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German Pages 284 [288] Year 2012
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012 Band 112
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Band 1/2012
Aktuelles Arbeitsrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Bjöm Gaul Bearbeitet von
Dietrich Boewer Rechtsanwalt, Vorsitzender Richter am lAG Düsseldotf aD.
Prof. Dr. Bjöm Gaul Rechtsanwalt und Fachanwalt fiir Arbeitsrecht, Köln
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Zitierempfeblung:
Bearbeiter in Gaul. AktuellAR 2012, S....
Bibliografische Information
der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abnrlbar. VerlagDr. Otto SchmidtKG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221193738-01, Fax 0221193738-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0948-2369 ISBN 978-3-504-42674-3 ©2012 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Vetwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfiiltigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. LichtenCord Druckund Verarbeitung: Be1z, Darmstadt Printed in Germany
Vorwort Obwohl die Legislaturperiode erst 2013 endet, zeichnet sich ab, dass die Bundesregierung zunehmend Schwierigkeiten hat, arbeitsrechtliche Gesetzesvorhaben umzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Neuregelung des Beschäftigtendatenschutzes, die mit Blick auf aktuelle Vorgaben des EuGH und den Entwurf einer EU-Datenschutzgrundverordnung neu überdacht werden muss. Völlig offen sind auch die Entwicklungen zum Mindestlohn, zur Tarifpluralität, zur Frauenquote in Vorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsführung oder zur Beseitigung der Altersdiskriminierung bei § 622 BGB. Soweit die Neuregelung im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung seit dem 1.12.2011 in Kraft ist, bleiben offene Fragen, die zunächst einmal durch die Rechtsprechung beantwortet werden müssen. Wichtiger für die Praxis sind deshalb neue Leitlinien zu den befristeten Arbeitsverträgen, die insbesondere die Kettenbefristungen oder die Berechtigung zur sachgrundlosen Befristung betreffen. Wichtig für die Vertragsgestaltung ist, die Vorgaben der Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle bei Rückzahlungsklauseln bei Ausbildungsmaßnahmen, salvatorischen Klauseln, Freiwilligkeitsvorbehalten oder der Bezugnahme auf Tarifverträge zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als offene Zweifel nach Abschluss einer Auslegung in der Regel den Arbeitgeber treffen, der solche Vertragsmuster entwickelt hat. Erhebliche Bedeutung im Bereich der Vergütung haben ergänzende Feststellungen des BAG zu Bedeutung von Bonuspools sowie Stichtagsregelungen bei leistungs- und erfolgsabhängigen Sonderzahlungen. Hier ist eine Bindung an zukünftige Betriebszugehörigkeit im Zweifel unzulässig. Mit einer Reihe von Urteilen hat das BAG wesentliche Fragen zum Erholungsurlaub bei langandauernden Fehlzeiten beantwortet. Dies gilt auch für die Altersdiskriminierung bei der Urlaubsdauer sowie die Urlaubsabgeltung und die damit verbundene Anwendung von Ausschlussfristen. Eine überzeugende Klarstellung hat das BAG in Bezug auf die Sozialauswahl vorgenommen. Hier ist es nicht nur zulässig, Sozialdaten im Vorfeld betriebsbedingter Kündigungen zu erfragen. Dies schließt die Frage nach der Schwerbehinderung ein. Denkbar ist auch, die Auswahlentscheidung unter Einbeziehung des Alters im Rahmen von Altersgruppen vorzunehmen. Darin liegt keine Diskriminierung der betroffenen Arbeitnehmer. Bedeutsam sind auch die Feststellungen zum Rücktritt vom Aufhebungsvertrag, dem Annahmeverzug nach Kündigung und den formalen Anforderungen an eine Massenentlassungsanzeige. V
Vorwort
Das Tarifrecht ist geprägt von der zunehmenden Auseinandersetzung um Tarifverträge, die mit einer erhöhten Arbeitskampfbereitschaft der Gewerkschaften verbunden ist. Für die betroffenen Unternehmen ist es wichtig, sich mit denkbaren Abwehrmaßnahmen auseinanderzusetzen. Hier war die Unterlassungsverfügung ebenso zu behandeln wie die suspendierende Betriebsstilllegung. Der Bereich der Betriebsverfassung war geprägt von Entscheidungen zum Sonderkündigungsschutz von Wahlbewerbern und Ersatzmitgliedern des Betriebsrats, der Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung und einem neuen Verständnis der Bedeutung einer Tarifbindung des Arbeitgebers für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei § 87 BetrVG. Ergänzend hierzu hat sich die Rechtsprechung mit der Mitbestimmung im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Überwachungsrechten beim betrieblichen Eingliederungsmanagement und der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Betriebsrat, Gesamt- und Konzernbetriebsrat befasst. Insbesondere in Bezug auf § 80 Abs. 1 BetrVG hat das BAG hier neue - überraschende – Leitlinien bestimmt. Bei der Vorbereitung von Betriebsänderungen wird man in der Zukunft auch Leiharbeitnehmer berücksichtigen müssen. Dies gilt nicht nur für die Frage, ob eine Weiterbeschäftigung auf freien Arbeitsplätzen erfolgen kann. Leiharbeitnehmer beeinflussen auch die Schwellenwerte nach § 111 BetrVG. Wichtig für die Praxis sind weitergehende Feststellungen des BAG zu den Folgen eines Betriebszusammenschlusses für Betriebsvereinbarungen, zur Kennzeichnung des Betriebsteilübergangs (Klarenberg) sowie die eingehende Auseinandersetzung mit einer (ordnungsgemäßen) Unterrichtung über einen Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 5 BGB. Der Praxis ist zu empfehlen, passende Formulierungen des im Streit stehenden Schreibens zu übernehmen. Ich danke Dietrich Boewer (Boe) sehr herzlich für die detaillierte Darstellung der aktuellen Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Betriebspraxis. Ebenso danke ich Frau Tanja Hiebert (Hi), Herrn Daniel Dominik (Do), Herrn Christoph Kaul, Herrn Stefan Schmidt-Lauber (SL), Herrn Jörn Schneider (Sch), und – ganz wesentlich –Frau Doris Hensch, die mit hohem Einsatz wiederum sichergestellt hat, dass wir doch noch pünktlich mit dieser Zusammenfassung auf den Markt kommen konnten. Köln, im Juni 2012
VI
Björn Gaul (Ga)
Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort................................................................................................ .......... V Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XV
A.
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland ................................ 1
1.
Neues zum Beschäftigtendatenschutz .................................................. 1
2.
Gesetz zur Förderung der Mediation ................................................... 2
3.
Gesetz zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ................................... 5
4.
Neufassung des Europäische Betriebsräte-Gesetzes ............................ 5
5.
Gesetzentwürfe zum Schutz von Whistleblowern ............................... 5
6.
Keine gesetzliche Regelung zur Tarifpluralität .................................. 10
7.
Gesetzliche Initiativen zur Einführung eines Mindestlohns und zur Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ..................................................................................... 11
8.
Gesetzentwürfe zur Umsetzung des EuGH-Urteils zu § 622 BGB.................................................................................................... 12
9.
Frauenförderung in Führungspositionen ............................................ 13
B.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht ............ 17
1.
Unionsrechtliche Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten .................................................................. 17 a) Richtlinie 95/46/EG als Höchstgrenze für den Schutz personenbezogener Daten ........................................................... 17 b) Entwurf einer Datenschutzgrundverordnung .............................. 19 c) Fazit ............................................................................................. 21
2.
Einsatz von Fachkräften aus Rumänien und Bulgarien ..................... 22
3.
Durchsetzung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen ................................................................................. 22 VII
Inhaltsverzeichnis
4.
Grenzüberschreitende Verlegung von Unternehmenssitzen .............. 24
5.
Europäische Entwicklungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ................................................................................ 26
6.
Anwendung der Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft ................................................................................... 28
C.
Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag ............................... 29
1.
Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen............................ 29 a) EuGH: Zulässigkeit von Kettenbefristungen .............................. 29 b) Generalanwalt: Bedenken bei der Haushaltsbefristung .............. 31 c) Übernahme wesentlicher Bestimmungen des letzten befristeten Vertrags ...................................................................... 32 d) Maßregelung durch Ausschluss von der Übernahme in unbefristete Beschäftigung .......................................................... 33 e) Sachgrundlose Befristung trotz vorangehenden Berufsausbildungsverhältnisses .................................................. 35
2.
Diskriminierung von Bewerbern wegen Schwerbehinderung ........... 38 a) Handlungspflichten aus § 81 SGB IX bei Einstellungsstopp ........................................................................ 38 b) Entschädigungsanspruch bei Benachteiligung wegen Behinderung ................................................................................ 40
3.
Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach AGG ........................................................................................... 43
4.
Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber......................................... 44
5.
AGB-Kontrolle einer Rückzahlungsklausel in Bezug auf Weiterbildungskosten ......................................................................... 47
6.
AGB-Kontrolle einer salvatorischen Klausel .................................... 49
7.
Direktionsrecht: Zumutbarkeit einer Änderung des Arbeitsorts .......................................................................................... 51
8.
Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung ......................................... 52 a) Privilegierte konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung .............. 53 b) Nichtprivilegierte Arbeitnehmerüberlassung im Konzern .......... 55
VIII
Inhaltsverzeichnis
9.
Tarifliche Ausschlussfrist bei vorsätzlicher Pflichtverletzung ........... 57
D.
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub ............................................ 61
1.
Beendigung der Elternzeit bei erneuter Schwangerschaft ................. 61
2.
Unwirksamkeit einer pauschalen Überstundenabgeltung .................. 63
3.
Arbeitszeitkonto: Kürzung von Zeitguthaben .................................... 66
4.
Einbeziehung erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile in den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ................................................ 67
5.
Unwirksamkeit eines allgemeinen Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag ..................................................................................... 68
6.
Jahressonderzahlung mit Stichtagsregelung ...................................... 72
7.
Rechtliche Bedeutung der Festlegung eines Bonuspools .................. 76 a) Bindungswirkung durch die Festlegung eines Bonuspools? ................................................................................ 76 b) Bedeutung einer Regelungssystematik durch Betriebsvereinbarung .................................................................. 79 c) Schadensersatzanspruch bei fehlender Festlegung eines Bonuspools? ................................................................................ 80
8.
Dividendenzahlung als Voraussetzung eines Tantiemeanspruchs ............................................................................. 82
9.
Schadensersatzanspruch wegen Provisionsminderung als Folge von Organisationsänderungen .................................................. 84
10.
Gleichbehandlung bei der Verwendung unterschiedlicher Vertragsmuster.................................................................................... 86
11.
Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei diskriminierenden Vergütungsregelungen .......................................... 90
12.
Mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit ................................... 93
13.
Urlaubsanspruch bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit und ruhendem Arbeitsverhältnis ............................................................... 96
14.
Arbeitsvertragliche Regelung zur Urlaubsabgeltung ......................... 99
15.
Urlaubsabgeltung: Länge tariflicher Ausschlussfristen ................... 101
16.
Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer ................................. 105
IX
Inhaltsverzeichnis
17.
Urlaub: Keine Doppelansprüche bei unwirksamer Kündigung ....... 109
E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags ............................................ 111
1.
Zurückweisung einer Kündigung mangels Vorlegung einer Vollmachtsurkunde ........................................................................... 111
2.
Schutz vor Entlassung während der Probezeit ................................. 114
3.
Kündigungsschutzrechtliche Obliegenheit zur Feststellung von Sozialdaten ................................................................................ 116
4.
Sozialauswahl und Altersdiskriminierung ...................................... 119 a) Kennzeichnung freier Arbeitsplätze beim Einsatz von Leiharbeitnehmern .................................................................... 119 b) Das Alter als Bestandteil der Sozialauswahl ............................. 121 c) Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen ......................... 123 d) Fazit ........................................................................................... 125
5.
Altersdiskriminierung durch Bezugnahme auf § 622 Abs. 2 S. 2 BGB............................................................................................... 126
6.
Stellungnahme des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige ............................................................... 127
7.
Änderungskündigung als ultima ratio .............................................. 129
8.
Kündigung bei Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen? .......... 130
9.
Wiederaufnahme des Kündigungsschutzprozesses bei strafgerichtlicher Verurteilung des Arbeitnehmers .......................... 133
10.
Rücktritt vom Aufhebungsvertrag bei fehlender Erfüllung der darin geregelten Pflichten ................................................................ 135
11.
Annahmeverzug: Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs beim bisherigen Arbeitgeber .............................................. 137
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags ............................................................................. 139
1.
Anrechnung von Arbeitslosengeld auf eine Karenzentschädigung wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ......................................................................... 139
X
Inhaltsverzeichnis
2.
Beseitigung der Folgen von „BBG-Sprüngen“ in der betrieblichen Altersversorgung ........................................................ 141
3.
Anspruch auf Neuberechnung bei Streit über Höhe einer Betriebsrentenanwartschaft? ............................................................ 143
4.
Betriebsrentenanpassung: Ermittlung des Kaufkraftverlusts bei Renteneintrittszeiten vor dem 1.1.2003 ..................................... 145
5.
Betriebsrentenanpassung: Bedeutung eines Unterrichtungsschreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG .............. 147
6.
Gestaltungsspielraum bei der Zeugniserstellung ............................. 150
7.
Herausgabeanspruch des Arbeitgebers bei Geschäftsunterlagen ......................................................................... 152
G.
Tarifrecht........................................................................................ 155
1.
Unterlassungsverfügung bei Streik .................................................. 155
2.
Arbeitskampf: Suspendierende Betriebsstilllegung statt Abwehraussperrung.......................................................................... 159
3.
Fehlende Tariffähigkeit der CGZP ................................................... 163
4.
Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln........................................................................ 164 a) Gleichstellungsabrede: Unbefristetes Privileg für Altverträge................................................................................. 164 b) Altvertrag: Wegfall der Privilegierung bei Änderungsvereinbarung ............................................................ 166 c) Bezugnahmeklausel und ergänzende Vertrags auslegung................................................................................... 169 d) Bezugnahmeklausel bei Tarifsukzession................................... 171 e) Kirchliche Arbeitsbedingungen: Keine Ablösung der Bezugnahme auf die AVR durch Tarifvertrag ........................... 172
5.
Zeitarbeit: Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge ................ 173
H.
Betriebsverfassung und Mitbestimmung ................................ 179
1.
Abbruch einer Betriebsratswahl wegen drohender Unwirksamkeit ................................................................................. 179 XI
Inhaltsverzeichnis
2.
Anfechtung einer Betriebsratswahl in gewillkürter Organisationseinheit ......................................................................... 181
3.
Kündigungsschutz von Amtsträgern der Betriebsverfassung .......... 185 a) Kündigungsschutz von Wahlbewerbern .................................... 185 b) Sonderkündigungsschutz für Ersatzmitglieder des Betriebsrats ................................................................................ 187
4.
Zuständigkeit von Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsrat für die Überwachung nach § 80 Abs. 1 BetrVG .............................. 189
5.
Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung ....................................................................... 193
6.
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei der Einstellung „nicht nur vorübergehend beschäftigter“ Leiharbeitnehmer ............................................................................. 199
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung: Neubewertung des Tarifvorbehalts ....................... 202
8.
Überwachungsrechte des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement ............................................................. 206
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Unterweisung zum Arbeitsschutz .................................................................................... 208
10.
Mitbestimmungsrecht Betriebsrat: Gesundheitsschutz, Ausgleich für Nachtarbeit ................................................................ 210
11.
Berücksichtigung von Arbeitnehmern der Tochterunternehmen im Aufsichtsrat bei Drittelbeteiligung ............ 212
I.
Betriebsänderung und Betriebsübergang ............................... 215
1.
Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach dem Zusammenschluss von Betrieben ..................................................... 215
2.
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert nach § 111 BetrVG .................................................. 217
3.
Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen über einen Interessenausgleich .......................................................................... 222
4.
Kennzeichnung eines Betriebsteilübergangs ................................... 224
XII
Inhaltsverzeichnis
5.
Betriebsübergang bei Fortführung durch gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen ........................................................ 227
6.
Es gibt sie doch: Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang .............................................................................. 229 a) b) c) d)
Praxisrelevante Klarstellungen des BAG .................................. 229 Verteilung der Darlegungs- und Beweislast .............................. 231 Die Klarstellungen des 8. Senats des BAG im Einzelnen ........ 232 Fazit ........................................................................................... 236
7.
Anfechtung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB ........................................... 237
J.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht ............................................................ 241
1.
Neufassung des SGB III ................................................................... 241
2.
Bericht der Bundesregierung zum Flexi-Gesetz .............................. 243
3.
Steuerfreiheit der Nutzungsvorteile aus Datenverarbeitungsgeräten und Zubehör ......................................... 243
Stichwortverzeichnis................................................................................... 245
XIII
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. abl. ABlEG Abs. abw. AcP AGBG ADG ÄndG AEntG AEUV AFG AGBG
AiB AFKG AktG AktuellAR AltEinkG AltZertG AVmG allg. AMP AMS amtl. Anl. Anm. AO AP ArbG ArbGG AR-Blattei
anderer Auffassung alte Fassung ablehnend Amtsblatt der EG Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Geschäftsbedingungengesetz Antidiskriminierungsgesetz Änderungsgesetz Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz 1969 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) 1976 Arbeitsrecht im Betrieb Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz Aktiengesetz Gaul bzw. Gaul/Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht Alterseinkünftegesetz Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz Altersvermögensgesetz allgemein Arbeitgeberverband Mittelständicher Personaldienstleister Arbeitsschutzmanagementsystem amtlich(e) Anlage Anmerkung Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz 1979 Arbeitsrechts-Blattei, Handbuch für die Praxis
XV
Abkürzungsverzeichnis
ArbNErfG
AuR AWbG
Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (Arbeitnehmererfindergesetz) 1957 Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (Arbeitsplatzschutzgesetz) 1957 Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz) Arbeitsrecht in Stichworten Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung) Arbeitszeitgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart Arbeitsgenehmigungsverordnung Artikel Anwerbestoppausnahmeverordnung Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheitsgesetz) Altersteilzeitgesetz Arbeit und Arbeitsrecht Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Aufenthaltsgesetz Auflage Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) 1972 Arbeit und Recht Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz
BA BAG BAVAZ BAT BAT-O
Bundesanstalt für Arbeit Bundesarbeitsgericht Bedarfsabhängige variable Arbeitszeit Bundesangestelltentarifvertrag Bundesangestelltentarifvertrag Ost
ArbPlSchG
ArbRB ArbSchG
ARSt ArbStättVO ArbZG ARdGgw. ArGV Art. ASAV ASiG
ATG AuA AU-Bescheinigung Aufenthalt/EWG
AufenthG Aufl. AÜG
XVI
Abkürzungsverzeichnis
BB BBiG Bd. BDA Beil. BEEG BEM BerASichG BErzGG Beschäftigungschancen gesetz BeschFG
BeschSchG BetrAVG BetrSichVO BetrVG BetrVG 1952 BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BildschArbV BilMoG BImSchG BKK Bl. BMF BMT-G BMWA BPersVG br BR-Drucks.
Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz 1969 Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beilage Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Berufliches Eingliederungsmanagement Berufsausbildungssicherungsgesetz 2004 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz) 1985 Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) 2001 Beschäftigtenschutzgesetz Betriebsrentengesetz Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz 1972 Betriebsverfassungsgesetz 1952 Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Bildschirmarbeitsverordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundes-Immissionsschutzgesetz Betriebskrankenkasse Blatt Bundesministerium für Finanzen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundespersonalvertretungsgesetz 1974 Behindertenrecht (Zeitschrift) Bundesratsdrucksache XVII
Abkürzungsverzeichnis
BRTV-Bau BSDG BSeuchG
BSG BSGE BSHG BSSichG BStBl. BT-Drucks. BUrlG BuW BNichtrSchG BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. ca. CGM CGZP ChemG ChGlFöG
DA DAG DB DBGrG ders. DGB d. h. DKK XVIII
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (BundesSeuchengesetz) Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Amtliche Sammlung) Bundessozialhilfegesetz Breitragssatzsicherungsgesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) 1963 Betrieb und Wirtschaft Bundesnichtraucherschutzgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise circa Christliche Gewerkschaft Metall Christliche Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) 1994 Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen Durchführungsanweisung Deutsche Angestellten Gewerkschaft Der Betrieb Gesetz über die Gründung der Deutschen Bahn-AG derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Däubler/Kittner/Klebe
Abkürzungsverzeichnis
DLW DNotZ DOK DP DrittelbG DSAG DStR DStRE
Dörner/Luczak/Wildschütz Deutsche Notarzeitschrift Zeitschrift für "Ortskrankenkassen" Das Personalbüro Drittelbeteiligungsgesetz Datenschutzauditgesetz Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerrechtentscheidung
EAS EBRG
Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Gesetz über Europäische Betriebsräte (Europäische-Betriebsräte-Gesetz) 1996 Europäische Betriebsräte Richtlinie Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Agreement Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) 1994 Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises Einkommenssteuerberater Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft 1997 Europäische Menschenrechtskonvention Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Europäische Sozialcharta Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein eventuell Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
EBR-Richtlinie EFG EFTA EFZG
EG EGBGB ELENA-VerfahrensG EstB EGV EMRK ErfK ESC EStG etc. EU EuGH EuZW EUV e. V. evtl. EVÜ EWG EWiR
XIX
Abkürzungsverzeichnis
EzA
Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
FamPflegeZG f. ff. FG Fitting FMStG Fn. FR FS
Familienpflegezeitgesetz folgend fortfolgende Finanzgericht Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau (Dt. Steuerblatt) Festschrift
GA-AÜG
GRC GRUR GS GSG GWB
Geschäftsanweisung zum AÜG von der Bundesagentur für Arbeit (Stand 12/2011) Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe gemeinsam(e) Gendiagnostikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung 1869 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gerätesicherheitsgesetz 1992 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HAG Halbs. h. M. HGB HinGebSchG SWG
Heimarbeitergesetz Halbsatz herrschende Meinung Handelsgesetzbuch 1897 Hinweisgeberschutzgesetz Hess/Schlochauer/Worzolla/Glock
GefStoffV gem. GenDG GenTSV GewO GG ggf. GK GK-KR GmbHR GmS-OBG GNBZ
XX
Abkürzungsverzeichnis
i. d. F. i. E. i. H. a. INF InKDG InsO InvG i. S. d. IT-ArGV IT-AV ITRB i. V. m. JArbSchG JuMoG KDZ
in der Fassung im Ergebnis im Hinblick auf Die Information über Steuer und Wirtschaft Informations- und Kommunikationsdienstegesetz Insolvenzordnung 1994 Investmentgesetz im Sinne des Verordnung über Arbeitsgenehmigungen Verordnung über Aufenthaltsgenehmigungen IT-Rechtsberater in Verbindung mit Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) 1976 Justizmodernisierungsgesetz
K&R krit. KSchG KuG
Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.) Kündigungsschutzrecht Kommentar 8. Aufl., 2011 Kapitel Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Kammergericht Konkursordnung Kölner Praxiskommentar Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kommunikation und Recht kritisch Kündigungsschutzgesetz 1969 Kurzarbeitergeld
LadschlG LAG LAGE
Ladenschlussgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte
Kap. KAPOVAZ KassArbR KassKomm KG KO KPK KR
XXI
Abkürzungsverzeichnis
LasthandhabV LFZG
Lit. LPartG LPartÜAG LS LStDV m. MDR m. E. MERL MgVG
m. w. N. MindArbBedG MitbestG MitbestErgG MontanMitbestG MonMitbestErgG MTV MünchArbR MünchKomm MuSchG
NachwG
n. F. NJW Nr. Nrn. NZS n. v. XXII
Lastenhandhabungsverordnung Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) 1969 Literatur Lebenspartnergesetz Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Leitsatz Lohnsteuer-Durchführungsverordnung mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Massenentlassungsrichtlinie Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung mit weiteren Nachweisen Mindestarbeitsbedingungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) 1976 Mitbestimmungsergänzungsgesetz Montan-Mitbestimmungsgesetz Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz Manteltarifvertrag Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) 1968 Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (Nachweisgesetz) neue Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Sozialrecht (noch) nicht veröffentlicht
Abkürzungsverzeichnis
NZA NZA-RR NZG
Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PatG PersR PersVG NW
Patentgesetz 1980 Personalrat Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen Pflegeversicherungsgesetz Pflegezeitgesetz Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Preisklauselgesetz Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung von Ausrüstungen bei der Arbeit
PflegeVG PflegeZG PfWG PreisKlG PSABV
PSDG PSH-BV PSV PW
Verordnung über die Benutzung persönlicher Schutzausrüstung Pensionssicherungsverein Preis/Willemsen
RabattG RAG RAGE
Rabattgesetz Reichsarbeitsgericht Entscheidungssammlung des Reichsarbeitsgerichts RdA Recht der Arbeit RDV Recht der Datenverarbeitung Risikobegrenzungsgesetz Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie(n) Rz. Randzahl/Randziffer Rs. Rechtssache RsprEinhG Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes 1968 RVO Reichsversicherungsordnung 1911 RzK Rechtsprechung zum Kündigungsrecht
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
s. S. Sachgeb. SAE SchwarzArbG SchwbG
SE SEAG SEBG SeemG SGB I SGB III SGB IV SGB V SGB VI SGB VII SGB IX SGB X SGB XI
SGb SigG s. o. sog. SozplKonkG SozR SPE spi XXIV
siehe Seite bzw. Satz Sachgebiet Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft – Schwerbehindertengesetz (1986) Europäische Gesellschaft SE-Ausführungsgesetz SE-Beteiligungsgesetz Seemannsgesetz 1957 Sozialgesetzbuch, I. Buch - Allgemeiner Teil 1975 Sozialgesetzbuch, III. Buch - Arbeitsförderung 1997 Sozialgesetzbuch, IV. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung 1976 Sozialgesetzbuch, V. Buch - Gesetzliche Krankenversicherung 1988 Sozialgesetzbuch, VI. Buch - Gesetzliche Rentenversicherung 1989 Sozialgesetzbuch, VII. Buch - Gesetzliche Unfallversicherung 1996 Sozialgesetzbuch, IX. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 2001 Sozialgesetzbuch, X. Buch - Verwaltungsverfahren 1980/82 Sozialgesetzbuch, XI. Buch - Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit 1994 Die Sozialgerichtsbarkeit Signaturgesetz siehe oben sogenannte(r) Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren Sozialrecht, Entscheidungssammlung Societas Privata Europaea (=Statut der Europäischen Privatgesellschaft) sozialpolitische Informationen
Abkürzungsverzeichnis
SprAuG SpTrUG StGB st. Rspr.
Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) 1988 Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen Strafgesetzbuch 1871 ständige Rechtsprechung
TransPuG TVG TVöD TzBfG
Transparenz- und Publizitätsgesetz Tarifvertragsgesetz 1969 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge 2001
u. a. u. ä. ÜbernG
unter anderem und ähnlich Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und Unternehmensübernahmen 2002 Umlagefinanzierungsgesetz Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (Umwandlungsgesetz) 1994 Urheberrechtsgesetz 1965 und so weiter Unfallverhütungsvorschriften
UmlFinG UmwG UrhG usw. UVV v. VAG VermbG VermG VersAusglG vgl. VglO Vorbem. VorstAG VorstOG VVG VwGO VwVfG
vom Versicherungsaufsichtsgesetz Vermögensbildungsgesetz Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Versorgungsausgleichsgesetz vergleiche Vergleichsordnung 1935 Vorbemerkung(en) Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Gesetz über den Versicherungsvertrag 1908 (Versicherungsvertragsgesetz) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz 1976 XXV
Abkürzungsverzeichnis
WahlO WhistleblowerSchutzgesetz WHSS WiB wib WissZeitG WM WpHG WPrax WpÜG z. B. ZDG ZESAR ZEuP ZfA ZGR ZHR Ziff. ZIP ZPO ZSEG z. T. ZTR zust. ZustRG
XXVI
Wahlordnung Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Wirtschaftliche Beratung Woche im Bundestag Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsrecht und Praxis Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zum Beispiel Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung 1877 Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz
A. Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland 1.
Neues zum Beschäftigtendatenschutz
Verlautbarungen der Abgeordneten Frieser und Piltz als Vertreter der Koalition im Februar 2012 ließen zunächst die Erwartung entstehen, dass die Arbeit am Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz noch in diesem Frühjahr zum Ende gebracht würde. Wie hatten im Herbst über die letzten Änderungsvorschläge der beteiligten Ministerien berichtet1. Ein Ende ist derzeit indes nicht absehbar. Bis zum heutigen Tage liegt kein geänderter Entwurf vor, der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens insbesondere die Ergebnisse der Sachverständigenanhörung aus Mai 2011 berücksichtigt. Hintergrund der Schwierigkeiten der Koalitionen dürften nicht nur unterschiedliche Vorstellungen zum Beschäftigtendatenschutz in den Fraktionen von FDP einerseits und CDU/CSU andererseits sein. Dies betrifft vor allem die Möglichkeiten einer Rechtfertigung durch Einwilligung sowie Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Dienstvereinbarung. Nach wie vor umstritten sind weiterhin insbesondere die Befugnisse des Arbeitgebers zu datenschutzrechtlich relevanten Maßnahmen bei der Aufdeckung von Pflichtverletzungen bzw. drohenden Pflichtverletzungen, der Umgang mit Intranet, Internet und E-Mail sowie eine gesetzliche Neuregelung des konzerninternen Datentransfers. Erhebliche Probleme dürften der Koalition vor allem die Feststellungen des EuGH im Urteil vom 24.11.20112, auf die wir an anderer Stelle hingewiesen haben3, bereiten. Denn mit dieser Entscheidung hatte der EuGH klargestellt, dass auf nationaler Ebene keine weitergehenden Schranken für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten festgelegt werden dürfen, als dies im Rahmen der EG-Datenschutzrichtlinie vorgesehen ist. Auch eine Neufassung des BDSG darf also allenfalls konkretisieren, nicht aber weitergehende – insbesondere apodiktische – Schranken für den Umgang mit personenbezogenen Daten der Beschäftigten festlegen. Eine Reihe der im Entwurf enthaltenen Regelungen dürfte diese Schranke nicht berücksichtigen und deshalb unwirksam sein. Hier besteht also ein erheblicher Nachbesserungsbedarf, der – auf der Zeitschiene – auch die aktu-
1 2 3
B. Gaul, AktuellAR 2011,303 ff. C-468/10, NZA 2011, 1409 ff. B. Gaul, AktuellAR 2012, 17 ff.
1
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
ellen Überlegungen zu einer Datenschutz-Grundverordnung4 in Auge behalten muss. Wir werden über den weiteren Fortgang berichten. In der Zwischenzeit obliegt es Rechtsprechung und Literatur, die derzeit offenen Fragen im Bereich des Beschäftigtendatenschutzrechts zu beantworten. § 32 BDSG, der derzeit die wesentliche Vorgabe enthält, lässt viele Frage offen, so dass häufig eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage einer Interessenabwägung Zulässigkeit und Schranken einer datenschutzrechtlich relevanten Maßnahme bestimmt5. (Ga)
2.
Gesetz zur Förderung der Mediation
Veranlasst durch die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen6, die bis zum 20.5.2011 (Art. 12) in deutsches Recht umzusetzen war, hat das Bundesministerium der Justiz am 4.8.2010 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorgelegt7. Dieser Entwurf ist im Bundesjustizministerium überarbeitet worden und anschließend als Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 1.4.20118 nebst einer Stellungnahme des Bundesrats vom 18.3.20119 und einer Gegenäußerung der Bundesregierung vom 13.4.201110 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden. Die 1. Lesung fand am 14.4.2011 im Bundestag statt, der die Überweisung des Gesetzentwurfs an den federführenden Rechtsausschuss beschlossen hat. Am 25.5.2011 erfolgte eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen. Nach erneuter Ausschussberatung hat der Bundestag am 15.12.2011 den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des
Vgl. hierzu B. Gaul, AktuellAR 2012, 19 ff. Eingehend zum Gesetzentwurf und den derzeit in der Praxis diskutierten Fragestellungen vgl. auch Kleinebrink, ArbRB 2012, 61 ff.; Kursawe/Nebel, BB 2012, 516 ff.; Frings/Wahlers, BB 2011, 3126 ff.; Dzida/Schütt, ArbRB 2012, 21 ff.; Schulze, AiB 2012, 12 ff.; Geschonneck/Meyer/Scheben, BB 2011, 2677 ff.; Schulz, BB 2011, 2552 ff.; Freckmann/Störing/Müller, BB 2011, 2549 ff.; Müller, DB 2011, 2604 ff.; Rudlowski, ZfA 2011, 287 ff. 6 ABl. L 136 v. 24.5.2008, S. 3. 7 Boewer, AktuellAR 2010, 298 ff. 8 BT-Drucks. 17/5335. 9 BR-Drucks. 16/11 (B). 10 BT-Drucks. 17/5496. 4 5
2
Gesetz zur Förderung der Mediation
Rechtsausschusses vom 1.12.201111 beschlossen. Der Bundesrat hat jedoch am 10.2.2012 beschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen12. Durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses hat der Gesetzentwurf der Bundesregierung erhebliche Änderungen erfahren13. Die im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen zur gerichtsinternen Mediation sind komplett entfallen. Die bereits bisher praktizierten unterschiedlichen Modelle der gerichtsinternen Mediation sollen nach einer Übergangszeit durch ein erweitertes Güterichterkonzept ersetzt werden, das Eingang in die verschiedenen Prozessordnungen und damit auch in das Arbeitsgerichtsgesetz finden soll. Aus Gründen der Qualitätssicherung und Markttransparenz wird die Aus- und Fortbildung des Mediators vorgesehen sowie der zertifizierte Mediator eingeführt (Art. 1 § 5). Diese Änderung geht vor allem auf die Sachverständigenanhörung zurück. Die Sachverständigen haben für eine gesetzliche Festschreibung konkreter Standards für eine angemessene Aus- und Fortbildung der Mediatoren plädiert. Diesem Anliegen dient die Neuregelung in Art. 1 § 5 Mediationsgesetz, wonach zwischen dem Mediator und dem zertifizierten Mediator zu unterscheiden ist. Ein Mediator darf sich als zertifizierter Mediator bezeichnen, wenn er eine Ausbildung abgeschlossen hat, die die Ausbildungsstandards nach einer gesondert zu erlassenen Rechtsverordnung gemäß § 6 Mediationsgesetz erfüllt. In Art. 2 werden die Änderungen der Zivilprozessordnung geregelt, die durch das Mediationsgesetz veranlasst sind. Es bleibt zunächst dabei, dass die Klageschrift eine Angabe darüber enthalten soll, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Neu gefasst wird § 278 Abs. 5 ZPO, wonach das Gericht die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen Güterichter als beauftragten oder ersuchten Richter verweisen kann. Dieser Regelung entspricht gemäß Art. 4 (Änderung des ArbGG) einer Ergänzung des § 54 ArbGG durch einen Abs. 6. Danach kann der Vorsitzende die Parteien für die Güteverhandlung sowie deren Fortsetzung vor einen Güterichter als ersuchten Richter verweisen. Die im arbeitsgerichtlichen Verfahren vorgesehene Beschränkung auf den ersuchten Richter, der dem Spruchkörper im Gegensatz zum beauftragten Richter nicht angehört, resultiert aus der Besetzung der Kammern in der 1. und 2. Instanz. Unabhängig davon, dass die Neuregelungen des § 278
11 BT-Drucks. 17/8058. 12 BR-Drucks. 10/12. 13 Zum Gesetzentwurf Boewer, AktuellAR 2010, 298 ff.
3
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Abs. 5 ZPO und des § 54 Abs. 6 ArbGG den Eindruck erwecken könnten, dass das Gericht zur Konfliktbeilegung eine weitere Güteverhandlung vor dem Güterichter anordnen kann, kommt die Durchführung einer weiteren Güteverhandlung nur mit Einverständnis der Parteien in Betracht. In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ist die Möglichkeit, den Inhalt einer Mediationsvereinbarung in einem gesonderten Verfahren vollstreckbar zu machen, ersatzlos gestrichen worden. Die Parteien werden darauf verwiesen, dass die Vollstreckungsfähigkeit einer Mediationsvereinbarung auf üblichem Wege gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO in Verbindung mit § 797 ZPO herbeigeführt werden kann. Im Übrigen kann gemäß § 278 Abs. 6 ZPO ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten und das Gericht das Zustandekommen und den Inhalt des geschlossenen Vergleichs durch Beschluss feststellt. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sollen die für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs maßgebenden Vorschriften über das Güteverfahren gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 ArbGG auch im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens zur Anwendung kommen (Art. 4 und § 83a ArbGG). Eine entsprechende Ergänzung der §§ 64 Abs. 7 und 87 Abs. 2 ArbGG sorgt dafür, dass die Möglichkeit der Einschaltung eines Güterichters auch im zweiten Rechtszug sowohl im Erkenntnis- als auch im Beschlussverfahren eröffnet wird. Die Einführung eines erweiterten Güterichterkonzepts unter Wegfall der bereits bestehenden Angebote gerichtsinterner Mediation war Veranlassung für den Bundesrat, den Vermittlungsausschuss mit dem Ziel anzurufen, die richterliche Mediation in den Prozessordnungen ausdrücklich zu verankern. Bereits im November 2011 hatte sich die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister für den Erhalt der richterlichen Mediation ausgesprochen, weil die Erfolge der Gerichtsmediation in der Vergangenheit gezeigt haben, dass diese eine sinnvolle Alternative zur richterlichen Entscheidung darstellt. Des Weiteren kann nach Ansicht des Bundesrats eine außergerichtliche Mediation dann keine Alternative gegenüber der gerichtsinternen Mediation sein, wenn die Parteien gesetzliche Klagefristen zu respektieren haben, wie dies etwa im Falle von Kündigungsschutzklagen der Fall ist. Es ist zudem zu bedenken, dass die Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen ausdrücklich in Art. 3 die Mediation durch einen Richter einschließt, der nicht für ein Gerichtsverfahren in der betreffenden Streitsache zuständig ist. Wenn auch der Anwendungsbereich der Richtlinie nur grenzüberschreitende Streitigkeiten erfasst, müsste der Gesetzgeber zumindest insoweit die gerichtsinterne Mediation zulassen. 4
Gesetzentwürfe zum Schutz von Whistleblowern
Man wird gespannt sein können, welche Empfehlung der Vermittlungsausschuss abgibt. (Boe)
3.
Gesetz zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Das Gesetz über die Familienpflegezeit (FamPflegeZG) ist als Bestandteil des Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf am 1.1.2012 in Kraft getreten14. Über die damit verbundenen Neuerungen hatten wir bereits im vergangenen Jahr berichtet15. (Ga)
4.
Neufassung des Europäische Betriebsräte-Gesetzes
Das Europäische Betriebsräte-Gesetz (EBRG) ist bereits mit Wirkung zum 18.6.2011 geändert worden. Wir hatten darüber berichtet16. Die Neufassung des Gesetzes ist am 7.12.2011 veröffentlicht worden und für die weitere Handhabe der Fragen zum Europäischen Betriebsrat maßgeblich17. (Ga)
5.
Gesetzentwürfe zum Schutz von Whistleblowern
Neben einer allgemeinen Initiative der Fraktion DIE LINKE18 liegen dem Bundestag inzwischen zwei konkrete Gesetzentwürfe für den Schutz von Whistleblowern im Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis vor. Dabei hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz) zwar ausgearbeitet aber noch nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Die SPD-Fraktion hat den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Hinweisgebern – Whistleblowern (Hinweisgeberschutzgesetz - HinwGebSchG)19 bereits eingebracht. Obwohl die Anhörung der Sachverständigen am 5.3.2012 hat erkennen lassen, dass auch bei einer kritischen Betrachtung der unterschiedlichen Initiativen durchaus Anlass besteht, gesetzliche Klarstellungen vorzunehmen, ist nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung die Gesetzesvorschläge der 14 15 16 17 18 19
BGBl I 2011, 2564 ff. Boewer, AktuellAR 2011, 316 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 17 ff., 314. BGBl I 2011, 2650 ff. BT-Drucks. 17/6492. BT-Drucks. 17/8567.
5
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Opposition umsetzen wird. Dieses Grundverständnis zeigt sich bereits an der wenig überzeugenden Haltung zu den Vorschlägen von SPD bzw. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Streichung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB20.
a)
Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der Gesetzesvorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht eine Ergänzung von § 612 a Abs. 2 BGB sowie eine Einfügung von § 612 b BGB vor. Vergleichbare Regelungen werden dann für das Beamtenrecht vorgeschlagen. Nach dem Gesetzentwurf soll zunächst einmal eine Beweislastumkehr in Bezug auf etwaige Ansprüche wegen einer Benachteiligung nach § 612 a Abs. 1 BGB eingefügt werden. Der Vorschlag lautet insoweit wie folgt: Sofern ein Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen zulässiger Ausübung seiner Rechte erkennbar werden lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen Abs. 1 vorliegt.
Das Anzeigerecht der Arbeitnehmer, die aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung sind, dass im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit rechtliche Pflichten verletzt werden oder eine solche Verletzung droht, wird sodann in § 612 b BGB geregelt. Wesentlich daran ist, dass sich der Arbeitnehmer grundsätzlich zuerst an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle zu wenden hat. Die Berechtigung, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden, soll der Arbeitnehmer nach dem Entwurf nur dann haben, wenn der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht binnen angemessener Frist oder nach Auffassung des Arbeitgebers aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht oder nicht ausreichend nachkommt oder ihm ein solches Verlangen nicht zumutbar ist. Unzumutbar ist nach dem Entwurf ein solches Verlagen insbesondere, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass 1. im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht, Freiheit der Person, Stabilität des Finanzsystems oder Umwelt droht, 2. der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit vorsätzlich eine Straftat begangen hat,
20 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2011, 37 f.; 2012, 12 f.
6
Gesetzentwürfe zum Schutz von Whistleblowern 3. ein anderer Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine Straftat begangen hat und der Arbeitgeber die Straftat billigt, 4. eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige der Arbeitnehmer sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde, oder 5. eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.
Erst in der dritten Stufe sieht der Gesetzentwurf die Berechtigung des Arbeitnehmers vor, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden. Voraussetzung hierfür ist, dass das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information das betriebliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt. Hiervon geht der Entwurf insbesondere dann aus, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte annimmt, dass im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht oder Freiheit der Person, Stabilität des Finanzsystems oder der Umwelt droht. Erhebliche Bedeutung für die Umsetzung dieser Regelungen zum Schutz von Whistleblowern könnte die darüber hinaus gehende Regelung besitzen, die den Arbeitnehmer dazu berechtigen soll, Kopien der für eine entsprechende Anzeige erforderlichen Informationen zu erstellen. Insofern sieht der Entwurf ausdrücklich vor, dass der Arbeitnehmer eine verkörperte Wiedergabe der betrieblichen Information, die er offenbaren will, herstellen und Dritten übermitteln darf, soweit dies erforderlich ist, um die Voraussetzungen seiner Befugnisse zur Anzeige gegenüber dem Arbeitgeber, einer inneroder außerbetrieblichen Stelle oder der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen.
b)
Gesetzentwurf der SPD-Fraktion
Die SPD-Fraktion will ein eigenständiges Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern-Whistleblowern schaffen. Dieses Gesetz soll Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen erfassen und deren Berechtigung regeln, Hinweise auf einen Missstand zu geben. Ein Missstand im Sinne des Gesetzes liegt nach dem Entwurf vor, wenn in einem Unternehmen, Betrieb oder im Umfeld einer unternehmerischen oder betrieblichen Tätigkeit Rechte und Pflichten verletzt werden oder unmittelbar gefährdet sind. Ein Missstand liegt danach auch vor, wenn eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt droht. Hinweise sind nach der Definition im Entwurf tatsachenbezogene Äußerungen oder entsprechende sonstige Handlungen, die dazu dienen, auf einen Missstand aufmerksam zu machen. Sie können schriftlich oder mündlich - gegebenenfalls anonym – erfolgen. 7
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
Neben den allgemeinen Regelungen zu einem Benachteiligungsverbot, einem Leistungsverweigerungsrecht sowie Ansprüchen auf Entschädigung und Schadensersatz steht im Mittelpunkt des Entwurfs natürlich das Anzeigerecht. Die entsprechenden Regelungen in § 6 HinwGebSchG lauten wie folgt: Rechte der Hinweisgeber §6 Anzeigerecht (1) Die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber kann sich bei einem Missstand, der tatsächlich besteht oder dessen Bestehen die Hinweisgeberin beziehungsweise der Hinweisgeber, ohne leichtfertig zu sein, annimmt, an die Arbeitgeberin beziehungsweise den Arbeitgeber oder eine vom Arbeitgeber im Unternehmen oder Betrieb eingerichtete zuständige Stelle wenden. Die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber kann sich auch an die betriebliche Interessenvertretung wenden, soweit der Hinweis den Aufgabenbereich des Gremiums betrifft. Die Hinweisgeberin beziehungsweise der Hinweisgeber hat das Recht, sich sofort an eine externe Stelle zu wenden. Die externe Stelle gibt regelmäßig nicht den Namen der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers bekannt, es sei denn, dies stellt sich als unvermeidbar dar. Eine vorherige Information des Arbeitgebers und ein Verlangen nach Abhilfe sind vor der Inanspruchnahme der externen Stelle nicht erforderlich. (2) Die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber darf sich erst dann unter Wahrung berufsständischer Verschwiegenheitspflichten an die Öffentlichkeit oder an Dritte, die keiner Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen, wenden, wenn 1. wegen des Missstandes das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt gefährdet ist, 2. die zuständige Behörde nicht angemessen auf den Hinweis reagiert hat. Eine unangemessene Reaktion liegt vor, wenn die Behörde
8
a)
der Hinweisgeberin oder dem Hinweisgeber nicht unverzüglich den Eingang seines Hinweises schriftlich bestätigt,
b)
nicht innerhalb einer angemessenen Frist eine der Bedeutung des Missstandes inhaltliche Prüfung einleitet und die Hinweisgeberin oder den Hinweisgeber mündlich oder schriftlich
Gesetzentwürfe zum Schutz von Whistleblowern
hierüber und die voraussichtliche Dauer der Prüfung benachrichtigt oder c)
die Hinweisgeberin oder den Hinweisgeber nicht nach Abschluss der Prüfung, spätestens jedoch mit Ablauf der der Hinweisgeberin oder dem Hinweisgeber nach Buchstabe b) genannten voraussichtlichen Dauer, mittels eines der Bedeutung des Missstandes gebührenden Sachstandsberichts schriftlich informiert.
(3) Hinweise von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern, die unter Beachtung der Absätze 1 bis 2 abgegeben werden, gelten als rechtmäßige Handlungen. (4) Von den Absätzen 1 bis 3 kann nicht zu Ungunsten des Hinweisgebers abgewichen werden. (5) Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach anderen Rechtsvorschriften und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.
Dass der Entwurf ergänzend hierzu dem Arbeitgeber das Recht zuerkennt, ein den unternehmerischen und betrieblichen Umständen angepasstes unternehmens- oder betriebsinternes Hinweisgebersystem zur Aufklärung von Missständen zu errichten, erscheint sinnvoll. Über ein solches System sollte ohnehin auch ohne Rücksicht auf die Umsetzung der hier behandelten Gesetzentwürfe nachgedacht werden. Der Vorteil eines solchen Systems, bei dessen Einführung der Betriebsrat jedenfalls nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beteiligen ist, liegt nicht nur darin, dass es die Chance fördert, dass tatsächlich vorhandene Pflichtverletzungen im Unternehmen aufgedeckt und im Interesse des Unternehmens und seiner Beschäftigten beseitigt werden. Der Vorteil einer regulierten Vorgehensweise liegt letztendlich auch darin, dass das Eskalationsszenario einer Anzeige etwaiger Missstände in der betrieblichen Regelung vorgegeben werden kann. Dies dürfte die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass etwaige Anzeigen – abweichend vom SPD-Entwurf – nicht unmittelbar auch unter Einbeziehung einer externen Stelle erstattet werden. Vielmehr wird mit einem solchen System gefördert, dass – entsprechend dem Entwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – grundsätzlich zunächst einmal eine unternehmensinterne Anzeige vorgenommen wird. Externe Stellen sollten nur dann eingebunden werden, wenn die interne Beseitigung nicht erfolgt oder wegen des Gewichts der in Rede stehenden Rechtsverletzung dieser Weg dem betroffenen Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. (Ga)
9
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
6.
Keine gesetzliche Regelung zur Tarifpluralität
Trotz intensiver Diskussionen über die Zulässigkeit und etwaigen Grenzen von Arbeitskampfmaßnahmen, wie sie insbesondere durch kleine Gewerkschaften initiiert werden (z. B. GDF, Cockpit, Ufo, Marburger Bund) gibt es derzeit keine gesetzgeberische Initiative zur Durchsetzung einer Tarifeinheit für den Fall, dass verschiedene Gewerkschaften eine konkurrierende Zuständigkeit für einen Betrieb bzw. Teile eines Betriebs geltend machen. Solche Fälle der Tarifpluralität sind spätestens durch die Entscheidung des BAG vom 7.7.201021 in den Mittelpunkt der Diskussion geraten. Mit diesem Urteil hatte das BAG seine bis dahin geltende Rechtsprechung zur Tarifpluralität aufgegeben. Obwohl insbesondere durch den DGB gemeinsam mit der BDA sowie einer Gruppe von Professoren Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung gemacht worden waren, ist keiner dieser Vorschläge zur Grundlage einer konkreten Initiative in Bundestag und/oder Bundesrat gemacht worden. Hintergrund dürften nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken sein, die insbesondere in Bezug auf die DGB/BDA-Initiative bestehen22. Trotz gegenteiliger Äußerungen dürfte sich die Bundesregierung insgesamt schwer tun, gerade in diesem Bereich des Tarifrechts erstmals eine gesetzliche Regelung zu treffen. Denn eine solche Regelung kann zwangsläufig nicht nur zum Inhalt haben, den Vorrang eines Tarifvertrags festzulegen, falls unterschiedliche Regelungen in Bezug auf einen Betrieb Geltung beanspruchen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Wahrung der Koalitionsfreiheit verlangen, dass in diesem Zusammenhang auch gesetzgeberische Regeln für einen etwaigen Arbeitskampf im Vorfeld solcher Tarifverträge getroffen werden. Gerade das Arbeitskampfrecht ist bislang aber noch nie Gegenstand einer gesetzlichen Regelung geworden, weil sich Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen können. Im Hinblick darauf wird man davon ausgehen müssen, dass die Praxis eigene Lösungen für das Problem der Tarifpluralität entwickeln muss. Dabei geht es nicht nur darum, wie etwaige Arbeitskampfmaßnahmen kleinerer Gewerkschaften vermieden werden können. Solche Arbeitskampfmaßnahmen waren schon früher, also vor der Änderung der BAG-Rechtsprechung zur Tarifpluralität, möglich. Hier wird man insbesondere darüber nachdenken müssen, eigenständige Einheiten zu schaffen, innerhalb derer streikrelevante Bereiche konzentriert werden. Dies dürfte eine Beeinträchtigung des
21 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068 ff. 22 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2010, 289 ff.
10
Gesetzliche Initiativen zur Einführung eines Mindestlohns
Hauptbetriebs mindern und die Chance eröffnen, Drittanbieter in solche Dienstleistungen einzubinden. Auf der praktischen Ebene wird man in der Zukunft auch darüber nachdenken müssen, wie insbesondere bei der Gestaltung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln der denkbaren Geltung verschiedener Tarifverträge in einem Unternehmen Rechnung getragen wird. (Ga)
7.
Gesetzliche Initiativen zur Einführung eines Mindestlohns und zur Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen
Die Fraktion DIE LINKE23, die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN24 und die Fraktion der SPD25 haben verschiedene Gesetzesinitiativen gestartet, um die Allgemeinverbindlicherklärung26 von Tarifverträgen zu erleichtern und branchenspezifische Mindestlöhne durchzusetzen. Hierzu hat am 6.2.2012 die Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales stattgefunden27. Die Gesetzesinitiativen enthalten insbesondere folgende Aspekte: • Anknüpfung der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags gemäß § 5 TVG an das Kriterium der Repräsentativität, wie es derzeit bereits in § 7 AEntG enthalten ist. • Das Quorum für die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags soll abgesenkt werden, sofern nicht ohnehin die Repräsentativität maßgeblich ist. • Über die Allgemeinverbindlicherklärung sollen nicht nur Vertreter der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen entscheiden. Vielmehr sollen auch die Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften aus den jeweils betroffenen Branchen beteiligt werden. • Das AEntG soll auf alle Branchen ausgedehnt werden und die generelle Grundlage dafür sein, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. • Die Mindestarbeitsbedingungen nach dem AEntG sollen nicht nur auf die unterste Entgeltgruppe, sondern auf einen weitergehenden Rahmen bis zu vollständigen Entgelttabellen ausgedehnt werden.
23 24 25 26 27
BT-Drucks. 17/8148. BT-Drucks. 17/4437. BT-Drucks. 17/8459. Vgl. Greiner, NZA 2012, 529 ff. BT-Drucks. 17/(11)766 neu.
11
Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland • Entsprechend den Regelungen im AEntG soll auch die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG dahingehend durchgesetzt werden, dass eine Verdrängung auch durch speziellere Tarifverträge, wie sie derzeit noch vorrangig auf regionaler oder firmenbezogener Ebene abgeschlossen werden können, ausgeschlossen wird.
Inzwischen hat sich zwar auch die Fraktion von CDU/CSU für die Einführung eines Mindestlohns ausgesprochen, falls in einer Branche keine Tarifverträge bestehen. Denkbar ist, dass dieser Vorschlag noch im Rahmen der laufenden Legislaturperiode umgesetzt wird, damit die Forderung nach dem Mindestlohn nicht zu einem beherrschenden Thema des künftigen Bundeswahlkampfs wird. Umgekehrt steht aber zu erwarten, dass die jetzt vorliegenden Entwürfe der Oppositionsfraktionen zur Neugestaltung des Tarifrechts in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt werden. Insofern dürften sie das gleiche Schicksal wie die Initiativen zur Einführung eines Mindestlohns – in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt werden. Denn die entsprechenden Entwürfe eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes28 und eine Initiative zur Einführung von Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohns29 sind im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 18.1.2012 abgelehnt worden30. (Ga)
8.
Gesetzentwürfe zur Umsetzung des EuGH-Urteils zu § 622 BGB
Bereits im vergangenen Jahr hatten wir über die Gesetzentwürfe berichtet, mit der die in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB liegende Altersdiskriminierung beseitigt werden sollte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD hatten hier gleichermaßen vorgeschlagen, die Sonderregelung zur Berechnung der Kündigungsfristen unter Ausgrenzung einer Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres schlicht und einfach zu streichen. Dies entspräche der Vorgabe des EuGH im Urteil vom 19.1.201031, das inzwischen auch durch das BAG umgesetzt wurde32. Beide Gesetzentwürfe haben im Ausschuss für Arbeit und Soziales keine Mehrheit gefunden33, obwohl weder FDP noch CDU/CSU eine bessere Lö28 29 30 31 32 33
12
BT-Drucks. 17/4665. BT-Drucks. 17/7483. BT-Drucks. 17/8385. C-555/07, NZA 2010, 85 ff. - Kücükdeveci. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2011, 119 ff.; 2012, 126 ff. BT-Drucks. 17/7489.
Frauenförderung in Führungspositionen
sung hatten. Diese gesetzgeberische Untätigkeit der Bundesregierung ist für die betriebliche Praxis mehr als ärgerlich. Offenkundig ist der Bundesregierung nicht daran gelegen, unionsrechtswidrige Zustände im geltenden Recht zu beseitigen. Es genügt der Bundesregierung, dass richterrechtlich die fehlende Anwendbarkeit von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB festgestellt wird. Bezeichnenderweise wird die Streichung von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB deshalb auch „nur“ als eine „redaktionelle Änderung“ gekennzeichnet, die die bereits geltende Rechtslage nachvollziehe. Handlungsbedarf für gesetzgeberische Klarstellungen sieht deshalb die Fraktion von CDU/CSU nicht. Die FDP betont, dass „keine überstürzte Einzelentscheidung“ getroffen werden solle34. Nach mehr als zwei Jahren, die seit der EuGH-Entscheidung vergangen sind, zeigt dies nur, dass nicht einmal einfache Aufgaben des Unionsrechts auf nationaler Ebene umgesetzt werden können. (Ga)
9.
Frauenförderung in Führungspositionen
Bereits im Herbst hatten wir über verschiedene Gesetzentwürfe berichtet, mit denen insbesondere die Besetzung von Positionen in Vorständen, Geschäftsführungen und Aufsichtsräten durch Frauen gefördert werden sollen. Die entsprechende Entwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN35 und SPD36 waren im Rechtsausschuss des Bundestages abgelehnt worden37. Sowohl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN38 als auch die SPD39 haben inzwischen nachgelegt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben eine Gesetzesinitiative gestartet, mit der nicht nur der Frauenanteil in den Gremien im Geltungsbereich des Bundesgremienbesetzungsgesetzes erhöht werden soll. Dabei geht es um die Besetzung solcher Funktionen, auf die – insbesondere als Anteilsinhaber – der Bund unmittelbaren Einfluss nehmen kann. Ergänzend hierzu soll eine verbindliche Mindestquote für Vorstände und Geschäftsführungen von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen kraft Gesetzes festgelegt werden. Die Mindestquote soll dabei mit klaren Sanktionsmechanismen für den Fall der Nichteinhaltung versehen werden. Darüber hinaus sollen bereits heute Regelungen getroffen werden, um die Erfahrungen einer geschlech-
34 35 36 37 38 39
BT-Drucks. 17/7489, 5. BT-Drucks. 17/3296. BT-Drucks. 17/4683. BT-Drucks. 17/6527. BT-Drucks. 17/7953. BT-Drucks. 17/8878.
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Gesetzliche Entwicklungen in Deutschland
tergerechten Quote zu nutzen, damit diese auf weitere Unternehmen ausgeweitet werden kann. Die SPD hat bereits ein konkretes Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen (ChGlFöG) vorgelegt40. Der Gesetzentwurf sieht eine Mindestquote von 40 % für Frauen und Männer in Aufsichtsräten und Vorständen ab 2015 vor. Die Quote soll schrittweise eingeführt werden. Für Aufsichtsräte soll bereits ab 1.1.2013 eine Mindestquote von 30 % gelten. Für Vorstände soll von diesem Zeitpunkt an eine Quote von 20 % eingeführt werden. Betroffen hiervon sind nicht nur Aktiengesellschaften, die börsennotiert sind. Vielmehr sollen die entsprechenden Vorgaben für alle Unternehmen zur Anwendung kommen, in denen eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat nach Maßgabe des MitbestG, des MitbestErgG, des MontanMitbestG, des DrittelbG oder des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) vorgesehen ist. Erhebliche Bedeutung haben die in diesem Gesetzentwurf vorhandenen Regelungen, mit denen die fehlende Umsetzung der Quotenregelung sanktioniert werden soll. Denn für Vorstände, Geschäftsführungen und Aufsichtsräte soll die Nichtbeachtung der Quote nach einer Übergangszeit die fehlende Beschlussfähigkeit solcher Unternehmensorgane zur Folge haben. Schon dies überzeugt nicht. Gänzlich ungeeignet sind die darüber hinaus gehenden Regelungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass im Rahmen der Aufsichtsratswahlen der Arbeitnehmervertreter eine Umsetzung der Quote bewirkt werden soll. Denn diese Regelungen lassen unberücksichtigt, dass die Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte nicht im Wege einer Listenwahl, sondern durch die Wahl einzelner Vertreter und ihrer Stellvertreter bestimmt werden. Hier ist es nahezu ausgeschlossen, durch die Aufstellung von Wahlvorschlägen zu gewährleisten, dass im Anschluss an die Durchführung der Wahl eine bestimmte Quote für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gewährleistet ist. Es steht nicht zu erwarten, dass die Gesetzentwürfe im Bundestag eine Mehrheit finden. Dies liegt schlussendlich nicht an grundlegend abweichenden Vorstellungen der Bundesregierung. Die Ursache dürfte darin liegen, dass eine einheitliche Linie in der Bundesregierung zum Thema Frauenquote bislang nicht gefunden wurde. Zum Teil wird eine Quote für geboten gehalten. Zum Teil wird es für ausreichend angesehen, dass eine Quote im Wege der Selbstverpflichtung eingeführt wird. Wieder andere Teile wollen
40 BT-Drucks. 17/8878.
14
Frauenförderung in Führungspositionen
zunächst einmal abwarten oder erklären sich zu diesem Thema nicht. Eine Richtlinienentscheidung der Bundeskanzlerin, die die Erwartungshaltung konkretisieren würde, gibt es bislang nicht. (Ga)
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B. 1.
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Unionsrechtliche Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten
Wie wir bereits an anderer Stelle berichtet haben1, tut sich die Bundesregierung schwer, ihren Entwurf einer Neuregelung des Beschäftigtendatenschutzes durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Hintergrund dürfte nicht nur die durchaus berechtigte Kritik an dem Inhalt und der Regelungsweise der einzelnen Tatbestände des Entwurfs sein. Wir hatten darauf zuletzt im Herbst hingewiesen2. Ein Grund für die Probleme der Bundesregierung, das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen, dürfte letztendlich auch in dem Urteil des EuGH vom 24.11.20113 zu sehen sein, dessen Bedeutung nachfolgend aufgezeigt werden soll. Hinzu kommt, das mit dem Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung ganz neue Entwicklungen des europäischen Rechts in Rede stehen, die bereits heute einen Teil der Neuregelungen in Frage stellen.
a)
Richtlinie 95/46/EG als Höchstgrenze für den Schutz personenbezogener Daten
Bislang ist die Diskussion über die Bedeutung der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (EG-Datenschutzrichtlinie) in der Regel mit dem Ziel geführt worden, Argumente für eine Stärkung des Datenschutzes zu finden4. Hintergrund war neben den einzelfallbezogenen Regelungen der Richtlinie insbesondere Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 95/46/EG. Dieser lautet: Die Mitgliedstaaten gewährleisten nach den Bestimmungen dieser Richtlinie den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.
Mit seinem Urteil vom 24.11.20115 hat der EuGH deutlich gemacht, dass diese Regelung nur einen Zweck der EG-Datenschutzrichtlinie wiedergibt. 1 2 3 4 5
B. Gaul, AktuellAR 2012, 1 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 303 ff. C-468/10 und C-469/10, NZA 2011, 1409 ff. Wuermeling, NZA 2012, 368 ff. C-468/10 und C-469/10, NZA 2011, 1409 ff.
17
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
Die Richtlinie bezweckt auch, in Bezug auf den freien Verkehr personenbezogener Daten ein einheitliches Schutzniveau innerhalb der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten, damit der freie Verkehr personenbezogener Daten zwischen den Mitgliedstaaten nicht eingeschränkt wird. Dies bestätigt Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 95/46/EG. Aus diesem doppelten Zweck der Richtlinie 95/46/EG schlussfolgert der EuGH, dass Art. 7 Richtlinie 95/46/EG eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle vorsieht, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden könnte. Die Mitgliedstaaten seien deshalb nicht berechtigt, neue Grundsätze in Bezug auf die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten neben Art. 7 Richtlinie 95/46/EG einzuführen. Ebensowenig bestehe die Befugnis, zusätzliche Bedingungen zu stellen, die die Tragweite eines der sechs in diesem Artikel vorgesehenen Grundsätze verändern würden. Damit sind die Mitgliedstaaten zwar berechtigt, bei ihrer Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 95/46/EG Regelungen zu treffen, die eine Konkretisierung der Vorgaben der Richtlinie enthalten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die in Art. 7 lit. f) vorgesehene Rechtfertigung zur Verarbeitung personenbezogener Daten, die bereits dann gegeben ist, wenn diese Verarbeitung zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von den für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von den bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, erfolgt, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 95/46/EG geschützt sind, überwiegen. Diese allgemeine Interessenabwägung kann in den Mitgliedstaaten durchaus dahingehend konkretisiert werden, dass Leitlinien für diese Abwägung aufgestellt werden6. Ausdrücklich verbietet der EuGH allerdings in seinem Urteil vom 24.11.20117, dass ein Mitgliedstaat kategorisch und verallgemeinernd die Verarbeitung bestimmter Kategorien personenbezogener Daten ausschließt, ohne Raum für eine Abwägung der im konkreten Einzelfall einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen zu belassen. Insofern sind Regelungen in den Mitgliedstaaten nur zulässig, die bei Fehlen einer Einwilligung der betroffenen Person neben einem berechtigten Interesse des die Verarbeitung durchführenden Rechtsträgers und einem fehlenden Überwiegen der Grund-
6 7
18
EuGH v. 24.11.2011 – C-468/10 und C-469/10, NZA 2011, 1409 Rz. 46. C-468/10 und C-469/10, NZA 2011, 1409 Rz. 39, 48.
Unionsrechtliche Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten
rechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person zusätzliche Erfordernisse aufstellen. Die Bundesregierung hat angesichts dieser klaren Feststellungen des EuGH nunmehr die Aufgabe, den Entwurf des E-BDSG durchzusehen. Alle Regelungen, die über die bloße Interessenabwägung oder sonstige Rechtfertigungsgründe in Art. 7 Richtlinie 95/46/EG hinausgehen und die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten beschränken sollen, stünden im Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie 95/46/EG und müssen deshalb verändert werden. Es bleibt abzuwarten, ob dies noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode gelingt.
b)
Entwurf einer Datenschutzgrundverordnung
Wie bereits im Zusammenhang mit der vorstehend angesprochenen EuGHEntscheidung erkennbar wurde, ist die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr aus dem Jahre 1995 die maßgebliche Grundlage des geltenden Rechtsrahmens zum Schutz personenbezogener Daten in der EU. Die dort getroffenen Regelungen werden ergänzt durch Art. 16 Abs. 1 AEUV, Art. 8 GRC und Art. 8 EMRK. Mit dem Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung)8 hat die Europäische Kommission Anfang 2012 einen neuen Regelungsvorschlag vorgelegt, der zukünftig an die Stelle der EG-Richtlinie 95/46/EG treten wird, um und zum Teil weitergehende Regelungen mit dem Ziel einer Vereinheitlichung des Datenschutzrechts auf Unionsebene zu bewirken. Ihrem sachlichen Anwendungsbereich nach soll diese Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten gelten, sofern diese in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. In Übereinstimmung mit dem derzeitigen Verständnis der Richtlinie 95/46/EG und § 4 Abs. 1 BDSG wird insoweit als Datei jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten erfasst, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird. Abweichend von § 32 Abs. 2 BDSG wird die spontane und un-
8
KOM(2012) 11/4.
19
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
strukturierte Datenerhebung, Verarbeitung und Nutzung (weiterhin) nicht in den Geltungsbereich der unionsrechtlichen Vorgaben einbezogen. Vergleichbar mit Art. 7 Richtlinie 95/46/EG definiert Art. 6 DatenschutzGrundverordnung Tatbestände, bei deren Vorliegen die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig sein soll. Hierzu gehört zwar zunächst einmal auch die Einwilligung, die mit Art. 4 Abs. 8, Art. 7 Datenschutz-Grundverordnung ergänzende Konkretisierungen erfährt. Zu diesen Konkretisierungen gehört allerdings nicht nur die Feststellung, dass eine solche Einwilligung schriftlich erfolgen muss, dass das Erfordernis einer Einwilligung äußerlich erkennbar von dem anderen Sachverhalt getrennt werden muss und die betroffene Person jederzeit das Recht hat, ihre Einwilligung zu widerrufen. Von ganz erheblicher Bedeutung für den hier in Rede stehenden Anwendungsbereich ist der Umstand, dass eine Einwilligung in Gänze ausgeschlossen wird, wenn zwischen der Position der betroffenen Person und des für die Verarbeitung Verantwortlichen ein erhebliches Ungleichgewicht besteht (Art. 7 Abs. 4). Nach den vorangehenden Feststellungen im Erwägungsgrund 34 der Präambel soll ein solches Abhängigkeitsverhältnis vor allem dann gegeben sein, wenn personenbezogene Daten von Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber im Rahmen vom Beschäftigungsverhältnissen verarbeitet werden. Mit dem Inkrafttreten einer solchen Neuregelung zum Anwendungsbereich der Einwilligung wäre diese Form der Rechtfertigung also für das Arbeitsverhältnis obsolet. Sie böte jedenfalls keine eigenständige Rechtsgrundlage mehr, so dass künftige Rechtfertigungen sich im Zweifel unmittelbar aus dem Gesetz ergeben müssen. Diese Begrenzung auf eine gesetzliche Rechtfertigung der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten folgt im Umkehrschluss möglicherweise auch aus Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung. Einerseits erlaubt Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung den Mitgliedstaaten, in den Grenzen dieser Verordnung per Gesetz die Verarbeitung personenbezogener Arbeitnehmerdaten im Beschäftigungskontext u. a. für Zwecke der Einstellung, der Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung von gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Pflichten des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gesundheit am Arbeitsplatz sowie für Zwecke der Inanspruchnahme der mit der Beschäftigung zusammenhängenden individuellen oder kollektiven Rechte und Leistungen und für Zwecke der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu regeln. Schon die in dieser Regelung vorgesehene Differenzierung zwischen einer Regelung durch Gesetz und tarifvertraglich festgelegten Pflichten macht
20
Unionsrechtliche Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten
deutlich, dass offenbar nur der Gesetzgeber selbst außerhalb der Verordnung liegende Voraussetzungen einer Verarbeitung personenbezogener Daten definieren darf. Dafür spricht schlussendlich auch Art. 82 Abs. 2 DatenschutzGrundverordnung. Denn mit diesem sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, der Kommission zu bestimmten Zeitpunkten mitzuteilen, welche Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaat zur Umsetzung der in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten erlassen hat. Keine der Regelungen spricht davon, dass entsprechende Regelungen auch unmittelbar oder auf der Grundlage eines Gesetzes durch Vereinbarungen der Sozialpartner geschaffen werden. Wie andere Rechtsvorschriften des Unionsrechts deutlich machen (vgl. nur Leiharbeitsrichtlinie, Richtlinie zum Betriebs- und Unternehmensübergang), sind den europäischen Rechtssetzungsorganen aber diese Differenzierungen zwischen einer gesetzlichen und einer kollektivrechtlichen Regelung bekannt. Es bleibt abzuwarten, welchen Inhalt dieser Vorschlag der Kommission im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene erhalten wird. Dies gilt auch und insbesondere für die ergänzenden Regelungen zu den Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen (Art. 22), die Auftragsdatenverarbeitung (Art. 26), die Datensicherheit (Art. 30 ff.) oder den Datenschutzbeauftragten (Art. 35 ff.). Weitergehende Diskussionen dürften auch die Regelungen auslösen, die die Datenübermittlung an Drittländer beschäftigen, die nicht unmittelbar dem Geltungsbereich der DatenschutzGrundverordnung unterliegen. Diese Regelungen haben für die internationalen Konzerne eine erhebliche Bedeutung und würden, falls hier eine entsprechende Umsetzung erfolgt, eine grenzübergreifende Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Transfers schaffen.
c)
Fazit
Selbstverständlich werden wir über den weiteren Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens ebenso wie über die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH vom 24.11.20119 berichten. Schließlich steht zu erwarten, dass beide Aspekte erhebliche Auswirkungen auf die Diskussion über den aktuellen Vorschlag der Bundesregierung zu einer Änderung des Beschäftigtendatenschutzrechts haben werden10. (Ga)
9 C-468/10, NZA 2011, 1409 ff. 10 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 1 f.
21
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
2.
