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German Pages 299 Year 2014
Tiefe
Gaul Aktuelles Arbeitsrecht Band 1/2014
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Band 1/2014
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Björn Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am LAG Düsseldorf a.D.
Prof. Dr. Björn Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
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Zitierempfehlung: Bearbeiter in Gaul, AktuellAR 2014, S. ...
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0948-2369 ISBN 978-3-504-42677-4 ©2014 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druck und Verarbeitung: Betz, Darmstadt Printed in Germany
Vorwort Zur Umsetzung ihrer Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung die Altersrente mit 63 verabschiedet und weitergehende Vorschläge in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht, mit deren Verabschiedung in Kürze zu rechnen ist. Hierzu gehören das Mindestlohngesetz, eine Erleichterung der Durchsetzung von Tarifverträgen über die Allgemeinverbindlicherklärung und das Arbeitnehmerentsendegesetz sowie von Vereinbarungen mit älteren Arbeitnehmern zur Verschiebung der Altergrenze. Schon angekündigt sind gesetzliche Regelungen zur Geschlechterquote für Aufsichtsrat, Vorstand und die oberen beiden Führungsebenen sowie Veränderungen in Bezug auf Elternzeit und Elterngeld. Noch keine konkreten Vorschläge gibt es zur Arbeitnehmerüberlassung, zur Bekämpfung von Scheinwerk- und -dienstverträgen sowie zum Umgang mit der Tarifpluralität. Ohne diese Vorgaben wird man in der Zukunft auch eine Konkurrenz von DGBGewerkschaften hinnehmen müssen. Ebenfalls offen ist, ob der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG zur Rentenversicherungspflicht von Syndici korrigieren wird, was zu wünschen wäre. Auf Europäischer Ebene war über das (vorübergehende) Scheitern der EUDatenschutz-Grundverordnung und weitere Vorschläge über Richtlinien im Arbeits- und Gesellschaftsrecht zu berichten. Dies betrifft z. B. die Überlegungen zur Einbindung der Hauptversammlung in die Vorstandsvergütung. Wesentliche Bedeutung dürfte die Richtlinie zur Förderung der Mobilität bei Betriebsrenten haben, falls sie – außerhalb ihres eigentlichen Geltungsbereichs – in Deutschland zum Anlass genommen wird, auch für Inlandssachverhalte eine Verkürzung der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen festzulegen. Bei der Arbeitsvertragsgestaltung wird man neue Leitlinien zur Befristung sowie die Rechtsprechung zu Bezugnahmeklauseln, Direktionsklauseln und Ausschlussfristen beachten müssen. Eine wichtige Rechtsprechungsänderung hat es in Bezug auf Stichtagsklauseln bei Jahressonderzahlungen gegeben, sofern diese auch die Arbeitsleistung vergüten sollen. Überzeugend ist die damit verbundene Einschränkung der Gestaltungsbefugnis, die auch für Betriebsvereinbarungen gelten dürfte, nicht. Wesentliche Veränderungen dürfte der Umgang mit leistungsgeminderten Arbeitnehmern erfahren, nachdem das BAG auf der Grundlage unionsrechtlicher Vorgaben eine erhebliche Ausweitung des Begriffs der Behinderung vorgenommen hat. Diese Vorgaben ergänzen die aktuelle Rechtsprechung zum Umgang mit behinderten Bewerbern sowie zur Diskriminierung von Arbeitnehmern durch die Sozialauswahl zur Erhaltung der Altersstruktur, zu V
Vorwort
Höchstgrenzen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung, zur Benachteiligung Schwerbehinderter bei der Abwicklung von Altersteilzeitverträgen sowie zu unzulässigen Nachteile für Teilzeitbeschäftigte in der Elternzeit bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen. Das Kündigungsrecht hat im Übrigen wichtige Klarstellungen zu den Voraussetzungen der außerordentlichen Tat- und Verdachtskündigung, zur Kennzeichnung freier Arbeitsplätze zur Vermeidung von Kündigungen und zur Verwertung etwaiger Beweismittel erfahren. Im Arbeitskampfrecht hat die Rechtsprechung den Gewerkschaften freie Hand bei der Wahl ihrer Arbeitskampfmittel gegeben und den Flashmob endgültig zugelassen. Im Betriebsverfassungsrecht war zunächst einmal eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung in Bezug auf die Konsequenzen formaler Fehler bei Betriebsratsbeschlüssen zu sehen, was auch der Arbeitgeberseite viele Risiken nimmt. Daneben waren wichtige Entscheidungen zur Bedeutung der Leiharbeitnehmer, zur Ein- und Umgruppierung von Arbeitnehmern sowie zur Mitbestimmung bei Abmahnungen und Versetzungen, bei der Verhaltens- und Leistungskontrolle durch technische Einrichtungen, zur Kappung von Arbeitszeitguthaben sowie zu formalen Anforderungen an einen Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung zu behandeln. Die Rechtsprechung von EuGH und BAG zum Betriebsübergang hat noch einmal zu Recht deutlich gemacht, dass § 613 a BGB außerhalb der Gesamtrechtsnachfolge nur zur Anwendung kommen kann, wenn die jeweils in Rede stehende Einheit schon vor dem Übertragungsvorgang organisatorisch abgrenzbar gewesen ist. Wichtige Bedeutung haben darüber hinaus Klarstellungen zur Fortwirkung einer tariflichen Vergütungsordnung, zur Anrechnung von Betriebszugehörigkeitszeiten und zur Unterrichtungspflicht und dem damit verbundenen Widerspruchsrecht bei Betriebsübergang und Umwandlung. Zur störungsfreien Umsetzung solcher Erwerbsvorgänge wird sich die Praxis auf diese erweiterten Anforderungen einstellen müssen. Ich danke Dietrich Boewer (Boe) sehr herzlich für die umfassende Bearbeitung einer Vielzahl wichtiger Entwicklungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Ebenso danke ich Herrn Daniel Dominik (Do), Herrn Ramon Furch, Herrn Dr. Andreas Hofelich (Ho), Frau Laura Jung (Ju), Frau Linda Kriebel, Frau Daniela Rindone (Ri) und Frau Viola Vorbrüggen, die – wie auch Frau Doris Hensch – in tatkräftiger Weise die Fertigstellung dieser Übersicht zur aktuellen Rechtsentwicklung maßgeblich unterstützt haben. Köln, im Frühjahr 2014
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort .......................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XV
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1
1.
Wesentliche Zielsetzungen des Koalitionsvertrags in Bezug auf das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht .................................... 1
2.
Rente mit 63 - Gesetzentwurf über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung ............................................... 2 a) Regelungsinhalt ............................................................................. 2 b) Schrittweise Anhebung der Altersrente auf 65 .............................. 3 c) Konsequenzen für Altersgrenzen in Arbeits- und Tarifverträgen ................................................................................ 4 d) Konsequenzen für Altersteilzeitverträge ....................................... 5 e) Arbeitsverhältnis und Altersrente als Nebenverdienste? .............. 5 f) Konsequenzen für die Betriebsrente ............................................. 6 g) Frühverrentung mit Vollendung des 60. Lebensjahres .................. 7 h) Fazit ............................................................................................... 9
3.
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung und Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes ........................... 9 a) b) c) d)
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns .............................. 10 Erleichterungen der Allgemeinverbindlicherklärung .................. 14 Änderungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes ........................ 15 Inkrafttreten ................................................................................. 16
4.
Gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit ............................................... 16
5.
Elektronische Form des Tarifarchivs ................................................. 17
VII
Inhaltsverzeichnis
6.
Beschränkungen bei Arbeitnehmerüberlassung und Scheinwerkverträgen .......................................................................... 18 a) Änderungen in Bereich der Arbeitnehmerüberlassung ............... 18 b) Ergänzende Regelungen zur Bekämpfung von Scheinwerk- und -dienstverträgen .............................................. 21
7.
Gesetzliche Geschlechterquote für Vorstand, Aufsichtsrat und Führungspositionen ............................................................................ 21 a) Gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte ....................... 22 b) Verbindliche Zielvorgaben für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Management-Ebenen ............................................... 23 c) Fazit ............................................................................................. 25
8.
Inkrafttreten der Institutsvergütungsverordnung am 1.1.2014........... 25
9.
Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ ................................ 26
10.
ElterngeldPlus und Partnerschaftsbonus ............................................ 27
11.
Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit ................................................................. 27
12.
Keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ........................... 28
13.
Beschäftigtendatenschutz in sozialen Netzwerken ............................ 29
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 31
1.
EU-Datenschutz-Grundverordnung vorerst gescheitert ..................... 31
2.
Richtlinie über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern durch Verbesserung der Begründung und Wahrung von Zusatzrentenansprüchen .................. 32
3.
Richtlinie 2014/54/EU zur Erleichterung einer Durchsetzung der Rechte grenzüberschreitend tätiger Arbeitnehmer ....................... 34
4.
Vorschlag einer Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse)...................................................................... 35
5.
Vorschlag einer Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter ................. 36
VIII
Inhaltsverzeichnis
6.
Vorschläge der EU-Kommission zur Einbindung der Aktionäre in die Festsetzung der Vorstandsvergütung ....................... 37
7.
Vorschlag einer Richtlinie zur Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne ................................. 40
8.
Empfehlung der Kommission zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung ............................. 41
9.
Keine Mitbestimmungsrechte aus Art. 27 GRC................................. 41
10.
Empfehlung des Rats zu einem Qualitätsrahmen für Praktika .......... 43
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 45
1.
Obliegenheit des Bewerbers zur Information über eine Schwerbehinderung ............................................................................ 45
2.
Fettleibigkeit eines Arbeitnehmers als Behinderung ......................... 49
3.
Kein Entschädigungsanspruch gegen den (konzerninternen) Personalvermittler bei Diskriminierung im Bewerbungsverfahren ........................................................................ 52
4.
Bewerbungsverfahren: Fiktive Testbewerbung zur Feststellung einer Altersdiskriminierung ........................................... 55
5.
Neues zur Befristung von Arbeitsverträgen ....................................... 57 a) Vertretungsbefristung und Kausalzusammenhang ...................... 57 b) Befristung wegen vorübergehenden Mehrbedarfs ...................... 61 c) Sachgrundlose Befristung und Rechtsmissbrauch ...................... 63
6.
Einschränkung des arbeitszeitbezogenen Direktionsrechts durch gesundheitliche Beeinträchtigung ............................................ 68
7.
Ortsbezogene Versetzung: Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ................................................................................. 69
8.
Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung von Detektivkosten ........ 73
9.
Neues zur arbeitsmedizinischen Untersuchung ................................. 74 a) Allgemeines zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung ................................................................. 75 b) Arbeitsmedizinische Eignungsuntersuchung .............................. 77
IX
Inhaltsverzeichnis
10.
Haftung des Vorstands für Compliance-Organisation ........................ 78
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub ............................................ 81
1.
Erneute Verschärfung der Rechtsprechung zu Stichtagsklauseln bei Jahressonderzahlungen .................................... 81
2.
Kostenlose Nutzung eines Betriebsparkplatzes als betriebliche Übung? ........................................................................... 85
3.
Arbeitgeberseitige Feststellung vergütungsrelevanter Zielgrößen bei leistungsbezogener Vergütung ................................... 87
4.
Ausschlussfrist bei der Geltendmachung von Urlaubsabgeltung ............................................................................... 90
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ............................................. 95
1.
Unwirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit als Folge einer Diskriminierung wegen Behinderung ....................................... 95 a) b) c) d) e) f)
Ausgangssituation ....................................................................... 95 Sachverhalt der Entscheidung vom 19.12.2013 .......................... 96 Bedeutung des AGG für Kündigungen ....................................... 97 Vorliegen einer Behinderung....................................................... 99 Handlungspflichten des Arbeitgebers bei Vorliegen einer Behinderung von Arbeitnehmern .............................................. 101 Fazit ........................................................................................... 103
2.
Betriebsratsanhörung bei Kündigung in der Wartezeit .................... 103
3.
Beginn und Ende der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ................. 107
4.
Kennzeichnung des freien Arbeitsplatzes zur Vermeidung einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung ........................ 108
5.
Betriebsbedingte Kündigung zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur im Insolvenzverfahren ...................... 111
6.
Altersdiskriminierung: Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden? ............................................................................................ 116 a) Der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz ......................... 116
X
Inhaltsverzeichnis
b) c) d) e)
Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer ................................... 117 Benachteiligung wegen des Alters ............................................ 118 Gebot einer Anpassung bestehender Tarifverträge ................... 123 Fazit ........................................................................................... 124
7.
Betriebsbedingte Druckkündigung .................................................. 124
8.
Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung ........................................................................ 127
9.
Außerordentliche Kündigung wegen fehlerhafter Spesenabrechnung ............................................................................ 131
10.
Außerordentliche Verdachtskündigung und ordentliche Tatkündigung .................................................................................... 133
11.
Außerordentliche (fristlose) Kündigung wegen unbefugten Löschens von Daten ......................................................................... 139
12.
Verwertung heimlich erlangter Beweismittel im Kündigungsschutzprozess ................................................................ 141
13.
Zulässige Änderungskündigung in Bezug auf Entgeltleistungen im Arbeitsvertrag ................................................. 146
14.
Aufhebung des Arbeitsvertrags durch GeschäftsführerDienstvertrag .................................................................................... 150
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ....................................................................... 153
1.
Aufklärungspflichten des Arbeitgebers im Bereich der Entgeltumwandlung ......................................................................... 153
2.
Pflicht zur Entgeltumwandlung durch Betriebsvereinbarung? ................................................................................... 156
3.
Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen in der Betriebsrente .................................................................................... 161
4.
Berechnung einer vorgezogenen in Anspruch genommenen Betriebsrente .................................................................................... 165
5.
Höhe der Betriebsrente bei vorgezogener Altersrente wegen Schwerbehinderung .......................................................................... 170
6.
Diskriminierung wegen Schwerbehinderung durch vorzeitige Beendigung der Altersteilzeit ........................................................... 170 XI
Inhaltsverzeichnis
G.
Tarifrecht........................................................................................ 177
1.
Individual- und kollektivrechtliche Fragen zu Ein- und Umgruppierungen ............................................................................ 177
2.
Gleichstellungsabrede bei Tarifgebundenheit durch Anerkennungstarifvertrag ................................................................ 183
3.
Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Ausschlussfrist ................................................................................. 185
4.
Zulässiger Arbeitskampf durch gewerkschaftlichen Aufruf zu „Flashmob-Aktionen“ ...................................................................... 188
5.
Arbeitskampf bei Tarifpluralität zwischen DGBGewerkschaften ................................................................................ 191
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 193
1.
Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung ................... 193
2.
Keine Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses bei Verstoß gegen die formellen Anforderungen ................................... 196
3.
Rechtliche Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds...................... 198
4.
Fehlerhafte Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG ................................................... 200
5.
Praktische Fragen bei der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Betriebsratswahlen ............................... 202
6.
Einbeziehung der Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung ................................................... 206
7.
Ausschreibungspflicht bei der beabsichtigten Einstellung von Leiharbeitnehmern ........................................................................... 207
8.
Zustimmung des Betriebsrats zu einem Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung ....... 209
9.
Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Abmahnungen .................. 213
10.
Klage eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte .................................................... 215
11.
Kennzeichnung der Mitbestimmungsrechte bei Versetzung ............ 215
12.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Einsatz eines internetbasierten Routenplaners zu Abrechnungszwecken .............. 219
XII
Inhaltsverzeichnis
13.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Umkleidezeiten ..................... 222
14.
Kein Anspruch des Betriebsrats auf Bildung eines Arbeitsschutzausschusses................................................................. 226
15.
Kappung der werktäglichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung ....................................................................... 227
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 229
1.
Unzulässige Benachteiligung durch Minderung der Sozialplanabfindung wegen Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit .......................................................................................... 229
2.
Keine Unterlassungsverfügung bei Missachtung der Beteiligungsrechte aus § 17 KSchG................................................. 231
3.
Neue Rechtsprechung zur Kennzeichnung des Betriebsübergangs ............................................................................ 232 a) Vorliegen einer organisatorischen Einheit beim Veräußerer ................................................................................. 232 b) Betriebsübergang durch Übernahme von Leiharbeitnehmern .................................................................... 234
4.
Ausgrenzung von Betriebszugehörigkeitszeiten beim Veräußerer bei Eingruppierung nach Betriebsübergang .................. 236
5.
Betriebsübergang: Fortgeltung einer tariflichen Vergütungsordnung trotz fehlender Tarifbindung des Erwerbers ......................................................................................... 238
6.
Verzicht auf einen tariflichen Anspruch im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ............................................................ 240
7.
Neues zur Unterrichtungspflicht und zum Widerspruchsrecht nach § 613 a Abs. 5, 6 BGB ............................................................. 242 a) Kennzeichnung des Erwerbers bei der Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB .......................................................... 242 b) Hinweis auf das Sozialplanprivileg nach § 112 a Abs. 2 BetrVG ...................................................................................... 243 c) Verwirkung des Widerspruchsrechts nach fehlerhafter Unterrichtung ............................................................................ 245
XIII
Inhaltsverzeichnis
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 249
1.
Grundlegende Änderung in Bezug auf die Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten .................................... 249 a) Sachverhalte .............................................................................. 250 b) Gründe der Entscheidung nach Maßgabe der Pressemitteilung ........................................................................ 252 c) Auswirkungen ........................................................................... 253
2.
Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ..................................... 256
Stichwortverzeichnis................................................................................... 259
XIV
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. abl. ABlEG Abs. abw. AcP AGBG ADG ÄndG AEntG AEUV AFG AGBG AiB AFKG AktG AktuellAR AltEinkG AltersvorsorgeVerbesserungsgesetz AltZertG AVmG allg. AMP AMS amtl. Anl. Anm. AO AP ArbG ArbGG
anderer Auffassung alte Fassung ablehnend Amtsblatt der EG Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Geschäftsbedingungengesetz Antidiskriminierungsgesetz Änderungsgesetz Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz 1969 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) 1976 Arbeitsrecht im Betrieb Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz Aktiengesetz Gaul bzw. Gaul/Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht Alterseinkünftegesetz Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz Altersvermögensgesetz allgemein Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Anlage Anmerkung Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz 1979
XV
Abkürzungsverzeichnis
AR-Blattei ArBMedVV ArbNErfG ArbPlSchG ArbRB ArbSchG
ARSt ArbStättVO ArbZG ARdGgw. ArGV Art. ASAV ASiG ATG AuA AU-Bescheinigung Aufenthalt/EWG AufenthG Aufl. AÜG AuR AVmG AWbG
XVI
Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindergesetz) 1957 Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) 1957 Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Arbeitsrecht in Stichworten Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsgenehmigungsverordnung Artikel Anwerbestoppausnahmeverordnung Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsgesetz Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) 1972 Arbeit und Recht Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BA BAG BAVAZ BAT BAT-O BB BBG BBiG Bd. BDA Beil. BEEG BEM BerASichG BErzGG Beschäftigungschancengesetz BeschFG BeschSchG BetrAVG BetrSichVO BetrVG BetrVG 1952 BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BildschArbV BilMoG BImSchG BKK Bl. BMF
Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost Betriebs-Berater Beitragsbemessungsgrenze Berufsbildungsgesetz 1969 Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beilage Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz 2004 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) 1985 Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) 2001 Beschäftigtenschutzgesetz Betriebsrentengesetz Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz 1972 Betriebsverfassungsgesetz 1952 Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bildschirmarbeitsverordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundes-Immissionsschutzgesetz Betriebskrankenkasse Blatt Bundesministerium für Finanzen XVII
Abkürzungsverzeichnis
BMT-G BMWA BPersVG br BR-Drucks. BRTV-Bau BSDG BSeuchG BSG BSGE BSHG BSSichG BStBl. BT-Drucks. BUrlG BuW BNichtrSchG BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. ca. CGM CGZP ChemG ChGlFöG
DA DAG DB XVIII
Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundespersonalvertretungsgesetz 1974 Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesratsdrucksache Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (BundesSeuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Breitragssatzsicherungsgesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) 1963 Betrieb und Wirtschaft Bundesnichtraucherschutzgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise circa Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) 1994 Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten Gewerkschaft Der Betrieb
Abkürzungsverzeichnis
DBGrG DCGK ders. DGB d. h. DKK DLW DNotZ DOK DP DrittelbG DSAG DStR DStRE EAS EBRG EBR-Richtlinie EFG EFTA EFZG EG EGBGB ELENA-VerfahrensG EstB EGV EGMR EMRK ErfK ESC EStG etc. EU EuGH
Gesetz über die Gründung der Deutschen Bahn-AG Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Däubler/Kittner/Klebe Dörner/Luczak/Wildschütz Deutsche Notarzeitschrift Zeitschrift für "Ortskrankenkassen" Das Personalbüro Drittelbeteiligungsgesetz Datenschutzauditgesetz Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerrechtentscheidung Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) 1996 Europäische Betriebsräte Richtlinie Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) 1994 Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises Einkommenssteuerberater Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft 1997 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof XIX
Abkürzungsverzeichnis
EUZBLG
EWG EWiR EzA
Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
FamPflegeZG f. ff. FG Fitting FMStG Fn. FR FS
Familienpflegezeitgesetz folgend fortfolgende Finanzgericht Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau (Dt. Steuerblatt) Festschrift
GA-AÜG
Geschäftsanweisung zum AÜG von der Bundesagentur für Arbeit (Stand 12/2011) Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe gemeinsam(e) Gendiagnostikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung 1869 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union
EuZW EUV e. V. evtl. EVÜ
GefStoffV gem. GenDG GenTSV GewO GG ggf. GK GK-KR GmbHR GmS-OBG GNBZ GRC XX
Abkürzungsverzeichnis
GRUR GS GSG GWB
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gerätesicherheitsgesetz 1992 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HAG HaKo-KSchR Halbs. h. M. HGB HinGebSchG SWG
Heimarbeitergesetz Handkommentar- Kündigungsschutzrecht Halbsatz herrschende Meinung Handelsgesetzbuch 1897 Hinweisgeberschutzgesetz Hess/Schlochauer/Worzolla/Glock
i. d. F. i. E. i. H. a. INF InKDG
in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf Die Information über Steuer und Wirtschaft Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung 1994 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten Investmentgesetz im Sinne des Verordnung über Arbeitsgenehmigungen Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen IT-Rechtsberater in Verbindung mit
InsO Institutsvergütungsverordnung InvG i. S. d. IT-ArGV IT-AV ITRB i. V. m. JArbSchG JuMoG KDZ Kap. KAPOVAZ KassArbR
Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) 1976 Justizmodernisierungsgesetz Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.) Kündigungsschutzrecht Kommentar 8. Aufl., 2011 Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht
XXI
Abkürzungsverzeichnis
KassKomm KG KO KPK KR K&R krit. KSchG KuG LadschlG LAG LAGE LasthandhabV LFZG Lit. LPartG LPartÜAG LS LStDV m. MDR m. E. MERL MgVG m. w. N. MindArbBedG MinLohnG MitbestG MitbestErgG XXII
Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Kammergericht Konkursordnung Kölner Praxiskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kommunikation und Recht kritisch Kündigungsschutzgesetz 1969 Kurzarbeitergeld Ladenschlussgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Lastenhandhabungsverordnung Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) 1969 Literatur Lebenspartnergesetz Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Leitsatz Lohnsteuer-Durchführungsverordnung mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mit weiteren Nachweisen Mindestarbeitsbedingungsgesetz Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) 1976 Mitbestimmungsergänzungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
MontanMitbestG MonMitbestErgG MTV MünchArbR MüKo MuSchG NachwG
Montan-Mitbestimmungsgesetz Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz Manteltarifvertrag Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) 1968
n. F. NJW Nr. Nrn. NZS n. v. NZA NZA-RR NZG
Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Sozialrecht (noch) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PatG PersR PersVG NW
Patentgesetz 1980 Personalrat Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Pflegeversicherungsgesetz Pflegezeitgesetz Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Preisklauselgesetz Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung von Ausrüstungen bei der Arbeit
PflegeVG PflegeZG PfWG PreisKlG PSABV PSDG PSH-BV PSV PW
Verordnung über die Benutzung persönlicher Schutzausrüstung Pensionssicherungsverein Preis/Willemsen
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
RabattG RAG RAGE
Rabattgesetz Reichsarbeitsgericht Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts RdA Recht der Arbeit RDV Recht der Datenverarbeitung Risikobegrenzungsgesetz Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie(n) Rz. Randzahl/Randziffer Rs. Rechtssache RsprEinhG Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes 1968 RV-LeistungsverGesetz über Leistungsverbesserungen besserungsgesetz in der gesetzlichen Rentenversicherung RVO Reichsversicherungsordnung 1911 RzK Rechtsprechung zum Kündigungsrecht s. S. Sachgeb. SAE SchwarzArbG SchwbG SE SEAG SEBG SeemG SGB I SGB III SGB IV SGB V
XXIV
siehe Seite bzw. Satz Sachgebiet Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft – Schwerbehindertengesetz (1986) Europäische Gesellschaft SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Seemannsgesetz 1957 Sozialgesetzbuch, I. Buch - Allgemeiner Teil 1975 Sozialgesetzbuch, III. Buch - Arbeitsförderung 1997 Sozialgesetzbuch, IV. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung 1976 Sozialgesetzbuch, V. Buch - Gesetzliche Krankenversicherung 1988
Abkürzungsverzeichnis
SGB VI SGB VII SGB IX SGB X SGB XI SGb SigG s. o. sog. SozplKonkG SozR SPE spi SprAuG SpTrUG StGB st. Rspr. Tarifautonomie stärkungsgesetz TKG TransPuG TVG TVöD TzBfG u. a. u. ä.
Sozialgesetzbuch, VI. Buch - Gesetzliche Rentenversicherung 1989 Sozialgesetzbuch, VII. Buch - Gesetzliche Unfallversicherung 1996 Sozialgesetzbuch, IX. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2001 Sozialgesetzbuch, X. Buch - Verwaltungsverfahren 1980/82 Sozialgesetzbuch, XI. Buch - Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit 1994 Die Sozialgerichtsbarkeit Signaturgesetz siehe oben sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht, Entscheidungssammlung Societas Privata Europaea (=Statut der Europäischen Privatgesellschaft) sozialpolitische Informationen Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) 1988 Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Strafgesetzbuch 1871 ständige Rechtsprechung Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie Telekommunikationsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Tarifvertragsgesetz 1969 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge 2001 unter anderem und ähnlich
XXV
Abkürzungsverzeichnis
ÜbernG UmlFinG UmwG UrhG usw. UVV v. VAG VermbG VermG VersAusglG vgl. VglO Vorbem. VorstAG VorstOG VVG VwGO VwVfG WahlO WhistleblowerSchutzgesetz WHSS WiB wib WissZeitG WM WpHG WPrax WpÜG
XXVI
Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen 2002 Umlagefinanzierungsgesetz Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (Umwandlungsgesetz) 1994 Urheberrechtsgesetz 1965 und so weiter Unfallverhütungsvorschriften vom Versicherungsaufsichtsgesetz Vermögensbildungsgesetz Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versorgungsausgleichsgesetz vergleiche Vergleichsordnung 1935 Vorbemerkung(en) Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Gesetz über den Versicherungsvertrag 1908 (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz 1976 Wahlordnung Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Wirtschaftliche Beratung Woche im Bundestag Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsrecht und Praxis Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
Abkürzungsverzeichnis
WWKK
Wlotzke, Wissmann, Koberski, Kleinsorge: Mitbestimmungsrecht
z. B. ZDG
zum Beispiel Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung 1877 Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz
ZESAR ZEuP ZfA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZPO ZSEG z. T. ZTR zust. ZustRG
XXVII
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Wesentliche Zielsetzungen des Koalitionsvertrags in Bezug auf das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Im Herbst hatten wir über die wesentlichen Zielsetzungen des Koalitionsvertrags berichtet, soweit darin konkrete Zielvorgaben mit Blick auf das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht festgelegt wurden1. Mit den gesetzlichen Vorschlägen zur Altersrente mit 63, zum gesetzlichen Mindestlohn und zur Geschlechterquote liegen bereits die ersten Umsetzungsergebnisse vor. Wir berichten darüber an anderer Stelle2. Sobald die Arbeiten an diesen Gesetzentwürfen zum Abschluss gekommen sind, dürfte auch mit ersten Ergebnissen in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung und den Umgang mit Scheinwerk- bzw. Dienstverträgen zu rechnen sein. Die wesentlichen Aspekte, auf die sich die Praxis wohl einstellen muss, werden nachfolgend aufgezeigt. Keine Ergebnisse sind derzeit erkennbar in Bezug auf die Förderung der Teilzeitbeschäftigung, soweit sie außerhalb der Elternzeit ausgeübt werden soll. Hier bleibt es möglicherweise beim ElterngeldPlus3. Offen ist derzeit auch, ob es eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit geben wird4. Vorerst zurückgestellt wurden weitere Konkretisierungen in Bezug auf den Umfang mit der psychischen Belastung am Arbeitsplatz5 sowie eine gesetzliche Konkretisierung des Beschäftigtendatenschutzes. Das letztgenannte Thema soll erst dann auf nationaler Ebene verfolgt werden, wenn die Überlegungen zur Verabschiedung einer EU-Datenschutz-Grundverordnung bis zum Jahre 2015 nicht zum Abschluss gekommen sind6. Vor diesem Hintergrund sind zahlreiche Punkte, die der Koalitionsvertrag mit Blick auf das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht genannt hat, bereits Gegenstand von Arbeiten der jeweils zuständigen Ministerien. Ein Teil der Ergebnisse liegt bereits als konkreter Gesetzesvorschlag vor. Allerdings steht zu hoffen, dass erforderliche Änderungen, Streichungen und Konkretisierungen in diesen Entwürfen, die auch von Seiten der Sachverständigen
1 2 3 4 5 6
B. Gaul, AktuellAR 2013, 311 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 2 ff., 9 ff., 21 ff.; vgl. zudem Zürn/Maron, BB 2014, 629 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 26 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 16 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 27 ff. B. Gaul, AktuellAR 2014, 29 ff.
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
angemahnt werden, im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren noch umgesetzt werden. (Ga)
2.
Rente mit 63 - Gesetzentwurf über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
Im Koalitionsvertrag war auf Drängen der SPD vereinbart worden, dass die gesetzliche Altersrente für besonders langjährig Versicherte erweitert werden soll. Danach soll es Versicherten nach 45 Beitragsjahren möglich sein, mit dem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagsfrei Altersrente zu beziehen. Auf der Grundlage des am 23.5.2014 durch den Bundestag verabschiedeten Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) sollen die Neuregelungen zum 1.7.2014 in Kraft treten. Welche Konsequenzen damit außerhalb der Verbesserungen bei der „Mütterrente“ und den Veränderungen im Bereich der Erwerbsminderungsrente verbunden sind, wird nachfolgend aufgezeigt. Ausgangspunkt der Veränderungen ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.1.20147. Verabschiedet wurde das Gesetz auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales8, der am 5.5.2014 auch die Sachverständigenanhörung durchgeführt hatte9.
a)
Regelungsinhalt
Voraussetzung für die ungekürzte Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit Vollendung des 63. Lebensjahres sind 45 Jahre an Pflichtbeiträgen aus Beschäftigung, selbständiger Tätigkeit und Pflege sowie Zeiten der Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr des Kindes. Ganz erhebliche Bedeutung hat der Umstand, dass bei der Berechnung der Pflichtversicherungsjahre Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, Leistungen bei Krankheit sowie Übergangsgeld berücksichtigt werden, sofern sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (§ 51 Abs. 3 a S. 1 Nr. 3 SGB VI). Neben Arbeitslosengeld gehören hierzu auch Zeiten des Bezugs sämtlicher Formen von Kurzarbeitergeld, Teilarbeitslosengeld, Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld, Leistungen der beruflichen Weiterbildung oder Insolvenzgeld. Dass diese Beiträge nicht durch Arbeitsleistung „verdient“ wurden, spielt insoweit keine Rolle. Zeiten, in denen Arbeitslo-
7 8 9
2
BT-Drucks. 18/909. BT-Drucks. 18/1489. Vgl. Ausschuss-Drucks. 18(11)82 und Protokoll Nr. 18/11 vom 5.5.2014.
Rente mit 63
senhilfe oder Arbeitslosengeld II bezogen wurden und deshalb auch keine Beiträge entrichtet wurden, finden keine Berücksichtigung. Da die in der Arbeitsverwaltung verfügbaren Daten eine sichere Unterscheidung dieser Formen der Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung in den Jahren vor 2001 derzeit offenbar nicht erlauben, sieht § 244 Abs. 3 SGB VI vor, dass der Bezug von anrechnungsfähigen Leistungen durch den Versicherten glaubhaft gemacht werden kann. Hierbei können auch Versicherungen an Eides statt erfolgen. Vorrangig strebt die Rentenversicherung allerdings an, ergänzend hierzu die weitgehend in Papierform vorhandenen Daten der Krankenversicherungen auszuwerten. Freiwillige Beitragszeiten werden nicht berücksichtigt, weil der ganz überwiegende Teil der freiwilligen Beitragszahler (88 %) nur den Mindestbeitrag (derzeit: 85 Euro) entrichtet. Ausgenommen sind Selbstständige, die mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt haben.
b)
Schrittweise Anhebung der Altersrente auf 65
Begünstigt von der gesetzlichen Neuregelung in § 236 b SGB VI sind Versicherte, die bis einschließlich 1952 geboren sind. Arbeitnehmer, die später geboren sind, erfahren eine schrittweise Anhebung der neuen Altersgrenze für den Bezug der Altersrente für langjährig Versicherte um jeweils 2 Monate pro Jahr. Insofern bewirkt die gesetzliche Neuregelung also nur eine zeitlich befristete Erweiterung dieser Altersrente für 14 Jahrgänge. Ältere oder jüngere Jahrgänge werden von diesem Privileg ausgenommen. Versicherte
Anhebung um
auf Alter
Geburtsjahr
… Monate
Jahr
Monat
1953
2
63
2
1954
4
63
4
1955
6
63
6
1956
8
63
8
1957
10
63
10
1958
12
64
0
1959
14
64
2
1960
16
64
4
3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
1961
18
64
6
1962
20
64
8
1963
22
64
10
Arbeitnehmer, die 1964 und später geboren sind, können – wie heute – erst mit 65 Altersrente für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen. Hier nimmt die Bundesregierung an, dass die fortschreitende Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen die Beibehaltung des Eintrittsalter 65 rechtfertigen. Im Übrigen dürften dann auch die Erinnerungen an Versprechungen im Bundestagswahlkampf 2013 verblasst sein.
c)
Konsequenzen für Altersgrenzen in Arbeits- und Tarifverträgen
Die Veränderungen in Bezug auf die gesetzliche Altersrente für besonders langjährig Versicherte haben keinen Einfluss auf arbeits- oder tarifvertragliche Altersgrenzenklauseln. Das folgt bereits aus § 41 S. 2 SGB VI, der im Zuge der gesetzlichen Neuregelung keine Veränderung erfahren soll. Danach sind generell nur Vereinbarungen zulässig, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt vorsehen, zu dem der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze erreicht. Diese Regelaltersgrenze liegt zwischen der Vollendung des 65. und des 67. Lebensjahres; Einzelheiten lassen sich der Tabelle zu §§ 35 S. 2, 235 SGB VI entnehmen. Die Regelaltersgrenze bezieht sich auf die Regelaltersrente, erfasst also keine sonstigen Formen der Altersrente (z. B. für schwerbehinderte Menschen oder (besonders) langjährig Versicherte). Folgerichtig ist es auch ausgeschlossen, neue Arbeitsverträge mit einer Klausel zu versehen, die bei besonders langjährig Versicherten eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 63. Lebensjahr bewirken soll. Sie wäre kraft Gesetzes so zu verstehen, dass sie eine Beendigung erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze bewirkt. Hiervon ausgehend bewirkt die Vollendung des 63. Lebensjahres auch keine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies gilt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Altersgrenzenklausel als schriftliche Befristung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der letzten drei Jahre vor Vollendung des 63. Lebensjahres abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer innerhalb dieser Zeit bestätigt worden ist. Eine Beendigung vor Erreichen der Regelaltersgrenze setzt eine einvernehmliche Beendigung oder eine wirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus. Dabei ist 4
Rente mit 63
der Anspruch auf gesetzliche Altersrente kein Kündigungsgrund (§ 41 S. 1 SGB VI).
d)
Konsequenzen für Altersteilzeitverträge
Grundsätzlich hat die Einführung einer abschlagsfreien Altersrente mit 63 keine Auswirkungen auf den Beendigungszeitpunkt von Altersteilzeitvereinbarungen, wenn darin ein festes Datum genannt wird. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn gemäß § 8 Abs. 3 ATG vereinbart wird, dass das Arbeitsverhältnis vorzeitig endet, wenn der Arbeitnehmer vor dem vereinbarten Zeitpunkt einen Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente besitzt. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis vorzeitig, was nach den Regelungen zum Störfall auch eine vorzeitige Auszahlung etwaiger Wertguthaben zur Folge hat. Da insoweit nicht an einer etwaigen Behinderung angeknüpft wurde, liegt darin keine unzulässige Diskriminierung. Die Neuregelung trifft schwerbehinderte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer ohne Behinderung gleichermaßen.
e)
Arbeitsverhältnis und Altersrente als Nebenverdienst?
Grundsätzlich ist es möglich, gesetzliche Altersrente neben einem noch fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu beziehen. Eine Anrechnung auf das Arbeitsentgelt ist ausgeschlossen. Gleichzeitig entfällt für den Arbeitnehmer wegen des Bezugs einer Vollrente die Pflicht, eigene Beiträge in die Rentenversicherung zu zahlen. Er ist in der Rentenversicherung (anders als bei Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) versicherungsfrei. Nur der Arbeitgeber bleibt verpflichtet, Arbeitgeberanteile zu entrichten (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Nach § 41 S. 3 SGB VI ist es jetzt sogar möglich, die Altersgrenze, ggf. mehrfach, durch Vereinbarung hinauszuschieben. Wenn es sich allerdings um ein Arbeitsverhältnis vor Erreichen der Regelaltersgrenze handelt, kommt die Hinzuverdienstgrenze (§ 34 Abs. 2, 3 SGB VI) zum Tragen. Verdient der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis mehr als 450 Euro (brutto) pro Monat, wird die gesetzliche Altersrente zu einer Alters-Teilrente oder entfällt. Das zweimalige Überschreiten dieser Grenze bis zum Doppelten bleibt dabei unberücksichtigt. Die Möglichkeit, als besonders langjährig Versicherter ab Vollendung des 63. Lebensjahres gesetzliche Altersrente neben einem (fort-)bestehenden Arbeitsverhältnis zu beziehen, lohnt sich damit wohl nur bis zur Hinzuverdienstgrenze. Erst ab Erreichen der Regelaltersgrenze ist uneingeschränkter Hinzuverdienst möglich (§ 34 Abs. 2 S. 1 SGB VI).
5
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
f)
Konsequenzen für die Betriebsrente
Die Möglichkeit einer vorgezogenen Altersrente lässt bestehende Versorgungswerke unberührt. Es bleibt also insbesondere bei den in der Versorgungsordnung vorgesehenen Altersgrenzen für den Bezug der Betriebsrente. Ausgehend davon, dass Betriebsrente ohnehin erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird, schließt dies zunächst einmal aus, dass Betriebsrente neben einem noch fortbestehenden Arbeitsverhältnis bezogen wird. Eine gesetzliche Regelung, nach der abschlagsfrei ab Vollendung des 63. Lebensjahres auch die Betriebsrente bezogen werden kann, wird nicht geschaffen. Denkbar ist aber gleichwohl, dass wegen des zunehmenden Ausscheidens von Arbeitnehmern mit Vollendung des 63. Lebensjahres auch die gleichzeitige Inanspruchnahme der Betriebsrente zunehmen wird. Die Inanspruchnahme der betrieblichen Altersversorgung vor Vollendung des in der Versorgungsordnung vorgesehenen Lebensalters führt allerdings - wie bisher - zu einer zeitratierlichen Minderung der Betriebsrente, wenn die Versorgungszusage keine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung trifft. Ergänzend hierzu wird § 2 Abs. 1 S. 1 BetrAVG abgeändert. Die Neuregelung hat zur Folge, dass die Höhe einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft bei unmittelbaren Versorgungszusagen grundsätzlich weiterhin auf der Grundlage des Lebensalters berechnet wird, in dem der Arbeitnehmer die Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht. Diese Regelaltersgrenze liegt zwischen der Vollendung des 65. und dem 67. Lebensjahres. Endet das Arbeitsverhältnis vor diesem Zeitpunkt, erfolgt eine m/n-tel Kürzung der Versorgungsanwartschaft. Nimmt der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch noch frühzeitig die Altersrente in Anspruch, kommt es – falls gegenteilige Regelungen fehlen – unter Berücksichtigung der BAG-Rechtsprechung darüber hinaus zu einer Kürzung, die der Mehrbelastung durch längere Inanspruchnahme Rechnung trägt. Entsprechendes gilt unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 2 bis 5 BetrAVG geregelten Besonderheiten für die mittelbaren Versorgungszusagen. Soweit § 2 Abs. 1 BetrAVG bislang bestimmt hatte, dass die Altersgrenze für den Bezug der Regelaltersrente keine Rolle spielt, wenn der Arbeitnehmer ausscheidet und gleichzeitig Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die besonders langjährig Versicherten in Anspruch nimmt, erfolgt allerdings ganz bewusst keine Absenkung auf das Lebensalter 63. Vielmehr wird – entsprechend der heute geltenden Altersgrenze für diese Altersrente – bei der Berechnung einer etwaigen m/n-tel Kürzung generell auf 6
Rente mit 63
die Vollendung des 65. Lebensjahres abgestellt, selbst wenn das Arbeitsverhältnis bereits mit Vollendung des 63. Lebensjahres beendet wird.
g)
Frühverrentung mit Vollendung des 60. Lebensjahres
Schon im Rahmen der Ressortabstimmung war über die Gefahr diskutiert worden, dass die Unternehmen die gesetzliche Neuregelung zum Anlass nehmen, neue Frühverrentungsprogramme aufzulegen. Daran dürfte auch der steigende Fachkräftemängel nichts ändern. Schließlich ist die Inanspruchnahme der Altersrente mit 63 nicht nur mit dem Vorteil kürzerer Beitragszeiten verknüpft. Sie erlaubt auch, die Altersrente abschlagsfrei zu einem früheren Zeitraum und damit insgesamt für eine längere Zeit in Anspruch zu nehmen. Deutlich wird diese wirtschaftliche Schieflage des Entwurfs, wenn man sich die Berechnungen der BDA vor Augen führt10. Danach erhält der „Standardrentner“, der nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei mit 63 in Altersrente geht, auf der Grundlage aktueller Sterbetafeln über 18 Jahre und 2 Monate Rentenleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei einer Bruttomonatsrente von etwa 1.287 € entspricht dies einer Gesamtleistung von etwa 280.700 €. Dagegen erhält nach diesen Berechnungen derjenige, der bis zum gesetzlichen Rentenalter mit 65 Jahren und 6 Monaten weiter gearbeitet hat, nur eine Gesamtleistung in Höhe von 255.500 €; ihm fehlen trotz längerer Beitragszeiten die Jahre zwischen der Vollendung des 63. Lebensjahres und der Regelaltersgrenze. Konsequenz ist, dass der besonders langjährig Versicherte, der mit 63 Jahren in Rente geht, etwa 5 % weniger Beiträge einzahlt, aber etwa 10 % mehr Altersrente erhält. Nach langer Diskussion ist die Gefahr einer Frühverrentung mit Vollendung des 60. oder 61. Lebensjahres eingeschränkt worden. Ausgangspunkt der entsprechenden Überlegungen war die Idee, dass ältere Arbeitnehmer bei einer Beendigung nach Vollendung des 60. Lebensjahres zunächst einmal in eine Transfergesellschaft hätten wechseln können. Dort könnte dann für die Dauer von bis zu 12 Monaten Transferkurzarbeitergeld in Anspruch genommen werden (§ 111 SGB III). Kann die Transfergesellschaft den betroffenen Arbeitnehmer nicht in eine Anschlussbeschäftigung vermitteln, würde im Anschluss daran eine Phase der Arbeitslosigkeit beginnen, während derer bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld I bezogen werden kann. Falls es auch dann noch nicht gelungen sein sollte, in eine Anschlussbeschäftigung zu treten, hätte mit Vollendung des 63. Lebensjahres Altersrente in An-
10 Ausschuss-Drucks. 18(11)82 S. 26.
7
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
spruch genommen werden können. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf wären auch die Jahre der Transferkurzarbeit und des Arbeitslosengeldes nach Vollendung des 60. Lebensjahres als Pflichtbeitragszeiten berücksichtigt worden. Diese Brücke in die Altersrente hat der Gesetzgeber jetzt dadurch geschlossen, dass bestimmt wurde, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Jahren vor der Inanspruchnahme einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht als Pflichtbeitragszeiten Berücksichtigung finden können. Zu erwarten ist, dass entsprechende Ausschlusstatbestände für Transferkurzarbeitergeld bestimmt werden. Ausgenommen hiervon sind gemäß § 51 Abs. 3 a SGB VI Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers endete. Dass der Gesetzgeber insoweit einschränkend tätig geworden ist, wird man begrüßen müssen. Problematisch ist aber, dass die jetzt gewählte Regelung ältere Arbeitnehmer bei der Anrechnung der Zeiten ohne Beschäftigung benachteiligt, ohne dass dabei die Gründe für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden. Damit ist die Regelung weder erforderlich noch angemessen. Sinnvoller wäre es gewesen, den Ausschluss der letzten beiden Jahre an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einer fehlzeitenrelevanten Weise erfolgt, oder generell die Anrechnung von Zeiten ohne Beschäftigung zeitlich zu begrenzen. Dieser Vorschlag der Sachverständigen ist aber ebenso abgelehnt worden wie die Überlegung, solche Ersatzzeiten nur noch einzubeziehen, wenn sie vor einem bestimmten Stichtag (z. B. 1.7.2014) aufgetreten sind. Letztgenannte Variante wäre allerdings als Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer anzusehen, die ebenfalls nicht zulässig war. In allen Fällen ist es wichtig, bestehende und künftige Vereinbarungen zu Altersteilzeit oder Vorruhestand mit dem Ziel zu überprüfen, dass die Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres erfasst ist. Wenn Arbeitnehmer wegen der Altersrente nicht vollständig von dem Bezug etwaiger Leistungen ausgegrenzt, sondern diese Leistungen nur angemessen gemindert werden, liegt darin auch keine unangemessene Benachteiligung wegen des Alters. Wir hatten dies mit Blick auf die entsprechende BAG- und EuGHRechtsprechung bereits bei früherer Gelegenheit behandelt11. Dies gilt umso mehr, als die derzeit noch drohende Minderung der Altersrente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme mit Inkrafttreten der Neuregelung entfällt.
11 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 442 ff., 2013, 609 ff.
8
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung
h)
Fazit
Die befristete Absenkung der Altersrente für langjährig Versicherte ist kein Kuckucksei, weil man schnell erkennt, was der Praxis ins Nest gelegt wird. Es ist ein Osterei für den Wähler, der dieses Geschenk an die geburtenstarken Jahre mit erheblichem Aufwand in den nächsten Jahren finanzieren muss. Bis 2030 kostet allein die Rente für die langjährig Versicherten 17,7 Mrd Euro. Hinzu kommen Beitragsausfälle, die 2030 rund 0,6 Mrd. Euro betragen (heutige Werte). Trotz Anhebung des Bundeszuschusses hat dies einen prognostizierten Anstieg des Beitrags zur Rentenversicherung von 18,9 (2014) auf 22,0 % (2030) zur Folge. Ohne diese Maßnahmen war im Rentenversicherungsbericht 2013 noch mit einer Entwicklung von 18,3 (2014) auf 21,6 % (2030) gerechnet worden. Entgegen von Seiten der Gewerkschaften vertretener Auffassung steht zu erwarten, dass die Neuregelung zu einer früheren Verrentung der anspruchsberechtigten Personen führen wird. Die damit verbundenen Kosten trägt die jüngere Generation. Dass Generationengerechtigkeit – so der Sachverständige Bäcker in der Ausschuss-Anhörung des Bundestags12 - auch darin zum Ausdruck kommen kann, dass die jüngere Generation höhere Beiträge zahlt und geringere Leistungen erhält, ist neu und überzeugt nicht. (Ga/Ho)
3.
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung und Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes
Im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) soll nicht nur ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn13 eingeführt werden. Vielmehr ist beabsichtigt, die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG deutlich zu erleichtern und das AEntG auf alle Branchen zu erweitern. Ergänzend hierzu sind Veränderungen in Bezug auf die Zuständigkeit innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit vorgesehen, die eine einheitliche Rechtsprechung in Bezug auf Streitigkeiten über Allgemeinverbindlicherklärungen sowie Rechtsverordnungen nach dem AEntG bewirken sollen. Auf der Grundlage des Kabinettbeschlusses vom 2.4.2014 sollen wesentliche Aspekte des Tarifautonomiestärkungsgesetzes nachfolgend behandelt werden. Denkbar ist, dass mit diesem Gesetz auch eine Regelung zur Ta12 Protokoll 18/11 S. 9. 13 Vgl. auch Spielberger/Schilling, NZA 2014, 414 ff.
9
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
rifeinheit geschaffen wird. Dieser Punkt ist derzeit allerdings noch offen und wird an anderer Stelle behandelt14.
a)
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
aa)
Höhe des Mindestlohns
Durch § 1 MinLohnG hat jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts in Höhe von mindestens 8,50 € je Zeitstunde. Hiervon werden zwar auch Zulagen und Zuschläge erfasst, sofern diese stundenbezogen berechnet werden. Leistungs- und erfolgsabhängige Vergütung, die außerhalb der monatlichen Abrechnungszeiträume gezahlt wird, oder Jahressonderzahlungen werden allerdings von dieser Begriffsbestimmung ebenso wenig erfasst wie Sachleistungen (z. B. ÖPNVTicket), die ohne Bezug zu einer Arbeitsstunde gewährt werden. Bedenkt man die in § 2 MinLohnG enthaltenen Regelungen zur Fälligkeit, wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass Zahlungen des Arbeitgebers, die nicht stundenbezogen aufgeschlüsselt und in den Grenzen der Fälligkeit des § 2 MinLohnG gewährt werden, bei einer Diskussion über die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns keine Berücksichtigung finden. Dies ist ein klarer Mangel der gesetzlichen Vorgabe, der durch eine zeitanteilige Betrachtung solcher Leistungen jedenfalls dann korrigiert werden sollte, wenn diese Leistungen innerhalb von zwölf Monaten ausgezahlt werden. Über die künftige Entwicklung des Mindestlohns entscheidet die Mindestlohnkommission, deren Wirken in §§ 4 ff. MinLohnG geregelt ist. Eine erste Anpassung der Höhe des Mindestlohns ist frühestens zum 1.1.2018 vorgesehen. bb)
Fälligkeit des Mindestlohns/Arbeitszeitflexibilisierung
Nach § 2 Abs. 1 MinLohnG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer den Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens aber am Ende des auf die Tätigkeit folgenden Monats zu zahlen. Fehlt eine dahingehende Vereinbarung, gilt § 614 BGB. Der Gesetzgeber hat zwar erkannt, dass eine verstetigte Auszahlung des Mindestlohns nach den vorstehenden Vorgaben den praktischen Bedürfnissen einer Arbeitszeitflexibilisierung nicht gerecht wird. Insofern bestimmt § 2 Abs. 2 MinLohnG, dass auf der Grundlage einer individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarung ein Arbeitszeitkonto gebildet werden kann, im 14 B. Gaul, AktuellAR 2014, 16 f.
10
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung
Rahmen dessen abweichend von den grundsätzlichen Fälligkeitsregelungen eine Auszahlung bzw. ein Ausgleich durch Freizeit erfolgen kann. Überaus problematisch daran ist aber, dass dieser Ausgleich innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach der monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns erfolgen muss. Arbeitszeitflexibilisierungsmodelle, die einen Ausgleichszeitraum vorsehen, der zwölf Monate übersteigt, können diese gesetzliche Vorgabe nicht erfüllen. Wenn man in der darin liegenden Verzögerung der Fälligkeit von etwaigen Ansprüchen auf Mindestlohn eine Beschränkung der Geltendmachung des gesetzlichen Anspruchs sieht, sind entsprechende Arbeitszeitflexibilisierungsregelungen auf individual- oder kollektivrechtlicher Vereinbarung gemäß § 3 S. 1 MinLohnG unwirksam. Diese Einschränkung der Arbeitszeitflexibilisierung, die offenbar den beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der Hauptzollämter Rechnung tragen soll, muss unbedingt korrigiert werden. Die Praxis braucht Arbeitszeitflexibilisierungsmöglichkeiten, die bis zu 24 Monate dauern. Hiervon war auch das Flexi-Gesetz ausgegangen, als es nur für die darüber hinausgehende Schaffung von Zeitwertguthaben durch §§ 7 ff. SGB IV besondere Formvorschriften und Absicherungsvorgaben geschaffen hatte. Dass der Gesetzgeber hier eine Einschränkung der arbeitszeitrechtlichen Flexibilisierungsmöglichkeiten vornehmen wollte, ist nicht erkennbar. Schließlich bestimmt § 2 Abs. 3 MinLohnG ausdrücklich, dass die vorstehend genannten Regelungen über die Fälligkeit des Mindestlohns bei Wertguthabenvereinbarungen nach § 7 b SGB IV keine Anwendung finden. cc)
Haftung des Auftraggebers
Mit § 13 MinLohnG soll die derzeit in § 14 AEntG vorgesehene Haftung des Auftraggebers auf den gesetzlichen Mindestlohn ausgeweitet werden. Damit entfällt jedweder Branchenbezug, der sich bislang durch die beschränkte Anwendbarkeit des AEntG ergeben hatte. Im Hinblick darauf bestimmt § 13 MinLohnG, dass ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestlohns an Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 MinLohnG wie ein Bürge haftet, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Auf diese Weise soll der Auftraggeber veranlasst werden, im eigenen Interesse darauf zu achten, dass die Arbeitnehmer, die bei von ihm beauftragten Sub- und Nachunternehmern beschäftigt sind, den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. 11
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Diese Vorgabe ist außerordentlich problematisch. Denn es ist in der betrieblichen Praxis vielfach gar nicht erkennbar, ob und ggf. in welchem Umfang beauftragte Dienst- oder Werkvertragsunternehmen eigene Sub- oder Nachunternehmer beschäftigen. Dies gilt für den Dienstleistungs- und Produktionsbereich gleichermaßen. Denn in allen Unternehmen besteht das Bestreben, eigene Verpflichtungen nur für das Kerngeschäft einzugehen. Hilfsund Zulieferarbeiten werden eingekauft, auch wenn dies dem Auftraggeber gegenüber nicht stets aufgedeckt wird. Unklar ist, ob die Haftung den Brutto-Mindestlohn einschließlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags umfasst oder ob – wie in einem der ersten Entwürfe vorgesehen – nur für das Nettoentgelt gebürgt wird. Zu wünschen ist, dass der Gesetzgeber hier Klarstellungen vornimmt, wenn überhaupt an einer so weitgehenden Haftung festgehalten werden soll. Einschränkend ist derzeit lediglich vorgesehen, dass die vorstehend genannte Haftung entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass der Arbeitgeber, der als Unternehmer oder Nachunternehmer Arbeitnehmer beschäftigt, seiner Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns nicht nachkommt. Hier wird man in der betrieblichen Praxis Nachweisregeln entwickeln müssen, die zu einem Haftungsausschluss führen können. Der Verwaltungsaufwand auf beiden Seiten entsprechender Auftragsverhältnisse dürfte sich dadurch allerdings deutlich erhöhen, zumal der Hauptauftraggeber gewährleisten muss, in den Grenzen der Sorgfalt eines ordentlich handelnden Kaufmanns auch Maßnahmen ergriffen zu haben, die etwaige Nachunternehmer und die dort beschäftigten Arbeitnehmer erfassen. dd)
Meldepflichten ausländischer Arbeitgeber
Die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn finden keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die im Ausland beschäftigt werden. Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die einen Arbeitnehmer innerhalb des Anwendungsbereichs dieses Gesetzes mit Tätigkeiten beschäftigen, die in § 2 a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) genannt werden, müssen aber vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung eine schriftliche Anmeldung bei der zuständigen Behörde der Zollverwaltung vornehmen, die umfangreiche Angaben zu den Arbeitnehmern und der Erfüllung des Mindestlohns enthält. Entsprechendes gilt für Arbeitgeber, die eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung vornehmen (§ 16 MinLohnG).
12
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung
ee)
Dokumentation der Arbeitszeit
Bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern i. S. d. § 8 Abs. 1 SGB IV und Arbeitnehmern, die in den in § 2 a SchwarzArbG genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt sind (Baugewerbe, Gaststätte und Beherbergung, Personenbeförderungsgewerbe, Spedition, Transport und Logistik, Schausteller, Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau, Fleischwirtschaft), soll der Arbeitgeber durch § 17 MinLohnG verpflichtet werden, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertag aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren. Eine entsprechende Verpflichtung gilt für Entleiher, dem ein Verleiher Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen hat. Diese Verpflichtung stellt eine erhebliche Ausweitung von § 16 ArbZG dar, nach der die kalendertäglich über die Dauer von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit erfasst werden muss. Damit wird ein erheblicher Verwaltungsaufwand erzeugt. Soweit Arbeitnehmer davon betroffen sind, die in Vertrauensarbeitszeit tätig sind, wird man allerdings überlegen müssen, ob nicht auch insoweit eine Delegation dieser Verpflichtung auf die Arbeitnehmerseite erfolgen kann. Das Risiko, dass die Arbeitszeiterfassung insoweit allerdings Lücken aufweist, trägt indes der Arbeitgeber. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Einhaltung dieses Dokumentationserfordernisses in den Bußgeldvorschriften des § 21 MinLohnG erfasst ist. ff)
Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge
Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern nicht ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MinLohnG spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. MinLohnG genannten Zeitpunkt zahlen, können nach Maßgabe von § 19 MinLohnG für eine angemessene Zeit bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit von der Teilnahme an einem Wettbewerb zur öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Dies gilt nicht nur dann, wenn sie wegen eines Verstoßes mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500,- € belegt worden sind. Der aktuelle Gesetzentwurf hält einen Ausschluss bereits dann für möglich, wenn im Einzelfall angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung besteht.
13
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gg)
Persönlicher Anwendungsbereich
Das MinLohnG gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten i. S. d. § 26 BBiG gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer i. S. dieses Gesetzes. Nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen Praktikantinnen und Praktikanten, die 1.
ein Praktikum verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung leisten
2.
ein Praktikum von bis zu sechs Wochen zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3.
ein Praktikum von bis zu sechs Wochen begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Auszubildenden bestanden hat oder
4.
an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54 a SGB III teilnehmen.
Ungeachtet dessen werden Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne abgeschlossene Berufsausbildung ebenso wie ehrenamtlich Tätige und die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten vom Anwendungsbereich des MinLohnG nicht erfasst. Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos i. S. d. § 18 SGB III waren, gilt der Mindestlohn nicht in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung. Dies bestimmt § 22 MinLohnG.
b)
Erleichterungen der Allgemeinverbindlicherklärung
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Allgemeinverbindlicherklärung in 5 Abs. 1 TVG werden geändert und entsprechende Entscheidungen der zuständigen Ministerien erleichtert. Nach der Neufassung soll eine Allgemeinverbindlicherkärung bereits dann erfolgen können, wenn sie im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Dies ist nach der Entwurfsfassung in der Regel der Fall, wenn die Tarifvertragsparteien darlegen, dass 1.
der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder
2.
die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherkärung verlangt.
Die derzeit noch vorgesehene Voraussetzung, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen, entfällt damit vollständig. Im 14
Gesetzlicher Mindestlohn, Allgemeinverbindlicherklärung
Grunde ist eine Allgemeinverbindlicherkärung auf der Basis der jetzt vorliegenden Vorschläge stets dann möglich, wenn das Bundesministerium eine solche Entscheidung auf der Grundlage eines entsprechenden Antrags politisch für geboten hält. Ergänzend hierzu werden erleichterte Voraussetzungen in Bezug auf die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags über eine gemeinsame Einrichtung festgelegt. Ein solcher Tarifvertrag ist von einem Arbeitgeber als Folge einer weiteren Änderung in § 5 Abs. 4 TVG auch dann einzuhalten, wenn er nach § 3 TVG an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist.
c)
Änderungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes
Nachdem die Bundesregierung noch durch ein vorangehendes Gesetz eine Ausweitung des AEntG auf die Schlachten und Fleischverarbeitung beschlossen hatte15, sieht das Tarifautonomiestärkungsgesetz nunmehr vor, dass jede Begrenzung des AEntG auf bestimmte Branchen entfällt. Zukünftig soll es damit möglich sein, durch Rechtsverordnung Tarifverträge in allen Branchen mit der besonderen Verbindlichkeit des AEntG zu versehen. Es soll genügen, wenn die Erstreckung der Rechtsnormen eines solchen Tarifvertrags im öffentlichen Interesse geboten erscheinen, um die in § 1 AEntG genannten Gesetzestitel zu erreichen und dabei insbesondere einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenzuwirken (§ 4 Abs. 2 AEntG). Soweit es um die Anwendung solcher Tarifverträge beim Einsatz von Leiharbeitnehmern in Mischbetrieben geht, soll die bisherige Regelung in § 8 Abs. 3 dahingehend geändert werden, dass die Regelungen eines durch Rechtsverordnung nach dem AEntG für verbindlich erklärten Tarifvertrags auch dann zu beachten sind, wenn im Betrieb eine überwiegend andere Beschäftigung als die des Leiharbeitnehmers ausgeübt wird. Damit löst sich der Gesetzgeber vollständig von den durch die Tarifvertragsparteien getroffenen Regelungen zum Geltungsbereich eines Tarifvertrags. Diese waren bislang maßgeblich, so dass nach § 8 Abs. 3 AEntG entsprechende Vorgaben eines Tarifvertrags nur maßgeblich waren, wenn der Leiharbeitnehmer durch den Entleiher in einem Betrieb eingesetzt wurde, der seinerseits in den Geltungsbereich des nach dem AEntG verbindlichen Tarifvertrags fiel. Zukünftig soll eine entsprechende Anwendungsvorgabe auch dann gelten, wenn der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags oder dieser Rechtsverordnung fällt. 15 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 9.
15
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
d)
Inkrafttreten
Das Gesetz soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Damit werden sämtliche Änderungen, die eine erleichterte Durchsetzung tarifvertraglicher Vorgaben schaffen sollen, anwendbar. Lediglich die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn treten erst am 1.1.2015 in Kraft. (Ga)
4.
Gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit
Im Koalitionsvertrag ist eine Festschreibung des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem „betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip“ vorgesehen, damit der Koalitions- und Tarifpluralismus in „geordnete Bahnen“ gelenkt werde16. Derzeit liegt noch kein Gesetzentwurf vor. Denkbar ist allerdings, dass das Tarifautonomiestärkungsgesetz17 zum Anlass genommen wird, eine entsprechende Regelung in das TVG einzufügen. Dass mit einer solchen gesetzlichen Regelung die bestehenden Probleme in Bezug auf den Arbeitskampf konkurrierender Gewerkschaften beseitigt werden, erscheint zweifelhaft. Dies gilt auch in Bezug auf die besonderen Belastungen durch Sparten- oder Berufsgruppengewerkschaften. Denn der Grundsatz der Tarifeinheit, wie er durch die frühere Rechtsprechung auch bei Tarifpluralität zur Anwendung gebracht wurde, stand dem gleichzeitigen Tätigwerden unterschiedlicher Gewerkschaften einschließlich etwaiger Arbeitskampfmaßnahmen nicht entgegen. Auf der Grundlage des Grundsatzes der Tarifeinheit wurde nur entschieden, welcher Tarifvertrag unmittelbare und zwingende Wirkung besaß. Die anderen Tarifverträge konnten keine gesetzliche Geltung beanspruchen. Vor diesem Hintergrund macht eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit nur Sinn, wenn sie – entgegen der aktuellen Beschlussfassungen des DGB – um Regelungen zum Arbeitskampfrecht ergänzt wird. Dies gilt jedenfalls insoweit, als damit Regelungen zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit geschaffen werden, die auch verbindliche Schiedsverfahren beinhalten können. Dass nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb verbindlich sein soll und nur diese Gewerkschaft zu Arbeitskampfmaßnahmen berechtigt sein soll, was Wunsch des DGB ist, dürfte verfassungswidrig sein, weil damit die Koalitionsfreiheit der Sparten- und Berufsgruppengewerkschaften durch die Gewerkschaften des DGB beseitigt wird. Dass es hier genügt, durch „flankierende Verfahrensregelungen … ver-
16 Koalitionsvertrag S. 70. 17 Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2014, 9 ff.
16
Elektronische Form des Tarifarchivs
fassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung“ zu tragen, wie der Koalitionsvertrag andeutet, erscheint außerordentlich fraglich18. Sinnvoller erscheint, auf der Grundlage des sogenannten „Professorenvorschlags“ eine übergreifende Regelung zur Tarifeinheit zu schaffen, die die Geltung von Tarifverträgen ebenso wie den Arbeitskampf zur Durchsetzung dieser Tarifverträge regelt. Wir hatten darüber schon bei früherer Gelegenheit berichtet19. (Ga)
5.
Elektronische Form des Tarifarchivs
Am 1.4.201420 ist die zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des TVG in Kraft getreten. § 14 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des TVG wird damit wie folgt gefasst: Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann ein Tarifarchiv auch in elektronischer Form geführt werden. Die Pflicht zur Verwendung von Tarifverträgen ist auch erfüllt, wenn ein Tarifvertrag als elektronisches Dokument eingereicht wird. Dem elektronischen Dokument ist eine Erklärung beizufügen, dass das elektronisch eingereichte Dokument mit der Urschrift des Tarifvertrags oder seinen Änderungen übereinstimmt, und die Erklärung ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen oder mittels Versandart nach § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes zu übersenden. In Schriftform vorliegende Tarifverträge werden seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in eine elektronische, im Volltext durchsuchbare Form umgewandelt.
Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit angesichts der strengen Anforderungen an die Gewährleistung der zutreffenden Urheberschaft durch qualifizierte elektronische Signatur oder Versandart nach dem De-Mail-Gesetz von dieser Möglichkeit einer elektronischen Einreichung in der betrieblichen Praxis wirklich Gebrauch gemacht wird. Angesichts der nur eingeschränkten Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur dürfte nur die Versandart nach dem De-Mail-Gesetz relevant werden. Dieses ermöglicht einen Versand, wenn die sichere Anmeldung durch Benutzername und Passwort oder elektronischen Personalausweis gewährleistet wird. Soweit Tarifverträge Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten beinhalten, soll die Einsichtnahme im Rahmen des Tarifar18 Vgl. auch Lehmann, BB 2014, 634 ff. 19 B. Gaul, AktuellAR 2010, 292 ff., 2012, 10 ff. 20 BGBl. I 2014, 463.
17
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
chivs eingeschränkt oder verwehrt werden. Dies wird durch eine Ergänzung in § 16 der Verordnung zur Durchführung des TVG festgelegt. (Ga)
6.
Beschränkungen bei Arbeitnehmerüberlassung und Scheinwerkverträgen
Wir hatten im Herbst über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung und zu den Scheinwerk- oder -dienstverträgen berichtet21. Ergänzend hierzu hat die Kommission am 21.3.2014 ihren Bericht über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit vorgelegt22.
a)
Änderungen in Bereich der Arbeitnehmerüberlassung
Im Wesentlichen geht es um die feste zeitliche Begrenzung der Überlassungsdauer (Grundsatz: 18 Monate), die zwingende Wirkung des Equal-PayGebots ab neun Monaten, ein Verbot für Streikeinsätze von Leiharbeitnehmern und die Einbeziehung der Leiharbeitnehmer in die Schwellenwerte der Betriebsverfassung23. Eine vergleichbare Ausweitung für die Unternehmensmitbestimmung24 ist derzeit nicht erkennbar. Keine Änderungen sind in Bezug auf die Sonderregelungen für die Überlassung im Konzern angekündigt25. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird voraussichtlich erst nach dem Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen26. Losgelöst davon enthält allerdings auch das Tarifautonomiestärkungsgesetz, auf das an anderer Stelle verwiesen wird27, eine Reihe von Veränderungen, die auch den Einsatz von Leiharbeitnehmern betreffen. Beispielhaft sei hier nur auf die Dokumentationserfordernisse in Bezug auf die Arbeitszeit, die Haftung für den Mindest-
21 22 23 24 25
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2013, 371 ff. Hierzu auch Bissels, ArbRB 2014, 109 ff. COM(2014) 176 final. Vgl. hierzu Oberthür, ArbRB 2014, 112 ff. Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2014, 206 f. Vgl. hierzu die kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 17.1.2014, BT-Drucks. 18/307, 18/421. 26 Derzeit gibt es nur einen Bericht über Erfahrungen bei der Anwendung des AÜG (BTDrucks. 18/673). Dieser enthält keine Anhaltspunkte für gesetzgeberische Maßnahmen. 27 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 9 ff.
18
Beschränkungen bei Arbeitnehmerüberlassung und Scheinwerkverträgen
lohn oder die Geltung von Tarifverträgen nach dem AEntG beim Einsatz in Mischbetrieben genannt28. Mit der Einführung der 18-Monats-Grenze dürfte der Streit über die unionsrechtlich vorgegebene Frage, dass Arbeitnehmerüberlassung vorübergehender Natur ist29, keiner weiteren Klärung bedürfen. Dies macht dann auch eine Vorlage entbehrlich. Zu hoffen ist freilich, dass dabei Übergangsregelungen in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung in Bezug auf Altfälle geschaffen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn - was zu erwarten ist - in das Gesetz eine Sanktion für den Fall der Überschreitung der zulässigen Überlassungsdauer aufgenommen wird. Im Urteil vom 10.12.201330, hatte das BAG diese Frage dem Gesetzgeber zugewiesen31. Unter welchen Voraussetzungen die zeitliche Beschränkung durch Tarifvertrag oder auf der Grundlage eines Tarifvertrags aufgehoben werden kann, ist derzeit noch offen. Zu erwarten ist aber, dass jede kollektivrechtliche Regelung zur Abweichung von der 18-Monats-Regel das Gebot einer nur vorübergehenden Überlassung von Arbeitnehmern in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG beachten muss. Dass dieses Gebot gestrichen wird, steht nicht zu erwarten. Da es unbefristeten bzw. dauerhaften Einsätzen entgegensteht, wie das BAG im Urteil vom 10.7.201332 zu Recht deutlich gemacht hat33, müssen auch in einem Tarifvertrag bzw. einer Regelung aufgrund Tarifvertrags zeitliche Schranken genannt werden. Das übersieht die These, dass die Personalgestellung nach Maßgabe des TVöD auf der Grundlage entsprechender Öffnungsklauseln privilegiert werden kann. Sie kann auch nicht aus dem Anwendungsbereich des AÜG ausgegrenzt werden34. Auf die Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen Vorgaben, die ohnehin fraglich erscheint, kommt es daher gar nicht mehr an. Offen ist derzeit, ob im Zusammenhang mit der Neuregelung auch die Frage entschieden wird, ob die Überlassung von Arbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätze zulässig ist. Ein großer Teil der Instanzgerichte lehnt eine solche Einsatzform auf der Grundlage einer arbeitsplatzbezogenen Betrachtungsweise
28 29 30 31 32 33 34
Hierzu auch BT-Drucks. 18/573. Vgl. hierzu Steinmeyer, DB 2013, 2740 ff. 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196 Rz. 28 ff. Vgl. auch B. Gaul, AktuellAR 2014, 202 ff. 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296 Rz. 54. Hierzu B. Gaul, AktuellAR 2013, 388 ff. Ebenso Hinrichs/Wenzel/Knoll, ZTR 2014, 68 ff.; a. A. Fieberg, NZA 2014, 187 ff.
19
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
generell ab35. Losgelöst davon, dass diese Überlegungen nicht überzeugen, ist aber denkbar, dass der Gesetzgeber diese Diskussion zum Anlass nehmen wird, die „Kettenüberlassung“ – also die mehrfache Überlassung unterschiedlicher Leiharbeitnehmer auf einen bestimmten Arbeitsplatz – zu verbieten. Damit könnten Leiharbeitnehmer zwar auf dauerhaft im Unternehmen bestehenden Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Die Besetzung wäre aber auf Zeiten begrenzt, die insgesamt 18 Monate nicht übersteigen. Ob dies auch durch die EU-Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG geboten ist oder ob die EU-Richtlinie solche Schranken sogar verbietet, wird der EuGH möglicherweise im Rahmen einer Vorlage aus Finnland vom 9.10.2013 entscheiden36. Wenn das Equal-Pay-Gebot für Überlassungen von mehr als neun Monaten eingeführt werden soll, sollte dies mit einer gesetzlichen Kennzeichnung des Begriffs des Arbeitsentgelts verknüpft werden. Auf diese Weise wäre beispielsweise eine Begrenzung auf laufende Geldzahlungen möglich, die an die Arbeitsleistung geknüpft sind. Dies ist nach Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeitsrichtlinie) möglich. Andernfalls wird man davon ausgehen müssen, dass alle Geld- und Sachleistungen ohne Rücksicht auf den in Rede stehenden Bezugszeitraum bei den Zahlungspflichten des Verleihers und den Informationspflichten des Entleihers zu berücksichtigen sind (z. B. Jahressonderzahlungen, Jubiläumsgeld, variable Vergütung, Betriebsrente, Deputate, ÖPNV-Tickets, Aktienoptionen). In Übereinstimmung damit hat das BAG im Urteil vom 19.2.201437 angenommen, dass der Begriff des Arbeitsentgelts weit ausgelegt werden müsse. Zu ihm zähle nicht nur das laufende Arbeitsentgelt, sondern jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt werde bzw. aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden müsse. Deshalb gehörten hierzu nicht nur Lohn und Gehalt, Urlaubsvergütung oder die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und an Feiertagen, sondern alle Bruttovergütungen wie Zulagen und Zuschläge, vermögenswirksame Leistungen sowie (steuerpflichtige) geldwerte Vorteile eines zur privaten Nutzung überlassenen Firmenwagens.
35 Vgl. nur LAG Schleswig-Holstein v. 8.1.2014 – 3 TaBV 43/13, DB 2014, 489 Rz. 35 ff. 36 C-533/13 n. v.; Thüsing/Stiebert, ZESA 2014, 27 ff. 37 5 AZR 1047/12 n. v. (Rz. 36 f.).
20
Geschlechterquote für Vorstand, Aufsichtsrat und Führungspositionen
b)
Ergänzende Regelungen zur Bekämpfung von Scheinwerkund -dienstverträgen
In Übereinstimmung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Umgehung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen, der am 28.10.2013 durch den Bundesrat in den Bundestag eingebracht wurde38, erfolgt die Bekämpfung von Scheinwerkund -dienstverträgen mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Kennzeichnungspflicht von Arbeitnehmerüberlassung. Wird diese Kennzeichnungspflicht im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen missachtet, können die durch den Unternehmer vermeintlich eingesetzten Erfüllungsgehilfen, die tatsächlich Leiharbeitnehmer sind, ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber, der tatsächlich Entleiher ist, geltend machen. Darüber hinaus wird man mit ergänzenden Regelungen zu Beteiligungsrechten des Betriebsrats in §§ 80 Abs. 2, 92 BetrVG beim Einsatz von Fremdpersonal rechnen müssen39. Ob auch §§ 87, 99 BetrVG Ergänzungen erfahren, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, ob der Gesetzgeber in § 1 AÜG Kriterien aufnehmen wird, die die Vermutung für das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung begründen40. Ohne diese Regelung zur Kennzeichnung der Arbeitnehmerüberlassung bliebe es bei den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung des Werk- und Dienstvertrags von der Arbeitnehmerüberlassung41, die wir an anderer Stelle eingehend behandelt haben42. (Ga)
7.
Gesetzliche Geschlechterquote für Vorstand, Aufsichtsrat und Führungspositionen
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir über verschiedene Initiativen zur Einführung einer Frauenquote berichtet. Im Wesentlichen ging es dabei um Gesetzesvorschläge des Bundesrats43, der SPD44, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN45 und Vorschläge, die auf europäischer Ebene46 entwickelt wur-
38 39 40 41 42 43 44 45 46
BT-Drucks. 18/14; BR-Drucks. 687/13. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2013, 599 ff. Vgl. BT-Drucks. 17/12378, 17/14074. Vgl. hierzu Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 ff. B. Gaul, AktuellAR 2013, 371 ff. BR-Drucks. 330/12; BT-Drucks. 17/11270. BT-Drucks. 17/8878. BT-Drucks. 18/773, 17/11139. COM (2012) 614 final.
21
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
den47. Die bisherigen Vorschläge hatten in der vergangenen Legislaturperiode keine Mehrheit gefunden48. Auf der Grundlage entsprechender Vereinbarungen im Rahmen des Koalitionsvertrags49 haben das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 24.3.2014 ihre Leitlinien für ein Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst vorgelegt. Für die Privatwirtschaft sind dabei vor allem die Geschlechterquote im Aufsichtsrat und die Pflicht zu verbindlichen Zielvorgaben für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Managementebenen von Bedeutung. Die Diskussion über die (gesetzliche) Frauenquote nähert sich damit einem Ende.
a)
Gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte
Mit Wirkung zum 1.1.2016 soll eine gesetzliche Geschlechterquote für Unternehmen eingeführt werden, die börsennotiert sind und der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Der Kreis dieser Unternehmen wird auf etwa 110 Gesellschaften geschätzt. Die Vorgabe soll für alle Aufsichtsratsposten zur Anwendung kommen, die ab 1.1.2016 besetzt werden. Bestehende Mandate – auch die der Ersatzmitglieder – bleiben hiervon unberührt. Die gesetzliche Geschlechterquote betrifft die Arbeitnehmer- und Anteilseignerbank jeweils eigenständig. Damit muss die Mindestquote von 30 % von jeder Bank gesondert eingehalten werden. Bei der Festsetzung der Mindestquote ist auf die nächste volle Personenzahl aufzurunden. Im 12er Aufsichtsrat müssen also je zwei, im 16er/20er Aufsichtsrat also je drei Mitglieder des jeweils anderen Geschlechts vertreten sein. Hat eine Bank mehr Mitglieder des minderrepräsentierten Geschlechts als gesetzlich gefordert, kann die andere Bank sich die Übererfüllung indes nicht anrechnen. Vorgesehen ist, dass eine Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung oder die Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern unter Verletzung der Mindestquote nichtig ist, so dass die für das zu gering repräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze rechtlich unbesetzt bleiben (sog. leerer Stuhl). Die Feststellung der Nichtigkeit erfolgt durch gerichtliche Entscheidung, die durch Aktionäre, den Vorstand als Organ sowie die Mitglie-
47 B. Gaul, AktuellAR 2010, 31 f.; 2011, 38 ff., 313 f.; 2012, 13 ff., 282 ff., 301 f.; 2013, 5 f., 318 f. 48 BT-Drucks. 17/12784. 49 Koalitionsvertrag S. 102.
22
Geschlechterquote für Vorstand, Aufsichtsrat und Führungspositionen
der des Vorstands und des Aufsichtsrats herbeigeführt werden kann. Konsequenz einer Nichtigkeit der Bestellung bzw. Entsendung von Anteilseignern kann damit auch die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat sein. Dies gilt umso mehr, als auch das Doppelstimmrecht des Vorsitzenden nur bei einem Patt innerhalb der vorangehenden Abstimmung zum Tragen kommen kann. Bleibt ein Sitz auf der Anteilseignerseite unbesetzt, kommt ein Patt bei geschlossener Abstimmungsweise der Arbeitnehmerseite nicht in Betracht. Die Arbeitnehmerbank wird im Hinblick auf die Erfüllung der gesetzlichen Mindestquote Veränderungen im Wahlverfahren erhalten. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Arbeitnehmerbank aus unterschiedlichen Gruppen (unternehmens- oder konzernangehöriger Arbeitnehmer, Gewerkschaftsvertreter, leitende Angestellte) bestehen kann und die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat in unterschiedlichen Mitbestimmungsgesetzen mit unterschiedlichen Wahlverfahren geregelt ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Mindestquote auch nicht durch das Einrücken von Ersatzmitgliedern unterschritten werden darf. Im Zweifel kommt es bei einer Nichtbeachtung der gesetzlichen Geschlechterquote zu einer gerichtlichen Ersatzbestellung oder einer Nachwahl, falls nicht durch Kandidaten, die eine niedrigere Stimmenzahl erhalten haben, eine ordnungsgemäße Besetzung erfolgen kann.
b)
Verbindliche Zielvorgaben für Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Management-Ebenen
Ergänzend zu den gesetzlichen Quote für den Aufsichtsrat sollen unternehmensseitig bereits ab 2015 verbindliche Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils im Aufsichtsrat, Vorstand und in den obersten ManagementEbenen festgelegt, veröffentlicht und hierüber transparent berichtet werden. Betroffen hiervon sind alle Unternehmen, die entweder börsennotiert sind oder der Unternehmensmitbestimmung unterliegen. Damit werden also auch GmbHs erfasst, für die das Mitbestimmungsgesetz oder das Drittelbeteiligungsgesetz gilt. Die Zielvorgaben – in der Regel zur Erhöhung des Frauenanteils - werden durch den Aufsichtsrat und den Vorstand festgelegt. Dabei ist der Aufsichtsrat zuständig für die Zielgrößen und Fristen für die Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand. Ob und in wieweit der Aufsichtsrat dabei auch Zielvorgaben für die Arbeitnehmerbank festlegen kann, soll noch geprüft werden. Der Vorstand selbst soll verpflichtet werden, die Festlegungen für die beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands vorzunehmen. Sämtliche
23
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Zielvorgaben, die typischerweise in Prozentsätzen erfolgen, sind mit Fristen zur Erreichung zu verknüpfen. Eine verbindliche Kennzeichnung der beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands erfolgt durch die Leitlinien der beiden Bundesministerien noch nicht. Beabsichtigt ist lediglich, die Kennzeichnung nicht nach betriebswirtschaftlichen Lehren (Top-Management, Mittel-Management und LowManagement) vorzunehmen, sondern die tatsächlich in konkreten Unternehmen eingerichteten Hierarchieebenen unterhalb des Vorstands aufzugreifen. Denkbar ist insoweit, dass an den Berichtspflichten angeknüpft wird, unterstellt man, dass die Berichtenden ihrerseits Führungsverantwortung tragen. Ob diese hierarchische Betrachtungsweise allerdings der Bedeutung der betreffenden Personen in allen Bereichen eines Unternehmens gerecht wird, erscheint überaus zweifelhaft. In jedem Fall dürfte eine solche Anknüpfung für Konzernobergesellschaften, die durch flache Hierarchien geprägt sind, kein sinnvolles Ergebnis zeitigen. Hier stellt sich vielmehr die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Konzernbetrachtung erfolgen kann. Der Gesetzgeber beabsichtigt nicht, einen bestimmten Prozentsatz festzulegen. Vielmehr obliegt es Aufsichtsrat und Vorstand, unter Berücksichtigung der jeweiligen Branche und der bereits vorhandenen Repräsentanz von Frauen in Managementpositionen eine selbstbestimmte Quote festzulegen. Die Frist, innerhalb derer diese Zielvorgabe erreicht werden soll, muss zunächst einmal innerhalb der 18. Legislaturperiode enden. Später darf die Frist einen Zeitraum von drei Jahren nicht übersteigen. Nach den Leitlinien der beiden Bundesministerien sollen die festgelegten Zielgrößen und die festgelegten Fristen für deren Erreichen veröffentlicht werden. Über das Erreichen oder ggf. über die Gründe für das Nichterreichen der Zielgrößen innerhalb der Fristen ist zu berichten. In Fällen der Nichterreichung soll der Aufsichtsrat oder Vorstand nachvollziehbar darlegen müssen, was er unternommen hat und weshalb er keinen Erfolg hatte. Auf diese Weise soll eine öffentliche Transparenz bewirkt werden, die Unternehmen motivieren soll, ambitionierte Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Bei fehlerhaften Angaben und Berichten über die Zielgrößen, Pflichten und das Erreichen bzw. Nichterreichen kann die Entlastung der Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder verweigert werden. Zwingende Sanktionen sehen die Leitlinien indes nicht vor. Offen ist auch, welche Sanktionen dann drohen, wenn die Zielvorgaben durch Aufsichtsrat und/oder Vorstand nicht oder verspätet festgesetzt werden. 24
Inkrafttreten der Institutsvergütungsverordnung am 1.1.2014
b)
Fazit
Es steht zu erwarten, dass konkrete Gesetzesvorschläge im Herbst dieses Jahres vorliegen. Damit dürfte die Diskussion über die gesetzliche Frauenquote einen Abschluss gefunden haben. Es bleibt freilich abzuwarten, ob die rechtlichen Schwierigkeiten einer gesetzlichen Regelung durch die beiden Bundesministerien in einer für die Praxis auch handhabbaren Weise gelöst werden. Insbesondere das Wahlverfahren für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dürfte dabei Probleme bereiten. (Ga)
8.
