käme bei dieser Fallkonstellation nicht § 9 BUrlG zur Anwendung, trüge der Arbeitnehmer das Risiko der Erkrankung, weil diese nicht monokausal die Arbeitsverhinderung auslöst. Darüber hinaus verlöre der Arbeitnehmer die Möglichkeit, wegen seiner Erkrankung den Urlaub wunschgemäß gestalten und abwickeln zu können. Denn der Arbeitgeber schuldet nach der Erteilung des Urlaubs nicht zusätzlich den Urlaubserfolg (§ 243 Abs. 2 BGB), der abgesehen davon für den Arbeitgeber nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ge-
25 Nur BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633 Rz. 33; BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 760/11, DB 2013, 2155 Rz. 17; BAG v. 19.1.2010 –9 AZR 46/09, NZA-RR 2010, 473 Rz. 27.
504
Verbrauch des Urlaubsanspruchs bei Quarantäne
worden wäre. Mit § 9 BUrlG will der Gesetzgeber im Interesse des Arbeitnehmers bei solchen Fallkonstellationen den Urlaubsanspruch im Hinblick auf die in den Urlaub fallenden Krankheitstage erhalten und außerdem das Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers auf der Grundlage des EFZG dem Arbeitgeber auferlegen. Der Arbeitgeber hat einerseits Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu leisten, der Arbeitnehmer behält andererseits die durch seine Erkrankung ausgefallenen Urlaubstage; sie sind nachzugewähren. Andere den Urlaub störende Ereignisse hat das BAG26 grundsätzlich der Risikosphäre des Arbeitnehmers zugeordnet, was etwa der Fall ist, wenn die Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung der Freizeit während des Urlaubs durch sozialversicherungsrechtliche Handlungsobliegenheiten eingeschränkt wird, die für den Bezug von Arbeitslosengeld erforderlich sind. Diese Bewertung des BAG ist im Hinblick auf Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG unionskonform. So hat der EuGH27 Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG dahingehend ausgelegt, dass der Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen, von dem Zweck des Anspruchs auf Krankheitsurlaub abweicht, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, von einer Krankheit zu genesen. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von bezahltem Sonderurlaub während des bezahlten Jahresurlaubs könne jedoch dem Krankheitsurlaub nicht gleichgestellt werden28. In dem vom EuGH entschiedenen Fall wollte eine in Spanien klagende Gewerkschaft durchsetzen, dass ein Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Sonderurlaub, der während des bezahlten Jahresurlaubs anfällt, den Jahresurlaub unterbricht und die entsprechenden Ausfalltage zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können. Da § 9 BUrlG den sonst eintretenden „Urlaubsverlust“ des Arbeitnehmers nur im Falle der durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kompensiert, ist im Zuge der Corona-Pandemie erneut29 in der Rechtsprechung der Instanzgerichte30 mit unterschiedlichen Ergebnissen die Frage einer analogen Anwendung dieser Vorschrift im Falle einer angeordneten Quarantäne gemäß § 30 IfSG diskutiert worden. 26 27 28 29 30
BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633 Rz. 33. EuGH v. 4.6.2020 – C-588/18, NZA 2020, 929 Rz. 33 – Fetico. EuGH v. 4.6.2020 – C-588/18, NZA 2020, 929 Rz. 36 – Fetico. Bereits BGH v. 30.11.1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422. Eine Analogie abl. LAG Bremen v. 31.5.2022 – 1 Sa 169/21 n. v.; LAG Köln v. 13.12.2021 – 2 Sa 488/21, BB 2022, 1338; zust. LAG Hamm v. 27.1.2022 – 5 Sa 1030/21, BB 2022, 953.
505
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der BGH31 hat sich im Zuge einer Erstattungsklage eines Betreibers einer Metzgerei gegen das beklagte Land nach § 49 Abs. 4 S. 2 BSeuchG unter anderem zu der Frage der Auswirkungen eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots auf den Mindesturlaub geäußert und eine entsprechende Anwendung von § 9 BUrlG angenommen und diese Analogie damit begründet, dass ein Ausscheider i. S. d. BSeuchG zwar nicht krank i. S. d. BUrlG sei, jedoch die Ähnlichkeit der ihm auferlegten Beschränkungen mit denjenigen bei einer Krankheit im medizinischen Sinne es rechtfertigte, den in § 9 BUrlG enthaltenen Rechtsgedanken auf derartige Fälle entsprechend mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Gestaltung, die der Betroffene seinem Erholungsurlaub üblicherweise gegeben hätte, tatsächlich erheblich beeinträchtigt worden sei. Der 9. Senat des BAG hat diese Rechtsprechung des BGH nicht übernommen, sondern mit Beschluss vom 16.8.202232 nach Art. 267 AEUV den EuGH um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht: Sind Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, 31 Abs. 2 GRC dahingehend auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung oder Praxis entgegenstehen, der zufolge ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren ist, wobei beim Arbeitnehmer während der Quarantäne keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht?
Der Fall betraf einen Kläger, dem für die Zeit vom 12.10. bis zum 21.10.2020 Erholungsurlaub bewilligt worden war. Vor Antritt des Urlaubs wurde von der Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9.10. bis 21.10.2020 angeordnet. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. Der Kläger hat die Beklagte auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto unter Berufung darauf in Anspruch genommen, dass die Quarantäneanordnung mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach § 9 BUrlG vergleichbar sei. Das LAG Hamm33 ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Das BAG hat demgegenüber die Vorlage an den EuGH für entscheidungserheblich erachtet. 31 BGH v. 30.11.1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422. 32 BAG v. 16.8.2022 – 9 AZR 76/22 (A) n. v. 33 LAG Hamm v. 27.1.2022 – 5 Sa 1030/21, BB 2022, 953.
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Verbrauch des Urlaubsanspruchs bei Quarantäne
Durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16.9.202234, das am 17.9.2022 gemäß Art. 9 Abs. 1 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber gemäß Art. 1 (Änderung des IfSG) § 59 Abs. 1 IfSG wie folgt gefasst: Wird ein Beschäftigter während seines Urlaubs nach § 30, auch i. V. m. § 32, abgesondert oder hat er sich aufgrund einer nach § 36 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 erlassenen Rechtsverordnung abzusondern, so werden die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet.
Damit hat der Gesetzgeber eine klarstellende Regelung getroffen, die an die Rechtsprechung des BGH35 anschließt und behandelt damit die Tage der Absonderung wie eine Erkrankung während des Erholungsurlaubs nach § 9 BUrlG. Für die Tage der Absonderung haben die Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG, sofern kein vorrangiger Entgeltfortzahlungsanspruch – etwa aus § 616 BGB – besteht36. Da die urlaubsrechtliche Behandlung einer Quarantäne nach § 59 Abs. 1 IfSG erst ab dem 17.9.2022 zur Anwendung gelangt und sich das Gesetz auch keine Rückwirkung beilegt, wird die vom BAG veranlasste Vorabentscheidung des EuGH für die bis zum Inkrafttreten des § 59 Abs. 1 IfSG zu dem Thema noch nicht rechtskräftig entschiedenen Fälle relevant. Da der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 bis 3 IfSG, den der Arbeitgeber auszuzahlen hat (§ 56 Abs. 5 IfSG), nachrangig ist, käme als vorrangige Alternative nur ein Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 616 BGB in Betracht, weil der Arbeitnehmer während der Quarantäne seine Arbeitsleistung nicht anbieten kann (§§ 275, 297 BGB) und damit ein Annahmeverzug ebenso ausgeschlossen ist wie eine Anwendung von § 326 Abs. 2 BGB, weil der Arbeitgeber die Unmöglichkeit der Leistungserbringung nicht zu vertreten hat. Insofern bliebe es bei dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ (§ 326 Abs. 1 BGB). Allerdings ist die gesetzliche Regelung des § 616 BGB, wonach der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig wird, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird, in zahlreichen Ta-
34 BGBl. I. 2022, 1453. 35 BGH v. 30.11.1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422. 36 Vgl. BT-Drucks. 20/3328 S. 19.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
rifverträgen insoweit wirksam abbedungen37, als genauere Bestimmungen über die Anlässe und Zeiträume einer Entgeltfortzahlung bei persönlichen Leistungshindernissen geregelt werden, wozu regelmäßig die COVID-19Quarantäne nicht gehört. (Boe)
4.
Erfüllungsreihenfolge bei der Inanspruchnahme von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub?
Das BAG38 hat bereits bei früherer Gelegenheit entschieden, dass im Falle einer Regelung in einem Arbeits- oder Tarifvertrag, die hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem übergesetzlichen Mehrurlaub differenziert, in Höhe des gesetzlichen Urlaubs Anspruchskonkurrenz mit der Rechtsfolge vorliegt, dass ein Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch ohne ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung beide Ansprüche ganz oder teilweise erfüllt. Im Lichte dieser Entscheidung erwies es sich für die betriebliche Praxis als überflüssig, die Reihenfolge der Erfüllung des Urlaubsanspruchs vertraglich vorzugeben. Der für das Urlaubsrecht zuständige 9. Senat des BAG war nunmehr in einer Entscheidung vom 1.3.202239 erneut mit der Erfüllungsreihenfolge bei der Inanspruchnahme von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub befasst, bei der die Besonderheit vorlag, dass der gesetzliche Mindesturlaub mit dem gesetzlichen Zusatzurlaub eines schwerbehinderten Menschen und einem übergesetzlichen tariflichen Mehrurlaub konkurrierte. Die Parteien des Rechtsstreits stritten noch über einen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen von fünf Tagen, den der Kläger im Wege der Abgeltung von der Beklagten klageweise beanspruchte. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war aufgrund einer Vorruhestandsregelung am 31.8.2020 beendet worden. In dem letzten Kalenderjahr der tatsächlichen Arbeitsleistung des Klägers standen ihm unter Berücksichtigung des Zusatzurlaubs und des tarifvertraglichen Mehrurlaubs insgesamt 37 Arbeitstage Urlaub zu, von denen die Beklagte insgesamt 26 Tage Urlaub gewährt hatte, ohne dabei eine Tilgungsbestimmung vorzunehmen. Der Kläger war der Meinung, mit dieser Urlaubserteilung sei der fünftägige Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen
37 BAG v. 20.6.1995 – 3 AZR 857/94, NZA 1996, 383; BAG v. 25.8.1982 – 4 AZR 1064/79, DB 1982, 2574. 38 BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 760/10, NZA 2013, 104 Rz. 11, 17. 39 BAG v. 1.3.2022 – 9 AZR 353/21, NZA 2022, 911.
508
Inanspruchnahme von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub
nicht erfüllt worden. Das BAG hat – ebenso wie die Vorinstanz – die Klage auf Zahlung der Urlaubsabgeltung für unberechtigt gehalten, weil die Beklagte diesen Urlaubsanspruch des Klägers bereits in natura mit der Urlaubserteilung von 26 Tagen erfüllt habe (§ 362 BGB). In prozessualer Hinsicht hebt das BAG zunächst hervor, dass die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, des Tarifurlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen drei eigenständige Streitgegenstände abbilden, weil der Tarifurlaub sowie der Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX zusätzliche Tatbestandsmerkmale gegenüber dem gesetzlichen Urlaubsanspruch aufweisen. Die insgesamt 37 Arbeitstage Urlaub setzten sich aus dem gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen (Fünf-Tage-Woche), dem deckungsgleichen Teil des Tarifurlaubs von 20 Tagen, dem diesen Urlaub übersteigenden Teil des Tarifurlaubs von 12 Tagen sowie dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen von fünf Arbeitstagen zusammen. Dabei besteht die Besonderheit nach Ansicht des BAG darin, dass anders als bei einer arbeits- oder tarifvertraglichen Regelung, die bezüglich des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen differenziert und dadurch beide Ansprüche, soweit sie sich überlappen, zu einem einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub verbindet, der gesetzliche Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX den jeweiligen Gesamturlaubsanspruch erhöht. Der Zusatzurlaub stellt sich damit als völlig selbständiger Urlaubsanspruch dar. Da dem Kläger im Streitfall nur 26 Arbeitstage Urlaub von der Beklagten gewährt worden waren, bedurfte es daher der Klärung, ob von der Erfüllungswirkung der Urlaubserteilung auch der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen eingeschlossen war. Das BAG beantwortet die Frage vorab mit dem Hinweis, dass beim Fehlen einer Tilgungsbestimmung zunächst gesetzliche Urlaubsansprüche und erst dann den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende, nur arbeits- oder tarifvertraglich begründete Urlaubsansprüche vom Arbeitgeber erfüllt werden. Damit ist auch eine Überschneidung mit sonstigen Urlaubsansprüchen, die dem Arbeitnehmer zustehen, ausgeschlossen. Fehlt es – wie im Streitfall – an der ausdrücklichen Bestimmung einer Tilgungsreihenfolge, will das BAG bei der Erfüllung von Erholungsurlaubsansprüchen aus einem Kalenderjahr, die auf unterschiedlichen Regelungsgrundlagen beruhen, die in § 366 Abs. 2 BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge unter Berücksichtigung der Besonderheiten des gesetzlichen Mindesturlaubs mit der Maßgabe anwenden, dass zuerst die gesetzlichen
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Urlaubsansprüche getilgt werden, wenn die Urlaubserteilung durch den Arbeitgeber ohne Tilgungserklärung erfolgt40. Diese Tilgungsreihenfolge folge aus dem vermuteten Willen vernünftiger und redlicher Vertragsparteien. Dieses Ergebnis leitet das BAG aus der besonderen Bedeutung des gesetzlichen Mindesturlaubs ab, der als bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der EU besonders geschützt ist und damit nach dem hypothetischen Parteiwillen einer vorrangigen Erfüllung bedarf. Entsprechendes soll aufgrund seiner sog. urlaubsrechtlichen Akzessorietät für den gesetzlich vorgegebenen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (§ 208 SGB IX) gelten, der zusammen mit dem gesetzlichen Mindesturlaub aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG den Mindesturlaub für diese Personengruppe bilde. Da die Beklagte dem Kläger insgesamt an 26 Tagen bezahlten Urlaub erteilt hatte, umfasste diese Urlaubserteilung den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen sowie die dem Kläger gesetzlich zustehenden fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, so dass die Klage auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung für den Zusatzurlaub abzuweisen war. Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen und enthebt die betriebliche Praxis bei der Erteilung von Teilurlaub bei verschiedenen urlaubsrechtlichen Rechtsgrundlagen einer Tilgungserklärung oder einer entsprechenden Tilgungsvereinbarung im Anstellungsvertrag. (Boe)
5.
Verfall des Urlaubsanspruchs bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung
Der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hat in § 208 SGB IX eine besondere gesetzliche Regelung erfahren, die nicht nur den Umfang des zusätzlichen Urlaubs im Urlaubsjahr vorgibt (Abs. 1), sondern auch, wie sich der Urlaubsanspruch berechnet, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft nicht während des gesamten Kalenderjahres vorliegt (Abs. 2). Sie regelt auch, ob eine Kumulation von Ansprüchen aus vorangegangenen Urlaubsjahren eintreten kann, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach § 152 Abs. 1, 2 SGB IX rückwirkend festgestellt wird. In diesem Zusammenhang hat das BAG41 bereits entschieden, dass sich der schwerbehindertenrechtliche Zusatzurlaub nach den Regeln des Mindesturlaubs der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG bestimmt und damit zu diesem eine urlaubs-
40 Vgl. bereits BAG v. 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, NZA 2002, 1041 Rz. 40. 41 BAG v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 Rz. 66, 69.
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Verfall des Urlaubsanspruchs bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung
rechtliche Akzessorietät besteht, zumal der Gesetzgeber in § 152 Abs. 3 SGB IX ausdrücklich auf die urlaubsrechtlichen Regelungen zurückgreift. Auf den gesetzlichen Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Unabhängig davon, dass der den gesetzlichen Mindesturlaub überschreitende Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen keinen unionsrechtlichen Vorgaben auf der Grundlage von Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC unterliegt, hat das BAG42 nach dem Grundsatz der urlaubsrechtlichen Akzessorietät die für den gesetzlichen Urlaubsanspruch entwickelten unionsrechtlichen Grundsätze auf den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX übertragen. So gilt auch für die Befristung des Anspruchs auf den Zusatzurlaub (§ 7 Abs. 3 BUrlG), dass der Arbeitgeber seine Aufforderungsund Hinweisobliegenheiten (Mitwirkungsobliegenheiten) erfüllt und damit an der Verwirklichung des Zusatzurlaubs mitgewirkt hat43. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BAG44 die Befristung des Zusatzurlaubsanspruchs nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers abhängig, wenn es diesem mangels Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers oder mangels Offenkundigkeit der Schwerbehinderung unmöglich war, seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachzukommen. Für diesen Befund trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, wobei ihm die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugutekommen45. Die Frage wie mit dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zu verfahren ist, wenn die Schwerbehinderung nach § 152 SGB IX rückwirkend für die dem Urlaubsjahr vorausgehenden Jahre festgestellt wird, war Gegenstand einer Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 26.4.202246. Die Parteien stritten darüber, ob dem Kläger noch ein Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX für das Jahr 2017 i. H. v. zwei Tagen und für das Jahr 2018 für fünf Tage zustand. Der Beklagten war bekannt, dass der Kläger einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte. 42 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 367/21, NZA 2022, 1047 Rz. 13 f. m. w. N.; BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 n. v. (Rz. 16, 20) 43 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 367/21, NZA 2022, 1047 Rz. 13; BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 n. v. (Rz. 19). 44 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 367/21, NZA 2022, 1047 Rz. 17; BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21 n. v. (Rz. 20). 45 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 143/21, ZTR 2022, 313 Rz. 25. 46 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 367/21, NZA 2022, 1047.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Der Kläger informierte die Beklagte auch im Jahre 2017 darüber, dass dieser Antrag durch Bescheid vom 24.11.2017 abgelehnt worden war. Erst im März 2019 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger gegen den ablehnenden Bescheid mit Erfolg ein Widerspruchs- und Klageverfahren angestrengt hatte, wonach der Kläger am 5.3.2019 rückwirkend zum 11.8.2017 als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 % anerkannt worden war. Daraufhin verlangte der Kläger Anfang April 2019 die Gewährung von sieben Tagen Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX für die Jahre 2017 und 2018, was die Beklagte wegen Verfalls ablehnte. Entgegen der klageabweisenden Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz hat das BAG dem Kläger zwei Tage Zusatzurlaub aus dem Jahre 2017 zugesprochen und ist im Hinblick auf den fünftägigen Zusatzurlaub für 2018 vom Verfall nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG am 31.12.2000 ausgegangen. Die für den Prozessausgang entscheidende Frage bezog sich wegen der Abhängigkeit (Akzessorietät) des Zusatzurlaubs vom gesetzlichen Mindesturlaub darauf, ob die Beklagte in den Jahren 2017 und 2018 von ihrer Mitwirkungsobliegenheit hätte Gebrauch machen müssen, um sich auf das Fristenregime des § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG und damit den Untergang der Zusatzurlaubsansprüche des Klägers berufen zu können. In diesem Zusammenhang geht das BAG47 zunächst davon aus, dass von einer Kenntnis der Schwerbehinderung des Arbeitgebers auszugehen ist, wenn der objektiv schwerbehinderte Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seinen noch nicht beschiedenen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft unterrichtet. Wird unter dieser Prämisse nach § 152 Abs. 1 SGB IX von der Behörde das Vorliegen einer Behinderung und der GdB rückwirkend zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt, setzen Befristung und Verfall des Anspruchs auf Zusatzurlaub grundsätzlich die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraus. Da der Kläger der Beklagten die Antragstellung im Jahre 2017 mitgeteilt hatte und seine Schwerbehinderung rückwirkend zum 11.8.2017 festgestellt worden war, standen ihm für das Jahr 2017 nach § 208 Abs. 2 SGB IX noch zwei Zusatzurlaubstage zu. Diese Bewertung des BAG überzeugt schon deshalb, weil der Zusatzurlaubsanspruch allein davon abhängt, dass objektiv vom Vorliegen einer Schwerbehinderung auszugehen ist, und der Arbeitgeber bei Kenntnis der Antragstellung mit einer rückwirkenden Feststellung rechnen muss. Zweifelhaft kann jedoch sein, ob eine (fortdauernde) Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers auch dann 47 BAG v. 26.4.2022 – 9 AZR 367/21, NZA 2022, 1047 Rz. 19.
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Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
noch angenommen werden kann, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer über den behördlichen Zurückweisungsbescheid seines Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung informiert worden ist, danach jedoch keinerlei Informationen darüber erhält, ob sich der Arbeitnehmer mit einem Rechtsmittel gegen die Ablehnung gewehrt hat. Das BAG hat bei derartiger Sachlage die zeitliche Phase zwischen Kenntnis der Ablehnung und Kenntnis der im Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahren ergangenen Entscheidung über die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Hinblick auf § 208 Abs. 1 SGB IX so bewertet, als hätte der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Damit entfallen gleichzeitig für diesen Zeitraum Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten zur Wahrnehmung des Zusatzurlaubs aus § 208 Abs. 1 SGB IX, so dass der Zusatzurlaub vom Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG erfasst wird. Das BAG will jedoch anders entscheiden und es bei den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bezüglich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen belassen, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig über den weiteren Gang des Anerkennungsverfahrens unterrichtet hat. Es obliege dabei dem Arbeitnehmer, den Arbeitgeber unverzüglich über die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde sowie darüber zu informieren, ob er Rechtsbehelf eingelegt habe oder dies beabsichtigt sei. Damit könne der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorsorglich Zusatzurlaub gewähren und seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommen. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das BAG den Zusatzurlaub des Klägers aus dem Kalenderjahr 2018 für verfallen angesehen (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG), weil die Beklagte erst im Jahre 2019 von der für den Kläger positiven und rückwirkend zum August 2017 zuerkannten Feststellung einer Schwerbehinderung erfahren hat. Ergänzend weist das BAG darauf hin, dass die Ungewissheit über das Ergebnis des versorgungsamtlichen Feststellungsverfahrens keinen in der Person des Arbeitnehmers liegender Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG auf das Kalenderjahr 2019 darstellt. Der betrieblichen Praxis dürfte auf der Grundlage dieser Entscheidung anzuraten sein, mit der Gewährung eines Zusatzurlaubs nach § 208 SGB IX abzuwarten, bis rechtskräftig feststeht, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen der Schwerbehinderung i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX gegeben sind. (Boe)
6.
Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Zwei Vorabentscheidungsersuchen des 9. Senats des BAG vom 7.7.2020 an den EuGH betrafen die Frage, ob Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 513
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Abs. 2 GRC das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers oder aus Gründen einer vollen Erwerbsminderung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder vor Beginn der Erwerbsminderung zumindest teilweise hätte nehmen können48. In dem einen Fall ging es um einen Kläger, der als Frachtfahrer bei der Beklagten seit 2000 beschäftigt war. Er bezog seit dem 1.12.2014 wegen einer Behinderung Rente aufgrund voller, aber nicht dauerhafter Erwerbsminderung, die zuletzt bis zum 31.8.2022 verlängert wurde. Der Kläger hat mit seiner Klage geltend gemacht, ihm stünden noch 34 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2014 zu, weil die Beklagte ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen sei, an der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs mitzuwirken. Die Beklagte hat sich damit verteidigt, dass der vom Kläger geltend gemachte Urlaubsanspruch für das Jahr 2014 nach Ablauf des in § 7 Abs. 3 BUrlG vorgesehenen Übertragungszeitraums am 31.3.2016 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres 2014 untergegangen sei. Der weitere Fall handelt von einer bei der Beklagten beschäftigten Klägerin, die seit ihrer Erkrankung im Verlauf des Jahres 2017 arbeitsunfähig war und ihren Urlaub für das Jahr 2017 nicht vollständig in Anspruch genommen hat. Auch in diesem Falle war die Klägerin von der Beklagten weder aufgefordert worden, ihren Urlaub zu nehmen, noch erhielt sie seitens der Beklagten einen Hinweis, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres verfallen kann. Auf die Feststellungsklage, dass ihr noch 14 Resturlaubstage aus dem Jahr 2017 zustünden, hat sich die Beklagte darauf berufen, dass der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 wegen der ununterbrochenen Krankheit der Klägerin mit Ablauf des 31.3.2019, d. h. 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres 2017, erloschen sei. In beiden Fällen haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen, während das BAG die Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hat. Der EuGH hat zunächst in prozessualer Hinsicht die bei ihm anhängig gemachten Verfahren zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 22.9.202249 wie folgt tenoriert:
48 Vgl. BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541; BAG v. 7.7.2020 – 9 AZR 245/19 (A), NZA 2020, 1547. 49 EuGH v. 22.9.2022 – C-518/20 und C-727/20, NZA 2022, 1323 – Fraport und St. Vincenz-Krankenhaus.
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Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, 31 Abs. 2 GRC sind wie folgt auszulegen: Sie stehen einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, entweder nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder später auch dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben.
In den Entscheidungsgründen weist der EuGH zunächst darauf hin, dass der in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG geregelte Anspruch auf einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, der außerdem in Art. 31 Abs. 2 GRC, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, verankert ist. Im Hinblick auf den doppelten Zweck des Urlaubs, dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm vertraglich obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen, beruht der Mindesturlaub nach Ansicht des EuGH auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Insoweit verweist der EuGH auf sein Urteil vom 4.10.201850, wonach die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen seien. Die Voraussetzung tatsächlicher Arbeitsleistung für den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sieht der EuGH auch für Zeiten als erfüllt an, in denen der Arbeitnehmer krankheitsbedingt der Arbeit fernbleiben muss. Insofern stellt der EuGH diese Arbeitnehmer hinsichtlich des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub solchen gleich, die in diesem Zeitraum tatsächlich gearbeitet haben51. In diesem Zusammenhang bekräftigt der EuGH seine Auffassung, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub mit Ablauf des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nicht erlöschen kann, wenn sich der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befunden hat und deshalb seiner Arbeitspflicht im Bezugszeitraum nicht nachkommen konnte. 50 EuGH v. 4.10.2018 – C-12/17, NZA 2018, 1323 Rz. 28 – Dicu. 51 EuGH v. 9.12.2021 – C-217/20, NZA 2022, 36 Rz. 29 f. m. w. N. – Staatssecretaris van Financiën.
515
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Darüber hinaus geht der EuGH davon aus, dass das in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub nur unter Einhaltung der in Art. 52 Abs. 1 GRC vorgesehenen strengen Bedingungen und insbesondere nur unter Achtung seines Wesensgehalts beschränkt werden könne. Allerdings hat der EuGH unter den besonderen Umständen, dass ein Arbeitnehmer während mehrerer aufeinanderfolgender Bezugszeiträume arbeitsunfähig ist, einzelstaatliche Regelungen im Hinblick auf Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG unbeanstandet gelassen, die die Möglichkeit, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten ab Ende des Kalenderjahres der Entstehung des Urlaubsanspruchs der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt52. Die davon abweichende Besonderheit der Ausgangsverfahren für die Anwendung einer zeitlichen Begrenzung des Anspruchs auf bezahlten Urlaub sieht der EuGH darin, dass die betreffenden Arbeitnehmer während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben, bevor sie voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig geworden sind. Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung53 hält der EuGH auch für die Vorlagefälle daran fest, dass eine zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub voraussetzt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben54. Eine Beschränkung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der im Laufe eines Bezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig wurde, ohne rechtzeitig vom Arbeitgeber in die Lage versetzt worden zu sein, seinen Urlaub zu nehmen, würde nach Ansicht des EuGH auch den in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerten Urlaubsanspruch, der in Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG konkretisiert ist, inhaltlich aushöhlen. Angesichts dieser Entscheidung des EuGH ist der betrieblichen Praxis zu empfehlen, bereits am Jahresanfang den für die Realisierung des Urlaubs maßgebenden Mitwirkungsobliegenheiten den Arbeitnehmern gegenüber nachzukommen und sämtliche Arbeitnehmer durch entsprechende Aufforde-
52 EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 55 – King; EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 29 f. – KHS. 53 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 40 – Max-Planck. 54 EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16, NZA 2018, 1612 Rz. 51 – Kreuziger; EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 44 – Max-Planck-Gesellschaft.
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Voraussetzungen für eine Verjährung des Urlaubsanspruchs
rungen und Hinweise tatsächlich in die Lage zu versetzen, ihren Urlaubsanspruch auszuüben. (Boe)
7.
Voraussetzungen für eine Verjährung des Urlaubsanspruchs
Mit einem Vorabentscheidungsersuchen vom 29.9.2020 hat der 9. Senat des BAG55 den EuGH nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung der Frage ersucht, ob Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, 31 Abs. 2 GRC einer Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB entgegensteht, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Dem Vorabentscheidungsersuchen lag ein Fall zugrunde, bei dem eine Klägerin bei dem Beklagten in der Zeit vom 1.11.1996 bis zum 31.7.2017 als Steuerfachangestellte beschäftigt war. Der Klägerin stand ein vertraglicher Jahresurlaub von 24 Arbeitstagen zu, den sie wegen des hohen Arbeitsaufkommens nur teilweise genommen hatte. Bei ihrem Ausscheiden standen ihr rechnerisch für die Kalenderjahre 2013 bis 2016 noch 76 Urlaubstage zu, die sie mit der am 6.2.2018 erhobenen Klage als Urlaubsabgeltung mit 17.376,64 € (brutto) von dem Beklagten beanspruchte. Unstreitig war der Beklagte zu keinem Zeitpunkt seiner Mitwirkungsobliegenheit hinsichtlich der Urlaubsrealisierung gegenüber der Klägerin nachgekommen. Da sich der Beklagte unter anderem mit der Einrede der Verjährung verteidigte, ging es in dem Rechtsstreit um die Frage, ob die Urlaube für die Jahre 2013 und 2014 aus Gründen der dreijährigen Verjährungsfrist (§§ 194 Abs. 1, 195, 199 Abs. 1 BGB) auch nicht mehr als Urlaubsabgeltung gegenüber dem Beklagten durchsetzbar waren. Das LAG Düsseldorf56 hat der Urlaubsabgeltungsklage unter Anwendung der vom EuGH57 entwickelten Grundsätze der Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch auszuüben, auch für die Jahre 2013 und 2014 entsprochen, weil der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzutritt, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Da für den hinzutretenden Urlaub wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch die Regelungen des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BUrlG gelten, könne sich die 55 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413. 56 LAG Düsseldorf v. 21.2.2020 – 10 Sa 180/19 n. v. 57 EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 – Max-Planck-Gesellschaft; EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 – King.
517
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Frage der Verjährung des Urlaubsanspruchs von vornherein angesichts des Fristenregimes aus § 7 Abs. 3 BUrlG nicht stellen. Demgegenüber wollte das BAG58 nicht von vornherein ausschließen, dass der wegen unterlassener Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallene Urlaubsanspruch der gesetzlichen Verjährungsfrist nach §§ 194 Abs. 1, 195 BGB unterliegen könne mit der Maßgabe, dass sich der Arbeitgeber auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs und damit des Urlaubsabgeltungsanspruchs berufen könne, weil letzterer mit der Verjährung behaftet entstanden und bestehen geblieben sei. Allerdings zweifelte das BAG an der Vereinbarkeit der in den §§ 194 ff. BGB vorgesehenen Verjährungsregel mit dem in Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, 31 Abs. 2 GRC verankerten Anspruch. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 22.9.202259 in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts60 entschieden, dass Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, 31 Abs. 2 GRC dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. In der Urteilsbegründung betont der EuGH61 zunächst, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG nur unter besonderen Umständen eingeschränkt werden darf. Die Verjährungsregelung des § 195 BGB stellt nach Ansicht des EuGH eine Beschränkung des bezahlten Jahresurlaubs dar. In der Richtlinie selbst werde indes die Verjährung des Urlaubsanspruchs nicht geregelt. Es sei jedoch zu beachten, dass Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG das in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerte Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub konkretisiert und damit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union eine besondere Bedeutung beizumessen sei. Daraus schlussfolgert der EuGH62, dass die regelmäßige Verjährung nach § 195 BGB gleichzeitig auch eine EinBAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 36. EuGH v. 22.9.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326 – LB. Generalanwalt EuGH v. 5.5.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326 – LB. EuGH v. 22.9.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326 Rz. 28 – LB, unter Hinweis auf EuGH v. 29.11.2017 – C-214/16, NZA 2017, 1591 Rz. 56 m. w. N. – King. 62 EuGH v. 22.9.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326 Rz. 34 f. – LB. 58 59 60 61
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Voraussetzungen für eine Verjährung des Urlaubsanspruchs
schränkung des Rechts aus Art. 31 Abs. 2 GRC bedeutet. Diese Bewertung führte zur Anwendung von Art. 52 Abs. 1 GRC, wonach jede Einschränkung der Ausübung der in der GRC anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein muss und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten zu achten hat. Zwar sei i. S. v. Art. 52 Abs. 1 GRC die in Rede stehende Verjährungsfrist gesetzlich vorgegeben, jedoch fragt sich der EuGH, ob damit das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in seinem Wesensgehalt angetastet wird. Mit der Verjährungseinrede werde der Wesensgehalt des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub so lange nicht angetastet, als die Möglichkeit für den Arbeitnehmer, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub geltend zu machen, lediglich einer zeitlichen Begrenzung von drei Jahren unterworfen wird. Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung63, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nur unter der Voraussetzung verloren gehen könne, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben, dürfe der mit der Verjährung verfolgte Grundsatz der Gewährleistung der Rechtssicherheit jedoch nicht als Vorwand dienen, dass sich der Arbeitgeber unter Berufung auf sein eigenes Versäumnis, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben, den Vorteil verschaffe, einredeweise die Anspruchsverjährung geltend zu machen. Ließe man das zu, führte das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers und ginge über dasjenige hinaus, was zur Gewährleistung der mit der Verjährung verbundenen Rechtssicherheit erforderlich sei. Diese Erwägungen veranlassen den EuGH zu der Aussage, dass es allein Sache des Arbeitgebers sei, gegen spätere Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs dadurch Vorkehrungen zu treffen, dass er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachkommt. Nur damit werde eine Rechtssicherheit gewährt, ohne das in Art. 31 Abs. 2 GRC verankerte Grundrecht auf Urlaub einzuschränken. Für die betriebliche Praxis hat sich damit die Problematik der Verjährung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs erledigt, weil bereits das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG zur Anwendung gelangt, falls der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist und damit den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen 63 EuGH v. 22.9.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326 Rz. 45 – LB; EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 Rz. 41 ff. – Max-Planck-Gesellschaft.
519
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt64. (Boe)
8.
Zulässigkeit einer Quotelung des Urlaubsanspruchs
In § 5 Abs. 1 BUrlG stellt der Gesetzgeber für den Teilurlaubsanspruch eine Sondervorschrift zur Verfügung, die für bestimmte Fallkonstellationen für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses den Erwerb von 1/12 des Jahresurlaubs vorsieht. Dies gilt für Zeiten eines Kalenderjahres, für die der Arbeitnehmer wegen Nichterfüllung der Wartezeit keinen vollen Urlaubsanspruch erwirbt (a), oder wenn er vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (b), oder wenn er nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (c). Die dritte Alternative der Quotelung des Urlaubsanspruchs, die genauer betrachtet zu einer entsprechenden Kürzung des zunächst entstandenen Vollurlaubs führt, setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer mit Ablauf des 30. Juni des jeweiligen Kalenderjahres endet (§§ 186, 188 Abs. 2 BGB). Die kraft Gesetzes eintretende Kürzung des Urlaubs erleidet jedoch nach § 5 Abs. 3 BUrlG insofern eine Ausnahme, als der Arbeitnehmer bereits Urlaub über den ihm zustehenden Umfang hinaus erhalten hat. An dieser Situation will der Gesetzgeber nichts mehr ändern. Im Umkehrschluss zu § 5 Abs. 1 c BUrlG hat das BAG65 eine Zwölftelung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs abgelehnt, wenn der Arbeitnehmer in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Bei derartigem Befund behält der Arbeitnehmer den vollen gesetzlichen Urlaubsanspruch, der weder ausgeschlossen noch gemindert werden kann. Da die Zwölftelung nicht zu einer nach § 13 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 BUrlG unzulässigen Unterschreitung des gesetzlichen Mindesturlaubs führen darf, fehlt den Arbeitsvertragsparteien die Dispositionsbefugnis, bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres den gesetzlichen Urlaubsanspruch für jeden Monat des Bestehens des
64 BAG v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A), NZA 2021, 413 Rz. 28. 65 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, NZA 2019, 1136 Rz. 27; BAG v. 9.8.2016 – 9 AZR 51/16, NZA-RR 2016, 615 Rz. 16 m. w. N.; BAG v. 20.1.2009 – 9 AZR 650/07 n. v. (Rz. 20 f.).
520
Zulässigkeit einer Quotelung des Urlaubsanspruchs
Arbeitsverhältnisses auf 1/12 zu quoteln66. Dabei erstreckt sich die gesetzliche Unabdingbarkeit gleichermaßen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch i. S. v. § 7 Abs. 4 BUrlG67. Da auch die Tarifvertragsparteien gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG von den Vorschriften der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichen dürfen, sind tarifvertragliche Regelungen, die eine Zwölftelung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres vorsehen, im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unzulässig, wenn damit eine Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubs verbunden wäre68. Dies betrifft auch den Urlaubsabgeltungsanspruch69, obwohl § 7 Abs. 4 BUrlG in § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG nicht genannt ist. Im Hinblick auf diese von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsätze bedarf es auch keines Rückgriffs auf Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC. Die Frage der zulässigen Quotelung des Urlaubsanspruchs ist Gegenstand der Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 5.7.202270. Die Klägerin war bei der Beklagten vom 2.1.2012 bis zum 31.8.2017 als Bürokauffrau beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 18.8.2011 enthielt die Regelung, dass der Jahresurlaub 28 Arbeitstage auf der Basis einer Fünf-Tage-Woche beträgt und in dem Kalenderjahr, in dem das Arbeitsverhältnis beginnt oder endet, der Arbeitnehmer für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs hat. Die Klägerin war aus Gründen der Schutzfristen vor und nach der Geburt ihrer Kinder und anschließender Elternzeiten vom 4.4.2013 bis zum 17.8.2017 nicht für die Beklagte tätig. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3.8.2017 zum 31.8.2017. Im Zuge einer prozessualen Auseinandersetzung auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung für insgesamt 130 Arbeitstage Urlaub stritten die Parteien auch darüber, ob der Klägerin auf der Grundlage der vertraglichen Urlaubsregelung für das Kalenderjahr 2017 nur ein Teilurlaubsanspruch und damit eine Urlaubsabgeltung i. H. v. 8/12 oder der volle Urlaubsanspruch und eine entsprechende Urlaubsabgeltung zustand. 66 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, NZA 2019, 1136 Rz. 27; BAG v. 9.8.2016 – 9 AZR 51/16, NZA-RR 2016, 615 Rz. 16 m. w. N. 67 BAG v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21 n. v. (Rz. 50); BAG v. 20.1.2009 – 9 AZR 650/07 n. v. (Rz. 21 m. w. N.). 68 BAG v. 9.8.2016 – 9 AZR 51/16, NZA-RR 2016, 615 Rz. 16. 69 BAG v. 5.8.2014 – 9 AZR 77/13, NZA 2015, 625 Rz. 19. 70 BAG v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Das BAG hat der Klägerin für das Kalenderjahr 2017 den vollen Urlaubsanspruch von 28 Arbeitstagen als Urlaubsabgeltung zugesprochen. Dabei geht das BAG in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung71 davon aus, dass die vertragliche Quotelung des Urlaubs zu Ungunsten der Klägerin von der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 1 c BUrlG abweicht und deshalb gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 BUrlG rechtsunwirksam ist. Endete das Arbeitsverhältnis – wie hier– nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Jahreshälfte, folgte im Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 c BUrlG, dass die gesetzliche Regelung über den Teilurlaub keine Anwendung finde, so dass es beim ungekürzten gesetzlichen Urlaubsanspruch verbliebe. Dieser volle gesetzliche Urlaubsanspruch könne gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers durch eine vertragliche Quotelung gemindert werden. Auf der Grundlage der vertraglichen Regelung hätten der Klägerin 28 : 12 x 8 = 18,67 Arbeitstage Urlaub zugestanden, während sich der gesetzliche Urlaubsanspruch auf 20 Arbeitstage belief. Die Besonderheit des Falles bestand jedoch darin, dass der Klägerin ein übergesetzlicher Urlaub von 28 Arbeitstagen zugesagt worden war und die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und den in den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln dürfen72. Deshalb steht grundsätzlich dem Erlöschen des Mehrurlaubs bei einem unterjährigen Ausscheiden weder § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG noch Unionsrecht entgegen73. Eine derartige vom Gesetz abweichende Vertragsgestaltung, der zufolge allein der vertragliche Mehrurlaub eine besondere Regelung erfahren soll, muss jedoch nach Ansicht des BAG dem Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien entsprechen, wofür deutliche Anhaltspunkte vorliegen müssen74. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzli-
71 BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, NZA 2019, 1136 Rz. 27; BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 495/17, NZA 2019, 1136 Rz. 27; BAG v. 9.8.2016 – 9 AZR 51/16, NZA-RR 2016, 615 Rz. 16 m. w. N. 72 BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 579/16, NZA 2019, 1571 Rz. 63; BAG v. 8.5.2018 – 9 AZR 531/17 n. v. (Rz. 58 m. w. N.). 73 BAG v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21 n. v. (Rz. 47); BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 579/16, NZA 2019, 1571 Rz. 63. 74 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 225/21, NZA 2022, 629 Rz. 38.