Einsatz von Fachkräften aus Rumänien und Bulgarien
Die mit Wirkung zum 1.5.2011 eingetretene Arbeitnehmerfreizügigkeit für Personen aus den östlichen Beitrittsstaaten der Europäischen Union findet noch keine Anwendung auf Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien. Hier sehen die besonderen Regelungen zum Beitritt dieser Staaten eine uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit erst ab dem 1.1.2014 vor. Mit einer Verordnung zur Änderung und Aufhebung arbeitsgenehmigungsrechtlicher Vorschriften vom 12.12.201111 hat die Bundesregierung allerdings Erleichterungen für Fachkräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten und deren Familienangehörige in Kraft gesetzt. So bedürfen Fachkräfte, die eine Hochschulausbildung oder eine vergleichbare Qualifikation besitzen, zur Ausübung einer ihrer beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung keiner Arbeitsgenehmigung-EU. Dies gilt auch für ihre freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen. Darüber hinaus wird die Arbeitserlaubnis-EU den Personen und ihren freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen ohne Prüfung nach § 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt, wenn deren Beschäftigungen eine qualifizierende Berufsausbildung voraussetzt (§ 12 b Arbeitsgenehmigungsverordnung). Wichtig ist, dass diese Erleichterungen bei der Anwendung der allgemeinen Regelungen zur Erteilung von Arbeitsgenehmigungen beachtet werden. Sie führen insoweit seit dem 1.1.2012 zu einer entsprechenden Modifikation der allgemeinen Vorgaben in §§ 284 Abs. 1 SGB III, 39 Abs. 2, 6 AufenthG. Die hierfür im allgemeinen maßgeblichen Regelungen lassen sich praxisgerecht auch der Durchführungsanweisung zur Ausländerbeschäftigung entnehmen, die durch die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht wird. (Ga)
3.
Durchsetzung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen
Im Frühjahr hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgelegt12. Unter Berücksichtigung verschiedener EuGH-Entscheidungen13 soll
11 BGBl I 2011, 2691. 12 KOM(2012) 131 endg.
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Durchsetzung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern
mit dieser Richtlinie ein allgemeiner gemeinsamer Rahmen geeigneter Bestimmungen, Maßnahmen und Kontrollmechanismen festgelegt werden, die für eine bessere und einheitlichere Durchführung, Anwendung und Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG in der Praxis notwendig sind, einschließlich Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung jeglichen Missbrauchs und jeglicher Umgehung der anzuwenden Rechtsvorschriften. Zweck dieser Richtlinie ist dabei die Gewährleistung eines angemessenen Mindestschutzes der Rechte entsandter Arbeitnehmer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, wobei gleichzeitig die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit für die Dienstleistungserbringer erleichtert und der faire Wettbewerb zwischen ihnen gefördert werden soll (Art. 1 Ziff. 1). Da die Rechte und Pflichten der Richtlinie 96/71/EG wesentlich durch den Sitz des Arbeitgebers bestimmt werden, der grenzüberschreitend Arbeitnehmer bei der Erbringung von Dienstleistungen einsetzt, soll durch Art. 3 klargestellt werden, welche Kriterien zur Feststellung des Niederlassungssitzes eines Arbeitgebers im Herkunftsstaat insbesondere maßgeblich sind. Ergänzend hierzu soll klargestellt werden, wann von einem vorübergehenden Einsatz in einem anderen Mitgliedsstaat auszugehen ist. Dabei kann nach dem Entwurf u. a. berücksichtigt werden, • ob die Arbeit für einen begrenzten Zeitraum in einem anderen Mitgliedstaat verrichtet wird; • ob die Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat erfolgt als denjenigen, in dem bzw. von dem aus der Arbeitnehmer seine Tätigkeit üblicherweise gemäß der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 und/oder dem Übereinkommen von Rom ausübt; • ob der entsandte Arbeitnehmer nach Erledigung der Arbeit oder nach Erbringung der Dienstleistungen, für die er entsandt wurde, wieder in den Mitgliedstaat zurückkehrt, aus dem er entsandt wurde, bzw. dies von ihm erwartet wird; • ob Reise, Unterbringung und Verpflegung von dem Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer entsendet, organisiert oder entsprechende Kosten von ihm erstattet werden, und wenn ja, wie dies geschieht; und
13 Vgl. nur EuGH v. 3.4.3008 – C-346/06, NZA 2008, 537 – Rüffert; EuGH v. 18.12.2007 – C-341/05, NZA 2008, 159 - Lavale; EuGH v. 11.12.2007 – C-438/05, NZA 2008, 124 - Viking Line.
23
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht • ob die Stelle früher wiederholt von demselben oder einem anderen (entsandten) Arbeitnehmer besetzt wurde.
Ergänzend hierzu sieht der Entwurf umfangreiche Dokumentationspflichten der an einer grenzüberschreitenden Dienstleistung beteiligten Rechtsträger vor, die es den nationalen Behörden erlauben, die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben zu prüfen (Art. 9 f.). Darüber hinaus werden Regelungen getroffen, die es den Arbeitnehmern, Gewerkschaften, Verbänden und sonstigen Organisationen erlauben, unter einheitlichen Rahmenbedingungen etwaige Ansprüche durchzusetzen oder Beschwerden einzureichen. Dabei werden besondere Regelungen für das Baugewerbe getroffen (Art. 11 f.). Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die weitere Arbeit an diesem Vorschlag noch zu Änderungen führen wird. Da hier in besonderer Weise auch Verwaltungsverpflichtungen geschaffen werden, steht zu erwarten, dass aus den verschiedenen Mitgliedstaaten auch kritische Stimmen in Bezug auf einen etwaigen Mehraufwand erhoben werden. (Ga)
4.
Grenzüberschreitende Verlegung von Unternehmenssitzen
Auf europäischer Ebene wird derzeit an einer Richtlinie14 zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen gearbeitet. Sie soll die aktuellen Gestaltungsmöglichkeiten zur einer Neugründung und anschließenden Fusion nach Maßgabe der Richtlinie 90/434/EWG bzw. der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach Richtlinie 2005/19/EG ergänzen. Sie soll für Kapitalgesellschaften im Sinne der Richtlinie 2005/56/EG gelten und diese in die Lage versetzen, ihr Niederlassungsrecht durch Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat auszuüben, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Konsequenz der Verlegung soll allerdings sein, dass die Gesellschaft in ein Unternehmen umgewandelt wird, das dem Recht des Aufnahmemitgliedsstaats unterliegt. Damit wird eine Liquidation entbehrlich. Der aktuelle Richtlinienvorschlag sieht vor, dass die Verlegung in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 90/434/EWG steuerneutral möglich sein soll. Das Rechtsverhältnis des Unternehmens zu Dritten soll von der Verlegung nicht berührt werden. Allerdings soll die Verlegung auch
14 Vgl. 2011/2046 (INI), Europäisches Parlament P7_TA PROV (2012) 0019 - a 7 0008/2012.
24
Grenzüberschreitende Verlegung von Unternehmenssitzen
nicht zur Umgehung rechtlicher, sozialer und steuerlicher Bedingungen führen. Vor diesem Hintergrund sieht der aktuelle Entwurf nicht nur umfangreiche Vorschriften über Transparenz und Information vor dem Verlegungsbeschluss vor. Hierzu gehört auch eine Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter oder, falls es keine solchen Vertreter gibt, der Arbeitnehmer selbst. Dieser schließt die Überlassung eines Verlegungsberichts ein. Er soll die wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Aspekte der Verlegung beschreiben und begründen und die Folgen für Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer erläutern. Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer sollen auf diese Weise die Möglichkeit haben, den Bericht während eines Zeitraums von mindestens einem und höchstens drei Monaten vor dem Zeitpunkt der Aktionärsversammlung, welche die Verlegung beschließt, zu prüfen. Auch die Unternehmensmitbestimmung ist Gegenstand der Diskussion über den aktuellen Richtlinienentwurf. Denn mit dem Entwurf soll sichergestellt werden, dass die aktuellen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer vor dem Wirksamwerden einer Verlegung durch diese nicht berührt werden. Dies soll trotz des Grundsatzes gelten, dass im Anschluss an die Verlegung das Recht des Aufnahmemitgliedstaats gilt. Vor diesem Hintergrund sieht der Entwurf zwei Ausnahmen von diesem Prinzip vor. So soll das Recht des Aufnahmemitgliedstaats keine Anwendung finden, wenn • es nicht zumindest den gleichen Grad an Mitbestimmung vorsieht, wie er im Herkunftsmitgliedstaat vorgesehen ist, oder • es den Arbeitnehmern von Niederlassungen des Unternehmens in anderen Mitgliedstaaten nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten wie vor der Verlegung gewährt.
Schon diese Begriffsbestimmungen sind unklar. Insbesondere erstaunt, dass hier – trotz vergleichbarer Regelungsabsicht – unterschiedliche Formulierungen gegenüber vergleichbaren Vorgaben in den unionsrechtlichen Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (Richtlinie 2005/56/EG) bzw. zur Errichtung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Verordnung (EG) Nr. 2157/2001)15 oder einer Europäischen Genossenschaft (Verordnung (EG) Nr. 1435/2003)16 gewählt wurden. Da das Problem einer Aufrechterhaltung insbesondere der bislang geltenden Regelungen im Bereich der Unternehmensmitbestimmung schon bei diesen, bereits bestehenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen über viele Jahre hinweg diskutiert 15 Siehe auch Richtlinie 2001/86/EG. 16 Siehe auch Richtlinie 2003/72/EG.
25
Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
wurde, dürfte es sinnvoll sein, an den Ergebnissen und den Formulierungen der entsprechenden Bestimmungen anzuknüpfen. (Ga)
5.
Europäische Entwicklungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung
Am 16.2.2012 hat die Europäische Kommission das Weißbuch über eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten vorgelegt17. Darin wird die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung für die wirtschaftliche Absicherung der Arbeitnehmer in der EU aufgezeigt. Zugleich wird deutlich gemacht, dass es mit Blick auf die gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit von erheblicher Bedeutung sei, dass Regelungen zur Entstehung und zur wirtschaftlichen Absicherung von Pensionen auf unionsrechtlicher Ebene harmonisiert werden. Diese Zielsetzungen sind auf den ersten Blick sinnvoll. Dies gilt umso mehr, als damit Arbeitnehmer für den Fall eines Wechsels zwischen den Mitgliedstaaten auf in die Lage versetzt werden, Altersversorgungsansprüche zu bewahren. Außerdem ist gewährleistet, dass auch zu einem späteren Zeitpunkt diese Ansprüche noch erfüllt werden18. Von erheblicher Bedeutung ist allerdings der Umstand, dass im Rahmen des Weißbuchs bereits angekündigt wird, dass die Kommission noch in 2012 in enger Zusammenarbeit mit dem Rat und dem Europäischen Parlament die Arbeit an einer Richtlinie zur Übertragbarkeit von Renten und Pensionen wieder aufnehmen wird, mit der Mindestvoraussetzungen für den Erwerb und die Wahrung von Zusatz-Ruhestandsansprüchen festgelegt werden. Dieser 2008 gescheiterte Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen aus dem Jahre 200519 hat über den bloßen Tatbestand einer Übertragung von Pensionsansprüchen für den Fall eines grenzüberschreitenden Arbeitgeberwechsels hinaus ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis. Denn der Entwurf sieht darüber hinaus allgemeine Regelungen zur Unverfallbarkeit von Betriebsrentenansprüchen vor. Nach den letzten Überlegungen des Rats sollte die Unverfallbarkeit wie folgt geregelt werden: • Ist das Alter entscheidend, dann sollen ab dem 21. Lebensjahr unverfallbare Ansprüche entstehen.
17 KOM(2012) 55 endg. 18 Vgl. Galinat/Scheinker, BetrAV 2010, 185 ff. 19 KOM(2005) 507 endg.
26
Europäische Entwicklungen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung • Ist die Zugehörigkeit zum Betriebsrentensystem entscheidend, dann sollen unverfallbare Ansprüche ·
spätestens nach 5 Jahren entstehen, wenn der Mitarbeiter jünger als 25 Jahre ist,
·
spätestens nach 1 Jahr entstehen, wenn der Mitarbeiter 25 Jahre oder älter ist.
• Sofern nationale Regelungen eine generelle Anwartschaftsdauer von bis zu 5 Jahren vorsehen, sollte hierfür eine Übergangsfrist bis zum Jahre 2017 vorgesehen werden. Im Übrigen aber sollte die Richtlinie nach den damaligen Überlegungen bereits am 30.6.2013 Inkrafttreten.
Mit einer solchen Veränderung würde grundlegend auch in den § 1 b Abs. 1 S. 1 BetrAVG eingegriffen, denn dort ist losgelöst von Sonder- und Übergangsregelungen festgelegt, dass einem Arbeitnehmer, dem Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sind, die Anwartschaft erhalten bleibt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat. Ein weiterer – wirtschaftlich noch erheblicherer – Gesichtspunkt liegt darin, dass im Zusammenhang mit den Regelungen zur Absicherung von Versorgungsansprüchen die Vorgaben aus den Grundsätzen zur Eigenkapital- und Anlagesicherheit aus Solvabilität II auf die Pensionskassen übertragen werden soll. Eine solche Verpflichtung hätte zur Folge, dass den Pensionskassen in Deutschland Kapital in Milliardenhöhe zugeführt werden müsste. Auf den ersten Blick mag dies zwar sinnvoll erscheinen, wenn man die Risiken der Wertanlage von Pensionsfonds im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise berücksichtigt. Entsprechende Beispiele, wie sie insbesondere in Großbritannien erkennbar geworden sind, lassen sich allerdings auf die deutsche Situation in dieser Form nicht übertragen. Zum einen sind Versorgungsansprüche durch den Pensionssicherungsverein abgesichert. Zum anderen bleibt der Arbeitgeber auch bei einer mittelbaren Versorgungszusage gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet. Dies stellt § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG ausdrücklich klar. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit diese Überlegungen des Weißbuchs tatsächlich in Richtlinien oder Verordnungen umgesetzt werden. Wir werden darüber berichten. (Ga)
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Europäisches Arbeits- und Sozialversicherungsrecht
6.
Anwendung der Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft
Am 23.2.2012 hat die Europäische Kommission ihren Bericht über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) vorgelegt20. Daraus lässt sich entnehmen, dass es bis zum November 2011 erst 24 Europäische Genossenschaften gegeben hat, davon zwei Genossenschaften in Deutschland. Arbeitnehmer werden in diesen Gesellschaften kaum beschäftigt. Nach den Erkenntnissen der Europäischen Kommission sind es vor allem die Gründungskosten, die Komplexität – insbesondere mit Blick auf die Arbeitnehmerbeteiligung – sowie die mangelnde Bekanntheit dieser Gesellschaftsform und die daraus resultierende Rechtsunsicherheit, die zur Folge haben, dass nur wenige bestehende Gesellschaften in eine Europäische Genossenschaft umgewandelt werden. Der vermeintliche Imagegewinn, der mit einer entsprechenden Europäischen Gesellschaft verbunden ist, ist als solcher nicht geeignet, diese Aufwand auszugleichen. Im Hinblick darauf wird die Europäische Kommission prüfen, ob die bestehende Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 angepasst und die Regularien zur Gründung der Europäischen Genossenschaft vereinfacht werden können. (Ga)
20 KOM(2012) 72 endg.
28
C. Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag 1.
Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen
Befristete Arbeitsverhältnisse waren in jüngster Vergangenheit erneut Gegenstand verschiedener Entscheidungen des EuGH und des BAG. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH ging es um die Frage, ob ein ständiger oder wiederkehrender Bedarf an Vertretungskräften durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge unter Berücksichtigung der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG, ohne missbräuchlich zu sein, abgedeckt werden darf1. Darüber hinaus hatte der EuGH2 zu klären, inwieweit ein Missbrauchstatbestand im Sinne von § 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Richtlinie 1999/70/EG) zu bejahen ist, wenn die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Verschlechterung der materiellen Arbeitsbedingungen einhergeht. Das BAG3 war erstmalig mit dem Problem befasst, ob eine Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags aus Gründen eines Maßregelungsverbots den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags auslösen kann. Des Weiteren musste das BAG4 klären, ob ein Berufsausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Vorbeschäftigungsverbots für eine grundlose Befristung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist und wie dieser Tatbestand von der so genannten Absolventenbefristung gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG abzugrenzen ist.
a)
EuGH: Zulässigkeit von Kettenbefristungen
Die Entscheidung des EuGH vom 26.1.20125 resultiert aus einem Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 17.11.20106 an den EuGH gemäß Art 267 AEUV. Es ging um die Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar ist, § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG dahin auszulegen und anzuwenden, dass ein die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags rechtfertigender sachlicher Grund auch im Falle eines ständigen Vertretungsbedarfs gegeben ist, obwohl dieser Vertretungsbedarf auch durch eine unbefristete Einstellung des Arbeitneh1 2 3 4 5 6
EuGH v. 26.1.2012 – C-586/10, NZA 2012, 135 ff. - Kücük. EuGH v. 8.3.2012 – C-251/11, NZA 2012, 441 ff. – Huet. BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317 ff. BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 375/10, NZA 2012, 255 ff.; BAG v. 24.8.2011 – 7 AZR 368/10, EZA § 14 TzBfG Nr. 79. C-586/10, NZA 2012, 135 ff. - Kücük. 7 AZR 443/09 (A), NZA 2011, 34 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
mers gedeckt werden könnte. Der Fall betraf eine Justizangestellte beim AG Köln, die auf der Grundlage von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen, die alle auf den Sachgrund der Vertretung gestützt worden waren, in der Zeit vom 2.7.1996 bis zum 31.12.2007 beschäftigt worden war. Der EuGH bestätigt zunächst, dass § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse (Richtlinie 1999/70/EG) der Regelung des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG grundsätzlich nicht entgegensteht, weil die Anknüpfung an einen vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften einen sachlichen Grund im Sinne dieser Bestimmung darstellt7. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt nach Ansicht des EuGH weder, dass kein sachlicher Grund im Sinne von § 5 Nr. 1 lit a) der genannten Rahmenvereinbarung gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Insoweit schließt sich der EuGH dem BAG an, als auch bei einem ständigen Vertretungsbedarf der Bedarf an Vertretungskräften gleichwohl vorübergehend bleibt, weil zu erwarten ist, dass die vertretene Arbeitskraft an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt. Damit wird der Arbeitgeber – unabhängig von seiner Unternehmensgröße – nicht gezwungen, einen ständigen Vertretungsbedarf durch eine von unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern gebildete Reserve abdecken zu müssen. § 5 Nr. 1 lit a) der Rahmenvereinbarung beinhaltet auch keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzusehen. Allerdings schränkt der EuGH diese zunächst großzügig erscheinende Sichtweise dadurch ein, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge zu berücksichtigen sind. Der EuGH spielt nunmehr den Ball zurück an das BAG, das nunmehr im Rahmen der Missbrauchskontrolle die Anzahl und Dauer der vorhergehenden Verträge bei der Beurteilung der letzten Vertretungsbefristung zu gewichten hat. Dies wird kaum dadurch gelingen, dass an die Prognoseentscheidung des letzten befristeten Vertrags erhöhte Anforderungen gestellt werden, wenn die Prognoseentscheidung auf den letzten Vertrag fokussiert
7
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So bereits EuGH v. 23.4.2009 – C-378/07, AP Nr. 6 zu Richtlinie 99/70/EG- Angelidaki.
Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen
bleibt8. Denkbar wäre freilich, eine Begrenzung der Anzahl der Befristungen oder eine Begrenzung ihrer Dauer, um damit einer missbräuchlichen Verwendung befristeter Arbeitsverträge zu begegnen9. Jedenfalls wird das BAG seine bisherige Befristungsrechtsprechung neu überdenken müssen.
b)
Generalanwalt: Bedenken bei der Haushaltsbefristung
Ein weiterer möglicher Konflikt mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Richtlinie 1999/70/EG) betrifft die Vereinbarkeit der Haushaltsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG mit § 5 der Rahmenvereinbarung. Nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird. Von dieser Regelung dürfen nur Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, nicht dagegen Arbeitgeber der Privatwirtschaft, Gebrauch machen. Dies beruht auf der Besonderheit, dass der öffentliche Arbeitgeber im Gegensatz zum privaten Arbeitgeber an haushaltsrechtliche Vorgaben gebunden ist und keine Verpflichtungen eingehen darf, die keine haushaltsrechtliche Deckung haben. Ob die mit der Haushaltsbefristung verbundene Privilegierung des öffentlichen Dienstes im Sinne von § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt ist, war Gegenstand mehrerer Vorabentscheidungsersuchen des LAG Köln10 und BAG11 an den EuGH, die sich jedoch erledigt haben. In der Rechtssache Jansen12 liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vom 15.9.2011 vor, der dem Gerichtshof vorschlägt, § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahingehend auszulegen, dass diese Vorschrift in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens eines sachlichen Grundes einer Differenzierung zwischen dem öffentlichen Sektor und dem Privatsektor entgegensteht. Darüber hinaus schlägt der Generalanwalt vor, § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen, dass er einer Regelung wie in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG entgegensteht, die sich auf haushaltsrechtliche Erwägungen stützt, die zu allVgl. dazu früher BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 326/00, EzA § 620 BGB Nr. 178 Rz. 16 ff.: Die Häufigkeit der Befristungen und die bisherige Gesamtbefristungsdauer können Indizien für das Fehlen eines Sachgrunds sein. 9 Vgl. dazu die Vorschläge von Brose/Sagan, NZA 2012, 308 ff. 10 LAG Köln v. 13.4.2010 – 7 Sa 1150/09 n. v.; nachgehend EuGH v. 7.2.2011 - C312/10 n. v. 11 BAG v. 27.10.2010 – 7 AZR 485/09 (A), NZA-RR 2011, 272 ff.; nachgehend BAG v. 10.3.2011 - 7 AZR 485/09 n. v. 12 C-313/10 n. v. 8
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
gemein sind, um jene Anforderungen zu erfüllen, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs an die sachlichen Gründe gestellt werden, die die Verlängerung befristeter Verträge im Sinne dieser Vorschrift rechtfertigen. Allerdings hat bereits das BAG in einer Entscheidung vom 18.10.200613 § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG dahingehend korrigiert, dass die Ausbringung von Haushaltsmitteln ohne eine tätigkeitsbezogene Zwecksetzung nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an eine sachlich gerechtfertigte Befristung genügt. Insofern hat sich das BAG bereits der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 4.7.2006 14 angeschlossen, wonach der Begriff „sachliche Gründe“ in § 5 Nr. 1 lit. a) der Rahmenvereinbarung verlangt, dass der in der nationalen Regelung vorgesehene Rückgriff auf diese besondere Art des Arbeitsverhältnisses durch konkrete Gesichtspunkte gerechtfertigt wird, die vor allem mit der betreffenden Tätigkeit und den Bedingungen ihrer Ausübung zusammenhängen.
c)
Übernahme wesentlicher Bestimmungen des letzten befristeten Vertrags
In der Entscheidung des EuGH vom 8.3.201215 war in einem französischen Fall zu beurteilen, ob die in der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Richtlinie 1999/70/EG) in § 5 geregelte Missbrauchsvermeidung befristeter Arbeitsverträge eine Grundlage dafür abgeben kann, die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag dahingehend zu beeinflussen, dass bei gleichbleibender Tätigkeit und gleichbleibender Art der Arbeitsaufgaben eine Verpflichtung zur unveränderten Übernahme der wesentlichen Bestimmungen des letzten befristeten Vertrages für den Arbeitgeber besteht. Der bereits zuvor sechs Jahre lang befristet Beschäftigte Arbeitnehmer war vom Arbeitgeber bei unveränderter Aufgabenwahrnehmung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit geringeren Bezügen und einer anderen Einstufung übernommen worden. Der EuGH betont zunächst, dass die Rahmenvereinbarung keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufstellt, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzusehen. Dies gilt unabhängig davon, dass feste Beschäftigungsverhältnisse einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen, während befristete Arbeitsverträge nur unter bestimmten Umständen den Bedürfnissen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer entsprechen können. Daraus folgt nach Auffassung des EuGH, dass 13 7 AZR 419/05, NZA 2007, 332 Rz. 20. 14 C-212/04, NZA 2006, 909 ff. - Adeneler 15 C-251/11, NZA 2012, 441 ff. – Huet.
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Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen
die Rahmenvereinbarung nicht vorschreibt, welche Bedingungen in die unbefristeten Verträge übernommen werden dürfen. Der den Mitgliedstaaten dabei belassene Wertungsspielraum sei allerdings nicht unbegrenzt, weil er nicht das Ziel oder die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung infrage stellen darf. Daraus schlussfolgert der EuGH, dass die Mitgliedstaaten darauf zu achten haben, dass die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag nicht mit tiefgreifenden Änderungen der Bestimmungen des vorherigen Vertrags einhergehen dürfen, die für den Betroffenen insgesamt zu einer Verschlechterung führen, wenn der Gegenstand seiner Tätigkeit und die Art seiner Aufgabe gleich bleiben. Auch diese Entscheidung des EuGH stellt eine Weiterführung der Missbrauchskontrolle befristeter Arbeitsverträge dar und überlässt es der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten, die Qualität der Änderungen eines unbefristeten Vertrags in Relation zu dem vorangegangenen befristeten Arbeitsvertrag beurteilen zu müssen, wenn der Arbeitnehmer mit der bisherigen Arbeitsaufgabe betraut bleibt. Eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss sich jedenfalls in Grenzen halten und darf nicht dazu führen, dass sich der befristete Arbeitsvertrag, den es zu vermeiden gilt, von der materiellen Ausstattung her als deutlich attraktiver erweist. Dies würde den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags, der als Prototyp im Arbeitsverhältnis gewünscht wird, für den Arbeitnehmer wertlos erscheinen lassen.
d)
Maßregelung durch Ausschluss von der Übernahme in unbefristete Beschäftigung
In der Entscheidung vom 21.9.2011 hatte der 7. Senat des BAG16 über eine Klage eines Arbeitnehmers zu entscheiden, die auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags zu den bisherigen Bedingungen des vorangegangenen befristeten Arbeitsvertrags gerichtet war und materiell-rechtlich auf § 612 a BGB gestützt wurde. Der Kläger war mit mehreren anderen Arbeitnehmern für die Dauer von zwei Jahren sachgrundlos befristet eingestellt worden. Er wurde Mitglied und Leiter des gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpers und wandte sich in dieser Eigenschaft in einer Betriebsversammlung gegen den Abbau von Arbeitsplätzen, was der Geschäftsführer der Beklagten als Frechheit kommentierte. Während die anderen befristet eingestellten Arbeitnehmer in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen wurden, lehnte die Beklagte den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags mit dem Kläger ab.
16 7 AZR 150/10, NZA 2012, 317 ff.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Zunächst konstatiert das BAG überzeugend, dass ein Arbeitgeber gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612 a BGB verstößt, wenn er einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer keinen Folgevertrag anbietet, weil dieser die ihm zustehenden Rechte ausgeübt hat. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers das tragende Motiv für die Ablehnung eines Folgevertrags gewesen ist. Insofern vermag sich der Arbeitgeber auch nicht auf die Wahrnehmung seiner Vertragsfreiheit zu berufen, weil er sein Verhalten nicht an der Rechtsordnung orientiert. Allerdings begründet § 612 a BGB nach Ansicht des BAG gleichwohl keinen Anspruch auf Einstellung. Der Gesetzgeber hat nämlich ungeregelt gelassen, ob sich aus einem Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 612 a BGB ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses herleiten lässt. Demgegenüber hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 6 AGG einen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg verneint, wenn der Arbeitgeber gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstößt. In § 15 Abs. 6 AGG sieht das BAG eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, wonach der Arbeitgeber selbst bei massiven Diskriminierungen nicht verpflichtet werden soll, ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Der Anspruch des benachteiligten Arbeitnehmers wird vielmehr auf einen Geldersatz beschränkt. Auf der Grundlage dieser gesetzgeberischen Wertung könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber bei den typischerweise deutlich weniger gewichtigen Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 612 a BGB einen Anspruch des bislang befristet beschäftigten Arbeitnehmers auf Abschluss eines Folgevertrags habe begründen wollen. Insoweit besteht in § 612 a BGB eine unbewusste Regelungslücke, die mit einer entsprechenden Anwendung von § 15 Abs. 6 AGG in Anbetracht der vergleichbaren Interessenlage zu schließen sei. Damit konnte der Arbeitgeber nicht verpflichtet werden, das Angebot des Arbeitnehmers auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages annehmen zu müssen. Diese Bewertung schließt freilich nicht aus, dass der Arbeitnehmer wegen des Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot einen Anspruch auf Geldersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 oder aus 823 Abs. 2 BGB jeweils in Verbindung mit §§ 612 a, 251 Abs. 1, 252 BGB gegen den Arbeitgeber geltend machen kann. Das BAG lässt in diesem Zusammenhang unentschieden, ob ein entsprechender Schadensersatzanspruch innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG schriftlich erhoben werden muss. Im Streitfall hielt das BAG die Ausschlussfrist durch die ursprünglich auf Abschluss eines Folgevertrags gerichtete Klage für gewahrt.
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Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen
Der Arbeitnehmer kann auch nicht über den Grundsatz der Gleichbehandlung einen Anspruch auf Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages nach § 14 Abs. 2 TzBfG gegen den Arbeitgeber durchsetzen. Wie das BAG17 bereits bei früherer Gelegenheit entschieden hat, genießt der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang.
e)
Sachgrundlose Befristung trotz vorangehenden Berufsausbildungsverhältnisses
Ob ein Berufsausbildungsverhältnis als Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zu qualifizieren ist, war Gegenstand einer Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 21.9.201118. Der Kläger hatte bei der Beklagten in der Zeit vom 1.8.1969 bis zum 23.1.1973 ein Ausbildungsverhältnis für den Beruf des Starkstromelektrikers absolviert. Die Parteien schlossen am 18.2.2008 einen befristeten Arbeitsvertrag, wonach der Kläger vom 1.4.2008 bis zum 31.3.2009 als Elektriker beschäftigt wurde. Gegen die Befristung erhob der Kläger eine Entfristungsklage, weil sein Ausbildungsverhältnis als Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG anzusehen sei. Nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist die sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das BAG hat im Streitfall die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG für eine sachgrundlose Befristung bejaht, weil das vorangegangene Berufsausbildungsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis im Sinne einer Vorbeschäftigung (§ 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG) angesehen werden kann19. Insoweit zitiert das BAG zunächst § 10 Abs. 2 BBiG, wonach auf den Berufsausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden sind. Wäre das Berufsausbildungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis, bedürfte es dieser Regelung nicht. Damit entscheidet der jeweilige Gesetzeszweck darüber, ob ein Berufsausbildungsverhältnis mit einem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen ist. Da nach Sichtweise des BAG20 der Zweck des Vorbeschäftigungsverbots in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG darin besteht, zu verhindern, dass die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG eröffnete Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung zu sog. Befristungsket-
17 BAG v. 13.8.2008 – 7 AZR 513/07, NZA 2009, 27 Rz. 21 f. 18 7 AZR 375/10, NZA 2012, 255 Rz. 14. 19 A. A. KDZ/Däubler, KSchR, § 14 TzBfG Rz. 160; Laux/Schlachter/Schlachter, TzBfG, § 14 TzBfG Rz. 113. 20 Grundsätzlich BAG v. 6. 4. 2011 - 7 AZR 716/09, EzA TzBfG § 14 Nr. 77.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ten oder Kettenverträgen missbraucht werden kann, nicht aber darin, befristete Arbeitsverträge oder sachgrundlos befristete Arbeitsverträge zu verhindern, begründet die nur befristete Übernahme in ein Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Berufsausbildung wegen des Ausbildungszwecks des Berufsausbildungsverhältnisses keine Gefahr einer Kettenbefristung. Vielmehr wird für den früheren Auszubildenden – wenn auch nur zeitweilig – eine sogenannte Beschäftigungsbrücke in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis geschaffen. Dieses Auslegungsergebnis stimmt mit der Genese des Gesetzes überein. In der Gesetzesbegründung21 heißt es, dass ein Berufsausbildungsverhältnis kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist. Bereits bei früherer Gelegenheit hat das BAG22 eine berufsvorbereitende Beschäftigung als Praktikant, die nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags erfolgte, nicht als Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG angesehen. Da nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags vorliegt, wenn die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern, bedurfte es bei einem Berufsausbildungsverhältnis einer Abgrenzung der sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG von der Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG. Das BAG verneint einen Konflikt der beiden Rechtsinstitute und will sie nebeneinander bestehen lassen. Für die Sachgrundbefristung bliebe auch dann ein Anwendungsbereich, wenn Berufsausbildungsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber nicht in das Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG einbezogen werden und damit eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ermöglicht wird. So sei der besondere Sachgrund nicht an die Zweijahresfrist des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG gebunden. Auch mit einem früheren Studierenden könne nach Abschluss des Studiums regelmäßig eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG vereinbart werden. Das BAG begründet anschließend die Abweisung der Entfristungsklage auch damit, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG im Streitfall deshalb nicht erfüllt sind, weil das Berufsausbildungsverhältnis, das vom 1.8.1969 bis 23.1.1973 bestand, im Zeitpunkt des vereinbarten Beginns des befristeten Arbeitsverhältnisses am 1.4.2008 weit über drei Jahre zurücklag. Insoweit nimmt das BAG mit ergänzenden Erwägungen Bezug auf die
21 Vgl. BT-Drucks. 14/4374 S. 20; Boewer, TzBfG, § 14 Rz. 227. 22 BAG v. 19.10.2005 - 7 AZR 31/05, NZA 2006, 154 f.
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Aktuelles zur Befristung von Arbeitsverhältnissen
Grundsatzentscheidung vom 6.4.201123, wonach eine Vorbeschäftigung im Sinne von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht gegeben ist, wenn das frühere Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Ein Fall der Absolventenbefristung war Gegenstand einer Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 24.8.201124. Der Arbeitnehmer wurde als Diplom– Forstingenieur vom beklagten Land in der Zeit vom 2.10.2006 bis zum 1.4.2009 im Rahmen eines Traineeprogramms beschäftigt, nachdem er bereits zuvor nach seinem Studium vom 7.8.2006 bis zum 26.9.2006 bei einem anderen Forstbetrieb gearbeitet hatte. Seine Befristungsklage war in allen Instanzen erfolgreich. Das BAG stellt klar, dass eine Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG ausgeschlossen ist, sofern nach der Ausbildung bereits ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Aus dem Tatbestandsmerkmal „Anschluss“ in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG sei zu entnehmen, dass es sich um die Befristung des ersten Arbeitsvertrags handeln muss, den der Arbeitgeber nach dem Ende der Ausbildung oder des Studiums abschließt25. Diese am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung entspricht auch deren Sinn und Zweck. Danach soll Berufsanfängern im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses der Berufsstart erleichtert werden26. Diesem Zweck ist genügt, wenn der Arbeitnehmer das erste befristete oder unbefristete Arbeitsverhältnis nach dem Studium oder der Ausbildung aufgenommen hat. Das BAG lässt unentschieden, ob in Ausnahmefällen eine „Zwischenbeschäftigung“ unbeachtlich sein mag, etwa wenn der Arbeitnehmer nach Ausbildung oder Studium einem kurzfristigen Gelegenheitsjob für wenige Stunden oder Tage nachgegangen ist. Nach der Rechtsprechung des BAG27 kann auch die Aus- oder Weiterbildung eines Arbeitnehmers die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG sachlich rechtfertigen. Das setzt jedoch voraus, dass dem Arbeitnehmer durch die Tätigkeit zusätzliche Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt werden, die durch die übliche Berufstätigkeit nicht erworben werden können. Dies ist auch dann zu bejahen, wenn die Ausbildung nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt, sondern hauptsächlich dazu dient, bereits erworbene theoretische Kenntnisse in die Praxis umzusetzen. Erforderlich
23 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905 Rz. 13. 24 7 AZR 368/10, EzA § 14 TzBfG Nr. 79. 25 So bereits BAG v. 10.10.2007 - 7 AZR 795/06, NZA 2008, 295 Rz. 18. Ebenso Annuß/Thüsing/Maschmann, TzBfG § 14 Rz. 38; Boewer, TzBfG, § 14 Rz. 117. 26 BT-Drucks. 14/4374, 19. 27 BAG v. 22.4.2009 - 7 AZR 96/08, NZA 2009, 1099 Rz. 24.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ist jedoch stets, dass ein bestimmtes Ausbildungsziel systematisch verfolgt wird und die dem Arbeitnehmer vermittelten Kenntnisse, Erfahrungen oder Fähigkeiten auch außerhalb der Organisation des Arbeitgebers beruflich verwertbar sind. Da dem Kläger durch das Trainee-Programm keine strukturierten Fähigkeiten vermittelt wurden, lagen auch die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG nicht vor. Für die betriebliche Praxis wird durch die Rechtsprechung des BAG die notwendige Rechtssicherheit geschaffen, um die Absolventenbefristung von der sachgrundlosen Befristung im Anschluss an ein Berufsausbildungsverhältnis eindeutig abzugrenzen. Die Absolventenbefristung wird vor allem dann eine Rolle spielen, wenn die Dauer der Befristung über den Zeitrahmen des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG hinausgeht. Anderenfalls ist dem Arbeitgeber mit einer sachgrundlosen Befristung besser gedient. (Boe)
2.
Diskriminierung von Bewerbern wegen Schwerbehinderung
Bereits mehrfach haben wir uns in der Vergangenheit mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer (behaupteten) Diskriminierung schwerbehinderter Menschen bei der Bewerbung um eine Einstellung als Arbeitnehmer befasst. Im Mittelpunkt stand dabei insbesondere § 81 Abs. 1 SGB IX, der umfangreiche Handlungsvorgaben in Bezug auf die Ausgestaltung des Stellenbesetzungsverfahrens im Hinblick auf schwerbehinderte Menschen bzw. Gleichgestellte schafft. Ergänzend hierzu haben wir die Rechtsfolgen behandelt, die sich insbesondere aus den Regelungen zum Schadensersatzund Entschädigungsanspruch in § 15 Abs. 1, 2 AGG ergeben28.
a)
Handlungspflichten aus § 81 SGB IX bei Einstellungsstopp
Bislang gibt es keine Klarstellung durch das BAG zu der Frage, ob § 81 SGB IX auch dann schwerbehindertenbezogene Handlungspflichten begründet, wenn eine Stelle nur durch unternehmensintern bereits beschäftigte Arbeitnehmer besetzt werden soll. Allerdings ist bereits durch das BVerwG mit Urteil vom 15.12.201129, das LAG Saarland mit Beschluss vom 13.2.200830 und das LAG Köln mit Beschluss vom 8.2.201031 die Auffassung vertreten worden, dass die Entscheidung des Arbeitgebers, eine 28 29 30 31
38
Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2009, 44 ff.; 2010, 43 ff.; 2011, 79 ff. 2 A 13/10, ZTR 2012, 227 f. 1 TaBV 15/07, LAGE § 82 SGB IX Nr. 2. 5 TaBV 73/09, ZTR 2010, 488.
Diskriminierung von Bewerbern wegen Schwerbehinderung
offene Stelle nur durch interne Bewerber zu besetzen, keine Prüfungs- und Meldepflichten gemäß §§ 81 Abs. 1 S. 1, 82 S. 1 SGB IX auslösen könne. Folgerichtig bestehe dann auch keine Verpflichtung, externe Bewerber gemäß § 82 S. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, selbst wenn ihnen die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt. Auf den ersten Blick erscheint es folgerichtig, eine Stelle nur dann als „frei“ zu bezeichnen, wenn ihre Besetzung mit unternehmensfremden, also externen, Arbeitskräften in Betracht kommt. Dennoch aber dürfte es problematisch sein, bereits daraus die Berechtigung abzuleiten, bei einem Einstellungstopp generell die Handlungspflichten aus §§ 81, 82 SGB IX zu ignorieren. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht davon spricht, dass eine Einstellung von Arbeitnehmern erfolgt. Vielmehr knüpft das Gesetz die Prüfungspflicht des Arbeitgebers daran, dass freie Arbeitsplätze „besetzt werden“ an. Bei dieser Prüfung sind auch die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat zu beteiligen (§ 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX). Gegen die fehlende Anwendbarkeit von § 81 Abs. 1 SGB IX spricht schlussendlich auch, dass schon die Prüfpflicht des Arbeitgebers gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX mehrere Zielsetzungen hat. Dabei richtet sie sich nicht nur darauf, bei der Agentur für Arbeit zu erfragen, ob dort arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldete schwerbehinderte Menschen bekannt sind. Eine solche Rückfrage macht in der Tat wenig Sinn, wenn von Beginn an für den Arbeitgeber klar ist, dass nur unternehmensinterne Bewerber berücksichtigt werden. Hier wäre die Rückfrage bei der Agentur für Arbeit ebenso sinnlos wie die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, wie das BVerwG mit Urteil vom 15.12.2011 in Bezug auf § 82 S. 2 SGB IX zu Recht klargestellt hat. § 81 Abs. 1 S. 1, 6 SGB IX begründet allerdings auch interne Handlungspflichten. Denn der Arbeitgeber selbst muss mit Blick auf die bereits beschäftigten Arbeitnehmer die Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen prüfen. In diese – interne – Prüfung sind auch die Arbeitnehmervertreter einzubinden. Es gibt an sich keinen Grund, diese Förderpflicht zugunsten schwerbehinderter Menschen bei einem Einstellungsstopp nicht zu erfüllen. Es ist davon auszugehen, dass auch das BAG ein solches Verständnis von § 81 Abs. 1 S. 1, 2, 6 SGB IX entwickeln würde. Denn schon in seinem
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Beschluss vom 23.6.201032 ist der 7. Senat des BAG davon ausgegangen, dass die in § 81 Abs. 1 S. 1, 2 SGB IX normierte Prüf- und Konsultationspflicht des Arbeitgebers auch dann bestehe, wenn der Arbeitgeber beabsichtige, einen frei werdenden oder neu geschaffenen Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen. Zwar unterliege die Frage, ob der Arbeitgeber Stellen intern oder extern ausschreiben wolle, grundsätzlich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Das gleiche gelte auch für die Frage, ob überhaupt externe Bewerber bei der Besetzung berücksichtigt werden sollen. Allerdings sei es denkbar, dass der Arbeitgeber nach einer § 81 Abs. 1, 2 SGB IX entsprechenden Prüfung von der zunächst beabsichtigten Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer Abstand nehme und stattdessen einen geeigneten schwerbehinderten Bewerber selbst einstelle. Auch wenn diese Begründung den Zweck der gesetzlichen Regelung zu weit verstehen dürfte, ist sie ohne Weiteres auch auf die Entscheidung übertragbar, nach der der Arbeitgeber an sich keine externen Bewerber bei der Besetzung einer Stelle berücksichtigen will. Auch hier ist es nicht ausgeschlossen, dass entgegen dieser Entscheidung der Arbeitgeber doch zu der Erkennnis kommt, dass ein externer schwerbehinderter Bewerber bei der Stellenbesetzung Vorrang hat.
b)
Entschädigungsanspruch bei Benachteiligung wegen Behinderung
Mit seinem Urteil vom 13.10.201133 hat der 8. Senat des BAG noch einmal einen Entschädigungsanspruch eines Bewerbers bestätigt, der wegen der fehlenden Berücksichtigung der in § 81 Abs. 1 SGB IX getroffenen Vorgaben eine Diskriminierung wegen Behinderung im Rahmen des Bewerbungsverfahrens geltend machte. Dies gilt auch bei öffentlichen Arbeitgebern34. In dem der Entscheidung vom 13.10.2011 zugrunde liegenden Fall hatte sich der Kläger mit dem Hinweis beworben, dass seine „Behinderung“ ihn bei einer Tätigkeit im Verwaltungsbereich nicht einschränke. Eine Mitarbeiterin, die bei der Beklagten das Bewerbungsverfahren bearbeitete, kannte den Kläger indes von dem gemeinsamen Besuch der Fachhochschule her flüchtig. Sie hatte dabei den Eindruck gewonnen, dass sich der Kläger anderen Studentinnen und Studenten aufdränge. Sie unterrichtete davon den Bürgermeister der Beklagten, der sich daraufhin gegen eine Berück32 7 ABR 3/09, NZA 2010, 1361 Rz. 27. 33 8 AZR 608/10 n. v. 34 BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 697/10 n. v.
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Diskriminierung von Bewerbern wegen Schwerbehinderung
sichtigung des Klägers entschied, obwohl dieser die Anforderung der ausgeschriebenen Stelle erfüllte. Der Kläger, der mit einem GdB von 60 als Schwerbehinderter anerkannt war, machte geltend, dass darin eine Diskriminierung läge, die einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zur Folge habe. Das BAG hat dieser Klage stattgegeben. Dabei hat es zunächst einmal bestätigt, dass ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung bereits dann vorliege, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschlossen werde. Hier liege die Benachteiligung in der Versagung einer Chance, sich im Bewerbungsverfahren vorzustellen. Dass der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, stehe dieser Benachteiligung nicht entgegen. Wie sich bereits aus § 15 Abs. 2 AGG ergebe, könne daraus allenfalls eine Begrenzung der Höhe des Entschädigungsanspruchs folgen35. Wichtig für die Geltendmachung eines Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruchs ist allerdings, dass zwischen einer Missachtung gesetzlicher Pflichten, die sich auf bestimmte Bewerber beziehen, und bewerberunabhängigen Förderpflichten unterschieden wird. Ein schwerbehinderter Bewerber kann sich – so das BAG – auf Verstöße gegen den besonderen Schwerbehindertenschutz des SGB IX zwar insoweit berufen, als darin Indizien liegen, die die Vermutung einer Benachteiligung begründen. Verstöße des Arbeitgebers gegen bewerberbezogene Förderungspflichten des SGB IX haben aber nur dann Indizwirkung, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers bekannt war oder er sie hätte kennen müssen. Hierfür genügt es nach Auffassung des BAG nicht, dass ein Bewerber auf eine Behinderung verweist, ohne dass die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber – beispielsweise im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs – offenkundig ist. Denn unter den Behindertenbegriff fallen auch solche Einschränkungen, die unterhalb der Schwelle eines Grades der Behinderung von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX), 30 oder gar 20 liegen und daher keine Handlungspflichten nach §§ 81, 82 SGB IX auslösen, weil sich diese nur an Schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen richten36. Eine Pflicht des Arbeitgebers, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, lehnt der 8. Senat des BAG im Urteil vom 13.10.201137
35 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 n. v. (Rz. 24). 36 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 n. v. (Rz. 40). 37 8 AZR 608/10 n. v. (Rz. 43).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ausdrücklich ab. Eine solche, von einem etwa bestehenden Recht zur Erkundigung zu unterscheidende Pflicht zur Erkundigung bestehe schon deshalb nicht, weil der Arbeitgeber nicht berechtigt sei, sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn er hiermit keine positive Fördermaßnahme verbinden wollte. Im Gegenteil: Gerade durch solche Nachfragen würde der Arbeitgeber Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen könnten. Eine Pflicht zur Erkundigung ziele auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal nach § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX i. V. m. § 1 AGG ab und stelle eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung dar. Der Arbeitgeber könne nicht verpflichtet sein, mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft Tatsachen zu schaffen, die ihm als Indiztatsachen nach § 22 AGG in einem späteren Prozess entgegengehalten werden könnten. Wichtig ist allerdings, dass diese Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Bewerbers unerheblich ist, wenn Verstöße des Arbeitgebers gegen bewerbungsunabhängige Förderpflichten nach dem SGB IX in Rede stehen. Hierzu gehört insbesondere die Prüfungspflicht nach § 81 Abs. 1 S. 1, 2, 6 SGB IX, weil diese Handlungsvorgabe noch vor bzw. während des Bewerbungsverfahrens erfolgt, also schon dann relevant ist, wenn noch gar keine Bewerbung erkennbar ist. Kann der nicht berücksichtigte Bewerber darlegen und ggf. beweisen, dass diese Handlungspflicht nicht erfüllt ist, liegt darin nach Auffassung des BAG ein Indiz, das zunächst einmal durch den Arbeitgeber widerlegt werden muss. Denn dieses Verhalten – so das BAG – erwecke den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitssuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen. Ob sich ein solcher Verfahrensverstoß in der späteren Auswahlentscheidung tatsächlich bemerkbar gemacht hat, spielt nach Auffassung des BAG keine Rolle. Dies folgt bereits im Umkehrschluss aus § 15 Abs. 2 AGG38. (Ga)
38 BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 n. v. (Rz. 47).
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Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach AGG
3.
Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach AGG
Bereits bei früherer Gelegenheit hatten wir uns mit der Frage befasst, ob die in § 15 Abs. 4 S. 1 AGG genannte Zwei-Monats-Frist zur Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen wegen einer Diskriminierung nach §§ 1, 7 AGG mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Ausgangspunkt waren Feststellungen des BAG im Urteil vom 13.10.201139, die insbesondere als Folge der Bulicke-Entscheidung des EuGH vom 8.7.201040 noch einmal in Frage gestellt wurden41. Entgegen der diesseits vertretenen Auffassung hat das BAG nunmehr mit Urteil vom 15.3.201242 festgestellt, dass die Frist wirksam sei und auch unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben keinen Bedenken begegne. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH beginne die Frist bei der Ablehnung einer Bewerbung allerdings entgegen dem Wortlaut von § 15 Abs. 4 S. 2 AGG erst dann, wenn der Bewerber von der Benachteiligung Kenntnis erlange. Der bloße Zugang der Ablehnung einer Bewerbung allein genügt also nicht. In dem zugrundeliegenden Fall hatte das beklagte Land zur Jahresmitte 2008 drei Stellen für Lehrkräfte an einer Justizvollzugsanstalt ausgeschrieben. Unter Hinweis auf seine anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft bewarb sich auch der Kläger auf diese Stellen. Mit Schreiben vom 29.8.2008 lehnte das beklagte Land die Bewerbung des Klägers ab. Das Schreiben ging dem Kläger am 2.9.2008 zu. Mit einem beim beklagten Land am 4.11.2008 eingegangenen Schreiben meldete der Kläger Schadensersatzund Entschädigungsansprüche an, weil er entgegen § 82 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat auch der 8. Senat des BAG die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung hatte der Kläger bereits mit Zugang des Ablehnungsschreibens Kenntnis von den Indizien seiner Benachteiligung. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass er nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden war, obwohl ihm die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich fehlte. Er wäre damit in der Lage gewesen, seine Benachteiligung geltend zu machen. Sein dazu gefertigtes Schreiben erreichte das beklagte Land jedoch 39 40 41 42
8 AZR 608/10, ZTR 2011, 719 f. C-246/09, NZA 2010, 869 ff. B. Gaul/Koehler, BB 2010, 503 ff. 8 AZR 160/11 n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
erst am 4.11.2008, also nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG. Nach Auffassung des 8. Senats des BAG wahrt diese Frist nicht nur den Grundsatz der Effizienz. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Das BAG geht darüber hinaus davon aus, dass auch der Äquivalenzgrundsatz gewahrt ist. Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten, für die Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen wegen einer Diskriminierung keine strengeren Anforderungen aufzustellen, als sie für vergleichbare Ansprüche nach sonstigen Vorschriften des nationalen Rechts Geltung beanspruchen. Dies war insoweit zweifelhaft, als die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen wegen einer Missachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Beleidigung nach § 823 Abs. 2 BGB, § 185 StGB innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgen kann (§ 195 BGB). Ausgehend davon, dass auch die Diskriminierung wegen einer Behinderung letztendlich eine Missachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, werden durch § 15 Abs. 4 S. 1 BGB schlussendlich also von den für vergleichbare Ansprüche geltenden Regelungen abweichende Vorgaben gesetzt. Von diesen Vorgaben in § 15 Abs. 4 S. 1 AGG ist indes in der Zukunft auszugehen. (Ga)
4.
Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber
Der 8. Senat des BAG hat mit Beschluss vom 20.5.201043 dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahingehend auszulegen sind, dass einem Arbeitnehmer, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt, im Falle seiner Nichtberücksichtigung ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Auskunft eingeräumt werden muss, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist. Bejahendenfalls ist es um die Ergänzungsfrage gegangen, ob der Umstand, dass der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteilt, eine Tatsache ist, welche das Vorliegen der vom Arbeitnehmer behaupteten Diskriminierung vermuten lässt. Wir hatten darüber berichtet44 Die am 7.9.1961 geborene Klägerin, die aus Russland stammt, ist Inhaberin eines russischen Diploms als Systemtechnik-Ingenieurin, dessen Gleichwer43 8 AZR 287/08 (A), NZA 2010, 1006 ff. 44 B. Gaul, AktuellAR, 2010, 43 ff., 364 ff.
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Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber
tigkeit mit einem von einer Fachhochschule erteilten deutschen Diplom in Deutschland anerkannt wurde. Sie bewarb sich bei der Beklagten auf eine von dieser in der Presse geschaltete Stellenanzeige für „eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/-in“, deren Voraussetzungen sie streitlos erfüllte. Diese Bewerbung lehnte die Beklagte ab, ohne die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen oder eine Begründung für die Ablehnung mitzuteilen. Kurz danach erschien im Internet eine zweite Stellenanzeige der Beklagten, deren Inhalt dem der ersten Anzeige entsprach. Die Klägerin bewarb sich erneut um die Stelle. Sie erhielt eine erneute begründungslose Ablehnung der Beklagten, ohne zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Die Klägerin erhob daraufhin beim ArbG Klage, weil sie wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft ungünstiger behandelt worden sei als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Sie verlangte neben einer Entschädigung von der Beklagten die Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers, um ihr den Nachweis zu ermöglichen, dass sie besser qualifiziert sei als Letzterer. Da die vom BAG angesprochenen Richtlinien keinen ausdrücklichen Auskunftsanspruch in ihren Beweislastregeln aufweisen, ging es im Prinzip darum, ob auch ohne ausdrücklichen Hinweis zumindest aus dem Sinn der Beweisaltlastregeln ein Anspruch auf Zugang zu den von der Klägerin gewünschten Informationen besteht. Der EuGH hatte bereits in einer Entscheidung vom 21.7.201145 zu Art. 4 Abs. 1 der inzwischen aufgehobenen Richtlinie 97/80 vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts die Auffassung vertreten, dass ein Bewerber wegen einer angeblichen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen Anspruch auf im Besitz des Arbeitgebers befindliche Informationen über die Qualifikation der anderen Bewerber hat, um ihn in die Lage zu versetzen, Tatsachen glaubhaft zu machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Dabei hat der EuGH zusätzlich gewichtet, dass ein derartiger Informationsanspruch den Bestimmungen der Richtlinie 97/80/EG über die Vertraulichkeit entgegenstünde46. Wie in den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi vom 12.1.2012 in der Rechtssache C – 415/10 zum Ausdruck gebracht wird, hatte die Kommission ursprünglich einen Auskunftsanspruch der Diskriminierungsopfer vorgesehen47, diesen jedoch wieder zurückgenommen48. Dem-
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C-104/10, EzA Richtlinie 97/80 EG-Vertrag 1999 Nr. 1 - Kelly. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2011, 367 ff. KOM(88)269 endg. ABl. C 176 S. 5. ABl. 1998, C 40, S. 7.
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gemäß kann aus dem Fehlen eines Informationsanspruchs nicht der Schluss gezogen werden, dieser sei nur versehentlich in den Richtlinien unberücksichtigt geblieben. Vielmehr ist den Beweislastregelungen der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dem Diskriminierten insoweit die Beweislast zu erleichtern, dass er nur den Anschein einer Diskriminierung nachweisen muss, während der Arbeitgeber die volle Beweislast dafür trägt, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Allerdings hatte der EuGH in der Streitsache Kelly bereits entschieden, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Arbeitgeber im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die für eine Vermutung der Diskriminierung sprechen, relevant sein kann. In der Vorabentscheidung vom 19.4.201249 auf die Anfrage des BAG knüpft der EuGH an die Entscheidung Kelly an und wiederholt seine Aussage, dass die Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG für einen Arbeitnehmer, der schlüssig dargelegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung unberücksichtigt blieb, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der Arbeitgeber einen anderen Bewerber eingestellt hat. Gleichwohl kann die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch den Arbeitgeber ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen sei. Das vorlegende Gericht müsse prüfen, ob dies unter Berücksichtigung aller Umstände im Ausgangsverfahren der Fall sei. Mit dieser Entscheidung verdeutlicht der EuGH, dass nicht allein bereits die Verweigerung von Informationen des Arbeitgebers für die Vermutung einer Diskriminierung ausschlaggebend sein kann. Vielmehr kann dieser Gesichtspunkt nur dann eine Rolle spielen, wenn weitere Gesichtspunkte dazukommen, die der Verweigerung von Informationen ein anderes Gewicht verleihen. Derartige Aspekte können darin zu sehen sein, dass der Bewerber für die zu besetzende Stelle offensichtlich qualifiziert ist, er gleichwohl im Gegensatz zu anderen Bewerbern nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist und auch im Rahmen eines neuen Verfahrens zur Auswahl unter den Bewerbern um die Besetzung dieser Stelle keine Einladung zur Vorstellung erhalten hat. Im Lichte dieser Ausführungen des EuGH wird nunmehr das BAG über den Informationsanspruch der Klägerin zu befinden haben. Aus Sicht des Ar49 C-415/10, NZA 2012, 493 - Galina Meister.
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AGB-Kontrolle einer Rückzahlungsklausel in Bezug auf Weiterbildungskosten
beitgebers ist es durchaus weiterhin sinnvoll, seine Personalauswahlentscheidung zunächst dadurch unangreifbar zu machen, dass konkrete Begründungen für die Ablehnung eines Bewerbers publiziert werden. (Boe)
5.
AGB-Kontrolle einer Rückzahlungsklausel in Bezug auf Weiterbildungskosten
In seinem Urteil vom 13.12.201150 hat der 3. Senat des BAG noch einmal deutlich gemacht, dass einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, grundsätzlich zulässig sind und den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen benachteiligen. Dies gilt auch für Zahlungsverpflichtungen, die an eine vom Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses noch während der Ausbildung oder im zeitlichen Zusammenhang nach Abschluss der Ausbildung anknüpfen. Da entsprechende Rückzahlungsklauseln allerdings eine Einschränkung der durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit darstellen, muss – so das BAG – die Rückzahlungspflicht einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer müsse ein angemessener Ausgleich gegenüber stehen; der Arbeitnehmer müsse mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten. Insgesamt müsse die Erstattungspflicht – auch dem Umfang nach – dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Im Rahmen der Interessenabwägung ist deshalb zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber Ausbildungskosten grundsätzlich nur für solche Arbeitnehmer aufwenden will, die – so das BAG – auch bereit sind, ihm die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten einige Zeit nach Abschluss der Ausbildung auch zur Verfügung zu stellen. Er habe deshalb ein berechtigtes Interesse daran, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig zu nutzen. Demgegenüber gehe das Interesse des Arbeitnehmers dahin, durch die Ausbildung die eigenen Arbeitsmarktchancen zu verbessern und dem Arbeitgeber deshalb nicht Kosten für eine Aus- oder Weiterbildung erstatten zu müssen, die sich als Investition im ausschließlichen Arbeitgeberinteresse darstelle. Außerdem habe der Arbeitnehmer ein billigenswertes Interesse da-
50 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 21 ff.).
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
ran, seinen Arbeitsplatz ohne Belastung mit der Erstattungspflicht wählen zu können51. In der im Rahmen der Entscheidung vom 13.12.201152 verwendeten Rückzahlungsklausel waren diese Schranken einer angemessenen Rückzahlungsklausel nicht gewahrt. Denn nach dem Wortlaut der Vereinbarung sollte der Kläger die Kosten der Ausbildung zum Triebwagenfahrer immer dann - wenn auch gestaffelt – zurückzahlen, wenn er entweder vor Beendigung der Ausbildung oder vor Ablauf von zwei Jahren nach deren Beendigung das Arbeitsverhältnis kündige. Nach den Feststellungen des BAG ist es mit § 307 Abs. 1 BGB nicht vereinbar, die Rückzahlungspflicht in dieser Weise schlechthin an das Ausscheiden des Arbeitnehmers zu knüpfen, welches innerhalb der mit der Klausel vorgesehenen Bindungsfrist stattfindet. Vielmehr müsse nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden53. Eine Rückzahlungsklausel stelle nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand habe, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungspflicht zu entgehen. Verluste aufgrund von Investitionen, die nachträglich wertlos würden, habe grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen. Hätte der betriebstreue Arbeitnehmer die in seine Aus- oder Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen seien, würde er mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition des Arbeitgebers belastet. Dies sei unangemessen und führe deshalb zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung54. Entsprechend der Systematik des § 306 Abs. 1, 2 BGB lehnt das BAG auch eine geltungserhaltende Reduktion ab. Eine solche Aufrechterhaltung entsprechender Rückzahlungsklauseln wäre auch mit dem Zweck der §§ 305 ff. BGB unvereinbar. Es sei Ziel des Gesetzes, auf einen angemessenen Inhalt der in der Praxis anzuwendenden Geschäftsbedingungen hinzuwirken. Dem Vertragspartner des Verwenders solle die Möglichkeit sachgerechter Information über die ihm aus dem formulierten Vertrag erwachsenden Rechte und Pflichten verschafft werden. Dieses Ziel lasse sich jedoch nicht errei51 So BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 24.). 52 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 2, 25 ff.). 53 BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 26); BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042 Rz. 27. 54 BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 26); BAG v. 24.6.2004 – 6 AZR 383/03, NZA 2004, 1035.
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AGB-Kontrolle einer salvatorischen Klausel
chen, wenn jeder Verwender von allgemeinen Geschäftsbedingungen zunächst die Grenze dessen unterschreiten könnte, was er zu seinen Gunsten in gerade noch vertretbarer Weise vereinbaren dürfte und das gerade noch Zulässige trotzdem gölte. Würde dies als zulässig angesehen, hätte das zur Folge, dass der Vertragspartner des Verwenders in der Vertragsabwicklungspraxis mit überzogenen Klauseln konfrontiert würde. Erst in einem Prozess könnte er ggf. alle Rechte und Pflichten zuverlässig erfahren. Wer die Möglichkeit nutzen könne, die ihm der Grundsatz der Vertragsfreiheit für die Aufstellung allgemeiner Geschäftsbedingungen eröffne, müsse deshalb auch das vollständige Risiko seiner Klauselunwirksamkeit tragen. Andernfalls liefe auch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB weitgehend leer55. Hiervon ausgehend ist es wichtig, in der betrieblichen Praxis bei entsprechenden Rückzahlungsklauseln solche Beendigungstatbestände auszunehmen, die durch Gründe in der Sphäre des Arbeitgebers bedingt sind. Denn die Unwirksamkeit entsprechender Klauseln hat den Wegfall einer Rückzahlungspflicht auch in solchen Sachverhalten zur Folge, in denen die Beendigung durch den Arbeitnehmer aus Gründen erfolgt, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Rückzahlungsklausel insoweit – wie dies hier der Fall war – nicht teilbar ist. (Ga)
6.
AGB-Kontrolle einer salvatorischen Klausel
In der vorstehend bereits im Zusammenhang mit der AGB-Kontrolle von Rückzahlungsklauseln in Bezug auf Weiterbildungskosten behandelten Entscheidung des BAG vom 13.12.201156 hat sich der 3. Senat auch mit der Frage befasst, ob die Rechtsfolgen einer Missachtung der Schranken der AGB-Kontrolle durch die Vereinbarung einer salvatorischen Klausel verändert werden können. Solche Klauseln finden sich in fast allen Arbeitsverträgen. In der streitgegenständlichen Vereinbarung über die Ausbildungskostenerstattung lautete die Klausel wie folgt: Sollten einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam sein oder sollten sie ihre Rechtswirksamkeit später verlieren oder sollte sich in dieser Vereinbarung eine Lücke befinden, so wird hierdurch die Rechtswirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. Anstelle der unwirksamen Vertragsbestimmungen oder zur Ausfüllung einer Lücke soll eine angemessene
55 BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 30); BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, NZA 2006, 149 Rz. 39. 56 3 AZR 791/09 n. v.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag Regelung treten, die, soweit rechtlich möglich, dem am nächsten kommt, was die Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie diesen Punkt bedacht hätten.
Mit überzeugender Begründung hat der 3. Senat des BAG auch unter Berücksichtigung dieser Klausel eine geltungserhaltende Reduktion der Rückzahlungsklausel abgelehnt. Mit einer solchen Ersetzungsklausel werde die Rechtsfolge einer Unwirksamkeit nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur abweichend von dem in § 306 BGB geregelten Rechtsfolgesystem gestaltet, in dem die in § 306 Abs. 2 BGB vorgesehene Geltung des dispositiven Rechts verdrängt werde. Zudem würden die Rechte und Pflichten des Vertragspartners entgegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht klar und durchschaubar dargestellt. Dies sei unzulässig, weil es den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteilige57. Dem ist zuzustimmen. Denn schlussendlich würde der Arbeitnehmer bei der Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel in die Situation gebracht, dass anstelle der unwirksamen Vertragsklausel eine Regelung gelten würde, deren Inhalt erst im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber wirksam festgestellt werden könnte. Das damit verbundene Risiko einer Ungewissheit der wechselseitigen Rechte und Pflichten muss der Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen tragen, der im Vorfeld des Abschlusses solcher Vereinbarungen den Inhalt entsprechender Klauseln bestimmt. Nichtsdestotrotz ist es in der Praxis empfehlenswert, weiterhin solche Klauseln zu verwenden. Zum einen bringt der erste Teil solcher Klauseln den Grundsatz der ergänzenden Vertragsauslegung zum Ausdruck, wie er unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch unter Berücksichtigung von § 306 Abs. 2 BGB auf der Grundlage der §§ 133, 157, 242 BGB im Zusammenhang mit der AGB-Kontrolle eines Arbeitsvertrags zur Anwendung kommen kann. Zum anderen ist die Bereitschaft beider Vertragsparteien in der Regel erhöht, bei einer offenen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit einer Vertragsklausel eine alternative Regelung zu finden, falls der entsprechende Wille hierzu in einer salvatorischen Klausel dokumentiert wurde. (Ga)
57 BAG v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09 n. v. (Rz. 38); BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111 Rz. 36; BGH v. 22.11.2001 – VII ZR 208/00, BB 2002, 592.
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Direktionsrecht: Zumutbarkeit einer Änderung des Arbeitsorts
7.
Direktionsrecht: Zumutbarkeit einer Änderung des Arbeitsorts
Gemäß § 106 S. 1 GewO ist der Arbeitgeber berechtigt, in den Grenzen billigen Ermessens Art, Ort und Zeit der Tätigkeit zu verändern, sofern seine entsprechende Weisung nicht gegen Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Regelungen der Parteien im Arbeitsvertrag verstößt. Bedeutung hat die Berechtigung zur Veränderung des Arbeitsorts insbesondere dann, wenn im Arbeitsvertrag – entgegen § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NachwG – keine Feststellungen zum Arbeitsort getroffen wurden. Denn damit kann der Arbeitsvertrag selbst auch keine Schranke sein, die das örtliche Direktionsrecht des Arbeitgebers begrenzt. Vorbehaltlich kollektivrechtlicher Schranken und der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats kommt es hier im Grunde nur darauf an, das die Grenzen billigen Ermessens (§ 315 BGB) gewahrt sind. Diese Systematik hat das BAG noch einmal in seinem Urteil vom 17.8.201158 bestätigt. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien den Arbeitsort vertraglich nicht festgelegt. Nachdem die Klägerin über 15 Jahre an einem bestimmten Arbeitsort tätig war, entstand deshalb Streit über die Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt war, ihr einen Arbeitsplatz an einem anderen Ort zuzuweisen. Hintergrund dieser Weisung war seine Entscheidung, mehrere dezentrale Betriebsstätten aufzulösen und die entsprechenden Arbeiten an einen einzigen Standort zu verlagern. Für die Klägerin hatte diese Verlagerung allerdings zur Folge, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln für die einfache Wegstrecke vom Wohnort zum neuen Arbeitsort zwischen 1 Stunde und 45 Minuten und 2 Stunden und 12 Minuten benötigte. Nach den Feststellungen des BAG verlangt eine Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen eine Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu gehören – so das BAG – die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen59. Eine
58 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 ff. 59 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22; BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, DB 2010, 2805 Rz. 40.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Sozialauswahl wie bei einer betriebsbedingten Kündigung findet allerdings bei dieser Ermessenüberprüfung nach § 106 S. 1 GewO nicht statt60. Hiervon ausgehend hält das BAG auch eine Ortsveränderung, wie sie hier in Rede steht, für grundsätzlich statthaft. Dies gelte selbst dann, wenn die sozialversicherungsrechtlichen Schranken der Zumutbarkeit bei der Aufnahme einer Beschäftigung in § 140 SGB III (früher: § 121 SGB III) überschritten werden. Allerdings ist mit Blick auf die Interessen des Arbeitnehmers an einer möglichst wohnortnahen Beschäftigung im Rahmen der Interessenabwägung auch festzustellen, ob eine andere, wohnortnähere Möglichkeit der Weiterbeschäftigung denkbar wäre. Dabei besteht indes kein genereller Anspruch des Arbeitnehmers darauf, eine solche Beschäftigung zu erhalten. Denn im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber berechtigterweise das Ziel verfolgen kann, im Anschluss an eine Verlagerung von Aufgaben für diese auch am neuen Arbeitsort weiterhin qualifiziertes, erfahrenes und eingearbeitetes Personal einzusetzen. Dies kann für eine kontinuierliche, störungsfreie und sachgerechte Aufgabenerfüllung im betrieblichen Interesse erforderlich sein und auch die Versetzung älterer Arbeitnehmer mit langjähriger Betriebszugehörigkeit rechtfertigen. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt waren, wird im Rahmen einer erneuten Entscheidung des LAG Sachsen festzustellen sein. Wichtig ist, dass die Möglichkeit, die Klägerin erst nach einer Abänderung des Arbeitsvertrags auf einem anderen – wohnortnäheren – Arbeitsplatz einzusetzen, bei der Überprüfung des billigen Ermessens keine Berücksichtigung findet. Vielmehr sind nur solche Beschäftigungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, die ohne Änderung des Arbeitsvertrags gemäß § 106 S. 1 GewO zugewiesen werden können61. (Ga)
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Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung
Die Neufassung des AÜG mit Wirkung zum 1.12.2011, über die wir berichteten62, hat grundlegende Änderungen in Bezug auf die Zulässigkeit der Ar-
60 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 22. 61 BAG v. 17.8.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265 Rz. 32. 62 B. Gaul, AktuellAR 2011, 10 ff., 312 ff. Eingehend auch Forst, AuR 2012, 97 ff.; Hamann, ZESAR 2012, 103 ff.; Huke/Neufeld/Luickhardt, BB 2012, 961 ff.; Schuster/Grüneberg, AiB 2012, 85 ff.; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632 ff.; Kranich/Simon, BB 2012, 1414 ff.; Forst, NZA 2011/11 Editorial; Ulber, AuR 2011, 231; Düwell, DB 2011, 1520 ff.; Leuchten, NZA 2011, 608 ff.; Oberthür, ArbRB 2011, 146 ff.; Lembke,
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Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung
beitnehmerüberlassung auch zwischen Konzernunternehmen zur Folge. Viele Fragen, die mit der Neuregelung verbunden sind, bieten Anlass zu einer regen Diskussion in der Literatur, die erkennbar in Teilen davon getragen ist, politische Wunschvorstellungen nachträglich in die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Dennoch wird die betriebliche Praxis nicht umhin kommen können, sich mit den unterschiedlichen Auffassungen zur Bedeutung der gesetzlichen Neuregelung zu befassen. Die Geschäftsanweisung zum AÜG, die die Bundesagentur für Arbeit regelmäßig erneuert, trägt insoweit nur eingeschränkt zur Klarstellung bei.
a)
Privilegierte konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung
Das AÜG in seiner Gesamtheit findet gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG keine Anwendung auf die Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Unerheblich dabei ist, ob die beteiligten Konzernunternehmen im In- oder Ausland sitzen. Auch die grenzüberschreitende Überlassung von Arbeitnehmern kann damit gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG privilegiert sein63. Auch wenn bei der Kennzeichnung des Konzernbegriffs auf § 18 AktG abgestellt wird, setzt die Anwendung des Konzernprivilegs nicht voraus, dass die beteiligten Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft bestehen. Es werden alle öffentlich- oder privatrechtlich organisierten Rechtsträger erfasst, die mit dem Ziel der Verrichtung einer wirtschaftlichen Tätigkeit gebildet werden. § 18 AktG geht davon aus, dass ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind und insofern einen Konzern bilden. Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 91 AktG) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319 AktG), sind als unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst anzusehen. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet (§ 18 Abs. 1 AktG). Sind rechtlich selbständige Unternehmen, ohne dass ein Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leistung zusammengefasst, so
NZA 2011, 318 ff.; Hamann, NZA 2011, 70 ff.; Düwell, ZESAR 2011, 449 ff.; Ruge/v.Tiling, ZTR 2012, 263 ff. 63 Siehe GA-AÜG 1.3.2 Abs. 6.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
bilden auch sie einen Konzern. Die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen (§ 18 Abs. 2 AktG). Sofern kein Beherrschungsvertrag abgeschlossen wurde und kein Eingliederungsverhältnis besteht, schließt dies das Vorliegen eines Konzerns nicht aus. Ein faktischer Unterordnungskonzern liegt nach § 17 AktG vor, wenn ein Unternehmen auf ein anderes rechtlich selbständiges Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Maßgeblich dabei ist die Sicht der abhängigen Gesellschaft. Aus ihrem Blickwinkel heraus ist zu beurteilen, ob sie einen fremden unternehmerischen Willen unterworfen wird. Entscheidend dabei ist, dass das herrschende Unternehmen insbesondere über seine Stimmrechte und Entsendungsrechte in der Lage ist, das abhängige Unternehmen seinem Willen zu unterwerfen und diesen im abhängigen Unternehmen durchzusetzen. Ein Gleichordnungskonzern nach § 18 Abs. 2 AktG kann sich aus vertraglichen Absprachen oder aus faktischen Verhältnissen ergeben, die zu einer einheitlichen Leitung führen. Ein vertraglicher Gleichordnungskonzern, wie ihn auch die Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit anerkennt, liegt z. B. vor, wenn die Unternehmen sich der einheitlichen Leitung einer für diesen Zweck gegründeten Interessengemeinschaft, die für die Gesamtplanung und die Investitionen zuständig ist, unterstellen. Ein Gleichordnungskonzern kann nach Maßgabe der Geschäftsanweisung zutreffender Weise auch infolge der faktischen Verhältnisse bei wechselseitiger Beteiligung auf der Ebene der Gesellschafter entstehen. Voraussetzung für die Anwendung des Konzernprivilegs ist allerdings, dass nur solche Arbeitnehmer betroffen sind, die nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt werden. Personalführungsgesellschaften, deren Zweck die Einstellung und Überlassung von Personal ist, werden damit aus dem Anwendungsbereich von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ausgegrenzt. Wichtig ist allerdings, dass man auch als Ergebnis einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht nur solche Arbeitnehmer aus dem Konzernprivileg ausgrenzen muss, die von Beginn an mit dem Ziel einer späteren Überlassung an andere Unternehmen eingestellt wurden. Eine zweckgerichtete Interpretation des Gesetzes verlangt, auch solche Arbeitnehmer auszugrenzen, deren Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Ziel geändert wird, von diesem Zeitpunkt an überwiegend im Rahmen der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt zu werden Andernfalls wäre es möglich, im Rahmen von Konzernbeziehungen Arbeitnehmer auf Dauer einem anderen Rechtsträger zu überlassen. Art. 1 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeitsrichtlinie) verlangt aber, dass Arbeitnehmer
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Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung
nur vorübergehend einem anderen Rechtsträger überlassen werden64. Ein Konzernprivileg kennt die Leiharbeitsrichtlinie nicht65. Allerdings gelten damit – wie bei § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG – auch bei der Überlassung von Arbeitnehmern im Konzern keine Höchstgrenzen66. Umgekehrt wird man allerdings das Konzernprivileg nicht bereits dann ausschließen können, wenn die Überlassung von Arbeitnehmern an einen anderen Rechtsträger nach den für das Arbeitsrecht geltenden Vereinbarungen im Rahmen des Direktionsrechts zulässig ist. Unerheblich dabei ist, ob die Überlassung von Arbeitnehmern ausdrücklich im Arbeitsvertrag als eine denkbare Einsatzmöglichkeit genannt oder durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag erlaubt wird. Entscheidend ist, dass das Arbeitsverhältnis seinem Schwerpunkt nach darauf gerichtet ist, überwiegend und dauerhaft im Wege der Arbeitnehmerüberlassung umgesetzt zu werden. Die Berechtigung des Arbeitgebers, einen solchen Einsatz anzuordnen, schließt ohne eine solche Zweckbestimmung die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht aus. Voraussetzung ist, dass die Überlassung im Konzern dem Arbeitsverhältnis auch in der praktischen Umsetzung das Gepräge gibt.
b)
Nichtprivilegierte Arbeitnehmerüberlassung im Konzern
Wenn die Voraussetzungen einer Anwendbarkeit des Konzernprivilegs in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht erfüllt sind, fällt die Überlassung in den Anwendungsbereich des AÜG. Ausgehend davon, dass sie im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgt, ist damit eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG erforderlich. Darüber hinaus muss das Equal-Treatment-Gebot beachtet werden, sofern nicht durch Tarifvertrag oder Bezugnahme auf Tarifvertrag eine Abweichung erlaubt wird.