Inkrafttreten der Institutsvergütungsverordnung am 1.1.2014
Auf der Grundlage von § 25 a Abs. 6 KWG hat das Bundesministerium der Finanzen die Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) festgesetzt und verkündet. Sie dient gemäß § 1 Institutsvergütungsverordnung der Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG sowie der Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012. Die Verordnung gilt für alle Institute i. S. d. §§ 1 Abs. 1 b, 53 Abs. 1 KWG und für die Vergütungssysteme sämtlicher Geschäftsleiter und Geschäftsleiterinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Institute. Einige besondere Regelungen gelten nur für bedeutende Institute i. S. d. § 17 Institutsvergütungsverordnung. Sie findet keine Anwendung auf Vergütungen, die 1. durch Tarifvertrag vereinbart sind 2. im Geltungsbereich eines Tarifvertrages durch Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen vereinbart sind oder 3. aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung vereinbart sind.
Der Begriff der Vergütung, des Vergütungssystems und seiner Bestandteile wird in § 2 Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) geregelt. Im Anwendungsbereich der Institutsvergütungsverordnung ist es wichtig, die 25
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
allgemeinen und besonderen Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Vergütungssysteme in §§ 3 ff. Institutsvergütungsverordnung zu beachten. Ein Teil dieser Vorgaben können auch außerhalb des Bereichs der Finanzdienstleister nutzbar gemacht werden, insbesondere solche Regelungen, die zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit der Vergütung dienen. Soweit die mit Geschäftsleitern und Geschäftsleiterinnen sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bestehenden Verträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen sowie betriebliche Übungen mit dieser Verordnung nicht vereinbar sind, hat das jeweilige Institut darauf hinzuwirken, dass diese, soweit rechtlich zulässig, angepasst werden (§ 14 Abs. 1 InstitutsVergV). Die Anpassung hat auf der Grundlage einer für Dritte nachvollziehbaren, fundierten juristischen Begutachtung der Rechtslage und unter Berücksichtigung der konkreten Erfolgsaussichten zu erfolgen (§ 14 Abs. 2 InstitutsVergV). Dies dürfte Änderungskündigungen im Regelfall ausschließen. Wichtig ist, dass die besonderen Anforderungen für bedeutende Institute auch bei der Ausgestaltung von Ausgleichs- oder Abfindungszahlungen sowie Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu beachten sind (§§ 21, 22 InstitutsVergV). Darin werden Vorgaben gesetzt, die über die allgemeinen Regelungen des Betriebsrentenrechts hinausgehen. Die Institutsvergütungsverordnung vom 6.10.2010 ist am 31.12.2013 außer Kraft getreten. Unter Berücksichtigung der in § 28 InstitutsVergV getroffenen Übergangsregelungen sind jetzt nur noch die Vorgaben der Institutsvergütungsverordnung vom 16.12.201350 maßgeblich. (Ga)
9.
Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“
Bundestag und Bundesrat haben beschlossen, das AEntG auch auf die Branche „Schlachten und Fleischverarbeitung“ auszudehnen. Grundlage war ein Gesetzentwurf der Bundesregierung51. Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Losgelöst von der bevorstehenden Erweiterung des AEntG auf alle Branchen, die durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz erfolgen soll52, wird damit eine weitere Branche namentlich in den Anwendungsbereich einbezogen. Auf diese Weise soll die Grundlage geschaffen werden, den Tarifvertrag 50 BGBl 2013 I, 4270 ff. 51 BR-Drucks. 81/14 und 192/14; BT-Drucks. 18/910 und 18/1359. 52 B. Gaul, AktuellAR 2014, 9 ff.
26
Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit
zur Regelung der Mindestbedingungen für Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, der im Januar 2014 abgeschlossen wurde, mit der besonderen Verbindlichkeit des AEntG zu versehen. (Ga)
10. ElterngeldPlus und Partnerschaftsbonus Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plant, die Teilzeitbeschäftigung während des Bezugs von Elterngeld stärker zu fördern. Beabsichtigt ist, Müttern und Vätern, die während der Elternzeit einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, länger als bislang Elterngeld zu gewähren (ElterngeldPlus). Voraussetzung für diese Verlängerung ist, dass sich beide, Mutter und Vater, zu einer Elternzeit und der gleichzeitigen Inanspruchnahme einer Teilzeitbeschäftigung von 25 bis 30 Stunden/Woche entschließen. In diesem Fall soll ein Partnerschaftsbonus in Form von vier zusätzlichen ElterngeldPlus-Monaten gewährt werden. Derzeit bekommen Eltern maximal 14 Monate Elterngeld. Voraussetzungen dafür ist bereits, dass beide Elternteile mindestens zwei Monate Elternzeit in Anspruch nehmen. Wenn allerdings aus wirtschaftlichen Gründen eine Teilzeitbeschäftigung von mehr als 30 Stunden ausgeübt wird, hat dies eine Beendigung des Elterngeldanspruchs zur Folge (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 6 BEEG). Dies soll jetzt dadurch vermieden werden, dass beide Elternteile gleichermaßen ohne Verlust des Elterngeldes in eine Teilzeitbeschäftigung wechseln können und damit ausreichend Zeit verfügbar ist, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Ein konkreter Gesetzesvorschlag liegt bislang nicht vor. Wir werden über den weiteren Fortgang berichten. (Ga)
11.
Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit
Schon am 3.5.2013 hatte der Bundesrat bereits eine Verordnungsinitiative zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit beschlossen53. Wir hatten über diese Initiative der Länder Hamburg, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die auf der Grundlage der Anti-Stress-Verordnung der IG Metall eine gesetzliche Rege-
53 BR-Drucks. 315/13. , 315/13(B); BT-Drucks. 17/13851, 17/13088, 17/12818.
27
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
lung zur Bekämpfung der psychischen Belastung bei der Arbeit schaffen sollte, bereits an anderer Stelle berichtet54. Nachdem das ArbSchG noch zum Ende der letzten Legislaturperiode in Bezug auf die psychische Belastung von Arbeitnehmern klarstellend ergänzt wurde55, ist die Initiative zur Verabschiedung einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit durch die Bundesregierung vorübergehend gestoppt worden. In ihrer Unterrichtung an den Bundesrat vom 12.3.2014 bestätigt sie zwar, dass das Thema in den geltenden Arbeitsschutzverordnungen verankert werden soll. Eine Entscheidung über die Handlungsoption einer eigenständigen Verordnung zur psychischen Gesundheit bei der Arbeit solle allerdings erst im Lichte weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin habe dazu bereits ein entsprechendes Forschungsprojekt konzipiert. Über den weiteren Fortgang und gesetzliche Regelungen soll nach Abschluss und Auswertung dieser und ergänzender Forschungsvorgaben entschieden werden. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn man die mit der vorgeschlagenen Verordnung verbundene Überregulierung im Bereich des Arbeitsschutzes vermeiden will. Ungeachtet dessen wird sich die Praxis auch in Zukunft verstärkt mit der psychischen Belastung von Arbeitnehmern befassen müssen. Auch wenn die Verordnung insoweit keine Rechtsverbindlichkeit erlangt hat, enthält sie hierfür allerdings hilfreiche Hinweise, die insbesondere bei der Gefährdungsanalyse, der Ausgestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsabläufen sowie der Steuerung des Führungsverhaltens von Führungskräften Berücksichtigung finden können. Eingehend hatten wir dieses Thema bereits an anderer Stelle behandelt56. (Ga)
12. Keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung Auf der Grundlage einer entsprechenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales57 hat es der Bundestag abgelehnt, die sachgrundlose Befristung in § 14 Abs. 2, 2 a und 3 TzBfG zu streichen. Der entsprechende Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE58 ist damit gescheitert. Die Fraktion DIE LINKE hat allerdings angekündigt, auch in Zukunft weite-
54 55 56 57 58
28
B. Gaul, AktuellAR 2013, 324 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2013, 1 ff. B. Gaul, AktuellAR 2012, 335 ff.; ders., DB 2013, 60 ff. BT-Drucks. 18/879. BT-Drucks. 18/7.
Beschäftigtendatenschutz in sozialen Netzwerken
re Initiativen zur Streichung dieser Erleichterung einer Befristung von Arbeitsverhältnissen anzustreben. Ergänzend hierzu hat sie eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung gerichtet, die einen Überblick zu den tatbestandlichen Voraussetzungen und der praktischen Umsetzung gesetzlicher Regelungen zur Befristung von Arbeitsverträgen in Deutschland und Europa verschaffen soll59. (Ga)
13. Beschäftigtendatenschutz in sozialen Netzwerken Bereits in der Vergangenheit hatten wir verschiedentlich den Beschäftigtendatenschutz in Bezug auf soziale Netzwerke60 und die Kündigung von Arbeitnehmern wegen ihrer Äußerungen in sozialen Netzwerken61 behandelt. Die Fraktion DIE LINKE hat jetzt im Bundestag an der entsprechenden Diskussion anknüpfend Fragen gestellt, die am 10.4.2014 beantwortet wurden62. Soweit die datenschutzrechtliche Handhabe etwaiger Äußerungen in sozialen Netzwerken durch Arbeitnehmer in Rede stünden, hält die Bundesregierung in ihrer Antwort die derzeit in § 32 BDSG getroffenen Vorgaben für ausreichend. Denn schon auf der Grundlage dieser Regelungen sei die Erhebung und Verwertung entsprechender Erkenntnisse aus sozialen Netzwerken durch Arbeitgeber nur zulässig, wenn diese Informationen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers auch angemessen sind, um Arbeitsverhältnisse zu begründen, durchzuführen oder zu beenden. Daran dürfte sich nach derzeitiger Ausgangssituation auch durch die Arbeiten an der EU-Datenschutz-Grundverordnung, über die wir an anderer Stelle berichtet haben63, nichts ändern. Denn auch nach Art. 82 des aktuellen Entwurfs sind keine weitergehenden Einschränkungen vorgesehen. Ungeachtet dessen steht zu erwarten, dass ein Abschluss der Arbeiten an der EUDatenschutz-Grundverordnung erst im Jahre 2015 erfolgen wird. Hiervon geht jedenfalls die Bundesregierung in ihrer Antwort aus. Erst wenn – wovon derzeit nicht ausgegangen wird - mit einem Abschluss der Verhandlungen über die EU-Datenschutz-Grundverordnung nicht in angemessener Zeit
59 60 61 62 63
BT-Drucks. 18/696 und 18/1029. B. Gaul, AktuellAR 2010, 5 ff.; 2011, 306; 2013, 412 ff. B. Gaul, AktuellAR 2013, 413 ff. BT-Drucks. 18/923. B. Gaul, AktuellAR 2013, 337 ff., 2014, 31 ff.
29
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
gerechnet werden könne, solle eine nationale Regelung zum BDSG geschaffen werden64. Dies entspricht der Vereinbarung im Koalitionsvertrag. (Ga)
64 BT-Drucks. 18/1122 S. 4.
30
B. 1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
EU-Datenschutz-Grundverordnung vorerst gescheitert
Entgegen den noch im Herbst geäußerten Erwartungen konnte die EUDatenschutz-Grundverordnung doch nicht mehr vor der Wahl des Europäischen Parlamentes durch alle beteiligten Gremien verabschiedet werden. Eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, haben Vorbehalte gegen einzelne Regelungen geltend gemacht. Insofern hat lediglich das Europäische Parlament selbst den Entwurf am 12.3.2014 verabschiedet. Zu den problematischen Regelungen gehörten nicht nur die Bereiche, in denen der Datenschutz mit Blick auf das Handeln des öffentlichen Sektors festgeschrieben werden sollte. Hier verlangen einzelne Mitgliedstaaten weitergehende Ausnahmen. Problematisiert wird auch, dass mit der EUDatenschutz-Grundverordnung ein Recht der Verbraucher hätte geschaffen werden sollen, beim Wechsel eines Internet-Dienstes personenbezogene Daten auch grenzüberschreitend mitnehmen zu können. Damit wird es auch in Bezug auf das Arbeitsrecht zunächst einmal keine einheitliche Regelung auf europäischer Ebene geben, die unmittelbar für die einzelnen Mitgliedstaaten verbindlich ist. Vielmehr bleibt es bei der Richtlinie 95/46/EG, auf deren Grundlage derzeit der Datenschutz durch Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten verwirklicht wird. Die daraus resultierende Vielfalt des Datenschutzes, die insbesondere bei grenzüberschreitenden (Konzern-)Sachverhalten praktische Probleme begründet, wird damit bedauerlicherweise fortgeführt. Gerade weil der zuletzt erreichte Kompromiss in Bezug auf den Inhalt der EU-Datenschutz-Grundverordnung einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Datenschutz auf der einen Seite und der unternehmerischen Betätigungsfreiheit auf der anderen Seite vorgesehen hatte, wäre eine Verabschiedung der EU-Datenschutz-Grundverordnung wünschenswert. Zu erwarten ist, dass das Scheitern eine mehrjährige Verzögerung der Diskussionen auf europäischer Ebene auslösen wird, auch wenn die Bundesregierung derzeit noch von einem Abschluss im Jahre 2015 auszugehen scheint. Denkbar ist, dass die Bundesregierung dies aber bei einer erkennbar längeren Verzögerung zum Anlass nehmen wird, eigene Regelungen insbesondere zum Beschäftigtendatenschutz vorzulegen. Denn die entsprechende 31
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Initiative war nach den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nur so lange zurückgestellt worden, als die Schaffung einheitlicher Standards auf europäischer Ebene in Form der EU-Datenschutz-Grundverordnung erwartet wurde. (Ga)
2.
Richtlinie über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern durch Verbesserung der Begründung und Wahrung von Zusatzrentenansprüchen
Am 30.4.2014 ist die Richtlinie 2014/50/EU über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern durch Verbesserung der Begründung und Wahrung von Zusatzrentenansprüchen vom 16.4.2014 veröffentlicht worden 1. Grundlage hierfür war ein Kompromiss, den die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 9.12.2013 und 18.2.2014 erreicht hatten. Mit diesem Ergebnis ist eine grundlegende Änderung des ursprünglichen Vorschlags der Kommission zu einer Richtlinie über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern durch Verbesserung der Begründung und Wahrung von Zusatzrentenansprüchen verbunden, die bereits am 9.10.2007 2 vorgelegt wurde. Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat der Umstand, dass die Richtlinie nach dem jetzt erzielten Kompromiss nur für ausscheidende Arbeitnehmer gilt, die zwischen Mitgliedstaaten zu- und abwandern. Arbeitnehmer, die innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats den Arbeitgeber wechseln, werden nicht erfasst. Es steht den Mitgliedstaaten allerdings frei, die für grenzüberschreitend wechselnde Arbeitnehmer in der Richtlinie vorgesehenen Ansprüche auch auf Sachverhalte zur Anwendung zu bringen, die auf den Mitgliedstaat selbst beschränkt sind. Dann aber wäre die Richtlinie mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden, weil – wie nachfolgend aufgezeigt wird – insbesondere die Unverfallbarkeitsfristen ganz erheblich abgesenkt werden. Vorgesehen ist in der Richtlinie, dass Unverfallbarkeitsfristen und/oder Wartezeiten in Bezug auf Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung eine Gesamtdauer von drei Jahren nicht überschreiten dürfen. Das Mindestalter für die Unverfallbarkeit soll 21 Jahre nicht überschreiten dürfen. Im Gegen1 2
32
17612/1/13 REV 1 ADD 1. COM(2007) 603.
Richtlinie über Mindestvorschriften zur Erhöhung der Mobilität von Arbeitnehmern
satz dazu sieht § 1 b Abs. 1 S. 1 BetrAVG vor, dass Versorgungsanwartschaften erst dann unverfallbar werden, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat. Eine entsprechende Umsetzung solcher Vorgaben hat natürlich eine erhebliche Ausweitung von Versorgungsanwartschaften zur Folge, die auch bei kurzen Beschäftigungsverhältnissen entstehen können. Insofern ist es nur folgerichtig, dass in der Richtlinie vorgesehen ist, dass auf nationaler Ebene die Abfindung solcher Versorgungsanwartschaften bis zu einem bestimmten Schwellenwert zugelassen werden darf. Problematisch ist allerdings, dass insoweit von einem Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer ausgegangen wird. Eine zusätzliche Erweiterung der Handlungspflichten von Arbeitgebern ist in der Richtlinie insoweit vorgesehen, als auch Anwartschaften vor Eintritt des Versorgungsfalls einer Anpassungspflicht unterworfen werden sollen. Derzeit sieht § 16 BetrAVG eine Anpassungspflicht erst dann vor, wenn die Betriebsrente nach Eintritt des Versorgungsfalls ausgezahlt wird. Eine weitergehende Pflicht zur Anpassung von Versorgungsanwartschaften vor Eintritt des Versorgungsfalls besteht im derzeit geltenden Recht nur, wenn in der Zusage entsprechende Regelungen getroffen wurden. Abschließend sieht die Richtlinie eine Verbesserung der Auskunftsrechte aktiver Versorgungsanwärter sowie ausgeschiedener Versorgungsanwärter und Hinterbliebener vor. Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass aktive Versorgungsanwärter auf Verlangen Auskünfte über die Folgen einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses für ihre Rentenansprüche erhalten können. Sofern das System die Möglichkeit eines frühzeitigen Zugriffs auf unverfallbare Betriebsrentenansprüche in Form von Kapitalauszahlungen vorsieht, sollen die erteilten Auskünfte auch eine schriftliche Erklärung enthalten, wonach der Anwärter in Betracht ziehen sollte, sich bei der Anlage dieses Kapitals zum Zwecke der Altersversorgung beraten zu lassen. Ergänzend hierzu sollen ausgeschiedene Versorgungsanwärter auf Verlangen auch Auskünfte über den Wert ihrer ruhenden Anwartschaften und die Bedingungen für deren Behandlung erhalten können. Nach dem Kompromisstext sollen des Weiteren auch begünstigte Hinterbliebene das Recht auf Auskunft über die Zahlung von Hinterbliebenenversorgung im Rahmen von Zusatzrentensystemen erhalten.
33
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Die Richtlinie ist innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren umzusetzen. Erfolgt die Umsetzung nur im eigentlichen Geltungsbereich, der auf grenzüberschreitende Arbeitgeberwechsel beschränkt ist, dürften damit keine großen Auswirkungen verbunden sein. Wenn sich allerdings – was durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigt worden ist - auf nationaler Ebene die Entscheidung durchsetzen würde, gleiche Ansprüche auch Arbeitnehmern einzuräumen, die im Rahmen eines reinen Inlandssachverhalts den Arbeitgeber wechseln, würde dies ganz erhebliche Mehrbelastungen einschließlich eines Anstiegs von Rückstellungen auslösen. (Ga)
3.
Richtlinie 2014/54/EU zur Erleichterung einer Durchsetzung der Rechte grenzüberschreitend tätiger Arbeitnehmer
Bereits mit der Richtlinie 96/71/EG vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen sind umfangreiche Vorgaben geschaffen worden, die beim grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sind. Die Diskussion der vergangenen Jahre, die Anhörung der europäischen Sozialpartner und ergänzende Erkenntnisse der Europäischen Kommission haben allerdings erkennen lassen, dass ein Teil der unionsrechtlichen Vorgaben zum Schutz der Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß umgesetzt werden. Die Europäische Kommission hatte deshalb bereits am 21.3.2012 3 den Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgelegt 4. Die Arbeit an dieser Richtlinie ist nunmehr abgeschlossen. Sie ist am 30.4.2014 veröffentlicht worden und muss bis zum 21.5.2016 in nationales Recht umgesetzt werden 5. Unternehmen, die sich mit dem grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitnehmern im Rahmen von Dienstleistungen beschäftigen, sollten diese Vorgaben ergänzend zum AEntG berücksichtigen. Der Geltungsbereich der Richtlinie 96/71/EG wird mit der neuen Richtlinie nicht verändert. Zweck der Richtlinie ist allein die Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus hinsichtlich der Rechte entsandter Arbeitnehmer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, insbesondere der Durchsetzung der Arbeits- und Beschäftigungsbedin3 4 5
34
COM(2012) 131 final. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 298 ff.; 2013, 340 ff. AblEU L 128 2014, 8 ff.
Vorschlag einer Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows
gungen, die in dem Mitgliedsstaat gelten, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Gleichzeitig soll die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit für die Dienstleistungserbringer erleichtert und der faire Wettbewerb zwischen ihnen und damit auch die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes gefördert werden. (Ga)
4.
Vorschlag einer Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse)
Am 28.11.2013 6 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vorgelegt. Mit einer Umsetzung dieses Vorschlags würde eine einheitliche europäische Grundlage geschaffen, wie Geschäftsgeheimnisse vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und rechtswidriger Offenlegung geschützt werden. Aus dem arbeitsrechtlichen Blickwinkel heraus sind mit diesem Vorschlag keine wesentlichen Veränderungen der derzeit in Deutschland geltenden Rechtslage verbunden. Die entsprechenden Vorgaben finden sich bereits im HGB, UWG und sonstigen allgemeinen und spezialgesetzlichen Vorschriften. Denkbar ist aber, dass der Richtlinienvorschlag einschließlich seiner Begriffsdefinitionen in der betrieblichen Praxis bei der Formulierung arbeitsvertraglicher Regelungen nutzbar gemacht wird. Zum einen gilt dies in Bezug auf die Kennzeichnung von Geschäftsgeheimnissen bzw. ihres Erwerbs, ihrer Nutzung und Offenlegung. Hier können Definitionen im Text der Richtlinie nutzbar gemacht werden. Zum anderen gilt dies in Bezug auf die Bereiche, in denen ausnahmsweise Geschäftsgeheimnisse bzw. vermeintliche Geschäftsgeheimnisse durch Arbeitnehmer nutzbar gemacht werden können. Die Berücksichtigung solcher Schranken trägt im Zweifel zur Angemessenheit einer Vertragsklausel i. S. d. § 307 Abs. 1, 2 BGB bei. (Ga)
6
COM(2013) 813 final.
35
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
5.
Vorschlag einer Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter
Am 9.4.2014 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter vorgelegt 7. Hintergrund des Vorschlags ist die Erkenntnis der Europäischen Kommission, dass die bisherigen Vorstöße zur Einführung einer europäischen Privatgesellschaft (SPE) am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert sind. Mit der SPE sollte eine europäische Gesellschaftsform geschaffen werden, die – vergleichbar mit der SE – in allen Mitgliedstaaten auf der Grundlage einheitlicher unionsrechtlicher Vorgaben gegründet und auch erleichtert in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann. Vergleichbar mit der GmbH sollte die SPE einen deutlich stärkeren Einfluss der Anteilsinhaber ermöglichen. Obwohl die Schaffung eines solchen Statuts insofern durchaus sinnvoll erscheint, ist es indes bislang nicht gelungen, die hierfür erforderlichen Entscheidungen herbeizuführen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen insbesondere die Höhe des Stammkapitals und die Unternehmensmitbestimmung. Durch die Richtlinie über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter soll nun eine Zwischenlösung entwickelt werden, auf deren Grundlage in den einzelnen Mitgliedstaaten Gesellschaften gegründet werden können, für die im Wesentlichen einheitliche Rahmenbedingungen gelten. Das jeweilige Statut der Gesellschaft bestimmt sich dann allerdings nach nationalen Vorgaben, die auf der Grundlage unionsrechtlicher Bestimmungen modifiziert werden. Übergreifendes Merkmal der entsprechenden Gesellschaften ist der Umstand, dass jeweils nur ein Gesellschafter vorgesehen ist. Unionsweit soll deshalb die Abkürzung SUP (Societas Unius Personae) verwendet werden. Die Gründung solcher Gesellschaften kann durch natürliche oder juristische Personen erfolgen. Denkbar sind insoweit Neugründungen oder Umwandlungen, die aus bestehenden Gesellschaften erfolgen. Die Gründung soll dabei erleichterten Vorschriften folgen und insbesondere elektronische Anmeldungen nutzen können. Entscheidungen innerhalb der SUP sollen keiner Gesellschafterversammlung mehr bedürfen. Es genügt eine Entscheidung des Gesellschafters, die
7
36
COM(2014) 212 final.
Einbindung der Aktionäre in die Festsetzung der Vorstandsvergütung
schriftlich zu dokumentieren und fünf Jahre lang aufzubewahren ist. Förmliche Beschränkungen in Bezug auf die Beschlussfassungsbefugnis des Gesellschafters dürfen durch die Mitgliedstaaten nicht festgelegt werden. Die Satzung der SUP soll bestimmten Mindestanforderungen genügen. Vorgesehen ist, dass der Kommission insoweit eine einheitliche Vorlage zur Verfügung steht. Ausgehend davon, dass nur ein einziger Anteil gewährt wird, sind satzungsrechtliche Regelungen zur Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftern nicht erforderlich. Wenn der Anteil im Besitz mehrerer Personen steht, was zulässig sein soll, ist der Willensbildungsprozess außerhalb der Satzung zu regeln. Der Vorschlag für eine Richtlinie sieht als Mindestkapital den Betrag von einem Euro vor. Gewinnausschüttungen sollen bis zur Höhe des Stammkapitals zulässig sein, sofern Verbindlichkeiten innerhalb eines bestimmten Zeitraums in der Zukunft auf der Grundlage einer Prognose mit dem verbleibenden Vermögen ausgeglichen werden können. Weitergehende Beschlüsse können eine Haftung der Geschäftsführung auslösen. Es bleibt abzuwarten, wie die Mitgliedstaaten auf diesen Vorschlag reagieren werden. Anzunehmen ist, dass sich die Diskussion – vergleichbar mit den sonstigen Entwicklungen im europäischen Gesellschaftsrecht –über einen längeren Zeitraum hinziehen wird. Der Vorschlag erscheint gleichwohl sinnvoll und könnte auch in Konzernrechtsverhältnissen nutzbar gemacht werden, wenn Servicegesellschaften gegründet oder Transaktionsvehikel gebraucht werden. (Ga)
6.
Vorschläge der EU-Kommission zur Einbindung der Aktionäre in die Festsetzung der Vorstandsvergütung
Im Rahmen ihres Vorschlags für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung vom 9.4.2014 8 hat die EU-Kommission umfassende Regelungen in Bezug auf die Einbindung der Aktionäre bei der Festsetzung und Ausgestaltung von Vergütungsregelungen für Vorstandsmitglieder vorgelegt. Art. 9 a des Richtlinienentwurfs sieht ein Recht auf Abstimmung über die Vergütungspolitik vor, der wie folgt lautet:
8
COM(2014) 213 final.
37
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
„Artikel 9a Recht auf Abstimmung über die Vergütungspolitik 1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Aktionäre das Recht haben, über die Vergütungspolitik in Bezug auf die Mitglieder der Unternehmensleitung abzustimmen. Unternehmen entlohnen die Mitglieder der Unternehmensleitung nur entsprechend der von den Aktionären genehmigten Vergütungspolitik. Die Vergütungspolitik wird den Aktionären mindestens alle drei Jahre zur Genehmigung vorgelegt. Bei der Einstellung neuer Mitglieder der Unternehmensleitung können Unternehmen beschließen, dem einzelnen Mitglied der Unternehmensleitung eine Vergütung zu zahlen, die nicht der genehmigten Politik entspricht, sofern das Vergütungspaket des jeweiligen Mitglieds der Unternehmensleitung zuvor von den Aktionären auf der Grundlage von Informationen in Bezug auf die in Absatz 3 genannten Punkte genehmigt wurde. Die Vergütung kann vorbehaltlich der Genehmigung durch die Aktionäre vorläufig ausgezahlt werden. 2. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Politik klar und verständlich ist, mit der Geschäftsstrategie, den Zielen, Werten und langfristigen Interessen des Unternehmens in Einklang steht und Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten enthält. 3. Die Politik enthält eine Erläuterung dazu, inwiefern sie die langfristigen Interessen und die langfristige Tragfähigkeit des Unternehmens fördert. Sie legt klare Kriterien für die Gewährung der festen und variablen Bestandteile der Vergütung, einschließlich sämtlicher Vorteile in jeglicher Form, fest. In der Politik sind die Höchstbeträge der Gesamtvergütung angegeben, die gewährt werden kann, und das jeweilige Verhältnis von festen und variablen Vergütungsbestandteilen. In der Politik wird anhand des Verhältnisses der durchschnittlichen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung und der durchschnittlichen Vergütung der Vollzeitbeschäftigten des Unternehmens, die nicht zur Unternehmensleitung gehören, sowie der Erklärung, warum dieses Verhältnis als angemessen betrachtet wird, erläutert, wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten des Unternehmens in die Festlegung der Politik oder der Vergütung der Unternehmensleitung eingeflossen sind. In Ausnahmefällen
38
Einbindung der Aktionäre in die Festsetzung der Vorstandsvergütung
kann die Angabe eines Verhältnisses entfallen. In diesem Fall enthält die Politik eine Erläuterung dazu, warum kein Verhältnis angegeben ist, und welche Maßnahmen stattdessen getroffen wurden. In der Politik werden die finanziellen und die nicht finanziellen Leistungskriterien angegeben, die für die Gewährung der variablen Vergütungsbestandteile angewendet werden sollen, und es wird erläutert, inwiefern sie die langfristigen Interessen und die Tragfähigkeit des Unternehmens fördern und mit welchen Methoden festgestellt werden soll, inwieweit die Leistungskriterien erfüllt wurden; auch werden darin die Aufschubzeiten in Bezug auf variable Vergütungsbestandteile, die Wartezeiten bei aktienbezogener Vergütung und das Halten von Aktien nach dem Erwerb der damit verbundenen Rechte präzisiert sowie Angaben zu der Möglichkeit gemacht, variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern. Die Politik enthält die wichtigsten Bestimmungen der Verträge der Mitglieder der Unternehmensleitung, einschließlich der Dauer der Verträge, der geltenden Kündigungsfristen und der Zahlungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Vertrags. In der Politik wird der Entscheidungsprozess bei der Festlegung der Vergütungspolitik erläutert. Bei Überarbeitung der Politik enthält diese eine Erläuterung sämtlicher wesentlicher Änderungen sowie dazu, inwiefern die Ansichten der Aktionäre bezüglich der Politik und der Vergütungsberichte der vergangenen Jahre dabei berücksichtigt wurden. 4. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Vergütungspolitik nach Genehmigung durch die Aktionäre unverzüglich veröffentlicht wird und auf der Website des Unternehmens mindestens für die Dauer ihrer Gültigkeit verfügbar ist.“
Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung die Diskussion auf europäischer Ebene zum Anlass nehmen wird, eigene Vorstellungen zur gesetzlichen Regelung der Vergütung von Vorständen und oberen Führungskräften zurückzustellen. Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass eine stärkere Transparenz in Bezug auf die Vergütung von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften geschaffen werden soll, die die bestehenden Regelungen in § 87 AktG ergänzt 9. Wie weitgehend die Rechte der Hauptversammlung sein sollen und welche Parameter dafür bereits kraft Gesetzes bestimmt werden sollen, ist derzeit allerdings noch zwischen CDU/CSU einerseits und 9
Koalitionsvertrag S. 17.
39
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
SPD andererseits umstritten. Vorerst dürfte es deshalb bei Ziff. 4.2.2 DCGK bleiben, soweit die börsennotierte Aktiengesellschaft betroffen ist. (Ga)
7.
Vorschlag einer Richtlinie zur Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne
Am 16.4.2013 hat die EU-Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne vorgelegt 10. Für den Fall einer Verabschiedung des Entwurfs wären insbesondere Gesellschaften, die im Durchschnitt des Geschäftsjahres mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und am Bilanzstichtag entweder eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro und einen Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro aufweisen, verpflichtet, in den Lagebericht weitergehende Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen, zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung aufzunehmen. Dies schließt nach dem Richtlinienvorschlag eine Beschreibung der von der Gesellschaft in Bezug auf diese Belange verfolgten Politik, die Ergebnisse dieser Politiken und der Risiken im Zusammenhang mit diesen Belangen und der Handhabung dieser Risiken durch das Unternehmen ein. Verfolgt eine Gesellschaft in Bezug auf einen oder mehrere dieser Belange keine Politik, ist zu erläutern, weshalb. Ergänzend hierzu ist im Entwurf vorgesehen, dass in den Lagebericht eine Beschreibung der Diversitätspolitik der Gesellschaft für deren Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane in Bezug auf Aspekte wie Alter, Geschlecht, biografische Vielfalt, Bildungs- und Berufshintergrund, der Ziele dieser Diversitätspolitik sowie der Art und Weise der Umsetzung dieser Politik und deren Ergebnisse im Berichtszeitraum aufzunehmen ist. Verfügt die Gesellschaft nicht über eine derartige Politik, muss die Erklärung eine unmissverständliche und ausführliche Begründung enthalten, warum dies nicht der Fall ist. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungsvorschläge in Bezug auf diese Überlegungen der EU-Kommission durch das Europäische Parlament und
10 COM(2013) 207 final.
40
Keine Mitbestimmungsrechte aus Art. 27 GRC
den Rat geäußert werden. Eine Verabschiedung ist derzeit noch nicht absehbar. (Ga)
8.
Empfehlung der Kommission zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung
Nach Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen müssen Unternehmen, deren übertragbare Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt eines Mitgliedsstaats zugelassen sind, eine Erklärung zur Unternehmensführung in ihren Lagebericht aufnehmen. In Deutschland wird diese Vorgabe durch § 161 AktG umgesetzt. Danach erklären Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft jährlich, dass den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der Regierungskommission „Deutscher Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Die Erklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft und öffentlich zugänglich zu machen. Am 9.4.2014 hat jetzt die Europäische Kommission eine Empfehlung zur Qualität der Berichterstattung über die Unternehmensführung („Comply or Explain“) vorgelegt, die durch die Mitgliedsstaaten den für die nationalen Corporate-Governance-Kodizes zuständigen Stellen, börsennotierten Unternehmen und sonstigen Betroffenen zur Kenntnis gebracht werden soll. Ziel der Empfehlung ist es, die Qualität der Berichterstattung zu vereinheitlichen und auf ein Qualitätsniveau zu bringen, das eine externe Bewertung der Einhaltung von Corporate-Governance-Kodizes möglich macht. Es ist zu empfehlen, bei der künftigen Formulierung entsprechender Hinweise durch Vorstand und Aufsichtsrat diese Empfehlungen zu berücksichtigen, sofern nicht ohnehin bereits eine entsprechende Qualität der Berichterstattung erfolgt. (Ga)
9.
Keine Mitbestimmungsrechte aus Art. 27 GRC
Art. 27 GRC bestimmt, dass für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf verschiedenen Ebenen eine Unterrichtung und Anhörung in den Fällen und unter den Voraussetzungen zu gewährleisten ist, die nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Vorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind. Eine weitergehende Konkretisierung enthält Art. 27 GRC nicht.
41
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
In seinem Urteil vom 15.1.2014 11 hat der EuGH deutlich gemacht, dass Art. 27 GRC keine unmittelbare Anwendbarkeit in einem Rechtsstreit findet, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen. Denn schon seinem Wortlaut nach lasse Art. 27 GRC erkennen, dass er, damit er seine volle Wirksamkeit entfalte, durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden müsse. Hiervon ausgehend genügt es allerdings nicht, dass Beteiligungsrechte von Arbeitnehmervertretern durch EU-Richtlinien gewährleistet sind. Beispielhaft sei insoweit nur auf die Massenentlassungsrichtlinie (98/59/EWG) oder die Richtlinie zum Betriebsübergang (2001/23/EG) hingewiesen. Denn auch eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, kann im Rahmen eines Rechtstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden 12. Eine entsprechende Vorgabe durch die EURichtlinie hat nur insoweit Bedeutung, als sie bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist. Dies kann im Ergebnis auch zur Folge haben, dass nationale Regelungen wegen eines auch im Wege der Auslegung nicht zu beseitigenden Widerspruchs mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zur Anwendung kommen. Wenn das nationale Recht eine unionsrechtliche Vorgabe insoweit nicht ausreichend umsetzt, als bestehende Mitbestimmungsrechte nicht alle im Unionsrecht genannten Sachverhalte erfassen oder Arbeitnehmergruppen unberücksichtigt bleiben, die nach dem Unionsrecht eigentlich vom Mitbestimmungsrecht erfasst werden sollen, kann auf der Grundlage dieser Mechanismen allerdings kein weitergehendes Mitbestimmungsrecht anerkannt werden. Art. 27 GRC selbst hat also keine anspruchsbegründende Wirkung. Vielmehr bleibt es dabei, dass bestimmte Sachverhalte nicht erfasst werden und/oder einzelne Arbeitnehmergruppen in ihren Angelegenheiten mitbestimmungsrechtlich nicht vertreten werden. Hier ist es allein möglich, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Mitgliedstaat wegen der fehlenden Umsetzung unionsrechtlicher Regelungen geltend zu machen 13. (Ga)
11 C-176/12, NZA 2014, 193 Rz. 41 ff.- Association de médiation sociale. 12 EuGH v. 15.1.2014 – C-176/12, NZA 2014, 193 Rz. 36 – Association de médiation sociale; EuGH v. 19.1.2010 – C-555/07, NZA 2010,85 Rz. 46 – Kücükdevici. 13 EuGH v. 15.1.2014 – C-176/12, NZA 2014, 193 Rz. 50 – Association de médiation sociale; EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 und C-9/90, DB 1992, 165 Rz. 28 – Francovich.
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Empfehlung des Rats zur einem Qualitätsrahmen für Praktika
10. Empfehlung des Rats zur einem Qualitätsrahmen für Praktika Die öffentliche Diskussion über die Ausnutzung von Praktikanten als billige Arbeitskräfte hat die Europäische Kommission veranlasst, am 4.12.2013 den Vorschlag für eine Empfehlung des Rats zu einem Qualitätsrahmen für Praktika vorzulegen 14. Losgelöst von der fehlenden Verbindlichkeit der darin enthaltenen Feststellungen macht es in der betrieblichen Praxis Sinn, sich einmal diese Überlegungen vor Augen zu führen. Wenn und soweit Praktikanten tatsächlich mit dem Ziel beschäftigt werden, einen begrenzten Überblick über die in einem Unternehmen enthaltenen Tätigkeiten zu vermitteln, macht es auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Einschätzung solcher Beschäftigungsverhältnisse Sinn, diese Vorgaben im Wesentlichen auch umzusetzen. Wenn dies proaktiv erfolgen soll, ist Eile geboten, denn der Qualitätsrahmen für Praktika soll nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission spätestens Ende 2014 umgesetzt werden. Zunächst einmal wird empfohlen, im Rahmen einer schriftlichen Vereinbarung die Grundlage für die Tätigkeit eines Praktikanten zu setzen. In dieser Vereinbarung sollen die Bildungsziele, die Arbeitsbedingungen, die Frage der Bezahlung oder Aufwandsentschädigung, die Rechte und Pflichten der Parteien sowie die Dauer des Praktikums festgehalten werden. In Bezug auf die Arbeitsbedingungen ist nach dem Vorschlag für einen Qualitätsrahmen für Praktika sicherzustellen, dass die Praktikantenrechte nach geltenden EU- und nationalen Rechtsvorschriften sowie die Arbeitsbedingungen, einschließlich der geltenden Obergrenzen für die wöchentliche Arbeitszeit, der Ruhezeiten pro Tag und Woche und des Mindesturlaubsanspruchs, beachtet werden. Darüber hinaus sollen die Praktikumsanbieter aufgefordert werden klarzustellen, in welchem Umfang eine Kranken- und Unfallversicherung besteht und wie die krankheitsbedingte Abwesenheit gehandhabt werden soll. Außerdem soll gewährleistet werden, dass die Praktikumsvereinbarung klar erkennen lässt, ob eine Bezahlung und/oder Aufwandsentschädigung vorgesehen ist und – falls ja – in welcher Höhe. Aus deutscher Sicht wird man hier ohnehin bald an das MinLohnG 15 denken müssen. Praktika sollen nach dieser Empfehlung eine angemessene Länge haben und in der Regel höchstens sechs Monate dauern. In diesem Zusammenhang soll klargestellt werden, unter welchen Umständen und Bedingungen ein Prakti14 COM(2013) 857 final. 15 B. Gaul, AktuellAR 2014, 10 ff., 14.
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
kum nach Ablauf der ursprünglichen Praktikumsvereinbarung verlängert oder erneut durchlaufen werden darf. Außerdem soll die Praxis gefördert werden, dass in der Praktikumsvereinbarung spezifiziert wird, dass der Praktikant bzw. die Praktikantin oder aber der Praktikumsanbieter diese Vereinbarung mit einer Frist von zwei Wochen schriftlich kündigen können. Abschließend wird mit dem Ziel einer höheren Transparenz der Vorschlag gemacht, dass die Praktikumsanbieter in den Praktikumsausschreibungen und –anzeigen auch die Bedingungen des Praktikums erwähnen sollen, vor allem die Frage der Bezahlung und/oder Aufwandsentschädigung und des Sozialschutzes. Ergänzend hierzu sollen auch die Arbeitsverwaltungen den Transparenzanforderungen nachkommen und insoweit eine angemessene Berufsberatung bieten. (Ga)
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C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Obliegenheit des Bewerbers zur Information über eine Schwerbehinderung
Bereits bei früherer Gelegenheit hat sich das BAG1 mit der Problematik beschäftigt, welche Vorkehrungen der Arbeitgeber bei der Erledigung seiner Personalangelegenheiten im Vorfeld der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zu treffen hat, wenn die Bewerbung eines Arbeitnehmers einen ordnungsgemäßen Hinweis auf seine Schwerbehinderung enthält. In diesem Zusammenhang hat das BAG2 einen ordnungsgemäßen Hinweis auf diesen Zustand dann bejaht, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen. Insoweit darf der Arbeitgeber nicht abwarten, bis der Bewerber seinen Schwerbehindertenausweis oder den Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX vorlegt. Diese Konsequenz soll bereits aus dem Umstand folgen, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat unmittelbar nach Eingang der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen unverzüglich zu unterrichten hat (§ 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX). In einer Entscheidung vom 26.9.2013 war nunmehr der 8. Senat des BAG3 mit der Frage befasst, ob ein Entschädigungsanspruch eines bei der Bewerbung abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG begründbar ist, wenn das Bewerbungsschreiben selbst keinen Hinweis auf die Schwerbehinderung enthält, diese jedoch aus einem Lebenslauf hervorgeht, der in 8 Unterpunkte aufgegliedert unter dem Gesichtspunkt „Spezielle Qualifikationen“ in einem weiteren Unterpunkt den Hinweis auf eine bestehende Schwerbehinderung (GdB 60) aufwies. Der Kläger hatte sich für das Theater der beklagten Stadt als erster Tenor im Chor der Oper beworben. Neben dem Kläger wurden sieben weitere Bewerber zum Vorsingen eingeladen. In Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erhielt dieser erst nach Rückfrage die schriftliche Mitteilung, dass er unberücksichtigt geblieben sei. Innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG machte er einen Entschädigungsanspruch i. H. v. drei Monatsgehältern (7.809,- €) geltend, die er mit seiner bei dem Arbeitsgericht rechtzeitig eingegangenen Klage (§ 61 b ArbGG) von der beklagten Stadt beanspruchte, weil ihm die Ablehnungs1 2 3
BAG v. 16.9.2008 – 9 AZR 791/07, NZA 2009, 79. BAG v. 16.9.2008 – 9 AZR 791/07, NZA 2009, 79 Rz. 35. 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
gründe nicht unverzüglich nach § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX mitgeteilt worden seien, was nach § 22 AGG die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung indiziere. Die beklagte Stadt berief sich vor allem darauf, dass sie in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers ausschließlich aus künstlerischen Erwägungen seine Bewerbung abschlägig beschieden habe. Die auf § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. § 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX gestützte Entschädigungsklage des Klägers war in allen Instanzen erfolglos. Im Ergebnis ließ das BAG den Anspruch daran scheitern, dass der Kläger den für eine Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung erforderlichen Kausalzusammenhang nicht habe ausreichend darlegen können. Zunächst war allerdings davon auszugehen, dass der Kläger mit der Ablehnung seiner Bewerbung eine weniger günstige Behandlung erfahren hatte als der letztlich ausgewählte erfolgreiche Bewerber, so dass eine unmittelbare Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu bejahen war. Der Kläger befand sich insoweit auch in einer vergleichbaren Situation mit dem erfolgreichen Bewerber, weil er gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle eines ersten Tenors im Chor der Oper besaß. Das Vorliegen einer Benachteiligung setzt nämlich voraus, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, von der Personalauswahl ausgeschlossen wird. Das Merkmal der objektiven Eignung stellt damit ein Kriterium der vergleichbaren Situation i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG dar4. Bei der Bewertung dieses Merkmals stellt das BAG5 nicht nur auf das vom Arbeitgeber erstellte und bekannt gegebene Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes ab, sondern prüft zur Vermeidung einer Umgehung des Schutzes des AGG zusätzlich, ob vom Arbeitgeber Anforderungen gestellt werden, die unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt für die wahrzunehmenden Aufgaben von Bedeutung sein können. In diesem Punkt gab es im Streitfall nichts zu beanstanden, zumal der öffentliche Arbeitgeber unter Berücksichtigung von Art. 33 Abs. 2 GG bei der Auswahlentscheidung die so genannte Bestenauslese zu respektieren hat. Gleichwohl erfolgte nach Ansicht des BAG die Nichtberücksichtigung des Klägers und damit seine ungünstigere Behandlung nicht wegen seiner Behinderung. Der kausale Bezug ist stets dann zu bejahen, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert wird, wobei ausreichend ist, dass das verpönte Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, ohne dass es auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteili4 5
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BAG v. 23.8.2012 - 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37 Rz. 26. BAG v. 26.9.2013 - 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 21.
Obliegenheit des Bewerbers zur Information über eine Schwerbehinderung
gungsabsicht ankommt6. Der Gesetzgeber hat in § 22 AGG bezüglich des Kausalzusammenhangs zwischen Nachteil und verpönten Merkmalen eine Beweislastregel aufgestellt, die sich damit zugleich auf die Darlegungslast auswirkt. Für die Vortragslast eines erfolglosen Bewerbers genügt es danach, wenn er Tatsachen vorträgt, die objektiv und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss darauf zulassen, dass seine Benachteiligung zumindest auch wegen jenes Merkmals veranlasst ist7. Besteht dementsprechend eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Soweit es um die Schwerbehinderteneigenschaft geht, ist in diesem Zusammenhang zwischen Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen auf der Grundlage des SGB IX zu differenzieren. Handelt es sich um die Verletzung der Verfahrenspflichten gemäß § 81 Abs. 1 SGB IX, können diese für sich betrachtet geeignet sein, die Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung zu begründen, ohne dass es auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft des konkreten Bewerbers ankommt. So ist ein Arbeitgeber nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Weiterhin hat jeder Arbeitgeber nach § 81 Abs. 1 S. 2 SGB IX vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Die Verletzung dieser Pflichten stellt bereits für sich als Vermutungstatsache einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung her. Mit diesem Verhalten erweckt der Arbeitgeber nach Ansicht des BAG8 bereits den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer Benachteiligung weitgehend leerlaufen, so dass es auch gleichgültig ist, ob sich ein solcher Verfahrens6 7 8
BAG v. 21.6.2012 - 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345 Rz. 32; BAG v. 16.2.2012 - 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 42. BAG v. 23.8.2012 - 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37 Rz. 32. Vgl. BAG 27.1.2011 - 8 AZR 580/09, NZA 2011, 737 Rz. 37 unter Hinweis auf Düwell in: LPK-SGB IX. § 81 Rz. 57; ebenso BVerwG v. 3.3.2011 - 5 C 16/10, NZA 2011, 977 Rz. 26.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
verstoß bei der Auswahlentscheidung konkret ausgewirkt hat, wie § 15 Abs. 2 AGG belegt. Diese Vorschrift gewährt nämlich auch dann eine Entschädigung bei einer Nichteinstellung von bis zu drei Monatsgehältern, wenn der benachteiligte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Geht es jedoch um Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen, können diese vom Arbeitgeber nur verletzt werden, wenn er eine positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers hat, die ihm auch bei einem Einsatz von Erfüllungsgehilfen zurechenbar ist, weil er die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren hat, dass er seine gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann9. Zu diesen Förderpflichten gehört etwa die Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 S. 2 SGB IX, wenn es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber handelt. Diese Förderpflichten wirken sich zugleich auf die Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG mit der Folge aus, dass der abgelehnte Bewerber die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft darzulegen hat, wovon auszugehen ist, wenn sich der Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen müssen. Andernfalls kann der Pflichtenverstoß dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden. Im Streitfall hatte sich der Kläger auf eine Verletzung von § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX als Vermutungstatbestand für eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung berufen, wonach alle Beteiligten vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten sind, welche Pflicht der Arbeitgeber vernachlässigt hatte. Es ging nun darum, ob hierbei ein Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift oder eine Förderpflicht des Arbeitgebers vorlag, weil davon abhing, ob die beklagte Stadt eine positive Kenntnis von der Schwerbehinderung (oder Gleichstellung) oder zumindest Anlass dazu hatte, eine solche anzunehmen. Das BAG10 ordnet die Unterrichtungspflicht zu Recht unter die Förderpflichten ein, so dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers hätte bekannt gewesen sein müssen oder er sich hätte die entsprechende Kenntnis aufgrund der Bewerbungsunterlagen verschaffen können. In diesem Zusammenhang konkretisiert das BAG, in welcher Weise der Bewerber den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft (oder Gleichstellung) zu informieren hat, soweit dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachweislich bereits bekannt ist (etwa Rollstuhl9 So bereits BAG v. 13.10.2011 - 8 AZR 608/10, AP § 15 AGG Nr. 9 Rz. 38. 10 BAG v. 26.9.2013 - 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 29.
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Fettleibigkeit eines Arbeitnehmers als Behinderung
fahrer). Danach hat die Information des Arbeitgebers regelmäßig im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des GdB, gegebenenfalls einer Gleichstellung, zu erfolgen, wobei sich diese Pflichtenstellung des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB herleiten lässt. Sofern der Arbeitnehmer auf eine anderweitige Behinderung, die nicht unter das SGB IX fällt oder anerkannt ist, hinweisen will, hat er die Behinderung i. S. d. AGG näher zu umschreiben. Nutzt der Arbeitnehmer den Lebenslauf als Informationsquelle über seine Behinderung, so muss er diese an hervorgehobener Stelle deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift, hervorheben. Nur unter dieser Prämisse können besondere Förderpflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden. Nicht ausreichend sind danach nur „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises, wie das BAG11 hervorhebt. Auf den Streitfall bezogen bestand keine positive Kenntnis der beklagten Stadt von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers, so dass allenfalls zu prüfen war, ob sich der Arbeitgeber im Hinblick auf die eingereichten Unterlagen des Klägers diese Kenntnis hätte verschaffen können, welchen Umstand der Kläger hätte nach § 22 AGG darlegen und nachweisen müssen. Dies verneint das BAG zu Recht, weil der Kläger den Hinweis der Schwerbehinderung in seinem Lebenslauf und dazu an unerwarteter Stelle und unter einer irreführenden Überschrift bekannt gegeben hatte. Die Entscheidung erweist sich für die betriebliche Praxis deshalb als beachtenswert, weil sie nicht nur eine Differenzierung zwischen Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen auf der Grundlage des SGB IX hervorhebt, die zur Vermeidung von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG unterschiedliche Bewertungen an den Kenntnisstand des Arbeitgebers knüpfen, sondern näher konkretisiert, welche Informationspflichten einen schwerbehinderten Menschen im Zusammenhang mit der Einstellung treffen, um vom Gesetz vorgesehene Förderpflichten des Arbeitgebers auszulösen, deren Verletzung eine Vermutung nach § 22 AGG begründen können. (Boe)
2.
Fettleibigkeit eines Arbeitnehmers als Behinderung
Angesichts der unionsrechtlichen Vorgaben, wie sie durch das BAG im Zusammenhang mit der Kündigung eines Arbeitnehmers wegen einer chroni11 BAG v. 26.9.2013 - 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258 Rz. 30.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
schen Erkrankung im Urteil vom 19.12.201312 getroffen wurden, auf die wir an anderer Stelle hingewiesen haben13, stellt sich die Frage, ob auch die Fettleibigkeit eines Arbeitnehmers als Behinderung zu qualifizieren sein kann. Konsequenz wäre, dass der Arbeitgeber weitreichende Handlungsund Rücksichtnahmepflichten aus §§ 81 Abs. 4 SGB IX, 241 Abs. 2 BGB zu beachten hätte. Darüber hinaus würden Maßnahmen, die auch wegen der Fettleibigkeit zum Nachteil des Arbeitnehmers beschlossen würden, hinsichtlich ihrer Rechtfertigung an §§ 3, 8 AGG zu messen sein. In der früheren Rechtsprechung war man offenbar nicht davon ausgegangen, dass die Fettleibigkeit die Behinderung eines Arbeitnehmers auslösen kann. So hatte das VG Düsseldorf noch in seinem Urteil vom 11.11.201114 die Benachteiligung einer beamteten Anwärterin wegen einer Behinderung abgelehnt, als diese wegen ihrer Fettleibigkeit (Adipositas 2. Grades) nicht in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen wurde. Hintergrund dieser Bewertung war die Annahme des VG Düsseldorf, dass als Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG nur eine Einschränkung zu qualifizieren sei, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sei und ein dauerhaftes Hindernis für die Teilhabe des betreffenden am Berufsleben bilde. Übergewicht und Fettleibigkeit seien aber, soweit sie nicht ihrerseits Symptome einer anderweitigen Erkrankung seien, grundsätzlich einer Reduzierung aufgrund einer entsprechenden Willensanstrengung der Betroffenen zugänglich. Hänge der Fortbestand einer Einschränkung aber von dem Willen der Betroffenen ab, sei sie für diese nicht unausweichlich und damit nach dem Sinn und Zweck des Begriffs der Behinderung in § 1 AGG bzw. Richtlinie 2000/78/EG nicht „von langer Dauer“ bzw. nicht „nicht vorübergehend“ oder „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“ andauernd, wie dies für die Annahme einer Behinderung erforderlich wäre. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob man an dieser Bewertung festhalten kann. Dies gilt insbesondere für die auch in der Literatur zum Teil vertretene Auffassung, nach der Übergewicht bzw. Fettleibigkeit im Zusammenhang mit der Kennzeichnung einer Behinderung nur dann berücksichtigt werden könne, wenn sie auf eine Krankheit zurückgeführt werden könne15.
12 13 14 15
50
6 AZR 190/12, NZA 2014, 372. B. Gaul, AktuellAR 2014, 95 ff. 13 K 1683/11 n. v. (Rz. 83 ff.). So Bauer/Göpfert/Krieger, AGG § 1 Rz. 44; Stiebert/Schmidt, Zesar 2014, 128, 129.
Fettleibigkeit eines Arbeitnehmers als Behinderung
Wie die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 11.4.201316 und die daran anknüpfenden Ausführungen des BAG im Urteil vom 19.12.201317 deutlich machen, hängt die Kennzeichnung einer Behinderung nicht davon ab, ob die zugrunde liegende Eigenschaft des Arbeitnehmers auf eine Krankheit zurückzuführen ist18. Völlig unerheblich ist auch, ob der Zustand, in dem sich der Arbeitnehmer befindet, bewusst oder unbewusst herbeigeführt wurde. Bei der Diskussion über die Einbeziehung der Fettleibigkeit in den Begriff der Behinderung spielt es deshalb auch keine Rolle, ob der übergewichtige Zustand eines Arbeitnehmers durch eine körperliche Fehlfunktion, hemmungsloses Essen oder ungebremsten Genuss herbeigeführt wurde. Entscheidend ist, ob – was durchaus denkbar erscheint – insbesondere die körperliche Funktion oder die seelische Gesundheit eines Arbeitnehmers als Folge seiner Fettleibigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate (AGG) bzw. langfristig (UN-BRK) von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen (AGG) bzw. eingeschränkt wird (UN-BRK) und daher die Teilhabe des Arbeitnehmers am Leben in der Gesellschaft bzw. im Berufsleben beeinträchtigt ist (AGG) bzw. sein kann (UN-BRK). Maßgeblich sind natürlich immer die Umstände des Einzelfalls. Hier ist jeweils festzustellen, ob und inwieweit der Arbeitnehmer durch das Übergewicht an der Ausführung arbeitsvertraglicher Aufgaben gehindert ist. Ausgehend davon, dass die hier in Rede stehenden Zustände der Fettleibigkeit auch innerhalb von sechs Monaten letztendlich kaum beseitigt werden können, dürfte bei entsprechenden Einschränkungen in der Regel auch die nach § 1 AGG bzw. den Vorgaben der UN-BRK erforderliche Einschränkung in der Teilhabe im Berufsleben gegeben sein. Diese erhebliche Ausweitung des Begriffs der Behinderung hat für den Arbeitgeber weitreichende Konsequenzen. So sind nicht nur Pflichten zur Ausgestaltung des Arbeitsplatzes zu beachten, wie sie in § 81 Abs. 4 SGB IX enthalten sind. Diese Vorgaben gelten nicht nur für schwerbehinderte Menschen und diesen Gleichgestellte. Entsprechende Vorgaben finden über § 241 Abs. 2 BGB auch für Arbeitnehmer mit einer Behinderung Anwendung, die nicht in den Anwendungsbereich von § 81 Abs. 4 SGB IX fallen19. Darüber hinaus sind etwaige Benachteiligungen, die arbeitgeberseitig wegen des Übergewichts des Arbeitnehmers bewirkt werden, stets auch an §§ 3, 8 AGG zu messen. 16 17 18 19
C-335/11 und C-337/11, NZA 2013, 553 Rz. 34 ff. – Ring/Werge. 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 57 ff. A. A. Stiebert, NZA 5/2014, Editorial. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 53.
51
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Abschließende Klarheit über diese Frage könnte allerdings der EuGH verschaffen. Denn ihm ist durch ein dänisches Gericht am 27.6.201320 nicht nur die Frage vorgelegt worden, ob eine Diskriminierung wegen Fettleibigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen oder durch einen öffentlichen Arbeitgeber im Besonderen gegen das Unionsrecht, wie es z. B. in Art. 6 über die Grundrechte des Vertrags über die Europäische Union zum Ausdruck kommt, verstößt. Das dänische Gericht will ebenfalls wissen, ob Fettleibigkeit als eine vom Schutz der Richtlinie 2000/78/EG umfasste Behinderung betrachtet werden kann, und welche Kriterien ggf. ausschlaggebend dafür sind, dass die Fettleibigkeit einer Person konkret den Schutz dieser Person durch das in dieser Richtlinie enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung beinhaltet. Eine Beschlussempfehlung des Generalanwalts hierzu liegt bislang nicht vor. (Ga)
3.
Kein Entschädigungsanspruch gegen den (konzerninternen) Personalvermittler bei Diskriminierung im Bewerbungsverfahren
Liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vor, so kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 15 Abs. 2 AGG eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt dabei nach unionskonformer Auslegung21 weder einen schuldhaften Verstoß des Arbeitgebers gegen ein Benachteiligungsverbot voraus, noch ist eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder eine erhebliche Benachteiligung des Betroffenen erforderlich22. Unabhängig davon, dass die Vorschrift des § 15 Abs. 2 AGG an den verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch des § 15 Abs. 1 AGG anknüpft, enthält sie eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch. Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung des § 15 Abs. 2 AGG die Anforderungen der Richtlinien sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion bei Verletzung des Benachteiligungsverbotes erfüllen23. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann der von einer Diskriminierung Betroffene eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, womit dem Gericht hinsichtlich der 20 21 22 23
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C-354/13 ABI EU 2013, Nr. C 252 – Kaltoft. BAG v. 22.1.2009 - 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945 Rz. 70. BAG v. 18.3.2010 - 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 37. So ausdrücklich BAG v. 18.3.2010 - 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 37.
Kein Entschädigungsanspruch gegen den (konzerninternen) Personalvermittler
Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird24. Angesichts dessen darf der Betroffene in prozessual zulässiger Weise einen unbezifferten Zahlungsantrag stellen, wobei er jedoch Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll, benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung anzugeben hat25. Damit ist dem an einen zulässigen Klageantrag zu stellenden Bestimmtheitserfordernis i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 495 ZPO, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG genügt. Wie aus § 15 Abs. 1 AGG unmissverständlich hervorgeht, ist primärer Adressat des Diskriminierungsverbots und der damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfolgen auf Schadensersatz und Entschädigung der Arbeitgeber. Bedient sich daher der Arbeitgeber bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eigener Mitarbeiter oder Dritter (z. B. der Bundesagentur für Arbeit), so trifft ihn die volle Verantwortlichkeit für deren Verhalten26. In einer Entscheidung vom 23.1.201427 hatte der 8. Senat des BAG darüber zu entscheiden, ob neben dem Arbeitgeber auch ein Personalvermittler unmittelbar auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen werden kann. Der Kläger hatte sich auf eine Stellenausschreibung beworben, die nicht vom Arbeitgeber selbst, sondern von einem Schwesterunternehmen, das als Personalvermittler fungierte, geschaltet worden war. Auf seine Bewerbung erhielt der Kläger vom Personalvermittler eine Absage, die den Kläger veranlasste, von diesem eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung in Höhe von 16.000,- € klageweise zu verlangen. Unabhängig davon, ob die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. §§ 1, 3 AGG vorlagen, ging es zunächst um die grundsätzliche Frage, ob der Personalvermittler, der nicht der Arbeitgeber werden sollte, sondern nur für diesen handelte, überhaupt passiv legitimiert war. Der Wortlaut des § 15 Abs. 2 AGG für sich betrachtet ist in der Tat nicht eindeutig, weil der Gesetzgeber im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 AGG den Anspruchsgegner nicht bezeichnet28. Trotzdem kann sowohl der Entstehungs-
24 Vgl. BT-Drucks. 16/1780, 38. 25 Ständige Rspr. vgl. nur BAG v. 16.9.2008 - 9 AZR 791/07, NZA 2009, 79 Rz. 18; BAG v. 22.1.2009 - 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945 Rz. 22; BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 19. 26 BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 1044/08, NZA 2010, 1129 Rz. 35; Stoffels, RdA 2009, 204, 207. 27 8 AZR 118/13 n. v. 28 Vgl. bereits Diller, NZA 2007, 649, 650.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
geschichte als auch der systematischen und teleologischen Auslegung des § 15 Abs. 2 AGG entnommen werden, dass sich der Entschädigungsanspruch ausschließlich gegen den potentiellen Arbeitgeber richtet. Wie der Gesetzesbegründung29 zu entnehmen ist, sollte bei Verletzung des Benachteiligungsverbotes mit dem Ersatz materieller und immaterieller Schäden eine Sanktion gegen den Arbeitgeber geschaffen werden. Dieser Gedanke wird durch die enge systematische Verbindung des § 15 Abs. 2 AGG zu § 15 Abs. 1 AGG bestätigt und findet teleologisch seine Bestätigung darin, dass § 15 Abs. 2 AGG ohne die Einbeziehung von § 15 Abs. 1 AGG unvollständig und damit unanwendbar wäre. Mit dieser Begründung haben bereits das ArbG Düsseldorf30 und das LAG Düsseldorf31 als Schuldner des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG ausschließlich den potentiellen Arbeitgeber des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle angesehen. Das OLG Celle32 hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen. Unionsrechtliche Vorgaben stehen dieser Bewertung nicht entgegen. Zwar enthält Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf keine ausdrückliche Beschränkung auf den Arbeitgeber. Nach Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG sind jedoch die Mitgliedstaaten frei darin, die Sanktionen zu bestimmen, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung der Richtlinie zu verhängen sind. Diese müssen nur wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Dem wird auf der Grundlage des AGG im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinreichend durch die §§ 6 ff. AGG Rechnung getragen. Dabei entsteht keine Schutzlücke zum Nachteil des Bewerbers, weil diesem ein Rechtsanspruch gegen den Personalvermittler auf Auskunft einzuräumen ist, für wen er die Akquise betreibt33, sodass der benachteiligte Bewerber seinen Anspruch auf Entschädigung gegen den richtigen Vertragsgegner richten kann. Ohne Kenntnis des wahren Arbeitgebers kann auch die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht anlaufen. Unabhängig davon ist auch eine Haftung des Personalvermittlers auf Zahlung einer Geldentschädigung gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG denkbar, wenn dieser den Arbeitnehmer tatsächlich 29 BT-Drucks. 16/1780, 38. 30 ArbG Düsseldorf v. 18.9.2007 – 7 Ca 1969/07, FA 2008, 82. 31 LAG Düsseldorf v. 14.2.2008 – 11 Sa 1939/07 n. v.; ebenso LAG Kiel v. 22.11.2012 – 4 Sa 246/12 n. v. 32 OLG Celle v.13.2.2014 – 13 U 37/13 n. v. 33 Vgl. auch LAG Kiel v. 22.11.2012 – 4 Sa 246/12 n. v. (Rz. 71); OLG Celle v. 13.2.2014 – 13 U 37/13 n. v. (Rz. 11).
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Fiktive Testbewerbung zur Feststellung einer Altersdiskriminierung
diskriminiert hat und darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erblicken ist. Allerdings setzt ein Anspruch auf Geldentschädigung voraus, dass es sich dabei um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und der Arbeitnehmer ein Verschulden des Personalvermittlers nachweist34. Auch das BAG gelangt in der Entscheidung vom 23.1.201435 zu dem Ergebnis, dass Ansprüche auf Entschädigung bei Verstößen gegen das AGG nach § 15 Abs. 2 AGG gegen den Arbeitgeber gerichtet werden müssen und insoweit eine Haftung eines Personalvermittlers für derartige Ansprüche ausscheidet. Wenn diese Entscheidung des BAG auch eine Entlastung der Personalvermittler von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG im Falle diskriminierender Verfahrensweise bei Bewerbungsvorgängen bedeutet, vermag sich der eigentliche Arbeitgeber wegen der Zurechnung des Verhaltens des Personalvermittlers von Entschädigungsansprüchen nicht zu befreien, so dass er zur Vermeidung einer Haftung die Aktivitäten des Personalvermittlers im Auge behalten und kontrollieren muss. Der Arbeitnehmer, der wie im Streitfall den falschen Anspruchsgegner verklagt, verliert allerdings gegen den eigentlichen Anspruchsverpflichteten den Entschädigungsanspruch durch den Ablauf der den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität36 entsprechenden Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 AGG. (Boe)
4.
Bewerbungsverfahren: Fiktive Testbewerbung zur Feststellung einer Altersdiskriminierung
In seinem Urteil vom 9.4.201437 hat es das LAG Schleswig-Holstein grundsätzlich für zulässig erachtet, dadurch Anhaltspunkte für eine Diskriminierung älterer Bewerber zu sammeln, dass eine fiktive Bewerbung eines jüngeren Arbeitnehmers erstellt und parallel zu der Bewerbung eines älteren Bewerbers eingereicht wird. In dem zugrunde liegenden Fall suchte die Arbeitgeberin Servicetechniker bzw. Serviceingenieure im Innendienst. Der fünfzigjährige Kläger, der über die in der Ausschreibung genannten Kenntnisse verfügte, bewarb sich auf diese Stelle, obwohl ein Teil der geforderten Praxiserfahrungen bereits einige Jahre zurück lag. Ergänzend hierzu erstellte er eine Testbewerbung. Dabei war der Bewerber 18 Jahre jünger und verfügte ebenfalls über die in der 34 35 36 37
Nur BGH v. 20.3.2012 – VI ZR 123/11, VersR 2012, 630 Rz. 9. 8 AZR 118/13 n. v. EuGH v. 8.7.2010 – C-246/09, NZA 2010, 869 Rz. 19 - Bulicke. 3 Sa 401/13 n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Ausschreibung genannten Fertigkeiten. Die gewünschten Praxiserfahrungen dieser Testperson waren aber wesentlich aktueller und zum Teil auch spezielleren Charakters. Die Beklagte lud den fiktiven Bewerber zum Vorstellungsgespräch ein, der – mangels Existenz – natürlich mit einer Absage antwortete. Dem Kläger schickte die Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt nur eine allgemeine Absage. Diese nahm er zum Anlass, die Beklagte wegen Altersdiskriminierung auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 10.500,- € zu verklagen. Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung des ArbG Neumünster, das die Beklagte noch zu einer Zahlung von 2.000,- € verurteilt hatte, hat das LAG Schleswig-Holstein die Klage abgewiesen. Allein der Umstand, dass die Beklagte einen jüngeren Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, stelle noch kein ausreichendes Indiz dar, um von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung wegen des Alters auszugehen. Vielmehr müsste eine entsprechende Ungleichbehandlung erfolgen, obwohl eine größtmögliche Vergleichbarkeit der Personen und der Bewerbungssituation gegeben sei. Hiervon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Denn die Testperson, die zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, habe nicht nur die spezielleren Kenntnisse und Fähigkeiten besessen, sondern ausweislich der Bewerbungsunterlagen auch deutlich aktuellere Praxiserfahrungen aufgewiesen. Da die Beklagte ihre Entscheidung zur Einladung der Testperson mit eben diesen Gründen gerechtfertigt hatte, fehlten dem LAG Schleswig-Holstein weitergehende Indizien, die auf tatsächlicher Grundlage eine Benachteiligung des Klägers wegen des Alters hätten vermuten lassen. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie macht allerdings noch einmal deutlich, dass die gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor Diskriminierungen immer wieder auch Trittbrettfahrer veranlassen, den Versuch zu machen, auch bei benachteiligungsfreien Entscheidungen im Rahmen von Bewerbungsverfahren schon auf der Grundlage kleinerer Indizien oder formaler Fehler Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Selbst wenn schlussendlich im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen häufig entsprechende Klagen abgewiesen werden, muss schon wegen des damit verbundenen Drucks in der Öffentlichkeit versucht werden, jeden Anschein etwaiger Fehler im Bewerbungsverfahren zu vermeiden. (Ga)
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Neues zur Befristung von Arbeitsverträgen
5.
Neues zur Befristung von Arbeitsverträgen
In mehreren Entscheidungen hat der 7. Senat des BAG seine Rechtsprechung zur Befristung weiterentwickelt und vertieft. In dem Urteil vom 6.11.201338 ging es um den Kausalzusammenhang bei einer Vertretungsbefristung im Falle mittelbarer Vertretung. Die Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 4.12.201339 befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG) vorliegt. Gegenstand eines weiteren Urteils des 7. Senats vom 4.12.201340 ist die Missbrauchskontrolle einer sachgrundlosen Befristung.
a)
Vertretungsbefristung und Kausalzusammenhang
Nach § 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Es entspricht der ständigen Spruchpraxis des 7. Senats des BAG41, die unionsrechtlich i. S. v. § 5 Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICECEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18.3.1999 nicht zu beanstanden ist42, dass der Grund für die Befristung in Vertretungsfällen darin liegt, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Für die Vertretungskraft besteht damit von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis. Diese Prognose ist daher als Teil des Sachgrundes zu qualifizieren. Darüber hinaus setzt der Sachgrund der Vertretung einen Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung des Vertreters voraus, wobei sichergestellt sein muss, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt wird. Dabei muss bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des befristeten Vertrags feststehen, dass der Arbeitnehmer, der vertreten werden soll, an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt43. Die Anforderungen an den Kausalzusammenhang und seine Darlegung 38 39 40 41 42
7 AZR 96/12, BB 2014, 499. 7 AZR 277/12, BB 2014, 756. 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744. Nur BAG v. 10.10.2012 – 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185. EuGH v. 26.1.2012 - C-586/10, NZA 2012, 135 Rz. 18 - Kücük; BAG v. 18.7.2012 - 7 AZR 443/09, DB 2012, 2813 Rz. 37. 43 BAG v. 6.11.2013 - 7 AZR 96/12, BB 2014, 499 Rz. 30.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
durch den Arbeitgeber richten sich dabei nach der jeweiligen Form der Vertretung44. Im Falle einer unmittelbaren Vertretung hat der Arbeitgeber darzulegen, dass der Vertreter nach dem Arbeitsvertrag mit Aufgaben betraut worden ist, die zuvor dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer übertragen waren45. Eine mittelbare Vertretung liegt vor, wenn die Tätigkeit des zeitweise ausgefallenen Mitarbeiters nicht von dem Vertreter, sondern einem anderen Arbeitnehmer oder mehreren anderen Arbeitnehmern ausgeübt wird. Der Arbeitgeber kann bei einem vorübergehenden Ausfall eines Stammarbeitnehmers die von dem zeitweilig verhinderten Arbeitnehmer zu erledigenden Arbeitsaufgaben einem anderen Mitarbeitern übertragen und dessen Aufgaben ganz oder teilweise von einer Vertretungskraft erledigen lassen. Die aufgrund des zeitweiligen Ausfalls eines Mitarbeiters bedingte Einstellung einer Ersatzkraft kann auch mit einer Umorganisation verbunden sein, die dazu führt, dass ein völlig neuer Arbeitsplan erstellt wird, nach dem die Aufgaben des zeitweilig ausfallenden Mitarbeiters einem dritten Mitarbeiter übertragen werden, der für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht und für dessen andere Aufgaben nunmehr eine Ersatzkraft eingestellt wird46. Den erforderlichen Kausalzusammenhang hat der Arbeitgeber in der Weise darzulegen und nachzuweisen, indem er zunächst die bisher dem vertretenen Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben darstellt und anschließend die Neuverteilung dieser Aufgaben auf einen oder mehrere andere Arbeitnehmer zu schildern hat und schließlich belegt, dass sich die dem Vertreter zugewiesenen Tätigkeiten aus der geänderten Aufgabenzuweisung ergeben47. Die erforderliche Kausalität kann sich aber auch daraus ergeben, dass der Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Mitarbeiter im Falle seiner Anwesenheit die dem Vertreter zugewiesenen Aufgaben zu übertragen (sog. gedankliche Vertretung). Um zu gewährleisten, dass der Vertreter tatsächlich die Aufgaben des zeitweilig abwesenden Arbeitnehmers übernimmt, muss der Arbeitgeber bei Vertragsschluss mit dem Vertreter die Aufgaben des abwesenden Arbeitnehmers nach außen erkennbar gedanklich zuordnen, was durch eine entsprechende namentliche Angabe des Vertretenen im Arbeitsvertrag mit dem Vertreter
44 BAG v. 6.10.2010 - 7 AZR 397/09, NZA 2011, 1155 Rz. 19; BAG v. 10.10.2012 - 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185 Rz. 18. 45 So BAG v. 6.10.2010 - 7 AZR 397/09, NZA 2011, 1155 Rz. 21. 46 Bereits BAG v. 18.4.2007 - 7 AZR 293/06, NZA-RR 2008, 219 Rz. 12. 47 BAG v. 6.10.2010 - 7 AZR 397/09, NZA 2011, 1155 Rz. 22; BAG v. 10.10.2012 - 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185 Rz. 18.
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Neues zur Befristung von Arbeitsverträgen
geschehen kann48. Der im Rahmen des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG erforderliche Kausalzusammenhang ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber tatsächlich und rechtlich in der Lage wäre, dem vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer im Falle seiner Weiterarbeit nicht seine bisherigen Tätigkeiten, sondern den Aufgabenbereich des Vertreters zu übertragen. Dabei hat sich die fiktive Personalmaßnahme - unter Berücksichtigung individueller und kollektiver Vertragsinhalte - am Maßstab des § 106 GewO zu orientieren49. Auch ein ständiger Vertretungsbedarf steht dem Vorliegen eines Sachgrunds im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG nicht entgegen. Ein derartiger Vertretungsbedarf ist nicht durch eine Personalreserve aus unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern auszugleichen. Entscheidend ist allein, ob bei Abschluss der Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag50. Schließlich dürfen sich die Gerichte bei der Befristungskontrolle im Anschluss an die Entscheidung des EuGH51 nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Sie müssen zusätzlich alle Umstände des Einzelfalls prüfen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen52. Im Urteil des 7. Senats des BAG vom 6.11.201353 ging es um eine Klägerin, die bei der Beklagten in der Zeit vom 1.5.2007 bis zum 31.12.2008 aufgrund von vier befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt worden war. Sie wurde sodann auf der Grundlage eines weiteren mit einem Verleiher befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrag in der Zeit vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2009 im allgemeinen Verwaltungsdienst bei einer Arbeitsgemeinschaft eingesetzt und schloss sodann mit der Beklagten am 21.1.2010 einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 25.1.2010 bis zum 31.12.2010. In dem Arbeitsvertrag war hinsichtlich des Befristungsgrundes eine Vertretung in der Beauftragungskette G-Gr angegeben. Frau G hatte Sonderurlaub und nahm eine gegenüber der Klägerin höher bezahlte Tätigkeit wahr. Herr Gr, der auf der gleichen Beschäftigungsebene wie die Klägerin tätig war, übernahm die
48 BAG v. 6.10.2010 - 7 AZR 397/09, NZA 2011, 1155 Rz. 23; BAG v. 12.1.2011 - 7 AZR 194/09, NZA 2011, 507 Rz. 15; BAG v. 10.10.2012 - 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185 Rz. 19. 49 BAG v. 10.10.2012 - 7 AZR 462/11, NZA-RR 2013, 185 Rz. 25. 50 So grundsätzlich BAG v. 18.7.2012 - 7 AZR 443/09, DB 2012, 2813 Rz. 15. 51 EuGH v. 26.1.2012 - C-586/10, NZA 2012, 135 – Kücük. 52 BAG v. 18.7.2012 - 7 AZR 443/09, DB 2012, 2813 Rz. 30. 53 7 AZR 96/12, BB 2014, 499.
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Tätigkeit der Frau G, was gleichzeitig seiner Erprobung im Sinne einer Personalentwicklungsmaßnahme dienen sollte. Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Entfristungsklage (§ 17 TzBfG) berief sich die Klägerin vor allem darauf, dass im vorliegenden Fall keine Vertretungsbefristung vorläge, weil zum einen Herr Gr Frau G nicht verträte und darüber hinaus (nach der Erprobung) auf seinen bisherigen Arbeitsplatz nicht zurückkehren werde. Während die Entfristungsklage vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht erfolglos blieb, hat das BAG den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung und Prüfung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Da die Klägerin nicht unmittelbar die Aufgaben der abwesenden Frau G übernommen hat, war nach Ansicht des BAG kein Fall einer unmittelbaren Vertretung anzunehmen, vielmehr von einer mittelbaren Vertretung und damit von einer Vertretungskette auszugehen, bei der vom Arbeitgeber der Kausalzusammenhang zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter darzulegen ist. Bei einer derartigen Vertretungskette müssen die Beschäftigten, die die Kette bilden, die Arbeitsaufgaben des jeweils in der Kette vorgelagerten Beschäftigten übernommen haben und diese Aufgabenübertragung muss eine Verbindung zwischen dem abwesenden Beschäftigten und dem zur Vertretung eingestellten Arbeitnehmer begründen54, um die Ursächlichkeit der Einstellung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers mit der vorübergehenden Abwesenheit des anderen Arbeitnehmers zu belegen. Dabei setzt die Vertretungsbefristung in sämtlichen Varianten stets voraus, dass der jeweils vertretene Arbeitnehmer an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird. Eine derartige Rückkehr wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der vertretene Arbeitnehmer, der seinerseits eine Vertretung übernommen hat, auf diesem höherwertigeren Arbeitsplatz zugleich erprobt werden soll. Da das LAG das Vorliegen der Befristungskette nicht ausreichend geprüft und unberücksichtigt gelassen hatte, ob der von der Klägerin vertretene und auf dem Arbeitsplatz der abwesenden Arbeitnehmerin erprobte Arbeitnehmer wieder auf seinen Arbeitsplatz zurückkehren würde, wurde der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen. Das BAG hält bei der Fallkonstellation ebenfalls für möglich, dass ein Fall der so genannten Abordnungsvertretung55 vorliegen könnte, wenn eine Stammkraft vorübergehend höherwertige Aufgaben wahrzunehmen hat und der Arbeitgeber deren eigentliche Tätigkeit dem Vertreter zuweist. In diesem Fall hat der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Befristungsabrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Prognose über die voraussichtliche Rückkehr 54 BAG v. 6.11.2013 - 7 AZR 96/12, BB 2014, 499 Rz. 20. 55 BAG v. 16.1.2013 - 7 AZR 661/11, DB 2013, 997 Rz. 18.