522
Zulässigkeit einer Quotelung des Urlaubsanspruchs
chen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf den vertraglichen Mehrurlaub auszugehen75. Unter Berücksichtigung der vertraglichen Urlaubsregelung geht das BAG mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass die Parteien den Urlaub ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund einheitlich haben regeln wollen, so dass die Anwendung der Zwölftelungsregelung auf den Gesamturlaubsanspruch anzuwenden ist. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende August 2017 ergab sich daraus ein Urlaubsanspruch der Klägerin von 18,67 Arbeitstagen, während der gesetzliche Mindesturlaub 20 Arbeitstage betrug, was zur Nichtigkeit der Quotenregelung führte. Da sich die in § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG angeordnete Unabdingbarkeit nach der Rechtsprechung des BAG76 auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch erstreckt, hat das BAG der Klägerin für das Kalenderjahr 2017 eine Urlaubsabgeltung von 28 Arbeitstagen zuerkannt. Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis deshalb von Bedeutung, weil eine entsprechende Quotelung des Urlaubsanspruchs für den Beginn und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Arbeitsverträgen immer wieder anzutreffen ist und bezogen auf ein Ausscheiden des Arbeitnehmers in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres nach erfüllter Wartezeit auch von zahlreichen Tarifverträgen praktiziert und dabei übersehen wird, dass auch die Tarifvertragsparteien den gesetzlichen Mindesturlaub nicht kürzen dürfen. (Boe)
75 BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 225/21, NZA 2022, 629 Rz. 38; BAG v. 3.12.2019 – 9 AZR 33/19, NZA 2020, 789 Rz. 38. 76 BAG v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21 n. v. (Rz. 50); BAG v. 20.1.2009 – 9 AZR 650/07 n. v. (Rz. 21 m. w. N.).
523
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E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Massenentlassungsanzeige: Entbehrlichkeit der SollAngaben
Bereits im Frühjahr hatten wir auf die Entscheidung des BAG vom 13.2.20221 verwiesen. Darin hatte sich das BAG mit der Frage befasst, welche Rechtsfolgen das Fehlen der Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG hat. In Übereinstimmung mit den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit und den Feststellungen des LAG Düsseldorf im Urteil vom 15.12.20212 hat das BAG dabei klargestellt, dass das Fehlen der SollAngaben keine Konsequenzen in Bezug auf die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige hat. Die Entscheidung des LAG Hessen, das in seinem Urteil vom 25.6.20213 auf der Grundlage einer richtlinienkonformen Auslegung von § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG noch die gegenteilige Sichtweise vertreten hatte, ist damit aufgehoben worden. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG zunächst einmal klargestellt, dass eine anzeigepflichtige Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG vorliege, wenn der Arbeitgeber innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen (00:00 bis 24:00 Uhr) eine bestimmte Anzahl von Entlassungen vorgenommen habe. Damit lehnt das BAG im Rahmen von § 17 Abs. 1 KSchG eine Anwendbarkeit der §§ 186 ff. BGB ab, wovon das BAG noch im Urteil vom 25.4.20134 ausgegangen war. Für den seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall war dies relevant, weil das Berufungsgericht nur festgestellt hatte, dass die Beklagte „in der Zeit vom 18.6.2019 bis zum 18.7.2019 insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse gekündigt“ hat. Zahlenmäßig waren damit zwar die Schwellenwerte überschritten. Wenn die erste Kündigung bereits am 18.6.2019 erfolgt war, hätte es sich aber – falls die letzte Kündigung am 18.7.2019 erfolgt war – um einen Zeitraum von 31 Kalendertagen gehandelt, so dass maßgeblich war, wie viele Entlassungen noch am 18.7.2019 erfolgt waren. Schlussendlich konnte der 2. Senat des BAG diese Frage allerdings offenlassen. Denn nach seiner Auffassung hatte die Beklagte eine ordnungsgemäße
1 2 3 4
BAG v. 19.5.2022 – 2 AZR 467/21, NZA 2022, 1052 Rz. 12 ff. LAG Düsseldorf v. 15.12.2021 – 12 Sa 349/21 n. v. (Rz. 274 ff.). LAG Hessen v. 25.6.2021 – 14 Sa 25/20, BB 2022, 61. BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12 n. v. (Rz. 155).
525
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Massenentlassungsanzeige vorgenommen. Dass dabei die Soll-Angaben des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht enthalten waren, stehe der Wirksamkeit nicht entgegen. Mit überzeugender Begründung hat das BAG dabei nicht nur auf den Wortlaut der Vorschrift und die Systematik verwiesen. Denn schon durch den Vergleich mit § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG, der eine Muss-Regelung enthält, werde erkennbar, dass der Gesetzgeber ganz bewusst die Soll-Angaben nicht zum zwingenden Inhalt der Massenentlassungsanzeige habe machen wollen. Damit laufe auch der Zweck von § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nicht leer. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG habe nämlich einen rein sozialrechtlichen Regelungsgehalt und solle die Arbeitsvermittlung der betroffenen Arbeitnehmer fördern5. Nach den soweit überzeugenden Feststellungen des BAG steht auch die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) dieser Sichtweise nicht entgegen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Massenentlassungsanzeige nach dem Unionsrecht zu erfolgen habe, wenn die Massenentlassungen „beabsichtigt“ seien6. Hiervon ausgehend sei es zulässig, eine Massenentlassung bereits dann zu erstatten, wenn die Identität der (voraussichtlich) zu entlassenden Arbeitnehmer noch nicht feststehe. Dem entspreche es auch, dass der aus Art. 2 Abs. 3 Uabs. 1 lit. b MERL übernommene Katalog von Angaben, die „insbesondere“ in der Massenentlassungsanzeige enthalten sein müssten, in Art. 3 Abs. 1 Uabs. 4 MERL nicht einmal die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer umfasse, sondern nur deren Zahl. Wenn aber die MERL nicht verlange, dass die konkret zu entlassenden Mitarbeiter bei Erstattung der Anzeige bereits feststünden, könnten auch auf bestimmte Arbeitnehmer bezogene Angaben – wie diejenigen gemäß § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG (z. B. Geschlecht, Staatsangehörigkeit) – keine unionsrechtlich gebotene Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige sein7. Lediglich aus Gründen der Vorsorge weist das BAG indes auch darauf hin, dass selbst dann, wenn unionsrechtlich durch die Mitgliedstaaten eine hiervon abweichende Umsetzung hätte erfolgen müssen, eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung von § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG ausgeschlossen sei. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, in § 17 Abs. 3 S. 4, 5 KSchG zwischen Muss-Angaben und Soll-Angaben zu trennen, die nicht 5 6 7
BAG v. 19.5.2022 – 2 AZR 467/21, NZA 2022, 1053 Rz. 17. Vgl. EuGH v. 10.12.2009 – C-323/08, NZA 2010, 154 Rz. 48 – Rodriguez Major; EuGH v. 27.1.2005 – C-188/03, NZA 2005, 214 Rz. 36 – Junk. BAG v. 19.5.2022 – 2 AZR 467/21, NZA 2022, 1054 Rz. 22; BAG v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18, NZA 2019, 1640 Rz. 25; Meinel/Degen, RdA 2022, 41, 44.
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Massenentlassungsanzeige: Entbehrlichkeit der Soll-Angaben
Wirksamkeitsvoraussetzung der Massenentlassungsanzeige seien, sondern allein die Arbeitsvermittlung der Betroffenen fördern sollten, sei – wie gezeigt – eindeutig und weder nach Wortlaut, Systematik, Zweck noch Gesetzeshistorie lückenhaft oder unvollständig. Mit einer Uminterpretation von § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG in eine kündigungsrechtliche Muss-Vorschrift würden sich die nationalen Gerichte aus der Rolle des Normanwenders hinausbegeben und die Grenze zu einer normsetzenden Instanz überschreiten. Eine solche Auslegung contra legem sei auch durch das Unionsrecht nicht vorgegeben8. Auch wenn das BAG eine Vorlage an den EuGH deshalb nicht für erforderlich hält, bleibt nicht ausgeschlossen, dass ein Instanzgericht eine abweichende Bewertung vornimmt und die Sache dem EuGH vorlegt. Dieses Risiko kann in der Praxis nur dadurch vermieden werden, dass vorsorglich auch die Soll-Angaben in die Massenentlassungsanzeige aufgenommen werden. Auch bei einer vom BAG abweichenden Entscheidung des EuGH dürfte dies allerdings keine Unwirksamkeit der hiervon betroffenen Kündigungen zur Folge haben. Denn darin läge – folgt man dem BAG – eine Auslegung von § 17 Abs. 3 S. 4, 5 KSchG, die mit Wortlaut, Systematik und Zweck nicht vereinbar ist und deshalb auch durch unionsrechtliche Vorgaben nicht gerechtfertigt werden kann. In diesem Fall müsste der Gesetzgeber die Regelungen verändern; erst danach müsste sich die Betriebspraxis daran bei der Massenentlassungsanzeige ausrichten. Dann läge auch ein Verstoß gegen das Gesetz vor, der im deutschen Recht zu einer Unwirksamkeit der Kündigungen führen könnte. Abschließend verwies das BAG darauf, dass Fehler bei der Zahl der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer im Rahmen der Massenentlassungsanzeige nicht notwendigerweise zur Unwirksamkeit einer Kündigung führten. Denn eine entsprechende Fehlangabe dürfte die auf die bevorstehende Massenentlassung bezogene Tätigkeit der Agentur für Arbeit nur beeinflussen können, wenn es sich um eine derart erhebliche Abweichung handele, dass die Agentur für Arbeit „mit einer solchen Flut“ nicht rechnen musste und deshalb ihre Vermittlungsbemühungen nicht entsprechend habe einrichten können. Allenfalls unter diesen Voraussetzungen sei es, um der MERL nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, geboten, die Nichtigkeit – in diesem Fall aber möglicherweise aller Kündigungen – nach § 134 BGB anzunehmen. Dies zeigt, dass das BAG auch mit Blick auf Fehler im 8
EuGH v. 12.5.2022 – C-426/20, NZA 2022, 1044 Rz. 57 – Luso Temp; BAG v. 19.5.2022 – 2 AZR 467/21, NZA 2022, 1053 Rz. 20.
527
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Zusammenhang mit den Muss-Angaben in Bezug auf eine etwaige, daraus folgende Unwirksamkeit der Kündigung differenziert. (Ga)
2.
Zulässigkeit des besonderen Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten
In § 38 Abs. 1 S. 1 BDSG ist für Datenschutzbeauftragte nichtöffentlicher Stellen eine ergänzende Regelung zu Art. 37 Abs. 1 lit. b, c DSGVO für die notwendige Bestellung von Datenschutzbeauftragten vorgesehen. Der Verantwortliche und der Auftragsverarbeiter haben danach eine Datenschutzbeauftragte oder einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen, soweit sie in der Regel mindestens 20 Personen9 ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen. Demgegenüber müssen nach Art. 37 Abs. 1 lit. b, c DSGVO Datenschutzbeauftragte benannt werden, wenn die Kerntätigkeit des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in der Durchführung von Verarbeitungsvorgängen besteht oder die Kerntätigkeit10 des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters in der umfangreichen Verarbeitung besonderer Kategorien von Daten oder von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten besteht. In diesem Zusammenhang sieht Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO vor, dass der Datenschutzbeauftragte von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden darf. In § 38 Abs. 2 BDSG wird darüber hinausgehend vorgesehen, dass § 6 Abs. 4, 5 S. 2, Abs. 6 BDSG Anwendung finden, § 6 Abs. 4 BDSG jedoch nur, wenn die Benennung einer oder eines Datenschutzbeauftragten verpflichtend ist. § 6 Abs. 4 BDSG lautet: Die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten ist nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die öffentliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Nach dem Ende der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragte oder als Datenschutzbeauftragter ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Jahres unzulässig, es sei denn, dass die öffentliche Stelle zur Kün-
BDSG i. d. F. des Art. 12 Nr. 9 2. DSAnpUG-EU v. 20.11.2019 m. W. v. 26.11.2019, BGBl. I 2019, 1626. 10 Nach dem Erwägungsgrund 97 DSGVO bezieht sich die Kerntätigkeit eines Verantwortlichen auf seine Haupttätigkeiten und nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten als Nebentätigkeit. 9
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Zulässigkeit des besonderen Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten
digung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt ist.
Ob die nach deutschem Recht vorgesehene besondere Verstärkung des Bestandsschutzes des Datenschutzbeauftragten nach § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO kompatibel ist und die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses des Datenschutzbeauftragten durch den Verantwortlichen unzulässig ist, unabhängig davon, ob sie wegen der Erfüllung seiner Aufgaben erfolgt, hat der 2. Senat des BAG mit einem Beschluss vom 30.7.202011 gemäß Art. 267 AEUV dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt. Zusätzlich wollte das BAG vom EuGH wissen, ob Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO der Regelung in § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG auch dann entgegensteht, wenn die Benennung des Datenschutzbeauftragten nicht nach Art. 37 Abs. 1 DSGVO verpflichtend ist, sondern nur nach dem Recht des Mitgliedstaats. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Klägerin, die seit dem 15.1.2018 bei der Beklagten, einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft, die zur Benennung eines Datenschutzbeauftragten verpflichtet war, als „Teamleiter Recht“ beschäftigt wurde und ab Februar 2018 zur betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt worden war. Mit Schreiben vom 13.7.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 15.8.2018 aus Gründen einer Umstrukturierung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die Klägerin geführt habe. Die Klägerin hat mit ihrer Klage rechtzeitig die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. ArbG Nürnberg und LAG Nürnberg haben der Kündigungsschutzklage entsprochen, weil die Kündigung nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 BDSG nur aus wichtigem Grunde möglich gewesen sei und die Umstrukturierung einen derartigen Grund nicht darstelle. Das BAG sah sich zu einer Vorlage an den EuGH deswegen veranlasst, weil die Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG davon abhinge, ob insbesondere Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO eine mitgliedstaatliche Regelung verböte, durch die eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten an strengere Voraussetzungen als nach dem Unionsrecht geknüpft sei. Die zweite Vorlagefrage des BAG war nur für den Fall gestellt, dass der EuGH den Sonderkündigungsschutz nach § 6 Abs. 4 BDSG für unionswidrig ansehen würde, wobei dann zu prüfen wäre, ob der Sonderkündigungsschutz nur dann entfiele, wenn die Benennung des Datenschutzbeauftragten nicht nach Art. 37 Abs. 1 DSGVO, sondern nur nach dem Recht des Mitgliedstaats verpflichtend sei.
11 BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 225/20 (A), NZA 2020, 1468.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Der EuGH hat mit Urteil vom 22.6.202212 die erste Frage des BAG wie folgt beantwortet: Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der einem bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigten Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt, sofern diese Regelung die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt.
Hinsichtlich der ersten Frage des BAG, ob Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der einem Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt, stellt der EuGH13 zunächst klar, dass Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO im Verhältnis zwischen einem Datenschutzbeauftragten und einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter unabhängig davon gilt, welcher Art das sie verbindende Beschäftigungsverhältnis ist. Des Weiteren ließe sich aus der Bestimmung entnehmen, dass die Kündigung eines Datenschutzbeauftragten aus Gründen, die sich auf die Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 39 DSGVO beziehen, verboten werde. Aus dem in Art. 38 Abs. 2 S. 2 DSGVO genannten Ziel, die unabhängige Stellung des Datenschutzbeauftragten zu gewährleisten, was sich auch darin ausdrückt, dass er nach Art. 38 Abs. 3 S. 1, 3 DSGVO keinen Anweisungen bezüglich der Ausübung seiner Aufgaben unterliege und unmittelbar der höchsten Managementebene zu berichten habe, schlussfolgert der EuGH, dass Art. 38 Abs. 2 S. 2 DSGVO nicht bezwecke, das Arbeitsverhältnis zwischen einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter und dessen Beschäftigten zu regeln. Ergänzend beruft sich der EuGH insoweit auf die Präambel der DSGVO, wonach die DSGVO auf Art. 16 AEUV, d. h. den Datenschutz, gestützt worden ist. Insoweit folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts14, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass beispielsweise weder die Dauer des Arbeitsvertrags noch der personenbezogene oder betriebsbedingte Grund für dessen Beendigung, der ggf. auch Gegenstand eines Aufhebungsvertrags sein kann, oder die Aussetzung des Arbeitsverhältnisses wegen Krankheit, Fortbildung oder Jahresurlaub in Betracht gezogen worden seien. 12 EuGH v. 22.6.2022 – C-534/20, NZA 2022, 1111 – Leistritz. 13 EuGH v. 22.6.2022 – C-534/20, NZA 2022, 1111 Rz. 24 – Leistritz. 14 Generalanwalt EuGH v. 27.1.2022 – C-534/20 n. v. (Rz. 40) – Leistritz.
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Zulässigkeit des besonderen Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten
Daraus folgt nach Ansicht des EuGH, dass es jedem Mitgliedstaat freistünde, in Ausübung seiner vorbehaltenen Zuständigkeit strengere Vorschriften für die arbeitgeberseitige Kündigung eines Datenschutzbeauftragten vorzusehen, sofern diese mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO, zu vereinbaren seien15. Mit dieser Entscheidung verdeutlicht der EuGH, dass im Unionsrecht (vgl. Art. 153 AEUV) keine Regelung vorhanden ist, die einen besonderen Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten zum Inhalt hat und ihn auch vor einer Kündigung absichert, die zu der Erfüllung seiner Aufgaben keinen Bezug aufweist. Insoweit greift die geteilte Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 lit. b (Sozialpolitik hinsichtlich der im AUEV genannten Aspekte) i. V. m. Art. 2 Abs. 2 AEUV, wonach die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit wahrnehmen, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat. Dies gilt im vorliegenden Fall unabhängig davon, dass die Union auf dem Gebiet des Schutzes der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags (Art. 153 Abs. 1 lit. d AEUV) die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützen und ergänzen kann, was die Mitgliedstaaten ggf. nicht daran hindert, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen (Art. 153 Abs. 4 AEUV). Zwischenzeitlich hat der 2. Senat des BAG mit Urteil vom 25.8.202216 das in dieser Streitsache ausgesetzte Revisionsverfahren wiederaufgenommen und die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LAG Nürnberg17, das der Kündigungsschutzklage der Klägerin in Übereinstimmung mit dem ArbG entsprochen hat, zurückgewiesen und ebenfalls festgestellt, dass die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung gemäß § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 4 S. 2 BDSG, 134 BGB nichtig ist, weil die Klägerin als verpflichtend bestellte Datenschutzbeauftragte der Beklagten nur außerordentlich aus wichtigem Grund hätte gekündigt werden dürfen. Im Hinblick auf den besonderen Kündigungsschutz aus § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG sieht das BAG die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht als beeinträchtigt an, weil dieser Kündigungsschutz nicht jedwede Kündigung eines verpflichtend benannten Datenschutzbeauftragten verböte, der beruflich oder in sonstiger Weise nicht mehr in der Lage sei, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Vielmehr sei die Kündigung – wie auch die Abberufung – des Datenschutzbeauftragten (nur) an die beson15 EuGH v. 22.6.2022 – C-534/20, NZA 2022, 1111 Rz. 28 – Leistritz. 16 BAG v. 25.8.2022 – 2 AZR 225/20 n. v. 17 LAG Nürnberg v. 19.2.2020 – 2 Sa 274/19, NZA-RR 2020, 299.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
dere Anforderung des wichtigen Grundes gekoppelt. Die personen- oder verhaltensbedingten Gründe müssten die Erheblichkeitsschwelle des wichtigen Grundes erreichen, wobei zur Sicherung der Ziele der DSGVO regelmäßig bereits die Abberufung des verpflichtend benannten Datenschutzbeauftragten ausreiche, ohne dessen Arbeitsverhältnis zu kündigen. Damit erhöhten sich zwar die Voraussetzungen, unter denen der Verantwortliche das Arbeitsverhältnis mit einem verpflichtend benannten Datenschutzbeauftragten beenden könne, ohne jedoch die Beendigungsmöglichkeit auszuschließen oder unzumutbar zu erschweren. Überdies könnte die Aufsichtsbehörde nach § 40 Abs. 6 BDSG die Abberufung des Datenschutzbeauftragten verlangen, wenn der Datenschutzbeauftragte die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde nicht besitzt oder im Fall des Art. 38 Abs. 6 DSGVO ein schwerwiegender Interessenskonflikt vorliegt. Anschließend verneint das BAG einen Verstoß der normativen Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes von betrieblichen Datenschutzbeauftragten gegen Art. 12 Abs. 1 GG und weist darauf hin, dass der damit verbundene Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit geeignet, erforderlich sowie angemessen sei und im Wesentlichen dem Sonderkündigungsschutz für Betriebsräte (§ 15 Abs. 1 KSchG) oder Immissionsschutzbeauftragte (§ 58 Abs. 2 BImSchG) entspräche18. Bei der Prüfung der Angemessenheit gewichtet das BAG auf Seiten des Arbeitgebers, dass dieser in seiner Kündigungsmöglichkeit selbst dann beschränkt sei, wenn der Kündigungssachverhalt nichts mit der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter zu tun habe und der Arbeitgeber der Sache nach an das einmal gewählte Konzept eines betriebsinternen Datenschutzbeauftragten gebunden bliebe, weil ein gewünschter Wechsel zu einem externen Datenschutzbeauftragten kein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung eines internen Datenschutzbeauftragten darstelle19. Einschränkend wirke sich außerdem aus, dass der besondere Kündigungsschutz die sonst unter erleichterten Bedingungen mögliche Kündigung während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) deutlich erschwere. Diese erheblichen Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers werden nach Ansicht des BAG durch die vom Gesetzgeber als besonders wichtig angesehenen Ziele des Datenschutzes aufgewogen, dessen Effizienz von einem unabhängigen Datenschutzbeauftragten besonders gefördert wer18 Vgl. BT-Drucks. 16/12011 S. 30: Die Aufgabenstellung des Beauftragten für den Datenschutz ist mit diesen privilegiert geschützten Funktionsträgern nach Art und Umfang vergleichbar. Allen diesen Beauftragten ist gemeinsam, dass die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften überwacht und hierfür Kontrollen durchgeführt werden. 19 BAG v. 25.8.2022 – 2 AZR 225/20 n. v. (Rz. 31); BAG v. 23.3.2011 – 10 AZR 562/09, NZA 2011, 1036 Rz. 18 ff.
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Zulässigkeit des besonderen Kündigungsschutzes von Datenschutzbeauftragten
den könne. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt dem Datenschutzbeauftragten die zentrale Rolle innerhalb des Unternehmens bei der Einhaltung des BDSG, insbesondere im Rahmen der Vorabkontrolle, zu20. Darüber hinaus erinnert das BAG daran, dass eine nichtöffentliche Stelle bei der ersten Benennung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten frei darüber entscheiden dürfe, ob die gesetzlichen Aufgaben einem internen oder externen Datenschutzbeauftragten übertragen werden, dessen Kündbarkeit auf der Grundlage von § 620 Abs. 2 BGB möglich sei21. Da die Beklagte im Streitfall gegenüber der Klägerin eine ordentliche und keine außerordentliche Kündigung ausgesprochen habe, käme es nicht darauf an, ob für sie objektiv ein wichtiger Grund vorgelegen habe, weil das Bestehen eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung nicht ausreichte, sondern eine solche auch erklärt werden müsse22. Für die betriebliche Praxis ergibt sich aus dieser Rechtsprechung des BAG die Konsequenz, bereits bei der ersten Benennung eines verpflichtend zu bestellenden betrieblichen Datenschutzbeauftragten die gesetzlichen Aufgaben einem externen Datenschutzbeauftragten anzuvertrauen, wenn eine nichtöffentliche Stelle dem mit der Bestellung eines internen Datenschutzbeauftragten verbundenen Sonderkündigungs- und Abberufungsschutz nach § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 BDSG aus dem Wege gehen möchte. Entscheidet sich die nichtöffentliche Stelle bei der ersten Benennung für einen internen Datenschutzbeauftragten, verliert sie die freie Organisationsentscheidung darüber, die Position später extern besetzen zu können. Die Rechtsprechung erkennt nur in besonderen Ausnahmefällen eine betriebsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund (mit notwendiger Auslauffrist) an23. Lediglich für die Abberufung regelt § 40 Abs. 6 S. 2 BDSG, dass die Aufsichtsbehörden die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten verlangen können, wenn sie oder er die zur Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde nicht besitzt oder im Fall des Art. 38 Abs. 6 DSGVO ein schwerwiegender Interessenskonflikt vorliegt. Auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dürfte ein wichtiger Grund sein, um die Bestellung eines internen Datenschutzbeauftragten zu widerrufen. (Boe)
20 So bereits BT-Drucks. 16/12011 S. 2. 21 BAG v. 25.8.2022 – 2 AZR 225/20 n. v. (Rz. 38). 22 BAG v. 25.8.2022 – 2 AZR 225/20 n. v. (Rz. 41); BAG v. 23.4.1981 – 2 AZR 1112/78 n. v. (Rz. 15). 23 Etwa BAG v. 23.11.2011 – 10 AZR 562/09, NZA 2011, 1036 Rz. 21 m. w. N.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
3.
Entschädigungsanspruch bei Kündigung schwerbehinderter Menschen ohne Zustimmung des Integrationsamts
Für die Frage, ob einem Arbeitnehmer ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zustehen kann, der durch ein Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG bezüglich der in § 1 AGG aufgeführten Gründe, wozu auch die Behinderung des Beschäftigten gehört, ausgelöst wird, ist zunächst Voraussetzung, dass der von einer Benachteiligung betroffene Arbeitnehmer gemäß § 22 AGG Indizien vorgetragen und nachweisen kann, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Gelingt dieser Indiziennachweis, hat die andere Partei den vollen Nachweis dafür zu führen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat24. Bei schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen hat das BAG25 bereits bei einem objektiven Verstoß gegen Vorschriften, die Verfahrensund/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, die Indizwirkung des § 22 AGG bejaht, weil dadurch der Anschein erweckt werde, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen kein Interesse zu haben. So hat das BAG die Vermutung der Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung unter anderem angenommen, wenn der Arbeitgeber unterlassen hat, zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX) oder wenn der Arbeitgeber – etwa in einem Bewerbungsverfahren – die in § 164 Abs. 1 S. 7 bis 9 i. V. m. §§ 176, 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX konkretisierten Erörterungs- und Anhörungspflichten verletzt hat26. In einem Urteil vom 2.6.2022 hat der 8. Senat des BAG27 erneut die Gelegenheit ergriffen, seine Rechtsprechung zu den Vorschriften, die Verfahrensund/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, zu ergänzen. Der Kläger war bei dem Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Er wurde auf der Grundlage eines zwischen dem Beklagten und
24 Vgl. BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 19; BAG v. 23.11.2017 – 8 AZR 372/16, NZA-RR 2018, 287 Rz. 20 m. w. N; Krieger, ARP 2022, 274. 25 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638 Rz. 26 m. w. N.; BAG v. 1.7.2021 – 8 AZR 297/20, NZA 2021, 1770 Rz. 21. 26 BAG v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, NZA 2022, 638 Rz. 31. 27 BAG v. 2.6.2022 – 8 AZR 191/21 n. v.
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Entschädigungsanspruch bei Kündigung schwerbehinderter Menschen
der Stadt L. geschlossenen „Vertrags über eine Personalgestellung“ mit Hausmeisterleistungen an einer Grundschule beschäftigt. Seit dem 11.2.2018 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Hierüber wurden Mitarbeiter des Beklagten am 12.2.2018 durch die spätere vorläufige Betreuerin des Klägers telefonisch in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom 14.2.2018 kündigte die Stadt L. den oben genannten „Vertrag über eine Personalgestellung“. Ende März/Anfang April 2018 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen ihm und der Stadt L. ende. Der Kläger wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses; das Verfahren wurde durch einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht erledigt. Anschließend nahm der Kläger den Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung i. H. v. mindestens 3.500 € nach § 15 Abs. 2 AGG mit der Behauptung in Anspruch, zum Zeitpunkt der Kündigung sei unabhängig von einer nicht getroffenen Feststellung einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung für den Beklagten die Schwerbehinderung offenkundig gewesen, weshalb die vorherige Zustimmung des Integrationsamts nach § 168 SGB IX zur ausgesprochenen Kündigung hätte eingeholt werden müssen und damit ein Verstoß gegen eine Förder- oder Verfahrensvorschrift zu Gunsten schwerbehinderter Menschen vorgelegen habe. Er habe am 11.2.2018 einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen, was dem Beklagten am 12.2.2018 mitgeteilt worden sei, was dieser bestritten hat. Zudem habe der Beklagte gegen § 167 SGB IX verstoßen. Auf seinen am 17.10.2018 gestellten Antrag wurde der Kläger rückwirkend ab diesem Zeitpunkt mit Wirkung bis Oktober 2020 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Die Entschädigungsklage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Unabhängig davon, dass der persönliche (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 AGG) und der sachliche Anwendungsbereich des AGG (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) für die Entschädigungsklage eröffnet waren, setzt das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem wegen Behinderung, voraus. Das BAG hat insoweit eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers (§ 3 Abs. 1 AGG) in Gestalt der Kündigung des Beklagten angenommen, jedoch verneint, dass diese Benachteiligung auf eine Schwerbehinderung des Klägers zurückzuführen war. Der Kläger habe nämlich keine hinreichenden Indizien i. S. v. § 22 AGG vortragen bzw. unter Beweis stellen können, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten ließen, weshalb kein Kausalzusammenhang zwischen der Kündigung und einer Schwerbehinderung des Klägers bestünde.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Soweit es um die für § 22 AGG maßgebenden Indizien geht, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vorliege, betont das BAG, dass auch der Verstoß des Arbeitgebers gegen die in § 168 SGB IX geregelte Pflicht, vor Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen, die zu den Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen gehöre, die Vermutung des § 22 AGG auslöst. Im Streitfall konnte der Kläger nach Ansicht des BAG jedoch einen Verstoß der Beklagten gegen § 168 SGB IX nicht schlüssig begründen, weil er den Status als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Abs. 1 S. 1, 2 SGB IX) zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht nachweisen konnte. Insoweit nimmt das BAG Bezug auf § 173 Abs. 3 SGB IX, wonach § 168 SGB IX nicht anwendbar ist, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (oder die Gleichstellung) nicht nachgewiesen ist oder die Stellung des Antrags auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (oder Gleichstellung) nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung erfolgt ist28. Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bei dem Kläger zweifelsfrei nicht vor, weil die Schwerbehinderung des Klägers erst ab dem 17.10.2018 festgestellt worden war. Das BAG hat auch eine offenkundige Schwerbehinderung des Klägers bei Zugang der Kündigung verneint, die voraussetzte, dass nicht nur eine oder mehrere Beeinträchtigungen offenkundig seien, sondern auch der GdB in einem Feststellungsverfahren auf wenigstens 50 festgesetzt würde29, so dass die Schwerbehinderung zweifelsfrei für jeden ersichtlich sei. Dem BAG hat insoweit für einen schlüssigen Sachvortrag des Klägers nicht gereicht, dass dieser am 11.2.2018 mit einem Schlaganfall und halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen habe, weil die Kündigung erst eineinhalb Monate später ausgesprochen worden sei und der Zustand zum Zeitpunkt der Kündigung maßgebend wäre und jedweder Vortrag dafür fehle, dass der vom Kläger geschilderte Zustand länger als sechs Monate andauern würde. Der Kläger habe auch nicht begründen können, dass der Beklagte vor Ausspruch der Kündigung hätte ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen müssen, unabhängig davon, dass das BAG das Präventionsverfahren nach dieser Vorschrift ebenfalls zu den Verfahrens- bzw. För28 BAG v. 2.6.2022 – 8 AZR 191/21 n. v. (Rz. 35); BAG v. 22.1.2020 – 7 ABR 18/18, NZA 2020, 783 Rz. 33 m. w. N. 29 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 n. v. (Rz. 42).
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Kündigung einer Hebamme nach Austritt aus der katholischen Kirche
derpflichten zu Gunsten schwerbehinderter bzw. denen gleichgestellter Menschen zählt. Der Arbeitgeber schaltet danach bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 SGB IX genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Dabei findet das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX nach § 151 Abs. 1, 3 SGB IX ausschließlich auf schwerbehinderte Menschen und ihnen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte behinderte Menschen Anwendung. Da vor der Kündigung weder eine festgestellte noch eine offensichtliche Schwerbehinderung oder Gleichstellung feststand und – worauf das BAG entscheidend abstellt – dem Beklagten nicht mitgeteilt worden war, stellte das unterlassene Präventionsverfahren kein Indiz für § 22 AGG dar. Ergänzend weist das BAG darauf hin, dass der Beklagte nicht verpflichtet gewesen wäre, vor Ausspruch der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX durchzuführen, weil diese Vorschrift keine Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthielte, vielmehr auf alle Beschäftigten unabhängig von dem Vorliegen einer Schwerbehinderung Anwendung finde. Die Bedeutung der Entscheidung des BAG für die betriebliche Praxis liegt vor allem darin, dass ein unterlassenes Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX vor Ausspruch einer Kündigung sowie eine versäumte Zustimmung des Integrationsamts für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber ein ausreichendes Indiz i. S. v. § 22 AGG für eine unmittelbare Benachteiligung eines schwerbehinderten oder einem Schwerbehinderten gleichgestellten Menschen bedeuten. Bei unwirksamer Kündigung ist der Arbeitgeber damit auch einem Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ausgesetzt. (Boe)
4.
Kündigung einer Hebamme nach Austritt aus der katholischen Kirche
a)
Austritt aus der katholischen Kirche als Kündigungsgrund
Mit Vorlagebeschluss des 2. Senats des BAG vom 21.7.2022 hatte sich der EuGH mit der Frage zu beschäftigen, ob der Kirchenaustritt einer Hebamme 537
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
aus der katholischen Kirche vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mit einem der katholischen Kirche zugeordneten Krankenhausträger im Lichte der Richtlinie 2000/78/EG und Art. 21 GRC eine diskriminierungsfreie Kündigung des Arbeitgebers rechtfertigt, wenn dieser von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören30. Der Rechtsstreit betraf eine Klägerin, die bis zur Mitte 2014 als Hebamme in einem Krankenhaus beschäftigt wurde, das von der dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Beklagten betrieben wurde. Im September 2014 trat die Klägerin aus der katholischen Kirche aus. Nach ihrer Wiedereinstellung im Frühjahr 2019 wurde festgestellt, dass die Klägerin in dem Personalfragebogen den Austritt aus der katholischen Kirche angegeben hatte. Nachdem Gespräche, sie wieder zu einem Eintritt in die katholische Kirche zu bewegen, erfolglos blieben, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich mit Schreiben vom 26.7.2019 zum 31.8.2019. Die Beklagte beschäftigte in ihrem Krankenhaus konfessionslose Mitarbeiter, die nicht zuvor katholisch waren, auch als Hebammen. Das ArbG Dortmund hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das LAG Hamm31 hat sie abgewiesen. Schon bei früherer Gelegenheit hat sich der 2. Senat des BAG32 veranlasst gesehen, eine Vorabentscheidung des EuGH darüber herbeizuführen, ob die Kirchen im Lichte von Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG verbindlich bestimmen könnten, was ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des Ethos der Organisation darstelle und ob sie autonom auch eine Differenzierung von Loyalitätsanforderungen bei gleicher Leitungsfunktion allein nach der Konfessionszugehörigkeit des Beschäftigten vornehmen dürften. Der EuGH33 hat im Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG34, wonach die staatlichen Gerichte nur im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das glaubensdefinierte Selbstverständnis der verfassten Kirche überprüfen dürfen, betont, dass nach Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 Richtlinie 2000/78/EG auf dem Selbstverständnis der Kirchen beruhende Entscheidungen einer vollen richterlichen Kontrolle unterliegen und eine Ungleichbehandlung wegen der Konfessionszugehörigkeit nur dann mit der Richtlinie im Einklang steht, wenn die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung
30 31 32 33 34
Vgl. BAG v. 21.7.2022 – 2 AZR 130/21 (A) n. v. LAG Hamm v. 24.9.2020 – 18 Sa 210/20 n. v. BAG v. 28.7.2016 – 2 AZR 746/14 (A), NZA 2017, 388. EuGH v. 11.9.2018 – C-68/17, NZA 2018, 1187 – IR. BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387.
538
Kündigung einer Hebamme nach Austritt aus der katholischen Kirche
darstellt, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Außerdem leitet der EuGH aus dem in Art. 21 GRC zwingend niedergelegten Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts ab, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht gehalten ist, eine nationale Vorschrift unangewendet zu lassen, sofern diese nicht unionskonform ausgelegt werden kann. Diese Konsequenz hat der 8. Senat des BAG35 im Anschluss an die Entscheidung der Großen Kammer des EuGH vom 17.4.201836 gezogen und § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG (Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften) für unanwendbar angesehen. Im Ergebnis verdrängt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV, im Rahmen von Arbeitsverhältnissen bestimmte Loyalitätsobliegenheiten vorzugeben, ihr Gewicht festzulegen und zu regeln, welche Bedeutung einem Verstoß hiergegen nach dem kirchlichen Selbstverständnis zukommt37. Dies betrifft die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO)38, deren zehn Artikel die Grundpfeiler der Arbeitsverfassung der katholischen Kirche in Deutschland abbilden und für etwa 750.000 Arbeitnehmer in der katholischen Kirche und ihr angehörenden Caritas gelten. So sieht Art. 3 GrO (Begründung des Arbeitsverhältnisses) in Abs. 4 vor, dass nicht für den Dienst in der Kirche geeignet ist, „wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist“. Nach Art. 5 GrO (Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten) wird in Abs. 2 i. V. m. Nr. 2 a als schwerwiegende Obliegenheitsverletzung für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Austritt aus der katholischen Kirche angesehen. Das BAG hat es für unionrechtlich klärungsbedürftig angesehen (Art. 267 AEUV), ob diese dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechende glaubensdefinierte Vorgabe der christlichen Dienstgemeinschaft im Hinblick auf den durch Art. 21 GRC und Richtlinie 2000/78/EG gewährleisteten Schutz vor Diskriminierungen, unter anderem wegen der Religion, gerechtfertigt sein kann (§§ 8, 9
35 36 37 38
BAG v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14, NZA 2019,455. EuGH v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 Rz. 58 – Egenberger. So BVerfG v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387. I. d. F. des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands v. 27.4.2015.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
AGG, Art. 4 Abs. 1, 2 Richtlinie 2000/78/EG) und damit einer unwirksamen Kündigung der Klägerin nach § 7 AGG entgegensteht. Anders formuliert will das BAG wissen, ob der erfolgte Kirchenaustritt vor Beginn des Arbeitsverhältnisses als gerechtfertigte berufliche Anforderung oder eine berücksichtigungsfähige Loyalitätsanforderung i. S. v. Art. 4 Abs. 1, 2 Richtlinie 2000/78/EG bei einem kirchlichen Arbeitgeber angesehen werden kann und damit das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG nicht berührt.
b)
Kündigung eines Kantors wegen geplanter Ersatzmutterschaft einer Kolumbianerin
Auch die evangelisch-lutherische Landeskirche Braunschweig hat gegenüber einem Kläger, der als Domkantor beschäftigt wurde, wegen eines Loyalitätsverstoßes, der eine weitere Zusammenarbeit aus Sicht der Landeskirche ausschloss, eine außerordentliche Kündigung für berechtigt gehalten. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Ansicht der Landeskirche darin, dass der Kläger beabsichtigte, für sich und seinen aus Kolumbien stammenden Ehemann ein oder zwei Kinder von Leihmüttern gegen Entgelt in Kolumbien austragen zu lassen. Da die Landeskirche eine derartige kommerzielle Leihmutterschaft aus ethischen Gründen ablehnte und der Kläger ungeachtet dessen seine Pläne nicht aufgab, kündigte die Landeskirche das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.10.2022. Das mit der Kündigungsschutzklage befasste ArbG Braunschweig39 hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist das Arbeitsverhältnis nicht beendet hatten und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Domkantor weiterzubeschäftigen. Dabei ist das ArbG davon ausgegangen, dass der Kläger seine Loyalitätspflichten gegenüber der Beklagten nicht verletzt habe, indem er sich die Möglichkeit einer Leihmutterschaft offengehalten habe, weil die von der Beklagten sanktionierte Äußerung dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit unterfiele. Bei genauerer Betrachtung geht es in dieser Entscheidung nicht um eine Leihmutterschaft, vielmehr um eine Ersatzmutterschaft, weil die gleichgeschlechtlichen Partner beabsichtigten, bei einer Frau in Kolumbien (gegen Entgelt) eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen, die anschließend bereit war, ihr Kind nach der Geburt den Partnern zu überlassen. Die Durchführung einer derartigen Ersatzmutterschaft ist nach deutschem 39 ArbG Braunschweig v. 5.9.2022 – 7 Ca 87/22 n. v.