64 Vgl. Lembke, DB 2011, 414, 416; Ulber, AÜG § 1 Rz. 370, 373; Leuchten, NZA 2011, 608, 609; i. E. ebenso Huke/Neufeld/Luickhardt, BB 2012, 961, 964 f., die dann aber noch eine Überlassung nach § 1 Abs. 1 AÜG für möglich halten; abl. Ruge/v. Tiling, ZTR 2012, 263, 265 f., deren Begründung allerdings mehr von der unionsrechtlich irrelevanten These getragen ist, das Arbeitnehmer öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Arbeitnehmer eines Rechtsträgers in kommunalem Besitz keine Schutzbedürftigkeit hätten, die sie – auch bei dauerhaften Überlassungstatbeständen – in den Anwendungsbereich des AÜG führen müsste. Das EG-Recht kennt diese Prinzipien (leider) nicht. Diese Auffassung hätte konsequenterweise zur Folge, dass Arbeitnehmer in dauerhafter Überlassung keinerlei Schutz aus §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 13 a, 13 b AÜG genießen würden, weil – so die These – das AÜG nur auf Tatbestände der vorübergehenden Überlassung zur Anwendung kommt. 65 Hamann, ZESAR 2012, 103, 109. 66 A. A. Schuster/Grüneberg, AiB 2012, 81, 84 f.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Konsequenz der Geltung der allgemeinen Regelungen zur Arbeitnehmerüberlassung ist damit auch, dass diese nur vorübergehend erfolgen darf. Wann noch von einer vorübergehenden Überlassung die Rede ist, wird nach wie vor diskutiert. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass die entsprechende Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ohnehin nur als unverbindlicher Programmsatz zu qualifizieren sei67. Auch deshalb lasse das Gesetz weiterhin die dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern innerhalb und außerhalb des Konzerns zu68. In ähnlicher Weise hatte sich auch der parlamentarische Staatssekretär Brauksiep in seiner Antwort für die Bundesregierung auf Fragen einzelner Abgeordneter geäußert. Nach seiner Auffassung ist auch nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung eine nicht von vorneherein zeitlich befristete Überlassung von Zeitarbeitnehmern erlaubt69. Wie bereits an anderer Stelle eingehend ausgeführt wurde70, erscheint die damit verbundene Zulassung einer dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung nicht überzeugend. Auch der Sinn und Zweck der unionsrechtlichen Vorgaben dürfte bei dieser Interpretation nicht gewahrt sein. Vielmehr wird man wohl davon ausgehen müssen, dass eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung nur dann vorliegt, wenn sie von Beginn an durch Zeit oder Zweck des Einsatzes begrenzt wird. Eine Höchstgrenze, wie sie zum Teil mit Blick auf § 7 S. 2 BetrVG71 (3 Monate), die Geltungsdauer der Wartezeit in § 1 Abs. 1 KSchG72 (6 Monate) oder die Höchstgrenze einer sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen (24 Monate)73 diskutiert wird, widerspricht allerdings dieser offenen Regelungsvorgabe durch Art. 3 e Leiharbeitsrichtlinie bzw. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. Richtiger dürfte vielmehr sein, zu verlangen, dass im Zusammenhang mit dem Einsatz eines Arbeitnehmers bei einem Entleiher aus Vereinbarungen, aus dem Zweck der Tätigkeit oder aus sonstigen Umständen heraus erkennbar wird, dass eine Rückkehr des Arbeitnehmers zum Verleiher mit dem Ziel geplant ist, dort das Beschäftigungsverhältnis zu beenden, einem Einsatz im Betrieb des Verleihers anzu-
67 So Lembke, DB 2011, 414 ff.; kritisch hinsichtlich der grundsätzlichen Bestimmbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs Düwell, in der 56. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 21.3.2011 68 So Huke/Neufeld/Luickhardt, NZA 2012, 961 ff.; Lembke, DB 2011, 414 ff, a. A. Hamann, RdA 2011, 321 ff.; Heuchemer/Schielke, BB 2011, 758 f. 69 BT-Drucks. 17/8829 S. 24. 70 B. Gaul, AktuellAR 2011, 10 ff., 341 ff. 71 Schuster/ Grüneberg, AiB 2012, 82 ff.. 72 So Schuster/ Grüneberg, AiB 2012, 82 ff. 73 So Ulber, AÜG § 1 Rz.230 ff.
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Tarifliche Ausschlussfrist bei vorsätzlicher Pflichtverletzung
schließen oder zu einem anderen Entleiher zu wechseln. Unzureichend ist, eine entsprechende Begrenzung bereits durch die Altersgrenze anzunehmen. Aus den vorstehenden Schranken für den Einsatz von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen außerhalb des Konzernprivilegs des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG folgt, dass die betroffenen Unternehmen sicherstellen sollten, dass jedenfalls eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorliegt und das Equal-Treatment-Gebot gewahrt oder die Voraussetzungen einer Abweichung von diesem Gebot erfüllt sind. Andernfalls besteht das Risiko, dass in dem konzerninternen Einsatz von Arbeitnehmern eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat zu sehen ist. Darüber hinaus kann der Einsatz die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Entleiher zur Folge haben (§§ 9, 10 AÜG). Lediglich hinsichtlich einer Missachtung des Gebots einer nur vorübergehenden Überlassung ist mit diesen Rechtsfolgen nicht verknüpft. Eine Missachtung dieser Vorgabe kann aber zum Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung führen, weil die Nichtbeachtung von Arbeitsschutzvorschriften ein Indiz für die Unzuverlässigkeit des betroffenen Arbeitgebers ist. Darüber hinaus kann eine entsprechende Kennzeichnung des Verleihers zu Nachteilen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge führen. (Ga)
9.
Tarifliche Ausschlussfrist bei vorsätzlicher Pflichtverletzung
Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Damit regelt der Gesetzgeber die Frage, wann ausnahmsweise eine Verjährungsvereinbarung der Wirksamkeit entbehrt (§ 134 BGB), was zugleich bedeutet, dass Vereinbarungen zur Verjährung grundsätzlich zulässig sind. § 202 BGB lässt damit eine Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB) zu. Allerdings muss die Abkürzung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Erfordernissen der §§ 305 ff. BGB genügen. Das gilt gleichfalls für die Vereinbarung von Ausschlussfristen, die kürzer als die gesetzlichen Verjährungsfristen sind. Da § 202 Abs. 1 BGB Vereinbarungen über Ausschlussfristen erfasst, hat das BAG74 eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist, sofern sie auch vorsätzliche Vertragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen sollte, als teilnichtig angesehen.
74 BAG v. 25.5.2005 - 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111 Rz. 15.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
Ob § 202 Abs. 1 BGB einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und nach § 4 Abs. 1 S. 1 oder § 5 Abs. 4 TVG normative Wirkung entfaltet, entgegensteht, hatte der 8. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 18.8.201175 zu klären. Der Fall betraf einen Maurer, der für einen Bauunternehmer in Polen tätig war und dort die Arbeit grundlos aufgegeben hatte, wodurch dem Arbeitgeber ein behaupteter Schaden von über 11.000,- € entstanden war. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war kraft Allgemeinverbindlichkeit der BRTV anwendbar. Nach § 15 BRTV verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden (1. Stufe). Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird (2. Stufe). Bei der Geltendmachung seines Schadensersatzanspruchs hatte der Arbeitgeber bereits die 1. Stufe der Ausschlussfrist versäumt. Da sich die tarifvertragliche Ausschlussfrist auf alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beziehen sollte, sprach nach Ansicht des BAG bereits der Wortlaut dafür, dass solche wegen vorsätzlich begangener, gegebenenfalls auch unerlaubter Handlungen davon erfasst wurden. Bei vergleichbarer Wortwahl eines Tarifvertrags hat das BAG76 schon bisher die Ansicht vertreten, dass wegen des einheitlichen Lebensvorgangs Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen auch dann zu den von einer tariflichen Ausschlussfrist erfassten Ansprüchen zählen, wenn der Tarifvertrag die Ausschlussfrist ohne weiteren Zusatz für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ regelt. Dabei unterscheidet die Formulierung „alle Ansprüche“ nicht danach, ob es sich um Ansprüche aus Vorsatzhaftung oder um Ansprüche wegen fahrlässiger Pflichtverletzung handelt. Die Wortwahl der tariflichen Ausschlussfrist spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien sämtliche Ansprüche, die ihren Grund in der arbeitsvertraglichen Beziehung der Parteien haben, erfassen wollen, auch wenn sie auf dem Recht der unerlaubten Handlung nach den §§ 823 ff. BGB beruhen. An dieser Rechtsprechung orientiert sich das BAG in der Entscheidung vom 18.8.201177 auch im Streitfall, so dass die gegen den Arbeitnehmer gerichteten Schadensersatzansprü75 8 AZR 187/10, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 200. 76 BAG v. 30.10.2008 - 8 AZR 886/07, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 192 Rz. 21; BAG v. 16.5.2007 - 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 Rz. 40. 77 8 AZR 187/10, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 200.
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Tarifliche Ausschlussfrist bei vorsätzlicher Pflichtverletzung
che auch im Falle einer vorsätzlichen Vertragsverletzung von der tariflichen Ausschlussfrist erfasst wurden. Das BAG wandte sich anschließend der Frage zu, ob § 15 BRTV nach §§ 134, 202 BGB insoweit teilnichtig ist, als auch eine Haftung wegen Vorsatzes des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Da § 202 Abs. 1 BGB die Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“ verbietet, spricht nach Ansicht des BAG bereits der Wortlaut der Norm dafür, dass sie auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinbarung abstellt und lediglich insoweit die Vertragsfreiheit der Parteien begrenzen will. Eine derartige Vereinbarung im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB besteht nicht, wenn kraft beiderseitiger Tarifbindung oder aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung ein Tarifvertrag mit zwingender Wirkung auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangt78. Es überzeugt, wenn das BAG bei zwingend und unmittelbar geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags von einer gesetzlichen Regelung und nicht von einem Rechtsgeschäft im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB ausgeht. Im Ergebnis erweist sich damit § 202 Abs. 1 BGB als tarifdispositives Gesetzesrecht. Eine Unwirksamkeit ergibt sich auch nicht aus § 276 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 134 BGB, weil durch die Ausschlussklausel die Haftung des Schuldners nicht im Voraus erlassen wird. Wegen § 310 Abs. 4 S. 1 BGB unterliegen Ausschlussfristen in einem Tarifvertrag wie sonstige tarifvertragliche Regelungen keiner Inhalts – oder Angemessenheitskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB. Dies gilt wegen § 310 Abs. 4 S. 3 BGB auch dann, wenn einzelvertraglich auf den einschlägigen Tarifvertrag insgesamt verwiesen wird, der eine tarifliche Ausschlussfrist beinhaltet79. Die Ausschlussfrist beginnt mit der Fälligkeit des entstandenen80 Anspruchs zu laufen. Diese tritt bei Schadensersatzansprüchen ein, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann. Dies setzt voraus, dass der Gläubiger vom Schadensereignis Kenntnis erlangt hat oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte erlangen können und seine Forderungen wenigstens annähernd beziffern kann81. Die Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs im Sinne der Ausschlussklausel tritt nicht bereits dann ein, wenn nur die Möglichkeit der Erhebung einer unbezifferten Fest78 A. A. Matthiessen/Shea , DB 2004, 1366, 1368; Lakkis, jurisPK-BGB, § 202 Rz. 14. 79 BAG v. 30.10.2008 - 8 AZR 886/07, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 192 Rz. 21 ff.; ErfK/Preis,§§ 194-218 Rz. 43. 80 BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 628/05, NZA 2007, 262 Rz. 29. 81 BAG v. 18.8.2011 - 8 AZR 187/10, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 200 Rz. 43; BAG v. 16.5.2007 - 8 AZR 709/06, NZA 2007, 1154 Rz. 54.
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Fragen zu Einstellung und Arbeitsvertrag
stellungsklage besteht, eine annähernde Bezifferung der Forderung aber noch nicht möglich ist82. Da der Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist zum Erlöschen eines nicht fristgerecht geltend gemachten Anspruchs führt, wobei die unverschuldete Unkenntnis ihrer Existenz daran nichts ändert, darüber hinaus die fristgerechte Geltendmachung des Anspruchs von den Arbeitsgerichten von Amts wegen83 zu beachten ist, kommt der Ausschlussfrist in der betrieblichen Praxis eine besondere Bedeutung zu, wie auch der vorliegende, vom BAG entschiedene Fall verdeutlicht. (Boe)
82 BAG v. 30.10.2008 - 8 AZR 886/07, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 192 Rz. 24. 83 Nur BAG v. 25.1.2006 - 4 AZR 622/04, EzA § 4 TVG Einzelhandel Nr. 55 Rz. 51.
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D. Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub 1.
Beendigung der Elternzeit bei erneuter Schwangerschaft
Nach § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG kann die Elternzeit vorzeitig beendet oder im Rahmen des § 15 Abs. 2 BEEG verlängert werden, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Die vorzeitige Beendigung wegen der Geburt eines weiteren Kindes oder wegen eines besonderen Härtefalls im Sinne des § 7 Abs. 2 S. 3 BEEG kann der Arbeitgeber indes nur innerhalb von vier Wochen aus dringenden betrieblichen Gründen schriftlich ablehnen (§ 16 Abs. 3 S. 2 BEEG). Ausdrücklich bestimmt § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG ergänzend hierzu, dass die Arbeitnehmerin ihre Elternzeit nicht wegen der Mutterschutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG vorzeitig beenden kann. Eine Ausnahme gilt nur bei einer zulässigen Teilzeitarbeit, während derer die Schwangerschaft eintritt. Die Entscheidung des EuGH vom 20.9.20071 macht deutlich, dass die zuletzt genannte Regelung in § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar ist. Vielmehr liegt darin eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, die im Zweifel nur durch eine fehlende Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelung in unionsrechtskonformer Weise geheilt werden kann. In dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Fall war die Klägerin als Lehrerin an einem Gymnasium in Tampere beschäftigt. Nach der Geburt ihres ersten Kindes nahm sie Elternzeit vom 11.4.2004 bis zum 4.6.2005. Als sie während dieser Elternzeit erneut schwanger wurde, beantragte sie beim Arbeitgeber eine Beendigung der Elternzeit zum 22.12.2004. Ziel dieser Beendigung war es, im unmittelbaren Anschluss daran Entgeltfortzahlungsansprüche wegen der Mutterschutzfristen in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitgeber lehnte eine solche Beendigung mit der Begründung ab, dass die Schwangerschaft kein triftiger Grund für eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit sei. Ein solcher Grund musste nach den finnischen Regelungen vorliegen, damit die Beendigung ggf. auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchgesetzt werden konnte. In den Gründen seiner Entscheidung hat der EuGH zwar zunächst einmal bestätigt, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 96/34/EG zu der von UNICE CEEP und EGB geschlossenen Rahmenver1
C-116/06, NZA 2007, 1274 - Kiiski.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
einbarung über Elternurlaub berechtigt seien, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Elternzeit festzulegen. Insofern sei es auch legitim, dass das nationale Recht strikt die Voraussetzungen festlege, unter denen der Zeitraum des genannten Urlaubs geändert werden könne. Schließlich habe die Gewährung eines solchen Urlaubs Auswirkungen auf die Organisation des Unternehmens oder des Dienstes, zu dem die Arbeitsstelle des Erziehungsurlaubs nehmenden Arbeitnehmers gehöre. Insbesondere könne ein solcher Urlaub die Einstellung einer Ersatzkraft erforderlich machen2. Diese Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten muss allerdings auch mit den Art. 8, 11 der Richtlinie 92/85/EWG zum Mutterschaftsurlaub vereinbar sein. Danach treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, während dessen ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegeben ist. Hinzu komme, dass im Rahmen der Umsetzungsvorschriften gewährleistet werden müsse, dass Ereignisse, die es dem betreffenden Arbeitnehmer nach Beantragung oder Gewährung der Elternzeit unbestreitbar unmöglich machten, sich unter den anfangs ins Auge gefassten Umständen um das Kind zu kümmern, geltend gemacht werden könnten, um eine Änderung des Zeitraums des genannten Urlaubs zu erreichen. Dies gelte auch in Bezug auf die Inanspruchnahme von Mutterschutzfristen, da auch die schwangere Arbeitnehmerin in Elternzeit in den Anwendungsbereich der Richtlinie zum Mutterschaftsurlaub falle3. Hiervon ausgehend sei auch die Schwangerschaft während der Elternzeit als ein Grund anzuerkennen, der die Arbeitnehmerin berechtige, eine vorzeitige Beendigung der Elternzeit zu verlangen. Die Unvorhersehbarkeit, die die Schwangerschaft im Wesentlichen kennzeichne, rücke sie eher in die Nähe zu Ereignissen, wie einer schweren Erkrankung oder des Todes des Kindes oder des anderen Elternteils oder einer Scheidung der Ehe. Diese Ereignisse, die auch nach den finnischen Regelungen zur Umsetzung der ElternzeitRichtlinie als unvorhersehbar erachtet wurden, spiegelten allesamt wesentliche Änderungen in der Familie und den Beziehungen zwischen den Eltern oder zwischen Eltern und Kindern wieder. Insofern müsse auch in Bezug auf die Schwangerschaft davon ausgegangen werden, dass sie die Beziehungen innerhalb der Familie verändere und dass die damit für Mutter und ungeborenes Kind verbundenen Risiken die Verfügbarkeit der Betreffenden und ihre Möglichkeit beeinträchtigten, ein Kind im Rahmen des Erziehungsurlaubs 2 3
62
EuGH v. 20.9.2007 – C-116/06, NZA 2007, 1274 Rz. 37 – Kiiski. EuGH v. 20.9.2007 – C-116/06, NZA 2007, 1274 Rz. 23 ff., 38 – Kiiski.
Unwirksamkeit einer pauschalen Überstundenabgeltung
zu erziehen. Dies gelte umso mehr, als eine Schwangerschaft unweigerlich fortschreite und die betreffende Frau in der Endphase vor der Entbindung und in den ersten Wochen danach Änderungen unterliege, die zwangsläufig so sehr in ihre Lebensbedingungen einschnitten, dass es ihr unmöglich werde, sich um ihr erstes Kind zu kümmern. Auf der Grundlage dieser Überlegungen stellt der EuGH in seinem Urteil vom 20.9.20074 abschließend klar, dass die Mitgliedstaaten auch in Bezug auf Arbeitnehmer in Elternzeit Maßnahmen treffen müssen, die gewährleisten, dass auch diesen Arbeitnehmerinnen ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen gewährt wird. Die Schwangerschaft ist deshalb ein triftiger Grund, die einen Anspruch auf Beendigung der Elternzeit begründet. Insofern sei der mindesten 14 Wochen umfassende Zeitraum, der der Entbindung teilweise vorausgehe, teilweise folge, als eine Lage anzusehen, die angesichts des mit dem Elternurlaub in Sinne der Rahmenvereinbarung verfolgten Zwecks ein Hindernis für das Erreichen dieses Zwecks darstelle und somit ein triftiger Grund sei, der eine Änderung des Zeitraums des Erziehungsurlaubs gestatte. Diese Feststellung steht im klaren Widerspruch zu § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG, der insofern die vom deutschen Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung nicht erzielen kann. Dass es den Arbeitgebern verwehrt ist, sich auf die entsprechende Regelung zu berufen, folgt letztendlich auch aus dem Umstand, dass der EuGH in der gegenteiligen Handhabe auch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts sieht. Denn die fehlende Anerkennung des Anspruchs auf Mutterschaftsurlaub als ein wichtiger Grund für die Beendigung der Elternzeit treffe nur Frauen und müsse deshalb als eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Richtlinie 76/207/EWG qualifiziert werden. Konsequenz ist, dass insofern sogar Schadensersatz und Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG denkbar sind. Allerdings wird man hier, soweit Verschulden zu berücksichtigen ist, im Auge behalten müssen, dass sich die Arbeitgeber bei ihrer entsprechenden Ablehnung auf der Grundlage einer klaren (gegenteiligen) gesetzlichen Regelung verhalten haben. (Ga)
2.
Unwirksamkeit einer pauschalen Überstundenabgeltung
Bereits im Herbst5 hatten wir über die Entscheidung des BAG vom 17.8.20116 berichtet. In Übereinstimmung mit vorangehenden Feststellun4 5
C-116/06, NZA 2007, 1274 Rz. 41 ff., 46 ff. – Kiiski. B. Gaul, AktuellAR 2011, 388 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
gen im Urteil vom 1.9.20107 hatte das BAG dabei zwar zunächst einmal klargestellt, dass die Vereinbarung einer pauschalen Abgeltung etwaiger Überstunden mit dem Gehalt intransparent, unangemessen und deshalb nach den §§ 307 Abs. 1, 306 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Das BAG hatte allerdings gleichzeitig deutlich gemacht, dass die Unwirksamkeit entsprechender Vertragsklauseln nicht automatisch einen entsprechenden Vergütungsanspruch des betroffenen Mitarbeiters in Bezug auf etwaige Überstunden zur Folge hat. Der Kläger hatte diese auf der Grundlage von § 612 Abs. 2 BGB mit der durchschnittlichen Stundenvergütung berechnet. Wie das BAG in seinen ergänzenden Entscheidungen vom 21.9.20118 und vom 22.2.20129 erneut deutlich gemacht hat, bestimmt sich die Anerkennung eines Vergütungsanspruchs zunächst einmal nach § 612 Abs. 1 BGB. Danach setzt ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung etwaiger Überstunden voraus, dass die in diesen Überstunden liegende Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten war. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht10. Ob und inwieweit eine nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche Vergütungserwartung gegeben ist, muss anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festgestellt werden, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme11. Darlegungsund beweispflichtig für das Bestehen einer solchen Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt. Es obliegt also dem Arbeitnehmer, substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er auch unter Berücksichtigung der Art seiner Tätigkeit, der damit verbundenen Aufgabenbeschreibung, ergänzender Vereinbarungen der Parteien sowie insbesondere auch der Höhe der für diese Tätigkeit vereinbarten Ver-
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5 AZR 406/10, NZA 2011, 1335 ff. 5 AZR 517/09, NZA 2011, 575 ff. 5 AZR 629/10, NZA 2012, 145 Rz. 30 ff. 5 AZR 765/10 n. v. Ebenso bereits BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, NZA 2011, 1335 Rz. 21; ErfK/Preis, BGB § 612 Rz. 18; HWK/Thüsing, BGB § 612 Rz. 23. 11 So BAG v. 21.9.2011 – 5 AZR 629/10, NZA 2012, 145 Rz. 31; BAG v. 11.10.2000 – 5 AZR 122/99, NZA 2001, 458 Rz. 34.
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Unwirksamkeit einer pauschalen Überstundenabgeltung
gütung erwarten durfte, dass zusätzliche Arbeiten in Form von Überstunden bzw. Mehrarbeit nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten waren12. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das BAG im Urteil vom 21.9.201113 einen Vergütungsanspruch abgelehnt. In dem konkreten Fall ging es um den Büroleiter eines Versicherungsmaklers, dessen vertragliche Vereinbarungen im Übrigen erkennen ließen, dass die Parteien ganz bewusst keine strikte Trennung zwischen arbeitszeitbezogener und arbeitszeitunabhängiger Arbeits- bzw. Dienstleistung vorgenommen hatten. Insofern war es dem Kläger auch möglich, während der regulären Arbeitszeit einer eigenständig vergüteten Nebentätigkeit nachzugehen. So wie der Versicherungsmakler diese Nebentätigkeit während der Arbeitszeit duldete, war aus Sicht des BAG zu erwarten, dass auch außerhalb der regulären Arbeitszeit getätigte Arbeit für den Versicherungsmakler nicht ohne weiteres mit einem Vergütungsanspruch verbunden war. Anders war die Situation nach Auffassung des 5. Senats des BAG in dem der Entscheidung vom 22.2.201214 zugrunde liegenden Fall. Der Kläger war dort als Lagerleiter zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.800 € bei einer Spedition tätig. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden vereinbart. Beim betrieblichen Erfordernis sollte der Kläger ohne besondere Vergütung zur Mehrarbeit verpflichtet sein. Nachdem das Arbeitsverhältnis beendet war, verlangte der Kläger eine Vergütung für 968 in den Jahren 2006 bis 2008 geleisteten Überstunden. Dieser Klage hat das BAG in Übereinstimmung mit dem LAG SachsenAnhalt stattgegeben. Angesichts der Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts sei die Leistung von Überstunden nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten gewesen. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen, zumal weder die Funktion noch die regelmäßige Vergütung erwarten ließ, dass ohne zusätzliches Entgelt auch Mehrarbeit bzw. Überstunden fällig würden. Für die betriebliche Praxis dürften diese Entscheidungen weiterhin deutlich machen, dass Klauseln zur pauschalen Abgeltung etwaiger Überstunden nicht per se gestrichen werden müssen. Wichtig allerdings dürfte sein, bereits im Rahmen der Aufgabenbeschreibung erkennen zu lassen, dass Arbeit auch außerhalb der üblichen Arbeits- bzw. Bürozeiten erwartet wird. Ausgehend davon, dass die entsprechenden Gehaltsabreden bereits durch ihre Hö-
12 BAG v. 21.9.2011 – 5 AZR 629/10, NZA 2012, 145 Rz. 31; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, NZA 2011, 1335 Rz. 19. 13 5 AZR 629/10, NZA 2012, 145 Rz. 32 ff. 14 5 AZR 765/10 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
he einen gewissen Ausgleich solcher Belastungen enthalten, stellt die Klausel zur pauschalen Abgeltung etwaiger Überstunden dann ein weiteres Zeichen dafür dar, dass die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Tätigkeit nicht – jedenfalls nur im beschränkten Umfang – Vergütungsansprüche auslöst. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer, substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen, in welchem Umfang etwaige Überstunden objektiv nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten waren. Ungeachtet dessen bleibt es bei der Empfehlung, im Rahmen solcher Arbeitsverträge Ausschlussfristen zu vereinbaren. Sie begrenzen das wirtschaftliche Risiko etwaiger Vergütungsansprüche für den Fall, dass im Einzelfall nach § 612 Abs. 1, 2 BGB doch Vergütungsansprüche bestehen. (Ga)
3.
Arbeitszeitkonto: Kürzung von Zeitguthaben
Die Entscheidung des BAG vom 21.3.201215 macht deutlich, dass die bloße Vereinbarung einer Berechtigung des Arbeitgebers zur ungleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit nicht genügt, um eine wechselseitige Verrechnung von Zeitguthaben und Zeitsalden im Rahmen des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen. Vielmehr müssen hierzu klare Regelungen getroffen werden. Denn nach Auffassung des BAG darf das auf einem Arbeitszeitkonto ausgewiesene Zeitguthaben eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber mit Minusstunden nur dann verrechnet werden, wenn ihm die der Führung des Arbeitszeitkontos zugrundeliegende Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) die Möglichkeit dazu eröffnet. In dem zugrunde liegenden Fall war die Klägerin bei der Beklagten als Briefzustellerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die für das Unternehmen der Beklagten geltenden Tarifverträge Anwendung. Sie sahen vor, dass die Arbeitnehmer innerhalb der Arbeitszeit Erholungszeiten erhielten, die in den Dienstplänen zu bezahlten Kurzpausen zusammengefasst waren. Außerhalb der dienstplanmäßigen Arbeitszeit geleistete Überstunden und deren Ausgleich durch Freizeit wurden durch ein Arbeitszeitkonto festgehalten. Am 1.4.2008 trat ein neuer Tarifvertrag in Kraft, welcher die Erholungszeiten kürzte. Diese Kürzung konnte indes erst zum 1.7.2008 in neuen Dienstplänen umgesetzt werden, so dass die Klägerin weniger arbeitete, als sie nach der Neufassung des Tarifvertrags an sich hätte arbeiten müssen. Denn ihre Pausenzeiten, die sie noch auf der Grundlage des alten Tarifvertrags
15 5 AZR 676/11 n. v.
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Einbeziehung erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile
einhielt, waren zu lang. Die Beklagte strich deshalb ein Zeitguthaben von 7,2 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin mit der Begründung, die Klägerin habe im Zeitraum vom 1.4.2008 bis zum 30.6.2008 die geschuldete Arbeitszeit nicht vollständig erbracht. In Übereinstimmung mit dem LAG Berlin-Brandenburg hat das BAG die Zahlungsklage der Klägerin für berechtigt gehalten. Weder der Tarifvertrag noch die Betriebsvereinbarung erlaubten es der Beklagten, das Arbeitszeitkonto mit Minusstunden zu belasten, die sich aus der Nichtausschöpfung der tarifvertraglichen Wochenarbeitszeit in den Dienstplänen ergaben. Wichtig ist, dass die in der Praxis häufig bestehenden Regelungen über die Errichtung von Arbeitszeitkonten deshalb mit dem Ziel überprüft werden, ob solche Verrechnungsmöglichkeiten in den entsprechenden Regelungen enthalten sind. Die durchaus nachvollziehbare Annahme, dass der Sinn und Zweck einer Arbeitszeitflexibilisierung mit einem Arbeitszeitkonto bereits der Natur nach eine solche Verrechnung zulassen, wird durch diese Entscheidung des BAG nicht gestützt. (Ga)
4.
Einbeziehung erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile in den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG können Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO haben, für die Zeit der Mutterschutzfristen der §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen 13 € und den um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelts zu beanspruchen. Mit seinem Urteil vom 14.12.201116 hat der 5. Senat des BAG deutlich gemacht, dass dabei auch erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen sind. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass diese Zahlungen den Wert der Arbeitsleistung im Berechnungszeitraum widerspiegeln. Das wiederum setzt voraus, dass die jeweils in Rede stehenden Entgeltbestandteile durch die Arbeitsleistung während des Bezugszeitraums verdient wurden. Der Zeitraum ihrer Abrechnung spielt keine Rolle. Konkret bestätigt das BAG dies für Provisionsansprüche. Hier komme es nicht darauf an, ob Provisionsansprüche gemäß der §§ 87 a Abs. 4, 87 c Abs. 1 HGB während des Berechnungszeitraums fällig geworden seien. Entscheidend sei vielmehr, ob ein Provisionsanspruch in dem Berechnungszeit16 5 AZR 439/10, DB 2012, 864 Rz. 13 ff., 20 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
raum dadurch nach § 87 Abs. 1 S. 1 HGB aufschiebend bedingt entstanden sei, dass es aufgrund der Tätigkeit der Arbeitnehmerin zu einem Geschäftsabschluss gekommen sei. Denn in diesem Zeitpunkt sei die Provisionsforderung nach Grund und Berechnungsfuß festgelegt. Dass der Provisionsanspruch zwar mit dem Abschluss des Geschäfts entstehe, gemäß § 87 Abs. 2 HGB jedoch wieder entfalle, wenn feststehe, dass der Dritte nicht leiste, stehe seiner Einbeziehung nicht entgegen. Denn auch ein fälliger Provisionsanspruch könne wieder entfallen, wenn feststehe, dass der Vertragspartner des Arbeitgebers nicht leiste17. Soweit Entgeltansprüche in Rede stehen, die für längerfristige Perioden als einen Kalendermonat zugesagt wurden, geht das BAG von einer zeitanteiligen Entstehung des Zahlungsanspruchs aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um eine im vertraglichen Synallagma stehende Zuwendung handelt, die auch bei einem nur teilweisen Bestehen des Arbeitsverhältnisses während des Kalenderjahres zeitanteilig gewährt wird. Überschnitten sich Leistungszeitraum und Berechnungszeitraum gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 MuSchG, sei das Entgelt deshalb pro rata temporis in den Durchschnittsverdienst für die Ermittlung des Zuschusses einzustellen18. (Ga)
5.
Unwirksamkeit eines allgemeinen Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag
Noch im Urteil vom 30.7.200819 hatte das BAG festgestellt, dass die Gewährung von Geld- oder Sachleistungen auch durch eine allgemeine Vertragsklausel mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt verknüpft werden kann. In diesem Fall sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, bei jeder einzelnen Sonderleistung noch einmal den Freiwilligkeitsvorbehalt zu wiederholen. Vielmehr genüge es, wenn abstrakt-generell im Arbeitsvertrag festgehalten werde, dass Leistungen, die nicht bereits durch den Arbeitsvertrag selbst zugesagt werden, für den Fall ihrer künftigen Gewährung jeweils freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft gewährt würden. Dies schließe dann auch einen Anspruch auf betriebliche Übung aus, weil kein Vertrauen der betroffenen Arbeitnehmer darauf entstehen könne, dass nach mehrmaliger Gewährung der Arbeitgeber daran auch für die Zukunft festhalten wolle.
17 BAG v. 14.12.2011 – 5 AZR 439/10, DB 2012, 864 Rz. 21 f. 18 BAG v. 14.12.2011 – 5 AZR 439/10, DB 2012, 864 ff. Rz. 23. 19 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1173 ff.
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Unwirksamkeit eines allgemeinen Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag
Mit seinem Urteil vom 14.9.201120 hat das BAG diese Rechtsprechung aufgegeben. Bereits im Leitsatz stellt der 10. Senat des BAG klar, dass ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasse, den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB benachteilige und deshalb unwirksam sei. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber im Anschluss an Regelungen zum monatlichen Gehalt in einem Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1981 wie folgt vereinbart: Sonstige, in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Arbeitnehmer dadurch keinen Rechtsanspruch für die Zukunft.
Mehr als zwanzig Jahre lang erhielt der Kläger sodann jeweils mit dem Entgelt für den Monat November ein 13. Monatsgehalt ausgezahlt. Nachdem bereits die Zahlungen für 2006 und 2007 streitig waren, wies der Beklagte den Kläger im Jahre 2008 auf die fehlende Möglichkeit einer weiteren Zahlung des 13. Monatsgehalts hin. Alternativ bot er dem Kläger drei Modelle über eine verringerte Zahlung und/oder veränderte Auszahlungsmodalitäten an. Der Kläger lehnte dies ab, worauf keine Zahlung für das Jahr 2008 erfolgte. Mit der Klage machte der Kläger deshalb geltend, dass ihm auf der Grundlage einer betrieblichen Übung ein Anspruch auf das 13. Monatsgehalt auch für 2008 gezahlt werden müsse. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat auch der 10. Senat des BAG den Anspruch anerkannt. Ausgangspunkt seiner Feststellungen war dabei die Annahme, dass durch die insoweit vorbehaltlose Gewährung des 13. Monatsgehalts für die Dauer von mehr als zwanzig Jahren eine betriebliche Übung oder durch konkludentes Verhalten ein arbeitsvertraglicher Anspruch des Klägers mit gleichem Inhalt entstanden war. Denn der Kläger habe aus diesem Verhalten des Arbeitgebers schließen können, ihm solle diese Leistung auf Dauer gewährt werden. Dass der Arbeitgeber möglicherweise keinen Verpflichtungswillen besessen hatte, spielte keine Rolle. Entscheidend war, ob die hiervon betroffenen Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger die Erklärung bzw. das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) dahin verstehen konnten und durften, dass der Arbeitgeber sich zu einer über seine gesetzlichen, tarifvertrag20 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
lichen und vertraglichen Pflichten hinausgehende Leistung verpflichten wollte21. Zu Recht hat das BAG dabei offen gelassen, ob dieses Verhalten im konkreten Einzelfall zu einer betrieblichen Übung geführt hatte. Denn diese ist an sich an ein gleichgerichtetes Verhalten des Arbeitgebers geknüpft, dass mehrere Arbeitnehmer betrifft. Für den Fall, dass nur der Kläger selbst Empfänger einer entsprechenden Leistung war, kann das dahingehende Verhalten des Arbeitgebers aber inhaltsgleich zu einer konkludenten Zusage auf das 13. Monatsgehalt geführt haben. In beiden Fällen liegt ein vertraglicher Anspruch vor, der grundsätzlich nur durch Änderungskündigung oder Änderungsvereinbarung beseitigt werden kann. An sich wäre es zwar möglich gewesen, das Entstehen eines solchen Anspruchs durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu verhindern. Ein solcher Vorbehalt wäre auch mit § 307 Abs. 1 BGB vereinbar, wenn er selbst klar und verständlich formuliert würde und nicht in Widerspruch zu anderen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien stünde22. Die hier in Rede stehende Regelung erfüllte diese Anforderungen an einen wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt nicht. Die Unwirksamkeit des Vorbehalts folgte bereits aus dem Umstand, dass hier Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt verknüpft waren, was zu einer Widersprüchlichkeit der vertraglichen Regelung führte. Denn einerseits enthielt die arbeitsvertragliche Klausel den Hinweis darauf, dass auch bei einer mehrmaligen und regelmäßigen Zahlung kein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers für die Zukunft entstehen sollte. Gleichzeitig aber war im Arbeitsvertrag festgelegt worden, dass der Arbeitgeber entsprechende Leistungen jederzeit widerrufen können sollte. Ein solcher Widerrufsvorbehalt setzt aber – anders als der Freiwilligkeitsvorbehalt – voraus, dass zunächst einmal ein Anspruch des Arbeitnehmers entstanden ist. Bei einer solchen Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt wird – so das BAG – auch für den um Verständnis bemühten Vertragspartner nicht erkennbar, ob nun jegliche zukünftige Bindung ausgeschlossen oder lediglich eine Möglichkeit eröffnet werden soll, sich später wieder von einer vertraglichen Bindung loszusagen23. Erfolgen dann noch mehrfache Zahlungen einer bestimmten Leistung ohne weitere Vorbehalte, so ist für den Vertragspartner des Ver21 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 12 ff. 22 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 20; BAG v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09, NZA 2011, 628 ff., Rz. 16; BAG v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, NZA 2008, 1173 ff., Rz. 39. 23 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 25.
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wenders erst recht nicht mehr erkennbar, ob tatsächlich ein Rechtsbindungswille für die Zukunft ausgeschlossen bleiben soll. Konsequenz ist, dass schon dieser Widerspruch zu einer Unwirksamkeit der Vertragsklausel und damit zum Wegfall des Freiwilligkeitsvorbehalts geführt hat. Die Aufrechterhaltung eines zulässigen Teils der Klausel kam vorliegend nicht in Betracht. Schließlich war die Intransparenz der vertraglichen Regelung und damit ihre Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gerade die Folge aus der Kombination zweier Klauselteile, die jeweils für sich genommen ausreichend transparent sein können. Dies unterscheidet – so das BAG – die Fallgestaltung von den Fällen, in denen ein abgrenzbarer Teil der Vertragsklausel unwirksam ist24. Erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis hat allerdings der Umstand, dass das BAG auch den reinen Freiwilligkeitsvorbehalt, der zukünftige Leistungen erfassen soll, für unwirksam hält. So äußert es Bedenken, ob ein solcher vertraglicher Vorbehalt dauerhaft den Erklärungswert einer ohne jeden Vorbehalt und ohne den Hinweis auf die vertragliche Regelung erfolgten Zahlung so erschüttern könne, dass der Arbeitnehmer das spätere konkludente Verhalten des Arbeitgebers entgegen seinem gewöhnlichen Erklärungswert nicht als Angebot zur dauerhaften Leistungserbringung verstehen könne. Dies gelte insbesondere, wenn mehr als zwanzig Jahre lang vorbehaltlos eine zusätzliche Vergütung gezahlt werde25. Unabhängig davon sei es geboten, die bisherige Rechtsprechung in den Fällen einzuschränken und damit von einer Unwirksamkeit entsprechender Vertragsklauseln auszugehen, in denen ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfassen solle. Ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt beziehe unzulässiger Weise laufende Leistungen ein und verstoße sowohl gegen den in § 305 b BGB bestimmten Vorgang der Individualabrede als auch gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass vertragliche Regelungen einzuhalten seien. Schlussendlich habe er nämlich zur Folge, dass auch solche Zahlungen, die auf der Grundlage einer späteren, individual- oder kollektivrechtlichen Zusage des Arbeitgebers mit Rechtsgrund gewährt würden, theoretisch mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt verknüpft wären. Selbst wenn entsprechende Zusagen sogar zum Inhalt hätten, dass zusätzliche Leistungen auch in der Zukunft gewährt werden sollten, würde aus dem Freiwilligkeitsvorbehalt heraus folgen, dass gerade kein Anspruch auf weitere Zahlungen in der Zukunft gegeben 24 BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 28. 25 Krit. hierzu Hunold, DB 2012, 1096 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
wäre. Denn es werde bei solchen Klauseln gerade nicht auf den Entstehungsgrund der Leistung abgestellt. Vielmehr erfassten solche Regelungen sowohl Fälle der betrieblichen Übung als auch konkludente, z. B. auf einer Gesamtzusage beruhende Vereinbarungen und sogar ausdrückliche vertragliche Einzelabreden. Dies stehe im Widerspruch zu den §§ 305 b BGB bzw. 307 Abs. 2 Nr. 2, 305, 611 BGB, ohne dass dies durch Besonderheiten des Arbeitsrechts im Sinne des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB geboten sei26. Für die Praxis folgt aus dieser Entscheidung, dass Leistungen, die im Arbeitsvertrag nicht bereits ausdrücklich geregelt wurden, im Zeitpunkt ihrer Gewährung mit einem ausdrücklichen und nachweisbaren Freiwilligkeitsvorbehalt verknüpft werden müssen. Nur dann ist sichergestellt, dass auch bei mehrmaliger Leistung kein Rechtsanspruch für die Zukunft entsteht. Damit gleichwohl durch entsprechende Freiwilligkeitsvorbehalte betriebliche Übungen vermieden werden, die gerade mit Blick auf Sachleistungen bzw. begünstigende Verhaltensweisen des Arbeitgebers außerhalb konkreter Zahlungen in Rede stehen, wird man allerdings auch in Zukunft über die Vereinbarung eines abstrakt-generellen Freiwilligkeitsvorbehalts im Arbeitsvertrag nachdenken können. Allerdings sollte dieser Vorbehalt sicherstellen, dass er nur dort der Entstehung eines Rechtsanspruchs für zukünftige Leistungen entgegensteht, wo der Arbeitgeber zukünftige Leistungen (gleich welcher Art) erbringt, ohne dass darauf durch eine gesonderte, individual- oder kollektivrechtliche Zusage ein Anspruch des Arbeitnehmers begründet würde. (Ga)
6.
Jahressonderzahlung mit Stichtagsregelung
Bereits im vergangenen Jahr hatten wir über die Urteile des BAG vom 7.6.201127 und vom 12.4.201128 berichtet29, die sich mit der Wirksamkeit von Stichtagsklauseln in Betriebsvereinbarungen über die Gewährung leistungs- und erfolgsabhängiger Vergütungen befasst haben30. Im Ergebnis hatte das BAG in diesen beiden Entscheidungen seine vorangehende Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle vergleichbarer Arbeitsvertragsklauseln31 auf die Kontrolle von Betriebsvereinbarungen nach § 75 BetrVG beschränkt.
26 27 28 29 30 31
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BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 34 ff. 1 AZR 807/09, NZA 2011, 1234 ff. 1 AZR 412/09, NZA 2011, 989 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 532 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 532 ff. Vgl. BAG v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 ff.
Jahressonderzahlung mit Stichtagsregelung
Mit den beiden Urteilen vom 18.1.201232 hat der 10. Senat des BAG seine damit zusammenhängende Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle von Stichtagsklauseln in Arbeitsverträgen weiter konkretisiert. Im Ergebnis lehnt es das BAG mit diesen Entscheidungen ab, den ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf des für eine Jahressonderzahlung geltenden Bezugszeitraums hinaus als Anspruchsvoraussetzung festzulegen, wenn eine Zuwendung auch oder ausschließlich die Arbeitsleistung während des Bezugszeitraums vergüten soll. Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung ist die Annahme, dass es dem Arbeitgeber nicht schlechthin versagt sei, Sonderzahlungen mit Bindungsklauseln zu versehen, solange die Zahlungen nicht ausschließlich Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit seien. Das gelte – so das BAG – sowohl für Klauseln, in denen sich der Arbeitnehmer verpflichte, erfolgte Sonderzahlungen zurückzuerstatten, wenn er vor einem bestimmten Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis von sich aus kündige (Rückzahlungsklausel), als auch für Regelungen, nach denen die Leistung der Sonderzahlung voraussetze, dass der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt noch im Arbeitsverhältnis stehe (Bestandsklauseln, Stichtagsklauseln). Allerdings dürften derartige Klauseln den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen. Insbesondere dürften sie den Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) behindern und unterlägen insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB33. Stehe eine Sonderzahlung im Synallagma zu erbrachten Arbeitsleistungen und sei sie vom Arbeitnehmer durch die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung verdient worden, könne ihre Zahlung deshalb nicht vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Zweck einer erfolgsabhängigen Vergütung sei die Leistungssteigerung des Arbeitnehmers. Sie sei besonderer Anreiz für die Erreichung vertraglich festgelegter Leistungsziele oder allgemein Anreiz für die Erzielung überdurchschnittlicher Ergebnisse im Bezugszeitraum. Insofern werde eine erfolgsabhängige Vergütung als unmittelbare Gegenleistung für die entsprechend der Zielvereinbarung erbrachte Arbeitsleistung geschuldet34. Auch Sonderzuwendungen, die nur an den Unternehmenserfolg anknüpften, würden regelmäßig als zusätzliche Vergütung für eine im Geschäftsjahr erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gezahlt; die synallagmatische Verbindung zwischen Arbeits32 10 AZR 667/10 n. v.; 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. 33 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. Rz. 21. 34 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. Rz. 10; BAG v. 5.7.2011 – 1 AZR 94/10 n. v. (Rz. 35).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
leistung und Sonderzuwendung werde durch die Abhängigkeit von einem Unternehmensergebnis nicht in Frage gestellt. Schließlich könnten auch nicht erfolgsabhängige Sonderzuwendungen, wie ein 13. Monatsgehalt, im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistungen zusätzlich honorieren. Auch diese Ansprüche entstünden zeitanteilig und würden nur zu einem späteren Zeitpunkt insgesamt fällig35. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es (lediglich) zulässig, den Anspruch auf solche Bonuszahlungen bzw. sonstige arbeitsleistungsabhängige Zuwendungen an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Geschäftsjahr zu knüpfen. Ein Bonus, der auf das Geschäftsergebnis bezogen ist, könne erst dann verdient sein, wenn das Geschäft abgeschlossen sei36. Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstelle, könne allerdings nicht von dem darüber hinausgehenden Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums abhängig gemacht werden. Dies gelte – so das BAG in einem der Urteile vom 18.1.201237 – auch dann, wenn die Sonderzahlung neben der Arbeitsleistung auch die Betriebszugehörigkeit vergüten solle. Auch bei solchen Sonderzahlungen mit „Mischcharakter“ liege eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vor, wenn ihm trotz der seinerseits bereits erbrachten Arbeitsleistung die Vergütung verwehrt bleibe, weil eine außerhalb des Bezugszeitraums liegende Betriebszugehörigkeit nicht mehr erbracht wird. Eine abweichende Bewertung nimmt das BAG hingegen dann vor, wenn mit einer Sonderzahlung arbeitsleistungsunabhängige Zwecke verfolgt werden. Dies ist nicht nur bei einer Treue- oder Halteprämie bzw. einem Jubiläumsgeld der Fall. Auch eine Weihnachtsgratifikation, mit der sich der Arbeitgeber an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer beteiligen will, kann mit einer Betriebszugehörigkeit über den Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres hinaus verknüpft werden. Denn die Zahlung solche Sonderzuwendungen hänge nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab. Folgerichtig ist es auch möglich, eine Rückzahlungsklausel festzulegen, falls das Arbeitsverhältnis innerhalb eines angemessenen Zeitraums
35 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. Rz. 10; BAG v. 28.3.2007 – 10 AZR 261/06, NZA 2007, 687 ff. Rz. 17. 36 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. Rz. 11; BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 443/08, NZA 2009, 783 ff. 37 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938 ff. Rz. 22 ff.
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Jahressonderzahlung mit Stichtagsregelung
nach Ablauf des Kalenderjahres der Auszahlung endet. Die hiervon abweichende Feststellung des LAG Düsseldorf vom 19.7.201138 überzeugt nicht. Bemerkenswert ist, dass das BAG von einer Wirksamkeit der außerhalb des Bezugsjahres wirkenden Stichtagsregelungen auch dann ausgeht, wenn der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers liegt, sondern auf einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers beruht. Der Arbeitgeber dürfe unabhängig vom Verhalten des Arbeitnehmers allein die fortdauernde Betriebszugehörigkeit über den Stichtag hinaus zur Voraussetzung der Sonderzahlung machen, weil ihre motivierende Wirkung sich nur bei den Arbeitnehmern entfalten könne, die dem Betrieb noch oder noch einige Zeit angehöhrten39. Ob der Arbeitgeber erbrachte Arbeitsleistungen zusätzlich vergüten oder sonstige Zwecke verfolgen wolle, ist nach den Vorgaben des BAG im Wege einer Auslegung der vertraglichen Bestimmungen zu ermitteln. Der Vergütungscharakter sei eindeutig, wenn die Sonderzahlung an das Erreichen quantitativer oder qualitativer Ziele geknüpft werde. Mache die Sonderzuwendung einen wesentlichen Anteil der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers aus, handele es sich regelmäßig um Arbeitsentgelt, das als Gegenleistung zur erbrachten Arbeitsleistung geschuldet werde. Fehle es hieran und seien auch weitere Anspruchsvoraussetzungen nicht vereinbart, spreche dies ebenfalls dafür, dass die Sonderzahlung als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldet werde40. Wolle der Arbeitgeber andere Zwecke verfolgen, so müsse sich dies – so das BAG – deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben. Gratifikationscharakter könnten nur die Sonderzuwendungen haben, die sich im üblichen Rahmen reiner Treue- oder Weihnachtsgratifikationen bewegten und keinen wesentlichen Anteil an der Gesamtvergütung des Arbeitnehmers ausmachten. In dem seinem Urteil vom 18.1.201241 zugrunde liegenden Fall hatte das BAG eine solche Zweckbestimmung nicht nur aus der Bezeichnung „Weihnachtsgratifikation“, sondern auch der Rückzahlungsklausel und der zusätzlichen Zweckbestimmung (Zahlung als Treueprämie) entnommen. Hinzu kam, dass die Weihnachtsgratifikation keinen wesentlichen Anteil an der Gesamtvergütung der Klägerin ausmachte. Dass sie im Eintrittsjahr an-
38 16 Sa 607/11, NZA-RR 2011, 630 ff. 39 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 667/10 n. v. (Rz. 14); BAG v. 19.11.1992 – 10 AZR 264/91, NZA 1993, 353 f. 40 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 667/10 n. v. (Rz. 15); BAG v. 21.5.2003 – 10 AZR 408/02, EzA § 611 BGB 2002, Gratifikation, Prämie Nr. 8. 41 10 AZR 667/10 n. v. (Rz. 16 ff.).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
teilig gezahlt wurde, stand dieser Zweckrichtung nicht entgegen, zumal auch der ungekündigte Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungstag ausdrücklich als Anspruchsvoraussetzung genannt war. Sofern jede Form und jeder Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Anspruchsentstehung entgegenstehen kann, kann die konkrete Anwendung der an sich wirksamen Klausel allerdings einer Ausübungskontrolle entsprechend dem Grundgedanken des § 162 Abs. 2 BGB unterworfen sein. In dem hier in Rede stehenden Fall hatte die Klägerin geltend gemacht, dass die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses auch vor dem Hintergrund erfolgt sei, dass sie sich zuvor geweigert habe, auf das Weihnachtsgeld zu verzichten. Das LAG Hamm wird diesem Vortrag nachgehen müssen. (Ga)
7.
Rechtliche Bedeutung der Festlegung eines Bonuspools
a)
Bindungswirkung durch die Festlegung eines Bonuspools?
In einem seiner Urteile vom 12.10.201142 hat sich das BAG zunächst einmal mit der Frage befasst, welche Bedeutung die Festsetzung eines Bonuspools für einen größeren Kreis der in einem Unternehmen (hier: Dresdner Bank AG) beschäftigten Arbeitnehmer in Bezug auf solche (leitenden) Mitarbeiter hat, mit denen eine diskretionäre Vereinbarung über die Gewährung eines jährlichen Bonus getroffen wird. Solche Zusagen sind selten, weil sie dem Arbeitnehmer letztendlich keine Gewissheit über die Höhe der kalenderjährlichen Zuwendung geben. Insofern lautete die streitgegenständliche Klausel im Arbeitsvertrag des Klägers auch: 2. Bezüge Der Mitarbeiter erhält folgende Bezüge, durch die zugleich Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung abgegolten sind: a) Gehalt Ein Bruttomonatsgehalt von € 15.000,00 … b) Variable Vergütung Eine zusätzliche Vergütung, die unter Berücksichtigung der Ertragslage des D Geschäfts der Bank individuell nach Leistungsgesichtspunkten jährlich neu
42 10 AZR 746/10, NZA 2012, 450 ff.
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Rechtliche Bedeutung der Festlegung eines Bonuspools festgelegt wird. Die Auszahlung erfolgt im Frühjahr des folgenden Geschäftsjahres, sofern der Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht.
In den Jahren 2005 bis 2007 erhielt der Kläger Boni zwischen 161.700 € und 325.000 €. Die Mitteilung hierüber erfolgte jeweils vor Weihnachten. Am 12.8.2008 wurde auf einer Vorstandssitzung der Dresdner Bank AG die Notwendigkeit der Festlegung eines Minimum-Bonus-Pools in Höhe von 400,- € für das Geschäftsjahr 2001 für den Geschäftsbereich DKIB Frontoffice erörtert, um die Mitarbeiterstabilität aufrechtzuerhalten. Es wurde ein entsprechender Vorstandsbeschluss gefasst, über den die Mitarbeiter des Bereichs DKIB Frontoffice durch E-Mail vom 20.10.2008 informiert wurden. Eine Benachrichtigung über die Boni sollte nach dieser E-Mail am 19.12.2008 erfolgen. Am 19.12.2008 erhielt der Kläger sodann einen „Bonusbrief“, nach dem sein Bonus für das Jahr 2008 vorläufig in Höhe von 140.000 € (brutto) festgesetzt wurde. Allerdings wurde ergänzend dazu wie folgt ausgeführt: Die vorläufige Bonusfestsetzung steht unter dem Vorbehalt eines Reviews für den Fall, dass im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses 2008 weitere wesentliche negative Abweichungen in Ertrag und Ergebnis von DKIB zum Forecast für die Monate November und Dezember 2008 festgestellt werden, d. h. die Ergebnissituation in DKIB sich in diesem Zeitraum wesentlich verschlechtert. Dieser Review wird im Januar 2009 unter der Führung von Herrn Dr. J. durchgeführt. Sollten solche weiteren wesentlichen negativen Abweichungen festgestellt werden, behält sich die Bank das Recht vor, ihre vorläufige Bonusfestsetzung zu überprüfen und, falls erforderlich, den Betrag der vorläufigen Bonusfestsetzung zu reduzieren. Im Februar 2009 erhalten Sie eine detaillierte Aufstellung ihrer für das Kalenderjahr 2008 zustehenden Zahlung der endgültigen variablen Vergütung gem. Ihres Arbeitsvertrages. …
Am 18.2.2009 teilte die Dresdner Bank AG nach einer entsprechenden Vorstandsentscheidung vom Vortag u. a. mit, dass die Mitarbeiter des Bereichs DKIB Frontoffice eine um 90 % gekürzte Zahlung erhalten sollten, mindestens aber ein Bruttomonatsgehalt. Der Kläger erhielt dementsprechend im März 2009 einen Betrag in Höhe von 16.836 € (brutto), obwohl die Dresdner Bank AG im Geschäftsjahr 2008 ein negatives operatives Ergebnis von 6,56 Milliarden € erreicht hatte. Die Beklagte, auf die die Dresdner Bank AG verschmolzen wurde, hatte parallel dazu in zwei Tranchen 18,2 Milliarden € aus dem Sonderfond Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) in Anspruch
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
genommen und der Dresdner Bank AG zuvor zusätzliches Kapital im Umfang von 4 Milliarden zugeführt. Völlig zu Recht hat der 10. Senat des BAG die Klage abgewiesen. Zwar ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine Festsetzung über das Ob und die Höhe eines Bonus nach billigem Ermessen nach § 315 BGB vorzunehmen, wenn nach den arbeitsvertraglichen Regelungen eine zusätzliche variable Vergütung unter Berücksichtigung der Ertragslage und der Leistung des Arbeitnehmers gewährt werden soll. Eine solche Leistungsbestimmung liegt allerdings noch nicht vor, wenn ein Arbeitgeber für die Beschäftigten, die einer solchen Bonusregelung unterliegen, im laufenden Geschäftsjahr einen Bonuspool oder ein Bonusvolumen in bestimmter Höhe festlegt. Damit in diesem Zusammenhang ein individueller Bonusanspruch entstehen kann, muss auch die individuelle Bonushöhe des einzelnen Mitarbeiters festgelegt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der gesamte Bonuspool in seiner Höhe an den Leistungen des vorangehenden Kalenderjahres ausgerichtet wird. Auch dann kann kein Anspruch darauf entstehen, dass auch die Zahlung des vergangenen Jahres erfolgt. Dies resultiert bereits aus der Anknüpfung an der individuellen Leistung des Mitarbeiters während des abgelaufenen Bezugszeitraums. Dass der Kläger mit dem Bonusbrief vom 19.12.2008 sogar eine bezifferte Mitteilung über die Höhe des denkbaren Bonus erhielt, stand der Klageabweisung nicht entgegen. Bei diesem Schreiben handelte es sich – so das BAG – um eine bloße Wissenserklärung darüber, welche Bonusansprüche sich unter Berücksichtigung der Leistung des Klägers und einer bestimmten wirtschaftlichen Situation zum Auszahlungszeitpunkt ergeben könnten. Ausdrücklich war deshalb der Betrag auch als vorläufige Festsetzung bezeichnet worden; eine endgültige Festlegung sollte erst im Februar 2009 vorgenommen werden. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bei der späteren Festsetzung der individuellen Boni natürlich durch die zuvor getroffene Festlegung des Bonusvolumens gebunden. Denn die Festlegung des Bonusvolumens ist – so das BAG – als wesentlicher Umstand in die Ermessensentscheidung einzubeziehen und führt regelmäßig dazu, dass ein solches Volumen auch an den betroffenen Mitarbeiterkreis zu verteilen ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn besondere Umstände vorliegen. Diese waren in dem hier in Rede stehenden Fall zweifelsohne gegeben. Denn schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vorstands im Februar 2009 war erkennbar, dass es zu einem erheblichen Milliardenverlust der Bank kommen würde. Es war auch erkennbar, dass dieser Milliardenverlust nicht bereits durch die normale Geschäftstätigkeit im Folgejahr ausgeglichen werden könnte. Dies machte be78
Rechtliche Bedeutung der Festlegung eines Bonuspools
reits die Kapitalzufuhr in Höhe von 4 Milliarden und die weitere Inanspruchnahme von Hilfen der SoFFin deutlich43. Auch unter Berücksichtigung der Leistung des Klägers rechtfertige es diese Ausnahmesituation daher, den auszuschüttenden Bonusanspruch gegenüber dem zugesagten Volumen auf etwas mehr als 10 % zu reduzieren.
b)
Bedeutung einer Regelungssystematik durch Betriebsvereinbarung
Eine andere Situation ist allerdings dann gegeben, wenn die Aufstellung und Verteilung eines Bonuspools durch Betriebsvereinbarung festgelegt wurde. Dies macht die weitere Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 10.12.201144 deutlich. Denn in diesem Fall ist der Arbeitgeber an die normativen Vorgaben der Betriebsvereinbarung gebunden, die einer späteren Ausübung des Ermessens nach hiervon abweichenden Kriterien entgegenstehen. Wenn von der Betriebsvereinbarung abweichende Festlegungen getroffen werden sollen, ist dies zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer nur wirksam, wenn eine Zustimmung des Betriebsrats erfolgt45. Entscheidend ist damit zunächst einmal (nur) der Inhalt der im Rahmen der Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen. Ist nach den Regelungen einer Betriebsvereinbarung über eine zusätzliche variable Vergütung vom Arbeitgeber ein Bonuspool festzulegen, hat die Festsetzung dieses zur Verteilung stehenden Volumens nach billigen Ermessen gemäß § 315 BGB zu erfolgen, soweit die Betriebsvereinbarung nicht selbst Vorgaben enthält. Beinhaltet die Betriebsvereinbarung darüber hinaus detaillierte Regelungen über die Verteilung dieses Pools auf die einzelnen Bereiche und die jeweiligen Mitarbeiter, unterliegt – so das BAG – die Höhe des individuellen Bonus keiner weiteren Ermessensentscheidung des Arbeitgebers. Denn in diesem Fall haben die Betriebsparteien bereits Regularien für die Verteilung festgelegt. Lediglich dann, wenn nach diesen Regularien noch weitere Spielräume bestehen, kommt überhaupt eine einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers unter Berücksichtigung billigen Ermessens (§ 315 BGB) in Betracht46. Legt ein Arbeitgeber für die Beschäftigten, die einer solchen Bonusregelung unterliegen, bereits vorfristig einen (Mindest-)Bonuspool in einer bestimm-
43 44 45 46
BAG v. 12.10.2011 – 10 AZR 746/10, NZA 2012, 450 Rz. 48. 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 ff. BAG v. 12.10.2011 - 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 Rz. 43. BAG v. 12.10.2011 - 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 Rz. 44.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
ten Höhe fest, handelt es sich um die Leistungsbestimmung im Sinne des § 315 BGB. Unerheblich dabei ist, ob die Leistungsbestimmung gegenüber dem Betriebsrat oder in Form einer allgemeinen Mitteilung, gerichtet an die Belegschaft, erfolgt, sofern nicht bestimmte Formerfordernisse und/oder Adressaten dieser Erklärung im Rahmen der Betriebsvereinbarung festgelegt wurden. An die Festlegung eines solchen Bonusvolumens ist der Arbeitgeber nach § 77 Abs. 4 BetrVG unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung gebunden und kann dieses nicht einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrats reduzieren oder eine neue Leistungsbestimmung vornehmen. Dies gilt – so das BAG – auch dann, wenn die Festlegung durch den Arbeitgeber vorzeitig erfolgt ist. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) gegeben sind. Hiervon ausgehend hat das BAG im Urteil vom 12.10.201147 einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung des im Rahmen einer Betriebsvereinbarung vorgesehenen Bonus bestätigt. Denn nach dieser Betriebsvereinbarung oblag dem Vorstand der Dresdner Bank AG zwar die Berechtigung, kalendermäßig unter Berücksichtigung der Performance der Bank einen Bonuspool für die tariflich vergüteten Mitarbeiter festzulegen. Wenn diese Festlegung – wie im vorliegenden Fall – aber ohne Rücksicht auf die erwarteten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bank durch den Vorstand erfolgt waren, konnten die Mitarbeiter im Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung geltend machen, dass der damit verbundene Bonuspool nach Maßgabe der Regelungen dieser Betriebsvereinbarung auch verteilt wurde. Voraussetzung ist lediglich, dass die Regelungen der Betriebsvereinbarung bereits hinreichend konkretisiert sind, so dass sich daraus, ggf. durch ergänzende Feststellungen zum Sachverhalt, ein Bonusanspruch errechnen ließ. Auch diese Voraussetzung war vorliegend erfüllt. Hinzu kam, dass die Betriebsvereinbarung ausdrücklich festlegte, dass ein Bonuspool jeweils vollständig ausgeschüttet werden musste.
c)
Schadensersatzanspruch bei fehlender Festlegung eines Bonuspools?
Auch in dem Urteil vom 13.12.201148 zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber eine zweistufige Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Bonuszahlungen (BV-Vergütungssystem) mit dem Betriebsrat vereinbart, deren Teil E lautete:
47 10 AZR 649/10, NZA 2012, 464 Rz. 39 ff. 48 1 AZR 508/10 n. v.
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Rechtliche Bedeutung der Festlegung eines Bonuspools Die Geschäftsleitung entscheidet zu Beginn eines jeden Jahres darüber, ob den Arbeitnehmern Bonuszahlungen gewährt werden können. Die Gewährung von Bonuszahlungen stellt eine freiwillige Leistung von R Europe dar, auf die auch nach wiederholter vorbehaltloser Zahlung kein Rechtsanspruch entsteht. Falls die Geschäftsleitung entscheidet, den Arbeitnehmern Bonuszahlungen zu gewähren, gelten dafür die nachfolgenden Regelungen unter Ziff. 1 bis 7. 1. …
Am 28.1.2009 beschloss der Vorstand der Beklagten, für die von der BVVergütungssystem erfassten Mitarbeiter keinen Bonus für 2008 auszuschütten. Der Kläger vertrat nunmehr die Auffassung, die Beklagte sei nach der BV-Vergütungssystem verpflichtet gewesen, zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres eine Entscheidung über Bonuszahlungen zu treffen und diese den Arbeitnehmern bekannt zu geben. Da die Beklagte die Entscheidung für das Jahr 2008 erst zu Beginn des Jahres 2009 getroffen habe, schulde sie Schadensersatz. Im Übrigen habe er wegen der verspätet getroffenen Entscheidung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB Anspruch auf eine angemessene, vom Gericht festzusetzende Zahlung. Mit überzeugender Begründung hat das BAG einen Zahlungsanspruch des Klägers abgelehnt. Zutreffend an dem Vortrag des Klägers war zwar, dass die Beklagte nach Maßgabe der in Teil E S. 1 BV-Vergütungssystem getroffenen Vereinbarung verpflichtet war, bereits zu Beginn des Kalenderjahres 2008 über die Gewährung eines Bonus zu entscheiden und sie diese Entscheidung erst Anfang 2009 getroffen hatte. In dieser Regelung lag allerdings – so das BAG – keine der Beklagten gegenüber dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis folgende Pflicht. Die Verpflichtung, eine Entscheidung über die Gewährung eines Bonus im Kalenderjahr zu treffen und auch bekannt zu geben, habe nur gegenüber dem Betriebsrat bestanden49. In der Begründung verweist der 1. Senat des BAG darauf, dass es sich bei Bonuszahlungen um Leistungen handele, zu deren Gewährung der Arbeitgeber weder durch Gesetz noch Vertrag verpflichtet sei. Er sei deshalb auch frei in der Entscheidung darüber, ob er diese Leistungen erbringe, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stelle, welchen Zweck er mit ihr verfolge und wie der danach begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. Nur im Rahmen dieser Vorgaben unterliege die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien die Berechnung der einzelnen Leistungen und ihre
49 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 508/10 n. v. (Rz. 13).