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der Stammkraft vorzunehmen und im Befristungskontrollprozess darzulegen, dass er berechtigterweise mit der Rückkehr der Stammkraft rechnen durfte56. Die Anwendung der Grundsätze einer möglichen Abordnungsvertretung scheiterte im Streitfall nicht daran, dass die Beklagte den Befristungsgrund der mittelbaren Vertretung (Vertretungskette) zum Gegenstand der vertraglichen Abrede gemacht hatte, weil der Befristungsgrund weder einer Vereinbarung bedarf noch dem Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG unterliegt. Der Arbeitgeber darf sich demgemäß auf einen bestimmten Sachgrund der Befristung auch dann stützen, wenn im Arbeitsvertrag kein oder ein anderer Sachgrund als Rechtfertigung für die Befristung benannt worden ist57. Im Hinblick auf die relativ kurze Dauer der Beschäftigung bei der Beklagten sah das BAG keine Veranlassung, die Befristung unter dem Gesichtspunkt des institutionellen Rechtsmissbrauchs für unwirksam zu erachten. Für die betriebliche Praxis verdeutlicht die Entscheidung, dass bereits bei Abschluss einer Vertretungsbefristung, insbesondere, wenn es sich um eine mittelbare Vertretung handelt, wegen das Kausalitätsnachweises sichergestellt sein muss, dass die Arbeitsaufgaben des jeweils in der Kette vorgelagerten Beschäftigten übernommen werden müssen und damit zugleich eine Verbindung zwischen dem abwesenden Beschäftigten und dem zur Vertretung eingestellten Arbeitnehmer hergestellt wird. Steht etwa von vornherein fest, dass ein in der Kette vertretener Arbeitnehmer nicht auf seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, lässt sich eine Ursächlichkeit zwischen dem durch den Ausfall des abwesenden Beschäftigten entstandenen vorübergehenden Arbeitskräftebedarf und der Einstellung einer Vertretungskraft nicht mehr begründen, so dass der Sachgrund der Vertretung (§ 14 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 TzBfG) nicht greift.
b)
Befristung wegen vorübergehenden Mehrbedarfs
Nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG liegt ein sachlicher Befristungsgrund vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeit-
56 BAG v. 16.1.2013 - 7 AZR 661/11, DB 2013, 997 Rz. 20. 57 BAG v. 13.2.2013 - 7 AZR 225/11, NZA 2013, 777 Rz. 15; BAG v. 6.11.2013 - 7 AZR 96/12, BB 2014, 499 Rz. 33.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
nehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht58. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags auf der Grundlage konkreter Anhaltspunkte eine Prognose zu erstellen, die ein Teil des Sachgrundes für die Befristung ist. Bei einer Entfristungsklage hat der Arbeitgeber die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose darzulegen und zu beweisen59. Kein Sachgrund i. S. v. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG stellt dagegen die allgemeine Unsicherheit über die zukünftig bestehende Beschäftigungsmöglichkeit der Arbeitnehmer dar, die zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers gehört, das er nicht durch Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags auf den Arbeitnehmer abwälzen darf 60. Der 7. Senat des BAG hatte in der Entscheidung vom 4.12.201361 eine derartige Fallkonstellation zu behandeln. Der Kläger war bei dem beklagten Landkreis zeitlich befristet vom 25.7.2006 bis zum 31.12.2010 aufgrund eines entsprechenden Arbeitsvertrags als Fachassistent zur Wahrnehmung von Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende in einer Arbeitsgemeinschaft, die zwischen der Bundesagentur, einer Stadt und dem beklagten Landkreis durch öffentlich-rechtlichen Vertrag errichtet worden war, tätig. Dieser bis zum 31.12.2010 befristete öffentlich-rechtliche Vertrag konnte um jeweils weitere drei Jahre verlängert werden. Die Laufzeit dieses öffentlich-rechtlichen Vertrags bildete den Anlass und die Grundlage für den befristeten Arbeitsvertrag der Parteien. Mit seiner Befristungskontrollklage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung geltend gemacht. Während seine Klage im ersten und zweiten Rechtszug abgewiesen worden ist, hat ihr das BAG entsprochen. Unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Grundsätze für den sachlichen Befristungsgrund eines vorübergehenden Mehrbedarfs an Arbeitskräften gelangt das BAG zu dem überzeugenden Ergebnis, dass die Beklagte nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgehen durfte, dass nach dem Ablauf des öffentlich-rechtlichen Vertrags für den Kläger kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr vorläge. Dies galt unabhängig davon, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag nur für eine bestimmte Zeit mit der Option einer Verlängerung abgeschlossen worden war. Anlass für diese Bewertung war der Umstand, dass die der Arbeitsgemeinschaft nur vorübergehend übertra58 Vgl. dazu BAG v. 20.2.2008 - 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 12; BAG v. 17.3.2010 - 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 10. 59 BAG v. 20.2.2008 - 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 15; BAG v. 17.3.2010 - 7 AZR 640/08, NZA 2010, 633 Rz. 13. 60 BAG v. 20.2.2008 - 7 AZR 950/06, ZTR 2008, 508 Rz. 12; BAG v. 4.12.2013 - 7 AZR 277/12, BB 2014, 756 Rz. 17. 61 7 AZR 277/12, BB 2014, 756.
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gene sozialstaatliche Aufgabe im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Daueraufgabe zu qualifizieren ist, so dass im Zeitpunkt der Befristungsabrede gerade nicht mit hinreichender Gewissheit davon auszugehen war, die Wahrnehmung dieser Aufgabe werde tatsächlich mit dem 31.12.2010 beendet sein. Dies galt im vorliegenden Fall auch deswegen, weil erst mit Urteil des BVerfG vom 20.12.200762 - also lange Zeit nach Vertragsschluss mit dem Kläger - die Verfassungswidrigkeit der früheren Vorschrift des § 44 b SGB II a. F. festgestellt worden ist. Die Beklagte konnte allenfalls davon ausgehen, dass die gemeinsame Wahrnehmung der den jeweiligen Leistungsträgern nach dem SGB II obliegenden Aufgaben durch eine Arbeitsgemeinschaft auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Vertrags zeitlich begrenzt war. Dies bedeutete freilich nicht, dass die Aufgabenwahrnehmung der Grundsicherung für Arbeitssuchende als solche wegfiel, sondern möglicherweise über eine andere organisatorische Struktur weiterhin erledigt werden musste. Damit war auf der Grundlage des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Kläger nur die Unsicherheit verbunden, ob die von den Parteien des öffentlich-rechtlichen Vertrags gewählte Konstruktion auf Dauer erhalten blieb oder ein anderer Weg gefunden werden musste, um die sozialstaatliche Daueraufgabe weiterhin abzuwickeln. Auch wenn diese Entscheidung eine Fallkonstellation des öffentlichen Dienstes betrifft, lässt sie sich zwanglos auf die Privatwirtschaft übertragen und macht deutlich, dass Kooperationsvereinbarungen zwischen Unternehmen zur gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben nur dann zur sachlichen Rechtfertigung der Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG ausreichen können, wenn für den befristet eingestellten Arbeitnehmer nach dem vorgesehenen Vertragsende kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht, d.h. mit Beendigung der Kooperation für den Arbeitgeber die Einsatzmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfällt.
c)
Sachgrundlose Befristung und Rechtsmissbrauch
Die weitere Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 4.12.201363 ergänzt den Rechtsprechungswandel des BAG64 zur Frage des Rechtsmissbrauchs bei sachgrundloser Befristung. Nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von 62 2 BvR 2433/04, 2434/04, NZS 2008, 198 Rz. 159. 63 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744. 64 v. 15.5.2013 - 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 unter Aufgabe von BAG v. 18.10.2006 - 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
zwei Jahren zulässig. Eine sachgrundlose Befristung ist nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Arbeitgeber i. S. v. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist nach gefestigter Spruchpraxis des BAG65 der Vertragsarbeitgeber, der mit dem Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Ein vorhergehender Arbeitsvertrag hat daher nur dann mit demselben Arbeitgeber bestanden, wenn es sich bei dem Vertragspartner des Arbeitnehmers bei beiden Verträgen um dieselbe natürliche oder juristische Person handelt. Unabhängig davon, dass die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18.3.1999 nach der Rechtsprechung des EuGH66 weder auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Leiharbeitsunternehmen noch auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem entleihenden Unternehmen Anwendung findet67, hat der Gesetzgeber den Geltungsbereich des TzBfG insoweit nicht eingeschränkt. Damit gilt das TzBfG auch für befristete Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern68. In diesem Zusammenhang hat der 7. Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung vom 15.5.201369 in Anknüpfung an die Entscheidung des EuGH vom 26.1.201270 eine missbräuchliche Umgehung des Anschlussverbots aus § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG angenommen, wenn ein Vertragspartner den Vertrag in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit dem letzten Vertragsarbeitgeber des Arbeitnehmers ausschließlich deshalb vereinbart hat, um das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu umgehen. Mit dieser Aussage gibt der 7. Senat des BAG seine frühere anders lautende Rechtsprechung in der Entscheidung vom 18.10.200671 auf, wonach die Überlassung eines Arbeitnehmers an seinen vormaligen Vertragsarbeitgeber, bei dem er zuvor zwei Jahre sachgrundlos befristet beschäftigt war, nicht zur Unwirksamkeit einer anschließend mit dem Verleiher i. S. d. § 1 AÜG nach § 14 Abs. 2 TzBfG vereinbarten sachgrundlosen Befristung führt, insbesondere nicht als 65 Nur BAG v. 18.7.2012 - 7 AZR 451/11, NZA 2012, 1369 Rz. 28; BAG v. 15.5.2013 - 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 Rz. 19; BAG v. 4.12.2013 - 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744 Rz. 18. 66 EuGH v. 11.4.2013 - C-290/12, NZA 2013, 495 Rz. 45 - Della Rocca. 67 Vgl. zum Zustandekommen der Arbeitsverträge Kleuter, AiB 2014, 3 ff. 68 BAG v. 15.5.2013 - 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 Rz. 19. 69 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214. 70 C-586/10, NZA 2012, 135 - Kücük. 71 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443 Rz. 20.
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Neues zur Befristung von Arbeitsverträgen
rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann. Von einem Rechtsmissbrauch wollte das BAG allenfalls dann ausgehen, wenn die sachgrundlose Befristung darauf abzielt, den Arbeitnehmer unter Einschaltung mehrerer Vertragsarbeitgeber für eine unangemessene Zeit bei einem Arbeitgeber beschäftigen zu können. Unter Hinweis auf die unionsrechtlich vorgegebene Missbrauchskontrolle aus § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999, wonach die Mitgliedstaaten, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere der in § 5 Nr. 1 lit. a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen zu ergreifen haben, will der 7. Senat des BAG in der Entscheidung vom 4.12.201372 der unionsrechtlich vorgegebenen Missbrauchskontrolle mit einer Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle nach § 242 BGB Rechnung tragen. Liegt eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der Zulässigkeit sachgrundloser Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Abs. 2 TzBfG im Hinblick auf die Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG vor, besteht die Rechtsfolge darin, dass sich der unredliche Vertragspartner nicht auf eine solche Befristung berufen kann73. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer missbräuchlichen Vertragsgestaltung ist bei einer Befristungsabrede der Arbeitnehmer, wobei ihm die Grundsätze einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugute kommen74. Diese Grundsätze galt es auf einen Fall zu übertragen, bei dem die Klägerin zunächst bei der Bundesagentur für Arbeit vom 1.5.2007 bis zum 31.12.2008 als Arbeitsvermittlerin in einer Arbeitsgemeinschaft der Bezirksstelle R beschäftigt worden war und sodann auf Veranlassung der Bundesagentur am 25.11.2008 mit der Beklagten, einer kreisangehörigen Stadt, ohne Vorstellungsgespräch einen auf zwei Jahre ab dem 1.1.2009 bis zum 31.12.2010 sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag abschloss. Die Bundesagentur und die Beklagte waren im Zuge der Umsetzung des SGB II durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verbunden, der eine Personalgestellung zur Arbeitsgemeinschaft auf Kosten der ARGE/Bund vorsah. Die Klägerin wurde auf der Grundlage dieses Personalgestellungsvertrags in dieser Zeit in der gleichen Funktion in der Bezirksstelle R weiterhin bei nahezu gleich bleibender Vergütung eingesetzt. Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Entfris72 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744 Rz. 25. 73 So bereits BAG v. 15.5.2013 - 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 Rz. 26. 74 BAG v. 4.12.2013 - 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744 Rz. 26.
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tungsklage hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit des befristeten Arbeitsvertrags mit der Beklagten gewandt. Während die Klage im Instanzenzug erfolglos blieb, hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen, um der Frage einer rechtsmissbräuchlichen Vertragsgestaltung genauer nachzugehen. Im Mittelpunkt der Entscheidung des BAG stand die Frage, ob der Beklagten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt war, sich auf die Befristungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG berufen zu dürfen. In diesem Zusammenhang konkretisiert der 7. Senat über die Entscheidung vom 15.5.201375 hinausgehend, unter welchen Prämissen eine missbräuchliche Gestaltung der grundsätzlichen Zulässigkeit sachgrundloser Befristungsmöglichkeiten nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG eintreten kann. Im Ergebnis geht es um eine Vermeidungsstrategie für sachgrundlos befristete Arbeitsverträge, die darauf angelegt sind, über die nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG vorgesehenen Befristungsmöglichkeiten hinaus Beschäftigungen auf demselben Arbeitsplatz aneinanderreihen zu können. Eine derartige missbräuchliche Vertragsgestaltung der Befristung wird nach Ansicht des BAG indiziert, wenn etwa mit dem nahtlosen Anschluss des mit dem neuen Vertragsarbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsvertrags an den befristeten Arbeitsvertrag mit dem vormaligen Vertragsarbeitgeber eine ununterbrochene Beschäftigung auf demselben Arbeitsplatz oder in demselben Arbeitsbereich zu im Wesentlichen unveränderten oder gleichen Arbeitsbedingungen bewirkt werden soll oder dieser Effekt durch die weitere Ausübung des Weisungsrechts durch den bisherigen Vertragsarbeitgeber oder eine gemeinsame Ausübung des Weisungsrechts eintritt, wie dies etwa bei einem unter einheitlicher Leitung stehenden Gemeinschaftsbetrieb der Fall sein kann. Ein Indiz für Rechtsmissbräuchlichkeit sieht das BAG auch in der Vermittlung des Arbeitnehmers an den letzten Vertragsarbeitgeber durch den vormaligen Vertragsarbeitgeber und ein erkennbar systematisches Zusammenwirken von bisherigen und neuen Arbeitgeber, um eine gemeinsame Aufgabe – etwa in einer Arbeitsgemeinschaft – zu erfüllen. Hat der Arbeitnehmer zur Begründung der Entfristungsklage derartige Indizien schlüssig vorgetragen, was nach der abgestuften Darlegungslast zunächst ausreicht, ist es Sache des Arbeitgebers, sich darauf nach § 138 Abs. 2 ZPO einzulassen, wobei er vom Arbeitnehmer behauptete Tatsachen bestreiten oder Umstände vortragen kann, die den Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ebenso kann sich der Arbeitgeber auf andere
75 BAG v. 15.5.2013 - 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214.
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als vom Arbeitnehmer vorgetragene Gründe für den Arbeitgeberwechsel berufen. Lässt sich der Arbeitgeber jedoch nicht oder nicht ausreichend substantiiert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers ein, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden76. Im Streitfall hatte die Klägerin bei Anwendung dieser Grundsätze ihrer Darlegungslast für eine indizielle Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG genügt. Die Klägerin war nach wie vor auf demselben Arbeitsplatz mit gleicher Tätigkeit wie bisher beschäftigt. Die Arbeitsverträge wichen in wesentlichen Bereichen nicht voneinander ab. Die Vergütung war nahezu unverändert geblieben. Die frühere Arbeitgeberin (Bundesagentur) hatte die Klägerin veranlasst, sich bei der Beklagten zu bewerben, von der sie ohne weiteres – insbesondere ohne Vorstellungsgespräch – eingestellt worden war. Der bisherige Arbeitgeber und der neue Arbeitgeber der Klägerin waren aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Aufgabe verbunden. Die Zurückweisung des Rechtsstreits diente der Möglichkeit, der Beklagten Gelegenheit einzuräumen, den bislang nicht für erforderlich gehaltenen Vortrag nachzuholen. Für die betriebliche Praxis ist aus dieser Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur rechtsmissbräuchlichen Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu schlussfolgern, dass rechtliche Konstruktionen, die darauf abzielen, im praktischen Ergebnis die sachgrundlose Befristung aus § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG über die darin vorgesehene Zeitdauer hinaus durch den Vertragsabschluss mit verschiedenen Arbeitgebern auszudehnen, einer Rechtsmissbrauchskontrolle wohl nicht mehr standhalten werden und zu einem unbefristeten Arbeitsvertrag mit dem letzten Vertragsarbeitgeber führen können. Dies gilt vor allem für die Fallkonstellation der Überlassung eines Arbeitnehmers an seinen vormaligen Vertragsarbeitgeber durch einen Verleiher, aber auch für die sachgrundlos befristete Übernahme eines zunächst von einem Verleiharbeitgeber überlassenen Arbeitnehmers. Ebenso wenig wird man, ohne rechtsmissbräuchlich zu handeln, den Arbeitgeberwechsel im Gemeinschaftsbetrieb mit jeweils sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen fortsetzen dürfen, wenn der Arbeitnehmer nach wie vor in seinem bisherigen Arbeitsbereich eingesetzt wird. Fraglich könnte in diesem Zusammenhang die Anwendung der Rechtsmissbrauchskontrolle auch für die sachgrundlos befristete Übernahme eines Erfüllungsgehilfen eines ande-
76 BAG v. 4.12.2013 - 7 AZR 290/12, ZIP 2014, 744 Rz. 26.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ren Arbeitgebers werden, wenn diesem die bisher wahrgenommene Tätigkeit zugewiesen wird. (Boe)
6.
Einschränkung des arbeitszeitbezogenen Direktionsrechts durch gesundheitliche Beeinträchtigung
In seinem Urteil vom 9.4.201477 hat der 10. Senat des BAG deutlich gemacht, dass eine Krankenschwester nicht arbeitsunfähig krank sei, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten könne. Vielmehr habe sie Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn dem Arbeitgeber entsprechende Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. In dem zugrunde liegenden Fall betrieb die Beklagte ein Krankenhaus der sogenannten Vollversorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich war sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschichtund Schichtarbeit verpflichtet. Daran anknüpfend arbeitete das Pflegepersonal bei der Beklagten auch im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 bis 6.15 Uhr. Die Klägerin war allerdings aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wurde. Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12.6.2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin nahm dies nicht hin und bot gleichwohl ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – an. Nachdem sie bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts im November 2012 allerdings nicht beschäftigt wurde, erhielt sie zunächst Entgeltfortzahlung und bezog dann Arbeitslosengeld. Das BAG hat nunmehr die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen stattgegeben. Die Klägerin sei – so das BAG – weder arbeitsunfähig krank, noch sei ihr die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie könne alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte müsse (lediglich) bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Die Vergütung stehe der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie
77 10 AZR 637/13 n. v.
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Ortsbezogene Versetzung: Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts
die Arbeit ordnungsgemäß angeboten habe und die Beklagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht annehmen. Diese Entscheidung hat für die betriebliche Praxis außerordentlich große Bedeutung. Sie ist nämlich mit der Feststellung verknüpft, dass eine Arbeitsfähigkeit auch dann gegeben ist, wenn ein Teil der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht geleistet werden kann. Vorliegend war dies die Nachtarbeit, zu der sich die Klägerin an sich verpflichtet hatte. In anderen Fällen könnten dies einzelne Tätigkeiten sein, die wegen gesundheitlicher oder altersbezogener Einschränkungen durch den Arbeitnehmer nicht mehr erbracht werden können. Nichtsdestotrotz liegt diese Entscheidung auf einer Linie mit den aktuellen Überlegungen zur Kennzeichnung des Begriffs der Behinderung, auf die wir an anderer Stelle hingewiesen haben78. Nach diesen Feststellungen liegt eine Behinderung bereits dann vor, wenn ein Arbeitnehmer durch Körper, Geist oder Seele auf Dauer, jedenfalls aber für die Dauer von mehr als sechs Monaten, an der Teilhabe im beruflichen Leben eingeschränkt ist. Wenn diese Einschränkung langandauernd ist, muss darin wegen der unionsrechtlichen Vorgaben keine Abweichung zu dem alterstypischen Leistungsvermögen liegen. In allen Fällen hat eine entsprechende Beeinträchtigung des Arbeitnehmers zur Folge, dass der Arbeitgeber gemäß §§ 241 Abs. 2 BGB, 81 Abs. 4 SGB IX den Arbeitsablauf, die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeit und/oder die Arbeitsmittel in den Grenzen der Zumutbarkeit so anpassen muss, dass trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit eine Beschäftigung erfolgen kann. Im Grunde heißt dies nichts anderes, als das Teilleistung jedenfalls beim Vorliegen einer Behinderung angenommen werden muss. Ob das BAG seine Entscheidung mit dem Begriff der Behinderung rechtfertigt, ist völlig offen. Denkbar ist auch, dass der 10. Senat des BAG eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Behinderung aus §§ 106 S. 1 GewO, 315 Abs. 1 BGB folgert. Dies dürfte dann allerdings der generelle Abschied von der Ablehnung einer Teilarbeitsfähigkeit sein. Wir werden darüber berichten. (Ga)
7.
Ortsbezogene Versetzung: Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts
Gemäß § 106 S. 1 GewO ist der Arbeitgeber berechtigt, Art, Ort und Zeit der Tätigkeit des Arbeitnehmers nach billigem Ermessen durch einseitige Wei-
78 B. Gaul, AktuellAR 2014, 95 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
sung zu verändern, wenn dies weder gesetzlichen, tarifvertraglichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben widerspricht und mit den arbeitsvertraglichen Absprachen vereinbar ist. Insbesondere dann, wenn gesetzliche oder kollektivvertragliche Schranken in Bezug auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht nicht bestehen, stellt sich deshalb die Frage, ob die im Arbeitsvertrag enthaltenen Regelungen entsprechenden Veränderungen entgegenstehen. In seinem Urteil vom 28.8.201379 musste sich der 10. Senat des BAG mit dieser Frage in Bezug auf das ortsbezogene Direktionsrecht des Arbeitgebers befassen. In dem zugrundeliegenden Fall hatten die Parteien zwar in Ziff. 1 des Arbeitsvertrags festgehalten, dass die Mitarbeiterin ab 3.12.1994 im Bereich Flugbetrieb, Beschäftigungsort Münster/Osnabrück als Flugbegleiterin eingestellt wird. Ergänzend hierzu war allerdings auch vereinbart, dass sich die Rechte und Pflichten der Mitarbeiterin aus den Betriebsvereinbarungen des Arbeitgebers, der Eurowings AG, ergeben sollten. Nachdem die Klägerin von 1994 bis 2011 ihre Einsätze von Münster/Osnabrück angetreten hatte, beschloss die Beklagte im Rahmen einer standortübergreifenden Reorganisationsmaßnahme, dass der Einsatz ihrer Mitarbeiter ausschließlich ab Düsseldorf oder Hamburg erfolgen sollte. Von den übrigen dienstlichen Einsatzorten sollten keine Einsätze der Mitarbeiter mehr erfolgen und die entsprechenden Arbeitsplätze gestrichen werden. Hiervon war auch die Klägerin betroffen. Ihr wurde durch Schreiben vom 1.4.2011 mitgeteilt, dass sie zum 1.6.2011 von ihrem bisherigen dienstlichen Einsatzort an den neuen dienstlichen Einsatzort Düsseldorf versetzt werde. Die Klägerin hielt dies für unzulässig und beantragte festzustellen, dass die Versetzung der Beklagten unwirksam sei. Darüber hinaus erhob sie Klage gegen die Änderungskündigung, die von Seiten der Beklagten aus Gründen der äußersten Vorsorge ausgesprochen worden war. Der 10. Senat des BAG hat die Klage abgewiesen. In den Gründen seiner Entscheidung hat er zunächst einmal deutlich gemacht, dass der Arbeitgeber nicht nur dann berechtigt ist, den Arbeitsort abzuändern, wenn im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet wurde. Hier ergibt sich das arbeitgeberseitige Direktionsrecht unmittelbar aus § 106 S. 1 GewO. Eine entsprechende Versetzungsbefugnis besteht dann, wenn der Arbeitsvertrag einen Einsatzort nennt, diesen aber mit dem Vorbehalt verknüpft, dass arbeitgeberseits auch ortsbezogene Veränderungen möglich sind. In allen Fällen unterliegt die konkrete Ausübung des arbeitgeberseiti79 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 23 ff.
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Ortsbezogene Versetzung: Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts
gen Direktionsrechts aber der gerichtlichen Kontrolle gemäß §§ 106 S. 1 GewO, 315 Abs. 3 BGB80. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des hier in Rede stehenden Falls ist das BAG vorliegend von einer entsprechenden Direktionsbefugnis ausgegangen. Zwar hatten die Parteien im Anstellungsvertrag festgehalten, dass die Klägerin am Beschäftigungsort „Münster/Osnabrück eingestellt“ werden sollte. Da die betreffende Passage des Vertrags aber mit „Beginn der Tätigkeit“ überschrieben wurde, habe der Arbeitgeber mit der entsprechenden Feststellung nur festgehalten, wo die Arbeitnehmerin bei Vertragsbeginn ihre Tätigkeit aufnehmen solle. Dass er sich das Recht vorbehalten wollte, einseitig auch spätere Ortsveränderungen vorzunehmen, ergab sich insbesondere aus einer Betriebsvereinbarung, auf die in den weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags auch verwiesen worden war. In dieser Betriebsvereinbarung war u. a. festgelegt: Der Mitarbeiter kann unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten je nach betrieblichen Erfordernissen an einen anderen dienstlichen Wohnsitz versetzt werden und mit anderen im Rahmen der Geschäftstätigkeit des Flugbetriebs der Eurowings liegenden Aufgaben im In- und Ausland betraut werden. Dies gilt auch bei vorübergehendem oder aushilfsweisem Einsatz im Zusammenhang mit dem Flug- und Verkehrsbetrieb.
Ohne Rücksicht darauf, dass in der entsprechenden Vereinbarung keine Betriebsvereinbarung i. S. d. § 77 BetrVG zu sehen war, konnte eine solche Bezugnahme erfolgen. Problematisch war allenfalls, dass insoweit auf die jeweils gültige Fassung der Betriebsvereinbarung verwiesen wurde. Denn eine solche Dynamik wäre nach §§ 307 Abs. 1, 308 Nr. 4 BGB nur zulässig, wenn in der Bezugnahme selbst bereits erkennbar geworden wäre, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welchen Rahmens damit verbundene Veränderungen auf das Arbeitsverhältnis einwirken können. Da vorliegend aber die bereits zum Zeitpunkt der Einstellung geltende Fassung der Betriebsvereinbarung in Rede stand, die ortsbezogene Änderungen zuließ, kam diese Problematik hier nicht zum Tragen. Soweit der Arbeitsvertrag selbst der ortsbezogenen Versetzung nicht entgegenstand, musste das BAG indes prüfen, ob die arbeitgeberseits getroffene Entscheidung im Einzelfall billigem Ermessen entsprach. Hierfür ist eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und 80 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 19 f.; BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 311/11, NZA-RR 2013, 403 Rz. 18 f.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
gesetzlichen Wertentscheidungen erforderlich, die insbesondere den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit entspricht. In diese Abwägung sind – so das BAG – alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehörten die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse, soziale Lebensverhältnisse, sowie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen81. Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser nach den Feststellungen des BAG im Urteil vom 28.8.201382 indes ein besonderes Gewicht zu. Dabei ist das unternehmerische Konzept auch nicht auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Allerdings schließt dies nicht aus, dass im Einzelfall besonders schwerwiegende, z. B. auch verfassungsrechtlich geschützte Interessen des Arbeitnehmers einer Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung entgegenstehen. Eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG findet indes nicht statt83. Im vorliegenden Fall waren diese Voraussetzungen einer ermessensgerechten Versetzung erfüllt. Die Beklagte hatte ein unternehmerisches Konzept, wegen dessen Umsetzung sie mit der Personalvertretung auch einen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen hatte. Unzumutbare persönliche, familiäre oder sonstige außervertraglich entstandene Belastungen hatte die Klägerin nicht vorgetragen. Da auch die Personalvertretung in Bezug auf die Versetzung ordnungsgemäß beteiligt worden war, bestand für die Klägerin die Verpflichtung, ihre Einsätze von Düsseldorf aus anzutreten. Die Änderungskündigungsschutzklage war deshalb unbegründet. Vom Arbeitgeber erstrebte Änderungen, die sich – wie hier – schon durch die Ausübung des Weisungsrechts gemäß § 106 S. 1 GewO durchsetzen lassen, halten sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen und sind „keine Änderung der Arbeitsbedingungen“ i. S. d. §§ 2 S. 1, 4 S. 2 KSchG. Die Änderungskündigung ist also „überflüssig“. Eine Änderungskündigungsschutzklage ist dann unbegründet84. (Ga)
81 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 106 Rz. 40; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2805 Rz. 40. 82 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 106 Rz. 41 f. 83 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 106 Rz. 43; BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 331 Rz. 22, 25. 84 BAG v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181 Rz. 48; BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 25/11, NZA 2012, 1038 Rz. 21.
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Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung von Detektivkosten
8.
Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung von Detektivkosten
Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten (§ 280 Abs. 1 BGB) die notwendigen durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird. § 254 BGB verlangt allerdings die Rücksichtnahme auf das Interesse des Schädigers an der Geringhaltung des Schadens. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber nur für die Maßnahmen Erstattungsansprüche hat, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber nach den Umständen des Einzelfalls zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen haben würde85. In seinem Urteil vom 26.9.201386 hat der 8. Senat des BAG deutlich gemacht, dass eine Erstattungspflicht für Detektivkosten auch dann in Betracht kommt, wenn die ermittelten Tatsachen zu einem so schwerwiegenden Verdacht einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung führen, dass eine deswegen ausgesprochene Kündigung i. S. einer Verdachtskündigung als begründet angesehen werden muss. Voraussetzung ist aber, dass die Belastungstatsachen, die auf Seiten des Arbeitgebers den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung begründen, schuldhafte (§ 619 a BGB) Verletzungen von Vertragspflichten darstellen. Die Verdachtsmomente und die Verfehlungen, deren der Arbeitnehmer verdächtigt wird, müssen dabei so schwerwiegend sein, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Beispielhaft nennt das BAG in diesem Zusammenhang Veruntreuungen eines Filialleiters, Verrat von Geschäftsgeheimnissen, Diebstahl, Betrug bei der Spesenabrechnung, Erschleichen der Lohnfortzahlung, eine illegale verfassungsfeindliche Tätigkeit oder die sexuelle Belästigung von Mitarbeitern87. Denkbar ist auch, dass ein Verhalten des Arbeitnehmers zum Anlass für die Einsetzung eines Detektivs genommen wurde, welches in einer vom Arbeitnehmer zu vertretenden Art und Weise (§ 619 a BGB) die Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2
85 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12, NZA 2014, 301 Rz. 22; BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 226/08, NZA 2009, 1300 Rz. 22. 86 8 AZR 1026/12, NZA 2014, 301 Rz. 23 ff. 87 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12, NZA 2014, 301 Rz. 25.
73
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
BGB) derart vermissen ließ, dass es den Verdacht eines Betrugs zu Lasten des Arbeitgebers (mit)begründete. Dass der Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang seine Vertragspflichten vorwerfbar verletzt hat, muss wegen § 619 a BGB indes durch den Arbeitgeber dargelegt und ggf. bewiesen werden88. Hinzu kommt, dass der Tatverdacht dringend sein muss. Es muss also auf der Grundlage der bereits bekannten Verdachtsmomente eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer die Straftat oder die schwere Pflichtverletzung auch begangen hat89. (Ga)
9.
Neues zur arbeitsmedizinischen Untersuchung
Nachdem die Diskussion über die Einbindung der psychischen Belastung in die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzes, über die wir an anderer Stelle bereits berichtet hatten90, inzwischen in der Regel Bestandteil der innerbetrieblichen Normalität ist91, ergeben sich durch die Änderungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) neue Fragestellungen in Bezug auf arbeitsmedizinische Untersuchungen. Diese Änderungen sind am 31.10.201392 in Kraft getreten93. Wichtig für die betriebspraktische Umsetzung der dadurch begründeten Vorgaben ist, dass die Verordnung für die arbeitsmedizinische Vorsorge im Geltungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes gilt. Sie lässt nicht nur sonstige arbeitsmedizinische Präventionsmaßnahmen, insbesondere nach dem ArbSchG und dem ASiG unberührt (§ 1 Abs. 2, 3 ArbMedVV). Vielmehr wird durch § 2 Abs. 1 Ziff. 5 ArbMedVV ausdrücklich klargestellt, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge i. S. d. Verordnung nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung eines Arbeitnehmers für berufliche Anforderungen nach sonstigen Rechtsvorschriften oder individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen umfasst. Vorsorge- und Eignungsuntersuchung müssen also (weiterhin) voneinander in Bezug auf ihre Zulässigkeit und die allgemein damit verbundenen Handlungspflichten unterschieden werden. 88 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12, NZA 2014, 301 Rz. 28. 89 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12, NZA 2014, 301 Rz. 25; BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 801/09, DB 2011, 880 Rz. 16. 90 B. Gaul, DB 2013, 20 ff.; B. Gaul, AktuellAR 2013, 2 ff. 91 Vgl. zuletzt „Psychische Gesundheit im Betrieb“, Arbeitsmedizinische Empfehlung des Ausschusses für Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales; Lützeler, BB 2014, 309 ff. 92 BGBl I 2013, 3882. 93 Eingehend Beckschulze, BB 2014, 1013 ff., 1077 ff.
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Neues zur arbeitsmedizinischen Untersuchung
a)
Allgemeines zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung
In Übereinstimmung mit § 11 ArbSchG begründet § 3 Abs. 1 ArbMedVV die Verpflichtung des Arbeitgebers, auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Mit der Durchführung dieser Vorsorge hat der Arbeitgeber einen Arzt oder eine Ärztin zu beauftragen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge soll während der Arbeitszeit stattfinden. Sie soll nicht zusammen mit Untersuchungen, die dem Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen dienen, durchgeführt werden, es sei denn, betriebliche Gründe erfordern dies. In diesem Fall hat der Arbeitgeber den Arzt oder die Ärztin zu verpflichten, die unterschiedlichen Zwecke von arbeitsmedizinischer Vorsorge und Eignungsuntersuchung gegenüber dem oder der Beschäftigten offenzulegen (§ 3 Abs. 3 ArbMedVV). Nach § 3 Abs. 4 ArbMedVV hat der Arbeitgeber eine Vorsorgekartei zu führen, die Angaben darüber enthält, dass, wann und aus welchen Anlässen arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat. Die Kartei kann automatisiert geführt werden. Die Angaben sind bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses aufzubewahren und anschließend zu löschen, sofern nicht durch Rechtsvorschriften oder die nach § 9 Abs. 4 ArbMedVV bekannt gegebenen Regeln etwas anderes bestimmt wird. Ungeachtet dessen hat der Arbeitgeber der betroffenen Person bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eine Kopie der sie betreffenden Angaben auszuhändigen; § 34 BDSG bleibt hiervon unberührt. Nach den Feststellungen in §§ 6 Abs. 3, 4, 8 Abs. 1 ArbbMedVV gibt es keine Berechtigung des Arbeitgebers, die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchung gegen den Willen des Arbeitnehmers zu erhalten. Zunächst hat der Arzt oder die Ärztin 1. das Ergebnis sowie die Befunde der arbeitsmedizinischen Vorsorge schriftlich festzuhalten und den oder die Beschäftigte darüber zu beraten, 2. dem oder der Beschäftigten auf seinen oder ihren Wunsch hin das Ergebnis zur Verfügung zu stellen sowie 3. der oder dem Beschäftigten unter dem Arbeitgeber eine Vorsorgebescheinigung darüber auszustellen, dass, wann und aus welchem Anlass ein arbeitsmedizinischer Vorsorgetermin stattgefunden hat; die Vorsorgebescheinigung enthält auch die Angabe, wann eine
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
weitere arbeitsmedizinische Vorsorge aus ärztlicher Sicht angezeigt ist.
Der Arzt oder die Ärztin hat die Erkenntnisse arbeitsmedizinischer Vorsorge auszuwerten. Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes für den oder die Beschäftigte oder andere Beschäftigte nicht ausreichen, so hat der Arzt oder die Ärztin dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen. Für den Arbeitgeber folgt daraus die Verpflichtung, die Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen und unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Hält der Arzt oder die Ärztin aus medizinischen Gründen, die ausschließlich in der Person des oder der Beschäftigten liegen, einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf diese Mitteilung an den Arbeitgeber der Einwilligung des oder der Beschäftigten. Erfolgt eine entsprechende Mitteilung, muss der Arbeitgeber nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen dem oder der Beschäftigten eine andere Tätigkeit zuweisen. Die getroffenen Maßnahmen sind dem Betriebs- oder Personalrat und der zuständigen Behörde mitzuteilen (§§ 6 Abs. 4, 8 Abs. 1, 2 ArbMedVV). Willigt der Beschäftigte in diese Mitteilung nicht ein, bleibt dem Arbeitgeber unbekannt, dass Gründe in der Person des Beschäftigten an sich einen Tätigkeitswechsel erforderlich machen. Diese Einschränkung der Weitergabe personenbezogener Daten dürfte zwingenden Charakter haben und auch einer Änderung durch Betriebsvereinbarung nicht zugänglich sein94. Zutreffender Weise verweist Beckschulze95 in diesem Zusammenhang darauf, dass bestehende Betriebsvereinbarungen vorsorglich daraufhin überprüft werden sollten, ob – was erforderlich ist - bei entsprechenden Regelungen zur Weitergabe des Ergebnisses arbeitsmedizinischer Untersuchungen zwischen Vorsorge- und Eignungsuntersuchungen unterschieden wird. Um welche Vorsorgeart es sich handelt, spielt bei den vorstehend genannten Einschränkungen keine Rolle. Die Unterscheidung zwischen der Pflichtvorsorge auf der einen Seite und der Angebots- oder Wunschvorsorge auf der anderen Seite liegt im Grunde nur darin, dass der Arbeitgeber eine Tätigkeit nur ausüben lassen darf, wenn der oder die Beschäftigte an der hierfür bestimmten Pflichtvorsorge teilgenommen hat. Dass der Arbeitnehmer an dieser Pflichtvorsorge teilgenommen hat, ist dem Arbeitgeber durch den Arzt
94 Ebenso Beckschulze, BB 2014, 1013, 1015. 95 BB 2014, 1013, 1015.
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Neues zur arbeitsmedizinischen Untersuchung
mitzuteilen96. Erfolgt keine entsprechende Mitteilung, muss der Arbeitgeber von einem Beschäftigungsverbot ausgehen.
b)
Arbeitsmedizinische Eignungsuntersuchung
Unter welchen Voraussetzungen zulässigerweise Eignungsuntersuchungen durchgeführt werden dürfen, bestimmt sich nicht nach den Regelungen der ArbMedVV. Vielmehr sind hierfür die allgemeinen arbeits- und datenschutzrechtlichen Vorgaben maßgeblich. Dies bedeutet zunächst einmal, dass die Untersuchung auf der Grundlage des BDSG, spezialgesetzlicher Vorschriften, einer Betriebsvereinbarung oder einer Einwilligung des Arbeitnehmers durchzuführen ist. Praktische Relevanz dürften dabei insbesondere die individuelle Einwilligung des Arbeitnehmers97 bzw. die Betriebsvereinbarung zur Eignungsuntersuchung98 haben. Wichtig an diesen Formen der Rechtfertigung von arbeitsmedizinischen Eignungsuntersuchungen ist allerdings nicht nur, dass sie für den Arbeitnehmer erkennbar den Zweck der Untersuchung aufzeigen müssen. Die Untersuchung selbst muss darüber hinaus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, also geeignet, erforderlich und ihrem Umfang nach auch angemessen sein. Im Unterschied zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung ist der Arbeitgeber freilich berechtigt, mit dem Arbeitnehmer (Einwilligung) bzw. dem Betriebsrat (Betriebsvereinbarung) zu vereinbaren, dass ihm das Ergebnis der Eignungsuntersuchung mitgeteilt wird. Soweit arbeitsmedizinische Untersuchungen bereits heute im Rahmen von Betriebsvereinbarungen vorgesehen sind, muss nach dem Inkrafttreten der Änderungen der ArbMedVV deutlich gemacht werden, dass nur in Bezug auf die Eignungsuntersuchung eine entsprechende Mitteilung an den Arbeitgeber erfolgen soll. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Betriebsvereinbarung wegen der Missachtung eines gesetzlichen Verbots (§ 134 BGB) unwirksam ist. (Ga)
96 Beckschulze, BB 2014, 1013 ff., 1014. 97 Hierzu Beckschulze, BB 2014, 1013, 1018 f. 98 Hierzu Beckschulze, BB 2014, 1077 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
10. Haftung des Vorstands für Compliance-Organisation In seinem Urteil vom 10.12.201399 hat das LG München in überzeugender Weise deutliche gemacht, dass die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems zur Gesamtverantwortung des Vorstands gehört. Dabei kann offen bleiben, ob die Grundlage hierfür in § 91 Abs. 2 AktG oder der durch §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG begründeten Pflicht des Vorstands zu sehen ist, die Geschäfte der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen. Die letztgenannte Verpflichtung, die schlussendlich auch in DCGC enthalten ist, macht deutlich, dass auch in der GmbH vergleichbare Vorgaben als Ausdruck der ordentlichen Geschäftsführung zu beachten sind. Sie treffen grundsätzlich jedes Mitglied des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, ohne Rücksicht darauf, welche Geschäftsbereiche in Rede stehen. Auch die Bestellung eines Compliance-Beauftragten, selbst wenn diese auf Vorstandsebene erfolgt, beseitigt diese Gesamtverantwortlichkeit nicht. Im Rahmen der vorstehend genannten Verpflichtung hat das Mitglied des Vorstands dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße erfolgen. Hierzu ren - wie dies das LG München deutlich gemacht hat – insbesondere Schmiergeldzahlung an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen. Insofern genüge ein Vorstandsmitglied seiner Organisationspflicht bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte ComplianceOrganisation einrichte. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen seien dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit100. Ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat die in § 93 Abs. 2 AktG vorgesehene Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, die nach §116 AktG auch für den Aufsichtsrat bei seiner Tätigkeit zur Anwendung kommt. Danach hat die Gesellschaft – ggf. mit der Erleichterung des § 287 ZPO – darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ihr durch ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis, das möglicherweise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist. Das Vorstandsmitglied hat dagegen nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflicht nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden 99 5 HKO 1387/10, DB 2014, 766 ff. 100 LG München v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, DB 2014, 766 Rz. 89.
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Haftung des Vorstands für Compliance-Organisation
auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre101. Diese Anforderungen kann ein Mitglied des Vorstands insbesondere bei komplexen Geschäftsvorfällen und/oder Vorfällen, die bereits einige Jahre zurück liegen, im Zweifel nur erfüllen, wenn eine ausreichende Dokumentation über die Entscheidungen innerhalb des Vorstands und die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Informationen sowie die Zielsetzungen solcher Entscheidungen erfolgt. Dies folgt bereits aus der Business-Judgement-Rule, nach der pflichtgemäßes Handeln eines Vorstands nur denkbar ist, wenn eine Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft auf der Grundlage umfassender und gleichzeitig angemessener Informationen getroffen wird. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Aufsichtsrat von Siemens gegen ein ausgeschiedenes Mitglied des Vorstands einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 15 Millionen Euro geltend gemacht. Der Schaden, der insoweit zur Grundlage der Klage genommen wurde, bestand aus dem Honorar der Rechtsanwälte für die Aufklärung der zahlreichen Pflichtverletzungen der Vergangenheit sowie Zahlungen in Nigeria, deren Rechtsgrund auch nach intensiver Überprüfung nicht erkennbar war. Hier war von Schmiergeldleistungen auszugehen. Soweit der Beklagte, der zuvor einen Vergleichsvorschlag in Höhe von 4 Millionen Euro abgelehnt hatte, sich im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung damit verteidigte, er habe in seinem Verantwortungsbereich stets klare Weisungen zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben ausgegeben, hat dieser Vortrag dem LG München nicht genügt. Gerade weil dem Vorstand und dem Beklagten immer wieder verdächtige Fälle von Bestechungszahlungen geschildert wurden, hätte es einer Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems bedurft. Hinreichende Maßnahmen zur Verbesserung wurden allerdings nicht veranlasst. Wichtig in der betrieblichen Praxis ist, dass die in diesem Urteil enthaltenen Vorgaben zur Errichtung, Überwachung und Verbesserung von ComplianceSystemen auch in anderen Konstellationen ohne Einschränkung beachtet werden. Dies gilt – wie das LG München ausgeführt hat – selbst dann, wenn der Gesamtvorstand den Vorstellungen eines einzelnen Vorstandsmitglieds in Bezug auf das Compliance-System nicht gefolgt ist. Zwar müsse auch ein überstimmtes Vorstandsmitglied an der Umsetzung von Vorstandsbeschlüssen loyal mitwirken. Dies könne aber dann nicht gelten, wenn diese Beschlüsse nicht gesetzeskonform seien. Im Zweifel trifft das überstimmte Vorstandsmitglied dann die Verpflichtung, entsprechende Gegenvorstellun101 BGH v. 15.1.2013 - II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 Rz. 14; LG München v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, DB 2014, 766 Rz. 91.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
gen bei den Kollegen anzubringen und ggf. den Aufsichtsrat einzuschalten102. Die persönliche Relevanz dieser Verpflichtung wird nicht nur daraus erkennbar, dass die D&O-Versicherung des Vorstandsmitglieds einen Selbstbehalt in Höhe von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorsehen muss (§ 93 Abs. 2 S. 3 AktG). Darüber hinaus bestimmt § 93 Abs. 6 AktG, dass die Ansprüche aus diesen Vorschriften bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren, bei anderen Gesellschaften schon in fünf Jahren verjähren. Entsprechende Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft können also Zeiträume betreffen, die sehr weit in der Vergangenheit liegen. Dies aber schränkt die Darlegungs- und Beweislast des Vorstands, der seine Pflichterfüllung darzulegen und ggf. zu beweisen hat, nicht ein. (Ga).
102 LG München v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, DB 2014, 766 Rz. 104.
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D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Erneute Verschärfung der Rechtsprechung zu Stichtagsklauseln bei Jahressonderzahlungen
Bereits bei früherer Gelegenheit hatte das BAG deutlich gemacht, dass der Anspruch auf eine Jahressonderzahlung, die (auch) an die Arbeitsleistung während des Kalenderjahres geknüpft ist, nicht von dem Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt nach Ablauf des Kalenderjahres abhängig gemacht werden kann. Mit dieser Überlegung hatte das BAG nicht nur Stichtagsregelungen für unzulässig erklärt, durch die ein ungekündigt bestehendes Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Jahressonderzahlung im März/April des Folgejahres als Anspruchsvoraussetzung genannt worden war1. Das BAG hat es auch für unzulässig gehalten, ein ungekündigtes Arbeitsverhältnisses am 31.12. des jeweiligen Bezugsjahres zu verlangen. Denn auch damit werde der Arbeitnehmer verpflichtet, über das Bezugsjahr hinaus in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber zu stehen2. Bei entsprechenden Regelungen in Formulararbeitsverträgen lag darin ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB. Bei inhaltsgleichen Regelungen in einer Betriebsvereinbarung hat das BAG mit entsprechender Begründung einen Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG) angenommen. In seinem Urteil vom 20.11.20133 hat das BAG diese Rechtsprechung weiter verschärft. Nach der jetzt vom 10. Senat vertretenen Auffassung ist eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klausel, nach der die Gewährung einer Jahressonderzahlung, die (auch) Entgelt für geleistete Arbeit ist, den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31.12. des Bezugsjahres voraussetzt, schon deshalb unwirksam, weil sie eine Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen bis in das Folgejahr hinein bewirkt. Dies knüpft zwar an der bisherigen Rechtsprechung an. Abweichend von der noch im Urteil vom 6.5.20094 vertretenen Auffassung nimmt das BAG jetzt allerdings an, dass eine solche Klausel nicht teilbar sei und deshalb nicht mit dem Inhalt aufrecht erhalten werden könne, dass sie lediglich eine Bindung bis zum 31.12. des Bezugsjahres bewirke. Für die betriebliche Praxis hat das
1 2 3 4
BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561 Rz. 22 ff. BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561 Rz. 22. 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 23. 10 AZR 443/08, NZA 2009, 783 Rz. 11.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
erhebliche Bedeutung, weil man diese Rechtsprechung zu Jahressonderzahlungen wohl auch auf Long Term Incentives übertragen muss. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern im Wege einer Gesamtzusage für das Jahr 2010 eine Weihnachtsgratifikation zugesagt. Sie sollte mit dem November-Gehalt 2010 abgerechnet und überwiesen werden. In der Zusage hatte der Arbeitgeber auszugsweise folgende Richtlinien genannt, die für die Anspruchsentstehung maßgeblich sein sollten: 1. Die Zahlung erfolgt an Werksangehörige, die sich am 31.12.2010 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden. 2. Die Gratifikation beträgt 100 % des November-Brutto-Gehaltes/Lohnes bzw. der Ausbildungsvergütung, wenn das Arbeitsverhältnis seit 1.1.2010 besteht und keine unbezahlten Arbeitsbefreiungen zu verzeichnen sind. Bei Arbeitszeitveränderungen im Laufe des Jahres errechnet sich die Gratifikation anteilig. 3. Werksangehörige, die nach dem 1.1.2010 eingetreten sind oder eine unbezahlte Arbeitsbefreiung aufweisen, erhalten für jeden Kalendermonat des bestehenden Arbeitsverhältnisses bzw. der bezahlten Arbeitsleistung ein Zwölftel des Bruttomonatsgehaltes/-lohnes. Dabei wird ein angefangener Monat als voller Monat gerechnet, wenn die Betriebszugehörigkeit/bezahlte Arbeitsleistung 15 Kalendertage übersteigt. Auszubildende erhalten in jedem Fall 100 % der Ausbildungsvergütung.
Als das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Eigenkündigung am 30.9.2010 beendet wurde, hat die Beklagte dies zum Anlass genommen, diesen vollständig vom Bezug der Jahressonderzahlung auszugrenzen. Mit der jetzt vom BAG entschiedenen Klage hat der Kläger dies zum Anlass genommen, 9/12 der Weihnachtsgratifikation im Klagewege durchzusetzen. Entgegen der Entscheidungen der Vorinstanzen hat das BAG mit Urteil vom 13.11.20135 der Klage stattgegeben. Aus seiner Sicht war die Stichtagsregelung insgesamt unwirksam und konnte deshalb einem Zahlungsanspruch nicht entgegenstehen. Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Leistung darstelle, könne – so das BAG – in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem
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10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 22 ff.
Rechtsprechung zu Stichtagsklauseln bei Jahressonderzahlungen
Zeitpunkt außerhalb des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Dies benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen i. S. d. § 307 Abs. 1 BGB. Ob diese Unwirksamkeit der kalenderjahresübergreifenden Regelung zur Unwirksamkeit der gesamten Stichtagsregelung führt, hängt von ihrer Teilbarkeit ab. Eine solche Teilbarkeit hatte das BAG im Urteil vom 6.5.20096 noch mit der Begründung angenommen, dass bei Streichung des Wortes „unkündbar“ als verständliche Regelung immer noch die Bestimmung eines Stichtags verbleibe. An dieser Rechtsprechung hält das BAG indes nicht mehr fest. Die sprachliche Teilbarkeit einer Klausel sei nur ein Indiz für die – entscheidende – inhaltliche Teilbarkeit. Hier verlange die Klausel das Bestehen des Arbeitsverhältnisses am Ende des Bezugszeitraums gerade mit der Besonderheit, es dürfe weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt haben. Damit gehe eine Erweiterung der Bestandsvoraussetzungen einher, die sich im Einzelfall unterschiedlich auswirke. Für den Arbeitnehmer stelle sie sich als Obliegenheit dar, auf eine Eigenkündigung zu verzichten. Diese auch für den Arbeitgeber durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmten Anspruchsvoraussetzungen hingen so eng miteinander zusammen, dass es auf eine im Rahmen von § 306 BGB unzulässige neue Bestimmung des Vertragsinhalts hinauslaufen sollte, wollte man aus Ziff. 1 der vorstehend genannten Richtlinie das Wort „ungekündigt“ herausstreichen. Hiervon ausgehend konnte der Arbeitgeber durch die Richtlinien den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31.12. nicht als Anspruchsvoraussetzung festlegen. Dies gelte – so das BAG – umso mehr, als dem Arbeitnehmer mit einer solchen Klausel eine Vergütung vorenthalten werden solle, für die er die Gegenleistung vor dem Stichtag bereits (teilweise) erbracht habe7. Auch ein Stichtag innerhalb des Bezugsjahres erschwere – so das BAG – dem Arbeitnehmer die Ausübung des Kündigungsrechts, obwohl er seine Arbeitsleistung jedenfalls teilweise erbracht habe. Er erleide einen ungerechtfertigten Nachteil. Der Wert der Arbeitsleistung für den Arbeitgeber hänge von ihrer Qualität und vom Arbeitserfolg ab, regelmäßig jedoch nicht von der reinen Verweildauer des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Eine hiervon abweichende Regelung hält das BAG indes dann für denkbar, wenn die Arbeitsleistung gerade in einem bestimmten Zeitraum vor dem Stichtag besonderen Wert habe. Das könne bei Saisonbetrieben der Fall sein, 6 7
10 AZR 443/08, NZA 2009, 783 Rz. 11. BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 28 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
aber auch auf anderen branchen- oder betriebsbezogenen Besonderheiten beruhen. Möglich sei auch, dass eine Sonderzahlung an bis zu bestimmten Zeitpunkten eintretende Unternehmenserfolge geknüpft werde. In diesen Fällen sei eine zu bestimmten Stichtagen zu erfolgende Betrachtung oftmals zweckmäßig und insoweit auch unter Berücksichtigung von § 307 Abs. 1 BGB nicht zu beanstanden8 Soweit an allgemeinen Unternehmenskennzahlen angeknüpft wird (z. B. EBITDA) dürfte diese Voraussetzung aber nicht erfüllt sein. Unter Berücksichtigung der früheren Rechtsprechung zu § 75 BetrVG wird man die vorstehenden Schranken in Bezug auf Stichtagsregelungen auch dann zur Anwendung bringen müssen, wenn solche Zusagen in Betriebsvereinbarungen enthalten sind. Etwas anderes dürfte nur dann gelten, wenn vergleichbare Regelungen in einem Tarifvertrag enthalten sind. Denn der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG sowohl gegenüber den Betriebsparteien als auch gegenüber den einseitigen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers in allgemeinen Geschäftsbedingungen erweitert. Darauf weist das BAG ausdrücklich hin9. Dass der Arbeitgeber seine Richtlinien mit dem Vorbehalt einer Freiwilligkeit versehen hatte, stand dem Zahlungsanspruch des Klägers nicht entgegen. Denn dort war – insoweit auch widersprüchlich – von einer „freiwilligen, jederzeit widerruflichen Leistung“ die Rede. Solche Vorbehalte sind unwirksam. Gleiches gilt allerdings auch dann, wenn der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag den Hinweis aufgenommen hat, dass sämtliche Leistungen, die in der Zukunft gewährt würden, ohne bereits im Arbeitsvertrag ihre Rechtsgrundlage zu finden, freiwillig erfolgten und auch bei wiederholter Gewährung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründen könnten10. Auch ein solcher Vorbehalt verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB. Er bezieht unzulässiger Weise laufende Leistungen ein und verstößt sowohl gegen den in § 305 b BGB bestimmten Vorrang der Individualabrede als auch gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen eingehalten werden müssen11. (Ga)
8 9 10 11
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BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 31 f. BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 35. Vgl. Lakies, DB 2014, 659, 662. BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12, NZA 2014, 368 Rz. 39; BAG v. 16.1.2013 – 10 AZR 26/12, NZA 2013, 1013 Rz. 22; BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 36 ff.
Kostenlose Nutzung eines Betriebsparkplatzes als betriebliche Übung?
2.
Kostenlose Nutzung eines Betriebsparkplatzes als betriebliche Übung?
In vielen Unternehmen werden Mitarbeitern kostenlos Parkplätze zur Verfügung gestellt. Wenn dies über einen längeren Zeitraum hinweg ohne eine dieser Gewährung zugrunde liegenden Regelung erfolgt, stellt sich die Frage, ob hierdurch ein Anspruch auf weitere (kostenlose) Gewährung eines Betriebsparkplatzes durch betriebliche Übung entsteht. Konsequenz wäre, dass ein dahingehender Anspruch der Arbeitnehmer nur noch einvernehmlich oder im Wege einer Änderungskündigung beseitigt werden könnte. Weitere Konsequenz wäre, dass bei Umbauarbeiten und/oder einer räumlichen Verlagerung für den Arbeitgeber bzw. einen Rechtsnachfolger zur klären wäre, ob auch bei veränderten (räumlichen) Rahmenbedingungen ein kostenloser Betriebsparkplatz verfügbar gemacht werden muss. In seinem Urteil vom 13.1.201412 hat das LAG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf eine kostenlose Nutzung eines Betriebsparkplatzes kraft betrieblicher Übung abgelehnt. Im Ergebnis scheint dies richtig. Die Begründung überzeugt allerdings nicht. In dem zugrunde liegenden Fall war dem Kläger über 35 Jahre hinweg ein kostenfreier Parkplatz auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers, eines Klinikums, zur Verfügung gestellt worden. Im Zuge eines Klinikneubaus entschloss sich die Beklagte im Jahre 2011, die bisherige Parkfläche zu beseitigen und durch ein Parkhaus zu ersetzen. Im Anschluss an den Neubau verlangte sie – anders als früher – von Besuchern ein Entgelt in Höhe von 1,50 €/Stunde. Von den Mitarbeitern, zu denen auch der Kläger gehörte, verlangte sie 0,10 €/Stunde, 0,70 € pro Tag und 12,- € pro Monat. Obwohl diese Kostenregelung sicher Augenmaß besaß, konnte sich der Kläger nicht mit dem Umstand anfreunden, nunmehr für den Parkplatz bezahlen zu müssen. Mit seiner Klage machte er geltend, im Wege der betrieblichen Übung einen Anspruch zu haben, auch in Zukunft kostenfrei den Betriebsparkplatz nutzen zu dürfen. Berechtigterweise hat das LAG Baden-Württemberg deutlich gemacht, dass gerade in einem sonst vertraglich nicht geregelten Bereich durch die vorbehaltlose Gewährung von Leistungen durch den Arbeitgeber ein Anspruch auf betriebliche Übung begründet werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese nicht mit dem Vorbehalt der Freiwilligkeit bzw. des Widerrufs verknüpft werden. 12 1 Sa 17/13 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Aus Sicht des LAG Baden-Württemberg konnte eine betriebliche Übung im vorliegenden Fall allerdings schon deshalb nicht entstehen, weil der Kläger nicht habe davon ausgehen dürfen, die Beklagte werde ihm (und allen anderen Beschäftigten des Klinikums) auch künftig die kostenfreie Nutzung der klinikeigenen Parkplätze gestatten. Denn der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet, für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer Parkplätze bereit zu halten. Dies gelte umso mehr, als Parkplätze heutzutage ein „hohes Gut“ seien, für die in der Regel hohe Aufwendungen getätigt werden müssten. Darüber hinaus stehe einer betrieblichen Übung auch der Umstand entgegen, dass der Arbeitgeber sonst gehindert wäre, eine „Umwidmung“ dieses Firmengeländes vorzunehmen. Damit aber stünde die betriebliche Übung der Möglichkeit entgegen, das Firmengelände anderweitig zu nutzen. Keine dieser Überlegungen steht nach der hier vertretenen Auffassung einer betrieblichen Übung entgegen. Gerade weil Firmenparkplätze eine wirtschaftlich relevante Sachleistung darstellen, kann die vorbehaltlose Gewährung durch den Arbeitgeber zur Entstehung einer betrieblichen Übung führen. Dass dies den Arbeitgeber bei künftigen (räumlichen) Veränderungen einschränken kann, spielt bei der Anspruchsentstehung keine Rolle. Gerade weil dieser keine Verpflichtung hat, Parkplätze unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, begründet ein entsprechendes Verhalten über mehrere Kalenderjahre hinweg beim Arbeitnehmer das Vertrauen, auch zukünftig eine entsprechende Begünstigung zu erfahren. Konsequenz der Anerkennung einer betrieblichen Übung ist, dass ihre Beseitigung schlussendlich nur einvernehmlich oder im Wege einer Änderungskündigung erfolgen kann. Diese wird man allerdings durchaus betriebsbedingt als gerechtfertigt ansehen können, wenn als Folge von Umbauarbeiten die Zahl der Parkplätze begrenzt wird und/oder in Gänze entfällt. Wenn es aber nur darum geht, dass der mit dem Umbau verbundene Aufwand des Arbeitgebers durch eine Parkplatzvergütung jedenfalls zum Teil ausgeglichen werden soll, dürfte es schwierig sein, daraus auf eine betriebliche Rechtfertigung zu schließen. Denn hier würde man unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Änderungskündigung im Entgeltbereich kaum von der notwendigen Drucksituation auf Arbeitgeberseite ausgehen können. Denkbar erscheint indes auch, dass man hiervon abweichend bei der Beseitigung eines Anspruchs auf kostenlose Gewährung eines Firmenparkplatzes anderweitige Erleichterungen nutzbar machen kann. So erscheint es geboten, darin eine Nebenleistung zu sehen, die eine Änderungskündigung auch
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Feststellung vergütungsrelevanter Zielgrößen bei leistungsbezogener Vergütung
ohne das Gebot einer sozialen Rechtfertigung zulässt. Darauf hatte das BAG zuletzt im Urteil vom 20.6.201313 hingewiesen, auf das wir an anderer Stelle hingewiesen hatten14. Denkbar erscheint auch, die betriebliche Übung auf Gewährung eines kostenlosen Firmenparkplatzes als mit der Bedingung verknüpft zu sehen, dass dieser Parkplatz räumlich überhaupt (noch) verfügbar ist. Entfällt der Firmenparkplatz als Konsequenz von Umbauarbeiten oder als Folge einer Betriebsverlegung, hätte dies automatisch den Wegfall eines entsprechenden Anspruchs zur Folge. Allein der Betriebsrat könnte den Versuch unternehmen, im Rahmen eines Sozialplans Ausgleichsleistungen festzulegen. (Ga)
3.
Arbeitgeberseitige Feststellung vergütungsrelevanter Zielgrößen bei leistungsbezogener Vergütung
In der betrieblichen Praxis werden vielfach variable Vergütungsbestandteile vereinbart, die in Grund und Höhe davon abhängig sind, dass individuelle und unternehmensbezogene Ziele erreicht werden. Die zugrunde liegenden Regelungen werden gewöhnlich durch Betriebsvereinbarung oder auf individualrechtlicher Ebene vor oder spätestens zu Beginn des jeweiligen Bezugszeitraums getroffen. Wie das BAG mit Urteil vom 11.12.201315 deutlich gemacht hat, sind die Arbeitsvertragsparteien bei variablen Vergütungsbestandteilen mit Zielvereinbarungen nach Festlegung der Ziele und der weiteren Zahlungsvoraussetzungen an die entsprechende Vereinbarung gebunden. Eine einseitige (nachträgliche) Änderung durch den Arbeitgeber ist unzulässig. Dies gilt nicht nur für die Ziele, sondern auch für die Berechnung der hierfür maßgeblichen Faktoren. Werde – so das BAG – das zu erreichende Ziel nach einer bestimmten Methode festgelegt, müsse diese Methode auch nach Ablauf des Beurteilungszeitraums zur Ermittlung der Zielerreichung und damit der Höhe einer variablen Vergütung angewandt werden. Dem Arbeitnehmer müsse auf diese Weise im Rahmen des zumutbaren eine sichere Beurteilung möglich sein, unter welchen Voraussetzungen er einen Bonusanspruch erwirbt. Diese Grundsätze gelten nicht nur für einzelvertragliche Abreden. Sie sind auch dann zu berücksichtigen, wenn die Grundlage einer variablen Vergütung durch Betriebsvereinbarung gesetzt wird.
13 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409 Rz. 26. 14 Boewer, AktuellAR 2014, 146 ff. 15 10 AZR 364/13 n. v. (Rz. 21).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Ungeachtet dessen hält es der 10. Senat des BAG indes für zulässig, dass dem Arbeitgeber durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung bei der Berechnung der Unternehmensziele ein Spielraum eingeräumt werde, solange keine Veränderung der Ziele selbst erfolge und der Spielraum auch und gerade dazu diene, innerhalb des Geschäftsjahres aufgetretene Effekte, die bei der Zielsetzung noch nicht berücksichtigt werden konnten, zu neutralisieren16. Daran anknüpfend kann dem Arbeitgeber auch erlaubt werden, bei der Ermittlung einer vergütungsrelevanten Kennziffer die Methode, die insofern maßgeblich sein soll, einseitig festzulegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn hierfür mehrere, betriebswirtschaftlich gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen17. Denn in diesem Fall hatte die Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber auf der Grundlage der im Übrigen getroffenen Regelungen nach billigem Ermessen zu erfolgen. Die inhaltliche Kontrolle erfolgt sodann auf der Grundlage von § 315 BGB durch das Gericht18. In dem zugrunde liegenden Fall besaß der Kläger nach seinem Arbeitsvertrag einen Anspruch auf ein monatliches Gehalt nebst einem variablen Bonus gemäß den jeweils gültigen Regelungen. Dabei handelte es sich um die „Ablösende Gesamtbetriebsvereinbarung … zur Vereinbarung und Bewertung von Zielen“, nach der an Unternehmenszielen und individuellen Zielen angeknüpft wurde. Am 9.3.2009 wurden in einem Einigungsstellenverfahren durch einstimmigen Spruch die Unternehmensziele für das Geschäftsjahr 2008/2009 festgelegt. Grundlage der Verhandlungen in der Einigungsstelle war die Budgetplanung der Beklagten. Eines der sechs maßgeblichen Unternehmensziele war insoweit das sog. EBITDA. Um 100 % des Bonus zu erhalten, musste dieses einen Wert von 85,3 Millionen € erreichen. Nach ähnlichem Muster war die Festlegung der Ziele für das vorhergegangene Geschäftsjahr 2007/2008 erfolgt. Im Anschluss an das Geschäftsjahr 2008/2009 ermittelte die Beklagte das EBITDA. Anknüpfend an die Vorgehensweise der Vergangenheit waren dabei versicherungsmathematische Gewinne und Verluste sofort erfolgswirksam in voller Höhe in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst worden.
16 BAG v. 11.12.2013 - 10 AZR 364/13 n. v. (Rz. 21). 17 BAG v. 11.12.2013 - 10 AZR 364/13 n. v. (Rz. 21 ff, 27). 18 BAG v. 11.12.2013 - 10 AZR 364/13 n. v. (Rz. 27); BAG v. 12.10.2011 - 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 Rz. 25; BGH v. 9.5.1994 - II ZR 128/93, DB 1994, 1351 Rz. 11.
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Feststellung vergütungsrelevanter Zielgrößen bei leistungsbezogener Vergütung
Damit blieben hiervon abweichende Berechnungsmethoden, die betriebswirtschaftlich ebenfalls zulässig gewesen wären, unberücksichtigt. Nachdem das für das Geschäftsjahr 2008/2009 ermittelte EBITDA in Höhe von 86,7 Millionen € an die Konzernmutter gemeldet worden war, wies diese die Beklagte an, eine hiervon abweichende Berechnungsmethode anzuwenden. Diese abweichende Methode führte zu einer erheblichen Minderung des EBITDA mit der Folge, dass kein Bonusanspruch mehr erworben wurde. Der Kläger war mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden. Er machte geltend, dass die ursprüngliche Berechnungsweise der Beklagten zutreffend gewesen sei, so dass ihm mit Blick auf die Unternehmensziele eine höhere Bonuszahlung zustehe. In Übereinstimmung mit der ursprünglichen Berechnungsweise habe die Beklagte das EBITDA wie in den Vorjahren ermitteln müssen. Ein Wechsel der Berechnungsmethode sei unzulässig. Im Ergebnis hat das BAG der Klage stattgegeben. Zwar sei es – so der 10. Senat – zulässig, dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung oder Spruch der Einigungsstelle die Bestimmung einer vergütungsrelevanten Kennziffer zu überlassen, wenn mehrere betriebswirtschaftlich gleichwertige Methoden zur Verfügung stünden. Aber auch in diesen Fällen habe der Arbeitgeber die damit verbundene Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen vorzunehmen. Ob dies der Fall sei, unterliege der vollen gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB). Hiervon ausgehend habe die Beklagte diesen Grundsatz nicht gewahrt. Eine Leistungsbestimmung, die sich ausschließlich an konzerninternen Vorgaben orientiere, ohne andere erhebliche Faktoren zu berücksichtigen, entspreche nicht billigem Ermessen. Sie habe deshalb durch Urteil zu erfolgen. Aus Sicht des 10. Senats des BAG gab es zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens auch eine bestimmte Berechnungsmethode habe festgelegt werden sollen. Die Beklagte habe aber gleichwohl zu berücksichtigen gehabt, dass bei der Ermittlung des EBITDA in den Vorjahren eine sofortige erfolgswirksame Erfassung zur Anwendung gekommen sei. Dies war auch der Einigungsstelle bekannt. Wenn der Arbeitgeber insofern von dieser Form der Berechnung des EBITDA habe abweichen wollen, sei es erforderlich gewesen, hierfür sachliche Gründe zu benennen, die nicht allein auf einer Weisung der Konzernmutter bestünden. Schließlich habe nach einer entsprechenden Vorgehensweise in den Vorjahren eine „berechtigte Erwartung der Arbeitnehmer“ bestanden, dass dies auch weiterhin so erfolge. Dies habe auch unter Berücksichtigung eines ge-
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
wünschten Übergangs zumindest in Bezug auf einzelne Berechnungsposten berücksichtigt werden müssen. Dem ist zuzustimmen. (Ga)
4.
Ausschlussfrist bei der Geltendmachung von Urlaubsabgeltung
Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber den Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Nach der früheren Rechtsprechung des BAG19 ließen tarifvertragliche Ausschlussfristen den Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs unberührt. Begründungsansatz bildete dabei die Erwägung, dass der Abgeltungsanspruch als Surrogat für den unantastbaren Urlaubsanspruch nach § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien steht und die gesetzliche Unabdingbarkeit nach § 13 Abs. 1 BUrlG auch den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch erfasst. Damit unterlag der Urlaubsabgeltungsanspruch dem eigenständigen Fristenregime des BUrlG. Mit der Aufgabe der Surrogatstheorie20 veranlasst durch das Urteil des EuGH vom 20.1.200921 zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung22 (Arbeitszeitrichtlinie) sieht das BAG den Urlaubsabgeltungsanspruch nur noch als einen reinen Geldanspruch an, der mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses entsteht. Aus diesem Bewertungswandel ergeben sich verschiedene Rechtskonsequenzen: Der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch bleibt in seinem Bestand unberührt, auch wenn eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers über das Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des Folgejahres oder darüber hinaus andauert23. Der gesetzliche Mindesturlaub ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von der Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs in einem gedachten fortbestehenden Arbeitsverhältnis nach § 7 Abs. 4 BUrlG i. S. v. Art. 7 Abs. 2 der
19 Zuletzt BAG v. 20.1.2009 - 9 AZR 650/07 n. v. Rz. 21; BAG v. 20.5.2008 - 9 AZR 219/07, NZA 2008, 1237 Rz. 49 ff. 20 Vgl. grundsätzlich BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 62; BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011 Rz. 14 ff.; BAG v. 23.3.2010 - 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 Rz. 42. 21 C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 - Schultz-Hoff ; näher dazu auch Gaul/Bonanni/Ludwig, DB 2009, 1013, 1016. 22 ABl. EU L 299 v. 18.11.2003, 9. 23 BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011, Rz. 21.
90
Ausschlussfrist bei der Geltendmachung von Urlaubsabgeltung
Arbeitszeitrichtlinie als finanzielle Vergütung abzugelten24. Bei der Rechtsqualität als reiner Zahlungsanspruch, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet, unterfällt er den Bedingungen, die nach einem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind, wozu auch tarifliche Ausschlussfristen gehören25. Da nach der Rechtsprechung des EuGH26 Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gewisse Modalitäten bis hin zum Verlust des Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums zu beachten sind, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben, sind auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch bezogene tarifliche Ausschlussfristen unionsrechtlich unbedenklich27. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs wird damit nicht beseitigt, sondern nur seine Geltendmachung zeitlich durch die tarifliche Ausschlussfrist begrenzt. In der Entscheidung vom 10.12.2013 war der 9. Senat des BAG28 erneut mit der Frage befasst, ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers von einer einschlägigen Ausschlussfrist erfasst wird. Der Fall betraf einen schwerbehinderten Schlosser in einem Betrieb der Metallindustrie, der nach über vierzigjähriger Betriebszugehörigkeit am 31.8.2008 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war. In den Jahren 2007 bis zu seinem Ausscheiden war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger machte erstmalig mit einer am 18.3.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 23.3.2009 zugestellten Klage Urlaubsabgeltungsansprüche in Höhe von 4.363,- € brutto für in dieser Zeit nicht gewährten gesetzlichen Mindest- und Zusatzurlaub nach dem SGB IX gelten. Während das LAG Hamm29 der Klage entsprochen hatte, ist sie beim BAG erfolglos geblieben. Der Arbeitgeber hatte sich auf die Ausschlussfrist des MTV – Metall- und Elektroindustrie NW berufen, wonach
24 BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 50; BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011 Rz. 21. 25 Grundsätzlich BAG v. 9.8.2011 - 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 16 f. 26 EuGH v. 20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 Rz. 31 - Schultz-Hoff; BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 48. 27 BAG v. 9.8.2011 - 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 13. 28 9 AZR 494/11, ZTR 2014, 238. 29 LAG Hamm v. 22.3.2012 - 16 Sa 1176/09, NZA-RR 2012, 406.
91
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Ansprüche auf Zuschläge innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung und alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend gemacht werden müssen und bei Versäumung der Frist ausgeschlossen sind, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten.
Das BAG geht zunächst davon aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers prinzipiell von der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren und einschlägigen tariflichen Ausschlussfrist erfasst wird. Dies entspricht dem zweifelsfreien Wortlaut der Ausschlussfrist, die sich neben der gesondert geregelten Ausschlussfrist für Zuschläge auf alle sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bezieht. In Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung30 hält das BAG daran fest, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch wie alle übrigen Zahlungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien in den Anwendungsbereich der tariflichen Ausschlussfrist fällt. Dies gilt gleichermaßen für die Abgeltung des Zusatzurlaubs aus § 125 SGB IX. Die Ausschlussfristenregelung konfligiert nach Ansicht des BAG bezüglich der Abgeltung von Urlaub nicht mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verlangt keineswegs wie im Falle des Untergangs des Naturalurlaubsanspruchs, dass eine Ausschlussfrist auch für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigen muss31. Bereits bei früherer Gelegenheit hat der 9. Senat des BAG32 entschieden, dass der vom EuGH aufgestellte Rechtssatz, wonach die Dauer des Übertragungszeitraums, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen kann, die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigen muss, nicht auf die Mindestlänge einer tariflichen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung übertragbar ist. Das BAG bestätigt auch erneut33, dass eine dreimonatige Ausschlussfrist den unionsrechtlichen Anforderungen an die Gleichwertig-
30 BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 62; BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011 Rz. 14 ff.; BAG v. 23.3.2010 - 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 Rz. 42. 31 EuGH v. 22.11.2011 - C-214/10, NZA 2011, 1333 Rz. 38 - KHS; BAG v. 18.9.2012 - 9 AZR 1/11, NZA 2013, 216 Rz. 27. 32 BAG v. 13.12.2011 - 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514 Rz. 31. 33 So bereits BAG v. 13.12.2011 - 9 AZR 399/10, NZA 2012, 514 Rz. 26.
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Ausschlussfrist bei der Geltendmachung von Urlaubsabgeltung
keit und Effektivität der Regelung genügt34, wobei gleichgültig ist, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt oder arbeitsfähig ist35. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers war mit Ablauf des 31.8.2008 entstanden und fällig geworden, so dass die Ausschlussfrist von drei Monaten am 1.9.2008 zu laufen begann und am 1.12.2008 endete. Der Kläger war auch nicht gehindert, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen, weil die tarifliche Ausschlussfrist keine besonderen Formerfordernisse aufstellt, so dass auch eine mündliche wie telefonische Geltendmachung ausgereicht hätte. Der Kläger hatte auch keine Umstände vorgetragen, denen hätte entnommen werden können, dass ihm die Unterrichtung der Beklagten, etwa mittels eines Telefonanrufs, nicht möglich oder nicht zumutbar war. Schließlich lässt das BAG auch nicht den Hinweis des Klägers gelten, dass die Rechtsprechung zur sog. Surrogatstheorie, der zufolge der Urlaubsanspruch eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers am Ende des ersten auf das Urlaubsjahr folgenden Quartals verfalle, erst im Jahre 2009 aufgegeben worden ist, weil spätestens nach Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2.8.200636 sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht mehr von der unveränderten Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des BAG ausgehen durften. Diese Entscheidung des BAG zur Anwendung von Ausschlussfristen auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch bewegt sich auf der bisherigen Linie der Rechtsprechung des 9. Senats des BAG. Mit der Kontinuität der Aussagen ist für die betriebliche Praxis die notwendige Verlässlichkeit gegeben, sich auch problemlos bei Urlaubsabgeltungsansprüchen auf den Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist und damit auf den Untergang des Zahlungsanspruchs berufen zu können. (Boe)
34 EuGH v. 8.7.2010 - C-246/09, EzA AGG § 15 Nr. 8 Rz. 21 - Bulicke. 35 BAG v. 19.6.2012 - 9 AZR 652/10, NZA 2012, 1087 Rz. 16. 36 12 Sa 486/06, NZA-RR 2009, 242.
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E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Unwirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit als Folge einer Diskriminierung wegen Behinderung
a)
Ausgangssituation
In der betrieblichen Praxis bereitet es immer wieder Probleme festzustellen, wann die Behinderung eines Arbeitnehmers gegeben ist. Diese Kennzeichnung hat nicht nur deshalb Bedeutung, weil daran anknüpfend besondere Handlungspflichten bei der Begründung, Abwicklung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses geknüpft sind. Wenn Maßnahmen des Arbeitgebers an einen Zustand anknüpfen, der als Behinderung qualifiziert werden muss, kann darin auch eine Diskriminierung wegen einer Behinderung liegen, die die Unwirksamkeit entsprechender Maßnahmen (§§ 1, 7 AGG, 134 BGB) sowie Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche (§ 15 AGG) zur Folge hat. Bereits im Herbst hatten wir auf die Entscheidung des EuGH vom 11.4.20131 hingewiesen2, nach der die Bestimmungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind. Wie das BAG mit Urteil vom 19.12.20133 deutlich gemacht hat, sind der darin enthaltene Begriff der Behinderung (Art. 1 UN-BRK) und weitergehende Handlungspflichten deshalb zugleich auch Bestandteil des – ggf. unionsrechtskonform auszulegenden – deutschen Rechts. Diese Begriffsbestimmung und die daran geknüpften Verpflichtungen müssen allerdings nicht nur bei der Auslegung und Anwendung des AGG berücksichtigt werden. Da das deutsche Recht insoweit von einem weiteren Behindertenbegriff ausgeht, ist der Rechtsanwender in Deutschland gehalten, Handlungspflichten auf der Grundlage der beiden (verschiedenen) Behindertenbegriffe festzustellen. Dabei ist – so das BAG - der Behindertenbegriff des AGG maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen aber ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zulegen, wie er durch die Richtlinie 2000/78/EG unter Berücksichtigung der UN-BRK gekennzeichnet wird. 1 2 3
C-335/11, NZA 2013, 553 ff. - Ring. Boewer, AktuellAR 2013, 403 ff. 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 53.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Im Ergebnis hat diese weite Kennzeichnung des Begriffs der Behinderung zur Folge, dass eine Einschränkung in Bezug auf die gesellschaftliche Teilhabe, zu der auch die Einbindung in das Arbeitsleben gehört, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Eigenschaften oder die Reaktion der Gesellschaft bzw. seines Arbeitsumfelds auf solche Eigenschaften erfährt, als Behinderung zu qualifizieren sein kann. Daraus können umfassende Handlungspflichten des Arbeitgebers entstehen, deren Nichtbeachtung eine Diskriminierung wegen Behinderung sein und auch bei Arbeitsverhältnissen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 1 KSchG die Unwirksamkeit einer Kündigung durch den Arbeitgeber zur Folge haben kann.
b)
Sachverhalt der Entscheidung vom 19.12.2013
In dem der Entscheidung des BAG vom 19.12.20134 zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte, ein Pharmaunternehmen, den Kläger am 1.12.2010 als chemisch-technischen Assistenten eingestellt. Sie produzierte Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Kläger sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 8.12.2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert. Die Krankheit verlaufe symptomfrei, er habe indes einen GdB von 10. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse erklärte der Betriebsarzt in dem für eine Tätigkeit im Reinraum auszufüllenden Formular am 14.12.2010 Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers in diesem Bereich. Das Formular ist Teil der „Standard Operation Procedure (SOP)“ der Beklagten, die der Umsetzung des sog. EG-GMP Leitfadens (Leitfaden der Guten Herstellungspraxis) dient. U. a. heißt es dort: Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.
Nachdem der Kläger den Betriebsarzt von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden hatte, teilte dieser der Beklagten mit, dass der Kläger HIVinfiziert sei. Da die Beklagte keine Möglichkeiten zu einer Beschäftigung des Klägers außerhalb des Reinraumbereichs sah, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4.1.2011 zum 24.1.2011.
4
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6 AZR 190/12, NZA 2014, 372.
Unwirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit als Folge einer Diskriminierung
Der Kläger machte daraufhin geltend, in dieser Kündigung läge eine Diskriminierung wegen Behinderung. Sie sei deshalb unwirksam. Außerdem stehe ihm eine Entschädigung zu. Dass die Beklagte sich auf ihre SOP berufe, rechtfertige diese Maßnahme nicht. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten geltend gemachten Rufschädigung, die für den Fall einer Verunreinigung der Arzneimittel drohe. Denn unter Berücksichtigung des konkreten Herstellungsprozesses und der konkreten Tätigkeit sei es auch bei etwaigen Schnitt- oder Nadelstichverletzungen ausgeschlossen, dass das HI-Virus auf die von der Beklagten hergestellten Medikamente übertragen werden könnte.
c)
Bedeutung des AGG für Kündigungen
§ 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Welche Bedeutung diese Feststellung hat, ist umstritten. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass jedenfalls bei solchen Kündigungen, deren Wirksamkeit an §§ 1, 2 KSchG zu messen seien, die Diskriminierungsverbote des AGG lediglich mittelbar bei der Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 1 KSchG zu beachten seien5. In Bezug auf Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG hatte sich das BAG bislang nicht festgelegt. In der Literatur war wohl überwiegend angenommen worden, dass die durch die Richtlinie 2000/78/EG begründeten Verpflichtungen bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln einschließlich der prozessualen Regelungen zur Beweislastverteilung berücksichtigt werden müssten6. Ein anderer Teil der Literatur hatte hingegen eine unmittelbare Anwendbarkeit des AGG angenommen. Zum Teil war dies damit begründet worden, dass der in § 2 Abs. 4 AGG liegende Verstoß gegen das Unionsrecht die fehlende Anwendbarkeit in dieser Vorschrift zur Folge habe7. Zum Teil war angenommen worden, dass § 2 Abs. 4 AGG ohnehin keine Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb erfasse8.