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Kein Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz
Rechtsverständnis nach § 1 Nr. 7 ESchG (Embryonenschutzgesetz)40 strafbewehrt, was im Übrigen auch für eine Leihmutterschaft gilt. Im Streitfall war der Tatbestand noch nicht verwirklicht, aber geplant, so dass es wohl auf die Ersthaftigkeit und den Stand der Planung ankam und ob von einer realistischen Verwirklichung des Vorhabens auszugehen war und dieses Vorhaben, insbesondere wenn es allgemein bekannt geworden ist, dem Ansehen der Landeskirche und ihren ethischen Grundsätzen zuwiderläuft. Soweit es um das Selbstverständnis der Landeskirche geht, wäre auch zu prüfen, ob das Verbot einer Ersatzmutterschaft im Ausland, die dort straffrei ist, eine wesentliche und rechtmäßige berufliche Anforderung an die Tätigkeit eines Domkantors darstellt. Das LAG Niedersachsen wird dieser Frage erneut im Berufungsverfahren nachzugehen haben. (Boe)
5.
Kein Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz
Mit Urteil vom 25.5.202241 hat das BAG zwar noch einmal seine bisherige Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung bestätigt. Zugleich hat es allerdings deutlich gemacht, dass dieser Anspruch bei einer Insolvenz des Arbeitgebers bzw. – was in dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall gegeben war – gegen einen Betriebserwerber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht (mehr) gegeben ist. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger nach mehr als 30 Jahren Betriebszugehörigkeit durch seinen Arbeitgeber im Dezember 2018 wegen einer Stilllegung des Betriebs zum 31.7.2019 gekündigt worden. Diese Kündigung wurde nicht beim Arbeitsgericht angegriffen und daher gemäß §§ 4 S. 1, 7 KSchG wirksam. Als der Kläger noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erfuhr, dass die Beklagte und spätere Schuldnerin einen Teil des Geschäfts fortführte und 80 % ihrer Belegschaft aus Arbeitnehmern seines früheren Arbeitgebers rekrutiert hat, verlangte er Wiedereinstellung zum 1.8.2019 durch die Beklagte. Das BAG hat einen solchen Wiedereinstellungsanspruch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt. Im Ausgangspunkt hat es dabei zunächst einmal seine bisherige Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch bestätigt. Danach sei eine betriebsbedingte Kündigung nicht sozialwidrig, wenn sich noch während der Kündigungsfrist die ihr zugrunde liegende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde entfal40 BGBl. I 2016, 2746. 41 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 30 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
len, als falsch erweise. Denn die Wirksamkeit einer Kündigung bestimme sich notwendig nach den Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs. Ungeachtet dessen bedürfe es aber eines Korrektivs, wenn sich die der Kündigung zugrunde liegende Prognose im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist – insbesondere wegen eines im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht absehbaren Betriebsübergangs – als unzutreffend erweise. Dies gelte selbst dann, wenn der Betriebsübergang noch während des Laufs der Kündigungsfrist „beschlossen“, aber noch nicht vollzogen worden sei. In beiden Fällen sei der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen, wenn er noch keine Disposition getroffen habe und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten sei42. Rechtsdogmatisch begründet das BAG den Wiedereinstellungsanspruch mit der vertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB. In diesen Wiedereinstellungsanspruch trete ein Erwerber nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB ein, so dass sich der Wiedereinstellungsanspruch ab dem Betriebsübergang gegen den Erwerber richte43. Dieser Anspruch könne durch eine Klage auf Annahme des vom Arbeitnehmer mit der Klage erklärten Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags durchgesetzt werden (§ 894 S. 1 ZPO). Dies kann auch zu einer rückwirkenden Wiedereinstellung führen (§ 311 a Abs. 1 BGB)44. Ausgeschlossen ist der Wiedereinstellungsanspruch jedoch bei wirksamer Kündigung durch den später insolventen Schuldner als Veräußerer sowie bei einer wirksamen Kündigung des Veräußerers bei späterer Insolvenz des Erwerbers45. Mit Blick auf den Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens und seine Systematik überzeugt es, den richterrechtlich begründeten Anspruch auf Wiedereinstellung in den vorstehend genannten Konstellationen abzulehnen. Dass der Arbeitnehmer damit das Risiko einer fehlerhaften Prognose des Kündigenden über den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist trägt, nimmt das BAG ausdrücklich hin. Dies gelte in allen denkbaren Fallgestaltungen und unabhängig davon, ob der Betriebsübergang vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolge46. Insofern hält der 6. Senat des BAG ausdrücklich an der Rechtsprechung 42 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 31; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 37; BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757 Rz. 26. 43 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 32; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 Rz. 37. 44 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 33. 45 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 34. 46 BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 36.
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Beginn der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung
des 8. Senats des BAG fest, wonach bei einer wirksamen Kündigung des Verwalters ungeachtet eines nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgenden Betriebsübergangs kein – zukunftsgerichteter – Wiedereinstellungsanspruch bestehe47. Er stelle zudem klar, dass ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann nicht bestehe, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für den Betriebsübergang noch vor Ablauf der Kündigungsfrist geschaffen worden seien oder der Betriebsübergang vor Fristablauf bereits erfolgt sei und die Wiedereinstellung zu einem Zeitpunkt vor Insolvenzeröffnung vorgenommen werden solle oder nur gegenüber dem Erwerber verfolgt werde. Vorausgesetzt sei stets ein zunächst gegen den Verwalter und damit die Masse bestehender Wiedereinstellungsanspruch, der auf den Erwerber übergehen soll. Mangels gesetzlicher Anordnung fehle es jedoch an einem solchen übergangsfähigen Anspruch48. Dieser Anspruch könne sich auch nicht aus der Richtlinie 2001/23/EG herleiten, weil dort nur Ansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis – keine Wiedereinstellung – geschützt würden49. (Ga)
6.
Compliance-Sachverhalte: Beginn der Zwei-WochenFrist bei außerordentlicher Kündigung
Auf der Grundlage der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 3.11.202150 hatten wir uns intensiv mit der Frage befasst, wann im Zusammenhang mit Compliance-Sachverhalten, die mehrere Arbeitnehmer betreffen, von einem Beginn der Zwei-Wochen-Frist vor einer außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 2 BGB) auszugehen ist51. Nachdem das BAG diese Entscheidung mit dem Urteil vom 5.5.202252 aufgehoben und mit für die Organisation von Compliance-Untersuchungen in der Betriebspraxis wichtigen Klarstellungen zurückverwiesen hat, besteht Anlass, sich noch einmal mit dem Thema zu befassen.
a)
Obliegenheit des Arbeitgebers zu gebotener Eile
Grundsätzlich kann die außerordentliche (fristlose) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die
47 48 49 50 51 52
Vgl. BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 Rz. 56. BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 40. BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201 Rz. 41. LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 140 ff.). B. Gaul, AktuellAR 2022, 205 ff. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 9 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Abs. 2 BGB)53. Dabei genügt es allerdings nicht, dass lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt bestehen, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte. Vielmehr setzt der Fristbeginn voraus, dass der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das konkrete Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Ist diese Kenntnis nicht gegeben, kann der Kündigungsberechtigte nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen beginnt. Wie das BAG in seinem Urteil vom 27.2.202054 deutlich gemacht hat, besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, um daran anknüpfend eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Ungeachtet dessen wird der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, um eine Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu treffen.
b)
Ermittlungen gegen eine Gruppe von Arbeitnehmern
Die Voraussetzungen für einen Beginn der Kündigungserklärungsfrist sind einzelfallbezogen festzustellen. Dies gilt auch im Zusammenhang mit Compliance-Untersuchungen, die gegen eine Mehrzahl von Arbeitnehmern als potenziell Beschuldigte geführt werden. Insofern kann es zwar für die Feststellung kündigungsrelevanter Tatsachen in Bezug auf einen bestimmten Arbeitnehmer erforderlich sein, eine Reihe von Gesprächen auch mit anderen Arbeitnehmern zu führen, zu denen auch weitere Beschuldigte gehören. Grundsätzlich beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB dann aber individuell in Bezug auf jeden einzelnen Arbeitnehmer, wenn eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der in Bezug auf den einzelnen Arbeitnehmer maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel besteht. Wichtig für die betriebliche Praxis ist, dass zu den insoweit maßgeblichen Tatsachen sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände gehören. Darauf hat das BAG im Urteil vom 5.5.202255 ausdrück53 Giese/Dachner, NZA 2022, 1242. 54 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 30 f.; vgl. dazu Giese/Dachner, NZA 2022, 538. 55 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 23.
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Beginn der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung
lich hingewiesen. Insofern müsse alles in Erfahrung gebracht werden, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen sei. Bedeutsam im Hinblick auf Ermittlungen, die sich gegen eine Gruppe von Arbeitnehmern richten, ist dabei der Umstand, dass der 2. Senat des BAG dazu insbesondere auch diejenigen Umstände zählt, die das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen56. Ein Fehlverhalten wiege etwa wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund der Einflussnahme von Vorgesetzten genötigt gesehen habe, an Pflichtverletzungen mitzuwirken, weniger schwer als wenn er selbst Initiator des Geschehens oder dessen aktivfördernder Part gewesen sei. Habe ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einem in dieselben oder vergleichbaren Pflichtverletzungen involvierten Mitarbeiter gehandelt, gehöre es deshalb – so das BAG – regelmäßig zur notwendigen Grundlage für eine Entscheidung des Arbeitgebers über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die Mitwirkungsanteile der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rolle im Verhältnis zueinander zu kennen57. Das bedeutet nach Auffassung des BAG allerdings nicht, dass der Arbeitgeber eine Compliance-Untersuchung stets erst entsprechend einem von ihm selbst vorgegebenen Erkenntnisinteresse zu Ende führen könne, bevor die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen beginne. So dienten etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt würden, grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen58.
c)
Zurechnung der Kenntnis Dritter
Gerade, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person handelt, sind bei der Frage, wessen Kenntnis für den Fristbeginn maßgeblich ist, mehrere Personen zu berücksichtigen. Darauf hatte das BAG bereits im Urteil vom 27.2.202059, auf das wir bei früherer Gelegenheit bereits hingewiesen hatten60, deutlich gemacht. Denn hier ist nicht nur die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maß56 So bereits Göpfert/Drägert, CCZ 2011, 25 f. 57 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 23. 58 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 23; abw. Göpfert/Drägert, CCZ 2011, 25, 27 ff. 59 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 32. 60 B. Gaul, AktuellAR 2020, 531 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
geblich. Wenn für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt sind, genüge schon die Kenntnis eines der Gesamtvertreter. Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehörten zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen habe. § 166 BGB findet – so das BAG – im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB weder direkte noch analoge Anwendung61. Nach diesen Grundsätzen ist die Kenntnis anderer Personen für die ZweiWochen-Frist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gelte – so das BAG – selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden seien. Hiervon ausgehend war in dem jetzt zu entscheidenden Fall die Zwei-Wochen-Frist nicht abgelaufen. Denn die Geschäftsführung und andere zur Kündigung berechtigte Personen hatten erst innerhalb von zwei Wochen vor Zugang der Kündigung Kenntnis von dem der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt erhalten. In seinem Urteil vom 5.5.202262 bestätigt der 2. Senat des BAG allerdings noch einmal, dass sich der Arbeitgeber ausnahmsweise die Kenntnis auch anderer Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen muss. Dazu müssten diese Personen aber (1) eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie (2) tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht ein Kündigungsberechtigter ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen könne. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, sei ferner, dass (3) die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt habe, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruhe. Dabei betont das BAG in seinem Urteil vom 5.5.202263, dass es nicht genüge, wenn die Unkenntnis auf einem Organisationsverschulden beruhe. Der Kündigungsberechtigte müsse selbst zielgerichtet verhindert haben, bereits zu einem früheren Zeitpunkt die für § 626 Abs. 2 BGB maßgebliche Kenntnis erhalten zu haben, oder zumindest in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise ein den Informationsfluss behinderndes sachwidriges und überflüssiges Organisationsrisiko geschaffen haben64. Wichtig ist, dass diese Voraussetzungen – nämlich die „ähnlich selbständige Stellung“ und der schuldhafte Organisationsmangel in Bezug auf die Kennt61 62 63 64
BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 12. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 14 ff. BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 15 f. So bereits BAG v. 7.9.1983 – 7 AZR 196/82, NZA 1984, 228 Rz. 21.
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Beginn der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung
niserlangung – kumulativ vorliegen und bei einer Zurechnung durch das Arbeitsgericht positiv festgestellt werden müssen65. Darlegungs- und beweisbelastet für die Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Arbeitnehmer66. Allerdings kommt wegen der größeren Sachnähe eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers zum Tragen67.
d)
Wissenszurechnung in einer Compliance-Organisation
In seinem Urteil vom 3.11.202168 hat das LAG Baden-Württemberg diese Grundsätze zwar übernommen und war schlussendlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zwei-Wochen-Frist als Folge der Dauer von Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem Compliance-Sachverhalt abgelaufen war. Die außerordentliche Kündigung, die der Arbeitgeber nach Abschluss dieser Ermittlungen ausgesprochen hatte, war deshalb unwirksam. In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte, die im Bereich der Luftund Raumfahrt mehrfach als Auftragnehmerin für die Bundeswehr bzw. das BMVg tätig geworden war, dem als Key-Account-Manager beschäftigten Kläger mit der Begründung gekündigt, dass er Dokumente und Informationen der Bundeswehr, die der Geheimhaltung unterlegen hätten und zu deren Besitz er nicht berechtigt gewesen sei, wiederholt erhalten und mit Kollegen ausgetauscht habe. Darüber hinaus sei er über derartig pflichtwidriges Verhalten seiner nachgeordneten Mitarbeiter informiert worden und dagegen nicht vorgegangen. Die diesem Vorwurf zugrunde liegenden Tatsachen hatte der Arbeitgeber durch Ermittlungen einer Anwaltskanzlei erlangt, die unter der Leitung des Leiters Recht und Compliance in der Zeit vom Juli 2018 bis zum September 2019 durchgeführt wurden. Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg handelte es sich bei dem Leiter Recht und Compliance um eine Person, die zwar nicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war. Der für das Personal zuständige Geschäftsführer als Kündigungsberechtigter hätte aber die Pflicht gehabt, sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen informieren zu lassen, um zeit65 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 17; BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 32; BAG v. 23.10.2008 – 2 AZR 388/07 n. v. (Rz. 22). 66 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 12; BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744 Rz. 21. 67 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 17. 68 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 143).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
nah entscheiden zu können, ob und gegenüber wem er arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen wolle und aus wettbewerbsrechtlicher Sicht unter dem Stichwort „Selbstreinigung“ (§ 125 GWB) zu ergreifen habe. Der Leiter Recht und Compliance, der durch die beauftragte Kanzlei regelmäßig über den Fortgang und die Ergebnisse der Untersuchungen in Kenntnis gesetzt wurde, sei auch eine Person gewesen, deren Wissen der für das Personal zuständige Geschäftsführer sich hätte zunutze machen können und müssen. Denn schlussendlich habe sich die Geschäftsführung bei ihrer Entscheidung auf die Erkenntnisse der Compliance-Abteilung und der beauftragen Kanzlei verlassen, ohne selbst in eine Prüfung einzutreten bzw. eintreten zu können. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Geschäftsführung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch regelmäßige Kontrolle und Auftragserteilung sicherstellen müssen, dass die Ermittelnden Informationen nicht zu spät weiterleiten. Dies aber war im konkreten Fall nicht erfolgt69. Hiervon ausgehend hat es das LAG Baden-Württemberg mit Treu und Glauben für unvereinbar gehalten, dass der Kündigungsberechtigte durch die Einrichtung einer Compliance-Abteilung ein Verfahren etabliere, das ihn für eine gewisse Zeit „blind, taub und stumm“ mache und in Kauf nehme, dass Reaktionen gegenüber betroffenen Arbeitnehmern verzögert würden. Werde die Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten durch diese Organisation verzögert, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar gewesen wäre, gehe diese Verzögerung zu Lasten des Arbeitgebers. Insofern müsse der Satz, selbst grob fahrlässige Unkenntnis sei der Kenntnis nicht gleichzustellen70, mit Vorsicht behandelt werden: Grob fahrlässige (oder auch nur fahrlässige!) Unkenntnis von Organisationsverschulden könne zur Wissenszurechnung führen71. Auch das BAG hat in seinem Urteil vom 5.5.202272 die Durchführung der Compliance-Untersuchung zwar mit Blick auf Treu und Glauben infrage gestellt, ist aber im konkreten Fall zu einem anderen Ergebnis gelangt. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass eine unzulässige Rechtsausübung durch den Kündigungsberechtigten nicht bereits darin liege, dass eine Aufsichtsperson nicht zugleich kündigungsberechtigt sei. Vielmehr müssten den Informationsfluss zwischen dem Dritten und dem Kündigungsberechtigten behindernde Organisationsmaßnahmen getroffen worden sein. So führe eine Entscheidung des Arbeitgebers, seinen Betrieb durch eine Revision überprü69 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 146 ff., 155). 70 So BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 570/19, NZA 2020, 1405 Rz. 31. 71 LAG Baden-Württemberg v. 3.11.2021 – 10 Sa 7/21 n. v. (Rz. 151); Schimmelpfenning, CCZ 2008, 161, 163. 72 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 16, 18 ff.
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Beginn der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung
fen zu lassen, nicht zu einer vorwerfbaren Verzögerung des Fristbeginns. Vielmehr liege darin erst die Voraussetzung dafür, dass die Kündigungsberechtigten von kündigungsrelevanten Sachverhalten Kenntnis erlangten73. Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat das BAG nicht nur die Feststellungen des LAG BadenWürttemberg infrage gestellt, nach denen der Leiter Recht und Compliance bereits vor dem 14.9.2019 Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen gehabt haben soll, was aus Sicht des LAG BadenWürttemberg eine Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung wegen Nichtbeachtung der Zwei-Wochen-Frist zur Folge hatte. Aus Sicht des BAG rechtfertigten die Feststellungen des LAG Baden-Württemberg ebenfalls nicht die Annahme, dass die Organisation der Compliance-Untersuchung durch den Kündigungsberechtigten (hier: die Geschäftsführung) rechtsmissbräuchlich erfolgt war. Soweit das LAG Baden-Württemberg angenommen hatte, es läge ein relevantes Organisationsverschulden darin, dass sich der Geschäftsführer nicht regelmäßig über den Stand der Ermittlungen habe in Kenntnis setzen lassen, genügte dies dem BAG nicht. Denn es fehlten Feststellungen dazu, ob und ggf. wie eine Behinderung des Informationsflusses von der ComplianceAbteilung bzw. deren Leiter an die Geschäftsführung erfolgt war. Soweit das LAG Baden-Württemberg darauf abgestellt hatte, dass der Leiter Recht und Compliance nicht ausreichend sichergestellt und überwacht hatte, dass er informiert würde, sobald die beauftragten Ermittlungen hinreichend vollständig und zuverlässig Pflichtverstöße von Arbeitnehmern von der Qualität eines wichtigen Grundes erkennen ließen, sei ebenfalls nicht erkennbar, aus welchen weitergehenden Umständen auf ein der Beklagten zuzurechnendes treuwidriges Verhalten geschlossen werden könne. Die Entscheidung des Compliance-Teams, einen Zwischenbericht zu 89 Arbeitnehmern zu erstellen, die in den Fokus der Ermittlungen geraten waren, rechtfertigt jedenfalls aus Sicht des BAG nicht die Annahme, der Informationsfluss sei von Seiten der Beklagten treuwidrig behindert worden. Auch der Umstand, dass die Erstellung des Zwischenberichts mehr Zeit als erforderlich in Anspruch genommen haben sollte, rechtfertige ohne besondere Umstände nicht die Annahme einer treuwidrigen Behinderung des Informationsflusses durch die Beklagte. Abschließend stellte das BAG zu Recht klar, dass die Einrichtung einer Compliance-Abteilung sowie deren Beauftragung mit den Ermittlungen möglicher Pflichtverstöße von Arbeitnehmern für sich ge73 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 16; BAG v. 26.11.1987 – 2 AZR 312/87 n. v. (Rz. 21).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
nommen nicht unredlich, sondern vielmehr sachgerecht seien. Die Aufgabenkonzentration und Spezialisierung in einer unterhalb der Geschäftsführung eingebundenen Abteilung steigere grundsätzlich die Effektivität der Aufklärung und begegne keinen rechtlichen Bedenken. Ungeachtet dessen sei natürlich zu gewährleisten, dass die Arbeitsabläufe in einer ComplianceAbteilung so festgelegt würden, dass hierdurch der Informationsfluss nicht in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise behindert werde. Dass dies im konkreten Fall nicht gewährleistet gewesen sei, hat das BAG indes nicht gesehen. Dies galt auch im Verhältnis zwischen Compliance-Abteilung und Geschäftsführung. Denn schon aus Stellung und Funktion des Leiters Recht und Compliance folge eine Pflicht zur Unterrichtung der Geschäftsführung über relevante Zwischenstände einer Ermittlung74.
e)
Fazit
Es ist außerordentlich wichtig für die betriebliche Praxis, diese Grundsätze bei der Ermittlung der einer außerordentlichen Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen zu berücksichtigen. Dies kann zwar einerseits dadurch geschehen, dass solche Ermittlungen nicht durch Personen geführt werden, die alleine oder gemeinsam mit anderen zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt wären. Allerdings ist durch organisatorische Vorgaben sicherzustellen, dass eine Berichtspflicht in Bezug auf den Kündigungsberechtigten hinsichtlich wesentlicher kündigungsrechtlich relevanter Erkenntnisse gegeben ist. Andernfalls könnte die personelle Zusammensetzung des Untersuchungsteams und dessen fehlende Kündigungsberechtigung als Versuch gewertet werden, in rechtsmissbräuchlicher Weise den Beginn der Frist zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu verhindern. Gleichzeitig sollte sich der Kündigungsberechtigte aber ausdrücklich vorbehalten, nach Abschluss dieser Ermittlungen ggf. weitere Nachforschungen – insbesondere eine Anhörung des Betroffenen – durchzuführen, um daran anknüpfend eine eigene Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu treffen. Denn mit dieser Vorgabe wird vermieden, dass die Entscheidung des Kündigungsberechtigten über den Ausspruch der Kündigung ohne Weiteres auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses getroffen wird. (Ga)
7.
Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
Der wichtige (§ 626 BGB) oder verhaltensbedingte Kündigungsgrund (§ 1 Abs. 2 KSchG) eines Arbeitnehmers wegen beharrlicher Arbeitsverwei74 BAG v. 5.5.2022 – 2 AZR 483/21, NZA 2022, 1276 Rz. 30 f.
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Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
gerung ist immer wieder Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung75. Von beharrlicher Arbeitsverweigerung ist nach der Rechtsprechung des BAG76 auszugehen, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflichten oder Nebenpflichten bewusst und nachdrücklich verweigert. Welche Pflichten ihn treffen, bestimmt sich dabei nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist77. Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, ist zumindest „an sich“, d. h. objektiv, geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen78. Ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (ultima ratio) – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht, entscheidet sich allerdings erst in einem zweiten Prüfungsschritt79. Damit stellt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Alternative der ordentlichen Kündigung ein milderes Mittel gegenüber der sofortigen außerordentlichen Kündigung dar, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist80. Zudem setzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei außerordentlichen oder ordentlichen Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus, die zugleich der Objektivierung der negativen Zukunftsprognose dient. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren81. Von einer entsprechenden Abmahnung kann dann abgesehen werden, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offenbar auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist82. 75 Vgl. nur aus jüngerer Vergangenheit BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259; BAG v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, NZA 2018, 646; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417; BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NZA 2014, 533. 76 BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259 Rz. 16 m. w. N. 77 BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 22. 78 BAG v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, NZA 2018, 646 Rz. 29; BAG v. 19.1.2016 – 2 AZR 449/15, NZA 2016, 1144 Rz. 29. 79 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, NZA 2019, 445 Rz. 15. 80 BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029 Rz. 13 f. m. w. N. 81 BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029 Rz. 14 f. m. w. N. 82 BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, NZA 2017, 1121 Rz. 28.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Alternativ kann der Arbeitgeber bei beharrlicher Arbeitsverweigerung mit einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG reagieren, die unter der Prämisse für sozial gerechtfertigt angesehen wird, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen nicht mehr zugemutet werden kann83. Über die Berechtigung einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung musste das LAG Nürnberg84 entscheiden. Der Fall zeichnete sich dadurch aus, dass die Klägerin wegen der Nichtzahlung von Urlaubsgeld i. H. v. 442 € (brutto) ihre Arbeitsleistung nach § 273 BGB zurückbehalten und die Beklagte daraufhin das Arbeitsverhältnis ohne vorherige Abmahnung ordentlich gekündigt hatte. Der Fall betraf eine Klägerin, die seit Juli 2004 bei der Beklagten gegen ein monatliches Bruttogehalt von 758 € in deren Möbelhaus als Kinderbetreuerin für die Kundschaft beschäftigt wurde. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes im Jahre 2011 und eines weiteren Kindes befand sich die Klägerin durchgängig in Elternzeit sowie anschließend bis zum 16.7.2018 in Pflegezeit. Nach der Pflegezeit war die Klägerin ab dem 17.7.2018 durchgehend bis zum 22.9.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 26.9.2018 teilte ihr Prozessbevollmächtigter der Beklagten mit, wegen Nichtzahlung von Urlaubsgeld für 2018 und nicht gewährter Entgeltfortzahlung für Juli und August 2018 von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen. Mit Schreiben vom 28.1.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin (30.6.2019). Nachdem durch eine anderweitige Entscheidung des LAG rechtskräftig feststand, dass der Klägerin noch ein Urlaubsgeld von 442 € (brutto) für 2018 gegen die Beklagte zustand und durch arbeitsgerichtliches Urteil die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung rechtskräftig festgestellt worden war, hatte das LAG auf die Berufung der Beklagten nur noch über die ordentliche Kündigung zu entscheiden, die für rechtmäßig angesehen
83 BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 34. 84 LAG Nürnberg v. 1.6.2021 – 7 Sa 473/20 n. v.
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Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
worden ist und das Arbeitsverhältnis – inzwischen rechtskräftig85 – zum 30.6.2019 aufgelöst hat. Zunächst ist das LAG von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung der Klägerin ausgegangen, weil diese nach ihrer Gesundung nach dem 22.9.2018 ihre Arbeit durchgängig bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 28.1.2019 verweigert hatte. In diesem Verhalten der Klägerin hat das LAG einen begründeten Anlass für eine sozial gerechtfertigte ordentliche Kündigung i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gesehen. Die Klägerin habe nämlich ihre vertraglichen Hauptpflichten in erheblicher Weise, beharrlich und schuldhaft verletzt, weshalb eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in der Zukunft nicht mehr erwartet werden könne. Der Klägerin habe nämlich kein Recht zugestanden, nach dem 22.9.2018 bis zum Ausspruch der Kündigung vom 28.1.2019 ihre Arbeitsleistung auf der Grundlage von § 273 BGB zurückbehalten zu dürfen. In diesem Kontext geht das LAG in Übereinstimmung mit dem BAG86 davon aus, dass der Grundsatz von Treu und Glauben es dem Arbeitnehmer verbiete, seine Arbeitsleistung wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Lohnanspruchs zurückzubehalten. Dies folge aus einer Analogie zu § 320 Abs. 2 BGB. Da die Beklagte zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nur mit der Zahlung des Urlaubsgeldes 2018 i. H. v. 442 € (brutto) im Verzug gewesen sei, handele es um einen rückständigen Betrag von deutlich unter einem Bruttomonatsgehalt, der als verhältnismäßig geringfügig in Relation zum monatlichen Bruttoarbeitsentgelt der Klägerin anzusehen sei und nach § 242 BGB ein Zurückbehaltungsrecht nicht habe begründen können. Dabei sei ohne Belang, ob die Klägerin angenommen habe, rechtmäßig zu handeln, weil sie das Risiko dafür trage, dass sich ihre Rechtsauffassung als unzutreffend erweise87. Diese Bewertung des LAG überzeugt. Darüber hinaus ist die Nichterbringung der Arbeitsleistung unter Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht in der Regel als Indiz für den fehlenden Leistungswillen anzusehen, wenn das Zurückbehaltungsrecht nicht wirksam geltend gemacht wurde88. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die wirksame Ausübung des Zurückbehaltungsrechts voraussetzt, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unter Angabe 85 Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG Nürnberg ist durch Beschluss des BAG v. 19.10.2021 – 2 AZN 491/21 n. v. als unzulässig verworfen worden. 86 BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 37; BAG v. 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 Rz. 29. 87 BAG v. 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, NZA 2018, 646 Rz. 29; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 37. 88 BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 346/21 n. v. (Rz. 23).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
des Grundes klar und eindeutig mitteilen muss, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Nur so wird der Arbeitgeber in die Lage versetzt, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen89. Das LAG hat im Streitfall aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch keine vorherige Abmahnung von der Beklagten als milderes Mittel eingefordert, weil der Klägerin aufgrund der über vier Monate hinweg erfolgten Verweigerung ihrer Hauptleistungspflichten klar sein musste, dass die Beklagte ein derartiges Verhalten nicht hinnehmen werde. Auch das ArbG Heilbronn90 war mit dem Thema der beharrlichen Arbeitsverweigerung als Kündigungsanlass nach § 1 Abs. 2 KSchG befasst, weil sich die Klägerin beharrlich geweigert hatte, aus ihrem Homeoffice einen persönlichen Termin im Betrieb der Beklagten wahrzunehmen. Die 1980 geborene Klägerin war seit April 2014 bei der Beklagten als Mitarbeiterin im Bereich der Auftragsabwicklung bei 40-stündiger wöchentlicher Arbeitszeit zu einem Monatsgehalt von 4.750 € (brutto) beschäftigt. Seit November 2020 erbrachte die Klägerin ihre Arbeitsleistung aus dem Homeoffice. Wegen der Vergabe und Bearbeitung von sog. Tickets (Servicemeldungen) entstand bei der Beklagten eine Diskussion, in deren Verlauf die Beklagte mehrfach per E-Mail ab dem 17.11.2021 vergeblich versuchte, die Klägerin zu einem Gespräch im Betrieb der Beklagten zu bewegen. Die Klägerin verweigerte einen Besuch im Betrieb der Beklagten, weil sie wegen der Corona-Situation nicht bereit sei, sich oder andere zu gefährden und darüber nicht verhandeln wolle. Am 23.11.2021 erhielt die Klägerin eine Abmahnung wegen ihres Nichterscheinens zum Termin am 19.11.2021. Eine weitere Einladung zu einem Präsenztermin am 3.12.2021 nahm die Klägerin nicht wahr. Am 6.12.2021 erhielt sie deswegen eine letzte Abmahnung. Nachdem die Klägerin zu einem weiteren Präsenztermin am 21.12.2021 nicht erschienen war, sprach die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 27.12.2021 eine außerordentliche fristlose Kündigung und mit Schreiben vom 29.12.2021 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber der Klägerin aus. Die Kündigungen gingen am gleichen oder am Folgetag zu. Auf die rechtzeitig beim ArbG erhobene Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen hat das ArbG bezüglich der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund angenommen, dass die beharrliche Weigerung der Klägerin, zu einem einmaligen Personalgespräch im Betrieb der Beklagten zu erscheinen, 89 BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 346/21 n. v. (Rz. 25 m. w. N.). 90 ArbG Heilbronn v. 22.3.2022 – 2 Ca 14/22, NZA-RR 2022, 467.
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Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
an sich geeignet sei, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die jeweiligen Einladungen der Beklagten zu einem Gespräch im Betrieb seien von dem ihr zustehenden Direktionsrecht nach § 106 GewO gedeckt. Danach könne der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder eine gesetzliche Vorschrift festgelegt seien. Das Direktionsrecht enthalte auch die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden wolle91. Im Streitfall habe auch ein berechtigter Anlass wegen der Unstimmigkeit unter den Mitarbeitern hinsichtlich der Bearbeitung der Tickets bestanden. Das ArbG hat auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die an die Klägerin gerichteten Weisungen der Beklagten, zu einem Gespräch im Betrieb zu erscheinen, billigem Ermessen entsprochen haben. Dabei orientiert sich das ArbG an der Rechtsprechung des BAG92, wonach die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB) eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit unter Einbezug aller Umstände des Einzelfalls verlangt93. Die Darlegungs- und Beweislast für die Berechtigung und Billigkeit der Weisung trägt dabei der Arbeitgeber94. Das ArbG hebt zu Recht hervor, dass auf Seiten der Beklagten betriebliche Gründe bestanden, um mit der Klägerin in einem persönlichen Gespräch Unstimmigkeiten über die Abwicklung ihrer Arbeitsaufgaben zu klären und auszuräumen. Nach der neuen Rechtsprechung des BAG95 hätte die Klägerin
91 BAG v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183 Rz. 24; BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011 Rz. 17. 92 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 40. 93 BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2806; BAG v. 21.7.2009 – 9 AZR 404/08, NZA 2009, 1369 Rz. 22: Etwa Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. 94 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 45; BAG v. 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, NZA 2017, 1394 Rz. 28: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. 95 BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452 Rz. 63.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
die Weisung, im Betrieb zu erscheinen, ignorieren können, wenn diese nach §§ 106 GewO, 315 BGB die Grenzen billigen Ermessens nicht gewahrt hätte. Das von der Klägerin in diesem Sinne geltend gemachte Infektionsrisiko im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie hat das ArbG für eine derartige Bewertung nicht ausreichen lassen und dabei berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Kündigung geltende § 28 b Abs. 4 IfSG96 der Klägerin kein subjektives Recht auf einen Homeoffice-Arbeitsplatz eingeräumt hat. Schließlich prüft das ArbG zu Recht, ob die Klägerin auf der Grundlage von § 275 Abs. 3 BGB das Personalgespräch im Betrieb der Beklagten ablehnen durfte. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Damit wird – wie das BAG97 betont – das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Leistungserbringung geregelt. Ein derartiges Leistungsverweigerungsrecht wird vom ArbG überzeugend verneint, weil die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung nur dann anzunehmen ist, wenn ein Fall besonderer Leistungserschwerung vorliegt, was im Streitfall offenbar nicht vorlag. Die Entscheidungen des LAG Nürnberg und des ArbG Heilbronn belegen, wie zurückhaltend die Rechtsprechung der Instanzgerichte der Berechtigung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers aus wichtigem Grund auch bei beharrlichen Pflichtverletzungen gegenübersteht. Dies sollte für die betriebliche Praxis jedoch kein Anlass sein, bei schweren Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers mit einer fristlosen Kündigung zu reagieren und diese mit einer ordentlichen Kündigung zu verbinden (Verbundkündigung). (Boe)
96 Vgl. BGBl. I 2021, 4906. 97 BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417 Rz. 26.
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F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Karenzentschädigung: Einbeziehung von Sonderleistungen mit mehrjährigen Bezugszeiträumen
In seiner Entscheidung vom 25.8.20221 hatte sich das BAG mit der Einbeziehung von Sonderleistungen bei der Berechnung einer Karenzentschädigung zu beschäftigen. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart. Zum Ausgleich sollte der Kläger eine Karenzentschädigung in Höhe der Hälfte der von ihm zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erhalten. Das entsprach der Mindesthöhe einer Karenzentschädigung i. S. d. § 74 Abs. 2 HGB. Streit entstand dabei allerdings über die Frage, ob bei der Berechnung der Karenzentschädigung die dem Kläger während der letzten drei Jahre seines Arbeitsverhältnisses gewährten „Restricted Stock Units“ (RSUs) Berücksichtigung finden. Die RSUs wurden von der Konzernobergesellschaft aufgrund von jährlich getroffenen „Global Restricted Stock Units Award Agreements“ an den Kläger geleistet. Das BAG bestätigte die Rechtsauffassung des LAG Hamm und wies die Revision zurück. Nach seiner Auffassung stellten die RSUs ebenso wie andere Aktienoptionen, die einem Arbeitnehmer von einem Dritten gewährt werden, keine vertragsmäßige Leistung i. S. d. §§ 74 Abs. 2, 74 b Abs. 2 HGB dar. In den Gründen seiner Entscheidung wies das BAG darauf hin, dass der Begriff der „vertragsmäßigen Leistung“ nur solche Leistungen umfasse, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhten und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für seine geleistete Arbeit schulde2. Dies ergäbe sich einerseits aus dem Wortlaut des § 74 Abs. 2 HGB und andererseits aus dem Prinzip, dass Rechtsbeziehungen grundsätzlich nur inter partes abgewickelt würden3. Hier aber stamme die Vereinbarung über die Gewährung der RSUs nicht aus der Rechtsbeziehung zwischen den Parteien, sondern beruhe auf einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und der Konzernobergesellschaft und sei aus diesem Grund kein Teil der vertragsmäßigen Leistung. Ausdrücklich weist das BAG indes darauf hin, dass RSUs nicht automatisch bei der Berechnung einer Karenzentschädigung ausgegrenzt würden. Insofern 1 2 3
BAG v. 25.8.2022 – 8 AZR 453/21 n. v. BAG v. 25.8.2022 – 8 AZR 453/21 n. v. LAG Hamm v. 11.8.2022 – 10 Sa 284/21 n. v.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
ergäbe sich eine andere Bewertung, wenn der Vertragsarbeitgeber im Hinblick auf die Gewährung der RSUs durch die Obergesellschaft ausdrücklich oder konkludent eine eigene Verpflichtung übernommen habe. Das aber war vorliegend nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz gerade nicht der Fall. Eine Vermutung, dass eine solche Einstandspflicht gegeben sei, hatte schon das LAG Hamm zu Recht abgelehnt4. Für die betriebliche Praxis hat das BAG damit zwei Dinge klargestellt: Leistungen des Arbeitgebers, denen ein mehrjähriger Bezugszeitraum zugrunde liegt, sind nach § 74 Abs. 2 HGB bei der Berechnung der Karenzentschädigung zu berücksichtigen. Dazu können auch RSUs gehören, wenn sie durch den Arbeitgeber oder auf der Grundlage eines bestimmenden Einflusses des Arbeitgebers durch einen Dritten gewährt werden. Dass der Wert eines RSUs möglicherweise erst dann festgestellt werden kann, wenn die Haltefrist abgelaufen und ein (fiktiver) Verkauf der Aktie möglich ist, wird man hinnehmen müssen. Ggf. ist eine nachträgliche Anpassung der Karenzentschädigung vorzunehmen. Unter den gleichen Voraussetzungen wird man auch eine variable Vergütung oder Zahlungen auf der Grundlage eines Long Term Incentive (LTI) Plans anteilig zu berücksichtigen haben, da auch diese Leistungen an eine mehrjährige Betriebszugehörigkeit als Bezugszeitraum geknüpft sind. Im Gegensatz dazu werden Leistungen, die nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch einen Dritten gewährt werden, ohne dass der Arbeitgeber einen bestimmenden Einfluss auf das Ob, Was, Wer oder Wieviel genommen hat, nicht bei der Berechnung einer Karenzentschädigung berücksichtigt. Es sind keine vertragsgemäßen Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis, aus dem heraus die nachvertragliche Wettbewerbsabrede begründet wird. Dies gilt selbst dann, wenn – was vorliegend geschehen war – ein konzernbezogener Geltungsbereich des nachvertraglichen Wettbewerbsverbot vereinbart worden war. Sollte das Wettbewerbsverbot mit diesem Geltungsbereich keinem geschäftlichen Interesse des Arbeitgebers mehr Rechnung tragen, muss eben eine geltungserhaltende Reduktion der Reichweite des Wettbewerbsverbots entsprechend § 74 a Abs. 1 HGB erfolgen. Die Karenzentschädigung selbst kann nicht angepasst werden. Sollte es sich um Geschäftsführer handeln, auf die §§ 74 ff. HGB unmittelbar keine Anwendung finden, sollte diese Möglichkeit einer Einschränkung der Reichweite durch eine Bezugnahme auf die gesetzlichen Vorschriften bestimmt werden, falls im Übrigen eine Vergütung nach Maßgabe eines bestimmten Prozentsatzes der zuletzt bezahlten vertragsmäßigen Bezüge vereinbart werden. (Ga/Re).
4
LAG Hamm v. 11.8.2022 – 10 Sa 284/21 n. v. (Rz. 101).
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Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis
2.
Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis
Nach § 109 Abs. 1 GewO5 hat der Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. Abs. 2 dieser Vorschrift schreibt vor, dass das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein muss und keine Merkmale oder Formulierungen enthalten darf, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschrift und danach war das BAG6 mit der Frage befasst, ob es zum notwendigen Inhalt eines qualifizierten Zeugnisses gehört, dass der Arbeitgeber das Arbeitszeugnis mit Formulierungen abzuschließen hat, in denen er dem Arbeitnehmer für die gute Zusammenarbeit dankt und ihm für die Zukunft alles Gute wünscht. Das BAG7 hat in der Vergangenheit derartige Aussagen in einer Schlussformel des Zeugnisses für den Arbeitgeber nicht für verpflichtend angesehen, weil eine derartige Dankesund Wunschformel weder Gegenstand der für die Zeugniserteilung gesetzlich vorgesehenen Vorgaben nach § 109 GewO geworden ist noch dem Arbeitgeber angesonnen werden kann, Aussagen über persönliche Empfindungen in einer Schlussformel des Zeugnisses niederzulegen. Diese Rechtsprechung ist teilweise bei den Landesarbeitsgerichten8 auf Widerspruch gestoßen, die mit unterschiedlichen Begründungen der Auffassung gewesen sind, dass sowohl eine Dankesformel als auch der Ausspruch guter Wünsche zum verpflichtenden Gegenstand der Zeugniserteilung gehören.
5 6 7 8
Eingeführt durch Art. 1 Nr. 19 Drittes Gesetz zur Änderung der GewO und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften v. 24.8.2002 m. W. v. 1.1.2003, BGBl. I 2002, 3412. BAG v. 11.12.2012 – 9 AZR 227/11, NZA 2013, 324; BAG v. 20.2.2001 – 9 AZR 44/00, NZA 2001, 843. BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 146/21, NZA 2022, 783 Rz. 19; BAG v. 11.12.2012 – 9 AZR 227/11, NZA 2013, 324 Rz. 11 ff. LAG Düsseldorf v. 12.1.2021 – 3 Sa 800/20 n. v. (Rz. 72, 81): Dank und gute Wünsche für die Zukunft, aber kein Bedauern über das Ausscheiden des Mitarbeiters; LAG Rheinland-Pfalz v. 11.9.2014 – 3 Sa 127/14 n. v. (Rz. 39); LAG Hamm v. 8.9.2011 – 8 Sa 509/11, NZA-RR 2012, 71 Rz. 17; LAG Düsseldorf v. 3.11.2010 – 12 Sa 974/10, NZA-RR 2011, 124 Rz. 30 ff.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Das BAG musste sich erneut mit Urteil vom 25.1.20229 mit einem klageweise geltend gemachten Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel beschäftigen. Der Kläger war vom 1.3.2017 bis zum 31.3.2020 als Personaldisponent bei der Beklagten, einer Personaldienstleisterin, tätig. In einem zur Erledigung eines Kündigungsschutzverfahrens geschlossenen gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte unter anderem, dem Kläger ein qualifiziertes wohlwollendes Arbeitszeugnis zu erteilen, das sie unter dem Datum des 31.3.2020 erstellte, jedoch mit dem Satz enden ließ, „Herr J scheidet mit dem heutigen Tage aus unserem Unternehmen aus“, ohne eine Dankes- und Wunschformel anzuschließen. Der Kläger wünschte klageweise eine Ergänzung des Zeugnisses dahingehend, dass die Beklagte hinzufügte: „Wir danken Herrn J für die geleistete Arbeit und wünschen ihm für die weitere berufliche und private Zukunft weiterhin alles Gute und viel Erfolg.“ Das ArbG Mönchengladbach hat die Klage abgewiesen, das LAG Düsseldorf10 der Klage insoweit entsprochen. Das BAG hat auf die Revision der Beklagten die Entscheidung des LAG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des ArbG zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das BAG an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und zunächst festgestellt, dass ein Arbeitnehmer unmittelbar aus § 109 Abs. 1 S. 3 GewO keinen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel ableiten kann. Ein derartiger Anspruch ließe sich auch nicht mit einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschrift begründen. Der Arbeitnehmer erhielte im Hinblick auf seine Berufsausübungsfreiheit durch die Schlussformel zwar eine erhöhte Bewerbungschance. Diese könne jedoch die erhebliche Beeinträchtigung der negativen Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Arbeitgebers nicht aufwiegen, dem zugemutet werden müsste, seine innere Einstellung zu dem Arbeitnehmer sowie seine Gedanken- und Gefühlswelt offenbaren zu müssen. Aufgrund der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten negativen Meinungsfreiheit11 könne der Arbeitgeber nicht gezwungen werden, überhaupt eine Meinung zu äußern, geschweige denn eine solche, die er nicht teilt. Deshalb kann nach Ansicht des BAG der Eingriff in den Schutzbereich der negativen Meinungsfreiheit nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine Vielzahl von Arbeitgebern entsprechende Schlussformeln in ihr Arbeitszeugnis aufnehmen, und deshalb Entsprechendes von anderen Zeugnisverfassern erwartet werde.
9 BAG v. 25.1.2022 – 9 AZR 146/21, NZA 2022, 783. 10 BAG v. 12.1.2021 – 3 Sa 800/20 n. v. (Rz. 81). 11 BVerfG v. 27.8.2019 – 1 BvR 811/17, NJW 2019, 3567 Rz. 16.
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Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis
Ergänzend weist das BAG darauf hin, dass eine Schlussformel des vom Kläger gewünschten Inhalts nicht zur Realisierung des Zeugniszwecks beitrage. Für den Zeugnisleser enthielte die Schlussformel keine über die eigentliche Leistungs- und Verhaltensbeurteilung hinausgehenden Informationen, um die Geeignetheit des Arbeitnehmers für eine zu besetzende Stelle beurteilen zu können. Das BAG lässt allerdings in diesem Zusammenhang ausdrücklich offen, ob die Frage der Schlussformel anders zu beurteilen ist, wenn der Arbeitgeber in den von ihm erteilten Arbeitszeugnissen standardmäßig entsprechende Schlussformeln verwendet. Das BAG lehnt auch die vom LAG Düsseldorf vertretene Auffassung ab, das zumindest bei einer leicht überdurchschnittlichen Bewertung aus dem Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel herleiten will, weil das Gebot der Rücksichtnahme nicht herangezogen werden könne, um eine abschließende gesetzliche Regelung – wie § 109 GewO – zu erweitern. Für die betriebliche Praxis folgt aus der Entscheidung des BAG, dass jeder Arbeitgeber frei darüber entscheiden kann, ob er in einer Schlussformulierung eines Arbeitszeugnisses die Aussage über die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers mit einer Dank- und Wunschformel verbindet. Allerdings sollte bedacht werden, dass eine standardmäßige Verwendung derartiger Schlussformeln die berechtigte Erwartung der Arbeitnehmer begründen kann, mit einer entsprechenden, das Zeugnis abschließenden Formulierung, bedacht zu werden. (Boe)
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G. Tarifrecht 1.
EGMR: Tarifeinheitsgesetz ist konventionskonform
Zieht man den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz – TEG) der Bundesregierung vom 20.2.20151 zurate, sah sich der Gesetzgeber nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch den 4. Senat des BAG2 zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie veranlasst, im Falle einer gleichzeitigen Anwendung unterschiedlicher Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften auf dieselben Beschäftigten (Tarifkollision), durch eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip die Auflösung von Tarifpluralitäten herbeizuführen. Der gesetzliche Grundsatz der Tarifeinheit sollte nur subsidiär greifen, wenn eine autonome Verständigung der am Tarifgeschehen beteiligten Gewerkschaften nicht gelingt. Die Gewerkschaften sollten damit das vorrangige Recht behalten, ihre Zuständigkeiten wechselseitig abzustimmen, sich in einer Tarifgemeinschaft zu verbinden und gemeinsam Tarifverträge zu verhandeln, ohne Tarifgemeinschaft inhaltsgleiche Tarifverträge abzuschließen oder den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzuzeichnen. Eine nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auflösungsbedürftige Tarifkollision setzt voraus, dass die Tarifverträge nicht inhaltsgleich sind. Die Umsetzung dieses Vorhabens ist durch die Einfügung des § 4 a TVG durch das TEG vom 3.7.20153 mit Wirkung vom 10.7.2015 geschehen, wobei der Gesetzgeber in Abs. 1 dieser Vorschrift die Zielsetzung einer Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Vermeidung von Tarifkollisionen im Betrieb umschrieben hat. Die Auflösung der Tarifkollision enthält § 4 a Abs. 2 S. 1, 2 TVG, der in der ursprünglichen Fassung lautete: Der Arbeitgeber kann nach § 3 an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden
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BT-Drucks. 18/1462 S. 1, 8, 11, 12. BAG v. 27.1.2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645: Anfragebeschluss nach § 45 ArbGG. BGBl. I 2015, 1130.
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Tarifrecht
Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat.
Der Rückgriff auf das Mehrheitsprinzip erschien dem Gesetzgeber in besonderer Weise geeignet, die mit dem Gesetz verfolgten Ziele zu erreichen. Es gelangt der Tarifvertrag zur Anwendung, dessen Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt4. Nach § 4 a Abs. 4 TVG kann eine Gewerkschaft vom Arbeitgeber oder von der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung der Rechtsnormen eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen. Wie zu erwarten war, musste das BVerfG5 auf eine Verfassungsbeschwerde von betroffenen Gewerkschaften (etwa Marburger Bund, Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) hin die Vereinbarkeit von § 4 a TVG i. d. F. vom 3.7.2015 mit Art. 9 Abs. 3 GG überprüfen. Nach Maßgabe der Entscheidungsformel vom 11.7.2017 war § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG nicht vereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG: Bis zu einer Neuregelung gilt § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG mit der Maßgabe fort, dass ein Tarifvertrag von einem kollidierenden Tarifvertrag nur verdrängt werden kann, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat.
Außerdem hat das BVerfG ergänzende verfassungskonforme Auslegungshinweise erteilt, die sich darauf beziehen, dass die Regelung des § 4 a TVG tarifdispositiv ist, die Verdrängungswirkung langfristig angelegter, die Lebensplanung der Beschäftigten betreffender Ansprüche aus dem Minderheitstarifvertrag mangels gesetzlicher Vorkehrungen durch die Gerichte ausgeschlossen werden muss und die Regelung des § 4 a Abs. 4 TVG zur Nachzeichnungsoption für die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, einen Anspruch auf Nachzeichnung des verdrängenden Tarifvertrags in seiner Gesamtheit auslöst. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch Art. 4 f QCG (Qualifizierungschancengesetz) vom 18.12.20186 reagiert und mit Wirkung vom 1.1.2019 (Art. 6 Abs. 1) in § 4 a Abs. 2 S. 2 TVG eingefügt:
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BT-Drucks. 18/1462 S. 12. BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915. BGBl. I 2018, 2651.
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EGMR: Tarifeinheitsgesetz ist konventionskonform
(Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach Halbs. 1 nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar.
Im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 11.7.2017 haben der Marburger Bund, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, der DBB Beamtenbund und Tarifunion7 sowie sechs Einzelpersonen (Gewerkschaftsmitglieder) Individualbeschwerden beim EGMR8 mit der Rüge der mangelnden Vereinbarkeit des TEG mit Art. 11 EMRK eingelegt. Am 5.7.2022 hat eine Kammer des EGMR festgestellt, dass Art. 11 EMRK nicht verletzt ist. Zunächst stellt der EGMR fest, dass die beschwerdeführenden Gewerkschaften und Gewerkschaftsmitglieder, in deren Interesse die Gewerkschaften ihre Tarifstrategie verfolgen, durch die unmittelbare Auswirkung des umstrittenen Gesetzes Opfer der behaupteten Konventionsverletzung sind9. Das TEG greife damit in das Recht der Beschwerdeführer nach Art. 11 Abs. 1 EMRK ein. Diesen Eingriff sieht der EGMR zum einen darin, dass ein von einer Gewerkschaft mit einem Arbeitgeber abgeschlossener Tarifvertrag unanwendbar bleibt, wenn eine andere Gewerkschaft, die mehr Mitglieder im Betrieb hat, einen mit dem Minderheitstarifvertrag kollidierenden Tarifvertrag abgeschlossen habe. Zum anderen läge ein Eingriff vor, wenn Gewerkschaften im Verfahren vor dem Arbeitsgericht verpflichtet seien, zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft die Zahl ihrer Mitglieder in einem Betrieb und damit ihre Stärke bei Arbeitskämpfen angeben zu müssen. Die Rechtsgrundlagen im Sinne einer Rechtfertigung nach Art. 11 Abs. 2 EMRK seien das TEG i. V. m. §§ 2 a Abs. 1 Nr. 6, 99 ArbGG. Da die Vorschriften des TEG das ordentliche und faire Funktionieren der Tarifautonomie sicherstellen sollen, indem sie Gewerkschaften, die Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen vertreten, daran hindern, getrennte Tarifverhandlungen zum Nachteil anderer Arbeitnehmer zu führen und damit dem Schutz der Arbeitnehmer und der sie vertretenden Gewerkschaften dienten, die keine Schlüs-
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Der DBB Beamtenbund und Tarifunion ist ein Dachverband von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und des privaten Dienstleistungssektors mit 40 Mitgliedsgewerkschaften mit Sitz in Berlin. Vgl. EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058. EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058 Rz. 37 ff.
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Tarifrecht
selposition innehaben, werde vom TEG ein berechtigtes Ziel i. S. v. Art. 11 Abs. 2 EMRK verfolgt10. Da, nach Art. 11 Abs. 2 EMRK die Einschränkung der Tarifautonomie durch das TEG nicht nur gesetzlich vorgesehen sein muss, sondern auch zum Schutz der Rechte Anderer in einer demokratischen Gesellschaft notwendig zu sein hat, geht es um die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung, bei deren Beurteilung nach Ansicht des EGMR den Konventionsstaaten ein Ermessensspielraum eingeräumt ist11. Dabei gewichtet der EGMR, dass der Kernbereich der Tarifautonomie durch das TEG nicht tangiert sei, weil die betroffenen Gewerkschaften nicht das Recht verlören, Tarifverhandlungen zu führen, erforderlichenfalls zu streiken und Tarifverträge abzuschließen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG12 hätten die Gewerkschaften, deren Tarifverträge nicht anwendbar werden, das Recht, alle Rechtsnormen des Mehrheitstarifvertrags zu übernehmen (nachzuzeichnen), so dass sie nicht gegen ihren Willen ohne Tarifvertrag dastünden. Das BVerfG habe das Recht der Minderheitsgewerkschaften dadurch verstärkt, dass ein kollidierender Tarifvertrag nur verdrängt werde, wenn die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen von Arbeitnehmern, deren Tarifvertrag nicht anwendbar sei, ernsthaft und wirksam berücksichtigt habe13. Der EGMR nimmt auch in diesem Zusammenhang auf die Aussage des BVerfG Bezug, wonach längerfristige Leistungen in einem Minderheitstarifvertrag, wie Leistungen zur Alterssicherung, nur unanwendbar werden, wenn es eine vergleichbare Leistung im Mehrheitstarifvertrag gebe. Hinzu käme, dass das Recht auf Tarifverhandlungen kein Recht auf einen Tarifvertrag einschließe. Auch wenn das TEG dazu führen könnte, dass kleinere Gewerkschaften, die häufig besondere Berufsgruppen verträten, an Attraktivität verlören und deswegen weniger Mitglieder hätten, werde nicht das Recht beschnitten, solchen Gewerkschaften beizutreten oder ihr Mitglied zu bleiben. Insgesamt gesehen ergäben sich aus den Umständen des vorliegenden Falls keine Hinweise darauf, dass ungerechtfertigt in das Recht der Beschwerdeführer auf Tarifverhandlungen eingegriffen werde14.
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EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058 Rz. 53. EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058 Rz. 61. BVerfG v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u. a., NZA 2017, 915. EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058 Rz. 65. EGMR v. 5.7.2022 – 815/18 u. a., NZA 2022, 1058 Rz. 73.
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Tarifvertragliche Erschwerniszulage bei Tragen einer Corona-Maske?
Wenn auch das Urteil des EGMR noch nicht rechtskräftig ist, dürfte sich durch diese Entscheidung nicht nur die Verfassungswidrigkeit, sondern auch die Konventionswidrigkeit von § 4 a TVG für die Praxis erledigt haben. (Boe)
2.
Tarifvertragliche Erschwerniszulage bei Tragen einer Corona-Maske?
Ergänzend zu den bereits an anderer Stelle erörterten Entscheidungen des BAG und der Instanzgerichte zur Behandlung arbeitgeberseitiger Maßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie15, hat sich das BAG im Urteil vom 20.7.202216 mit der Frage befasst, ob der im Bereich der Gebäudereinigung beschäftigte Kläger einen Anspruch auf einen tariflichen Erschwerniszuschlag hat, weil er auf der Grundlage entsprechender Vorgaben des Arbeitgebers während seiner Arbeit eine medizinische Gesichtsmaske getragen hatte. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall ist der Kläger in der Zeit vom August 2020 bis Mai 2021 als Reinigungskraft durch den Arbeitgeber verpflichtet worden, bei der Ausführung der Arbeit eine medizinische Gesichtsmaske (sog. OP-Maske) zu tragen. Die Beklagte lehnte es ab, dem Kläger dafür einen Erschwerniszuschlag zu zahlen, dessen Anspruchsvoraussetzungen in dem allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrag festgelegt worden waren. Danach knüpfte die Zahlung eines Erschwerniszuschlags unter anderem an das Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) an und sah dort außerdem vor, dass bei Arbeiten, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird, ein Zuschlag i. H. v. 10 % bezahlt werden muss. Das BAG hat die Klage abgewiesen. In Übereinstimmung mit Feststellungen des LAG Baden-Württemberg im Urteil vom 23.3.202217 geht das BAG davon aus, dass eine medizinische Gesichtsmaske, die der Kläger während seiner Arbeit auf Anweisung der Beklagten getragen hatte, keine Atemschutzmaske im tariflichen Sinne sei. Davon sei auf der Grundlage einer Auslegung des Tarifvertrags auszugehen. Denn die Atemschutzmaske werde nach Wortlaut und Systematik des Tarifvertrags nur dann als eine zuschlagspflichtige Erschwernis gekennzeichnet, wenn es sich um eine persönliche Schutzausrüstung handele.
15 B. Gaul, AktuellAR 2022, 438 ff. 16 BAG v. 20.7.2022 – 10 AZR 41/22 n. v. (Rz. 11 ff.). 17 LAG Baden-Württemberg v. 23.3.2022 – 2 Sa 31/21 n. v. (Rz. 56 ff.).
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Tarifrecht
Bei der Auslegung dieses Begriffs sei die fachtechnische Bedeutung, wie sie im Bereich des Arbeitsschutzes gekennzeichnet werde, maßgeblich. Insoweit verweist das BAG schlussendlich auch auf § 1 Abs. 2 PSABV. Danach gelten als PSA solche Ausrüstungen, die dazu bestimmt sind, von Beschäftigten benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen. Das treffe auf eine Atemschutzmaske zu, nicht aber auf eine medizinische Gesichtsmaske. Wie sich nicht nur den arbeitsmedizinischen Regeln, sondern auch Nr. 2.4 C-ASR und den unterschiedlichen Regelungen der C-ASV entnehmen lasse, diene eine medizinische Gesichtsmaske dem Schutz Dritter vor der Exposition gegenüber möglicherweise infektiösen Tröpfchen desjenigen, der eine Maske trage. Sie diene daher nicht dem Eigenschutz, was aber Voraussetzung einer PSA sei. Ergänzend hierzu stellt das BAG klar, dass alle Gesichtsmasken, die Mund und Nase bedeckten und während der Arbeit getragen würden, durchaus zu einer Erschwernis bei der Arbeit führten. Allerdings solle nach dem Willen der Tarifvertragsparteien insoweit nicht jede Erschwernis bei der Arbeit ausgeglichen werden, sondern nur eine solche, die das Maß bei Arbeiten mit einer PSA erreiche. Das zeige auch ein Vergleich mit den übrigen Regelungen, wie sie im Rahmentarifvertrag für den Erwerb eines Anspruchs auf die Erschwerniszulage vorgesehen seien. Denn auch dort sei der Zuschlag nur für bestimmte Arbeiten vorgesehen, die von den Tarifvertragsparteien nach der Art oder der Dauer der Tätigkeit als körperlich besonders belastend angesehen würden. Der Entscheidung ist ohne Einschränkungen zuzustimmen. Sie macht allerdings auch deutlich, dass ein tariflicher Erschwerniszuschlag abweichend von dem hier vorliegenden Ergebnis dann in Anspruch genommen werden kann, wenn Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber auf der Grundlage arbeitsschutzrechtlicher Vorgaben (§§ 106 S. 2 GewO, 618 BGB, 3 ff. ArbSchG) verpflichtet werden, während der Arbeit eine FFP2-Maske zu tragen. (Ga)
3.
Auslegung und Transparenzgebot bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifvertrag
In der Vergangenheit haben wir uns schon mehrfach mit den Anforderungen an eine wirksame (arbeitsvertragliche) Bezugnahme auf Tarifverträge befasst18. Im Regelfall geht es dabei um die Frage, ob die gesetzlichen Anforderungen der AGB-Kontrolle aus §§ 305 ff. BGB erfüllt sind. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass eine Bezugnahme auf Tarifverträge in der Praxis 18 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2020, 601 ff., 2021, 229 ff., 549 ff.
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Auslegung und Transparenzgebot bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf Tarifvertrag
für eine Vielzahl von Fällen vereinbart wird, was zur Anwendbarkeit der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle der §§ 305 ff. BGB führt. In Übereinstimmung mit diesem Prüfungsmaßstab ging es auch im Urteil vom 27.4.202219 um die Frage, ob die dort in Rede stehende Vereinbarung mit den Anforderungen an die Wirksamkeit von AGB in §§ 305 ff. BGB vereinbar war. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber, als er noch Mitglied des Arbeitgeberverbands war, mit der IG Metall Verhandlungen zur Erhöhung der Wochenarbeitszeit um 3,5 Stunden ohne Entgeltausgleich geführt. Als diese Verhandlungen scheiterten, wechselte er in eine OT-Mitgliedschaft. Damit verbunden trat er an die Belegschaft heran und bat sie, einer Zusatzvereinbarung zuzustimmen, mit der die wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden auf 38,5 Stunden ohne Entgeltausgleich angehoben werden sollte. In dem in diesem Zusammenhang verteilten Informationsschreiben versicherte die Geschäftsleitung nicht nur, dass bei Erreichung der notwendigen Beteiligungsquote mit Ausnahme der Regelung zur Wochenarbeitszeit alle Tarifverträge für die nordrhein-westfälische Metall- und Elektroindustrie, die mit der IG Metall abgeschlossen worden sind, weiterhin im Betrieb zur Anwendung kommen würden. Darüber hinaus sagte sie zu, dass „insbesondere“ künftige tarifliche Entgelterhöhungen, aber auch Urlaub, Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung (das sog. Weihnachtsgeld), auch in Zukunft weiterhin in vollem Umfang gewährt würden. Der Kläger entschloss sich daraufhin, einer entsprechenden Zusatzvereinbarung zuzustimmen. Diese enthielt unter anderem folgende Regelung: Mit Ausnahme der Regelung zur Wochenarbeitszeit kommen alle Tarifverträge für die nordrhein-westfälische Metall- und Elektroindustrie, die mit der IG Metall abgeschlossen worden sind, weiterhin im Betrieb zur Anwendung. Auch zukünftige zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Entgelterhöhungen werden unter Berücksichtigung der tariflichen Regelungen zum ERA ETV in vollem Umfang an den Mitarbeiter weitergegeben.
In den ersten Jahren nach Abschluss dieser Vereinbarung gab es keine Probleme. Die Beklagte gab die jeweiligen Entgelterhöhungen an den Kläger weiter. Streit entstand, als 2018 – also acht Jahre nach Abschluss der Zusatzvereinbarung – durch die Tarifvertragsparteien nicht nur eine monatliche Erhöhung der Grundentgelte sowie eine Einmalzahlung vereinbart wurden. Vielmehr wurde durch ergänzende Tarifverträge auch ein tarifliches Zusatzgeld 19 BAG v. 27.4.2022 – 4 AZR 289/21, NZA 2022, 1344.
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Tarifrecht
eingeführt. Als die Beklagte meinte, durch die Zusatzvereinbarung nur zur Weitergabe der Tariflohnerhöhung nebst Einmalzahlung verpflichtet zu sein, erhob der Kläger Klage auf Zahlung weiterer 1.356,22 €. Dies entsprach den Leistungen, die mit den beiden Komponenten T-ZUG (A) und T-ZUG (B) verbunden waren. In Übereinstimmung mit dem LAG Hamm hat das BAG der Klage stattgegeben. Nach seiner Auffassung ergab sich im Wege der Auslegung der zwischen den Parteien getroffenen Zusatzvereinbarung ein Anspruch auf Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge. Ausgenommen hiervon war lediglich die tarifvertragliche Regelung über die Dauer der Wochenarbeitszeit. In der Begründung seiner Entscheidung hat das BAG zwar zunächst einmal eingeräumt, dass eine Bezugnahme auf Tarifverträge, die „abgeschlossen worden sind“, durchaus ein Indiz dafür sein könne, dass künftige Änderungen dieser Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis keine Bedeutung mehr haben sollten. Diese Sichtweise könnte im vorliegenden Fall auch darauf gestützt werden, dass die Regelung, mit der im folgenden Teil der Zusatzvereinbarung eine dynamische Tarifbindung geregelt würde, ausdrücklich nur „zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Entgelterhöhungen“ erwähnt habe. Schlussendlich war dies für den 4. Senat des BAG indes nicht entscheidend. Für eine dynamische Bezugnahme auf alle zukünftigen Tarifverträge sprach aus Sicht des BAG nicht nur, dass in der Bezugnahme auf die abgeschlossenen Tarifverträge kein Datum der jeweiligen Tarifverträge benannt wurde. In einem solchen Fall sei – so das BAG – regelmäßig anzunehmen, dass die Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung finden sollten. Einer ausdrücklichen „Jeweiligkeitsklausel“ bedürfe es nicht20. Ganz wesentlich hat sich das BAG darüber hinaus auf die Formulierung des Informationsschreibens bezogen. Obwohl das Informationsschreiben nicht Bestandteil der Zusatzvereinbarung sei, müsse es bei ihrer Auslegung berücksichtigt werden. Dies gelte für alle Umstände, die – wie vorliegend – typischerweise den Abschluss vergleichbarer Abreden begleiteten21. Entscheidend insoweit war, dass im Informationsschreiben das Wort „insbesondere“ verwendet wurde und neben den Entgelterhöhungen auch auf Vereinbarungen zum Urlaub, Urlaubsgeld und die Jahressonderzahlung verwiesen worden war. Das daraus folgende Verständnis, nach dem die Weitergabe zukünftiger Änderungen nicht auf Entgelterhöhungen begrenzt war, habe der Kläger auch
20 BAG v. 27.4.2022 – 4 AZR 289/21, NZA 2022, 1344 Rz. 22; BAG v. 30.8.2017 – 4 AZR 443/15, NZA 2018, 363 Rz. 20. 21 Ebenso BAG v. 20.6.2017 – 3 AZR 179/16 n. v. (Rz. 33).
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Boykottaufruf als zulässige Maßnahme des Arbeitskampfes
bei Abschluss der Zusatzvereinbarung annehmen dürfen. Dies gelte umso mehr, als die Beklagte den Abschluss der Zusatzvereinbarung im Betrieb ursprünglich mit dem Ziel begründet hatte, unter Fortbestand der übrigen Regelungen des damals geltenden Tarifvertrags eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu vereinbaren. Dieser Auslegung ist zuzustimmen. Dasselbe gilt für die Annahme des BAG, dass angesichts dieser (abschließenden) Bewertung des Inhalts der Zusatzvereinbarung für eine Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB kein Raum ist22. Selbstverständlich kann sich der Arbeitgeber in Anbetracht dessen auch nicht auf eine fehlende Transparenz der Bezugnahmeklausel berufen. Unabhängig davon wäre es ohnehin unzulässig, dass sich der Verwender von AGB zum eigenen Vorteil darauf beruft, dass eine Regelung intransparent i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB sei. Ein Verstoß gegen die Vorgabe der AGB-Kontrolle kann nur durch den Vertragspartner des Verwenders geltend gemacht werden23. Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass unabhängig davon, in welchem Zusammenhang eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge vereinbart wird, genau darauf geachtet werden muss, dass die Grundsätze der AGB-Kontrolle eingehalten werden. Denn fast ausnahmslos handelt es sich bei entsprechenden Vereinbarungen um AGB, die zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer diese Schranken einhalten müssen. (Ga)
4.
Boykottaufruf als zulässige Maßnahme des Arbeitskampfes
Nach Art. 11 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht, sich frei und friedlich mit Anderen zu versammeln und sich frei mit Anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Nach Abs. 2 S. 1 dieser Vorschrift darf die Ausübung dieser Rechte nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer.
22 BAG v. 27.4.2022 – 4 AZR 289/21, NZA 2022, 1344 Rz. 31. 23 BAG v. 27.4.2022 – 4 AZR 289/21, NZA 2022, 1344 Rz. 32; BAG v. 28.4.2021 – 4 AZR 229/20, NZA 2021, 1567 Rz. 40.
571
Tarifrecht
Der EGMR musste auf der Grundlage dieser Regelung aus Anlass einer Individualbeschwerde des norwegischen Gewerkschaftsbundes (LO) und der norwegischen Transportarbeitergewerkschaft (NTF) nach Art. 34 EMRK der Frage nachgehen, ob ein angekündigter Boykott einer Gewerkschaft von der durch Art. 11 Abs. 1 EMRK geschützten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erfasst wird. Des Weiteren hatte der EGMR zu prüfen, ob im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines geplanten Boykotts die damit verbundene Einschränkung der Ausübung der Gewerkschaftsrechte nach Art. 11 Abs. 2 EMRK notwendig war. In dem Streitfall hatten die Beschwerdeführer mit dem Verband der norwegischen Unternehmen für Hafenarbeiter in vielen großen norwegischen Häfen einen Rahmentarifvertrag mit einem festen Entgeltsystem und anderen Konditionen abgeschlossen, der außerdem eine Klausel enthielt, wonach bei Schiffen mit einer Tragfähigkeit von 50 t und mehr, die von einem norwegischen Hafen in einen ausländischen Hafen oder umgekehrt fahren, die Entund Beladearbeiten von Hafenarbeitern auszuführen waren. Das Unternehmen Holship Norge AS, eine 100 %-ige norwegische Tochtergesellschaft einer dänischen Speditionsgruppe, das nicht tarifgebunden war, hatte bis zum Jahre 2013 die im Hafen von Drammen in den Diensten eines Verwaltungsbüros stehenden Hafenarbeiter für Be- und Entladearbeiten in Anspruch genommen. Ab 2013 beschäftigte Holship für derartige Arbeiten im Hafen vier eigene Mitarbeiter. Nachdem die NTF Holship vergeblich aufgefordert hatte, den Rahmentarifvertrag für Hafenarbeiter abzuschließen, kündigte die Gewerkschaft den Boykott für alle Be- und Entladearbeiten der Schiffe von Holship an. Außerdem beantragte die Gewerkschaft beim Stadtgericht Drammen die Vorabfeststellung, dass der angekündigte Boykott nicht rechtswidrig sei. Das Stadtgericht Drammen traf die beantragte Feststellung. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der OGH Norwegen entschied im Oktober 2016, dass der geplante Boykott rechtswidrig sei, weil der damit bezweckte Abschluss des Rahmentarifvertrags eine unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von Holship sei und nicht durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werde, weil die beim Verwaltungsbüro mit Vorrangklausel registrierten Hafenarbeiter in ihren Rechten nicht bedroht seien. Die Beschwerdeführer haben mit ihrer Beschwerde beim EGMR unter Berufung auf Art. 11 EMRK geltend gemacht, dass durch die Entscheidung des OGH Norwegen ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit verletzt sei. Am 10.6.2021 hat eine Kammer des EGMR einstimmig festgestellt, dass Art. 11 EMRK nicht verletzt sei.
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Boykottaufruf als zulässige Maßnahme des Arbeitskampfes
Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung bezüglich der Anwendbarkeit von Art. 11 EMRK stellt der EGMR hinsichtlich der bislang nicht entschiedenen Fragestellung zunächst fest, dass ein Boykott ggf. das einzige Mittel sein kann, das einer Gewerkschaft zur Verfügung stehe, um zur Verteidigung der Rechte der Arbeitnehmer Druck auf einen Arbeitgeber auszuüben. Im Zusammenhang mit dieser Aussage zitiert der EGMR den EuGH24, der anerkannt habe, dass das Recht auf Arbeitskampf im Hinblick auf eine Blockade ein EUGrundrecht sei. Die Aktion, um die es im vorliegenden Fall ginge, ziele darauf ab, Holship zum Abschluss eines Tarifvertrags zu drängen, der den beim Verwaltungsbüro beschäftigten und registrierten Hafenarbeitern das Recht auf vorrangige Beschäftigung bei Be- und Entladevorgängen im Hafen einräume. Der infrage stehende Boykott habe auch stabile und sichere Arbeitsbedingungen für Hafenarbeiter sicherstellen sollen. Die Vorrangregelung sei auch im IAO-Übereinkommen Nr. 137 vorgesehen25. Daraus schlussfolgert der EGMR, dass der angekündigte Boykott eine gewerkschaftliche Aktion darstelle, die in den Anwendungsbereich von Art. 11 EMRK fiele. Damit stelle nach Ansicht des EGMR die Feststellung der Rechtswidrigkeit des geplanten Boykotts durch den OGH Norwegen eine Einschränkung der Ausübung der Gewerkschaftsrechte gemäß Art. 11 Abs. 2 EMRK dar. Ausgangspunkt der nach Art. 11 Abs. 2 EMRK vom EGMR anzustellenden Prüfung bildete die Feststellung des OGH Norwegen, wonach der angekündigte Boykott eine rechtswidrige/unverhältnismäßige Beschränkung des durch das EWR-Abkommen garantierten Rechts von Holship auf Niederlassungsfreiheit dargestellt habe. Damit war für den EGMR die Frage nach der Erforderlichkeit der Einschränkung gemäß Art. 11 Abs. 2 EMRK gestellt.
24 EuGH v. 18.12.2007 – C-341/05, NZA 2008, 159 – Laval un Partneri: Laval, eine Gesellschaft lettischen Rechts mit Sitz in Riga, entsandte 35 Arbeitnehmer auf eine Baustelle in Schweden, die von einer schwedischen Tochtergesellschaft von Laval unterhalten wurde. Laval, die mit lettischen Baugewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen hatte, wurde von einer schwedischen Gewerkschaft durch Blockaden der Baustelle unter Druck gesetzt, um einen Tarifvertrag über garantierte Löhne abzuschließen und einem Bautarifvertrag beizutreten. 25 In dem Übereinkommen über die sozialen Auswirkungen neuer Umschlagmethoden in Häfen (IAO-Übereinkommen Nr. 137) heißt es in Art. 3: „1. Für alle Berufskategorien von Hafenarbeitern sind in der von der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis zu bestimmenden Weise Register anzulegen und laufend fortzuführen. 2. Registrierten Hafenarbeitern ist bei der Einstellung für Hafenarbeiten der Vorzug zu gewähren. 3. Registrierte Hafenarbeiter haben sich in der von der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis vorgesehenen Weise zur Arbeit verfügbar zu halten.“
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Tarifrecht
Der EGMR betont in diesem Zusammenhang, dass es bei der Ausübung der Kontrollfunktion nicht seine Aufgabe sei, anstelle der nationalen Gerichte zu entscheiden, sondern nur darüber zu befinden, ob die Entscheidungen mit den angeführten Vorschriften der EMRK vereinbar seien. Werde die Abwägung von den nationalen Behörden und Gerichten im Wesentlichen im Einklang mit den in der Rechtsprechung des EGMR festgelegten Kriterien vorgenommen, so bedürfe es gewichtiger Gründe, damit der EGMR seine Auffassung an die Stelle der Auffassung der nationalen Gerichte setze. Auf den Streitfall bezogen ist der EGMR zu dem Ergebnis gelangt, dass der OGH Norwegen innerhalb des ihm eingeräumten Ermessensspielraums gehandelt habe, als er den Boykott für rechtswidrig erklärte. Denn Einschränkungen der Rechte nach Art. 11 EMRK können mit dem Schutz der Rechte Dritter nach dem EWR-Abkommen (Art. 31)26 gerechtfertigt werden. Nach Ansicht des EGMR hat der OGH Norwegen eine umfassende Bewertung des Konflikts zwischen dem Grundrecht auf Arbeitskampf und der wirtschaftlichen Grundfreiheit nach EWR-Recht vorgenommen und dabei im Rahmen seiner Abwägung den Boykott als Mittel angesehen, das eingesetzt wurde, um die Vorrangregelung zu erzwingen, mit dem Ziel, den Zugang anderer Marktteilnehmer zum Markt für Be- und Entladedienste zu beschränken. Da insoweit keine wesentlichen Aspekte der Gewerkschaftsfreiheit berührt wurden, durfte der OGH Norwegen vom Vorrang der Niederlassungsfreiheit nach dem EWR-Recht ausgehen. Die grundsätzliche Anerkennung von Boykottmaßnahmen als Mittel des Arbeitskampfes durch den EGMR entspricht der Rechtsprechung des BAG27, das Boykottmaßnahmen zu den rechtlich zulässigen Arbeitskampfmitteln zählt. Der Boykott und damit auch der Boykottaufruf gehöre neben Streik und Aussperrung zu den geschichtlich überkommenen Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Die von der Rechtsordnung gewährleistete Arbeitskampffreiheit, jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland, schließe Boykottmaßnahmen als Arbeitskampfmittel nicht aus. Allgemein werde der Boykott zu den rechtlich zulässigen Arbeitskampfmitteln gezählt.
26 Die Niederlassungsfreiheit umfasst die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen. 27 BAG v. 19.10.1976 – 1 AZR 611/75, NJW 1977, 318 Rz. 31: Die Klägerin stellte der Beklagten unter Fristsetzung für Tarifvertragsverhandlungen in Aussicht, die Schiffe der Beklagten nach dem 21. Juni nur schleppend oder gar nicht abzufertigen. Anschließend veranlasste ein Vertreter einer dänischen Gewerkschaft den Kranführer im Hafen von A Dänemark, die Beladung des MS der Beklagten einzustellen.
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Boykottaufruf als zulässige Maßnahme des Arbeitskampfes
Soweit das Recht der EU in Rede steht, enthält der AEUV in Art. 153 Abs. 5 den ausdrücklichen Hinweis, dass dieser Artikel nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht gilt. Demgegenüber wird in Art. 28 GRC ein Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen vorgesehen. Danach haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenskonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen einschließlich Streiks zu ergreifen. Der EuGH28 hat das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme, die von einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsverband gegen ein privates Unternehmen zu dem Zweck betrieben wird, einen Tarifvertrag zu erzwingen, als Grundrecht anerkannt, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist. Wie Art. 28 GRC zum Ausdruck bringt, wird dieses Grundrecht aber nach Ansicht des EuGH nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt, so dass seine Ausübung bestimmten Beschränkungen unterworfen sein kann. Zu diesen Beschränkungen gehört nach Ansicht des EuGH29 Art. 49 AEUV, der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit verbietet, wozu die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen gehören. Diese Regelung sei geeignet, einem Privatunternehmen Rechte zu verleihen, auf die es sich gegenüber einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsverband berufen könne. Kollektive Maßnahmen, die darauf abzielten, ein Privatunternehmen, dessen Sitz in einem bestimmten Mitgliedstaat liegt, zu veranlassen, einen Tarifvertrag mit einer in diesem Staat ansässigen Gewerkschaft zu schließen und die Klauseln dieses Tarifvertrags auf Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft des genannten Unternehmens, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sei, anzuwenden, stellten Beschränkungen i. S. d. Art. 49 AEUV dar. Im Lichte dieser Bewertung hat der EuGH eine kollektive Maßnahme, die darauf abzielte, Reeder daran zu hindern, die Registrierung eines Schiffes 28 EuGH v. 18.12.2007 – C341/05, NZA 2008, 159 – Laval: Baustellenblockade als Druckmittel zum Abschluss eines Bautarifvertrags gegen einen ausländischen Dienstleister; EuGH v. 11.12.2007 – C-438/05, NZA 2008, 124 – Viking: Kollektive Maßnahmen einer gewerkschaftlichen Organisation gegen ein Unternehmen, die darauf angelegt sind, das Unternehmen von der Registrierung eines Schiffes unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats abzubringen. 29 EuGH v. 11.12.2007 – C-438/05, NZA 2008, 124 – Viking.