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Höhe im Verhältnis zueinander bestimmt werden sollten, der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG50. Die Freiheit des Arbeitgebers, über das „Ob“ der Leistungsgewährung und die Höhe der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel zu entscheiden, unterliege regelmäßig weder individual- noch kollektivrechtlichen Beschränkungen. Auf diesen Freiraum bezogene Verfahrensregelungen in teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen bänden den Arbeitgeber grundsätzlich nur gegenüber dem Betriebsrat als dessen Vertragspartner. Die Arbeitnehmer erhielten durch solche Regelungen weder eigene Ansprüche noch würden insoweit Schutzpflichten zu ihren Gunsten begründet, deren Verletzung zu einem Schadensersatzanspruch führen könnte. Erst durch die Ausgestaltung der Leistungsvoraussetzungen in der Betriebsvereinbarung wäre ein normativer Anspruch auf die jeweilige finanzielle Leistung des Arbeitgebers geschaffen51. Da mit den Regelungen der BV-Vergütungssystem keine Verpflichtung gegenüber dem Kläger begründet wurde, konnte ein Zahlungsanspruch auch nicht auf der Grundlage von § 315 Abs. 3 S. 2 BGB begründet werden. Allenfalls der Betriebsrat hätte geltend machen können, dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung die Grundsätze billigen Ermessens missachtet habe. Dagegen dürfte allerdings sprechen, dass Teil E der BV-Vergütungssystem keinerlei Ermessensvorgaben für die Entscheidung der Beklagten enthielt. Vielmehr konnte diese frei und ohne Bindung an Entscheidungsprämissen der Vorjahre jeweils neu darüber entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe sie einen Bonuspool zur Verfügung stellte. (Ga)
8.
Dividendenzahlung als Voraussetzung eines Tantimeanspruchs
Mit einer Tantieme werden in der Regel leitende Angestellte an dem Erfolg des Unternehmens beteiligt. Insofern handelt es sich – wie auch die Entscheidungen des BAG vom 18.1.201252 deutlich gemacht haben, über die wir an anderer Stelle berichteten53 – um eine arbeitsleistungsbezogene Zuwendung, die nicht von dem Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem
50 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 508/10 n. v. (Rz. 14); BAG v. 5.10.2010, 1 ABR 20/09, NZA 2011, 598 Rz. 23 f. 51 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 508/10 n. v. (Rz. 5). 52 10 AZR 667/10 n. v. und 10 AZR 612/10, NJW 2012, 1532 ff. 53 B. Gaul, AktuellAR 2012, 72 ff.
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Dividendenzahlung als Voraussetzung eines Tantimeanspruchs
Zeitpunkt im Anschluss an den Ablauf des jeweiligen Bezugsjahres geknüpft werden kann54. Mit Urteil vom 18.1.201255 hat der 10. Senat des BAG indes deutlich gemacht, dass die in einer vertraglichen Zusage enthaltene Vorgabe, dass die Tantieme nur für den Fall einer Dividendenzahlung an die Aktionäre gewährt werde, die hiervon betroffenen Arbeitnehmer nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB benachteilige. Es liege – so das BAG – im Wesen einer Erfolgsvergütung, dass sie nur bei wirtschaftlichem Erfolg gezahlt werde. Geeigneter Maßstab hierfür sei die Ausschüttung einer Dividende an die Eigentümer der Gesellschaft. In dem dem Urteil des BAG zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien im Arbeitsvertrag auszugsweise vereinbart: Wir zahlen unseren außertariflich besoldeten Mitarbeitern eine Abschlussvergütung, deren Höhe in unserem Ermessen liegt. Sie kommt nur zur Auszahlung, wenn die C AG ihren Aktionären eine Dividende ausschüttet und …
Als im Jahre 2009 eine Dividendenzahlung der C AG ausfiel, machte der Kläger geltend, dass dies einem Tantiemeanspruch nicht entgegenstand. Zur Begründung verwies er nicht nur darauf, dass bereits im Jahre 2003 eine Tantieme gewährt worden sei, obwohl die C AG für dieses Jahr keine Dividende ausgeschüttet hatte. In den Folgejahren, in denen offenbar wieder Dividendenzahlungen erfolgt waren, hatte die Beklagte sodann darauf verzichtet, in ihrem Schreiben zur Auszahlung einer Tantieme darauf zu verweisen, dass die Hauptversammlung über die Gewährung einer Dividende noch entscheiden müsse. Die Beklagte habe deshalb auf die vertraglich ursprünglich vorgegebene Bedingung verzichtet. Im Übrigen aber sei diese Bedingung unwirksam. Das BAG hat auch den Einwand des Klägers zurückgewiesen, die Parteien hätten durch die tatsächliche Handhabe die im Arbeitsvertrag vereinbarte Bedingung einer Dividendenzahlung ausdrücklich oder konkludent abbedungen. Insbesondere sei keine vom Arbeitsvertrag abweichende betriebliche Übung entstanden. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Voraussetzung für die Entstehung einer betrieblichen Übung ist nicht nur, dass der Arbeitgeber durch mehrfache Gewährung einer Leistung das Vertrauen der hierdurch begünstigten Arbeitnehmer begründet, eine solche Leis-
54 BAG v. 18.1.2012 – 10 AZR 670/10, NZA 2012, 499 Rz. 16; BAG v. 6.5.2009 – 10 AZR 443/08, NZA 2009, 783 Rz. 11. 55 10 AZR 670/10, NZA 2012, 499 Rz. 16 ff.
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tung werde auch in der Zukunft erfolgen. Erforderlich ist auch, dass aus den Gesamtumständen heraus erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer insoweit ganz bewusst außerhalb einer bereits bestehenden individual- oder kollektivvertraglichen Zusage handelt. Dies aber war vorliegend nicht der Fall. Denn die Beklagte handelte für den Kläger erkennbar bei der Gewährung der Dividende jeweils nur mit dem Ziel ihre gegenüber dem Kläger durch den Arbeitsvertrag begründete Verpflichtung zur Zahlung einer Tantieme zu erfüllen. Schon dies steht einer betrieblichen Übung entgegen, die nur in einem im Übrigen nicht geregelten Bereich durch ergänzendes (anspruchsbegründendes) Verhalten des Arbeitgebers geschaffen werden kann. Dass die Beklagte darauf verzichtete, die Anspruchsvoraussetzungen des Arbeitsvertrags in den Auszahlungsschreiben erneut zu wiederholen, stand dem Fortbestand dieser Bedingungen nicht entgegen. Die Beklagte war nämlich – so das BAG – nicht verpflichtet, die arbeitsvertraglich bereits vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen einer Leistung bei ihrer Auszahlung erneut zu wiederholen56. Ein hiervon abweichender Anspruch der begünstigten Arbeitnehmer kann daher nur dann entstehen, wenn über mehrere Jahre hinweg trotz fehlender Gewährung einer Dividende vorbehaltlos eine Tantiemezahlung erfolgt. Eine solche Abweichung von den vertraglichen Anspruchsvoraussetzungen zugunsten des Klägers war vorliegend indes nicht erfolgt. Dies bestätigt wohl auch, dass es –.entgegen der abstrakten Feststellung des BAG im Urteil vom 14.9.201157– unschädlich ist, wenn auch ein Freiwilligkeitsvorbehalt, wenn er im Einzelfall wirksam in den Arbeitsvertrag aufgenommen wurde, nicht wiederholt wird. (Ga)
9.
Schadensersatzanspruch wegen Provisionsminderung als Folge von Organisationsänderungen
Die Höhe von Ansprüchen auf eine variable Vergütung im Außendienst wird nicht nur durch die Verkaufsfertigkeiten der betroffenen Mitarbeiter beeinflusst. Vielmehr sind es die Kundenstruktur, die Qualität und Lieferfähigkeit der Produkte ebenso wie die personellen und technischen Hilfsmittel, die Außendienstmitarbeiter bei der Erfüllung ihrer Tätigkeit nutzbar machen können, die den Erfolg ihrer Arbeit beeinflussen können. Gerade weil sich solche Rahmenbedingungen für die Tätigkeit eines Außendienstmitarbeiters verändern können, ist es in der betrieblichen Praxis wichtig, die Konsequenzen solcher Änderungen auf etwaige Vergütungsansprü56 BAG v. 18.1.2012, 10 AZR 670/10, NZA 2012, 499 Rz. 19. 57 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81 Rz. 34 f.
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Schadensersatzanspruch wegen Provisionsminderung
che zu erkennen und ggf. bereits im Rahmen der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Dies macht auch das Urteil des BAG vom 16.2.201258 deutlich, in dem sich der 8. Senat des BAG mit Schadensersatzansprüchen eines Außendienstmitarbeiters wegen Provisionsminderungen als Folge einer erheblichen Restrukturierung und Verkleinerung des Innendienstes befassen musste. In dem zugrunde liegenden Fall war der Kläger als Vertriebsleiter eingesetzt. Neben seiner festen Vergütung wurde ihm eine variable Vergütung gezahlt, die sich u. a. auch an den vermittelten Versicherungen bemaß. Problematisch für den Kläger war nun, dass die Beklagte im Rahmen einer größeren Restrukturierung ihre Betriebsvertriebsorganisation von etwa 1.400 Angestellten auf etwa 500 Angestellte reduziert hatte. Für den Kläger bedeutete dies, dass auch die Innendienstmitarbeiter, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen sollten, auf weniger als ein Drittel reduziert wurden. Als Folge der damit ebenfalls rückgängigen Termine, die mit potenziellen Kunden gemacht werden konnten, reduzierte sich die Zahl der vermittelten Versicherungen und damit auch seine Gesamtvergütung von etwa 80.000,- € (brutto) auf zuletzt 31.760,13 € (brutto). Er machte deshalb geltend, dass die Beklagte mit den Veränderungen in der Organisation ihres Vertriebs vertragliche Rücksichtnahmepflichten verletzt habe, die einen Schadensersatzanspruch begründeten. Das BAG hat die Klage abgewiesen. Nach seinen Feststellungen enthielt der Arbeitsvertrag keine Regelung, durch die eine Vertriebsorganisation nach Art und/oder Umfang festgeschrieben wurde. Der Kläger müsse deshalb hinnehmen, dass es dem Wesen eines variablen Entgeltbestandteils entspreche, in der Höhe von Einflüssen des Marktes, der Vertriebsorganisation des Arbeitgebers oder solchen, die von der Person des Arbeitnehmers ausgehen, abhängig zu sein. Solange die vertraglich vereinbarte Aufgabe nicht verändert werde, bestehe deshalb keine Pflicht des Arbeitgebers, seine Organisation so vorzuhalten, dass die erfolgsabhängig Vergüteten ein maximales variables Entgelt erzielten. Wenn der Arbeitnehmer bestimmte Rahmenbedingungen festgeschrieben haben wolle, müsse dies gesondert festgelegt werden. Im konkreten Fall kam hinzu, dass ein Gebiets- oder Kundenschutz arbeitsvertraglich ausgeschlossen worden war und sich die Beklagte selbst bei Übertragung der Vorgesetztenfunktionen vorbehalten hatte, die Zahl der unterstellten Beauftragten oder Berater jederzeit verändern zu können.
58 8 AZR 98/11 n. v.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Auch wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen der hier in Rede stehenden Veränderungen ganz erheblich sind, ist im Ergebnis der Entscheidung doch zuzustimmen. Wenn arbeitnehmerseits eine solche Ungewissheit nicht akzeptiert wird, wird man alternativ zur Festlegung konkreter Rahmenbedingungen die Vereinbarung eines Zielgehalts verlangen müssen, das auch variable Vergütungsbestandteile einbezieht. Denn in diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, ohne Rücksicht auf etwaige Änderungen seiner Vertriebsorganisation, der Produktpalette und/oder der Kundenstruktur kalenderjährlich jeweils Ziele zu setzen, die der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung dieser Veränderungen auch tatsächlich erreichen kann. Eine hiervon abweichende Festsetzung kalenderjährlicher Ziele würde dem Grundsatz billigen Ermessens widersprechen und ihrerseits Schadensersatzansprüche wegen Missachtung einer vertraglichen Nebenpflicht auslösen. (Ga)
10. Gleichbehandlung bei der Verwendung unterschiedlicher Vertragsmuster Nach ständiger Rechtsprechung des BAG59 gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Damit verbietet der Gleichbehandlungsgrundsatz eine sachfremde Gruppenbildung und die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe. Im Bereich der Arbeitsvergütung ist er trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit anwendbar, wenn Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem der Arbeitgeber bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Die Frage der Gleichbehandlung bei einer Entgelterhöhung war erneut Gegenstand eines Urteils des 5. Senats des BAG vom 14.12.201160. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber hatte im Jahre 2007 einen Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers, für den die Tarifverträge der Metall– und Elektrounternehmen Hessen galten, nach § 613 a BGB übernommen. Aufgrund einer Bezugnahmeklausel war der Arbeitgeber gehalten, die jeweiligen Bestimmungen der Tarifverträge der hessischen Metallindustrie im Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Der Arbeitgeber unterbreitete allen übernom-
59 Nur BAG v. 17.3.2010 - 5 AZR 168/09, NZA 2010, 696 Rz. 14; BAG v. 21.9.2011 - 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31 Rz. 18. 60 5 AZR 675/10 n. v.
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Gleichbehandlung bei der Verwendung unterschiedlicher Vertragsmuster
menen Arbeitnehmern im Januar 2009 ein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags, der rückwirkend zum 1.4.2008 eine Lohnerhöhung um 3 % sowie eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden verbunden mit einer weiteren Lohnerhöhung um 1 % und einen Wegfall der Bezugnahme auf den Tarifvertrag vorsah. Der Kläger lehnte das Angebot ab. Den Arbeitnehmern, die das Änderungsangebot angenommen hatten, zahlte der Arbeitgeber die entsprechend erhöhten Löhne. Der Kläger verlangte von der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Gleichbehandlung eine Erhöhung seines Bruttoentgelts um 3 %. Die Klage war in allen Instanzen erfolglos. Das BAG geht davon aus, dass der Arbeitgeber im Streitfall den Anforderungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes genügt hat, indem er sämtlichen durch Betriebsübergang übernommenen Arbeitnehmern – und damit auch dem Kläger – im Sinne einer verteilenden Entscheidung das Änderungsangebot unterbreitet hat. Eine dem Grundsatz der Gleichbehandlung unterfallende verteilende Entscheidung lag jedoch nicht mehr in der Gewährung der Lohnerhöhung nur an diejenigen Arbeitnehmer, die das Änderungsangebot akzeptiert hatten. Insoweit ist der Arbeitgeber lediglich seiner vertraglichen Verpflichtung nachgekommen. Das BAG61 betont, dass eine verteilende, den Geboten der Gleichbehandlung unterliegende Entscheidung des Arbeitgebers nicht vorliegt, wenn er ausschließlich normative oder vertragliche Verpflichtungen erfüllt. Nur unter der Prämisse, dass der Arbeitgeber ohne rechtliche Verpflichtung über die Vertragserfüllung hinaus Leistungen an die Arbeitnehmer erbringt, hat er den Grundsatz der Gleichbehandlung zu respektieren62. Das BAG lässt unentschieden, ob die eine verteilende Entscheidung ausschließende Vertragserfüllung auch dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitsvertrag objektiv der Wirksamkeit entbehrt, die Parteien jedoch übereinstimmend von seiner Wirksamkeit ausgehen und ihn deshalb erfüllen. Diese Bewertung stellt das BAG in einen Zusammenhang mit der Frage, ob der nicht tarifgebundene Arbeitgeber verpflichtet ist, eine Bezugnahmeklausel zu vereinbaren. Dies wird zu Recht vom BAG verneint, weil es der privatautonomen Gestaltungsmacht der Parteien unterliegt, für das Arbeitsverhältnis die Geltung eines Tarifvertrags oder eben keines Tarifvertrags zu vereinbaren. Angesichts dessen steht es den Arbeitsvertragsparteien gleichermaßen frei, eine vorhandene Bezugnahmeklausel wieder zu beseitigen. Im Falle eines 61 BAG v. 31.8.2005 - 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265 Rz. 14 ff.; BAG v. 21.9.2011 - 5 AZR 520/10, NZA 2012, 31 Rz. 18 ff. 62 BAG v. 23.2.2011 - 5 AZR 84/10, NZA 2011, 693 Rz. 20 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Betriebsübergangs gilt dies jedenfalls immer dann, wenn die Veränderungssperre des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB abgelaufen ist63. Anschließend verneint das BAG eine Begründung des Zahlungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt eines Maßregelungsverbots des § 612 a BGB. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Eine Benachteiligung kann auch darin bestehen, wenn dem Arbeitnehmer Vorteile vorenthalten werden. Im Streitfall lag schon deshalb keine Benachteiligung des Klägers vor, weil der Arbeitgeber in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung gehandelt hat. Die vom Kläger als benachteiligend angesehene Maßnahme des Arbeitgebers hatte ihren Grund nicht in der zulässigen Ablehnung des Vertragsänderungsangebots, sondern in der Erfüllung eines in wirksamer Weise zu Stande gekommenen Vertrags mit den Arbeitnehmern, die das Vertragsänderungsangebot angenommen haben. Der Kläger konnte seinen Zahlungsanspruch auch nicht mit Erfolg aus § 4 Abs. 1 TzBfG herleiten, wonach ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden darf als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Auf der Grundlage der auf sein Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifregelung war der Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden Vollzeitarbeitnehmer, so dass bereits die Tatbestandsvoraussetzung einer Teilzeitbeschäftigung fehlte64. Diese Entscheidung beruht auf der bisherigen Spruchpraxis des BAG und zeigt der betrieblichen Praxis eine adäquate Möglichkeit auf, wie auf vertraglicher Basis eine Änderung und Harmonisierung von Arbeitsbedingungen gestaltet werden kann, ohne mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung zu konfligieren. Ebenfalls um den Grundsatz der Gleichbehandlung ging es bei einer Entscheidung des 10. Senats des BAG vom 12.10.201165. Die Parteien des Rechtsstreits stritten über die Zahlung eines Incentive Compensation Plan Bonus (ICP-Bonus), den der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis als Ersatz einer anderen Bonuszahlung eingeführt hatte. Dabei legte der Arbeitgeber fest, dass bestimmte Arbeitnehmer, die hauptsächlich auf Ölfeldern eingesetzt waren und einen so genannten Feldbonus in Höhe von 300 € brutto für jeden
63 BAG v. 21.10.2009 - 4 AZR 396/08, NZA-RR 2010, 361 Rz. 40. 64 BAG v. 4.3. 2007 - 5 AZR 791/05, NZA 2007, 981 Rz. 15. 65 10 AZR 510/10 n. v.
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Einsatztag im Ölfeld erhielten, von dieser Zahlung ausgeschlossen waren. Der Kläger, der im Ölfeld eingesetzt wurde, war der Auffassung, dass seine Herausnahme aus dem ICP-Bonus den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen würde. Der Arbeitgeber hielt dagegen, dass der Kläger als Empfänger des Feldbonus bereits eine entsprechende Zusatzleistung erhielte, die auch Gegenstand des ICP-Bonus sei. Da der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis nach von ihm selbst gesetzten allgemeinen generellen Regelungen die Zahlung des ICP-Bonus eingeführt hatte, war er an den Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden, der ihm verbot, eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage oder eine sachfremde Differenzierung zwischen Gruppen von Arbeitnehmern vorzunehmen. Arbeitnehmer werden nur dann nicht sachfremd benachteiligt, wenn nach dem Zweck der Leistung Gründe vorliegen, die eine Rechtfertigung dafür abgeben, ihnen die anderen Arbeitnehmern gewährten Leistungen zu versagen. Angesichts dessen bedarf es stets der Feststellung der Zweckbestimmung einer Sonderzahlung, weil sich nur unter dieser Prämisse beurteilen lässt, ob der von der Leistung ausgeschlossene Personenkreis von der Zweckbestimmung nicht betroffen ist. Behandelt der Arbeitgeber bei der Gewährung von Zusatzleistungen Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedlich, so hat er die Gründe für eine Differenzierung offen zu legen und zu substantiieren, dass in Relation zur Zweckbestimmung der Leistung ein berechtigter Sachgrund für eine unterschiedliche Behandlung vorliegt. Sind die Unterscheidungsmerkmale nicht ohne Weiteres aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Sonderzahlung erkennbar und legt der Arbeitgeber seine Differenzierungsgesichtspunkte nicht dar oder ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, kann der benachteiligte Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung des BAG66 verlangen, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmer(gruppe) behandelt zu werden. Im Streitfall ließ sich die genaue Zweckbestimmung des ICP-Bonus nicht ausmachen, insbesondere war nicht erkennbar, ob der Bonus lediglich eine vom Unternehmenserfolg abhängige Zusatzleistung darstellen sollte oder ob mit ihm weitere Zwecke verfolgt wurden. Deshalb war der Rechtsstreit an das LAG zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen. Das BAG weist zur weiteren Klärung der Rechtslage darauf hin, dass der Arbeitgeber mit einer durch Besonderheiten charakterisierten und deshalb eigenständig zu bewer66 BAG v. 26.9.2007 - 10 AZR 569/06, NZA 2007, 1424 Rz. 15; BAG v. 30.7.2008 - 10 AZR 497/07, NZA 2008, 1412 Rz. 19; BAG v. 1.4.2009 - 10 AZR 353/08, NZA 2009, 1409 Rz. 14.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
tenden Tätigkeit unterschiedliche Grundvergütungen nebst Sonderzahlungen verbinden darf. Er ist ebenso berechtigt, unterschiedliche Zusatzzahlungen zu gewähren, um bestehende erhebliche Vergütungsunterschiede oder andere finanzielle Nachteile, die zwischen den verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern bestehen, abzumildern oder auszugleichen67. In Anbetracht dessen war im Streitfall nicht auszuschließen, dass aufgrund einer andersartigen Tätigkeit der Mitarbeiter im Ölfeld eine unterschiedliche Vergütungsstruktur gerechtfertigt war, die es zuließ, diese Arbeitnehmer von der Zahlung des ICP-Bonus auszunehmen. Das BAG68 bemerkt in diesem Zusammenhang zu Recht, dass bei einem Vergütungsvergleich der Feldbonus schon deshalb außer Betracht bleiben muss, weil es sich dabei um eine zusätzliche Vergütung für eine unter erschwerten Bedingungen erbrachte Arbeitsleistung handelt. Im Lichte dieser Rechtsprechung des BAG ist der betrieblichen Praxis dringend zu empfehlen, zur Vermeidung von Gleichbehandlungsproblemen vor jedweder Gewährung freiwilliger Leistungen die Zweckdetermination zu klären und festzulegen, um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen. Die Vielzahl der Entscheidungen des BAG auf diesem Gebiet verdeutlicht, dass dieser Gesichtspunkt nicht selten vernachlässigt wird. (Boe)
11.
Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei diskriminierenden Vergütungsregelungen
Durch Vorlagebeschluss vom 20.5.2010 hatte der 6. Senat des BAG69 den EuGH gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) danach gefragt, ob eine tarifliche Entgeltregelung für die Angestellten im öffentlichen Dienst, die wie § 27 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT die Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen bemisst, auch unter Berücksichtigung des primärrechtlich gewährleisteten Rechts der Tarifvertragsparteien auf Kollektivverhandlungen (jetzt Art. 28 GRC) gegen das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (jetzt Art. 21 Abs. 1 GRC) in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG verstößt und bejahendenfalls, ob die Tarifvertragsparteien einen Gestaltungsspielraum haben, eine solche Diskriminierung dadurch zu beseitigen, dass sie die Angestellten unter Wahrung ihres im alten Tarifsystem erworbenen Besitzstandes in ein neues tarifliches
67 Vgl. dazu BAG v. 1.4.2009 – 10 AZR 353/08, NZA 2009, 1409 Rz. 18. 68 BAG v. 12.10.2011 - 10 AZR 510/10, ArbR 2012, 146 Rz. 23. 69 6 AZR 319/09 (A), NZA 2010, 768.
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Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien
Vergütungssystem überleiten, welches auf die Tätigkeit, Leistung und Berufserfahrung abstellt. Anlass dieser Vorlage bildete der für die Angestellten im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland bis zum 30.9.2005 geltende BAT, dessen Grundvergütung sich nach Lebensalterstufen richtete. Zum 1.10.2005 trat der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in Kraft. Der TVöD sieht keine Lebensaltersstufen und keinen Ortszuschlag mehr vor. Das einheitliche Entgeltsystem stellt auf Kriterien wie Tätigkeit, Berufserfahrung und Leistung ab. Die Tätigkeit ist maßgeblich für die Vergütungsgruppe. Berufserfahrung und Leistung sind maßgeblich für die Stufe. Ab dem 1. Oktober 2005 wurden die Angestellten des Bundes nach dem neuen Entgeltsystem des TVöD neu eingestuft. Die Einzelheiten dieser Neueinstufung regelt der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Bund). Die Neueinstufung der in den Anwendungsbereich des BAT fallenden Angestellten erfolgte in zwei Schritten. Gemäß § 5 TVÜ-Bund wurde in einem ersten Schritt auf der Grundlage der im September 2005 erhaltenen Bezüge ein Vergleichsentgelt berechnet. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts führte diese Form der Überleitung dazu, dass dem Angestellten Entgelt in der bisherigen Höhe gezahlt und damit sein Besitzstand gewahrt wurde. Nach § 6 TVÜ-Bund wurden die Angestellten für einen Zeitraum von zwei Jahren einer individuellen Zwischenstufe innerhalb der Vergütungsgruppe zugewiesen, in der sie eingestuft waren. Am 1.10.2007 wurde die endgültige Neueinstufung durch die Überleitung aus der individuellen Zwischenstufe in die nächsthöhere reguläre Stufe der Vergütungsgruppe vollzogen. Nach der endgültigen Neueinstufung der Angestellten entwickelt sich deren Vergütung gemäß den im TVöD festgelegten Kriterien. Der EuGH hat mit Urteil vom 8.9.201170 zunächst festgestellt, dass das im früheren BAT geregelte Vergütungssystem zu einer unmittelbar auf dem Kriterium des Alters beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne der Bestimmungen des Art. 2 Abs.1 und 2 lit. a) der Richtlinie 2000/78/EG führt. Sodann hat der EuGH geprüft, ob diese Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein kann. Danach stellt eine Ungleichbehandlung wegen des Alters keine Diskriminierung dar, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels 70 C-297/10 und C-298/10, NZA 2011, 1100 ff. - Hennigs.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
angemessen und erforderlich sind. Dabei konstatiert der EuGH, dass Tarifverträge ebenso wie die Rechts – und Verwaltungsvorschriften gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2000/78/EG den von dieser Richtlinie verwirklichten Grundsatz beachten müssen. Soweit das Kriterium des Alters in einem tariflich geregelten Vergütungssystem darauf angelegt ist, die Berufserfahrung zu berücksichtigen, hält der EuGH eine derartige Entgeltpolitik grundsätzlich für legitim71. In diesem Zusammenhang hat der EuGH auch anerkannt, dass in aller Regel zur Erreichung dieses Ziels auf das Dienstalter im Sinne der Angemessenheit und Erforderlichkeit des Mittels abgestellt werden kann, wenn das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht72. Bezogen auf den BAT lehnt jedoch der EuGH die Verhältnismäßigkeit des stufenweisen Aufstiegs des Angestellten in seiner Vergütungsgruppe in Abhängigkeit von der Zunahme seines Lebensalters und damit seines Dienstalters ab, weil auch die erstmalige Einstufung in eine bestimmte Stufe einer bestimmten Vergütungsgruppe allein anhand des Alters vorgenommen wurde. Eine derartige Verfahrensweise geht nach Ansicht des EuGH über das hinaus, was zur Erreichung eines legitimen Ziels – der Berücksichtigung der Berufserfahrung – erforderlich und angemessen ist. Damit war vom EuGH die weitere Frage zu beantworten, ob die Sozialpartner eine derartige Diskriminierung wegen des Alters dadurch beseitigen können, dass sie die Beschäftigten in ein neues tarifliches Vergütungssystem überleiten, das auf objektive Kriterien abstellt (TVöD), zugleich aber, um den Übergang auf das neue tarifliche Vergütungssystem sicherzustellen, für eine Übergangszeit zur Wahrung ihres Besitzstandes die Beschäftigten wegen ihres unterschiedlichen Alters weiterhin ungleich behandeln (hier TVÜ), anderenfalls ältere Beschäftigte eine Minderung ihrer Vergütung hinnehmen müssten. Da der Überleitungstarifvertrag (TVÜ) im Ergebnis die Art der Berechnung der Grundvergütung auf der Grundlage des bisherigen BAT fortführte, setzte sich damit sowohl im Rahmen des TVÜ als auch des TVöD die Altersdiskriminierung fort. Angesichts dessen prüft der EuGH, ob die im TVÜ und damit im TVöD enthaltene Ungleichbehandlung wegen des Alters eine Maßnahme ist, mit der ein legitimes Ziel verfolgt wird und die zur Erreichung dieses Ziels eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich sind. Das Ziel der Sozialpartner, bei der Neueinstufung in das neue tarifliche Vergütungssystem die Besitzstände der Beschäftigten zu wahren, wird vom 71 So bereits EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05, NZA 2006, 1205 - Cadman; EuGH v. 18.6.2009 – C-88/08, NZA 2009, 891 - Hütter. 72 EuGH v. 3.10.2006 – C-17/05, NZA 2006, 1205 - Cadman.
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Mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit
EuGH als im Allgemeininteresse liegender zwingender Grund akzeptiert. Dabei berücksichtigt der EuGH, dass die zu einer Diskriminierung wegen des Alters führende Übergangsregelung Einkommensverluste vermeiden sollte, um überhaupt für die Sozialpartner den Wechsel vom System des BAT zum TVöD ermöglichen zu können. Da die Beibehaltung eines altersdiskriminierenden Vergütungssystems zur Vermeidung von Einkommensverlusten nur für eine Übergangszeit vorgesehen ist, bis dieses durch ein auf objektive Kriterien gestütztes Vergütungssystem ersetzt wird, erweist sich die tarifliche Überleitung als angemessenes und erforderliches Mittel. Das der Entscheidung des EuGH nachgehende Urteil des BAG vom 8.12.201173 gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Pflicht des Arbeitgebers, den durch das lebensaltersstufenbezogene Grundvergütungssystem des BAT diskriminierten jüngeren Arbeitnehmern eine Vergütung aus der höchsten Lebensaltersstufe ihrer Vergütungsgruppe zahlen zu müssen, mit der Ablösung durch ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem des TVöD endete. Deshalb kann für die Eingliederung in das diskriminierungsfreie Entgeltsystem des TVöD eine Vergütung aus der höchsten Lebensaltersstufe der jeweiligen Vergütungsgruppe des BAT nicht als Anknüpfungspunkt dienen. Damit blieb der von der Klägerin des Verfahrens aus der altersdiskriminierenden Bemessung der Grundvergütung in den Vergütungsgruppen des BAT hergeleitete Anspruch auf eine höhere Stufenordnung auf der Grundlage des TVöD erfolglos. Diese Lösung des BAG ist rechtlich überzeugend begründet und konsequent, weil der Übergangstarifvertrag nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt und sich damit als wirksam erwiesen hatte, so dass die darin zum Ausdruck gebrachten Regeln der Besitzstandswahrung zur Anwendung gelangen mussten. (Boe)
12. Mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit § 3 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 1 PflegeZG räumt dem Arbeitnehmer das Recht ein, bis zu sechs Monate lang Pflegezeit in Anspruch zu nehmen, um einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen zu können. Gemäß § 3 Abs. 3 PflegeZG muss der eine Pflegezeit beanspruchende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber dies spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich ankündigen und gleichzeitig erklären, für welchen Zeitraum die Freistellung von der Arbeitsleistung in Anspruch ge-
73 6 AZR 319/09, NZA 2012, 275.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
nommen werden soll. Außerdem haben die Beschäftigten die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des medizinischen Dienstes der Krankenkasse nachzuweisen (§ 3 Abs. 2 PflegeZG). In § 4 Abs. 1 PflegeZG begrenzt der Gesetzgeber die Pflegezeit nach § 3 PflegeZG für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen auf längstens sechs Monate (Höchstdauer). Für einen kürzeren Zeitraum in Anspruch genommene Pflegezeit kann bis zur Höchstdauer verlängert werden, wenn der Arbeitgeber zustimmt (§ 4 Abs. 1 S. 2 PflegeZG). Nur im Falle, dass ein Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigem Grunde nicht erfolgen kann, kann der Beschäftigte eine Verlängerung bis zur Höchstdauer der Pflegezeit beanspruchen. Ob eine mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit für denselben nahen Angehörigen möglich ist, solange die Höchstdauer nicht überschritten wird, war Gegenstand einer Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 15.11.201174. Der Kläger hatte dem Arbeitgeber am 12.2.2009 mitgeteilt, dass er seine nach Pflegestufe I pflegebedürftige Mutter in der Woche vom 15. bis 19.6.2009 pflegen wolle. Im Juni 2009 beanspruchte der Kläger für seine Mutter erneut Pflegezeit am 28./29.12.2009. Diesem Verlangen widersprach der Arbeitgeber, weil seiner Ansicht nach der Freistellungsanspruch nach dem PflegeZG mit der vorherigen Pflegezeit vollständig erschöpft war. Der Kläger begehrte im Klagewege die Feststellung, dass ihm zur Pflege seiner Mutter bis zur Ausschöpfung der Höchstdauer eine weitere Pflegezeit zusteht. Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Zunächst unterstreicht das BAG, dass das Recht des Arbeitnehmers, einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen, keinen Anspruch im Sinne von § 194 BGB darstellt, der im Wege einer Leistungsklage gegen den Arbeitgeber durchsetzbar wäre. Vielmehr räumt § 3 Abs. 1 PflegeZG dem Arbeitnehmer ein einseitiges Gestaltungsrecht ein, dessen Inanspruchnahme unmittelbar die gesetzlichen Rechtsfolgen der Pflegezeit auslöst, ohne dass ein weiteres Handeln – etwa eine Freistellung oder Zustimmung– des Arbeitgebers erforderlich wäre75. Wie bei der Inanspruchnahme des Rechts auf Elternzeit führt das dem Arbeitnehmer eingeräumte Gestaltungsrecht zur Pflege eines nahen Angehörigen zum Ruhen der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden wechselseitigen Hauptpflichten76. Dies gilt ungeachtet der Formulierung in § 3 Abs. 1 PflegeZG, wonach der Gesetzgeber
74 9 AZR 348/10, DB 2012, 751. 75 ErfK/Gallner PflegeZG § 3 Rz. 4; Fröhlich, ArbRB 2008, 84 ff.; Joussen, NZA 2009, 69 ff. 76 BAG 19.4.2005 - 9 AZR 233/04, NZA 2005, 1354 Rz. 25.
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Mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit
redaktionell ungenau von einer Freistellung ausgeht. Diese Ungenauigkeit mag darauf zurückzuführen sein, dass bei einer nur teilweisen Freistellung, die der Gesetzgeber neben der vollständigen Freistellung ermöglicht (§ 3 Abs. 1, 3, 4 PflegeZG), eine schriftliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit ausdrücklich vorgeschrieben ist. Das BAG qualifiziert die Inanspruchnahme von Pflegezeit für denselben nahen Angehörigen als ein einmaliges Gestaltungsrecht, das durch die Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber verbraucht wird, wobei gleichgültig ist, ob die in Anspruch genommene Pflegezeit die Dauer von sechs Monaten (Höchstdauer) unterschreitet. Allerdings lässt der 9. Senat des BAG in diesem Zusammenhang unentschieden, ob es mit § 3 Abs. 1 PflegeZG vereinbar ist, dass der Arbeitnehmer die Pflegezeit im Wege einer einmaligen Erklärung auf mehrere getrennte Zeitabschnitte verteilt, und ob die zeitliche Höchstbeschränkung des Pflegezeitanspruchs nur für dasselbe Arbeitsverhältnis gilt. Die Annahme eines einmaligen Gestaltungsrechts leitet das BAG einmal aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 S. 1 PflegeZG („die Pflegezeit“) her77, des Weiteren aus § 4 Abs. 1 S. 2 PflegeZG, wonach die für einen kürzeren Zeitraum in Anspruch genommene Pflegezeit bis zur Höchstdauer nur mit Zustimmung des Arbeitgebers verlängert werden kann. Zu Recht weist das BAG in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Vorschrift ihre praktische Bedeutung verlöre, wenn dem Arbeitnehmer eine mehrmalige Inanspruchnahme der Pflegezeit zustünde. Dieses Auslegungsergebnis sichert das BAG durch die Genese des Gesetzes ab, weil der Gesetzgeber die Regelung der Pflegezeit an die Bestimmungen über die Elternzeit anlehnen wollte78. Wenn der Gesetzgeber die in § 16 Abs. 1 S. 5 BEEG vorgesehene Aufteilung der Elternzeit auf zwei – und bei Zustimmung des Arbeitgebers auf darüber hinausgehende – Zeitabschnitte nicht in das Pflegezeitgesetz übernommen hat, spricht dies dafür, dass er eine mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit gerade nicht wünschte. Dies muss umso mehr gelten, als der Gesetzgeber im PflegeZG die Anzahl der Zeitabschnitte hätte regeln müssen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese beliebig vom Arbeitnehmer atomisiert werden dürfen. Diese Entscheidung des BAG ist vor allem auch vor dem Hintergrund zu begrüßen, dass nach § 5 Abs. 1 und 2 PflegeZG der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen 77 Kritisch insoweit Preis/Nehring, NZA 2008, 729 ff. 78 BT-Drucks. 16/7439, 91 ff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Verhinderung nach § 2 oder der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG nur unter der Voraussetzung kündigen darf, dass die Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle zuvor ausnahmsweise für zulässig erklärt worden ist. (Boe)
13. Urlaubsanspruch bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit und ruhendem Arbeitsverhältnis Im Anschluss an die Schultz-Hoff Entscheidung des EuGH79 hat der EuGH in einer weiteren Entscheidung vom 22.11.201180 auf das Vorabentscheidungsersuchen des LAG Hamm81 entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Zur Begründung dieser Aussage verweist der EuGH darauf, dass ein Recht auf ein unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub nicht dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entspricht. Mit dem in Art. 31 Abs. 2 der GRC und in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verankerten Anspruch auf Urlaub werde nämlich ein doppelter Zweck verfolgt. Dem Arbeitnehmer soll es zum einen ermöglicht werden, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen. Des Weiteren soll gewährleistet werden, dass er über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit verfügt. Über eine gewisse zeitliche Grenze hinaus fehle – so der EuGH – dem Jahresurlaub seine positive Wirkung als Erholungszeit. Daraus schlussfolgert der EuGH, dass ein während mehrerer Jahre in Folge arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, der seinen bezahlten Jahresurlaub nach dem nationalen Recht nicht während dieses Zeitraums nehmen kann, nicht berechtigt sei, in diesem Zeitraum erworbene Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt anzusammeln. Wegen der Bedeutung des bezahlten Urlaubs als Grundsatz des Sozialrechts der Union und seiner Verankerung in Art. 31 Abs. 2 der GRC muss nach 79 EuGH v. 20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 - Schultz-Hoff. 80 C-214/10, NZA 2011, 1333 - Schulte. 81 LAG Hamm v. 15.4.2010 - 16 Sa 1176/09, LAGE § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 27.
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Urlaubsanspruch bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit und ruhendem Arbeitsverhältnis
Auffassung des EuGH ein Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten. Andererseits muss der Übertragungszeitraum den Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können. In diesem Zusammenhang weist der EuGH auf Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 24.6.1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung) hin, wonach der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen ist. Dieser Vorschrift misst der EuGH die Bedeutung bei, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen geht der EuGH davon aus, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet. Das LAG Baden-Württemberg hat anschließend in einer Entscheidung vom 21.12.201182 auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH vom 22.11.201183 im Sinne einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG den generellen Schluss gezogen, dass Urlaubsansprüche bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres untergehen und deshalb bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten sind. Demgegenüber hat das LAG Hamm durch Urteil vom 12.1.201284 entschieden, dass Urlaubsansprüche langjährig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen und diese Rechtsfolge aus der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG abgeleitet, wonach an die Stelle des dreimonatigen Übertragungszeitraums unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 ILO ein 18-monatiger Übertragungszeitraum tritt.
82 10 Sa 19/11, ArbRB 2012, 108 Rz. 40; Revision eingelegt unter 9 AZR 225/12. 83 C-214/10, NZA 2011, 1333 - Schulte. 84 16 Sa 1352/11 n. v. (Rz. 91). Revision eingelegt unter 9 AZR 232/12.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Soweit es um Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der IAO vom 24.6.1970 über den bezahlten Jahresurlaub, dem durch Bundesgesetz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zugestimmt worden ist85, geht, steht dazu die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 1 und nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht in Widerspruch86. Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 sieht vor, dass der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs (2 Wochen) spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen ist. Durch die Verwendung des Adverbs „spätestens“ bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, eine kürzere Befristung des Anspruchs und einen früheren Verfall zu normieren als die mit 12 bzw. 18 Monaten vorgesehene Höchstfrist. Diese Frist darf unterschritten werden, um den Arbeitnehmer zu einer zeitnahen Urlaubsnahme anzuhalten87. Der vom EuGH88 aufgestellte Rechtssatz, dass die Dauer des Übertragungszeitraums, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen kann, die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigen muss, was bei 15 Monaten der Fall sei, lässt sich nicht dahin deuten, dass damit generell eine zeitliche Grenze für Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gezogen werden sollte. Ebenso wenig kann die These des LAG Hamm überzeugen, dass diese Zeitgrenze in Anwendung von Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 IAO bei 18 Monaten ansiedeln will. Aus der Rechtsprechung des EuGH lässt sich zur Zeit noch nicht mit Sicherheit entnehmen, von welcher Dauer des Übertragungszeitraums nach Art. 7 der Richtlinie 2003/8/EG auszugehen ist, wenn der Urlaubsanspruch bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht in natura genommen werden kann. Das BAG89 hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass der in § 7 Abs. 3 BUrlG normierte kurze Übertragungszeitraum zur Gewährleistung einer engen zeitlichen Bindung des Urlaubs an das Urlaubsjahr90 nach dem Willen des Gesetzgebers gebieten könnte, dass der Urlaubsanspruch bei Arbeitnehmern, die mehrere Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig erkrankt sind, nach der kürzesten Frist, die europarechtlich zulässig 85 BGBl II 1975, 745. 86 So bereits BAG v. 7.12.1993 – 9 AZR 683/92, NZA 1994, 802 Rz. 18; BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 425/10, NZA 2012, 29 Rz. 23. 87 Siehe auch BAG v. 18.10.2011 – 9 AZR 303/10, NZA 2012, 143 Rz. 23. 88 EuGH v. 22.11.2011 – C-214/10, NZA 2011, 1333 - Schulte. Nochmals bestätigt durch EuGH v. 3.5.2012 - C-337/10, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9 - Neidel. 89 BAG v. 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, DB 2012, 923 Rz. 37. 90 BAG v. 18.10.2011 - 9 AZR 303/10, NZA 2012, 143 Rz. 19.
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Arbeitsvertragliche Regelung zur Urlaubsabgeltung
ist, verfällt. Dies müsste auch bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG Beachtung finden. Da gegen die Entscheidungen der LAG Baden-Württemberg und Hamm Revision eingelegt worden ist, wird das BAG demnächst eine Antwort auf die hier gestellten Fragen geben und möglicherweise prüfen müssen, ob eine erneute Vorabentscheidung des EuGH geboten ist. Für die betriebliche Praxis kann davon ausgegangen werden, dass eine tarifvertragliche Regelung, wie sie vom EuGH in der Entscheidung vom 22.11.201191 zu beurteilen war, ebenso zum Erlöschen des Urlaubsanspruchs und damit der Urlaubsabgeltung führt wie die in Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 IAO bei 18 Monaten liegende Zeitgrenze, weil bei dieser in jedem Fall der Übertragungszeitraum des Urlaubsanspruchs die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigt. Damit ist freilich nicht zugleich gesagt, dass der Übertragungszeitraum durch eine unionskonforme Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG möglicherweise kürzer bemessen sein kann. (Boe)
14. Arbeitsvertragliche Regelung zur Urlaubsabgeltung Gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG kann von den gesetzlichen Vorschriften des BUrlG durch arbeitsvertragliche Regelung nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Wenn auch den Tarifvertragsparteien vom Gesetzgeber eine Dispositionsbefugnis über das BUrlG eingeräumt wird, ist diese insoweit eingeschränkt, als ihnen verboten wird, die §§ 1,2 und 3 Abs. 1 BUrlG zum Nachteil der Arbeitnehmer zu ändern. Das BUrlG beschränkt jedoch nicht die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien, soweit sie einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaub vereinbaren. So hat bereits das BAG in seiner Grundsatzentscheidung vom 24.3.200992 im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 20.1.200993 zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 88/2003/EG ausgeführt, dass die Parteien des Einzelarbeitsvertrags Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art 7 Abs. 1 Richtlinie 88/2003/EG gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln können. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt. Allerdings müssen für einen entsprechenden Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsver-
91 C-214/10, NZA 2011, 1333 - Schulte. 92 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538 Rz. 81. 93 C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 - Schultz-Hoff.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
trags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Da der über das BUrlG hinausgehende Urlaub keine gesetzliche Regelung erfahren hat, beschränkt sich zudem die Inhaltskontrolle auf das Transparenzgebot. Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB unterliegen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann der uneingeschränkten Inhaltskontrolle des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die nicht von Rechtsvorschriften abgewichen wird, sind bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam (§§ 307 Abs. 3 S. 2, 307 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 BGB). Demgemäß steht den Arbeitsvertragsparteien ein weitreichender Gestaltungsspielraum zur Verfügung, der es ihnen erlaubt, den übergesetzlichen Urlaub eigenen Regeln zu unterwerfen. Wie weit die vertragliche Dispositionsfreiheit geht, musste der 9. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 18.10.201194 klären. Der von dem Beklagten für mehrere Jahre in Indien beschäftigte Kläger hatte einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen. Im Arbeitsvertrag war außerdem vorgesehen, dass eine Übertragung von Resturlaub auf Folgejahre möglich ist und bei Vorhandensein von Resturlaub bei Beendigung des Vertrages dieser mit 50 % vergütet werden sollte. Als der Kläger das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2008 beendete, standen ihm noch 244 Urlaubstage zu, deren Abgeltung er mit 129.686 € beanspruchte. Der Beklagte ging davon aus, dass der Urlaub des Klägers erloschen war. Die Klage war in allen Instanzen erfolgreich. Das BAG ging zunächst davon aus, dass die Parteien mit der Urlaubsregelung im Anstellungsvertrag nicht die gesetzliche Regelung der Urlaubsabgeltung in § 7 Abs. 4 BUrlG ersetzen wollten, sondern eine weitere Anspruchsgrundlage für die hälftige Abgeltung von angesammelten Urlaubsansprüchen geschaffen haben. Die Urlaubsregelung sollte den Kläger berechtigen, Urlaub über mehrere Jahre ohne jede zeitliche Beschränkung anzusammeln und am Ende des Arbeitsverhältnisses mit hälftiger Abgeltung verlangen zu dürfen. Damit haben die Parteien losgelöst von den gesetzlichen Übertragungsregeln in § 7 Abs. 3 S. 2 und Satz 3 BUrlG eine Vertragsgestaltung vorgenommen, die den Arbeitgeber verpflichtete, bereits verfallenen 94 9 AZR 303/10, NZA 2012, 143 ff.
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Urlaubsabgeltung: Länge tariflicher Ausschlussfristen
Urlaub noch zu gewähren und im Falle der Beendigung des Arbeitsvertrages abgelten zu müssen. Eine derartige Vertragsgestaltung unterliegt – wie das BAG zu Recht hervorhebt – keinen durchgreifenden Bedenken. Dies gilt ungeachtet des Gebots zeitnaher Erfüllung des Urlaubsanspruchs, das den Arbeitgeber verpflichtet, den im Laufe des Urlaubsjahrs erworbenen Urlaubsanspruch im Urlaubsjahr selbst, spätestens aber innerhalb des in § 7 Abs. 3 S. 3 und S. 4 BUrlG geregelten Übertragungszeitraums zu erfüllen. Den Arbeitsvertragsparteien steht es frei, auch bezüglich des gesetzlichen Urlaubsanspruchs abweichend vom Gesetz zu Gunsten des Arbeitnehmers vorzusehen, dass ein von Gesetzes wegen bereits untergegangener Urlaubsanspruch doch noch gewährt werden soll oder abzugelten ist, wenn die Naturalgewährung durch Vertragsbeendigung unmöglich geworden ist. (Boe)
15. Urlaubsabgeltung: Länge tariflicher Ausschlussfristen Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Urlaubsanspruch abzugelten, wenn er wegen der Beendigung nicht mehr gewährt werden kann. Nach früherer Rechtsprechung des BAG95 waren tarifliche Ausschlussfristen auf den gesetzlichen Urlaub wegen dessen eigenen Zeitregimes nicht anzuwenden, selbst wenn diese Ausschlussfristen umfassend alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betrafen. Begründungsansatz bildete dabei die Erwägung, dass der Abgeltungsanspruch als Ersatz für den unantastbaren Urlaubsanspruch (Surrogationstheorie) nach § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehe. Die gesetzliche Unabdingbarkeit nach § 13 Abs. 1 BUrlG erstrecke sich auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch. Er sei ebenso wie der gesetzliche Urlaubsanspruch selbst unabdingbar. Mit Aufgabe dieser Surrogationstheorie aufgrund der zu Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/ EG vom EuGH96 aufgestellten Grundsätze durch die neuere Rechtsprechung des BAG97 stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch zumindest für die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach lang andauernder Arbeitsunfähigkeit eine auf eine finanzielle Vergütung gerichtete
95 Vgl. nur BAG v. 20.5.2008 - 9 AZR 219/07, NZA 2008, 1237 Rz. 48 ff.; BAG v. 20.01.2009 - 9 AZR 650/07 n. v. (Rz. 21 ff.) 96 EuGH v. 20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06, NZA 2009, 135 - Schultz-Hoff. 97 BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17; BAG v. 23.3.2010 - 9 AZR 128/09, AP SGB IX § 125 Nr. 3; BAG v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
reine Geldforderung dar98. Damit unterfällt er den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Dazu gehören auch tarifliche Ausschlussfristen. Als reiner Geldanspruch entsteht der Abgeltungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird nach § 271 BGB sofort fällig99. Diese Fälligkeit tritt auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein. Selbst wenn man von einer Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs ausginge, würde dies nach Ansicht des BAG100 die Anwendung tariflicher Ausschlussfristen nicht ausschließen, weil der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs nicht beseitigt wird. Der Arbeitnehmer ist lediglich gehalten, diesen innerhalb der tariflichen Verfallfristen geltend zu machen. Die Anwendung von tariflichen Ausschlussfristen verstößt auch nicht gegen Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie und den hierzu vom EuGH aufgestellten Grundsätzen101. Durch eine Ausschlussfrist wird nämlich die Entstehung der finanziellen Vergütung aus Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie nicht eingeschränkt, sondern lediglich ihr Fortbestand zeitlich begrenzt. Durch eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit wird der Arbeitnehmer regelmäßig nicht daran gehindert, die tarifliche Ausschlussfrist zu wahren102. Die Frage, ob der vom EuGH aufgestellte Rechtssatz, dass die Dauer des Übertragungszeitraums, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen kann, die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigen muss, auf die Mindestlänge einer tariflichen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung zu übertragen ist, war Gegenstand einer weiteren Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 13.12.2011103. Der Fall betraf einen schwerbehinderten Kläger, der wegen durchgängig andauernder Arbeitsunfähigkeit zwei Tage Urlaub des Jahres 2004 sowie den gesamten Urlaub des Jahres 2005 und auch nicht den für die Monate Januar bis April 2006 entstandenen anteiligen Urlaub in Anspruch nehmen konnte. Das Arbeitsverhältnis der Parteien
98 BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 17. 99 BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421; BAG v. 4.5.2010 - 9 AZR 183/09, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17. 100 BAG v. 21.2.2012 – 9 AZR 486/10 n. v. (Rz. 19); BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 16 ff.; BAG v. 19.2.2008 - 9 AZR 1091/06, NZA 2008, 828. 101 Gaul/Bonanni/Ludwig, DB 2009, 1013 ff. 102 BAG v. 9.8.2011 – 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421 Rz. 29 ff. 103 9 AZR 399/10, DB 2012, 923.
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Urlaubsabgeltung: Länge tariflicher Ausschlussfristen
endete am 30.4.2006. Seit dem 1.5.2006 bezog der Kläger auf Dauer eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Kautschukindustrie in Hessen Anwendung. Danach gilt eine Ausschlussfrist, wonach alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beiderseitig innerhalb von drei Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden müssen und beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers Ansprüche spätestens zwei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen sind, um nicht ausgeschlossen zu werden. Erst mit Schreiben vom 15.7.2009 verlangte der Kläger von der Beklagten vergeblich die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs für insgesamt 49 Urlaubstage. Gegen die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist erhob der Kläger den Einwand, dass Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie gebiete, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigen müsse. Während die Vorinstanzen der Klage auf Zahlung einer Abgeltung des Urlaubs teilweise entsprochen haben, hat das BAG die Klage insgesamt im Hinblick auf die verspätete Geltendmachung aufgrund der tarifvertraglichen Ausschlussfrist abgewiesen. Dabei ging das BAG davon aus, dass die tarifliche Ausschlussfrist von zwei Monaten unabhängig von der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit dem 1.5.2006 zu laufen begann, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und gemäß § 271 BGB auch sofort fällig wird. Da der Kläger die Urlaubsabgeltung erstmals mit Schreiben vom 15.7.2009 geltend gemacht hatte, war der Urlaubsabgeltungsanspruch verfallen. Das BAG sieht die Ausschlussfristenregelung auch im Einklang mit den Vorgaben von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie, der zu Gunsten des Arbeitnehmers einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung begründet. Da die Arbeitszeitrichtlinie keine unionsrechtliche Regelung für eine Rechtsdurchsetzung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs enthält, ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten diese Aufgabe zu besorgen. Es handelt sich insoweit um Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung des Urlaubsoder Urlaubsabgeltungsanspruchs, die sich nach dem einzelstaatlichen und nicht nach dem europäischen Recht richten. Dabei müssen hinsichtlich der Ausgestaltung der Durchsetzbarkeit die Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität gewahrt werden. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit besagt, dass die Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat Rechtsschutz der aus europäischem Recht fließenden Rechte gewährt, nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen für entsprechende nur nationales Recht betreffende Klagen. Der Grundsatz der Effektivität beinhaltet, dass die Ausübung der 103
Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
durch das Unionsrecht verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert werden dürfen104. Beide Aspekte sind gewahrt. Das BAG lehnt zunächst ab, aus Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie herzuleiten, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigen müsse, weil die Richtlinie keine Vorgaben hinsichtlich der Möglichkeit enthält, diesen Anspruch nach nationalem Recht einer zeitlich befristeten Geltendmachung zu unterwerfen. Darüber hinaus werde durch die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung (Grundsatz der Gleichwertigkeit) die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert (Grundsatz der Effektivität). Das BAG betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass mit der Anwendung tariflicher Ausschlussfristen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch die Entstehung des Anspruchs nicht berührt wird. Nur auf den Urlaubsanspruch selbst bezogen gilt auch der vom EuGH aufgestellte Grundsatz, dass dieser bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit erst verfallen kann, wenn die Dauer des Bezugszeitraums deutlich überschritten worden ist. Schließlich untersucht das BAG, ob der Kläger wegen der langjährigen Rechtsprechung des Senats zur Unabdingbarkeit (§ 13 Abs. 1 BUrlG) des Abgeltungsanspruchs im Hinblick auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann. Das BAG verneint dies mit dem Hinweis darauf, dass der Kläger nach dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf in der Sache SchultzHoff vom 2.8.2006105 nicht mehr davon ausgehen durfte, dass die bisherige Rechtsprechung des BAG zu den Grundsätzen der Unabdingbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs im Fall lang andauernder Arbeitsunfähigkeit unverändert fortgeführt werde. Schließlich bestätigt das BAG seine Rechtsprechung zum Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX. Auf diesen sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Demgemäß ist auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub abzugelten, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig ist106. Der Zusatzurlaubsanspruch nach § 125 Abs. 1 S. 1 SGB
104 EuGH v. 24.3.2009 - C-445/06 EuR 2011, 61 Rz. 18 - Danske Slagterier. 105 12 Sa 486/06, LAGE BUrlG § 7 Nr. 43. 106 BAG v. 23.3.2010 - 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 Rz. 111 ff.
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Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer
IX teilt das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs, so dass seine Abgeltung ebenfalls von einer tariflichen Ausschlussfirst erfasst wird. Mit dieser Entscheidung hat das BAG eine weitere Klarstellung bezüglich der Behandlung von Urlaubsabgeltungsansprüchen im Hinblick auf tarifvertragliche Ausschlussfristen vorgenommen, die nunmehr abweichend von der bisherigen Rechtsprechung zur Anwendung gelangen. (Boe)
16. Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer Häufig ist eine altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen. Eine derartige Urlaubsstaffelung kennt das BUrlG nicht. Gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG beträgt der nach § 1 BUrlG jedem Arbeitnehmer unabhängig von seinem Alter in jedem Kalenderjahr zustehende bezahlte Erholungsurlaub mindestens 24 Werktage. Mit Inkrafttreten des AGG vom 14.8.2006107 stellte sich die Frage, ob und inwieweit allein vom Lebensalter abhängige Urlaubsstaffelungen altersdiskriminierender Natur sind. Zunächst ist davon auszugehen, dass auch tarifvertragliche Regelungen dem Anwendungsbereich des AGG unterliegen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) und rechtsunwirksam sind (§ 7 Abs. 2 AGG), wenn sie Beschäftigte (§ 6 Abs. 1 AGG) aus Gründen des Alters (§ 1 AGG) benachteiligen108. Art. 9 Abs. 3 GG gewährt den Tarifvertragsparteien zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol109. Wenn die tarifvertragliche Urlaubsregelung bezüglich der unterschiedlichen Dauer des Urlaubs ausschließlich auf das Alter der Arbeitnehmer abstellt, kann damit der Tatbestand einer Altersdiskriminierung verbunden sein. So hat bereits das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 18.1.2011110 die zwischenzeitlich von den Tarifvertragsparteien geänderte Urlaubsanspruchsstaffelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel NRW als eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters angesehen. Der Tarifvertrag hatte eine Urlaubsstaffelung vom 20. Lebensjahr mit 30 Urlaubstagen mit Zwischenstufen bis zum 30. Lebensjahr mit 36 Urlaubstagen vorgesehen. Eine derartige Urlaubszeitstaffelung bedarf auf der Grundlage des AGG eines Rechtfertigungsgrundes. Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines 107 BGBl I 2006, 1897. 108 BAG v. 16.12.2008 – 9 AZR 985/07, NZA-RR 2010, 32 Rz. 52 ff. 109 BVerfG v. 3.4.2001 - 1 BvL 32/97, NZA 2001, 777 Rz. 31; siehe aber die Vorlage an den EuGH durch BAG v. 20.5.2010 – 8 AZR 148/09 (A), NZA 2010, 961. 110 8 Sa 1274/10, LAGE § 10 AGG Nr. 4.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
der in § 1 AGG genannten Merkmale ist nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Bezüglich der Anzahl der Urlaubstage ist dieser generelle Rechtfertigungsgrund nicht geeignet, eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zu rechtfertigen, weil es dabei nicht um eine berufliche Anforderung geht. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 AGG ist jedoch – ungeachtet des § 8 AGG – eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Die in einem Tarifvertrag vorgesehene Urlaubsstaffelung unterfällt keinem der Regelbeispiele in § 10 S. 3 Nr. 1 bis 6 AGG. Das in Nr. 2 dieser Norm aufgeführte Regelbeispiel ist nicht einschlägig, weil der Gesetzgeber nicht nur versäumt hat, eine Zweckdetermination anzugeben, sondern lediglich regelt, dass das Alter „für bestimmte mit der Beschäftigung verbundenen Vorteile“ als Rechtfertigungsgrund für eine unterschiedliche Behandlung in Betracht kommen kann. Diese ausfüllungsbedürftige Floskel111 lässt sich nur durch Rückgriff auf die Generalklausel des § 10 S. 1 und 2 AGG interpretieren. Ob generell-abstrakte Regelungen, die an das Alter anknüpfen und zu einer Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG führen, durch rechtmäßige Ziele im Sinne dieser Generalklausel gerechtfertigt sind, lässt sich nur beantworten, wenn derartige hinter der Regelung stehende legitime Ziele erkennbar sind. Allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik oder dem Arbeitsmarkt zu dienen, reichen zur Feststellung eines legitimen Ziels im Sinne des § 10 AGG nicht aus. Vielmehr müssen zumindest aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Regelung abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter ihr stehenden Ziels ermöglichen, um die Rechtmäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können112.
111 Vgl. dazu auch die wenig ergiebige Begründung in BT-Drucks. 16/1780, 36: Letzteres betrifft insbesondere Entgeltregelungen. Hinsichtlich des Entgelts dürfte etwa eine Anknüpfung an die Berufserfahrung eher zu rechtfertigen sein als an das bloße Lebensalter. Vgl. dazu auch BAG v. 20.5.2010 - 6 AZR 148/09 (A), NZA 2010, 961. 112 BAG v. 25.2.2010 - 6 AZR 911/08, NZA 2010, 561 Rz. 39.
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Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer
Dabei können jedenfalls Ziele als rechtmäßig angesehen werden, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen113, wie aus Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG zu entnehmen ist, wonach insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung angesprochen sind114. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt. Die zur Erreichung eines solchen legitimen Ziels eingesetzten Mittel müssen zudem angemessen und erforderlich sein (§ 10 Abs. 1 S. 2 AGG), d. h. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Insoweit verfügt der nationale Normgeber bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung seiner Ziele über einen weiten Ermessensspielraum115. Allerdings dürfen die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was angemessen und erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen116. Eine Regelung ist zudem nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu verwirklichen117. Diese Maßstäbe gelten gleichermaßen für die Tarifvertragsparteien, denen bei ihrer Normsetzung eine Einschätzungsprärogative zusteht, soweit es um die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten, der betroffenen Interessen und der Regelungsfolgen geht118. Nach der Rechtsprechung des EuGH können nämlich sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Sozialpartner auf nationaler Ebene entscheiden, welches von mehreren denkbaren Zielen sie verfolgen und welche Maßnahmen sie zur Erreichung dieses Ziels ergreifen119. 113 BAG v. 26.5.2009 - 1 AZR 198/08, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 Rz. 36 ff.; EuGH v. 5.3.2009 - C-388/07, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9 - Age Concern England. 114 Vgl. dazu auch Nr. 25 der Erwägungsgründe. 115 EuGH v. 16.10.2007 - C-411/05, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 8 Rz. 68 - Palacios de la Villa; EuGH v. 22.11.2005 - C-144/04, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 1 Rz. 63. 116 EuGH v. 16.10.2007 - C-411/05, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 8 Rz. 71 - Palacios de la Villa. 117 Vgl. EuGH v. 12.1.2010 – C-341/08, NJW 2010, 587 Rz. 53 - Domnica Petersen. 118 Nur BAG v. 17.6.2009 - 7 AZR 112/08, AP Nr. 64 zu § 14 TzBfG Rz. 17; EuGH v. 22.11.2005 - C-144/04, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 1 - Mangold. 119 BAG v. 17.6.2009 - 7 AZR 112/08, AP Nr. 64 zu § 14 TzBfG Rz. 50 unter Hinweis auf EuGH v. 16.10.2007 - C-411/05, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 8 Rz. 68 - Palacios de la Villa; EuGH v. 22.11.2005 - C-144/04, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 1 Rz. 63 - Mangold.
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
Rechtsfolge einer nach § 7 Abs. 2 AGG diskriminierenden Regelung kann nur sein, dass der diskriminierte Arbeitnehmer in den Genuss derjenigen Ansprüche kommt, die der begünstigten Gruppe zustehen120. Diese Problematik einer altersabhängigen Staffelung der Urlaubsdauer war nunmehr Gegenstand einer Entscheidung des 9. Senats des BAG vom 20.3.2012121. Das BAG hatte zu beurteilen, ob die bisherige Regelung des § 26 TVöD, wonach ein Beschäftigter bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 5 Tagen in der Kalenderwoche bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts beanspruchen kann, altersdiskriminierend ist. Die Klägerin des Verfahrens wollte festgestellt wissen, dass ihr schon vor der Vollendung des 40. Lebensjahres über den tariflich vorgesehenen Urlaub von 29 Arbeitstagen hinaus jeweils ein weiterer Urlaubstag zustand. Im Gegensatz zur Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg122 als Vorinstanz, das die Klage abgewiesen hat, war sie vor dem BAG erfolgreich. Dabei geht das BAG davon aus, dass die in § 26 TVöD vorgesehene tarifliche Urlaubstaffelung Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar benachteiligt und gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters verstößt. Die tarifvertragliche Regelung verfolge nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen, weil nicht begründbar sei, dass ein derartiges Ziel bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr in Betracht käme. Der Verstoß der Staffelung der Urlaubsdauer gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters lässt sich nur beseitigen, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten nach oben angepasst wird und in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt. In Anbetracht der zuvor geschilderten Grundsätze überzeugt die Entscheidung des BAG und sollte der betrieblichen Praxis Veranlassung geben, nicht nur im Bereich tarifvertraglicher Regelungen, sondern auch auf vertraglicher Ebene vorgesehene Urlaubstaffellungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren, weil die Konsequenz einer Altersdiskriminierung stets zu einer Anpassung „nach oben“ führt. (Boe) 120 LAG Hessen v. 6.1.2010 - 2 Sa 1121/09 n. v. (Rz. 54); LAG Berlin-Brandenburg v. 11.9.2008 - 20 Sa 2244/07, NZA-RR 2009, 378 Rz. 34 ff. Bei Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung: BAG v. 22.1.2009 - 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547 Rz. 35. A. A. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG § 7 Rz. 29. 121 9 AZR 529/10 n. v. 122 v. 24.3.2010 – 20 Sa 2058/09, EzTöD 100 § 26 TVöD-AT Nr. 2.
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Urlaub: Keine Doppelansprüche bei unwirksamer Kündigung
17. Urlaub: Keine Doppelansprüche bei unwirksamer Kündigung Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 1 BUrlG den Ausschluss von Doppelansprüchen geregelt. Der Anspruch auf Urlaub besteht danach nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von seinem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Diese Vorschrift regelt den Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im Verlaufe des Urlaubsjahres den Arbeitgeber wechselt. Der Anwendungsbereich dieser gesetzlichen Regelung bezieht sich jedoch nicht auf den Fall, dass ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung, die sich später aufgrund einer entsprechenden Entscheidung des Arbeitsgerichts als unwirksam erweist, ein weiteres Arbeitsverhältnis eingegangen ist, so dass ein Doppelarbeitsverhältnis vorliegt. Im Falle eines Doppelarbeitsverhältnisses entstehen in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche zu Gunsten des Arbeitnehmers, wenn dieser seine Pflichten in beiden Arbeitsverhältnissen erfüllen kann. Diese Konstellation tritt regelmäßig auf, wenn der Arbeitnehmer bei zwei Arbeitgebern Teilzeittätigkeiten verrichtet. Konnte jedoch der Arbeitnehmer seine Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen und hat der Arbeitgeber, mit dem er während des Kündigungsschutzprozesses ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, ihm für ein laufendes Kalenderjahr Urlaub gewährt, ist zweifelhaft, ob der Arbeitnehmer im Umfang des ihm erteilten Urlaubs keinen weiteren Urlaubsanspruch für dieses Jahr gegen den bisherigen Arbeitgeber hat. Mit einer derartigen Fallkonstellation war der 9. Senat des BAG123 in einer Entscheidung vom 21.2.2012 befasst. Der Klägerin stand gegenüber ihrem bisherigen Arbeitgeber ein Urlaub von 29 Arbeitstagen zu. Nach Ausspruch einer Kündigung, die sie mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hatte, wechselte die Klägerin zu einem anderen Arbeitgeber, der ihr für das Kalenderjahr 2008 21 Arbeitstage Urlaub erteilte. Die Klägerin hatte Anfang November 2008 von ihrem bisherigen Arbeitgeber erfolglos ihren Jahresurlaub von 29 Arbeitstagen verlangt, den sie nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess als Ersatzurlaub beanspruchte. Der bisherige Arbeitgeber wollte die für das Kalenderjahr 2008 bereits gewährten 21 Tage Urlaub auf den Urlaubsanspruch anrechnen. Das Sächsische LAG hat der Klägerin im Urteil vom 26.1.2010124 den vollen Urlaub zugesprochen und dies damit begründet, dass für den Urlaubsanspruch aus einem alten Arbeitsverhältnis un123 9 AZR 487/10 n. v. 124 7 Sa 442/09 n. v. (Rz. 27 ff.).
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Arbeitszeit, Vergütung und Urlaub
schädlich sei, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Kalenderjahr ein neues Arbeitsverhältnis eingeht und dort einen Urlaubsanspruch erwirbt und realisiert. Eine Anrechnung des bereits gewährten Urlaubs auf der Grundlage der §§ 11 KSchG, 615 S. 2 BGB sei nicht möglich, weil sich diese Vorschriften nur auf die Anrechnung von Vergütungsansprüchen für Arbeitsleistungen bezögen, die ein Arbeitnehmer in einem anderen Arbeitsverhältnis erworben hat oder hätte erwerben können. Bei einem Urlaubsanspruch handele es sich nicht um derartige Vergütungsansprüche, so dass auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften nicht in Betracht käme. Das BAG ist dieser Bewertung nicht gefolgt und davon ausgegangen, dass einem doppelten Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers entgegensteht, dass dieser im Falle eines Obsiegens im Kündigungsschutzrechtsstreit grundsätzlich so zu stellen sei, als hätte keine tatsächliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses stattgefunden. Auch wenn es sich beim Urlaub nicht um Entgelt für geleistete Dienste handelte, so dass die Anrechnungsvorschriften der §§ 11 KSchG, 615 S. 2 BGB keine unmittelbare Anwendung finden könnten, sei doch wegen der Gleichheit der Interessenlage eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen geboten. Demgemäß musste sich die Klägerin die ihr bereits gewährten Urlaubstage auf ihren Urlaubsanspruch gegenüber der Beklagten anrechnen lassen. Dem Ergebnis dieser Entscheidung des BAG ist durchaus beizupflichten, weil der Gesetzgeber offenbar bei der Regelung des § 6 Abs. 1 BUrlG den hier entschiedenen Fall übersehen hat. Jedenfalls lässt sich aus § 6 Abs. 1 BUrlG und dem mit dem Urlaubsanspruch verbundenen Zweck der Erholung der gesetzgeberische Wille entnehmen, eine Doppelleistung von Urlaubsansprüchen verschiedener Arbeitgeber für das jeweilige Kalenderjahr ausschließen zu wollen. Auch die §§ 11 KSchG, 615 S. 2 BGB sind darauf angelegt, einer Bereicherung des Arbeitnehmers während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers entgegenzuwirken. (Boe)
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E.