5 6 7 8
So BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208 Rz. 36; BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361 Rz. 34 ff. Vgl. KR/Treber, AGG § 2 Rz. 17; APS/Preis, Grundlagen J Rz. 71 f., 71 g.; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG § 2 Rz. 62. So Däubler/Berzbach/Däubler, AGG § 2 Rz. 256 ff., 263. So KBZ/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht AGG Rz. 63; HaKo/Meyer, KSchG § 1 Rz. 147 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Im Urteil vom 19.12.20139 hat sich das BAG der letztgenannten Auffassung angeschlossen10. § 2 Abs. 4 AGG regele für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen AGG und KSchG sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln würden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des AGG gehe insoweit diesen Klauseln vor und verdränge sie. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben seien deshalb unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen. Allerdings regele das AGG nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung habe. Diese Rechtsfolge ergebe sich erst aus §134 BGB. Trotz dieser grundsätzlichen Feststellungen muss in der praktischen Anwendung allerdings eine Wechselbeziehung zwischen dem AGG und den für die Wirksamkeit von Kündigungen maßgeblichen Vorschriften beachtet werden. So bleibt es beispielsweise auch bei Kündigungen in der Wartezeit bei der in § 4 KSchG vorgesehenen Drei-Wochen-Frist für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Ungeachtet dessen findet das AGG indes nicht nur in Bezug auf die Frage der Wirksamkeit einer Kündigung Anwendung. Vielmehr kann bei einer Diskriminierung auch Schadensersatz oder Entschädigung nach § 15 AGG geltend gemacht werden. Wie das BAG zu Recht deutlich macht, besteht diese Möglichkeit von Schadensersatz und Entschädigungsansprüchen allerdings auch bei solchen Kündigungen, die im Anwendungsbereich von § 1 KSchG ausgesprochen werden11. Folgerichtig hat das BAG mit Urteil vom 12.12.201312 auch einer schwangeren Arbeitnehmerin, die unter Verstoß gegen das MuSchG gekündigt wurde, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt. Hinsichtlich der Beweiserleichterung aus § 22 AGG ist von einer unmittelbaren Anwendbarkeit bei Kündigungen innerhalb der Wartezeit bzw. im Kleinbetrieb auszugehen13. Bei sonstigen Kündigungen müssen die allgemeinen Regelungen zur Beweislast europarechtskonform unter Berücksichtigung der entsprechenden Vorgabe in Art. 10 Richtlinie 2000/78/EG ausgelegt werden.
9 10 11 12 13
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6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 22 ff. 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 22. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 36 ff. 8 AZR 838/12 n. v. BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 41.
Unwirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit als Folge einer Diskriminierung
d)
Vorliegen einer Behinderung
Im Mittelpunkt der Entscheidung des BAG vom 19.12.201314 stand natürlich die Frage, ob der Kläger als Folge seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert gewesen ist. Denn wenn dies der Fall wäre, würde – so das BAG – die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung darstellen. Eine solche Ungleichbehandlung sei gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden werde, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund (Behinderung) stehe und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals treffe. Im Ergebnis hat der 6. Senat des BAG vorliegend eine Behinderung angenommen. Da der Kläger wegen der symptomlosen HIV-Infektion gekündigt wurde, lag auch eine Benachteiligung wegen der Behinderung vor. Diese war auch als unzulässige Diskriminierung zu qualifizieren, wenn – was allerdings nach Zurückweisung der Sache noch durch das LAG BerlinBrandenburg festzustellen ist – der Arbeitgeber unter Berücksichtigung angemessener Vorkehrungen i. S. d. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG i. V. m. Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i), Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK in der Lage gewesen wäre, den Kläger trotz seiner Erkrankung zu beschäftigen. Denn nur wenn der Arbeitgeber nicht im Stande sei, dass infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen, sei eine Kündigung wirksam15. Nach den Feststellungen des BAG liegt eine Behinderung i. S. d. § 1 AGG unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) – seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es dabei nicht an16. Dabei entspricht der Begriff der Behinderung i. S. d. § 1 AGG – so das BAG - nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Defi14 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 42 ff. 15 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 54. 16 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 57; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667 Rz. 32.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
nitionen in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX und § 3 BGG. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei diesem bio-psychosozialen Behindertenbegriff werde Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liege vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirke. Ob eine Beeinträchtigung relevant sei, ergebe sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individuellen Gesundheitsstörungen. Eine Gesundheitsstörung könne insoweit auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt werde. Behinderung sei nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis. Eine Behinderung in diesem Sinne könne demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen17. Von diesem Begriffsverständnis weicht Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK ab, wie der EuGH zuletzt im Urteil vom 11.4.201318 deutlich gemacht hat. Danach werden als Behinderung solche Einschränkungen erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe im Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Dies schließe – so das BAG – einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht werde, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringe. Andernfalls falle eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit seien nach wie vor nicht (einfach) gleichzusetzen. Damit liegt auf der Ebene der UN-BRK einerseits und des AGG andererseits eine unterschiedliche Kennzeichnung des Begriffs der Behinderung vor. Während die Richtlinie 2000/78/EG nur Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben erfasse, stellen die Behindertenbegriffe des AGG und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe ab. Darüber hinaus genügen für eine Behinderung i. S. d. § 1 AGG Abweichungen, die mit hoher 17 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 58. 18 C-335/11, NZA 2013, 553 Rz. 41 f., 47, 75 – Ring.
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Unwirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit als Folge einer Diskriminierung
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, während die UNBRK eine „langfristige“ Einschränkung verlangt. Damit ist der nationale Behindertenbegriff zu Lasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung qualifiziert. Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann. Für den Arbeitnehmer hat dies zur Folge, dass er ein „Best-off“ geltend machen kann. Der Behindertenbegriff des AGG ist – so das BAG – maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen aber ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zulegen19. Ohne Rücksicht auf die Frage, auf welche dieser unterschiedlichen Begriffsbestimmungen im konkret zu entscheidenden Fall abgestellt würde, war von einer Behinderung auszugehen. Der Kläger war – so das BAG – aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung, die langfristiger Natur war, jedenfalls aber für die Dauer von mehr als sechs Monaten andauerte, wirkte sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben und in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er war deshalb – so das BAG – behindert i. S. d. § 1 AGG. Das gelte so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauerten20. In dem hier in Rede stehenden Verfahren wurde diese Stigmatisierung im Übrigen auch dadurch belegt, dass er über seinen Beistand mitgeteilt hatte, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren.
e)
Handlungspflichten des Arbeitgebers bei Vorliegen einer Behinderung von Arbeitnehmern
Mit überzeugender Begründung hat es das BAG abgelehnt, in den Vorgaben zur Standard Operation Procedure (SOP) eine Rechtfertigung des Arbeitgebers zu sehen und per se eine Beschäftigung des Klägers im Reinraum abzulehnen. Vielmehr bleibe die durch Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 2
19 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 62 f. 20 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 70.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Unterabs. 4 UN-BRK begründete Verpflichtung bestehen, in den Grenzen der Zumutbarkeit durch angemessene Maßnahmen den Arbeitsplatz so anzupassen, dass trotz der Behinderung eine Beschäftigung möglich ist. Soweit ein schwerbehinderter Mensch bzw. ein Arbeitnehmer mit einer Gleichstellung gegeben ist, folgt dies bereits aus § 81 Abs. 4 SGB IX. Im Übrigen aber schlussfolgert das BAG eine solche Verpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB21. Im Rahmen der tatrichterlichen Verhandlung wird deshalb von Seiten der Beklagten substantiierter Vortrag zu der Frage zu erfolgen haben, ob angemessene Vorkehrungen hinsichtlich des Einsatzes des Klägers im Reinraum möglich sind. Im bisherigen Vortrag hatte der Arbeitgeber ausschließlich auf das Risiko abgestellt, Patienten, denen von ihm produzierte Medikamente injiziert würden, könnten sich mit HI-Viren infizieren. Aus dem bisherigen Vortrag hatte sich jedoch nicht ergeben, welche Maßnahmen arbeitgeberseitig getroffen würden, wenn es zu den von ihm angesprochenen Schnitt- oder Stichverletzungen komme. Da eine aseptische Herstellung in diesen Fällen aber unabhängig von der Frage ausgeschlossen erschiene, ob der Arbeitnehmer an einer ansteckenden Krankheit leide, muss von Seiten der Beklagten deutlicher gemacht werden, worin der Unterschied zwischen entsprechenden Verletzungen eines „normalen“ Arbeitnehmers und eines Arbeitnehmers mit einer HIV-Infektion liegt. Hierzu gehört beispielsweise auch eine entsprechende Darlegung, welches Risiko überhaupt gegeben sei, wenn es zu den von der Beklagten genannten blutenden Verletzungen komme und ob und ggf. wie dieses Risiko – etwa durch das Tragen von Spezialhandschuhen - ausgeschlossen werden könne. Unter Berücksichtigung dieses ergänzenden Sachvortrags wird das LAG Berlin-Brandenburg zu prüfen haben, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen, d. h. durch wirksame und praktikable, sie nicht unverhältnismäßig belastende Maßnahmen, den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Nur wenn dies nicht der Fall war, ist die Kündigung wirksam. Sollte es bei der insoweit zu treffenden Abwägung auch auf die Zumutbarkeit der Kosten der von Beklagten zu veranlassenden Maßnahmen ankommen, sind nach Auffassung des BAG neben der Finanzkraft der Beklagten und der Frage, ob sie öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen können, auch der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger erst kurz bei der Beklagten beschäftigt war und diese für seine Behinderung nicht verantwortlich ist. Das AGG verlange nicht, dass – so das BAG – die
21 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 54, 77.
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Betriebsratsanhörung bei Kündigung in der Wartezeit
Einstellung und Beschäftigung eines Behinderten für den Arbeitgeber zum „Zuschussgeschäft“ werde. Dies gelte insbesondere in der Wartezeit22.
f)
Fazit
Als Konsequenz dieser Entscheidung muss sich die betriebliche Praxis nicht nur auf ein sehr weites Verständnis des Begriffs der Behinderung einstellen. Wenn auf dieser Grundlage Behinderungen von Arbeitnehmern gegeben sind, muss arbeitgeberseits entsprechend § 81 Abs. 4 SGB IX ohne Rücksicht auf den GdB geprüft werden, ob durch Maßnahmen insbesondere in Bezug auf die Arbeitsplatz-, Arbeitsorganisations- und Arbeitszeitgestaltung sowie unter Berücksichtigung des Einsatzes technischer Hilfsmittel doch noch eine vertragsgemäße Beschäftigung erfolgen kann. Ist dies nicht möglich, müssen entsprechende Überlegungen in Bezug auf einen anderen (behindertengerechten) Arbeitsplatz angestellt werden. Fehlt es daran, bestehen Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche. Darüber hinaus sind Maßnahmen, die auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sind, unwirksam. (Ga)
2.
Betriebsratsanhörung bei Kündigung in der Wartezeit
Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören. Dabei hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Erfolgt keine Anhörung oder werden die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung nicht beachtet, ist die Kündigung unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn eine Kündigung durch den Arbeitgeber noch vor Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erklärt wird. Vielfach besteht in der betrieblichen Praxis Unsicherheit darüber, was dem Betriebsrat bei einer solchen Kündigung außerhalb der Anwendbarkeit von § 1 KSchG mitgeteilt werden muss. Materiell-rechtlich bedarf die Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung. Vielmehr ist ihre Wirksamkeit nur an den zivilrechtlichen Generalklauseln, dem Diskriminierungsverbot aus §§ 1, 2, 7 Abs. 1 AGG und spezialgesetzlichen Vorschriften (z. B. § 9 MuSchG, § 18 BEEG) zu messen. Angesichts der Zunahme von Rechtsschutzversicherungen werden allerdings immer häufiger Kündigungsschutzklagen mit der Begründung eingeleitet, dass der Arbeitgeber vor der Kündigung den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört habe. Klägerseitig wird dies dann
22 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372 Rz. 87 ff., 90.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
typischerweise damit begründet, dass dem Betriebsrat die Gründe der Kündigung nicht vollständig mitgeteilt worden seien. Mit seinem Urteil vom 12.9.201323 hat der 6. Senat des BAG in überzeugender Weise klargestellt, welche Anforderungen an die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG bei einer Kündigung in der Wartezeit gestellt werden. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass die Substantiierungspflicht des Arbeitgebers nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen sei, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleite. Dies folge aus dem Grundsatz der subjektiven Determination. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war die Klägerin für den Hol- und Bringdienst eines Krankenhauses eingestellt worden. Noch vor Ablauf der Wartezeit hatte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt, dass er beabsichtige, dem Kläger ordentlich, fristgerecht und unter Einhaltung der Kündigungsfrist von 14 Tagen zu kündigen. Weiter hieß es in dem Anhörungsschreiben auszugsweise wie folgt: Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung. Es wurde zudem eine sechsmonatige Probezeit vereinbart. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist nicht in unserem Interesse. …
Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung, weil ihm kein Kündigungsgrund genannt worden sei. Er könne nicht nachvollziehen, ob es sich um eine betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Kündigung handele und ob soziale Aspekte hinreichend berücksichtigt worden seien. Auch die Klägerin nahm eine nicht ausreichende Anhörung des Betriebsrats an und erhob deshalb fristgerecht Klage gegen die Kündigung. Das BAG hat die Kläger abgewiesen und die Auffassung des Arbeitgebers bestätigt, nach der eine ordnungsgemäße Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG erfolgt war. Zwar sei der Arbeitgeber verpflichtet, seine Entscheidung zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebsrat unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass dieser ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen könne. Allerdings sei hinsichtlich der Anforderungen, die an die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei Wartezeitkündigungen zu stellen seien, zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt würden, und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruh23 6 AZR 121/12, NZA 2014, 1412 Rz. 20.
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Betriebsratsanhörung bei Kündigung in der Wartezeit
ten und sich in vielen Fällen durch Tatsachen nicht näher belegen ließen, zu differenzieren. In der ersten Konstellation (Kündigungsgründe: objektive Tatsachen) genüge die Anhörung den Anforderungen des § 102 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrunde liegenden Tatsachen bzw. Ausgangsgrundlagen mitgeteilt würden. Hierzu gehört dann auch ein etwaiges Fehlverhalten, falls der Arbeitgeber darauf seine Entscheidung stützt, das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Wartezeit zu beenden. In der zweiten Konstellation (Kündigungsgrund: personenbezogene Werturteile) reicht nach Auffassung des BAG allein die Mitteilung des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. In diesen Fällen sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sein Werturteil gegenüber der Arbeitnehmervertretung zu substantiieren oder zu begründen24. Es genügten Mitteilungen, die Arbeitnehmerin habe sich „während der Probezeit nicht bewährt“ und sei „nicht geeignet, die ihr übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen“25, „nach unserer allgemeinen, subjektiven Einschätzung genügt die Arbeitnehmerin unseren Anforderungen nicht“26 oder der Arbeitnehmer habe die „in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt“27. Ebenso reiche es, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat sein Gefühl mitteile, „der Arbeitnehmer ist ungeeignet“, „der Arbeitnehmer erbringt keine ausreichende Leistung“ oder „der Arbeitnehmer hat die Probezeit nicht bestanden“, das dann als Werturteil den Kündigungsgrund bilde28. Ganz wichtig für die betriebliche Praxis ist der Umstand, dass das BAG von einer Kündigung auf der Grundlage eines subjektiven Werturteils auch dann ausgeht, wenn dieser Bewertung des Arbeitgebers nach Zeit, Ort und Umständen konkretisierbare Tatsachenelemente zugrunde liegen. Es genüge für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber allein das Werturteil selbst als das Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteile. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat über diesen Tatsachenkern bzw. die Ansatzpunkte seines subjektiven Werturteils informiere29. Mit diesen Anforderungen an die Gründe einer Kündigung während der Wartezeit trägt das BAG dem Umstand Rechnung, dass die Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG bedarf. In der gesetzlichen
24 25 26 27 28 29
BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 22. So bereits BAG v. 22.4.2010 – 6 AZR 828/08, ZTR 2010, 430 Rz. 26 f. So bereits BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 234/98, NZA 1999, 477 Rz. 2. So bereits BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, NZA 1995, 24 Rz. 2. BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 29. BAG v. 12.9.2013 - 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 23.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Wartezeit unterliege die Bildung der Meinung des Arbeitgebers, ob ein Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspreche, von Missbrauchsfällen abgesehen, keiner Überprüfung nach objektiven Maßstäben. Insoweit sei die kündigungsrechtliche Ausgangssituation vergleichbar mit der freien unternehmerischen Entscheidung, die einer betriebsbedingten Kündigung zugrunde liege. Nur diesen Anforderungen muss deshalb auch die Anhörung nach § 102 BetrVG Rechnung tragen. Der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz dürfe durch die Betriebsratsanhörung nicht vorverlagert werden30. Dass Werturteile in aller Regel nicht aus dem bzw. im luftleeren Raum getroffen würden, rechtfertigt für den 6. Senat des BAG im Urteil vom 12.9.201331 keine andere Bewertung. Sie beruhten vielfach auf einer Vielzahl kleinerer Beobachtungen, Vorfällen oder Verhaltensweisen und damit auf mehr oder minder fundierten, objektiven Tatsachen, die der Arbeitgeber oft nicht abschließend reflektieren könne und wolle und die oft auch nicht objektivierbar seien. Entschließe sich der Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis nicht über die Wartezeit hinaus fortzusetzen, ohne dies auf objektivierbare Faktoren stützen zu können oder zu wollen, mache dies die Kündigung allein noch nicht willkürlich. Gerade eine solche Kündigung sei Teil der in der Wartezeit grundsätzlich bestehenden Kündigungsfreiheit, die dem Arbeitgeber das Recht gebe, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen und sich dabei von seinem „Bauchgefühl“ leiten zu lassen32. Dieser Bewertung durch das BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie macht allerdings noch einmal deutlich, dass in der betrieblichen Praxis bei der Vorbereitung einer Betriebsratsanhörung während der Wartezeit sehr deutlich zwischen einer Kündigung auf der Grundlage objektiver Tatsachen und einer Kündigung auf der Grundlage eines subjektiven Werturteils unterschieden werden muss. Im Zweifel empfiehlt es sich, auf der Grundlage einer der vorstehend durch den 6. Senat des BAG akzeptierten Beschreibungen die Kündigung mit einem Werturteil zu rechtfertigen, das der Arbeitgeber im Rahmen des bis dahin bestehenden Arbeitsverhältnisses gewonnen hat. Hilfreich ist diese Feststellung des BAG zu § 102 BetrVG im Übrigen auch für die Frage, welche Gründe arbeitgeberseitig genannt werden können, um negative Entscheidungen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens zu begründen. Wenn es schon im bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig ist, die Beendigung auf ein „Bauchgefühl“ zu stützen, gilt dies nämlich erst recht 30 BAG v. 12.9.2013 - 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 24 ff. 31 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 29, 39. 32 Ebenso BAG v. 3.12.1998 - 2 AZR 234/98, NZA 1999, 477 Rz. 16.
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Beginn und Ende der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG
für die Entscheidung des Arbeitgebers, im Anschluss an ein Bewerbungsgespräch keine Einstellung des Bewerbers vorzunehmen. Auch hier lassen sich negative Bewertungen nicht immer auf einen objektiven Tatsachenkern zurückführen. Gleichwohl kann auch eine solche Entscheidung damit gerechtfertigt werden, dass das „Bauchgefühl“ dem Arbeitgeber sage, dass eine Einstellung dieses Arbeitnehmers nicht sinnvoll bzw. im Interesse des Unternehmens sei. Eine weitergehende Begründung, die bestimmte Verhaltensweisen des Bewerbers oder fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten benenne, ist nicht erforderlich. Ausnahmen können sich allein aus § 81 Abs. 1 S. 9 SGB IX ergeben. (Ga)
3.
Beginn und Ende der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG
Erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG bedarf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses der sozialen Rechtfertigung, sofern die nach § 23 KSchG erforderliche Betriebsgröße vorliegt. Vor diesem Hintergrund ist es in der betrieblichen Praxis wichtig, dass etwaige Trennungsentscheidungen des Arbeitgebers durch Zugang der Kündigung vor Ablauf der Wartezeit umgesetzt werden. Hierfür wiederum muss der Arbeitgeber in der Lage sein, Beginn und Ende der Wartezeit festzustellen. Wie das BAG mit Urteil vom 24.10.201333 deutlich gemacht hat, ist für den Beginn der Wartezeit der Zeitpunkt maßgebend, von dem an die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen. Im Regelfall werde dies der Zeitpunkt sein, in dem der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Vereinbarung seine Arbeit aufnehmen solle. Dieser Zeitpunkt ist – so das BAG – allerdings dann nicht maßgebend, wenn der rechtliche Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Termin der vereinbarten Arbeitsaufnahme nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auseinanderfallen. Dies sei anzunehmen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darin einig seien, das gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Zeitspanne liegen solle, in der der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit verpflichtet sei. An einer solchen Vereinbarung könne ein beiderseitiges Interesse bestehen, wenn zwar noch nicht die Verpflichtung zur Arbeitsleistung, wohl aber andere mit dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verbundene Rechte und Pflichten – etwa ein Wettbewerbsverbot oder Rücksichtnahme-, Schutz- und Obhutspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB – bereits entstehen sollten. 33
2 AZR 1057/12, DB 2014, 958 Rz. 30 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Für die Beurteilung der Frage, ob der Tag des Abschlusses des Arbeitsvertrags zur Wartezeit gezählt werden müsse, sei der Wille der Vertragsparteien maßgebend. Hätten sich die Parteien über die Arbeitsaufnahme an einem bestimmten Tag verständigt, sei dieser in die Berechnung der Wartezeit einzubeziehen, selbst wenn der Arbeitsvertrag erst nach Arbeitsbeginn unterzeichnet wird. Entsprechendes gelte, wenn sich die Parteien über den Zeitpunkt des rechtlichen Beginns ihres Arbeitsvertrags einigen, ohne dass der Arbeitnehmer zur tatsächlichen Arbeitsaufnahme schon verpflichtet wäre. Maßgebend für den Beginn der Wartezeit sei in diesem Fall der Tag der Entstehung der sonstigen Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag. Vereinbaren die Parteien, dass der Arbeitnehmer „ab“ einem bestimmten Tag eingestellt werde, geben die Parteien regelmäßig zu verstehen, dass sie ihr Arbeitsverhältnis mit Beginn dieses Tages gemäß § 187 Abs. 2 BGB in Kraft setzen wollen34. Von diesem Fristbeginn ausgehend endet die Wartezeit nach Ablauf von sechs Monaten. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn es sich bei diesem Tag um einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Samstag handelt. Denn § 193 BGB, der zur Folge haben kann, dass eine Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages endet, kommt in diesen Fällen nicht zur Anwendung35. Hier muss die Kündigung also spätestens am letzten Werktag vor Fristablauf erklärt werden. (Ga)
4.
Kennzeichnung des freien Arbeitsplatzes zur Vermeidung einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung
Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine personen- oder betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn es dem Arbeitgeber möglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer auf einem anderen (freien) Arbeitsplatz im Unternehmen weiter zu beschäftigen. Dabei sind auch solche Arbeitsplätze einzubeziehen, die nur mit geänderten Arbeitsbedingungen oder nach zumutbaren Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen übernommen werden können, sofern der Arbeitnehmer hierzu bereit ist. Bereits im Herbst hatten wir darüber berichtet, dass der 2. Senat des BAG im Urteil vom 29.8.201336 bestätigt hat, dass die aus § 1 Abs. 2 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer 34 35 36
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BAG v. 24.10.2013 - 2 AZR 1057/12, DB 2014, 958 Rz. 42 ff. BAG v. 24.10.2013 - 2 AZR 1057/12, DB 2014, 958 Rz. 46. 2 AZR 809/12, DB 2014, 663 Rz. 26 ff., 37.
Vermeidung einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung
Beendigungskündigung eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen anzubieten, sich grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens bezieht. Offen gelassen hat das BAG lediglich, ob diese Einschränkung auch dann gilt, wenn die Arbeitsverhältnisse der im ausländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer – etwa aufgrund einer Rechtswahl – deutschem (Kündigungs-)Recht unterliegen oder wenn im Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel vereinbart ist, die dem Arbeitgeber die Zuweisung einer entsprechenden Tätigkeit im Ausland ermöglicht. Ergänzend hierzu hat das BAG in einer weiteren Entscheidung vom 29.8.201337 noch einmal die Kriterien aufgezeigt, unter denen ein freier Arbeitsplatz im Unternehmen zur Vermeidung einer Kündigung angeboten werden muss. Erforderlich ist zunächst einmal, dass ein freier Arbeitsplatz zu vergleichbaren (gleichwertigen) oder zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist. Als frei sind insoweit grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden. Ungeklärt ist damit allerdings nach wie vor die Frage, ob auch solche Arbeitsplätze einzubeziehen sind, die zwar zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung frei sind, aber schon vor Ablauf der Kündigungsfrist wieder besetzt werden müssen. Der anderweitige (freie) Arbeitsplatz muss – so das BAG – für den Arbeitnehmer auch geeignet sein. Das setze voraus, dass er – ggf. unter Berücksichtigung angemessener Einarbeitungs-, Fortbildungs- oder Umschulungszeiten – den Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes entsprechen könne. Dabei unterliege allerdings die Gestaltung des Anforderungsprofils grundsätzlich der nur auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden unternehmerischen Disposition des Arbeitgebers38. Erfüllt der Arbeitnehmer das Anforderungsprofil der fraglichen Stelle, bedarf es grundsätzlich keiner weitergehenden Prüfung, ob ihm die Tätigkeit zumutbar ist. Dies gilt auch dann, wenn deren Zurückweisung eine Vertragsänderung erforderlich macht. Darauf weist das BAG ausdrücklich hin. Eine ggf. erforderliche Änderungskündigung dürfe nur „in Extremfällen“ unterbleiben, z. B. bei einer völlig unterwertigen Beschäftigung. Der Arbeitnehmer solle grundsätzlich selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbe-
37 38
2 AZR 721/12 n. v. (Rz. 16 ff.). BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 721/12 n. v. (Rz. 18); BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223 Rz. 24.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
schäftigung unter veränderten, möglicherweise sogar erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar erachte oder nicht39. Bezugspunkte für die entsprechenden Arbeitsplätze ist nicht der Betrieb, sondern das Unternehmen. Gerade deshalb ist es wichtig, auf Arbeitgeberseite standortübergreifende Besetzungsprozesse zu koordinieren, wenn personen- oder betriebsbedingte Kündigungen in Rede stehen. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG darlegungs- und beweispflichtig. Allerdings nimmt das BAG hier eine abgestufte Darlegungslast an. Bestreite der Arbeitnehmer lediglich den Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes, genüge der Vortrag des Arbeitgebers, wegen der betrieblichen Notwendigkeiten sei eine Weiterbeschäftigung zu den gleichen Bedingungen nicht möglich. Wolle der Arbeitnehmer vorbringen, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliege es ihm darzulegen, wie er sich diese Beschäftigung vorstelle. Erst auf der Grundlage dieses Sachvortrags obliege es dem Arbeitgeber, eingehend zu erläutern, aus welchen Gründen eine Umsetzung auf den vom Arbeitnehmer genannten Arbeitsplatz nicht in Betracht komme40. Dass der freie Arbeitsplatz in einem Bereich liegt, in dem Kurzarbeit verrichtet wird, steht seiner Einbeziehung nach den Feststellungen des BAG nicht entgegen. Denn die Anordnung von Kurzarbeit spreche im Allgemeinen dafür, dass die Betriebsparteien von einem nur vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgingen. Damit aber sei ein Fortbestand dieses Arbeitsplatzes auszunehmen41. Wichtig in der betrieblichen Praxis ist, diese Vorgaben für die Einbeziehung freier Arbeitsplätze im Zusammenhang mit personen- und betriebsbedingten Kündigungen frühzeitig zu berücksichtigen. Denn sie sind auch für die Betriebsratsanhörung maßgeblich. Empfehlenswert ist dabei, ohne Rücksicht auf vermeintliche „Extremfälle“ auch solche Arbeitsplätze einzubeziehen, die erheblich geringwertiger sind als der Arbeitsplatz, auf dem der von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer derzeit beschäftigt ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ohne Rücksicht auf die wirkliche Wertschätzung durch den Arbeitnehmer im Kündigungsverfahren geltend gemacht wird, dass er 39 40 41
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BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, DB 2014, 663 Rz. 23; BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08, NZA 2010, 1288 Rz. 57. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 809/12, DB 2014, 663 Rz. 24; BAG v. 25.10.2012 – 2 AZR 552/11, NZA-RR 2013, 632 Rz. 30. BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 721/12 n. v. (Rz. 26).
Betriebsbedingte Kündigung zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur
„selbstverständlich“ gerne auch eine Weiterbeschäftigung auf dem – jetzt bedauerlicherweise – nicht angebotenen Arbeitsplatz in Kauf genommen hätte, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. (Ga)
5.
Betriebsbedingte Kündigung zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur im Insolvenzverfahren
Bereits mehrfach haben wir uns in der Vergangenheit mit der Frage befasst, ob und inwieweit der Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl berechtigt ist, den Gesichtspunkt einer ausgewogenen Alters- bzw. Leistungsstruktur zu berücksichtigen. Anknüpfungspunkt war dabei in der Regel § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG, nach dem in die Sozialauswahl Arbeitnehmer nicht einzubeziehen sind, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Ergänzend hierzu war § 125 InsO zu berücksichtigen. Danach ist eine Sozialauswahl nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird, sofern eine Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande kommt, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind42. Auf der Grundlage seiner vorangehenden Entscheidungen hat das BAG im Urteil vom 19.12.201343 zunächst einmal deutlich gemacht, dass die durch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO eröffnete Möglichkeit, die Sozialauswahl innerhalb von Altersgruppen durchzuführen, mit dem unionsrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung (Art. 21 GRC) und seiner Ausgestaltung durch Richtlinie 2000/78/EG vereinbar ist. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Sozialauswahl nach Altersgruppen dazu dienen solle, einen Betrieb aus der Insolvenz heraus zu sanieren und ggf. verkaufsfähig zu machen. Denn damit werde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Schuldners, also eines einzelnen insolventen Unternehmens, verbessert. § 125 InsO solle als Teil der Reform des Insolvenzrechts marktwirtschaftlich sinnvolle Sanierungen ermöglichen. Dies komme auch in § 1 S. 1 InsO zum Ausdruck. Soweit durch eine Sanierung aus der Insolvenz heraus – und sei es auch nur vorübergehend – Arbeitsplätze erhalten würden, diene dies nicht nur dem Interesse des Arbeitgebers, sondern
42 B. Gaul, AktuellAR 2000, 143 ff.; 2011, 136 ff.; 2012, 119 ff., 431; 2013, 148 ff. 43 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 23 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
auch dem der Gesamtbelegschaft und der Allgemeinheit und sei deshalb ein legitimes Ziel, das die Differenzierung wegen des Alters erlaube. Ungeachtet dessen obliegt es dem Arbeitsgericht, im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen, ob die jeweilige Bildung von Altersgruppen den unionsrechtlichen Vorgaben, wie sie auch in § 10 AGG zum Ausdruck kommen, gerecht wird. Diese Vorgaben, wie sie auch und insbesondere durch Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG bestimmt werden, müssen insoweit auch bei der Auslegung und Anwendung der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG berücksichtigt werden. Dies gilt auch im Rahmen der Insolvenz. Denn § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO kodifiziert – so das BAG – lediglich einen Sonderfall der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG44. Hiervon ausgehend obliegt es dem Arbeitgeber (hier: Insolvenzverwalter), Tatsachen im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens darzulegen, die erkennen lassen, dass die Altersgruppenbildung, die der Namensliste des Interessenausgleichs zugrunde liegt, den gesetzlichen Schranken einer Differenzierung wegen des Alters gerecht wird. Wie der 6. Senat des BAG im Urteil vom 19.12.201345 deutlich macht, wird eine bestimmte Form der Altersgruppenbildung durch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG oder § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO nicht vorgegeben. Vielmehr überlässt der Gesetzgeber dem Arbeitgeber/Insolvenzverwalter – bzw. den Betriebsparteien – das „Ob“ und das „Wie“ der Gruppenbildung und räumt dabei einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ein. Inwieweit Kündigungen Auswirkungen auf die Altersstruktur des Betriebs hätten und welche Nachteile sich daraus ergeben würden, hänge – so das BAG – von den betrieblichen Verhältnissen ab und könne nicht abstrakt für alle denkbaren Fälle beschrieben werden. Der Arbeitgeber müsse deswegen die Auswirkungen und möglichen Nachteile im Einzelnen darlegen, wenn er sich wegen der Sicherung der Personalstruktur auf § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG berufen wolle. Nur dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreiche, kämen ihm dabei Erleichterungen zugute; in diesem Fall sei ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerlegbar - indiziert46.
44 BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 23. 45 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 33 ff. 46 So bereits BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, NZA 2013, 86 Rz. 28; BAG v. 22.3.2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040 Rz. 30.
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Betriebsbedingte Kündigung zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur
Wenn es auf der Grundlage von § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO über die Erhaltung einer bereits vorhandenen Altersstruktur hinaus um die Schaffung einer neuen Struktur gehe, obliege es allerdings dem Insolvenzverwalter vorzutragen, welche konkrete Altersstruktur die Betriebsparteien schaffen wollten und aus welchem Grund dies erforderlich gewesen sei47. Aus dem Vortrag des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Insolvenzverwalters müsse ersichtlich werden, dass die vereinbarte Altersgruppenbildung zur Erreichung des Ziels der sanierungsbedingten Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur angemessen und auch erforderlich sei. Die bloße Vorlage des Interessenausgleichs könne nur dann ausreichen, wenn in diesem die hierfür erforderlichen Angaben zu den Gründen der Altersgruppenbildung bereits enthalten seien. Eine schlagwortartige Bezeichnung etwaig verfolgter Ziele genüge nicht. Insbesondere sei das bloße Bestreben des Insolvenzverwalters, das Durchschnittsalter der Beschäftigten zu reduzieren, für sich allein betrachtet kein Ziel, das eine Altersgruppenbildung unionsrechtlich rechtfertige48. Zutreffender Weise geht der 6. Senat des BAG davon aus, dass auch der Vergleich mit einem „Musterbetrieb“ der Branche allein keine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertige. Es gebe insolvente Unternehmen, die (z. B. wegen besonderer technischer Fähigkeiten) sanierungsfähig seien, obwohl sie keine ideale oder zumindest durchschnittliche Struktur aufwiesen. Umgekehrt existierten Schuldner mit einer beinahe mustergültigen Altersstruktur, die dennoch wegen der aktuellen Marktgegebenheiten keine Sanierungsperspektive hätten. Die vereinbarte Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur bedürfe der Erläuterung in Bezug auf ein konkretes Sanierungsvorhaben. Dabei seien wegen des praktischen Bedürfnisses zügiger Entscheidungen allerdings keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es reiche beispielsweise aus, wenn der Insolvenzverwalter innerbetriebliche Gründe (z. B. Kostenstrukturen) anführe oder die Probleme bei Gesprächen mit potenziellen Investoren oder Käufern schildere. Dabei könne dann auch die Altersstruktur vergleichbarer Unternehmen eine Rolle spielen. Es müsse indes ein Sanierungskonzept deutlich werden und nicht nur – wie dies im hier in Rede stehenden Fall geschehen war – der pauschale Wunsch des Insolvenzverwalters nach einer Verjüngung der Belegschaft erkennbar werden.
47 BAG 19.12.2013 - 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 34; BAG v. 24.10.2013 - 6 AZR 854/11, NZA 2014, 46 Rz. 57. 48 BAG v. 19.12.2013 - 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 23 ff., BAG v. 22.1.2009 - 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945 Rz. 59.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Hiervon ausgehend hat es das BAG nicht als ausreichend angesehen, dass die betrieblichen Sozialpartner im Interessenausgleich eine Sozialauswahl nach Altersgruppen vereinbart hatten. Problematisch an der entsprechenden Vereinbarung war nicht nur, dass die untere Altersgruppe alle Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 44. Lebensjahres erfasste. Die darüber hinausgehenden Altersgruppen erfassten jeweils nur Arbeitnehmer in einem Fünf-JahresZeitraum. Hinzu kam, dass diese Altersgruppenbildung für den gesamten Betrieb festgelegt worden war. Es fehlte an einer vergleichsgruppenspezifischen Ausrichtung, die hätte erkennen lassen, dass die Struktur der jeweiligen Vergleichsgruppe unterschiedlich war und deshalb auch eine differenzierte Altersgruppenbildung oder sogar den Verzicht auf diese Altersgruppen nahe legte. Damit war bereits die Altersgruppenbildung selbst unzulässig und konnte aus sich heraus das Ergebnis der Sozialauswahl nicht rechtfertigen. Denkbar war allein, dass ohne Berücksichtigung dieser Altersgruppenbildung das gefundene Ergebnis – zufällig – doch als angemessen und damit wirksam bewertet werden konnte. Dies war vorliegend indes nicht der Fall. Losgelöst von der vorstehend angesprochenen Altersgruppenbildung hat das BAG in seinem Urteil vom 19.12.201349 indes zu Recht noch einmal deutlich gemacht, dass auch in der Insolvenz eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl vorgenommen werden muss. Wenn die betrieblichen Sozialpartner allerdings bei einer Betriebsänderung im Interessenausgleich eine namentliche Benennung der von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer vornehmen, räumt ihnen der Gesetzgeber einen weiten Spielraum ein, dessen Ergebnis nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar ist. Dies gilt auch in Bezug auf die Frage, welche Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs miteinander vergleichbar sind. Auch hier besteht eine Einschätzungsprärogative, die Arbeitgeber und Insolvenzverwalter ihrer Auswahlentscheidung zugrunde legen können. Wenn die Betriebsparteien dabei allerdings eine Vergleichbarkeit nur für den Fall annehmen wollen, dass der Einsatz auf dem jeweils anderen Arbeitsplatz ohne jegliche Einarbeitungszeit erfolgen kann, ist in der Regel von einer groben Fehlerhaftigkeit auszugehen. Soweit in § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO von der Erhaltung bzw. Schaffung einer Personalstruktur die Rede ist, erlaubt dies nicht nur, auf die jeweilige Altersstruktur des Betriebs abzustellen. Da mit der gesetzlichen Regelung auch die Erhaltung bzw. Schaffung eines „funktions- und wettbewerbsfähigen Arbeitnehmerteams“ ermöglicht werden sollte, kommen – so das BAG – als weitere Aspekte einer Personalstruktur auch die 49 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 43 ff.
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Betriebsbedingte Kündigung zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur
Ausbildung und die Qualifikation der Arbeitnehmer im Betrieb und damit die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen und -bereiche in Betracht. Neben einer Berücksichtigung der Qualifikationen dürften die Betriebsparteien daher auch die Funktionsfähigkeit eingespielter Teams berücksichtigen. Die damit verbundene Gruppenbildung und das unternehmerische Konzept, das dieser zugrunde liege, könne durch die Arbeitsgerichte nur auf Missbrauch überprüft werden50. Wichtig bei alledem ist aber, dass der Insolvenzverwalter diese Überlegungen einer Sozialauswahl nicht nur im Rahmen der Betriebsratsanhörung berücksichtigen muss. Wird die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats mit Nichtwissen bestritten, muss der entsprechende Inhalt auch im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung vorgetragen und im Bestreitensfall unter Beweis gestellt werden können. Ungeachtet dessen verpflichtet § 1 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 KSchG den Arbeitgeber, auf Verlangen des Arbeitnehmers die Gründe mitzuteilen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Zu dieser Auskunftspflicht, die auch bei der Vereinbarung einer Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO ohne Einschränkung erfüllt werden muss, gehört auch die Vergleichsgruppenbildung51. Erst wenn der Arbeitgeber dieser Darlegungslast Rechnung getragen hat, ist der entsprechende Vortrag durch das Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Den vorstehenden Feststellungen des 6. Senats des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie berücksichtigen in ausgewogener Weise die unionsrechtlichen Vorgaben zum Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters auf der einen Seite und das arbeitgeberseitige Interesse, im Rahmen der Sozialauswahl auch die spätere Funktionsfähigkeit eines Betriebs im Auge zu behalten. Wenn auf dieser Grundlage die Sozialauswahl unter Berücksichtigung von Altersgruppen erfolgen soll, muss sich der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter allerdings auf eine sehr weitreichende Darlegungslast zur Rechtfertigung der Gründe für diese Abweichung vom normalen Schema einer Sozialauswahl einstellen. Wenn dies vermieden werden soll, verbleibt es bei der „normalen“ Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG. Dies aber ist nicht immer mit Nachteilen verbunden. Denn auch die im Rahmen von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG gebotene Gewichtung der sozialen Kriterien kann zum Ziel haben, eine zu starke Gewichtung des Alters und die damit verbundene Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer zu vermeiden. So ist es insbesondere denkbar, bei der Vergabe von Punkten für das Lebensalter keine lineare 50 BAG v. 19.12.2013 - 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 49 f. 51 BAG v. 19.12.2013 - 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 51 ff.
115
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Steigerung vorzunehmen. Vielmehr ist es in der Regel sinnvoller, die Punktevergabe für das Alter pauschaliert innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen. Dabei würden Arbeitnehmer innerhalb der jeweiligen Altersgruppe für ihre Lebensalter jeweils die gleiche Punktzahl erhalten. Auch dies kann zu einer Erhaltung bzw. auch Verbesserung der Altersstruktur führen. Im Gegensatz zu der vorstehend angesprochenen Altersgruppenbildung, wie sie Gegenstand des Urteils vom 19.12.201352 gewesen ist, bedarf es allerdings nicht der Darlegung eines berechtigten betrieblichen Interesses. Vielmehr genügt es, wenn das Alter neben den übrigen Sozialdaten angemessen berücksichtigt wird. (Ga)
6.
Altersdiskriminierung: Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden?
Vielfach sehen Tarifverträge den Ausschluss der ordentlichen Kündigung bei Arbeitnehmern vor, die ein bestimmtes Lebensalter und eine bestimmte Beschäftigungsdauer im Betrieb erreicht haben. Damit machen die Tarifvertragsparteien von der nach § 4 Abs. 1 TVG gegebenen Möglichkeit Gebrauch, Kündigungsbeschränkungen zu vereinbaren53. Nach h. M. sind solche Unkündbarkeitsvereinbarungen als grundsätzlich zulässig anzusehen54. In einer Betriebsvereinbarung wäre eine entsprechende Zusage wegen § 77 Abs. 3 BetrVG im Zweifel unwirksam55. Die Entscheidung des BAG vom 20.6.201356 macht allerdings deutlich, dass das Verbot der Altersdiskriminierung in §§ 1, 7 AGG auch bei Tarifverträgen Schranken für die Vereinbarung und Anwendung solcher Regelungen setzen kann.
a)
Der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz
Die in der Praxis abgeschlossenen Vereinbarungen sind vielfältig. Im öffentlichen Dienst Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, können nach einer Beschäftigungsdauer von mehr als 15 Jahren nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 34 Abs. 2 S. 1 TVöD-AT vom 13.9.2005). In gleicher Weise ist dies auch in § 34 Abs. 2 S. 1 TV-L vom 12.10.2006 ge52 6 AZR 790/12, NZA-RR 2014, 185 Rz. 23 ff. 53 APS/Kiel, KSchG § 1 Rz. 815. 54 U. a. BAG v. 5.6.2008 - 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 Rz. 31; APS/Kiel, KSchG § 1 Rz. 704 m. w. N.; MüKo/Thüsing, AGG § 10 Rz. 44; Däubler/Hensche/Heuschmidt, TVG § 1 Rz. 826. 55 BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08, NZA-RR 2011, 18 Rz. 25 f. 56 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208 Rz. 36.
116
Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden?
regelt. Von diesen Regelungen werden auch Arbeitnehmer erfasst, die man grundsätzlich noch nicht dem Personenkreis der älteren und deshalb auch besonders schutzwürdigen Arbeitnehmer zugeordnet hätte. Auch in der Metallindustrie bestehen vergleichbare Regelungen, dort allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. So sieht § 20.4 Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie NRW vom 24.8.2001 vor, dass Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb/Unternehmen zehn Jahre angehören, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann. Folglich wird bei dieser Regelung die Zahl der erfassten Arbeitnehmer aufgrund des höheren Lebensalters und der längeren Betriebszugehörigkeit stärker begrenzt. In Südwürttemberg-Hohenzollern ist dies ebenso wie in NordwürttembergNordbaden anders; hier sind die Voraussetzungen deutlich herabgesetzt. So kann nach § 4.4 des Manteltarifvertrags für Beschäftigte zum ERATarifvertrag Metall- und Elektroindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern vom 14.6.2005 (nachfolgend MTV genannt) einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und der dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Diese Bestimmungen entsprechen der erhöhten Schutzwürdigkeit älterer Arbeitnehmer, indem sie das erhöhte Kündigungsrisiko und die verminderten Chancen einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgleichen57.
b)
Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer
Dem Vorteil der älteren Arbeitnehmer steht eine Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer gegenüber. Denn wenn bei einer Rationalisierungsmaßnahme mehreren Arbeitnehmern zu kündigen und eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen ist, bezieht die ganz herrschende Meinung Arbeitnehmer, die auf der Grundlage einer tarifvertraglichen Regelung ordentlich unkündbar sind, nicht in die Sozialauswahl ein. Konsequenz ist, dass der Arbeitgeber gehalten ist, dem Wegfall von Arbeitsplätzen zunächst einmal durch die betriebsbedingte Kündigung von Arbeitnehmern, die noch ordentlich kündbar sind, Rechnung zu tragen58. Auf deren Schutzbedürftigkeit kommt es bei dieser Betrachtungsweise grundsätzlich nicht an.
57 Wulfers/Hecht, ZTR 2007, 475, 479; Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663, 665; Däubler/Hensche/Heuschmidt, TVG § 1 Rz. 824. 58 HWK/Quecke, KSchG § 1 Rz. 343; Küttner/Kania, Personalbuch 2013 Unkündbarkeit Rz. 17; KR/Griebling, KSchG § 1 Rz.666; Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Rz. 1065;
117
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Hiervon ausgehend müsste der Arbeitgeber, in dessen Betrieb der Sonderkündigungsschutz aus § 4.4 MTV gilt, einem (nur) 50-jährigen Arbeitnehmer, der 20 Jahre im Betrieb gearbeitet hat und seiner mehrköpfigen Familie gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, an Stelle eines 53-jährigen Arbeitnehmers, der nur 3 Jahre im Betrieb beschäftigt wurde und alleinstehend ist, kündigen. Eine Kündigung des älteren Arbeitnehmers mit Sonderkündigungsschutz stünde im Widerspruch zum Tarifvertrag, was gemäß § 134 BGB eine Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätte59.
c)
Benachteiligung wegen des Alters
aa)
Bisherige Lösungsansätze
Dass in solchen Fällen eine Benachteiligung wegen des Alters vorliegt, liegt auf der Hand. Wenn die darin liegende Begünstigung der älteren Arbeitnehmer nicht durch ein legitimes Ziel nach § 10 AGG gerechtfertigt werden kann, könnte dies nach § 7 Abs. 2 AGG eine generelle Unwirksamkeit der tariflichen Regelung zur Folge haben. Konsequenz wäre, dass sich der ältere Arbeitnehmer nicht auf den Sonderkündigungsschutz berufen könnte, was in dem hier geschilderten Beispiel zur Folge hätte, das sein Arbeitsverhältnis als Ergebnis der Sozialauswahl gekündigt werden müsste60. Denn der tarifvertragliche Grund für eine Herausnahme des älteren Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl wäre entfallen. Theoretisch denkbar wäre auch, dass der Arbeitgeber durch den Tarifvertrag zwar verpflichtet wäre, auf eine ordentliche Kündigung der älteren Arbeitnehmer zu verzichten. Gleichzeitig wäre er aber nicht berechtigt, den jüngeren Arbeitnehmer zu kündigen. Er könnte verlangen, dass ihm im Wege der Gleichbehandlung einen entsprechender Kündigungsschutz eingeräumt wird61. Alternativ könnte man darüber nachdenken, eine ergänzende (Tarif-)Vertragsauslegung für den Anwendungsbereich des Tarifvertrags vorzunehmen, soweit dieser in einer mit § 10 AGG nicht mehr zu vereinbarenden Weise eine Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer zur Folge hätte62. Konsequenz wäre, dass der Tarifvertrag jedenfalls in diesen Fällen keine Anwendung mehr fände.
59 60 61 62
Fiebig/Gallner/Mestwerdt/Nägele/Gallner/Mestwerdt, KSchG § 1 Rz. 744; KDZ/ Deinert, KSchG § 1 Rz. 601. BAG v. 26.3.2009 – 2 AZR 879/07, NZA 2009, 679 Rz. 20; Küttner/Kania, Personalbuch 2013 Unkündbarkeit Rz. 7. So B. Gaul/Naumann, ArbRB 2007, 15, 17. So LAG Baden-Württemberg v. 15.3.2007 – 21 Sa 97/06 n. v. So MüKo/Thüsing, AGG § 10 Rz. 47.
118
Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden?
In seinem Urteil vom 20.6.201363 hat das BAG eine vermittelnde Auffassung vertreten. Zwar wäre mit den vorstehend genannten Tarifverträgen eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach § 3 Abs. 1 AGG gegeben. Diese könne aber gemäß § 10 AGG durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt werden. Insofern verstießen solche tariflichen Kündigungsbeschränkungen nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung und seien deshalb auch verfassungskonform. bb)
Grundsätzliche Legitimation des tarifvertraglichen Sonderkündigungsschutzes durch § 10 AGG?
Legitime Ziele i. S. d. § 10 S. 1 AGG können nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, also allgemeine „sozialpolitische Ziele“ sein64. Grundsätzlich verfolgen tarifliche Regelungen, nach denen ältere Arbeitnehmer vor einer Entlassung möglichst effizient geschützt werden sollen, ein sozialpolitisches Ziel im Sinne der Richtlinie. Dass die Berücksichtigung des Lebensalters ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel aus dem Bereich der Sozialpolitik verfolgt, ist schon im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG anerkannt65. Es wird auch in § 10 S. 3 Nr. 1 AGG bzw. Art. 6 Abs. 1 lit. a) Richtlinie 2000/78/EG erkennbar, wonach besondere Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besondere Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses festgelegt werden dürfen, um gerade auch die berufliche Eingliederung und den Schutz älterer Arbeitnehmer sicherzustellen. Nichtsdestotrotz müssen die Mittel nach § 10 S. 2 AGG zur Erreichung des Ziels erforderlich und angemessen sein. Hiervon ist nach Auffassung des BAG bei der hier genannten Regelung indes grundsätzlich auszugehen. Insbesondere sei kein milderes Mittel ersichtlich. Zwar können Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz unterschiedlich ausfallen. Wenn in einer Norm generelle Regelungen getroffen werden müssen, kann eine solche individuelle Betrachtungsweise indes nicht erfolgen. Selbst bei einer individuellen Betrachtungsweise müsste sich die Bewertung an Wahrscheinlichkeiten orientieren, weil eine sichere Vorhersage der in der Zukunft eintretenden Folgen
63 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208. 64 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, NZA 2009, 305 Rz. 52 – Age Concern England. 65 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044 Rz. 53.
119
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung nicht erfolgen könne66. cc)
Lösungsweg des BAG
Das vorstehende Ergebnis gilt nach den Feststellungen des BAG indes nicht generell. Vielmehr verneint der 2. Senat des BAG das Vorliegen eines legitimen Ziels, wenn die tarifvertraglichen Regelungen im Ergebnis zur Folge haben, dass die Sozialauswahl grob fehlerhaft und dadurch der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer in einer unverhältnismäßigen Weise verkürzt würde, die von der Tarifregelung nicht erfassten werden. Damit bestätigt das BAG schon seine frühere Tendenz, die in einem obiter dictum deutlich wurde67. Danach erwog das Gericht in Fällen, in denen die gesetzliche Wertung des § 1 Abs. 3 KSchG "auf den Kopf gestellt" werden würde, die tarifliche Regelung im Hinblick auf die Grundrechte des kündbaren Mitarbeiters (Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG) verfassungskonform bzw. im Hinblick auf die Regelung zur Altersdiskriminierung unionsrechtskonform einzuschränken bzw. für den Einzelfall durch einen ungeschriebenen Ausnahmetatbestand innerhalb der Tarifnorm anzupassen. In Übereinstimmung mit diesen Überlegungen hatte schon § 10 Nr. 7 AGG a. F. individual- und kollektivrechtliche Vereinbarungen der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters und einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit nur solange als zulässig erklärt, als dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG grob fehlerhaft gemindert wird68. Tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelungen müssen deshalb nach BAG-Rechtsprechung gewährleisten, dass sie zumindest grobe Auswahlfehler vermeiden. Der Maßstab orientiert sich dabei an dem unbestimmten Rechtsbegriff der "grobe[n] Fehlerhaftigkeit" des § 1 Abs. 4 KSchG. dd)
Stellungnahme
Mit dieser Entscheidung bewegt sich das BAG auf der bisherigen Linie der Rechtsprechung zu den Folgen einer Missachtung von Vorgaben des Unionsrechts durch den Gesetzgeber. Nach dieser Rechtsprechung ist von der Anwendung einer nationalen Regelung abzusehen, wenn eine Auslegung dieser Regelung auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben keine Vereinbarkeit von nationalem Recht einerseits und europäischem
66 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044 Rz. 56. 67 BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 Rz. 30 ff. 68 MüKo/Thüsing, AGG § 10 Rz. 43.
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Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden?
Recht andererseits herstellen kann. Hiervon gehen EuGH69, BGH70 und BAG71 gleichermaßen aus. Dem Wortlaut nach gewährleisten geltende tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelungen in den bisher ganz überwiegend verwendeten Fallgestaltungen nicht, dass grobe Auswahlfehler vermieden werden. Im Gegenteil entsteht durch den insoweit uneingeschränkten Wortlaut der Eindruck, dass Arbeitnehmer, die mit Blick auf ihr Alter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit unter die tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelung fallen, in jedem Fall aus dem Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer herausgenommen werden sollten. Trotz dieser Annahme dürfte es richtig und unionsrechtlich auch geboten sein, wenn das BAG die Auffassung vertritt, dass man die tarifvertragliche Regelung so auslegen könne, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dann nicht zur Anwendung komme, wenn die damit verbundene Begünstigung des geschützten Personenkreis zu einem grob fehlerhaften Auswahlergebnis führen würde. Im Zweifel wollten die Tarifvertragsparteien nämlich Regelungen treffen, die mit geltendem Recht in Einklang stehen und deshalb rechtlichen Bestand haben. Die Regelung enthalte deshalb auch keinen Grund zur Annahme, die Tarifvertragsparteien wollten einen unbedingten Schutz älterer Arbeitnehmer auch in Fällen bewirken, in denen die hohe Schutzbedürftigkeit anderer Arbeitnehmer in Frage gestellt würde. Dass der Wortlaut dies nicht deutlich zum Ausdruck bringe, sei unschädlich. Dies gelte umso mehr, wenn die tarifvertragliche Regelung – was hier der Fall war - bereits vor dem Inkrafttreten des AGG vereinbart wurde. Wenn eine entsprechende (grobe) Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl vorliege, sei die tarifvertragliche Bestimmung einschränkend auszulegen und von einer Anwendbarkeit im Einzelfall Abstand zu nehmen. Auf diese Weise werde nicht nur dem generellen Interesse an einem Schutz älterer Arbeitnehmer vor Entlassungen Rechnung getragen. Vielmehr werde auch sichergestellt, dass der Kündigungsschutz sozial schutzbedürftigerer Arbeitnehmer nicht zu stark eingeschränkt würde. Dass der Wortlaut die vorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht erkennen lasse, steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn es ist spätestens seit den Feststellungen des EuGH in der Sache Mangoldt an-
69 EuGH v. 19.1.2010 – C-555/07, NZA 2010, 85 Rz. 51 – Kücükdevici; EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345 Rz. 77 – Mangold. 70 Z. B. BGH v. 1.6.2005 – IV ZR 100/02, NJW-RR 2005, 1161 Rz. 30. 71 BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216, Rz. 29 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
erkannt, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nicht notwendig an der Grenze des Wortlauts scheitert. In vergleichbarer Weise wird z. B. mit Blick auf § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG in Bezug auf den Verfall bei langandauernder Erkrankung72 oder § 613 a Abs. 1 BGB in Bezug auf die Übernahme von Verpflichtungen des übertragenden Rechtsträgers, falls der Übergang des Betriebs oder Betriebsteils nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt73, verfahren. Beide Einschränkungen der gesetzlich vorgegebenen Rechtsfolgen lassen sich mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht rechtfertigen. Dennoch liegt aber eine (unzulässige) Gesetzesauslegung contra legem nur dann vor, wenn der Richter eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers auf Grund eigener rechtspolitischer Vorstellungen ändern will und damit die Bindung an Recht und Gesetz und das Gewaltenteilungsprinzip verletzt. Wird diese Grenze nicht überschritten, kann ein Gesetz trotz des vermeintlich eindeutigen Wortlauts richtlinienkonform eingeschränkt und nur in dem verbleibenden Geltungsbereich zur Anwendung gebracht werden74. Beispielhaft sei auch auf § 14 Abs. 3 TzBfG75 und § 622 Abs. 2 S. 2 BGB76 hingewiesen. Um den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften und dem Unionsrecht gleichermaßen zu genügen, dürfte es auf dieser Grundlage geboten sein, innerhalb des jeweiligen Tarifvertrags einen ungeschriebenen Ausnahmetatbestand anzunehmen. Dieser könnte dem Wortlaut des § 10 Nr. 7 AGG a. F. entsprechen77. Damit könnte eine Prüfungsreihenfolge in zwei Schritten erfolgen: Zunächst erfolgt eine Sozialauswahl ohne die unkündbaren Arbeitnehmer, danach unter Einbeziehung der Unkündbaren. Offenbart der Vergleich ein untragbares Ergebnis und wäre die Sozialauswahl deshalb nach § 1 Abs. 4 KSchG als grob fehlerhaft anzusehen, ist die Unkündbarkeitsregelung in diesem Falle unwirksam und die Sozialauswahl unter Einbeziehung auch der unkündbaren Arbeitnehmer des Betriebs vorzunehmen78.
72 Vgl. nur BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 Rz. 29 f.; BAG v. 12.11.2013 – 9 AZR 646/12, NJW 2014, 413, Rz. 11. 73 Vgl. BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124, 1125; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 36 Rz. 10 ff. 74 BAG v. 17.11.2009 – 9 AZR 844/08, NZA 2010, 1020 Rz. 25 ff. 75 EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345 Rz. 77 – Mangold. 76 EuGH v. 19.1.2010 – C-555/07, NZA 2010, 85 Rz. 51 – Kücükdevici; EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345 Rz. 77 - Mangold. 77 Bröhl, BB 2006, 1050, 1056. 78 MüKo/Thüsing, AGG § 10 Rz. 46.
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Muss der tarifliche Sonderkündigungsschutz älterer Arbeitnehmer eingeschränkt werden?
d)
Gebot einer Anpassung bestehender Tarifverträge
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BAG sollten Tarifverträge, die den Ausschluss der ordentlichen Kündigung älterer Arbeitnehmer regeln, mit einer Klarstellung versehen werden, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer die wirkliche Reichweite der Zusage deutlich zu machen und zugleich auch dem Wortlaut nach eine Unions- und Verfassungskonformität herzustellen: Dies gilt nicht, wenn dadurch der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG grob fehlerhaft gemindert wird.
Sollten es die Tarifvertragsparteien bei den bisherigen Regelungen zum Sonderkündigungsschutz belassen, so dürfte es zweifelhaft werden, ob sie damit tatsächlich noch eine Regelung schaffen wollen, die auch dem Verbot der Diskriminierung Rechnung trägt. Dies gilt nicht nur für Regelungen, die erst nach Inkrafttreten des AGG vereinbart wurden und werden, sondern auch und insbesondere für Vereinbarungen nach dem Urteil des BAG vom 20.6.201379. Betroffen hiervon sind neue Tarifverträge ebenso wie bestehende Tarifverträge, die nach dem 20.6.2013 – ggf. auch an anderer Stelle - geändert werden, ohne die Gefahr einer Diskriminierung wegen des Alters zu berücksichtigen. Kann aber nicht auf einen solchen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen werden, so steht dies einer unions- oder verfassungskonformen Einschränkung des Anwendungsbereichs der entsprechenden Regelungen entgegen. Konsequenz wäre, dass die tarifliche Bestimmung zukünftig insgesamt unangewendet bleiben müsste, was zur Folge hat, dass ältere Arbeitnehmer gar keinen Sonderkündigungsschutz mehr geltend machen können. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, auf der tarifvertraglichen Ebene eine Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes vorzunehmen. Ergänzend hierzu sollte darüber nachgedacht werden, den Sonderkündigungsschutz an eine längere Betriebszugehörigkeit zu knüpfen, als dies bisher beispielsweise in § 4.4 MTV vorgesehen ist. Denn je mehr Faktoren der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG Berücksichtigung finden und insoweit auch im Verhältnis zum Alter in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden müssen, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit für eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Einerseits gewährleistet dies, dass ältere Arbeitnehmer weiterhin stärker als junge Arbeitnehmer vor Beschäftigungslosigkeit geschützt werden. Denn auch bei einer Verlängerung der er-
79 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
forderlichen Betriebszugehörigkeitszeit sollte es gerade für ältere Arbeitnehmer möglich sein, die geforderte Länge der Betriebszugehörigkeit zu erfüllen. Andererseits bleiben das Unionsrecht und auch der Kündigungsschutz ebenfalls schutzbedürftiger Arbeitnehmer gewahrt.
e)
Fazit
Tarifvertragliche Regelungen, die den Ausschluss der ordentlichen Kündigung für ältere Arbeitnehmer vorsehen, sind auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben zum Schutz vor einer Diskriminierung wegen des Alters grundsätzlich weiterhin zulässig, solange sie gewährleisten, dass dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG grob gemindert wird. Bislang begegnet die Rechtsprechung einem entgegenstehenden Wortlaut in Tarifverträgen mit einer verfassungs- bzw. unionsrechtskonformen Auslegung. Nichtsdestotrotz empfiehlt es sich dringend, diese Einschränkung in den Wortlaut der tarifvertraglichen Regelung zum Sonderkündigungsschutz aufzunehmen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass keine unionsrechtskonforme Einschränkung mehr erfolgen kann, was zur generellen Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Regelung und dem Wegfall des Sonderkündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer führt. (Ga/Ju)
7.
Betriebsbedingte Druckkündigung
Eine Druckkündigung innerhalb eines Arbeitsverhältnisses liegt vor, wenn Dritte – in der Regel andere Arbeitnehmer – unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. In seinem Urteil vom 18.7.201380 hat der 6. Senat des BAG deutlich gemacht, dass insoweit zwischen zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden sei: Zunächst einmal könne das Verlangen des Dritten gegenüber dem Arbeitgeber objektiv durch ein Verhalten des Arbeitnehmers oder einen personenbedingten Grund gerechtfertigt sein. In diesem Fall liege es in dem Ermessen des Arbeitgebers, ob er eine personen- oder eine verhaltensbedingte Kündigung erkläre. Eine solche Kündigung, die auch als „unechte Druckkündigung“ bezeichnet werde, spreche der Arbeitgeber dann nicht primär wegen des durch den Dritten erzeugten Drucks aus. Vielmehr werde die Kündigung
80 6 AZR 420/12, DB 2013, 2934 ff.
124
Betriebsbedingte Druckkündigung
bei einem solchen Sachverhalt durch einen personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund gerechtfertigt81. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall ging es allerdings nicht um eine solche (objektive) Rechtfertigung der dem Arbeitgeber zugetragenen Drohung. Insofern lag eine „echte Druckkündigung“ vor, die nach der Rechtsprechung des BAG ausnahmsweise aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt sein kann. Auch in diesen Fällen habe sich der Arbeitgeber indes zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise die Drohung nicht abgewendet werden könne und bei Verwirklichung der Drohung wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohten, könne die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Voraussetzung sei jedoch, das die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sei, um die Schäden vom Unternehmen abzuwenden. Typische Fälle einer echten Druckkündigung seien deshalb Drohungen der Belegschaft mit Streik oder Massenkündigungen oder die Androhung des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen für den Fall der Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers. Ein Teil der Literatur lehnt eine solche Rechtfertigung der echten Druckkündigung ab. Wenn der Arbeitnehmer sich nichts habe zu Schulden kommen lassen, könne das Mittel der betriebsbedingten Kündigung nicht zu einer Rechtfertigung der Kündigung führen82. Ein anderer Teil der Literatur lehnt eine betriebsbedingte Kündigung bereits mit der Begründung ab, dass keine arbeitsplatzbezogenen Auswirkungen erkennbar seien. Denkbar sei allenfalls, in solchen Fällen eine personenbedingte Kündigung auszusprechen83. In Übereinstimmung mit einem weiteren Teil der Literatur84 hält das BAG im Urteil vom 18.7.201385 allerdings an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung könnten sich – so das BAG – aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. In beiden Konstellationen liege der Kündigungsgrund in der Sphäre
81 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, DB 2013, 2934 Rz. 38; BAG v. 19.6.1986 – 2 AZR 563/85, NZA 1987, 21 Rz. 26. 82 So Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Rz. 970; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert, Kündigungsschutzrecht, KSchG § 1 Rz. 469; Hamacher, NZA 2014, 134 ff. 83 So APS/Kiel, KSchG § 1 Rz. 521; ErfK/Oetker, KSchG § 1 Rz. 184. 84 Vgl. KR/Griebeling, KSchG § 1 Rz. 586 a; ErfK/Müller-Glöge, BGB § 626 Rz. 185; KR/Fischermeier, BGB § 626 Rz. 209. 85 6 AZR 420/12, DB 2013, 2934 Rz. 44 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
des Arbeitgebers, der entweder agiere, d. h. eine Organisationsentscheidung treffe, oder auf eine bestimmte Situation reagiere. Letzteres sei insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber einen Auftrag verlieren würde und den Personalbestand an der noch verbleibenden Arbeitsmenge anpassen müsste. Auch bei einem Auftragsverlust entstehe deshalb für den Arbeitgeber eine Drucksituation, auf die er unternehmerisch reagieren müsse, um den Fortbestand des Betriebs zu sichern. Bei der echten Druckkündigung ist die Lage für den 6. Senat des BAG insoweit vergleichbar. Entstünden bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber, müsse dieser aus wirtschaftlichen Gründen handeln. Der Kündigungsgrund sei damit seiner Sphäre zuzuordnen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Druck vom Vertragspartner des Arbeitgebers ausgeübt werde86. Die Person des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers sei nur mittelbarer Anlass für den eigentlichen Kündigungsgrund, bei dem von dritter Seite Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt werde. Werde der Druck als betriebliches Erfordernis verstanden, komme es nicht darauf an, ob die Forderung nach der Entlassung berechtigt oder unberechtigt sei. Der Arbeitgeber sähe sich mit der Druckausübung konfrontiert, auch wenn sie inhaltlich unberechtigt sein sollte. Er müsse abwägen, ob er dem Druck nachgebe oder nicht. Das Argument, dass der Beschäftigungsbedarf für den betroffenen Arbeitnehmer nicht entfalle, verliere dann an Gewicht, wenn bei Verwirklichung der Drohung der Beschäftigungsbedarf für Teile der oder sogar für die gesamte Belegschaft in Frage stehe. Dies werde im Falle des angedrohten Auftragsentzugs deutlich: Reagiert der Arbeitgeber nicht und entzieht der Dritte den Auftrag, könnten wegen Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses betriebsbedingte Kündigungen erforderlich werden. Die Erklärung einer Druckkündigung könne dies u. U. verhindern. Auch dies spreche für die Einstufung als betriebsbedingte Kündigung, die sozial gerechtfertigt sein könne. In dem seiner Entscheidung vom 18.7.201387 zugrunde liegenden Fall hat das BAG diese ausnahmsweisen Voraussetzungen einer betriebsbedingten Druckkündigung angenommen. Hier war die Kündigung eines Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter damit begründet worden, dass die Sparkasse nur bei Ausspruch dieser Kündigung des früheren GesellschafterGeschäftsführers bereit war, eine Verlustübernahmeerklärung abzugeben. Ohne diese Verlustübernahmeerklärung hätte der Insolvenzverwalter indes eine Stilllegung des Betriebs vornehmen müssen. 86 Ebenso HWK/Quecke, KSchG § 1 Rz. 257. 87 6 AZR 420/12, DB 2013, 2934 ff.
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Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
Aus Sicht des BAG war mit dieser Drohung eine betriebsbedingte Rechtfertigung der Kündigung möglich. Dies gelte – so das BAG – umso mehr, als die Zielsetzung der sanierenden Insolvenz konterkariert würde, wenn wegen des generellen Ausschlusses der betriebsbedingten Druckkündigung die Fortführung eines Unternehmens verhindert würde. Allein vom Ergebnis ausgehend mag man die hier getroffene Entscheidung noch billigen können. Den Kritikern der betriebsbedingten Druckkündigung ist allerdings zuzugestehen, dass damit tatsächlich ein Arbeitnehmer die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hinnehmen muss, dem seinerseits kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Dies ist zwar auch bei der normalen betriebsbedingten Kündigung der Fall. Die hier in Rede stehende Fallkonstellation ist allerdings insoweit problematisch, als auf diese Weise im Grunde durch die Drohung Dritter nach Belieben einzelne Kündigungen gerechtfertigt werden können. Eine Sozialauswahl wird dabei vermieden. So könnte der einzige (denkbare) Käufer eines Betriebs dem Veräußerer mitteilen, dass eine Übernahme für ihn nur in Betracht komme, wenn der Arbeitgeber einen oder mehrere (bestimmte) Arbeitnehmer kündige. Der Vorwurf, dass darin eine Kündigung wegen Betriebsübergangs liege, könnte dann unter Verweis auf § 613 a Abs. 4 S. 2 BGB verneint werden, weil durch die Drohung eine betriebsbedingte Rechtfertigung gegeben wäre. Dass man darin durchaus einen Bruch der normalen Systematik einer sozialen Rechtfertigung von Kündigungen sehen kann, ist nachvollziehbar. (Ga).
8.
Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
Bereits im Herbst hatten wir über das Urteil des BAG vom 15.5.201388 berichtet89. Mit diesem Urteil hatte der 10. Senat des BAG klargestellt, dass die Pflicht des Arbeitnehmers, innerhalb eines bestimmten – mit dem Arbeitgeber vereinbarten – Arbeitszeitkontingents tätig zu werden, durch die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit nicht beseitigt wird. Die Vereinbarung eines Einsatzes von Arbeitnehmern im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit bedeute grundsätzlich nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichte und darauf vertraue, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitsverpflichtung in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Trotz Vertrauensarbeitszeit bleibe der Arbeitgeber daher berechtigt, vom Arbeitnehmer zu verlangen, unter Berücksichti88 10 AZR 325/12, DB 2013, 2215. 89 B. Gaul, AktuellAR 2013, 431 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Flexibilisierungsmöglichkeiten eine bestimmte kalendertägliche, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit nachweisbar im Betrieb mit Arbeit zu verbringen. In dem zugrunde liegenden Fall war die Klägerin als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von etwa 95.000,- € (brutto) mit der Tätigkeit einer Referentin in der Organisationseinheit „Gas Strategy / Market Analysis“ beschäftigt worden. Nach der im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung wurde für die Klägerin kein Gleitzeitkonto geführt und kein Arbeitszeitsaldo gebildet; die Arbeitszeiten wurden lediglich dokumentiert. Mit E-Mail vom 8.10.2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Am 15.10.2010 wiederholte sie diese Aufforderung und bat die Klägerin um Mitteilung, wie sie ein dokumentiertes Arbeitszeitdefizit auszugleichen gedenke. Das Defizit betrug am 8.11.2010 – berechnet auf der Basis einer 38-Stunden-Woche – 686,44 Stunden. Diese Aufforderung blieb ebenso fruchtlos wie das spätere Verlangen der Beklagten, dass die Klägerin eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einhalten solle. Die Klägerin war der Auffassung, dass eine entsprechende Arbeitszeitvorgabe durch die Beklagte angesichts der für sie geltenden Vertrauensarbeitszeit nicht gesetzt werden könnte. Zum Zwecke der Klarstellung erhob sie sodann Klage auf Feststellung, dass sie vertraglich nicht zur Ableistung einer 38Stunden-Woche verpflichtet sei. Dieses Verfahren ist durch – klageabweisendes – Urteil des BAG vom 15.5.201390 rechtskräftig abgeschlossen. Nach dem die Klägerin allerdings auch während dieses Verfahrens weiterhin nach Belieben Anwesenheitszeiten im Betrieb verrichtete, entschloss sich die Beklagte, ihr mehrere Abmahnungen auszusprechen. Gegenstand der Abmahnungen waren das unentschuldigte Fernbleiben der Klägerin an einzelnen Kalendertagen sowie der Umstand, dass sie in zahlreichen Kalenderwochen nur zwischen 2,2 Stunden und 21,99 Stunden gearbeitet hatte. Nachdem die Klägerin auch dann nicht erschien, als Besprechungen anberaumt waren, entschloss sich die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats, am 16.2.2011 eine außerordentliche (fristlose) Kündigung, mit Schreiben vom 22.2.2011 eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.9.2011 auszusprechen. Mit überzeugender Begründung hat das BAG in der jetzt vorliegenden Entscheidung vom 29.8.201391 bereits die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bestätigt. In der beharrlichen Weigerung der Klägerin, die Ar90 10 AZR 325/12, DB 2013, 2215. 91 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323 Rz. 18 ff.
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Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung
beitszeitvorgaben der Beklagten zu erfüllen, liege bereits ein Umstand, der „an sich“ und damit typischer Weise geeignet sei, einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bilden. Denn die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen, sei grundsätzlich geeignet, nach § 626 Abs. 1 BGB eine außerordentliche (fristlose) Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall war bereits durch die rechtskräftige Entscheidung des BAG vom 15.5.201392 festgestellt, dass die Klägerin vertraglich zur Erbringung einer Arbeitsleistung im Umfang von 38-Wochen-Stunden am vereinbarten Dienstort verpflichtet war. Diese Pflicht hat die Klägerin in beharrlicher Weise missachtet. Die Klägerin hatte nicht nur ausdrücklich jede Verpflichtung zur Ableistung eines in Zeitabschnitten bemessenen Mindestmaßes an Arbeit in Abrede gestellt. Sie hatte auch eine entsprechende Feststellungsklage erhoben und tatsächlich die geschuldete Arbeit nicht erbracht. Dass die Bereitschaft bestand, für den Fall des Unterliegens die geschuldete Arbeit nachzuleisten, war nicht erkennbar und wäre unter Berücksichtigung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben auch unwahrscheinlich. Dass zwischen den Parteien Streit über die Frage bestand, ob die Klägerin zur Ableistung dieser Arbeit verpflichtet war, stand der Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen93. Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstelle, sei – so das BAG – die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer könne sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch - vorläufig – entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleite. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers – ggf. über Jahre – in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigere der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handle rechtmäßig, habe grundsätzlich er selbst das Risiko dafür zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweise. Dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet habe, reiche nicht aus, um von einem unverschuldeten Rechtsirrtum auszugehen. Unverschuldet sei ein
92 10 AZR 325/12, DB 2013, 2215 Rz. 16 ff. 93 BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323 Rz. 31 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Rechtsirrtum – so das BAG – nur, wenn der Arbeitnehmer mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte94. Ein solcher Fall lag für das BAG nicht vor. Die Klägerin musste nach Auffassung des 2. Senats damit rechnen, dass trotz der vereinbarten Vertrauensarbeitszeit eine Arbeitsverpflichtung in einem bestimmten zeitlichen Umfang bestand. Die Beklagte konnte sich bei ihrem entsprechenden Verlangen sowohl auf die bisherige Rechtsprechung des BAG als auch auf eine verbreitete Auffassung in der Literatur stützen. Nach Auffassung des BAG war dies für die Klägerin ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Erreichung von Zielen nach dem Arbeitsvertrag lediglich für die Höhe ihrer variablen Vergütung relevant war. Indem sie bei einer derartigen Sach- und Rechtslage sämtliche gegen die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung sprechenden Gesichtspunkte sehenden Auges hintanstellte, handelte sie bewusst auf eigenes Risiko. Abschließend hat das BAG eine Interessenabwägung vorgenommen und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Interessen der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der Kündigungsfrist das Interesse der Klägerin an einer weiteren Beschäftigung überwogen haben. Das vertragswidrige Verhalten der Klägerin hatte ein erhebliches Gewicht und war auch vermeidbar. Allein der Umstand, dass der von der Klägerin beauftragte Rechtsanwalt sie in ihrem gegenteiligen Standpunkt bestärkt haben mag, änderte daran für das BAG nichts. Da auch mildere Mittel in Form einer Abmahnung fruchtlos geblieben waren, war auch unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin (42 Jahre) und ihrer Betriebszugehörigkeit (fünf Jahre) keine angemessene und gleichfalls geeignete Möglichkeit erkennbar, die weitere Störung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft zu beseitigen. Da die beharrliche Arbeitsverweigerung der Klägerin einen Dauertatbestand bildete, der sich fortlaufend neu verwirklichte, war auch von einer Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB auszugehen95. (Ga)
94 BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323 Rz. 33f., BGH v. 6.12.2006 – IV ZR 34/05, NJW-RR 2007, 382 Rz. 15. 95 BAG v. 29.8.2013 – 2 AZR 273/12, NJW 2014, 1323 Rz. 45; BAG v. 13.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 2273 Rz. 20.
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Außerordentliche Kündigung wegen fehlerhafter Spesenabrechnung
9.
Außerordentliche Kündigung wegen fehlerhafter Spesenabrechnung
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG96 durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Die verhaltensbedingte Kündigung stellt nämlich keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit dar, vielmehr soll das Risiko künftiger Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden. Es kommt deshalb darauf an, ob eine Wiederholungsgefahr besteht oder ob die Pflichtverletzung künftige Folgewirkungen aufweist, die einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entgegenstehen97. Ist demgemäß die Vertragspflichtverletzung auf steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen, kann grundsätzlich erwartet werden, dass sich das künftige Verhalten des Arbeitnehmers bereits durch eine Abmahnung und damit durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflussen lässt98. Der Vorschaltung einer Abmahnung bedarf es nach dem in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist99.
96 Nur BAG v. 9.6.2011 - 2 AZR 284/10, NZA-RR 2012, 12 Rz. 22; BAG v. 27.9.2012 - 2 AZR 811/11, ZTR 2013, 265 Rz. 16 ff. 97 BAG v. 24.3.2011 - 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029 Rz. 13; BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 34; BAG v. 12.2.2009 - 2 AZR 603/07, NZA 2009, 894 Rz. 17; BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589 Rz. 38. 98 BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 495/11, NZA 2013, 319 Rz. 16. 99 So BAG v. 19.4.2012 - 2 AZR 186/11, NZA 2013, 27 Rz. 22; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 495/11, NZA 2013, 319, Rz. 16.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Diese vom BAG in langjähriger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hatte der 2. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 11.7.2013100 auf einen Rechtsstreit anzuwenden, der die ordentliche Kündigung eines Flugkapitäns einer Airline betraf, dem der Arbeitgeber eine falsche Spesenabrechnung in Höhe eines Betrags von 120,- € vorhielt. Der Kläger hätte nach den Angaben der Beklagten für eine Reise ein Crew-Ticket im Werte von 135,- € nutzen können, hatte jedoch die Nutzung des eigenen Pkw bei der Spesenabrechnung geltend gemacht, wofür ihm 120,- € erstattet worden waren. Nach dem Vortrag der Beklagten war der Kläger in Wahrheit zu einem noch günstigeren Preis geflogen. Im Rahmen der prozessualen Auseinandersetzung exkulpierte sich der Kläger damit, dass die maßgebende, von ihm eingereichte Reisekostenabrechnung nicht von ihm, sondern von seiner Freundin ausgefertigt worden und von ihm deshalb auch nicht unterschrieben worden sei. Während das LAG Düsseldorf101 die Kündigung der Beklagten mangels einer Abmahnung für rechtsunwirksam hielt, weil nicht festgestellt werden könne, dass der Kläger vorsätzlich falsch abgerechnet habe, hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen, weil es bei seiner Würdigung der Berechtigung der Kündigung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt habe. Zunächst geht das BAG davon aus, dass ein Arbeitnehmer, der bei Spesenabrechnungen bewusst falsche Angaben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, in erheblicher Weise seine vertraglichen Pflichten verletzt. Derartige Unkorrektheiten können nach Ansicht des BAG selbst dann geeignet sein, eine - ggf. außerordentliche - Kündigung zu rechtfertigen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall und einen geringen Erstattungsbetrag handelt102. Ob im Falle des Klägers bewusstes und damit vorsätzliches Handeln zu bejahen war, hing davon ab, ob die unrichtige Abrechnung versehentlich vom Kläger vorgenommen worden war. Dabei nimmt das BAG ein bewusst vorsätzliches Handeln auch dann an, wenn der Arbeitnehmer die Unrichtigkeit und den auf ihr beruhenden rechtswidrigen Erfolg für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat103. Dies folgt daraus, dass ein (objektiver) Verstoß gegen das vertragliche Gebot einer korrekten Spesenabrechnung für sich betrachtet, noch keinen Vorsatz bezüglich ihrer Unrichtigkeit indiziert. Ein derartiger
100 101 102 103
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2 AZR 994/12, NZA 2014, 250. 24.9.2012 - 9 Sa 1014/12, LAGE § 9 KSchG Nr. 45 Rz. 109. BAG v. 6.9. 2007 - 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636 Rz. 23. BAG v. 28.4.2011 - 8 AZR 769/09, NZA-RR 2012, 290 Rz. 50.
Außerordentliche Verdachtskündigung und ordentliche Tatkündigung
Vorsatz ist jedoch dann zu bejahen, wenn die unrichtige Spesenabrechnung gewollt war (dolus directus) oder ihre mögliche Unrichtigkeit vom Arbeitnehmer gebilligt wurde (dolus eventualis). In diesem Zusammenhang hat das BAG im Gegensatz zum LAG einen Täuschungsvorsatz des Klägers bejaht, der nicht allein deswegen ausgeräumt werden konnte, wie das LAG angenommen hatte, weil der Kläger das Abrechnungsformular weder selbst erstellt noch unterschrieben hatte. Denn damit war nicht ausgeschlossen, dass er eine Erstattung angeblicher Fahrtkosten mit dem PKW auch ohne seine Unterschrift billigend in Kauf nahm, zumal er selbst das Formular mit falschen Angaben eingereicht und damit seinen Wunsch nach einer Kostenerstattung dokumentiert hatte. Angesichts der nicht aufgeklärten Behauptung des Klägers, bei Übergabe der Spesenabrechnung dem Sachbearbeiter erklärt zu haben, diese weder gefertigt noch kontrolliert zu haben, könnte ein Täuschungsvorsatz des Klägers zu verneinen sein, wenn man davon ausginge, dass seine Angaben nicht als Basis für eine Kostenerstattung hätten dienen sollen. Zur Aufklärung dieser Frage und zur Prüfung, ob der Kläger an dem fraglichen Tag nicht mit dem PKW, sondern mit dem Flugzeug angereist war, hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Für die betriebliche Praxis verdient die Entscheidung des BAG in zweifacher Hinsicht Beachtung. Zum einen sollten Spesenabrechnungen stets mit einer Unterschrift des Ausstellers versehen sein, um dadurch die Übernahme der Verantwortung für den Inhalt ausreichend und zweifelsfrei zu dokumentieren. Überdies sollten klare Richtlinien für Spesenabrechnungen bestehen. Des Weiteren verdeutlicht das Urteil, dass ein Täuschungsvorsatz bei der Spesenabrechnung bereits dann zu bejahen ist, wenn der Arbeitnehmer die Unrichtigkeit der Abrechnung billigend in Kauf nimmt. Regelmäßig wird bei derartigem Befund auch nicht zu verlangen sein, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit zunächst nur mit einer Abmahnung reagiert, weil jedem Arbeitnehmer hinlänglich bewusst ist, dass die Schwere der Pflichtverletzung den Arbeitgeber regelmäßig zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst. (Boe)
10. Außerordentliche Verdachtskündigung und ordentliche Tatkündigung Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Für den Prüfungsmaßstab des wichtigen Grundes hat die Rechtsprechung des BAG104 bestimmte Grundsätze entwickelt, die sich in einer zweiteiligen Prüfung niederschlagen: Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht. Soweit es um den ersten Prüfungsschritt geht, sind als wichtiger Grund „an sich“ nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Tatsachen (Tatkündigung) geeignet. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Kündigungsgrund abgeben. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar105. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss darüber hinaus eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft106. Verdächtigungen, die auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützt werden, können eine Verdachtskündigung nicht rechtfertigen107. Der Arbeitgeber muss zudem alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben108.