575
Tarifrecht
unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats vorzunehmen, als geeignet angesehen, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Der EuGH will grundsätzlich Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nur erlauben, wenn sie durch einen zwingenden Grund des allgemeinen Interesses wie etwa den Arbeitnehmerschutz gerechtfertigt sein können. Diese Beschränkungen müssen zudem für das legitime Ziel geeignet sein und dem Grundsatz der der Verhältnismäßigkeit entsprechen. In gleicher Weise hat sich der EuGH30 im Hinblick auf das in Art. 56 AEUV statuierte Verbot der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten positioniert, wenn bei der Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat die in Art. 3 Abs. 1 Uabs. 1 lit. a bis i Richtlinie 96/71/EG in der Fassung der Richtlinie 2018/957/EU genannten Arbeitsbedingungen durch Rechtsvorschriften festgelegt sind. Unter dieses Verbot der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind nach Ansicht des EuGH kollektive Maßnahmen einer Gewerkschaft in Form einer Baustellenblockade einzuordnen, die einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister zwingen soll, mit ihr über die den entsandten Arbeitnehmern zu zahlende Lohnsätze zu verhandeln und einem Tarifvertrag beizutreten, der günstigere Klauseln als die einschlägigen Rechtsvorschriften enthält. Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind nur zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie verhältnismäßig sind. Dies gilt unabhängig davon, dass Art. 1 b Richtlinie 2018/957/EU zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG vorsieht, dass die Entsenderichtlinie in keiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten und auf Unionsebene anerkannten Grundrechte einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik oder zur Durchführung anderer Maßnahmen berührt, die im Rahmen der jeweiligen Systeme der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitsbeziehungen nach ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder ihren nationalen Gepflogenheiten vorgesehen sind. (Boe)
30 EuGH v. 18.12.2007 – C-341/05, NZA 2008, 159 – Laval: Baustellenblockade und Blockade aller laufenden Elektrikerarbeiten.
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Abschluss einer Betriebsvereinbarung ohne Beschlussfassung des Betriebsrats
Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) und gestalten wesentliche Arbeitsbedingungen im Betrieb. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat müssen sich gleichermaßen darauf verlassen, dass die Rechte und Pflichten, die mit entsprechenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verbunden sind, in wirksamer Weise begründet werden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die formellen Voraussetzungen, die an den Abschluss einer Betriebsvereinbarung geknüpft sind. Schließlich werden mit Betriebsvereinbarungen nicht nur organisatorische Rechtsfragen geregelt. Mit einer Betriebs-, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung können auch Anspruchsgrundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten geschaffen und wesentliche wirtschaftliche Verpflichtungen des Unternehmens begründet, beendet oder angepasst werden. Beispielhaft sei hier nur auf die betriebliche Altersversorgung verwiesen. Problematisch für die betriebliche Praxis ist, dass im Gesetz nur ein Teil der insoweit maßgeblichen Voraussetzungen für die formelle Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung genannt wird. Insofern bestimmt § 77 Abs. 2 BetrVG, dass Betriebsvereinbarungen von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen sind. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen, soweit sie nicht auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126 a Abs. 2 BGB dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Soweit der Arbeitgeber im Anschluss daran verpflichtet ist, die Betriebsvereinbarung an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, liegt darin keine Wirksamkeitsvoraussetzung1. In seinem Urteil vom 8.2.20222 hat das BAG noch einmal deutlich gemacht, dass die bloße Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden unter einer Betriebsvereinbarung allein nicht genüge, um die formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu erfüllen. Denn der Vorsitzende des Betriebsrats, im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter, vertritt den Betriebsrat nur im Rahmen der durch den Betriebsrat gefassten Beschlüsse (§ 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG). 1 2
BAG v. 18.3.2014 – 1 AZR 807/12, NZA 2014, 736 Rz. 21. BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 23 ff.; hierzu auch Kleinebrink, ArbRB 2022, 304.
577
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob eine im Betrieb bestehende Betriebsvereinbarung zur analytischen Arbeitsbewertung, die die Basis für Eingruppierungen der Mitarbeiter bildete, durch eine Betriebsvereinbarung zur summarischen Arbeitsbewertung ersetzt worden war, auf deren Grundlage der Kläger eine niedrigere Vergütung erhalten sollte. Der Kläger machte geltend, dass die neue Betriebsvereinbarung unwirksam sei und daher keine ablösende Wirkung haben könne. Denn der Betriebsrat habe nicht wirksam beschlossen, diese Betriebsvereinbarung abzuschließen. Die Annahme einer Anscheinsvollmacht sei abzulehnen. Das BAG ist der Sichtweise des Klägers gefolgt und hat noch einmal bestätigt, dass ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss keine wirksame Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden könne. In seinen weitergehenden Feststellungen stellt der 1. Senat des BAG klar, dass der Betriebsrat als Kollegialorgan handele. Er bilde seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 BetrVG). Eine nicht von einem solchen Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden sei (schwebend) unwirksam und könne daher keine Rechtswirkungen entfalten3. Entgegen der im Schrifttum vertretenen Auffassung4 könne eine ohne einen entsprechenden Beschluss vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung dem Betriebsrat auch nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden5. Nach Auffassung des BAG folgt dies insbesondere aus der gesetzlichen Grundkonzeption, wie sie auch in § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG zum Ausdruck komme. Danach erfolge durch den Vorsitzenden im Gegensatz zu einem rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertreter keine Vertretung im Willen, sondern lediglich in der Erklärung. Eine Entscheidungsbefugnis aus eigenem Recht habe der Vorsitzende lediglich in den ihm durch Gesetz ausdrücklich zugewiesenen Fällen. Da Betriebsvereinbarungen einen kollektives und objektives Recht setzenden Normenvertrag von Betriebsparteien darstellten, sei auch eine entsprechende Anwendung der im Rahmen der Anscheinsvollmacht entwickelten Grundsätze bei einem Abschluss von Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen6.
3 4 5 6
BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 24; BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 19/13, NZA 2015, 368 Rz. 15. Vgl. nur Fitting, BetrVG § 26 Rz. 32 ff.; Richardi/Thüsing, BetrVG § 26 Rz. 51; B. Gaul/Brungs, ArbRB 2019, 47. BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 24; DKW/Wedde, BetrVG § 26 Rz. 22; WPK/Kreft, BetrVG § 26 Rz. 18. BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 28 ff.
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Abschluss einer Betriebsvereinbarung ohne Beschlussfassung des Betriebsrats
Bedauerlicherweise lehnt es das BAG ab, die zur Anhörung nach § 102 BetrVG entwickelte Sphärentheorie auf die Konstellation des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zu übertragen7. Nach der Sphärentheorie wirken sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG grundsätzlich nicht zu Lasten des Arbeitgebers aus8. Dies beruhe – so das BAG – maßgeblich auf der Überlegung, dass § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG bei einer Entscheidung des Betriebsrats, sich nicht zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers zu äußern, dessen Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung fingiere. Ein solcher Rechtsnachteil solle den Arbeitnehmer erst recht treffen, wenn der Betriebsrat zwar eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung übermittelt, diese jedoch in einem fehlerhaften Verfahren zustande gekommen sei9. Für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen sehe das Gesetz eine Zustimmungsfiktion zum Nachteil der Arbeitnehmer indes nicht vor. Schon deshalb müssten für das Zustandekommen von Betriebsvereinbarungen andere Maßstäbe als für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG gelten. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde10, überzeugt diese Sichtweise nicht. Sie ist schlussendlich auch nicht konsistent. Denn das BAG hält die Sphärentheorie auch im Rahmen von § 17 KSchG für maßgeblich11. Dort gibt es aber keine Zustimmungsfiktion wie in § 102 BetrVG. Vielmehr setzt die Wirksamkeit einer Massenentlassung voraus, dass der Betriebsrat – insoweit vertreten durch den Vorsitzenden – auf der Grundlage der ihm gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG übermittelten Information insbesondere über die Möglichkeit berät, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Das Gesetz unterstellt also aktives Tun. Darüber hinaus obliegt es dem Betriebsrat, eine Stellungnahme zu den Entlassungen zu erstatten. Ohne diese Stellungnahme, bei der der Betriebsrat wiederum auf der Grundlage eines Beschlusses durch den Vorsitzenden vertreten wird, ist die Massenentlassungsanzeige unwirksam12. Schlussendlich wird sich die betriebliche Praxis auf die Sichtweise des BAG einstellen müssen. Das hat zur Folge, dass insbesondere dort, wo Betriebsvereinbarungen in Rede stehen, die für das Unternehmen eine besondere Bedeutung haben, die wirksame Beschlussfassung durch den BetriebsA. A. B. Gaul/Brungs, ArbRB 2019, 47, 49. So BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990 Rz. 21. BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 31; BAG v. 23.8.1984 – 2 AZR 391/83, NZA 1985, 254. 10 B. Gaul/Brungs, ArbRB 2019, 47, 49. 11 Vgl. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175 Rz. 60. 12 BAG v. 21.5.1970 – 2 AZR 294/69, BB 1970, 1302. 7 8 9
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
rat überprüft und ggf. im Wege einer Genehmigung nachgeholt werden muss. Dies gilt vor allem im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, dürfte aber auch bei Regelungen zur Compliance, zur Datenverarbeitung oder bei Vereinbarungen im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung relevant sein. Schließlich betrifft das Erfordernis eines wirksamen Beschlusses des Betriebsrats auch Interessenausgleich und Sozialplan. In diesem Zusammenhang sind zwei Klarstellungen des BAG wichtig. Zum einen weist das BAG darauf hin, dass die vom Betriebsrat beschlossene Genehmigung entsprechend § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung zurückwirke13. Die Rückbeziehung der Genehmigungswirkung habe zur Folge, dass die vom Betriebsratsvorsitzenden ohne vorherigen Beschluss des Gremiums unterschriebene Betriebsvereinbarung so zu behandeln sei, als sei sie bereits bei ihrem Abschluss wirksam geworden. Dies begegne auch im Hinblick auf § 75 BetrVG keinerlei Bedenken. Zwar sei eine Rückwirkung normativer Regelungen durch das Vertrauensschutzprinzip beschränkt. Wegen der normativen Vorgaben in § 184 Abs. 1 BGB müssten allerdings regelmäßig nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer des Betriebs mit einer solchen Wirkungsweise der vom Betriebsrat erteilten Genehmigung rechnen14. Die Befugnis des Betriebsrats, eine in seinem Namen durch den Vorsitzenden geschlossene Betriebsvereinbarung im Nachhinein zu genehmigen, sei nach dem Rechtsgedanken des § 177 Abs. 1 BGB auch nicht befristet. Die Genehmigung könne in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich unbegrenzt erteilt werden. Der diesbezügliche Schwebezustand könne durch den Arbeitgeber indes dadurch beendet werden, dass er seine Willenserklärung entsprechend § 178 S. 1 BGB widerrufe oder den Betriebsrat entsprechend § 177 Abs. 2 S. 2 BGB erfolglos auffordere, sich zur Genehmigung zu erklären15. Zum anderen hat das BAG in seinem Urteil vom 8.2.202216 darauf hingewiesen, dass das BetrVG dem Arbeitgeber Handlungsmöglichkeiten eröffne, die sicherstellten, dass er zeitnah Kenntnis davon erlangen könne, ob ein auf den Abschluss einer konkreten Betriebsvereinbarung bezogener Beschluss des Betriebsrats gefasst worden sei. So ermöglichten bereits die Regelungen in §§ 29 Abs. 3, 4, 34 Abs. 2 S. 1 BetrVG dem Arbeitgeber, im Vorfeld des 13 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 33. 14 Ebenso Fitting, BetrVG § 77 Rz. 30; Tillmanns, FS 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht S. 745, 753. 15 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 33; BAG v. 17.11.2010 – 7 ABR 120/09, NZA-RR 2011, 415 Rz. 37. 16 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 34 ff.
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Abschluss einer Betriebsvereinbarung ohne Beschlussfassung des Betriebsrats
Abschlusses einer Betriebsvereinbarung die erforderliche Beschlussfassung des Betriebsrats zu veranlassen und sich diese durch Aushändigung einer Abschrift der Sitzungsniederschrift nachweisen zu lassen. Denn der Arbeitgeber könne die Anberaumung einer Sitzung des Betriebsrats zu einem von ihm verlangten Gegenstand beantragen und die betreffende Angelegenheit auf die Tagesordnung setzen lassen. Auf diese Weise könne er einen aussagekräftigen Nachweis über einen (etwaigen) Beschluss des Betriebsrats in dieser Angelegenheit schon vor dem Abschluss der Betriebsvereinbarung erhalten. Schließlich sei er auch berechtigt, an den Sitzungen des Betriebsrats, die auf sein Verlangen anberaumt wurden, teilzunehmen. Lediglich an der Beschlussfassung selbst ist eine Teilnahme ausgeschlossen. Unabhängig davon ist der Betriebsrat im Fall des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine den inhaltlichen und formellen Maßgaben des § 34 Abs. 2 S. 1 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Betriebsrats ergibt, die für die Wirksamkeit der vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung erforderlich ist. Dies folgt – so das BAG – aus §§ 2 Abs. 1, 77 Abs. 1 BetrVG. Gerade weil sich die Wirkung einer Betriebsvereinbarung nicht darauf beschränke, das zwischen den Betriebsparteien bestehende Rechtsverhältnis zu gestalten, sondern mit ihr nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG auch betriebliches Recht gesetzt werde, habe der Arbeitgeber als zur Umsetzung verpflichtete Betriebspartei ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse zu wissen, ob eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung auf einem vom Gremium getroffenen Beschluss beruhe. Da die Beschlussfassung des Betriebsrats regelmäßig nicht Gegenstand der Wahrnehmung klagender Arbeitnehmer sei, könnten sie das Vorhandensein eines Beschlusses nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen im Übrigen mit Nichtwissen bestreiten. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber sei dann – ggf. auch noch Jahrzehnte nach dem Abschluss der Betriebsvereinbarung – gehalten, hierzu nähere Angaben zu machen, obwohl er seinerseits keine genaueren Kenntnisse über die Beschlussfassung des Betriebsrats habe und sie sich ggf. infolge des Zeitablaufs oder einer wechselnden personellen Zusammensetzung des Betriebsrats auch nicht mehr ohne Weiteres verschaffen könne17. Ein solcher Nachweis ist vom Betriebsrat allerdings nur auf Verlangen des Arbeitgebers und zeitnah nach Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung durch dessen Vorsitzenden zu erbringen. Der Betriebsrat müsse seine Auto17 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 42.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
risierung zum Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht von sich aus nachweisen. Außerdem müsse die Geltendmachung des Auskunftsverlangens durch den Arbeitgeber zeitnah nach Abschluss der Betriebsvereinbarung erfolgen. Auf ein solches Verlangen des Arbeitgebers habe der Betriebsrat dem Arbeitgeber sodann eine – den Maßgaben des § 34 Abs. 2 S. 1 BetrVG entsprechende – Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift zu überlassen, aus dem sich die Beschlussfassung über den Abschluss der Betriebsvereinbarung ergebe. Die bloße Vorlage einer Abschrift entsprechend dem sich aus § 172 Abs. 1 BGB ergebenden Rechtsgedanken genüge im Hinblick auf § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG nicht. Aus der weitergehenden Abschrift ergäben sich neben dem Umstand einer Beschlussfassung und ihrem Zeitpunkt auch das Stimmverhältnis. Zudem könne der Abschrift oder einer zu überlassenden Anwesenheitsliste entnommen werden, welche Betriebsratsmitglieder bei der Beschlussfassung anwesend gewesen seien und dass der Betriebsrat damit beschlussfähig gewesen sei. Bei der Vorlage einer entsprechenden Dokumentation könne ein Arbeitnehmer, der die Wirkung einer Betriebsvereinbarung infrage stellt, das Vorhandensein eines mehrheitlichen Beschlusses einschließlich der Beschlussfähigkeit des Betriebsrats zumindest nicht mehr pauschal mit Nichtwissen bestreiten. Vielmehr müsse er dann konkret angeben, welche der mit dieser Abschrift vorgetragenen Tatsachen er in Abrede stellen wolle18. Der entsprechende Nachweis kann nach Auffassung des BAG durch den Betriebsrat auch ohne Weiteres erbracht werden, weil der Betriebsrat nach § 34 Abs. 1 S. 1 BetrVG ohnehin gehalten sei, über jede seiner Sitzungen eine Niederschrift anzufertigen, die mindestens den Wortlaut der Beschlüsse und die betreffende Stimmenmehrheit der Beschlussfassung enthalte. Zwar hänge die Wirksamkeit eines Beschlusses regelmäßig nicht von seiner Aufnahme in das Sitzungsprotokoll ab, weil die Niederschrift nicht Teil der Beschlussfassung selbst sei. Ihre Anfertigung sei für die Wirksamkeit eines in der Betriebsratssitzung gefassten Beschlusses vielmehr nur dann erforderlich, wenn er aufgrund gesetzlicher Vorgaben der Schriftform bedürfe. Jedoch bilde eine ordnungsgemäße Niederschrift den gesetzlich vorgesehenen und damit wichtigsten Nachweis für die Tatsache einer Beschlussfassung durch den Betriebsrat19.
18 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 44 f. 19 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 47; BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 39 ff.
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Zustimmungsverweigerung: Nachweis einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats
Es bleibt abzuwarten, ob die betriebliche Praxis tatsächlich von diesen Befugnissen Gebrauch machen wird. Anzuraten ist ihr dies jedenfalls bei den wirtschaftlich relevanten Betriebsvereinbarungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Das gleiche dürfte für Regelungen einer Konzernbetriebsvereinbarung gelten, wenn damit eine unternehmensübergreifende Verarbeitung personenbezogener Daten gerechtfertigt werden soll. Zu erwarten ist aber, dass entsprechende Auskunftsverlangen der Arbeitgeberseite, insbesondere in einer im Übrigen sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, als – durchaus überraschendes – Zeichen des Misstrauens bewertet werden dürften. Hier sollte einfach auf die neue Rechtsprechung verwiesen und der Unmut hingenommen werden, wenn man sich vor Augen führt, dass die Risiken einer unwirksamen Beschlussfassung ggf. erst nach Jahrzehnten erkennbar werden und dann zu wirtschaftlichen Belastungen führen, die nicht durch Rückstellungen gedeckt sind. Im Bereich der Datenverarbeitung sind darüber hinaus Schadensersatzzahlungen denkbar, wenn eine Konzernbetriebsvereinbarung unwirksam ist und damit als Grundlage für den Datentransfer entfällt. (Ga)
2.
Zustimmungsverweigerung: Nachweis einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats
Mit Blick auf die Entscheidung des BAG vom 8.2.202220 hatten wir uns vorstehend bereits mit dem Fall befasst, dass der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht nur einen entsprechenden Beschluss des Betriebsrats legitimiert ist21. In diesem Zusammenhang ist auch der Beschluss des BAG vom 30.9.201422 zu berücksichtigen. Danach kommt der Niederschrift einer Betriebsratssitzung ein hoher Beweiswert zu, der auch bei der nach § 286 Abs. 1 ZPO gebotenen Würdigung der darin protokollierten Beschlussfassung des Betriebsrats zu berücksichtigen sei. Werde aus der Sitzungsniederschrift die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats ersichtlich, bedürfe es daher im Regelfall keiner weitergehenden Darlegungen oder einer darauf gerichteten Beweisaufnahme. Vielmehr obliege es dem Arbeitgeber, die Beweiswerte der Niederschrift zu erschüttern oder unter Beweisantritt einen für die Führung des Gegenbeweises über das (Nicht-)Vorliegen eines Betriebsratsbeschlusses geeigneten Vortrag zu halten23.
20 21 22 23
BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984. B. Gaul, AktuellAR 2022, 577 ff. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370. BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 45.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Nur Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses als wesentlich anzusehen seien, führten – so das BAG – allerdings zu dessen Unwirksamkeit. Hiervon ausgehend bewirke nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend sei, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden könne. Daran anknüpfend bewertet das BAG die Beachtung des Gebots der Nichtöffentlichkeit von Betriebsratssitzungen (heute: § 30 Abs. 1 S. 4 BetrVG) grundsätzlich als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses. Ein wesentlicher Verstoß gegen die gesetzliche Vorgabe, der zur Unwirksamkeit des gefassten Beschlusses führe, käme indes nur in Betracht, wenn zumindest ein Betriebsratsmitglied vor der Behandlung eines Tagesordnungspunkts die Anwesenheit einer nichtteilnahmeberechtigten Person ausdrücklich beanstandet habe und diese anwesend bleibe24. Diese Entscheidung, an der das BAG auch im Urteil vom 8.2.202225 festgehalten hat, hat für die betriebliche Praxis erhebliche Bedeutung. Denn sie macht deutlich, dass – trotz der damit verbundenen Ungewissheit – einzelfallbezogen geprüft werden muss, ob etwaige Fehler im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung einer Beschlussfassung des Betriebsrats tatsächlich die Unwirksamkeit des Beschlusses zur Folge haben. (Ga)
3.
Beteiligung eines Gemeinschaftsbetriebs am Gesamtbetriebsrat
Mit seinem Beschluss vom 1.6.202226 hat das BAG noch einmal bestätigt, dass auch der in einem Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat bei der Errichtung eines Gesamtbetriebsrats zu beteiligen ist. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrat, der außerhalb der Gestaltungsmöglichkeiten in § 3 Abs. 1 Nrn. 2, 3 BetrVG nicht gebildet werden kann. Vielmehr handelt es sich um den Gesamtbetriebsrat eines der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen, sofern dort auch andere (Gemeinschafts-)Betriebe bestehen.
24 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, NZA 2015, 370 Rz. 51. 25 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984. 26 BAG v. 1.6.2022 – 7 ABR 41/20 n. v. (Rz. 31 ff., 35 ff.).
584
Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice
Unabhängig davon ist der Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs indes nicht verpflichtet, jeweils nur unternehmensangehörige Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat der Trägerunternehmen zu entsenden. In Übereinstimmung mit seinen entsprechenden Feststellungen zum Konzernbetriebsrat27 hat der 7. Senat des BAG auch darauf noch einmal hingewiesen. Die Interessen der in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer würden von allen Mitgliedern des im Gemeinschaftsbetrieb gewählten Betriebsrats – unabhängig von ihrer Unternehmenszugehörigkeit – vertreten. Insofern könne auch § 47 Abs. 2 BetrVG nicht entnommen werden, dass die aus einem Gemeinschaftsbetrieb in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder auch in einem Arbeitsverhältnis zum Trägerunternehmen, bei dem der Gesamtbetriebsrat errichtet sei, stehen müssten. Die Mitgliedschaft eines unternehmensfremden Betriebsratsmitglieds im Gesamtbetriebsrat eines der Trägerunternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs verbiete sich – so das BAG – auch nicht aus daten- oder geheimnisschutzrechtlichen Gründen. Die entsprechenden Pflichten für (Gesamt-)Betriebsratsmitglieder nach §§ 79, 79 a BetrVG würden auch insoweit uneingeschränkt gelten28. (Ga)
4.
Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice
a)
Allgemeine Auswirkungen der Freistellung
Gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied unter Fortzahlung seines Arbeitsentgelts von der Pflicht zur Arbeitsleistung zu befreien, wenn und soweit dies nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Obwohl es die Formulierung des Gesetzes nahelegt, ist die Arbeitsbefreiung nicht von einem Gestaltungsakt des Arbeitgebers abhängig; seine Zustimmung ist nicht erforderlich29. Nach der bisherigen Sichtweise hatte dies dennoch nicht zur Folge, dass mit der Befreiung von der Arbeitspflicht zugleich auch eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht im Betrieb verbunden war. Vielmehr war zu verlangen, dass sich das Betriebsratsmitglied grundsätzlich weiterhin im Betrieb aufhält, um betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben nachzugehen30.
27 28 29 30
Vgl. BAG v. 29.7.2020 – 7 ABR 27/19, NZA-RR 2020, 641Rz. 55. BAG v. 1.6.2022 – 7 ABR 41/20 n. v. (Rz. 47). BAG v. 29.6.2011 − 7 ABR 135/09, NZA 2012, 47 Rz. 19. Vgl. BAG v. 13.6.2007 − 7 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 13 ff.
585
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
War das Betriebsratsmitglied nicht vollständig freigestellt (§ 38 Abs. 1 S. 3 BetrVG), so war die Befreiung von der Arbeitspflicht zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben nach der Rechtsprechung an die Voraussetzung geknüpft, dass sich das Betriebsratsmitglied beim Verlassen seines Arbeitsplatzes abmeldete und bei seiner Rückkehr wieder anmeldete. Die An- und Abmeldepflicht diente insofern dazu, den Arbeitgeber in die Lage zu versetzen, die betrieblich notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung des Befreiungsanspruchs sowie des störungsfreien Betriebsablaufs ergreifen und koordinieren zu können, was insbesondere die Arbeitseinteilung und die Überbrückung des Arbeitsausfalls des zu befreienden Betriebsratsmitglieds betrifft31. Um diesen Zweck zu erfüllen, genügte es, wenn das Betriebsratsmitglied bei der Abmeldung den Ort und die voraussichtliche Dauer der Betriebsratstätigkeit sowie die Wiederaufnahme der arbeitsvertraglichen Tätigkeit mitteilte. Aufgrund dieser Mindestangaben war der Arbeitgeber imstande, die Arbeitsabläufe in geeigneter Weise zu organisieren und Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Angaben zum Inhalt oder zur Art der geplanten Betriebsratstätigkeit waren nicht erforderlich, da diese Informationen dem Arbeitgeber keine besseren Koordinierungsmöglichkeiten eröffneten32.
b)
Betriebsratstätigkeiten in „New Work“
Mit Blick auf die stetig fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt sowie die damit einhergehenden neuen Arbeitskonzepte („New Work“), die insbesondere im Zusammenhang mit den grundlegenden Veränderungen seit der Corona-Pandemie in vielen Unternehmen eingeführt worden sind, wird man diese Grundsätze und Erwägungsgründe kritisch hinterfragen müssen. Denn es dürfte unstreitig sein, dass ein Arbeitnehmer, der zugleich Mitglied des Betriebsrats ist, nur dann und insoweit im Betrieb anwesend sein muss, wie diese Anwesenheit auch ohne die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben erforderlich wäre, falls nicht die Betriebsratsarbeit selbst eine Anwesenheit im Betrieb erforderlich macht33. Andernfalls dürfte darin eine Benachteiligung liegen, die nicht mit § 78 S. 2 BetrVG vereinbar wäre. Wenn man sich diesen Grundsatz vor Augen führt, dürfte die Einführung der Befugnis zu mobiler Arbeit auch den Arbeitsort der Betriebsratsmitglieder
31 BAG v. 29.6.2011 − 7 ABR 135/09, NZA 2012, 47 Rz. 21; BAG v. 15.3.1995 – 7 AZR 643/94 n. v. (Rz. 24); BAG v. 15.7.1992 – 7 AZR 466/91 n. v. (Rz. 26). 32 BAG v. 29.6.2011 − 7 ABR 135/09, NZA 2012, 47 Rz. 21; BAG v. 15.3.1995 – 7 AZR 643/94 n. v. (Rz. 24). 33 Vgl. BAG v. 13.6.2007 – 7 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 13 ff.
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Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice
bei Ausübung ihres Amts beeinflussen. Denn die bei mobiler Arbeit bestehende räumliche Distanz zum Betrieb kann in der Regel durch technische Kommunikationsmittel (Telefon- oder Videokommunikation, E-Mail) überbrückt werden, so dass Betriebsratstätigkeiten in vielen Fällen weiterhin sinnvoll und effektiv ausgeübt werden können34. Dies gilt nicht nur für die Bearbeitung von betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben, die alleine erfolgen, sondern auch im Hinblick auf die Kommunikation mit anderen Betriebsratsmitgliedern, den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber. Dafür spricht auch § 30 Abs. 2 BetrVG, der es dem einzelnen Betriebsratsmitglied unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt, per Video oder Telefon an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen. Damit sollen die Betriebsratsmitglieder in die Lage versetzt werden, die Betriebsratsarbeit sachgerecht und dem fortgeschrittenen Stand der Digitalisierung entsprechend wahrzunehmen35. Das betrifft die Arbeit im Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsrat gleichermaßen.
c)
Voraussetzungen und Schranken der Arbeit des Betriebsratsmitgliedes im Homeoffice
Hiervon ausgehend kann ein Betriebsratsmitglied betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben nicht nur dann außerhalb des Betriebs wahrnehmen, wenn sich dies aus der Natur der Betriebsratsarbeit ergibt. Vielmehr wird man davon ausgehen können, dass das Betriebsratsmitglied seine Arbeit auch dann mobil – insbesondere im Homeoffice – erledigen kann, • wenn das Betriebsratsmitglied ohne die Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung das Recht hätte, seine arbeitsvertraglichen Aufgaben im Rahmen mobiler Arbeit zu erledigen, • wenn die Erreichbarkeit des Betriebsratsmitglieds für den Arbeitgeber, die übrigen Betriebsratsmitglieder und die Belegschaft des Betriebs gewährleistet ist36, • wenn – ggf. mit einer Ankündigungs- oder Abstimmungsfrist – Präsenztermine des Betriebsrats oder Termine zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber bzw. einzelnen Arbeitnehmern weiterhin möglich sind; solche Präsenzerfordernisse können sich beispielsweise aus einer Aufforderung des Arbeitgebers, dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) oder aus der Geschäftsordnung des Betriebsrats ergeben, wenn diese z. B. unter be34 Vgl. LAG Hessen v. 8.2.2021 – 16 TaBV 7/21, NZA-RR 2022, 24 Rz. 25. 35 BR-Drucks. 271/21 S. 2. 36 Vgl. BAG v. 27.11.2002 – 7 ABR 45/01 n. v. (Rz. 20 f.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
stimmten Voraussetzungen eine Betriebsratssitzung nur als Präsenztermin gestattet, und • wenn Aufgaben des Betriebsrats, welche an die Anwesenheit im Betrieb geknüpft sind, nicht vernachlässigt werden; dabei dürften objektive Kriterien (z. B. Durchführung einer Betriebsbegehung zum Zwecke des Arbeitsschutzes) ebenso wie Prioritäten des Betriebsrats gleichermaßen zu berücksichtigen sein.
Die vorstehenden Grundsätze zeigen, dass in der Praxis durchaus Fallgestaltungen denkbar sind, in denen die mobile Betriebsratsarbeit an ihre praktischen und rechtlichen Grenzen stoßen dürfte. Auf praktischer Ebene sei insofern an klassische Produktionsbetriebe zu denken, in denen – aufgrund oftmals fehlender Erforderlichkeit zur Ausübung der geschuldeten Tätigkeit – nicht jedem Arbeitnehmer die notwendigen technischen Mittel für eine Kommunikation mit dem Betriebsrat vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden ((Mobil-)Telefon, Computer, E-Mail-Adresse, Zugangsdaten usw.). Hier dürfte die mobile Arbeit des Betriebsratsmitglieds im Zweifel auch daran scheitern, dass es bei einer Verrichtung der arbeitsvertraglichen Tätigkeit als Arbeitnehmer der Produktion gar nicht berechtigt wäre, im Homeoffice zu arbeiten. In diesem Fall wird man aus § 78 S. 2 BetrVG eine Schranke für die Arbeit im Homeoffice ableiten müssen. Denn in der Zulässigkeit einer Verrichtung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben im Homeoffice läge eine Begünstigung der Betriebsratsmitglieder gegenüber den übrigen Arbeitnehmern der Produktion, die nicht im Homeoffice arbeiten können. Im Übrigen ist auf rechtlicher Ebene an die betriebsverfassungsrechtlichen Überwachungspflichten des Betriebsrats zu denken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat die Aufgabe hat, darüber zu wachen, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Dass eine solche Überwachung zumindest die regelmäßige Anwesenheit im Betrieb selbst erfordert, liegt auf der Hand und wurde durch die Pandemie noch einmal verdeutlicht (Überprüfung der Einhaltung der Maskenpflicht, Abstandregelungen usw.). Der Umstand, dass diese Überwachungspflichten nur die Betriebsratsmitglieder treffen, d. h. für einen „normalen“ Arbeitnehmer hieraus kein Anlass für eine regelmäßige Anwesenheit „vor Ort“ folgt, steht dem nicht entgegen. Insbesondere liegt hierin keine unzulässige Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds nach § 78 S. 2 BetrVG. Denn eine Ungleichbehandlung, die aufgrund von Gesetzen vorgesehen ist (hier: § 37 Abs. 1 BetrVG), stellt keine unzulässige Benachteiligung i. S. d. § 78 S. 2 BetrVG dar. Das 588
Das Betriebsratsmitglied im Homeoffice
hat das BAG im Zusammenhang mit besonderen Leistungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Betriebsratsmitglied deutlich gemacht37.
d)
Reaktionsmöglichkeiten bei unzulässiger Arbeit im Homeoffice
Fraglich ist jedoch, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich bestehenden Anspruch auf mobile Betriebsratsarbeit und der aus den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten resultierenden Notwendigkeit der regelmäßigen Anwesenheit im Betrieb aufzulösen ist und welche Maßnahmen bei einem Verstoß in Betracht kommen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Anwesenheitspflicht nicht aus den arbeitsvertraglichen, sondern vielmehr ausschließlich aus den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten resultiert. Sanktionen auf individualrechtlicher Ebene, insbesondere eine Abmahnung wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, scheiden daher aus. Auch kann der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht im Rahmen der Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 GewO anweisen, die Betriebsratstätigkeit im Betrieb selbst auszuüben. Denn das Weisungsrecht betrifft nur die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, nicht jedoch die (ehrenamtliche) Betriebsratstätigkeit. Dabei üben die Betriebsratsmitglieder ihr Amt weisungsfrei aus38. Sanktionen kommen somit nur auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene in Betracht. Geht man trotz der Umstrittenheit in der Instanzrechtsprechung39 mit der hier vertretenen Ansicht insoweit aber von der Zulässigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung wegen Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten aus, so dürfte diese im Regelfall das Mittel der Wahl sein. Dabei ist jedoch zu beachten, dass strikt zwischen der Verletzung arbeitsvertraglicher und betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten zu differenzieren ist, so dass die Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen (insbesondere die Kündigung des Arbeitsverhältnisses) im Rahmen einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung gleichermaßen zu unterlassen ist wie die Aufnahme der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung in die Personalakte40. 37 BAG v. 28.9.2016 – 7 AZR 248/14, NZA 2017, 335 Rz. 45. 38 BAG v. 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, DB 1983, 2419 Rz. 27. 39 Befürwortend ArbG Solingen v. 18.2.2016 – 3 BV 15/15 n. v. (Rz. 44 ff.); ArbG Berlin v. 10.1.2007 – 76 BV 16593/06 n. v. (Rz. 16); ArbG Hildesheim v. 1.3.1996 – 1 BV 10/95 n. v.; abl. ArbG Stuttgart v. 30.4.2019 – 4 BV 251/18 n. v. (Rz. 26); umfassend zum Meinungsstand in der Instanzrechtsprechung LAG Bremen v. 2.7.2013 – 1 TaBV 35/12 n. v. (Rz. 72). 40 BAG v. 9.9.2015 – 7 ABR 69/13, NZA 2016, 57 Rz. 38 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Schon der Ausspruch einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung dürfte freilich auf seltene Ausreißer beschränkt sein, in denen die Arbeit des Betriebsratsmitglieds im Homeoffice als offenkundige Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten zu bewerten ist, weil diese nur in Präsenz erledigt werden können. Diese Zurückhaltung gilt natürlich erst recht für § 23 Abs. 1 BetrVG. Ein über die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung hinausgehender Antrag nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG auf Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten dürfte daher nur im Ausnahmefall in Betracht kommen. Das gilt schon wegen der darin liegenden Belastung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und auch mit Blick auf die Anforderungen aus § 23 Abs. 1 BetrVG. Zwar stellt die Nichtausübung bzw. Verweigerung der Ausübung von gesetzlich vorgegebenen Betriebsratstätigkeiten eine Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten dar41. Erforderlich ist jedoch, dass diese Pflichtverletzung auch „grob“ i. S. d. § 21 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist, wovon nur dann ausgegangen werden kann, wenn sie objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend gegen den Zweck des Gesetzes verstößt42. Dies dürfte in der Regel erst dann in Betracht kommen, wenn die Überwachungspflichten gar nicht mehr oder zumindest über einen längeren Zeitraum nicht wahrgenommen werden.
e)
Fortbestand der An- und Abmeldepflichten des Betriebsratsmitglieds
Auswirkungen auf die An- und Abmeldepflichten dürfte die Anerkennung der mobilen Betriebsratsarbeit nicht haben. Auch wenn die übrigen Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, keine entsprechenden Pflichten treffen, erscheint gerechtfertigt, an der Pflicht zur An- und Abmeldung bei der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben für die Verlagerung von Betriebsratsarbeit in das Homeoffice festzuhalten. Denn schlussendlich dient diese Meldepflicht nicht dazu, den Aufenthaltsort festzustellen. Vielmehr soll der Arbeitgeber – wie voranstehend dargestellt – in die Lage versetzt werden, zum einen zu erkennen, dass ein Betriebsratsmitglied wegen der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben von der Verpflichtung, arbeitsvertragliche Aufgaben zu erfüllen, vorübergehend freigestellt ist, und zum anderen rechtzeitig hierauf reagieren zu können.
41 LAG München v. 17.1.2017 – 6 TaBV 97/16 n. v. (Rz. 42); ArbG Halle v. 25.1.2013 – 9 BV 50/12, NZA-RR 2013, 361. 42 BAG v. 22.6.1993 – 1 ABR 62/92 n. v. (Rz. 53).
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Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats
Wenn das Betriebsratsmitglied als Folge der (teilweisen) Verlagerung seiner Betriebsratsarbeit in das Homeoffice den Betrieb an einem Tag nur noch aufsucht, um dort betriebsverfassungsrechtliche Pflichten zu erfüllen, löst dies allerdings keinen Erstattungsanspruch in Bezug auf die Fahrtkosten aus. Die Fahrtzeit und die Fahrtkosten gehören zur Wegezeit, die durch den Arbeitgeber weder bezahlt noch hinsichtlich der Kosten mit einem Aufwendungsersatz verbunden werden muss43. (Ga/Ro)
5.
Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats
Angesichts der zunehmenden Inanspruchnahme von Unternehmen auf Schadensersatz wegen der Verletzung datenschutzrechtlicher Pflichten, die wir an anderer Stelle bereits behandelt haben44, sei noch einmal auf § 79 a BetrVG hingewiesen. Darin wird nicht nur klargestellt, dass der Betriebsrat die Vorschriften über den Datenschutz einhalten muss, wenn er personenbezogene Daten verarbeitet. Das ist eine Verpflichtung, die sich schon in der Vergangenheit aus § 75 Abs. 2 BetrVG ableiten ließ. Entscheidend für die hier in Rede stehende Frage ist der Umstand, dass mit der gesetzlichen Neuregelung klargestellt wird, dass der Arbeitgeber verantwortliche Stelle im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist, soweit der Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben personenbezogene Daten verarbeitet. Entgegen der zum Teil vertretenen Auffassung45 ist von der unionsrechtlichen Zulässigkeit der entsprechenden Zuordnung auszugehen46. Sie ist für den Betriebs- und den Gesamtbetriebsrat auch in dieser Form ausreichend; beim Konzernbetriebsrat wird man im Wege einer ergänzenden Auslegung von § 79 a BetrVG eine Zuordnung zur Konzernobergesellschaft als verantwortliche Stelle vornehmen müssen47. Grundlage für die Klarstellung in
BAG v. 13.6.2007 – 7 ABR 62/06, NZA 2007, 1301 Rz. 12 ff. B. Gaul, AktuellAR 2021, 439 ff., 2022, 466, 473 ff. Vgl. Maschmann, NZA 2021, 834, 836. Ebenso Lembke, FS Schmidt S. 277, 288 ff., 293; Reinartz, NZA 2021, 457, 466 f.; offen Grimm/Vitt, ArbRB 2021, 279, 280; abw. Franzen, FS Schmidt S. 101 f., der entgegen der gesetzlichen Regelung auch eine gemeinsame Verantwortlichkeit i. S. d. Art. 26 DSGVO für möglich hält. 47 Vgl. Brink/Joos, NZA 2021, 1440, 1444 m. w. N., die beim Konzernbetriebsrat eine eigene Verantwortlichkeit annehmen. Betriebsverfassungsrechtlich lässt sich dies aus den Gründen, die für eine übergreifende Verantwortlichkeit des Arbeitgebers in Bezug 43 44 45 46
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Bezug auf die verantwortliche Stelle ist Art. 4 Nr. 7 Halbs. 2 DSGVO48. Danach ist die verantwortliche Stelle grundsätzlich die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Sind die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung aber durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben, wie dies bei dem Betriebsrat durch die Zuweisung seiner gesetzlichen Aufgaben insbesondere im BetrVG erfolgt ist, kann der Verantwortliche bzw. können die bestimmten Kriterien seiner Benennung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Betriebsrat bei der Wahrnehmung seiner gesetzlich vorgegebenen Beteiligungsrechte einen Spielraum hat, innerhalb dessen er bestimmt, welche Schwerpunkte und Ziele er verfolgt. Ausgehend davon, dass der Betriebsrat personenbezogene Daten nur zu den Zwecken verarbeiten darf, die ihm durch das Gesetz oder eine Kollektivvereinbarung zugewiesen worden sind, bleibt die übergreifende Verantwortung des Arbeitgebers bestehen. Schlussendlich entspricht die Kennzeichnung der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit insoweit auch den erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten im Beschäftigungskontext, wie sie den Mitgliedstaaten durch Art. 88 DSGVO eingeräumt wurden. Problematisch an § 79 a BetrVG ist allerdings, dass der Arbeitgeber die Verantwortung trägt, ohne gegenüber dem Betriebsrat ein entsprechendes Weisungsrecht ausüben zu können. Gleichzeitig droht dem Betriebsrat selbst nur ein Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG, wenn er seine Verpflichtung aus §§ 75 Abs. 2, 79 a BetrVG verletzt hat49. Unterlassungsansprüche des Arbeitgebers, die eine gesetzeskonforme Verhaltensweise des Betriebsrats sicherstellen sollen, lässt das BAG jedenfalls seit seinem Beschluss vom 17.3.201050 nicht mehr zu. Hiervon ausgehend wird man dem Arbeitgeber empfehlen müssen, seine datenschutzrechtliche Verantwortung, das Gebot des Schutzes des Persönlichkeitsrechts aus § 75 BetrVG und die Pflicht zur wechselseitigen Unterstützung in § 79 a BetrVG zum Anlass zu nehmen, den Betriebsrat erst einmal um Auskunft darüber zu bitten, ob und ggf. wie im Betriebsrat die ordauf den Betriebsrat sprechen, indes nicht rechtfertigen. Denn auch der Konzernbetriebsrat leitet seine Befugnisse nur aus gesetzlichen Vorgaben ab. 48 So schlussendlich auch Franzen, FS Schmidt S. 101, 107 ff. 49 Vgl. ArbG Iserlohn v. 14.1.2020 – 2 BV 5/19 n. v. (wegen der Besonderheiten des Restmandats aus § 21 b BetrVG aufgehoben durch LAG Hamm v. 18.6.2021 – 13 TaBV 12/20 n. v.); Lembke, FS Schmidt S. 277, 288 ff., 293 f. 50 BAG v. 17.3.2010 – 7 ABR 95/08, NZA 2010, 1133 Rz. 26.