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Zurückweisung einer Kündigung mangels Vorlegung einer Vollmachtsurkunde
Nach § 174 S. 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Das Zurückweisungsrecht ist nach § 174 S. 2 BGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber demjenigen, gegenüber dem das einseitige Rechtsgeschäft vorgenommen werden soll, die Bevollmächtigung (vorher) mitgeteilt hat. Folge der Zurückweisung im Sinne des § 174 S. 1 BGB ist – unabhängig vom Bestehen der Vollmacht – die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts; eine Heilung oder Genehmigung nach § 177 BGB scheidet aus1. Durch § 174 BGB soll der Geschäftsgegner vor der Ungewissheit bewahrt werden, ob das ihm gegenüber vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Vertretungsmacht nach § 180 S. 1 BGB unzulässig ist2. Das Inkenntnissetzen im Sinne des § 174 S. 2 BGB gegenüber den Betriebsangehörigen liegt regelmäßig darin, dass der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z. B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten oder Leiter der Personalabteilung – in eine Stellung beruft, mit der das Kündigungsrecht verbunden zu sein pflegt. Hat der Arbeitnehmer, dem gegenüber eine Kündigung ausgesprochen wird, Kenntnis davon, dass sein Erklärungsgegner die besondere Stellung inne hat, dann ist ihm zuzurechnen, dass er dessen Bevollmächtigung gekannt hat3. Diese Kundgabe bedarf keiner Form und unterliegt auch keiner Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB, insbesondere keiner Kontrolle auf Transparenz und Einhaltung des Überraschungsverbots4. Das BAG5 hat in einer ergänzenden Entscheidung das Inkenntnissetzen im Sinne des § 174 S. 2 BGB dahingehend präzisiert, dass der Kündigungsempfänger zusätzlich davon in Kenntnis ge1 2 3 4 5
BAG v. 10. 2.2005 - 2 AZR 584/03, ZTR 2005, 658 Rz. 45. BAG v. 20.9.2006 - 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377 Rz. 35. BAG v. 20.9.2006 - 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377 Rz. 49. BAG v. 14.4.2011 - 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683 Rz. 29. BAG v. 14.4.2011 - 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683 ff.; bestätigt durch BAG v. 8.12.2011 - 6 AZR 354/10, NZA 2012, 495 ff.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
setzt wird, wer als Person diese Stellung tatsächlich innehat, so dass die bloße Mitteilung im Arbeitsvertrag, dass der jeweilige Inhaber einer bestimmten Funktion kündigen dürfe, nicht ausreicht. Ausreichend für ein Inkenntnissetzen ist es, wenn der Arbeitgeber bereits im Arbeitsvertrag die Person des Kündigungsberechtigten namentlich bezeichnet oder im Vertrag die Möglichkeiten – etwa Aushang am „schwarzen Brett“, durch das dem Arbeitnehmer zugängliche Intranet oder durch Auskunftseinholung bei einem anwesenden oder zumindest jederzeit leicht erreichbaren Vorgesetzten – aufzeigt, die jeweilige Person der ihm genannten Funktion zuzuordnen6. Dies muss vor Erhalt des Kündigungsschreibens geschehen. Andererseits ist es gleichgültig wenn sich der gekündigte Arbeitnehmer bei vorangegangener ausreichender Inkenntnissetzung über die Kündigungsberechtigung erst nach Zugang der Kündigung erkundigt. Da die Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform nach § 623 BGB bedarf, ist sie vom Aussteller eigenhändig gemäß § 126 Abs. 1 BGB zu unterschreiben. Geschieht dies durch einen Vertreter des Arbeitgebers, muss dies durch einen das Vertretungsverhältnis anzeigenden Zusatz hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen7. Dem Unterschriftserfordernis genügt das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, ohne seine Lesbarkeit vorauszusetzen8. Kündigt dagegen ein Prokurist, ist die Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB auch dann ausgeschlossen, wenn der Erklärungsempfänger keine Kenntnis von der Erteilung der Prokura bzw. der Prokuristeneinstellung hat und der Vertreter sogar ohne Hinweis auf seine Prokura handelt. In diesem Fall wird die nach § 174 S. 2 BGB erforderliche Kenntnis des Erklärungsempfängers von der Bevollmächtigung im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs durch die Eintragung der Prokura in das Handelsregister gemäß § 15 Abs. 2 HGB fingiert. Aufgrund dieser Vorschrift muss sich der Arbeitnehmer so behandeln lassen, als ob er die länger als 15 Tage eingetragene Tatsache kennt9. Ebenso scheidet die Anwendung von § 174 BGB aus, wenn die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen, sondern auf gesetzlicher oder organschaft-
6 7 8 9
BAG v. 14.4.2011 – 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683 Rz. 30. BAG v. 21.4.2005 - 2 AZR 162/04, NZA 2005, 865 Rz. 14. BAG v. 20.9.2006 - 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377 Rz. 74. So bereits BAG v. 14.4.2011 – 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683 Rz. 27; BAG v. 11.7.1991 - 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449 Rz. 54.
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Zurückweisung einer Kündigung mangels Vorlegung einer Vollmachtsurkunde
licher Grundlage beruht10. Bei einer Vertretungsmacht kraft Organschaft liegt diese ebenfalls in der gesetzlichen Anordnung. Der 6. Senat des BAG musste in einer Entscheidung vom 8.12.201111 darüber befinden, innerhalb welcher Frist spätestens die Zurückweisung einer Kündigungserklärung zu erfolgen hatte, um noch im Sinne des § 174 BGB unverzüglich zu sein. Der Fall betraf die Kündigung eines Auszubildenden noch während der Probezeit, die jedoch mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde erst nach 10 Tagen vom Prozessbevollmächtigten des Auszubildenden zurückgewiesen worden war. Zunächst erinnert das BAG daran, dass auch das Zurückweisungsschreiben nach § 174 BGB ein einseitiges Rechtsgeschäft im Sinne des § 174 BGB darstellt, das unwirksam ist, wenn ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter die Zurückweisung ohne Vorlage einer Originalvollmacht vornimmt und deshalb unverzüglich vom Kündigenden nach § 174 S. 1 BGB zurückgewiesen wird. Für die Unverzüglichkeit einer Zurückweisung im Sinne des § 174 S. 1 BGB gelten die zu § 121 BGB aufgestellten Grundsätze entsprechend. Die Zurückweisung muss daher nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger muss eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung des Rates eines Rechtskundigen darüber eingeräumt werden, ob er das einseitige Rechtsgeschäft wegen fehlender Bevollmächtigung zurückweisen soll. Für den Regelfall begrenzt das BAG nunmehr diesen Zeitraum: Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung ist nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich12. Dabei beginnt die Frist mit der tatsächlichen Kenntnis des Empfängers von der Kündigung und der fehlenden Vorlegung der Vollmachtsurkunde. Das BAG hält zu Recht die Wochenfrist für ausreichend, weil der Kündigungsadressat keinerlei Nachforschungen über die wirklichen Vertretungs- und Vollmachtsverhältnisse anstellen muss und darüber hinaus das Fehlen der Vollmachtsurkunde einen tatsächlichen Vorgang darstellt, der keine schwierigen Abwägungsprozesse erfordert. Die Entscheidung des BAG schafft für die betriebliche Praxis eine erfreuliche Klarstellung und Rechtssicherheit und ist auch von der sachlichen Begründung her überzeugend. Bei Ausspruch einer Kündigung sind die damit
10 BAG v.10.2.2005 - 2 AZR 584/03, ZTR 2005, 658 Rz. 54. 11 6 AZR 354/10, NZA 2012, 495 Rz. 33 ff. 12 BAG v. 8.12.2011 - 6 AZR 354/10, NZA 2012, 495 Rz. 33.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
verbundenen Formalien von großer Bedeutung, weil bereits deren Verletzung der Kündigung die Rechtswirksamkeit nimmt. (Boe)
2.
Schutz vor Entlassung während der Probezeit
Nach § 1 Abs. 1 KSchG gilt für die Anwendung des Kündigungsschutzes, dass das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss der Arbeitnehmer auch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes über die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt werden (§§ 242, 138 BGB)13. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf allerdings nicht bewirken, dass außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes die Maßstäbe der im KSchG verlangten sozialen Rechtfertigung der Kündigung gefordert werden. Auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben verstößt eine Kündigung in der Wartezeit deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Eine solche Kündigung ist nicht willkürlich, wenn für sie ein irgendwie einleuchtender Grund besteht14. Anderenfalls wäre die Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb während der gesetzlichen Wartezeit zu überprüfen15. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer16, wobei der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers (Art. 12 GG) durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast gewährleistet wird. Zunächst hat danach der Arbeitnehmer einen Sachverhalt vorzutragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Anschließend muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden17.
13 BVerfG v.21.6.2006 - 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913 ff.; BVerfG v. 27.1.1998 - 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470. 14 BAG v. 24.1.2008 - 6 AZR 96/07, NZA-RR 2008, 405 Rz. 28. 15 BAG v. 28.6.2007 - 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049 Rz. 30. 16 BAG v. 22.5.2003 - 2 AZR 426/02, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18 Rz. 28. 17 BAG v. 16.9.2004 - 2 AZR 447/03, EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 5 Rz. 37.
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Schutz vor Entlassung während der Probezeit
Der 6. Senat des BAG hatte im Zusammenhang mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine klageabweisende Entscheidung eines LAG im Beschluss vom 8.12.201118 zu prüfen, ob der in Art. 30 der Charta der Grundrechte (GRC) geregelte Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung während der Wartezeit des § 1 KSchG eine über die §§ 138, 242 BGB hinausgehende Wirkung entfaltet. Die Parteien stritten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG erklärten ordentlichen Kündigung sowie über die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers. Der Kläger berief sich darauf, dass die von der Beklagten während der ersten sechs Monate ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen der Arbeitsunfähigkeit erfolgt sei. Deshalb hätte neben den §§ 138, 242 BGB geprüft werden müssen, ob die Kündigung gegen Art. 30 GRC verstößt, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung hat. Zunächst betont das BAG, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12.12.2007 unabhängig ihres nach Art. 6 Abs. 1 EUV verbindlichen Charakters keine neuen Zuständigkeiten für die Union begründet, die über den Geltungsbereich und die Zuständigkeiten der Union hinausgehen. Dies folgt auch aus Art. 51 Abs. 2 GRC, wonach die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und die Union begründet und nach ihrem Abs. 1 ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Da sich das Unionsrecht bislang mit dem allgemeinen Kündigungsschutz nicht befasst hat, weisen die §§ 138, 242 BGB jedenfalls gegenwärtig keine Anknüpfungspunkte zum Unionsrecht auf. Angesichts des fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Bezugs dieser Vorschriften kam auch keine Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV in Betracht. Diese Bewertung des BAG entspricht der Rechtsprechung des EuGH19, der seine Zuständigkeit verneint, soweit ein Sachverhalt nicht der Union unterfällt und auch keine nationalen Regelungen betrifft, mit denen Unionrecht durchgeführt wird. Mit dieser Rechtsprechung des BAG wird der gegenwärtige Rechtszustand im Falle des allgemeinen Kündigungsschutzes und des bürgerlichrechtlichen Kündigungsschutzes in Relation zum Unionsrecht überzeugend für die Praxis abgegrenzt. (Boe)
18 6 AZN 1371/11, NZA 2012, 286 ff. 19 EuGH v. 12.11.2010 - C-339/10 n. v. – Asparuhov Estov u. a.; EuGH v. 1.3.2011 - C-457/09 n. v. – Charty.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
3.
Kündigungsschutzrechtliche Obliegenheit zur Feststellung von Sozialdaten
Insbesondere im Zusammenhang mit den beabsichtigten Reformen des Beschäftigtendatenschutzes wurde zuletzt intensiv über die Frage gesprochen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber bei seinem Umgang mit Stellenbewerbern die Frage nach einer Behinderung oder Schwerbehinderung stellen darf. Ganz überwiegend wird darin ein Indiz für die Benachteiligung von Bewerbern wegen einer Behinderung gesehen, was unter Berücksichtigung von § 22 AGG die Schlüssigkeit einer auf Entschädigung und Schadensersatz gerichteten Klage zur Folge haben kann. Hiervon wird in der Regel selbst dann ausgegangen, wenn die hiervon betroffenen Arbeitgeber die gesetzliche Quote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht erfüllen und die Frage mit dem Ziel gestellt wird, vorrangig schwerbehinderte Menschen einzustellen20. Mit seinem Urteil vom 16.2.201221 hat der 6. Senat des BAG erstmals eingehend die Frage behandelt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag im bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig ist. Konsequenz hat diese Frage insbesondere deshalb, weil die Schwerbehinderung Voraussetzung für die Anwendung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist und in vielfältiger Weise die Wirksamkeit einer Kündigung beeinflussen kann (z. B. Sozialauswahl, Betriebsratsanhörung, Zustimmung des Integrationsamtes). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Beklagte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der Sozialdaten an sämtliche Arbeitnehmer Fragebögen ausgeteilt. Erfragt wurden das Geburtsdatum, der Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder sowie das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Auf der Grundlage dieser Fragen sollten betriebsbedingte Kündigungen vorbereitet und umgesetzt werden. Der Kläger, der die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig mit „nein“ beantwortete, wurde durch den Beklagten ohne Beteiligung des Integrationsamts gekündigt. Er machte nunmehr geltend, dass die Kündigung gemäß § 85 SGB IX unwirksam sei. Überdies stelle die
20 Vgl. Messingschlager, NZA 2003, 301 ff.; Joussen, NJW 2003, 2857 ff.; Für möglich hält ein Fragerecht in diesem Fall ArbG Berlin v. 7.10.2008 – 8 Ca 12611/08, AE 2009, 47 Rz. 54. 21 6 AZR 553/10, DB 2012, 1042 ff.
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Kündigungsschutzrechtliche Obliegenheit zur Feststellung von Sozialdaten
Frage nach der Schwerbehinderung eine verbotene Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 7 AGG dar. Mit überzeugender Begründung ist das BAG dieser Bewertung des Klägers nicht gefolgt. Vielmehr hat es klargestellt, dass die Kündigung des Klägers trotz der fehlenden Beteiligung des Integrationsamts zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Denn der Kläger wäre verpflichtet gewesen, wahrheitsgemäß auf die Frage des Beklagten zu antworten. Denn dem Kläger war es unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf den Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen. Ausgangspunkt der entsprechenden Feststellungen des BAG war die Annahme, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet war, wahrheitsgemäß auf die entsprechende Frage des Beklagten zu antworten. Insoweit sind die Parteien des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, ihre Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Beklagte den Kläger, der im bestehenden Arbeitsverhältnis den Sonderkündigungsschutz nach § 85 ff. SGB IX bereits erworben hatte, zur Vorbereitung von Kündigungen nach einer Schwerbehinderteneigenschaft fragen. Für diese Frage bestand - so das BAG – ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Beklagten. Die Frage stand im Zusammenhang mit seiner Pflichtenbindung durch das Erfordernis, bei der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung zu berücksichtigen sowie den Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX zu beachten. In entsprechender Weise sei die Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen. Ausdrücklich nennt das BAG dabei auch die Pflicht zur behinderungsgerechten Beschäftigung (§ 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX), die Zahlung einer Ausgleichsabgabe (§ 77 SGB IX) und die Gewährung von Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX)22. Andere, gleich geeignete und gleich zuverlässige Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich die zur Erfüllung dieser Pflichten erforderliche Kenntnis von 22 BAG v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, DB 2012, 1042 Rz. 13 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
der Schwerbehinderteneigenschaft eines Mitarbeiters rechtssicher zu verschaffen, bestehen – so das BAG – nicht. Zwar ist es denkbar, beim Integrationsamt den Antrag auf Feststellung zu stellen, dass eine Zustimmung nach den §§ 85 ff. SGB IX nicht erforderlich sei. Insbesondere mit Blick auf die rechtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit einer solchen Feststellung, die fehlende Rechtskraft und die Dauer entsprechender Verfahren machen indes deutlich, dass eine solche Vorgehensweise ungeeignet ist, sich im Vorfeld einer Kündigung in zumutbarer Weise Klarheit über die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes zu verschaffen. Entsprechendes gilt für die Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber nach Zugang einer Kündigung zum Erhalt des Sonderkündigungsschutzes binnen angemessener Frist auf die Schwerbehinderung hinzuweisen. Denn auch darin kann kein ausreichender Schutz liegen, weil die Kündigung selbst zu diesem Zeitpunkt bereits ausgesprochen wurde und mangels Kenntnis um die entsprechenden Tatsachen unwirksam ist23. In einer entsprechenden Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung liegt auch keine Diskriminierung des Arbeitnehmers wegen seiner Behinderung oder eine Missachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben. Im Gegenteil: Die Frage nach der Schwerbehinderung ermöglicht es dem Arbeitgeber, den besonderen Schutz von schwerbehinderten Menschen zu verwirklichen. Schlussendlich dient die Frage sogar dazu, sie gegenüber den Menschen ohne Behinderung zu begünstigen. Eine Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis hat oder zumindest die Möglichkeit besteht, sich diese durch Nachfrage zu verschaffen. Folgerichtig sind entsprechende Fragestellungen auch durch die §§ 28 Abs. 6 Nr. 3, 32 Abs. 1 S. 1 BDSG gerechtfertigt24. Die entsprechende Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Auskunft gegenüber dem Arbeitgeber ist dem Arbeitnehmer auch zumutbar. Sie belastet ihn nicht übermäßig, ist unschwer zu erteilen und bewirkt, dass der Arbeitgeber gesetzliche Pflichten gegenüber besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmergruppen erfüllen kann. Konsequenz dieser Entscheidung ist nicht nur, dass entsprechende Fragen des Arbeitgebers im Vorfeld betriebsbedingter Kündigungen zulässig sind. Wichtiger dürfte die Erkenntnis sein, dass aus der Berechtigung zur entsprechenden Frage auch die Obliegenheit folgt, sich als Arbeitgeber die nach den §§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, 85 ff. SGB IX erforderlichen Kenntnisse zu 23 BAG v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, DB 2012, 1042 Rz. 15 ff. 24 BAG v. 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, DB 2012, 1042 Rz. 25 ff.
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Sozialauswahl und Altersdiskriminierung
persönlichen Eigenschaften der von einer potenziellen Kündigung betroffenen Arbeitnehmer zu verschaffen. Geschieht dies nicht, obwohl – wie durch das BAG berechtigterweise anerkannt – eine solche Möglichkeit zur Informationsbeschaffung bestanden hätte, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Dies gilt nicht nur bei fehlender Beteiligung des Integrationsamts. Vielmehr sind auch solche Kündigungen unwirksam, die eine Schwerbehinderung, die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderung, etwaige Unterhaltspflichten gegenüber Kindern, Ehegatten bzw. gleichgeschlechtlichen Lebenspartner nicht berücksichtigt haben. Auch diese Gegebenheiten muss der Arbeitnehmer auf Rückfrage des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB wahrheitsgemäß mitteilen, damit sie in die Auswahlentscheidung nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG einfließen können. (Ga)
4.
Sozialauswahl und Altersdiskriminierung
Mit seinem Urteil vom 15.12.201125 hat der 2. Senat des BAG in überzeugender Weise die bislang umstrittene Frage beantwortet, ob die durch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahlentscheidung bei einer betriebsbedingten Kündigung zum Zwecke der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG verstoße. Diese Frage hat das BAG unter Einbindung der Rechtsprechung des EuGH verneint. Darüber hinausgehend hat das BAG für die Betriebspraxis wichtige Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern betriebsbedingten Kündigungen beim Entleiher entgegensteht.
a)
Kennzeichnung freier Arbeitsplätze beim Einsatz von Leiharbeitnehmern
In dem der Entscheidung vom 15.12.201126 zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitnehmer die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung auch mit der Begründung geltend gemacht, dass die Beklagte im Betrieb durchgängig eine Vielzahl von Leiharbeitnehmern beschäftige. Bei den mit ihnen besetzten Arbeitsplätzen handele es sich um „freie“ Arbeitsplätze, die sie vorrangig mit Stammarbeitnehmern habe besetzen müssen. Dies hatte die
25 2 AZR 42/10 n. v. 26 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 25 ff.).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Beklagte mit der Begründung abgelehnt, dass sie die Leiharbeitnehmer nur zur Abdeckung eines nicht vorhersehbaren (Vertretungs-)bedarfs beschäftige. Sie sei nicht verpflichtet, eine eigene Personalreserve vorzuhalten. Schlussendlich hat das BAG dieser Differenzierung der Beklagten zugestimmt. Zwar ist eine Kündigung unwirksam, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung erkennbar war, dass der Arbeitnehmer über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus auf einem anderen „freien“ Arbeitsplatz im Unternehmen weiter beschäftigt werden könnte. Dies gilt selbst dann, wenn dies zu geänderten Arbeitsbedingungen erfolgt oder für eine Ausübung dieser Beschäftigung zumutbare Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich sind (§ 1 Abs. 2 S. 3 KSchG). Allerdings sind als „frei“ grundsätzlich nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind27. Ob die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die Annahme rechtfertige, im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers seien „freie“ Arbeitsplätze vorhanden, hänge – so das BAG – von den Umständen des Einzelfalls ab. Würden Leiharbeitnehmer lediglich zur Abdeckung von „Auftragsspitzen“ eingesetzt, liege keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG vor. Der Arbeitgeber könne dann typischerweise nicht davon ausgehen, dass er für die Auftragsabwicklung dauerhaft Personal benötige. Es könne ihm deshalb regelmäßig nicht zugemutet werden, entsprechendes Stammpersonal vorzuhalten28. An einem „freien“ Arbeitsplatz fehlt es nach Auffassung des BAG in der Regel außerdem, soweit der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als „Personalreserve“ zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftigt. Dies gelte unabhängig von der Vorhersehbarkeit der Vertretungszeiten. In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung zur Berücksichtigung von solchen Arbeitnehmern, die befristet zum Zwecke einer Krankheits- oder Urlaubsvertretung eingestellt werden29 geht das BAG davon aus, dass es der nur auf Missbrauch und Willkür überprüfbaren Entscheidung des Arbeitgebers überlassen bleibe, ob und für wie lange ein aus diesen Gründen vakanter Arbeitsplatz besetzt werden solle. Andernfalls könnte der Arbeitgeber gezwungen sein, mehr Arbeitsverhältnisse zu begründen, als er für zweckmäßig hal27 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 24); BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 144 Rz. 22. 28 BAG vom 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 26); BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 4/04, DB 2005, 1390 f. 29 Vgl. BAG v. 1.3.2007 – 2 AZR 650/05, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 154 Rz. 25.
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Sozialauswahl und Altersdiskriminierung
te. Dies gelte auch für längerfristig bestehende Vertretungszeiten (z. B. Elternzeit). Der Arbeitsplatz eines schon beschäftigten, aber verhinderten Arbeitnehmers sei selbst dann nicht „frei“, wenn es wahrscheinlich sei oder gar feststehe, dass der Mitarbeiter nicht auf ihn zurückkehren werde.30 Diese Überlegungen gelten für den 2. Senat des BAG auch dann, wenn der Arbeitgeber zur Vertretung abwesender Stammarbeitnehmer auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern zurückgreife. Diese würden auch dann nicht auf „freien“ Arbeitsplätzen beschäftigt, wenn der Vertretungsbedarf regelmäßig anfalle. Andernfalls bliebe der Arbeitgeber nicht frei in seiner Entscheidung, ob er Vertretungszeiten überhaupt und – wenn ja – für welchen Zeitraum überbrücke. Beschäftige der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer dagegen, um mit ihnen ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen abzudecken, könne von einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG auszugehen sein, die vorrangig für sonst zur Kündigung anstehende Stammarbeitnehmer genutzt werden müsse31. Völlig zu Recht hat es das BAG deshalb als nicht ausreichend angesehen, dass bei der Beklagten durchgängig Leiharbeitnehmer beschäftigt wurden. Entscheidend ist, zu welchem Zweck und auf der Grundlage welcher Personalplanung solche Leiharbeitnehmer in Unternehmen eingesetzt werden. Hier hat der Arbeitgeber zur Überzeugung des Gerichts deutlich gemacht, dass die Leiharbeitnehmer tatsächlich nur dann zum Einsatz kamen, wenn vorübergehende Personalengpässe eintraten.
b)
Das Alter als Bestandteil der Sozialauswahl
In dem ersten Teil seiner Auseinandersetzung mit der durch die Beklagte durchgeführten Sozialauswahl hat sich das BAG im Urteil vom 15.12.201132 zunächst einmal mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Lebensalter überhaupt trotz des Verbots der Altersdiskriminierung durch die Vorgaben des Unionsrechts neben den weiteren in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG angeführten Kriterien einer Sozialauswahl berücksichtigt werden darf. Diese Frage hat das BAG mit überzeugender Begründung bejaht. Zwar führe die Berücksichtigung des Lebensalters in der Tendenz zu einer Bevorzugung älterer und un-
30 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 28); BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 144 Rz. 25. 31 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 30); Simon/Greßlin, BB 2007, 2454, 2456; B. Gaul/Ludwig, DB 2010, 2334. 32 2 AZR 42/10 n. v. (Rz 48 ff.).
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Diese Ungleichbehandlung sei aber sowohl durch § 10 S. 1, 2 AGG als auch durch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1, Unterabs. 2 lit. a) Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Zur Recht verweist das BAG darauf, dass auch der EuGH anerkannt habe, dass legitime Ziele im Sinne des von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2000/78/EG wegen der als Beispiele genannten Bereiche Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung solche aus dem Bereich „Sozialpolitik“ sind. Sie stehen im allgemeinen Interesse und unterscheiden sich dadurch von Zielen, die im eigenen Interesse des Arbeitgebers liegen, wie Kostenreduzierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Wir hatten auf die grundlegenden Ausführungen des EuGH in dem Urteil vom 21.7.201133 hingewiesen34. Hiervon ausgehend verfolge die durch § 1 Abs. 3 KSchG vorgegebene Einbeziehung des Lebensalters in die Sozialauswahl ein im Allgemeininteresse liegendes legitimes Ziel aus dem Bereich der Sozialpolitik im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2000/78/EG. Ältere Arbeitnehmer, die wegen ihres Alters typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten, sollten bei einer betrieblich veranlassten Kündigung stärker geschützt werden35. Dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt auf diese Weise typisierend und nicht individuell berücksichtigt würden, sei – so das BAG – letztlich unvermeidbar. Jede Aussage über solche Chancen müsse sich an Wahrscheinlichkeiten ausrichten, die ihrerseits nicht ohne Berücksichtigung von Erfahrungswerten ermittelt werden könnten. Nach aller Erfahrung sinken aber mit steigendem Lebensalter die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Dies sei auch empirisch nicht zu bestreiten36. Die mit der Berücksichtigung des Lebensalters einhergehende Ungleichbehandlung sei auch nicht deshalb generell unangemessen, weil neben sie noch das Auswahlkriterium der Dauer der Betriebszugehörigkeit trete. Zwar begünstige auch dieses Kriterium tendenziell ältere Arbeitnehmer. Dies sei aber angesichts des mit ihm verfolgten (rechtmäßigen) Ziels, die Betriebstreue des Arbeitnehmers zu honorieren, sachlich gerechtfertigt. Die Berücksichtigung der Beschäftigungszeit führe damit auch im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung
33 34 35 36
C-159/10 und C-160/10, BetrAV 2011, 647 Rz. 52 – Fuchs/Köhler. B. Gaul, AktuellAR 2011, 477 ff. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 53). BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 56).
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Sozialauswahl und Altersdiskriminierung
jüngerer Arbeitnehmer. Die Kumulation beider Kriterien könne zwar im Einzelfall den Schutz älterer Arbeitnehmer verstärken. Eine solche Folge sei aber keineswegs zwingend. Vielmehr könne umgekehrt das Kriterium der Betriebszugehörigkeit das Gewicht des Kriteriums des Lebensalters sogar relativieren, wenn jüngere Arbeitnehmer über eine längere Zeit der Betriebszugehörigkeit verfügen als ältere Mitarbeiter37.
c)
Sozialauswahl im Rahmen von Altersgruppen
In gleicher Weise angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei – so das BAG – auch die Relativierung der Bedeutung des Kriteriums des Lebensalters durch die Bildung von Altersgruppen. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ermögliche dem Arbeitgeber – und über § 1 Abs. 4, 5 KSchG den Betriebsparteien – im berechtigten betrieblichen Interesse, zu dem auch dasjenige der „Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur“ zähle, bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Danach sei es zulässig, dass der Arbeitgeber innerhalb des zur Sozialauswahl anstehenden Personenkreises nach sachlichen Kriterien Altersgruppen bilde, die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen feststelle und die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteile – mit der Folge – dass sich die Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nur innerhalb der Gruppen vollziehe und sich der Anstieg des Lebensalters nur innerhalb der jeweiligen Altersgruppe auszuwirken vermöge38. Die nach nationalem Recht zulässige Altersgruppenbildung diene auf diese Weise dem Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur in den Betrieben, diene damit zugleich der Beteiligung aller Generationen und Lebensalter an den notwendig gewordenen Entlassungen, verhindere die einseitige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer und sichere deren berufliche Eingliederung. Sie erhalte eine vorhandene Mischstruktur und einen Erfahrungsaustausch in den Betrieben, bewirke eine Vielfalt auch auf dem Arbeitsmarkt und diene damit – alle Aspekte gemeinsam betrachtet – einem legitimen sozialpolitischen Ziel. Die unterschiedlichen Vorzüge des jeweiligen Alters könnten im Betrieb nur dann erfolgreich ausgenutzt werden, wenn langfristig Arbeitnehmer verschiedener Lebensalter zusammenwirkten. Auch wenn dies zugleich auch den Wettbewerbsinteressen des jeweiligen Unternehmens diene, lägen die aufgezeigten Vorteile einer altersgemischten Struktur mit Blick auf 37 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 58). 38 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 60).
123
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
die Förderung des Erfahrungsaustauschs und der Innovation in den Betrieben sowohl im Interesse der Gesamtbelegschaft als auch im Interesse der Allgemeinheit, als leistungsfähige Betriebe und Unternehmen in ihrer Gesamtheit zu den Grundlagen eines funktionierenden Wirtschaftssystems gehörend39. Schließlich liegt in der Zusammenarbeit verschiedener Generationen auch ein Beitrag zur Qualität der ausgeübten Tätigkeiten, was auch als ein legitimes Ziel der Sozial- und Beschäftigungspolitik qualifiziert werden könne40. Wichtig für die betriebliche Praxis ist freilich, dass die Bildung von Altersgruppen zur Modifizierung des aus § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG folgenden Ergebnisses einer Sozialauswahl nur dann zulässig ist, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls berechtigte betriebliche Interessen dargelegt werden können. Darauf verweist auch das BAG in seinem Urteil vom 15.12.201141. Dementsprechend müsse der Arbeitgeber, wenn er sich auf § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG berufen wolle, zu diesen Auswirkungen und möglichen Nachteilen konkret vortragen. Lediglich dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreiche, kämen ihm dabei Erleichterungen zugute. In diesem Fall sei ein berechtigtes Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur – widerlegbar - vermutet42. Vor diesem Hintergrund hat das BAG nicht nur die hier gebildeten Altersgruppen gebilligt. Die Beklagte hatte insoweit geltend gemacht, dass sie mehr als die Hälfte ihres Personalbestands in der ersten Gruppe (25 bis 35 Jahre) verloren hätte, wenn altersgruppenübergreifend eine Auswahlentscheidung getroffen worden wäre. Damit dies vermieden würde, hatte die Beklagte gemeinsam mit dem Betriebsrat Altersgruppen gebildet, die ab Vollendung des 25. Lebensjahres in 10-Jahres-Schritten die Arbeitnehmer, die vergleichbar waren, zusammenfassten. Darüber hinaus war auch die sodann innerhalb der Altersgruppe vorgenommene Gewichtung der Sozialdaten statthaft. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des BAG im Urteil vom 18.1.199043 hatten die betrieblichen
39 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 61 f.); B. Gaul/Niklas, NZA-RR 2009, 457. 40 BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 62). 41 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 65). 42 Ebenso BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059 Rz. 24; BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361 Rz. 54. 43 2 AZR 357/89, NZA 1990, 729 Rz. 40.
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Sozialauswahl und Altersdiskriminierung
Sozialpartner festgelegt, dass für die Betriebszugehörigkeit in den ersten zehn Dienstjahren je Dienstjahr ein Punkt, ab dem elften Dienstjahr zwei Punkte (maximal siebzig Punkte) und für jedes volle Lebensjahr ein Punkt (maximal fünfundfünfzig Punkte) in Ansatz gebracht wurden. Ferner wurden für jedes unterhaltsberechtige Kind (laut Steuerkarte) vier Punkte, für den unterhaltsberechtigten Ehepartner vier Punkte und für alleinerziehende Mitarbeiter weitere vier Punkte angerechnet. Die Schwerbehinderung war bei einem GdB mit 50 mit fünf Punkten und bei jedem um zehn höheren Grad mit einem weiteren Punkt zu berücksichtigen. Auch darin lag für das BAG eine ausreichende und angemessene Berücksichtigung der gesetzlichen Sozialdaten. Ob die Betriebsparteien berechtigt waren, die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern von einer entsprechenden Eintragung in die Lohnsteuerkarte abhängig zu machen, ließ der 2. Senat des BAG im Urteil vom 15.12.201144 offen. Denn selbst wenn zu Lasten der Klägerin entgegen § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, der auf objektiv bestehende familienrechtliche Unterhaltspflichten abstelle, ein Kind unberücksichtigt geblieben sein sollte, führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Bei Berücksichtigung eines weiteren Kindes hätte die Klägerin eine lediglich marginal höhere Gesamtpunktzahl erreicht als der erste nicht gekündigte Arbeitnehmer. Nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG wären – so das BAG – die Auswahlkriterien weiterhin „ausreichend“ berücksichtigt.
d)
Fazit
Es ist sehr zu begrüßen, dass das BAG mit dieser ausführlich begründeten Entscheidung ganz wesentliche Fragen der Betriebspraxis zur Sozialauswahl beantwortet hat. Ebenso ist es zu begrüßen, dass – insbesondere mit Blick auf die ausführlichen Feststellungen des EuGH in dem Urteil vom 21.7.201145 – auf ein Vorabentscheidungsersuchen nach § 267 Abs. 3 AEUV verzichtet wurde. Denn die entsprechenden Leitlinien, die hier eine klageabweisende Entscheidung rechtfertigten, waren durch den EuGH unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben, insbesondere den Konkretisierungen durch die Richtlinie 2000/78/EG, bereits getroffen worden. (Ga)
44 2 AZR 42/10 n. v. (Rz. 68). 45 C-159/10, C-160/10, BetrAV 2011, 647 - Fuchs/Köhler.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
5.
Altersdiskriminierung durch Bezugnahme auf § 622 Abs. 2 S. 2 BGB
Bereits mit Urteil vom 19.1.201046 hatte der EuGH deutlich gemacht, dass die in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB enthaltene Regelung, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung einer Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden, als unzulässige Diskriminierung wegen des Alters zu qualifizieren ist. Auf dieser Grundlage hatte das BAG bereits in den Urteilen vom 1.9.201047 und vom 9.9.201048 angenommen, dass § 622 Abs. 2 S. 2 BGB damit unanwendbar ist, wenn der zu entscheidende Sachverhalt in den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt. Wir hatten darauf bereits zu früherer Gelegenheit hingewiesen49. Bedauerlicherweise ist der Gesetzgeber bis zum heutigen Tage nicht in der Lage, diese Altersdiskriminierung durch § 622 Abs. 2 S. 2 BGB zu beseitigen. Wir haben darauf an anderer Stelle hingewiesen50. Es obliegt deshalb weiterhin den Gerichten, für eine Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben im Bereich der Altersdiskriminierung Sorge zu tragen. Diesem Umstand trägt nunmehr das BAG mit seinem Urteil vom 29.9.201151 erneut Rechnung. Danach muss auch eine tarifvertragliche Regelung, die Bestimmungen zu Kündigungsfristen und Kündigungsterminen enthält, unangewendet bleiben, wenn sie entsprechend § 622 Abs. 2 S. 2 BGB Betriebszugehörigkeitszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres generell unberücksichtigt lässt. Dabei kann offen bleiben, ob es sich um eine nur deklaratorische Wiedergabe der gesetzlichen Regelung handelt oder ob mit dem Tarifvertrag eine eigenständige Tarifnorm geschaffen werden sollte. Im erstgenannten Fall spielt die Wiedergabe wegen der fehlenden Anwendbarkeit von § 622 Abs. 2 S. 2 BGB selbst keine Rolle. Im zweitgenannten Fall liegt im Tarifvertrag selbst eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters, die zu seiner Unanwendbarkeit führt. Völlig zu Recht überträgt der 2. Senat des BAG dieses Ergebnis auch auf die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der tarifvertraglichen Kündigungsregelungen. Denn wenn die in Bezug genommenen Tarifvorschriften wegen Ver-
46 47 48 49 50 51
C-555/07, NZA 2010, 85 ff. - Kücükdeveci. 5 AZR 700/09, NZA 2010, 1409 Rz. 18. 2 AZR 714/08, NZA 2011, 343 Rz. 15. B. Gaul, AktuellAR 2011, 117 ff., Boewer, AktuellAR 2011, 119 ff. B. Gaul, AktuellAR 2012, 12 f. 2 AZR 177/10, DB 2012, 807 Rz. 12 ff.
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Stellungnahme des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige
stoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam sind, gilt entsprechendes für die arbeitsvertragliche Regelung. Daran ist zu denken, wenn vergleichbare Regelungen in Betriebsvereinbarungen über Sonderleistungen (z. B. Jubiläumsgeld, betriebliche Altersversorgung) getroffen werden. Vertrauensschutz kann der Arbeitgeber mit Blick auf die hier in Rede stehende Altersdiskriminierung nach Auffassung des BAG nicht geltend machen. Der EuGH habe den zu § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ergangenen Tenor seiner Entscheidung zeitlich nicht begrenzt und damit keinen Vertrauensschutz zugestanden. Diese Sichtweise müsse auch auf tarifvertragliche Regelungen übertragen werden, wenn sie in den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fielen52. (Ga)
6.
Stellungnahme des Betriebsrats im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige
Wenn der Arbeitgeber eine Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 KSchG plant, müssen vielfältige Unterrichtungspflichten gegenüber der Arbeitsverwaltung, aber auch dem Betriebsrat erfüllt werden. Dies beginnt mit der Information des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG, die in Kopie auch der Agentur für Arbeit zugeleitet werden muss53. Diese Kopie muss mindestens die in § 17 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 5 KSchG vorgeschriebenen Angaben enthalten (§ 17 Abs. 3 S. 1 KSchG). Lässt man Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus §§ 111, 112, 102 BetrVG einmal unberücksichtigt, die mit den Beteiligungsrechten nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG verknüpft werden können, kann der Arbeitgeber die Massenentlassung umsetzen, sobald die Verhandlungen zwischen ihm und dem jeweils zuständigen Betriebsrat über die geplanten Entlassungen nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG abgeschlossen sind. Voraussetzung ist freilich, dass der Arbeitgeber nicht nur zuvor die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingereicht hat. Wichtig ist, dass diese Anzeige schriftlich unter Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen erstattet werden muss (§ 17 Abs. 1, 3 S. 2 KSchG). Eine solche Stellungnahme des Betriebsrats ist nach § 1 Abs. 5 KSchG ebenso wie nach § 125 InsO entbehrlich, wenn der Arbeitgeber bzw. der Insolvenzverwalter bei einer geplanten Betriebsänderung mit dem Betriebsrat im Interessenausgleich die Arbeitnehmer namentlich bezeichnet, die als Fol52 BAG v. 29.9.2011 – 2 AZR 177/10, DB 2012, 807 Rz. 24. 53 Zur Schriftform überzeugend vgl. Lützen, NJW 2012, 1627 ff.
127
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
ge der Betriebsänderung betriebsbedingt gekündigt werden sollen. Darüber hinaus kann die Stellungnahme des Betriebsrats dadurch ersetzt werden, dass der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Maßgabe von § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG unterrichtet hat und er gegenüber der Agentur für Arbeit zugleich den Stand der Beratungen darlegt (§ 17 Abs. 3 S. 3 KSchG). In seinem Urteil vom 21.3.201254 hat das BAG zu Recht deutlich gemacht, dass die Stellungnahme des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG auch in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integriert sein kann. Voraussetzung ist lediglich, dass dieser Zweck einer im Interessenausgleich enthaltenen Erklärung des Betriebsrats auch hinreichend deutlich wird. Nicht erforderlich ist, dass der Betriebsrat seine Stellungnahme im Zusammenhang mit der Massenentlassungsanzeige in einem eigenständigen Dokument abgibt. In dem zugrunde liegenden Fall war über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers am 1.10.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Am selben Tag informierte er den bei der Schuldnerin gebildeten Betriebsrat über die geplanten Massenentlassungen. In einem am 8.10.2009 geschlossenen Interessenausgleich ohne Namensliste erklärte der Betriebsrat sodann, dass ihm die nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte erteilt worden seien und er abschließend keine Möglichkeit sehe, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG – so die Feststellungen im Interessenausgleich – sei damit abgeschlossen. Der Beklagte fügte seine anschließende Massenentlassungsanzeige diesem Interessenausgleich bei und wies sowohl in der Anzeige als auch im Anschreiben an die Agentur für Arbeit auf die im Interessenausgleich erfolgte Stellungnahme des Betriebsrats hin. Im Anschluss daran kündigte er das Arbeitsverhältnis. Entgegen der Auffassung des LAG Baden-Württemberg vom 18.5.201055 hat der 6. Senat des BAG diese Vorgehensweise von Arbeitgeber und Betriebsrat bestätigt. Die Stellungnahme des Betriebsrats sei der Massenentlassungsanzeige beizufügen, um gegenüber der Agentur für Arbeit zu belegen, ob und welche Möglichkeit der Betriebsrat sehe, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden. Diesem Zweck sei nicht nur dann genügt, wenn der Massenentlassungsanzeige ein Interessenausgleich mit einer namentlichen Bezeichnung der von den betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer beigefügt werde. Eine entsprechende Aussagekraft habe auch ein Interessen54 6 AZR 596/10 n. v. (Rz. 16 ff.). 55 14 Sa 14/10 n. v.
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Änderungskündigung als ultima ratio
ausgleich ohne Namensliste, wenn sich aus diesem ergebe, dass Kündigungen in dem dort genannten Umfang auch nach Auffassung des Betriebsrats nicht zu vermeiden seien. Diese Feststellung hinsichtlich des Umfangs der nicht vermeidbaren Kündigungen dürfte sich im Zweifel jedem Interessenausgleich entnehmen lassen. Wichtig für die praktische Umsetzung der im Urteil vom 21.3.201256 getroffenen Feststellungen des BAG ist indes, dass der Zweck einer gleichzeitigen Stellungnahme gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG ausdrücklich im Wortlaut des Interessenausgleichs erkennbar wird. Insofern sollten die Parteien dort nicht nur festhalten, dass mit Unterschrift unter den Interessenausgleich die Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus den §§ 111, 112 BetrVG, 14 Abs. 2 KSchG ordnungsgemäß erfüllt wurden und abgeschlossen sind. Es sollte darüber hinaus festgehalten werden, dass die im Interessenausgleich genannten Maßnahmen auch aus Sicht des Betriebsrats nicht vermieden werden können und dass darin deshalb zugleich die Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG liege. Dann kann der Arbeitgeber diesen Interessenausgleich mit der Massenentlassungsanzeige einreichen und damit den gesetzlichen Formerfordernissen genügen. (Ga)
7.
Änderungskündigung als ultima ratio
Die betriebsbedingte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist sozial ungerechtfertigt, wenn es möglich ist, den vom Wegfall seines Arbeitsplatzes betroffenen Mitarbeiter auf einem anderen Arbeitsplatz – ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen – weiter zu beschäftigen, sofern der Arbeitnehmer hierzu bereit ist (§ 1 Abs. 2 S. 3 KSchG). Der darin liegende Vorrang einer Änderungs- vor der Beendigungskündigung ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers ist ultima ratio. Wie das BAG mit Urteil vom 29.9.201157 ausgeführt hat, ist auch eine betriebsbedingte Änderungskündigung aber nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die angebotenen Änderungen nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist. Daran fehle es, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung zur Gehaltsabsenkung die Vereinbarung einer sogenannten „doppelten“ Schriftformklausel anbiete, ohne dass hierfür Gründe im Sinne der §§ 1 Abs. 2, 2 S. 1 KSchG 56 6 AZR 596/10 n. v. 57 2 AZR 523/10 n. v.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
vorlägen. Entsprechendes gilt beispielsweise dann, wenn im Zusammenhang mit der Änderung des Arbeitsorts auch Entgeltbestandteile entfallen sollen, deren Wegfall nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Schlussendlich muss jede einzelne Änderung des Arbeitsvertrags, die Gegenstand des Angebots zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist, durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sein. Für die betriebliche Praxis hat dies zur Folge, dass Änderungskündigungen im Zweifel nicht mit einem vollständig neuen Arbeitsvertrag verknüpft werden sollten. Denn dieser enthält im Vergleich zu dem bis dahin bestehenden Arbeitsvertrag meist Veränderungen, deren Einführung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Dies ist nicht nur – wie im vorliegenden Fall – bei der Einführung einer veränderten Schriftformklausel der Fall. Auch die Anpassung von Musterarbeitsverträgen an sonstige Vorgaben der AGB-Kontrolle kann zu solchen Veränderungen führen, die die Unwirksamkeit der gesamten Änderungskündigung zur Folge haben. Beispielsweise sei hier nur die Überarbeitung von Widerrufsvorbehalten, Direktionsklauseln oder Feststellungen zur Arbeitszeitflexibilisierung genannt. Sinnvollerweise sollte die Beendigungskündigung deshalb mit dem Angebot verknüpft werden, das Arbeitsverhältnis zu den übrigen, völlig unveränderten Bedingungen der zwischen den Parteien bestehenden Vereinbarungen mit einer anderen Tätigkeit, an einem anderen Ort oder – sofern dies durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist – einem anderen Entgelt fortzusetzen. Entgeltänderungen ohne das Erfordernis einer sozialen Rechtfertigung sind nur dort statthaft, wo eine Vergütungsautomatik (z. B. durch Bezugnahme auf Tarifvertrag) vereinbart wurde. (Ga)
8.
Kündigung bei Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen?
Gegenstand der Entscheidung des LAG Hamm vom 20.4.201158 war die Frage, ob der Arbeitgeber eine außerordentliche (verhaltensbedingte) Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären darf, wenn sich der in einem CallCenter eingesetzte Arbeitnehmer weigert, bei der Verabschiedung von Kunden auf den Zusatz „Jesus hat sie lieb!“ zu verzichten. Der Kläger hatte einen solchen Verzicht mit der Begründung abgelehnt, er müsse zwei Verpflichtungen nachkommen, nämlich der gegenüber der Beklagten und der
58 4 Sa 2230/10, NZA-RR 2011, 640 ff.
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Kündigung bei Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen?
gegenüber Gott. Er werde deshalb sein Verhalten nicht ändern, wolle aber am Arbeitsplatz festhalten, um den Glauben Gottes verbreiten zu können. Mit überzeugender Begründung hat das LAG Hamm die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Der Arbeitgeber war unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles berechtigt, eine außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung auszusprechen. Denn der Kläger hatte an seinem Verhalten festgehalten, obwohl ihm in zahlreichen Gesprächen die drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall einer Fortsetzung seiner besonderen Form der Gesprächsführung angekündigt worden war. Zwar muss der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Direktionsrechts die durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers beachten und auf einen dem Arbeitgeber offenbarten Glaubens- oder Gewissenskonflikt Rücksicht nehmen. Darauf hatten wir im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit dem Urteil des BAG vom 24.2.201159 hingewiesen, in dem es um die auf den Koran gestützte Weigerung eines im Einzelhandel eingesetzten Regaleinräumers ging, der nicht mehr in der Getränkeabteilung mit alkoholischen Angeboten eingesetzt werden wollte60. Richtig ist auch, dass es für eine zulässige Berufung auf Art. 4 GG nur darauf ankommt, dass die Haltung des Arbeitnehmers von einer wirklich religiösen Überzeugung getragen und nicht anders motiviert ist – so das LAG Hamm. Sonst würde den Gerichten eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von teleologischen Lehren aufgebürdet, die sie weder leisten können noch dürfen61. Dies bedeutet – so das LAG Hamm – allerdings nicht, dass jede Weisung, die irgendeine Berührung mit einer Glaubens- oder Gewissensentscheidung hat, bereits unwirksam sei. Vielmehr muss die Verweigerung des hiervon betroffenen Arbeitnehmers auf eine zwingende Verhaltensregel gestützt werden, von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann. Insofern muss es sich – so das LAG Hamm – erkennbar um einen nach außen tretende, rational mitteilbare und intersubjektiv nachvollziehbare Tiefe, Ernsthaftigkeit und absolute Verbindlichkeit einer Selbstbestimmung handeln62.
59 2 AZR 636/09, NZA 2011, 1087 ff. 60 B. Gaul, AktuellAR 2011, 150 ff. 61 LAG Hamm v. 20.4.2011 – 4 Sa 2230/10, NZA-RR 2011, 640 Rz. 29; BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, NZA 2003, 483 Rz. 44. 62 LAG Hamm v. 20.4.2011 – 4 Sa 2230/10, NZA-RR 2011, 640 Rz. 29; BAG v. 24.5.1989 – 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144 Rz. 48.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
Diesen Voraussetzungen genügte der Kläger bei der Begründung seiner Verhaltensweise nicht. Zum einen war er nicht in der Lage, dem Gericht nachvollziehbar zu erläutern, in welcher Weise der christliche Glaube ihn verpflichtete, einen entsprechenden Zusatz bei Telefonaten zu tätigen. Insbesondere gab es keine Bibelstellen oder sonstige Veröffentlichungen, auf die er sich stützte. Hinzu kam, dass er nach einem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten durchaus bereit war, jedenfalls vorübergehend, nämlich bis zu einer Entscheidung in dem vorliegenden Berufungsverfahren, auf den christlichen Zusatz in Telefonaten zu verzichten. Wenn aber finanzielle Gründe es ihm aus seiner Sicht erlaubten, von dieser Verabschiedungsformel Abstand zu nehmen, sei schwer erklärlich, warum er sich nicht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses generell entsprechenden Vorgaben des Arbeitgebers in Bezug auf Telefonate mit Kunden beugen konnte. Abschließend hat das LAG Hamm die fehlende Anerkennung der Verweigerungshaltung des Klägers als glaubens- oder gewissensrelevant indes mit dem Umstand begründet, dass dieser vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung bei der Geschäftsstelle der erkennenden Kammer mit der Frage angerufen hatte, ob seine Teilnahme am Termin tatsächlich erforderlich sei. Denn auch bei diesem Telefonat habe sich der Kläger in der allgemein üblichen Art und Weise ohne religiösen Gruß verabschiedet, ohne dass er im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Erklärung hierfür abgeben konnte. Das LAG Hamm hatte deshalb erhebliche Zweifel, ob der Kläger tatsächlich in ernste Gewissenskonflikte geriete, wenn er auch im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses darauf verzichten würde, Kundentelefonate mit den Worten „Jesus hat Sie lieb“ zu beenden63. Hiervon ausgehend war es dem Kläger zuzumuten, entsprechend der arbeitgeberseitigen Weisung die üblichen Verabschiedungsformeln zu benutzen. Wenn er dies ablehnte, obwohl ihm in mehreren Gesprächen die deshalb drohende Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Augen geführt wurde, war der Beklagten auch gestattet, auch ohne eine ausdrückliche Abmahnung eine außerordentliche (fristlose) Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen. (Ga)
63 LAG Hamm v. 20.4.2011 – 4 Sa 2230/10, NZA-RR 2011, 640 Rz. 30.
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Wiederaufnahme des Kündigungsschutzprozesses bei strafgerichtlicher Verurteilung
9.
Wiederaufnahme des Kündigungsschutzprozesses bei strafgerichtlicher Verurteilung des Arbeitnehmers
Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens kann durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen (§ 578 Abs. 1 ZPO). Die Restitutionsklage findet nach § 580 Nr. 6 ZPO statt, wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist. Ein entsprechender Restitutionsgrund liegt nach § 580 Nr. 7 lit. b) ZPO auch dann vor, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Sämtliche Restitutionsgründe dienen dem Anliegen des Gesetzes, das Vertrauen in die Rechtspflege zu sichern und im Interesse der materiellen Gerechtigkeit Urteile aufzuheben, die sich nachträglich als evident fehlerhaft erwiesen haben64. Um eine vom Kläger angestrengte Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzprozesses ging es in der Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 29.9.201165. Dem Kläger war vom Arbeitgeber gekündigt worden, weil er eine Strafanzeige gegen den damaligen Vorstandsvorsitzenden, mit dem er in Streit über den Ausgleich von Überstunden geraten war, bei der Staatsanwaltschaft erstattet hatte. Mit der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des LAG wurde die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen, weil das Ermittlungsverfahren gegen den Vorstandsvorsitzenden wegen des Vorwurfs der Untreue nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war und es dem Kläger nach Ansicht des LAG vornehmlich darum gegangen sei, dem Vorstandsvorsitzenden Schaden zuzufügen. Etwa zwei Jahre später wurde der ehemalige Vorstandsvorsitzende wegen versuchter veruntreuender Unterschlagung rechtskräftig verurteilt, was den Kläger veranlasste, beim LAG Restitutionsklage mit dem Ziel zu erheben, das rechtskräftige Urteil zu beseitigen. Das BAG hat die klageabweisende Entscheidung des LAG bestätigt und im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO dargelegt, dass eine Wiederaufnahme nach dieser Vorschrift ein präjudizielles Urteil voraussetzt, auf dem das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil beruht, sowie ein weiteres rechtskräftiges Urteil vorliegt, womit das präjudizielle Urteil aufgehoben wurde. Diese Vo64 BVerfG v. 19.10.2006 - 2 BvR 1486/06, NVWZ 2007, 77. 65 2 AZR 674/10 n. v.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
raussetzungen lagen im Streitfall nicht vor, weil das angegriffene Urteil des LAG nicht auf einem präjudiziellen Strafurteil, sondern darauf beruhte, dass seinerzeit die Staatsanwaltschaft das gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden eingeleitete Strafverfahren eingestellt hatte. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ist zweifelsfrei kein Urteil. Damit war einer direkten Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO der Boden entzogen. Das BAG verneint anschließend auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift unter Hinweis darauf, dass eine staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO keinem präjudiziellen Urteil gleichsteht. Nur solche Entscheidungen, die im Sinne des § 580 Nr. 6 ZPO einem Urteil gleichstehen, wie etwa die Aufhebung eines Verwaltungsakts, kommen als Restitutionsgrund infrage. So hat etwa das BAG66 das Vorliegen eines entsprechenden Restitutionsgrundes bejaht, wenn der Verwaltungsakt einer vorherigen Zustimmung des Integrationsamts (§ 85 SGB IX) zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch Urteil aufgehoben wird und dadurch die Grundlage für eine arbeitsgerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung entfällt. Im Gegensatz zu einem Verwaltungsakt fehlt der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO jede formelle Bindung. Sie gibt lediglich das vorläufige rechtliche Ergebnis der Ermittlungen wieder, die im Falle einer neuen Beurteilung - etwa aufgrund weiterer Tatsachen oder Beweismittel – wieder aufgenommen werden können. Ebenso wenig konnte sich der Kläger mit Erfolg darauf berufen, dass ein Strafurteil, das nach rechtskräftiger Beendigung eines Kündigungsrechtsstreits ergangen ist, zu den Urkunden zählt, die nach § 580 Nr. 7 lit. b) ZPO eine Restitutionsklage begründen können. Voraussetzung für diesen Restitutionsgrund ist, dass ein derartiges Strafurteil zum Zeitpunkt des Kündigungsrechtsstreits bereits vorlag und noch hätte in diesem Verfahren geltend gemacht werden können. Diese für die betriebliche Praxis durchaus wichtige Entscheidung spricht dafür, dass die Frage der Whistleblower-Problematik nicht nur in Einzelfallentscheidungen der Rechtsprechung überlassen, sondern vielmehr einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden sollte, die klare und rechtssichere Verhältnisse schafft67. (Boe)
66 BAG v. 17.6.1998 - 2 AZR 519/97 n. v.; BAG v. 25.11.1980 - 6 AZR 210/80, DB 1981, 1141 f. 67 Siehe dazu den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD v. 7.2.2012 – BT-Drucks. 17/8567.
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Rücktritt vom Aufhebungsvertrag bei fehlender Erfüllung der darin geregelten Pflichten
10. Rücktritt vom Aufhebungsvertrag bei fehlender Erfüllung der darin geregelten Pflichten Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann gemäß § 323 Abs. 1 BGB der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten. Diese Vorschrift gilt nur für gegenseitige Verträge. Bei gegenseitigen Verträgen handelt es sich um solche, bei denen sich eine Leistung und eine Gegenleistung in einem Austauschverhältnis gegenüberstehen. Grundsätzlich muss darüber hinaus die Leistung des Gläubigers auch fällig und einredefrei sein. Nicht erforderlich für die Anwendung dieser Vorschrift ist dabei, dass der Schuldner das Rücktrittsrecht des Gläubigers vertreten muss (Verschuldensunabhängigkeit). Es kommt daher für den Schuldner zu keiner Entlastung, wie sie etwa § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vorsieht. Ob ein Arbeitnehmer von einer Aufhebungsvereinbarung gemäß § 323 Abs. 1 BGB wegen Nichtleistung zurücktreten kann, wenn sein Arbeitgeber die im Aufhebungsvertrag für den Verlust des Arbeitsplatzes zugesagte Abfindung nicht zahlt, war Gegenstand einer Entscheidung des 6. Senats des BAG vom 10.11.201168. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten bereits über ein Jahr bevor das Arbeitsverhältnis enden sollte einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Darin war u. a. vorgesehen, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2008 seine Beendigung findet und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe von 110.500,- € zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen hat. Nachdem der Arbeitgeber im Dezember 2008 einen Insolvenzantrag gestellt hatte und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden war, von dessen Zustimmung Verfügungen des Arbeitgebers abhängen sollten, verlangte der Arbeitnehmer ohne Erfolg die Abfindungszahlung und trat anschließend im Januar 2009 nach einer erfolglosen Fristsetzung zur Zahlung vom Aufhebungsvertrag zurück. Eine vom Arbeitnehmer erhobene Feststellungsklage auf Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses war sowohl vor dem LAG als auch vor dem BAG erfolglos. Das BAG geht zunächst davon aus, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich von einer Aufhebungsvereinbarung gemäß § 323 Abs. 1 BGB zurücktreten kann, wenn der Arbeitgeber die im Aufhebungsvertrag für den Verlust des Arbeitsplatzes versprochene Abfindung nicht zahlt. Der Aufhebungsvertrag hat die Qualität eines gegenseitigen Vertrags im Sinne dieser Bestimmung, weil 68 6 AZR 357/10, NZA 2012, 205 ff.
135
Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Abfindungspflicht des Arbeitgebers steht. Diese Auffassung wird vom BAG69 bereits seit einer Grundsatzentscheidung vom 25.6.1987 vertreten. Da jedoch § 323 BGB dispositiv ist, können die Vertragsparteien die Regelung modifizieren oder dahingehend abbedingen, dass ein Rücktrittsrecht vom Aufhebungsvertrag ausgeschlossen ist70. Ob ein derartiger Ausschluss des Rücktrittsrechts – ohne besondere Anhaltspunkte – auch konkludent erfolgen kann71, konnte das BAG im Streitfall unentschieden lassen, weil es zu Gunsten des Klägers einen vertraglichen Ausschluss des Rücktrittsrechts verneinte. Im Anschluss an die h. L. im Schrifttum geht das BAG davon aus, dass die Durchsetzbarkeit der Forderung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 323 BGB ist72. Diese Bewertung folgt aus der Erwägung, dass § 323 BGB dem Gläubiger die Wahl lässt, von der Durchsetzung der Forderung durch Leistungsklage abzusehen und sich stattdessen für eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt damit nach Ansicht des BAG voraus, dass der Schuldner die geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringen kann und muss, dies aber – warum auch immer – unterlässt. Die von § 323 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Verletzung der Leistungspflicht kann damit nicht vorliegen, wenn der Schuldner – etwa im Falle der Verjährung oder des Vorliegens der Einrede des nicht erfüllten Vertrags (§ 320 BGB) oder eines Zurückbehaltungsrechts (§ 273 BGB) – nicht leisten muss und demgemäß die Forderung nicht durchsetzbar ist. Eine derartige fehlende Durchsetzbarkeit nimmt das BAG auch dann an, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nicht leisten darf, weil ihm die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen durch eine entsprechende Beschlussfassung des Insolvenzgerichts bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters genommen worden ist (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO).
69 2 AZR 504/86, NZA 1988, 466 Rz. 22; ebenso etwa ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rz. 15; Schaub/Linck ArbR-Hdb. § 122 Rz. 37. 70 Vgl. die Nachweise bei Bamberger/Roth/Grohe, BGB § 323 Rz. 3; Abele, NZA 2012, 487 ff. 71 So etwa Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 100 Rz. 34. 72 Bamberger/Roth/Grothe, BGB § 323 Rz. 5; MünchKommBGB/Ernst, BGB § 323 Rz. 47.
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Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs beim bisherigen Arbeitgeber
Angesichts dessen konnte der Kläger im Streitfall sein ihm eigentlich zustehendes Rücktrittsrecht vom Aufhebungsvertrag nicht wahrnehmen. Es bedurfte deshalb auch keiner Klärung durch das BAG, ob die Rechtsfolge des Rücktritts vom Aufhebungsvertrag nach § 323 Abs. 1 BGB die rückwirkende Beseitigung des Aufhebungsvertrags ist73 oder ob das bereits beendete Arbeitsverhältnis im Wege der Rückabwicklung des Aufhebungsvertrags neu begründet werden muss74. In der betrieblichen Praxis stellt sich aufgrund dieser Entscheidung des BAG bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags die Frage, ob es im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens geboten sein kann, den Rücktritt vom Aufhebungsvertrag ausdrücklich auszuschließen. Zu erinnern ist dabei daran, dass ein Aufhebungsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass das Arbeitsverhältnis auch bis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird, so dass etwa im Falle einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Auflösungszeitpunkt die Gegenstandslosigkeit des Aufhebungsvertrages herbeigeführt wird75. (Boe)
11.
Annahmeverzug: Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs beim bisherigen Arbeitgeber
Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, muss sich der Arbeitnehmer gemäß § 11 S. 1 KSchG auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. In entsprechender Weise bestimmt § 615 S. 2 BGB, dass sich der Arbeitnehmer für den Fall des Annahmeverzugs des Arbeitgebers auf den Vergütungsanspruch den Wert desjenigen anrechnen lassen muss, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. In seinem Urteil vom 17.11.201176 hat der 5. Senat des BAG klargestellt, dass der Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Erwerb auch dann unterlässt, wenn er eine zumutbare Arbeit beim bisherigen Arbeitgeber ablehnt. §§ 615 73 So Moll/Bengelsdorf, MAH Arbeitsrecht, § 46 Rz. 348; Bauer, NZA 2002, 169, 171; Schaub/Linck, ArbR-Hdb., § 122 Rz. 37. 74 LAG Niedersachsen v. 15.12.2010 - 2 Sa 742/10, LAGE BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 9 Rz. 60; Besgen/Velten, NZA-RR 2010, 561 ff. 75 BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 217/00, NZA 2001, 837 Rz. 20. 76 5 AZR 564/10, NZA 2012, 260 f.
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Abmahnung, Kündigung und sonstige Formen der Beendigung des Arbeitsvertrags
S. 2 BGB, 11 S. 1 Nr. 2 KSchG schließen übereinstimmend den Fall ein, dass der Arbeitgeber nur vertragswidrige Arbeit anbietet. Voraussetzung für eine Anrechnung des mit dieser Arbeit verbundenen Entgelts ist lediglich, dass diese angebotene (vertragswidrige) Tätigkeit zumutbar gewesen wäre. Für die Kennzeichnung einer zumutbaren Arbeit sind alle Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Dabei kann sich – so das BAG – die Unzumutbarkeit der Arbeit unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben. Sie könne ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit und den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Auch vertragsrechtliche Umstände seien zu berücksichtigen. Insbesondere bei Änderungskündigungen, schlussendlich aber auch bei Beendigungskündigungen bietet dieses Verständnis der in §§ 615 S. 2 BGB, 11 S. 1 Nr. 2 KSchG getroffenen Regelungen durchaus relevante Möglichkeiten einer Beseitigung bzw. Einschränkung des Annahmeverzugs77. Denn dem Arbeitgeber ist es zwar nicht möglich, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine vertragswidrige Tätigkeit einseitig zuzuweisen. Der Arbeitnehmer ist umgekehrt nicht verpflichtet, eine solche Arbeit anzunehmen. Dies gilt auch nach Ablauf der Kündigungsfrist, wenn zu einem späteren Zeitpunkt durch das ArbG festgestellt wird, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Denn auch in diesem Fall besteht das arbeitgeberseitige Direktionsrecht nur im Rahmen der arbeitsvertraglich festgelegten Tätigkeit. Die fehlende Pflicht zur Übernahme einer derart (vertragswidrig) angebotenen Tätigkeit bleibt aber nicht bedeutungslos. Wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom objektiven Betrachter ausgehend angenommen werden muss, dass dem Arbeitnehmer eine solche Tätigkeit nach Art, Ort, Zeit und sonstigen Rahmenbedingungen zumutbar war, wird das Entgelt, dass er mit dieser Arbeit verdient hätte, auf den Entgeltanspruch während des an sich bestehenden Annahmeverzugs angerechnet. Folgerichtig kann eine zumutbare Tätigkeit, die dem Arbeitnehmer noch vor Ablauf der Kündigungsfrist angeboten wird, ihn wirtschaftlich so unter Druck setzen, dass er zur Vermeidung einer entsprechenden Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB diese Tätigkeit (freiwillig) annimmt. Entsprechendes gilt nach Ablauf der Kündigungsfrist, so dass arbeitgeberseits bei der Gefahr eines Annahmeverzugs angesichts einer langen Prozessdauer ernsthaft auch über anderweitige – vertragswidrige – Tätigkeiten nachgedacht werden sollte, die dem Arbeitnehmer sodann angeboten werden. (Ga)
77 BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 251/10, DB 2012, 238 Rz. 16.
138
F.
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
1.
Anrechnung von Arbeitslosengeld auf eine Karenzentschädigung wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots
Nach § 74 c Abs. 1 S. 1 HGB muss sich der Handlungsgehilfe auf die fällige Karenzentschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Was als Erwerb durch anderweitige Verwertung der Arbeitskraft zu qualifizieren ist, war bereits Gegenstand verschiedener Entscheidungen des BAG1. Darunter versteht das BAG2 zunächst alle Erlöse, die der Arbeitnehmer durch die Erbringung von Arbeitsleistungen im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsvertrages erzielt. Des Weiteren wird als Erwerb aber auch das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit angesehen3. Davon sind auch Erträge betroffen, die der Selbständige als Anbieter auf dem Markt durch Verkäufe von Waren oder durch Dienstleistungen erzielt. Da § 74 c Abs. 1 S. 1 HGB nicht auf die unmittelbare Herkunft der Zahlungen, sondern auf die Verwertung der Arbeitskraft abstellt, werden alle Einkünfte erfasst, die aufgrund eines persönlichen Arbeitseinsatzes des Arbeitnehmers durch die Beendigung des vorhergehenden Arbeitsverhältnisses ermöglicht worden sind. Damit soll vermieden werden, dass der Arbeitnehmer übersichert wird und eine Karenzentschädigung erhält, obwohl er durch das Wettbewerbsverbot gar keine beruflichen Nachteile erleidet4. Ob der Bezug von Arbeitslosengeld auf der Verwertung der Arbeitskraft basiert und daher auf den Anspruch auf Karenzentschädigung angerechnet
1 2 3 4
BAG v. 14.9.2011 – 10 AZR 198/10, NZA-RR 2012, 98; BAG v. 16.11.2005 - 10 AZR 152/05, NJW 2006, 3227. BAG v. 16.11.2005 - 10 AZR 152/05, NJW 2006, 3227 Rz. 14 ff.; BAG v. 7.11.1989 - 3 AZR 796/87, NZA 1990, 397 Rz. 15 ff. BAG v. 16.11.2005 - 10 AZR 152/05, NJW 2006, 3227 Rz. 19; BAG v. 13.11.1975 - 3 AZR 38/75, DB 1976, 439 Rz. 21 ff.. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 11/07, DB 2008, 1558 Rz. 5.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
werden kann, hat den 10. Senat des BAG5 in der Entscheidung vom 14.9.2011 beschäftigt. Der vom BAG entschiedene Fall betraf einen Außendienstmitarbeiter, der ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot einzuhalten hatte. Er erhielt Arbeitslosengeld, das der Arbeitgeber fiktiv um die Lohnsteuer und den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung erhöhte und dadurch zu einer Überschreitung der 110 % – Grenze um 219,77 € gelangte, die auf die Karenzentschädigung anrechnete. Das BAG, das die Frage der Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung bislang unentschieden gelassen hat6, hielt es zunächst vom Grundsatz her für zweifelhaft, ob nach der Aufhebung des früheren § 148 SGB III7, wonach der Arbeitgeber verpflichtet war, der Bundesanstalt vierteljährlich 30 % des Arbeitslosengeldes zu erstatten, und in diesem Umfange eine Anrechnung auf die Entschädigung für die Wettbewerbsbeschränkung vornehmen durfte, eine Regelungslücke entstanden ist, die nunmehr durch eine volle Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung ausgefüllt werden müsste. Da das Arbeitslosengeld nicht auf der Verwertung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers beruht, vielmehr einen Lohnersatz darstellt, der von der Solidargemeinschaft der Versicherten und der Wirtschaft als Sozialleistung aufgebracht wird, müsste der Gesetzgeber – wie dies früher im SGB III geregelt war – die Anrechnung auf die Karenzentschädigung besonders vorsehen. Das BAG konnte das Anrechnungsproblem des Arbeitslosengeldes auf die Karenzentschädigung weiterhin offen lassen, weil im Streitfall die Einkünfte des Klägers aus der Karenzentschädigung und dem ausgezahlten Arbeitslosengeld die Anrechnungsgrenze des § 74 c Abs. 1 S. 1 HGB von 110 % nicht überschritten hatte und damit eine Anrechnung entfiel. Der Arbeitgeber hatte nämlich zu Unrecht nicht den tatsächlichen Auszahlungsbetrag des Arbeitslosengeldes, sondern einen fiktiv ermittelten Bruttobetrag zur Anrechnung gebracht. Sobald es um Einkünfte aus anderweitiger Arbeit oder böswillig unterlassene Einkünfte geht, sind diese zwar mit dem Bruttoarbeitsentgelt zu berücksichtigen. Dies gilt indes nicht für das Arbeitslosengeld, das steuerfrei (§ 3 Nr. 2 EStG) gewährt wird und die Sozialversicherungsbeiträge von der Bundesagentur für Arbeit allein getragen werden
5 6 7
10 AZR 198/10, NZA – RR 2012, 98. BAG v. 16.11.2005 - 10 AZR 152/05, NJW 2006, 3227 Rz. 20.; BAG v. 23.11.2004 - 9 AZR 595/03, NZA 2005, 411 Rz. 40. Ersatzlos aufgehoben zum 1.1.2004 durch das 3. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2003 BGBl I 2003, 2848.
140
Beseitigung der Folgen von „BBG-Sprüngen“ in der betrieblichen Altersversorgung
(§ 251 Abs. 4 a SGB V, § 170 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SGB VI, § 59 Abs. 1 SGB XI). Wenn auch das BAG einer Entscheidung der Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung ausgewichen ist, lässt sich doch aus den Urteilsgründen die Tendenz entnehmen, die durch Wegfall der Anrechnung im SGB III entstandene Lücke nicht durch eine richterliche Ergänzung ausfüllen zu wollen, sondern die Behandlung dieser Frage allein dem Gesetzgeber zu überlassen. (Boe)
2.
Beseitigung der Folgen von „BBG-Sprüngen“ in der betrieblichen Altersversorgung
Zahlreiche Versorgungsordnungen enthalten eine „gespaltene Rentenformel“. Danach sind für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung höhere Leistungen vorgesehen als für den Teil bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Die „gespaltene Rentenformel“ soll dem höheren Versorgungsbedarf des Betriebsrentners Rechnung tragen, der dadurch entsteht, dass die Einkommensteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht mit Beiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung belegt sind, die entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung begründen. Für das Jahr 2003 gab es auf der Grundlage des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) eine außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. § 3 Abs. 1 Ziff. 1 der nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2003) vom 17.12.20028 hatte die BBG in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für das Jahr 2003 zunächst auf 55.200,- € jährlich und 4.600,- € monatlich festgesetzt. Anschließend wurde durch Art. 2 Nr. 4 des BSSichG vom 23.12.20029 § 275 c in das SGB VI eingefügt. Diese Vorschrift trat zum 1.1.2003 in Kraft und legte die BBG in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für das Jahr 2003 auf 61.200,- € jährlich und 5.100,- € monatlich fest. Zudem wurden durch § 275 c Abs. 3 SGB VI die ungerundeten Ausgangswerte für die Bestimmung der BBG des Jahres 2004 festgelegt. Dies hatte und hat immer noch zur Folge, dass sich die einmalige stärkere Erhöhung der BBG des Jahres 2003 im Ergebnis auch für die folgenden Jahre erhöhend bei der Fort8 9
BGBl I 2002, 4561. BGBl I 2002, 4637.