104 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 45 ff.; BAG v. 9.6.2011 - 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 16; BAG v. 19.4.2012 - 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567 Rz. 33; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 15. 105 BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 13; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243 Rz. 16. 106 BAG v. 12.5.2010 - 2 AZR 587/08, NZA-RR 2011, 15 Rz. 27; BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09, NZA-RR 2012, 222 Rz. 16; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 14. 107 BAG v. 24.5.2012 - 2 AZR 206/11, NZA 2013, 137 Rz. 17; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 14. 108 BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09, NZA-RR 2012, 222 Rz. 16; BAG v. 24.5.2012 - 2 AZR 206/11, NZA 2013, 137 Rz. 17; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 13.
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Bezüglich des zweiten Prüfungsschritts, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen109. Dabei sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu gewichten110. Eine außerordentliche Kündigung kommt jedoch nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nur in Frage, wenn dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind, um das Arbeitsverhältnis fortzusetzen111, so dass in diesem Sinne anstelle der fristlosen Kündigung auch die ordentliche Kündigung in Betracht kommt112. Maßgebend für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung sind grundsätzlich die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt ihres Zugangs113. Auf diesen Zeitpunkt kommt es sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung an. Nachträglich eintretende Umstände können als Rechtfertigungsgründe für die Kündigung nicht herangezogen werden. Sie können Gegenstand einer weiteren Kündigung oder Grundlage für einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG sein114. In der Entscheidung vom 21.11.2013 musste sich der 2. Senat des BAG115 mit dem Verhältnis von der Verdachtskündigung als außerordentliche Kündigung zu einer ordentlichen Tatkündigung befassen. Der Fall betraf eine Arbeitnehmerin, die seit 19 Jahren im Einzelhandelsunternehmen der Be109 So BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 34; BAG v. 19.4.2012 - 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567 Rz. 14. 110 BAG v. 19.4.2012 - 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567 Rz. 14; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 15. 111 BAG v. 16.12.2010 - 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571 Rz. 24; BAG v. 9.6.2011 - 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 39. 112 So BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 34; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 17. 113 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 52; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 20. 114 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 52. 115 BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
klagten und zuletzt im Getränkemarkt an der Kasse für die Leergutannahme beschäftigt war. Wegen aufgetretener Leergutdifferenzen führte die Beklagte nach Abstimmung mit dem Betriebsrat in der Zeit vom 13.7.2009 bis zum 3.8.2009 eine verdeckte Videoüberwachung durch, aus der am 3.9.2009 hervorging, dass sich unter der Leergutkasse ein Plastikbehälter mit Geld befand, aus dem die Klägerin am 22.7.2009 und am 23.7.2009 Geld entnommen und in ihre Hosentasche gesteckt hatte. Dies war zwischen den Parteien unstreitig. Nach Anhörung der Klägerin und des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen des Verdachts der Untreue und Unterschlagung mit Schreiben vom 11.9.2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.3.2010. Während das Arbeitsgericht die rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage der Klägerin insgesamt abgewiesen hat, hat das LAG die fristlose Verdachtskündigung für unwirksam gehalten, ist jedoch von der Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen (ordentlichen) Verdachtskündigung ausgegangen. Das BAG hat die Entscheidung des LAG unbeanstandet gelassen, soweit es die fristlose Verdachtskündigung betraf. Deren Wirksamkeit scheiterte im Rahmen des zweiten Prüfungsschritts bei der Interessenabwägung, nachdem zunächst der wichtige Grund für eine fristlose Kündigung „an sich“ bejaht worden war. Dabei hat das LAG - vom BAG unbeanstandet gelassen – die über rund 18 Jahre hinweg loyale Tätigkeit der Klägerin als Verkäuferin und Kassiererin zu ihren Gunsten ebenso berücksichtigt wie den Umstand, dass der Beklagten allenfalls ein geringfügiger Schaden entstanden war und die Beklagte ihrerseits erst im August 2009 eine Ablaufbeschreibung der Kassentätigkeit erlassen hatte. Nicht gefolgt ist das BAG der Annahme des LAG, dass die hilfsweise von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Verdachtskündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, weil sie den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG genüge. Dieser Bewertung tritt das BAG mit dem Argument entgegen, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt – so das BAG - zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestünden keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten müsse der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Dies gelte zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Konsequenterweise müssen die Verdachtsmomente auch bei einer ordentlichen Kündigung ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schlechterdings nicht 136
Außerordentliche Verdachtskündigung und ordentliche Tatkündigung
mehr zugemutet werden kann. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündigung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG „bedingt“116. Damit wird die begriffliche Kennzeichnung der Verdachtskündigung ohne graduelle Unterschiede einheitlich für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB und die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommen. Die Rechtfertigung hierfür bezieht das BAG117 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG daraus, dass das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers bei der Güterabwägung Vorrang vor dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers verdient, weil die Rechtsordnung das Risiko, einen Unschuldigen zu treffen, nicht in Kauf nimmt. Legt man diesen Maßstab an die Wirksamkeit einer ordentlichen Verdachtskündigung an, so konnte die Entscheidung des LAG, die fristlose Verdachtskündigung zu verneinen, sie jedoch als ordentliche Kündigung aufrecht zu erhalten, keinen Bestand haben. Ungeachtet dessen hat das BAG den Fall nicht durchentschieden, sondern an das LAG zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Nach Ansicht des BAG hätte das LAG aufgrund der objektiven Verdachtsumstände möglicherweise zu dem Ergebnis gelangen können, dass sich die Klägerin die aus dem Behälter entnommenen Geldstücke tatsächlich habe zueignen wollen (Tatkündigung) und deshalb die ordentliche Kündigung auf eine erwiesene Tat gestützt werden konnte. An dieser Prüfung war das LAG nicht allein deshalb gehindert, weil sich der Arbeitgeber während des Prozesses nicht darauf berufen hatte, die ausgesprochene Kündigung auch auf die erwiesene Tat stützen zu wollen118. Begründet nämlich der Arbeitgeber eine Kündigung mit dem Verdacht einer pflichtwidrigen Verhaltensweise des Arbeitnehmers und gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat, so kann es darauf die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung stützen, weil für die Begründung der Kündigungsberechtigung ausschließlich der objektive Sachverhalt von Bedeutung ist119. Ist z. B. eine Verdachtskündigung mangels Anhörung des Arbeitnehmers unwirksam, hat das Gericht stets zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber vorgetragenen Verdachtsmomente geeignet sind, die Überzeugung von einer 116 Zuvor BAG v. 27.11.2008 - 2 AZR 98/07, NZA 2009, 604 Rz. 18. 117 BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 33. 118 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 23; BAG v. 27.1.2011 - 2 AZR 825/09, NZA 2011, 798 Rz. 26; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 39. 119 BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 39.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
entsprechenden Tat zu gewinnen und damit die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung zu rechtfertigen. Im Streitfall sah das BAG auch in dem Umstand, dass der Betriebsrat von der Beklagten nach § 102 Abs. 1 BetrVG lediglich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört worden war, keinen Hinderungsgrund, die ordentliche Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung zu überprüfen. Entscheidend für die Wirksamkeit der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist dabei, dass ihm vom Arbeitgeber diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen120. Dem Betriebsrat obliegt im Anhörungsverfahren nicht die Kontrolle darüber, ob sich der mitgeteilte Sachverhalt lediglich für eine Verdachtskündigung oder auch für eine Tatkündigung eignet. Soweit nunmehr das LAG nach der Zurückverweisung über den Tatvorwurf als Tatkündigung zu befinden hat, bleibt ihm jedoch im Sinne eines Beweisverwertungsverbots versagt, auf den Inhalt der Videoaufzeichnungen durch Inaugenscheinnahme zurückzugreifen. Das BAG121 begründet das Beweisverwertungsverbot damit, dass Informationen und Beweismittel, die der Arbeitgeber mittels einer heimlich durchgeführten Videoüberwachung gewonnen hat, im Hinblick auf das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrechts nur dann prozessual verwertbar sind, wenn es um den Nachweis eines strafbaren Verhaltens oder einer ähnlich schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers geht und die Informationsbeschaffung und Informationsverwertung selbst dann nicht als unverhältnismäßig angesehen werden kann. Unentschieden lässt das BAG dabei, ob dieses Ergebnis auch aus § 6 b BDSG oder § 32 BDSG herzuleiten ist. Diese Entscheidung des BAG ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zunächst enthält sie die für die Praxis wichtige Klarstellung, dass die Definition der Verdachtskündigung als solche nur eine Kündigung aus wichtigem Grunde erlaubt, unabhängig davon, ob sich der Arbeitgeber entschließt, den Verdacht nur zum Anlass einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitnehmers i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG zu nehmen. Des Weiteren muss eine als Verdachtskündigung ausgesprochene Kündigung ohne besonderen Hinweis des beklagten Arbeitgebers vom Arbeitsgericht als Tat120 BAG v. 23.6.2009 - 2 AZR 474/07, NZA 2009, 1136 Rz. 59; BAG v. 10.6.2010 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 24; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 41. 121 BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 42.
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Kündigung wegen unbefugten Löschens von Daten
kündigung geprüft werden, wenn die unstreitigen oder erwiesenen Umstände den Nachweis der Tat zur Überzeugung des Gerichts begründen. Maßgebend bleibt allein für die Beurteilung des Gerichts der objektive Sachverhalt, wie er sich nach dem Parteivorbringen oder einer Beweisaufnahme offenbart. Die Anhörung des Betriebsrats stellt jedenfalls dann keinen Hinderungsgrund für den Begründungswechsel von Verdachts- zur Tatkündigung dar, wenn die dem Betriebsrat zuteil gewordenen Informationen beide Kündigungsgründe abdecken. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass sich der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat festlegen muss, ob er eine Verdachts- oder Tatkündigung beabsichtigt. (Boe)
11.
Außerordentliche (fristlose) Kündigung wegen unbefugten Löschens von Daten
Mit Urteil vom 5.8.2013122 hat das LAG Hessen rechtskräftig festgestellt, dass der Arbeitgeber wirksam mit einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung das Arbeitsverhältnis wegen des unbefugten Löschens von Daten gekündigt hatte. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien am 25.6. und 30.6.2009 Gespräche über eine Verlängerung der Probezeit geführt. Ein Aufhebungsvertrag, den die Beklagte am 30.6.2009 vorgelegt hatte, unterzeichnete der Kläger jedoch nicht. Sie forderte ihn daraufhin auf, sämtliche Arbeitsmittel herauszugeben, zu denen auch der ihm durch den Arbeitgeber überlassene Laptop gehörte. Bei Durchsicht des Datenträgers stellte die Beklagte sodann fest, dass der Kläger am 30.6.2006 noch vor der Rückgabe des Laptops 373 OutlookObjekte zunächst in den Papierkorb transferiert („vorläufig gelöscht“) und von dort dann durch Leeren des Papierkorbs „permanent“ gelöscht hatte. Diese Objekte setzten sich aus Kontakten, Adressen, E-Mails (Nachrichten), Aufgaben und Terminen zusammen. Eine Berechtigung des Klägers, dienstliche Daten, um die es sich vorliegend handelte, zu löschen, bestand nicht. Berechtigterweise hat das LAG Hessen in diesem Verhalten einen wichtigen Grund gesehen, der nach § 626 Abs. 1 BGB eine außerordentliche (fristlose) Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte. Dabei komme es weder darauf an, ob und mit welchem Aufwand ein Teil dieser gelöschten Daten wieder hergestellt werden konnte. Unerheblich sei auch, ob und in welchem Umfang die Beklagte für den weiteren Geschäftsablauf diese Daten tatsäch-
122 7 Sa 1060/10 n. v.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
lich benötigte. Denn es gehöre zu den vertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitsvertragsverhältnisses i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber jederzeit den Zugriff zu seinen Arbeitsergebnissen, die auch in digitaler Form abgespeichert sein könnten, ermögliche. Hierzu gehörten – so das LAG Hessen – gerade auch bei einer kundenbezogenen Tätigkeit, wie sie der Kläger für die Beklagte ausgeübt hatte, die Adressen der Kunden, die vereinbarten Termine sowie die tätigkeitsbezogene E-MailKorrespondenz. Dass im Rahmen der E-Mails zum Teil auch private Nachrichten vorhanden waren, stand diesem Ergebnis in Bezug auf die überwiegend dienstlich geprägten Daten nicht entgegen. Angesichts der Tatsache, dass der Rechner dem Kläger als Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt war und er dort in erheblichem Umfang Daten verarbeitete und speicherte, die er zur Erledigung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten benötigte, wiege der Umstand, dass im Rahmen der Beweisaufnahme auch private Dateien des Klägers namentlich bekannt wurden, als so geringer Eingriff in dessen Privatsphäre, dass dies nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führte und deshalb der Frage, ob dem Kläger die private Nutzung des Rechners der Beklagten überhaupt gestattet war, nicht weiter nachgegangen werden musste123. Dem ist auch unter Berücksichtigung von § 32 BDSG zuzustimmen, wenngleich weitergehende Einschränkungen aus dem TKG denkbar sind124. Da das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verhaltens gerade sechs Monate bestanden hatte und der Kläger offenkundig die Gespräche über eine etwaige Verlängerung der Probezeit zum Anlass genommen hatte, bereits Daten des Arbeitgebers zu löschen, hielt das LAG Hessen eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer Frist für die ordentliche Kündigung auch nicht mehr für zumutbar. Insofern rechtfertigte eine Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, dass das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber fristlos beendet wurde. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. (Ga)
123 LAG Hessen v. 5.8.2013 7 Sa 1060/10 n. v. (Rz. 61 ff., 70 f.). 124 Vgl. bezüglich der Handhabung von Betriebsmitteln auch Möller, ITRB 2013, 286 ff.
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Verwertung heimlich erlangter Beweismittel im Kündigungsschutzprozess
12. Verwertung heimlich erlangter Beweismittel im Kündigungsschutzprozess Im Gegensatz zu der an anderer Stelle behandelten Entscheidung des BAG vom 21.11.2013125, die sich mit dem Verhältnis von der Verdachtskündigung als außerordentlicher Kündigung zu einer ordentlichen Tatkündigung befasste126, ging es in der Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 20.6.2013127 um die Frage, ob eine außerordentliche Tatkündigung, die mangels Verwertbarkeit von heimlich erlangten Beweismitteln vom Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden kann, alternativ ohne diese Beweismittel als Verdachtskündigung aus wichtigem Grund vom ArbG zu berücksichtigen ist. Der Fall betraf einen Verkaufsmitarbeiter, der seit 16 Jahren in einem Großhandelsmarkt in der Getränkeabteilung beschäftigt war und sich am 4.3.2011 – nach den Behauptungen der Beklagten – wegen im Abfall der Getränkeabteilung aufgefundener Etiketten von Damenunterwäsche dem Verdacht ausgesetzt hatte, sich rechtswidrig in den Besitz von Damenunterwäsche gebracht zu haben. In Abwesenheit des im Betrieb arbeitenden Klägers öffnete der zuständige Geschäftsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds dessen verschlossenen Spind und fand in dessen Jacke die zu den Etiketten gehörende Damenunterwäsche. Der Geschäftsleiter beließ die Damenunterwäsche in der Jacke des Klägers und wollte diesen beim Verlassen des Betriebs mittels einer Taschenkontrolle überführen, was misslang, weil dieser den Markt frühzeitiger verlassen hatte. Als danach der Spind erneut geöffnet wurde, war die Damenunterwäsche weg. Nach einer Strafanzeige wegen Diebstahls fand eine ergebnislose Wohnungsdurchsuchung bei dem Kläger statt. Dem Kläger wurde von der Beklagten Gelegenheit zu einem mündlichen Gespräch und zu einer schriftlichen Stellungnahme geben. Er erklärte sich zu dem Vorwurf nicht. Nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 17.3.2011 fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 31.10.2011. In der rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger ausdrücklich bestritten, Damenunterwäsche in seinem Spind aufbewahrt zu haben. Zur Begründung der ausgesprochenen außerordentlichen Tatkündigung wegen Diebstahls berief sich der Arbeitgeber auf das Zeugnis des Geschäftsleiters und des Betriebsratsmitglieds und machte geltend, die heimliche Kontrolle
125 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243. 126 Vgl. Boewer, AktuellAR 2014, 136 ff. 127 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
des Spinds sei die einzig effektive Möglichkeit gewesen, den Sachverhalt aufzuklären. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage insgesamt stattgegeben. Das LAG ging davon aus, dass bezüglich der Zeugeneinvernahme der von dem beklagten Arbeitgeber benannten Zeugen ein Beweisverwertungsverbot wegen der heimlichen Durchsuchung des Spindes bestünde und für eine Verdachtskündigung aus wichtigem Grund keine Anhörung des Betriebsrats vorläge. Das BAG hat den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen. Zunächst folgt das BAG der Bewertung des LAG, dass die fristlose Kündigung der Beklagten nicht deshalb gerechtfertigt ist, weil dem Kläger im Sinne einer Tatkündigung eine strafbare Handlung oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten vorgeworfen werden kann. Zum Nachteil des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer begangene Vermögensdelikte sind zwar „an sich“ (typischerweise) geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, was auch dann der Fall ist, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft und der Arbeitgeber nur einen geringfügigen Schaden erleidet128. Die dafür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hatte nach Ansicht des LAG für den Diebstahl der Damenunterwäsche keinen geeigneten Beweis angeboten, weil ihre Kenntnis vom Inhalt des Spinds auf einem unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers beruhe, womit eine Beweiserhebung über das Ergebnis der Spindkontrolle ausscheide. Diesem Beweisverwertungsverbot hat sich das BAG unter Hinweis darauf angeschlossen, dass die Erhebung eines angebotenen Beweises ausgeschlossen ist, wenn der Schutzzweck der bei der Informationsgewinnung verletzten Norm einer gerichtlichen Verwertung um der Vermeidung eines Eingriffs in höherrangige Rechtspositionen Willen entgegensteht. Ein derartiges Verwertungsverbot von Beweismitteln (hier Zeugeneinvernahme) lag nach Ansicht des BAG vor, weil die in Abwesenheit des Klägers vorgenommene Spindkontrolle und damit heimlich erfolgte Datenbeschaffung entweder bereits nach § 32 BDSG verboten war oder sich daraus ergab, dass mit der Beweiserhebung zugleich ein erneuter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers einherginge, ohne dass dieser durch überwiegende Interessen des beklagten Arbeitgebers gerechtfertigt wäre. 128 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 26; BAG v. 21.6.2012 - 2 AZR 153/11, NZA 2012, 1025 Rz. 17; BAG v. 20.6.2013 - 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143 Rz. 13.
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Verwertung heimlich erlangter Beweismittel im Kündigungsschutzprozess
Die Feststellung eines derartigen Beweisverwertungsverbots bedarf einer Güter- und Interessenabwägung, wobei das in Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verankerte Gewährleistungsgebot einer funktionstüchtigen Rechtspflege, verbunden mit dem Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung, die unter Berücksichtigung der von den Parteien angebotenen Beweismittel anzustreben ist129, in einen Gegensatz zum ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) treten kann, wenn es um die prozessuale Verwertung von Erkenntnissen geht, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat130. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG durch die verfassungsmäßige Ordnung, zu der auch die zivilprozessualen Vorschriften über die Vernehmung von Zeugen (§§ 373 ff. ZPO) und die Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) gehören, beschränkt wird, muss sich eine Partei im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege die Verwertung von Erkenntnissen gefallen lassen, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht besorgt hat, wenn das Interesse an der Verwertung dieser Beweise trotz des damit einhergehenden Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht schutzwürdiger ist. Dafür reicht das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege für sich betrachtet jedoch noch nicht aus, vielmehr muss sich der Beweisführer praktisch in einer Notwehrlage oder einer notwehrähnlichen Situation (§ 227 BGB) befinden131. Im Streitfall lässt das BAG132 unentschieden, ob es sich bei der in Rede stehenden Spind-Kontrolle tatbestandlich um eine Datenerhebung i. S. v. § 32 BDSG handelt, wobei diese Vorschrift nicht voraussetzt, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt, sondern auch die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen erfasst. Nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäfti-
129 BVerfG v. 9.10.2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619 (Mithörvorrichtung) Rz. 60; BVerfG v. 13.2.2007 - 1 BvR 421/05, NJW 2007, 753 (Kuckuckskinder) Rz. 93. 130 Vgl. dazu auch BGH v. 15.5.2013 - XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668 (heimliche GPS-Überwachung). 131 BVerfG v. 9.10.2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619 (Mithörvorrichtung) Rz. 62; BGH v. 15.5.2013 - XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668 (heimliche GPS-Überwachung) Rz. 23. 132 BAG v. 20.6.2013 - 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143 Rz. 25.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
gungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Nach Ansicht des BAG ergeben sich aus dieser Vorschrift gegenüber einer unmittelbar an Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers keine anderen Vorgaben. Daraus folgt auch bei einem begründeten Verdacht einer strafbaren Handlung, dass jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen hat. Es darf mithin kein anderes, gleich wirksames, das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung stehen. Unter Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze gelangt das BAG zu dem Ergebnis, dass die Beklagte – auch bei Unterstellung eines begründeten Verdachts des Diebstahls gegen den Kläger – den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deswegen missachtet hat, weil sie den Kläger zur Kontrolle seines Spinds hätte hinzuziehen müssen. Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Schrankkontrolle stellt danach das mildere Mittel dar, weil die Heimlichkeit den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verstärkt. Damit war eine Beweiserhebung über das Ergebnis der Spind-Kontrolle ausgeschlossen. Wenn auch damit die Beklagte den Beweis für eine Tatkündigung des Klägers schuldig geblieben war, folgte daraus nach Ansicht des BAG nicht notwendig, dass im Verhalten des Klägers kein wichtiger Grund zur Kündigung i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Der Beklagten blieb es nämlich nicht versagt, die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde auch auf den Verdacht der rechtswidrigen Entwendung der Damenunterwäsche zu stützen. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Kündigungsgrund abgeben. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss darüber hinaus eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft133. Der Arbeitgeber muss zudem alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts un-
133 BAG v. 12. 5.2010 - 2 AZR 587/08, NZA-RR 2011, 15 Rz. 27; BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09, NZA-RR 2012, 222 Rz. 16; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 14.
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Verwertung heimlich erlangter Beweismittel im Kündigungsschutzprozess
ternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben134. An dieser Prüfung war das LAG nicht allein deshalb gehindert, weil sich der Arbeitgeber während des Prozesses nicht darauf berufen hatte, die ausgesprochene Kündigung auch auf den Verdacht einer strafbaren Handlung stützen zu wollen135. Für die Begründung der Kündigungsberechtigung ist nämlich ausschließlich der objektive Sachverhalt von Bedeutung136. Im Streitfall hatte sich das LAG einer Prüfung des Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung entzogen, weil es davon ausging, dass der Betriebsrat nicht auch zu einer Verdachtskündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört worden sei. Unabhängig davon, dass der Kläger im Verlaufe der prozessualen Auseinandersetzung bereits erstinstanzlich vorgetragen hatte, seine Rüge der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats bliebe nicht aufrechterhalten, geht das BAG davon aus, dass der Betriebsrat auch wegen des Verdachts eines pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers ausreichend von der Beklagten unterrichtet worden war. Entscheidend für die Wirksamkeit der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist dabei, dass ihm vom Arbeitgeber diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatvorwurf, sondern auch den Tatverdacht begründen137. Davon ist das BAG allein deswegen ausgegangen, weil die Beklagte dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung unter Darstellung des Sachverhalts mitgeteilt hatte, dass der Kläger schon seit längerer Zeit unter dem Verdacht des Diebstahls gestanden habe. Schließlich konnte die materielle Berechtigung der Verdachtskündigung auch nicht von vornherein daran scheitern, dass die Beklagte dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte. Auch diese Entscheidung des BAG ist ein Beispiel dafür, unter welchen Prämissen heimliche Kontrollen eines Arbeitnehmers stattfinden dürfen, um ihn einer strafbaren Handlung oder schwerwiegenden Pflichtverletzung zu 134 BAG v. 25.11.2010 - 2 AZR 801/09, NZA-RR 2012, 222 Rz. 16; BAG v. 24.5.2012 - 2 AZR 206/11, NZA 2013, 137 Rz. 16 f.; BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, NZA 2013, 371 Rz. 13. 135 BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 23; BAG v. 27.1.2011 - 2 AZR 825/09, NZA 2011, 798 Rz. 26; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 39. 136 BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 39. 137 BAG v. 23.6.2009 - 2 AZR 474/07, NZA 2009, 1136 Rz. 59; BAG v. 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 Rz. 24; BAG v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, DB 2014, 367 Rz. 41.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
überführen. Handelt der Arbeitgeber bei der Datenbeschaffung rechtswidrig, insbesondere unter nicht ausreichender Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, so muss er sich trotz erweisbarer Tatsachen ein Beweisverwertungsverbot entgegenhalten lassen138. Zudem belegt die Entscheidung des BAG, dass der Arbeitgeber bei der Anhörung des Betriebsrats gut beraten ist, wenn er sich zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund nicht nur auf die seiner Meinung nach erwiesene vertragswidrige Verhaltensweise des Arbeitnehmers beruft, sondern die Kündigung zugleich auch auf den Verdacht einer schwerwiegenden Vertragsverletzung stützt, wobei letzteren Falls die Notwendigkeit einer der Kündigung vorgeschalteten Stellungnahmemöglichkeit des Arbeitnehmers nicht übersehen werden darf. (Boe)
13. Zulässige Änderungskündigung in Bezug auf Entgeltleistungen im Arbeitsvertrag Nach der Legaldefinition in § 2 S. 1 KSchG liegt eine Änderungskündigung vor, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt und im Zusammenhang mit der Kündigung dessen Fortsetzung zu geänderten Arbeitsbedingungen anbietet. Die Änderungskündigung ist daher ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes bzw. bestimmbares, somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes (ausreichend bestimmtes) Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen. Die Offerte des Arbeitgebers muss daher bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den wesentlichen Inhalt der angestrebten Vertragsänderung so genau wiedergeben, dass sie zumindest unter Zuhilfenahme der maßgebenden Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) feststellbar ist und durch bloße Zustimmung des Arbeitnehmers angenommen werden kann139. Der erforderliche Zusammenhang zwischen Kündigung und Änderungsangebot besteht nur dann, wenn das Änderungsangebot spätestens mit dem Zugang der Kündigungserklärung abgegeben wird. Ein nach diesem Zeitpunkt unterbreitetes Änderungsangebot ist nicht zu berücksichtigen140. Das Änderungsangebot kann zwar nach Ansicht des BAG schon vor Ausspruch 138 Vgl. auch Wybitul/Pötters, BB 2014, 437, 442. 139 BAG v. 16.9.2004 - 2 AZR 628/03, NZA 2005, 635 Rz. 15; BAG v. 15.1.2009 - 2 AZR 641/07, DB 2009, 1299 Rz. 16; BAG v. 29.9.2011 - 2 AZR 523/10, NZA 2012, 628 Rz. 29. 140 BAG v. 17.5.2001 – 2 AZR 460/00 – NZA 2002, 54 Rz. 34.
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Zulässige Änderungskündigung in Bezug auf Entgeltleistungen im Arbeitsvertrag
der Kündigung abgegeben werden. In diesem Fall muss der Arbeitgeber aber beim späteren Ausspruch der Kündigung klarstellen, dass er das Änderungsangebot trotz der gescheiterten Vertragsverhandlungen aufrechterhält. Das Angebot ist praktisch zu wiederholen, weil mangels Bestimmung einer Annahmefrist (§ 148 BGB) nicht feststeht, ob das ursprüngliche Vertragsänderungsangebot bei Ausspruch der Kündigung bereits erloschen war (§§ 145, 147 BGB)141. Kündigung und Änderungsangebot stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Aus diesem Grund besteht auch eine Wechselbeziehung zwischen Unwirksamkeit der Kündigung und dem unter Vorbehalt angenommenen oder abgelehnten rechtsunwirksamen Änderungsangebot nach § 134 oder § 139 BGB142. Mit der rechtlichen Möglichkeit nach § 2 S. 1 KSchG, das Änderungsangebot des Arbeitgebers unter Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung akzeptieren zu dürfen, wird dem Arbeitnehmer – wie sich aus den in §§ 8 und 7 Halbs. 2 KSchG angeordneten Rechtsfolgen ergibt – das Recht eingeräumt, das Angebot des Arbeitgebers unter der auflösenden Bedingung anzunehmen, dass die Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen in einem Änderungsschutzprozess gerichtlich festgestellt wird. Die Rechtsfolge der auflösend bedingten Vertragsänderung tritt gemäß § 158 Abs. 2 BGB sofort ein. Sie endet mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung. Abweichend von § 158 Abs. 2 BGB, wonach der frühere Rechtszustand wieder ex nunc hergestellt wird, ordnet § 8 KSchG im Interesse des Arbeitnehmers an, dass er in Übereinstimmung mit § 159 BGB so zu stellen ist, als hätte er von vornherein zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weitergearbeitet. Soweit es um den Prüfungsmaßstab der Änderungskündigung geht, verwendet das BAG143 regelmäßig die Prüfungsformel, ob dringende betriebliche, personen- oder verhaltensbedingte Gründe das Änderungsangebot des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 2 S. 1 bis 3 Abs. 3 KSchG bedingt haben und ob sich der Arbeitgeber bei einem anerkennenswerten Anlass zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Eine Änderungskündigung in Bezug auf Geldleistungen im Arbeitsvertrag war Gegenstand der Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 20.6.2013144. 141 BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092 Rz. 19. 142 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 422/98, NZA 1999, 657 Rz. 12. 143 Vgl. nur BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 556/00, NZA 2002, 1416 Rz. 21; BAG v. 28.8.2008 – 2 AZR 967/06, NZA 2009, 505 Rz. 29. 144 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409.
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Der Fall betraf einen Kraftfahrer, der für eine monatliche Arbeitszeit von bis zu 260 Stunden zuletzt einen monatlichen Bruttolohn von 2.045,17 € von der Beklagten erhielt145. Mit Schreiben vom 19.4.2011 sprach die Beklagte eine Änderungskündigung aus, wonach dem Kläger bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 173 Stunden im Monat ab dem 1.8.2011 ein Stundenlohn von 7,87 € angeboten wurde, und – sofern er dies wünsche – 208 Einsatzstunden garantiert wurden. Der Kläger nahm das Angebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG an. Seine Änderungsschutzklage war in allen Instanzen erfolgreich. Die Beklagte fand mit dem Hinweis, man habe mit der Änderungskündigung lediglich von einer pauschalierten Überstundenabrechnung auf eine genaue Abrechnung umstellen wollen, kein Gehör. Zunächst war bereits zweifelhaft, ob das Änderungsangebot der Beklagten schon mangels Bestimmtheit zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung führen musste. So blieb vor allem unklar, ob der Kläger auf die gestaffelten Alternativen differenziert hätte reagieren können, etwa mit einer vorbehaltslosen Ablehnung des „Hauptangebots“ (173 Stunden) und einer Annahme des nachrangigen Angebots (208 Stunden) unter einem Vorbehalt des § 2 KSchG. Im Ergebnis hat das BAG zu Gunsten der Beklagten die Annahmefähigkeit des Änderungsangebots als ausreichend bestimmt unterstellt, weil die Änderungen der Vertragsbedingungen nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. v. § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG bedingt waren, was beide Angebotsalternativen der Beklagten betraf. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten ging es bei der Änderungskündigung nicht um die Änderung einer vertraglichen Nebenabrede zur pauschalen Abgeltung von Überstunden. Das BAG146 hat bei einer Änderungskündigung, die zur Anpassung vertraglicher Nebenabreden ausgesprochen wird, weniger strenge Maßstäbe als bei Änderungskündigungen zur Änderung von wesentlichen Vertragsbestandteilen (etwa Lohnsenkung) angelegt. Hiervon sind Nebenleistungen betroffen, deren Gewährung an Umstände anknüpft, die nicht notwendig während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses vorliegen, wie dies etwa für die Zusage einer kostenlosen Beförderung zum Betriebshof gelten kann147. Ein Arbeitgeber, der sich in solchen Fällen auf eine wesentliche Änderung der maßgebenden äußeren
145 Zur Wirksamkeit dieser Vertragsregelung: BAG v. 17.10.2012 – 5 AZR 697/11, AP Nr. 40 zu § 611 BGB Arbeitszeit. 146 BAG v. 23.11.2000 - 2 AZR 547/99, NZA 2001, 492 Rz. 23; BAG v. 27.3.2003 - 2 AZR 74/02, NZA 2003, 1029 Rz. 22; BAG v. 23.6.2005 - 2 AZR 642/04, NZA 2006, 92 Rz. 30. 147 BAG v. 27.3.2003 - 2 AZR 74/02, NZA 2003, 1029 Rz. 22.
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Zulässige Änderungskündigung in Bezug auf Entgeltleistungen im Arbeitsvertrag
Verhältnisse beruft, stützt sich nach Ansicht des BAG148 auf Umstände, die außerhalb von §§ 1, 2 KSchG als möglicher Wegfall oder als mögliche Störung der Geschäftsgrundlage geprüft werden, so dass derartige Umstände das Beharren auf der vereinbarten Leistung als unbillig und unberechtigt erscheinen lassen und geeignet sein können, eine Änderung sozial zu rechtfertigen. Man wird unter derartige Nebenabreden all das subsumieren können, was auch Gegenstand eines Widerrufsvorbehalts sein kann und damit nicht zum Kernbereich des Arbeitsverhältnisses gehört. Im vorliegenden Streitfall ging es jedoch nicht um eine derartige Nebenabrede, sondern allein darum, die Vergütung des Klägers deutlich zu reduzieren, indem die getroffene Vereinbarung durch eine von der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung abhängige Vergütung ersetzt werden sollte. Bereits rein rechnerisch reduzierte sich die Entlohnung des Klägers bei 173 Stunden im Monat von 2.045,17 € brutto auf 1.361,51 € brutto und bei 208 Arbeitsstunden im Monat auf 1.636,96 € brutto. Bei der gleichen Anzahl abgeleisteter Stunden hätte die Beklagte auf der Grundlage der bisherigen vertraglichen Regelung dem Kläger stets 2.045,17 € brutto zahlen müssen. Angesichts dessen war zu prüfen, ob die von der Rechtsprechung des BAG149 entwickelten Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Änderungskündigung zur Absenkung der Vergütung gemäß §§ 2, 1 Abs. 2 KSchG vorlagen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG150 ist der mit der Änderungskündigung angestrebte Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung allenfalls gerechtfertigt, wenn bei dessen Beibehaltung betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen müssten. Regelmäßig bedarf es zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs nach Ansicht des BAG151 eines umfassenden Sanierungsplans, der alle im Vergleich mit der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ebenfalls ausschöpft. Der Arbeitgeber hat dabei zur Begründung des dringenden betrieblichen Grundes die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten und die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer näher zu erläu148 BAG v. 20.6.2013 - 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409 Rz. 26. 149 BAG v. 26.6.2008 - 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 Rz. 20; BAG v. 10.9.2009 - 2 AZR 822/07, NZA 2010, 333 Rz. 34. 150 BAG v. 26.6.2008 - 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182 Rz. 20; BAG v. 10.9.2009 - 2 AZR 822/07, NZA 2010, 333 Rz. 25. 151 BAG v. 20.6.2013 - 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409 Rz. 31.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
tern und darzulegen, warum andere Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht in Betracht kommen. Da die Beklagte hierzu keinen substantiierten und verwertbaren Vortrag geleistet hatte, war der Änderungsschutzklage des Klägers zu entsprechen. Das BAG hält in dieser Entscheidung an seiner bisherigen Spruchpraxis fest, dass die Absenkung einer Vergütung des Arbeitnehmers und damit ein Eingriff in das synallagmatische Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über den Weg der Änderungskündigung praktisch ausgeschlossen ist, soweit sich der Arbeitgeber noch nicht am Rande einer wirtschaftlichen Existenzkrise befindet. Abzuwarten bleibt freilich, ob sich eine Alternative durch Betriebsvereinbarung anbietet, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat152. Regelmäßig dürfte allerdings auch dieser Weg an § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG scheitern. (Boe)
14. Aufhebung des Arbeitsvertrags durch Geschäftsführer-Dienstvertrag Gemäß § 623 BGB bedarf die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses der schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Werden diese Formerfordernisse nicht gewahrt, besteht der Arbeitsvertrag – ggf. auch ohne die wechselseitige Erfüllung der Hauptleistungspflichten – fort. Sein Bestand kann in den Grenzen der Verwirkung auch nach längerer Zeit geltend gemacht werden. Die vorstehende Problematik kommt in der betrieblichen Praxis immer wieder zum Tragen, wenn (leitende) Angestellte zum Geschäftsführer bestellt werden und hierfür Dienstverträge abgeschlossen werden. Denn in diesem Zusammenhang muss geklärt werden, ob mit Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrags auch der zuvor bestehende Arbeitsvertrag aufgehoben werden soll oder ob dieser – während der Laufzeit des GeschäftsführerDienstvertrags – (ruhend) fortbesteht. Konsequenz des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses ist, dass mit Beendigung des GeschäftsführerDienstvertrags der aus dem Arbeitsverhältnis folgende Kündigungsschutz für den Fall einer durch die Gesellschaft beabsichtigten Beendigung geltend gemacht werden kann. Schon bei früherer Gelegenheit hatte das BAG deutlich gemacht, dass in dem Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrags durch einen Mitarbei152 BAG v. 5.3.2013 - 1 AZR 417/12 – NZA 2013, 916 Rz. 58.
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Aufhebung des Arbeitsvertrags durch Geschäftsführer-Dienstvertrag
ter im Zweifel die konkludente Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses liege. Nach dem Willen der vertragsschließenden Parteien solle in aller Regel neben dem Dienstverhältnis nicht noch ein Arbeitsverhältnis – ruhend – fortbestehen. Etwas anderes sei nur in Ausnahmefällen anzunehmen, für die deutliche Anhaltspunkte vorliegen müssten153. Der schriftliche Geschäftsführer-Dienstvertrag wahre insoweit regelmäßig das Formerfordernis des § 623 BGB für den Vertrag über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses154. Dass die Gesellschaft bei Abschluss des Aufhebungsvertrags an sich durch den Geschäftsführer und bei Abschluss des GeschäftsführerDienstvertrags an sich durch die Gesellschafterversammlung vertreten wird, spielt nach dieser Rechtsprechung keine Rolle. In seinem Urteil vom 24.10.2013155 hat der 2. Senat des BAG deutlich gemacht, dass diese Grundsätze nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Parteien des Geschäftsführer-Dienstvertrags zugleich die Parteien des Arbeitsvertrags sind. Andernfalls gebe es kein schriftliches Rechtsgeschäft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem die Vereinbarung über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses liegen könne. Ein abweichendes Ergebnis habe das BAG in der Vergangenheit deshalb auch nur im Zusammenhang mit Vereinbarungen geprüft, die vor dem Inkrafttreten von § 623 BGB (1.5.2000) abgeschlossen worden sind. Diese Entscheidung macht noch mal deutlich, dass im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrags vorsorglich klare Vereinbarungen über die Aufhebung bis dahin bestehender Arbeitsverhältnisse getroffen werden sollten. Wenn es sich um verschiedene Gesellschaften handelt, sollten darüber auch getrennte Vereinbarungen abgeschlossen werden. Zwar ist es möglich, dass die Gesellschaft, mit der der GeschäftsführerDienstvertrag abgeschlossen wird, bei Abschluss dieses Vertrags zugleich auch die Gesellschaft vertritt, mit der bis dahin ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. In diesem Fall kann die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auch unter Berücksichtigung von § 623 BGB in den GeschäftsführerDienstvertrag integriert werden. Das gesetzliche Schriftformerfordernis verlangt aber, dass auch das Vertretungsverhältnis aus der schriftlichen Vereinbarung selbst heraus erkennbar wird156. Abstrakt-generelle Klauseln, nach der mit Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrags auch alle „etwaigen
153 BAG v. 3.2.2009 - 5 AZB 100/08, DB 2009, 907 Rz. 8; BAG v. 14.6.2006 - 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 Rz. 18. 154 BAG v. 19.7.2007 - 6 AZR 774/06, NZA 2007, 1095 Rz. 23. 155 2 AZR 1078/12, DB 2014, 1081 Rz. 25 ff. 156 BAG v. 24.10.2013 - 2 AZR 1078/12, DB 2014, 1081 Rz. 26.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Arbeits- oder Dienstverhältnisse mit anderen Konzerngesellschaften“ beendet werden, sind auch deshalb unwirksam. (Ga)
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F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Aufklärungspflichten des Arbeitgebers im Bereich der Entgeltumwandlung
Nach § 1 a Abs. 1 S. 1 BetrAVG kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, dass von seinen künftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Die Durchführung des Anspruchs des Arbeitnehmers wird durch Vereinbarung geregelt. Ist der Arbeitgeber zu einer Durchführung über einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse (§ 1 b Abs. 3) bereit, ist die betriebliche Altersversorgung dort durchzuführen. Andernfalls kann der Arbeitnehmer verlangen, dass der Arbeitgeber für ihn eine Direktversicherung (§ 1 b Abs. 2) abschließt. Diese gesetzliche Regelung ist verfassungskonform. Der in der Pflicht zur Entgeltumwandlung liegende Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitgebers ist gerechtfertigt und zudem angemessen, weil der Gesetzgeber mit der erstrebten Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zur Absicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter einen Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung verfolgt und die mit § 1 a Abs. 1 BetrAVG einhergehenden Belastungen über eine Direktversicherung insofern angemessen sind1. Bei einer arbeitnehmerfinanzierten Direktversicherung werden die Beiträge vom Bruttogehalt des Arbeitnehmers eingezogen (Gehaltsumwandlung)2. Jährlich bis zu einer Höchstgrenze von 4 % der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommene Einzahlungen in eine Direktversicherung sind steuerfrei (§ 3 Nr. 63 EStG). Bis zu dieser Höhe sind die Beiträge zusätzlich von Sozialabgaben befreit. Alle Zusagen nach § 3 Nr. 63 EStG, die ab dem 1.1.2005 abgeschlossen werden, unterliegen der nachgelagerten Besteuerung. Besteht darüber hinaus keine weitere betriebliche Altersvorsorge nach § 40 b EStG, die der Pauschalversteuerung unterliegt, so können darüber hinaus weitere 1.800,- € steuerfrei in eine Direktversicherung investiert werden. Allerdings besteht für diesen zusätzlichen Betrag eine Sozialabgabenpflicht. Die Wahl des Versicherungsträgers bei ei1 2
BVerfG v. 7.5.2012 – 1 BvR 2653/08 n. v. (Rz. 1). Vgl. dazu BAG v. 19.7.2005 – 3 AZR 502/04 (A), DB 2005, 2252 Rz. 5.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
ner Entgeltumwandlung obliegt dem Arbeitgeber, weil im Falle des § 1 a Abs. 1 S. 3 BetrAVG ein entsprechendes Recht des Arbeitnehmers nicht vorgesehen ist. Der Arbeitnehmer kann nach § 1 a Abs. 3 BetrAVG lediglich verlangen, dass die Voraussetzungen für eine Förderung nach den §§ 10 a, 82 Abs. 2 des EStG erfüllt werden3. In einer Entscheidung vom 21.1.2014 musste der 3. Senat des BAG4 darüber befinden, ob eine Rechtspflicht des Arbeitgebers besteht, den Arbeitnehmer auf die Möglichkeit einer Entgeltumwandlung nach § 1 a BetrAVG hinzuweisen. Der Fall betraf einen Arbeitnehmer, der bis zum 30.6.2010 bei der Beklagten beschäftigt war und nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 14.380,- € mit der Begründung in Anspruch nahm, diese habe pflichtwidrig unterlassen, ihn auf seinen Anspruch auf Entgeltumwandlung hinzuweisen. Er hätte bei entsprechender Kenntnis 215,- € seiner monatlichen Arbeitsvergütung in eine Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Direktversicherung umgewandelt. Wie bereits die Vorinstanzen hat das BAG die Schadensersatzklage abgewiesen, weil sich weder unmittelbar aus dem Betriebsrentengesetz, insbesondere aus § 1 a BetrAVG, noch aufgrund einer Interessenwahrnehmungsverpflichtung aus § 241 Abs. 2 BGB eine entsprechende Hinweispflicht des Arbeitgebers ableiten lässt. Dieser Bewertung ist beizutreten. Zwar wohnt jedem Arbeitsverhältnis die Nebenpflicht des Arbeitgebers inne, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragspartner nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Daraus können sich auch Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben5. Prinzipiell gilt aber der Grundsatz, dass jeder Vertragspartner für die Wahrnehmung seiner Interessen selbst zu sorgen hat, so dass Hinweis- und Aufklärungspflichten auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruhen und das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung sind6. Mangels entsprechender Anhaltspunkte aus den Vorschriften des BetrAVG zur Entgeltumwandlung ist daher der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres verpflichtet, sei-
3 4 5 6
BAG v. 19.7.2005 - 3 AZR 502/04 (A), DB 2005, 2252 Rz. 11. 3 AZR 807/11 n. v. Vgl. etwa BAG v. 14.1.2009 - 3 AZR 71/07, VuR 2009, 267. BAG v. 11.12.2001 - 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150 Rz. 47.
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Aufklärungspflichten des Arbeitgebers im Bereich der Entgeltumwandlung
ne Arbeitnehmer unaufgefordert über die Möglichkeit der Entgeltumwandlung als eine Form der betrieblichen Altersversorgung zu unterrichten. Um eine etwaige Aufklärungspflicht und einen damit verbundenen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit einer Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersversorgung ging es auch bei einer Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 13.6.20127. Die Klägerin war die Erblasserin und frühere Ehefrau des am 26.2.2010 verstorbenen Arbeitnehmers, der seit 1.8.1967 bei der Beklagten als Kfz-Elektriker beschäftigt war und eine Entgeltumwandlungsvereinbarung getroffen hatte, wonach Einmalzahlungen in Form von Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld bei halbjährlicher Zahlung von je 250,49,- € in einen Anspruch auf Zahlung von Beiträgen zu einer Direktversicherung umgewandelt werden sollten. Darüber hinaus war als Versicherungsleistung bei einer Berufsunfähigkeit Beitragsfreiheit vereinbart. Im November 2005 erkrankte der Arbeitnehmer und war ab dem 28.11.2005 berufsunfähig. Er erhielt ab März 2006 eine Erwerbsminderungsrente und daneben eine Berufsunfähigkeitsrente von der Bayerischen Beamtenversicherung. Die Beklagte unterrichtete die Lebensversicherung AG darüber, dass sie wegen der durchgehenden Erkrankung des Arbeitnehmers die halbjährliche Rate von 250,49,- € nicht überweisen werde, was die Lebensversicherung AG veranlasste, diese mit Schreiben vom 1.8.2006 zum 1.6.2006 beitragsfrei zu stellen. Im August 2009 erkundigte sich der Arbeitnehmer bei der Lebensversicherung AG, mit welcher Auszahlungssumme er rechnen könne, worauf diese die Beitragsfreistellung mitteilte. Nach dem Tode zahlte die Lebensversicherung einen Betrag von 8.194,- € an die Klägerin aus, die ihrerseits weitere 9.375,- € von der Beklagten unter Hinweis darauf beanspruchte, das sie verpflichtet gewesen wäre, ihren verstorbenen Ehemann über die Beitragsfreistellung zu unterrichten. Bei entsprechender Unterrichtung hätte ihr verstorbener Ehemann der Versicherung seine Berufsunfähigkeit mitgeteilt und einen vollen Versicherungsschutz erlangt. Das LAG Düsseldorf hat die Klage abgewiesen, weil dem Erblasser gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, 2 i. V. m. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Höhe der geltend gemachten Forderung zugestanden habe. Zunächst geht das LAG zu Recht davon aus, dass nach dem Wegfall der Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld) und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch die bis zu seinem Ableben anhaltende Erkrankung des Erblassers keine Pflicht der Beklagten bestand, weitere Zahlungen an die Versicherung auf die Altersversorgung des Erblassers zu leisten. 7
12 Sa 751/12, BetrAVG 2013, 726.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Dies galt wegen des Todes des Erblassers auch für einen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG8. Insofern ging es in der Tat um eine Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, wenn die Beklagte zur Fortzahlung der Prämien an die Versicherung verpflichtet gewesen wäre. Der von der Erbin beanspruchte Schadenersatzanspruch ließ sich auch nicht aus einer Informationspflichtverletzung der Beklagten gegenüber dem Erblasser herleiten. Das LAG lässt dabei allerdings offen, ob die Beklagte gegenüber dem Erblasser gehalten gewesen wäre, ihn bezüglich der Zahlungseinstellung an die Versicherung und hinsichtlich der Beitragsfreistellung informieren zu müssen9, weil den Erblasser ein überwiegendes Mitverschulden an dem eingetretenen Schaden träfe (§ 254 BGB), das eine Schadensersatzpflicht der Beklagten ausschlösse. Seit dem 1.1.200810 ist das Problem weitgehend entschärft worden, weil der Gesetzgeber in § 166 Abs. 4 VVG eine Informationspflicht des Versicherers geschaffen hat, die eintritt, wenn Beiträge zu einer Direktversicherung nicht gezahlt werden. Danach hat bei einer Lebensversicherung, die vom Arbeitgeber zugunsten seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschlossen worden ist, der Versicherer die versicherte Person über die Bestimmung der Zahlungsfrist nach § 38 Abs. 1 und die eintretende Umwandlung der Versicherung in Textform zu informieren und ihnen eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Monaten einzuräumen. Ob sich im Lichte dieser Gesetzeslage eine zusätzlich Informationspflicht des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB herleiten lässt, deren Umfang dem Grundsatz von Treu und Glauben zu entnehmen ist, den Arbeitnehmer auf die Einstellung der Prämienzahlung aufmerksam zu machen, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich bislang ungeklärt geblieben. (Boe)
2.
Pflicht zur Entgeltumwandlung durch Betriebsvereinbarung?
§ 1 a BetrAVG regelt den Anspruch auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) vom 8 Dazu BAG v. 20.9.2011 – 9 AZR 416/10, DB 2012, 235. 9 So wohl Reineke, RdA 2009, 13, 20. 10 § 166 VVG i. d. F. des Versicherungsvertragsgesetz v. 23.11.2007 (BGBl. I S. 2631), in Kraft getreten am 1.1.2008 zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.07.2013 (BGBl. I S. 2423) m. W. v. 1.8.2013.
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Pflicht zur Entgeltumwandlung durch Betriebsvereinbarung?
26.6.200111 (Art. 9 Nr. 4) in das Betriebsrentenrecht eingeführt worden. Der Arbeitnehmer kann nach § 1 a Abs. 1 S. 1 BetrAVG vom Arbeitgeber verlangen, dass von seinen künftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird die Durchführung des Anspruchs des Arbeitnehmers durch Vereinbarung geregelt. Satz 3 der Regelung betrifft den Fall, dass der Arbeitgeber zu der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse (§ 1 b Abs. 3) bereit ist. Andernfalls kann der Arbeitnehmer verlangen, dass der Arbeitgeber für ihn eine Direktversicherung (§ 1 b Abs. 2) abschließt. § 17 I BetrAVG ist auf der Grundlage des gleichen Gesetzes um Satz 3 ergänzt worden, wonach Arbeitnehmer i. S. v. § 1 a Abs. 1 BetrAVG nur Personen nach den Sätzen 1 und 2 sind, soweit sie aufgrund der Beschäftigung oder Tätigkeit bei dem Arbeitgeber, gegen den sich der Anspruch nach § 1 a BetrAVG richten würde, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind. Außerdem wird in § 17 Abs. 3 BetrAVG bestimmt, dass von den §§ 1 a, 2 bis 5, 16, 18 a S. 1, 27 und 28 BetrAVG (nur) in Tarifverträgen abgewichen werden kann und die abweichenden Bestimmungen zwischen nichttarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung beanspruchen, wenn zwischen diesen die Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelung vereinbart worden ist. Im Übrigen kann von den Bestimmungen des BetrAVG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Entgeltumwandlung das Ziel, neben die Altersvorsorge durch die gesetzliche Rentenversicherung eine Vorsorge treten zu lassen, die durch Beiträge des Arbeitnehmers und durch eine staatliche Förderung aufgebaut wird12. Um die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu steigern, ist in das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) ein individueller Anspruch des Arbeitnehmers auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung aufgenommen worden13. In der Regierungsbegründung heißt es dann weiter: Der Anspruch auf Entgeltumwandlung ist dem Grunde nach darauf gerichtet, betriebliche Altersversorgung in Betrieben einzurichten, in denen bisher noch keine angeboten wird. Die Durchführung des Anspruchs auf betriebliche Altersversorgung soll abweichend vom geltenden Betriebsrentenrecht zwischen 11 BGBl. I S. 1310. 12 BT-Drucks. 14/5068 S. 10. 13 BT-Drucks. 14/4595 S. 40.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden; dies mit Rücksicht darauf, dass die Finanzierung auf dem Verzicht auf Entgeltbestandteile des Arbeitnehmers beruht. Besteht im Betrieb bereits eine betriebliche Altersversorgung, soll der dort angewandte Durchführungsweg vereinbart werden können. In den Fällen, in denen eine Vereinbarung über die Durchführung nicht zustande kommt, kann der Arbeitnehmer den Abschluss einer Direktversicherung verlangen. Ist der Arbeitgeber bereit, im Rahmen des Anspruches auf Entgeltumwandlung den Arbeitnehmer in einer Pensionskasse abzusichern, muss – soweit sich die Parteien dann nicht ohnehin auf diesen Durchführungsweg einigen – dieser Durchführungsweg gewählt werden. Der Anspruch auf betriebliche Altersversorgung erfordert bestimmte Flankierungen im BetrAVG. Soweit Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung über eine Entgeltumwandlung finanziert werden, wird die sofortige gesetzliche Unverfallbarkeit der Betriebsrentenanwartschaften eingeführt. Zudem wird die Mitnahme von Anwartschaften aus Entgeltumwandlung bei Arbeitsplatzwechsel erleichtert.
In der Einzelbegründung zu § 1 a BetrAVG des Gesetzentwurfs heißt es14: Nach Absatz 1 soll sowohl auf individualrechtlicher Ebene zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als auch in kollektivrechtlichen Vereinbarungen (Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge) die Möglichkeit bestehen, einen bestimmten Durchführungsweg für die betriebliche Altersversorgung zu wählen, insbesondere wenn im jeweiligen Unternehmen bereits bestimmte betriebliche Altersversorgungssysteme bestehen. Kommt eine Vereinbarung über den Durchführungsweg nicht zu Stande, weil sich die Arbeitsvertragsparteien nicht einigen können, soll sich wegen des vergleichsweise geringen Verwaltungsaufwandes für den Arbeitgeber der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Durchführung über eine Direktversicherung richten. Hierbei erstreckt sich das Bestimmungsrecht des Arbeitnehmers nicht auf die Wahl eines bestimmten Versicherungsunternehmens; dieses kann der Arbeitgeber wählen, nicht zuletzt, um seinen Verwaltungsaufwand in Grenzen halten zu können. Ist der Arbeitgeber bereit, im Rahmen des Anspruches auf Entgeltumwandlung den Arbeitnehmer in einer Pensionskasse abzusichern, muss – soweit sich die Parteien dann nicht ohnehin auf diesen Durchführungsweg einigen – dieser Durchführungsweg gewählt werden (Satz 4).
In jüngerer Vergangenheit wird in der Literatur15 darüber diskutiert und dafür geworben, zur Belebung einer Entgeltumwandlung i. S. v. § 1 a
14 BT-Drucks. 14/4595 S. 67, 68. 15 Neufeld, BA 2013, 661; Neufeld/Knitter, BB 2013, 2421; Schanz, bAV 2014, 21.
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Pflicht zur Entgeltumwandlung durch Betriebsvereinbarung?
BetrAVG16 eine so genannte Opting-out-Regelung durch Betriebsvereinbarung zu schaffen, die als Obligatorium eine Entgeltumwandlungsverpflichtung des Arbeitnehmers enthält, die wirksam wird, wenn der Arbeitnehmer ihr nicht aktiv innerhalb eines bestimmten Zeitpunktes widerspricht (sog. Opting-out)17. Dabei werden in einer entsprechenden Betriebsvereinbarung zunächst die Aufnahmevoraussetzungen in die Versorgungsordnung geregelt, die das Opting-out enthält, das den Arbeitnehmer berechtigt innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem Aufnahmestichtag der Aufnahme widersprechen zu dürfen. Des Weiteren wird der Stichtag für die Aufnahme konkretisiert und die Beitragszahlung geregelt, wonach das laufende Entgelt des Arbeitnehmers ab einem bestimmten Zeitpunkt in Höhe eines bestimmten monatlichen Betrags in einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung umgewandelt wird. Zusätzlich kann geregelt sein, dass der Arbeitgeber einen Arbeitgeberzuschuss übernimmt, der z. B. dem eingesparten Beitrag zur Sozialversicherung entspricht. Ob dieses in der Betriebspraxis bereits anzutreffende Betriebsvereinbarungsmodell in Relation zum BetrAVG rechtlich möglich ist und auch nicht mit der Regelungskompetenz des Betriebsrats im Sinne einer unzulässigen Lohnverwendungsabrede konfligiert, ist – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung geworden. Eine Betriebsvereinbarung kommt zweifelsfrei nach § 77 Abs. 3 BetrVG nicht in Betracht, wenn eine entsprechende tarifvertragliche Regelung vorläge oder zumindest tarifüblich wäre. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Rechtsgrundlage für eine Entgeltumwandlung in § 1 a BetrAVG, so verschafft der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer im Umfang seiner Vorgaben einen individuellen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Entgeltumwandlung, wobei sich die Parteien über den Durchführungsweg einvernehmlich zu verständigen haben. Lässt sich eine derartige Verständigung nicht erzielen, kann der Arbeitnehmer den Abschluss einer Direktversicherung verlangen. Anderes gilt für die Festlegung des Durchführungswegs in dem Fall, in dem der Arbeitgeber zu einer Durchführung über einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse (§ 1 b Abs. 3) bereit ist. Nach der unmissverständlichen Regelung des § 1 a Abs. 1 S. 1 BetrAVG kann ausschließlich der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eine Entgeltum-
16 Gemäß Alterssicherungsbericht 2012 des BMAS S. 141 belief sich in Betrieben mit zehn und mehr Beschäftigten des Produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors der Anteil der Beschäftigten mit einer Entgeltumwandlung für eine betriebliche Altersversorgung an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf 22,2 %. 17 Wer nicht widerspricht, ist dabei.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
wandlung verlangen. Damit wird dem Arbeitnehmer das Recht konzediert, freiwillig darüber zu befinden, ob er einen Teil seiner Vergütung zukünftig in Gestalt einer betrieblichen Altersversorgung in Anspruch nehmen will. Grundsätzlich lässt der Gesetzgeber – wie aus § 17 Abs. 3 BetrAVG zu entnehmen ist – von dieser Vorgabe Abweichendes nur in einem Tarifvertrag, nicht jedoch in einer anderen Regelung und damit in einer Individualabsprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder in einer Betriebsvereinbarung zu. Der Freiwilligkeitsvorbehalt des „Ob“ einer solchen Entgeltumwandlung lässt sich daher nicht durch eine Betriebsvereinbarung überwinden. Wenn demgegenüber argumentiert wird, der Freiwilligkeitsvorbehalt werde durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung allein deshalb respektiert, weil dem Arbeitnehmer das Recht des Widerrufs zustünde18 und damit keine Abweichung von § 1 a Abs. 1 S. 1 BetrAVG zu Ungunsten des Arbeitnehmers vorläge, so wird unberücksichtigt gelassen, dass an die Stelle der Freiwilligkeit der Zwang des Arbeitnehmers treten soll, dem er nur durch aktives Gegensteuern entgehen kann. Es wird damit ein Tätigwerden des Arbeitnehmers (Erklärungspflicht) eingefordert, das ohne Betriebsvereinbarung nicht bestünde. Noch stärker wird der Arbeitnehmer in Relation zum Gesetz belastet, wenn ihm für eine derartige Opt-out-Erklärung noch das Schriftformerfordernis aus § 126 BGB als Wirksamkeitsvoraussetzung abverlangt wird19. Dabei ist für die Beurteilung völlig gleichgültig, ob sich eine Entgeltumwandlung für den Arbeitnehmer mehr oder weniger lohnt und rechnet20. Wenn der Gesetzgeber das Interesse des Arbeitnehmers über seinen Kopf hinweg hätte fördern wollen, wäre eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Entgeltumwandlung auszusprechen gewesen. Kein Argument für eine Betriebsvereinbarung als Zwangsmittel einer Entgeltumwandlung mit Ausstiegsklausel ist die aus § 1 a Abs. 1 S. 2 BetrAVG durch Auslegung zu entnehmende Erlaubnis, Fragen der Durchführung einer Entgeltumwandlung mittels einer Betriebsvereinbarung zu organisieren, wie sich auch der Genese des Gesetzes entnehmen lässt21. Soweit nur eine Umwandlung von Tariflohn in Betracht kommt, muss insoweit eine Öffnung durch den einschlägigen Tarifvertrag bestehen (§ 17 Abs. 5 BetrAVG). Zudem erreicht die Lösung, eine Entgeltumwandlung durch Betriebsvereinbarung mit einem Opting-Out betrieblich zu verankern, nicht die Gruppe der leitenden Angestellten. Insgesamt gesehen sind rechtli-
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Neufeld/Knitter, BB 2013, 2421, 2422. So Neufeld/Knitter, BB 2013, 2421, 2427. Dazu ausführlich mit Vergleichsrechnungen Schanz, bAV 2014, 21 ff. BT-Drucks. 14/4595 S. 67, 68.
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Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen in der Betriebsrente
che Vorbehalte mehr als angebracht, anstelle der vom Gesetz vorgesehenen Individuallösung die Zwangsrekrutierung zur Entgeltumwandlung – wenn auch mit Austrittsrecht – durch eine Betriebsvereinbarung zu befördern. (Boe)
3.
Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen in der Betriebsrente
Die zulässige Höchstaltersgrenze in der betrieblichen Altersversorgung war Gegenstand von zwei Entscheidungen des 3. Senats des BAG vom 12.11.201322 und vom 18.3.201423. Es ging im Ergebnis um die Frage, ob Arbeitnehmer von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden dürfen, wenn sie zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses das Alter von 50 Jahren überschritten haben24, und ob eine Versorgungsordnung in wirksamer Weise vorsehen kann, dass ein Arbeitnehmer nur dann in den Genuss der Altersversorgung kommt, wenn er nach einer vorgeschalteten zehnjährigen Wartezeit bei seinem Arbeitgeber das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat25. In der Fallkonstellation der Entscheidung vom 12.11.201326 ging es um eine Klägerin, die im Alter von 51 Jahren ihre Tätigkeit bei dem Trägerunternehmen der beklagten Unterstützungskasse aufgenommen hatte und bis zu ihrer Verrentung mit 65 Jahren im Jahre 2010 in seinen Diensten verblieben war. Sie erhielt trotz ihrer vierzehnjährigen Betriebszugehörigkeit keine Altersrente, weil der Leistungsplan der Unterstützungskasse vorsah, dass bei Aufnahme der Tätigkeit nach dem vollendeten 50. Lebensjahr eine Anwartschaft auf Versorgungsleistungen nicht mehr erworben werden konnte. Nach ihrem Ausscheiden nahm die Klägerin die Unterstützungskasse auf Feststellung in Anspruch, ihr mit Wirkung vom 1.7.2010 eine betriebliche Altersrente gewähren zu müssen. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos. Zunächst bejaht das BAG die Passivlegitimation der beklagten Unterstützungskasse, obwohl nach der gesetzlichen Definition eine Unterstützungskasse auf ihre Leistungen gerade keinen Rechtsanspruch gewährt (§ 1 b Abs. 4 S. 1 BetrAVG). In dem Aus-
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3 AZR 356/12, BB 2014, 562. 3 AZR 69/12 n. v. BAG v. 12.11.2013 - 3 AZR 356/12, BB 2014, 562, Rz. 14 ff. BAG v. 18.3.2014 - 3 AZR 69/12 n. v. 3 AZR 356/12, BB 2014, 562.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
schluss des Rechtsanspruchs sieht das BAG27 in ständiger Rechtsprechung jedoch nur ein an sachliche Gründe gebundenes Widerrufsrecht. Die Kardinalfrage, die sich im Streitfall stellte, ging darum, ob eine derartige Zugangssperre zur betrieblichen Altersversorgung nach Vollendung des 50. Lebensjahres eine ungerechtfertigte Altersdiskriminierung oder möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt. Im Streitfall konnte kein Zweifel darüber vorliegen, dass die Klägerin nur wegen ihres Alters nicht zu dem im Leistungsplan begünstigten Personenkreis gehörte und damit allein wegen ihres Alters i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG eine Benachteiligung erfuhr, weil sie schlechter gestellt wurde als eine Person, die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Es ging deshalb um die Beantwortung der Frage, ob für diese benachteiligende Behandlung ein Rechtfertigungsgrund nach § 10 S. 1 und 2 Nr. 4 AGG bestand, weil nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG Beschäftigte nicht wegen der in § 1 AGG genannten Gründe unmittelbar oder mittelbar benachteiligt werden dürfen. Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 S. 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Ergänzend ist in § 10 S. 3 Nr. 4. AGG vorgesehen, dass die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Diese Regelung ist unabhängig davon anwendbar, dass § 2 Abs. 2 S. 2 AGG auf das Betriebsrentenrecht als vorrangige Regelung verweist. Die Höchstaltersgrenze von 50 Jahren für den Zugang zu einer Altersversorgung nach dem Leistungsplan der Beklagten bewirkt nach Ansicht des BAG noch keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters i. S. d. §§ 1, 3 Abs. 1 und § 7 AGG, weil die darin liegende Ungleichbehandlung nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt ist. § 10 AGG dient der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG, wonach als rechtmäßige Ziele für eine unterschiedliche Behandlung Zwecke aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind und die Mittel zur Erreichung derartiger Ziele ange-
27 BAG v. 10.12.2002 - 3 AZR 3/02, NZA 2004, 321 Rz. 34; BAG v. 16.2.2010 – 3 AZR 216/09, NZA 2010, 701 Rz. 69; BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 356/12, BB 2014, 562 Rz. 11.
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Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen in der Betriebsrente
messen und erforderlich sein müssen. Für den Bereich der Versorgung im Alter enthält allerdings Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG eine spezielle Regelung, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente vorsehen zu dürfen, solange damit keine Diskriminierung wegen des Geschlechts verbunden ist. Die Mitgliedstaaten sind demnach, soweit es um diese Systeme geht, bei der Umsetzung in nationales Recht nicht verpflichtet, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einzuhalten. Die Festsetzung von Altersgrenzen in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit ist somit unionsrechtlich in der Regel zulässig28. Indem der Gesetzgeber den in § 10 S. 3 Nr. 4 AGG geregelten Tatbestand als Rechtfertigungsgrund qualifiziert, hat er damit nach Ansicht des BAG zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Zugang zu betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit und damit auch zur betrieblichen Altersversorgung und für den Bezug von Altersrente grundsätzlich als ein von einem legitimen Ziel getragenes Mittel i. S. v. § 10 S. 1 und S. 2 AGG zulässig sein soll. Da eine solche Altersgrenze in der jeweiligen Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die konkret gewählte Altersgrenze i. S. v. § 10 S. 2 AGG jedoch angemessen29 sein. Insofern darf der Arbeitgeber bei der Festlegung einer Höchstaltersgrenze oder einer Mindestbetriebszugehörigkeit als Voraussetzung für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung die berechtigten Belange der betroffenen Arbeitnehmer nicht außer Acht lassen und muss zusätzlich berücksichtigen, dass die betriebliche Altersversorgung nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter hat30. Dabei hat sich die Angemessenheitsprüfung der Zugangsvoraussetzung des Alters an dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ziel der Bereitstellung einer betrieblichen Altersversorgung durch den Arbeitgeber zu orientieren. Eine Höchstaltersgrenze darf zudem im Hinblick auf betriebliche Leistungen der Altersversorgung nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts führen. Von der Zweckbestimmung her will der Gesetzgeber die betriebliche Altersversorgung fördern. Weil es dabei um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers geht, deren Dotierungsrahmen von ihm bestimmt werden darf, er also auch den Versorgungsaufwand begrenzen darf, sieht das
28 BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, NZA 2013, 733 Rz. 27. 29 BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, NZA 2013, 733 Rz. 28; BAG v. 17.9.2013 – 3 AZR 686/11, NZA 2014, 33 Rz. 18. 30 BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, NZA 2013, 733 Rz. 32.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
BAG den Grundsatz der Angemessenheit noch nicht als verletzt an, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Gestaltungsfreiheit eine Höchstgrenze von 50 Jahren für die Aufnahme in ein Versorgungswerk vorsieht. Bei dieser Höchstgrenze werden noch die Belange der Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigt, weil nach Ansicht des BAG bei typisierender Betrachtung das Erwerbsleben eines Arbeitnehmers regelmäßig mindestens 40 Jahre beträgt und ihm damit die Möglichkeit eröffnet ist, vor Vollendung des 50. Lebensjahres bereits eine Versorgungsanwartschaft erworben zu haben. Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts verneint das BAG deshalb, weil bei typisierender Betrachtung mit dem Wiedereintritt in das Berufsleben nach Zeiten der Kindererziehung bereits vor Vollendung des 50. Lebensjahres zu rechnen ist und damit bei der hier maßgebenden Versorgungsordnung der Erwerb eines Betriebsrentenanspruchs nicht ausgeschlossen wird. Eine vergleichbare Fallkonstellation betrifft die Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 18.3.201431, wonach der Arbeitnehmer nach der Versorgungsordnung bei Erfüllung einer zehnjährigen Wartezeit das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben durfte, um noch in den Genuss eines Anspruchs auf Betriebsrente zu gelangen. Die im Juni 1945 geborene Klägerin war seit dem 1.1.1999 bei der Beklagten beschäftigt. Ihr waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Versorgungsordnung der Beklagten zugesagt worden. Die Versorgungsordnung sieht nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Gewährung einer Altersrente vor. Versorgungsberechtigt sind Mitarbeiter, die über eine mindestens zehnjährige Dienstzeit (Wartezeit) bei der Beklagten verfügen und zum Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nachdem das Arbeitsverhältnis der Parteien altershalber mit Ablauf des 30.6.2010 beendet worden war, beanspruchte die Klägerin von der Beklagten beginnend ab 1.7.2010 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 113,66 € brutto. Die damit in der vorliegenden Versorgungsordnung normierte faktische Höchstaltersgrenze von 45 Jahren als Zugangsvoraussetzung für die von der Beklagten gewährte Altersversorgung hat das BAG nach § 7 Abs. 2 AGG für unwirksam erachtet. Sie führt zu einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters i. S. v. §§ 1, 3 Abs. 1 und § 7 AGG, da sie Mitarbeiter, die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 45. Lebensjahr vollendet haben, von den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Versorgungsordnung ausschließt. Diese Benachteiligung ist nach Ansicht des BAG nicht
31 3 AZR 69/12 n. v.
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Berechnung einer vorgezogenen in Anspruch genommenen Betriebsrente
mehr nach § 10 S. 1 und 2, S. 3 Nr. 4 AGG gerechtfertigt. Danach könnten zwar grundsätzlich Altersgrenzen in Systemen der betrieblichen Altersversorgung festgesetzt werden. Die konkrete Altersgrenze müsse jedoch angemessen sein. Dies ist bei einer Bestimmung in einer Versorgungsordnung zu verneinen, wenn diese Arbeitnehmer, die noch mindestens 20 Jahre betriebstreu sein können, von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Für die betriebliche Praxis markieren beide Entscheidungen des BAG, wo die Grenzen für ein Höchstaufnahmealter in der betrieblichen Altersversorgung zu sehen sind. Ein Höchstaufnahmealter, das vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, ist nach Ansicht des BAG offenbar noch hinnehmbar, während eine Höchstaltersgrenze von 45 Jahren nicht mehr als angemessen qualifiziert werden kann. Diese Bewertung liegt auf der Linie der Rechtsprechung des 3. Senats des BAG vom 12.2.201332, das die Bestimmung in einer vom Arbeitgeber geschaffenen Versorgungsordnung, wonach ein Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nur besteht, wenn der Arbeitnehmer eine mindestens fünfzehnjährige Betriebszugehörigkeit bis zur Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zurücklegen kann, als wirksam angesehen hat. (Boe)
4.
Berechnung einer vorgezogenen in Anspruch genommenen Betriebsrente
Sofern in der Versorgungszusage keine zugunsten des Arbeitnehmers abweichende Regelungen getroffen wird, kommt es grundsätzlich zu einer Kürzung der Betriebsrente entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG, wenn das Arbeitsverhältnis nach Erreichen der Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft noch vor Eintritt des Versorgungsfalls beendet wird. Mit dieser Kürzung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer als Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die ursprünglich vom Arbeitgeber erwartete Gegenleistung nicht (mehr) in vollem Umfang erbringt. Denkbar ist, dass der Arbeitnehmer in Kombination mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprechend § 6 BetrAVG auch vorzeitige Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Anspruch nimmt. Schließlich sind dem Arbeitnehmer, der die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nimmt, auf sein Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren. In diesem Fall ist der Arbeitgeber al32 3 AZR 100/11, NZA 2013, 733 Rz. 23.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
lerdings nicht nur berechtigt, entsprechend der Dauer der Inanspruchnahme der Betriebsrente vor dem ursprünglich vereinbarten Versorgungsfall einen versicherungsmathematischen Abschlag zu vereinbaren, der typischerweise zwischen 0,3 % und 0,5 % für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme liegt33. Fehlt eine entsprechende Vereinbarung, ist eine solche Kürzung im Wege einer weiteren m/n-tel-Kürzung erlaubt. Diese Kürzungsmöglichkeit hat das BAG als Auffangregelung in Form eines sog. „untechnischen versicherungsmathematischen Abschlags“ entwickelt34. Mit dieser weiteren Kürzung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer bei gleicher Lebenserwartung als Folge der vorzeitigen Inanspruchnahme für einen längeren Zeitraum Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erhält35. Angesichts der mit den vorstehenden Mechanismen verbundenen Kürzung von Versorgungsansprüchen hat es für die betriebliche Praxis erhebliche Bedeutung sicherzustellen, dass die jeweils in Rede stehende Versorgungszusage einer Kürzung des Versorgungsanspruchs als Folge der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und/oder der vorzeitigen Inanspruchnahme von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht ungewollt entgegensteht. Dies hat das BAG in einer Reihe von Entscheidungen vom 10.12.201336 befunden. In einem der vom BAG am 10.12.201337 entschiedenen Fälle war der Kläger auf der Grundlage einer Versorgungszusage aus dem Jahre 1984 als ATAngestellter beschäftigt gewesen. Sein Arbeitsverhältnis endete mit Vollendung des 61. Lebensjahres. Der Kläger nahm von diesem Zeitpunkt an eine ungekürzte gesetzliche Altersrente wegen Schwerbehinderung und zugleich Betriebsrente in Anspruch. Umstritten zwischen den Parteien war, wie diese Betriebsrente unter Berücksichtigung der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der vorzeitigen Inanspruchnahme der Leistungen zu berechnen war. 33 Vgl. BAG v. 28.5.2002 – 3 AZR 358/01, AP BetrAVG § 6 Nr. 29 Rz. 52, NZA 2013, 1421; HWK/Schipp, BetrAVG § 6 Rz. 20; vgl. auch ErfK/Steinmeyer, BetrAVG § 6 Rz. 20. 34 BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 832/11 n. v. (Rz. 29 f.); BAG v. 25.6.2013 – 3 AZR 219/11, NZA 2013, 1421 Rz. 26; BAG v. 19.6.2012 – 3 AZR 289/10 n. v. (Rz. 25 f.); ErfK/Steinmeyer, BetrAVG § 6 Rz. 23. 35 Wegen etwaiger Besonderheiten als Folge der Altersrente mit 63 vgl. B. Gaul, Aktuell AR 2014, 2 ff. 36 3 AZR 726/11 n. v. (Rz. 14 ff.); BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 832/11 n. v. (Rz. 24 ff.); BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 796/11 n. v. 37 3 AZR 726/11 n. v.
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Berechnung einer vorgezogenen in Anspruch genommenen Betriebsrente
In der Versorgungsordnung selbst war zwar eingangs darauf verwiesen, dass sich die Rentenhöhe nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 richte. Ergänzend hierzu hatten die Parteien allerdings auszugsweise bestimmt: §4 Die zusätzliche Altersrente Die zusätzliche Altersrente wird nach fünfjähriger anrechnungsfähiger Dienstzeit gezahlt. Bei Männern: Beim Ausscheiden wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, Bei Frauen: beim Ausscheiden wegen Vollendung des 60. Lebensjahres Beim Ausscheiden wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit i. S. d. Sozialversicherungsgesetze, Gem. § 6 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung an Mitarbeiter, die das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen. … 4.
Nach mindestens fünfjähriger anrechnungsfähiger Dienstzeit (§ 1) wird als zusätzliche Altersrente monatlich der Unterschied zwischen dem anzurechnenden Einkommen (§ 2) und 35 % des letzten Diensteinkommens bei K+S (§ 3) gezahlt. Für jedes weitere vollendete Dienstjahr erhöht sich der Prozentsatz um ein Prozent bis höchstens auf 60 %.
5. … 6.
Die zusätzliche Altersrente wird nur insoweit gezahlt, als das anzurechnende Einkommen und die Zahlungen von K+S zusammen monatlich einen Höchstbetrag nicht übersteigen. Der Höchstbetrag wird für jeden außertarif-Angestellten bei Übergabe des Altersversorgungsstatus oder durch spätere schriftliche Erklärung von K+S festgelegt. …
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1989 berechnete die Beklagte den Betriebsrentenanspruch so, dass sie zunächst einmal den Prozentsatz aus § 4 Ziff. 4 der Versorgungsordnung ermittelte. Von diesem zog sie die tatsächlich dem Kläger zu diesem Zeitpunkt gewährte (gesetzliche) Altersrente ab. Im Jahre 2009 kam sie sodann auf die Idee, dass eigentlich eine
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Kürzung der Betriebsrente hätte erfolgen sollen. Im Hinblick darauf machte sie nicht nur geltend, dass der nach § 4 Ziff. 4 der Versorgungsordnung ermittelte Prozentsatz gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG entsprechend der M/N-telRegelung gekürzt werden müsse. Hinzu komme, dass hiervon nicht die tatsächlich gezahlte Altersrente, sondern die Altersrente in Abzug gebracht werde müsse, die der Kläger bei einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum eigentlich vereinbarten Versorgungsfall (Vollendung des 65. Lebensjahres) erhalten hätte. In den Gründen seiner Entscheidung hat der 3. Senat des BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass die Berechnung der gemäß § 6 BetrAVG vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente eines zu diesem Zeitpunkt betriebstreuen Arbeitnehmers nur dann nach allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts unter entsprechender Anwendung des § 2 Abs. 1 BetrVG erfolge, wenn die zugrunde liegende Versorgungsordnung für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme keine eigenständige, zugunsten des Arbeitnehmers abweichende, Berechnungsregel enthalte. Eine eigenständige Berechnungsregel liegt für das BAG allerdings nicht bereits dann vor, wenn die Versorgungsordnung allgemein vorsehe, dass die Höhe der Betriebsrente von der Dauer der anrechnungsfähigen Dienstzeit abhänge und nach Ablauf der in der Versorgungsordnung bestimmten Wartezeit (jährlich) ansteige. Allein einer solchen „aufsteigenden Berechnung“ könne nicht entnommen werden, dass auch die vorgezogen in Anspruch genommene Betriebsrente unter Zugrundelegung der bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Dienstzeit nach den Regelungen der Versorgungsordnung zu berechnen sei38. Vielmehr muss sich aus weitergehenden Regelungen der Versorgungsordnung ergeben, dass die (normale) Berechnung der Höhe einer Betriebsrente auch für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme nach § 6 BetrAVG gilt und nicht nur für die Berechnung der für eine Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze zugesagten Betriebsrente zur Anwendung kommen soll. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der hier in Rede stehenden Versorgungsordnung ist der 3. Senat des BAG im Urteil vom 10.12.201339 indes zu dem Ergebnis gekommen, dass die in § 4 Ziff. 4 der Versorgungsordnung vorgesehene Berechnungsweise der Betriebsrente nach dem Willen der Parteien auch bei einer vorgezogenen Inanspruchnahme gemäß § 6 BetrAVG zur Anwendung kommen solle, was sowohl der Kürzung nach § 2 Abs. 1 38 BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 726/11 n. v. (Rz. 17); BAG v. 10.12.2013 – 3 AZR 832/11 n. v. (Rz. 26). 39 3 AZR 726/11 n. v. (Rz. 17 ff.).