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Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats
nungsgemäße Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleistet wird. Der Anlass dafür ist nicht nur die allgemeine Verantwortung des Arbeitgebers im Bereich des Datenschutzes. Vielmehr ist insoweit auch auf besondere Pflichten, insbesondere seine Auskunftspflicht nach Art. 12 ff. DSGVO, die Pflicht zur Führung eines Verarbeitungsverzeichnisses nach Art. 30 DSGVO oder die Löschpflichten in Bezug auf personenbezogene Daten nach Art. 17 DSGVO zu verweisen, die jeweils auch die Daten erfassen, die durch den Betriebsrat verarbeitet werden. Dass die Aufgaben des Datenschutzbeauftragten ohne Einschränkung auch gegenüber dem Betriebsrat als Teil der verantwortlichen Stelle bestehen51, genügt nicht. Der Datenschutzbeauftragte sollte allerdings gleichwohl eingebunden werden. Ob das Ergebnis der entsprechenden Abstimmung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in eine Betriebsvereinbarung oder eine Regelungsabrede mündet, spielt keine Rolle. Der Vorteil entsprechender Vereinbarungen liegt darin, dass die wechselseitigen Pflichten dokumentiert und damit Handlungspflichten geschaffen werden, die auch gerichtlich durchsetzbar sind. Grundlage für den Auskunftsanspruch des Arbeitgebers sind seine datenschutzrechtlichen Verpflichtungen i. V. m. §§ 2 Abs. 1, 75 Abs. 2, 79 a BetrVG, 242 BGB. In entsprechender Weise hat das BAG in seinem Urteil vom 8.2.202252 einen Anspruch des Arbeitgebers auf Auskunft über den für die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung maßgeblichen Beschluss des Betriebsrats aus §§ 2 Abs. 1, 77 Abs. 1 BetrVG abgeleitet53. Denn der Arbeitgeber hat als verantwortlich Stelle ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse zu wissen, welche personenbezogenen Daten der Betriebsrat zu welchem Zweck und auf welcher Rechtsgrundlage verarbeitet und ob und ggf. in welcher Weise dabei die übrigen Schranken des Datenschutzrechts eingehalten werden. Darüber hinaus ist der Betriebsrat um Auskunft über Regelungen über den Zugriff der Betriebsratsmitglieder auf diese Daten, ggf. die Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten (z. B. Konzernbetriebsrat oder Gewerkschaft im Rahmen der gesetzlichen Beteiligungsrechte), die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer, sowie um Angaben über ein Löschkonzept zu bitten. Soweit besondere personenbezogene Daten in Rede stehen, sollte auch um Auskunft über Maßnahmen nach § 22 Abs. 2 BDSG gebeten werden.
51 BR-Drucks. 271/21 S. 19. 52 BAG v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21, NZA 2022, 984 Rz. 42. 53 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2022, 577 ff.
593
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Da es dem Betriebsrat unschwer möglich ist, dazu nähere Angaben zu machen, und dem Arbeitgeber andere Informationsquellen hierzu nicht zur Verfügung stehen, entspricht es der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) ebenso wie dem Gebot der wechselseitigen Unterstützung (§ 79 a BetrVG), dem Arbeitgeber diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei sind auch besondere personenbezogene Daten einzubeziehen, weil auch diese dem Betriebsrat, beispielsweise im Zusammenhang mit seiner Beteiligung bei Personalmaßnahmen (§§ 99, 102, 111, 112 BetrVG) oder dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX), bekannt werden. Ausgenommen von der Auskunftspflicht sind im Zweifel lediglich vertrauliche Informationen in Bezug auf die konkrete Wahrnehmung von Beteiligungsrechten, deren Kenntnis durch den Arbeitgeber die Gefahr einer Einschränkung der Betriebsratstätigkeit zur Folge hat. Dabei liegt es nahe, den Maßstab des § 79 a S. 4 BetrVG anzulegen. Daten, hinsichtlich derer der Datenschutzbeauftragte eine besondere Verschwiegenheitspflicht hat, weil sie den Meinungsbildungsprozess des Betriebsrats erkennbar machen, müssen dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt werden. Unabhängig davon, ob es sich um einen Ausschluss der Verursachung54 oder eine Beseitigung des Verschuldensvorwurfs55 handelt, kann nur ein konkretes Hinwirken des Arbeitgebers auf die Einhaltung des Datenschutzes durch den Betriebsrat die Möglichkeit einer Exkulpation nach Art. 82 Abs. 3 DSGVO schaffen. Andernfalls läge nämlich pflichtwidriges Unterlassen vor, das neben dem Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO auch zu einem Bußgeld nach Art. 83 DSGVO führen kann. Der Umstand, dass keine Weisungsbefugnis besteht, berechtigt den Arbeitgeber nicht, auf jede Form der Hinwirkung zu verzichten56. (Ga)
6.
Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Vorgesetztenwechsel in einer Matrix-Organisation
Nach wie vor besteht in der betrieblichen Praxis Streit über die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Führungskräfte, die im Rahmen einer Matrix-Organisation nachgeordnete Mitarbeiter an verschiedenen Standorten führen, betriebsverfassungsrechtlich auch in die an diesen Standorten bestehenden Betriebe eingliedert werden. Konsequenz der Annahme 54 So offenbar BAG v. 26.8.2021 – 8 AZR 253/20 (A) n. v. 55 So Grimm/Vitt, ArbRB 2021, 279, 282. 56 Vgl. Grimm/Vitt, ArbRB 2021, 279, 282, die zwar zu Recht eine Aufsichtspflicht des Arbeitgebers ablehnen, dabei aber die verbleibende Hinwirkungs- und Mitwirkungspflicht nicht ausreichend berücksichtigen.
594
Vorgesetztenwechsel in einer Matrix-Organisation
einer solchen Eingliederung ist, dass der Betriebsrat bei der Festlegung einer entsprechenden Führungsposition im Rahmen der Matrix-Organisation wegen einer Einstellung nach § 99 BetrVG zu beteiligen ist. Weitergehend wird man prüfen müssen, ob auch bei der weiteren Abwicklung des Arbeitsverhältnisses mit der betroffenen Führungskraft Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen bzw. Regelungen einer Betriebsvereinbarung, die im Betrieb der nachgeordneten Arbeitnehmer gilt, zur Anwendung kommen. Wir haben darüber im Zusammenhang mit einer Reihe von Entscheidungen des BAG vom 12.6.201957, 22.10.201958 und vom 26.5.202159 berichtet60. Anlass war, dass das BAG in diesen Entscheidungen, die jeweils unternehmensinterne Strukturen betrafen, eine Einstellung gemäß § 99 BetrVG angenommen hatte, wohingegen es noch in seinem Beschluss vom 13.12.2005 61 deutlich gemacht hatte, dass Führungskräfte, die im Rahmen einer MatrixOrganisation aus einem anderen Konzernunternehmen heraus nachgeordnete Mitarbeiter steuern, in den Betrieb dieser Mitarbeiter nicht eingegliedert werden. Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG wurden daran anknüpfend abgelehnt. Warum der Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Eingliederung, der an sich – was die Behandlung von Leiharbeitnehmern oder die Rechtsfigur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen deutlich machen – losgelöst von der arbeitsvertraglichen Zuordnung gekennzeichnet wird, bei diesen Konstellationen einer Matrix-Organisation an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft wird, blieb unklar. Das BAG beließ es bei der leider nicht weiter begründeten These, nach der unternehmensinterne und unternehmensübergreifende Sachverhalte nach unterschiedlichen Kriterien zu bestimmen seien. Auch in seinem aktuellen Beschluss vom 14.6.202262, der sich erneut nur mit dem unternehmensinternen Wechsel einer Vorgesetzten befasst, deren Hauptarbeitsplatz in einem anderen Betrieb lag, hat der 1. Senat des BAG diese Klarstellung leider nicht vorgenommen. In den Gründen seiner Entscheidung hat das BAG indes deutlich gemacht, dass die für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation nicht voraussetze, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem
57 58 59 60 61 62
BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, NZA 2019, 1288 Rz. 21. BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 21. BAG v. 26.5.2021 – 7 ABR 17/20, NZA 2021, 1494 Rz. 42 ff. B. Gaul, AktuellAR 2018, 186 ff., 475 ff., 2019, 578 ff. BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 12, 22. BAG v. 14.6.2022 – 1 ABR 13/21 n. v. (Rz. 18 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichte. Vielmehr bezeichnet es das BAG als entscheidend, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolge. Da innerhalb eines Betriebs verschiedene Zweckbestimmungen verfolgt werden können, dürfte zwar auch dieser Gesichtspunkt allein nicht entscheidend sein. Denn die Förderung des Betriebszwecks kann ohne Weiteres auch durch Dritte und/oder Fremdpersonal vorgenommen werden, das auf der Grundlage einer selbständigen Tätigkeit oder im Rahmen eines Projekts Ergebnisse liefert, die dem Betriebszweck zugutekommen. Die weiteren Ausführungen des 1. Senats verdeutlichen, dass schlussendlich eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung erfolgen soll. Weiterhin spielt es für das BAG indes keine Rolle, ob die in Rede stehende Führungskraft, deren Eingliederung in einen anderen Betrieb geprüft wird, Weisungen der dortigen Betriebsleitung unterworfen ist. Vielmehr stellte das BAG maßgeblich darauf ab, ob die Führungskraft in Bezug auf Arbeitnehmer dieses Betriebs Weisungsbefugnisse hat, deren Wahrnehmung eine Einbindung bei der Erfüllung der im Betrieb von den dortigen Arbeitnehmern zu erledigenden operativen Aufgaben oder Arbeitsprozesse zur Folge hat. Hiervon sei typischerweise dann auszugehen, wenn die Führungskraft zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmern „regelmäßig zusammenarbeiten muss und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnimmt“63. Dass eine „Zusammenarbeit“ – wie der Einsatz von Beratern, Sachverständigen oder Arbeitnehmern in betriebsübergreifenden Projektstrukturen deutlich macht – auch ohne eine Eingliederung erfolgen kann, bleibt dabei unerwähnt. Deutlich macht das BAG lediglich, dass eine Tätigkeit auf dem Betriebsgelände bzw. ein bestimmter (zeitlicher) Mindestumfang „vor Ort“ nicht erforderlich sei, obgleich darin – wenn dies in der Praxis gegeben sei – ein gewichtiges Indiz für eine Eingliederung liege64. Sicher ist es richtig, eine räumliche Nähe nicht als Voraussetzung für die Eingliederung in einen Betrieb anzunehmen. Das zeigt bereits § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Richtig ist sicher auch, dass das BAG für die Anerkennung einer Eingliederung nicht verlangt, dass der Führungskraft Befugnisse eingeräumt wurden, die sie zur Ermahnung, Abmahnung oder Kündigung von betriebszugehörigen Arbeitnehmern berechtigen. Auch ohne diese Befugnisse 63 BAG v. 14.6.2022 – 1 ABR 13/21 n. v (Rz. 24); ebenso BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 21; Fitting, BetrVG § 99 Rz. 37 b. 64 BAG v. 14.6.2022 – 1 ABR 13/21 n. v. (Rz. 24); BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, NZA 2020, 61 Rz. 15.
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Vorgesetztenwechsel in einer Matrix-Organisation
kann eine Eingliederung vorliegen65. Richtig ist auch, dass gerade die Eingliederung einer nicht vor Ort tätigen Führungskraft nicht an einer „Mindestanwesenheitsdauer“ in dem jeweiligen Betrieb festgemacht werden darf. Denn die Einstellung nach § 99 BetrVG ist auch außerhalb des hier in Rede stehenden Sachverhalts nicht an eine bestimmte Beschäftigungsdauer geknüpft. Sie kann auch bei Aushilfen in Rede stehen, die nur für wenige Stunden beschäftigt werden. Richtigerweise befasst sich das BAG deshalb in seiner Entscheidung auch intensiv mit der Frage, ob die Arbeitnehmerin, deren Einstellung in einen anderen Betrieb durch den dort gebildeten Betriebsrat geltend gemacht wurde, nicht nur objektiv weisungsberechtigt gegenüber einem dort tätigen Arbeitnehmer gewesen ist. Vielmehr hat das BAG die Ablehnung ihrer Einstellung in einen der (dezentralen) Betriebe vor allem damit begründet, dass die zeitlich befristete Übertragung einer fachlichen Weisungsbefugnis (hier: im Vertretungsfall) noch nicht den Schluss darauf zulasse, dass sie auch tatsächlich ausgeübt werde. Hinzu kam, dass die Führungskraft, die Jahrespläne für die Langfristdisposition von Arbeitnehmern in verschiedenen Betrieben des Unternehmens entwickelte, schlussendlich die Arbeitsprozesse der hiervon betroffenen Arbeitnehmer nicht steuerte. Diese Sichtweise überzeugt, da mithilfe dieser Kriterien zwar ein Gesichtspunkt der Eingliederung – nämlich die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts durch die jeweils in Rede stehende Führungskraft – überprüft und auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung, die Art und Umfang berücksichtigt, angenommen oder abgelehnt werden kann. Es überzeugt nicht, dass die eigene Weisungsunterworfenheit dieser Führungskraft in Bezug auf die Leitung des Betriebs, in den sie eingegliedert wird, jedenfalls bei der unternehmensbezogenen Matrix-Struktur nicht überprüft wird. Dies steht im Widerspruch zu der Feststellung des BAG im Beschluss vom 13.12.200566, welches gerade diese Weisungsunterworfenheit als ein wesentliches Kriterium der Eingliederung nach § 99 Abs. 1 BetrVG genannt hatte. Obgleich die Situation der unternehmensübergreifenden Matrix-Organisation weiterhin offen ist, macht die aktuelle Entscheidung des BAG noch einmal deutlich, dass die Übertragung von Weisungsbefugnissen an eine außerhalb des Betriebs tätige Führungskraft im Rahmen einer unternehmensinternen und -externen Matrix-Organisation durchaus zur Eingliederung dieser Führungskraft in den Betrieb führen kann. Auch wenn die damit verbundenen Kriterien noch nicht geklärt zu sein scheinen und maßgeblich durch die 65 BAG v. 14.6.2022 – 1 ABR 13/21 n. v. (Rz. 23). 66 BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04, NZA 2006, 1369 Rz. 12, 22.
597
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Ausgestaltung der Steuerungsstrukturen innerhalb der Matrix bestimmt werden, kann dies eine Beteiligung des Betriebsrats wegen einer Einstellung nach § 99 BetrVG erforderlich machen. In der Praxis erfolgt eine solche Beteiligung im Regelfall nicht, was außerhalb von §§ 23 Abs. 3, 101 BetrVG auch nicht sanktioniert werden kann. Arbeitgeberseitig wird man sich mit der Frage einer möglichen Eingliederung allerdings insbesondere dann zu beschäftigen haben, wenn dieser Führungskraft gekündigt wird. Denn in diesem Fall ist zu klären, ob der Arbeitgeber vor einer solchen Kündigung auch den Betriebsrat des Betriebs, in dem die nachgeordneten Arbeitnehmer beschäftigt werden, gemäß § 102 BetrVG anhören muss. Dafür spricht auf den ersten Blick zwar der Umstand der Eingliederung in diesen Betrieb, der die Zuständigkeit dieses Betriebsrats zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben zur Folge haben kann. Dagegen spricht allerdings, dass der Anwendungsbereich eines Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechts jeweils auch teleologisch bewertet werden soll. Auch beim Einsatz von Leiharbeitnehmern ist insoweit berechtigterweise zwischen dem Grundverhältnis, für das der Betriebsrat des Verleihers verantwortlich ist, und dem Betriebsverhältnis, für das der Betriebsrat im Einsatzbetrieb verantwortlich ist, zu unterscheiden. Daran anknüpfend würde man bei der Kündigung einer Führungskraft im Rahmen der Matrix-Organisation nur den Betriebsrat nach § 102 BetrVG beteiligen, in dessen Betrieb die Führungskraft ihrem Schwerpunkt nach tätig ist. Dort ist das für die Anhörung nach § 102 BetrVG maßgebliche Grundverhältnis zu verorten. Dem Zweck der Mitbestimmung aus § 102 BetrVG folgend ist dies der Betriebsrat, der vor einer Kündigung angehört werden muss. (Ga)
7.
Die Beteiligung des Betriebsrats bei ESG-Themen
a)
Vielfalt der ESG-Themen in der betrieblichen Praxis
Außerhalb des Arbeitsrechts gibt es viele allgemeine Grundlagen, durch die ESG, CSR und sonstige Fragen der Nachhaltigkeit zum Gegenstand unternehmerischen Handelns gemacht werden. Beispielhaft sei hier nur auf die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, das UN Global Compact, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen67 oder – zuletzt in Deutschland – das LkSG hingewiesen. Sie verfolgen insbesondere das Ziel einer nachhaltigen Geschäftsethik, nachhaltiger Arbeitspraktiken und Regelungen zur Beschaffung und sollen Umwelt und
67 Hierzu vgl. Göpfert/Melles, NJW 2022, 2505.
598
Die Beteiligung des Betriebsrats bei ESG-Themen
Klimaschutz dienen. Das macht ein Unternehmen in den meisten Fällen nicht nur robuster und zukunftsfähiger, sondern auch attraktiver für Kunden, Bewerber und Mitarbeiter68. Mit Blick auf die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Arbeit im Personalbereich hatten wir uns schon bei früherer Gelegenheit immer wieder mit der Bedeutung von ESG, CSR und dem sinnvollen Umgang mit der Digitalisierung befasst69. Dabei geht es insbesondere um den betrieblichen Umweltschutz, den Arbeitsschutz, die Gleichbehandlung der Geschlechter, die Integration älterer Menschen sowie von Menschen mit einer Behinderung, die Diversität in Bezug auf sexuelle Identität, Staatsangehörigkeit oder ethnische Herkunft sowie den verantwortungsvollen Umgang mit KI, die zunehmend die in den Betrieben verwendete Software bestimmt. Auch wenn diese Themen häufig ohne Bezug zu ESG in den Betrieben behandelt werden, sind sie doch ein maßgeblicher Baustein von ESG und CSR. Das gleiche gilt für die Verantwortlichkeiten im Rahmen von Lieferketten70, die wir ebenfalls bereits eingehend behandelt haben71. Insgesamt wird man die Einhaltung dieser Vorgaben durchaus dem Bereich der sog. HR-Compliance zuordnen können, die versucht, im Zusammenhang mit der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben nachhaltiges Handeln im personellen Verantwortungsbereich des Unternehmens sicherzustellen. Ethische, unternehmenspolitische oder gesellschaftliche Erwartungen können dabei zur Folge haben, dass das gesetzlich Gebotene auch überschritten wird. Schließlich soll über den Gesichtspunkt der CSR auch der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen Rechnung getragen werden, die sich nicht allein durch das Erfüllen gesetzlicher Mindeststandards definiert.
b)
Kennzeichnung der Beteiligungsrechte
Allgemein: Dem Betriebsrat obliegt es in diesem Zusammenhang nicht nur, auf der Grundlage von § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu überwachen, ob die zu Gunsten der Arbeitnehmer in den Betrieben geltenden Rechtsvorschriften beachtet werden. Er hat auch Pflichten, auf die Einhaltung bestimmter Vorgaben hinzuwirken. Dazu gehören auch allgemeine Vorschriften zur Gewährleistung von Integration, Inklusion und Diversität ebenso wie das Ge68 Vgl. Heinmann/Flöter, ESG 2022, 138. 69 B. Gaul, AktuellAR 2020, 390 ff. 70 Eingehend zu den betrieblichen ESG-Themen: Göpfert/Mellis, NJW 2022, 2505; Heimann/Flöter, ESG 2022, 138; Kaliga/Oberdieck, AiB 2022/9, 10; Panzer/Heemeier/ Nemat, CCZ 2022, 2023; Stieler, AiB 2022/9, 14. 71 B. Gaul, AktuellAR 2020, 390 ff., 2021, 46, 369 ff., 2022, 63 ff., 384 ff.
599
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
bot einer Gleichbehandlung wegen des Geschlechts. Im Arbeits- und Umweltschutz gilt dies auch für die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden nach § 89 BetrVG. Von dieser Vielfalt der ESG-Themen ausgehend kommt es für eine Kennzeichnung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats auch nicht auf ihre Bezeichnung an. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der im BetrVG vorgenommenen Differenzierung festzulegen, ob Unterrichtungs- und Beratungs-, Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte bestehen. Allen Rechten gemeinsam ist, dass sie den Arbeitsschutz, den Umweltschutz und das soziale Miteinander unter der großen Überschrift der Nachhaltigkeit verbinden. Dies gilt auch für Veränderungen im Bereich der Vergütung, die – wie an anderer Stelle aufgezeigt72 – spätestens nach dem Inkraftsetzen einer Richtlinie zur Lieferkette mit dem Thema der Nachhaltigkeit sowie der Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher, menschenrechtlicher und umweltrechtlicher Verpflichtungen neue Anknüpfungspunkte erhalten wird. Die betriebliche Praxis wird sich darauf einstellen müssen und sollte, um die Akzeptanz entsprechender Regelungen in der Belegschaft zu gewährleisten, frühzeitig die Arbeitnehmervertreter einbinden. Dies kann formalisiert auf der Grundlage einer ESG-Rahmenvereinbarung oder im Rahmen der üblichen – vertrauensvollen – Zusammenarbeit erfolgen, innerhalb derer eine Abstimmung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auch außerhalb konkreter Beteiligungspflichten erfolgt. Vorliegen einer Betriebsänderung: Eine Beteiligungspflicht aus §§ 111, 112 BetrVG dürfte nur selten bestehen. Voraussetzung wäre eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen oder die Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. Alternativ hierzu könnte eine Betriebsänderung dadurch ausgelöst werden, dass der Betrieb in Verbindung mit der Veräußerung oder Integration einzelner Geschäftsbereiche reorganisiert wird. In allen Fällen ist dies allerdings voraus, dass der Arbeitgeber entsprechende Maßnahmen plant. Der Betriebsrat selbst könnte solche Maßnahmen allenfalls im Rahmen von § 92 a BetrVG erörtern. Darüber hinaus kommt eine Beteiligung bei Abschluss einer Vereinbarung zur Standortsicherung in Betracht, wenn diese – wie offenbar bei der Inanspruchnahme von Zuwendungen zur Absicherung von Gaspreisen geplant – auf betrieblicher Ebene vereinbart werden73.
72 B. Gaul, AktuellAR 2022, 384 ff. 73 Vgl. Abschlussbericht der ExpertInnenKommission Gas und Wärme i. d. F. v. 31.10.2022 S. 22 f.
600
Die Beteiligung des Betriebsrats bei ESG-Themen
Allgemeines Verhalten und Ordnung im Betrieb: Die größte Bedeutung im Zusammenhang mit ESG dürfte die Mitbestimmung nach § 87 BetrVG erhalten. Dabei kann es bereits um das sonstige Verhalten gehen, dass eine Beteiligung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zur Folge hat. Beispielhaft sei auf das Aufdrehen der Heizung am Wochenende oder die Grünpflege am Arbeitsplatz hingewiesen74. Soweit das Arbeitsverhalten betroffen ist (z. B. Verzicht auf Kopien, Fahrgemeinschaften zu dienstlichen Terminen), löst dies keine Beteiligungspflicht aus. Denn diese Maßnahmen kann der Arbeitgeber einseitig auf der Grundlage von § 106 S. 1 GewO durchsetzen. Wenn die Förderung eines papierlosen Büros mit dem Einsatz einer Software verbunden ist, bestehen indes Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Außerbetriebliches Verhalten: Vorgaben zum außerbetrieblichen Verhalten, die beispielsweise eine verstärkte Nutzung des ÖPNV auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zum Inhalt haben, unterfallen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Hier besteht ohnehin kein Bestimmungsrecht des Arbeitgebers. Er kann lediglich Empfehlungen aussprechen oder durch eigene Leistungen versuchen, das Handeln der Arbeitnehmer zu beeinflussen. Regelungen zum Entgelt: Sollte zu diesem Zweck ein ÖPNV-Ticket, ein 49 €-Ticket oder die Berechtigung zu Inanspruchnahme von Dienstfahrrädern mit dem Recht zur Privatnutzung geschaffen werden, löst dies natürlich Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen der variablen Vergütung die Nachhaltigkeit des unternehmerischen Handels zum Inhalt individueller oder kollektiver Ziele gemacht werden soll75. Soweit durch den Arbeitgeber Reisekostenregelungen getroffen werden, ist dies an sich nicht mit einem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verbunden, weil der Aufwendungsersatz nicht als Arbeitsentgelt qualifiziert werden kann. Da Reisekostenrichtlinien aber typischerweise auch Handlungsvorgaben beinhalten, die nicht unmittelbar dem Arbeitsverhalten zugeordnet werden können, kann dies Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslösen. Wenn Erstattungsansprüche den Aufwand, der typischerweise mit entsprechenden Tätigkeiten verbunden ist, übersteigen, kann im Übrigen auch eine (pauschalierte) Arbeitsentgeltregelung vorliegen, die zur Beteiligungspflicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG führt.
74 Vgl. LAG Nürnberg v. 14.12.2016 – 4 TaBV 38/16 n. v. 75 Vgl. Forschner, ZAU 2022, 580.
601
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Wenn der Arbeitgeber Arbeitsmittel anschafft, die stärker ökologischen Gesichtspunkten Rechnung tragen, löst dies selbst erst einmal keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus. Allerdings können Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 10 BetrVG bestehen, wenn das Nutzungsverhalten geregelt wird (z. B. Aufladen von Elektro-PKW). Darüber hinaus könnte es erforderlich sein, im Hinblick auf die neuen Arbeitsmittel eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, die wiederum mit Mitbestimmungsrechten aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verbunden ist. Technische Einrichtungen: Auch die zunehmende Digitalisierung durch den Einsatz von Automatisierung, Software und KI muss nachhaltig erfolgen, also insbesondere menschliche Bedürfnisse in Bezug auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte und die Integration von älteren Menschen und Menschen mit einer Behinderung sowie die Gefahren eines Einsatzes von KI berücksichtigen. Dabei spielen, wie die Richtlinien des Ethikbeirats HRTech anschaulich machen, auch ethische Vorgaben und Ziele eine entscheidende Rolle76. Arbeitsschutz und Arbeitszeit: Insgesamt ist das Thema Arbeitsschutz eine ESG-Problematik, die mit einem eigenen Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verbunden ist. Das gleiche gilt für Regelungen zur Arbeitszeit, weil damit nicht nur eine auslastungsbezogene Flexibilisierung erreicht werden soll (§ 87 Abs. 1 Nrn. 2, 3 BetrVG). Arbeitszeitregelungen sollen immer auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen, wie dies schon in § 106 S. 1 GewO durch den Gesichtspunkt billigen Ermessens zum Ausdruck kommt. Folgerichtig muss damit jeweils auch der physischen und psychischen Belastung von Arbeitnehmern, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dem Interesse an einer (vorübergehenden) Nichterreichbarkeit von Arbeitnehmern Rechnung getragen werden. Dazu kann auch eine Vier-Tage-Woche gehören.
c)
Fazit
Insgesamt gesehen ist es wichtig, insbesondere die betrieblichen Arbeitnehmervertreter frühzeitig einzubinden. Dies gilt auch für übergeordnete Gremien, also Gesamt- oder Konzernbetriebsrat. Es eröffnet die Chance für neue Ideen und erhöht – auch wenn Kompromisse erreicht werden – die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen. Darüber hinaus ist an den Wirtschaftsausschuss und den Aufsichtsrat zu denken, über die weitere Arbeitnehmervertreter mit ESG-Themen in Berührung kommen und entsprechende
76 Vgl. auch Panzer-Heemeier/Nemat, CCZ 2022, 223.
602
Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
Unterrichtungs- und Beratungspflichten ausgelöst werden (vgl. nur §§ 106 Abs. 3 Nrn. 5 a, 10 BetrVG, 289 c Abs. 2 Nr. 2 HGB). (Ga)
8.
Kein Anspruch des Betriebsrats auf Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
Noch immer hat die Bundesregierung keinen Vorschlag vorgelegt, mit dem die unionsrechtlichen Vorgaben zur Dokumentation der Arbeitszeit, wie sie der EuGH in seinem Urteil vom 14.5.201977 entwickelt hatte, auf einer allgemeinen Grundlage umgesetzt werden. Es bleibt bei spezialgesetzlichen Regelungen in §§ 16, 17 MiLoG oder § 6 GSA Fleisch. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist außerordentlich misslich.
a)
Arbeitsschutzrechtliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung auch ohne Änderung des ArbZG
Vor diesem Hintergrund hat der Umstand, dass das BAG im Beschluss vom 13.9.202278 klargestellt hat, dass der Arbeitgeber aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG heraus verpflichtet sei, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden könne, erhebliche Bedeutung. Denn damit geht das BAG davon aus, dass der Arbeitgeber schon heute – kraft Gesetzes – zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH verpflichtet sei. Eine Änderung von § 16 Abs. 2 ArbZG, die für eine Umsetzung der Vorgaben des EuGH zum Teil noch für erforderlich gehalten wird79, ist bei dieser Betrachtungsweise nicht geboten. Dieser Bewertung der Auswirkungen der unionsrechtlichen Vorgaben ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Wie bei früherer Gelegenheit bereits ausgeführt wurde80, kann die entsprechende Verpflichtung unmittelbar aus §§ 241 Abs. 2, 611, 618 BGB, 3 ff. ArbSchG i. V. m. Art. 31 Abs. 2 GRC bzw. den Regelungen der Richtlinie 2003/88/EG abgeleitet werden. Allerdings bezieht sie sich ausschließlich auf das materielle Arbeitsschutzrecht. Auswirkungen auf den Bereich der Vergütung sind damit nicht verbunden. Wie der
77 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO. 78 BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/91 n. v. 79 So Baeck/Winzer/Launer, NZG 2019, 858, 859; Fuhlrott, NZA-RR 2019, 343; Heuschmid, NJW 2019, 1853; Kaufmann, ArbR 2019, 277; Reinhard, NZA 2019, 1313. 80 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2019, 113 ff., 417 ff., 2021, 139 ff.; B. Gaul/Pitzer, AktuellAR 2020, 466 ff.
603
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
5. Senat des BAG in den Urteilen vom 4.5.202281 deutlich gemacht hat, geben die Feststellungen des EuGH deshalb weder Anlass noch Legitimation, entgegen nationalen prozessrechtlichen Grundsätzen die Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess abzuändern.
b)
Gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum als Rechtfertigung für eine spätere Umsetzung?
aa)
Grundsatz
Die fehlende Umsetzung der Pflicht zur Dokumentation ist ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine gesetzlichen Handlungspflichten. Dies kann ihm durch den Betriebsrat im Rahmen der Überwachung nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch vorgehalten oder zum Gegenstand der Gespräche mit der Gewerbeaufsicht im Rahmen von § 89 BetrVG gemacht werden. Unabhängig davon kann eine Missachtung der arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtung zur Dokumentation der Arbeitszeit, soweit es nicht um die Umsetzung von § 16 Abs. 2 ArbZG oder spezialgesetzlicher Regelungen (z. B. §§ 6 GSA Fleisch, 16, 17 MiLoG) geht, aber nicht als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Trotz der klaren Feststellungen des BAG zur materiell-rechtlichen Rechtslage erscheint es gerechtfertigt, wenn unternehmensseitig abgewartet wird, welche Regelungen der Gesetzgeber zur Umsetzung der EuGHRechtsprechung trifft. Schließlich hat die Bundesregierung nicht nur im Koalitionsvertrag angekündigt, dass im Dialog mit den Sozialpartnern geprüft werden solle, welcher Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitszeitrecht bestehe. Ausdrücklich hatten die Parteien der Ampelkoalition festgehalten: Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.
Anhaltspunkte, welchen Weg der Gesetzgeber beschreiten will, sind derzeit noch nicht ersichtlich. Gerade weil das Ziel, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll, auf zwei Wegen zu erreichen ist, liegt es nahe, erst einmal abzuwarten, welchen Weg die Bundesregierung beschreiten wird. bb)
Möglichkeit eines Opt-In-/Opt-Out-Systems
Die erste Gestaltungsmöglichkeit erscheint bereits dadurch eröffnet zu sein, dass der EuGH nur davon spricht, dass der Arbeitgeber durch die Mitgliedstaaten verpflichtet werden müsse, ein objektives, verlässliches und zugäng81 BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 474/21, NZA 2022, 1271 Rz. 31; BAG v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21, NZA 2022, 1267 Rz. 22.
604
Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
liches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden „kann“82. Bemerkenswert daran ist das Wort „kann“. Es findet sich auch in der Feststellung des BAG, wonach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG den Arbeitgeber verpflichte, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden „kann“. Denn daran anknüpfend ist es ausreichend, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu eröffnen, ein solches System nutzen zu können. Eine Verpflichtung, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen zu müssen, bestünde nicht. Hiervon ausgehend könnte man auch bei einer Umsetzung der EuGH-Vorgaben eine OptIn-/Opt-Out-Regelung schaffen. Dies könnte sehr einfach dadurch geschehen, dass § 16 Abs. 2 ArbZG durch folgenden Satz ersetzt wird: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Es würde dann den Arbeitsgerichten unter Berücksichtigung ergänzender Vorgaben des EuGH obliegen, die Anforderungen an ein objektives, verlässliches und zugängliches System zu konkretisieren und zugleich klarzustellen, ob das System durch seinen Bezug auf die tägliche Arbeitszeit auch eine Einhaltung der Ruhezeiten und Pausen erlauben muss. Die wöchentliche Arbeitszeit wird durch die Messung der täglichen Arbeitszeit ohnehin nachgewiesen. Wir hatten zu diesen Fragen bereits eingehend Stellung genommen. Danach gelten folgende Grundsätze: 1. Es gibt keine Verpflichtung, die Dokumentation der Arbeitszeit durch ein technisches System durchzuführen. Der EuGH hat durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen des Generalanwalts deutlich gemacht, dass Aufzeichnungen in Papierform, mittels eines Computerprogramms ebenso wie elektronische Zutrittsausweise usw. denkbar sind. 2. Soweit die Arbeitszeiterfassung durch ein technisches System erfolgt, ist sicherzustellen, dass die damit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten datenschutzrechtlich zulässig ist, insbesondere also mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Das folgt bereits aus Art. 8 GRC, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, § 75 Abs. 2 S. 1 BetrVG und den allgemeinen Grundsätzen zum Datenschutzrecht. Darauf hat auch das LAG Berlin-Brandenburg mit seinen Feststellungen zur Unzulässigkeit einer biometrischen Erfassung von Arbeitnehmern 82 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 60 – CCOO.
605
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
im Rahmen einer Zugangskontrolleinrichtung verwiesen, die der Arbeitgeber auch mit dem Ziel rechtfertigte, die unionsrechtlichen Dokumentationserfordernisse in Bezug auf die Arbeitszeit zu erfüllen83. 3. „Objektiv“ ist eine Dokumentation nach der hier vertretenen Auffassung dann, wenn das System geeignet ist, die Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne ohne Rücksicht auf subjektiv abweichende Einschätzungen von Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer zu erfassen. Entscheidend ist also die objektive Rechtslage, wie sie durch das Unionsrecht und seine Interpretation durch den EuGH bestimmt wird. 4. „Verlässlich“ ist ein System dann, wenn es zuverlässig und manipulationsgesichert die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers erfasst. Sofern hierfür eine bestimmte Technik (Elektronik/Zugangskontrolleinrichtung) verwendet wird, dürfte diese Voraussetzung erfüllt sein, wenn die Identität des jeweils erfassten Arbeitnehmers und der Umstand seiner Arbeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne durch die Technik zuverlässig erkannt werden kann. Wenn auf händische Zeiterfassungssysteme zurückgegriffen wird, dürfte das Kriterium der Verlässlichkeit verlangen, dass die Erfassung zeitnah und mit einem Schutz vor nachträglicher Veränderung durchgeführt wird. Die Erfassung muss auch so erfolgen, dass Kopierprozesse, die zur Vereinfachung ohne Rücksicht auf tägliche Unterschiede erfolgen, ausgeschlossen sind. 5. „Zugänglich“ ist ein System nach der hier vertretenen Auffassung dann, wenn der Arbeitnehmer mit diesem System nicht nur seine Arbeitszeit einfach erfassen kann. Die Zugänglichkeit setzt auch voraus, dass der Arbeitnehmer – ebenso wie Arbeitnehmervertreter und zuständige Behörden – die Möglichkeit hat, die bereits erfasste Arbeitszeit anzusehen. 6. Die Pflicht zur Erfüllung der Dokumentation kann delegiert werden, wie an anderer Stelle aufgezeigt wurde84. Diese Sichtweise entspricht den allgemeinen Handlungsvorgaben im Arbeitsschutzrecht, die sich zwar jeweils an den Arbeitgeber richten, aber in allen Bereichen auch durch (sachkundige) Vertreter umgesetzt werden können. Voraussetzung für eine Delegation ist natürlich, dass Technik und Betroffene, die durch den Arbeitgeber eingesetzt werden, so „eingestellt“
83 Vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 4.6.2020 – 10 Sa 2130/19, NZA-RR 2020, 457 Rz. 53 ff. 84 B. Gaul, AktuellAR 2019, 419 ff.; ders., FS Schmidt S. 739 ff.; krit. Schulze/Volk, AiB 2020/11, 18; Ulber, NZA 2019, 677, 680.
606
Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
sind, dass sie wissen, was zu tun ist. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber gehalten, die Einhaltung der übertragenen Verpflichtungen auch in geeigneter Weise, z. B. durch stichprobenartige Kontrollen, zu überprüfen und ggf. erforderliche Anpassungen vorzunehmen. Das folgt aus den allgemeinen Grundsätzen zur Übertragung von Unternehmerpflichten, die in Organisations-, Auswahl-, Übertragungs- und Überwachungsverantwortung erkennbar werden.