141
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
schreibung der BBG durch Verordnungen gemäß § 160 SGB VI auswirkte und auswirkt. In einer Grundsatzentscheidung vom 21.4.2009 hat der 3. Senat des BAG10 Versorgungsordnungen mit einer gespaltenen Rentenformel für planwidrig unvollständig geworden angesehen und im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung entsprechend dem ursprünglichen Regelungsplan ergänzt. Danach berechnet sich die Betriebsrente ohne Berücksichtigung der außerplanmäßigen Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze. Von dieser Rente ist jedoch der Betrag in Abzug zu bringen, um den sich die gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat. Dieser Rechtsprechung des BAG ist das Hessische LAG11 entgegengetreten. Die außerordentliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zwinge nicht zu einer ergänzenden Vertragsauslegung. Vielmehr handele es sich um einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage, bei der eine Anpassung nur im Falle der Unzumutbarkeit der Folgen beansprucht werden könne. Der Rechtsstreit ist zwischenzeitlich beim BAG12 anhängig. Die Korrektur des „BBG-Sprungs“ in der betrieblichen Altersversorgung war auch Gegenstand einer Entscheidung des 3. Senats des BAG vom 17.1.201213. Das BAG nahm diese Entscheidung nicht zum Anlass, sein Urteil vom 21.4.2009 zu bestätigen, weil wegen der Besonderheiten der Versorgungszusage kein Rückgriff auf diese Entscheidung erforderlich wurde. Im Streitfall entsprach nämlich der Grenzbetrag der Versorgungsordnung nicht der gesetzlichen Beitragsbemessungsgrenze, weil sich der Arbeitgeber vorbehalten hatte, den Betrag jährlich zu überprüfen und nur an die Lebenshaltungskosten und die Entwicklung der Arbeitseinkommen anzuknüpfen. Dabei dienten sowohl die Teuerungsrate als auch die Entwicklung der Beitragsbemessungsgrenze als Berechnungsgrößen. Da zahlreiche Versorgungsordnungen eine gespaltene Rentenformel enthalten, ist eine baldige Klärung der unterschiedlich beurteilten Handhabung bei der Berechnung der Betriebsrente durch das BAG wünschenswert, zumal sich das LAG Niedersachsen in einer neueren Entscheidung vom
10 3 AZR 695/08, NZA 2010, 572 Rz. 22 ff.; So auch LAG Niedersachsen v. 20.3.2012 3 Sa 384/11 n. v. (Rz. 39 ff.); LAG Baden-Württemberg v. 30.9.2011 -17 Sa 14/11 n. v. (Rz. 55); a. A. LAG Baden-Württemberg v. 25.11.2011 - 18 Sa 75/11 n. v. (Rz. 55); einschr. LAG Niedersachsen v. 8.12.2009 - 11 Sa 1783/07 n. v. (Rz. 35 ff.); abl. Diller, NZA 2012, 22; Böhm/Ulbrich, BB 2010, 1341. 11 v. 22.6.2011 – 8 Sa 1832/10, BetrAV 2011, 667. 12 3 AZR 803/11 n. v. 13 3 AZR 135/10 n. v.
142
Anspruch auf Neuberechnung bei Streit über Höhe einer Betriebsrentenanwartschaft?
20.3.201214 dafür ausgesprochen hat, die außerordentliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 275 c SGB VI im Jahr 2003 bei einer Versorgungszusage mit gespaltener Rentenformel auch dann im Sinne der Entscheidung des BAG vom 21.4.2009 durch ergänzende Vertragsauslegung zu handhaben, wenn in der Versorgungszusage nicht ausdrücklich das Ziel genannt ist, einen erhöhten Versorgungsbedarf für den oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Teil des Entgelts abzudecken. (Boe)
3.
Anspruch auf Neuberechnung bei Streit über Höhe einer Betriebsrentenanwartschaft?
Nach § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei einem berechtigten Interesse auf dessen Verlangen schriftlich mitzuteilen, in welcher Höhe aus der bisher erworbenen unverfallbaren Anwartschaft bei Erreichen der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze ein Anspruch auf Altersversorgung besteht. Insoweit hat der Gesetzgeber zum 1.1.200515 die davor in § 2 Abs. 6 BetrAVG normierte Regelung fortgeschrieben, die nur dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch gewährte, während die Neuregelung auch den noch im aktiven Arbeitsverhältnis befindlichen Arbeitnehmer einbezieht. Wie das BAG16 bereits bei früherer Gelegenheit entschieden hat, handelt es sich bei der Auskunft nach § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG weder um ein abstraktes noch um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Sie hat die Qualität einer Wissenserklärung, die dem Arbeitnehmer Klarheit über die Höhe der zu erwartenden Betriebsrente verschaffen soll. Entsprechend diesem Zweck muss sie so ausgestaltet sein, dass der ausgeschiedene Arbeitnehmer eine Kontrollmöglichkeit hat. Dies erfordert eine genaue Bezeichnung der Bemessungsgrundlagen und der Rechenwege, die für den Arbeitnehmer nachvollziehbar eine Überprüfung der Berechnung zulassen17. Die Auskunftspflicht trägt dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers Rechnung, schon vor dem Erreichen der Altersgrenze zu erfahren, ob er eine unverfallbare Anwartschaft erworben hat und wie hoch die Leistungen aufgrund die-
14 3 Sa 384/11 B n. v. 15 Eingeführt durch Art. 8 Nr. 6 AltEinKG v. 5.7.2004; BGBl I 2004, 1427 mit Wirkung v. 1.1.2005. 16 BAG v. 9.12.1997 - 3 AZR 695/96, NZA 1998, 1171 Rz. 26; BAG v. 12.3.1991 - 3 AZR 86/90, ZIP 1991, 1446 Rz. 27. 17 BAG v. 9.12.1997 - 3 AZR 695/96, NZA 1998, 1171 Rz. 26.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
ser Anwartschaft sein würden18. Angesichts der rechtlichen Bedeutung der Auskunft bleibt der Arbeitgeber berechtigt und verpflichtet, die Betriebsrenten im Versorgungsfall nach den maßgeblichen Versorgungsbestimmungen korrekt zu berechnen19. Wird dem Arbeitnehmer schuldhaft eine unrichtige Auskunft über die Höhe der Versorgungsanwartschaft erteilt, so kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen, wenn sich der Arbeitnehmer im Vertrauen darauf bei der Planung seiner Altersversorgung verlassen hat20. Da es sich bei der Auskunft um eine Wissenserklärung handelt, hilft es dem Arbeitnehmer wenig, wenn er bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechnungsgrundlagen oder Höhe der vom Arbeitgeber ermittelten Betriebsrentenanwartschaft eine erneute nur auf eine Wissenserklärung gerichtete Auskunftsklage erhöbe. Derartige Meinungsverschiedenheiten kann der Arbeitnehmer vor Eintritt des Versorgungsfalles nur durch eine Klage auf Feststellung des Inhalts und der Höhe der Versorgungsanwartschaft bereinigen21. In einer Entscheidung vom 23.8.2011 war der 3. Senat des BAG22 mit dem Problem befasst, ob dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Neuberechnung seiner Betriebsrentenanwartschaft gegen den Versorgungsschuldner mit dem Ziel zusteht, damit Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Versorgungsanspruchs auszuräumen. Der Klägerin waren im Wege der Entgeltumwandlung Versorgungszusagen vom Arbeitgeber erteilt worden, die u. a. über Direktversicherungen abgewickelt wurden. Mit der vom Arbeitgeber bei ihrem Ausscheiden nach § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG erteilten Auskunft war die Klägerin nicht einverstanden. Sie verlangte wegen der ihrer Auffassung nach unzulässigen Verwendung gezillmerter Tarife eine Änderung der ihr erteilten Auskünfte über den Umfang der ihr künftig zustehenden Versorgungsansprüche. Das BAG hat – wie bereits die Vorinstanzen – die Klage abgewiesen und erneut bekräftigt, dass es sich bei der Auskunft nach § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG lediglich um eine Wissenserklärung handelt, die dem Arbeitnehmer Klarheit über die Höhe der zu erwartenden Betriebsrente verschaffen soll. Abermals weist das BAG darauf hin, dass der Arbeitgeber nicht an den Inhalt der Auskunft gebunden ist und so lange von den seiner Ansicht nach
18 So bereits Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung v. 22.11.1974 BTDrucks. VII/2843, 7. 19 BAG v. 9.12.1997 - 3 AZR 695/96, NZA 1998, 1171 Rz. 27. 20 BAG v. 8.11.1983 - 3 AZR 511/81, DB 1984, 836 Rz. 35. 21 So bereits überzeugend BAG v. 9.12.1997 - 3 AZR 695/96, NZA 1998, 1171 Rz. 27. 22 3 AZR 669/09, NZA-RR 2012, 268 f.
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Ermittlung des Kaufkraftverlusts bei Renteneintrittszeiten vor dem 1.1.2003
geltenden Berechnungsgrundlagen ausgehen darf, bis die Geltung anderweitiger Bestimmungen mangels Einigung der Parteien rechtskräftig festgestellt worden ist. Angesichts dessen lässt sich aus § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG kein erneuter Anspruch auf eine korrigierte Auskunft herleiten. Es bleibt dabei, dass der Arbeitnehmer vor Eintritt des Versorgungsfalls im Wege einer Feststellungsklage die Berechtigung der Berechnung des Arbeitgebers überprüfen lassen kann. Das BAG lehnt es zusätzlich ab, eine entsprechende Auskunftserteilung aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) herzuleiten. Eine derartige Pflichtenstellung verbietet sich bereits deswegen, weil § 4 a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG als spezifische Vorschrift einen daneben bestehenden allgemeinen Auskunftsanspruch ausschließt. Dieser Gesichtspunkt wird vom BAG vernachlässigt und unentschieden gelassen, jedoch betont, dass Treu und Glauben keine Verpflichtung des Arbeitgebers begründen können, vor einer endgültigen Klärung der zutreffenden Berechnungsgrundlagen eine unter Umständen komplizierte Neuberechnung der Versorgungsanwartschaft vornehmen zu müssen, die wiederum keine Bindungswirkung erzeugt. (Boe)
4.
Betriebsrentenanpassung: Ermittlung des Kaufkraftverlusts bei Renteneintrittszeiten vor dem 1.1.2003
Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dieser Dreijahresturnus zwingt aber nicht zu starren, individuellen Prüfungsterminen. Vielmehr ist, wie das BAG mit Urteil vom 11.10.201123 noch einmal bestätigt, die Bündelung aller in einem Unternehmen anfallenden Prüfungstermine zu einem einheitlichen Jahrestermin zulässig. Allerdings darf sich durch den gemeinsamen Anpassungsstichtag die erste Anpassung um höchstens sechs Monate verzögern. In der Folgezeit muss der Dreijahreszeitraum eingehalten werden24.
23 3 AZR 527/09, DB 2012, 809 Rz. 18. 24 BAG v. 11.10.2011 – 3 AZR 527/09, DB 2010, 809 Rz. 18; BAG v. 26.10.2010 – 3 AZR 502/08, BB 2011, 700 Rz. 23; BAG v. 30.8.2005 – 3 AZR 395/04, DB 2006, 732 Rz. 19.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Die Besonderheit des dem Urteil vom 11.10.201125 zugrunde liegenden Sachverhalts lag nun darin, dass der Versorgungsfall des Klägers bereits vor dem 1.1.2003 eingetreten war. Denn damit konnte der Kaufkraftverlust, der für die Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG maßgeblich ist, nicht mehr allein mit Hilfe des Verbraucherpreisindex für Deutschland festgestellt werden. Vielmehr war für die Erfüllung der Anpassungsprüfungspflicht für den Zeitraum, der vor dem 1.1.2003 lag, auf den Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten für Arbeiter und Angestellte mit mittleren Einkommen abzustellen (§ 30 c Abs. 4 BetrAVG). Bei seiner Berechnung des daraus folgenden Kaufkraftverlustes hat das BAG zunächst einmal deutlich gemacht, dass jeweils der Index für die Anpassungsentscheidung maßgeblich ist, der zum maßgeblichen Anpassungszeitpunkt durch das Statistische Bundesamt veröffentlicht wurde26. Aus Gründen der Rechtssicherheit verzichtet das BAG insoweit auf eine genauere Festlegung des Kaufkraftverlustes, wie sie auf der tatrichterlicher Entscheidungsebene durch eine Anknüpfung an den zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Index möglich wäre. Ergänzend hierzu stellt der 3. Senat des BAG in seinem Urteil vom 11.10.201127 klar, wie der Kaufkraftverlust unter Einbeziehung der zwei verschiedenen Indizes zu berechnen ist. Dabei lehnt es das BAG ab, eine durch das Statistische Bundesamt selbst anerkannte und veröffentlichte Umrechnungsformel zu verwenden. Vielmehr bietet es sich aus Sicht des BAG an, die sogenannte „Rückrechnungsmethode“ zur Feststellung des Anpassungsbedarfs vom Rentenbeginn bis zum aktuellen Anpassungsstichtag zu ermitteln. Danach wird die Teuerungsrate zwar aus den seit 2003 maßgeblichen Indizes berechnet. Auch für die Zeit vor dem 1.1.2003 wird also schlussendlich auf den Verbraucherpreisindex für Deutschland abgestellt. Für die Zeiträume, die vor dem 1.1.2003 liegen, rechnet das BAG allerdings den Verbraucherpreisindex für Deutschland in dem Verhältnis um, in dem sich dieser Index und der Preisindex für die Lebenshaltung von VierPersonen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen im Dezember 2002 gegenüberstanden. Dieser „Umrechnungskurs“ ist also generell maßgeblich, wenn der Verbraucherpreisindex für den Zeitpunkt des Beginns der Rentenzahlung festgestellt werden soll.
25 3 AZR 527/09, DB 2012, 809 Rz. 21 ff. 26 BAG v. 11.10.2011 – 3 AZR 527/09, DB 2012, 809 Rz. 24; BAG v. 28.6.2011 – 3 AZR 859/09, NZA 2011, 1285 Rz. 28 f. 27 3 AZR 527/09, DB 2012, 809 Rz. 25 ff.
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Bedeutung eines Unterrichtungsschreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG
Hiervon ausgehend muss in einem ersten Rechenschritt der Verbraucherpreisindex für Deutschland, Stand Dezember 2002, ins Verhältnis zum Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen, ebenfalls Stand Dezember 2002, gesetzt werden. Daraus folgt ein Verhältnis von 1 : 0,94203. Denn der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen belief sich im Dezember 2002 auf 110,4. Der Verbraucherpreisindex für Deutschland betrug im Dezember 2002 (Basis: 2000) 104,0. In einem zweiten Rechenschritt ist sodann der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen für den Monat vor Rentenbeginn zu ermitteln und mit dem im ersten Rechenschritt errechneten Faktor zu multiplizieren. Im vorliegenden Fall ergab sich daraus ein Preisindex für den Monat vor Rentenbeginn (1.10.1998) von 98,07. Denn der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen für September 1998 in Höhe von 104,1 war mit dem Faktor 0,94203 zu multiplizieren, was einen Wert in Höhe von 98,07 zur Folge hatte. In einem dritten Rechenschritt war dieser Wert sodann ins Verhältnis zu setzen zum Verbraucherpreisindex für den Monat vor dem Anpassungsstichtag. Da es sich hier um Werte handelte, die jeweils an den Verbraucherpreisindex für Deutschland angelehnt waren, musste eine weitergehende Umrechnung nicht mehr erfolgen. Vielmehr ergab sich in dem hier in Rede stehenden Fall eine prozentuale Steigerung von 13,29 %. Ausgangspunkt dabei war der Preisindex vom Rentenbeginn (98,07) und sein Verhältnis zum Preisindex im Monat vor der Anpassungsentscheidung (111,1). Unter Anrechnung zwischenzeitlich vorgenommener Anhebungen musste die Betriebsrente also um diesen Prozentsatz erhöht werden, sofern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens in den drei Jahren im Anschluss an die Anpassungsentscheidung die damit verbundene Belastung rechtfertigte. (Ga)
5.
Betriebsrentenanpassung: Bedeutung eines Unterrichtungsschreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG
Wenn laufende Leistungen auch unter Berücksichtigung der Anpassungsprüfungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrAVG nicht oder nicht in vollem Umfang anzupassen sind (zu Recht unterbliebene Anpassung), ist der Arbeitgeber gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 BetrAVG nicht verpflichtet, die Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. In der betrieblichen Praxis bleibt vielfach 147
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
unbeachtet, dass diese Rechtsfolge auch bei einer unberechtigt unterbliebenen Anpassung eintreten kann. Denn § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG bestimmt, dass eine Anpassung als zu Recht unterblieben gilt, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich dargelegt, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen wurde. In seinem Urteil vom 11.10.201128 hat der 3. Senat des BAG zwar offen gelassen, ob die gesetzliche Fiktion nur in den Fällen der sogenannten nachholenden Anpassung oder auch bei der nachträglichen Anpassung oder – wofür vieles spreche – bei jeder Anpassungsprüfung zu beachten sei. In jedem Fall setze der Eintritt der in § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG geregelten Rechtsfolge voraus, dass in dem Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers eine ausreichende Darlegung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens erfolgt sei. Nach den Feststellungen des BAG tritt die Fiktion der zu Recht unterbliebenen Anpassung deshalb nur ein, wenn sich der schriftlichen Information des Arbeitgebers entnehmen lasse, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen sei, dass das Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein werde, die Anpassungen zu leisten. Die Darstellung der wirtschaftlichen Lage im Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers müsse so detailliert sein, dass der Versorgungsempfänger allein durch diese Unterrichtung in die Lage versetzt werde, die Entscheidung des Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen29. In seinen weiterführenden Feststellungen geht das BAG davon aus, dass aus der Verpflichtung zur Darstellung der wirtschaftlichen Lage die Notwendigkeit folge, zur voraussichtlichen Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung Stellung zu nehmen. Schließlich rechtfertige gerade die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers eine Anpassung der Betriebsrente nicht, wenn es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht möglich werde, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen30.
28 3 AZR 732/09, NZA 2012, 337 Rz. 26. 29 BAG v. 11.20.2011 – 3 AZR 732/09, NZA 2012, 337 Rz. 27 ff. 30 Eingehend BAG v. 10.2.2009 – 3 AZR 727/07, NZA 2010, 95 Rz. 13; BAG v. 31.7.2007 – 3 AZR 810/05, DB 2008, 135 Rz. 20.
148
Bedeutung eines Unterrichtungsschreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG
Aus dem Wort „darlegen“ folge weitergehend, dass die Erläuterung so detailliert erfolgen müsse, dass ein Versorgungsempfänger nachvollziehen könne, weshalb die Anpassung seiner Betriebsrente unterblieben sei31. Aus diesen Überlegungen resultiere zwar, dass an den Inhalt des Schreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG keine zu hohen Anforderungen gestellt werden müssten, insbesondere bedürfte es keiner so detaillierten Darlegung der wirtschaftlichen Lage, wie sie zu der gerichtlichen Überprüfung einer Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG notwendig sei. Auch sei - so das BAG – nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die Bilanzen insgesamt oder sogar darüber hinausgehende Erläuterungen derselben zur Verfügung stelle. Die Information müsse jedoch so beschaffen sein, dass der Versorgungsempfänger allein auf ihrer Grundlage in die Lage versetzt werde, die Entscheidung des Arbeitgebers nachzuvollziehen. Nur soweit der Versorgungsempfänger die Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage selbst (ggf. auch unter Hinzuziehung eines sachverständigen Dritten) verstehen könne, solle die gesetzliche Fiktion eintreten. Um dem Versorgungsempfänger dies zu ermöglichen, müssten die mitgeteilten Daten so aussagekräftig sein, dass der Versorgungsempfänger die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers auf Plausibilität überprüfen könne. Ausgehend davon hält es der 3. Senat des BAG in seinem Urteil vom 11.10.201132 für erforderlich, dass der Arbeitgeber im Unterrichtungsschreiben die sich aus den Bilanzen der letzten drei Jahre ergebenden Daten zum Eigenkapital und zur Berechnung der Eigenkapitalverzinsung für jedes zur Prognoseerstellung angezogene Jahr angeben müsse. Dies bedeute, dass der Arbeitgeber für die seiner Prognose zugrunde gelegten Jahre das jeweils durchschnittliche Eigenkapital und dessen Verzinsung – jedenfalls für die hier interessierende Zeit vor Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes – auf der Basis der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse mitteile. Stütze der Arbeitgeber die fehlende Anpassungsmöglichkeit auf eine seiner Auffassung nach zu erwartende zu geringe Eigenkapitalverzinsung so müsse er außerdem die seiner Prognose zur wirtschaftlichen Belastbarkeit zugrunde liegenden Überlegungen im Unterrichtungsschreiben offen legen. Der Versorgungsempfänger muss also erkennen können, wie sich die Prognose des Arbeitgebers für die kommenden drei Jahre aus den vorgelegten Zahlen der Vergangenheit rechtfertigt. Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat es das BAG abgelehnt, dass in dem Unterrichtungsschreiben nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG allein der 31 BAG v. 11.10.2011 – 3 AZR 732/09, NZA 2012, 337 Rz. 31. 32 3 AZR 732/09, NZA 2012, 337 Rz. 33 ff.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Durchschnitt der Eigenkapitalverzinsung der vergangenen Jahre genannt wird. Denn aus dem bloßen Durchschnitt heraus könne der Arbeitnehmer nicht erkennen, ob und inwieweit sich daraus eine bestimmte Entwicklung ergebe, die auch für die Zukunft relevant sei. Hinzu komme, dass die bloße Wiedergabe des Berechnungsergebnisses nicht erkennen ließ, auf welcher Datengrundlage der Arbeitgeber zu diesem Ergebnis seiner Berechnungen gelangt war. Für die betriebliche Praxis haben diese erstmaligen Klarstellungen des BAG zum Inhalt eines Unterrichtungsschreibens nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG erhebliche Bedeutung. Denn das Ausnutzen einer entsprechenden Privilegierung kann, sofern die Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang ordnungsgemäß informiert wurden, nicht nur einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Berechtigung zur unterlassenen Anpassung entgegenwirken, wenn dem Unterrichtungsschreiben nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist widersprochen wird. Die damit berechtigterweise unterbliebene Anpassung hat auch zur Folge, dass der in diesen drei Jahren eingetretene Kaufkraftverlust auch bei künftigen Anpassungsentscheidungen keine Berücksichtigung mehr findet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man – offenbar in Übereinstimmung mit den angedeuteten Überlegungen des BAG – berechtigterweise sowohl die nachholende als auch die nachträgliche Anpassung als Konsequenz der gesetzlichen Fiktion für ausgeschlossen hält. (Ga)
6.
Gestaltungsspielraum bei der Zeugniserstellung
Nach § 109 Abs. 1 GewO hat der Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. Erhebliche Bedeutung für die weitere Verwendung des Zeugnisses hat allerdings der Umstand, dass dieses nicht nur klar und verständlich formuliert sein muss. Ausdrücklich legt § 109 Abs. 2 S. 2 GewO fest, dass das Zeugnis keine Merkmale oder Formulierungen enthalten darf, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.
150
Gestaltungsspielraum bei der Zeugniserstellung
Wie das BAG in seinem Urteil vom 15.11.201133 zutreffend klarstellt, bleibt die Formulierung und Ausdrucksweise bei der Erstellung eines Zeugnisses trotz dieser Vorgaben zunächst einmal im pflichtgemäßen Ermessen des Arbeitgebers. Auch wenn natürlich auf einen wohlwollenden und verständigen Arbeitgeber abgestellt werden muss, hat dieser insoweit einen Beurteilungsspielraum. Dies gelte insbesondere für die Formulierung von Werturteilen, die sich nicht bis in die Einzelheiten regeln und vorschreiben lassen. Solange das Zeugnis allgemein verständlich sei und nichts Falsches enthalte, könne der Arbeitnehmer daher keine abweichende Formulierung verlangen. Eine inhaltlich fehlerhafte Formulierung des Zeugnisses liegt allerdings nicht nur dann vor, wenn das Zeugnis mit unklaren Formulierungen versehen wird, durch die der Arbeitnehmer anders beurteilt werden soll, als dies aus dem Zeugniswortlaut ersichtlich ist. „Falsch“ sei – so das BAG – ein Zeugnis auch dann, wenn es eine Ausdrucksweise enthalte, der entnommen werden müsse, der Arbeitgeber distanziere sich vom buchstäblichen Wortlaut seiner Erklärungen und der Arbeitnehmer werde in Wahrheit anders beurteilt, nämlich ungünstiger als im Zeugnis bescheinigt. Weder Wortlaut noch Auslassungen dürften dazu führen, beim Leser des Zeugnisses der Wahrheit nicht entsprechende Vorstellungen entstehen zu lassen. Entscheidend dabei sei nicht, welche Vorstellungen der Zeugnisverfasser mit seiner Wortwahl verbinde. Maßgeblich sei allein der objektive Empfängerhorizont des Zeugnislesers. Dieser schließe es allerdings auch aus, auf eine vereinzelt geäußerte Rechtsauffassung abzustellen, selbst wenn diese in sogenannten „Übersetzungslisten“ zu Geheimcodes im Internet oder in der Literatur wiedergegeben würden34. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Feststellungen hat das BAG folgende Formulierung als eine gute Bescheinigung der Arbeitsleistung und des Verhaltens eines Arbeitnehmers gebilligt: Wir haben Herrn K als sehr interessierten und hochmotivierten Mitarbeiter kennengelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbereitschaft zeigte. Herr K war jederzeit bereit, sich über die normale Arbeitszeit hinaus für die Belange des Unternehmens einzusetzen. Er erledigte seine Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit.
Der Kläger hatte unter Bezugnahme auf eine im Internet enthaltene Veröffentlichung geltend gemacht, dass diese Feststellung eigentlich sage, dass er zwar immer da, aber nicht brauchbar gewesen sei.
33 9 AZR 386/10, DB 2012, 636 Rz. 11. 34 BAG v. 15.11.2011 – 9 AZR 386/10, DB 2012, 636 Rz. 15, 19.
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Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
Völlig zu Recht hat das BAG diesen Einwand zurückgewiesen. Wenn in einem Zeugnis zum Ausdruck gebracht werde, dass der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer „kennengelernt“ habe, werde lediglich festgestellt, dass die Beschreibung auf einem eigenen Eindruck beruhe. Dass die Worte „kennengelernt“ stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeiten zum Ausdruck bringen sollen, sei weder dem Wortlaut noch dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen. Vielmehr sei schlicht darauf abzustellen, welche Einschätzung der Arbeitgeber im Anschluss an diese Ausdrucksweise in Bezug auf den Kläger erkennbar mache. (Ga)
7.
Herausgabeanspruch des Arbeitgebers bei Geschäftsunterlagen
Mit seinem Urteil vom 14.12.201135 hat das BAG bestätigt, dass der Arbeitgeber aus § 667 BGB heraus einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer hat, alles, was dieser zur Ausführung der ihm übertragenen Arbeit erhalten und aus dem Arbeitsverhältnis erlangt hat, herauszugeben. Hierzu gehören nicht nur Unterlagen, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bzw. dessen Repräsentanten zur Verfügung gestellt worden sind. Vielmehr werden auch solche Geschäftsunterlagen einbezogen, die der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses, beispielsweise durch einen Schriftverkehr mit Dritten, erlangt hat. Weitergehend sind aus der Geschäftstätigkeit im Sinne des § 667 BGB auch die Akten, sonstige Unterlagen und Dateien erlangt, die ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit selbst angelegt hat. Ausgenommen hiervon sind lediglich private Aufzeichnungen, die keinen Bezug zum Geschäftsbetrieb haben36. Hiervon ausgehend hat das BAG den Herausgabeanspruch eines Arbeitgebers im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anerkannt. Dem stand auch nicht entgegen, dass der Beklagte diese Unterlagen verwendet hatte, um eine – erfolglose – Anzeige bei der Staatsanwaltschaft bzw. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorzunehmen. Zwar durften dem Arbeitnehmer – so das BAG – aus rechtsstaatlichen Gründen keine zivil- oder arbeitsrechtlichen Nachteile entstehen, wenn er – jedenfalls soweit er keine wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Angaben mache – staatsbürgerliche Rechte im Rahmen eines straf-
35 10 AZR 283/10, NZA 2012, 1098 Rz. 16 ff. 36 BAG v. 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 1098 Rz. 20; BGH v. 11.3.2004 – IX ZR 178/03, DB 2004, 1665 Rz. 5.
152
Herausgabeanspruch des Arbeitgebers bei Geschäftsunterlagen
oder behördlichen Ermittlungsverfahrens wahrnehme37. Auch wenn die insoweit sogar verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Whistleblowers Schutz- und Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers begründen könnten, folge daraus aber kein Recht des Arbeitnehmers, die für eine solche Anzeige behaltenen Geschäftsunterlagen nicht an den Arbeitgeber herauszugeben. Denn spätestens mit der Vornahme einer solchen Anzeige habe sich der Verwendungszweck erledigt. Eines Zurückbehaltungsrechts, auch zur eigenen Verteidigung, bedürfe es nicht. Ggf. müsse sich der Arbeitnehmer in einem solchen Fall Akteneinsicht verschaffen38. Wichtig allerdings ist, dass bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags dafür Sorge getragen wird, dass ein entsprechender Herausgabeanspruch nicht durch eine Ausgleichsklausel ausgeschlossen wird. Dies war in dem der Entscheidung des BAG am 14.12.201139 zugrunde liegenden Fall umstritten. Denn dort hatten die Parteien zum Abschluss ihres Aufhebungsvertrags folgende Regelung getroffen: Mit der Erfüllung dieses Vertrages sind alle wechselseitigen Ansprüche der vertragsschließenden Parteien aus dem Dienstverhältnis gegenseitig abgegolten.
Erst auf der Grundlage einer eingehenden Auslegung dieser Klausel, die mehrere Seiten der Urteilsgründe in Anspruch nahm, konnte der 10. Senat des BAG die Annahme rechtfertigen, dass diese Klausel dem Herausgabeanspruch nicht entgegenstand. Dies gilt umso mehr, als der Befriedungszweck einer Ausgleichsklausel in der Regel zur Folge hat, dass im Zweifel etwaige Ansprüche der Parteien erfasst werden. Vorliegend hat das BAG eine solche Einbeziehung indes vor allem mit der Begründung abgelehnt, dass die Parteien ausdrücklich noch eine Erfüllung des Vertrages vorgesehen hatten. Hierzu gehöre, wie auch die Herausgabe weiterer Gegenstände anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkennbar machte, nach dem übereinstimmenden - und ungeschriebenen – Verständnis der Parteien auch die Herausgabe der dem Arbeitnehmer überlassenen Gegenstände. Hinzu kam, dass mit dem Begriff „abgegolten“ im Zweifel nur finanzielle Ansprüche gemeint waren. Zwingend ist dieses Verständnis der Ausgleichsklausel indes nicht. Für die Praxis bedeutet dies, dass auf der Grundlage einer Checkliste im Zweifel vor 37 BAG v. 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 1098 Rz. 23; EGMR v. 21.7.2011 - 28274/08, NZA 2011, 1269 Rz. 34 f. – Heinisch; BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 Rz. 7 ff. 38 BAG v. 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 1098 Rz. 22. 39 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 1098 Rz. 28 ff.
153
Rechte und Pflichten nach Beendigung des Arbeitsvertrags
der Einbeziehung solcher Klauseln geprüft werden sollte, ob wirklich eine umfassende Einbeziehung der wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung gewollt ist. Ggf. müssen gesonderte Regelungen zu einzelnen Ansprüchen getroffen werden. (Ga)
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G. Tarifrecht 1.
Unterlassungsverfügung bei Streik
Zwei Entscheidungen des ArbG Frankfurt am Main machen erneut deutlich, dass der Durchführung von Streiks trotz der zunächst einmal schrankenlosen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit Grenzen gesetzt sind1. Diese können sich insbesondere aus der Friedenspflicht als Folge bestehender Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien ergeben. Denkbar ist auch, dass die Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaft den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachten und deshalb eingestellt werden müssen.
a)
Rechtswidrigkeit des Streiks wegen Missachtung der Friedenspflicht
In dem Beschluss vom 29.2.20122 wehrten sich die Fraport AG und die Deutsche Lufthansa AG gegen einen Streik, den die GDF in den Abteilungen Vorfeldkontrolle, Vorfeldaufsicht und Verkehrszentrale in der Zeit vom 26.2.2012 bis zum 1.3.2012 angekündigt hatte. Mit dem Streik sollte die Durchsetzung einer Schlichtungsempfehlung bewirkt werden. Infolge des Streiks kam es zu Flugausfällen, von denen sowohl der Flughafen selbst als auch die Fluggesellschaft betroffen waren. Beide beantragten deshalb, der Gewerkschaft aufzugeben, den Streik insgesamt, hilfsweise aber in antragsgemäß vorgegebenem Umfang zu unterlassen. Er greife in unverhältnismäßiger Weise in ihre eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebe ein. Außerdem verstieße der Streik gegen die bestehende Friedenspflicht, weil einzelne Streikziele in einem noch bestehenden und für beide Parteien geltenden Tarifvertrag geregelt waren. Mit überzeugender Begründung hat das ArbG Frankfurt am Main dem Antrag stattgegeben und es der GDF untersagt, im streitgegenständlichen Zeitraum aus den vorgenannten Zielen einen Arbeitskampf durchzuführen. Nach Auffassung des ArbG Frankfurt am Main ergab sich der Verfügungsanspruch aus einer Verletzung der Friedenspflicht gegenüber der Verfügungsklägerin zu 1 (Fraport AG) sowie aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB, da die streitgegenständliche Streikmaßnahme eben wegen dieses Verstoßes ge1 2
ArbG Frankfurt am Main v. 29.2.2012 – 9 Ga 24/12 n. v. und v. 28.2.2012 – 9 Ga 25/12 n. v. 9 Ga 24/12 n. v.
155
Tarifrecht
gen die Friedenspflicht rechtswidrig war und in die Rechtsgüter auch der Verfügungsträgerin zu 2 (Deutsche Lufthansa AG) namentlich in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eingriff. Dabei ließ es das ArbG Frankfurt am Main in Übereinstimmung mit dem LAG Hessen im Urteil vom 22.7.20043 ausreichen, dass eine „einfache“ Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahme erkennbar war. Entgegen der von einem Teil der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung hat es das ArbG Frankfurt am Main nicht für erforderlich gehalten, dass die Rechtswidrigkeit der Arbeitskampfmaßnahmen eindeutig bzw. offenkundig gewesen war. Die weitere Begründung der Entscheidung macht deutlich, dass die von einem Arbeitskampf betroffenen Arbeitgeber sehr sorgfältig die zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Tarifverträge prüfen müssen. Ziel dieser Prüfung muss es sein, solche Regelungen festzustellen, die ihrem Zweck nach Ziele verfolgen, die identisch den Gegenständen sind, deren tarifvertragliche Regelung durch den Streik durchgesetzt werden soll. Denn wenn die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Sachmaterie erkennbar geregelt haben, ist davon auszugehen, dass sie diesen Bereich der Friedenspflicht unterwerfen und für die Laufzeit des Tarifvertrags die kampfweise Durchsetzung weiterer Regelungen unterbinden wollen, die in einem sachlich inneren Zusammenhang mit dem befriedeten Bereich stehen4. Dabei spielt es keine Rolle, ob der gleiche Zweck auch mit einer anderen Regelung erreicht werden könnte Dies gilt umso mehr, wenn – was hier der Fall war – die geltenden Tarifverträge bereits in ihrem Wortlaut den Willen der Parteien erkennen lassen, dass die Regelungen für „die genannten Zeiträume“ abschließend sein sollten. Konkret hat das ArbG Frankfurt am Main eine Verletzung der Friedenspflicht darin gesehen, dass die GDF durch den Streik zur Entlastung älterer Mitarbeiter einen tariflichen Anspruch auf einen Wechsel aus der Wechselschicht in den Schichtdienst durchsetzen wollte. Auf diese Weise sollte den Belastungen der Mitarbeiter durch die Arbeit im Bereich der Vorfeldtätigkeit Rechnung getragen werden. Da der bestehende Tarifvertrag allerdings mit dem gleichen Zweck einen Anspruch auf Regenerationskuren begründete, lag für diesen Bereich bereits eine abschließende und zum Zeitpunkt der Arbeitskampfmaßnahme noch bestehende Regelung vor. Darüber hinaus war Gegenstand des Arbeitskampfes eine Verdienstsicherung, die für den Fall greifen sollte, dass Mitarbeiter aus gesundheitlichen 3 4
9 SaGa 593/04, NZA-RR 2005, 262 Rz. 15 ff. So ArbG Frankfurt am Main v. 29.2.2012 – 9 Ga 24/12 n. v.; Jacobs, ZTR 2001, 249; Wiedemann/Wiedemann, TVG § 1 Rz. 682.
156
Unterlassungsverfügung bei Streik
Gründen nicht mehr auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz eingesetzt werden konnten. Auch eine solche Regelung war bereits im bestehenden Tarifvertrag enthalten, auch wenn sie dort – anders als aktuell angestrebt – an die Dauer der Betriebszugehörigkeit geknüpft war. Dass der Bundesvorsitzende der GDF im Termin zur mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte, dass er an diesen Tarifforderungen mit Blick auf den streitgegenständlichen Arbeitskampf nicht mehr festhalten wolle, konnte die Rechtswidrigkeit des Streiks nicht beseitigen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Streikmaßnahmen schon begonnen. Denn zu Recht ist das ArbG Frankfurt am Main insoweit von einer einheitlichen Maßnahme ausgegangen, die sich nicht in einen rechtmäßigen und einen rechtswidrigen Streikteil aufteilen lassen kann. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die entsprechende Begrenzung der Streikziele noch vor Aufnahme des Arbeitskampfes erklärt wird.
b)
Rechtswidrigkeit des Streiks wegen fehlender Verhältnismäßigkeit
Bereits am 28.2.20125 hatte das ArbG Frankfurt am Main der GDF untersagt, die im Tower des Frankfurter Flughafens beschäftigten Fluglotsen zu einem Streik aufzurufen. Dieser Streik sollte nicht dazu dienen, dass Arbeitsbedingungen dieser Mitarbeiter verändert würden. Vielmehr war dieser Aufruf darauf gerichtet, als Unterstützungsstreik den Arbeitskampf der Fluglotsen zu fördern, die im Bodenverkehrsdienst eingesetzt waren. Folgt man den Feststellungen des BAG im Urteil vom 19.6.20076, kann ein Unterstützungsstreik zwar grundsätzlich zulässig sein. Entgegen diesseits vertretener Auffassung liegt darin auch keine Missachtung der Friedenspflicht, weil – so das BAG – die streikenden Arbeitnehmer mit der Arbeitskampfmaßnahme keine Änderung der für sie geltenden Tarifverträge durchsetzen wollen. Vielmehr erkennen sie diese Tarifbindung und die daraus folgende Friedenspflicht an. Vor diesem Hintergrund soll es nach Auffassung des BAG grundsätzlich zulässig sein, durch den mit dem Unterstützungsstreik verbundenen Druck einen anderen Hauptarbeitskampf und die Durchsetzung der dort von der gleichen oder einer anderen Gewerkschaft erhobenen Forderungen zu fördern. Auch und insbesondere für den Unterstützungsstreik gilt allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn dieser Streik trifft unmittelbar ei5 6
9 Ga 25/12 n. v. 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 Rz. 29 ff.
157
Tarifrecht
nen Arbeitgeber, der – was die streikenden Arbeitnehmer betrifft – an sich durch die relative Friedenspflicht des Tarifvertrags geschützt wird. Vor diesem Hintergrund hatte bereits das BAG in der vorstehend genannten Entscheidung ausgeführt, dass der Unterstützungsstreik in seinen Auswirkungen und seiner Bedeutung hinter den Auswirkungen und der Bedeutung des Hauptstreiks zurückbleiben muss. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Insofern genügt es nicht nur, dass die Dauer des Streiks und die Zahl der in den Streik einbezogenen Arbeitnehmer hinter den entsprechenden Daten des Hauptarbeitskampfes zurückbleiben. Auch die Auswirkungen, also der mit dem Streik bewirkte Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, müssen hinter den Auswirkungen des Hauptstreiks zurückbleiben. Diese Voraussetzungen hat das ArbG Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 28.2.20127 nicht als gegeben gesehen. Zwar sei der Unterstützungsstreik der Fluglotsen im Tower auf „lediglich“ sechs Stunden begrenzt worden. Allerdings war als Folge dieses Streiks mit etwa 500 Flugausfällen zu rechnen, wohingegen ein Streik der Fluglotsen, die im Vorfeld eingesetzt waren, in der Vergangenheit im Durchschnitt „lediglich“ zu 183 Ausfällen geführt hatte. Während es dem Flughafen deshalb trotz dieses Streiks der auf dem Vorfeld eingesetzten Fluglosten möglich war, einen Großteil der Flüge aufrecht zu erhalten, führte der streitgegenständliche Unterstützungsstreik zu einem zeitweisen Stillstand des Flugverkehrs. Hinzu kam für das ArbG Frankfurt am Main, dass es für den Flughafen nicht möglich war, innerhalb der Ankündigungszeit Ersatzarbeitskräfte zu beschaffen. Da auch zwischen dem Flughafen und der Deutschen Gesellschaft für Flugsicherung keine ersichtlich wirtschaftliche Verflochtenheit bestand und sich die Deutsche Gesellschaft für Flugsicherung bis zu diesem Zeitpunkt tarifneutral verhalten hatte, waren die angekündigten Maßnahmen der GDF unverhältnismäßig. Auch dieser Bewertung ist zuzustimmen. Sie macht allerdings deutlich, dass mit Erfolg die fehlende Verhältnismäßigkeit eines Arbeitskampfes nur dann im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens dargelegt und ggf. bewiesen werden kann, wenn substantiiert zu den tatsächlichen und wirtschaftlichen Folgen entsprechender Maßnahmen in Bezug auf den konkret in Rede stehenden Betrieb vorgetragen und der Vortrag ggf. glaubhaft gemacht werden kann. (Ga)
7
9 Ga 25/12 n. v.
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Arbeitskampf: Suspendierende Betriebsstilllegung statt Abwehraussperrung
2.
Arbeitskampf: Suspendierende Betriebsstilllegung statt Abwehraussperrung
Bereits an anderer Stelle hatten wir die Frage behandelt, wie sich der Arbeitgeber bei der Ankündigung eines Streiks wehren kann. Dabei ging es vor allem um die Frage, unter welchen Voraussetzung der Arbeitgeber die Unterlassung rechtswidriger Streikmaßnahmen durchsetzen kann8. Im Regelfall dürften die von einer Gewerkschaft initiierten Streikmaßnahmen indes rechtmäßig sein. Neben operativen Maßnahmen zur Abwehr der mit einem Streik verbundenen Beeinträchtigungen, die auch mit einer Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats verknüpft sind9, stellt sich für die hiervon betroffenen Unternehmen aber dennoch die Frage, wie etwaige Entgeltfortzahlungsrisiken in Bezug auf solche Mitarbeiter, die ihrerseits nicht an Streikmaßnahmen beteiligt sind, gemildert werden können. Im Hinblick darauf enthält das Urteil des BAG vom 13.12.201110 wichtige Feststellungen, deren Umsetzbarkeit mit Blick auf die Besonderheiten der jeweils betroffenen Betriebe geprüft werden muss. Denn das BAG erlaubt mit dieser Entscheidung eine suspendierende Betriebsstilllegung, die den Wegfall der Entgeltfortzahlungsansprüche sämtlicher hiervon betroffener Arbeitnehmer zur Folge hat, ohne dass diese Maßnahme an den Maßstäben einer Abwehraussperrung zu messen ist. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatten die Gewerkschaften ver.di und GDL die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer im Zeitraum vom 27.2.2009 4:00 Uhr bis zum 28.2.2009 4:00 Uhr zu einem Warnstreik aufgerufen. Als Reaktion auf den Streikaufruf beschloss der Vorstand der Beklagten, in diesem Zeitraum den U-Bahn-, Bus- und Straßenbahnverkehr mit eigenen Fahrzeugen vollständig einzustellen. Die Buslinien der Beklagten wurden am 27.2.2009 im Rahmen eines Ersatzverkehrs teilweise von privaten Busunternehmen bedient. Die Beklagte informierte die Öffentlichkeit über die Einschränkungen ihres Bus- und Schienenverkehrs durch eine Presseinformation am 24.2.2009. Die Führungskräfte wurden über den am 27.2.2009 geplanten Warnstreik und die vom Vorstand getroffenen betrieblichen Maßnahmen durch eine E-Mail in Kenntnis gesetzt, die in den Organisationseinheiten durch Aushang bekannt gegeben wurde. Darüber hinaus informierte die Beklagte teilweise die Busfahrer telefonisch darüber, dass am 27.2.2009 kein Busverkehr stattfand. 8 Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 155 ff. 9 Vgl. BAG v. 13.12.2011 – 1 ABR 2/10 n. v. 10 1 AZR 495/10 n. v.
159
Tarifrecht
Der Kläger, der an diesem Tag arbeitsunfähig war, wurde von der Beklagten über die Einstellung des Busverkehrs nicht unterrichtet. Er machte deshalb geltend, dass diese Maßnahme für ihn keine Bedeutung habe, also weiterhin Geldfortzahlungsansprüche wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegeben waren. Mit überzeugender Begründung hat der 1. Senat des BAG die Klage abgewiesen. Zwar gilt für den Bereich des Arbeitskampfes eine differenzierte Verteilung des Betriebsrisikos. Können Arbeitnehmer – so das BAG – während eines Arbeitskampfes nicht beschäftigt werden, beurteilt sich die Vergütungspflicht des Arbeitgebers insofern nach den Grundsätzen der arbeitskampfrechtlichen Parität. Störungen des Betriebsablaufs, die auf Streiks oder Aussperrungen beruhten und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar machten, führten dazu, dass jede Seite das auf sie entfallende Kampfrisiko zu tragen habe. Die vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmer verlören unter diesen Voraussetzungen für die Dauer der arbeitskampfbedingten Störung ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche11. Diese grundsätzliche Risikoverteilung gelte indes nicht nur beim Auftreten von Betriebsstörungen aufgrund der Fernwirkung in einem am unmittelbaren Kampfgeschehen nicht beteiligten Betrieb, sondern auch bei einer Betriebsstörung, die auf einem Arbeitskampf im selben Betrieb beruhe. Andernfalls hätte der unmittelbar kampfbetroffene Arbeitgeber nicht nur das Risiko der arbeitskampfbedingten Betriebsstörung durch den gegen ihn gerichteten Streik, sondern zusätzlich das Risiko der Lohnfortzahlung an die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer zu tragen, die infolge der Streikauswirkungen nicht beschäftigt werden könnten. Eine solche Risikoverteilung der gewerkschaftlichen Kampfmaßnahme würde das Kräfteverhältnis der Kampf führenden Parteien stören12. Nach Auffassung des BAG ist der Arbeitgeber allerdings nicht verpflichtet, die Folgen einer gegen ihn gerichteten streikbedingten Arbeitsniederlegung widerstandslos hinzunehmen. Er könne vielmehr versuchen, durch betriebsorganisatorische Gegenmaßnahmen die Folgen streikbedingter Betriebsstörungen zu begrenzen. Dass in solchen Fällen die Nichtbeschäftigung der Arbeitnehmer des bestreikten Betriebs durch Gegenmaßnahmen des Arbeitge-
11 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 495/10 n. v. (Rz. 14); BAG v. 12.11.1996 – 1 AZR 364/96, NZA 1997, 578 Rz. 22. 12 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 495/10 n. v. (Rz. 14); BAG v. 14.12.1993 – 1 AZR 550/93, NZA 1994, 331 Rz. 23.
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Arbeitskampf: Suspendierende Betriebsstilllegung statt Abwehraussperrung
bers mitverursacht werde, stehe einer Anwendung der Grundsätze des Arbeitskampfrisikos nicht entgegen13. Zu den Gegenmaßnahmen des Arbeitnehmers gehöre – so das BAG im Urteil vom 13.10.201114 – auch die Befugnis, die vom Streik betroffene betriebliche Einheit für die Dauer des Streiks ganz oder – soweit eine organisatorisch abgrenzbare betriebliche Einheit betroffen ist – teilweise stillzulegen. Dies gelte auch, wenn deren Aufrechterhaltung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. Eine suspendierende Betriebsstilllegung habe zur Folge, dass auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlören. Zudem werden vom Streikaufruf erfasste, aber arbeitswillige Außenseiter in die Risikogemeinschaft der Arbeitnehmer im Streikgeschehen einbezogen15. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer entsprechenden Maßnahme des Arbeitgebers ist allerdings nicht nur, dass sie innerhalb des Rahmens erfolgt, der durch den Streikaufruf in gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht gesetzt wird. Es dürfen also nur die Bereiche einbezogen werden, innerhalb derer die Gewerkschaft einen Streik geplant hat. Darüber hinaus darf die vorübergehende Betriebsstilllegung nicht dadurch kompensiert werden, dass die Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers während des Arbeitskampfes von ihm selbst oder einem vom ihm beauftragten Dritten ausgeführt wird. Solche fortgeführten Aufgaben sind nur dann unschädlich, wenn es sich um Erhaltungs- oder Notstandsarbeiten handelt16. Darüber hinaus verlangt die Stilllegung des Betriebs oder einer organisatorisch abgrenzbaren Betriebseinheit aus Gründen der Rechtsklarheit eine darauf gerichtete Erklärung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer. Es genügt nicht, dass allein die Beschäftigung eingestellt wird. Die Erklärung ist an die betroffenen Arbeitnehmer zu richten, deren Arbeitsverhältnisse durch die Maßnahme suspendiert werden. Sie muss – so das BAG – in einer Form erfolgen, die nach dem gewöhnlichen Verlauf erwarten lässt, dass die vom Stilllegungsentschluss erfassten Arbeitnehmer von ihr Kenntnis erlangen. Dafür sei es ausreichend, wenn die Bekanntgabe in einer im Betrieb üblichen Kommunikationsform erfolge. Der Arbeitgeber könne davon ausgehen, dass sich seine Stilllegungsabsicht unter den Arbeitnehmern des Betriebs herumspreche. Die Wirksamkeit der vorübergehenden Stilllegung sei nicht 13 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 495/10 n. v. (Rz. 15); BAG 11.7.1995 – 1 AZR 161/95, NZA 1996, 209 Rz. 31 ff. 14 1 AZR 495/10 n. v. (Rz. 16 ff.). 15 Vgl. BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NZA 2009, 1347 Rz. 60; BAG v. 27.6.1995 - 1 AZR 1016/94, NZA 1996, 212 Rz. 30. 16 BAG v. 13.12.2011 – 1 AZR 495/10 n. v. (Rz. 16, 20).
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Tarifrecht
von einer individuellen Unterrichtung aller betriebsangehörigen Arbeitnehmer abhängig. Eine solche Informationspflicht würde die Eignung der vorübergehenden Betriebsstilllegung als Kampfmittel in Frage stellen. Hiervon ausgehend hat das BAG eine wirksame Stilllegung des Betriebs mit der Folge angenommen, dass mangels eines Entgeltanspruchs für den Fall einer tatsächlichen Beschäftigung auch kein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit bestanden hat. Zwar blieb unklar, ob die Beauftragung der privaten Busunternehmen der Annahme einer suspendierenden Betriebsstilllegung entgegenstand. Denn auch unter Berücksichtigung dieses Umstands sei die Beklagte – so das BAG – nicht in Annahmeverzug geraten. Zum einen habe sich die vom Vorstand der Beklagten beschlossene Teilbetriebsstilllegung in den Grenzen des gewerkschaftlichen Streikaufrufs gehalten. Das Arbeitsverhältnis des Klägers, der bei der Beklagten als Omnibusfahrer im Bereich „Fahrdienst“ beschäftigt war, war auch von der vorübergehenden Stilllegung des Bus- und Schienenverkehrs erfasst. Denn ohne krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hätte er am 27.2.2009 zwischen 5:04 Uhr und 13:16 Uhr einen Bus führen müssen. Nach Auffassung des 1. Senats des BAG hatte die Beklagte die suspendierende Betriebsstilllegung auch ausreichend bekannt gegeben. Damit waren die Hauptpflichten aus den Arbeitsverhältnissen suspendiert worden, die den betroffenen Bereichen zugeordnet waren. Anders als bei einer Betriebsfortführung sei der Arbeitgeber bei einer suspendierenden Stilllegung nicht verpflichtet, die Arbeitnehmer anderweitig einzusetzen. Seine Gegenmaßnahme sei gerade darauf gerichtet, durch Stilllegung des gesamten Betriebs oder einzelner Betriebsbereiche die Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche der Außenseiter durch deren Einbeziehung in den Arbeitskampf zu beseitigen, um auf diese Weise die Kampf führende Gewerkschaft unter Druck zu setzen. Dieses Arbeitskampfziel würde unterlaufen, wenn der Arbeitgeber die von der Stilllegung betroffenen Arbeitnehmer in anderen Unternehmensbereichen einsetzen müsste, um ihnen den Vergütungsanspruch zu erhalten. Der Entscheidung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Sie ist natürlich nur dort umsetzbar, wo die Unternehmen auch unter Berücksichtigung ihrer Verpflichtungen gegenüber Kunden tatsächlich eine entsprechende Betriebsoder Betriebsteilstilllegung vornehmen können. (Ga)
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Fehlende Tariffähigkeit der CGZP
3.
Fehlende Tariffähigkeit der CGZP
Bereits mit Beschluss vom 9.1.201217 hat das LAG Berlin-Brandenburg in Übereinstimmung mit den vorangehenden Feststellungen des BAG im Beschluss vom 14.12.201018, über den wir bereits eingehend berichtet hatten19, festgestellt, dass die die CGZP auch in der Zeit vor dem 8.10.2009 (hier: 29.11.2004, 19.6.2006 und 9.7.2008) nicht tariffähig war und zu diesem Zeitpunkt keine Tarifverträge abschließen konnte. In der Begründung seiner Entscheidung hat es zunächst einmal darauf verwiesen, dass die CGZP keine Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG gewesen sei, weil sich ihre Mitgliedsgewerkschaften nicht im Umfang ihrer Tariffähigkeit zusammengeschlossen hätten. Außerdem gehe der in der Satzung der CGZP festgelegte Organisationsbereich für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung über den Bereich ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinaus. Damit habe die CGZP auch außerhalb einer möglicherweise delegierbaren Tarifzuständigkeit gehandelt. Da diese Begründung für die fehlende Tariffähigkeit der CGZP bereits rechtskräftig durch das BAG mit Beschluss vom 14.12.201020 getroffen worden war, überrascht es nicht, dass das BAG durch Beschluss vom 22.5.201221 die gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat. Schon mit dieser Entscheidung stand rechtskräftig fest, dass die CGZP im zeitlichen Geltungsbereich der Satzungen vom 11.12.2002 und 5.12.2005 keine wirksamen Tarifverträge zur Vermeidung des Equal-Treatment-Gebots abschließen konnte. In zwei weiteren Entscheidungen vom 23.5.201222 hat der 1. Senat des BAG nunmehr entschieden, dass durch den Beschluss vom 14.12.2010 und die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 9.1.2012 die fehlende Tariffähigkeit der CGZP seit ihrer Gründung rechtskräftig festgestellt sei. Jedenfalls bis zum 31.12.2010 haben die Tarifverträge der christlichen Gewerkschaft deshalb nicht die Qualität, die für eine Abweichung vom EqualTreatment-Gebot erfüllt sein müssen. Etwaige Klagen, die vor Arbeits- und Sozialgerichten anhängig sind, können damit ohne die erneute Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 97 ArbGG fortgeführt werden. 17 18 19 20 21 22
24 TaBV 1285/11, DB 2012, 693 ff. 1 ABR 19/10, NZA 2011, 289 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 179 ff., 497 ff. 1 ABR 19/10, NZA 2011, 289 ff. 1 ABN 27/12 n. v. 1 AZB 58/11 n. v. und 1 AZB 67/11 n. v.
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Tarifrecht
Die derzeit erst vorliegende Pressemitteilung lässt nicht erkennen, ob das BAG in den vorstehend genannten Entscheidungen eine Feststellung zu der Frage getroffen hat, ob Arbeitgeber, die mit ihren Leiharbeitnehmern die Anwendung der CGZP-Tarifverträge vereinbart hatten, auf die Wirksamkeit dieser Tarifverträge in der Vergangenheit vertrauen durften. Eine solche Frage sei Gegenstand etwaiger Rechtsstreitigkeiten, die durch Arbeitnehmer gegen entsprechende Zeitarbeitsunternehmen wegen einer Missachtung des als Folge der unwirksamen Tarifverträge geltenden Equal-Treatment-Gebots erhoben werden. Dass insoweit Vertrauensschutz geltend gemacht werden kann, ist allerdings unwahrscheinlich23. In jedem Fall wird dieser Vertrauensschutz durch die Sozialversicherungsträger in der Praxis nicht gewährt, soweit derzeit entsprechende Nachforderungen eintreiben. Hier ist allerdings weiter die Frage offen, ob und ggf. in welchem Umfang die betroffenen Arbeitgeber auf die Verjährung entsprechender Beitragsnachforderungen berufen können24. Unklar ist auch, ob die Entstehung entsprechender Beitragsforderungen an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die hiervon betroffenen Arbeitnehmer überhaupt dahingehende Zahlungsansprüche geltend machen. Wir hatten darüber eingehend bereits im vergangenen Jahr berichtet25. (Ga)
4.
Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln
a)
Gleichstellungsabrede: Unbefristetes Privileg für Altverträge
In der Vergangenheit ist das BAG davon ausgegangen, dass die in einem Arbeitsvertrag vereinbarte Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, an den der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kraft Gesetzes gebunden war, im Zweifel als sogenannte Gleichstellungsabrede zu verstehen war. Auch wenn dem Wortlaut nach auf den jeweils gültigen Tarifvertrag verwiesen
23 Vgl. LSG Hessen v. 23.4.2012 – L KR 95/12 B ER n. v. (Rz. 27 f.); LSG NRW v. 10.5.2012 – L 8R 164/12 B ER n. v. (Rz. 37 ff.); lässt die Frage offen: LSG SchleswigHolstein v. 20.4.2012 – L KR 9/12 B ER n. v. Die Verjährung nicht einmal aussprechend: SG Frankfurt a. M. v. 19.1.2012 – S 18 KR 812/11 ER n. v. und S 18 KR 813/11 ER n. v. 24 Verjährung bejahend: SG Frankfurt a. M. v. 26.4.2012 – S 18 KR 159/12 ER n. v.; LSG Hessen v. 23.3.2012 – L 1 KR 95/12 B ER n. v. (Rz. 29). Verjährung bezweifelnd: LSG NRW v. 10.5.2012 – L 8R 164/12 B ER n. v. (Rz. 42). 25 B. Gaul, AktuellAR 2011, 179 ff., 497 ff.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln
wurde, sei deshalb entsprechend §§ 133, 157 BGB davon auszugehen, dass der Arbeitgeber nur dann und soweit eine Bindung an den jeweils gültigen Tarifvertrag bewirken wollte, als er selbst (noch) kraft Gesetzes an diesen Tarifvertrag gebunden war. Damit war eine Veränderung dieses Tarifvertrags für das Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung, wenn die gesetzliche Tarifbindung des Arbeitgebers zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war. Hier blieb es bei dem zuletzt – zum Zeitpunkt der noch bestehenden, gesetzlichen Tarifbindung – gültigen Tarifvertrag. Diese Rechtsprechung hat das BAG zwar mit seinen Entscheidungen vom 18.4.200726 mit Wirkung für Arbeitsverträge aufgegeben, die nach dem 31.12.2001 abgeschlossen worden sind. Denn am 1.1.2002 hat die Schuldrechtsmodernisierung zu dem Inkrafttreten der AGB-Kontrolle auch im Bereich des Arbeitsrechts geführt. Damit gilt auch § 305 c Abs. 2 BGB. Danach ist bei Zweifeln in Bezug auf die Bedeutung der in einem formularmäßigen Arbeitsvertrag enthaltenen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag grundsätzlich die für den Vertragspartner des Verwenders, also den Arbeitnehmer, günstigere Rechtsfolge als vereinbart anzunehmen. In der Regel hat dies zur Folge, dass bei Zweifeln hinsichtlich der Bedeutung einer dem Wortlaut nach dynamischen Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag die geänderten Regelungen eines neuen Tarifvertrags auch dann zur Anwendung kommen, wenn die gesetzliche Tarifbindung des Arbeitgebers zu diesem Zeitpunkt bereits beendet wurde. Das damit verbundene Privileg für die sogenannten Altverträge gilt – wie das BAG mit Urteil vom 14.12.201127 ausgeführt hat – zeitlich ohne Begrenzung. Es findet damit auch heute noch Anwendung, wenn der jeweils in Rede stehende Arbeitsvertrag noch vor dem 1.1.2002 abgeschlossen worden ist. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien 1992 einen formularmäßigen Arbeitsvertrag unterzeichnet, in dem die Vergütung nach einer bestimmten Tarifgruppe des damals geltenden Tarifvertrags für den Einzelhandel Brandenburg vereinbart worden war. Im Übrigen sollte sich das Arbeitsverhältnis „nach den jeweils geltenden Tarifverträgen der in Frage kommenden Sparte“ richten. Nachdem die Arbeitgeberin 1997 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war, weigerte sie sich im März 2008, die zu diesem Zeitpunkt in Kraft tre-
26 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965 Rz. 38 ff. und 4 AZR 653/05, DB 2007, 2598 Rz. 28 ff. 27 4 AZR 79/10 n. v. (Rz. 29).
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Tarifrecht
tende Tariflohnerhöhung umzusetzen. Sie machte geltend, dass die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag als Gleichstellungsabrede auszulegen sei. Demzufolge sei sie mit dem Wirksamwerden des Austritts aus dem Arbeitgeberverband nicht mehr verpflichtet, eine erst im Anschluss daran in Kraft tretende Änderung des in Bezug genommenen Tarifvertrags umzusetzen. Dieser Bewertung hat der 4. Senat des BAG zugestimmt und die auf Zahlung der Vergütungsdifferenz gerichtete Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung nahm die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel hinreichend klar auf den zu jener Zeit geltenden Tarifvertrag für den Einzelhandel Brandenburg Bezug. Ausgehend davon, dass der Arbeitgeber zu dieser Zeit auch kraft Gesetzes an den Tarifvertrag gebunden war, war darin auf der Grundlage der früheren BAG-Rechtsprechung eine Gleichstellungsabrede zu sehen. Diese hatte zur Folge, dass entgegen dem Wortlaut der arbeitsvertraglichen Zusage mit dem Wegfall dieser Tarifbindung keine Verpflichtung mehr bestand, etwaige Tariflohnerhöhungen umzusetzen.
b)
Altvertrag: Wegfall der Privilegierung bei Änderungsvereinbarung
Das vorstehend geschilderte Privileg eines Altvertrags kann allerdings dann in Wegfall geraten, wenn nach dem 31.12.2001 zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Änderung des Arbeitsvertrags vereinbart wird, die auch zu einer Bestätigung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den Tarifvertrag führt. Entsprechend seinen Feststellungen im Urteil vom 24.2.201028 hat das BAG auf diese Konsequenzen einer Änderungsvereinbarung, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung abgeschlossen wird, noch einmal in den Urteilen vom 24.8.201129 und 19.10.201130 hingewiesen. In den beiden aktuellen Entscheidungen waren die Kläger 1991 bzw. 1996 angestellt worden. In den Arbeitsverträgen war sinngemäß auf den jeweils gültigen BAT und die diese ändernden, ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge in der für den Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung verwiesen worden. In dem der Entscheidung vom 19.10.201131 zugrunde liegenden Fall hatten die Parteien sogar ergänzend festgeschrieben, dass die für den
28 29 30 31
4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530 Rz. 25 ff. 4 AZR 717/10 n. v. (Rz. 35 ff.). 4 AZR 811/09,.DB 2011, 2783 f. Rz. 25 ff. 4 AZR 811/09, DB 2011, 2783 Rz. 1.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln
Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge zur Anwendung kommen. In beiden Fällen endete allerdings die gesetzliche Tarifbindung, die zum Zeitpunkt der Einstellung noch bestanden hatte, im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses durch Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband bzw. durch die Übernahme des Betriebs gemäß § 613 a BGB durch einen Arbeitgeber ohne Tarifbindung. In beiden Fällen wurde dann zu einem späteren Zeitpunkt – nach dem 31.12.2001 – eine Änderung einzelner Arbeitsbedingungen vereinbart. Diese Vereinbarungen, die gerichtlich (Vergleich) bzw. außergerichtlich (Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag) vereinbart wurden, enthielten den ausdrücklichen Zusatz, dass es des Weiteren bei den bisherigen Arbeitsbedingungen bleiben sollte. Nach Auffassung des Klägers lag in der letztgenannten Feststellung eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, dass die im ursprünglichen Arbeitsvertrag enthaltene Klausel nach Maßgabe ihres Wortlauts auch in der Zukunft für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen maßgeblich sein solle. Da nach dem Wortlaut eine dynamische Bindung an den BAT bzw. die diese ändernden, ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträge vereinbart war, sollte dies zur Anwendung des TVöD in der jeweils geltenden Fassung führen. Ein solches Verständnis der vertraglichen Vereinbarungen durch die Klägerseite kam nicht überraschend. Denn noch in seinem Urteil vom 24.2.201032 hatte der 4. Senat des BAG ausgeführt, dass in einer Vereinbarung, nach der die bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses „unberührt“ bleiben, eine ausdrückliche Bestätigung der Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf die im alten Arbeitsvertrag enthaltenen Klauseln zu sehen sei. Denn mit der Klausel brächten die Parteien zum Ausdruck, dass sie an diesen Regelungen auch in der Zukunft festhalten wollten. Wenn sie diese Einigung in der Zeit seit dem 1.1.2002 getroffen hätten, würde dies aus dem Altvertrag einen Neuvertrag machen, der ohne Einschränkung in den Anwendungsbereich von § 305 c Abs. 2 BGB fiele. Schon diese Feststellungen im Rahmen eines obiter dictum waren nicht überzeugend. Denn eine Klausel, nach der sonstige Arbeitsbedingungen „unberührt“ bleiben, erklärt gerade, dass diese Regelungen „nicht angefasst“, also nicht zum Gegenstand der aktuellen vertraglichen Vereinbarung gemacht wurden. Wenn sie aber in dieser Form nicht zum Gegenstand dieser Vereinbarung werden sollten, kann darin auch keine Bestätigung ihres früheren Inhalts liegen. 32 4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530 Rz. 41 ff.
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Tarifrecht
Dass die entsprechende Interpretation solcher Klauseln in Änderungsvereinbarungen durch den 4. Senat des BAG für die Praxis kaum planbar ist, zeigt schlussendlich auch das Ergebnis der beiden aktuellen Entscheidungen vom 24.8.201133 und vom 19.10.201134. Denn hier geht der 4. Senat des BAG davon aus, dass in der Feststellung, dass es des Weiteren bei den bisherigen Arbeitsbedingungen bleiben solle, gerade keine Einigung liege, die den früheren Arbeitsvertrag zum Inhalt habe. Vielmehr hätten – so das BAG – die Parteien der Ergänzungsvereinbarung nur die Bedingungen gemeint, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Änderungsvereinbarung gegolten haben. Da zu diesem Zeitpunkt als Konsequenz der bereits bei früherer Gelegenheit entfallenen Tarifbindung infolge Arbeitgeberverbandsaustritts bzw. Betriebsübergangs und der Auslegung des früheren Altvertrags als Gleichstellungsabrede nur eine statische Bezugnahme auf den zuletzt gültigen BAT zur Anwendung kam, hätten die Parteien lediglich festgehalten, dass es bei dieser – statischen – Geltung des Tarifvertrags bleiben solle. Auch diese Auslegung erscheint keineswegs zwingend. Denn schlussendlich gehören zu den bisherigen Arbeitsbedingungen alle Regelungen der Arbeitsvertragsparteien, die seit 1991 vereinbart wurden und zum Zeitpunkt des Änderungsvertrags noch Geltung beanspruchen. Dabei ist die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel einzubeziehen, die bei einem solchen Verständnis der Einigung an sich nunmehr erneut zum Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung gemacht worden wäre. Für die Praxis bedeutet diese wenig berechenbare Auslegung durch den 4. Senat, dass an sich nur zwei Wege denkbar sind, etwaige Auslegungszweifel eines Altvertrags durch eine Vertragsänderung nicht zum Nachteil des Arbeitgebers zu beseitigen. Zum einen könnte versucht werden, die Vertragsänderung direkt mit der Vereinbarung einer Klausel zu verknüpfen, die dem tatsächlichen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien entspricht und den aktuellen Vorgaben der AGB-Kontrolle Rechnung trägt. Häufig bereitet dies allerdings schon deshalb Probleme, weil damit eine Diskussion auch über weitere Regelungen des neuen Formulararbeitsvertrags verbunden ist. Wenn dies vermieden werden soll, müsste eine andere – kürzere – Regelungsweise gewählt werden. Dabei würden ausschließlich die Punkte zum Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarung gemacht, die aktuell geändert werden sollen. Auf klarstellende Hinweise zu den sonstigen Arbeitsbedingungen müsste verzichtet werden. Allenfalls könnte festgehalten werden, dass sonstige Arbeitsbedingungen unberührt blieben, weil sie – dies 33 4 AZR 717/10 n. v. Rz. 33 ff. 34 4 AZR 811/09, DB 2011, 2783 Rz. 26 ff.
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Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln
müsste ausdrücklich aufgenommen werden – nicht Gegenstand der aktuellen Vereinbarung seien.
c)
Bezugnahmeklausel und ergänzende Vertragsauslegung
Mit seinem Urteil vom 6.7.201135 hat das BAG noch einmal deutlich gemacht, dass bei Zweifeln über den Inhalt einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nicht nur eine Auslegung der bestehenden Regelungen durchzuführen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung auch die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag erkennbar werden, der im Wortlaut der vertraglichen Regelung nicht erkennbar ist. Ausgangspunkt seiner Entscheidung war eine Auseinandersetzung über die Tarifbindung eines Arbeitsverhältnisses, das bereits 1980 eingegangen wurde. In dem damaligen Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Deutschen Bundespost hieß es u. a.: Die Bestimmungen des Tarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) und die sonstigen Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.
1990 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zusammenhang mit einer Privatisierung der Deutschen Bundespost zunächst einmal auf die Deutsche Telekom AG über. 2007 war der Kläger sodann von einem weiteren Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf eine Servicegesellschaft betroffen, die als Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG gegründet wurde und ein eigenes Tarifsystem hatte. Umstritten war nunmehr, ob der Kläger im Anschluss an diesen Betriebsübergang des Jahres 2007 an diese Tarifverträge der Tochtergesellschaft gebunden war. Das BAG hat eine solche Bindung trotz der Anerkennung einer ergänzenden Vertragsauslegung abgelehnt. Zwar hat das BAG – in Übereinstimmung mit vorangehenden Entscheidungen – zunächst einmal angenommen, dass der Kläger im Anschluss an die Privatisierung des Telekommunikationsbereichs an die für die Deutsche Telekom AG geltenden Tarifverträge gebunden war. Zwar waren diese Tarifverträge nicht Gegenstand der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel. Allerdings müsse davon ausgegangen werden, dass die Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags den Willen besessen hätten, das tarifliche Regelungswerk der Deutschen Telekom AG zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu
35 4 AZR 706/09, NZA 2012, 100 ff.