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Berechnung einer vorgezogenen in Anspruch genommenen Betriebsrente
BetrAVG als auch einem versicherungsmathematischen Abschlag entgegenstand. Maßgeblich für das BAG war dabei vor allem, dass in § 4 Abs. 1 nicht nur das Erreichen der Altersgrenze als Versorgungsfall genannt war. Vielmehr hatten die Betriebsparteien in § 4 Ziff. 1 lit. c) ausdrücklich auch die vorzeitige Inanspruchnahme gemäß § 6 BetrAVG als einen normalen Versorgungsfall aufgeführt. Soweit in der nachfolgend in § 4 Ziff. 4 getroffenen Regelung zur Berechnung der Höhe der Betriebsrente bestimmte Vorgaben gemacht wurden, sahen diese keinen Unterschied zwischen den in § 4 Ziff. 1 genannten Versorgungsfällen vor. Ohne Rücksicht darauf, ob die Betriebsrente wegen Erreichens der Altersgrenze, beim Ausscheiden wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit oder als Konsequenz einer vorzeitigen Inanspruchnahme gemäß § 6 BetrAVG gezahlt werden sollte, war also eine prozentuale Berechnung auf der Grundlage des letzten Diensteinkommens maßgeblich. Darin sah das BAG die Entscheidung der Betriebsparteien, auf weitergehende Kürzungen wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses und vorzeitiger Inanspruchnahme der Betriebsrente zu verzichten. Diese Bewertung ist vertretbar, auch wenn angesichts der in § 1 Ziff. 8 der Versorgungsordnung getroffenen Regelung durchaus der Eindruck entstanden war, dass die Parteien an sich die Höhe der Betriebsrente (allein) nach den gesetzlichen Vorgaben hätten berechnen wollen. Dies aber hätte zu einer Kürzung des hier in Rede stehenden Anspruchs geführt. Abschließend hat das BAG deutlich gemacht, dass die im Rahmen einer Gesamtversorgung erforderliche Anrechnung der gesetzlichen Altersrente bei vorgezogener Inanspruchnahme einer Betriebsrente gemäß § 6 BetrAVG nur dann unter Zugrundelegung einer fiktiv auf die feste Altersgrenze berechneten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen könne, wenn die Versorgungsordnung dies selbst vorsehe oder wenn im Rahmen der Quotierung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG die fiktive Vollrente zu ermitteln sei. Fehle es an einer dahingehenden Regelung, könne nur die tatsächlich vom Arbeitnehmer bezogene Altersrente in Abzug gebracht werden. Hiervon ausgehend hat das BAG den Arbeitgeber nicht für berechtigt gehalten, im Jahre 2009 die ursprüngliche Berechnung der Betriebsrente abzuändern. Eine solche Veränderung wäre nur dann statthaft gewesen, wenn die Versorgungsordnung selbst keine abweichende – den Arbeitnehmer begünstigende – Regelung getroffen hätte. Von einer derart abweichenden Regelung war vorliegend indes auszugehen. (Ga)
169
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
5.
Höhe der Betriebsrente bei vorgezogener Altersrente wegen Schwerbehinderung
In Übereinstimmung mit den Feststellungen des BAG in den verschiedenen Urteilen vom 10.12.201340, über die wir an anderer Stelle berichtet haben41, hat das LAG Nürnberg im Urteil vom 14.11.201342 eine Berechnung der Höhe einer Betriebsrente für den Fall vorgenommen, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Erreichen des Versorgungsfalls (Altersgrenze) beendet und parallel zur gesetzlichen Altersrente wegen Schwerbehinderung vorzeitig Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge in Anspruch nimmt. In einer Kürzung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG, die um einen versicherungsmathematischen Anschlag wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme ergänzt wird, läge – so das LAG Nürnberg –keine unzulässige Ungleichbehandlung (schwer-)behinderter Menschen. Der Klägerin werde nach dem Versorgungsplan wie allen anderen (nicht behinderten) Arbeitnehmern, die vor Vollendung des 65. Lebensjahres vorgezogene Altersrente beantragten, diese gekürzt. Sie werde mithin nicht ungünstiger als andere Arbeitnehmer behandelt. Vielmehr begehre sie eine Bevorzugung gegenüber nicht behinderten Menschen, die wie sie 24 Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres eine Altersrente bei der Beklagten in Anspruch nehmen würden. Ein solcher Anspruch lasse sich auch über das AGG nicht begründen. Dagegen spreche auch nicht, dass der Gesetzgeber in der Sozialversicherung eine Bevorzugung von Schwerbehinderten aufgrund ihrer behinderungsbedingten Nachteile durch geringere Kürzungstatbestände vorgesehen habe (§ 236 a SGB VI). Diese Regelung verpflichte den privaten Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge nicht, diese Bevorzugung ebenfalls in seiner Zusage nachzuvollziehen43. (Ga)
6.
Diskriminierung wegen Schwerbehinderung durch vorzeitige Beendigung der Altersteilzeit
Durch Altersteilzeitarbeit soll älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglicht werden (§ 1 Abs. 1 ATG). Altersteilzeitarbeit ist daher gegeben, wenn Arbeitnehmer nach Vollendung des 55. Lebensjahres aufgrund einer Vereinbarung mit ihrem Arbeit-
40 41 42 43
3 AZR 726/11 und 3 AZR 832/11 n. v. B. Gaul, AktuellAR 2014, 165 ff. 8 Sa 334/13 n. v. LAG Nürnberg v. 14.11.2013 – 8 Sa 334/13 n. v. (Rz. 86).
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Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
geber ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindern und auf dieser Grundlage zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Rente wegen Alters beansprucht werden kann, versicherungspflichtig beschäftigt werden. Unerheblich dabei ist, ob es sich um eine Altersrente wegen Schwerbehinderung, für besonders langjährig Versicherte oder um gesetzliche Altersrente mit Erreichen der Regelaltersgrenze handelt. Unter Berücksichtigung einer bestimmten Altersrente vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer typischerweise ein bestimmtes Datum, zu dem das Arbeitsverhältnis nach Altersteilzeitarbeit beendet werden soll. Wenn die Altersteilzeitarbeit im Blockmodell abgewickelt wird, werden bis zu diesem Zeitpunkt die Arbeits- und Freistellungsphase festgelegt. Wenn der Arbeitgeber auf dem frei gemachten oder durch Umsetzung frei gewordenen Arbeitsplatz einen bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer, einen Bezieher von ALG II oder einen Arbeitnehmer nach Abschluss der Ausbildung versicherungspflichtig i. S. d. SGB III beschäftigt, können für einen Teil der Leistungen im Rahmen des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Erstattungsansprüche gegenüber der Agentur für Arbeit geltend gemacht werden, sofern die Altersteilzeit vor dem 1.1.2010 begonnen hat (§§ 3, 4 ATG). Abweichend von der datumsmäßigen Festlegung der Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses können Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemäß § 8 Abs. 3 ATG auch vereinbaren, dass das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt beendet wird, in dem der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat. Eine solche Vereinbarung kann auch durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, der eine entsprechende Beendigungsklausel enthält, zum Bestandteil des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses gemacht werden. Konsequenz ist, dass auch ohne die vorherige Festlegung eines bestimmten Datums eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkt wird, sobald der Arbeitnehmer Altersrente (gleich welcher Art) in Anspruch nehmen kann. Nach der Konzeption von § 8 Abs. 3 ATG gilt dies selbst dann, wenn die frühere Inanspruchnahme der Altersrente gegenüber der Inanspruchnahme einer späteren Form der Altersrente für den Arbeitnehmer mit Nachteilen verknüpft ist. Hiervon geht auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG aus. Danach erlischt ein etwaiger Anspruch des Arbeitgebers auf die Leistungen der Agentur für Arbeit nach § 4 ATG für Altfälle, wenn der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters beanspruchen kann. Ausdrücklich ausgenommen sind lediglich solche Renten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Problematisch an solchen Vereinbarungen über die vorzeitige Beendigung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ist nicht nur der Umstand, dass darin 171
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
jedenfalls für solche Altersteilzeitarbeitsverhältnisse ein Störfall zu sehen ist, die im Rahmen des Blockmodells zur Abwicklung kommen. Denn der Arbeitgeber ist als Folge der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehalten, das bereits angesammelte Wertguthaben unter Berücksichtigung der hierfür fälligen Sozialversicherungsbeiträge auszuzahlen. Ein solcher Störfall würde nur dann vermieden, wenn – was überaus selten ist – das Altersteilzeitarbeitsverhältnis durch eine andauernde und gleichmäßige Absenkung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit abgewickelt wird. Wie das BAG mit seinem Urteil vom 12.11.201344 deutlich gemacht hat, kann in der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses allerdings auch eine Diskriminierung wegen Behinderung zu sehen sein. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien eine zehnjährige Altersteilzeitarbeit vereinbart, die im Rahmen des Blockmodells abgewickelt werden sollte. Am 21.9.2005 vereinbarten die Parteien, dass die Altersteilzeitarbeit am 1.7.2006 beginnen und am 30.6.2016 beendet werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Klägerin gerade ihr 65. Lebensjahr vollendet. Obwohl sie bereits seit dem Jahre 2005 schwerbehindert war, enthielt die Vereinbarung keine ausdrückliche Anknüpfung an die Altersrente wegen Schwerbehinderung. Im Rahmen des Tarifvertrags zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ), auf den die Parteien in ihrer Altersteilzeitvereinbarung Bezug genommen hatten, war allerdings u. a. festgelegt worden: §9 Ende des Arbeitsverhältnisses (1) Das Arbeitsverhältnis endet zu dem in der Altersteilzeitvereinbarung festgelegten Zeitpunkt. (2) Das Arbeitsverhältnis endet unbeschadet der sonstigen tariflichen Beendigungstatbstände (z. B. §§ 53 bis 60 MTAng-BfA/MIAngBfA-OP) a) mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, für den der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters … beanspruchen kann; dies gilt nicht für Renten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können oder …
Mit Schreiben vom 14.1.2011 teilte die Beklagte der Klägerin unter Hinweis auf die vorstehend genannte Regelung mit, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis bereits mit Ablauf des 30.6.2014 beendet werde. Die Kläger hält die44 9 AZR 484/12, AuR 2014, 157 Rz. 13 ff.
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Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
se Regelungen für unwirksam. Sie sieht darin eine Diskriminierung wegen Behinderung und hat deshalb beantragt, dass festgestellt werde, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Parteien erst mit Ablauf des 30.6.2016 beendet wird. Der 9. Senat des BAG hat diesem Antrag mit Urteil vom 12.11.201345 stattgegeben. Die in § 9 TVATG getroffene Regelung sei jedenfalls insoweit unwirksam (§ 7 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 AGG), als sie dazu führte, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der Altersteilzeit im Blockmodell leiste, nach einer im Vergleich mit der Arbeitsphase wesentlich kürzeren Freistellungsphase aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ausscheide. Darin liege eine unmittelbare Benachteiligung wegen Schwerbehinderung. Eine unmittelbare Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG liege u. a. vor, wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfahre, als ein schwerbehinderter Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Lage. Eine Benachteiligung sei unmittelbar, wenn die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpfe. Allerdings werde dabei auch eine verdeckte unmittelbare Ungleichbehandlung erfasst. Bei dieser erfolge die Differenzierung zwar nicht ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Vielmehr werde an ein in dieser Vorschrift nicht enthaltenes Merkmal angeknüpft, das jedoch in einem untrennbaren Zusammenhang mit einem in dieser Vorschrift genannten Grund stehe46. Diese Voraussetzungen einer verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung lägen hier vor. § 9 Abs. 2 lit. a) TV ATZ knüpfe nicht unmittelbar an die Schwerbehinderteneigenschaft an, sondern an die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug einer abschlagsfreien Altersrente. Wenn man die derzeit in Vorbereitung befindliche Altersrente für besonders langjährig Versicherte einmal außer Acht lässt, werden nur schwerbehinderte Arbeitnehmer von einer solchen Beendigung vor Vollendung des 65. Lebensjahres erfasst. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie dies in § 9 TV ATZ in Übereinstimmung mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 ATG geregelt ist – nur eine abschlagsfreie Altersrente erfasst wird. Wäre die Klägerin nicht schwerbehindert, würde das Teilzeitarbeitsverhältnis und damit auch die Freistellungsphase nach der tariflichen Regelung nicht am 30.6.2014, sondern erst am 30.6.2016 beendet werden.
45 9 AZR 484/12, AuR 2014, 157 Rz. 11 ff. 46 BAG v. 12.11.2013 – 9 AZR 484/12, AuR 2014, 157 Rz. 14; BAG v. 7.6.2011 - 1 AZR 34/10, NZA 2011, 1370 Rz. 23.
173
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
In dieser vorzeitigen Beendigung liegt auch eine Benachteiligung der Klägerin. Denn ihr entgehen die Aufstockungsleistungen des Arbeitgebers, die auch während der Freistellungsphase zuzüglich zum Altersteilzeitarbeitsentgelt gezahlt werden müssen. Darüber hinaus werden keine weitergehenden Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet, was Nachteile in Bezug auf die Höhe der Altersrente haben dürfte. Ausgehend davon, dass die Leistungen während der Altersteilzeitarbeit über den Ansprüchen liegen, die in Form von Altersrente geltend gemacht werden können, steht die Klägerin als Folge der vorzeitigen Beendigung ihrer Altersteilzeitarbeit schlechter als solche Arbeitnehmer, die – mangels einer Altersrente wegen Schwerbehinderung – ihr Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres fortsetzen können. Dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer – anders als ein Arbeitnehmer ohne Behinderung – frühzeitig Altersrente in Anspruch nehmen kann, beseitigt aus Sicht des BAG nicht die Vergleichbarkeit der beiden Arbeitnehmergruppen47. Ausdrücklich bezieht sich das BAG insoweit auf die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 6.12.201248. In dem Umstand, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer eine abschlagsfreie Altersrente früher in Anspruch nehmen können als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer, liegt aus Sicht des BAG auch keine Rechtfertigung der hier in Rede stehenden Ungleichbehandlung. Dies gelte im Streitfall umso mehr, als ein Ausscheiden der Klägerin dazu führte, dass die Freistellungsphase lediglich drei Jahre betrüge und damit zwei Jahre kürzer als die Arbeitsphase wäre. Die Klägerin hätte damit zwar fünf Jahre Vollzeit gearbeitet, aber nicht zehn, sondern nur acht Jahre Bezüge und Aufstockungsleistungen erhalten. Die Vergütung der Klägerin läge damit trotz gleicher Arbeitsleistung deutlich unter der eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers gleichen Alters mit einer zwei Jahre längeren Freistellungsphase. Eine solche Ungleichbehandlung sei auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Altersteilzeitarbeit nicht geboten. Denn der gleitende Übergang eines schwerbehinderten Arbeitnehmers vom Erwerbsleben in den Ruhestand sei auch dann sichergestellt, wenn die Freistellungsphase nicht verkürzt werde. Dies gelte auch unter Berücksichtigung etwaiger Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit. Denn die Möglichkeit der Beschäf-
47 BAG v. 12.11.2013 - 9 AZR 484/12, AuR 2014, 157 Rz. 17. 48 C-152/11, NZA 2012, 1435 Rz. 62 – Odar.
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Diskriminierung wegen Schwerbehinderung
tigung eines anderen Arbeitnehmers werde bei Altersteilzeit im Blockmodell bereits mit dem Ende der Arbeitsphase eröffnet49. Rechtsfolge der hier in Rede stehenden Ungleichbehandlung ist nach Ansicht des BAG, das die Klägerin von der Beklagten verlangen kann, wie eine nicht schwerbehinderte Arbeitnehmerin behandelt zu werden. Dies habe zur Folge, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Klägerin, wie individualrechtlich vereinbart, erst mit Ablauf des 30.6.2016 enden wird. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des hier in Rede stehenden Falls ist der Bewertung des BAG zuzustimmen. Denn insbesondere durch die ungleiche Länge von Arbeits- und Freistellungsphase ist ein wirtschaftlicher Nachteil des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeben, der durch die Altersrente wegen Schwerbehinderung nicht ausgeglichen wird. Problematisch ist allerdings, ob man eine solche Ungleichbehandlung auch dann annehmen kann, wenn die Verkürzung auf der Grundlage von § 8 Abs. 3 ATG so erfolgt, dass Arbeits- und Freistellungsphase gleich lang sind. Gegen das Vorliegen einer Benachteiligung wegen Behinderung spricht in diesem Fall, dass der Arbeitnehmer Aufstockungsleistungen während der Freistellungsphase für den gleichen Zeitraum erhält, in dem er zuvor im Rahmen der Arbeitsphase tätig war. Damit werden auch etwaige Nachteile vermieden, die ein Störfall auch für den Arbeitnehmer auslösen kann. Für das Vorliegen einer Benachteiligung spricht allerdings, dass die vorzeitige Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses für den schwerbehinderten Arbeitnehmer im Ergebnis zur Folge hat, dass Leistungen der Altersteilzeitarbeit insgesamt nur für einen kürzeren Zeitraum in Anspruch genommen werden können, als dies bei Arbeitnehmern ohne Behinderung der Fall ist. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Altersrente mit 63, wie sie für die besonders langjährig Versicherten zum 1.7.2014 eingeführt werden soll50, ohne Rücksicht auf die Schwerbehinderung abschlagsfrei mit Vollendung des 63. Lebensjahres bezogen werden kann. Klare Feststellungen des BAG hierzu fehlen. Denn das BAG hat seine Entscheidung zwar einerseits mit Hinweisen auf Feststellungen des EuGH begründet, dabei allerdings ganz wesentlich auf die ungleiche Dauer von Arbeits- und Freistellungsphase verwiesen. Dies wäre bei einer gleichmäßigen Verkürzung beider Phasen nicht der Fall. Ungeachtet dessen empfiehlt es sich in der betrieblichen Praxis, schwerbehinderten Arbeitnehmern Altersteilzeitarbeit nicht nur bis zu dem Zeitpunkt 49 BAG v. 12.11.2013 - 9 AZR 484/12, AuR 2014, 157 Rz. 21 f. 50 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2014, 1 ff.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
anzubieten, von dem an Altersrente wegen Schwerbehinderung in Anspruch genommen werden kann. Vielmehr sollte auch schwerbehinderten Arbeitnehmern das Angebot gemacht werden, Altersteilzeit bis zu dem Zeitpunkt zu nehmen, an dem auch ohne eine Schwerbehinderung ein Anspruch auf Altersrente gegeben wäre. Andernfalls könnte der Vorwurf erhoben werden, dass die in letztgenanntem Angebot liegende Begünstigung den schwerbehinderten Arbeitnehmern vorenthalten bliebe. Selbstverständlich könnte bei der entsprechenden Angebotsausgestaltung allerdings auch die – künftige – Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit Vollendung des 63. Lebensjahres Berücksichtigung finden. (Ga)
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G. Tarifrecht 1.
Individual- und kollektivrechtliche Fragen zu Einund Umgruppierungen
Nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat u. a. vor jeder Eingruppierung und Umgruppierung zu unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG1 besteht die Beteiligung des Betriebsrats in den Fällen der Ein- und Umgruppierung nicht in einem Mitgestaltungs-, sondern in einem Mitbeurteilungsrecht. Dabei ist unter einer Eingruppierung die erstmalige Einreihung und unter Umgruppierung die Änderung der Einreihung in eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung2 zu verstehen. Anlass für eine Ein- oder Umgruppierung kann sein, dass sich die Vergütungsordnung im Betrieb – etwa durch einen neuen Tarifvertrag - ändert3 oder dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht oder nicht mehr den Merkmalen der bisherigen Vergütungsgruppe entspricht, in die er bisher eingruppiert ist. Eine Änderung der bisherigen Eingruppierung kann auch durch die Zuweisung einer neuen Tätigkeit des Arbeitnehmers veranlasst sein. Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen nach § 99 BetrVG dient der Kontrolle und Sicherung der möglichst korrekten Zuordnung der Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer tariflichen oder betrieblichen Vergütungsgruppe und damit der Durchsetzung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und Transparenz der Vergütungsanwendung4. Derartige vom Arbeitgeber vorzunehmende und vom Betriebsrat mit zu beurteilende Zuordnungen des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung ist von personenunabhängigen Bewertungen von Arbeitsplätzen oder Tätigkeiten zu differenzieren, bei denen es um die abstrakte Bewertung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit geht. Denn diese
1
2 3 4
BAG v. 12.1.2011 - 7 ABR 15/09, NZA-RR 2011, 574 Rz. 22; BAG v. 1.6.2011 - 7 ABR 138/09, AP BetrVG 1972, § 99 Nr. 139 (Rz. 36); BAG v. 19.4.2012 - 7 ABR 52/10, NZA 2012, 139, Rz. 33; BAG v. 11.9.2013 - 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388 Rz. 27. BAG v. 4.5.2011 - 7 ABR 10/10, NZA 2011, 1239 Rz. 21. BAG v. 11.9.2013 - 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388. BAG v. 28.4.2009 - 1 ABR 97/07, NZA 2009, 1102 Rz. 21; BAG v. 11.9.2013 - 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388 Rz. 27.
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Tarifrecht
wird unabhängig vom Arbeitsplatzinhaber oder von demjenigen, der die Tätigkeit ausübt, vorgenommen. Das in § 99 BetrVG geregelte Beteiligungsverfahren entfaltet nicht nur im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat rechtliche Wirkungen. Auswirkungen können sich auch im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem im Einzelfall betroffenen Arbeitnehmer ergeben. Hat der Arbeitgeber nach einer Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zu einer beantragten Ein- oder Umgruppierung ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG durchgeführt, so bleibt das Ergebnis dieser gerichtlichen Entscheidung nicht ohne Einfluss auf die individualrechtliche Position des Arbeitnehmers. Ist die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung vom Gericht rechtskräftig ersetzt worden, so ist die damit gerichtlich als zutreffend festgestellte Eingruppierung für den Arbeitgeber im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer verbindlich5. Allerdings wird der Arbeitnehmer dadurch nicht gehindert, gegenüber dem Arbeitgeber eine günstigere als die im Beschlussverfahren festgestellte Vergütungsgruppe geltend zu machen, weil die Gerichtsentscheidung nach § 99 Abs. 4 BetrVG keine präjudizielle Wirkung zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers hat. Eine begrenzte Bindungswirkung besteht auch im Falle der rechtskräftigen, gerichtlichen Zurückweisung des Zustimmungsersetzungsantrags. Der Arbeitgeber kann sich dann auch im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer im Streitfall nicht mehr auf die Maßgeblichkeit allein dieser Entgeltgruppe berufen. Der Arbeitnehmer hat dann das Recht, seinen Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber unmittelbar auf das Ergebnis des Beschlussverfahrens zu stützen, das für seinen Anspruch ohne weitere Prüfung der tariflichen Eingruppierungsvoraussetzungen zugrunde gelegt wird6. In einem Beschluss vom 11.9.2013 hatte der 7. Senat des BAG7 über einen Antrag des Betriebsrats nach § 101 BetrVG zu entscheiden, der darauf gerichtet war, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine bestimmte Umgruppierung vorzunehmen, ihn um Zustimmung zu ersuchen und im Falle der beachtlichen Zustimmungsverweigerung das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen8. Ein derartiger Antrag ist in Fällen veranlasst, in denen der Arbeitgeber die gebotene Ein- oder Umgruppierung eines Arbeitnehmers unterlässt und damit die Beteiligung des Betriebsrats missachtet. Die Be5 6 7 8
So bereits BAG v. 3.5.1994 - 1 ABR 58/93, NZA 1995, 484, Rz. 36. BAG v. 3.5.1994 - 1 ABR 58/93, NZA 1995, 484. 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388. BAG v. 4.5. 2011 - 7 ABR 10/10, NZA 2011, 1239 Rz. 21; BAG v. 18.10.2011 - 1 ABR 34/10, DB 2012, 584 Rz. 10.
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Individual- und kollektivrechtliche Fragen zu Ein- und Umgruppierungen
sonderheit des zu entscheidenden Falles bestand darin, ob der Betriebsrat verlangen kann, dass der Arbeitgeber Arbeitnehmer für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum umgruppiert und hierzu das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG durchzuführen hat. Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat um Zustimmung zu einer Eingruppierung dieser Arbeitnehmer gebeten, die vom Betriebsrat deshalb abgelehnt wurde, weil er von der Anwendung einer niedrigeren Vergütungsgruppe ausging. Ein zunächst eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren gegen den Betriebsrat nahm der Arbeitgeber zurück, nachdem ein neuer Tarifvertrag in Kraft getreten war und sich die Betriebspartner über die Eingruppierung der betroffenen Arbeitnehmer einig geworden waren. Gleichwohl sah sich der Betriebsrat zu einer Klage nach § 101 BetrVG veranlasst, wonach die betroffenen Arbeitnehmer für die Vergangenheit in eine andere (niedrigere) Lohngruppe einzugruppieren sind. Unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des BAG9 hat das LAG den Anträgen des Betriebsrats entsprochen. Das BAG hatte nämlich bislang die Ansicht vertreten, dass sich die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG bis zur Festlegung einer Entgeltgruppe durchzuführen, fortbesteht, wenn sich die Eingruppierung, wie im vorliegenden Fall, nur auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum bezieht, so dass dieser betriebsverfassungswidrige Zustand durch ein Verfahren nach § 101 BetrVG noch nachträglich korrigiert werden kann. In der Entscheidung vom 11.9.2013 gibt der 7. Senat des BAG10 diese Rechtsprechung unter Hinweis darauf auf, dass Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 101 S. 1 BetrVG eine zukünftige Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustand ist, die damit nur Wirkung für die Zukunft entfalten kann. Die Mitbestimmungssicherung nach § 101 BetrVG sei auf die Aufhebung oder Beseitigung einer betriebsverfassungsrechtlichen Maßnahme, nicht aber auf die nachträgliche Korrektur eines betriebsverfassungswidrigen Zustand gerichtet. Das BAG unterstützt diese Bewertung mit dem Hinweis darauf, dass auch für die Betriebspartner die richtige Eingruppierung eines Arbeitnehmers nur so lange von Bedeutung ist, wie dieser noch im Betrieb beschäftigt wird. Ob der Arbeitnehmer früher zutreffend eingruppiert oder umgruppiert wurde, käme für den Betriebsrat und den Arbeitgeber nur einer nachträglichen Richtigkeitsbestätigung gleich. Das BAG weist auch zu Recht darauf hin, dass die von dem Betriebsrat angestrebte
9 BAG v. 3.5.1994 - 1 ABR 58/93, NZA 1995, 484. 10 7 ABR 29/12, NZA 2014, 388 Rz. 24.
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Tarifrecht
Entscheidung nach § 101 BetrVG für die davon betroffenen Arbeitnehmer in individualrechtlicher Hinsicht praktisch keine Auswirkung erzeugt hätte. Dieser Entscheidung des BAG ist uneingeschränkt beizutreten, weil die Beteiligung des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen im Interesse der Arbeitnehmer besteht, so dass die Auswirkung eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zur Sicherung der Mitbestimmung nach § 101 BetrVG bereits der Sache nach nur zukunftsorientiert sein kann, weil der Antrag auf Erteilung der Zustimmung und das sich möglicherweise anschließende Zustimmungsersetzungsverfahren ihrer Natur nach nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft gerichtet sind. Zwei weitere Entscheidungen des 4. Senats des BAG vom 3.7.201311 und vom 21.8.201312 gehen der Frage nach, welche individualrechtliche Bedeutung einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien beizumessen ist, wenn die Vergütung nach einer tariflichen Lohngruppe erfolgen soll, die zwei Lohngruppen über der nach der Tätigkeit des Arbeitnehmers zutreffenden tariflichen Lohngruppe liegt, und ob der Arbeitgeber an eine Eingruppierung für eine bestimmte Tätigkeit des Arbeitnehmers gebunden ist, wenn der Tarifvertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt diese Tätigkeit, dann aber in einer geringerwertigeren Tariflohngruppe, erfasst. In dem Urteil des 4. Senats des BAG vom 3.7.201313 ging es um einen als Ziegeleiarbeiter beschäftigten Arbeitnehmer, dem anlässlich einer Umsetzung vom zweiten in den dritten Schichtbetrieb anstelle der für seine Tätigkeit maßgebenden tariflichen Lohngruppe 3 die tarifliche Lohngruppe 5 vom Arbeitgeber zugesagt worden war. Nach dieser Vergütungsgruppe wurde der Kläger in den nachfolgenden zwölf Jahren entlohnt und entsprechende Lohnerhöhungen weitergegeben. Nachdem ein neuer Entgeltrahmentarifvertrag vereinbart worden war, wollte die beklagte Arbeitgeberin den Kläger nur noch nach der für ihn tariflich zutreffenden Vergütungsgruppe bezahlen. Damit war der Kläger nicht einverstanden und beanspruchte – wie bisher – eine Vergütung, die zwei Lohngruppen über der an sich zutreffenden Lohngruppe lag. Der neue Tarifvertrag sah dabei vor, dass nach einem so genannten Überführungsgitter die bisher dem Kläger vereinbarungsgemäß zugeordnete Lohngruppe 5 (alt) als Entgeltgruppe 6 (neu) fortgeführt wurde.
11 4 AZR 476/12, BB 2014, 499. 12 4 AZR 656/11, BB 2014, 690. 13 4 AZR 476/12, BB 2014, 499.
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Individual- und kollektivrechtliche Fragen zu Ein- und Umgruppierungen
Während das LAG Düsseldorf14 unter Hinweis darauf, dass die Beklagte aus Anlass des neuen Tarifvertrags berechtigt gewesen sei, die unrichtige Eingruppierung des Klägers zu korrigieren, die Klage abgewiesen hat, ist das BAG davon ausgegangen, dass die Beklagte auf der Grundlage der vertraglichen Absprache der Parteien weiterhin verpflichtet ist, den Kläger nach der höheren Vergütungsgruppe zu entlohnen. Zu Recht weist das BAG darauf hin, dass die Beklagte dem Kläger anlässlich der Einführung der dritten Schicht individualvertraglich eine übertarifliche Vergütung zugesagt hat, an die sie weiterhin gebunden ist. Da die Beklagte die höhere Vergütung nicht für den Zeitraum der tatsächlichen Beschäftigung im Drei-Schicht-Betrieb befristet hatte, kam es auch nicht darauf an, ob der Kläger weiterhin eine derartige Schichtarbeit zu leisten hatte. Mithin sollte der Kläger auf der Grundlage des Vertrags so behandelt werden, als erfülle seine Tätigkeit die Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der höheren Vergütungsgruppe. Diese rechtliche Bewertung beinhaltet zugleich zugunsten des Klägers einen vertraglichen Fortschreibeffekt, der darin besteht, dass künftige Tariflohnerhöhungen der höheren Vergütungsgruppe entsprechend dem Kläger auf vertraglicher Grundlage weitergegeben werden müssen und damit zugutekommen. Diese vertragliche Position kann dem Kläger auch nicht durch den die bisherige tarifliche Lohnordnung abändernden Tarifvertrag genommen werden, weil der Tarifvertrag Mindestarbeitsbedingungen regelt, denen günstigere vertragliche Arbeitsbedingungen nach dem Günstigkeitsprinzip vorgehen (§ 4 Abs. 3 TVG). Der Praxis führt diese Entscheidung des BAG vor Augen, dass eine bewusst zu hohe Eingruppierung des Arbeitnehmers auf der Grundlage des einschlägigen Tarifvertrags eine vertragliche übertarifliche Zulage mit dem dynamischen Effekt der Fortschreibung bei künftigen Tariflohnerhöhungen zum Inhalt hat. Bei einer derartigen Verfahrensweise sollte zudem bedacht werden, dass damit auch das System der Vergütungsordnung mit der möglichen Rechtsfolge durchbrochen wird, dass sich der Arbeitgeber bei richtiger Eingruppierung der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats ausgesetzt sehen kann. Zur Vermeidung derartige Rechtsfolgen erscheint es angezeigter zu sein, eine übertarifliche Vergütung besonders auszuweisen, wobei der Arbeitgeber zudem die Möglichkeit behält, Tariflohnerhöhungen darin aufgehen lassen zu können. Eine ähnliche Konstellation lag der Entscheidung des 4. Senats des BAG vom 21.8.201315 zu Grunde. Das Problem des Falles bestand darin, dass im 14 LAG Düsseldorf v. 22.3.2012 - 5 Sa 830/11 n. v. 15 4 AZR 656/11, BB 2014, 690.
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Tarifrecht
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die im Arbeitsvertrag angegebene Entgeltgruppe des an sich einschlägigen Tarifvertrags nicht anhand der dort in Bezug genommenen Eingruppierungsregelungen zutreffend ermittelt werden konnte. Die Arbeitsvertragsparteien einigten sich bei Abschluss des Arbeitsvertrags deshalb auf eine Vergütungsgruppe des Tarifvertrags, von der sie annahmen, dass sie die Tätigkeit der Klägerin vom Arbeitswert her erfasste. Erst einige Jahre später wurde die Tätigkeit der Klägerin durch eine entsprechende Regelung in die tarifliche Vergütungsordnung aufgenommen und eine Gruppe tiefer als der von den Parteien angenommenen Vergütungsgruppe eingestuft. Die Beklagte (öffentlicher Dienst) wollte nunmehr – sogar rückwirkend – eine Vergütungsreduzierung vornehmen, gegen die sich die Klägerin mit einer Klage zur Wehr setzte. Das BAG hielt die Klage der Klägerin für begründet, weil sich die Klägerin zwar nicht auf den in Bezug genommenen Tarifvertrag, wohl aber darauf mit Erfolg berufen konnte, dass die Parteien mit der Nennung einer Entgeltgruppe in dem Arbeitsvertrag eine konstitutive Entgeltvereinbarung hatten treffen wollen. Allerdings gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG16 für den öffentlichen Dienst grundsätzlich, dass die Bezeichnung der Vergütungsgruppe in einem Arbeitsvertrag oder in einer Eingruppierungsmitteilung gem. §§ 133, 157 BGB grundsätzlich nicht dahin auszulegen ist, dass dem Angestellten ein eigenständiger, von den tariflichen Bestimmungen unabhängiger arbeitsvertraglicher Anspruch auf diese Vergütung zustehen soll. Von einer derartigen nur deklaratorischen Angabe einer Entgeltgruppe kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn sich zum Zeitpunkt der vertraglichen Absprache der Vergütung mangels einer entsprechenden Eingruppierungsbestimmung für die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit keine zutreffende Entgeltgruppe ermitteln lässt. Bei derartigem Befund kann der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers, ihn nach einer bestimmten Entgeltgruppe vergüten zu wollen, nur dahingehend verstehen, diese Entgeltgruppe sei für die zutreffende Entgelthöhe maßgebend. Will der Arbeitgeber ein derartiges Verständnis des Arbeitnehmers vermeiden, muss er dies als Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Vertrag selbst zum Ausdruck bringen17, was nicht allein dadurch geschieht, dass der Arbeitgeber lediglich auf eine Entgeltgruppe des Tarifvertrags verweist. (Boe)
16 Nur BAG v. 22.7.2004 - 8 AZR 203/03, ZTR 2005, 198 Rz. 24; BAG v. 21.2.2007 - 4 AZR 187/06, ZTR 2007, 677 Rz. 17; BAG v. 1.7.2009 - 4 AZR 234/08, NZA-RR 2010, 80 Rz. 28 ff. 17 Siehe auch Kleinebrink, NZA-RR 2014, 113, 118.
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Gleichstellungsabrede bei Tarifgebundenheit durch Anerkennungstarifvertrag
2.
Gleichstellungsabrede bei Tarifgebundenheit durch Anerkennungstarifvertrag
Nach wie vor wird in der betrieblichen Praxis in der Regel die kleine dynamische Bezugnahmeklausel verwendet, obwohl auch nach Inkrafttreten der AGB-Kontrolle arbeitsvertraglich eine große dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart werden kann18. Die kleine dynamische Klausel ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass in zeitlich dynamischer Hinsicht auf einen bestimmten - für den Arbeitgeber maßgeblichen – Tarifvertrag verwiesen wird. Dieser soll, soweit nicht arbeitsvertraglich abweichende Regelungen vereinbart wurden, auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen. Die große dynamische Klausel ist dadurch gekennzeichnet, dass der jeweils für den Arbeitgeber kraft Gesetzes geltende Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis Geltung beansprucht, wenn der Arbeitnehmer in seinen Geltungsbereich fällt. Wenn der Arbeitgeber selbst kraft Gesetzes an den in einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel genannten Tarifvertrag gebunden ist, liegt solchen Klauseln in der Regel der Wille zugrunde, auf das Arbeitsverhältnis jeweils den Tarifvertrag anzuwenden, an den der Arbeitgeber kraft Gesetzes gebunden ist. Dies löst nicht nur dann Probleme aus, wenn sich diese Tarifbindung ändert. Problematisch ist die Wirkungsweise solcher Klauseln auch dann, wenn die Tarifgebundenheit - gleich aus welchem Grunde – beendet wird. Diese Rechtsfolge kann nicht nur durch den Austritt aus dem Arbeitgeberverband oder das Herausfallen des Arbeitsverhältnisses aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgelöst werden. Auch der Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a BGB auf ein Unternehmen, das seinerseits keiner Tarifbindung unterliegt, lässt die Frage entstehen, ob und inwieweit der bisherige Tarifvertrag – ggf. zeitdynamisch – beim Erwerber trotz fehlender eigener Tarifgebundenheit zur Anwendung kommt. Problematisch ist diese Frage insbesondere dann, wenn Arbeitsverträge in Rede stehen, die erst nach dem Wirksamwerden der Schuldrechtsmodernisierung abgeschlossen wurden. Denn diese Verträge sind nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG im Zweifel nach Maßgabe ihres Wortlauts zu behandeln, was zur Folge haben kann, dass trotz Wegfalls der gesetzlichen Tarifgebundenheit weiterhin – zeitdynamisch – der bisherige Tarifvertrag zur Anwendung gebracht werden muss19. Man wird allerdings davon ausge18 Vgl. BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512 ff. 19 Vgl. BAG v. 16.5.2012 – 4 AZR 290/10, ZTR 2012, 707 Rz. 16; BAG v. 19.12.2005 – 4 AZR 536/04, 607 Rz. 24.
183
Tarifrecht
hen müssen, dass das BAG diese Rechtsprechung angesichts der klaren Vorgaben des EuGH im Urteil vom 18.7.201320, auf die wir an anderer Stelle verwiesen haben21, jedenfalls im Anwendungsbereich von § 613 a BGB modifizieren muss. Hiervon ist zumindestens dann auszugehen, wenn der Erwerber auf die Fortentwicklung des im Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrags seinerseits keinen Einfluss ausüben kann. In diesen Fällen ist entgegen der im Wortlaut enthaltenen Dynamik angesichts der fehlenden Tarifgebundenheit auf Erwerberseite im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses nur noch der zuletzt geltende Tarifvertrag anzuwenden. Diese Rechtsfolge hatte das BAG mit Urteil vom 11.12.201322 bislang allerdings nur für die sog. Altverträge bestätigt, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden. Bei diesen Arbeitsverträgen endete mit dem Wegfall der normativen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers regelmäßig auch die Dynamik einer steten Fortentwicklung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung seinerseits kraft Gesetzes an den im Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrag gebunden war. Dies gilt – so das BAG – auch dann, wenn die Tarifgebundenheit an Verbandstarifverträge nicht über eine Mitgliedschaft des Arbeitgebers im tarifschließenden Verband, sondern über einen von ihm als Tarifvertragspartei mit der Gewerkschaft geschlossenen Anerkennungstarifvertrag vermittelt wird. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Kläger seit dem Jahre 1995 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag war neben einer Verweisung auf die tariflichen Urlaubs- und Kündigungsfristenregelungen ein „Bruttogehalt nach Tarifgruppe 5/4 in Höhe von DM 5.400,-“ vereinbart, das sich aus einem Tarifgehalt von DM 4.848,- und einer außertariflichen Zulage von DM 552,- zusammensetzte. Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung war die Beklagte, die keinem Arbeitgeberverband angehört, an einen mit der IGMetall geschlossenen Anerkennungstarifvertrag gebunden, der mehrere Verbandstarifverträge der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie in Bezug genommen und vorübergehend teilweise modifiziert hatte. Dieser Anerkennungstarifvertrag wurde von der Beklagten zum 31.12.2001 gekündigt. Als die Beklagte nachfolgende Änderungen der Tarifverträge im Arbeitsverhältnis nicht mehr umsetzte, erhob der Kläger Klage mit dem 20 C-426/11, NZA 2013, 835 Rz. 37 – Alemo Herron; vgl. Commandeur/Kleinebrink, BB 2014, 181 ff. 21 B. Gaul, AktuellAR 2013 638 ff. 22 4 AZR 473/12 n. v.
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Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Ausschlussfrist
Ziel, die Vergütungsdifferenz zwischen dem ihm gezahlten Entgelt und den tariflichen – zwischenzeitlich erhöhten – Tabellenwerten der Tarifgruppe 5/4 zu erhalten. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat der 4. Senat des BAG im Urteil vom 11.12.201323 die Klage abgewiesen. Selbst wenn man – so das BAG - zu Gunsten des Klägers eine dynamische Anwendung der jeweiligen Vergütungsregelungen nach dem Mantel-, dem Lohn- und dem Gehaltsrahmen sowie dem Vergütungstarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie annehmen würde, wäre diese Dynamik aufgrund des Wegfalls der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach der Kündigung des Anerkennungstarifvertrags in Anwendung der früheren Rechtsprechung des 4. Senats des BAG zur „Gleichstellungsabrede“ entfallen. Diese fände aufgrund Vertrauensschutzes für „Altverträge“, die vor der Schuldrechtsmodernisierung abgeschlossen wurden, weiterhin Anwendung. Bei dieser Vertrauensschutzregelung spiele es keine Rolle, ob die Tarifgebundenheit an die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifregelungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf einer Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Verband oder auf einem von ihm selbst geschlossenen Anerkennungstarifvertrag beruhe. Der Entscheidung ist ohne weiteres zuzustimmen. Allerdings wäre es wichtig für die betriebliche Praxis zu wissen, ob diese bislang nur für Altverträge geltende Rechtsprechung als Konsequenz der EuGH-Feststellungen zukünftig jedenfalls dann auch auf Neuverträge zur Anwendung kommt, wenn diese Rechtsfolge im Zusammenhang mit einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang diskutiert wird und der Erwerber auf die Fortentwicklung des Tarifvertrags keinen Einfluss nehmen kann. Schließlich muss diese Rechtsfolge durch die an einem solchen Übertragungsvorgang beteiligten Unternehmen zutreffend im Rahmen der Unterrichtung gemäß § 613 a Abs. 5 BGB beschrieben werden. (Ga)
3.
Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Ausschlussfrist
Gemäß § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei einer Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Dies ergänzt § 276 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden darf. § 202 Abs. 1 BGB verbietet deshalb nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über
23 4 AZR 473/12 n. v.
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Tarifrecht
Ausschlussfristen, die sich auf eine Vorsatzhaftung des Schädigers beziehen24. Da insoweit allerdings eine gesetzliche Regelung in Rede steht, sind tarifvertragliche Ausschlussfristen, die auch Ansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfassen und nach § 4 Abs. 1 S. 1 TVG (Tarifbindung) oder § 5 Abs. 4 TVG (Allgemeinverbindlichkeit) oder den Sonderregelungen des AEntG normative Wirkung entfaltet, allerdings nicht entgegen. Darauf hatte das BAG bereits mit Urteil vom 18.8.201125 hingewiesen. Wenn und soweit Ausschlussfristen auf arbeitsvertraglicher Ebene vereinbart werden, muss das Verbot aus § 202 Abs. 1 BGB beachtet werden. Hier hatte das BAG indes mit Urteil vom 20.6.201326 die These aufgestellt, dass jedenfalls durch allgemeine Geschäftsbedingungen, wie sie entsprechende Klauseln in Arbeitsverträgen regelmäßig darstellen, im Zweifel nur solche Ansprüche erfasst werden sollen, die nicht von dem Verbot aus § 202 Abs. 1 BGB erfasst werden. Diese einschränkende Auslegung habe zur Folge, dass auch dem Wortlaut nach schrankenlos formulierte Ausschlussfristen in einem Arbeitsvertrag wirksam sind und der Geltendmachung eines Anspruchs entgegenstehen, soweit dieser keine Haftung wegen Vorsatzes betrifft. In seinem Urteil vom 26.9.201327 hat sich der 8. Senat des BAG jetzt mit dem Fall befasst, dass eine tarifvertragliche Regelung nur durch arbeitsvertragliche Bezugnahme Bestandteil des Arbeitsverhältnisses wird28. Dabei hat der 8. Senat des BAG zunächst einmal klargestellt, dass der weitergehende Gestaltungsspielraum, der für Tarifverträge anerkannt ist, nur bei einer gesetzlichen Bindung des Arbeitsverhältnisses an diesen Tarifvertrag zur Geltung kommt. Wenn die Ausschlussfrist nur arbeitsvertraglich oder durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vereinbart wird, sind die für rechtsgeschäftliche Abreden geltenden Schranken aus § 202 BGB zu beachten. Denn auch bei einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag wirken die tarifvertraglichen Regelungen zur Geltendmachung von Ansprüchen für die Arbeitsvertragsparteien nicht anders, als wenn sie
24 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1013/12, ZTR 2014, 161 Rz. 33; BAG v. 20.6.2013 – 8 AZR 280/12, NZA 2013, 3741 Rz. 20. 25 8 AZR 187/10, ZTR 2012, 31 Rz. 31 ff. 26 8 AZR 280/12, NZA 2013, 3741 Rz. 22. 27 8 AZR 1013/12, ZTR 2014, 161 Rz. 35 ff. 28 Vgl. zur Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge Bayreuther, DB 2014, 717 ff.
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Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Ausschlussfrist
diese Normen als Vertragsbestimmungen in den Arbeitsvertrag aufgenommen hätten29. Problematisch ist allerdings, welche Rechtsfolge diese Kennzeichnung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf eine tarifvertragliche Ausschlussfrist auslöst. Wenn man den Tarifvertrag entsprechend seinem im Zweifel uneingeschränkten Wortlaut so versteht, dass auch etwaige Ansprüche wegen einer Haftung wegen vorsätzlichen Handelns erfasst sind, dürfte darin ein Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB liegen, der die Unwirksamkeit der Vereinbarung (§ 134 BGB) und damit auch die fehlende Anwendbarkeit der Ausschlussfrist zur Folge hat. Es ist unklar, ob das BAG im Urteil vom 26.9.201330 ein solches Ergebnis annehmen will. Denkbar wäre nämlich auch, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die tarifvertragliche Ausschlussfrist in Übereinstimmung mit den Überlegungen des BAG im Urteil vom 20.6.201331 so zu verstehen sind, dass die Arbeitsvertragsparteien durch die Bezugnahme auf die tarifvertragliche Ausschlussfrist nur solche Ansprüche erfassen wollten, bei denen eine entsprechende Verkürzung der Verjährung gemäß § 202 Abs. 1 BGB zulässig ist. Dass damit für die Arbeitsverhältnisse mit gesetzlicher Tarifbindung die uneingeschränkte Ausschlussfrist gelten würde, wo hingegen bei (nur) arbeitsvertraglich vereinbarter Ausschlussfrist bei Ansprüchen wegen einer Haftung wegen Vorsatzes keine Verkürzung der Verjährung gegeben wäre, müsste bei diesem Auslegungsergebnis hingenommen werden. Das BAG hat in seinem Urteil vom 26.9.201332 schlussendlich eine abweichende Lösung gefunden. Denn mit der dort in Rede stehenden Klage wurden Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung gegenüber einem Arbeitgeber wegen des rechtswidrigen Verhaltens anderer Arbeitnehmer geltend gemacht. Ausgangspunkt war dabei der Umstand, dass die Haftung für fremdes vorsätzliches Handeln nach § 278 S. 2 BGB i. V. m. § 276 Abs. 3 BGB ausgeschlossen werden kann. Deshalb könnten auch Ansprüche aufgrund von vorsätzlichen Handelns von Personen i. S. d. § 278 S. 1 BGB einer individualrechtlich vereinbarten allumfassenden Ausschlussfrist unterfallen. Darin liege dann auch kein Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB. Denn § 278 S. 2 BGB i. V. m. 276 Abs. 3 BGB schließe eine entsprechende Einschränkung der Verjährungsfrist nur für das vorsätzliche Verschulden von
29 BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1013/12, ZTR 2014, 161 Rz. 38; Wiedemann/Oetker, TVG § 3 Rz. 285. 30 8 AZR 1013/12, ZTR 2014, 181 Rz. 40. 31 8 AZR 280/12, NZA 2013, 3741 Rz. 22. 32 8 AZR 1013/12, ZTR 2014, 161 Rz. 41 ff.
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Tarifrecht
Organen einer juristischen Person aus, bei denen Verschulden als eigenes Verschulden der juristischen Person gelte. Auch wenn die Ausschlussfrist, die durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag vereinbart war, damit grundsätzlich nicht geeignet war, eine Haftung wegen vorsätzlichen Handelns des Arbeitgebers zu erfassen, konnte eine Haftung des Arbeitgebers wegen vorsätzlichen Handelns anderer Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Konsequenz war, dass die Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche von der Ausschlussfrist, die insoweit wirksam war, erfasst wurden. Die vorstehend genannten Entscheidungen des BAG machen deutlich, dass ein enormer Auslegungsaufwand erforderlich ist, um noch mit einigermaßen vertretbaren Argumenten die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist annehmen zu können. Zwingend erscheinen die hierfür in der Rechtsprechung angenommenen Gründe indes nicht. Der betrieblichen Praxis sei deshalb empfohlen, gesetzliche Regelungen, die eine Verkürzung der Verjährung durch Ausschlussfristen verbieten, bereits bei der Formulierung einer Ausschlussfrist zu berücksichtigen. Dies kann dadurch erfolgen, dass solche Ansprüche, die nicht erfasst werden dürfen, ausdrücklich genannt werden. Hierzu gehört beispielsweise eine Haftung wegen Vorsatzes. Denkbar ist allerdings auch, dass die Ausschlussfrist mit dem allgemeinen Zusatz versehen wird, nur dort zur Anwendung zu kommen, „soweit dies gesetzlich zulässig ist“. Damit würden auch sonstige gesetzliche Vorgaben (z. B. Mindestlohngesetz) erfasst. (Ga)
4.
Zulässiger Arbeitskampf durch gewerkschaftlichen Aufruf zu „Flashmob-Aktionen“
Durch Urteil vom 22.9.200933 hatte das BAG die Entscheidung getroffen, den gewerkschaftlichen Aufruf zu „Flashmob-Aktionen“ als zulässiges Mittel des Arbeitskampfes zu qualifizieren. Wir hatten darüber berichtet34. In dem konkreten Fall hatte die Gewerkschaft ver.di im Jahre 2007 trotz mehrerer Streiks keinen Tarifabschluss im Einzelhandel in Berlin-Brandenburg durchsetzen können. Im Zusammenhang mit einem Streik hatte sie sodann Interessierte durch Flugblätter gebeten, ihre Handy-Nummer zu hinterlassen, damit sie an Flashmob-Aktionen im Rahmen des Arbeitskampfes beteiligt werden könnten. Bereits im Rahmen dieses Flugblattes hatte sie angekündigt, dass die Aktionen darauf gerichtet seien, das viele Menschen zur glei33 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347 ff. 34 B. Gaul, AktuellAR 2009, 567 ff.
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Arbeitskampf durch gewerkschaftlichen Aufruf zu „Flashmob-Aktionen“
chen Zeit einen Pfennig-Artikel kaufen und damit für längere Zeit den Kassenbereich blockieren. Dies solle insbesondere dadurch geschehen, dass zur gleichen Zeit viele Menschen ihre Einkaufswagen vollpackten und sie dann stehenließen. Im Dezember 2007 organisierte ver.di sodann in der Filiale eines Mitgliedsunternehmens des Arbeitgeberverbands eine solche Flashmob-Aktion. Daran beteiligten sich etwa 40 bis 50 Personen, die per SMS von der Gewerkschaft dorthin bestellt worden waren. Zwei oder drei Teilnehmende trugen eine Jacke mit der Aufschrift „ver.di“, zahlreiche andere trugen Sticker der Gewerkschaft. Zunächst betraten etwa drei Personen die Filiale, klebten ein Flugblatt mit einem Streikaufruf an einen Backofen, legten weitere Flugblätter an die Kasse und forderten eine Arbeitnehmerin zur Streikteilnahme auf. Später begaben sich etwa 40 Personen in die Filiale und kauften dort in größerer Zahl sog. Pfennigartikel, weshalb sich an den Kassen Warteschlangen bildeten. Andere füllten etwa 40 Einkaufswagen mit Waren und ließen diese ohne Begründung oder mit der Angabe, das Geld vergessen zu haben, in den Gängen oder im Kassenbereich stehen. Die Aktion dauerte zwischen 46 Minuten und etwa einer Stunde. Nach Auffassung des 1. Senats des BAG war diese Flashmob-Aktion noch durch die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) gedeckt. Denn die Wahrnehmung dieser grundsätzlich geschützten Rechtsposition könne nicht allein durch einen Streik erfolgen. Vielmehr seien auch andere Arbeitskampfmaßnahmen zulässig, sofern diese unter Berücksichtigung der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Gegenseite den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachteten. Hiervon ist das BAG im konkreten Einzelfall ausgegangen. Durch Beschluss vom 26.3.201435 hat das BVerfG die gegen die BAGEntscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung seien die vom BAG herangezogenen Kriterien zur Beurteilung von Flashmob-Aktionen auch hinsichtlich der Grenzen der Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In seiner Begründung verweist das BVerfG darauf, dass das BAG insbesondere berücksichtigt habe, dass sich durch die Teilnahme Dritter an Flashmob-Aktionen die Gefahr erhöhen könne, dass diese außer Kontrolle gerieten, weil das Verhalten Dritter weniger beeinflussbar sei. Deshalb habe das BAG der – im Ausgangsfall auch tatsächlich eingeschränkten – Teilnahme Dritter auch rechtliche Grenzen gesetzt. So müsse der Flashmob als ge35 1 BvR 3185/09, DB 2014, 956 ff.
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Tarifrecht
werkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, also deutlich werden, dass es sich nicht um eine „wilde“, nicht gewerkschaftlich getragene Aktion handele, was auch bei Schadenersatzforderungen der Arbeitgeber bei rechtswidrigen Aktionen von Bedeutung sei. Nach Auffassung des BVerfG habe das BAG auch in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt, dass Flashmob-Aktionen – anders als Streiks – kein Element unmittelbarer Selbstschädigung der Teilnehmenden in Form des Verlustes des Arbeitsentgelts innewohne, das einen (eigen-)verantwortlichen Umgang mit dem Arbeitskampfmittel fördern könne. Insofern nimmt das BVerfG hin, dass entsprechende Aktionen außerhalb der individuellen Arbeitszeit durchgeführt werden können, so dass die Teilnehmenden keine Kürzung ihres Gehalts zu erwarten haben. Auch das BVerfG nimmt in seiner Entscheidung an, dass die Arbeitgeberseite „geeignete Verteidigungsmittel“ gegen entsprechende Flashmob-Aktionen besitze, was auch für die Zulässigkeit solcher Maßnahmen spräche. Dass der Arbeitgeber im Zweifel bei einer Vielzahl der an solchen Aktionen teilnehmenden Personen gar nicht erkennen kann, ob ein „Flashmobber“ oder ein „normaler Kunde“ die Filiale betritt, bleibt insofern bedauerlicherweise unberücksichtigt. Insgesamt gesehen ist die damit verbundene Anerkennung weitergehender Arbeitskampfmaßnahmen auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG vom Grundsatz her durchaus vertretbar. Nicht überzeugend scheint allerdings, wenn jetzt auch das BVerfG die Möglichkeit anerkennt, dass die Gewerkschaft einen solchen Arbeitskampf nicht nur durch eigene Mitglieder, sondern auch durch Dritte durchführen lässt. Damit verlässt die Rechtsprechung den Grundsatz, dass ein Arbeitskampf nach dem hier vertretenen Verständnis zwischen den Parteien durchgeführt werden muss, die an den jeweils in Rede stehenden Tarifvertrag gebunden sein können. Die erste dahingehende Ausweitung war bereits durch den Unterstützungsstreik zugelassen worden. Daran hatten sich aber wenigstens Mitglieder der Gewerkschaft beteiligt, die auch im Hauptarbeitskampf einen Tarifabschluss fordert. Die jetzt abgeschlossene Rechtsprechung zu Flashmob-Aktionen hat aber zur Folge, dass auch Verwandte und Freunde sowie Sympathisanten ohne eine Gewerkschaftsmitgliedschaft Maßnahmen zum Schaden von Arbeitgebern durchführen können, damit diese zum Abschluss eines Tarifvertrags gebracht werden können. (Ga)
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Arbeitskampf bei Tarifpluralität zwischen DGB-Gewerkschaften
5.
Arbeitskampf bei Tarifpluralität zwischen DGBGewerkschaften
Die Bereitschaft der Gewerkschaften hat sich deutlich erhöht, in Konkurrenz zu bestehenden Tarifverträgen anderer Gewerkschaften einen eigenen Tarifabschluss anzustreben, nachdem das BAG am 7.7.201036 seine bis dahin geltende Rechtsprechung zur Tarifpluralität aufgegeben hat. Denn nach der jetzt geltenden Rechtsprechung des BAG ist jede Gewerkschaft in der Lage, für ihre Mitglieder einen Tarifvertrag abzuschließen, der dann unmittelbare und zwingende Wirkung besitzt. Voraussetzung ist lediglich, dass die jeweilige Gewerkschaft satzungsgemäß für den Betrieb bzw. das Unternehmen des Arbeitgebers zuständig ist. In der Vergangenheit war eine solche Konkurrenzsituation im Grunde nur zwischen den nach dem Industrieverbandsprinzip organisierten DGBGewerkschaften auf der einen Seite und den Spartengewerkschaften außerhalb des DGB auf der anderen Seite geben. Betroffen hiervon waren vor allem die Piloten, Fluglotsen, Lokomotivführer, Flugbegleiter und Ärzte. Die mit der Konzentration auf das Kerngeschäft insbesondere im industriellen Bereich einhergehende Zunahme der Ausgliederung von Betrieben und Betriebsteilen mit Hilfstätigkeiten hat inzwischen aber zur Folge, dass die Gewerkschaften, die für den Hauptbetrieb zuständig sind, vielfach vor der Problematik stehen, dass die Arbeitnehmer in den ausgegliederten Einheiten in den Zuständigkeitsbereich (auch) einer anderen Gewerkschaft fallen. Beispielhaft gilt dies für die IG Metall, wenn die Logistikbereiche von Metallbetrieben auf andere Unternehmen ausgegliedert werden und dort in den Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft ver.di fallen. In der Vergangenheit hat die IG Metall diese Entwicklung hingenommen und akzeptiert, dass ver.di mit dem Wirksamwerden solcher Ausgliederungen die (primäre) Zuständigkeit hat und die Fortentwicklung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen bestimmt. Da dies im Zweifel auch mit einem Wegfall von Mitgliedschaften in der IG Metall verbunden ist, nimmt diese Bereitschaft der IG Metall inzwischen allerdings ab. Ausgehend davon, dass die IG Metall ihrer Satzung nach auch zuständig für solche Betriebe ist, die trotz anderer Tätigkeit Metallbetriebe bei der Verwirklichung ihrer Zielsetzung unterstützen, insbesondere solche Betriebe, die aufgrund von Auf- und Abspaltungen, Ausgliederungen und/oder sonstigen unternehmerischen Veränderungen organisatorischer und/oder gesellschaftsrechtlicher Art aus Metallbetrieben entstanden sind, macht sie deshalb inzwischen neben 36 4 AZR 537/08 n. v.
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Tarifrecht
ver.di eigenständig die Interessen ihrer Mitglieder geltend. Dies hat dann auch zur Folge, dass durch die IG Metall im Logistikbereich eigene Tarifverträge abgeschlossen werden sollen und deshalb auch Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet werden. Bedauerlicherweise hat das LAG Hamburg am 21.5.201437 im Rahmen eins einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass der Arbeitgeber diese Konkurrenzsituation hinnehmen und Arbeitskampfmaßnahmen beider Gewerkschaften dulden muss, wenn diese ihrerseits die allgemeinen Schranken beachten. Entgegen vorangehender Entscheidungen des ArbG Hamburg, die in überzeugender Weise auf den Vorrang des satzungsgemäß vorgesehenen Schiedsverfahrens zur Klärung der Zuständigkeit zwischen den DGBGewerkschaften verwiesen hatten, lässt das LAG Hamburg die unmittelbare Tarifzuständigkeit nach der Satzung der einzelnen Gewerkschaften genügen, um von einer Zulässigkeit des Arbeitskampfes auszugehen. Auch wenn sich die beiden Gewerkschaften intern – durch ihre Satzung – verpflichteten, bei einem Streit über die Zuständigkeit das Schiedsverfahren einzuleiten, dessen Ergebnis für beide Beteiligten verbindlich sei, könnten beide Gewerkschaften in der Zwischenzeit eigenständige Arbeitskampfmaßnahmen einleiten. Einen Vorrang der Gewerkschaft, die zuerst in dem Betrieb vertreten gewesen sei, gebe es ebenso wenig wie den Vorrang der Gewerkschaft, in der die meisten Mitglieder beschäftigt werden. Für die Praxis ist die bedauerlich, weil damit eine Gewerkschaft auch dann Arbeitskampfmaßnahmen einleiten und einen Schaden auslösen kann, wenn anschließend im Schiedsverfahren festgestellt wird, dass keine Zuständigkeit besteht. Dies erscheint unverhältnismäßig und deshalb auch unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 3 GG nicht geboten. (Ga)
37 5 SaGa 1/14 n. v.
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung
Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Zu diesen Angelegenheiten gehören beispielsweise Regelungen über die betriebliche Ordnung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) und der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Unterliegt eine Angelegenheit nicht der zwingenden Mitbestimmung, hat eine darüber abgeschlossene Betriebsvereinbarung grundsätzlich keine Nachwirkung. Hierzu gehören beispielsweise Auswahlrichtlinien gemäß § 95 Abs. 2 BetrVG in Betrieben mit nicht mehr als 500 Arbeitnehmern. Etwas anderes kann natürlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart werden1. Wenn zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat die Gewährung übertariflicher Leistungen durch eine Betriebsvereinbarung geregelt wird, handelt es sich hingegen um eine teilmitbestimmte Angelegenheit. Denn der Arbeitgeber ist mitbestimmungsfrei berechtigt, den Dotierungsrahmen, den Adressatenkreis und den Zweck der in Rede stehenden Leistung festzulegen. Die Ausgestaltung der Verteilung der insoweit vorgegebenen Mittel bedarf allerdings nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG einer Zustimmung des Betriebsrats, die bei fehlender Einigung auch durch den Spruch einer Einigungsstelle ersetzt werden kann (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Wie das BAG mit Urteil vom 9.7.20132 noch einmal deutlich gemacht hat, hängt die Nachwirkung derart teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen im Falle ihrer Kündigung durch den Arbeitgeber davon ab, ob die finanziellen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert werden sollen. Will ein Arbeitgeber mit der Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung seine finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt an sich keine Nachwirkung ein. Schließlich verbleiben bei einer voll-
1 2
BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 39/12 n. v. (Rz. 17); BAG v. 26.8.2008 – 1 AZR 354/07, NZA 2008, 1426 Rz. 14. 1 AZR 275/12, NZA 2013, 1438 Rz. 20.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ständigen Einstellung der Leistungen keine Mittel mehr, bei deren Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hätte3. Dieser Grundsatz gilt aber nicht uneingeschränkt. Vielmehr macht die vorstehend genannte Entscheidung deutlich, dass die Nachwirkung freiwilliger und teilmitbestimmter Angelegenheiten auch dadurch ausgelöst werden kann, dass sie gemeinsam mit erzwingbaren Angelegenheiten in einer einzigen Betriebsvereinbarung geregelt werden. Zwar wirken bei einer Kündigung dieser Betriebsvereinbarung grundsätzlich nur die Angelegenheiten gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach, die der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen. Dies setzt allerdings - so das BAG – voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfalte zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung4. In dem hier in Rede stehenden Fall hatte der Arbeitgeber im Rahmen von zwei verschiedenen Betriebsvereinbarungen zur Schichtarbeit jeweils zugleich auch Regelungen über die Gewährung eines außertariflichen Zuschlags in Höhe von 130,- € bzw. 74,- € im Monat getroffen. Beide Betriebsvereinbarungen waren zum 31.12.2009 gekündigt worden. Erst mit Wirkung zum 1.8.2011 konnte durch Spruch der Einigungsstelle eine neue Regelung zur Schichtarbeit, dann allerdings ohne Zulagen, getroffen werden. Da der Arbeitgeber mit der Kündigung beabsichtigte, die Gewährung der Zulage in Gänze einzustellen, weigerte er sich, entsprechende Leistungen über den 31.12.2009 hinaus zu erbringen. Die Kläger, die allerdings über den 31.12.2009 hinaus im Rahmen der Schichtarbeit eingesetzt wurden, machten demgegenüber geltend, dass neben den Regelungen zum Schichtbetrieb auch die Zulagenregelungen jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt Nachwirkung entfalteten, an dem mit dem Spruch der Einigungsstelle eine Neuregelung in Kraft gesetzt wurde. Der 1. Senat des BAG hat im Urteil vom 9.7.20135 diese Nachwirkung der Zulagenregelungen bestätigt. Aus seiner Sicht erfasste die gesetzliche Nachwirkung der Schichtplanregelung vereinbarungsgemäß auch die Zulagenregelungen. Insofern könne keine Aufspaltung der verschiedenen Regelungsgegenstände der Betriebsvereinbarung vorgenommen werden.
3 4 5
Ebenso bereits BAG v. 5.10.2010 – 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598 Rz. 19 f. BAG v. 9.7.2013 – 1 AZR 275/12, NZA 2013, 1438 Rz. 18; BAG v. 5.10.2010 – 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598 Rz. 18. 1 AZR 275/12, NZA 2013, 1438 Rz. 21 ff.
194
Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung
Die in den beiden Betriebsvereinbarungen getroffenen Schichtplan- und Zulagenregelungen stünden – so das BAG – nicht losgelöst nebeneinander, sondern in einem inneren Zusammenhang. Dies folge aus dem Regelungszusammenhang und dem sich hieraus ergebenden Leistungszweck. Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass im Geltungsbereich der Betriebsvereinbarungen abweichend von den tarifvertraglichen Vorschriften, die eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden bei einer Fünf-Tage-Woche vorsähen, in einer Sechs-Tage-Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von 8,75 Stunden und im Fünf-Schicht-Contibetrieb an allen Wochentagen mit einer täglichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden Schichtarbeit geleistet werde. In beiden Schichtsystemen seien die meisten Urlaubstage als Betriebsurlaub bereits verplant, so dass den Arbeitnehmern nur wenige frei verfügbare Urlaubstage zur Verfügung stünden. Wenn die Betriebsvereinbarung, die hierfür Grundlage sei, zugleich bestimme, dass eine außertarifliche Zulage bezahlt werde, die tarifliche Zuschläge für Spät- und Nachtschicht ausdrücklich unberührt lassen, deute dieser systematische Zusammenhang bereits darauf hin, dass die Zulagenregelung auf die besonderen Erschwernisse der Schichtarbeit bezogen sei. Hierfür spreche auch der Umstand, dass in den beiden Betriebsvereinbarungen jeweils unterschiedliche Zulagenhöhen vereinbart seien, die erkennbar den unterschiedlichen Belastungen der Arbeitnehmer in beiden Schichtsystemen Rechnung trügen. Soweit von der Beklagten geltend gemacht werde, dass die Bezahlung von Zulagen gesetzlich nicht gefordert und in der neuen Betriebsvereinbarung vom August 2011 auch nicht vorgesehen sei, steht dies nach Auffassung des BAG einer Nachwirkung nicht entgegen. Denn es sei für die Betriebsparteien gleichwohl möglich, für die Erschwernisse besonderer Arbeitszeitregelungen einen Ausgleich in Form von Zulagen freiwillig zu vereinbaren. Wenn die Betriebsparteien Arbeitszeit- und Zulagenregelungen derart zusammenführten, könne dies aber nur so verstanden werden, dass deren Regelungswille darauf gerichtet gewesen sei, den betroffenen Arbeitnehmern die Zulage solange zukommen zu lassen, wie diese nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Schichtarbeit zu leisten hätten. Hiervon ausgehend erstrecke sich die Nachwirkung der erzwingbaren Schichtplanregelung bei einer Kündigung der Betriebsvereinbarung auch auf die teilmitbestimmte Zulagenregelung. Der Arbeitgeber könne sich von der Verpflichtung, die Zulagenregelung zu zahlen, nur lösen, indem er eine neue Arbeitszeitregelung mit dem Betriebsrat vereinbare. Eine solche Neuregelung könne der Arbeitgeber auch durch Spruch der Einigungsstelle herbeiführen. Gegen seinen Willen könne die Einigungsstelle dann keine kompensatorischen Leistungen für ungünstige Arbeitszeitregelungen vorsehen. 195
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Unter Berücksichtigung der hier in Rede stehenden Fallgestaltung ist der Bewertung des BAG zuzustimmen. Für die betriebliche Praxis hat dies zur Folge, dass bei der Verknüpfung unterschiedlicher Angelegenheiten in einer Betriebsvereinbarung stets auch die daraus für die Nachwirkung resultierenden Konsequenzen beachtet werden müssen. Wenn bei der Verknüpfung erzwingbarer und freiwilliger bzw. teilmitbestimmter Angelegenheiten eine übergreifende Nachwirkung verhindert werden soll, kann dies nicht nur durch eine getrennte Regelung in verschiedenen Betriebsvereinbarungen erreicht werden. Denkbar ist auch, dass in der Betriebsvereinbarung selbst festgehalten wird, dass die einzelnen Bereiche einer getrennten Änderung oder Beendigung zugänglich sind. Dies macht ihre Teilbarkeit und daraus folgend auch eine getrennte Bewertung in Bezug auf die Nachwirkung deutlich. (Ga)
2.
Keine Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses bei Verstoß gegen die formellen Anforderungen
Nach § 29 Abs. 2 BetrVG beruft der Vorsitzende des Betriebsrats die Betriebsratssitzungen ein. Er hat die Mitglieder des Betriebsrats rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zu laden (§ 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG). Die rechtzeitige Ladung unter Übermittlung der Tagesordnung soll den Mitgliedern des Betriebsrats Gelegenheit geben, sich über die anstehenden und zu treffenden Entscheidungen zu informieren und sich sachgerecht auf die Meinungsbildung in der Betriebsratssitzung vorbereiten zu können6. Erfolgt die Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Übermittlung der Tagesordnung, wird die ausdrückliche Anordnung des § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG verletzt. Nach bisheriger Rechtsprechung des 7. Senats des BAG7 war die Heilung dieses Gesetzesverstoßes einer Ladung zu einer Betriebsratssitzung ohne Mitteilung der Tagesordnung nur möglich, wenn der Betriebsrat vollständig versammelt ist und einstimmig sein Einverständnis erklärt, einen neuen Beratungspunkt auf die Tagesordnung aufzunehmen und darüber zu beschließen. Da der 1. Senat des BAG beabsichtigte, diese auch von ihm bislang vertretene Rechtsprechung aufzugeben, weil dem Schutz der Willensbildung des Betriebsrats bei einem beschlussfähigen Betriebsrat bereits vom Zweck des
6 7
BAG v. 24.5.2006 - 7 AZR 201/05, NZA 2006, 1364 Rz. 20; BAG v. 9.7.2013 - 1 ABR 2/13 (A), NZA 2013, 1433 Rz. 41. BAG v. 24.5.2006 - 7 AZR 201/05, NZA 2006, 1364 Rz. 19; BAG v. 10.10.2007 - 7 ABR 51/06, NZA 2008, 369 Rz. 12.
196
Keine Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses bei Verstoß
§ 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG her durch das Erfordernis der Einstimmigkeit für die Ergänzung oder Aufstellung einer Tagesordnung angemessen und hinreichend Rechnung getragen werde, hat er durch Beschluss vom 9.7.20138 nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG angefragt, ob der 7. Senat des BAG an seiner Rechtsauffassung festhält. Durch Beschluss vom 22.1.2014 hat sich der 7. Senat des BAG9 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsauffassung der Ansicht des 1. Senats des BAG angeschlossen, wonach es für die Heilung eines Verfahrensmangels i. S. d. § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG nach dem Zweck dieser Ladungsvorschrift ausreicht, dass alle Betriebsratsmitglieder einschließlich erforderlicher Ersatzmitglieder rechtzeitig zur Sitzung geladen worden sind und die beschlussfähig (§ 33 Abs. 2 BetrVG) Erschienenen in dieser Sitzung eine Ergänzung oder Erstellung der Tagesordnung einstimmig beschließen. Nach Maßgabe des daran anknüpfenden Beschlusses des 1. Senats vom 15.4.201410 bleibt es zwar bei der von beiden Senaten übereinstimmend geteilten Ansicht, dass die Beachtung des § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG und die dort ausdrücklich angeordnete Ladung der Betriebsratsmitglieder einschließlich etwaiger Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung als wesentlich für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses anzusehen ist. Ungeachtet dessen werde jedoch die praktische Betriebsratsarbeit gerade in größeren Betriebsratskörpern, bei denen häufig ein oder mehrere Betriebsratsmitglieder zeitweilig verhindert seien, erheblich und unnötig erschwert, wenn eine Ergänzung der Tagesordnung nur bei vollständiger Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder möglich wäre. Die Mitteilung der Tagesordnung diene auch nicht dazu, dem einzelnen Betriebsratsmitglied die Auflösung einer etwaigen Terminkollision zu ermöglichen. Ein Betriebsratsmitglied, das eine bestimmte Tagesordnung für unwichtig erachtet, verdiene keinen Schutz davor, dass die anwesenden Betriebsratsmitglieder einen weiteren Tagungsordnungspunkt einstimmig auf die Tagesordnung setzen. Schließlich soll es weiterhin bei dem Erfordernis der Einstimmigkeit der Beschlussfassung im Falle der Ergänzung der Tagesordnung verbleiben. Darin sieht das BAG einen ausreichenden Schutz des einzelnen Betriebsratsmitglieds davor, über betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten befinden zu müssen, mit denen er sich aus seiner Sicht noch nicht angemessen befasst und eine abschließende Meinung gebildet hat. 8 1 ABR 2/13 (A), NZA 2013, 1433 Rz. 12. 9 7 AS 6/13, DB 2014, 726 Rz. 8. 10 1 ABR 2/13 (B) n. v.
197
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Diese Rechtsprechungsänderung führt zu einer gewissen Erleichterung einer wirksamen Beschlussfassung des Betriebsrats über Tagesordnungspunkte, die erst im Verlaufe der Betriebsratssitzung akut werden und beschlossen werden sollen. Notwendige Voraussetzung für einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats bleibt weiterhin, dass alle Betriebsratsmitglieder einschließlich der erforderlichen Ersatzmitglieder rechtzeitig geladen worden sind, der Betriebsrat in der Sitzung beschlussfähig ist und die erschienenen Mitglieder des Betriebsrats die Ergänzung der Tagesordnung einstimmig beschlossen haben. Ungeachtet dessen gilt weiterhin aus der Sicht des Arbeitgebers, dass er bei Betriebsvereinbarungen mit dem Betriebsrat kontrollieren muss, ob hinter der Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden auch ein wirksamer Betriebsratsbeschluss steht, was vor allem dann von Bedeutung ist, wenn es etwa um Sozialplanregelungen oder eine betriebliche Altersversorgung geht und erhebliche wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer auf dem Spiel stehen. (Boe)
3.
Rechtliche Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds
Nach § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist vorgesehen, dass ein Ersatzmitglied als Stellvertreter für ein zeitweilig verhindertes Mitglied des Betriebsrats nachrückt. Diese zeitweilige Verhinderung des originär gewählten (ordentlichen) Betriebsratsmitglieds kann tatsächlicher Natur sein, wenn es erkrankt ist oder sich im Urlaub11 befindet, sie kann aber auch dann eintreten, wenn eine nur rechtliche Verhinderung12 vorliegt. Die rechtliche Verhinderung dient der Auflösung einer Interessenkollision, die jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn es um eine Beschlussfassung im Betriebsrat geht, die das Betriebsratsmitglied individuell und unmittelbar in seiner Stellung als Arbeitnehmer betrifft. Liegt eine derartige Interessenkollision vor, ist das Betriebsratsmitglied zeitweilig verhindert i. S. d. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG und darf sich an der Beratung und der Beschlussfassung der ihn betreffenden Angelegenheit nicht beteiligen. In derartigen Verhinderungsfällen rückt ein Ersatzmitglied gemäß § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit Beginn des Verhinderungsfalls automatisch für die Dauer der Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds in den Betriebsrat nach, so dass dem Ersatzmitglied der Verhinderungsfall nicht einmal bekannt sein muss13. Bislang ist das BAG14 davon ausgegangen, dass der 11 Etwa BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, NZA 2013, 425 Rz. 19. 12 BAG v. 10.11.2009 - 1 ABR 64/08, NZA-RR 2010, 416 Rz. 22; BAG v. 24.4.2013 - 7 ABR 82/11, NZA 2013, 857 Rz. 15. 13 BAG v. 8.9.2011 - 2 AZR 388/10, NZA 2012, 400 Rz. 34.
198
Rechtliche Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds
Betriebsrat an einer wirksamen Beschlussfassung gehindert ist, wenn für ein zeitweilig verhindertes Betriebsratsmitglied ein vorhandenes Ersatzmitglied nicht geladen worden ist. Die Frage der rechtlichen Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds an der Beschlussfassung des Betriebsrats stand im Mittelpunkt der rechtlichen Bewertung einer Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 6.11.201315. Arbeitgeber und Betriebsrat stritten darüber, ob die Veränderung der Tätigkeit eines Betriebsratsmitglieds den Tatbestand einer Versetzung i. S. v. § 95 Abs. 3 BetrVG erfüllte und deshalb der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedurft hätte. Der Betriebsrat fasste daher den Beschluss, unter Beauftragung eines Rechtsanwalts beim Arbeitsgericht die Aufhebung der Versetzung dieses Betriebsratsmitglieds nach § 101 BetrVG zu betreiben. An dieser Beschlussfassung hatte sich das von der Versetzung betroffene Betriebsratsmitglied beteiligt. Der Arbeitgeber bestritt angesichts dessen im Beschlussverfahren, dass der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluss über die Einleitung des Verfahrens sowie der eingelegten Rechtsmittel und die Bevollmächtigung der Anwaltskanzlei getroffen hatte. Der 7. Senat des BAG hält zunächst an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach ein Betriebsratsmitglied auch aus rechtlichen Gründen zeitweilig an der Wahrnehmung seines Amts verhindert sein kann und eine solche rechtliche Verhinderung vorliegt, wenn es sich um Maßnahmen und Regelungen handelt, die das Betriebsratsmitglied individuell und unmittelbar betreffen. Diese unmittelbare und individuelle Betroffenheit ist bei der Mitbestimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme nach § 99 BetrVG regelmäßig dann zu bejahen, wenn das Betriebsratsmitglied gerade die Person ist, auf die sich ein Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers unmittelbar richtet. Diese Voraussetzung verneint das BAG jedoch im Streitfall, weil nicht die Versetzung des Betriebsratsmitglieds auf ein Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers zwischen den Betriebsparteien im Streit stand, sondern die grundsätzliche Frage, ob die vom Arbeitgeber vorgenommene Veränderung der Tätigkeit des betroffenen Betriebsratsmitglieds, was auch bei jedem anderen Arbeitnehmer des Betriebs hätte relevant sein können, den Tatbestand einer Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG erfüllte, und die vom Arbeitgeber unterlassene Einholung der Zustimmung des Betriebsrats ein Verfahren nach § 101 BetrVG erforderte. Insofern fehlte es an 14 Noch BAG v. 24.4.2013 - 7 ABR 82/11, NZA 2013, 857 Rz. 14.; vgl. aber BAG v. 6.11.2013 - 7 ABR 84/11, NZA-RR 2014, 196 Rz. 27. 15 7 ABR 84/11, NZA-RR 2014, 196.
199
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
einer individuellen Betroffenheit, weil das Betriebsratsmitglied nur als Angehöriger der Belegschaft betroffen ist, wenn auch mit der Maßnahme eine mittelbare Auswirkung auf die individuelle Rechtsstellung des von der möglichen Versetzung betroffenen Betriebsratsmitglieds verbunden war. Würde man auch bei derartigen mittelbaren Auswirkungen annehmen, Betriebsratsmitglieder könnten ihr Amt wegen ihrer persönlichen Interessen nicht mehr mit der erforderlichen Unabhängigkeit wahrnehmen, ließen sich zahlreiche Fragen der sozialen Angelegenheiten (etwa Arbeitszeit, Urlaubsfragen, Altersversorgung) nicht mehr mit dem Betriebsrat regeln. Auch in personellen Angelegenheiten kann z. B. ein Betriebsratsmitglied Konkurrent eines anderen Arbeitnehmers hinsichtlich einer Beförderungsstelle sein, was jedoch kein Hinderungsgrund darstellt, an der Beschlussfassung nach § 99 BetrVG über eine Zustimmung oder Verweigerung der Zustimmung mitzuwirken16. Da bereits keine Interessenkollision vorlag, die eine Beteiligung des von der Versetzung betroffenen Betriebsratsmitglieds an den Beschlussfassungen des Betriebsrats ausschloss, ließ das BAG unentschieden, ob uneingeschränkt an der bisher vom 7. Senat des BAG17 vertretenen Beurteilung festzuhalten ist, wonach die Mitwirkung eines rechtlich verhinderten Betriebsratsmitglieds stets zur Unwirksamkeit des unter seiner Beteiligung gefassten Betriebsratsbeschlusses führt18. (Boe)
4.
Fehlerhafte Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG
Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Nicht nur das gänzliche Fehlen einer Anhörung, sondern auch eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats führt zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG19. Vor allem die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats war häufig Gegenstand der Rechtsprechung des BAG20. Die
16 17 18 19 20
BAG v. 24.4.2013 - 7 ABR 82/11, NZA 2013, 857 Rz. 16. BAG v. 24.4.2013 - 7 ABR 82/11, NZA 2013, 857 Rz. 14. Vgl. BAG v. 22.1.2014 - 7 AS 6/13, DB 2014, 726 Rz. 6. BAG v. 23.2.2012 - 2 AZR 773/10, NZA 2012, 992 Rz. 30. Nur BAG v. 9.6.2011 - 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342 Rz. 45; BAG v. 23.2.2012 - 2 AZR 773/10, NZA 2012, 992 Rz. 30.
200
Fehlerhafte Beschlussfassung des Betriebsrats im Rahmen der Anhörung
keiner Form21 bedürftige Anhörung ist dann nicht fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Betriebsrat ausreichend nachkommt, indem er ihm die Gründe mitteilt, aus denen er nach seiner subjektiven Sicht (subjektive Determination) seinen Kündigungsentschluss herleiten will. Dazu gehört regelmäßig zur Beschreibung des Kündigungsgrundes die Angabe von Tatsachen. Diese sollen es dem Betriebsrat ermöglichen, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen anstellen zu müssen, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen22. Dabei führt eine vermeidbare oder unbewusste Fehlinformation noch nicht zur Fehlerhaftigkeit der Betriebsratsanhörung. Erst die bewusste Irreführung des Betriebsrats löst die Unwirksamkeitsfolge des § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG aus23. Die Anhörung des Betriebsrats dient dabei nicht der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Kündigung24. Der Betriebsrat soll vielmehr nur die Möglichkeit haben, im Vorfeld der Kündigung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Die Betriebsratsanhörung ist auch nicht deshalb unwirksam und führt damit zugleich zur Unwirksamkeit der Kündigung des Arbeitgebers, wenn die Beschlussfassung des Betriebsrats, die der Arbeitgeber nicht beeinflussen kann, an Mängeln leidet (Sphärentheorie). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des BAG25 selbst dann, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Dies kann ausnahmsweise anders zu beurteilen sein, wenn nur eine – etwa spontane - persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat26. Diese gefestigten Grundsätze zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats hat der 2. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 26.9.201327 erneut bestätigt und ausgeführt, dass bei der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG interne Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats auf die Korrektheit der Anhörung und die Wirksamkeit der Kündigung 21 Sie kann mündlich oder fernmündlich erfolgen: BAG v. 23.6.2009 - 2 AZR 474/07, NZA 2009, 1136 Rz. 37. 22 Vgl. zu den Besonderheiten der Betriebsratsanhörung in der Wartezeit: BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 26. 23 BAG v. 23.2.2012 – 2 AZR 773/10, NZA 2012, 992 Rz. 30; BAG v. 12.9.2013 – 6 AZR 121/12, NZA 2013, 1412 Rz. 21. 24 BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, ZInsO 2013, 1366 Rz. 75. 25 BAG v. 6.10.2005 - 2 AZR 316/04, NZA 2006, 990 Rz. 21; BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 732/11, NZA 2013, 665 Rz. 43. 26 BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 732/11, NZA 2013, 665 Rz. 44. 27 2 AZR 741/12, BB 2014, 755 Rz. 40.