Eine abschließende Antwort auf diese Fragen kann freilich nur durch den EuGH erfolgen, weil es um die Auslegung von Unionsrecht geht. cc)
Herausnahme von Arbeitnehmern in Vertrauensarbeitszeit aus dem Geltungsbereich des ArbZG
Falls das BAG aus der EuGH-Entscheidung hiervon abweichend eine unbedingte Pflicht des Arbeitgebers schlussfolgern sollte, bei allen Arbeitnehmern, die in den Anwendungsbereich des ArbZG fallen, die tägliche Arbeitszeit zu dokumentieren, bliebe dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit, Arbeitnehmer, die im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit tätig werden, ganz oder teilweise aus dem Geltungsbereich des ArbZG herauszunehmen. Eine solche Herausnahme, die derzeit auf die in § 18 ArbZG genannten Personen – also insbesondere leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG und Chefärzte – begrenzt ist, wäre unionsrechtlich zulässig. Denn Art. 17 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG erlaubt ausdrücklich, unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit bei der Umsetzung der Richtlinie von den Art. 3 bis 6, 8 und 16 abzuweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann. Das ist bei Vertrauensarbeitszeit der Fall und im Streitfall durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Alternativ denkbar – im Zweifel aber nicht ausreichend – wäre es, einen von § 5 Abs. 3 BetrVG abweichenden Begriff der Führungskraft in § 18 ArbZG aufzunehmen. Die Abweichung von den Vorgaben der Richtlinie kann nicht nur dadurch erfolgen, dass die Vorgaben zu den Ruhezeiten, zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit und/oder zur Dauer der Nachtarbeit gar keine Anwendung finden. Denkbar wäre auch, dass diese Regelungen aus Gründen des Arbeitsschutzes zwar anwendbar sind, aber keine Verpflichtung besteht, die Einhaltung zu dokumentieren. Der Gesetzgeber würde Arbeitnehmer, bei denen die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, (nur) von einer Dokumentations607
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
pflicht ausnehmen. Auf diese Art nähme der Gesetzgeber hin, dass die Einhaltung durch Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter und Behörden schwerer überprüft werden kann. Dies wäre aber immer noch günstiger für die betroffenen Arbeitnehmer, als die Geltung dieser Schranken der Arbeitszeitflexibilisierung insgesamt für unanwendbar zu erklären.
c)
Kein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
Zu Recht hat es der 1. Senat des BAG in seinem Beschluss vom 13.9.202285 indes abgelehnt, dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung zuzugestehen. Folgerichtig ist auch die Einsetzung einer Einigungsstelle unzulässig und – nachdem jetzt auch eine höchstrichterliche Klarstellung vorliegt – auch durch Entscheidung des Arbeitsgerichts nach § 100 ArbGG nicht durchsetzbar, wenn nicht der Arbeitgeber zuvor die Entscheidung getroffen hat, eine Arbeitszeiterfassung einzuführen und darüber Verhandlungen mit dem Betriebsrat gescheitert sind. Dass der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn Maßnahmen des Arbeitgebers zur Dokumentation der Arbeitszeit eingeführt werden, dürfte nicht ernstzunehmend im Streit stehen. Anknüpfungspunkt sind dabei die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6, 7 BetrVG. Die Frage der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb ist beispielsweise betroffen, wenn die Arbeitnehmer verpflichtet werden, ihre Arbeitszeit in bestimmten Formularen anzugeben. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kommt zur Anwendung, wenn eine elektronische Arbeitszeiterfassung in Rede steht86. Unabhängig von der Art der Erfassung dürfte ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gegeben sein, weil die Arbeitszeiterfassung immer auch als Maßnahme des Arbeitsschutzes zu qualifizieren ist, deren weitere Konkretisierung Gestaltungsspielraum eröffnet, dessen Ausübung an eine Zustimmung des Betriebsrats geknüpft ist87. In der Begründung seiner Entscheidung lehnt das BAG gleichwohl ein Initiativrecht des Betriebsrats, mit dem der Arbeitgeber auf der Grundlage eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 BetrVG zu einer bestimmten Form der Arbeitszeiterfassung veranlasst werden soll, mit der Begründung ab, dass bereits eine gesetzliche Regelung bestehe, die eine Dokumentationspflicht begründe. Damit sei ein Mitbestimmungsrecht bereits nach § 87 Abs. 1 Ein85 BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21 n. v. 86 Vgl. B. Gaul/Pitzer, AktuellAR 2020, 475 ff. 87 So Brors, NZA 2019, 1176, 1180; Hanau, ZFA 2020, 129, 138; Schipp, ArbRB 2019, 282; abl. Bayreuther, NZA 2019, 1, 4.
608
Durchsetzbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung
leitungssatz BetrVG ausgeschlossen, was zur Folge hätte, dass der Betriebsrat den Arbeitgeber auch nicht über § 87 BetrVG zwingen könne, ein System zur Arbeitszeiterfassung durchzuführen. Diese Sichtweise ist konsequent, weil sie den Unterschieden aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und § 87 BetrVG Rechnung trägt. Sie berücksichtigt, dass die fehlende Einhaltung der für den Arbeitnehmer im Betrieb geltenden Vorschriften auf der Grundlage von § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG immer nur die Möglichkeit eröffnet, den Arbeitgeber darauf hinzuweisen und ihn aufzufordern, diese Vorschriften zu erfüllen88. Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG erwachsen erst dann, wenn eine Umsetzung erfolgt, die Gestaltungsspielraum eröffnet. In entsprechender Weise hat das BAG einen Unterlassungsanspruch aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG abgelehnt, wenn gesetzliche Verpflichtungen zum Schutz der Arbeitnehmer verletzt werden89. Offenbar hat das BAG damit die Sichtweise im Urteil vom 28.11.198990 nicht weiter nutzbar gemacht, um das Initiativrecht des Betriebsrats abzulehnen. In dieser Entscheidung hatte das BAG festgestellt, dass das Initiativrecht hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht zum Inhalt habe, dass der Betriebsrat auch die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung verlangen könne. Zur Begründung hatte der 1. Senat des BAG darauf verwiesen, dass durch eine mitbestimmte Regelung über die Einführung und nähere Nutzung solcher Einrichtungen den Gefahren einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit der Arbeitnehmer, die von technischen Überwachungseinrichtungen ausgehen könnten, begegnet werden solle. Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats komme daher eine Abwehrfunktion gegenüber der Einführung solcher technischen Kontrolleinrichtungen zu, deren Einführung als solche nicht verboten sei und deren Anwendung unter Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer auch sinnvoll und geboten sein könne. Dieser Zweckbestimmung des Mitbestimmungsrechts widerspreche es jedoch, wenn der Betriebsrat selbst – gleich aus welchen Gründen – die Einführung einer solchen technischen Kontrolleinrichtung verlange. Dies gelte unabhängig davon, ob durch eine technische Kontrolleinrichtung tatsächlich Interessen der Arbeitnehmer berührt würden, ob der Betriebsrat eine solche Interessenbeeinträchtigung sehe oder ob er dies durch die nähere Ausgestaltung der mitbestimmten Regelung über die Anwendung
88 Vgl. BAG v. 10.6.1968 – 1 ABR 59/84, NZA 1987, 28; HWK/Sittard, BetrVG § 80 Rz. 30. 89 BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 40/01, NZA 2003, 1352 Rz. 39. 90 BAG v. 28.11.1989 – 1 ABR 97/88, NZA 1990, 406.
609
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
der technischen Kontrolleinrichtung auszuschließen erstrebe. Der § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG berechtige daher den Betriebsrat nicht, die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung zu verlangen und ggf. über den Spruch einer Einigungsstelle zu erzwingen91. Problematisch an einer Übertragung dieser Begründung auf die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung mit dem Ziel der Arbeitszeiterfassung war bereits, dass mit der Arbeitszeiterfassung unionsrechtlichen Vorgaben aus Richtlinie 2003/88/EG bzw. Art. 31 Abs. 2 GRC Rechnung getragen werden soll. Folgt man den Feststellungen des EuGH im Urteil vom 14.5.201992, bezweckt die damit einhergehende Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Denn der EuGH geht davon aus, dass dieser Schutz nicht allein durch materiell-rechtliche Vorgaben verwirklicht werde. Vielmehr verlange das Ziel der Richtlinie – einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten –, dass auf der Ebene der Mitgliedstaaten sichergestellt werde, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewahrt werde. Das aber setze voraus, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne93. Hiervon ausgehend wird man daher in der Einführung und Anwendung einer technischen Kontrolleinrichtung zur Arbeitszeiterfassung auch eine Maßnahme sehen müssen, die dem Schutz der Arbeitnehmer zu dienen bestimmt ist. Damit dürfte es nicht (mehr) möglich sein, mit den Gründen der Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1989 das Initiativrecht abzulehnen. Abzuwarten bleibt, ob das BAG – wovon allerdings nach der Pressemitteilung auszugehen ist – jedes Initiativrecht des Betriebsrats ablehnen wird oder ob das Initiativrecht nur deshalb abgelehnt wurde, weil es auf eine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung (hier: elektronische Erfassung) gerichtet war. Denn bei der ersten Sichtweise wäre ein Initiativrecht auch dann ausgeschlossen, wenn der Betriebsrat eine Dokumentation der Arbeitszeit verlangen würde, ohne damit von sich aus Vorgaben in Bezug auf die Art der Dokumentation zu machen. Gegen die zweite Sichtweise spricht zu-
91 A. A. LAG Hamm v. 15.12.2020 – 7 TaBV 85/20 n. v. (Rz. 11 ff.); LAG BerlinBrandenburg v. 22.1.2015 – 10 TaBV 1812/14 und 10 TaBV 2124/14 n. v.; ErfK/Koch, ArbGG § 100 Rz. 3. 92 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 37 ff. – CCOO. 93 EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 Rz. 42, 50, 60 – CCOO.
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nächst zwar, dass mit der Arbeitszeiterfassung auch Maßnahmen des Arbeitsschutzes durchgesetzt werden, bei dem auch die Geltendmachung eines Initiativrechts durchaus anerkannt ist. Beispielhaft sei nur auf die Initiative zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung verwiesen, deren Durchführung in Erfüllung der gesetzlichen Pflicht aus § 5 ArbSchG der Betriebsrat mit einem Initiativrecht im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG einleiten kann94. Für den Ausschluss jeden Initiativrechts spricht allerdings, dass das „Ob“ schlussendlich bereits durch das Gesetz bestimmt wird (§ 3 Abs. 1 ArbSchG) und Mitbestimmungsrechte allenfalls in Bezug auf das „Wie“ bestehen können, was aber an eine grundsätzliche Entscheidung des Arbeitgebers über die Form der Arbeitszeiterfassung gebunden ist. Dieser Gestaltungsspielraum, der zum Ausschluss der verbleibenden Formen führt, besteht bei der Gefährdungsbeurteilung nicht. Unabhängig davon wird man zu berücksichtigen haben, dass die Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung regelmäßig daran geknüpft ist, dass neue Hard- und Software angeschafft und im Betrieb bzw. im Rahmen mobiler Tätigkeit zum Einsatz gebracht wird. Auch wenn § 87 BetrVG dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei Maßnahmen zuerkennt, die das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen, wird man daraus aber keine Befugnis des Betriebsrats ableiten können, den Arbeitgeber zu verpflichten, in einer bestimmten Weise entsprechende Rechte und Pflichten gegenüber Dritten einzugehen. Das kann aber das Ergebnis eines Spruchs der Einigungsstelle sein, selbst wenn die Einleitung des Beteiligungsverfahrens durch den Betriebsrat ergebnisoffen erfolgt. Auch diese Verpflichtung gegenüber Dritten kann durch ein Initiativrecht im Bereich der Gefährdungsbeurteilung, als Folge dessen nur die Art und Weise behandelt, nicht aber bestimmt wird, durch wen sie durchgeführt wird, eingeführt werden. Wir werden über die weiteren Einzelheiten zur Mitbestimmung des Betriebsrats und zu den Schranken seines Initiativrechts berichten, wenn der vollständig begründete Beschluss verfügbar ist. (Ga/Pi)
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Microsoft Office 365
Unabhängig von seinen Feststellungen zum Übergangs- oder Restmandat des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Spaltung bzw. Auflösung eines
94 BAG v. 11.2.2014 – 1 ABR 72/12, NZA 2014, 989; BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03, NZA 2005, 227; BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 13/03, NZA 2004, 1175.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Gemeinschaftsbetriebs, die an anderer Stelle behandelt werden95, hat sich das BAG in seinem Beschluss vom 8.3.202296 auch intensiv mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG befasst. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Kommt in diesem Zusammenhang keine Einigung der Betriebsparteien zustande, entscheidet die Einigungsstelle nach § 87 Abs. 2 BetrVG. Die Mitbestimmung des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat in der betrieblichen Praxis eine ganz herausragende Bedeutung, weil fast alle betrieblichen Abläufe als Folge der Digitalisierung durch Software gestützt oder gesteuert werden. Folgerichtig kann die entsprechende Technik erst dann eingeführt werden, wenn der Betriebsrat der Einführung und Anwendung zugestimmt hat oder seine Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde. Das ist häufig nicht nur mit einer erheblichen Verzögerung in der Umsetzung verbunden, die neben der Einführung auch die spätere Aktualisierung bzw. etwaige Updates erfasst. Die entsprechende Beteiligung des Betriebsrats kann auch zu erheblichen Kosten führen, was insbesondere dann gilt, wenn der Betriebsrat – innerhalb oder außerhalb einer Einigungsstelle – Sachverständige hinzuzieht. Das gilt spätestens seit der Neuregelung in § 80 Abs. 3 S. 2, 3 BetrVG. Denn danach gilt die Hinzuziehung eines Sachverständigen insoweit als erforderlich, als der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung und Anwendung von KI beurteilen muss. Denn der Begriff der KI ist durch den Gesetzgeber nicht bestimmt worden, wie wir im Zusammenhang mit der BetrVG-Reform bereits angemerkt hatten97. Zwar dürfte der Gesetzgeber nicht den Willen gehabt haben, mit dem Begriff der KI in § 80 Abs. 3 S. 2, 3 BetrVG jede technische Einrichtung zu erfassen, die Gegenstand der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist. Dies wird deutlich, wenn man die entsprechende Anpassung des Gesetzentwurfs im Rahmen der Reform des Jahres 2021 berücksichtigt98, bei der die Einbeziehung von Sachverständigen nach der Kritik an den weitreichenden Folgen einer Anknüpfung an § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auf Fälle begrenzt wurde, die mit dem Einsatz von KI verbunden sind. Wenn man sich dann aber die Definition vor
95 96 97 98
B. Gaul, AktuellAR 2022, 620 ff. BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134 Rz. 29 ff. B. Gaul, AktuellAR 2021, 571. BT-Drucks. 19/28899 S. 17 einerseits und BT-Drucks. 19/28899 S. 22 andererseits.
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Augen führt, wie sie beispielsweise in Art. 3 Nr. 1 des Vorschlags für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (Gesetz über Künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union vom 21.4.202199 enthalten ist, wird deutlich, dass mit dem Verweis auf die Einführung oder Anwendung von KI nicht zwingend eine echte Begrenzung bewirkt wurde. Denn der Vorschlag bezeichnet als KI-System eine Software, die mit einer oder mehreren der im Anhang I aufgeführten Techniken und Konzepten entwickelt worden ist und im Hinblick auf eine Reihe von Zielen, die von Menschen festgelegt werden, Ergebnisse wie Inhalte, Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen hervorbringen kann, die das Umfeld beeinflussen, mit dem sie interagiert. Denn von dieser Definition wird beispielsweise auch die Software Excel erfasst, die angesichts vorgegebener Befehlsketten ohne einen selbstlernenden Prozess mit KI im herkömmlichen Sinne nichts gemeinsam haben dürfte. In dem der Entscheidung des BAG vom 8.3.2022100 zugrunde liegenden Fall beabsichtigte der Arbeitgeber, in allen Betrieben seines Unternehmens das Software Paket Office 365 einzuführen. Das Produkt bestand aus den Desktop-Anwendungen Office 365 ProPlus (jetzt Microsoft 365 Apps) und den Diensten Teams, Yammer, Sway, Planner, Stream, Flow (jetzt Power Automate), Forms, Power Apps und To Do. Die Nutzung sollte in Form einer „One-Tenant-Lösung“ erfolgen. Dabei wird das gesamte Unternehmen bezogen auf die elektronische Datenverarbeitung als ein einheitlicher Mandant (Tenant) mit einer zentralen Administration geführt. Die dabei erstellten und erhobenen Daten werden in einer einheitlichen Cloud gespeichert. Der Gesamtbetriebsrat hatte dem unternehmensweiten Einsatz des Softwarepakets zwar bereits im April 2019 zugestimmt. Der an einem der Standorte gebildete Betriebsrat vertrat allerdings die Auffassung, er habe bei der Einführung und Anwendung des Softwarepakets – zumindest aber von Teilen desselben – mitzubestimmen und habe die insoweit erforderliche Zustimmung noch nicht erteilt. Für eine unternehmensweite einheitliche Regelung bestehe keine zwingende technische Notwendigkeit. Die zentralen Administrationsrechte könnten – jedenfalls für einige Module – auch auf betrieblicher Ebene geregelt und die Anwendung in den einzelnen Betrieben unterschiedlich ausgestaltet werden. Daran anknüpfend beantragte er festzustellen, dass er für die Einführung von Microsoft Office 365, hilfsweise jedenfalls einzelner Module, in seinem Betrieb zuständig sei.
99 COM(2021) 206 final. 100 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134.
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Das BAG hat zwar grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anerkannt, im konkreten Fall aber eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats angenommen und die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats daher für unbegründet gehalten. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind technische Einrichtungen zur Überwachung „bestimmt“, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Es genügt also, dass die Technik an dieser Aufzeichnung ausgerichtet ist. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es – so das BAG – nicht an101. Diese Voraussetzungen werden durch Microsoft Office 365 erfüllt. Denn die im Zusammenhang von Office 365 ProPlus und den einzelnen Diensten erstellten, anfallenden oder erhobenen Daten können für eine Leistungs- oder Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmer genutzt werden. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand daher die Frage, ob für die Einführung und Anwendung dieser technischen Einrichtung der antragstellende Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat zuständig war. Gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. In diesem Fall erstreckt sich seine Zuständigkeit auch auf Betriebe, in denen kein Betriebsrat gebildet wurde. Voraussetzung für eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist damit nicht nur, dass die Angelegenheit – was hier der Fall war – mehrere Betriebe betrifft. Vielmehr muss auch objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung gegeben sein. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich – so das BAG – nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Dafür sind im Zweifel die Pläne des Arbeitgebers entscheidend. Maßgeblich seien insoweit stets die konkreten Gegebenheiten im Unternehmen und in den einzelnen Betrieben. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmä101 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134 Rz. 30; BAG v. 11.12.2018 – 1 ABR 13/17, NZA 2019, 1009 Rz. 24.
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ßigkeitsgesichtspunkte genügten indes nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen102. Von dieser gesetzlichen Vorgabe ausgehend hat das BAG eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bereits aus dem Umstand heraus begründet, dass die Administration der Software, die eingeführt werden sollte, als Folge der „One-Tenant-Lösung“ bereits aus technischer Sicht nur einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgen konnte. Daran anknüpfend sollten nämlich auch die Administrationsrechte zentral vergeben werden. Da auf diese Weise eine zentrale Möglichkeit zur Kontrolle des Nutzungsverhaltens der Arbeitnehmer in sämtlichen Betrieben geschaffen werden sollte, war auch eine betriebsübergreifende Regelung notwendig. In entsprechender Weise hatte das BAG schon bei früherer Gelegenheit bei der Absicht des Arbeitgebers, unternehmensübergreifende Administrationsrechte festzulegen, eine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats angenommen103. Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat die daran anknüpfende Klarstellung des BAG, nach der eine dezentrale Zuständigkeit einzelner Betriebsräte auch nicht mit dem Umstand begründet werden könne, dass bei einzelnen Modulen benutzerbezogene Einstellungen vorgenommen werden können, bei denen betriebsbezogene Modifikationen erfolgen. Denn auch solche Einstellungen könnten nicht verhindern, dass im Rahmen einer zentralen Administration der Software betriebsübergreifende Verwendungsberichte, Nutzungsanalysen oder Ergebnisprotokolle erstellt werden können. Unerheblich ist für das BAG auch, wenn die Nutzung einzelner Module in betriebsspezifischer Weise gestaltet werden kann. Denn nach dem Grundsatz der Zuständigkeitstrennung obliege die Regelung einer Angelegenheit ausschließlich den einzelnen Betriebsräten, dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat. Diese gesetzliche Kompetenzverteilung sei zwingend und unabdingbar104. Sei der Gesamtbetriebsrat zuständig, müsse er die gesamte Angelegenheit mit dem Arbeitgeber regeln. Gleiches gelte für den Konzernbetriebsrat. Dabei dürften sich der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat gar nicht auf diejenigen Aspekte oder Inhalte beschränken, die zwingend eine unternehmenseinheitliche bzw. unternehmensübergreifende Ausgestal102 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134 Rz. 33; BAG v. 18.7.2017 – 1 ABR 59/15, NZA 2017, 1615. Rz. 19; BAG v. 17.3.2015 – 1 ABR 48/13, NZA 2015, 885 Rz. 29. 103 Vgl. BAG v. 25.9.2012 – 1 ABR 45/11, NZA 2013, 275 Rz. 26 f. 104 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134 Rz. 37; BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, NZA 2007, 399 Rz. 34.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
tung verlangten. Vielmehr müssten auch Gesamt- und Konzernbetriebsrat selbst örtliche bzw. unternehmensbezogene Besonderheiten105. Im Zweifel dürfte die Einführung und Anwendung einer Software daher regelmäßig in die Zuständigkeit des Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrats fallen. Das folgt bereits aus der vielfach bestehenden Notwendigkeit, Arbeits- und Ablaufprozesse, die im Rahmen der Digitalisierung softwareunterstützt laufen, standort- und unternehmensübergreifend einheitlich auszugestalten und daran anknüpfend auch einer einheitlichen Nutzung bzw. Überwachung zugänglich zu machen. Dass in einem Unternehmen ein Gesamtbetriebsrat nicht oder nicht wirksam errichtet wurde, bewirkt nach den Feststellungen des BAG im Beschluss vom 8.3.2022106 kein anderes Ergebnis. Selbst wenn die Errichtung des Gesamtbetriebsrats unwirksam wäre, begründet dies – so das BAG – nicht die Zuständigkeit des antragstellenden Betriebsrats. Den örtlichen Betriebsräten komme keine „Auffangkompetenz“ für den Fall zu, dass ein Gesamtbetriebsrat nicht oder nicht wirksam errichtet werde107. Von diesen überzeugenden Feststellungen des BAG ausgehend ist es gerade bei den IT-Prozessen wichtig, rechtzeitig den jeweils zuständigen Betriebsrat einzubinden. Dabei ist unabhängig von § 80 Abs. 3 BetrVG sicherzustellen, dass die Arbeitnehmervertreter verstehen, welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck verarbeitet werden und welche Personen Zugriff auf diese Daten haben sollen. Daran anknüpfend kann ein Prozess zur Verarbeitung dieser Daten aufgesetzt und im Rahmen einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Damit das Ergebnis keinen statischen Charakter besitzt, sondern künftige Veränderungen möglich macht, sollte versucht werden, in dieser Betriebsvereinbarung auch Regelungen zu künftigen Veränderungen und Updates zu treffen. Das gilt insbesondere dort, wo eine Software durch den Anbieter gehostet und dem Verwender über das Internet zur Nutzung zur Verfügung gestellt wird (Software-as-a-Service – SaaS). Eine erneute Zustimmung des Betriebsrats erscheint auch in diesen Fällen nur geboten, wenn andere Daten verarbeitet oder weitere Zweckbestimmungen verfolgt werden. Eine daraus folgende Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats muss allerdings klar geregelt werden. (Ga)
105 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134 Rz. 37; BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, NZA 2007, 399 Rz. 33. 106 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134. 107 Ebenso bereits BAG v. 17.5.2011 – 1 ABR 121/09, AiB 2012, 538 Rz. 18; Fitting, BetrVG § 50 Rz. 10; HWK/Hohenstatt/Dzida, BetrVG § 50 Rz. 2 ff.
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I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Betriebsratsloser Betrieb: Anspruch auf Sozialplan nach (späterer) Betriebsratswahl?
Die fehlende Wahl eines Betriebsrats hat nicht nur Bedeutung in Bezug auf die Frage, ob der Arbeitgeber bei Einstellungen bzw. Entlassungen oder im Zusammenhang mit Maßnahmen im Rahmen der Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses (z. B. Anordnung von Überstunden, Regelungen zur variablen Vergütung) ohne die vorherige Beteiligung einer Arbeitnehmervertretung verfahren kann. Ganz erhebliche Bedeutung hat das Fehlen eines Betriebsrats dann, wenn die Umsetzung einer Betriebsänderung in Rede steht. Denn in diesem Fall entfällt nicht nur die Verpflichtung zur Unterrichtung und Beratung nach § 111 BetrVG. Vielmehr besteht auch keine Notwendigkeit, über das Ob, Was, Wie, Wann oder Wer der geplanten Maßnahme (Interessenausgleich) und einen Ausgleich bzw. die Milderung wirtschaftlicher Nachteile der Betriebsänderung (Sozialplan) gemäß § 112 BetrVG zu verhandeln. Vielmehr darf die Maßnahme ohne Einflussnahme eines Betriebsrats umgesetzt werden. Selbst wenn dies zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen führt, ist eine Abfindung nur dann zu zahlen, wenn das Unternehmen hierzu bereit ist. Vor diesem Hintergrund ist es aus Unternehmenssicht in Bezug auf etwaige Personalmaßnahmen in einer betriebsratslosen Einheit wichtig, etwaige Planungen alsbald abzuschließen und die Umsetzung vorzunehmen. Denn wenn in einem bislang betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat erst gebildet wird, nachdem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, steht dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans (mehr) zu. Darauf hat das BAG noch einmal in seinem Beschluss vom 8.2.20221 hingewiesen. Umgekehrt folgt daraus für die Arbeitnehmerseite, dass jedenfalls in wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch die rechtzeitige Wahl eines Betriebsrats nicht nur das Beteiligungsrecht im Vorfeld einer Kündigung aus § 102 BetrVG gewährleistet ist. Das kann dann auch einen Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens zur Folge haben und damit vorübergehend das Arbeitsverhältnis als Lebensgrundlage sichern, selbst wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt und damit wirksam war. Vielmehr kann der Betriebsrat über seine Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG auch versuchen, Entlassungen zu vermeiden und – soweit dies nicht erfolgreich ist –
1
BAG v. 8.2.2022 – 1 ABR 2/21, NZA 2022, 870 Rz. 18 ff.
617
Betriebsänderung und Betriebsübergang
hierfür Ausgleichsmaßnahmen in Form eines Sozialplans durchzusetzen. Entsprechendes gilt nach § 17 Abs. 2 KSchG. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber in dem Betrieb, in dem zuletzt 25 Arbeitnehmer beschäftigt waren, am 22.6.2018 die Absicht verkündet, eine Stilllegung zum 31.8.2018 vorzunehmen. Noch im Juni wurde der überwiegende Teil der Arbeitsverhältnisse gekündigt. Auf der Grundlage einer Einladung zur Bestellung eines Wahlvorstands vom 5.7.2018 wurde allerdings erst am 20.7.2018 ein Betriebsrat gewählt, der den Arbeitgeber aufforderte, Sozialplanverhandlungen aufzunehmen. Als sich dieser weigerte, über einen Sozialplan zu verhandeln, bewirkte der Betriebsrat die gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Ziel, einen Sozialplan wegen der Betriebsschließung zu vereinbaren. Als sich die Einigungsstelle durch Spruch vom 17.5.2019 für unzuständig erklärte, beantragte der Betriebsrat festzustellen, dass die Aufstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsänderung zum 31.8.2018 seiner Mitbestimmung unterliege. Ein solcher Antrag ist zwar zulässig. Dem Antrag könne auch nicht entgegengehalten werde, dass die Angelegenheit mit der Entscheidung der Einigungsstelle bereits erledigt sei. Denn das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann – so das BAG – nicht durch einen Beschluss der Einigungsstelle, mit dem sie ihre Zuständigkeit bejaht oder verneint, ausgeübt worden sein. Ein solcher Beschluss begründe als Entscheidung über eine Rechtsfrage zudem kein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen den Betriebsparteien. Ein auf die Unwirksamkeit eines solchen Spruchs gerichteter Antrag wäre deshalb unzulässig. In der Sache war der Antrag des Betriebsrats indes unbegründet. Insofern bestätigt das BAG seinen bisherigen Grundsatz, nach dem der Betriebsrat eines bislang betriebsratslosen Betriebs, der erst nach Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung gewählt wird, nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangen könne2. Zur Begründung hat der 1. Senat des BAG darauf verwiesen, dass Beteiligungsrechte des Betriebsrats in dem Moment entstünden, in dem sich derjenige Tatbestand verwirkliche, an dem das jeweilige Recht anknüpfe. Bei den Beteiligungsrechten des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG sei dies die
2
BAG v. 8.2.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 870 Rz. 19; BAG v. 22.10.1991 – 1 ABR 17/91 n. v.; DKW/Däubler, BetrVG § 111 Rz. 154 f.; ErfK/Kania, BetrVG § 111 Rz. 6; Richardi/Annuß. BetrVG § 111 Rz. 27; a. A. LAG Köln v. 5.3.2007 – 2 TaBV 10/07, AuR 2007, 395.
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Betriebsratsloser Betrieb: Anspruch auf Sozialplan nach (späterer) Betriebsratswahl?
beabsichtigte und damit noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Sie bilde sowohl bei einem Interessenausgleich als auch – bezogen auf ihre Folgen – bei einem Sozialplan den Gegenstand der Mitbestimmung. Die Beteiligung des Betriebsrats solle grundsätzlich stattfinden, bevor die Betriebsänderung durchgeführt sei. Daher könne ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplans nicht mehr entstehen, wenn dieser zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen habe, noch nicht gebildet worden sei. Dabei verweist das BAG nicht nur auf den Umstand, dass der Gesetzgeber in §§ 111, 112 BetrVG von der „geplanten“ Betriebsänderung spreche. Um eine Planung i. S. d. § 111 BetrVG handele es sich, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen sei. Wichtig für die betriebliche Praxis ist die insoweit vorgenommene Klarstellung, nach der Gegenstand der Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG nicht die Planung des Arbeitgebers als solche, sondern die „geplante Betriebsänderung“ sei. Einerseits folgt daraus nämlich nicht nur, dass bis zum Abschluss der Planung noch kein Beteiligungsrecht aus §§ 111, 112 BetrVG gegeben ist. Andererseits kann das Beteiligungsrecht auch nur solange bestehen, wie die Maßnahmen (lediglich) „geplant“ seien, der Arbeitgeber also nicht mit der Umsetzung seiner Planung begonnen habe3. Ergänzend hierzu verweist das BAG auch auf den Umstand, dass der Arbeitgeber die wirtschaftliche Belastung durch einen Sozialplan im Zusammenhang mit der Abwicklung einer geplanten Betriebsänderung nur dann berücksichtigen könne, wenn darüber bereits vor Umsetzung der Maßnahmen verhandelt worden sei. Dieses Argument erscheint allerdings nicht zwingend. Zum einen kann eine Betriebsänderung bereits nach Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen umgesetzt werden, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Sozialplan besteht4. Zum anderen kann die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zur Folge haben, dass die Belastungen eines Sozialplans die arbeitgeberseitige Entscheidung über das Ob, Was, Wann und Wie der geplanten Maßnahmen nicht beeinflussen. Überzeugender erscheint deshalb auch der Hinweis auf § 113 BetrVG. Dieser bringt zum Ausdruck, dass Nachteilsausgleichsansprüche, die an die Stelle eines Sozialplans treten, schlussendlich durch den Arbeitgeber nur geschuldet werden,
3 4
BAG v. 8.2.2022 – 1 ABR 2/21, NZA 2022, 870 Rz. 24; BAG v. 22.10.1991 – 1 ABR 17/91 n. v. (Rz. 21). So berechtigterweise LAG Köln v. 5.3.2007 – 2 TaBV 10/07, AuR 2007, 396.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
wenn bestehende Beteiligungsrechte eines existenten Betriebsrats verletzt werden5. Von diesen Überlegungen ausgehend war es auch richtig, eine Verpflichtung des Arbeitgebers abzulehnen, mit der Umsetzung einer Betriebsänderung solange zu warten, bis ein Betriebsrat gebildet und seine Beteiligungsrechte aus §§ 111 ff. BetrVG gewahrt wurden. Eine solche Verpflichtung kann auch der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) nicht begründen. Es obliegt den Arbeitnehmern, unabhängig von einer geplanten Betriebsänderung zu entscheiden, ob ihre Interessen – und damit auch solche im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung – durch einen Betriebsrat in Form der Wahrnehmung von Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten vertreten werden sollen. Geschieht dies nicht, kann dies zwar für den einzelnen Arbeitnehmer von Vorteil sein, weil individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats getroffen werden können. Das ist beispielsweise wegen der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung in Bezug auf Angelegenheiten, die der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG unterfallen, jedenfalls bei kollektiven Sachverhalten nicht der Fall. Gleichzeitig hat dies allerdings auch Nachteile, die sich insbesondere im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch die fehlende Mitwirkung im Rahmen von §§ 102, 111 ff. BetrVG bemerkbar machen. (Ga)
2.
Übergangs- oder Restmandat bei der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs
In seinem Beschluss vom 8.3.20226 hat das BAG in überzeugender Weise die Rechtsfolgen der Auflösung eines gemeinsamen Betriebs in Bezug auf den darin gebildeten Betriebsrat beschrieben. Seine Ausführungen ergänzen die Feststellungen in dem weiteren Beschluss vom 8.3.20227, auf den wir im Zusammenhang mit der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Microsoft Office 365 an anderer Stelle hingewiesen hatten8. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall betrieb die Arbeitgeberin ein Verteilzentrum mit etwa 2.000 Arbeitnehmern. Bis Ende Juni 2020 waren im Verteilzentrum auch zwei Teams der D-GmbH mit insgesamt 20 Arbeit-
5 6 7 8
BAG v. 8.2.2022 – 1 ABR 2/21, NZA 2022, 870 Rz. 28. BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068. BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, NZA 2022, 1134. B. Gaul, AktuellAR 2022, 611 ff.
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Übergangs- oder Restmandat bei der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs
nehmern tätig. Die D-GmbH entwickelte und betreute die Informationstechnologie im Konzern. Am 2.6.2020 unterrichtete die Arbeitgeberin den im Verteilzentrum errichteten Betriebsrat darüber, dass eine Auflösung des gemeinsamen mit der D-GmbH geführten Betriebs beabsichtigt sei. Am 22.6.2020 erörterten einige Mitglieder des Betriebsrats dieses Vorhaben mit Vertretern der Arbeitgeberin. Am selben Tag schlossen die Arbeitgeberin und die D-GmbH eine Vereinbarung über die sofortige Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs. Der Betriebsrat wurde am 23.6.2020 über den Abschluss dieser Vereinbarung informiert. Ende Juni 2020 zogen die Arbeitnehmer der D-GmbH in ein anderes Betriebsgebäude am gleichen Ort um. Der Betriebsrat war der Auffassung, dass es sich bei der Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs um eine beteiligungspflichtige Betriebsspaltung i. S. d. § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG gehandelt habe, über die er nicht umfassend unterrichtet worden sei. Sie sei auch nicht ordnungsgemäß mit ihm beraten worden. Im Wesentlichen hat er deshalb beim Arbeitsgericht beantragt, der Arbeitgeberin aufzugeben, keine Betriebsänderung, hilfsweise keine Betriebsspaltung, vorzunehmen, ohne zuvor mit ihm einen Interessenausgleich geschlossen zu haben bzw. bis die Einigungsstelle das Scheitern eines Interessenausgleichs festgestellt habe. Hilfsweise sollten die Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG nachgeholt werden. Vor einer Bewertung der materiellen Rechtslage musste das BAG in seinem Beschluss vom 8.3.20229 zunächst einmal klären, ob der Betriebsrat überhaupt (noch) beteiligtenfähig war. Dies wäre nicht mehr der Fall, wenn sein Mandat als Folge der arbeitgeberseitigen Maßnahmen zur Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs geendet hätte, ohne dass er weitergehende Rechte aus einem Übergangs- oder Restmandat nach §§ 21 a, 21 b BetrVG hätte geltend machen können. Mit überzeugender Begründung hat das BAG indes die Beteiligtenfähigkeit angenommen. Dabei konnte offenbleiben, ob die Arbeitgeberin und die D-GmbH bis zum Wirksamwerden der arbeitgeberseitigen Maßnahmen überhaupt einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen gebildet hatten. Sollte es sich um einen gemeinsamen Betrieb der Unternehmen gehandelt haben, hätte nämlich – so das BAG – die Auflösung ihrer Betriebsführungsgemeinschaft durch die Vereinbarung vom 22.6.2020 und die getrennte Fortführung der einzelnen Betriebsteile zu einer Spaltung dieses Betriebs geführt. Diese Spaltung hätte aber nicht zur Folge gehabt, dass der Betriebsrat – neben 9
BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 12 ff.
621
Betriebsänderung und Betriebsübergang
einem zeitlich befristeten Übergangsmandant i. S. d. § 21 a Abs. 1 S. 1 BetrVG für den neuen Betrieb der D-GmbH – lediglich ein Restmandat i. S. d. § 21 b BetrVG für den ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb und ein Übergangsmandat für das von der Arbeitgeberin allein weitergeführte Verteilzentrum erworben hätte. Vielmehr wäre er bei der Arbeitgeberin weiterhin im Amt verblieben. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Differenzierung in Bezug auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen einer Spaltung des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen, die bereits an anderer Stelle erfolgt ist10, unterscheidet auch das BAG zwischen einer Betriebsaufspaltung und der Abspaltung eines Betriebsteils. Bei einer Aufspaltung werde der Ursprungsbetrieb aufgelöst; der Betriebsrat erhalte unter den Voraussetzungen des § 21 a Abs. 1 S. 1 BetrVG ein zeitlich begrenztes Übergangsmandat für die Betriebsteile und behalte nach § 21 b BetrVG ein Restmandat für den Ursprungsbetrieb. Bei einer Abspaltung bleibe die Identität des ursprünglichen Betriebs hingegen erhalten. Der Betrieb werde nicht aufgelöst, sondern bestehe fort. Der Betriebsrat bleibe in diesem Fall im Amt und behalte – neben einem Übergangsmandat i. S. d. § 21 a Abs. 1 BetrVG für den abgespaltenen Betriebsteil – das ihm durch die Wahl übertragene Mandat zur Vertretung der Belegschaftsinteressen und zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben11. Übertragen auf den Gemeinschaftsbetrieb bedeute dies, dass die Auflösung des gemeinsamen Betriebs und die getrennte Fortführung der Betriebsteile in eigenständigen Betrieben nicht stets zur Folge hätten, dass damit der Ursprungsbetrieb untergehe und (nur) ein Restmandat i. S. d. § 21 b BetrVG bestehe12. Entscheidend sei vielmehr auch in einem solchen Fall, ob dessen Identität erhalten bleibe, weil ein räumlicher und funktionaler Zusammenhang mit dem Ursprungsbetrieb gegeben und das betriebliche Substrat, auf das sich das Betriebsratsamt beziehe, weitgehend unverändert geblieben sei13. Von diesen Grundsätzen ausgehend nimmt das BAG zu Recht an, dass das Amt des Betriebsrats bei der Spaltung eines von der Arbeitgeberin und der D-GmbH gemeinschaftlich geführten Verteilzentrums nicht geendet hätte. Vielmehr wäre die Identität dieses Betriebs auch nach der Auflösung der 10 B. Gaul/B. Gaul, Arbeitsrecht der Restrukturierung Rz. 2. 23 ff. 11 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 18; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 48. 12 A. A. Fitting, BetrVG § 21 a Rz. 9 a; WPK/Wlotzke, BetrVG § 21 a Rz. 22. 13 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 19; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, NZA 2013, 277 Rz. 49.
622
Übergangs- oder Restmandat bei der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebs
Betriebsführungsgemeinschaft beider Unternehmen und dem Umzug der bei der D-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer in ein anderes Betriebsgebäude unverändert geblieben. Der arbeitstechnische Zweck des Verteilzentrums sei gleich. Der ganz überwiegende Teil der im Verteilzentrum beschäftigten Arbeitnehmer sei noch immer dort tätig. Auch in räumlicher Hinsicht sei die Situation unverändert geblieben. Anhaltspunkte für die Annahme, die Identität der den Betrieb prägenden Strukturen wäre nach dem Umzug der D-GmbH grundlegend verändert worden, sei weder dargetan noch ersichtlich. Der bloße Umstand, dass der betriebliche Leitungsapparat in diesem Fall nur noch von einem Rechtsträger, der Arbeitgeberin, gebildet würde, stünde einer Identitätswahrung nicht entgegen14. Bemerkenswert an der Entscheidung sind allerdings zwei weitere Feststellungen: Zunächst einmal geht das BAG davon aus, dass der Betriebsrat auch dann in seinem Bestand durch die arbeitgeberseitige Maßnahme nicht berührt worden wäre, wenn das Verteilzentrum zuvor kein gemeinsam von der Arbeitgeberin und der D-GmbH geführter Betrieb gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Wahl des für diesen Standort errichteten Betriebsrats zwar wegen einer Verkennung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffs nach § 19 Abs. 1 BetrVG anfechtbar gewesen15. Das BAG bestätigt insoweit seine frühere Rechtsprechung, die auch eine Nichtigkeit ausgeschlossen hatte16. In dem Umzug der D-GmbH im Juni 2020 sieht das BAG dann allerdings lediglich eine räumliche Trennung der beiden „betrieblichen“ Einheiten der Unternehmen, die nicht zu einem Verlust der Identität des Verteilzentrums und der Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrats geführt hätte. Offenbar nimmt das BAG an, dass mit der räumlichen Verlagerung nicht zugleich auch eine Teilung des (gemeinsamen) Betriebs bewirkt wurde. Vielmehr scheint der 1. Senat des BAG davon auszugehen, dass die fehlende Anfechtung der Betriebsratswahl zwar zur Folge hat, dass der Betriebsrat sein Mandat für die Arbeitnehmer beider Unternehmen am Standort ausüben kann, selbst wenn diese keinen gemeinsamen Betrieb bilden. Die Einheit selbst soll dann aber auch während der Amtszeit des Betriebsrats nicht als Gemeinschaftsbetrieb i. S. d. § 1 Abs. 2 BetrVG behandelt werden, was bedeuten könnte, dass man außerhalb der sich aus einer Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten durch den
14 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 20; BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NJW 2004, 1613. 15 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 21. 16 BAG v. 22.11.2017 – 1 ABR 40/16, NZA 2018, 724 Rz. 22; BAG v. 27.7.2011 – 7 ABR 61/10, NZA 2012, 345 Rz. 42.