169
Tarifrecht
machen, wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Möglichkeit einer Privatisierung des Telekommunikationsbereichs erkannt hätten. Denn diese Lücke, die sich als Konsequenz der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht erkennbaren Privatisierung ergeben hatte, sei so zu schließen, wie die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien verfahren wären, wenn ihnen diese Lücke schon zum damaligen Zeitpunkt bewusst geworden wäre. Insofern müsste der konkrete Vertrag „zu Ende gedacht“ werden36. Schließlich sei der Kläger als Fernmeldehandwerker stets im Geschäftsbereich Fernmeldedienst und nachfolgend bei der Telekom AG beschäftigt worden. Wenn die Deutsche Bundespost als Folge der Privatisierung aufgelöst werde und für diesen Bereich durch die Deutsche Telekom AG ersetzt würde, sei zu erwarten, dass die Vertragsparteien angesichts der Dynamik ihrer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die für die Deutsche Telekom AG geltenden Tarifverträge Bezug genommen hätten. Diese ergänzende Vertragsauslegung hat das BAG indes nicht auf den Fall übertragen, dass unter Fortbestand des bisherigen Arbeitgebers einzelne Unternehmensbereiche auf Tochtergesellschaften ausgegliedert werden, für die eigenständige Tarifwerke gelten. Auch hier sei zwar anzuerkennen, dass die für die Tochtergesellschaft geltenden Tarifverträge im Wortlaut der Bezugnahmeklausel nicht genannt würden. Allerdings sei hier insoweit ein entscheidender Unterschied, als der bisherige Arbeitgeber im Anschluss an die Ausgliederung einzelner Unternehmensbereiche einschließlich des für den bisherigen Arbeitgeber geltenden Tarifwerks fortbestehe. Insofern fehle es auch an einer Vertragslücke, weil der in Bezug genommene Tarifvertrag – wie er im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung als der für die Deutsche Telekom AG geltende Tarifvertrag identifiziert worden war – auch nach dem Wirksamwerden der Ausgliederung fortbestand. Dass die Deutsche Telekom AG mit der Gewerkschaft ver.di Überleitungstarifverträge abgeschlossen hatte, die erkennen ließen, dass die Tarifvertragsparteien von dem Willen getragen waren, für die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nach Ablauf einer Übergangszeit neue Arbeitsbedingungen zur Anwendung zu bringen, spielte nach Auffassung des BAG keine Rolle. Denn schlussendlich könnten die Tarifvertragsparteien die in einem Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel nicht verändern. Ihr Wille sei auch für die Auslegung bzw. ergänzende Auslegung eines Arbeitsvertrags unerheblich37. 36 BAG v. 6.7.2011 – 4 AZR 706/09, NZA 2012, 100 Rz. 25 ff., 32 f. 37 BAG v. 6.7.2011 – 4 AZR 706/09, NZA 2012, 100 Rz. 42 f.
170
Aktuelle Rechtsprechung zur Bedeutung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln
Dass die hier in Rede stehende Klausel auf der Grundlage der früheren BAG-Rechtsprechung als Gleichstellungsabrede zu verstehen war, konnte eine Bezugnahme auf die für die Tochtergesellschaft geltenden Tarifverträge aus Sicht des 4. Senats ebenso wenig rechtfertigen. Denn das Verständnis als Gleichstellungsabrede beseitigt zwar die zeitliche Dynamik, falls die gesetzliche Tarifbindung entfällt. Sie bewirkt ohne weitergehende Anhaltspunkte im Arbeitsvertrag indes nicht, dass auch andere Tarifverträge, die von der Bezugnahmeklausel nicht erfasst werden, zur Anwendung kommen. Dabei spielt es nach Auffassung des BAG keine Rolle, ob diese Tarifverträge mit der gleichen oder einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen werden. Unerheblich sei auch, ob es sich insoweit um die gleiche oder eine andere Branche handelte. Dies gelte selbst dann, wenn Tarifverträge eines Konzerntochterunternehmens betroffen seien. In allen Fällen muss sich aus dem Arbeitsvertrag selbst oder ergänzenden Umständen ergeben, dass die Vertragsparteien entgegen dem Wortlaut der Regelung den Willen besessen hätten, eine große dynamische Verweisung – also die Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich bzw. betrieblich geltenden Tarifvertrag – vorzunehmen38.
d)
Bezugnahmeklausel bei Tarifsukzession
Gegenstand der Entscheidung des BAG vom 17.11.201139 war die Frage, ob eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, die den BAT bzw. BMT-G nennt, auch als Auslegung auf die Regelungen des TVöD verstanden werden kann, die zum 1.10.2005 für den Bereich der Kommunen an die Stelle des BAT bzw. BMT-G getreten sind. Unter Berücksichtigung der im konkreten Sachverhalt verwendeten Bezugnahmeklausel hat das BAG eine entsprechende Auslegung bestätigt. Denn der Arbeitgeber hatte nicht bloß auf den jeweils gültigen BAT hingewiesen. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel lautete wie folgt: Das Arbeitsverhältnis richtet sich in Anlehnung nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23.2.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Außerdem finden die für den Bereich der Firma jeweils geltenden Tarifverträge Anwendung, soweit in diesem Anstellungsvertrag in den §§ 3 und 4 nichts anderes geregelt ist.
38 BAG v. 6.7.2011 – 4 AZR 706/09, NZA 2012, 100 Rz. 45 ff., 50. 39 5 AZR 409/10 n. v. (Rz. 15 ff.).
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Tarifrecht
Nach Auffassung des BAG erfasst eine solche Klausel jedenfalls solche Tarifverträge, die im Wege der Tarifsukzession an die Stelle des BAT getreten sind. Dass in der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nur von einer „Anlehnung“ an die Vorschriften des BAT die Rede war, stand dieser Auslegung nicht entgegen. Denn darin lag – so das BAG – keine Einschränkung. Vielmehr war die vereinbarte „Anlehnung“ dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte als ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber auf ein intern von ihr praktiziertes System verwies, welches sich in seiner Struktur an den genannten Tarifverträgen ausrichtete. Diese Struktur sollte auch aus dem Blickwinkel des objektiven Empfängerhorizontes heraus bei einer Ablösung des BAT durch ein neues Tarifwerk die Grundlage für die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen bilden. Dies war auch insoweit erkennbar, als ergänzend zu der Bezugnahme auf die den BAT ersetzenden Tarifverträge auf die Anwendung der „für den Bereich der Firma jeweils geltenden Tarifverträge“ verwiesen wurde, sofern nicht in ganz konkreten Vorschriften des Arbeitsvertrags, die vorliegend nicht zur Anwendung kamen, etwas anderes geregelt ist.
e)
Kirchliche Arbeitsbedingungen: Keine Ablösung der Bezugnahme auf die AVR durch Tarifvertrag
Mit überzeugender Begründung hat das BAG in seinem Urteil vom 22.2.201240 darauf hingewiesen, dass die in einem Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder sonstige (kirchliche) Arbeitsbedingungen nicht durch einen später abgeschlossenen Tarifvertrag aufgehoben bzw. beseitigt werden kann. Vielmehr gelte für das Verhältnis zwischen der einzelvertraglichen Regelung und etwaigen Ansprüchen, die sich aus dem neu abgeschlossenen Tarifvertrag ergeben, das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG. Insofern obliege es dem Arbeitnehmer zu entscheiden, ob er Ansprüche aus dem neuen Tarifvertrag oder aber Ansprüche aus der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Kollektivvereinbarung geltend mache. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall waren die Kläger langjährig in einem Krankenhaus im nichtärztlichen Dienst beschäftigt. Sie waren Mitglieder der Gewerkschaft ver.di. Zum Zeitpunkt ihrer Einstellung fand in dem Krankenhaus indes kein Tarifvertrag Anwendung. Vielmehr war in den Arbeitsverträgen mit dem ursprünglichen Träger des Krankenhauses die Anwendbarkeit der Richtlinie für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas) in der jeweils gültigen Fassung vereinbart worden. Diese AVR waren auch im Anschluss an einen Betriebs-
40 4 AZR 24/10 n. v.
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Zeitarbeit: Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge
übergang und die Übernahme des Krankenhauses durch einen anderen Rechtsträger jahrelang weiterhin dynamisch auf die Arbeitsverhältnisse der klagenden Parteien angewendet worden. Die Geschäftsanteile dieses anderen Rechtsträgers – einer GmbH – waren 2007 durch die H-GmbH übernommen worden. Diese hatte als Konzernmutter zuvor mit der Gewerkschaft ver.di verschiedene Tarifverträge für die Unternehmen des Konzerns abgeschlossen. Diese Tarifverträge wurden im Anschluss an die Übernahme der Geschäftsanteile der KrankenhausträgerGmbH durch einen Nachtragstarifvertrag ergänzt, der für diese GmbH gelten sollte und nach dessen Maßgabe die Tarifverträge für die Unternehmen des Konzerns auch bei dieser GmbH zur Anwendung kommen sollten. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat auch das BAG einen Anspruch der Kläger auf eine dynamische Anwendung der jeweils gültigen Regelungen der AVR anerkannt. Eine solche Zusage sei in dem ursprünglichen Arbeitsvertrag enthalten. In diese Zusage sei die Krankenhausträger-GmbH als Konsequenz des Betriebsübergangs eingetreten (§ 613 a Abs. 1 S. 1 BGB). Auch ein Haustarifvertrag könne die einzelvertraglich begründete Anwendbarkeit der AVR nicht ablösen. Ein solcher Eingriff in den Arbeitsvertrag scheitere an dem Günstigkeitsprinzip, wie es auch durch § 4 Abs. 3 TVG gewährleistet wäre. Ungeachtet dessen hat das BAG eine Ablösung der einzelvertraglichen Regelungen mit der Begründung abgelehnt, dass der Nachtragstarifvertrag bei der Beklagten keine Anwendung finde. Denn dieser Nachtragstarifvertrag war nicht durch die Beklagte selbst, sondern durch die H-GmbH als Konzernmutter abgeschlossen worden. Da der Tarifvertrag nicht erkennen ließ, dass die H-GmbH insoweit als ordnungsgemäß bevollmächtigter Vertreter der Beklagten, also der Krankenhausträger-GmbH tätig war, konnte mit diesem Tarifvertrag auch keine kollektivrechtliche Grundlage für die Neugestaltung von Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Eine Bindung an diesen Tarifvertrag kraft Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband kam nicht in Betracht. (Ga)
5.
Zeitarbeit: Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge
Grundsätzlich haben Leiharbeitnehmer für die Zeit ihrer Überlassung an einen Entleiher Anspruch auf die im Betrieb dieses Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts. Soweit nicht die in einer 173
Tarifrecht
Rechtsverordnung nach § 3 a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschritten werden, kann ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen. Da eine Abweichung vom Equal-Treatment-Gebot durch Tarifvertrag beiderseitige (gesetzliche) Tarifbindung voraussetzt, die insbesondere auf Arbeitnehmerseite durch den Arbeitgeber nicht gewährleistet werden kann, wird die zulässige Gestaltung abweichender Arbeitsbedingungen in der Regel durch arbeitsvertragliche Bezugnahme hergestellt. Denn entsprechende Abweichungen vom Equal-Treatment-Gebot sind auch dann zulässig, wenn nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Ausgenommen von einer solchen Gestaltungsmöglichkeit sind lediglich solche Arbeitnehmer, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem oder einem Arbeitgeber, der mit dem Entleiher einen Konzern im Sinne des § 18 AktG bildet, ausgeschieden sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG). In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine wirksame Bezugnahme auf einen Tarifvertrag auch dann vorliegt, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag als eine mehrgliedrige Vereinbarung von Tarifvertragsparteien qualifiziert werden muss. Ein mehrgliedriger Tarifvertrag liegt dann vor, wenn – wie bei BAP (CGZP/AMP) und iGZ – im Rahmen einer einzigen Urkunde mehrere selbständige Tarifverträge unterschiedlicher Tarifvertragsparteien zusammengefasst sind. Kennzeichen solcher Tarifverträge ist, dass jeder dieser Tarifverträge losgelöst von der ursprünglichen Zusammenfassung in einer einzigen Urkunde separat durch die jeweils beteiligte Tarifvertragspartei geändert oder beendet werden kann41. In Übereinstimmung mit dem LAG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 20.9.201142 geht nunmehr Heimann43 davon aus, dass entsprechende Bezugnahmeklauseln auf die mehrgliedrigen Verbandstarifverträge der Zeitarbeit intransparent und deshalb nach §§ 307 Abs. 1 S. 2, 306 Abs. 1 BGB unwirksam seien. Konsequenz wäre, dass mit einer solchen Bezugnahme keine Abweichung vom Equal-Treatment-Gebot gerechtfertigt werden kann. In der Begründung dieser ablehnenden Bewertung wird vor allem hervorgehoben, dass der Arbeitnehmer nicht erkennen könne, welcher der innerhalb einer Urkunde zusammengefassten Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis 41 Vgl. BAG v. 8.11.2006 – 4 AZR 590/05, NZA 2007, 576 Rz. 21 ff.; Wiedemann, TVG § 1 Rz. 209 ff, § 4 Rz. 16, 27. 42 7 Sa 1318/11, DB 2012, 119 ff.; ebenso ArbG Frankfurt/Oder v. 9.6.2011 – 3 Ca 422/11, AiB 2011, 550 f.; ArbG Lübeck v. 13.3.2011 – 3 Ca 3147/10 n. v. 43 AuR 2012, 50 ff.
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Zeitarbeit: Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge
maßgeblich sei. Dies aber habe nicht nur Bedeutung für die Frage, welche Arbeitsbedingungen gelten würden, falls diese Tarifverträge im Anschluss an ihre ursprüngliche Zusammenfassung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Weise geändert würden. Bedeutung habe die fehlende Transparenz auch insoweit, als der Arbeitnehmer kaum in der Lage sei, die Wirksamkeit der in Bezug genommenen Tarifverträge zu überprüfen. Ausgehend davon, dass die Bezugnahme potenziell zur Anwendung jedes der Tarifverträge führen könne, müsste der Arbeitnehmer die Tarifzuständigkeit und Tariffähigkeit der beteiligten Gewerkschaften übergreifend in Frage stellen. Im Zweifel müsste damit auch ein Prüfverfahren gemäß § 97 Abs. 1 ArbGG gegen mehrere Tarifvertragsparteien gleichzeitig geführt werden. Dies habe zur Folge, dass der Arbeitnehmer von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten werde44. Eine „Reparatur“ der Intransparenz durch eine Begrenzung der Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags geltenden Tarifverträge löst das Problem nicht. Sie wäre zwar im Rahmen des blue-pencil-Tests durchführbar. Sie hätte aber zur Folge, dass nur noch eine statische Bezugnahme auf die zu diesem Zeitpunkt geltenden Tarifverträge vorliegt, die bei einer Änderung dieser Tarifverträge nicht mehr die Abweichung vom Equal-TreatmentGebot rechtfertigt. Mit überzeugender Begründung sind Bayreuther45 und Stoffels/Bieder46 dieser Bewertung entgegengetreten. So wird u. a. darauf hingewiesen, dass die Bezugnahmeklausel die betroffenen Arbeitnehmer sogar transparenter auf die für sie geltenden Arbeitsbedingungen verweise, als dies bei einer Anwendung der Equal-Treatment-Regelungen in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG der Fall sei. Denn bei einer Anwendung der gesetzlichen Regelungen wisse der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages gar nicht, ob und inwieweit der Einsatz bei einem anderen Arbeitgeber zu geänderten Arbeitsbedingungen führe. Im Gegensatz ermögliche die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die Tarifverträge, die durch einen bestimmten Arbeitgeberverband mit mehreren Gewerkschaften abgeschlossen wurden, die Möglichkeit, im Einzelnen die für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Bedingungen festzustellen. Ungeachtet dessen ist zu berücksichtigen, dass mit der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen mehrgliedrigen Tarifvertrag auch dem Umstand
44 LAG Berlin-Brandenburg v. 20.9.2011 – 7 Sa 1318/11, DB 2012, 119 Rz. 39; Heimann, AuR 2012, 50 ff. 45 NZA 2012, 14 ff. 46 RdA 2012, 27 ff.
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Tarifrecht
Rechnung getragen wird, dass Leiharbeitnehmer typischerweise in unterschiedlichen Branchen zum Einsatz kommen. Voraussetzung für eine wirksame Abweichung vom Equal-Treatment-Gebot ist aber, dass die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag zur Anwendung kommt, auch für die Arbeitsverhältnisse in der jeweiligen Branche zuständig ist. Ausgehend davon, dass die Gewerkschaften ihre Zuständigkeit typischerweise an den Einsatzbetrieb anknüpfen, hat dies zur Folge, dass auch der Anwendung von Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften erforderlich ist, um bei einem branchenübergreifenden Einsatz von Arbeitnehmern stetig das Equal-TreatmentGebot abzuändern und einheitliche Arbeitsbedingungen zur Anwendung zu bringen. Nur wenn dieses Regelungsziel durch eine Bezugnahme auf den mehrgliedrigen Tarifvertrag umgesetzt wird, kann – was §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG wollen – auch längerfristig eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen bewirkt werden47. Dass sich Tarifverträge auch im Rahmen der Zeitarbeit fortentwickeln und bei Abschluss des Arbeitsvertrags insoweit nicht weiter konkretisiert werden können, steht der Transparenz bzw. Angemessenheit entsprechender Bezugnahmeklauseln nicht entgegen. Eine solche Dynamik ist jeder Bezugnahme auf einen Tarifvertrag immanent. Sie berücksichtigt die Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 BGB) und stellt den Arbeitnehmer auch im Rahmen der Zeitarbeit nicht anders, als er stünde, wenn die jeweils in Rede stehenden Tarifverträge der Zeitarbeit kraft gesetzlicher Tarifbindung zur Anwendung kämen. Auch dann wäre eine solche Veränderung hinzunehmen. Ebenso bestünde zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keine Möglichkeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, diese Entwicklung konkreter vorherzusehen48. Auch die Überlegung, dass die Bezugnahme auf einen mehrgliedrigen Tarifvertrag die Feststellung der Unwirksamkeit solcher Tarifverträge als Folge fehlender Tarifzuständigkeit bzw. fehlender Tariffähigkeit erschwere, steht der Transparenz selbst nicht entgegen. Denn selbst dann, wenn die in Bezug genommenen Tarifverträge als Konsequenz fehlender Tarifzuständigkeit oder fehlender Tariffähigkeit unwirksam sein sollten, liegt die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf ein außerhalb des Arbeitsvertrags liegendes Regelungswerk vor. Eine solche Bezugnahme ist mit Blick auf die fehlende Anwendbarkeit von § 305 Abs. 2 BGB wirksam (§ 310 Abs. 4 BGB). Denn dem Arbeitgeber ist eine solche Bezugnahme auch dann gestattet, wenn das in Bezug genommene Werk nicht die Qualität eines Tarifvertrags hat. Die 47 So Stoffels/Bieder, RdA 2012, 27 ff.; Bayreuther, NZA 2012, 14 ff. 48 Vgl. Stoffels/Bieder, RdA 2012, 27, ff.
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Zeitarbeit: Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge
Praxis kennt dies in Form der Bezugnahme auf die kirchlichen Arbeitsbedingungen, die Satzungen einer Unterstützungskasse oder einseitig vom Arbeitgeber aufgestellter Richtlinien. Dass die fehlende Tariffähigkeit bzw. Tarifzuständigkeit erst im Rahmen eines Verfahrens nach § 97 ArbGG festgestellt werden kann, das durch den Arbeitnehmer bei mehrgliedrigen Tarifverträgen gegen unterschiedliche Gewerkschaften initiiert werden muss, stellt keine wirklich belastende Voraussetzung dar. Denn hier genügt es, wenn von seiner Seite aus das entsprechende Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG initiiert wird, dass dann seinerseits durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt wird49. Es bleibt zu hoffen, dass zu dieser Frage möglichst kurzfristig eine klarstellende Bewertung durch das BAG vorgenommen wird. Revision gegen das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 20.9.201150 ist zugelassen. Bis dahin könnte man darüber nachdenken, aus Gründen der Vorsorge jedenfalls dann nur auf die mit einer einzigen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge im Bereich der Zeitarbeit zu verweisen, wenn der Arbeitnehmer sicher nur in dieser Branche eingesetzt wird. Sollte ein Einsatz auch in anderen Branchen für möglich gehalten werden, würde diese dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge einer Gewerkschaft indes nicht genügen. Hier müsste sinngemäß ergänzt werden, dass für den Fall, dass der Arbeitnehmer außerhalb des Geltungsbereichs der erstgenannten Tarifverträge eingesetzt wird, die jeweils gültigen Tarifverträge zwischen einem bestimmten Arbeitgeberverband (BAP/IGZ) und dem DGB, in deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis dann fällt, in der jeweils gültigen Fassung zur Anwendung kommen. Falls diese Voraussetzungen, was ohne weiteres denkbar ist, durch mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften erfüllt werden, müsste ergänzend hierzu bestimmt werden, welcher Tarifvertrag vorrangig zur Anwendung kommt. Denkbar wäre, dabei an den zuletzt abgeschlossenen Tarifvertrag anzuknüpfen, sofern die gleichen Sachfragen in Rede stehen. (Ga)
49 Stoffels/Bieder, RdA 2012, 27 ff. 50 7 Sa 1318/11, DB 2012, 119 ff.
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H. Betriebsverfassung und Mitbestimmung 1.
Abbruch einer Betriebsratswahl wegen drohender Unwirksamkeit
Das BetrVG enthält keine ausdrückliche Regelung, ob und unter welchen Voraussetzungen eine eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen ist und wer einen derartigen Abbruch erzwingen kann. In § 19 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG wird lediglich die Anfechtung einer durchgeführten Wahl vorgesehen, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden könnte. Zur Wahlanfechtung berechtigt sind mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Ungeachtet dessen wird eine einstweilige Verfügung (§ 85 Abs. 2 ArbGG) auf Abbruch oder eine vorläufige Aussetzung der Wahl für möglich erachtet1. Der gerichtliche Abbruch einer Betriebsratswahl aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens ist bisher von den LAG unterschiedlich beurteilt worden. Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Abbruch einer laufenden Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung käme nur dann in Betracht, wenn die eingeleitete Wahl mit Sicherheit als nichtig anzusehen sei2. Die bislang wohl überwiegende Judikatur der LAG3 erlaubte im Wege der einstweiligen Verfügung einen Abbruch der Wahl bereits dann, wenn bereits die sichere Anfechtbarkeit der Wahl zu prognostizieren war. Das BAG4 hat die Frage bisher unentschieden gelassen. Nunmehr hatte der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 27.7.20115 über einen Antrag des Arbeitgebers gegen den Wahlvorstand auf Abbruch einer Betriebsratswahl zu entscheiden, der dadurch veranlasst war, dass nur 6 von 13 Betriebsratsmitgliedern nach Verlassen der Sitzung des Betriebsrats in einem
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ErfK/Koch, BetrVG § 18 Rz. 7 m. w. N. Sächsisches LAG v. 22.4.2010 - 2 TaBVGa 2/10 n. v. Rz. 50; LAG BadenWürttemberg v. 20.5.1998 - 8 Ta 9/98, AiB 1998, 401 Rz. 4 ff.; ErfK/Koch, BetrVG § 18 Rz. 7; zum Ganzen auch Bonnani/Mückl, BB 2010, 437. LAG Schleswig-Holstein v. 7.4.2011 - 4 TaBVGa 1/11 n. v. (Rz. 30); LAG Hamburg v. 19.4.2010 - 7 TaBVGa 2/10, NZA-RR 2010, 585; Hessisches LAG v. 7.8.2008 - 9 TaBVGa 188/08 n. v. Rz. 20 ff.; Rieble/Triskatis, NZA 2006, 233, 234 ff. BAG v. 19.11.2003 - 7 ABR 25/03, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 55. 7 ABR 61/10, NZA 2012, 345.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
anderen Sitzungszimmer angeblich einen Wahlvorstand bestellt hatten. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen, die dem Antrag des Arbeitgebers entsprochen haben, geht das BAG davon aus, dass nur einem in nichtiger Weise errichteten Wahlvorstand untersagt werden kann, weiterhin tätig zu werden. Danach kommt der gerichtliche Abbruch einer Betriebsratswahl aufgrund von Mängeln des Wahlverfahrens nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die Wahl voraussichtlich nichtig und nicht nur mit Sicherheit anfechtbar wäre. Diese Bewertung des BAG beruht zunächst auf der Erwägung, dass der Antragsteller mit dem Unterlassungsantrag der Fortsetzung der Wahl mehr erreichen könnte als mit der gesetzlich vorgesehenen Wahlanfechtung, der keine rückwirkende, sondern nur eine in die Zukunft wirkende Kraft beizumessen ist. Bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Wahlanfechtungsverfahrens bleibt der nicht ordnungsgemäß gewählte Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Rechten und Pflichten im Amt. Zusätzlich weist das BAG darauf hin, dass die Verhinderung einer Betriebsratswahl durch deren Abbruch zu einem betriebsratslosen Zustand führe, der nach der Konzeption des BetrVG möglichst verhindert werden solle, wie sich vor allem aus den gesetzlichen Regelungen des Übergangs- und des Restmandats (§§ 21 a, 21 b BetrVG) sowie der Weiterführung der Geschäfte des Betriebsrats (§ 22 BetrVG) ergebe. Schließlich widerspräche die Möglichkeit des vorzeitigen Abbruchs einer voraussichtlich nur anfechtbaren Wahl der nur befristet eingeräumten Möglichkeit, von dem Anfechtungsrecht bei Fehlern der Wahl Gebrauch machen zu können. Dem gegenüber kann die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl von jedermann ohne gerichtliches Verfahren und ohne Einhaltung einer Frist geltend gemacht werden mit der rechtlichen Konsequenz, dass die Nichtigkeit der Wahl zurückwirkt und die entsprechende Feststellung des Arbeitsgerichts nur deklaratorische Bedeutung hat6. Das BAG erachtet die im Streitfall vom Arbeitgeber geltend gemachten Mängel nicht für so schwerwiegend, dass daraus die Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands hergeleitet werden könnte. Das BAG begrenzt die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl auf besondere Ausnahmefälle. Voraussetzung sei dafür, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen werde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr bestünde7. Davon könne nur ausge-
6 7
BAG v. 29.4.1998 - 7 ABR 42/97, NZA 1998, 1133 Rz. 15. BAG v. 27.7.2011 - 7 ABR 61/10, NZA 2012, 345 Rz. 39; BAG v. 21.7.2004 - 7 ABR 57/03, AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 15 Rz. 35;. BAG v. 19.11.2003 - 7 ABR 25/03, AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG 1972 Rz. 18.
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Anfechtung einer Betriebsratswahl in gewillkürter Organisationseinheit
gangen werden, wenn das Gremium, das sich als Wahlvorstand geriert, in dieser Funktion überhaupt nicht bestellt wurde oder seine Bestellung nichtig ist. Unentschieden lässt das BAG trotz dieser zuvor getroffenen Feststellung, ob allein die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands zwingend zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen muss8. Das BAG hat das Verfahren an das LAG zurückverwiesen, weil nicht festgestellt werden konnte, ob der Wahlvorstand von den 6 Betriebsratsmitgliedern überhaupt bestellt worden war. Die Bestellung des Wahlvorstands durch die Minderheit der Betriebsratsmitglieder – so sie denn stattgefunden hat – stellt jedenfalls nach Ansicht des BAG keinen so erheblichen Verstoß gegen die Bestellungsbestimmungen der §§ 16 bis 17a BetrVG dar, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr besteht. Wenn auch dem Argument des BAG großes Gewicht beizumessen ist, dass nach der Konzeption des BetrVG ein betriebsratsloser Zustand möglichst vermieden werden soll, lädt die Entscheidung des BAG geradezu zu Manipulationen ein, um ein gewünschtes Wahlergebnis herbeizuführen, das erst nach einem jahrelangen Beschlussverfahren korrigiert werden kann. Dieser Gedanke wird vom BAG vollständig vernachlässigt und offenbar für unerheblich erachtet. Deshalb kann die Entscheidung vom Argumentationshaushalt her nicht befriedigen, zumal das BAG9 davon ausgeht, dass bei mehreren Verstößen gegen Wahlvorschriften des BetrVG keine Gesamtwürdigung stattfindet, sondern nur jeder Verstoß für sich genommen zur Nichtigkeit der Wahl führt. (Boe)
2.
Anfechtung einer Betriebsratswahl in gewillkürter Organisationseinheit
Gemäß § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG können durch Tarifvertrag vom Gesetz abweichende Organisations- und Vertretungsstrukturen festlegt werden, die an die Stelle der kraft Gesetzes gebildeten Betriebsräte, Gesamt- oder Konzernbetriebsräte treten. Auch wenn § 3 den Gestaltungsspielraum gegenüber der früheren Rechtslage erweitert hat und die angestrebte Verbesserung der Interessenvertretung einem Beurteilungsspielraum der Parteien unterworfen ist10, führt eine Überschreitung der gesetzl. RahmenVgl. dazu LAG Berlin v. 8.4.2003 - 5 TaBV 1990/02, NZA-RR 2003, 587 Rz. 22; LAG Köln v. 10.3.2000 - 13 TaBV 9/00, LAGE BetrVG 1972 § 3 Nr. 6. 9 BAG v. 19.11.2003 - 7 ABR 24/03, NZA 2004, 395 Rz. 28 ff. 10 LAG Niedersachen v. 22.8.2008 – 12 TaBV 14/08 n. v. 8
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
bedingungen zur Unwirksamkeit entsprechender Vereinbarungen11. Allerdings ist auch hier zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit der daran anknüpfenden Betriebsratswahl zu unterscheiden. Eine Nichtigkeit der Vereinbarung mit entsprechender Folge für die Betriebsratswahl und die Nichtexistenz von Arbeinehmervertretern setzt offenkundige Fehlerhaftigkeit voraus12. Hierzu gehören z. B. Missachtung des Schriftformerfordernisses, Betriebsvereinbarung trotz offenkundig geltender Tarifverträge, unternehmensübergreifender Betriebsrat durch Beschluss gemäß Abs. 313 oder Errichtung von Betriebsratsstrukturen im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, die neben die gesetzlichen Organe treten. Dies gilt auch, wenn die Bildung oder der Fortbestand einer Arbeitnehmervertretung durch Interessenausgleich vereinbart wird. Der Sozialplan ist untauglich, wenn ein Tarifvertrag gilt und es nicht nur um Verlängerung des gesetzlichen Übergangsmandats geht14. Die Arbeitnehmervertreter, die ihre Existenz aus solchen Vereinbarungen ableiten, sind betriebsverfassungsrechtlich nicht existent. Vereinbarungen, die von solchen Arbeitnehmervertretern abgeschlossen werden, sind im Zweifel nichtig15. Bloße Anfechtbarkeit besteht bspw. dann, wenn die Vereinbarung den Beurteilungsspielraum in Bezug auf die Erleichterung der Betriebsratsbildung überschreitet16, fehlerhafte Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat17 erfolgt oder durch den Wahlvorstand Fehler im Wahlverfahren erfolgen18. Hier ist die Nichtbeachtung des gesetzlichen Gestaltungsspielraums nicht grob und offensichtlich19. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des ArbG gelten die Vereinbarungen und die Betriebsratswahl als wirksam. Arbeitnehmer11 Vgl. allg. BAG v. 10.11.2004 – 7 ABR 17/04, AiB 2005, 619 f.; LAG Köln v. 10.3.2000 – 13 TaBV 9/00, LAGE § 3 BetrVG 1972 Nr. 6 S. 4; ErfK/Koch, BetrVG § 3 Rz. 1; Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 514 ff.; Spinner/Wiesenecker, FS Löwisch, 2007 S. 375; Hohenstatt/Dzida, DB 2001, 2498 ff. 12 Eingehend Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 514 ff. 13 ArbG Hamburg v. 13.6.2006 – 19 BV 16/06, NZA 2006, 645 ff.; Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 514 ff. 14 LAG Düsseldorf v. 21.1.2000 – 9 Sa 1754/99, ZInsO 2000, 681 ff. 15 BAG v. 13.2.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825 ff.; v. 17.3.2010 – 7 AZR 706/08, DB 2010, 2812. 16 Abw. Spinner/Wiesenecker, FS Löwisch, 2007 S. 375 ff., die generelle Nichtigkeit annehmen. 17 Diff. Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 514 ff. 18 LAG München v. 6.7.2007 – 3 TaBV 84/07 n. v. 19 Mückl/Koehler, NZA-RR 2009, 514 ff.; diff. Trümner/Sparchholz, AiB 2009, 98 ff.; abl. Spinner/Wiesenecker, FS Löwisch, 2007 S. 375 ff.
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Anfechtung einer Betriebsratswahl in gewillkürter Organisationseinheit
vertreter können gesetzliche Rechte geltend machen; eine etwaige Unwirksamkeit von Regelungen zur Zuständigkeit lässt die Wirksamkeit zur Bildung der Arbeitnehmervertretungsstrukturen unberührt. Insoweit entfällt die Bindungswirkung der Vereinbarung – wie das Organ selbst – ohne Nachwirkung ex nunc erst, wenn rechtskräftig die Unwirksamkeit des Tarifvertrags bzw. der Betriebsvereinbarung festgestellt wird20. In Übereinstimmung damit hat das BAG durch Beschluss vom 21.9.201121 deutlich gemacht, dass auch die Verkennung des Betriebsbegriffs im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen in einer gewillkürten Organisationseinheit nur die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl zur Folge hat. In dem konkreten der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Wahlvorstand – abweichend von der tarifvertraglichen Regelung – Betriebsratswahlen für eine bestimmte Anzahl von Filialen veranlasst, die nach seinem Verständnis der tarifvertraglichen Vorgaben eine betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit nach § 3 Abs. 5 BetrVG bildeten. Diese Interpretation des in der Tat unklaren Tarifvertrags war indes falsch. Richtigerweise hätte die Betriebsratswahl unter Einbeziehung weiterer Filialen und zugleich unter Ausgrenzung anderer Filialen erfolgen müssen. Werden durch einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) BetrVG mehrere Betriebe zu betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten im Sinne des § 3 Abs. 5 BetrVG zusammengefasst, können – so das BAG – die Betriebsratswahlen in einzelnen Organisationseinheiten isoliert angefochten werden. Auch wenn die Anfechtung mit einer Verkennung des Betriebsbegriffs begründet werde, sei ihre Zulässigkeit nicht von der Anfechtung der in anderen Organisationseinheiten durchgeführten Wahlen abhängig. Zum Einen führt die Obliegenheit, die Betriebsratswahlen auch in den angrenzenden Regionen anzufechten, zu einem das gesamte Tarifgebiet erfassenden „Domino-Effekt“, grenzen doch an die angrenzenden Regionen wiederum weitere Regionen an. Zum Zweiten müsste bei einem solchen „Konzept“ entweder den nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG ebenfalls anfechtungsberechtigten drei Wahlberechtigten oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft die Obliegenheit und damit die Befugnis zuerkannt werden, auch die Wahlen in – sämtlichen – anderen Betrieben, denen sie nicht angehören und in denen sie nicht vertreten sind, anzufechten. Zum Dritten würde die Situation gänzlich perplex, wenn ein zur Anfechtung der Wahl Berechtigter einen anderen Anfechtungsgrund als die Verkennung des Betriebsbegriffs geltend machen würde und sich der Betriebsrat zur Verteidigung darauf beriefe, sei20 Eingehend B. Gaul, Betriebs- und Unternehmensspaltung § 27 Rz. 102 ff. 21 7 ABR 54/10, DB 2012, 867 f.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
ne Wahl sei isoliert nicht anfechtbar, da auch der Betriebsbegriff verkannt worden sei22. Wichtig für die betriebliche Praxis ist der Umstand, dass das BAG im Beschluss vom 21.9.201123 ausdrücklich anerkennt, dass die betrieblichen Strukturen, die auf der Grundlage eines Tarifvertrags geschaffen werden, keinen statischen Charakter besitzen müssen. Im Interesse einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer liege es insbesondere, wenn die Interessenvertretungen dort errichtet würden, wo unternehmerische Leitungsmacht konkret entfaltet und ausgeübt werde und die mitbestimmungsrechtlich relevanten Entscheidungen getroffen würden. Hierfür seien vor allem die organisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers maßgeblich. Änderten sich diese, sei es zweckgerecht, dass die Veränderungen auf der Grundlage des bestehenden Tarifvertrags bei der Kennzeichnung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheiten und der Zuordnung von Mitarbeitern berücksichtigt würden. Andernfalls liefe der Tarifvertrag Gefahr, bei jeder wesentlichen Änderung der Organisation, die dem Arbeitgeber als solche regelmäßig nicht verboten sei, sein Substrat zu verlieren24. Auf der Grundlage dieser Überlegungen war es den Tarifvertragsparteien im streitgegenständlichen Fall möglich, Veränderungen in der Steuerung der Filialstruktur bei zukünftigen Betriebsratswahlen zu berücksichtigen. Diese mussten jeweils die Struktur zugrunde legen, die mit Blick auf die Steuerung der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl galt. Die damit verbundene Dynamik sei auch rechtlich zulässig. Auch die gesetzlichen Betriebsverfassungsstrukturen seien – so das BAG – insofern dynamisch, als bei der Errichtung von Betriebsräten die sich ändernden organisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers zu beachten und nachzuvollziehen seien. Bei diesem Verständnis werde die tarifliche Regelung nicht unbestimmt. Dies gelte jedenfalls dann, wenn für alle Betroffenen unschwer feststellbar sei, welche Verkaufsstellen und Filialen zu welcher Region gehörten, die jeweils durch eine Bezirksleitung gesteuert wurde. (Ga)
22 BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 44/10, DB 2012, 867 ff. Rz. 20 f. 23 7 ABR 44/10, DB 2012, 867 ff. Rz. 43 ff. 24 Ebenso Fitting, BetrVG § 3 Rz. 86.
184
Kündigungsschutz von Amtsträgern der Betriebsverfassung
3.
Kündigungsschutz von Amtsträgern der Betriebsverfassung
a)
Kündigungsschutz von Wahlbewerbern
Nach § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und das die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, das Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Bislang war in Rechtsprechung und Literatur umstritten, unter welchen Voraussetzungen ein Wahlvorschlag im Sinne des § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG „aufgestellt“ ist und demnach der Sonderkündigungsschutz für Wahlbewerber beginnt. In der Literatur war zum Teil die Auffassung vertreten worden, dass der Kündigungsschutz erst mir Eingang des gültigen Wahlvorschlags beim Wahlvorstand einsetze. Erst ab diesem Zeitpunkt entfalte ein Wahlvorschlag Innenwirkung und könne als „aufgestellt“ angesehen werden. Dies gelte umso mehr, als sich der Zeitpunkt der Anbringung der letzten Stützunterschrift oftmals nur schwer feststellen lasse25. Hiervon abweichend war das BAG in seiner bisherigen Rechtsprechung26 davon ausgegangen, dass der Sonderkündigungsschutz für Wahlbewerber beginnt, sobald ein Wahlvorstand für die Wahl bestellt ist und für den Kandidaten ein Wahlvorschlag vorliegt, für den die gesetzliche Mindestanzahl von Stützvorschriften geleistet wurde27. In Übereinstimmung mit der letztgenannten Auffassung hat das BAG in seinem jetzt vorliegenden Urteil der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, dass der Arbeitgeber den Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber nicht berücksichtigt habe.
25 v. Hoyningen-Huene, KSchG § 15 Rz. 19; Richardi/Thüsing, BetrVG § 103 Rz. 19. 26 BAG v. 5.12.1980 - 7 AZR 781/78, DB 1981, 1142 f.; BAG v. 4.3.1976 – 2 AZR 620/74, DB 1976, 1335 ff. 27 Ebenso KDZ/Deinert, KSchG § 15 Rz. 18; Fitting, 102 BetrVG § 103 Rz. 10.
185
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Der gekündigte Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2008 als Luftsicherheitsassistent beschäftigt. Am 16.7.2008 erhielt er eine Probezeitbeurteilung, die erwarten ließ, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden würde. Nachdem am 26.7.2008 ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl für den Betrieb der Niederlassung bestellt, in der auch der Kläger beschäftigt war, entschloss sich der Kläger, als Wahlbewerber anzutreten. Er fertigte einen ihn als Bewerber ausweisenden Wahlvorschlag mit einhergehendem Einverständnis der Kandidatur und brachte vier weitere Arbeitnehmer dazu, bis 16:00 Uhr ihre Stützunterschriften zu leisten. Dies genügte der gesetzlichen Mindestzahl nach § 14 Abs. 4 BetrVG. Am 26.7.2008 gab der Kläger um 16:38 Uhr den Wahlvorschlag als ein an den Wahlvorstand gerichtetes Einschreiben zur Post. Der Zugang erfolgte frühestens am 28.7.2008. Mit Schreiben vom 25.7.2008, das dem Kläger allerdings erst am 28.7.2008 zuging, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis noch vor Ablauf der Probezeit zum 3.8.2008. Im Rahmen der Kündigungsschutzklage machte er geltend, dass er bei Zugang der Kündigung unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 BetrVG gestanden habe. Der 2. Senat des BAG hat diese Ansicht in seinem Urteil vom 7.7.201128 bestätigt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn des Sonderkündigungsschutzes sei der Moment, in dem die letzte nach dem Gesetz erforderliche Stützunterschrift geleistet werde. Das war vorliegend vor Zugang der Kündigung. Für diese Auslegung spreche schon der allgemeine Sprachgebrauch, da nur ein Wahlvorschlag, der bereits „aufgestellt“ sei, auch beim Wahlvorstand eingereicht werden könne. Der Vorgang der Aufstellung müsse also dem der Einreichung zeitlich vorangehen. Ungeachtet dessen lege der Zweck des Gesetzes, wie er auch in den Gesetzesmaterialien29 erkennbar werde, diese Auslegung nahe. Denn der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG sei auch auf Wahlbewerber ausgedehnt worden, weil der Personenkreis als Folge etwaiger Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratswahlen in ähnlicher Weise schutzbedürftig sei wie Betriebsratsmitglieder. Diese Schutzbedürftigkeit entstehe in dem Moment, wo sich der Arbeitnehmer bei dem Bemühen um Stützunterschriften als Wahlbewerber erkennbar mache. Daher müsse der Kündigungsschutz bereits zu diesem Zeitpunkt beginnen. Allerdings obliege es dem Arbeitnehmer, diesen Zeitpunkt darzulegen und ggf. zu beweisen.
28 2 AZR 377/10, NZA 2012, 107 ff. 29 BT-Drucks 6/1786 S. 60
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Kündigungsschutz von Amtsträgern der Betriebsverfassung
Dass der Kläger zum Zeitpunkt der Aufstellung als Wahlbewerber noch keine Betriebszugehörigkeit besessen hatte, stand seinem Sonderkündigungsschutz nach Maßgabe des BAG im Urteil vom 7.7.201130 nicht entgegen. Es genüge für die passive Wahlberechtigung nach § 8 Abs. 1 BetrVG, wenn der Arbeitnehmer dem Betrieb im Zeitpunkt der Wahl mindestens sechs Monate angehört habe.
b)
Sonderkündigungsschutz für Ersatzmitglieder des Betriebsrats
In seinem Urteil vom 8.9.201131 hat sich das BAG mit verschiedenen Aspekten des Sonderkündigungsschutzes für Ersatzmitglieder des Betriebsrats befasst. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wann das Ersatzmitglied in den Betriebsrat nachrückt. Denn diese Rechtsfolge ist maßgeblich für die Frage, ob der Kündigungsschutz dem Kündigungsschutz der Betriebsratsmitglieder entspricht oder ob (nur) die Besonderheiten des nachwirkenden Kündigungsschutzes für Ersatzmitglieder zum Tragen kommen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung eines Ersatzbetriebsratsmitglieds, die nach Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG erklärt worden war. Eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG hatte der Arbeitgeber nicht eingeholt, weil der Kläger einige Wochen vor dem streitentscheidenden Kündigungstag am 10.3.2009 letztmalig zu einer Betriebsratssitzung herangezogen worden war. Hintergrund der Kündigung war der Verdacht einer Falschabrechnung von Kilometern, die der Kläger nach seinen Behauptungen mit seinem privaten PKW in dienstlichem Interesse aufgewendet hatte. Mit Schreiben vom 7.4.2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung des Klägers an. Gleichzeitig wurde der Kläger angehört. Am 14.4.2009 beschloss der Betriebsrat durch seine ordentlichen Mitglieder, die „Zustimmung“ zu verweigern. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 15.4.2009, das dem Arbeitnehmer am selben Tag um 10.00 Uhr per Boten zugestellt wurde. In seiner Kündigungsschutzklage machte der Kläger geltend, dass er Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG gehabt habe. Denn der Arbeitgeber habe schon am 14.4.2009 einem ordentlichen Betriebsrat Erholungsurlaub für den 15.4.2009 bewilligt. 30 2 AZR 377/10, NZA 2012, 107 ff. 31 2 AZR 388/10, NZA 2012, 400 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
In seinem Urteil vom 8.9.201132 hat der 2. Senat des BAG der Klage stattgegeben. Zur Wirksamkeit der Kündigung hätte es nach § 15 Abs. 1 KSchG i. V. m. § 103 BetrVG der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats bedurft bzw. diese durch gerichtliche Entscheidung ersetzt werden müssen. Scheidet ein ordentliches Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat aus, rückt gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 BetrVG ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach. Dies gilt gemäß § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG entsprechend für die Dauer eines zeitweilig verhinderten Mitglieds33. Wichtig für die Anwendung dieser Regelungen ist allerdings der Umstand, dass sich der Eintritt des Ersatzmitglieds nach Auffassung des BAG automatisch mit Beginn des Verhinderungsfalls vollzieht. Es kommt nicht einmal darauf an, ob die Verhinderung des ordentlichen Mitglieds dem Ersatzmitglied überhaupt bekannt ist. Unerheblich ist auch, ob es während der Dauer der vorübergehenden Verhinderung bestimmte Handlungen (z. B. Betriebsratssitzungen) gibt, an denen das Ersatzmitglied teilnehmen soll. Eine zeitweilige Verhinderung liegt vor, wenn ein Betriebsratsmitglied aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben34. Während des Erholungsurlaubs eines ordentlichen Betriebsratsmitglieds liegt eine solche Verhinderung nach den Feststellungen des BAG vor, es sei denn, dass Betriebsratsmitglied hat zuvor ausdrücklich seine Bereitschaft angezeigt, trotz des Urlaubs für betriebsratsbezogene Tätigkeiten zur Verfügung zu stehen35. Die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit während des Urlaubs sei typischerweise nicht zumutbar, ohne dass – wie von Teilen der Literatur36 gefordert – erst eine Einzelfallabwägung erfolgen müsse. Hiervon ausgehend kam es darauf an, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 15.4.2009 bereits in den Betriebsrat nachgerückt war. Dies war vorliegend der Fall. Denn die Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitglieds begann mit dem Beginn des Urlaubs, aus Sicht des BAG deshalb mit dem üblichen Arbeitsbeginn an seinem ersten Urlaubstag. Dies war um 6.00 Uhr der Fall. Selbst wenn man stattdessen auf die Kernarbeits32 2 AZR 388/10, NZA 2012, 400 ff. 33 Die Vorschrift dient dem Zweck, dem Betriebsrat die Tätigkeit und seine Beschlussfähigkeit zu sichern, siehe § 33 Abs. 2, 2. Hs BetrVG. 34 BAG v. 24.8.1984 – 2 AZR 391/83, NZA 1985, 254 ff. 35 BAG v. 8.9.2011 – 2 AZR 388/10, NZA 2012, 400 ff.; BAG v. 20.8.2002 – 9 AZR 261/01, NZA 2003, 1046 ff. 36 DKKW/Buschmann § 25 BetrVG Rz. 17.
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Überwachung nach § 80 Abs. 1 BetrVG
zeit abstellen würde, die um 9.00 Uhr begann, war der Kläger damit bei Zugang der Kündigung (10.00 Uhr) schon in den Betriebsrat nachgerückt. Aus diesen Ausführungen des BAG folgt, dass man vor der Kündigung eines Ersatzmitglieds feststellen muss, ob ordentliche Mitglieder des Betriebsrats verhindert sind und von einem Nachrücken dieses Ersatzmitglieds ausgegangen werden muss. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Einerseits könnte versucht werden, die Zustimmung nach § 103 BetrVG zu erhalten. Andererseits könnte allerdings auch abgewartet werden, bis die Verhinderung des ordentlichen Betriebsratsmitgliedes beendet ist und der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG endet. Allerdings ist sicherzustellen, dass das Abwarten unter Einbeziehung der Frist für eine Anhörung nach § 102 BetrVG nicht zum Überschreiten der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB führt. Ganz erhebliche Bedeutung hat auch eine weitergehende Feststellung des BAG zum Beginn der Jahresfrist. Danach steht dem Ersatzmitglied der nachwirkende Sonderkündigungsschutz nur dann zu, wenn er während der Dauer seines Nachrückens konkrete Betriebsratsaufgaben wahrgenommen habe. Sei dies nicht der Fall, knüpfe die Jahresfrist weiter an den vorangehenden Zeitpunkten an, in denen der Arbeitnehmer aktiv als Ersatzmitglied tätig wurde. Dies folge aus dem Schutzzweck des Gesetzes, die das Ersatzmitglied während einer „Abkühlungsphase“ absichern solle, wenn es zuvor zu Konflikten mit dem Arbeitgeber gekommen sei37. (Ga/Sch)
4.
Zuständigkeit von Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsrat für die Überwachung nach § 80 Abs. 1 BetrVG
Grundsätzlich ist der Betriebsrat für die Wahrnehmung der gesetzlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte zuständig. Gesamt- oder Konzernbetriebsrat sind nur unter den in §§ 50, 58 BetrVG geregelten Voraussetzungen zuständig. Insofern muss es um die Behandlung von Angelegenheiten gehen, die mehrere Betriebe bzw. Unternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebs- bzw. Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Betriebe bzw. Unternehmen geregelt werden können. Eine hiervon abweichende Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats kommt nur in Betracht, wenn die eigentlich zuständigen Betriebs- bzw. Gesamtbetriebsräte
37 BAG v. 8.9.2011 – 2 AZR 388/10, NZA 2012, 400 Rz. 40.
189
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
eine Delegation auf den Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat vornehmen (§§ 50 Abs. 2, 58 Abs. 2 BetrVG). In seinem Beschluss vom 16.8.201138 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass diese Grundsätze zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsrat auf die Wahrnehmung des Überwachungsrechts aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht übertragen werden können. Für dessen Wahrnehmung sei ausschließlich der Betriebsrat zuständig. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber mit dem Gesamtbetriebsrat in dessen originärer Zuständigkeit eine EDVRahmenbetriebsvereinbarung abgeschlossen. Nach den darin enthaltenen Regelungen war zur Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter jede automatisierte Verarbeitung mitarbeiterbezogener oder –beziehbarer Daten sowie deren Weitergabe an Dritte nur im Rahmen einer datenschutzrechtlich vorgesehenen Zweckbestimmung zulässig. Ohne Wissen der Mitarbeiter durften keine Vorrichtungen zur quantitativen oder qualitativen Leistungskontrolle verwendet werden. Ergänzend hierzu sah § 11 EDVRahmenBV umfangreiche Kontrollrechte des Gesamtbetriebsrats vor, die sich auf die Einhaltung dieser Betriebsvereinbarung und ggf. ergänzender anwendungsbezogener Vereinbarungen richtete. In einer Sitzung des vom Gesamtbetriebsrat gebildeten Kontrollausschusses im März 2004 wurde dann berichtet, das ein Gruppenleiter den Inhalt eines in MS-Excel-Formats erstellten Dokuments mit leistungsbezogenen Daten seiner Mitarbeiter vor diesen kommuniziert haben sollte. Der Gesamtbetriebsrat war der Auffassung, dass damit gegen die Regelungen der EDVRahmenBV verstoßen wurde. Er machte, nachdem außergerichtliche Einigungsversuche scheiterten, dann im Klagewege geltend, die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm auf Dateien im Format *.xls oder anderen mit MSExcel verarbeitbaren Formaten lesenden Zugriff zu gewähren, die sich in Unterverzeichnissen der in Rede stehenden Regionen befanden und in denen die personenbezogenen Daten Name, Geburtsdatum, Personalnummer und/oder Orga-Nummer einzeln oder gemeinsam mit weiteren numerischen Daten erfasst, gespeichert oder verarbeitet würden. Weiterhin sollte der Arbeitgeber verpflichtet werden, ihm lesenden Zugriff auf jeweils drei von der Arbeitgeberin zu benennende persönliche Laufwerke der Gruppen zu gewähren, innerhalb derer die streitgegenständliche Verwendung der ExcelDateien erfolgt war.
38 1 ABR 22/10, DB 2012, 638 Rz. 27 ff.
190
Überwachung nach § 80 Abs. 1 BetrVG
In Übereinstimmung mit dem LAG Nürnberg hat auch das BAG den Antrag zurückgewiesen. Die EDV-RahmenBV, die entsprechende Kontrollbefugnisse hätte begründen können, sah trotz umfangreicher Regelungen zur Überwachung der Einhaltung dieser Regelungen keine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers vor. Im Gegenteil: Die Entstehungsgeschichte und ursprüngliche Forderungen des Gesamtbetriebsrats legten nahe, dass man sich schlussendlich ganz bewusst nicht auf eine Befugnis des Gesamtbetriebsrats verständigt hatte, unmittelbare Einsicht in Dateien nehmen zu dürfen. Entscheidend für die betriebliche Praxis sind allerdings die Überlegungen, mit denen das BAG auch einen auf § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BetrVG gestützten Anspruch auf entsprechende Informationen abgelehnt hat. Zum einen hat das BAG eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers schon mit der Begründung abgelehnt, dass § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG dem Betriebsrat keine Möglichkeit gebe, einen Online-Zugriff durchzusetzen. Zwar gehörten zu den Unterlagen, die der Betriebsrat zur Erfüllung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verlangen kann, neben schriftlichen Aufzeichnungen auch Dateien, die entsprechende Informationen enthalten. Der Arbeitgeber habe aber das Recht, den Informationsanspruch des Betriebsrats auch durch den Ausdruck des vorlagepflichtigen Dateiinhalts zu erfüllen. Denn nur so sei der Arbeitgeber in der Lage, bei der Informationsverschaffung alle Angaben auf die wirklich vorlagepflichtigen Daten zu beschränken. Dies dürfte im Übrigen schon aus datenschutzrechtlichen Gründen geboten sein. Über die hier in Rede stehende Frage hinausgehend hat das BAG den Anspruch des Betriebsrats auf entsprechende Informationsbeschaffung zum anderen allerdings auch mit der übergeordneten Begründung abgelehnt, dass das Überwachungsrecht aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG allein dem Betriebsrat zustehe. Dabei hat der 1. Senat des BAG darauf verwiesen, dass die Zuständigkeitsverteilung nach § 50 BetrVG nur die im BetrVG geregelten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte betreffe, bei denen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Regelungsbefugnis eröffnet sei. Bei Beteiligungssachverhalten, die einer weiteren Ausgestaltung durch die Betriebsparteien nicht zugänglich seien oder einer solchen nicht bedürften, finde § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG keine Anwendung, so dass es hier bei der Zuständigkeit des Betriebsrats verbleibe. Dies betreffe etwa die Geltendmachung von Rechtsan-
191
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
sprüchen, die allein vom Vorliegen der im Gesetz bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig seien39. Zu diesen Beteiligungssachverhalten gehöre auch die Wahrnehmung des Überwachungsrechts nach § 80 Abs. 1 BetrVG. Dessen Ausübung sei nicht von einer Vereinbarung oder einem Einvernehmen mit dem Arbeitgeber, sondern ausschließlich von dem Vorliegen zumindest eines der dort ausgeführten Katalogtatbestände des § 80 Abs. 1 BetrVG abhängig. Hierzu gehöre auch die in Nr. 1 geregelte Pflicht, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Das Überwachungsrecht sei aber nicht vom Vorliegen besonderer Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte abhängig. Der Betriebsrat entscheide allein, ob und auf welche Weise er seine Überwachungsaufgabe wahrnehme. Die gesetzliche Aufgabenzuweisung an den Betriebsrat bleibe deshalb auch bestehen, wenn der Gesamtbetriebsrat im Rahmen seiner originären Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit eine Betriebsvereinbarung abschließe. Schließlich habe der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG generell nicht nur über die Einhaltung seiner eigenen Regelungen zu wachen, sondern auch über die anderer Normgeber40. Diese Feststellung hat ganz erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis. Sie bewirkt nämlich, dass der Betriebsrat in allen Angelegenheiten, in denen Betriebs-, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, die ausschließliche Zuständigkeit zur Überwachung der Einhaltung solcher Vereinbarungen hat. Für den Arbeitgeber bedeutet dies umgekehrt, dass er zwar mit dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat die entsprechenden Vereinbarungen verhandeln und abschließen muss. Im Anschluss daran muss er sich jedoch der Gefahr aussetzen, dass jeder einzelne Betriebsrat zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Umfang Informationsrechte geltend macht, um seinen Überwachungspflichten aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nachzukommen. Dies kann einen ganz erheblichen Aufwand für die Arbeitgeberseite zur Folge haben, wenn man allein an die denkbaren Regelungen im Bereich des Datenschutzes, des Arbeitsschutzes oder der betrieblichen Altersvorsorge denkt. Es erscheint zweifelhaft, ob die diesem Ergebnis zugrunde liegende Interpretation der in §§ 50, 58 BetrVG enthaltenen Regelungen zur Zuständigkeit des Gesamt- und Konzernbetriebsrats zutreffend ist. In jedem Fall ist sie nicht zwingend, zumal der Gesetzgeber ganz bewusst nur von „Angelegen39 BAG v. 16.8.2011 – 1 ABR 22/10, DB 2012, 638 Rz. 30. 40 BAG v. 16.8.2011 – 1 ABR 22/10, DB 2012, 638 Rz. 31.
192
Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung
heiten“ spricht. Eine Begrenzung auf Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte, die eine Regelungsbefugnis eröffnen, lässt sich §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 BetrVG nicht entnehmen. Für die betriebliche Praxis lässt sich die Bedeutung des daraus entstehenden Problems schlussendlich nur auf zwei Wegen einschränken. Zum einen könnte versucht werden, die an sich zuständigen Betriebsräte zu veranlassen, den Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat mit der Überwachung solcher Angelegenheiten gemäß §§ 50 Abs. 2, 58 Abs. 2 BetrVG zu betrauen, in denen er auch originär zuständig ist. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist allerdings, dass sie nicht abstrakt-generell, sondern nur einzelfallbezogen erfolgen kann. Darüber hinaus dürfte eine ausdrückliche Beschlussfassung auf der Ebene der Betriebsräte das Bewusstsein, hier selbst für die Überwachung zuständig zu sein, in vielen Fällen erst wecken. Außerdem kann diese Delegation jederzeit widerrufen oder eingeschränkt werden. Vor diesem Hintergrund dürfte es auch erwägenswert sein, den Gesamt- und Konzernbetriebsräten im Rahmen der entsprechenden Vereinbarungen freiwillig Überwachungsrechte zuzugestehen. Denn es ist zu erwarten, dass eine ordnungsgemäße und ernsthafte Überwachung der Umsetzung einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung durch den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat auf der örtlichen Ebene die Bereitschaft entstehen lässt, keine eigenen, gesetzlich an sich vorgesehenen Überwachungsansprüche aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geltend zu machen. Ausgeschlossen werden diese Beteiligungsrechte durch entsprechende Regelungen in der Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung indes nicht. (Ga)
5.
Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung
Im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag gilt das Günstigkeitsprinzip: Individualrechtliche Vereinbarungen haben gegenüber einer Betriebsvereinbarung Vorrang, wenn und soweit sie eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthalten41. Voraussetzung ist, dass der Arbeitsvertrag selbst die Frage konstitutiv geregelt hat. Trifft der Arbeitsvertrag keine oder nur eine deklaratorische Feststellung, kann die Betriebsvereinbarung unmittelbar gegenseitige Rechte und Pflichten der Arbeitsver-
41 BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998 Rz. 38; BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, NZA 1990, 351 ff.; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.
193
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
tragsparteien begründen, beispielsweise die Berechtigung zur Anordnung von Überstunden42. Der Günstigkeitsvergleich ist als Sachgruppenvergleich vorzunehmen. Dabei sind die in innerem Zusammenhang stehenden Teilkomplexe der Regelung zu vergleichen. Entscheidend ist eine objektive Sichtweise. Beim Vergleich unterschiedlicher Leistungen kommt es darauf an, ob sie funktional äquivalent sind. Ist dies nicht der Fall, ist der Günstigkeitsvergleich ausgeschlossen. Ein Vergleich von Regelungen, die mit verschiedenen Gegenleistungen verbunden sind, kann nicht erfolgen43. Die Kennzeichnung vergleichbarer Regelungsgegenstände ist allerdings streitig. So wird man zwar Arbeitszeit und -entgelt in einen Vergleich einbeziehen können44. Steht die Günstigkeit der Abweichung aber nicht zweifelsfrei fest, bleibt es bei der zwingenden Geltung der Betriebsvereinbarung45. Eine Verschlechterung einzelvertraglich begründeter Ansprüche kann grundsätzlich nur durch Änderungskündigung, Änderungsvereinbarung oder Widerruf vorgenommen werden. Dies gilt auch für Ansprüche aus einer betrieblichen Übung. Etwas anderes gilt nur bei Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder bei betriebsvereinbarungsoffenen Regelungen. Grundsätzlich gelten die vorangehenden Ausführungen auch für das Verhältnis zwischen einer Betriebsvereinbarung und betriebliche Einheitsregelungen, die durch Arbeitsvertrag, Gesamtzusage oder betriebliche Übung geschaffen werden und freiwillige Sozialleistungen an mehrere Arbeitnehmer zum Gegenstand haben. An sich können für die Arbeitnehmer nachteilige Änderungen also nicht durch Betriebsvereinbarung bewirkt werden46. Abweichend hiervon hat der Große Senat des BAG allerdings im Beschluss vom 16.9.198647 die Möglichkeit einer Änderung betrieblicher Einheitsrege-
42 BAG v. 3.6.2003 – 1 AZR 349/02, NZA 2003, 1155 ff. 43 Vgl. BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 10 Rz. 45; BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, NZA 1999, 887 ff.: kein Vergleich von Äpfeln mit Birnen; GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 245 ff.; Belling, Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht, 1984, S. 169. 44 Ebenso Buchner, DB 1996, Beil. 12, 1 ff.; Heinze, NZA 1991, 229 ff.; Joost, ZfA 1984, 273 ff.; a. A. Wank, NJW 1996, 2273 ff.; Däubler, DB 1989, 2534 ff.. 45 BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 10. 46 Vgl. BAG v. 5.8.2009 – 10 AZR 483/08, NZA 2009, 1105 ff.; BAG v. 28.3.2000 - 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49 ff.; BAG v. 16.9.1987 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.; a. A. LAG Düsseldorf v. 19.6.2001 – 16 Sa 418/01, LAGE § 242 – Betriebliche Übung Nr. 27. 47 GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.
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Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung
lungen angenommen, wenn das Prinzip der „kollektiven Günstigkeit“48 und – insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge – die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes gewahrt seien49. Voraussetzung für eine Anwendung dieses Prinzips der „kollektiven Günstigkeit“ ist, dass die nach Maßgabe der Einheitsregelung gewährten Leistungen in einem Bezugssystem zueinander gestanden haben. Hiervon ist nach dem BAG auszugehen, wenn arbeitgeberseitig eine Entscheidung über die Höhe der einzusetzenden Mittel und die Grundsätze ihrer Verteilung getroffen wurde, ohne dass die individuelle Lage eines einzelnen Arbeitnehmers, seine persönlichen Umstände oder seine besonderen individuellen Verdienste ein Rolle spielten. Wenn die insoweit durch einen Dotierungsrahmen vorgegebenen Mittel als Folge der „umstrukturierenden Betriebsvereinbarung“ zum Nachteil einzelner Arbeitnehmer verändert werden, soll dies zulässig sein, wenn die Neuregelung generelle Ziele verfolgt und insgesamt bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist50. Eine isolierte Betrachtung einzelner Ansprüche wäre verfehlt, da günstigere Einzelansprüche auf Grund der vorgegebenen Finanzierungsmasse nur auf Kosten einer Verkürzung der Ansprüche anderer Arbeitnehmer erzielt werden könnten51. Blieben die Aufwendungen des Arbeitgebers aber konstant oder würden sie erweitert, stehe das Günstigkeitsprinzip einer Neuregelung nicht entgegen, selbst wenn einzelne Arbeitnehmer dadurch schlechter gestellt würden. Umgekehrt gingen die Regelungen einer betrieblichen Einheitsregelung einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung (weiterhin) vor, wenn durch die Betriebsvereinbarung der Gesamtaufwand des Arbeitgebers verringert werde52. Beispiele für das vorhandene Bezugssystem sind die geringere Jubiläumszuwendung gegenüber höherem Weihnachtsgeld53 oder der Wegfall der Steigerungsbeträge in der betrieblichen Altersversorgung zu Gunsten fester und
48 BAG v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998 ff.; BAG v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542 ff.; BAG v. 17.6.2003 – 3 ABR 43/02, NZA 2004, 1110 ff.; BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, 816 ff.; Richardi/Richardi, § 77 Rz. 153 f.; diff. GK-BetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 256 ff.; a. A. Däubler, AuR 1987, 349; Joost, RdA 1989, 7; Annuß, NZA 2001, 756; abl. Hromadka, NZA 1987 Beil. 3, 2. 49 BAG v. 18.3.2003 – 3 AZR 101/02, NZA 2004, 1099 ff. 50 BAG v. 17.6.2003 – 3 ABR 43/02, NZA 2004, 1110 Rz. 43. 51 BAG v. 28.3.2000 – 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49 ff.; BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, NZA 1990, 351 ff.; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.; krit. GKBetrVG/Kreutz, § 77 Rz. 258; Belling, DB 1987, 1888; Däubler, AuR 1987, 349. 52 BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 Rz. 83. 53 BAG v. 3.11.1987 – 8 AZR 316/81, NZA 1988, 509 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
dynamisierter Zulagen zum Tarifentgelt54. Beispiele für ein fehlendes Bezugssystem liegen vor bei der Umsetzung einer durch Tarifvertrag nach Höhe und/oder Verteilung vorgegebene Leistungspflicht, bei Regelungen zur Altersgrenze für die Vertragsbeendigung55 oder Regelungen über das eigentliche Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Soweit die Betriebsvereinbarung für die einzelnen Arbeitnehmer günstigere Normen enthält, verdrängt sie indes während ihrer Geltungsdauer die arbeitsvertragliche Regelungen56. Unterstellt man trotz des Inkrafttretens der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002 die (fortbestehende) Anwendbarkeit der Grundsätze zur „kollektiven Günstigkeit“ und das Vorliegen der nach diesen Grundsätzen für eine Ablösung erforderlichen Voraussetzungen, entfällt die betriebliche Einheitsregelung mit Abschluss der ablösenden Betriebsvereinbarung. Sie wird durch die Betriebsvereinbarung ersetzt. Damit kann der Anspruch später auch durch Betriebsvereinbarung geändert (Ablösungsprinzip) oder ohne Wiederaufleben der einzelvertraglichen Regelung beendet werden57. Abweichend hiervon kann durch Betriebsvereinbarung in einzelvertraglichen Regelungen auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer eingegriffen werden, wenn dort der Vorbehalt einer kollektivrechtlichen Änderung enthalten war58 und die allgemeinen Grenzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachtet werden59. Dieser Vorbehalt kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, muss aber den gesetzlichen Transparenzerfordernissen (§§ 305 Abs. 2, 307 Abs. 1 S. 2 BGB) Rechnung tragen. Er muss in der Vereinbarung oder Zusage beziehungsweise anlässlich der Verhandlungen über die einzelvertragliche Regelung (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) zum Ausdruck kommen. Dies gilt auch für Arbeitsverträge, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden. Ein stillschweigender Vorbehalt einer Ablösung durch Betriebsvereinbarung besteht nicht60. Gegebenenfalls muss eine Auslegung vorgenommen werden; im Zweifel ist ein Änderungsvorbehalt LAG Hamm v. 17.12.1996 – 6 Sa 643/96, DB 1997, 382 f. BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, 816 ff. BAG v. 28.3.2000 – 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49 Rz. 30 ff. Vgl. BAG v. 21.9.1989 – 1 AZR 454/88, NZA 1990, 351 Rz. 58 ff.; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.; abw. DKKW/Berg, § 77 Rz. 24: nur einvernehmliche Verschlechterung oder Beendigung der BV; ErfK/Kania, § 77 BetrVG Rz. 78: nur (vorübergehend) verdrängende Wirkung. 58 BAG v. 17.6.2003 – 3 ABR 43/02, NZA 2004, 1110 Rz. 43 ff.; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff. 59 Vgl. BAG v. 10.12.2002 – 3 AZR 92/02, NZA 2004, 271 ff. 60 BAG 5.8.2009 – 10 AZR 483/08, NZA 2009, 1105 ff.; Eich, NZA 2010, 1389 ff.