201
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
keine Auswirkungen haben, weil der Arbeitgeber keine rechtliche Möglichkeit hat, die Beschlussfassung des Betriebsrats als internes Verfahren zu beeinflussen. Insofern differenziert das BAG zwischen zwei aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitten mit getrennten Zuständigkeiten und getrennter Verantwortung. In dem konkreten Fall ging es um die außerordentliche Kündigung eines Kirchenmusikers wegen sexueller Übergriffe an einer minderjährigen Schülerin und die Frage, ob die Beklagte die nach dem Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelisch – Lutherischen Kirche in Bayern vorhandene Mitarbeitervertretung ausreichend über die beabsichtigte Kündigung informiert hatte. Das BAG hat die für die Anhörung des Betriebsrats entwickelten Grundsätze gleichermaßen auf die Beteiligung der Mitarbeitervertretung übertragen. (Boe)
5.
Praktische Fragen bei der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Betriebsratswahlen
Fragen der Zeitarbeit haben in letzter Zeit nicht nur unter individualrechtlichen Gesichtspunkten Konjunktur, wenn es etwa um die Problematik geht, dass das AÜG in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung verbietet, ohne näher zu konkretisieren, wo die zeitliche Grenze zu ziehen ist28, und welche Rechtsfolgen den Entleiher treffen, wenn die vorübergehende Überlassung missachtet wird29, sondern sind auch im Rahmen der in diesem Jahr turnusmäßig stattfindenden Betriebsratswahlen von Bedeutung. Unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hat der Gesetzgeber die Rechtsstellung der Leiharbeitnehmer verschiedentlich geregelt. So bleiben Leiharbeitnehmer nach § 14 Abs. 1 AÜG auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers. Auch sind sie nach § 14 Abs. 2 S. 1 AÜG bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat im Entleiherunternehmen und bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretungen im Entleiherbetrieb nicht wählbar30. Demgegenüber haben sie nach § 7 S. 2 BetrVG im Entleiherbetrieb ein aktives Wahlrecht, wenn sie dort länger als drei Monate eingesetzt werden. Keine gesetzlichen Konkretisierungen be28 Vgl. dazu BAG v. 10.7.2013 - 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296; Thüsing, NZA 2014, 10 ff.; vgl. auch das Vorabentscheidungsersuchen eines finnischen Gerichts beim EuGH v. 9.10.2013 - C-533/13 zur Frage ob die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG der dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung entgegensteht. 29 BAG v. 10.12.2013 - 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, Rz. 38. 30 BAG v. 17.2.2010 - 7 ABR 51/08, NZA 2010, 832, Rz. 14.
202
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Betriebsratswahlen
stehen jedoch bei der Bewertung von sog. Schwellenwerten im Bereich des BetrVG, bei denen es auf die Anzahl der Arbeitnehmer ankommt (vgl. etwa § 1 Abs. 1 S. 1, § 9 S. 1 und S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1, § 28 a Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 1 S. 1 und S. 2, § 60 Abs. 1, § 62 Abs. 1, § 92 a Abs. 2 S. 2 Halbs. 2, § 95 Abs. 2 S. 1, § 99 Abs. 1 S. 1, § 106 Abs. 1 S. 1, § 110 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 111 S. 1 und S. 2, § 112 a Abs. 1 BetrVG). Gleiches gilt für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei bestimmten Antragsrechten (vgl. etwa § 3 Abs. 3 S. 2, § 14 Abs. 4 S. 1, § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG) und bei betriebsverfassungsrechtlichen Quoren (vgl. etwa § 3 Abs. 3 S. 1, § 13 Abs. 2 Nr. 1, § 14 Abs. 4 S. 1, § 17 Abs. 2 S. 1 BetrVG)31. Im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl ist von besonderer Bedeutung, ob und unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Betriebsratsgröße (§ 9 BetrVG) zu berücksichtigen sind. Nach § 9 S. 1 BetrVG richtet sich die Größe des Betriebsrats nach der Anzahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Bei 5 bis 51 Arbeitnehmern kommt es darüber hinaus auch auf die Wahlberechtigung an. Ab 52 Arbeitnehmern entfällt die Voraussetzung der Wahlberechtigung. Da § 9 BetrVG von in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern ausgeht, ist der im BetrVG selbst bestimmte Begriff des Arbeitnehmers maßgebend, der in § 5 Abs. 1 BetrVG näher gekennzeichnet wird. Danach sind Arbeitnehmer (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinne dieses Gesetzes Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden. Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten. Als Arbeitnehmer gelten ferner Beamte (Beamtinnen und Beamte), Soldaten (Soldatinnen und Soldaten) sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind. Damit geht der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG vom allgemeinen Arbeitnehmerbegriff aus, den er in § 5 Abs. 1 S. 2 und S. 3, Abs. 2 und Abs. 3 erweitert sowie einschränkt. Arbeitnehmer in diesem Sinne ist derjenige, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist32. Für den Arbeitnehmerbegriff im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne wurde vom BAG33 durch die sog. "Zwei-Komponenten-Lehre" der allgemeine Ar31 Näher dazu BAG v. 5.12.2012 - 7 ABR 48/11, NZA 2013, 793 Rz. 22. 32 BAG v. 5.12.2012 - 7 ABR 48/11, NZA 2013, 793 Rz. 17. 33 BAG v. 5.12.2012 - 7 ABR 48/11, NZA 2013, 796, Rz. 19 f.
203
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
beitnehmerbegriff dahingehend ergänzt, dass einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber bestehen musste, andererseits die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in dessen Betriebsorganisation erforderlich war. Diese Sichtweise war ursprünglich auch für die Anwendung von § 9 BetrVG maßgebend. So urteilte das BAG in dem Beschluss vom 16.4.200334: Leiharbeitnehmer sind keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs i. S. v. § 9 BetrVG. Sie sind deshalb bei der für die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke nicht zu berücksichtigen. Unter ausdrücklicher Aufgabe dieser Rechtsprechung hat der 7. Senat des BAG in dem Beschluss vom 13.3.201335 in Anknüpfung an die im Beschluss vom 5.12.201236 ebenfalls aufgegebene "Zwei-Komponenten-Lehre" entschieden, dass in der Regel im Entleiherbetrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten des § 9 S. 1 BetrVG mitzuzählen sind. Diese Neuorientierung beim drittbezogenen Personaleinsatz mit aufgespaltener Arbeitgeberstellung, die das BAG für notwendig erachtet, wird mitentscheidend damit begründet, dass für eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern der mit der Staffelung in § 9 S. 1 BetrVG verfolgte Zweck spreche, sicherzustellen, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer steht, zumal der Umfang der Betriebsratsarbeit durch die im Betrieb regelmäßig tätigen Leiharbeitnehmer in nicht unerheblichem Umfang erhöht wird. Von einer Regelmäßigkeit der Beschäftigung eingesetzter Leiharbeitnehmer ist auszugehen, soweit ihr Einsatz der den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnenden Beschäftigungslage entspricht37. Sie sind daher mitzuzählen, soweit bestimmte Arbeitsplätze stets etwa auch nach deren Ausscheiden oder üblicherweise mit (wechselnden) Leiharbeitnehmern besetzt worden sind38. § 9 S. 1 BetrVG ist eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens deren Verletzung eine Anfechtung der Betriebsratswahl auslösen kann39. Diese Rechtsprechung des 7. Senats des BAG setzt eine Entwicklung fort, die bereits durch den 1. Senat des BAG40 für die Anwendung von § 111 S. 1 34 7 ABR 53/02, NZA 2003, 1345, Rz. 16 ff. So bereits früher BAG v. 18.1.1989 -7 ABR 21/88, NZA 1989, 724: Betriebsangehörige Arbeitnehmer sind nur solche Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen. 35 7 ABR 69/11, NZA 2013, 789 Rz. 7, 21. 36 7 ABR 48/11, NZA 2013, 793 Rz. 19 ff. 37 BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726 Rz. 24. 38 BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, NZA 2013, 726 Rz. 20. 39 BAG v. 13.3.2013 - 7 ABR 69/11, NZA 2013, 789 Rz. 18. 40 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 15.
204
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei den Betriebsratswahlen
BetrVG bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, die länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt sind, eingeleitet worden ist. Man wird daher prognostizieren dürfen, dass die Berücksichtigung von regelmäßig beschäftigten Leiharbeitnehmern für die Frage der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern41 nach § 38 BetrVG ebenso wie zu § 9 BetrVG zu entscheiden ist. Für die Betriebsratswahl von Bedeutung ist auch die Wählbarkeit eines Arbeitnehmers im Hinblick auf die Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer im Betrieb42. Zur Arbeitsleistung überlassene Arbeitnehmer sind dagegen nach § 14 Abs. 2 S. 1 AÜG im Entleiherbetrieb nicht wählbar. Abgesehen von der Ausnahme, dass der Betrieb weniger als sechs Monate besteht (§ 8 Abs. 2 BetrVG), sind nach § 8 Abs. 1 BetrVG alle Wahlberechtigten, die sechs Monate dem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben, zum Betriebsrat wählbar. Auf diese sechsmonatige Betriebszugehörigkeit werden Zeiten angerechnet, in denen der Arbeitnehmer unmittelbar vorher einem anderen Betrieb desselben Unternehmens oder Konzerns (§ 18 Abs. 1 des AktG) angehört hat. Der 7. Senat des BAG hat mit Beschluss vom 10.10.201243 erstmalig darüber entschieden, ob Beschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer im entleihenden Betrieb auf die in § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorausgesetzte sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit zumindest dann anzurechnen sind, wenn der Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an die Überlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher begründet hat. Dieses Ergebnis hat das BAG aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 BetrVG sowie aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes hergeleitet. § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG spricht nur davon, dass alle Wahlberechtigten, die sechs Monate dem Betrieb angehören, zum Betriebsrat wählbar sind, nicht aber von „wahlberechtigten Arbeitnehmern“. Wahlberechtigt sind nach § 7 S. 2 BetrVG auch Leiharbeitnehmer, sofern sie länger als drei Monate im entleihenden Betrieb eingesetzt werden44. Durch die von § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG für die Wählbarkeit zum Betriebsrat vorgesehene Dauer der Betriebszugehörigkeit soll gewährleistet werden, dass ein potentielles Betriebsratsmitglied den zur sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamtes erforderlichen Überblick über die Verhältnisse des Betriebs
41 42 43 44
Vgl. hierzu Schomaker, AiB 2013, 686 f. BAG v. 10.10.2012 - 7 ABR 53/11, AP Nr. 15 zu § 8 BetrVG 1972 Rz. 19 ff. 7 ABR 53/11, AP Nr. 15 zu § 8 BetrVG 1972. BAG v. 17.2.2010 - 7 ABR 51/08, NZA 2010, 832 Rz. 25.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
besitzt45. Ob sich der Arbeitnehmer diesen Überblick in einem Arbeitsverhältnis oder durch seine tatsächliche Beschäftigung in einem Betrieb als Leiharbeitnehmer verschafft hat, kann dabei nicht unterschiedlich bewertet werden. Was den Zeitpunkt anbelangt, zu dem die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit bestehen muss, ist auf den Wahltag, bei mehreren Wahltagen auf den letzten Wahltag abzustellen46. Die Verkennung der passiven Wahlberechtigung kann zur Anfechtung der Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG und damit zur Unwirksamkeit der Wahl führen, wenn die nicht passiv Wahlberechtigten als Betriebsratsmitglieder gewählt wurden oder der Arbeitnehmer, dessen passive Wahlberechtigung im Streit steht, Wahlbewerber war47. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG hat indes keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt48. Für den Arbeitgeber gibt es nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit, bereits vor Abschluss der Betriebsratswahl auf ein vom Wahlvorstand fehlerhaft durchgeführtes Wahlverfahren durch eine einstweilige Verfügung Einfluss nehmen zu können49. Auf Antrag des Arbeitgebers ist eine Betriebsratswahl während der Durchführung des Wahlverfahrens nur dann aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens abzubrechen, wenn die Betriebsratswahl voraussichtlich nichtig ist. Die bloße Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl genügt hierfür nach Ansicht des BAG50 nicht. (Boe)
6.
Einbeziehung der Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung
Im vergangenen Jahr hatten wir eingehend über die Diskussion berichtet, die Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung zu berücksichtigen. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob in 45 BT-Drucks. VI/1786 S. 37. 46 BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 377/10, NZA 2012, 107, Rz. 14 zum Sonderkündigungsschutz eines Wahlbewerbers aus § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG; BAG v. 10.10.2012 - 7 ABR 53/11, AP Nr. 15 zu § 8 BetrVG 1972 Rz. 19. 47 BAG v. 12.9.2012 – 7 ABR 37/11, NZA-RR 2013 197 Rz. 33. 48 BAG v. 27.7.2011 – 7 ABR 61/10, NZA 2012, 345 Rz. 32. 49 Vgl. Dzida, ArbRB 2013, 338, 340. 50 BAG v. 27.7.2011 – 7 ABR 61/10, NZA 2012, 345 Rz. 24.
206
Ausschreibungspflicht bei der beabsichtigten Einstellung von Leiharbeitnehmern
dem betreffenden Unternehmen in der Regel mehr als 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Hintergrund dieser Diskussion ist der Umstand, dass die Rechtsprechung des BAG in Bezug auf die Schwellenwerte des BetrVG inzwischen nahezu einheitlich von einer Einbindung der Leiharbeitnehmer ausgeht. Dies betrifft insbesondere §§ 9, 38, 99, 106, 111 BetrVG. Zu erwarten ist, dass die Bundesregierung – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – unter Nachzeichnung dieser Rechtsprechung entsprechende Änderungen im BetrVG vornehmen wird. Nach der diesseits vertretenen Auffassung ist diese Rechtsprechung allerdings nicht auf die Unternehmensmitbestimmung zu übertragen. Dies folgt bereits aus der unterschiedlichen Zwecksetzung der Arbeit eines Betriebsrats einerseits und eines Aufsichtsrats andererseits. Während die Arbeit des Betriebsrats unmittelbar durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern beeinflusst und auch erweitert wird, ist dies in Bezug auf den Aufsichtsrat nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund überzeugt es, dass sich das OLG Hamburg durch Beschluss vom 31.1.201451 der Auffassung angeschlossen hat, dass Leiharbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwerts für die paritätische Besetzung eines Aufsichtsrats nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG nicht zu berücksichtigen sind. Derzeit ist diese Entscheidung allerdings nicht rechtskräftig. (Ga)
7.
Ausschreibungspflicht bei der beabsichtigten Einstellung von Leiharbeitnehmern
Nach § 93 BetrVG kann der Betriebsrat verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. In Übereinstimmung mit den Feststellungen im Beschluss vom 1.2.201152 hat das BAG im Beschluss vom 15.10.201353 deutlich gemacht, dass die Ausschreibungspflicht auf Verlangen des Betriebsrats auch für Arbeitsplätze besteht, die mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen. Zur Begründung verweist der 1. Senat des BAG auf den Wortlaut von § 93 BetrVG, den systematischen Zusammenhang von §§ 93 BetrVG und 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG sowie den Normzweck der Ausschreibungspflicht.
51 11 W 89/13, ZIP 2014, 680 ff. 52 1 ABR 79/09, NZA 2011, 1757 Rz. 17 ff. 53 1 ABR 25/12, NZA 2014, 214 Rz. 19 ff.
207
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG knüpfe – so das BAG – wie der in § 93 BetrVG verwandte Begriff an die Besetzung eines „Arbeitsplatzes“ an. Nach § 99 Abs. 1 S. 1 und 2 BetrVG habe der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Einstellung einzuholen und dabei u. a. über den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz zu unterrichten. Der Betriebsrat könne die Zustimmung zu der Einstellung verweigern, wenn die nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung des Arbeitsplatzes im Betrieb unterblieben sei. Eine Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG liege vor, wenn Personen in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert würden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Da das Rechtsverhältnis, in dem diese Personen zum Betriebsinhaber stünden, dabei ohne Bedeutung sei, gehörte auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb zu den nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG zustimmungspflichtigen Einstellungen (vgl. § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG). Ungeachtet dessen solle – so das BAG – dem Betriebsrat durch § 93 BetrVG die Möglichkeit eröffnet werden, den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren. Als Folge der Ausschreibung sollten die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer die Gelegenheit erhalten, sich auf die zu besetzenden Arbeitsplätze zu bewerben. Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsplatz (eigentlich) mit einem Leiharbeitnehmer besetzen wolle. Denn dadurch werde der Arbeitsplatz dem innerbetrieblichen Stellenmarkt nicht entzogen. Dies gelte umso mehr, wenn man berücksichtige, dass die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Besetzung freier Arbeitsplätze gegenüber bestimmten besonders geschützten Arbeitnehmergruppen eingeschränkt sei. Hierbei verweist der 1. Senat des BAG im Beschluss vom 15.10.201354 auf die gegenüber behinderten Arbeitnehmern bestehenden Pflichten. So begründeten §§ 81 Abs. 4 S. 1 Nr. SGB IX, 241 Abs. 2 BGB einen Anspruch behinderter Arbeitnehmer auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Dies könne zur Folge haben, dass andere Beschäftigungsmöglichkeiten auf anderen Arbeitsplätzen durch den Arbeitgeber angeboten werden müssen, falls nur so die weitere (behindertengerechte) Beschäftigung erfolgen kann. Hiervon ausgehend hat das BAG dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben und festgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, Arbeitsplätze auszuschreiben, die mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen. Allerdings hat 54 1 ABR 25/12, NZA 2014, 214 Rz. 24.
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Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung
es diese Pflicht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auf Arbeitsplätze begrenzt, deren Einsatzzeit mindestens vier Wochen betragen sollten. Ein Ausschreibungsverlangen des Betriebsrats bestehe nur dann nicht, wenn mit Bewerbungen von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern auf die infrage kommenden Arbeitsplätze offenkundig nicht zu rechnen sei. Über diese Feststellungen zu § 93 BetrVG hinausgehend hat das BAG in der hier in Rede stehenden Entscheidung indes auch deutlich gemacht, dass Auswahlrichtlinien, die den Prozess der Besetzung freier Arbeitsplätze regeln sollen, auch zur Anwendung kommen können, wenn solche Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn in solchen Auswahlrichtlinien ein Vorrang interner Bewerber vor externen Einstellungen vorgesehen ist. Denn in diesem Fall muss der Arbeitgeber auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern verzichten, falls interne Bewerbungen vorliegen, denen unter den in der Auswahlrichtlinie genannten Voraussetzungen Vorrang eingeräumt werden muss. Auf diese Einschränkung in Bezug auf den Einsatz von Fremdpersonal muss geachtet werden, wenn entsprechende Auswahlrichtlinien insbesondere im Zusammenhang mit Betriebsänderungen vereinbart werden. (Ga)
8.
Zustimmung des Betriebsrats zu einem Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung
Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig (§ 77 Abs. 4 S. 1, 2 BetrVG). In seinem Urteil vom 15.10.201355 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass der für einen solchen Verzicht des Arbeitnehmers erforderliche Zustimmungsbeschluss des Betriebsrats an bestimmte Ausgangsinformationen geknüpft ist, deren Fehlen zur Unwirksamkeit führen können. In dem zugrunde liegenden Fall beabsichtigte die Klägerin, im Rahmen der Restrukturierungsmaßnahmen im Opel-Werk in Bochum durch Aufhebungsvertrag auszuscheiden. Nachdem der Arbeitgeber im Jahre 2004 nicht bereit war, einem solchen Aufhebungsvertrag zuzustimmen, einigten sich die Parteien am 7.12.2005 dann doch auf den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung, nach der das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung
55 1 AZR 405/12, DB 2014, 310 f. Rz. 21 ff.
209
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
endete und im Anschluss daran mit einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft fortgeführt werden sollte. Als Abfindung hatten die Parteien einen Betrag in Höhe von 250.000,- € (brutto) vereinbart. Nach der Betriebsvereinbarung Restrukturierung Werk Bochum (BV 2005) hätte die Klägerin allerdings für den Fall, dass der Aufhebungsvertrag als Folge der Restrukturierungsmaßnahme abgeschlossen worden wäre, eine Abfindung in Höhe von 395.536,24 € erhalten. Vor dem Hintergrund dieser Differenz zwischen der vereinbarten Abfindung und der Abfindung nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 7.12.2005 an den Betriebsrat. In diesem Schreiben hieß es u. a.: Die Mitarbeiterin B, … möchte zum 30.11.2007 mit einer gegenüber der Berechnung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 2004/0123/A „Restrukturierung“ reduzierten Abfindungssumme in Höhe von 250.000,00 € aus dem Unternehmen ausscheiden. Wir bitten um kurzfristige Zustimmung des Betriebsrats. Mitarbeitererklärung Ich, B, scheide auf freiwilliger Basis zu den individuell vereinbarten Konditionen aus dem Unternehmen aus.
Das Schreiben enthielt über der gedruckten Angabe „B“ eine Unterschrift, deren Urheberschaft zwischen den Parteien streitig ist. Anschließend folgt unter der Überschrift „Einverständniserklärung für den Betriebsrat“ die handschriftliche Datumsangabe „13.12.2005“ und die Unterschrift „K. H.“. Der Arbeitnehmer K. H. war zu diesem Zeitpunkt Mitglied des Betriebsrats Bochum. Nachdem die Klägerin gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 250.000,- € aus dem Betrieb ausgeschieden war, machte sie geltend, dass sie als Folge des Fehlens einer wirksamen Zustimmung des Betriebsrats zu dem Verzicht auf Ansprüche aus der BV 2005 eine weitere Zahlung in Höhe von 145.536,24 € (brutto) nebst Zinsen erhalten müsse. Das BAG hat einen solchen Zahlungsanspruch auf der Grundlage der tatrichterlich festgestellten Tatsachen abgelehnt, die Sache allerdings zur weiteren Feststellung zurückverwiesen. Aus seiner Sicht muss nicht nur überprüft werden, ob die Klägerin überhaupt in den Anwendungsbereich der BV 2005 gefallen war, ob sie also von den betriebsändernden Maßnahmen betroffen war. Vielmehr muss aus Sicht des BAG auch geprüft werden, ob der Aufhebungsvertrag nicht unter dem 210
Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung
Vorbehalt abgeschlossen worden war, dass der Betriebsrat (wirksam) dem Verzicht der Klägerin auf die in Rede stehende Abfindung nach Maßgabe der BV 2005 zugestimmt hatte. Denn wenn dies der Fall war, hätte die Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses nicht zur Folge, dass eine höhere Abfindung gezahlt werden müsste. Vielmehr wäre die Bedingung für das Wirksamwerden des Aufhebungsvertrags nicht eingetreten, was zur Folge hätte, dass das Arbeitsverhältnis über den vereinbarten Beendigungszeitpunkt hinaus fortbestanden hätte. In allen Fällen war damit die Frage maßgeblich, ob der Betriebsrat einem etwaigen Verzicht der Klägerin auf die Abfindung nach Maßgabe der BV 2005 wirksam zugestimmt hatte. Eine solche Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses hat das BAG abgelehnt. Nach seinen Feststellungen gelten für die nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG erforderliche Zustimmung die §§ 182 ff. BGB. Demzufolge kann die Erklärung des Betriebsrats als Einwilligung (§ 183 BGB) oder als Genehmigung (§ 184 BGB) erteilt werden. Formvorschriften bestünden insoweit nicht. Der Betriebsrat müsse aber unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er mit dem Verzicht einverstanden sei. Hierfür müsse ein ordnungsgemäßer Beschluss gemäß § 33 BetrVG getroffen werden. Voraussetzung für einen solchen Betriebsratsbeschluss ist nach den Vorgaben des BAG aber nicht nur, dass die Zustimmung individualisiert – also grundsätzlich nur für den einzelnen konkreten Verzicht des Arbeitnehmers – erteilt wird56. Vielmehr setze eine wirksame Beschlussfassung über die Zustimmung zu einem Verzicht des Arbeitnehmers auf einen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung auch die ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats über die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände voraus. Ein solches Verständnis gebiete der Normzweck. Nur wenn der Betriebsrat über den erforderlichen Kenntnisstand verfüge, könne er sachgerecht beurteilen, ob er in dem zu beurteilenden Einzelfall eine Abweichung von der zwingenden Wirkung des sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenen Individualanspruchs zulassen solle. Zu diesen Umständen, die dem Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung bekannt sein müssten, gehörten insbesondere der Umfang des individuellen Verzichts auf den Anspruch aus der Betriebsvereinbarung57.
56 BAG v. 15.10.2013 – 1 AZR 405/12, DB 2014, 310 f. Rz. 27; BAG v. 27.1.2004 – 1 AZR 148/03, NZA 2004, 667 Rz. 27. 57 BAG v. 15.10.2013 – 1 AZR 405/12, DB 2014, 310, Rz. 27; BAG v. 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, NZA 2004, 440 Rz. 37.
211
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Auf der Grundlage der durch das LAG festgestellten Tatsachen konnte von einer solchen Unterrichtung des Betriebsrats über einen etwaigen Verzicht der Klägerin auf Ansprüche aus der BV 2005 nicht gesprochen werden. Die Beklagte hatte dem Betriebsrat zwar mitgeteilt, in welcher Höhe tatsächlich eine Abfindung gezahlt werden sollte. Sie hatte auch mitgeteilt, dass darin ein Verzicht auf Ansprüche aus der BV 2005 zu sehen war. Der Betriebsrat war aber – so das BAG – die rechnerische Höhe der sich aus der BV 2005 ergebenden Sozialplanabfindung weder bekannt noch verfügte er über die notwendigen Angaben, um diese zu berechnen. Damit war ihm auch der Differenzbetrag in Höhe von 145.536,24 € (brutto) bei seiner Beschlussfassung unbekannt, so dass darin auch keine Zustimmung gemäß § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG zu sehen war. Die Bewertung durch den 1. Senat des BAG erscheint vertretbar, wenn auch nicht zwingend. Wenn der Betriebsrat die genaue Kenntnis über die Höhe des Differenzbetrags für erforderlich gehalten hätte, um seine Entscheidung gemäß §77 Abs. 4 S. 2 BetrVG zu treffen, wäre ohne weiteres ein entsprechendes Auskunftsverlangen nach § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG begründet. Es erscheint übertrieben, die Wirksamkeit eines Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats daran zu knüpfen, dass der Arbeitgeber selbst solche Informationen proaktiv übermittelt. Es obliegt dem Betriebsrat, im Rahmen seiner Entscheidungsvorbereitung zu klären, ob und ggf. in welchem Umfang ergänzende Informationen geboten sind. Ungeachtet dessen muss sich die betriebliche Praxis auf die entsprechenden Vorgaben des BAG einstellen. Die vielfach erkennbare Übung, dem Betriebsrat mit dem Ziel einer Zustimmung nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG lediglich eine Kopie von Aufhebungsverträgen, gerichtlichen Vergleichen oder sonstigen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zuzuleiten, ist jedenfalls auf der Grundlage der jetzt vorliegenden Entscheidung des BAG unzureichend. Denn aus solchen Vereinbarungen heraus wird nur erkennbar, dass die Parteien sich in einer bestimmten Weise geeinigt haben. Denkbar ist auch, dass darüber hinaus deutlich wird, dass darin ein Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung liegt. Es fehlen damit aber zugleich Angaben darüber, in welcher Höhe der Arbeitnehmer auf solche kollektivrechtlichen Ansprüche verzichtet. Dieser materiell-rechtliche Umfang des Verzichts muss in ergänzenden Erläuterungen zu solchen Vereinbarungen dem Betriebsrat verfügbar gemacht werden, so dass auf dieser Grundlage dann eine Beschlussfassung nach § 33 BetrVG erfolgen kann. (Ga)
212
Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Abmahnungen
9.
Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Abmahnungen
Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend durch den Arbeitgeber zu unterrichten. Ihm sind auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Aus dieser gesetzlichen Vorgabe resultiert allerdings kein unbeschränkter Anspruch des Betriebsrats auf Auskunft und Überlassung von Unterlagen in allen Angelegenheiten, die sein Interesse wecken. Vielmehr setzt ein entsprechender Informationsanspruch des Betriebsrats voraus, dass die begehrte Information auch zur Wahrnehmung der im BetrVG geregelten Aufgaben erforderlich ist. Wie das BAG mit Urteil vom 17.9.201358 noch einmal zu Recht deutlich gemacht hat, setzt dies nicht nur voraus, dass überhaupt eine (gesetzliche) Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist. Vielmehr ist auch erforderlich, dass die begehrte Information im Einzelfall auch zur Wahrnehmung dieser Aufgabe erforderlich ist59. Darlegungspflichtig in Bezug auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Betriebsrat. Erst anhand seiner Angaben kann der Arbeitgeber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Voraussetzungen der Vorlagepflicht vorliegen60. Mit überzeugender Begründung hat das BAG deshalb auch eine Verpflichtung des Arbeitgebers abgelehnt, dem Betriebsrat über Abmahnungen, die ab einem bestimmten Stichtag den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer sowohl im gewerblichen als auch im angestellten Bereich mit Ausnahme der leitenden Angestellten und der Geschäftsführung erteilt wurden durch Vorlage des Abmahnungsschreibens in anonymisierter Form Auskunft zu erteilen. Die Vorinstanzen hatten diesem Verlangen des Betriebsrats noch stattgegeben. Das BAG ist dieser Auffassung nicht gefolgt. Aus Sicht des 1. Senats sind keine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Betriebsrats erkennbar, die die Vorlage aller Abmahnungsschreiben erforderlich machen könnten. Aus der individualrechtlichen Bedeutung der Abmahnung ergäbe sich eine solche Aufgabe des Betriebsrats nicht. Der Betriebsrat sei außerhalb des Mitwirkungsverfahrens bei Kündigung nach § 102 BetrVG bei der Erteilung von Abmahnungen nicht zu beteiligen. Mitwirkungsrechte des Betriebsrats 58 1 ABR 26/12, NZA 2014, 269 ff. Rz. 13. 59 Ebenso BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, NZA 2012, 744 Rz. 7. 60 BAG v. 17.9.2013 – 1 ABR 26/12, NZA 2014, 269 Rz. 13; BAG v. 16.8.2011 – 1 ABR 22/10, NZA 2012, 342 Rz. 34.
213
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
entstünden erst dann, wenn der Arbeitgeber das Unterrichtungsverfahren nach § 102 BetrVG einleite. Der Ausspruch von Abmahnungen unterliege dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats61. Da sich der Globalantrag des Betriebsrats auch auf die Fälle der Erteilung von Abmahnungen vor Einleitung des Mitwirkungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG beziehe, sei schon die individualrechtliche Wirkung der Abmahnung nicht geeignet, den Antrag des Betriebsrats zu begründen. Soweit der Betriebsrat ergänzend hierzu geltend gemacht hatte, dass die Vorlage der Abmahnungsschreiben erforderlich sei, um bestehende Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG ausüben zu können, hat auch dies dem BAG für die Anerkennung eines Auskunftsanspruchs nicht genügt. Dem stehe bereits entgegen, dass Abmahnungen keineswegs notwendig Sachverhalte beträfen, in denen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 BetrVG betroffen seien. So seien bei Arbeitsvertragsverletzungen wie Tätlichkeiten oder Beleidigungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG offensichtlich nicht berührt. Im Übrigen sei es dem Betriebsrat unbenommen, losgelöst von etwaigen Abmahnungen, Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG geltend zu machen, wenn er der Auffassung sei, dass die den Abmahnungen zugrunde liegenden Anweisungen des Arbeitgebers mit entsprechenden Mitbestimmungsrechten verknüpft würden. Dass zur Wahrnehmung dieser Mitbestimmungsrechte ein weitergehender Informationsbedarf des Betriebsrats in Form einer Vorlage der Abmahnungen erforderlich ist, war aus dem Vortrag des Betriebsrats heraus nicht erkennbar. Der Entscheidung des BAG ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Allerdings hat es sich in der betrieblichen Praxis vielfach bewährt, dem Betriebsrat im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit ausgesprochene Abmahnungen auch außerhalb von § 102 Abs. 1 BetrVG zur Kenntnis zu geben. Da der Betriebsrat Bestandteil der verantwortlichen Stelle ist, dürfte auch das Datenschutzrecht diesem Umgangsmodell nicht entgegenstehe. Auf diese Weise wird vermieden, dass im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung der Betriebsrat Kenntnis von etwaigen Problemen in Bezug auf einen Arbeitnehmer erst dann erhält, wenn sich der Arbeitgeber nach einer Abmahnung oder mehreren Abmahnungen (endlich) zum Ausspruch einer Kündigung entschlossen hat. Dieses Überraschungsmomentum könnte den Widerstand des Betriebsrats gegen solche Kündigungen erhöhen. Zugleich wird die Chance vermieden, dass auch der Betriebsrat mit dem Ziel einer
61 BAG v. 17.9.2013 – 1 ABR 26/12, NZA 2014, 269 Rz. 15; BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88, NZA 1990, 193 Rz. 37.
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Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte
Vermeidung künftiger Pflichtverletzungen im Anschluss an den Ausspruch einer Abmahnung Einfluss auf den Arbeitnehmer ausüben kann. (Ga)
10. Klage eines Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte In seinem Beschluss vom 4.12.201362 hat sich das BAG nicht nur mit der Frage auseinandergesetzt, ob in der unzulässigen Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds eine Behinderung des Betriebsrats in seiner Gesamtheit gemäß § 78 S. 1 BetrVG liegen könne. Jedenfalls folge aus § 78 S. 1 BetrVG kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder. Ein solcher Anspruch sei im Allgemeinen im Persönlichkeitsrecht des Betriebsrats begründet und könne nicht durch den Betriebsrat als Dritten geltend gemacht werden. Im Rahmen des gleichen Beschlussverfahrens hat das BAG allerdings den Anspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds auf Entfernung einer unzulässigen Abmahnung aus der Personalakte anerkannt. Dieser Anspruch, der an sich im Rahmen des Urteilsverfahrens verfolgt werden müsse, könne auch Gegenstand einer Entscheidung im Beschlussverfahren sein. Denn bei der kollektivrechtlichen und der individualrechtlichen Rechtsposition des entsprechenden Entfernungsverlangens handele es sich nicht um zwei Streitoder Verfahrensgegenstände. Vielmehr liege eine Anspruchskonkurrenz vor, weil das gleiche Begehren auf verschiedene Anspruchsgrundlagen individual- oder kollektivrechtlicher Natur gestützt werden könne. Hiervon ausgehend sei der entsprechende Antrag auch im Beschlussverfahren zulässig. Für die betriebliche Praxis ist diese Sichtweise erstaunlich. Sie wirft daran anknüpfend die Frage auf, wer die Kosten eines solchen Verfahrens zu tragen hat. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob insoweit der Beibringungsoder Untersuchungsgrundsatz zum Tragen kommt. Beide Fragestellungen sind in der vorstehend genannten Entscheidung des BAG nicht behandelt worden. (Ga)
11.
Kennzeichnung der Mitbestimmungsrechte bei Versetzung
Versetzung im Sinne der Betriebsverfassung, die der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedarf, ist nach § 95 Abs. 3 BetrVG die
62 7 ABR 7/12 n. v. (Rz. 32 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Werden Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt, so gilt die Bestimmung des jeweiligen Arbeitsplatzes nicht als Versetzung. Nach der Rechtsprechung des BAG63 wird der Arbeitsbereich durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs gekennzeichnet (§ 81 Abs. 1, 2 BetrVG). Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere anzusehen ist. Das kann auf den Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung zurückzuführen sein, aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist. Der andere Arbeitsbereich kann auch mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfüllt für sich allein den Versetzungsbegriff des § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG aber nur dann, wenn sie für eine längere Zeit als einen Monat geplant ist. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zu einer Versetzung (§ 99 Abs. 3 BetrVG), so kann der Arbeitgeber von der Versetzung absehen64 und ein Zustimmungsersetzungsverfahren gegen den Betriebsrat durchführen, bevor er die Versetzung gegenüber dem Arbeitnehmer realisiert, oder die Maßnahme nach § 100 Abs. 1 BetrVG aus dringenden sachlichen Gründen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats zumindest vorläufig, d. h. bis zur Entscheidung über ihre materielle Rechtmäßigkeit (§ 100 Abs. 3 BetrVG), durchführen. Insofern verlangt der Gesetzgeber nicht den objektiven Nachweis der dringenden Erforderlichkeit, vielmehr nur die Einhaltung des nach § 100 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Verfahrens65. Damit darf der Arbeitgeber jedenfalls vorläufig betriebsverfassungskonform handeln, ohne dass dafür die betriebsverfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit feststeht.
63 Nur BAG v. 16.3.2010 - 3 AZR 31/09, NZA 2010, 1028 Rz. 36; BAG v. 10.10.2012 - 7 ABR 42/11, AP Nr 51 zu § 99 BetrVG 1972 Versetzung Rz. 41. 64 BAG v. 16.3.2010 - 3 AZR 31/09, NZA 2010, 1028. 65 BAG v. 23.6.2009 - 1 ABR 23/08, NZA 2009, 1430 Rz. 18.
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Kennzeichnung der Mitbestimmungsrechte bei Versetzung
Im Fall einer Verletzung von § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG, § 100 Abs. 2 BetrVG kann der Betriebsrat nach § 101 S. 1 BetrVG die Aufhebung der Versetzung verlangen und diese gerichtlich durchsetzen. Dies gilt gleichermaßen für den Fall der vom Arbeitgeber versäumten Einholung einer Zustimmung des Betriebsrats zu einer Versetzung, als auch für die Aufrechterhaltung einer vorläufigen Versetzung entgegen § 100 Abs. 2 und 3 BetrVG. Mit dieser Reaktionsmöglichkeit schließt der Gesetzgeber bei Versetzungen im Fall der Verletzung von Rechten des Betriebsrats aus § 99 Abs. 2 BetrVG einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats neben der Regelung des § 23 Abs. 3 BetrVG aus66. Um ein derartiges Aufhebungs- oder Beseitigungsverfahren des Betriebsrats ging es bei der Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 9.10.201367. Der bei der DRK-Schwesternschaft e. V. (Verein) gebildete Betriebsrat verlangte von dem Verein die Aufhebung von Versetzungen bestimmter namentlich bezeichneter Beschäftigten, die als Vereinsmitglieder bei einem Universitätsklinikum eingesetzt worden waren und im Zuge ihrer Tätigkeit andere Aufgaben im Universitätsklinikum übernommen hatten, die anlässlich des veränderten Einsatzes mit Umgruppierungen einhergingen. Der Verein vertrat dabei die Auffassung, dass der bei ihr gebildete Betriebsrat generell über kein Mitbestimmungsrecht verfüge, wenn gestelltes Personal im Universitätsklinikum versetzt werde. Hierzu war auf der Grundlage des Gestellungsvertrags zwischen dem Verein und dem Universitätsklinikum u. a. vorgesehen, dass Ein- und Umgruppierungen der gestellten Mitarbeiter ausschließlich dem Verein oblagen. Das BAG hielt den Beseitigungsanspruch des Betriebsrats nach § 101 BetrVG gegenüber dem Verein für begründet, wobei es nach Ansicht des BAG nicht darauf ankam, ob es sich bei den von der jeweiligen Personalmaßnahme betroffenen Beschäftigten um Arbeitnehmer oder Vereinsmitglieder handelte. Dabei zieht das BAG eine Parallele zur Mitbestimmung bei Einstellungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG, für die es nach gefestigter Rechtsprechung des BAG68 nicht auf die Natur des Rechtsverhältnisses, sondern auf die Eingliederung von Beschäftigten ankommt, wenn der Betriebsinhaber diesen gegenüber Personalhoheit besitzt, er also die für eine weisungsabhängige Tätigkeit typischen Entscheidungen über Zeit und Ort der Tätigkeit zu treffen in der Lage ist. Die Zustimmungsbedürftigkeit für derartige
66 BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, NZA 2009, 1430 Rz. 16. 67 7 ABR 12/12 n. v. 68 BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 30/08, NZA 2009, 1162 Rz. 19; BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 1/09, NZA 2010, 1302 Rz. 10.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Einstellungen nach § 99 Abs. 1, 3 BetrVG dient nach Auffassung des BAG69 dabei der Wahrung der Interessen der vom Betriebsrat vertretenen Belegschaft. Für Versetzungen von Beschäftigten des Vereins könne danach nichts anderes gelten. Das darauf abzielende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG sei ebenfalls darauf angelegt, unter anderem die Interessen der Belegschaft zu schützen. So sei es denkbar, dass im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer durch die Versetzung eines Vereinsmitglieds Nachteile erleiden (§ 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG) oder vor der Versetzung eine nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterbleibe (§ 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG) oder die durch Tatsachen begründete Besorgnis bestehe, dass die für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Person den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten störe (§ 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG). Die Zustimmungsbedürftigkeit zu Versetzungen dieser Personen wird nach Ansicht des BAG nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beschäftigten im Rahmen einer Personalgestellung bei einem Dritten eingesetzt werden und dort die Versetzung erfolgt. Eine Zuständigkeit des Betriebsrats des Vereins (Stammbetriebs) käme allerdings in diesem Fall nur infrage, wenn der Verein als Vertragsarbeitgeber gegenüber den betroffenen Personen wenigstens einen Teil der Arbeitgeberstellung (Personalhoheit) ausübt und die durch die Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG geschützten Interessen der entliehenen Beschäftigten berührt sind. Davon ist das BAG im Streitfall ausgegangen, weil sich der Verein bei Versetzungen, die eine Umgruppierung zur Folge haben, einen wesentlichen Teil seiner Personalhoheit gegenüber dem Universitätsklinikum vorbehalten hatte. Das BAG ging auch davon aus, dass die vom Universitätsklinikum veranlassten Aufgabenänderungen (Tätigkeitswechsel) für die Betroffenen als Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG zu qualifizieren waren, wobei der erforderlichen Umgruppierung eine dafür indizielle Bedeutung beizumessen ist. Diese Rechtsprechung des BAG stellt eine Weiterentwicklung der Kennzeichnung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Versetzungen dar, weil der im Stammbetrieb gebildete Betriebsrat bei Versetzungen eines überlassenen Arbeitnehmers oder Beschäftigten im Einsatzbetrieb im Sinne eines Zustimmungserfordernisses einzubeziehen ist, wenn der Arbeitgeber des 69 BAG v. 23.6.2010 – 7 ABR 1/09, NZA 2010, 1302 Rz. 19; BAG v. 9.10.2013 - 7 ABR 12/12 n. v. (Rz. 15).
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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Einsatz eines internetbasierten Routenplaners
Stammbetriebs – sei es nur bei der Umgruppierung – an der Versetzungsentscheidung beteiligt ist und die nach § 99 Abs. 2 BetrVG geschützten Interessen der überlassenen Arbeitnehmer berührt sein können, was allein durch die Maßnahme einer Umgruppierung ausgelöst wird. (Boe)
12. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Einsatz eines internetbasierten Routenplaners zu Abrechnungszwecken Soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Erzielen Arbeitgeber und Betriebsrat darüber keine Einigung, entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 2 BetrVG). In dem dem Beschluss des BAG vom 10.12.201370 zugrunde liegenden Fall macht der Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Nutzung von „Google Maps“ geltend, das durch Mitarbeiter des Arbeitgebers bei der Überprüfung von Reisekostenabrechnungen verwendet wurde. Ausgangspunkt der entsprechenden Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat war, dass ein Arbeitnehmer im Juni 2009 die Erstattung von Reisekosten für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung beantragte. Da die im Antrag angegebene Fahrtstrecke dem Niederlassungsleiter überhöht erschien, ermittelte dieser mit dem Routenplaner von Google Maps die Entfernung zwischen der Wohnanschrift des Arbeitnehmers und dem Ort der Betriebsversammlung. Der betroffene Arbeitnehmer wurde auf die nach Auffassung der Arbeitgeberin überhöhte Kilometerangabe in der Reisekostenabrechnung hingewiesen und später abgemahnt. Der Betriebsrat verlangte von der Arbeitgeberin daraufhin, die Anwendung von Google Maps im Betrieb ohne seine Zustimmung bzw. den seine Zustimmung ersetzenden Spruch der Einigungsstelle zu unterlassen. Das BAG hat mit überzeugender Begründung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abgelehnt. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG habe der Betriebsrat u. a. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt seien, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. „Überwachung“ i. S. d. genann-
70 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ten Vorschrift sei ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers erhoben und – jedenfalls in der Regel – aufgezeichnet würden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Hierfür müssten die Informationen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar blieben und vom Arbeitgeber herangezogen werden könnten71. Ganz häufig wird in der betrieblichen Praxis allerdings übersehen, dass die nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erforderliche Überwachung aber durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden muss. Dazu müsse – so das BAG – diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar, d. h. wenigstens in ihrem Kern, die Überwachung vornehmen, in dem sie das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer kontrolliere. Insofern setze das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge verarbeite72. Ausreichend sei jedenfalls, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolge73. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen nach den Feststellungen des BAG dann, wenn sie objektiv geeignet seien, Verhaltens- oder Leistungsinformationen der Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen; auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers komme es nicht an. Insofern genügt die objektive, im System vorgegebene Ausrichtung, Leistungs- oder Verhaltensdaten zu sammeln74. Hiervon ausgehend unterliegt der Einsatz des Routenplaners Google Maps nicht dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Der Nutzer eines Routenplaners dieser Art erhält nur Angaben über die vom System vorgeschlagenen Fahrmöglichkeiten. Ein Bezug zu der von einem bestimmten Arbeitnehmer tatsächlich zurückgelegten Wegstrecke besteht nicht. Diese wird vom Routenplaner nicht ermittelt. Anders als ein GPS-System, das Aufzeichnungen von Informationen über das Fahrverhalten in Echtzeit vornehmen kann, sind diese mit einem solchen Routenplaner nicht möglich. Dass der Arbeitgeber den Routenplaner Google Maps zur Berechnung erstattungsfähiger Reisekosten einsetzt, bewirkt ebenfalls nicht die für § 87 71 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556 Rz. 27. 72 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20; BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. 18. 73 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20; BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 24/92, CR 1994, 111 Rz. 32. 74 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 20.
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Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Einsatz eines internetbasierten Routenplaners
Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erforderliche Leistungs- oder Verhaltenskontrolle durch eine technische Einrichtung. Denn die Überprüfung der in den Reisekostenanträgen enthaltenen Entfernungsangaben werde – so das BAG – nicht durch den Routenplaner, sondern ausschließlich durch menschliches Handeln in Gang gesetzt. Der mit der Prüfung der Fahrkostenabrechnung betraute Bearbeiter entscheide eigenständig über den Einsatz des Routenplaners und die Verwendung der mit seiner Hilfe erzielten Informationen. Anders als bei einer automatisierten Verhaltens- oder Leistungskontrolle seien der Einsatz des Routenplaners und die Reaktion auf die durch seine Verwendung gewonnenen Erkenntnisse vom Tätigwerden einer kontrollierenden Person abhängig. Eine andere Bewertung folge auch nicht aus dem Normzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Sinn der Vorschrift sei es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. Die auf technischen Weg erfolgte Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über den Arbeitnehmer bürgten die Gefahr in sich, dass in dessen Persönlichkeitsbereiche eingedrungen werden, die einer nichttechnischen Überwachung nicht zugänglich seien und dass der Arbeitnehmer zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werde, der er sich nicht entziehen könne. Dies gelte umso mehr, als die Abläufe der technikgestützten Datenermittlung für den Arbeitnehmer vielfach nicht wahrnehmbar seien und es regelmäßig an einer Möglichkeit fehle, sich dieser zu entziehen. Die Einbindung in eine von ihm nicht beeinflussbare Überwachungstechnik könne auf diese Weise zu einer erhöhten Abhängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hindern75. Solche Wirkungen seien aber mit der Nutzung des internetbasierten Routenplaners bei der Überprüfung von Angaben in Fahrtkostenabrechnungen allein noch nicht verbunden. Vielmehr stehe die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Nachprüfung ebenso wie die Entscheidung über den Einsatz von weiteren Aufklärungsmitteln allein in der Entscheidungsbefugnis des Bearbeiters. Eine Automatik, nach der dem Arbeitnehmer allein beim Auftreten von Differenzen in Entfernungsangaben zwischen seiner Fahrkostenabrechnung und der individuellen Routenplanerrecherche eines Sachbearbeiters vorgegebene Maßnahmen drohten, sei weder offensichtlich noch vom LAG festgestellt. Auch eine Einflussnahme zu einem bestimmten Verhalten, nämlich die kürzeste Fahrstrecke zu benutzen, erfolge allenfalls 75 BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rz. 27; BAG v. 8.11.1994 – 1 ABR 20/94, NZA 1995, 313 Rz. 19.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
durch die arbeitgeberseitigen Vorgaben für die Erstattung von Reisekosten, nicht aber durch den Einsatz des Routenplaners. Dieser Auffassung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie macht allerdings noch einmal deutlich, dass auch sonstige EDV-Systeme, mit denen leistungs- oder verhaltensbezogene Daten einzelner Arbeitnehmer verarbeitet werden, nicht ohne Weiteres Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen. Beispielsweise sei hier auf die Verarbeitung solcher Daten im Rahmen von Word- oder Excel-Dateien hingewiesen. Auch diese Programme sind in der Lage, solche Daten in einer individualisierbaren Weise zu verarbeiten und zur Grundlage weitergehender Entscheidungsprozesse auf Arbeitgeberseite zu machen. Beispielsweise sei hier nur die Zusammenstellung von Fehlzeiten einzelner Arbeitnehmer genannt. Auch hier erfolgt die Eingabe entsprechender Daten allerdings manuell. Es fehlt an der Voraussetzung, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über solche Vorgänge erfasst und sodann verarbeitet. EDV-Programme dieser Art hingegen sind an sich allein deshalb der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterworfen, weil sie ihrerseits den Bearbeiter entsprechender Dateien in den Hintergrundinformationen erfassen und damit in automatisierter Weise erkennen lassen, wann entsprechende Dateien erstellt und bearbeitet wurden. Gibt es mit dem Betriebsrat allerdings Vereinbarungen, die auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die generelle Nutzung solcher EDV-Programme erlauben, sind keine weitergehenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats gegeben, wenn dann mit diesen Programmen leistungs- oder verhaltensbezogene Daten bearbeitet werden. (Ga)
13. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Umkleidezeiten Bereits mit Blick auf das Urteil des BAG vom 19.9.201276 hatten wir deutlich gemacht, dass zur Arbeit nach der Rechtsprechung des BAG auch das Umkleiden für die Arbeit gehört, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung verlangt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. Eine solche Vorgabe kann sich als Konsequenz der Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts (§ 106 S. 1, 2 GewO), aus objektiven Notwendigkeiten (z. B. Reinraum, Krankenhaus) oder aus dem Umstand ergeben, dass dem Arbeitnehmer ein Tragen der Kleidung in der Öffentlichkeit nicht zumutbar ist. Beginnt und endet die Arbeit mit dem Umkleiden, zählen – so das BAG – auch die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz
76 5 AZR 678/11, NZA-RR 2013, 63 ff.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei Umkleidezeiten
ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss. Nach Auffassung des BAG zählt zur Arbeitszeit aber (nur) die Zeitspanne, die für den einzelnen Arbeitnehmer unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit für das Umkleiden und das Zurücklegen des Weges von der Umkleide- zur Arbeitsstelle erforderlich ist. Solche Zeiten müssen unter Berücksichtigung der Variablen des Umkleidevorgangs (z. B. jahreszeittypische Privatkleidung) sowie der Wegezeiten (z. B. Wartezeiten auf einen Aufzug) und ggf. unter Einschaltung eines Sachverständigen festgestellt werden. Daraus folgt, dass generalisierte Vorgaben zu entsprechenden Zeiten, die ein Arbeitnehmer für das Umkleiden und entsprechende Wegezeiten im Betrieb verwenden darf, im Zweifel unwirksam sind. Sie berücksichtigen zu wenig die persönliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers. Losgelöst von dieser Unbestimmtheit der Feststellung entsprechender Zeiten hatte das BAG in seinem Urteil vom 19.9.201277 indes nicht nur klargestellt, dass solche Arbeitszeiten grundsätzlich vergütet werden müssen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht auf individual- oder kollektivrechtlicher Ebene eine hiervon abweichende Umkleide- und Wegezeiten betreffende Regelung vereinbart wurde. Vielmehr wird man auch davon ausgehen müssen, dass solche Tätigkeiten als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne verstanden werden müssen. Ergänzend hierzu hat das BAG mit Beschluss vom 12.11.201378 jetzt deutlich gemacht, dass Umkleidezeiten jedenfalls dann Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auslösen, wenn sich die Arbeitnehmer innerhalb des Betriebs umkleiden und damit zugleich ein fremdes Bedürfnis erfüllt wird. Denn dann gehören Umkleidezeiten zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Umgekehrt erfolge das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung nicht lediglich fremdnützig und gehöre damit nicht zur Arbeitszeit, wenn die Dienstkleidung zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auch auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden könne. In dem hier zur Entscheidung stehenden Fall ging es um das Fahrpersonal einer Regionaltochter der Deutschen Bahn AG. Dieses war durch den Arbeitgeber kraft Tarifvertrags zum Tragen der Dienstkleidung verpflichtet. Da die zu tragenden Kleidungsstücke aufgrund ihrer Farbgebung und ihres Zuschnitts besonders auffällig waren, das im Konzern generell verwandte 77 5 AZR 678/11, NZA-RR 2013, 63 Rz. 27. 78 1 ABR 59/12 n. v. (Rz. 31 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Emblem aufwiesen und aufgrund ihres Uniformcharakters eine leichte Zuordnung des Dienstkleidungsträgers zu einem Rechtsträger im Unternehmensverbund der Deutschen Bahn AG möglich machten, bestand – so das BAG – außerhalb der Arbeitszeit kein objektiv feststellbares eigenes Interesse der Arbeitnehmer, diese Kleidung zu tragen. Hiervon ausgehend waren die Zeiten, die für das Umkleiden im Betrieb verwendet wurden, auch als Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG anzusehen. Entsprechendes galt für die Zeiten, die für das Empfangen, Abgeben und Aufrüsten von ausschließlich dienstlich nutzbaren Arbeitsmitteln, z. B. Mobiltelefone, Geräte für Fahrscheinkontrolle, verwendet wurden. Als Konsequenz dieser Zuordnung war der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG in Bezug auf Beginn und Ende solcher Umkleide- und Aufrüstzeiten zu beteiligen. Dies war zwar vorliegend auch geschehen, mangels einer Einigung war die abschließende Regelung indes durch Spruch der Einigungsstelle getroffen worden. Diese hatte zur Vereinfachung der Handhabe entsprechender Umkleide- und Aufrüstzeiten folgende Entscheidung getroffen: § 1 Geltungsbereich Diese Regelung gilt für sämtliche Mitarbeiter/innen des Fahrpersonals, die in vom Arbeitgeber vorgegebene Schichten eingesetzt und zum Tragen der UBK verpflichtet sind. Diese Regelung findet auch dann Anwendung, wenn prinzipiell zum Tragen der UBK verpflichtete Mitarbeiter in einzelnen Schichten ausnahmsweise keine UBK tragen müssen (Fahrgeldsicherer). § 2 Übergangszeit Jeder von dieser Regelung erfasste Mitarbeiter erhält vor und nach jeder Schicht eine pauschale Übergangszeit von 7 Min. Länge. Diese Übergangszeit dient der Herstellung der Dienstfähigkeit u. a. durch Empfangen, Bereitmachen und Abgeben der elektronischen Arbeitsund Kommunikationsmittel (wie MT, Handy, SD-Card, geschäftliche Zahlungsmittel, unbedruckte Fahrscheine, Zangendrucker usw.), Umkleiden, etc. Diese Übergangszeit stellt keine vergütungspflichtige Arbeitszeit und auch keine Arbeitszeit i. S. d. arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften (ArbZG) dar, sie wird jedoch nicht auf die einzuhaltenden Ruhezeiten angerechnet. Die Ruhezeit beginnt nach Ende der Übergangszeit und endet vor Beginn der Übergangszeit. Tarifliche Vorschriften bleiben von dieser Regelung unberührt.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei Umkleidezeiten
Das BAG ist im Beschluss vom 12.11.201379 von der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs ausgegangen. Zwar könne der Betriebsrat im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verlangen, bei der Festlegung der täglichen Arbeitszeit mitzubestimmen. Dies sei die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen habe. Der Einigungsstellenspruch nehme aber keine solche Verteilung der tariflich vorgegebenen Arbeitszeit vor. Vielmehr beschränke er sich auf die Gewährung einer siebenminütigen Zeitgutschrift für Umkleide- und Rüstzeiten ohne Rücksicht darauf, ob diese Zeiten überhaupt im Betrieb anfielen. Damit habe die Einigungsstelle ihre Regelungskompetenz überschritten, was die vollständige Unwirksamkeit des Spruchs zur Folge habe. In der Begründung hat das BAG deutlich gemacht, dass bei der Bemessung von Zeitvorgaben des Arbeitgebers für das Umkleiden im Betrieb keinerlei Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen. Vielmehr sei insoweit allein die individuelle Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers maßgeblich, was damit auch generalisierenden Vorgaben durch Betriebsvereinbarung oder Spruch der Einigungsstelle entgegenstünde. Wenn man den Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BAG als Folge seiner Entscheidung vom 19.9.201280 akzeptiert, ist diese Sichtweise zutreffend. Denn sie berücksichtigt, dass das Umkleiden und Aufrüsten des Arbeitnehmers als Bestandteil seiner Arbeitspflicht nur durch das individuelle (persönliche) Leistungsvermögen bestimmt wird. Eine entsprechende Vorgehensweise in der betrieblichen Praxis ist jedoch völlig impraktikabel. Sie lässt außer Acht, dass der Arbeitgeber – ebenso wie der Betriebsrat – nicht in der Lage ist, eine individualisierte Arbeitszeiterfassung vorzunehmen, die unterschiedliche (ggf. jahreszeittypische) Umkleideund Aufrüstzeiten berücksichtigt und dies zur Grundlage von Arbeitszeitkonten und/oder Entgeltfortzahlungsansprüchen macht. Ein solcher Aufwand kann nicht geleistet werden. Er ist auch durch den Zweck des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht geboten. Abweichend von den Ergebnissen der vorstehend genannten Entscheidungen des BAG ist es der betrieblichen Praxis deshalb (weiterhin) empfohlen, unter Einbeziehung des Betriebsrats pauschale Regelungen über die Vergütung von Umkleide- und Aufrüstzeiten zu treffen, die typisierte Annahmen zugrunde legt. Vergütungsrechtlich bestehen gegen entsprechende Regelun79 1 ABR 59/12 n. v. (Rz. 19 ff.). 80 5 AZR 678/11, NZA-RR 2013, 63.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
gen keine Bedenken, sofern tarifliche Vorgaben berücksichtigt werden. Anzunehmen ist, dass auf dieser Grundlage auch eine pragmatische Erfüllung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gefunden wird, selbst wenn dies nicht mit der arbeitszeitrechtlichen und vergütungsrechtlichen Bewertung des BAG vereinbar ist. Denn es steht zu erwarten, dass bei einer einvernehmlichen Kennzeichnung vergütungspflichtiger Umkleide- und Aufrüstzeiten durch Arbeitgeber und Betriebsrat keine weitergehenden (individualisierten) Forderungen einzelner Arbeitnehmer geltend gemacht werden, die dann vergütungsrechtlich und arbeitszeitrechtlich zu berücksichtigen wären. (Ga)
14. Kein Anspruch des Betriebsrats auf Bildung eines Arbeitsschutzausschusses Gemäß § 11 S. 1 ASiG hat der Arbeitgeber, soweit in einer sonstigen Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt wird, in Betrieben mit mehr als zwanzig Beschäftigten einen Arbeitsschutzausschuss zu bilden. Dieser Ausschuss setzt sich nach § 11 S. 2 ASiG zusammen aus dem Arbeitgeber oder einem von ihm Beauftragten, zwei vom Betriebsrat bestimmten Betriebsratsmitgliedern, Betriebsärzten, Fachkräften für Arbeitssicherheit und Sicherheitsbeauftragten nach § 22 SGB VII. Der Arbeitsschutzausschuss hat die Aufgabe, Anliegen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beraten. Zu diesem Zweck tritt er mindestens einmal vierteljährlich zusammen (§ 11 S. 3, 4 ASiG). In seinem Beschluss vom 15.4.201481 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass sich der Betriebsrat nach § 89 Abs. 1 S. 2 BetrVG an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden kann, wenn der Arbeitgeber diese Verpflichtung nicht erfüllt. Diese hat die Errichtung eines Arbeitsschutzausschusses nach § 12 ASiG anzuordnen und kann im Weigerungsfall eine Geldbuße verhängen (§ 20 ASiG). Dem Betriebsrat steht nach Auffassung des BAG indes kein Initiativrecht zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses zu. Die Arbeitgeberin in dem zugrunde liegenden Fall war ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Hamburg und Filialen im gesamten Bundesgebiet. Sie hatte in Abstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat auf Unternehmensebene einen Arbeitsschutzausschuss errichtet. Dies hielt der im Stuttgarter Betrieb gebildete Betriebsrat für unzureichend. Aus seiner Sicht war es erforderlich,
81 1 ABR 82/12 n. v.
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Kappung der werktäglichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung
auch in den einzelnen Filialen einen Arbeitsausschuss zu errichten, sofern dort jeweils mehr als zwanzig Beschäftigte tätig sind. Das BAG hat die auf Errichtung eines Arbeitsschutzausschusses gerichtete Klage zurückgewiesen. § 11 ASiG regele – so das BAG – zugunsten des Betriebsrats keinen Anspruch auf Errichtung eines Arbeitsschutzausschusses. Vielmehr handele es sich dabei um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers. Bei dieser werde ihm durch den Gesetzgeber kein Handlungsspielraum zuerkannt, was nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG auch weitergehenden Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats entgegenstehe. Denn diese sind nur dann anzuerkennen, wenn und soweit nicht bereits eine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Damit konnte auch offen bleiben, ob die Arbeitgeberin ihrer Verpflichtung aus § 11 ASiG dadurch genügt hatte, dass sie im Hauptbetrieb unter Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bereits einen unternehmensbezogenen Arbeitsschutzausschuss errichtet hatte. (Ga)
15. Kappung der werktäglichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung In seinem Beschluss vom 10.12.201382 hat der 1. Senat des BAG angenommen, dass durch Betriebsvereinbarung vereinbart werden könne, dass die über zehn Stunden hinaus geleistete werktägliche Arbeitszeit gekappt und grundsätzlich nicht als zu verteilende Arbeitszeit behandelt werde. Mit einer solchen Regelung hätten die Betriebsparteien auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 Nrn. 2, 3 BetrVG erkennbar ein Arbeitszeitregime schaffen wollen, das den Arbeitnehmern ein hohes Maß an Zeitsouveränität gewähre und gleichzeitig sicherstelle, dass die gesetzlichen Höchstgrenzen des Arbeitszeitrechts beachtet würden. Ganz erhebliche Bedeutung hat allerdings der Umstand, dass damit für das BAG keine Aussage in Bezug auf die Vergütungspflicht des Arbeitgebers verbunden sei. In dem konkreten Fall scheiterte eine Kappung der Vergütungspflicht deshalb auch an dem Umstand, dass nach dem zugrunde liegenden Tarifvertrag etwaige Überstunden auch bei Überschreiten der ZehnStunden-Grenze zu vergüten waren. Dass die Betriebsparteien mit der Kappungsgrenze im Rahmen des der Betriebsvereinbarung auch eine Regelung zu dieser Vergütungspflicht treffen wollten, sei – so das BAG – nicht anzunehmen. Denn damit würde man den Betriebsparteien eine gesetzeswidrige Regelungsabsicht unterstellen, zumal die Betriebsvereinbarung auch und 82 1 ABR 40/12 n. v. (Rz. 24 ff.).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
insbesondere für Tarifmitarbeiter zur Anwendung kommen sollte. Außerhalb dieses konkreten Falls dürfte im Übrigen eine entsprechende Vereinbarung regelmäßig am Tarifvorbehalt in § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG scheitern. Die Entscheidung überzeugt, zumal im Zweifel bei einer gesetzlichen Tarifbindung auch § 4 Abs. 3 TVG entsprechenden Vereinbarungen entgegenstünde. Nichtsdestotrotz ist zu realisieren, dass die in der Praxis durchaus üblichen Kappungsgrenzen keineswegs nur Regelungen treffen wollen, die eine Verteilung der Arbeitszeit im Auge habe. Entgegen der Annahme des BAG ist mit entsprechenden Vereinbarungen regelmäßig auch die Entscheidung verbunden, dass für Arbeitszeiten außerhalb der Kappungsgrenze auch keine Vergütung erfolgt. Dies funktioniert in der Regel, ist aber unwirksam. (Ga)
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I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Unzulässige Benachteiligung durch Minderung der Sozialplanabfindung wegen Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit
Soweit die Höhe einer Sozialplanabfindung unter Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten bestimmt wird, ist eine Ausgrenzung der Elternzeit unwirksam1. Problematischer wird es, wenn die Sozialplanabfindung die Höhe des Arbeitsentgeltanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt und der hiervon betroffene Arbeitnehmer eine Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit ausübt. Bereits mit Urteil vom 22.10.20092 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass ein Verstoß gegen die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub, die im Anhang der Richtlinie 96/34/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub in der durch die Richtlinie 97/75/EG geänderten Fassung enthalten ist, vorliegt, wenn die wegen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung als Folge der während der Elternzeit wahrgenommenen Teilzeitbeschäftigung reduziert wird. Lediglich dann, wenn die betrieblichen Sozialpartner in Bezug auf die Höhe des für die Sozialplanabfindung maßgeblichen Entgelts einen Bezugszeitraum bestimmen, der deutlich über die Dauer der Elternzeit hinausgeht (hier: fünf Jahre), war eine Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung bei der Festsetzung einer Sozialplanabfindung bislang für zulässig gehalten worden. Auf den Grund oder Anlass der Teilzeitbeschäftigung komme es – so das BAG – im Urteil vom 22.9.20093 nicht an4. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH im Urteil vom 27.2.20145 dürfte zukünftig im Zweifel nur noch ein geringerer Gestaltungsspielraum anzuerkennen sein. Hiervon geht auch das LAG Niedersachsen in seinem Urteil vom 27.6.20136 aus. Denn nach den Feststellungen des EuGH steht es im Widerspruch zu der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub 1 2 3 4 5 6
BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 370/08, NZA 2010, 2734 Rz. 33; BAG v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, DB 2003, 1635 Rz. 20. C-116/08, NZA 2010, 129 Rz. 34 – Meerts. 1 AZR 316/08, DB 2009, 2664 Rz. 20. Ebenso HWK/B. Gaul BEEG vor § 15 bis 21 Rz. 8. C-588/12, NZA 2014, 359 Rz. 39 f., 47 f. – Lyreco Belgium. 7 Sa 696/12 n. v. (Revision: 1 AZR 826/13).
229
Betriebsänderung und Betriebsübergang
im Anhang der Richtlinie 96/34/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in der durch die Richtlinie 97/75/EG geänderten Fassung, wenn eine Entschädigung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Arbeitnehmern, die während der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung wahrnehmen, auf der Grundlage des gekürzten Gehalts berechnet wird. Denn damit würden solche Arbeitnehmer schlechter behandelt als Arbeitnehmer, die während der Elternzeit gar keiner Beschäftigung nachgehen. Schließlich wird hier im Zweifel auf die Vollzeitbeschäftigung abgestellt, die vor der Elternzeit ausgeübt wurde. In den Gründen seiner Entscheidung verweist der EuGH auf den Umstand, dass die Richtlinie nicht nur den Arbeitnehmer in Teilzeitbeschäftigung in Bezug auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses schützen will. Gerade durch die Regelungen über die Möglichkeit einer Reduzierung der Arbeitszeit während der Elternzeit soll durch die Richtlinie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden. Die hier in Rede stehende Minderung einer Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses könnte Arbeitnehmer allerdings daran hindern, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, falls deshalb eine Minderung etwaiger Abfindungen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit droht. Der soziale Schutz von Arbeitnehmern in Elternzeit würde damit verfehlt. Hiervon ausgehend wird sich die Praxis wohl in der Zukunft darauf einstellen müssen, dass es generell unzulässig ist, an dem Teilzeitarbeitsentgelt anzuknüpfen, wenn diese Teilzeitbeschäftigung nur während der Elternzeit ausgeübt wird. Solche Regelungen stehen im Widerspruch zu den vorrangigen Vorgaben in der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub. Hier sollte die bisherige Regelung um den Zusatz ergänzt werden, dass bei einer Beendigung während der Elternzeit generell auf das Arbeitsentgelt vor der Elternzeit abgestellt wird. Unklar ist nach den Feststellungen des EuGH allerdings, ob dies auch dann gilt, wenn als Bezugszeitraum eine Dauer festgelegt wird, die deutlich den Zeitraum einer Elternzeit übersteigt. Unerheblich wäre dabei, ob die Teilzeitbeschäftigung vor oder nach der Elternzeit ausgeübt wird. Schließlich spiegelt die Teilzeitbeschäftigung dann ohne Berücksichtigung auf die zwischenzeitliche Elternzeit in angemessener und aktueller Weise den Lebensstandard wieder, den der Arbeitnehmer als Folge der arbeitgeberseitig veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert. Da der Arbeitgeber mit einer Entlassungsentschädigung (nur) die Nachteile ausgleichen soll, die tatsächlich unter Ausgrenzung der Elternzeit durch eine Entlassung ausgelöst werden, liegt in der Berücksichtigung des Teilzeitarbeitsentgelts auch ein sachlicher Grund für die Minderung einer Abfindung. Dies dürfte im Zwei230
Missachtung der Beteiligungsrechte aus § 17 KSchG
fel auch einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts entgegenstehen, selbst wenn überwiegend weibliche Arbeitnehmer von einer entsprechenden Kürzung als Folge von Teilzeitbeschäftigungen betroffen sind. (Ga)
2.
Keine Unterlassungsverfügung bei Missachtung der Beteiligungsrechte aus § 17 KSchG
In seinem Beschluss vom 12.12.20137 hat das LAG Berlin-Brandenburg zwar seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, nach der grundsätzlich der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Betracht kommt, wenn Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung gefährdet sind. Dabei könne das Gericht dem Arbeitgeber auch den Ausspruch von Kündigungen untersagen, wenn dies zur Sicherung der Beteiligungsrechte erforderlich sei. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz will das LAG Berlin-Brandenburg allerdings dann machen, wenn eine Betriebsänderung allein durch den Ausspruch von Kündigungen umgesetzt wird und der Arbeitgeber die nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Information und/oder Konsultation mit dem Betriebsrat vor diesen Entlassungen nicht durchgeführt hat. Zwar bestehe in solchen Fällen ein Verfügungsanspruch des Betriebsrats, weil dieser an sich das Recht auf eine entsprechende Beteiligung habe. Dem Betriebsrat stehe aber kein Verfügungsgrund zur Seite, der Voraussetzung für den Erlass einer entsprechenden Unterlassungsverfügung ist. Denn bei einer Umsetzung der Betriebsänderung ohne die erforderliche Beteiligung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG drohte nicht nur Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 BetrVG. Vielmehr verstießen etwaig ausgesprochene Kündigungen gegen ein gesetzliches Verbot und seien deshalb nach § 134 BGB unwirksam8. Wir hatten im vergangenen Jahr über die entsprechende Rechtsprechung des BAG berichtet9. Da diese Unwirksamkeit alle Kündigungen betreffe, könne der Arbeitgeber das Ziel, die Betriebsänderung durchzuführen, auch ohne die Unterlassungsverfügung nicht erreichen. Dass die Unwirksamkeit der Kündigungen nur dann zum Tragen komme, wenn auch die einzelnen Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben, steht diesem Ergebnis aus Sicht des LAG Berlin-Brandenburg nicht entgegen.
7 8 9
17 TaBV Ga 2058/13 n. v. Vgl. BAG v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966 Rz. 19. B. Gaul, AktuellAR 2013, 474 ff.
231
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Wenn man schon, was diesseits abgelehnt wird, einen Anspruch auf Überlassung von Kündigungen zur Sicherung der Beteiligungsrechte aus §§ 111, 112 BetrVG, 17 Abs. 2 KSchG anerkennt, erscheint dieser Begründungsansatz nicht zwingend. Er begünstigt jedenfalls den Arbeitgeber, der offenkundig Beteiligungsrechte aus § 17 Abs. 2 KSchG missachtet. (Ga)
3.
Neue Rechtsprechung zur Kennzeichnung des Betriebsübergangs
a)
Vorliegen einer organisatorischen Einheit beim Veräußerer
In seinem Urteil vom 6.3.201410 hat der EuGH noch einmal bestätigt, dass die Anwendbarkeit der durch Richtlinie 2001/23/EG zum Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang entwickelten Grundsätze an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die jeweils in Rede stehende Einheit bereits vor dem streitigen Übertragungsvorgang über eine ausreichende funktionelle Autonomie verfügen muss. Ist dies nicht der Fall, liegt kein Übergang i. S. d. Richtlinie vor. Allerdings bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, auf nationaler Ebene Regelungen zu treffen, die auch dann den Eintritt des Erwerbers in die Arbeitsverhältnisse des Veräußerers vorsehen, wenn vor dem Übergang keine funktionell selbständige wirtschaftliche Einheit beim Veräußerer bestanden hat. Dies folge bereits aus Art. 8 Richtlinie 2001/23/EG, der bestimme, dass dieser nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten einschränke, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Hiervon hat beispielsweise England mit seinen TUPEE-Regelungen Gebrauch gemacht. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um die Frage, ob die bei der Telecom Italia geschaffene Sparte IT Operations im Wege einer Sacheinlage auf ein Tochterunternehmen übertragen worden war. Der Kläger machte geltend, dass dieser Übertragungsvorgang nicht zu einem gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses geführt habe. Denn die Sparte IT Operations habe vor der Durchführung der Sacheinlage nicht als funktionell selbständige Unterabteilung in der Struktur von Telecom Italia bestanden. Dabei verwies er im Wesentlichen auf den Umstand, dass Arbeitnehmer der Sparte IT Operations stets auch mit Arbeitnehmern anderer Sparten zusammengearbeitet hatten. Darüber hinaus habe eine Unterabteilung der Sparte IT Operations im Anschluss an die Vornahme der Sacheinlage innerhalb der Tochtergesellschaft 10 C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 32 - Amatori.
232
Neue Rechtsprechung zur Kennzeichnung des Betriebsübergangs
noch weiterhin Anweisungen von Telecom Italia als Muttergesellschaft erhalten. Auch dies stünde der Annahme eines Betriebsteilübergangs entgegen. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG liegt ein Übergang i. S. d. Richtlinie vor, wenn die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Arbeitgeber ihre Identität bewahrt11. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 6.3.201412 klarstellt, muss es bei diesem Übergang um eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handele es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck. Damit die Richtlinie zur Anwendung komme, müsse die wirtschaftliche Einheit also vor dem Übergang insbesondere über eine ausreichende funktionelle Autonomie verfügen, wobei sich der Begriff Autonomie auf die Befugnis beziehe, die der Leitung der betreffenden Gruppe von Arbeitnehmern eingeräumt sei, um die Arbeit dieser Gruppe relativ frei und unabhängig zu organisieren und insbesondere Weisungen zu erteilen und Aufgaben auf die zu dieser Gruppe gehörenden untergeordneten Arbeitnehmer zu verteilen, ohne dass andere Organisationsstrukturen des Arbeitgebers dabei zwischengeschaltet sind13. Dieses Erfordernis einer vor dem Übergang bestehenden Einheit sieht der EuGH zu Recht durch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 und 4 Richtlinie 2001/23/EG bestätigt, wonach die Richtlinie auf jeden Übergang anwendbar sein soll, der den Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG entspricht, unabhängig davon, ob die übergegangene wirtschaftliche Einheit ihre Selbständigkeit innerhalb der Struktur des Erwerbers behält oder nicht. Die Verwendung des Wortes „behält“ impliziere, dass die Autonomie der übertragenen Einheit in jedem Fall vor dem Übergang bestanden haben müsse14. Etwas anderes gilt nur dann, wenn auf nationaler Ebene eine über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinausgehende Regelung zur Kennzeichnung eines rechtsgeschäftlichen Betriebs- oder Betriebsteilübergangs getroffen wird. Dass der übertragende Rechtsträger im Anschluss an den Betriebs- oder Betriebsteilübergang Weisungen in Bezug auf die Geschäftsführung des übernehmenden Rechtsträgers erteilen kann, steht der Annahme von § 613 a 11 12 13 14
Vgl. EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 60 – Scattolon. C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 31 ff. – Amatori. Ebenso EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 51 - Scattolon. EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 34 – Amatori.
233
Betriebsänderung und Betriebsübergang
BGB nicht entgegen. Auch dies macht der EuGH deutlich. Zunächst – so der EuGH – gehe aus keiner Bestimmung der Richtlinie 2001/23/EG hervor, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, dass die Unabhängigkeit des Erwerbers gegenüber dem Veräußerer Bedingung für die Anwendung der Richtlinie sei. Im Übrigen habe der EuGH bereits bei früherer Gelegenheit klargestellt, dass die Richtlinie auch auf einen Übergang zwischen zwei Tochtergesellschaften desselben Konzerns, die gesonderte juristische Personen darstellen, anwendbar sein könne, wenn die sonstigen in ihr aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien. Der Umstand, dass die betreffende Gesellschaft nicht nur denselben Eigentümer sondern auch dasselbe Management und dieselben Räumlichkeiten besäßen und an demselben Vorhaben arbeiteten, sei in diesem Zusammenhang unerheblich15.
b)
Betriebsübergang durch Übernahme von Leiharbeitnehmern
In seinem Urteil vom 21.10.201016 hat der EuGH die These vertreten, dass bei dem Übergang eines konzernangehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, die Richtlinie 2001/23/EG zur Anwendung kommen kann, wenn Arbeitnehmer, die dem bisherigen Betriebsinhaber von einem anderen Konzernunternehmen dauerhaft im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zur Verfügung gestellt wurden, von dem Unternehmen eingestellt würden, das die für die bisherige Tätigkeit wesentlichen Betriebsmittel im Wege eines rechtsgeschäftlichen Übertragungsvorgangs übernommen hat. Dass die Leiharbeitnehmer nicht durch einen Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Betriebsinhaber verbunden gewesen seien, stehe dem Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergang nicht entgegen17. In seinem Urteil vom 15.5.201318 hatte der 7. Senat des BAG noch offen gelassen, ob wegen dieser Rechtsprechung eine veränderte Auslegung und Anwendung von § 613 a BGB geboten sei. Denn nach dem bisherigen Verständnis von § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB sind nur solche Arbeitnehmer von dem rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs- oder Betriebsteilübergang betroffen, die beim bisherigen Betriebsinhaber als Arbeitnehmer ange15 EuGH v. 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423 Rz. 47 f. - Amatori; EuGH v. 2.12.1999 – C-234/98, NZA 2000, 587 Rz. 17 – Allen. 16 C-242/09, NZA 2010, 1225 Rz. 32 – Albron Catering. 17 Hierzu vgl. B. Gaul/Ludwig, DB 2011, 298 ff.; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, BGB § 613 a Rz. 225; ErfK/Preis, BGB § 613 a Rz. 67. 18 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214 Rz. 37.
234
Betriebsübergang durch Übernahme von Leiharbeitnehmern
stellt sind. Leiharbeitnehmer, die in diesem Betrieb eingesetzt werden, werden bislang vom Anwendungsbereich des § 613 a BGB bei einem Übergang des Entleiherbetriebs nicht erfasst19. Das Urteil des 8. Senats des BAG vom 12.12.201320 macht deutlich, das losgelöst von der Kennzeichnung des persönlichen Anwendungsbereichs die Übernahme von Leiharbeitnehmern jedenfalls aus sich heraus nicht ohne weiteres einen rechtsgeschäftlichen Betriebs- oder Betriebsteilübergang darstellen kann. Zum einen setzt dies voraus, dass die Leiharbeitnehmer bereits vor dem in Rede stehenden Übertragungsvorgang eine selbständige abtrennbare organisatorische Einheit gebildet haben, der die Qualität eines Betriebsteils zuerkannt werden kann. Zum anderen muss in der Übernahme der Leiharbeitnehmer auch die rechtsgeschäftliche Übertragung der für die ausgeübte Tätigkeit wesentlichen Ressourcen zu sehen sein. Dies ist allein durch die Übernahme von Arbeitnehmern nur dann der Fall, wenn eine betriebsmittelarme Tätigkeit in Rede steht. In dem zugrunde liegenden Fall hat der 8. Senat des BAG bereits das Vorliegen einer organisatorischen Einheit auf Veräußererseite abgelehnt. Kennzeichnend für Leiharbeitsunternehmen sei im Allgemeinen das Fehlen einer eigenen Betriebsorganisation, nach der in einem solchen Unternehmen verschiedene entsprechend der Organisation des Veräußerers abtrennbare wirtschaftliche Einheiten bestimmt werden könnten. In diesem Zusammenhang sei zu prüfen, ob die vom Veräußerer übertragenen Betriebsmittel bei ihm eine einsatzbereite Gesamtheit dargestellt hätten, die als solche dazu ausgereicht habe, die für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens charakteristischen Dienstleistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel oder anderer Unternehmensteile erbringen zu können21. Insoweit sei die Tätigkeit von Leiharbeitsunternehmen dadurch gekennzeichnet, dass sie entleihenden Unternehmen Arbeitnehmer vorübergehend zur Verfügung stellten, damit diese dort verschiedene Aufgaben entsprechend den Bedürfnissen und nach Anweisung des Entleihunternehmens wahrnähmen. Die Ausübung solcher Tätigkeiten erfordere insbesondere Fachkenntnisse, eine geeignete Verwaltungsstruktur zur Organisation des Verleihens der Arbeitnehmer und eine Gesamtheit von Leiharbeitnehmern, die sich in die entleihenden Unternehmen integrieren und für diese die geforderten Aufgaben
19 B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 10 Rz. 10; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, BGB § 613 a Rz. 225. 20 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 13 ff. 21 BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 16 f.; EuGH v. 13.9.2007 – C-458/05, NZA 2007, 1151 Rz. 33 f. – Jouini.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
wahrnehmen könnten. Dagegen seien weitere bedeutende Betriebsmittel für die Ausübung der in Rede stehenden wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht notwendig. Im Gegenteil: Für das Vorliegen einer übertragungsfähigen wirtschaftlichen Einheit müsse hinzukommen, dass die in Rede stehende Gruppe von Leiharbeitnehmern ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und ohne Inanspruchnahme anderer Teile des Veräußerers einsatzbereit sei22. Hiervon war vorliegend nicht auszugehen. Denn die Beklagte hatte zwar 14 der 16 Leiharbeitnehmer übernommen. Ohne das bei dem bisherigen Verleiher vorhandene Verwaltungspersonal waren diese Arbeitnehmer allerdings nicht einsatzfähig. Dies galt umso mehr, als der bisherige Verleiher zur Steuerung der Leiharbeitnehmer Arbeitnehmer eines anderen Unternehmens eingesetzt hatte, also selbst gar nicht in der Lage war, die in Rede stehenden Leiharbeitnehmer als eigenständige organisatorisch abgrenzbare Einheit zu steuern. (Ga)
4.