623
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Betriebsrat ergebenden Fragen von einem Fortbestand getrennter Betriebe ausgehen muss. Dies scheint das BAG aus dem Umstand zu schließen, dass das Gesetz eine in § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG vergleichbare Regelung nicht enthalte17. Dies wiederum aber hat zur Folge, dass die räumliche Trennung der beiden Teile weder als Betriebsspaltung i. S. d. § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG noch als räumliche Verlagerung eines wesentlichen Betriebsteils nach § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG qualifiziert werden kann. Diese Sichtweise in Bezug auf die Folgen einer fehlerhaften Betriebsratswahl erscheint jedenfalls nicht zwingend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Wahl des Betriebsrats ohne eine wirksame Anfechtung dieser Wahl an sich zur Folge hat, dass der Betriebsrat zu Gunsten der Arbeitnehmer, die ihn gewählt haben, sämtliche gesetzlichen Beteiligungsrechte wahrnehmen kann. Dazu gehört konsequenterweise an sich auch §§ 111, 112 BetrVG. Es erscheint sinnvoll, in diesem Zusammenhang dann auch die Einheit, für die er zuständig ist, als gemeinsamen Betrieb i. S. d. BetrVG zu behandeln. Unabhängig davon scheint das BAG aber dann, wenn tatsächlich ein Gemeinschaftsbetrieb vorgelegen hat, die Spaltung nicht bereits deshalb aus dem Anwendungsbereich von §§ 111, 112 BetrVG ausgrenzen zu wollen, weil darin eine sog. „Bagatellabspaltung“ liegen könnte. Vielmehr lässt es der 1. Senat des BAG im vorliegenden Fall ausreichen, dass der abgespaltene Betriebsteil der D-GmbH eine seinerseits betriebsratsfähige Einheit bildete, um von einer Betriebsspaltung i. S. d. § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG auszugehen18. Dies überzeugt, führt man sich vor Augen, dass die Betriebsspaltung nur das Gegenstück zum Zusammenschluss mehrerer Unternehmen ist, der unabhängig von dem Verhältnis der Arbeitnehmerzahlen in den jeweils beteiligten Betrieben bereits dann in den Anwendungsbereich von § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG fällt, wenn in der Einheit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmer tätig sind19. (Ga)
17 BAG v. 8.5.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 21, 39. 18 BAG v. 8.3.2022 – 1 ABR 19/21, NZA 2022, 1068 Rz. 38. 19 BAG v. 8.6.1999 – 1 AZR 831/98, NZA 1999, 1168; HWK/Hohenstatt/Willemsen, BetrVG § 111 Rz. 12.
624
J.
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
1.
Steuerliche Erleichterungen durch das 4. CoronaSteuerhilfegesetz
Das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz – 4. Corona-StHG) ist am 22.6.2022 veröffentlicht worden und in weiten Teilen in Kraft getreten1. Wegen der Einzelheiten sei insoweit auf das Frühjahr verwiesen2. Sonstige Erleichterungen, wie sie z. B. durch die Steuerfreiheit in Bezug auf Zuschläge auf das Kurzarbeitergeld begründet waren, sind inzwischen ausgelaufen. Auch darauf haben wir an anderer Stelle hingewiesen3. (Ga)
2.
Homeoffice und Grenzpendler: Keine weiteren Erleichterungen
Etwas 450.000 Arbeitnehmer sind in Deutschland oder im grenznahen Ausland als sog. Grenzpendler tätig. Auch bei ihnen wurde der Arbeitsplatz im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vielfach ins Homeoffice verlagert. Das hatte zur Folge, dass der Schwerpunkt der Arbeit für den überwiegenden Teil des Kalenderjahres vielfach nicht mehr im (grenznahen) Ausland, sondern am Wohnort erbracht wurde. Um zu vermeiden, dass daraus unbeabsichtigte Konsequenzen für die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Handhabe solcher Arbeitsverhältnisse resultierten, waren während der COVID-19-Pandemie Ausnahmeregelungen geschaffen worden, aufgrund derer die Arbeitnehmer im Grunde so behandelt wurden, als seien sie weiterhin als Grenzpendler im Ausland tätig. Diese Vereinbarungen wurden zum 30.6.2022 beendet. Wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU mitgeteilt hat4, ist nicht beabsichtigt, mit den betroffenen Ländern über eine Fortsetzung zu sprechen. Mit Ausnahme einer Übergangsregelung, die für das Sozialversicherungsrecht noch bis zum 31.12.2022 zur Anwendung kommen soll, bestimmt sich damit das sozialversicherungsrechtliche Statut nach den 1 2 3 4
BGBl. I 2022, 911. B. Gaul, AktuellAR 2022, 314 ff. B. Gaul, AktuellAR 2022, 333 ff. BT-Drucks. 20/3006.
625
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
allgemeinen Grundsätzen, insbesondere also der Verordnung 883/2004/EG und der Verordnung 987/2009/EG. Steuerlich kommen die in den verschiedenen Doppelbesteuerungsabkommen getroffenen Regelungen zur Anwendung, ohne dass damit weitere Privilegien bei einer Arbeit im Homeoffice für Grenzpendler gelten. Lediglich mit Luxemburg ist eine Bagatellregelung getroffen worden, die an eine Auslandstätigkeit von nicht mehr als 19 Tagen geknüpft ist. Weitergehende Regelungen zur Individualbesteuerung sollen allenfalls auf OECD- oder EU-Ebene verhandelt werden. Das betrifft auch das Betriebsstättenrisiko, das dadurch begründet werden kann, dass durch den Arbeitnehmer im Ausland eine Haupttätigkeit des Unternehmens ausgeführt wird. Hier verweist die Bundesregierung auf die bestehenden Regelungen auf OECDEbene5. (Ga)
3.
Steuerliche Behandlung von Arbeitnehmereinkünften bei Auslandstätigkeiten
Am 10.6.2022 hat das BMF seine Sichtweise zur steuerlichen Behandlung von Arbeitnehmereinkünften bei Auslandstätigkeiten aktualisiert und damit das BMF-Schreiben vom 31.10.1983 neu gefasst. Die Regelungen haben insbesondere Bedeutung für den Anlagebau und regeln unter welchen Voraussetzungen von der Besteuerung des Arbeitslohns, den der Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Ausland erhält, abgesehen wird. (Ga)
4.
Neufassung der Geringfügigkeitsrichtlinien
Mit Wirkung zum 1.10.2022 ist die Geringfügigkeitsgrenze von 450 € auf 520 € angehoben worden. Wir hatten darüber berichtet6. Ergänzend hierzu sind die Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen (Geringfügigkeitsrichtlinien) durch den GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Baden-See und die Bundesagentur für Arbeit überarbeitet worden. In ihrer Neufassung vom 16.8.2022 beschreiben sie alle sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer geringfügigen Beschäftigung. Diese Zusammenfassung, die mit einer Vielzahl von Beispielen verbunden wird, ist für die betriebliche Praxis außerordentlich hilfreich. Das gilt beispielsweise auch für den Umgang mit einem unvorhergesehenen Über5 6
BT-Drucks. 20/3006 S. 8 f. B. Gaul, AktuellAR 2022, 15 ff., 338 f.
626
Beschäftigungsverhältnisse im Übergangsbereich
schreiten der Geringfügigkeitsgrenze oder die Behandlung von Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Änderungen zwischen 450,01 € und 520 € verdienten und deshalb in eine Übergangsregelung fallen, die bis zum 31.12.2023 gilt. (Ga)
5.
Neue Richtlinien der Sozialversicherungsträger für Beschäftigungsverhältnisse im Übergangsbereich
Als weitere Konsequenz der gesetzlichen Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, die zum 1.10.2022 wirksam geworden sind7, haben der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Bundesagentur für Arbeit am 16.8.2022 auch neue Richtlinien zur versicherungs-, beitrags- und melderechtlichen Behandlung von Beschäftigungsverhältnissen im Übergangsbereich nach § 20 Abs. 2 SGB IV veröffentlicht, die ab dem 1.10.2022 die Richtlinien vom 21.3.2019 ersetzen. Eine entsprechende Beschäftigung im Übergangsbereich liegt seit dem 1.10.2022 vor, wenn das erzielte Arbeitsentgelt regelmäßig 520,01 € bis 1.600,00 € im Monat beträgt und regelmäßig 1.600,00 € im Monat nicht übersteigt. Arbeitnehmer, die bereits in der Vergangenheit im Übergangsbereich tätig waren und zwischen 450,01 € und 520,00 € verdienten, werden bis zum 31.12.2023 als Bestandteil einer Übergangsregelung als Beschäftigte im Übergangsbereich behandelt, obwohl eigentlich eine geringfügige Beschäftigung vorliegt. Falls in der betrieblichen Praxis bei der sozialversicherungsrechtlichen Handhabe solcher Beschäftigungsformen Fragen bestehen, sollte zunächst einmal auf diese Richtlinien zurückgegriffen werden. Die sachbezogene Erläuterung nebst einer Vielzahl von Beispielen, die rechtsnormenübergreifend erfolgt, erleichtert das Verständnis in dieser komplexen Materie. (Ga)
7
B. Gaul, AktuellAR 2022, 15 ff., 338 f.
627
Aktuelles aus Steuer- und Sozialversicherungsrecht
6.
Beitragsbemessungsgrößen der Sozialversicherung 2023 2022 West
2023 Ost
West
Ost
Monat
Jahr
Monat
Jahr
Monat
Jahr
Monat
Jahr
Beitragsbemessungsgrenze
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
(Rentenversicherung) *
7.050
84.600
6.750
81.000
7.300
87.600
7.100
85.200
Beitragsbemessungsgrenze
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
(Knappschaft) *
8.650
103.800
8.350
100.200
8.950
107.400
8.700
104.400
Beitragsbemessungsgrenze
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
(Arbeitslosenversicherung)
7.100
85.200
6.700
80.400
7.300
87.600
7.100
85.200
Beitragsbemessungsgrenze
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
(Kranken- und Pflegeversi-
4.837,50
58.050
4.837,50
58.050
4.987,50
59.850
4.987,50
59.850
Versicherungspflichtgrenze
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
(Kranken- und Pflegeversi-
5.362,50
64.350
5.362,50
64.350
5.550
66.600
5.550
66.600
Bezugsgröße in der Sozial-
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
EUR
versicherung ***
3.290
39.480
3.150
37.800
3.395
40.740
3.290
39.480
Geringfügigkeitsgröße
EUR
EUR
EUR
EUR
450
450
520
520
*
cherung) *
cherung) **
*
Hierbei handelt es sich um den Maximalbetrag, bis zu dem in der jeweiligen Sozialversicherung Beiträge erhoben werden dürfen. Der Einkommensanteil, der über diesem Grenzbetrag liegt, ist beitragsfrei.
** Eine private Krankenversicherung darf gewählt werden, wenn im vergangenen Jahr die Versicherungspflichtgrenze überschritten wurde und auch im aktuellen Kalenderjahr noch überschritten wird. *** In der gesetzlichen Krankenversicherung ist diese Bezugsgröße beispielsweise Grundlage für die Festsetzung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für freiwillige Mitglieder und das Mindestarbeitsentgelt. In der gesetzlichen Rentenversicherung stellt die Bezugsgröße die Grundlage für die Beitragsberechnung versicherungspflichtiger Selbständiger dar. In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gilt der Wert für den Westen bundeseinheitlich. (Roe)
628
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen Abrufarbeit - Arbeitsvertrag 407 - geringfügige Beschäftigung 338 f. Abteilungsversammlung, virtuell 351 AGB-Kontrolle - Ausschlussfrist 485 ff. - Bezugnahmeklausel 568 ff. Änderungskündigung, NachwG 400 f. Anscheinsvollmacht, Betriebsrat 587 Antidiskriminierungsstelle, Zuständigkeit 358 Arbeitnehmerdatenschutz → Datenschutz Arbeitnehmerüberlassung - Arbeitsvertragsstatut 459 ff. - ausländischer Arbeitnehmer 459 ff. - Auslandsbezug 459 ff. - Eingriffsnorm 462 - Employer of Records 458 ff. - Equal-Pay-Grundsatz 453 ff. - Equal-Treatment-Grundsatz 453 ff. - Erlaubnispflicht 459 ff. - gemeinsamer Betrieb 448 ff. - grenzüberschreitende 458 ff. - Höchstüberlassungsdauer 451 ff. - Internationales Privatrecht 462 - Kurzarbeit 334, 336 - Tarifautonomie 457 - Territorialitätsprinzip 460
Arbeitskampf, Boykottaufruf 571 ff. Arbeitslosenversicherung, Beitragsbemessungsgrenze 628 Arbeitsort, Arbeitsvertrag 403 Arbeitsplatz, Temperatur 347 Arbeitsschutz - Arbeitszeiterfassung 603 ff. - COVID-19 339 ff. - Datenschutz 441 - Digitalisierung 386 - EU-Rahmen 385 ff. - Geschlechterperspektive 386 - HinSchG 374 f. - Homeoffice 387, 445 ff. - KI 386 - lebenslanges Lernen 386 - Mitbestimmung Betriebsrat 602 - mobile Arbeit 445 ff. - Nachtarbeitszuschlag 497 ff. - Plattformbeschäftigte 386 - Telearbeit 387, 445 ff. - Testpflicht 438 ff., 441 f. - Verhältnismäßigkeit 440 f. - Verstöße 374 Arbeitsschutzverordnung 344 ff. Arbeitsunfähigkeit → Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitsvertrag - Beginn 413 - Abrufarbeit 407 - Altersversorgung 408 - Änderung 400 f. - Arbeitsort 403 - Arbeitszeit 407 - AT-Vertrag 405 629
Stichwortverzeichnis
Arbeitsvertrag - Auslandstätigkeit 491 ff. - Auslegung 568 ff. - Ausschlussfrist 485 ff. - Betriebsrente 408 - Betriebsvereinbarung 415 ff. - Bezugnahmeklausel 412 f., 415 ff. - Bußgeld 417 ff. - Charakterisierung 414 - Entgelt 405 - Entgeltfortzahlung 406 - Entgeltumwandlung 409 - Fortbildung 408 - grenzüberschreitender 415 - Homeoffice 403 - Jobtitel 414 - Kündigung 410 - Mehrarbeit 405, 407 f. - mobile Arbeit 403 - NachwG 333, 397 ff. - Nettozusage 493 ff. - Pausen 407 - Probezeit 404 - Qualifizierung 408 - Quotelung Urlaub 520 ff. - Schichtsystem 407 - Schriftform 399 - Tätigkeitsbeschreibung 414 - Transparenzgebot 568 ff. - Überstunden 405, 407 f. - Urlaub 414 - Vergütung 405 ff. - Vertragsdauer 402 - Wartezeit 404 - Weiterbildung 408 Arbeitsverweigerung, Kündigung 550 ff. Arbeitszeit - Arbeitsvertrag 407 - Mitbestimmung 602 630
Arbeitszeiterfassung - Bereichsausnahme 607 f. - Datenschutz 605 - Delegation 606 - elektronische 603 ff. - Initiativrecht Betriebsrat 608 ff. - Koalitionsvertrag 604 - objektiv 606 - Opt-In-/Opt-Out-System 604 ff. - Papierform 605 - verlässlich 606 - Vertrauensarbeitszeit 604 ff., 607 f. - zugänglich 606 ArbZG, Arbeitszeiterfassung 603 ff. AT-Vertrag - NachwG 405 - Überstunden 405 AU-Bescheinigung - elektronische 352 ff. - telefonische 346 Aufsichtsrat - ESG 602 - Frauenquote 391 ff. - HinSchG 364 AÜG - Gesamtschutz 456 - Gleichbehandlungsgrundsatz 456 - Höchstüberlassungsdauer 451 ff. - Kurzarbeit 334 Auslandstätigkeit - Arbeitsvertrag 491 ff. - BMF-Schreiben 626 - Lohnsteuer 491 ff. - Tax Equalization 491 ff. Ausschlussfrist - AGB-Kontrolle 485 ff. - Arbeitsvertrag 485 ff. - Betriebsvereinbarung 488
Stichwortverzeichnis
Ausschlussfrist - Klauselverbote 487 ff. - Mindestlohn 489 - Tarifvertrag 488 - Transparenzgebot 488 Außerordentliche Kündigung - Berichtspflicht 550 - Compliance-Organisation 549 f. - Compliance-Sachverhalt 543 ff. - Datenschutzbeauftragter 528 ff. - gebotene Eile 543 f. - Kündigungsberechtigter 545 ff. - Organisationsverschulden 546 - Revision 548 - Sachverhaltsermittlung 544 f. - Treu und Glaube 546 f. - Wissenszurechnung 547 ff. - Zwei-Wochen-Frist 543 ff. Bagatellabspaltung, Betriebsänderung 624 Bagatellverstoß, Datenschutz 480 f. Baugewerbe, Kurzarbeit 335 Beamte, Datenschutz 470 ff. BEEG - Teilzeitantrag 357 - Vaterschaftsurlaub 358 f. Befristeter Arbeitsvertrag - Führungskraft 420 f. - leitender Angestellter 420 f. - Probezeit 404 Behinderung, Diskriminierung 534 ff. Berufsunfall, Vision Null 385 Beschäftigungsgeber, HinSchG 364 Betriebliche Altersversorgung - Arbeitsvertrag 408 - Betriebsvereinbarung 580 - Entgeltumwandlung 409 - Versorgungsträger 409
Betriebsänderung - Bagatellabspaltung 624 - Restmandat 621 ff. - Übergangsmandat 621 ff. Betriebsbedingte Kündigung - Massenentlassung 525 ff. - Wiedereinstellung 541 ff. Betriebsfeier, Hygienekonzept 442 f. Betriebsrat - Anscheinsvollmacht 578 - Beschluss 577 ff. - Datenschutz 476 - gemeinsamer Betrieb 449 ff. - HinSchG 371 - Kollegialorgan 578 - Sachverständiger 612 - Sphärentheorie 579 - Vertretung 577 ff. Betriebsratsloser Betrieb, Sozialplan 617 ff. Betriebsratswahl, Sozialplan 617 ff. Betriebsrente → Betriebliche Altersversorgung Betriebsstättenrisiko, Grenzpendler 626 Betriebsteilübergang → Betriebsübergang Betriebsübergang - Insolvenz 541 ff. - Interessenausgleich 376 - Kündigungsschutz 376 - NachwG 401 - Unterrichtung 377 - Wiedereinstellungsanspruch 541 ff. Betriebsvereinbarung - Arbeitsvertrag 415 ff. - Ausschlussfrist 488 - Betriebsratsbeschluss 577 ff. 631
Stichwortverzeichnis
Betriebsvereinbarung - Betriebsrente 580 - Datenschutz 468 ff. - Formerfordernis 577 ff. - Genehmigung 580 - Sphärentheorie 579 - Unwirksamkeit 577 ff. Betriebsversammlung, virtuell 351 Beweislastumkehr, NachwG 417 ff. Bewerber - Diskriminierung 421 ff., 429 ff. - Rechtsmissbrauch 425 Bezugnahmeklausel - AGB-Kontrolle 568 ff. - Arbeitsvertrag 412 f., 415 ff., 568 ff. - Transparenzgebot 568 ff. Boykottaufruf, Arbeitskampf 571 ff. Bußgeld, NachwG 402, 417 ff. C-ASV - Aufklärung 345 - Gefährdungsbeurteilung 344 f. - Homeoffice 345 - Maskenpflicht 345 - Mindestabstand 345 - Schutzimpfung 345 Compliance-Sachverhalt, Kündigung 543 ff. Corona → COVID-19 Corona-Maske, Erschwerniszulage 567 f. Corona-Sonderzahlung - Pfändbarkeit 503 - Zweck 503 f. COVID-19 - 2G-/3G-Maßnahme 339 f. - Arbeitsschutz 339 f., 438 ff. - Arbeitsschutzverordnung 344 ff. - Arbeitsunfähigkeit 443 f. 632
COVID-19 - Betriebsfeier 442 f. - Direktionsrecht 438 ff. - Einzelhandel 343 - Erschwerniszulage 567 f. - Evaluationspapier 339 f. - Gefährdungsbeurteilung 344 - Genesenenstatus 340 - Gesundheitssystem 342 - Großhandel 343 - Homeoffice 345, 444 - Hygienekonzept 344 f., 440, 442 f. - IfSG 341 ff. - Impfpflicht 341 f., 350 f. - Impfstatus 340 - Krankengeld 346 f. - Luftverkehr 341 - Maskenpflicht 340 ff., 345, 567 f. - Mindestabstand 343, 345 - ÖPNV 341 f. - PCR-Test 439 ff. - Quarantäne 441 f. - Reiserückkehrer 442 - Risikogebiete 442 - Schulen 342 f. - Schulschließung 340 - Schutzimpfung 345 f. - Schutzmaßnahmen 339 ff. - Testpflicht 340 ff., 438 ff. - Weihnachtsfeier 442 f. Dankesformel, Zeugnis 559 ff. Datenschutz - Angemessenheitsbeschluss 384 - Arbeitsschutz 441 - Arbeitszeiterfassung 605 - Bagatellverstoß 480 - Beamte 470 ff.
Stichwortverzeichnis
Datenschutz - Beschäftigungsverhältnis 467 ff., 470 ff. - Betriebsrat 476 - Betriebsvereinbarung 468 ff. - Beweislast 476 - Datenschutzbeauftragter 528 ff. - Darlegungslast 476 - DSGVO 384, 467 ff. - EU-US Data-Privacy-Framework 383 f. - EU-US Data-Privacy-Shield 383 - Exkulpation Schadensersatz 476 - grenzüberschreitender 383 f. - HinSchG 370 - immaterieller Schaden 474 f. - Kausalität 475 - Konzern 383 - Safe Harbour 383 - Schadensersatz 468 ff., 473 ff., 478 ff. - Standardvertragsklauseln 384 - Tarifvertrag 468 ff. - US-Konzern 383 Datenschutzbeauftragter, Kündigungsschutz 528 ff. Dienstwagen, ESG 602 Direktionsrecht, Gesprächsteilnahme 555 Diskriminierung - Alter 421 ff. - Behinderung 534 ff. - Bewerber 421 ff. - Entschädigung 433, 436 - Geschlecht 421 ff., 429 ff. - Kündigung 534 ff. - Persönlichkeitsrechtsverletzung 436 - Rechtsreform 421 ff., 425 - Regelaltersgrenze 422 ff. - Religion 537 ff.
Diskriminierung - Transgender 434 - Zurechnung 434 EGMR - Arbeitskampf 571 ff. - Boykottaufruf 571 ff. - Tarifeinheitsgesetz 563 ff. Einigungsstelle - Telefonkonferenz 351 - Videokonferenz 351 - virtuelle 351 f. Einstellung - Eingliederung 595 - Matrix-Organisation 594 ff. Elektronische AU-Bescheinigung 352 ff. Elternzeit, Teilzeitantrag 357 E-Mail, Zugang 482 ff. Employer of Records - Arbeitnehmerüberlassung 464 - Begriff 463 - Erlaubnispflicht 464 f. - Matrix-Organisation 465 - Sozialversicherungsrecht 466 - Steuerrecht 466 Energiekrise - Arbeitsplatztemperatur 347 ff. - Homeoffice 349 - Kurzarbeit 337 f. EnSikuMaV 347 Entgeltumwandlung, NachwG 409 Entschädigung - Diskriminierung 433 - Kündigung 534 ff. Equal-Pay-Grundsatz, AÜG 453 ff. Erholungsurlaub - Akzessorietät 512 - Arbeitsunfähigkeit 513 ff. - Arbeitsvertrag 414 - Arbeitszeitrichtlinie 505 f. 633
Stichwortverzeichnis
Erholungsurlaub - Erfüllung 509 - Erfüllungsreihenfolge 508 ff. - gesetzlicher 508 ff. - GRC 515 - IfSG 504 ff. - Krankheit 504 ff., 513 ff. - Mitwirkungsobliegenheit 511, 513 ff. - Quarantäne 504 ff. - Quotelung 520 ff. - Schwerbehinderung 510 ff. - Tarifvertrag 414 - übergesetzlicher 508 ff. - Verjährung 517 ff. - Zusatzurlaub 510 ff. Erschwerniszulage, FFP2-Maske 568 ESG - 49 €-Ticket 601 - Arbeitsschutz 602 - Arbeitszeit 602 - Aufsichtsrat 602 - Bedeutung 598 f. - Betriebsänderung 600 - Dienstwagen 602 - Grundlagen 598 f. - Heizung 600 - KI 602 - Mitbestimmung Betriebsrat 598 ff. - ÖPNV 601 - papierloses Büro 601 - Rahmenvereinbarung 600 - Standortgarantie 600 - Überwachung 599 ff. - variable Vergütung 601 - Wirtschaftsausschuss 602 EU-Rahmen, Arbeitsschutz 385 EU-Richtlinie - Arbeitsschutz 446, 603 ff. 634
EU-Richtlinie - Arbeitszeit 499 f., 505 f., 603 ff. - Beruf und Privatleben 356 f. - Frauenquote 391 ff. - grenzüberschreitende Umwandlung 375 ff. - Hinweisgeber 361 ff. - Massenentlassung 525 ff. - Mindestlöhne 388 ff. - Vaterschaftsurlaub 358 ff. - Whistleblower 361 ff. EU-US Data-Privacy-Framework 383 f. Familienpflegezeit, Kleinbetrieb 357 f. FFP2-Maske, Erschwerniszulage 568 Fortbildung, Arbeitsvertrag 408 Frauenquote - Aufsichtsrat 391 ff. - MitbG 391 ff. - Vorstand 391 ff. Gaspreisbremse, Standortgarantie 600 Gefährdungsbeurteilung - COVID-19 344 - Homeoffice 446 Gemeinsamer Betrieb - Anforderungen 449 f. - Arbeitnehmerüberlassung 448 ff. - Auflösung 620 ff. - Betriebsrat 449 ff. - BetrVG 449 f. - Fiktion 623 - Indizien 449 f. - Restmandat 621 ff. - Spaltung 620 ff. - Übergangsmandat 621 ff.
Stichwortverzeichnis
Genehmigung, Betriebsvereinbarung 580 Geringfügige Beschäftigung - Abrufarbeit 338 f. - Änderungen 338 f. - Geringfügigkeitsrichtlinien 626 f. - Kurzarbeit 336 - Übergangsbereich 627 - Übergangsregelung 626 f. Geringfügigkeitsgrenze 628 Gesamtbetriebsrat, Zuständigkeit 614 ff. Geschäftsführer, HinSchG 364 Geschäftsführung, Frauenquote 391 ff. Geschäftsgeheimnis, HinSchG 363, 365 f. Geschlecht, Diskriminierung 429 ff. Gesetzlicher Mindestlohn 338 f. Gewerkschaft, HinSchG 371 Grenzpendler - Betriebsstättenrisiko 626 - Homeoffice 625 f. - Sozialversicherung 625 f. Grenzüberschreitende Umwandlung - Beteiligungsverfahren 377 ff. - EU-Richtlinie 375 ff. - Formwechsel 375 f. - Missbrauchsverbot 378 f. - Nachverhandlung 379 - strukturelle Änderung 378 f. - Umwandlungsbericht 375 ff. - Umwandlungsplan 375 ff. - UmwG-Änderung - Unternehmensmitbestimmung 376 ff. - Verschmelzung 375 ff. - Vorher-Nachher-Prinzip 377
HinSchG - Anwendungsbereich 363 ff. - Arbeitsschutz 362, 374 - Aufsichtsrat 364 - Beschäftigungsgeber 364 - Betriebsrat 371 - Beweislastumkehr 371 f. - Datenschutz 370 - EU-Recht 361 ff. - externe Meldung 368 - Geltungswahl 361 ff. - Geschäftsführer 364 - Geschäftsgeheimnis 363, 365 f. - Gewerkschaft 371 - Hinweisgeber 363 f. - interne Meldung 366 ff. - Kleinbetrieb 364 - Konzern 371 - Lieferkette 362 - Meldeverfahren 366 ff. - nationales Recht 361 ff. - Offenlegung 365 f., 369 - Ordnungswidrigkeiten 362 - Organmitglied 364 - Privathaushalt 364 - Rechtsmissbrauch 363 - Repressalien 371 f. - Rücksichtnahmepflicht 367, 374 - Schutzmaßnahmen 372 f. - Steuerrecht 363 - Straftaten 363 - Unabdingbarkeit 374 - Unschuldsvermutung 373 - Verstöße 361 ff. - Vorstandsmitglied 364 Hinweisgeber, Begriff 363 f. Höchstüberlassungsdauer, AÜG 451 ff. Homeoffice - Arbeitsschutz 387, 445 ff. - Arbeitsvertrag 403 635
Stichwortverzeichnis
Homeoffice - ArbStättV 445 - Aufwendungsersatz 349 - Ausland 458 ff. - COVID-19 345, 444 - Energiekosten 349 - Energiekrise 349 - Erörterungspflicht 360 - EU-Richtlinie 360 - Flexibilisierung 360 - Gefährdungsbeurteilung 446 - Grenzpendler 625 f. Hygienekonzept - C-ASV 344 f. - COVID-19 440 IfSG - COVID-19 341 ff. - Quarantäne 504 ff. Impfpflicht, einrichtungsbezogene 341 f., 350 f. Inflationsausgleich 354 ff. Inflationsausgleichsprämie - BFH-Rechtsprechung 354 f. - BMF-Schreiben 355 f. - Zuflussprinzip 355 Insolvenz, Wiedereinstellungsanspruch 541 ff. Integrationsamt, Diskriminierung 534 ff. Interessenausgleich, Umwandlung 376 Karenzentschädigung - Sonderleistung 557 f. - Stock Units 557 f. Katholische Kirche, Kündigung 537 ff. KI - ESG 602
636
KI - Mitbestimmung Betriebsrat 612 f. - Sachverständige 612 f. Kindergeld 356 Kirche, Kündigung 537 ff. Kleinbetrieb, HinSchG 364 Konzern - Datenschutz 383 - HinSchG 371 - Unternehmensmitbestimmung 381 Konzernbetriebsrat, Zuständigkeit 615 Krankengeld, Dauer 346 f. Krankenversicherung, Beitragsbemessungsgrenze 628 Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit - COVID-19 443 f. - Erholungsurlaub 513 ff. - Homeoffice 444 - Nachweis 353 f. - Quarantäne 504 ff. - symptomlose Infektion 443 f. Krankschreibung → AUBescheinigung Kündigung - Arbeitsvertrag 410 - Arbeitsverweigerung 550 ff. - beharrliche Arbeitsverweigerung 550 ff. - Behinderung 534 ff. - Compliance-Sachverhalt 543 ff. - Datenschutzbeauftragter 528 ff. - Diskriminierung 534 ff. - Entschädigung 534 ff. - Ersatzmutterschaft 540 f. - Hebamme 537 ff. - Integrationsamt 534 ff. - Kantor 540 f.
Stichwortverzeichnis
Kündigung - katholische Kirche 537 ff. - Kirche 537 ff. - Massenentlassungsanzeige 525 ff. - Matrix-Organisation 598 - Religion 537 ff. - Verbundkündigung 556 - Zurückbehaltungsrecht 552 Kündigungsberechtigter, außerordentliche Kündigung 545 f. Kündigungsschutz, Datenschutzbeauftragter 528 ff. Kurzarbeit - Anzeige 336 - Arbeitsausfall 335, 337 f. - AÜG 334, 336 - Baugewerbe 335 - COVID-19 333 - Dauer 333 ff. - Energiekrise 337 f. - Entgeltausfall 334 f. - geringfügige Beschäftigung 336 - Höhe 333 ff. - Ist-Entgelt 336 - Leiharbeitnehmer 334, 336 - Neuregelung 333 ff. - Qualifizierungsmaßnahme 337 - Rechtsverordnungen 334 f. - Schlechtwetterzeit 335 - Sonderregelungen 333 ff. - Sozialversicherungsbeiträge 335 ff. - Weiterbildung 337 Leiharbeitnehmer → Arbeitnehmerüberlassung Leitender Angestellter, befristeter Arbeitsvertrag 420 f. Lieferkette - HinSchG 362
Lieferkette - Sorgfaltspflichten 384 f. Lohnsteuer - Auslandstätigkeit 491 ff. - Grenzpendler 625 - Kündigung 493 ff. - Nettozusage 493 ff. Massenentlassung, Soll-Angaben 525 ff. Matrix-Organisation - Einstellung 594 ff. - Employer of Records 465 - Kündigung 598 - unternehmensübergreifend 597 f. - Versetzung 594 ff. - Vorgesetztenwechsel 594 ff. Mehrarbeit, Arbeitsvertrag 405, 407 ff. Mindestlohn - Abrufarbeit 338 f. - Angemessenheit 389 ff. - Anhebung 338 - Ausschlussfrist 489 - EU-Richtlinie 388 ff. - Höhe 389 ff. - Referenzgröße 390 f. - Tarifbindung 388 f. Mindesttemperatur, Arbeitsplatz 347 ff. Mitbestimmung Betriebsrat - 49 €-Ticket 601 - Arbeitsplatztemperatur 348 f. - Arbeitsschutz 602 - Arbeitszeit 602 - Arbeitszeiterfassung 603 ff., 608 ff. - Auffangkompetenz 616 - Dienstwagen 602 - Digitalisierung 616 637
Stichwortverzeichnis
Mitbestimmung Betriebsrat - Einheitlichkeit 614 f. - Energiekrise 348 f. - ESG 598 ff. - Gefährdungsbeurteilung 602 - Heizverhalten 601 - Initiativrecht 603 ff., 608 ff. - KI 602, 612 f. - Microsoft Office 365 611 ff. - ÖPNV-Ticket 601 - SaaS 616 - Sachverständiger 612 - Software 616 - technische Einrichtung 611 ff. - variable Vergütung 601 MitbG, Frauenquote 391 ff. Mobile Arbeit → Homeoffice Nachtarbeitszuschlag - Angemessenheit 500 ff. - Arbeitszeitrichtlinie 499 f. - Gleichheitssatz 498 - Tarifvertrag 497 ff. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Karenzentschädigung 557 f. NachwG - Abrufarbeit 407 - Altersversorgung 408 ff. - Änderungskündigung 400 f. - Anwendungsbereich 397 f. - Arbeitsort 403 - Arbeitsvertrag 397 ff. - Arbeitszeit 407 - AT-Angestellte 405 - Beginn Arbeitsvertrag 413 - Betriebsrente 408 ff. - Betriebsübergang 401 - Betriebsvereinbarung 412 ff., 415 ff. - Beweislastumkehr 417 ff. - Bezugnahmeklausel 412 f. 638
NachwG - Bußgeld 402, 417 ff. - Charakterisierung der Tätigkeit 414 - Entgelt 405 ff. - Entgeltfortzahlung 406 - Entgeltumwandlung 409 - Erholungsurlaub 414 - Fortbildung 408 - Fristen 399 f. - grenzüberschreitender Arbeitsvertrag 415 - Inkrafttreten 333 - Kündigungsverfahren 410 - Leiharbeitnehmer 415 - Mehrarbeit 407 ff. - mobile Arbeit 403 f. - Probezeit 404 - Schriftform 399 - Tarifvertrag 412 ff. - Überstunden 407 ff. - Urlaub 414 - Vergütung 405 ff. - Vertragsdauer 402 Nettozusage, Lohnsteuer 493 ff. Offenlegung, HinSchG 365 f., 369 Pandemie → COVID-19 Persönlichkeitsrechtsverletzung, Schadensersatz 436 Pflegeversicherung, Beitragsbemessungsgrenze 628 Pflegezeit, Kleinbetrieb 357 Plattformbeschäftige, Tarifvertrag 394 f. Probezeit - Arbeitsvertrag 404 - befristeter Arbeitsvertrag 404 - Begriff 404 - Wartezeit 404
Stichwortverzeichnis
Progression, kalte 356 Qualifizierung, Arbeitsvertrag 408 Quarantäne, Erholungsurlaub 504 ff. Quotelung, Erholungsurlaub 520 ff. Rechtsmissbrauch, Diskriminierung 425 ff. Regelaltersgrenze, Diskriminierung 422 ff. Religion - Diskriminierung 537 ff. - Kündigung 537 ff. Rentenversicherung, Beitragsbemessungsgrenze 628 Repressalien, HinSchG 371 f. Restmandat, Gemeinschaftsbetrieb 621 ff. Sachverständige - Betriebsrat 612 - KI 612 f. SCE-Betriebsrat, Videokonferenz 351 f. Schichtarbeit, Arbeitsvertrag 407 Schlechtwetterzeit, Kurzarbeit 335 Schlusszeugnis, Dankesformel 559 ff. Schriftform, NachwG 399 Schutzimpfung, C-ASV 345 Schwerbehinderung - rückwirkende Anerkennung 510 ff. - Sonderurlaub 510 ff. SE-Betriebsrat, Videokonferenz 351 f. SE-Umwandlung, Unternehmensmitbestimmung 381 Soll-Angaben, Massenentlassung 525 ff.
Solo-Selbständige, Tarifvertrag 394 f. Sonderleistung, Karenzentschädigung 557 f. Sozialplan - betriebsratloser Betrieb 617 ff. - Betriebsratswahlen 617 ff. Sozialversicherung - Beitragsbemessungsgrenze 628 - geringfügige Beschäftigung 626 f. - Geringfügigkeitsgrenze 628 - Geringfügigkeitsrichtlinien 626 f. - Grenzpendler 625 - Kurzarbeit 335 f. - Übergangsbereich 627 - Versicherungspflichtgrenze 628 Sphärentheorie, Betriebsrat 579 Spaltung, Haftungsgrenze 377 Sprecherausschuss, Videokonferenz 351 f. Standardvertragsklauseln, DSGVO 384 Standortgarantie - ESG 600 - Gaspreisbremse 600 Steuerhilfegesetz 625 Stock Units, Karenzentschädigung 557 f. Strukturelle Änderung, Umwandlung 378 f. Tarifautonomie - AÜG 457 - Boykottaufruf 571 ff. Tarifbindung, Deutschland 379 f. Tarifeinheitsgesetz, EGMR 563 ff. Tarifpluralität, EGMR 563 ff. Tarifvertrag - AÜG 453 ff. 639
Stichwortverzeichnis
Tarifvertrag - Ausschlussfrist 488 - Bezugnahmeklausel 412 f., 415 f., 568 ff. - COVID-19 567 f. - Datenschutz 468 ff. - Equal-Pay-Grundsatz 453 ff. - Erschwerniszulage 567 f. - Höchstüberlassungsdauer 451 ff. - Kartellrecht 394 f. - Maskenpflicht 567 f. - Mindestlohn 388 f. - Nachtarbeitszuschlag 497 ff. - Plattformbeschäftigte 394 f. - Solo-Selbständige 394 f. - Tarifbindung Deutschland 379 f. - Tarifpluralität 563 ff. - Transparenzgebot 568 ff. - Urlaub 414 - Wettbewerbsrecht 394 f. Tax Equalization 491 ff. Telearbeit → Homeoffice Tendenzunternehmen, Unternehmensmitbestimmung 381 Testpflicht, COVID-19 438 ff.
Umwandlung - Konzern 381 - Tendenzunternehmen 381 Unterrichtung Betriebsübergang - NachwG 401 f. - Nachhaftungsbegrenzung 377 - Spaltung 377 Urlaub → Erholungsurlaub
Übergangsmandat, Gemeinschaftsbetrieb 621 ff. Überstunden, Arbeitsvertrag 405, 407 f. Umwandlung → Betriebsübergang Umwandlung, grenzüberschreitende → Grenzüberschreitende Umwandlung Unternehmensmitbestimmung - Ausweitung 380 f. - GmbH & Co. KG 381 - grenzüberschreitende Umwandlung 377 ff. - Koalitionsvertrag 381
Weihnachtsfeier, Hygienekonzept 442 f. Weiterbildung, Arbeitsvertrag 408 Wettbewerbsverbot, Whistleblower, Wiedereinstellung - betriebsbedingte Kündigung 541 ff. - Insolvenz 541 ff. Wirtschaftsausschuss, ESG 602 Wunschformel, Zeugnis 559 ff.
640
Vaterschaftsurlaub 358 ff. Verbundkündigung 556 Verjährung, Erholungsurlaub 517 ff. Verschmelzung → Betriebsübergang Verschmelzung, grenzüberschreitende → Grenzüberschreitende Umwandlung Versetzung, Matrix-Organisation 594 ff. Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeiterfassung 604 ff. Vertretung, Betriebsrat 577 ff. Vorgesetztenwechsel, Einstellung 594 ff. Vorstand, Frauenquote 391 ff.
Zeugnis, Dankesformel 559 ff. Zurückbehaltungsrecht, Kündigung 552