Ausgrenzung von Betriebszugehörigkeitszeiten beim Veräußerer bei Eingruppierung nach Betriebsübergang
Bereits in seinem Urteil vom 6.9.201123 hatte der EuGH zwar bestätigt, dass der Übergang eines Arbeitsverhältnisses im Anwendungsbereich der Richtlinie zum Betriebsübergang durchaus zur Folge haben könne, dass der bislang beim übertragenen Rechtsträger geltende Tarifvertrag durch einen beim übernehmenden Rechtsträger geltenden Tarifvertrag ersetzt werde. Die Entscheidung, die für die übergegangenen Arbeitnehmer nach den beim Veräußerer geltenden Tarifvertrag vorgesehenen Arbeitsbedingungen mit sofortiger Wirkung durch Arbeitsbedingungen zu ersetzen, die in dem beim Erwerber geltenden Tarifvertrag vorgesehen sind, dürfe aber nicht zum Ziel oder zur Folge haben, dass diesen Arbeitnehmern insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen als die vor dem Übergang geltenden auferlegt würden. Andernfalls könnte die Verwirklichung des mit der Richtlinie 77/187/EWG (heute: Richtlinie 2001/23/EG) verfolgten Ziels in jedem durch Kollektivverträge geregelten Bereich leicht in Frage gestellt werden, was die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen würde.
22 BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436 Rz. 20; EuGH v. 13.9.2007 – C458/05, NZA 2007, 1151 Rz. 37 f. – Jouini. 23 C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 76 ff. – Scattolon.
236
Ausgrenzung von Betriebszugehörigkeitszeiten beim Veräußerer
Unerheblich ist dabei, welche Kriterien für die Festsetzung der Vergütung nach den beim Erwerber geltenden Tarifverträgen die entsprechende Minderung des Vergütungsanspruchs zur Folge haben. Insofern müssen die vorgenannten Schranken auch dann berücksichtigt werden, wenn die beim Veräußerer erbrachte Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Festsetzung der Vergütung durch Eingruppierung in die beim Erwerber geltenden Tarifverträge nicht bzw. nicht vollständig berücksichtigt wird. Denn auch insoweit liefe es dem Ziel der Richtlinie zum Betriebsübergang entgegen, wenn die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht jedenfalls in dem Maße berücksichtigt würde, wie es erforderlich wäre, um die Höhe des von den betroffenen Arbeitnehmern bezogenen Arbeitsentgelt in etwa beizubehalten24. Auf diesen Gestaltungsspielraum hat auch das BAG in seinem Urteil vom 12.98.201325 hingewiesen. Damit hat es auch vom Grundsatz her bestätigt, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht zwingend und ohne Einschränkung bei der Festsetzung der Vergütungshöhe nach Maßgabe der beim Erwerber geltenden Tarifverträge nicht oder nicht vollständig berücksichtigt wird. Wenn der Erwerber eines Betriebs- oder Betriebsteils eine entsprechende Gestaltungsmöglichkeit nutzen will, sind allerdings im Wesentlichen zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zunächst einmal muss der beim Erwerber geltende Tarifvertrag hinreichend deutlich machen, dass die dort im Zweifel für Neueinstellungen geltenden Regelungen auch auf solche Arbeitnehmer zur Anwendung kommen sollen, deren Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes (§ 613 a BGB) übernommen wird. Angesichts des gesetzlichen Schriftformgebots kommt es hier ganz wesentlich auf den Wortlaut und die Systematik des Tarifvertrags an. Darüber hinaus müssen die Tarifvertragsparteien allerdings auch sicher stellen, dass die Beschäftigungszeit beim Betriebsveräußerer nur dann und insoweit nicht berücksichtigt wird, als der Arbeitnehmer beim Betriebserwerber keine Verschlechterung seiner Vergütung hinnehmen muss. Darauf hat das BAG im Urteil vom 12.9.201326 ausdrücklich hingewiesen. (Ga)
24 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077 Rz. 81 – Scattolon. 25 6 AZR 512/12, NZA-RR 2014, 154 Rz. 44 ff. 26 6 AZR 512/12, NZA-RR 2014, 154 Rz. 41 ff.
237
Betriebsänderung und Betriebsübergang
5.
Betriebsübergang: Fortgeltung einer tariflichen Vergütungsordnung trotz fehlender Tarifbindung des Erwerbers
In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern ist der Arbeitgeber gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, den Betriebsrat um Zustimmung zu einer beabsichtigten Ein- oder Umgruppierung zu bitten. Eine Verweigerung der Zustimmung kann nur aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründen erfolgen. Voraussetzung für eine entsprechende Ein- oder Umgruppierung ist, dass im Betrieb eine Vergütungsordnung besteht. Eine Vergütungsordnung i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG ist – so das BAG – ein kollektives und mindestens zwei Vergütungsgruppen enthaltendes Entgeltschema, das eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer der Vergütungsgruppen nach bestimmten generell beschriebenen Merkmalen vorsieht. Wie das BAG mit seinem Beschluss vom 14.8.201327 unter Berücksichtigung seiner Feststellungen im Urteil vom 8.12.200928 deutlich gemacht hat, kann eine beim übertragenen Rechtsträger bereits bestehende Vergütungsordnung im Anschluss an den Übergang eines Betriebs gemäß § 613 a BGB auch durch den übernehmenden Rechtsträger zu berücksichtigen sein. Dies gilt selbst dann, wenn die Vergütungsordnung beim Veräußerer durch einen Tarifvertrag bestimmt wurde, der mangels Tarifbindung des Erwerbers im Anschluss an den Betriebsübergang keine unmittelbare und zwingende Wirkung mehr hat, sondern an sich nur als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgilt (§ 613 a Abs. 1 S. 2 BGB). In dem zugrunde liegenden Fall galten beim Veräußerer die Tarifverträge der Metallindustrie in ihrer jeweiligen Fassung. Dies beinhaltete auch das Gehaltsrahmenabkommen für die Eisen- Metall- und Elektroindustrie NRZ sowie das für diese Branche geltende Gehaltsabkommen über die Tarifgehälter in der Eisen- Metall- und Elektroindustrie NRW. Eine gesetzliche Tarifbindung des Arbeitgebers bestand nicht. Nachdem die Beklagte einen Betriebsteil übernommen und fortgeführt hatte, stellte sich im Zusammenhang mit personellen Veränderungen die Frage, ob der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG um Zustimmung zur Eingruppierung eines neu eingestellten Arbeitnehmers sowie um Zustimmung zur Umgruppierung eines bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmers als Folge einer 27 7 ABR 56/11, DB 2014, 308 Rz. 26 ff. 28 1 ABR 66/08, NZA 2010, 404 Rz. 22.
238
Betriebsübergang: Fortgeltung einer tariflichen Vergütungsordnung
Versetzung gebeten werden musste. Der 7. Senat des BAG hat ein solches Erfordernis im Beschluss vom 14.8.201329 angenommen. Nach den Feststellungen des BAG bestand als Folge der gesetzlichen Tarifbindung des übertragenden Rechtsträgers eine kollektive betriebliche Vergütungsordnung, auf deren Grundlage Ein- bzw. Umgruppierungen erfolgen konnten. An der betriebsverfassungsrechtlichen Geltung der Vergütungsordnung habe sich durch den Betriebsteilübergang nichts geändert. Gehe – so das BAG – ein Betrieb oder Betriebsteil unter Wahrung seiner bisherigen Identität durch Rechtsgeschäft auf einen Betriebserwerber über, trete dieser betriebsverfassungsrechtlich an die Stelle des früheren Betriebsinhabers. Mit dem vom BetrVG verwandten Begriff des Arbeitgebers werde der jeweilige Inhaber des Betriebs als Organ der Betriebsverfassung bezeichnet. Der neue Betriebsinhaber sei daher zur Fortführung einer im Betrieb bzw. Betriebsteil bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet. Das gelte jedenfalls dann, wenn die Fortführung in einem neuen Betrieb oder als neuer Betrieb fortgeführten Betriebsteil ohne wesentliche Änderung der bestehenden Organisation erfolge30. In einer solchen Fortgeltung der bisherigen Vergütungsordnung sieht das BAG auch keinen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3, 14 Abs. 1 GG. Dies gelte schon deshalb, weil aus der betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht des Arbeitgebers zur Ein- bzw. Umgruppierung in diese Vergütungsordnung nicht zwingend ein mit dieser Ein- bzw. Umgruppierung korrespondierender Anspruch des Arbeitnehmers verknüpft sei. Vielmehr könne der Betriebsteilerwerber frei entscheiden, ob er Anpassungen in Bezug auf die Vergütung vornehme. Zum einen sei er berechtigt, unter Fortführung der Systematik dieser Vergütungsordnung eine prozentual jeweils gleiche Absenkung des Vergütungsniveaus vorzunehmen. Eine solche Absenkung lässt das System fortbestehen, so dass nicht einmal Beteiligungsrechte des Betriebsrats in Bezug auf eine Änderung der Vergütungsordnung gegeben sind. Wenn der Arbeitgeber allerdings Veränderungen in Bezug auf die Systematik der Vergütungsordnung vornehmen will, so bedarf dies einer Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Im Anschluss daran kann dann eine Ein- bzw. Umgruppierung in die geänderte Vergütungsordnung erfolgen. Fehlt diese Zustimmung, ist die vereinbarte Abweichung von der durch den früher geltenden Tarifvertrag geschaffenen Vergütungsordnung trotz fehlender Tarifbindung des Erwerbers unwirksam. 29 7 ABR 56/11, DB 2014, 308 Rz. 14 ff., 23 ff. 30 BAG v. 14.8.2013 – 7 ABR 56/11, DB 2014, 308 Rz. 26; BAG v. 8.12.2009 – 1 ABR 66/08 Rz. 22, 25.
239
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Mit der vorstehenden Systematik begründet das BAG schlussendlich eine Tarifbindung im Anschluss an einen Betriebsübergang, obwohl der Erwerber selbst nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist oder die Bindung an einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag vorliegt. Nur durch prozentual gleichbleibende Veränderungen in Bezug auf sämtliche Vergütungsbestandteile oder durch die Zustimmung des Betriebsrats besteht für den Erwerber die Möglichkeit, bei Neueinstellungen oder Versetzungen mit Entgeltrelevanz, Veränderungen in Bezug auf die Vergütung vorzunehmen. Dies erscheint fragwürdig. Insbesondere dann, wenn man sich vor Augen führt, dass mangels Tarifgebundenheit des Erwerbers ein tarifrechtlicher Anspruch auf diese Vergütung nicht besteht. Ungeachtet dieser nicht in Gänze überzeugenden Bewertung durch das BAG ist es für die betriebliche Praxis überaus wichtig, diese Rechtsfolge im Anschluss an einen Betriebsübergang zu beachten. Andernfalls besteht das Risiko, dass hiervon abweichende Vereinbarungen auch mit Neueinstellungen mangels Zustimmung des Betriebsrats unwirksam sind, was entsprechende Zahlungsansprüche der hiervon betroffenen Arbeitnehmer zur Folge hat. (Ga)
6.
Verzicht auf einen tariflichen Anspruch im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang
In seinem Urteil vom 12.2.201431 hat der 4. Senat des BAG unter Verweis auf seine Entscheidung vom 22.4.200932 noch einmal deutlich gemacht, dass die vor dem Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB kraft Gesetzes geltenden Regelungen eines Tarifvertrags im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses Bestandteil des Arbeitsverhältnisses werden und dort unter Beibehaltung ihres kollektiv-rechtlichen Charakters fortgelten. Darauf muss auch bei der Formulierung von Unterrichtungsschreiben gemäß § 613 a Abs. 5 BGB geachtet werden. Denn es kommt insofern zu einem Übergang kollektiv-rechtlicher Regelungen, die auch im Anschluss daran nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags werden, also auch keine individualrechtliche Natur erlangen. Dies folgt aus § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB. Ausnahmen hiervon sind nur im Rahmen von § 613 a Abs. 1 S. 3, 4 BGB denkbar.
31 4 AZR 317/12, (n.v.). 32 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41Rz. 61.
240
Verzicht auf einen tariflichen Anspruch
Konsequenz dieser Rechtsnatur tarifvertraglicher Ansprüche im Anschluss an einen Betriebsübergang ist, dass ein Arbeitnehmer auf einzelvertraglicher Ebene auf einen bereits entstandenen tarifvertraglichen Anspruch weder durch Erklärung gegenüber dem bisherigen Betriebsinhaber noch durch Erklärung gegenüber dem Betriebserwerber verzichten kann. Ein solcher Verzicht verstößt gegen § 4 Abs. 4 S. 1 TVG und ist deshalb nichtig33. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Insolvenzverwalter den Betrieb, in dem die Klägerin beschäftigt war, zum 1.12.2009 an den Beklagten veräußert. Um dem Beklagten wirtschaftlich die Übernahme des Betriebs zu erleichtern, hatte der Insolvenzverwalter in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Arbeitnehmer veranlasst, „unwiderruflich … auf 11/12 (Monate Januar – November) der … für das Jahr 2009 gemäß der tarifvertraglichen Bestimmungen zustehenden Jahressonderzahlung“ zu verzichten. Eine entsprechende Verzichtserklärung wurde im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Beklagten abgegeben. Zu Recht ist das BAG von einer Unwirksamkeit dieses Verzichts ausgegangen. Die Unwirksamkeit folgt – wie ausgeführt – bereits aus § 4 Abs. 4 S. 1 TVG, sofern nicht die Tarifvertragsparteien einer entsprechenden Vereinbarung zugestimmt haben. Sofern eine entsprechende Vereinbarung mit dem Erwerber getroffen wird, wird man sie darüber hinaus mit § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB begründen können. Entgegen der Auffassung des Beklagten handelte es sich bei den hier in Rede stehenden Vereinbarungen auch nicht um einen sog. Tatsachenvergleich, auf den § 4 Abs. 4 S. 1 TVG keine Anwendung fände. Um einen Tatsachenvergleich handele es sich – so das BAG – nur, wenn eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden solle34. Bei Abschluss der hier getroffenen Vereinbarungen bestand indes kein Streit über die tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf die Jahressonderzahlung für 2009. Vielmehr sollte nach dem Inhalt der Verzichtserklärungen auf eine unstreitig entstandene Forderung „verzichtet“ werden. Konsequenz der Unwirksamkeit des Verzichts war, dass diese Ansprüche ungekürzt gegenüber dem Erwerber geltend gemacht werden können. Denn dieser ist in die Arbeitsverhältnisse eingetreten (§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB). (Ga)
33 BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, (n.v.) Rz. 18, 21 ff. 34 BAG v. 12.2.2014 – 4 AZR 317/12, (n.v.) Rz. 19; BAG v. 9.12.2009 – 10 AZR 850/08, AP Nr 318 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau Rz. 41.
241
Betriebsänderung und Betriebsübergang
7.
Neues zur Unterrichtungspflicht und zum Widerspruchsrecht nach § 613 a Abs. 5, 6 BGB
a)
Kennzeichnung des Erwerbers bei der Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB
Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber eines Betriebs- oder Betriebsteils hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über: 1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
Mit dieser Unterrichtung soll der vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses betroffene Arbeitnehmer – so das BAG – eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchrechts erhalten. Insofern müssen Veräußerer und/oder Erwerber den Arbeitnehmer so informieren, dass dieser sich über die Person des Übernehmers und die in § 613 a Abs. 5 BGB genannten Umstände ein „Bild machen könne“. In jedem Fall soll dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet werden, sich weitergehend zu erkundigen und ggf. beraten zu lassen, um dann auf dieser Grundlage über einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden35. Wir haben bereits bei früherer Gelegenheit eingehend über die inhaltlichen Vorgaben der Unterrichtungspflicht und die Risiken ihrer Nichtbeachtung berichtet36. In seinem Urteil vom 14.11.201337 hat der 8. Senat des BAG deutlich gemacht, dass die Unterrichtungspflicht nach § 613 a Abs. 5 BGB auch eine ordnungsgemäße Information über die Person des Betriebserwerbers beinhalten muss. Soweit hierbei auf die im Handelsregister eingetragenen Tatsachen verwiesen werden sollte, müssten die Firma des Betriebserwerbers, das zuständige Handelsregister und die dem Betriebserwerber betreffende 35 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, DB 2014, 901 Rz. 19; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 23. 36 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2010, 240 ff.; 2011, 247 ff.; 2012, 229 ff.; 2013, 642 ff. 37 8 AZR 824/12, DB 2014 Rz. 20 ff.
242
Neues zur Unterrichtungspflicht und zum Widerspruchsrecht nach § 613 a Abs. 5, 6 BGB
Nummer des Handelsregisters fehlerfrei angegeben werden. Denn die Identität der Betriebserwerberin müsse sich auf dieser Grundlage unmittelbar durch Einsichtnahme in das Handelsregister ergeben. Diesen Anforderungen hatte die Beklagte nicht Rechnung getragen. Denn im Unterrichtungsschreiben war nicht nur ein falscher Geschäftsführer benannt worden. Vielmehr waren die Betriebserwerberin im Unterrichtungsschreiben nicht als solche genannt worden, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch unter einer anderen Firma im Markt aufgetreten war. Darüber hinaus ging aus dem Unterrichtungsschreiben weder das zuständige Handelsregister hervor, noch konnten daraus Kenntnisse über die eintragungspflichtigen Tatsachen in Bezug auf den Betriebserwerber gewonnen werden.
b)
Hinweis auf das Sozialplanprivileg nach § 112 a Abs. 2 BetrVG
Nach Auffassung des BAG im Urteil vom 14.11.201338 muss in einem Unterrichtungsschreiben nach § 613 a Abs. 5 BGB auch auf die Freiheit des Erwerbers von der Pflicht zum Sozialplan nach § 112 a Abs. 2 BetrVG hingewiesen werden. Dies war im konkreten Fall nicht erfolgt. Der Arbeitgeber habe – so das BAG – die Arbeitnehmer so zu informieren, dass sie sich über die Person des Übernehmers und über die in § 613 a Abs. 5 BGB genannten Umstände ein Bild machen könne. Dies gebiete eine Information des Arbeitnehmers auch über die mittelbaren Folgen eines Betriebsübergangs, wenn zwar bei diesen nicht direkt Positionen der Arbeitnehmer betroffen würden, die ökonomischen Rahmenbedingungen des Betriebsübergangs jedoch zu einer so gravierenden Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bei dem neuen Betriebsinhaber führten, dass dies als ein wesentliches Kriterium für einen möglichen Widerspruch der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse anzusehen sei39. Zu den wirtschaftlichen Folgen i. S. d. § 613 a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehörten – so das BAG – auch solche Veränderungen, die sich nicht als rechtliche Folgen unmittelbar den Bestimmungen des § 613 a Abs. 1 bis 4 BGB entnehmen ließen. „Maßnahmen“ i. S. v. § 613 a Abs. 5 Nr. 4 BGB seien deshalb auch alle durch den bisherigen oder neuen Betriebsinhaber geplanten erheblichen Änderungen der rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Situation der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer. Solche Maßnahmen 38 8 AZR 824/12, DB 2014, 901 Rz. 29 ff. 39 Ebenso bereits BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 Rz. 32.
243
Betriebsänderung und Betriebsübergang
seien frühestens dann in Aussicht genommen, wenn ein Stadium konkreter Planungen erreicht sei40. Soweit in der Literatur darauf hingewiesen werde, dass die Unterrichtungsdichte über die Folgen eines möglichen Widerspruchs schon nach dem Gesetzeswortlaut, jedenfalls aber auch nach der Ausgestaltung der europäischen Richtlinien geringer sein müsste als über die Folgen des Betriebsübergangs selbst41, sprächen diese Bedenken nicht dagegen, eine Sozialplanprivilegierung der Betriebserwerberin nach § 112 a Abs. 2 BetrVG zum Gegenstand der Informationspflicht nach § 613 a Abs. 5 Nr. 3 BGB zu machen. Die fehlende Sozialplanpflichtigkeit des Betriebserwerbers gewinne aufgrund von § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB sofort mit dem Betriebsübergang rechtliche Relevanz, nicht erst im Falle eines Widerspruchs des Arbeitnehmers. Darüber hinaus sei nicht über „Ansprüche“ zu informieren, deren Entstehung noch nicht absehbar sei, sondern über eine mit dem Betriebsübergang entstehende, veränderte rechtliche Situation: Im Falle einer Betriebsschließung könne der Betriebserwerber nicht in einen Sozialplan gezwungen werden und dies für einen bis zu vier Jahre dauernden Zeitraum. Diese rechtliche Veränderung trete als unmittelbare wirtschaftliche Folge des Betriebsübergangs wegen der Rechtssituation der Betriebserwerberin ein und berühre unmittelbar die Rechtsposition der übergehenden Arbeitsverhältnisse. Der Privilegierung des neuen Arbeitgebers entspreche reflexartig eine geminderte Rechtsposition der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse übergegangen seien. Diese Information sei wichtig für die Entscheidung der Arbeitnehmer, ob sie ihr Widerspruchsrecht ausüben wollten oder nicht. Dies gelte unabhängig davon, ob bereits eine sozialplanpflichtige Maßnahme geplant oder zumindest absehbar sei. Da sie von der Erwerberin auch unschwer über die Tatsache einer Sozialplanprivilegierung und ihre zeitliche Dauer informiert werden könnte, sei es auch nicht unverhältnismäßig, diese, für die unterrichteten Arbeitnehmer wichtige Information von den Unterrichtenden zu erwarten42. Die betriebliche Praxis wird sich auf diese weite Interpretation von § 613 a Abs. 5 Nr. 3 BGB einstellen müssen. Das Risiko, als Folge einer unterlassenen Unterrichtung über die Anwendbarkeit des Sozialplanprivilegs ist gerade dann hoch, wenn beim Erwerber in den zeitlichen Grenzen von § 112 a Abs. 2 BetrVG eine Betriebsänderung denkbar ist, die Nachteile für die vom
40 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, DB 2014, 901 Rz. 30; BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, NZA 2012, 584 Rz. 28, 30. 41 So Hohenstatt/Grau, NZA 2007, 13, 15 f.; Sagan, ZIP 2011, 1641, 1644 ff. 42 BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, DB 2014, 901 Rz. 31.
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Neues zur Unterrichtungspflicht und zum Widerspruchsrecht nach § 613 a Abs. 5, 6 BGB
Übergang betroffenen Arbeitnehmer auslösen kann. Denn gerade diese drohenden Nachteile können den Arbeitnehmer veranlassen, auch nach Ablauf der Monatsfrist dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Genügt die Unterrichtung nicht den Anforderungen des § 613 a Abs. 5 BGB, wird die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt43.
c)
Verwirkung des Widerspruchsrechts nach fehlerhafter Unterrichtung
Wie das BAG im Urteil vom 17.10.201344 noch einmal deutlich macht, kann das Widerspruchsrecht aber wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. Allerdings verfolge die Verwirkung nicht den Zweck, den Schuldner stets schon dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht habe (Zeitmoment). Vielmehr müsse der Berechtigte unter Umständen untätig geblieben sein und damit den Eindruck erwecken, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen dürfe, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Insgesamt muss also das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zugemutet werden könne. Zu Recht lehnt es der 8. Senat des BAG ab, hinsichtlich des Zeitmoments auf eine bestimmte Frist abzustellen. Entscheidend seien vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls. Auch sei die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Zeitmoment und Umstandsmoment beeinflussten sich wechselseitig, sie seien also bildhaft i. S. „kommunizierender Röhren“ miteinander verbunden. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände seien, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machten, desto schneller könne ein Anspruch verwirken. Umgekehrt gelte: Je mehr Zeit seit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs verstrichen sei und je länger der Arbeitnehmer bereits für den Erwerber gearbeitet habe, desto geringer seien die Anforderungen an das Umstandsmoment. Es müssten letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigten, die späte Geltendmachung des Rechts als mit
43 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, BB 2014, 1213 Rz. 23; BAG v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097 Rz. 27. 44 8 AZR 974/12, BB 2014, 1213 Rz. 25 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen45. Bereits aus diesen Feststellungen folgt, dass das Vorliegen einer Verwirkung jeweils einzelfallbezogen festgestellt werden muss. Für das Zeitmoment kann dabei auch eine Frist von sechs oder knapp fünf Monaten ausreichend sein, wenn in der Gesamtbetrachtung weitere, verstärkende Momente zu beachten sind. Hiervon ist das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung ausgegangen. In diesem Fall hatte der Kläger zunächst einmal den Betriebserwerber mit dem Ziel verklagt, seine Weiterbeschäftigung und ergänzende Ansprüche aus § 613 a BGB durchzusetzen. Im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens trafen die Parteien sodann folgenden Vergleich: 1. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass kein Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB vorliegt, dass das Arbeitsverhältnis demzufolge nicht auf die Beklagte übergegangen ist und auch sonst kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet wurde und somit nicht besteht. 2. Die Beklagte zahlt an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 45.000,00 … . … 3. In Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle etwaigen wechselseitigen finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien, gleich welcher Art und gleich, ob bei Abschluss dieses Vergleiches bekannt oder unbekannt, erledigt und ausgeglichen. Dem Kläger bleibt die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 613 a Abs. 5 und 6 BGB gegenüber der Firma E GmbH vorbehalten. …
Wenige Tage nach Abschluss dieses Vergleichs erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 6 BGB und machte geltend, dass sein Arbeitsverhältnis zum bisherigen Betriebsinhaber fortbestehe. Mit überzeugender Begründung hat das BAG angenommen, dass der Kläger durch sein vorangehendes Verhalten bereits das Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auch nach Ablauf der Monatsfrist widersprechen zu können, verwirkt hatte. Denn mit dem Vergleich hatte er über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses disponiert. Eine solche Disposition sei auch 45 BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, BB 2014, 1213 Rz. 27; BAG v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09, NZA-RR 2012, 507 Rz. 30; BAG v. 24.7.2008 – 8 AZR 175/07, AP Nr. 347 zu § 613 a BGB Rz. 27.
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Neues zur Unterrichtungspflicht und zum Widerspruchsrecht nach § 613 a Abs. 5, 6 BGB
darin zu sehen, dass der Arbeitnehmer mit dem Betriebserwerber bei tatsächlich gegebenem Betriebsübergang vereinbare, dass zwischen ihnen „nie ein Arbeitsverhältnis bestanden“ habe und weiter eine nicht näher bezeichnete Zahlung mit dem Betriebserwerber verabredet habe. Dass die Parteien im Rahmen des Prozessvergleichs festgestellt hatten, dass durch § 613 a BGB kein Arbeitsverhältnis zwischen ihnen begründet worden sei, stelle eine „unernste“ Vereinbarung dar, die nur zum Schein getroffen wurde. Denn diese Klausel sollte nur dem Zweck dienen, ein Umstandsmoment der Verwirkung zu vereiteln und den Kläger in die Lage versetzen, den Bestand seines Arbeitsverhältnisses ein weiteres Mal – diesmal gegen die Beklagte – geltend zu machen. Dies ließ auch der in Ziff. 3 des Vergleichs enthaltene Hinweis, dass das Recht, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, durch den Vergleich unberührt bliebe, erkennen. Wichtig in der betrieblichen Praxis ist allerdings, dass die hier in Rede stehende Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses kein zwingendes Kriterium ist, das für die Verwirklichung des Umstandsmoments gegeben sein muss. Vielmehr sind alle Verhaltensweisen des Arbeitnehmers im Anschluss an den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Dies hat zu Recht das LAG Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 5.12.201346 deutlich gemacht. Denn gerade dann, wenn das Zeitmoment in besonderes „krasser“ Weise erfüllt ist (hier: mehr als sechs/zwölf Jahre), sind an das Umstandsmoment der Verwirkung deutlich geringere Anforderungen zu stellen. Insofern kann auch eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Betriebserwerber, die einer veränderten Eingruppierung Rechnung trägt, nach viereinhalb Jahren einen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür bieten, dass der Arbeitnehmer den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber akzeptiert hat und keinen Widerspruch gemäß § 613 a Abs. 5 BGB mehr aussprechen wird. Die Disposition über das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung, Abschluss eines inhaltlich bedeutsamen Änderungsvertrags oder eines Aufhebungsvertrags oder eines Arbeitsvertrags mit einem neuen Arbeitgeber sei - so das LAG Schleswig-Holstein – zwar die eindeutigste, aber gleichwohl nur eine Möglichkeit, um das Umstandsmoment zu erfüllen. Das Umstandsmoment könne deshalb auch in anderer Art und Weise verwirklicht werden, so z. B. wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten erkennbar zum Ausdruck bringe, dass nach seinen Vorstellungen sein Arbeitsverhältnis
46 5 Sa 266/13 n. v.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
auf den Betriebserwerber übergegangen sei bzw. er den Betriebserwerber als neuen Arbeitgeber akzeptiere. Dabei sei auch zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer im Anschluss an die ursprüngliche Unterrichtung über den Betriebsübergang auf andere Art und Weise Kenntnis von den nach § 613 a Abs. 5 BGB erforderlichen Tatsachen erlange. Denn das in § 613 a Abs. 6 BGB normierte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers trage dem Grundgedanken Rechnung, dass mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie Entfaltung des Persönlichkeitsrechts und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2, 12 GG) unvereinbar sei, den Arbeitnehmer zu verpflichten, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt habe. Die ordnungsgemäße Unterrichtung biete ihm insoweit eine Entscheidungsgrundlage dafür, ob er von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen wolle oder nicht. Wenn er trotz zwischenzeitlich erlangter umfassender Kenntnis aller nach § 613 a Abs. 5 BGB erforderlichen Faktoren aber gegenüber dem Betriebserwerber jahrelang ein Verhalten zeige, als ob er diesen als neuen Arbeitgeber bedingungslos akzeptiere, habe dies eine Verwirkung seines Widerspruchsrechts zur Folge47. (Ga)
47 LAG Schleswig-Holstein v. 5.12.2013 – 5 Sa 266/13 n. v. (Rz. 52 ff.).
248
J.
1.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht Grundlegende Änderung in Bezug auf die Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten
Schon im Herbst hatten wir über die problematische Rechtsprechung des BSG zu der Befreiungsmöglichkeit von der Rentenversicherungspflicht bei berufsständischen Versorgungswerken berichtet1. Dabei ging es um drei Entscheidungen des BSG vom 31.10.20122, in denen die Feststellung getroffen wurde, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung jeweils nur auf die ihrer Erteilung zugrunde liegende „jeweilige“ Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt ist. Eine früher erteilte Befreiung entfalte bei einem Wechsel der Beschäftigung hinsichtlich des neuen Beschäftigungsverhältnisses auch dann keine Wirkung, wenn hierbei dieselbe oder eine vergleichbare berufliche Tätigkeit verrichtet werde3. In seinen Urteilen vom 3.4.20144, die derzeit allerdings erst als Pressemitteilung vorliegen, hat sich das BSG nun in drei weiteren Revisionsverfahren mit der Rentenversicherungspflicht von Unternehmensjuristen befasst und eine grundlegende Abkehr von der bisherigen Praxis der zuständigen Sozialversicherungsträger vorgenommen. Damit dürfte auch die Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung vom 10.1.2014 überholt sein. Vorbehaltlich möglicher Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes haben die aktuellen Urteile eine weitgehende Herausnahme der Unternehmensjuristen aus der bisherigen Einbindung in das anwaltliche Versorgungswerk zur Folge, die mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Syndici verbunden ist. Erste Vergleiche haben gezeigt, dass die Altersversorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung bei gleichen Beiträgen zum Teil bei 50 bis 60 % der Leistungen des Rechtsanwaltsversorgungswerks liegt. Diese Nachteile dürften sich auch auf Neuein-
1 2 3 4
B. Gaul, AktuellAR 2013, 651 ff. B 12 R 5/10 R, NJW 2013, 1628 ff.; B 12 R 3/11 R, NJW 2013, 1624 ff.; B 12 R 8/10 R, NJW 2013, 1901 ff. Vgl. hierzu Leßmann/Hermann, DB 2014, 836 ff. B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R; B 5 RE 3/14 R. alle n. v.
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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
stellungen oder etwaige Versetzungen in diesem Bereich auswirken, falls erst damit die Verschlechterung ausgelöst wird. Darüber hinaus können die Entscheidungen des BSG aber auch für die Unternehmen erhebliche finanzielle Belastungen nach sich ziehen. Gemäß § 28 e SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Kann er die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeitragen an die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht mit einem entsprechenden aktuellen Befreiungsbescheid begründen, müssen die bislang nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge nachentrichtet werden. Eine anteilige „Schadloshaltung“ beim Arbeitnehmer ist nur in den Grenzen der nächsten drei Lohn- oder Gehaltszahlungen möglich (§ 28 g S. 2, 3 SGB IV). Zusätzlich können etwaige Säumniszuschläge für jeden angefangenen Monat der Säumnis in Höhe von 10 % des rückständigen Betrags zu zahlen sein. Jede Entscheidung über das weitere Vorgehen muss diese Folgen beachten.
a)
Sachverhalte
Im Kern hatte der 5. Senat über die Frage zu entscheiden, ob abhängig beschäftigte Rechtsanwälte in Unternehmen (sog. Syndikusanwälte) gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sind. Im Rahmen des Verfahrens B 5 RE 13/14 R war die Klägerin seit Februar 2000 als „juristische Mitarbeiterin“ in der Rechtsabteilung eines Beratungsunternehmens für betriebliche Altersversorgung und Vergütung gegen Entgelt tätig. Anfang 2009 übernahm sie Aufgaben einer Kollegin, die als Rechtsanwältin zugelassen war. Da sich die Firmenpolitik der Arbeitgeberin dahingehend geändert hatte, dass sich alle in der Rechtsabteilung tätigen Volljuristen zur Rechtsanwaltschaft zulassen sollten, beantragte die Klägerin erfolgreich ihre Rechtsanwaltszulassung. Gleichzeitig wurde sie kraft landesrechtlicher Regelungen Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen. Befreiungsantrag, Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das LSG Nordrhein-Westfalen5 meinte, die Klägerin sei nicht „wegen“ ihrer Beschäftigung als „juristische Mitarbeiterin“ kraft Gesetzes Mitglied der RAK. Vielmehr stütze sie ihr Befreiungsbegehren auf eine „Pro-forma-Zulassung“, was nach Ansicht des Gerichts gegen „Treu und Glauben“ und das „Verbot widersprüchlichen Verhaltens“ verstoße.
5
L 18 R 170/12 n. v.
250
Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten
In dem Verfahren B 5 RE 9/14 R war der Kläger seit Februar 2008 Pflichtmitglied der RAK und des Versorgungswerks der Rechtsanwälte BadenWürttemberg. Im Oktober 2008 nahm er eine zeitlich befristete Tätigkeit als Volljurist/Mitarbeiter bei einem Reiseversicherungsunternehmen auf, für die ihn die Beklagte, die DRV Bund, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreite. Ab Juni 2009 wechselte er firmenintern in die Funktion des „Vorstandsreferenten“, wofür nach der Stellenausschreibung „ein erfolgreich abgeschlossenes Studium und mehrere Jahre Berufserfahrung“ erforderlich waren. Daneben übernahm er die Funktion des „Compliance-Beauftragten“. Seinen Befreiungsantrag lehnte die Beklagte ab, weil die Beschäftigung als Vorstandsreferent keine Befähigung zum Richteramt erfordere und die Beschäftigung als Jurist/ComplianceBeauftragter nicht zwingend von einem Rechtsanwalt ausgeübt werden müsse. Während die Klage erfolglos blieb, hat das LSG Baden-Württemberg6 das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 30.6.2012 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Dem ist die DRV Bund nicht gefolgt. Nach ihrer Auffassung sei ein Zusammenhang zwischen der Berufszulassung und der zu befreienden Tätigkeit positiv festzustellen. Die Beschäftigung müsse objektiv dem typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden Hochschulabschluss geprägten Berufsbild entsprechen, was sich bei Rechtsanwälten nach der Vier-Kriterien-Theorie bestimme. In dem dritten Verfahren (B 5 RE 3/14 R), über das das BSG zu entscheiden hatte, bewarb sich der Kläger erfolgreich auf die Stelle eines „Juristen mit abgeschlossenem Studium der Rechtswissenschaften mit Prädikatsexamen und Schwerpunkt Arbeitsrecht“ und war in dieser Funktion ab März 2010 in der Abteilung „Concepts and Coordination Benefits“ eines großen Chemieunternehmens tätig. Anfang Juli 2010 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen und gleichzeitig Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte Baden-Württemberg. Seinen Befreiungsantrag lehnte die Beklagte ab, weil nach der Stellenausschreibung die Befähigung zum Richteramt nicht unabdingbare Einstellungsvoraussetzung gewesen sei. Das SG Mannheim7 hat der Klage nach Zeugenvernehmung stattgegeben, weil die vier Kriterien für eine Anwaltstätigkeit vorlägen. Das LSG Baden-
6 7
L 11 R 2182/11, NZS 2013, 462 ff. S 6 R 2711/11 n. v.
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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
Württemberg8 hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht als „Syndikus“-Rechtsanwalt, sondern nur als „Jurist“ eingestellt worden sei. Der Kläger ist dieser Argumentationslinie nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung sollten die „Vier-Kriterien“ für den Befreiungsanspruch jedenfalls nicht kumulativ erfüllt sein. In allen drei Verfahren hatte die beklagte DRV Bund die Befreiung mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin und die Kläger in ihren jeweiligen Beschäftigungen keine anwaltliche Tätigkeit ausübten. Während das LSG Nordrhein-Westfalen die Ansicht vertrat, dass die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber generell keine befreiungsfähige Rechtsanwaltstätigkeit sei, hielt der 2. Senat des LSG BadenWürttemberg die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis für zulässig und grundsätzlich befreiungsfähig. Voraussetzung sei lediglich, dass die jeweils zu beurteilende Tätigkeit kumulativ die Merkmale der Rechtsberatung, -entscheidung, -gestaltung und vermittlung (sog. „Vier-Kriterien-Theorie“) erfüllen muss. Der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg hielt einen Befreiungsanspruch indes schon dann für gegeben, wenn die jeweilige Beschäftigung weder die Versagung oder Rücknahme der Rechtsanwaltszulassung noch ihren Widerruf rechtfertige.
b)
Gründe der Entscheidung nach Maßgabe der Pressemitteilung
Der 5. Senat des BSG hat nun auf Grundlage dieser drei Verfahren ein Befreiungsrecht für Syndikusanwälte verneint. Die Klägerin und die Kläger seien jeweils abhängig beschäftigt und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI). Gleichzeitig seien sie aufgrund der die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindenden Verwaltungsakte über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sowohl in der jeweiligen Rechtsanwaltskammer (§ 12 Abs. 3, § 60 Abs. 1 S. 2 BRAO) als auch im jeweiligen berufsständischen Versorgungswerk Pflichtmitglieder. Entscheidend war für den 5. Senat, dass die Klägerin und die Kläger jedoch nicht „wegen der“ Beschäftigung Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltskammer und des Versorgungswerks seien. Denn die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und im berufsständischen Versorgungswerk müsse wegen ein und derselben Beschäftigung bestehen. Gerade die jeweils in Rede stehende Beschäftigung müsse die Versicherungspflicht in 8
L 2 R 2671/12 n. v.
252
Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten
beiden Sicherungssystemen auslösen. Die Klägerin und die Kläger seien jedoch nicht als Rechtsanwälte bei ihren jeweiligen Arbeitgebern beschäftigt. Insoweit führt das BSG aus, dass nach gefestigter verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der BRAO derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Nach der sog. Doppel- bzw. Zweiberufe-Theorie sei der Syndikus unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt nur in seiner freiberuflichen Tätigkeit außerhalb des Dienstverhältnisses. Aus Sicht des BSG folgt dies schlussendlich auch daraus, dass der Bundestag einen entsprechenden Gesetzesentwurf, wonach auch Syndikusanwälte von § 6 SGB VI erfasst sein sollten, ausdrücklich abgelehnt hat. Ausdrücklich ausgenommen hat das BSG von seiner Bewertung hingegen angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien, die unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin von der Rentenversicherungspflicht befreit werden können. Das überzeugt insoweit, als diese Rechtsanwälte zwar ebenfalls weisungsunterworfen arbeiten. Dabei handelt es sich aber um Weisungen des Arbeitgebers, der – anders als der typische Justitiar – nicht identisch mit dem Mandanten ist. Schlussendlich führte der 5. Senat aus, dass es auf die Vier-KriterienTheorie nicht ankäme. Inhaber einer begünstigenden Befreiungsentscheidung haben jedoch ein rechtlich geschütztes Vertrauen in den Fortbestand dieser Entscheidungen, das über den Schutz durch die §§ 44 ff. SGB X hinausgehen dürfte. Denn die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung haben die Vier-Kriterien-Theorie selbst mit befördert und angewandt. Schon weil damit bei der gebotenen typisierenden Betrachtung Lebensentscheidungen über die persönliche Vorsorge nachhaltig mit beeinflusst wurden, könne einer Änderung der Rechtsauffassung hinsichtlich ergangener Befreiungsentscheidungen grundsätzlich und in aller Regel keine Bedeutung zukommen.
c)
Auswirkungen
Bei denjenigen Syndikusanwälten, die derzeit über einen wirksamen Befreiungsbescheid verfügen, wird dieses Grundsatzurteil des BSG vermutlich zunächst die Bereitschaft, zukünftig eine andere, unternehmensinterne Tätigkeit auszuüben, erheblich drosseln. Dies gilt zumindest dann, wenn es sich dabei um eine wesentliche Änderung im Tätigkeitsfeld handelt. Alternativ
253
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
könnte über die Ausgründung zur Bildung einer Sozietät oder in eine Servicegesellschaft mit Konzernbindung nachgedacht werden. Der Begriff der Wesentlichkeit wird im Sozialversicherungsrecht nicht einheitlich definiert. § 2 Nr. 9 SGB VI sieht eine Versicherungspflicht für selbstständig tätige Personen dann vor, wenn sie auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, also rechtlich (vertraglich) oder tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig sind9. Das Erfordernis, im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig zu sein, wird von der Praxis als erfüllt angesehen, wenn der Betroffene mindestens 5/6 seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten alleine aus einer dieser Tätigkeiten erzielt10. Europarechtlich wird im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 883/2004 (Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaates angenommen, dass ein wesentlicher Teil der Tätigkeit dann nicht in dem entsprechenden Mitgliedstaat ausgeübt wird, wenn im Rahmen einer Gesamtbewertung ein Anteil von weniger als 25 % erreicht wird11. Nach Auffassung der DRV Bund kann das Vorliegen einer wesentlichen Änderung des Tätigkeitsfelds z. B. durch eine Änderung des Arbeitsvertrages zum Ausdruck gebracht werden. Hingegen stelle bei einem Arzt im Krankenhaus der Wechsel von einer Station auf die andere Station oder vom Stationsarzt zum Oberarzt keine wesentliche Änderung des Tätigkeitsfelds dar12. Wenn man an dieser Sichtweise trotz des BSG-Urteils festhalten will, was wir für problematisch halten, kann damit wohl von einem wesentlichen Tätigkeitswechsel ausgegangen werden, wenn ein Wechsel von der Rechtsin die Personalabteilung eines Unternehmens stattfindet13. Besonders misslich ist die Entscheidung des BSG jedoch für diejenigen Syndikusanwälte, die aufgrund eines Tätigkeits- bzw. Arbeitgeberwechsels die Befreiung erneut beantragt und bis zum 3.4.2014 noch keinen Befreiungsbescheid erhalten haben – dies insbesondere vor dem im Januar 2014 gestarteten „Aufruf“ der DRV Bund, dass bislang nicht angezeigte Arbeitsplatzwechsel unter gewissen Voraussetzungen folgenlos nachgemeldet wer-
9 10 11 12
BT-Drucks. 14/45, S. 20. Vgl. LSG Sachsen-Anhalt v. 16.02.2012 – L 1 R 213/08 n. v. Art. 14 Abs. 8 Durchführungs-VO (EG) Nr. 987/2009. http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_fach informatinen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_befreiungs recht_der_rv.html (Stand: 10.01.2014). 13 Horn, NZS 2014, 245, 251.
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Rentenversicherungspflicht von Syndikusanwälten
den können14. Für diese Personengruppe ist bislang völlig unklar, ob auch insoweit Vertrauensschutz gewährt werden wird. Daher sollten die Betroffenen im Falle eines Ablehnungsbescheids Widerspruch einlegen, um die Bestandskraft des Verwaltungsakts zu verhindern und ggf. von weiteren Ausführungen des Gerichts in seinen Entscheidungsgründen profitieren zu können. Die Feststellungen des BSG wirken sich jedoch nicht nur auf die einzelnen Individuen aus, sondern haben insbesondere Relevanz für die Versorgungswerke. Sie werden in Zukunft auf eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern verzichten und damit ihre Finanzierung überprüfen müssen. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie die Unternehmen auf die Entscheidung und ihre Folgen reagieren werden. Neben der Möglichkeit, im Falle von bestehenden Befreiungsbescheiden der DRV Bund das Vertrauen ihrer Mitarbeiter hierauf aufgrund einer nicht wesentlichen Veränderung des Tätigkeitsfelds zu schützen, ist die Zusammenarbeit mit externen Beratern denkbar. Ob der damit verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand jedoch in Kauf genommen bzw. auch auf der Mitarbeiterseite eine entsprechende Bereitschaft zu einer solchen Vertragsgestaltung besteht, ist zweifelhaft. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine solche Konstruktion zu Folgeproblemen bezüglich der Frage, ob eine freie Mitarbeit oder eben doch eine sozialversicherungsrechtlich relevante abhängige Beschäftigung vorliegt, führen kann. Daneben wird die Unternehmen insbesondere die Problematik beschäftigen, wann in sozialversicherungs- und strafrechtlicher Hinsicht das Vorliegen eines Vorsatzes zu bejahen ist. Hat der Arbeitgeber bei der pflichtwidrigen Nichtentrichtung von Beiträgen mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt, würden die Ansprüche auf vorenthaltene Beiträge erst in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs verjähren, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV). In strafrechtlicher Hinsicht stünde eine Strafbarkeit nach § 266 a Abs. 1 StGB im Raum. Ein vorsätzliches Handeln kommt dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Tatsachen kennt, die zur Beitragspflicht führen, und die Beitragspflicht selbst zumindest für möglich hält. Im Unterschied zu der strafrechtlichen Behandlung eines (vermeidbaren) Verbotsirrtums, der nichts an dem Vorliegen des Vorsatzes ändert und lediglich die Möglichkeit der Strafmilderung eröffnet, lässt ein vermeidbarer Verbotsirrtum im Sozialversicherungsrecht nach bisheriger
14 http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Services/05_ fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderungen_im_ befreiungsrecht_der_rv.html (Stand: 10.01.2014).
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Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
Rechtsprechung allerdings den Vorsatz entfallen und führt nur noch zum Vorwurf der Fahrlässigkeit. Ob die Unternehmen bereits durch die bislang nur vorliegende Pressemitteilung des BSG eine Beitragspflicht für möglich halten müssen und damit der Bereich des vorsätzlichen Handelns berührt ist, dürfte vom Einzelfall abhängen. Hiergegen sprechen zum einen die Unbestimmtheit der Pressemitteilung und zum anderen der vom BSG selbst angesprochene, aber noch völlig inhaltsleere Vertrauensschutz. Jedenfalls bei Altbeschäftigungen, für die ein Befreiungstatbestand vorliegt und wohl keine wesentlichen Veränderungen im Tätigkeitsbild erkennbar werden, erscheint es gut vertretbar, zunächst die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe abzuwarten. Umgekehrt wird man bei Neueinstellungen nicht mehr von einer Befreiung ausgehen können. Da es Überlegungen gibt, auf gesetzlicher Ebene die Auswirkungen der BSG-Entscheidung zu korrigieren, könnte man allerdings daran denken, gleichwohl einen Befreiungsantrag zu stellen und bei stattgebender Entscheidung zu wechseln. Denkbar ist auch, dass der Gang zum Bundesverfassungsgericht zu einem Richtungswechsel führen wird. (Ga/Ri)
2.
Reform des steuerlichen Reisekostenrechts
Mit Wirkung zum 1.1.2014 sind die steuerlichen Vorgaben im Reisekostenrecht verändert worden. Grundlage war das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.201315. Bei der praktischen Umsetzung der damit verbundenen Vorgaben dürfte es wichtig sein, die Leitlinien des BMF-Schreibens zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.9.201316 zu berücksichtigen17. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Neuregelung steht die gesetzliche Definition der ersten Tätigkeitsstätte in § 9 Abs. 3 EStG, die an die Stelle der regelmäßigen Arbeitsstätte getreten ist. Die Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber. Dies ist in der betrieblichen Praxis auch zu empfehlen, um klare Vorgaben für die steuerliche Handhabe zu bewirken. Andernfalls können tatsächliche Veränderungen in Bezug auf den Arbeitsort das Risiko begründen, dass die steuerliche Abwicklung der Reisekosten fehlerhaft ist. 15 BGBLI 2013, 285 ff. 16 IV C 5 – S 2353/13/10004. 17 Eingehend Grimm/Linden, ArbRB 2013, 381 ff.
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Reform des steuerlichen Reisekostenrechts
Fehlen Festlegungen durch den Arbeitgeber oder sind diese nicht eindeutig, werden hilfsweise quantitative Kriterien herangezogen. In allen Fällen ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer dauerhaft in einer ortsfesten Einrichtung tätig wird. Die Festlegung der ersten Tätigkeitsstätte hat auch Konsequenzen für die Berücksichtigung von Unterkunftskosten bei einer längerfristigen Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte im Inland. Denn bei einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte im Inland, die nicht erste Tätigkeitsstätte ist, können – so das BMF-Schreiben – nach Ablauf von 48 Monaten die tatsächlich entstehenden Unterkunftskosten höchstens noch bis zur Höhe von 1.000,- € im Monat als Werbungskosten abgezogen oder vom Arbeitgeber steuerfrei erstattet werden. Das gilt auch für Hotelübernachtungen. Nach den Feststellungen im BMF-Schreiben liegt eine berufliche Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte nur vor, wenn der Arbeitnehmer an dieser mindestens an drei Tagen wöchentlich tätig wird. Die 48-Monatsfrist beginne daher nicht, solange die auswärtige Tätigkeitsstätte nur an zwei Tagen wöchentlich aufgesucht werde. Eine Unterbrechung von weniger als sechs Monaten, z. B. wegen Urlaubs, Krankheit oder beruflicher Tätigkeit an einer anderen Tätigkeitsstätte führten nicht zu einem Neubeginn der 48Monatsfrist. Die Prüfung des Unterbrechungszeitraums und des Ablaufs der 48-Monatsfrist erfolge stets im Nachhinein mit Blick auf die zurückliegende Zeit (Ex-post-Betrachtung). Insofern wird also auf den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt abgestellt. Erst nach Ablauf von 48 Monaten kommt die Begrenzung der Höhe nach auf den Betrag von 1.000,- € im Monat zur Geltung. Maßgeblich für den Beginn der 48-Monatsfrist ist der jeweilige Beginn der längerfristigen beruflichen Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte im Inland. Dies gilt auch, wenn dieser vor dem 1.1.2014 liegt. Aus Vereinfachungsgründen wird es von der Finanzverwaltung allerdings akzeptiert, wenn die abziehbaren Übernachtungskosten erst ab dem ersten vollen Kalendermonat, der auf den Monat folgt, in dem die 48-Monatsfrist endet, auf 1.000,- € begrenzt werden. Das BMF-Schreiben ist mit Wirkung ab dem 1.1.2014 anzuwenden. Es ist schon deshalb überaus hilfreich, weil darin eine Vielzahl von Beispielen enthalten ist, die die Umsetzung des neuen Reisekostenrechts vereinfachen. (Ga)
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Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen Abfindung - Elternzeit 229 ff. - Teilzeitbeschäftigung 229 ff. Abmahnung - Beschlussverfahren 215 - Betriebsratsmitglied 215 - Entfernungsanspruch 215 - fehlerhafte Spesenabrechnung 131 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 213 ff., - Urteilsverfahren 215 - Auskunftsanspruch Betriebsrat 213 ff. AEntG - Branchenbezug 15 - Fleischverarbeitung 26 - Leiharbeitnehmer 15 - Mischbetrieb 15 - Schlachten 26 AEntG-Änderung 15 ff., 26 AGB-Kontrolle - Bezugnahmeklausel 71 f. - Blue-Pencil-Test 83 - Freiwilligkeitsvorbehalt 84 - Geschäftsgeheimnisse 35 - Individualabrede 84 - Know-How 35 - Stichtagsklausel 81 ff. - teilbare Klausel 83 AGG - Kündigungen 95 ff. - Personalvermittler 52 ff. Aktiengesellschaft - DCGK 39 f. - Vorstandsvergütung 38 f.
Allgemeinverbindlicherklärung 14 f. Alter, Diskriminierung 55 f., 111 ff., 116 ff., 161 ff. Ältere Arbeitnehmer, Sonderkündigungsschutz 116 ff. Altersgrenze, Betriebsrente 161 ff. Altersrente - 63. Lebensjahr 2 ff. - abschlagsfrei 2 ff. - Altersgrenzen 4 f. - Altersteilzeit 5 - Arbeitslosengeld 2 f. - besonders langjährig Versicherte 2 ff. - Betriebsrente 6 f. - freiwillige Beitragszeiten 3 - Frühverrentung 7 f. - Glaubhaftmachung 3 - Kündigungsgrund 4 f. - Kurzarbeit 7 f. - Kurzarbeitergeld 2 f. - Nebenverdienst 5 - Pflichtbeiträge 2 f. - Regelaltersgrenze 4 f. - rentennahe Jahrgänge 7 f. - RV-Leistungsverbesserungsgesetz 2 ff. - Schlechtwettergeld 2 f. - schrittweise Anhebung 3 f. - Schwerbehinderung 170 ff. - Sozialplan 8 - Teilarbeitslosengeld 2 f. - Übergangsgeld 2 f. - Vorruhestand 259
Stichwortverzeichnis
Altersstruktur - ausgewogene 111 ff. - Insolvenz 111 ff. Altersteilzeit - Altersgrenze 5 - Altersrente Schwerbehinderung 170 ff. - Dauer 170 ff. - Diskriminierung 170 ff. - Störfall 173 ff. - vorzeitige Beendigung 170 ff. Änderungskündigung - Entgeltleistungen 146 ff. - soziale Rechtfertigung 146 ff. - Überstundenpauschale 148 f. Anerkenntnistarifvertrag - Bezugnahme 182 ff. - Gleichstellungsabrede 182 ff. Anti-Stress-Verordnung 27 Anwaltsversorgungswerk, Syndici 249 ff. Arbeitnehmer - Eignungsuntersuchung 77 - Vorsorgeuntersuchung 74 ff. Arbeitnehmerüberlassung - Arbeitsentgelt 20 - Betriebsratswahl 202 ff. - Dauer 18 - Equal-Pay-Gebot 18, 20 - Koalitionsvertrag 18 - Personalgestellung 19 - Streik 18 - Tarifvertrag 19 f. - Überlassungsdauer 19 f. Arbeitsentgelt - Änderungskündigung 146 ff. - AÜG 20 Arbeitskampf - Flashmob 188 ff. - Gesetz 16 f. - Tarifeinheit 16 f 190 ff. 260
Arbeitskampf - Tarifpluralität 16 f., 190 ff. - Unterlassungsverfügung 190 ff. Arbeitslosengeld, Altersrente 2 f. Arbeitsmedizinische Untersuchung 74 ff. Arbeitsort - Arbeitsvertrag 69 ff. - Diskriminierung 69 ff. - Versetzung 69 ff. Arbeitsplatz - freier 108 ff. - gleichwertiger 109 - Leiharbeitnehmer 207 Arbeitsschutz - Anti-Stress-Verordnung 27 - psychische Belastung 27 f. - Verordnung 27 f. Arbeitsschutzausschuss, Mitbestimmung Betriebsrat 226 f. Arbeitsvertrag - Altersgrenzen 4 f. - Arbeitsort 69 ff. - Ausschlussfrist 185 ff. - Bezugnahmeklausel 71 f. - Eingruppierung 181 f. - Geschäftsgeheimnisse 35 - Stichtagsklausel 81 ff. Arbeitsverweigerung, Direktionsrecht 129 f. Arbeitszeit - Betriebsvereinbarung 227 f. - Dokumentation 13 - Kappung 227 ff. - Leiharbeitnehmer 18 - Mitbestimmung Betriebsrat 193, 222 ff. - Überstunden 227 f. - Umkleidezeiten 222 f. - Vergütungspflicht 227 f. - Vertrauensarbeitszeit 127 ff.
Stichwortverzeichnis
Arbeitszeitflexibilisierung, Mindestlohn 10 f. ArbMedVV 74 ff. Aufhebungsvertrag - Konzern 151 - Schriftform 150 f. - Vertretungsbefugnis 151 Aufklärungspflicht, Entgeltumwandlung 153 ff. Aufsichtsrat, Geschlechterquote 21 ff. Auskunftsanspruch, Abmahnungen 213 ff. Ausschlussfrist - Bezugnahmeklausel 185 ff. - Geltendmachung 93 - Tarifvertrag 90 ff., 92 f., 185 ff. - Urlaubsabgeltung 90 ff. Ausschreibungspflicht - Arbeitsplätze 207 ff. - Leiharbeitnehmer 207 ff. Außerordentliche Kündigung - Abmahnung 131 f. - beharrliche Arbeitsverweigerung 127 ff. - Datenlöschung 139 f. - Detektivkosten 73 f. - Interessenabwägung 134 f. - Spesenabrechnung 131 ff. - Tatkündigung 133 ff. - Verdachtskündigung 133 ff. Auswahlrichtlinie, Leiharbeitnehmer 209
BDSG, soziale Netzwerke 28 f. BEEG-Änderung 26 f. Befristeter Arbeitsvertrag - Abordnungsvertretung 60 - Erprobung 60 - EU-Richtlinie 57 ff., 65 ff. - gedankliche Vertretung 58 f.
Befristeter Arbeitsvertrag - Gemeinschaftsbetrieb 66 - Leiharbeitnehmer 66 f. - Missbrauch 61 - mittelbare Vertretung 58 - Prognose 60 f. - Rechtsmissbrauch 63 ff. - Sachgrund 57 ff. - sachgrundlos 28 - Treu und Glauben 66 - unmittelbare Vertretung 58 - Vertretung 57 ff. - vorübergehender Mehrbedarf 61 ff. Beharrliche Arbeitsverweigerung - Kündigung 127 ff. - Vertrauensarbeitszeit 130 Behinderung - AGG 51, 99 ff. - Altersteilzeit 170 ff. - Arbeitsorganisation 103 - Arbeitsplatzgestaltung 101 ff. - Arbeitszeit 103 - Aufklärungspflicht 45 ff. - Begriff 50 f., 99 - Betriebsrente 170 - Beweislast 102 - Bewerber 45 ff. - bio-psycho-sozialer Begriff 100 - chronische Erkrankung 99 ff. - Darlegungslast 102 - Dauer 50 - Direktionsrecht 68 f. - Diskriminierung 45 ff., 95 ff., 170 ff., - Fettleibigkeit 49 ff. - Förderpflicht 47 - Fürsorgepflicht 101 ff. - Handlungspflichten 101 f. - Kennzeichnung 50 f., 99 ff. - Krankheit 50 f. 261
Stichwortverzeichnis
Behinderung - Stigmatisierung 101 - UN-BRK 51, 99 ff. - Verfahrenspflicht 47 Benachteiligung → Diskriminierung Beschäftigtendatenschutz - Eignungsuntersuchung 77 - EU-Datenschutz-Grundverordnung 31 f. - Koalitionsvertrag 1 - Kündigungsschutzprozess 143 - soziale Netzwerke 28 f. - Verdachtskündigung 145 f. - Vorsorgeuntersuchung 75 ff. Besonders langjährig Versicherte, Altersrente 2 ff. Betriebliche Altersversorgung → Betriebsrente Betriebliche Übung - Beseitigung 86 f. - Betriebsparkplatz 85 ff. - Entstehung 85 Betriebsänderung - Leiharbeitnehmer 204 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 231 f. - Unterlassungsverfügung 231 f. Betriebsbedingte Kündigung - Altersstruktur 111 ff. - Betriebsübergang 127 - Druckkündigung 124 ff. - Insolvenz 11 ff. - Sozialauswahl 111 ff. - Unterlassungsverfügung 231 f. Betriebsparkplatz, betriebliche Übung 85 ff. Betriebsrat - Behinderung 215 - Dienstvertrag 21 - Ersatzmitglied 198 ff. - Freistellung 205 262
Betriebsrat - Vertretung 196 ff. - Werkvertrag 21 Betriebsratsanhörung - Betriebsratsbeschluss 200 ff. - objektive Tatsachen 104 f. - Probezeitkündigung 103 ff. - Werturteil 105 Betriebsratsbeschluss - Anhörung § 102 BetrVG 200 ff. - Einladung 196 ff. - formale Anforderung 196 ff. - Sphärentherorie 201 - Tagesordnung 196 ff. Betriebsratsgröße, Leiharbeitnehmer 203 Betriebsratsmitglied - Abmahnung 215 - Beschlussfassung 196 ff. - rechtliche Verhinderung 198 ff. - Verhinderung 198 ff. Betriebsratsvorsitzender, Vertretungsbefugnis 196 ff. Betriebsratswahl - Anfechtbarkeit 206 - einstweilige Verfügung 206 - Leiharbeitnehmer 202 ff. Betriebsrente - Abwendbarkeit 32 f. - Altersgrenzen 161 ff. - Altersrente Schwerbehinderung 165 ff., 170 - Altersrente 6 f. - Anpassung 33 f. - Auskunftsanspruch 33 - Behinderung 170 - Berechnung 165 ff. - Diskriminierung 161 ff. - EU-Richtlinie 32 ff. - grenzüberschreitende Sachverhalte 33 f.
Stichwortverzeichnis
Betriebsrente - Höchstalter 161 ff. - Höchstaufnahmealter 162 f. - Inlandssachverhalt 34 - Kürzung 6 f., 165 ff. - m/n-tel-Kürzung 6 f., 165 ff. - Mobilitätsrichtlinie 32 ff. - Unverfallbarkeit 32 ff. - Versorgungsfall 167 f. - vorgezogene 165 ff., 170 - vorzeitige Beendigung 6 f. Betriebsteilübergang → Betriebsübergang Betriebsübergang - Arbeitnehmer 234 f. - betriebsbedingte Kündigung 127 - Betriebszugehörigkeitszeiten 236 f. - Druckkündigung 127 - Eingruppierung 236 f., 239 f. - Entgeltänderung 238 ff. - Identitätswahrung 232 ff. - Kennzeichnung 232 ff. - Leiharbeitnehmer 234 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 238 ff. - Neueinstellung 239 f. - organisatorische Einheit 232 ff. - Sozialplan 243 ff. - Tarifbindung 238 ff. - Tarifvertrag 240 - Tarifwechsel 236 f. - Tatbestand 232 ff. - Umgruppierung 239 f. - Unterrichtung → Unterrichtungspflicht Betriebsübergang - Vergütungsordnung 238 ff. - Verzicht 240 f. - Widerspruch Betriebsübergang, Verwirkung 245 ff.
Betriebsvereinbarung - Beendigung 193 ff. - Eignungsuntersuchung 77 - Entgeltumwandlung 156 ff. - Kappung Arbeitszeit 227 f. - Lohnverwendungsabrede 159 - Nachwirkung 193 ff. - Opting-Out 156 ff. - Schichtarbeit 193 ff. - Stichtagsklausel 84 - Teilbarkeit 193 ff. - teilmitbestimmte 193 ff. - Verzicht 209 ff. - Zulagen 193 ff. Betriebszugehörigkeit, Betriebsübergang 236 f. BetrVG, Schwellenwerte 202 ff. Beweisverwertung, Kündigungsschutzprozess 140 ff. Bewerber - Alter 55 f. - Behinderung 45 ff. - Diskriminierung 52 ff. - Förderpflicht 47 - Verfahrenspflicht 47 Bewerbung, Testbewerbung 55 f. Bewerbungsschreiben, Behinderung 45 ff. Bezugnahmeklausel - Altvertrag 182 ff. - Arbeitsort 71 f. - Ausschlussfrist 185 ff. Blue-Pencil-Test, AGBKontrolle 85 Bonus → Sonderleistung Börsennotierte AG - Diversität 40 f. - Geschlechterquote 22 f.
Chronische Erkrankung, Behinderung 99 ff. 263
Stichwortverzeichnis
Compliance-Organisation 78 - Haftung 78 ff. Corporate Governance, Berichterstattung 41
Datenlöschung, Kündigung 139 f.
Datenschutz-Grundverordnung → EU-Datenschutz-Grundverordnung Detektivkosten, Erstattung 73 f. DGB - Schiedsverfahren 191 f. - Tarifpluralität 190 ff. Dienstvertrag 20 f. Direktionsrecht - Arbeitsort 69 ff. - Arbeitsverweigerung 129 f. - Behinderung 68 f. - Ermessen 68 f. - gesundheitliche Beeinträchtigung 68 f. - Interessenabwägung 71 f. - Krankheit 78 f. - Nachtdienst 68 f. - Sozialauswahl 72 - unternehmerische Entscheidung 71 Diskriminierung - Alter 55 f., 111 ff., 116 ff., 161 ff. - Altersteilzeit 170 ff. - Behinderung 45 ff., 95 ff., 99 ff., 170 - Betriebsrente 161 ff. - Beweiserleichterung 98 - Bewerber 52 ff. - Darlegungs- und Beweislast 102 - Elternzeit 229 ff. - Entschädigung 52 ff., 98 - Kündigung 95 ff. - Personalvermittler 52 ff. 264
Diskriminierung - Schadensersatz 98 - Sozialauswahl 111 ff. - Sozialplan 229 ff. - Teilzeit 229 ff. Diversität, EU-Richtlinie 40 f. DrittelbG - Leiharbeitnehmer 206 - Schwellenwerte 206 f. Druckkündigung - betriebsbedingte Kündigung 124 ff. - Betriebsübergang 127 - personenbedingte 124 f. - verhaltensbedingte 124 f.
Eignungsuntersuchung 77 Eingruppierung 177 ff. - Arbeitsvertrag 181 f. - Betriebsübergang 236 f. - Bezugnahme Tarifvertrag 181 f. - fehlerhafte 180 ff. - Korrektur 180 ff. Ein-Personen-Gesellschaft, EURichtlinie 36 f. ElterngeldPlus 26 f. Elternurlaub → Elternzeit Elternzeit - Diskriminierung 229 ff. - ElterngeldPlus 26 f. - Partnerschaftsbonus 26 f. - Sozialplanabfindung 229 ff. - Teilzeitbeschäftigung 27, 229 ff. - Zweck 230 Entgeltumwandlung - Anspruch Arbeitnehmer 153 - Aufklärungspflicht Arbeitgeber 153 ff. - Betriebsvereinbarung 156 ff. - Opting-Out-Regelung 156 ff.
Stichwortverzeichnis
Entschädigung, Diskriminierung 52 ff. Entsende-Richtlinie 34 f. Erholungsurlaub, Surrogatstheorie 93 Erholungsurlaub - Übertragung 92 f. - Urlaubsabgeltung 90 ff. Ersatzmitglied, Betriebsrat 198 ff. Erste Tätigkeitsstätte 256 f. EU-DatenschutzGrundverordnung 31 f. EU-Entsende-Richtlinie 34 f. EU-Kommission - Corporate Governance 41 - Unternehmensberichterstattung 41 - Vorstandsvergütung 37 ff. EU-Richtlinie - Arbeitszeit 90 ff. - Betriebsübergang 236 f. - Diversität 40 f. - Ein-Personen-Gesellschaft 36 f. - Elternurlaub 229 ff. - Entsendung 34 f. - Erholungsurlaub 90 ff. - Geschäftsgeheimnisse 35 - Geschlechterquote 40 f. - Lagebericht 40 f. - Mobilität von Arbeitnehmern 32 ff. - SPE 36 - Vorstandsvergütung 37 ff. - Zusatzrentenansprüche 32 ff. Europäische Privatgesellschaft 36
Fettleibigkeit, Behinderung 49 ff. Flashmob, Arbeitskampf 188 ff. Formulararbeitsvertrag → Arbeitsvertrag Frauenquote → Geschlechterquote
Freier Arbeitsplatz, Kündigung 108 ff. Freistellung, Leiharbeitnehmer 205 Freiwilligkeitsvorbehalt, Sonderleistung 84 Fristlose Kündigung → außerordentliche Kündigung Frühverrentung, Altersrente 7 f. Führungskräfte, Geschlechterquote 23 f. Fürsorgepflicht, Behinderung 101 ff.
Geschäftsführer, Aufhebung Arbeitsvertrag 150 f. Geschäftsgeheimnisse, EURichtlinie 35 Geschlechterquote - Aufsichtsrat 21 ff. - Aufsichtsratsentlastung 24 f. - Diversität 40 f. - EU-Richtlinie 40 f. - Führungskräfte 23 f. - Führungsposition 21 ff. - Lagebericht 40 f. - TOP-Management 23 f. - Vorstand 21 ff. - Vorstandsentlastung 24 Gesetzliche Altersrente → Altersrente Gesundheit, Direktionsrecht 68 f. Gewerkschaft, Flashmob 188 ff. Gleichstellungsabrede 182 ff. Google Maps, Mitbestimmung Betriebsrat 219 ff. Gratifikation → Sonderleistung Grundrechtscharta - Geltungsanspruch 41 f. - Mitbestimmungsrechte 41 f. 265
Stichwortverzeichnis
Haftung
Verordnung 27 Informationspflicht, Betriebsübergang → Unterrichtungspflicht Betriebsübergang Insolvenz - Altersstruktur 111 ff. - Kündigung 111 ff. - Sozialauswahl 111 ff. Institutsvergütungsverordnung 25 f
Kündigung - Diskriminierung 95 ff. - Druckkündigung 124 ff. - Entschädigung 98 - freier Arbeitsplatz 108 ff. - HIV-Erkrankung 95 ff. - Probezeit 95 ff., 103 ff. - Schadensersatz 98 - tariflicher Sonderkündigungsschutz 116 ff. - Tatkündigung 133 ff. - Verdachtskündigung 133 ff. - Wartezeit 95 ff., 103 ff. - Weiterbeschäftigungspflicht 108 ff. Kündigungsschutzprozess - Beschäftigtendatenschutz 143 - Beweisverwertung 140 ff. Kurzarbeitergeld, Altersrente 2 f.
Jahressonderzahlung → Sonder-
Leiharbeitnehmer
- Compliance-Organisation 78 ff. - Mindestlohn 11 f. - Vorstand 78 ff. Hauptversammlung - Vergütungspolitik 38 f. - Vorstandsvergütung 38 f. Höchstalter, Betriebsrente 161 ff.
IG Metall, Anti-Stress-
leistung
Koalitionsfreiheit, Flashmob 188 ff. Koalitionsvertrag - Arbeitnehmerüberlassung 18 - Arbeitsrecht 1 - Beschäftigtendatenschutz 1 - Sozialversicherungsrecht 1 f. - Vorstandsvergütung 39 f. Konzern - Aufhebungsverträge 151 - Sonderleistung 87 ff. Kündigung - AGG 95 ff. - Altersdiskriminierung 116 ff. - Altersrente 4 f. - Betriebsratsanhörung 103 ff., 200 ff. - Beweiserleichterung 98 266
-
Arbeitsplatz 207 Arbeitszeit 18 Ausschreibungspflicht 207 ff. Auswahlrichtlinie 209 befristeter Arbeitsvertrag 66 f. Betriebsratswahl 202 ff. Betriebsübergang 234 ff. Dokumentation 18 DrittelbG 206 f. MitbestG 206 f. Streik 18 Unternehmensmitbestimmung 206 f. - Wählbarkeit 205 Leistungsbezogene Vergütung → Sonderleistung Leistungsstruktur, Sozialauswahl 111 ff., 115 Lohnverwendungsabrede, Betriebsvereinbarung 159
Stichwortverzeichnis
Massenentlassung - Mitbestimmung Betriebsrat 231 f. - Unterlassungsverfügung 231 f. Mehrbedarf, vorübergehender 61 ff. Meldepflichten, Mindestlohn 12 Mindestlohn - Anwendungsbereich 14 - Arbeitnehmer 14 - Arbeitszeit 13 - Arbeitszeitflexibilisierung 10 f. - Ausgleichszeitraum 11 - Auszubildende 14 - Dokumentation 13 - Fälligkeit 10 - Haftung 11 f. - Höhe 10 - Jahresleistung 10 - Jugendliche 14 - Langzeitarbeitslose 14 - Meldepflichten 12 - öffentliche Aufträge 13 - Praktikant 14 - Stundenentgelt 10 - Subunternehmerhaftung 11 f. - Wertguthaben 11 MitBestG - Leiharbeitnehmer 206 f. - Schwellenwerte 206 f. Mitbestimmung Betriebsrat - Abmahnung 213 ff. - Arbeitsschutzausschuss 226 f. - Arbeitszeit 193, 222 ff. - Auswahlrichtlinie 193 - Betriebsänderung 231 f. - Betriebsübergang 238 ff. - Dienstvertrag 21 - EDV 219 ff. - Eingruppierung 177 ff. - Excel-Programm 222
Mitbestimmung Betriebsrat - Fehlzeitenauswertung 222 - freiwillige Angelegenheit 193 - Google Maps 219 ff. - Grundrechts-Charta 41 f. - Leiharbeitnehmer 204 f. - Leistungsdaten 220 - Massenentlassung 231 ff. - Routenplaner 219 ff. - Schichtarbeit 193 - Softwareprogramm 219 ff. - Sonderleistung 193 - technische Einrichtung 219 ff. - teilmitbestimmte Angelegenheit 193 - Überwachung 219 ff. - Umgruppierung 177 ff. - Umkleidezeiten 222 ff. - Vergütungsordnung 238 ff. - Verhaltensdaten 220 - Versetzung 215 ff. - Verzicht Betriebsvereinbarung 209 ff. - Werkvertrag 21 - zwingende 193
Nachtdienst, Direktionsrecht 68 f. Nachwirkung, Betriebsvereinbarung 193 ff. Namensliste, Sozialauswahl 115 Nebenverdienst, Altersrente 5 Neueinstellung, Betriebsübergang 239 f.
Öffentliche Aufträge, Mindestlohn 13 Ordentliche Kündigung, Verdachtskündigung 136 f. Organisatorische Einheit, Betriebsübergang 232 ff.
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Stichwortverzeichnis
Partnerschaftsbonus 26 f. Personalgestellung, AÜG 19 Personalvermittler, Diskriminierung 52 ff. Personenbedingte Kündigung - Druckkündigung 124 f. - freier Arbeitsplatz 108 ff. Praktika - Entgelt 43 - EU-Kommission 43 f. - Mindestlohn 43 f. - Qualitätsrahmen 43 f. - Transparenz 44 - Vertragsgestaltung 43 f. Probezeit - Berechnung 107 - Dauer 107 - Ende 107 - Kündigung 95 ff., 103 ff. - Kündigungsgründe 104 ff. Psychische Belastung - Arbeitsschutz 27 f. - Verordnung 27 f.
Rechtsanwalt, Rentenversicherungspflicht 249 ff. Rechtsmissbrauch - befristeter Arbeitsvertrag 63 ff. - Widerspruch Betriebsübergang 245 ff. Reisekostenrecht - 48-Monats-Frist 257 - Besteuerung 256 f. - BMF-Schreiben 256 f. - Unterkunftskosten 256 f. Rentenversicherung - Altersrente 2 ff. - Rechtsanwälte 249 ff. - Strafbarkeit 255 - Syndici 249 ff. - Tätigkeitsänderung 254 268
Rentenversicherung - Vertrauensschutz 252 ff. - Vier-Kriterien-Theorie 253 - Vorsatz 255
Sachgrundlose Befristung 28 Scheindienstvertrag 20 f. Scheinwerkvertrag 20 f. Schichtarbeit, Mitbestimmung Betriebsrat 193 Schiedsverfahren, DGB 191 f. Schwellenwerte - BetrVG 202 ff. - DrittelbB 206 f. - MitBestG 206 f. Schwerbehinderte, Altersteilzeit 170 ff., 175 f. Schwerbehinderung → Behinderung Societas Unius Personae 36 f. Software, Mitbestimmung Betriebsrat 219 ff. Sonderleistung - EBITDA 87 ff. - Ermessensspielraum 87ff. - Freiwilligkeitsvorbehalt 84 - Institutsvergütungsverordnung 25 f. - Konzern 87 ff. - Mindestlohn 10 - Mitbestimmung Betriebsrat 193 - nachhaltige 25 f. - Stichtagsklausel 81 ff. - Tarifvertrag 84 - Zielgrößen 87 ff. Sonderzahlung → Sonderleistung Sozialauswahl - Altersdiskriminierung 111 ff. - Altersgruppe 114, 115 f. - Altersstruktur 111 ff. - Auskunftspflicht 115 - Diskriminierung 111 ff.
Stichwortverzeichnis
Sozialauswahl - Fehlerhaftigkeit 115 - Leistungsstruktur 111 ff., 115 - Namensliste 115 Soziale Netzwerke, Beschäftigtendatenschutz 28 f. Sozialplan - Altersrente 8 - Betriebsübergang 243 ff. - Diskriminierung 229 ff. - Elternzeit 229 ff. - Teilzeitbeschäftigte 229 ff. Sozialplanprivileg - Betriebsübergang 243 ff. - Unterrichtungspflicht Betriebsübergang 243 ff. Spaltung → Betriebsübergang SPE 36 Spesenabrechnung - Kündigung 131 ff. - Täuschungsvorsatz 133 - Unterschrift 133 Sphärentherorie, Betriebsratsbeschluss 201 Stichtagsklausel - AGB-Kontrolle 81 ff. - Betriebsvereinbarung 84 - Sonderleistung 81 ff. - Tarifvertrag 84 Stigmatisierung, Behinderung 101 Streik - Flashmob 188 ff. - Leiharbeitnehmer 18 - Tarifpluralität 190 ff. Subunternehmerhaftung, Mindestlohn 11 f. Surrogatstheorie, Erholungsurlaub 93 Syndici, Rentenversicherungspflicht 249 ff.
Tagesordnung, Betriebsratsbeschluss 196 ff. Tantieme → Sonderleistung Tarifarchiv 17 Tarifautonomiestärkungsgesetz 9 ff. Tarifeinheit 16 f. - Arbeitskampf 16 f., 190 ff. - Gesetz 16 f. Tarifpluralität - Arbeitskampf 16 f., 190 ff. - DGB 190 ff. - Streik 190 ff. Tarifvertrag - ältere Arbeitnehmer 116 ff. - Altersdiskriminierung 116 - Altersgrenzen 4 f. - Ausschlussfrist 90 ff., 92 f.; 185 ff. - Betriebsübergang 236 f., 240 - Bezugnahme 182 ff. - Gleichstellungsabrede 182 ff. - Kündigungsschutz 116 - Sonderleistung 84 - Stichtagsklausel 84 - Tarifpluralität 16 f., 190 - Tarifwechsel 236 f. - Verzicht 240 Tarifwechsel, Betriebsübergang 236 f. Tätigkeitsstätte, erste 256 f. Tatkündigung, ordentliche 133 ff. Technische Einrichtung, Mitbestimmung Betriebsrat 219 ff. Teilbetriebsübergang → Betriebsübergang Teilzeit, Diskriminierung 229 ff. Teilzeitbeschäftigung - Abfindung 229 ff. - Elternzeit 27, 229 ff. 269
Stichwortverzeichnis
Testbewerbung 55 f. TVG - Tarifarchiv 17 - Tarifeinheit 16 f. TVG-Änderung 14 f., 16 TzBfG-Änderung 28
Übergangsgeld, Altersrente 2 f. Überstunden - Arbeitszeit 227 f. - Vergütungspflicht 227 f. Überstundenpauschale, Kündigung 148 f. Umgruppierung 177 ff. Umkleidezeiten - Arbeitszeit 222 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 222 ff. - Vergütungspflicht 222 ff. Umwandlung → Betriebsübergang Unterlassungsverfügung, Kündigung 231 f. Unternehmensmitbestimmung, Leiharbeitnehmer 206 f. Unterrichtungspflicht Betriebsübergang 242 ff. - Fehler 242 - Firma 243 - Geschäftsführername 242 f. - Handelsregister 242 - Handelsregisternummer 242 f. - Sozialplanprivileg 243 ff. - Tarifvertrag 240 - Widerspruchsrecht 245 ff. - Zweck 242 Unverfallbarkeit, Betriebsrente 32 ff. Urlaubsabgeltung, Ausschlussfrist 90 ff. 270
Variable Vergütung → Sonderleistung Verdachtskündigung - Anhörung Arbeitnehmer 134 - außerordentliche 133 ff. - Beweisverwertung 140 ff. - Detektivkosten 73 f. - heimliche Kontrolle 145 f. - ordentliche 136 f. - Reinigungsgespräch 134 Vergütungspflicht, Umkleidezeiten 222 ff. Verhaltensbedingte Kündigung, - Druckkündigung 124 f. Verhinderung, rechtliche 198 ff. Verschmelzung → Betriebsübergang Versetzung - Begriff 216 - Betriebsratszuständigkeit 218 f. - betriebsübergreifende Tätigkeit 215 ff. - doppelte Betriebsratszuständigkeit 218 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 215 ff. - örtliche 69 ff. - Zustimmungsverweigerung 217 f. Vertrauensarbeitszeit - Anwesenheitspflicht 127 f. - beharrliche Arbeitsverweigerung 130 Vertretung, Aufhebungsvertrag 151 Verwirkung, Widerspruch Betriebsübergang 245 ff. Verzicht, Betriebsvereinbarung 209 ff. Vorruhestand, Altersrente 8 Vorsorgekartei 75 Vorsorgeuntersuchung 74 ff.
Stichwortverzeichnis
Vorstand - Business-Judgement-Rule 79 - D&O-Versicherung 80 - Gesamtverantwortung 78 - Geschlechterquote 21 ff. - Haftung 78 ff. - Risikokontrolle 78 - Schadensprävention 78 - Umkehr Darlegungs- und Beweislast 78 f. Vorstandsvergütung - EU-Kommission 37 ff. - Koalitionsvertrag 39 f. Vorübergehender Mehrbedarf, Befristung 61 ff. Wartezeit, Berechnung 107 - Dauer 107 - Ende 107 - Kündigung 95 ff., 103 ff. - Kündigungsgründe 104 ff.
Weihnachtsgratifikation → Sonderleistung Weiterbeschäftigung, Kündigung 108 ff. Werkvertrag 20 f. Wertguthaben, Mindestlohn 11 Widerspruch Betriebsübergang - Disposition Arbeitsverhältnis 246 f. - Frist 245 - Rechtsmissbrauch 245 ff. - Umstandsmoment 245, 247 f. - Verwirkung 245 ff. - Zeitmoment 245, 247 Zusatzrentenansprüche → Betriebsrente
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