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Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung
abzulehnen (§ 305 c Abs. 2 BGB)61. Der Arbeitsvertrag ist einer Änderung auch dann zugänglich, wenn auf eine Betriebsvereinbarung in bestimmter Fassung verwiesen worden ist. Ausgehend davon, dass Betriebsvereinbarungen ohnehin unmittelbar und zwingend zur Anwendung kommen (§ 77 Abs. 4 S. 1), soll dies in der Regel nur dem NachwG entsprechen. Insofern erfolgt der Verweis im Zweifel nur deklaratorisch62 und „dynamisch“63 (Beispiel: Im Arbeitsvertrag wird auf die zu dieser Zeit im Betrieb geltende Regelung über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage Bezug genommen). Schon wegen der Notwendigkeit kollektiver Veränderbarkeit und der damit verbundenen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats liegt darin im Zweifel keine individuelle Zusage, die gegenüber späterer Veränderung der betrieblichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung Bestand haben kann64. Das Gleiche gilt, wenn im Einstellungsgespräch mündlich auf bestimmte Betriebsvereinbarungen Bezug genommen wird65. Wenn der Arbeitnehmer eine bestimmte Regelung (statisch) festgeschrieben wissen will, muss dies im Arbeitsvertrag selbst deutlich zum Ausdruck gebracht werden66. Wenn im Arbeitsvertrag indes eine Zahlung nach den Maßgaben einer Betriebsvereinbarung zugesagt wird, kann dies eine konstitutive Bezugnahme sein, die nicht vom Fortbestand der Betriebsvereinbarung abhängig ist. Ob sie auch dynamisch ist, hängt von der weiteren Auslegung im Einzelfall ab67. Seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung am 1.1.2002 gilt das Transparenzgebot der AGB-Kontrolle allerdings auch im Arbeitsrecht. Das Transparenzgebot, das auch für betriebliche Einheitsregelungen gilt, könnte der weiteren Anwendung des Grundsatzes zur Ablösung bei „kollektiver Günstigkeit“ entgegenstehen68. Denn die Möglichkeit einer kollektivrechtlichen Ablösung einzelvertraglicher Zusagen und die Funktionsweise des Grundsatzes der „kollektiven Günstigkeit“ dürften für den einzelnen Arbeitnehmer wenig durchschaubar und damit intransparent sein. 61 Vgl. BAG v. 3.11.1987 – 8 AZR 316/81, NZA 1988, 509 ff.; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168 ff.; krit. Preis, NZA 2010, 361 ff. 62 BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00, NZA 2002, 276 Rz. 50. 63 BAG v. 16.8.1988 – 3 AZR 61/87, NZA 1989, 102 Rz. 20; BAG v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, 617 ff. 64 Vgl. BAG v. 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, DB 2009, 2551 ff.; BAG v. 23.6.1993 - 1 AZR 57/92, NZA 1993, 89 ff. 65 BAG v. 23.5.2007 – 10 AZR 295/06, NZA 2007, 940 Rz. 17 ff. 66 BAG v. 15.9.2009 – 9 AZR 757/08, DB 2009, 2551 Rz. 49 ff.; BAG v. 23.6.1993 - 1 AZR 57/92, NZA 1993, 89 ff.; DKKW/Berg, § 77 Rz. 19 a ff. 67 Vgl. BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 34/03, NZA 2004, 149 Rz. 38. 68 HWK/Gaul § 77 BetrVG, Rz. 63.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
Ob das BAG diese Bedenken teilt, ist nach wie vor unklar. Zwar lassen sich entsprechende Bedenken dem Urteil vom 5.8.200969 entnehmen, nach dem die Möglichkeit der Ablösung einzelvertraglicher Bedingungen wegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB im Arbeitsvertrag selbst erkennbar werden müsse. In seiner aktuellen Entscheidung vom 16.11.201170 hat das BAG die Frage einer Anwendung des „kollektiven Günstigkeitsprinzips“ offen gelassen. Es wendet diese Grundsätze indes an und scheint deshalb auch heute noch von seiner Anwendbarkeit auszugehen. Die streitgegenständliche Ablösung einer betrieblichen Einheitsregelung wurde schlussendlich mit der Begründung abgelehnt, dass die hierfür auch bei einer Anwendbarkeit dieses Prinzips erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Denn auch bei einer Anwendung dieser Grundsätze setze die Ablösung von Sozialleistungen durch Betriebsvereinbarung voraus, dass in der Betriebsvereinbarung erkennbar sei, dass die betroffene Sozialleistung abgelöst wurde. Das könne sich aus dem (vergleichbaren) Leistungszweck der vereinbarten Sozialleistung ergeben oder müsse ausdrücklich bestimmt werden. Im zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien um die Zahlung von Treuegeld. Die Beklagte hatte dem Kläger über mehr als 20 Jahre hinweg bis 2003 Treuegeld auf der Grundlage einer einzelvertraglichen Zusage gewährt. Eine Betriebsvereinbarung, die sie zur Grundlage gemacht hatte, fand im Betrieb selbst keine Anwendung. Im Zuge der Umstellung von DM auf € wurde das Treuegeld in der Betriebsvereinbarung „Rundungen auf glatte Euro-Beträge“ auf 200 € jährlich festgesetzt. Im Januar 2008 trat für die Betriebe der Beklagten sodann die Gesamtbetriebsvereinbarung „Pensionsplan B Deutschland“ in Kraft. Diese regelte die Betriebsrenten neu. Im Jahre 2009 zahlte die Beklagte dem Kläger kein Treuegeld mehr. Sie verwies darauf, dass mit den Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung die betriebliche Regelung abgelöst worden sei, obwohl in der entsprechenden Gesamtbetriebsvereinbarung kein Hinweis darauf enthalten sei. Sie habe aber in Betriebsversammlungen mehrfach auf diesen Umstand hingewiesen. Mit überzeugender Begründung hat das BAG der Klage stattgegeben und eine Ablösung des einzelvertraglichen Anspruchs abgelehnt. Bei den streitgegenständlichen Leistungen handelte es sich um Zuwendungen, die einen unterschiedlichen Zweck verfolgten. Eine ausdrückliche Regelung über die Ablösung der einzelvertraglichen Zusage hätten die Betriebsparteien nicht getroffen. Dafür spricht auch das Schriftformerfordernis, dass bei der Auslegung und Anwendung einer Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen ist. 69 10 AZR 483/08, NZA 2009, 1105 Rz. 14 ff. 70 10 AZR 60/11, NZA 2012, 349 ff.
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Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei der Einstellung
Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen, zumal sich das gleiche Ergebnis an sich schon aus dem Umstand ergeben dürfte, dass die Anwendbarkeit der Grundsätze zur „kollektiven Günstigkeit“ mit der Folge einer Ablösung einzelvertraglicher Ansprüche im Widerspruch zu § 307 Abs. 1 S. 2 BGB steht. (Ga/SL)
6.
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei der Einstellung „nicht nur vorübergehend beschäftigter“ Leiharbeitnehmer
Nach § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG erfolgt die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher vorübergehend. Wie bereits an anderer Stelle eingehend ausgeführt wird, ist umstritten, welche rechtliche Bedeutung diese Regelung hat und wann noch von einer vorübergehenden Überlassung die Rede ist71. Der Beschluss des ArbG Leipzig vom 15.2.201272 macht deutlich, dass der Streit über die Bedeutung der gesetzlichen Regelung auch kollektivrechtliche Auswirkungen haben kann. Denn in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Betriebsrat in Leipzig der beabsichtigten Einstellung von 33 Leiharbeitnehmern auch mit der Begründung widersprochen, dass es sich nicht (mehr) um eine vorübergehende Tätigkeit handele73. Vielmehr liege ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG vor. Denn die in Rede stehenden Leiharbeitnehmer waren bereits zuvor bei der Antragstellerin eingesetzt. Gegenstand der beabsichtigten Einstellung war die Verlängerung des bis dahin befristeten Einsatzes. Eine Befristung des neuen Einsatzes war durch den Antragssteller nicht geplant. Der Betriebsrat verweigerte deshalb seine Zustimmung im Wesentlichen mit der Begründung, dass • die nicht mehr „vorübergehende“ Überlassung gegen § 1 S. 2 AÜG verstoße, • der überdimensionierte Einsatz von Leiharbeitnehmern dem Betriebsrat Zeitanteile für die Stammbelegschaft nehme und notwendiges Anlernen der Leiharbeitnehmer die Arbeitsabläufe beeinträchtige,
71 B. Gaul, AktuellAR 2011, 10 ff., 341 ff., 2012, 56 ff. 72 11 BV 79/11, DB 2012, 640; so nochmals ArbG Leipzig, v. 23.3.2012 – 5 BV 85/11 n. v. 73 Dies halten auch Düwell, ZESAR 2011, 449, 455 und Böhm, DB 918, 921 für möglich.
199
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
• die betroffenen Leiharbeitnehmer benachteiligt würden, weil für sie nicht die bestehenden Betriebsvereinbarungen und Umgangsnormen zählten und • der Arbeitgeber keine konkreten Sachgründe genannt habe, die eine Fortsetzung der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern rechtfertigten.
Das ArbG Leipzig hat die fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Einstellung ersetzt und gleichzeitig bestätigt, dass die vorläufige Besetzung der in Rede stehenden Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war (§§ 99 Abs. 4, 100 BetrVG). Der zugrunde liegenden Bewertung ist zuzustimmen. Dem Betriebsrat ist bei seiner Vorgehensweise zunächst einmal zuzugestehen, dass ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot auch durch die Einstellung von Leiharbeitnehmern erfolgen kann, wenn diese in einem klaren Widerspruch zu einer gesetzlichen Vorgabe steht. In Betracht kommen insoweit Normen, mit denen Gesundheitsgefahren für die Beschäftigten selbst oder auch für Dritte ausgeschlossen werden sollen. Das Verbot einer Beschäftigung kann auch arbeitsmarktpolitische oder sozialpolitische Ziele verfolgen74. Infolgedessen hat das BAG ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG auch bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers angenommen, die von vorne herein auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten beabsichtigt war und gegen die damalige Höchstüberlassungsdauer von Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG verstieß75. Nach Auffassung des ArbG Leipzig enthält § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG indes keine Verbotsnorm, die den Anforderungen des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG entspricht76. Denn der Gesetzgeber habe ganz bewusst keine Höchstfristen für die Überlassung von Leiharbeitnehmern festgesetzt. Insofern lasse sich die Grenze einer zulässigen Überlassungsdauer (§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG) nicht entnehmen. Da auch die Richtlinie 2008/104/EG kein grundsätzliches Verbot der dauerhaften Überlassung von Leiharbeitnehmern enthalte, könne § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG auch nicht als ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG verstanden werden. Richtig an dieser Bewertung ist die Feststellung, dass es im Gesetz keine vorgegebenen Höchstüberlassungsgrenzen für die Einsatz von Leiharbeit-
74 ArbG Leipzig v. 15.2.2012 – 11 BV 79/11, DB 2012, 640 Rz. 41; BAG v. 28.6.1993 - 1 ABR 59/93, NZA 1995, 387 Rz. 24. 75 Vgl. BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 85/87, NZA 1989, 358 Rz. 18. 76 A. A. dagegen in Teilen der Literatur vgl. z. B. Böhm, DB 2012, 918, 921; Düwell, ZESAR 2011, 449, 455.
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Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats bei der Einstellung
nehmern gibt. Dies rechtfertigt auch, darin kein Verbot im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu sehen, das bereits durch die Eingliederung der Leiharbeitnehmer in den Betrieb verletzt wird. Allerdings wird man der betrieblichen Praxis dringend empfehlen müssen, bei entsprechenden Einsätzen von Leiharbeitnehmern auch gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen von § 99 BetrVG erkennbar zu machen, dass der beabsichtigte Einsatz der Leiharbeitnehmer von Beginn an durch Zeit (Datum) oder Zweck der Tätigkeit begrenzt ist. In diesem Fall liegt eine vorübergehende Überlassung vor, die auch der gesetzlichen Vorgabe in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG Rechnung trägt. Denn dass diese Regelung durchaus dem dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern entgegensteht, ist bereits an anderer Stelle ausgeführt worden77. Zu Recht hat das ArbG Leipzig indes in den weiteren Ausführungen seiner Entscheidung auch die Begründung des Betriebsrats zurückgewiesen, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern einen erheblich höheren Aufwand bei der Betriebsratsarbeit erfordere und Zeitanteile für die Stammbelegschaft in Bezug auf die dort erforderlichen Anlernprozesse beeinträchtige. Der erstgenannte Umstand kann ohne weiteres durch die Regelungen zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nach den §§ 37 Abs. 2, 38 BetrVG zum Ausgleich kommen. Für den zweitgenannten Vorwurf fehlte substantiierter Sachvortrag, der erkennen ließ, dass es der nicht nur vorübergehende Einsatz von Leiharbeitnehmer war, der hier Anlernprozesse der Stammbelegschaft beeinträchtigte. Dass Leiharbeitnehmer nicht in den Geltungsbereich sämtlicher Betriebsvereinbarungen fallen, die im Einsatzbetrieb für die dort beschäftigten Arbeitnehmer gelten, begründet als solches keine Zustimmungsverweigerung bei der beabsichtigten Einstellung. Denn die Eingliederung in den Betrieb, die Gegenstand des Verfahrens nach § 99 BetrVG ist, hängt nicht von den Arbeitsbedingungen ab, die auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrags für die Leiharbeitnehmer zur Anwendung kommen. Dies gilt selbst dann, wenn den betroffenen Arbeitnehmern rechtswidrig - beispielsweise durch Missachtung des Equal-Treatment-Gebots – die Anwendung von Arbeitsbedingungen verwehrt wird, die beim Entleiher für vergleichbare Arbeitnehmer zur Anwendung kommen. Abzuwarten ist, ob die Entscheidung des ArbG Leipzig im Rahmen der Rechtsbeschwerde bestätigt wird. Es wäre zu wünschen, dass möglichst bald eine höchstrichterliche Klärung der Bedeutung und Rechtsfolgen von § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG geschaffen wird. Problematisch daran ist allerdings, dass
77 B. Gaul, AktuellAR 2011, 10 ff., 341 ff., 2012 56 ff.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
es sich bei diesem Begriff um eine unionsrechtliche Vorgabe handelt, deren Auslegung an sich in die originäre Zuständigkeit des EuGH fällt. Insoweit wäre deshalb jedenfalls für das BAG ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH notwendig, bevor in der Sache entschieden wird. (Ga)
7.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung: Neubewertung des Tarifvorbehalts
In den vergangenen Jahren hatte sich das BAG mehrfach mit der Frage auseinandergesetzt, welche Konsequenzen die Kennzeichnung einer tarifvertraglichen Vergütungsordnung als betrieblicher Entlohnungsgrundsatz für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat. Im Mittelpunkt stand dabei in der Regel die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats nach Wegfall der gesetzlichen Tarifbindung von der tarifvertraglichen Vergütungsstruktur abweichende Entgeltregelungen im Betrieb einführen kann. Im Ergebnis hatte die entsprechende Rechtsprechung des 1. Senats des BAG zur Folge, dass strukturelle Änderungen ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bzw. eine die Zustimmung ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle zum Nachteil der Arbeitnehmer unwirksam sind. Auf diese Weise wurde die tarifvertragliche Vergütungsordnung selbst dann für den Arbeitgeber verbindlich, wenn sie nach §§ 3, 4 TVG an sich keine bzw. keine unmittelbare und zwingende Wirkung mehr besitzt78. Diese Rechtsprechung hat das BAG in zwei Beschlüssen vom 18.10.201179 auf den Fall übertragen, dass eine tarifvertragliche Vergütungsordnung für den Arbeitgeber an sich noch verbindlich ist, eine zwingende Wirkung der Regelungen des Tarifvertrags aber wegen der fehlenden Mitgliedschaft einzelner Arbeitnehmer in der Gewerkschaft aber nur für einen Teil der Belegschaft gegeben ist. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war die Arbeitgeberin im Wege eines Anerkennungstarifvertrags an die jeweils gültigen Tarifverträge für den Einzelhandel im Land NRW gebunden. Hierzu gehörte auch ein Gehaltstarifvertrag (GTV NRW), dessen § 3 die Anforderungen für die Eingruppierung der kaufmännischen und technischen Angestellten bestimmte. 78 BAG v. 11.11.2008 – 1 ABR 68/07, NZA 2009, 450 Rz. 20 ff.; BAG v. 23.9.2003 – 1 ABR 35/02, NZA 2004, 800 Rz. 28 ff.; BAG v. 11.6.2002 – 1 AZR 390/01, NZA 2003, 570 Rz. 25 ff. 79 1 ABR 25/10, NZA 2012, 392 ff. und 1 ABR 34/10 n. v.
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung
Seit 2008 vereinbarte die Arbeitgeberin nunmehr aber mit neu eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsentgelte, bei deren Höhe individuelle Kriterien wie etwa die zuvor erworbene Berufserfahrung berücksichtigt werden. Eine Anknüpfung an die tarifvertraglichen Entgeltregelungen fand nicht mehr statt. Insbesondere gruppierte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer nicht mehr in die Vergütungsordnung des jeweils geltenden Gehaltstarifvertrags ein. Der Betriebsrat machte nunmehr geltend, dass die Arbeitgeberin verpflichtet sei, die neu einzustellenden Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf eine etwaige Bindung dieser Arbeitnehmer an den Tarifvertrag nach § 99 Abs. 1 BetrVG in die Gehaltsgruppen des § 3 GTV NRW einzugruppieren. Diesem Begehren hat das BAG stattgegeben und festgestellt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, bei allen Neueinstellungen, soweit die Mitarbeiter nicht ATAngestellte oder Leiharbeitnehmer sind, unabhängig von deren Tarifgebundenheit eine Eingruppierung in den Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vorzunehmen und dazu die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. In der Begründung seiner Entscheidung hat der 1. Senat des BAG darauf hingewiesen, dass die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung nicht nur für die Zuordnung im Wege der Eingruppierung maßgeblich ist. Die tarifvertragliche Vergütungsordnung stelle zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Zwar handele es sich dabei nicht um Betriebsnormen im Sinne des § 3 Abs. 2 TVG, die unabhängig von der Tarifbindung der Arbeitnehmer für alle Betriebe des tarifgebundenen Arbeitnehmers gelten würden, sondern um Inhaltsnormen, die nur unmittelbar und zwingend im Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und den tarifgebundenen Arbeitnehmern (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 TVG) Anwendung fänden. Dennoch sei der tarifgebundene Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifbindung der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des §87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterlägen80. Grundsätzlich weist § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden zu. Dieses Mitbestimmungsrecht kann zwar durch den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG, wonach der Betriebsrat nur mitbestimmen kann, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, be-
80 BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 34/10 n. v. (Rz. 16).
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
schränkt oder ausgeschlossen sein. An sich genügt es hierfür, dass der Arbeitgeber selbst an diesen Tarifvertrag gebunden ist. Einer normativen Bindung der betriebszugehörigen Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG) bedarf es hierfür nicht. Auch wenn das BAG mit dieser Ausgangsfeststellung seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, erkennt der 1. Senat doch an, dass ein solches Normverständnis des Tarifvorbehalts unmittelbar aber nur den Schutz tarifgebundener Arbeitnehmer bewirkt. Sie können sich gegenüber dem Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 1 TVG auf zwingende tarifvertragliche Regelungen bereits individualrechtlich berufen. Bei einer abschließenden tariflichen Regelung einer ansonsten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit bedürfen sie daher nicht des Schutzes der Mitbestimmung. Das alleinige Abstellen auf die Tarifbindung des Arbeitgebers führt aber – so das BAG – zu einer Schutzlücke zu Lasten nicht tarifgebundener Arbeitnehmer, wenn der Tarifvorbehalt nicht durch Betriebs- sondern durch Inhaltsnormen bewirkt wird81. Soweit der 1. Senat des BAG noch in seinem Beschluss vom 24.2.198782 die Auffassung vertreten hatte, dass diese Schutzlücke hinnehmbar sei, weil die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer die tariflichen, das jeweilige Mitbestimmungsrecht ausschließenden Rechte durch den Beitritt zur vertragsschließenden Gewerkschaft erlangen könnten, gibt er diese Auffassung auf83. Gegen eine Abhängigkeit des Tarifvorbehalts von der Mitgliedschaft in der Tarifvertrag schließenden Gewerkschaft spricht für das BAG bereits der Zweck des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG. Der notwendigen Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten bedürfe es nur dann nicht mehr, wenn die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bereits durch Gesetz oder Tarifvertrag beschränkt würden und damit die Arbeitnehmer angemessen geschützt seien. Ein solcher Schutz, der nicht durch Tarifvertrag abgesicherten Arbeitnehmer ist nach Auffassung des BAG indes nicht gewährleistet, wenn zu ihrem Nachteil schon durch die einseitige Tarifbindung des Arbeitgebers auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Gänze verloren gehen. Das Problem dieser Schutzlücke der nicht unmittelbar tarifgebundenen Arbeitnehmer löste das BAG indes nicht, in dem insoweit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG anerkannt wird. Dies hätte eine Interessenvertretung durch den Betriebsrat zur Folge, die sich ausschließlich auf die nicht- oder anders organisierten Arbeitnehmer richtete. In 81 BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 34/10 n. v. Rz. 22; Kreft, Festschrift Kreutz S. 263, 270. 82 1 ABR 18/85, NZA 1987, 639 ff. 83 BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 34/10 n. v. Rz. 22.
204
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung
Bezug auf diesen Arbeitnehmerkreis wäre ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gegeben, ohne dass dabei zugleich eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden könnte. Denn diese würde am Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG scheitern. Der 1. Senat des BAG hat insoweit ein hiervon abweichendes Verständnis der Bedeutung des Tarifvorbehalts in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG entwickelt. Nach seiner Auffassung folgt bereits aus dem Zweck der gesetzlichen Mitbestimmung, dass der Arbeitgeber im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung verpflichtet sei, das tarifliche Entlohnungssystem zur Vermeidung einer solchen Schutzlücke auch gegenüber den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern anzuwenden, soweit dessen Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterlägen. Die Transparenz der betrieblichen Lohngestaltung und die Beachtung der Verteilungsgerechtigkeit erforderten eine vergleichende Bewertung des gesamten betrieblichen Entgeltgefüges. Der mit dem Betriebsbeteiligungsrecht beabsichtigte Schutz werde verfehlt, wenn die Zuordnung der Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Entlohnungssystemen allein nach der Gewerkschaftszugehörigkeit erfolge84. Konsequenz dieser übergreifenden Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anwendung der tariflichen Vergütungsordnung ist, dass er ohne Rücksicht auf eine Gewerkschaftsmitgliedschaft die Zuordnung der Arbeitnehmer zu dieser Vergütungsordnung im Wege einer Eingruppierung vornehmen und den Betriebsrat nach §§ 99 BetrVG um Zustimmung ersuchen muss. Dies gilt jedenfalls solange, als der Tarifvertrag seine unmittelbare und zwingende Wirkung entfaltet und keine hiervon abweichende Vergütungsstruktur mit dem Betriebsrat vereinbart wird. Wichtig allerdings ist, dass die Bindung des Arbeitgebers an die tarifliche Entgeltstruktur auch nach den Feststellungen des BAG keinen Anspruch der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer auf den Tariflohn begründet. Zwar sei der Arbeitgeber – so das BAG – aufgrund des Arbeitsvertrags verpflichtet, die Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erstrecke sich aber nicht auf die Entgelthöhe, sondern umfasse nur die Bildung von Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterien einschließlich der Festsetzung der Wertunterschiede nach Prozentsätzen oder anderen Bezugsgrößen. Der tarifgebundene Arbeitgeber könne daher für die nicht tarifgebundenen Ar-
84 BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 34/10 n. v. (Rz. 26); Kreft, Festschrift Kreutz S. 263, 272 f.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
beitnehmer die Höhe des Entgelts unter Beachtung der in der tariflichen Vergütungsordnung enthaltenen Verteilungsgrundsätze festlegen85. In der Praxis hat dies zur Folge, dass bei Neueinstellungen nicht beliebig individuelle Vergütungsabsprachen getroffen werden können. Vielmehr ist der Arbeitgeber jedenfalls bei einer abstrakt-generellen Vorgehensweise, die individuelle Verhandlungsergebnisse unberücksichtigt lässt, verpflichtet, die Gehälter und sonstigen Entgeltbestandteile in den durch den Tarifvertrag bestimmten Proportionen festzulegen. Ohne Mitbestimmung des Betriebsrats ist damit eine übergreifend prozentuale Abweichung möglich. Wenn weitergehende Abweichungen, insbesondere die Streichung einzelner Leistungen, erfolgen soll, bedarf dies einer Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Kurios an dem Ergebnis dieser Bewertung ist, dass der Arbeitgeber bei den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zwar eine Eingruppierung in den Tarifvertrag vornimmt, gleichzeitig aber nicht verpflichtet ist, das daraus nach dem Tarifvertrag folgende Entgelt zu bezahlen. Es genügt, wenn er – im Verhältnis zu anderen Einstellungsentscheidungen – abstrakt-generell einen bestimmten Prozentsatz der tarifvertraglich vorgegebenen Vergütung bezahlt. (Ga)
8.
Überwachungsrechte des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement
Nach § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX obliegt dem Arbeitgeber die Pflicht, bei Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, die Möglichkeiten einer Überwindung der Arbeitsunfähigkeit zu klären. Bei diesem sogenannten betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) soll unter anderem geklärt werden, durch welche Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Gemäß § 84 Abs. 2 S. 7 SGB IX sind die Interessenvertretungen, zumeist also der Betriebsrat nach § 93 SGB IX, dafür zuständig, den Arbeitgeber bei der Ausübung dieser Pflichten zu überwachen. Entsprechendes folgt aus § 80 Abs. 1 und 2 BetrVG. In seinem jetzt vorliegenden Beschluss vom 7.2.201286 hat das BAG klargestellt, dass der Betriebsrat im Zusammenhang mit dieser Überwachungspflicht einen Anspruch darauf hat, dass ihm durch den Arbeitgeber die Na-
85 BAG v. 18.10.2011, 1 ABR 34/10 n. v. (Rz. 29). 86 1 ABR 46/10 n. v.
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Überwachungsrechte des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement
men sämtlicher Arbeitnehmer genannt werden, die für die Durchführung eines BEM in Betracht kommen. Hierbei sei es nicht notwendig, das Einverständnis des entsprechenden Arbeitnehmers einzuholen. In dem zugrunde liegenden Fall hatten die betrieblichen Sozialpartner im Rahmen einer Betriebsvereinbarung u. a. festgelegt: §4 Maßnahmen Der BR erhält quartalsmäßig (zusammen mit der Mitarbeiterliste) ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die die Voraussetzungen für ein BEM erfüllen. Der Arbeitgeber teilt gleichzeitig seine Einschätzung mit, ob ein BEM aus seiner Sicht geeignet und sinnvoll ist. Er teilt zudem eine nachvollziehbare Begründung hierfür mit. Erachtet der Arbeitgeber ein BEM nicht als sinnvoll, und teilt der BR diese Beurteilung, findet ein BEM nicht statt. Soweit die Betriebsparteien hierüber nicht einig sind, nimmt die Arbeitgeberseite einen ersten, nicht formellen Kontakt mit dem Betroffenen auf. (…) §7 Datenschutz Das betriebliche Eingliederungsmanagement erfolgt unter Wahrung der jeweils gültigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. (…)
Der Arbeitgeber war der Meinung, dass die Übermittelung personenbezogener Daten nach §§ 4, 7 der Betriebsvereinbarung von einer Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig sei. Dies gebiete das BDSG und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das BAG ist dieser Bewertung nicht gefolgt. Zum einen begehre der Betriebsrat lediglich die Herausgabe von Eckdaten. Hierunter fielen Namen und Fehlzeiten der entsprechenden Arbeitnehmer. Nicht erfasst würden aber sensible Gesundheitsdaten wie Art und Schwere der Erkrankung oder Informationen darüber, ob eine Fortsetzungserkrankung oder mehrere voneinander unabhängige Erkrankungen vorliegen. Dass es sich gleichwohl um (besondere) personenbezogene Daten handelte, stehe der Übermittlung auch deshalb nicht entgegen, weil der Betriebsrat diese Daten zur Durchführung einer gesetzlichen Aufgabe verwende. Auch das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stehe dieser Verpflichtung des Arbeitgebers nicht entgegen. Denn es stehe unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und werde somit durch die §§ 84 Abs. 2 S. 7 SBG IX, 80 Abs. 1 und 2 BetrVG in zu-
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
lässiger Weise eingeschränkt. Eine einschränkende Auslegung von § 4 Abs. 1 S. 1 der Betriebsvereinbarung sei deshalb nicht erforderlich. Mit ihren Entscheidungen weicht das BAG von der Rechtsprechung einiger Verwaltungsgerichtshöfe87 ab. Für die betriebliche Praxis hat dies erhebliche Bedeutung. Arbeitgeber können sich der entsprechenden Überprüfung durch den Betriebsrat bezüglich des BEM nun nicht mehr unter Berufung auf das Datenschutzrecht entziehen. Allerdings ist der Auskunftsanspruch des Betriebsrats auf die Namen der Beschäftigten und die Dauer der Fehlzeiten begrenzt. Dies genügt um festzustellen, ob die Handlungspflichten des § 84 Abs. 2 SGB IX ausgelöst werden. Alles weitere hängt dann davon ab, welche Informationen der Arbeitnehmer in dem Verfahren selbst übermittelt und ob – was der Arbeitnehmer ablehnen kann – der Betriebsrat überhaupt an den Besprechungen im Rahmen des BEM teilnehmen darf. Ein Anspruch des Betriebsrats auf Informationen bezüglich der Art und Schwere einer Erkrankung und der daraus folgenden Prognose besteht außerhalb der entsprechenden Gespräche im BEM nicht. (Ga/Do)
9.
Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Unterweisung zum Arbeitsschutz
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften. Hierzu gehört auch die durch § 12 ArbSchG dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu unterweisen. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Im Beschluss vom 8.11.201188 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung auch die Erkenntnisse einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- und aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten habe. Sie könne sich nicht darauf beschränken, allgemeine Bestimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz aufzustellen. 87 Bay. VGH v. 30.4.2009 – 17 P 08.3389, VGHE BY 62, 41 Rz. 40; OVG BerlinBrandenburg v. 20.11.2008 – OVG 60 PV 9.07 n. v. Rz. 40. 88 1 ABR 42/10 n. v. (Rz. 16 ff.).
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Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Unterweisung zum Arbeitsschutz
Das Erfordernis der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung als Grundlage der Regelung einer Unterweisung im Sinne des § 12 ArbSchG folgt nach Auffassung des BAG schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung. § 12 Abs. 1 S. 1 ArbSchG verpflichtet den Arbeitgeber, die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Damit werde klargestellt, dass die Unterweisung sich nicht in allgemeinen Fragestellungen des Arbeitsschutzes erschöpfen darf, sondern gerade die konkrete Gefährdung zum Gegenstand haben müsse, der die Arbeitnehmer an den jeweiligen Arbeitsplätzen im Einzelnen ausgesetzt seien. Wer diese Gefahren nicht kenne, könne über diese auch nicht im Rahmen der Unterweisung aufklären. Folgerichtig könne die Einigungsstelle auch ihren Regelungsauftrag nur dann vollständig erfüllen, wenn sie die konkreten Gefahren am Arbeitsplatz in den Blick nehme und hiervon ausgehend konkrete, arbeitsplatzbezogene Bestimmungen beschließe89. Zu Recht verweist der 1. Senat des BAG dabei auch auf den Schutzzweck der gesetzlichen Regelung. Die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG ist ein zentrales Element und notwendige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers. Je genauer und wirklichkeitsnäher im Betrieb die Gefährdungen ermittelt und beurteilt würden, umso zielsicherer – so das BAG – könnten konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren getroffen werden. Dazu gehöre auch die Unterweisung nach § 12 ArbSchG, die dazu diene, die Beschäftigten in die Lage zu versetzen, Gefährdungen und Gefahren rechtzeitig zu erkennen, Arbeitsschutzmaßnahmen nachzuvollziehen und sich an ihrer Durchführung aktiv zu beteiligen, so wie sich sicherheits- und gesundheitsgerecht zu verhalten90. Dieser Bewertung steht nach Auffassung des BAG nicht entgegen, dass sich nach § 5 Abs. 3 Nr. 5 ArbSchG eine Gefährdung auch aus einer unzureichenden Unterweisung der Beschäftigten ergeben könne. Mit dieser gesetzlichen Feststellung werde lediglich deutlich gemacht, dass Gefährdungen auch in Folge unzureichender Unterweisungen entstehen könnten. Es werde jedoch nicht der Grundsatz in Frage gestellt, dass eine Einigungsstelle ihren Auftrag nur dann vollständig erfülle, wenn sie die konkreten Gefahren
89 BAG v. 8.11.2011 – 1 ABR 42/10 n. v. (Rz. 17); BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03, NZA 2005, 227 ff. 90 BAG v. 8.11.2011 – 1 ABR 42/10 n. v. Rz. 19; BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, NZA 2009, 102 ff. Rz. 23; Pieper, ArbSchG, § 12 Rz. 1.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
an den Arbeitsplätzen in den Blick nehme und hierauf aufbauend arbeitsaufgabenbezogene Unterweisungen beschließe. Erst hiermit werde Gefährdungen infolge unvollständiger Unterweisungen wirkungsvoll begegnet91. Auf dieser Grundlage hat das BAG der Klage eines Arbeitgebers auf Anfechtung des Spruchs einer Einigungsstelle stattgegeben. Denn die Einigungsstelle hatte ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung abstrakt-generelle Vorgaben zur Unterweisung der Beschäftigten über den Arbeitsplatz festgelegt. Hierzu gehört auch eine pauschale Unterweisungsdauer von drei Stunden je Arbeitnehmer. Diese wie auch weitere Regelungen zur Festlegung der die Unterweisung durchführenden Personen und eine Evaluierung der Erkenntnisse, die daraus gezogen werden, waren ohne Rücksicht auf eine arbeitsplatz- oder tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung erfolgt. Da eine Teilunwirksamkeit dieses Einigungsstellenspruchs keinen Sinn machte, war der Spruch insgesamt unwirksam. (Ga)
10. Mitbestimmungsrecht Betriebsrat: Gesundheitsschutz, Ausgleich für Nachtarbeit Nach § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Welche Alternative der Arbeitgeber wählt, unterliegt grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Danach bestimmt der Betriebsrat mit bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften. Dabei ist für die Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nach Ansicht des BAG92 gleichgültig, ob die ausfüllungsbedürftige gesetzliche Rahmenvorschrift unmittelbar oder nur mittelbar dem Gesundheitsschutz dient. Der Gesundheitsschutz wird daher durch den in § 6 Abs. 5 ArbZG vorgesehenen Ausgleichsanspruch mittelbar dadurch umgesetzt, dass er die mit Zusatzkosten belastete Nachtarbeit für den Arbeitgeber weniger attraktiv macht.
91 BAG v. 8.11.2011 – 1 ABR 42/10 n. v. (Rz. 20). 92 BAG v. 17.1.2012 - 1 ABR 62/10, NZA 2012, 513 Rz. 13; BAG v. 8.6.2004 - 1 ABR 13/03, NZA 2004, 1175 Rz. 41; BAG v. 26.8.1997 - 1 ABR 16/97, NZA 1998, 441 Rz. 36.
210
Mitbestimmungsrecht Betriebsrat: Gesundheitsschutz, Ausgleich für Nachtarbeit
Es entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG93, dass der Ausgleichsanspruch und eine der Mitbestimmung zugängliche Wahlmöglichkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG entfallen, soweit der einschlägige Tarifvertrag eine Ausgleichsregelung für Nachtarbeit enthält. Diese Bewertung beruht darauf, dass § 6 Abs. 5 ArbZG die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen deren größerer Sachnähe den Tarifvertragsparteien überlässt und damit nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch schafft. Bei derartigem Befund entfällt die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Ausgleich zu schaffen, so dass mangels Pflichtenstellung des Arbeitgebers auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Der 1. Senat des BAG musste in einem Beschluss vom 17.1.201294 den Spruch einer Einigungsstelle auf seine rechtliche Wirksamkeit hin überprüfen, der unter anderem für Bereitschaftsdienste in den Nachtstunden einen Freizeitausgleich unter Fortzahlung des Entgelts vorsah. Die tarifgebundene Arbeitgeberin betreibt ein Krankenhaus und unterfällt einer tariflichen Regelung, die vorsieht, dass der Beschäftigte je nach dem Umfang der im Kalenderjahr geleisteten Nachtarbeitsstunden einen bezahlten Zusatzurlaub erhält. Die Arbeitgeberin focht den Spruch der Einigungsstelle an, weil ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats wegen der tarifvertraglichen Ausgleichsregelung nicht in Betracht gekommen sei. Das BAG hat die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle bestätigt. Ihr fehlte bereits aufgrund der bestehenden tarifvertraglichen Regelung die Zuständigkeit. Das BAG verweist dabei auf seine frühere Spruchpraxis und führt aus, dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Bestimmung des Ausgleichs der mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG entfällt, wenn in seinem Betrieb entweder normativ oder kraft einzelvertraglicher Bezugnahme eine tarifliche Regelung gilt, die eine materielle Kompensation für die Erschwernisse der Nachtarbeit enthält. Da im Streitfall eine entsprechende tarifliche Regelung vorlag, entfiel zugleich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG und damit die Zuständigkeit der Einigungsstelle (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Nicht so ganz klar für die betriebliche Praxis ist auf der Grundlage dieser Entscheidung, ob der Arbeitgeber den einschlägigen Tarifvertrag zumindest im Wege einer Bezugnahmeklausel auch auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer erstrecken muss. Das BAG scheint dies zu bejahen, weil es in den Beschlussgründen besonders darauf abstellt, dass die Arbeitgeberin den ein93 BAG v. 26.4.2005 – 1 ABR 1/04, NZA 2005, 884 Rz. 33; BAG v. 26.8.1997 - 1 ABR 16/97, NZA 1998, 441 Rz. 19 ff. 94 1 ABR 62/10, NZA 2012, 513 ff.
211
Betriebsverfassung und Mitbestimmung
schlägigen Tarifvertrag auf sämtliche Arbeitnehmer angewendet hat. Diese Frage stellt sich deswegen, weil die Schutzfunktion des Tarifvertrags zunächst nur die tarifgebundenen Arbeitnehmer betrifft. Insoweit besteht noch Klärungsbedarf, zumal der 1. Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung vom 18.10.201195 die frühere Senatsrechtsprechung aufgegeben hat, wonach für das Eingreifen des Tarifvorbehalts des § 87 Abs. 1 Eingangss. BetrVG und dem damit einhergehenden Ausschluss des Mitbestimmungsrechts bereits die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreicht96. Da die Betriebsparteien infolge der tarifvertraglichen Regelung an einer Gestaltung eines Ausgleichs für Nachtarbeit gehindert sind, müsste damit der Arbeitgeber kraft Gesetzes gehalten sein, die tarifvertragliche Regelung auch auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer erstrecken zu müssen. (Boe)
11.
Berücksichtigung von Arbeitnehmern der Tochterunternehmen im Aufsichtsrat bei Drittelbeteiligung
Die Berücksichtigung von Arbeitnehmern der abhängigen Gesellschaften eines als herrschendes Unternehmen zu qualifizierenden Rechtsträgers bestimmen sich im Anwendungsbereich der Drittelbeteiligung nach § 2 DrittelbG. Dabei ist zwischen der Berücksichtigung dieser Arbeitnehmer bei der Feststellung des Schwellenwerts nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG (§ 2 Abs. 2 DrittelbG) und der Wahlberechtigung solcher Arbeitnehmer bei den Aufsichtsratswahlen des herrschenden Unternehmens (§ 2 Abs. 1 DrittelbG) zu unterscheiden. Vorbehaltlich der in § 1 Abs. 1 DrittelbG bestimmten Ausnahmen setzt die Drittelbeteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat voraus, dass die jeweils betroffene Gesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Gemäß § 2 Abs. 2 DrittelbG gelten die Arbeitnehmer eines Konzernunternehmens bei der Berechnung des Schwellenwerts aber nur dann als solche des herrschenden Unternehmens, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist. Die Möglichkeit, ein Tochterunternehmen als Folge einer Mehrheitsbeteiligung (faktisch) steuern zu können, genügt – anders als im Anwendungsbereich der paritätischen Mitbestimmung – im Rahmen der Drittelbeteiligung nicht.
95 1 ABR 34/10, DB 2012, 584. 96 Hierzu vgl. B. Gaul, AktuellAR 2012, 200 ff.
212
Mitbestimmungsrecht Betriebsrat: Gesundheitsschutz, Ausgleich für Nachtarbeit
Wenn ein Unternehmen allerdings als Konsequenz der eigenen Arbeitnehmer oder der durch entsprechende Zurechnung in Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer oder als Folge der in § 1 Abs. 1 DrittelbG geregelten Ausnahmen von dem Überschreiten des entsprechenden Schwellenwerts in den Anwendungsbereich der Drittelbeteiligung fällt, sind nicht nur die Arbeitnehmer dieses Unternehmens berechtigt, an der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat teilzunehmen. Nach § 2 Abs. 1 DrittelbG nehmen auch die Arbeitnehmer der übrigen Konzernunternehmen an der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens eines Konzerns teil. Wie die Entscheidung des BAG vom 15.12.201197 deutlich macht, wird dabei an den aktienrechtlichen Konzernbegriff angeknüpft. Voraussetzung ist also, dass mehrere Unternehmen einen sogenannten Unterordnungskonzern bilden. Für die Wahlberechtigung kommt es nicht darauf an, dass dies zugleich mit einem Beherrschungsvertrag oder einer aktienrechtlichen Eingliederung verbunden wird. Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss hat. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist. Gehört – so das BAG – die Mehrheit der Anteile eines rechtlich selbständigen Unternehmens einem anderen Unternehmen, ist das Unternehmen nach § 16 Abs. 1 AktG ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen. Für die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 AktG ist unerheblich, in welcher Rechtsform das herrschende und die abhängigen Unternehmen geführt werden. Der Unternehmensbegriff wird in §§ 15 ff. AktG rechtsformneutral verwendet98. In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung geht der 7. Senat des BAG davon aus, dass eine Mehrheitsbeteiligung an Personengesellschaften allerdings erst dann zu einer Abhängigkeit führt, wenn im Gesellschaftsvertrag in wichtigen Fragen der Geschäftspolitik das Einstimmigkeitsprinzip des § 119 Abs. 1 HGB abbedungen ist. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht für eine KG. Bei einer KG ist die Geschäftsführung Alleinangelegenheit der persönlich haftenden Gesellschafter. § 164 S. 1 HGB schließt die Kommanditisten von dieser Geschäftsführung aus. Wird die KG in der Rechtsform 97 98
7 ABR 56/10 n. v. (Rz. 46 ff.). BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 56/10 n. v. (Rz. 49); BAG v. 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866 ff. Rz. 26.
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Betriebsverfassung und Mitbestimmung
einer GmbH & Co KG geführt, die nur einen einzigen Komplementär hat, genügt deshalb für die Abhängigkeit die mehrheitliche Beteiligung an der Komplementär-GmbH99. (Ga)
99
214
BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 56/10 n. v. (Rz. 49); BAG v. 22.11.1995 – 7 ABR 9/95, NZA 1996, 706 ff.
I. 1.
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach dem Zusammenschluss von Betrieben
Betriebsverfassungsrechtlich ist der Zusammenschluss von Betrieben nur insoweit geregelt, als dies mit Beteiligungsrechten des Wirtschaftsausschusses und des Betriebsrats nach den §§ 106, 111, 112 BetrVG verbunden ist. Darüber hinaus trifft § 21 a Abs. 2 BetrVG Regelungen, die das Übergangsmandat der hiervon betroffenen Betriebsräte zum Inhalt haben. In Fortführung seiner Entscheidung vom 18.3.20081 hat sich das BAG im Beschluss vom 7.6.20112 noch einmal eingehend mit den gesetzlich nicht geregelten Folgen eines solchen Zusammenschlusses von Betrieben für Betriebsvereinbarungen auseinandergesetzt. Dabei spielt es im Zweifel keine Rolle, ob es sich um den Zusammenschluss zweier Betriebe handelt, die nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen bestehen, oder ob – was hier der Fall war – betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten betroffen sind, die durch Tarifvertrag nach § 3 BetrVG geschaffen wurden. Fasst man die Überlegungen des BAG zusammen, hängen die Rechtsfolgen eines solchen Zusammenschlusses in Bezug auf Betriebsvereinbarungen maßgeblich davon ab, ob und inwieweit die Identität der bislang getrennt bestehenden Einheiten durch den Zusammenschluss berührt wird. Bleibt die Betriebsidentität der vom Zusammenschluss betroffenen Einheiten, die insbesondere durch die Organisation der Arbeitsabläufe, den Betriebszweck und die Leitungsstruktur geprägt ist, nach der Bildung der neuen Organisationseinheiten unverändert, gelten auch die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarungen fort3. Dies gilt selbst dann, wenn als Folge des Zusammenschlusses der beiden Betriebe eine neue Betriebsratsstruktur zu schaffen ist, mit der die in den bisherigen Betrieben gebildeten Betriebsräte unter Berücksichtigung der in § 21 a Abs. 2 BetrVG getroffenen Regelungen durch einen einzigen Betriebsrat abgelöst werden. Wichtig ist allerdings, dass die Betriebsvereinbarungen in ihrer kollektivrechtlichen
1 2 3
1 ABR 3/07, NZA 2008, 1259 ff. 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 ff. BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14.
215
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Wirkung auf den Betriebsteil des Einheitsbetriebs beschränkt sind, der ihrem bisherigen Geltungsbereich entspricht4. Etwas anderes gilt dann, wenn im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss der beiden Betriebe durch zusätzliche Maßnahmen die Organisations- und Leitungsstruktur der betroffenen Einheiten tatsächlich geändert wird. Dies gilt nicht nur dann, wenn – was hier der Fall war – der Zusammenschluss durch Abschluss eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BetrVG erfolgt5. Entsprechendes gilt dann, wenn zwei nach Gesetz gebildete Betriebe als Konsequenz der Errichtung einer übergeordneten Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten zusammengeschlossen und in diesem Zusammenhang auch grundlegend neu organisiert werden. In diesen Fällen bestehen die bisherigen Betriebe auch nicht als Betriebsteile der neuen Betriebseinheit fort. Konsequenz ist, dass auch die Betriebsvereinbarungen nicht mehr als Betriebsvereinbarungen fortgelten können. Welche Rechtsfolgen in diesem Fall eintreten, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Allerdings wird man davon ausgehen können, dass der Wegfall der Betriebs-(teil-)identität keinen vollständigen Wegfall der bis dahin durch Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten zur Folge hat. Naheliegender erscheint vielmehr, dass diese Rechte und Pflichten analog der in § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB getroffenen Regelungen kollektivrechtlich als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses fortgelten6. Der Vorteil einer solchen Betrachtungsweise liegt darin, dass ihre Ablösung zu einem späteren Zeitpunkt analog § 613 a Abs. 1 S. 3 BGB durch Betriebs-, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung möglich ist7. Wenn die Ungewissheit über die vorstehend wiedergegebenen Rechtsfolgen des Zusammenschlusses mehrerer Betriebe bei gleichzeitiger Veränderung der Betriebsorganisation vermieden werden sollen, bietet es sich an, den kollektivrechtlichen Fortbestand der Betriebsvereinbarungen in Bezug auf die bislang in einem Betrieb beschäftigten Mitarbeiter durch Abschluss einer Überleitungs-Betriebsvereinbarung festzulegen. Eine solche Vereinbarung kann mit dem Betriebsrat abgeschlossen werden, der nach § 21 a Abs. 2 BetrVG das Übergangsmandat innehat. Sie kann festlegen, dass die Betriebsvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen für die Arbeitnehmer, die 4 5 6 7
BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14, BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07, NZA 2008, 1259 ff. Rz. 27 ff. So BAG v. 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110 Rz. 14. ErfK/Preis, BGB § 613 a Rz. 116. B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 25 Rz. 170.
216
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert nach § 111 BetrVG
bis zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses in den persönlichen Geltungsbereich gefallen sind, auch in der neuen Betriebseinheit gelten. Der Vorteil einer solchen Regelung liegt darin, dass in Bezug auf die Änderung dieser Betriebsvereinbarungen auch im Anschluss an den Zusammenschluss der beiden Betriebe die kollektivrechtlichen Mechanismen weiter zur Anwendung kommen. Dies sind insbesondere die Änderung durch Betriebsvereinbarung und die Kündigung, die nach § 77 BetrVG ohne weitergehende Rechtfertigung gegenüber dem Betriebsrat erklärt werden kann. (Ga)
2.
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert nach § 111 BetrVG
Leiharbeitnehmer sind grundsätzlich Arbeitnehmer des Betriebs des Verleihers (§ 14 Abs. 1 AÜG). Mit Ausnahme der für Beamte, Soldaten und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes (einschließlich Auszubildende) in § 5 Abs. 1 S. 3 BetrVG bestimmten Ausnahmen werden sie nur dann (auch) Arbeitnehmer des Entleihers, wenn der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Arbeitnehmer wegen fehlender Erlaubnis nach § 1 AÜG unwirksam ist (§§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG)8. Ist eine Überlassung erlaubt, bleibt das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Dauer der Überlassung bestehen9. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der seit dem 1.12.2011 geltenden Vorgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern vorübergehender Natur sein muss (§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG). Obwohl damit grundsätzlich kein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer besteht, sind Leiharbeitnehmer damit außerhalb der Sonderregelung in § 5 Abs. 1 S. 3 BetrVG beim Entleiher wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden (§ 7 S. 2 BetrVG). Sie sind aber nicht wählbar (§ 14 Abs. 2 S. 1 AÜG). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG waren Leiharbeitnehmer auch nicht bei der Berechnung der Schwellenwerte für Arbeitnehmer im BetrVG zu berücksichtigen10. Die Art der Überlassung (z. B. entgeltlich, konzernintern) spielte bei dieser Bewertung keine Rolle11. Zur Begründung hatte das 8 9 10 11
BAG v. 17.2.2010 – 7 ABR 51/08, NZA 2010, 832 Rz. 22. BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 100/99, NZA 2000, 1160 Rz. 15 ff. Vgl. BAG v. 16.4.2003 – 7 ABR 53/02, DB 2003, 2128 Rz. 16. Vgl. BAG v. 17.2.2010 – 7 ABR 51/08, NZA 2010, 832 Rz. 28 ff.; LAG Hessen v. 16.8.2007 – 9 TaBV 28/07 n. v. (Rz. 30); Richardi/Thüsing, BetrVG § 7 Rz. 11; DKKW/Trümner, BetrVG § 5 Rz. 84, 88.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
BAG dabei bislang auf die in § 5 Abs. 1 BetrVG vorgenommene Kennzeichnung des Arbeitnehmers im Sinne der Betriebsverfassung hingewiesen, die den Leiharbeitnehmer nicht als Arbeitnehmer des Entleihers kennzeichnet. Andernfalls wären auch die Sonderregelungen in § 5 Abs. 1 S. 3 und § 7, S. 2 BetrVG überflüssig. Mit seinem Urteil vom 18.10.201112 leitet das BAG eine Umkehr dieser Rechtsprechung ein. Auch wenn es in dieser Entscheidung zunächst einmal nur um die Kennzeichnung des Personenkreises geht, der bei der Feststellung der Schwellenwerte nach § 111 BetrVG zu berücksichtigen ist, lassen die hierzu getroffenen Feststellungen aber befürchten, dass vergleichbare Überlegungen auch in Bezug auf andere Tatbestände der Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung angestellt werden könnten. Dies hätte zur Folge, dass Leiharbeitnehmer über § 111 BetrVG hinaus im Rahmen der Betriebsverfassung und der daran anknüpfenden Unternehmensmitbestimmung bei der Berechnung von Schwellenwerten zu berücksichtigen wären13. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Beklagte bis Mai 2009 regelmäßig zwanzig eigene Arbeitnehmer beschäftigt. In der Zeit vom 3.11.2008 bis zum 15.9.2009 war bei ihr darüber hinaus eine Leiharbeitnehmerin eingesetzt. Ende Mai 2009 kündigte die Beklagte den Kläger sowie zehn weitere Arbeitnehmer zum 30.9.2009 aus betriebsbedingten Gründen. Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan, die der im Betrieb gebildete Betriebsrat verlangt hatte, lehnte die Beklagte zuvor ab. Der Kläger machte deshalb geltend, dass ihm die Beklagte einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu zahlen habe. Abweichend von den Entscheidungen der Vorinstanzen hat der 1. Senat des BAG den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs für begründet erachtet. Nach seiner Auffassung war die Leiharbeitnehmerin bei der Berechnung der Schwellenwerte nach § 111 BetrVG mit der Folge zu berücksichtigen, dass die Beklagte vor der Umsetzung der Betriebsänderung mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich hätte versuchen müssen. Dies war nicht erfolgt, obwohl im Betrieb unter Einbeziehung der Leiharbeitnehmerin in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren. Nach Auffassung des BAG sind bei der Ermittlung des Schwellenwertes von zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern in § 111 BetrVG Leiharbeitnehmer, die länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt sind, mitzuzäh-
12 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 ff. 13 Vgl. Rieble, NZA 2012, 485 ff.
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Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert nach § 111 BetrVG
len, obwohl sie nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher stehen14. Dafür spreche bereits der Wortlaut des § 111 S. 1 BetrVG. Leiharbeitnehmer seien – so das BAG – Arbeitnehmer und nach § 7 S. 2 BetrVG im Betrieb des Entleihers wahlberechtigt, wenn sie dort länger als drei Monate eingesetzt würden. Dass die bisherige Rechtsprechung des 7. Senats des BAG zu den betriebsverfassungsorganisatorischen Schwellenwerten in § 9 BetrVG Leiharbeitnehmer nicht berücksichtigt hatte („Leiharbeitnehmer wählen, aber zählen nicht“), steht diesem Verständnis der in § 111 BetrVG getroffenen Regelung nach Auffassung des 1. Senats des BAG nicht entgegen. Denn der Begriff der „wahlberechtigten Arbeitnehmer“ müsse jeweils unter Berücksichtigung des Zwecks der in Rede stehenden Norm ausgelegt werden. Zweck von § 9 BetrVG sei, sicherzustellen, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer stehe, deren Interessen und Rechte der Betriebsrat zu wahren habe. Nur für diese habe der Betriebsrat sämtliche nach dem BetrVG bestehenden Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen15. Demgegenüber bezwecke der Schwellenwert in § 111 S. 1 BetrVG, kleinere Unternehmen vor einer finanziellen Überforderung durch Sozialpläne zu schützen16. Mit dieser Regelung in § 111 BetrVG solle deshalb auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens Rechnung getragen werden. Diese Leistungsfähigkeit habe der Gesetzgeber pauschalierend nach der Anzahl der im Unternehmen beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer bemessen, ohne dabei – wie etwa in § 23 Abs. 1 S. 4 KSchG – nach dem Beschäftigungsumfang zu unterscheiden17. Angesichts dieser unterschiedlichen Zwecke der Schwellenwerte in § 9 BetrVG und § 111 BetrVG sei – so das BAG – eine differenzierte Auslegung des Begriffs „wahlberechtigte Arbeitnehmer“ geboten. Bei einer am Schutz vor finanzieller Überforderung kleinerer Unternehmen orientierten Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals in § 111 BetrVG sei zu berücksichtigen, dass Leiharbeitnehmer wie betriebsangehörige Arbeitnehmer Arbeitsplätze besetzten und dem Weisungsrecht des Entleihers unterlägen. Dieser zahle den Leiharbeitnehmern zwar kein Arbeitsentgelt; er habe jedoch den Verleihunternehmen das vereinbarte Entgelt für die jeweilige Arbeitnehmer14 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 14 ff. 15 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 18; BAG v. 10.3.2004 – 7 ABR 49/03, NZA 2004, 1340 Rz. 22. 16 BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466 Rz. 18. 17 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 18.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
überlassung zu entrichten. Auch insoweit entstünden dem Arbeitgeber daher personenbezogene Personalkosten. Für die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens mache es deshalb keinen Unterschied, ob die Arbeitsplätze mit eigenen Arbeitnehmern oder Leiharbeitnehmern besetzt seien. Maßgeblich sei allein die „Kopfzahl“ der als Arbeitnehmer beschäftigten Personen. Der Zweck des Schwellenwerts in § 111 S. 1 BetrVG verlange deshalb eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern, weil nur so sichergestellt werde, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats und die Rechte der betriebsangehörigen Arbeitnehmer aus den §§ 111, 112 BetrVG bei einem nach der gesetzlichen Wertung als ausreichend leistungsfähig anzusehenden Unternehmen in Anspruch genommen werden könnten18. In diesem Zusammenhang macht das BAG schlussendlich nur eine einzige Einschränkung. Voraussetzung für eine Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer sei nicht nur, dass diese nach § 7 S. 2 BetrVG eine Wahlberechtigung hätten. Damit sie auch „in der Regel“ im Betrieb beschäftigt würden, sei erforderlich, dass sie normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d. h. länger als sechs Monate, im Betrieb beschäftigt würden. Schließlich sei die Personalstärke maßgeblich, die für das Unternehmen im Allgemeinen kennzeichnend sei, und nicht wie viele Arbeitnehmer dem Unternehmen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Betriebsänderung zufällig angehörten19. Hiervon ausgehend hat das BAG abschließend nur noch die Höhe des Nachteilsausgleichsanspruchs festgelegt. Dabei hat es nicht nur Arbeitsmarktchancen und das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers berücksichtigt. Vielmehr hat der 1. Senat des BAG auch deutlich gemacht, dass der Sanktionscharakter der Abfindung zur Folge habe, dass der Abfindungsanspruch nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers abhänge20. Darüber hinaus sei zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie trotz der Aufforderung durch den Betriebsrat keine Verhandlungen über den Interessenausgleich aufgenommen hatte. Unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit (neun Beschäftigungsjahre) und einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst in Höhe 18 Ebenso Fitting, BetrVG § 111 Rz. 25; HSWGNR/Hess, BetrVG § 111 Rz. 40; DKKW/Däubler, BetrVG § 111 Rz. 25; HWK/Hohenstatt/Willemsen, BetrVG § 111 Rz. 14. 19 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 20 f. 20 BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 Rz. 24; BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, NZA 2002, 992 Rz. 19.
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Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Schwellenwert nach § 111 BetrVG
von 1.906,67 € hat das BAG sodann einen Nachteilsausgleichsanspruch in Höhe von 8.580,02 € bestimmt. Dies entsprach dem Regelwert eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr. Insgesamt überzeugt die Einbeziehung der Leiharbeitnehmer in die Berechnung der Schwellenwerte nach § 111 BetrVG nicht. Es erscheint nur auf den ersten Blick gerechtfertigt, Leiharbeitnehmer in den Kreis der „wahlberechtigten Arbeitnehmer“ einzubeziehen. Dass der Gesetzgeber mit diesem Begriff den aktiv und passiv gleichermaßen wahlberechtigten Arbeitnehmer gemeint hat, ist durch den 7. Senat des BAG in seiner Rechtsprechung zu § 9 BetrVG zutreffend klargestellt worden21. Wenn der Gesetzgeber hier eine andere Auffassung vertreten wollte, wäre es ein Einfaches gewesen, dies in § 5 Abs. 1 BetrVG klarzustellen. Dies gilt umso mehr, als die erst 2009 eingeführte Sonderregelung für Beamte, Soldaten und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in § 5 Abs. 1 S. 3 BetrVG gerade erkennen lässt, dass die „normalen“ Leiharbeitnehmer, die im Rahmen der Privatwirtschaft zum Einsatz kommen, nicht als Arbeitnehmer des Entleihers behandelt werden sollen. Ausnahmen hierzu gelten nur für das aktive Wahlrecht, wenn die Voraussetzungen in § 7 S. 2 BetrVG erfüllt sind. Dass mit der Entscheidung vom 18.10.201122 nur ein erster Schritt getan ist, dürfte erkennbar werden, wenn man sich die verallgemeinerungsfähigen Teile ihrer Begründung vor Augen führt. Insofern ist anzunehmen, dass der 1. Senat des BAG bei § 106 BetrVG die Leiharbeitnehmer berücksichtigen würde. Hiervon ausgehend dürfte es nur ein weiterer Schritt sein, mit den geeigneten Argumenten für den Zweck einer betriebsverfassungsrechtlichen Vorschrift die Leiharbeitnehmer auch bei den sonstigen Schwellenwerten einzubinden. Dies gilt abweichend von der bisherigen Rechtsprechung auch für die Größe des Betriebsrats (§ 9 BetrVG) und die Zahl der Freistellungen (§ 38 BetrVG). Schließlich muss der Betriebsrat im Rahmen seiner Tätigkeit auch Beteiligungsrechte für Leiharbeitnehmer ausüben, was eine personelle und zeitliche Inanspruchnahme zur Folge hat. In gleicher Weise steht zu besorgen, dass Argumente gesucht werden, Leiharbeitnehmer auch in der Unternehmensmitbestimmung bei der Kennzeichnung der Schwellenwerte einzubinden. Schließlich ist für den Arbeitnehmer- und Betriebsbegriff der Unternehmensmitbestimmung im Zweifel die Kennzeichnung des Betriebsverfassungsrechts maßgeblich. (Ga)
21 Vgl. BAG v. 10.3.2004 – 7 ABR 49/03, NZA 2004, 1340 Rz. 14 ff. 22 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221 ff.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
3.
Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen über einen Interessenausgleich
Bei einer geplanten Betriebsänderung sind Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, über das Ob, Was, Wann und Wie der geplanten Maßnahme mit dem Ziel einer Einigung zu verhandeln. Wird darüber eine Einigung in Form des Interessenausgleichs erzielt, ist diese schriftlich festzuhalten. Kommt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Einigung zustande, sind beide Parteien nach § 112 Abs. 2, 3 BetrVG berechtigt, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen oder die Einigungsstelle anzurufen. Im Rahmen der Einigungsstelle sollen von beiden Seiten Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über den Interessenausgleich gemacht werden. Auf dieser Grundlage hat die Einigungsstelle eine Einigung der Parteien zu versuchen. Scheitern die Verhandlungen auch in der Einigungsstelle, kann die Betriebsänderung umgesetzt werden. Setzt der Arbeitgeber die Betriebsänderung nach § 111 BetrVG allerdings um, ohne darüber einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, können Arbeitnehmer, die infolge der Maßnahme entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden, einen Nachteilsausgleichsanspruch geltend machen (§ 113 Abs. 3 BetrVG). Mit Urteil vom 16.8.201123 hat der 1. Senat des BAG deutlich gemacht, dass der Arbeitgeber nach der Gesamtkonzeption der §§ 111, 112 BetrVG zwar berechtigt ist, die Betriebsänderung ohne eine Einigung der Betriebsparteien nach seinen Vorstellungen durchzuführen. Das Gesetz verpflichte ihn aber, mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem ernsthaften Willen einer Verständigung zu beraten. Der Unternehmer müsse sich dazu auf die vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen zu der geplanten Betriebsänderung einlassen und sich damit argumentativ auseinandersetzen. Könnten sich die Betriebsparteien nicht auf einen Interessenausgleich verständigen, sei der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat zur Anrufung der Einigungsstelle verpflichtet. Die Betriebsparteien hätten in dem Einigungsstellenverfahren letztmals Gelegenheit, unter Mitwirkung eines unparteiischen Vorsitzenden Alternativen zur geplanten Betriebsänderung zu erörtern oder Modifikationen zu prüfen, die für die betroffenen Arbeitnehmer weniger nachteilhafte Folgen hätten24. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG bestehe daher nicht, wenn die Betriebs-
23 1 AZR 44/10, ZBVR online 2012, Nr. 1, 8 ff. Rz. 11. 24 Ebenso BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, NZA 2002, 992 ff.
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Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen über einen Interessenausgleich
parteien einen Interessenausgleich vereinbarten oder der Verhandlungsausspruch des Betriebsrats in dem Einigungsstellenverfahren erfüllt werde. Klarstellend verweist der 1. Senat des BAG darauf, dass der Versuch eines Interessenausgleichs nicht voraussetze, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen förmlich durch Beschluss feststelle. Abweichend von der Entscheidungskompetenz in Bezug auf den Sozialplan sehe § 112 Abs. 3 BetrVG eine Entscheidung der Einigungsstelle über das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen nicht vor. Vorgegeben werde durch das Gesetz nur, dass ein in der Einigungsstelle vereinbarter Interessenausgleich durch den Vorsitzenden und die am Einigungsstellenverfahren Beteiligten unterzeichnet werden müsse. Eine förmliche Entscheidung der Einigungsstelle über das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen komme deshalb nicht in Betracht. Aus Sicht des BAG kommt eine verfahrensbeendende Entscheidung des Einigungsstellenverfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG auch nicht aus Gründen der Rechtssicherheit oder Rechtsklarheit in Betracht. Denn in diesem Fall wäre Gegenstand des Einigungsstellenspruchs eine Rechtsfrage, über die von der Einigungsstelle außer in den im Gesetz vorgesehenen Fällen (z. B. §§ 37 Abs. 6, 7, 38 Abs. 2, 109 BetrVG) keine Entscheidung mit Bindungswirkung für die Betriebspartner getroffen werden könne. Weder die am Einigungsstellenverfahren Beteiligten noch die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer würden durch eine Entscheidung der Einigungsstelle über das Scheitern des Interessenausgleichs Gewissheit über die Erfüllung des Verhandlungsanspruchs aus § 111 S. 1 BetrVG erlangen. Denn selbst bei einem entsprechenden Spruch bliebe ungeklärt, ob die Mehrheit der Einigungsstellenmitglieder zu Recht von einer ausreichenden Unterrichtung des Betriebsrats und einer ordnungsgemäßen Beratung der beabsichtigten Betriebsänderung ausgegangen ist. Insofern könnte trotz einer entsprechenden Beschlussfassung durch die Einigungsstelle im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung über einen Nachteilsausgleichsanspruch durch das Gericht geklärt werden, ob der Arbeitgeber den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet und sich ausreichend mit dem Betriebsrat und seinen Vorschlägen argumentativ auseinandergesetzt hat25. Trotz dieser Sichtweise des BAG dürfte es empfehlenswert sein, im Protokoll der Einigungsstelle festzuhalten, falls mehrheitlich das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen angenommen wird. Dies dürfte eine rechtliche Auseinandersetzung über diese Rechtsfrage erleichtern, selbst wenn 25 BAG v. 16.8.2011 – 1 AZR 44/10, ZBVR online 2012, Nr. 1, 8 ff. Rz. 15 f.
223
Betriebsänderung und Betriebsübergang
das Protokoll keine Bindungswirkung besitzt. Ungeachtet dessen dürfte es sogar erforderlich sein, das Scheitern über die Verhandlungen über den Interessenausgleich festzuhalten, wenn im Anschluss daran ein Beschluss über den Sozialplan getroffen werden soll. Denn nur dann, wenn die Betriebsänderung durch einen Interessenausgleich oder das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen inhaltlich gekennzeichnet wurde, macht es Sinn, eine Entscheidung über den Ausgleich bzw. die Milderung wirtschaftlicher Nachteile dieser Maßnahmen zu treffen. (Ga)
4.
Kennzeichnung eines Betriebsteilübergangs
Bereits im Herbst hatten wir über die Klarenberg-Entscheidung des BAG vom 13.10.201126 berichtet27. Abweichend von der vorangehenden Entscheidung des LAG Düsseldorf hatte das BAG darin das Vorliegen eines Betriebsteilübergangs mit der Folge abgelehnt, dass der Kläger (Herr Klarenberg) keine Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses bei dem potenziellen Betriebserwerber – der Beklagten – geltend machen konnte. In seinen Ausführungen bestätigt der 8. Senat des BAG zwar zunächst einmal, dass unter Berücksichtigung der Feststellungen des EuGH im Urteil vom 11.2.200928 das Vorliegen eines Betriebs- und Betriebsteilübergangs davon abhängig sei, ob die Identität der übertragenen wirtschaftlichen Einheit bewahrt wurde. Diese Identität wird nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die bisherige organisatorische Struktur, wie sie beim potenziellen Betriebsveräußerer bestanden hat, durch den Erwerber fortgeführt wird. Es genügt, dass die funktionelle Verknüpfung der wesentlichen Produktionsfaktoren durch den potenziellen Erwerber zur Fortsetzung der gleichen oder gleichartigen Tätigkeit bewahrt wird. In seinem Urteil vom 13.10.201129 weist der 8. Senat des BAG indes darauf hin, dass die von einem Erwerber übernommene organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen bereits beim Veräußerer eine wirtschaftliche Einheit dargestellt und damit die Qualität eines Betriebs oder Betriebsteils gehabt haben muss, um die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB erfüllen zu können30. Deshalb müsse bereits beim bisherigen Betriebsteilin-
26 27 28 29 30
8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 ff. B. Gaul, AktuellAR 2011, 559 ff. C-466/07, NZA 2009, 251 ff. - Klarenberg. 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 ff. Rz. 36 ff. Ebenso BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231 Rz. 16; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162 ff. Rz. 23.
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Kennzeichnung eines Betriebsteilübergangs
haber eine selbständig abtrennbare organisatorische Einheit vorgelegen haben, mit welcher innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt worden sei. Die Erfüllung eines betrieblichen Teilzwecks sei nur eine der Voraussetzungen für die Annahme des Vorliegens des Betriebsteils und vermöge das Fehlen einer abgrenzbaren organisatorischen Einheit nicht zu ersetzen. Hierbei dürfe – so das BAG – die im Betriebsteil liegende Einheit nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergebe sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Allerdings genüge eine beim Betriebs(teil)veräußerer bestehende funktionelle Verknüpfung nicht, um einen schon beim Veräußerer bestehenden Betriebsteil mit organisatorischer Selbständigkeit anzunehmen, der im Sinne des § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB übertragen werden könnte. Vielmehr müsse schon beim Betriebsteilveräußerer eine abgrenzbare organisatorische wirtschaftliche Einheit vorgelegen haben, die sodann Gegenstand eines rechtsgeschäftlichen Übertragungsvorgangs werden könne. Konsequenz der neuen EuGHRechtsprechung sei lediglich, dass deren organisatorische Selbständigkeit beim Betriebsveräußerer nicht mehr vollständig erhalten bleiben müsse. Es genüge, dass der funktionelle Zusammenhang der wesentlichen Produktionsfaktoren erhalten bleibe. Ob diese Interpretation der Rechtsprechung des EuGH tatsächlich zutreffend ist, bleibt dahingestellt. Richtig an der Interpretation durch den 8. Senat des BAG ist zunächst einmal zwar, dass die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 11.2.200931 in der Tat die funktionelle Verknüpfung der wesentlichen Produktionsfaktoren lediglich als ein Merkmal behandeln, das zur Kennzeichnung der Identität eines übertragenen Betriebs- oder Betriebsteils führen kann. In seiner Entscheidung trifft der EuGH keine Feststellungen zu der Frage, ob mit den gleichen Kriterien auch die bislang beim bisherigen Betriebsinhaber bestehende Einheit gekennzeichnet werden kann. Führt man sich aber vor Augen, dass § 613 a BGB in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2001/23/EG die Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität erfassen soll, liegt es durchaus nahe, die Kriterien, die zur Kennzeichnung dieser Einheit im Anschluss an einen potenziellen Betriebsübergang verwendet werden, auch für die Kennzeichnung dieser Einheit beim übertragenden Rechtsträger heranzuziehen. Konsequenz wäre, dass eine übertragungsfähige Einheit im Sinne des § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB auch dann vorliegen kann, wenn Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel in-
31 C-466/07, NZA 2009, 251 ff. Rz. 47 ff. - Klarenberg.
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Betriebsänderung und Betriebsübergang
nerhalb eines Betriebs zwar nicht in einer organisatorischen Einheit zusammengefasst wurden, aber als Folge ihrer funktionellen Verknüpfung in der Lage sind, schon beim bisherigen Betriebsinhaber einen abgrenzbaren wirtschaftlichen Teilbetriebszweck zu verfolgen. In der Sache ist im Ergebnis der Entscheidung des BAG vom 13.10.201132 allerdings zuzustimmen. Denn der potenzielle Erwerber hat keine wesentlichen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel übernommen, die beim übertragenden oder beim übernehmenden Rechtsträger eine funktionsfähige organisatorische Einheit bilden konnten. Zunächst einmal hatte der Erwerber nur vier der dreizehn Arbeitnehmer eingestellt, die zuvor in dem streitgegenständlichen Bereich beschäftigt waren. Diese Arbeitnehmer waren für die Abteilung, aus der heraus sie übernommen wurden, nicht „identitätsprägend“. Sie konnten ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und Mitarbeiter des bisherigen Betriebsinhabers die für ihre Abteilung oder eine der drei in dieser Abteilung bestehenden Gruppen charakteristischen Leistungen nicht erbringen. Hinzu kam, dass auch die von dem potenziellen Erwerber übernommenen Gegenstände (Sachen und Rechte) für sich betrachtet bei dem bisherigen Betriebsinhaber keinen Betriebsteil bildeten. Allein von einem Betrieb zum Zwecke des Verkaufs produzierte Gegenstände (einschließlich der diesbezüglichen Patente, Produktnamen, Lieferanten- und Kundenkarteien) stellen - so das BAG – grundsätzlich keine Betriebsteile im Sinne des § 613 a S. 1 BGB dar. Die Produkte eines Betriebs dienten schon begrifflich keinem Betriebszweck, sondern der Betriebszweck „diene“ deren Entwicklung, Herstellung und Vertrieb. Letztlich seien die übernommenen Produktlinien einschließlich aller dazu gehörigen Komponenten (z. B. Betriebssysteme, Patente, Know-How) von der Abteilung „produziert“ worden, um mit deren Verkauf Umsatz und Gewinn als eigentlichen Betriebszweck zu erzielen. Damit hatte der potenzielle Erwerber zwar ein bestimmtes technisches „Know-How“ und vier Mitarbeiter des bisherigen Betriebsinhabers übernommen. Dieses übernommene Wissen stellte aber zusammen mit den Arbeitnehmern bei dem bisherigen Betriebsinhaber keinen Betriebsteil in Form einer organisierten Gesamtheit von Personen und Sachen und damit keine wirtschaftliche Einheit dar, die Gegenstand eines rechtsgeschäftlichen Übertragungsvorgangs nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB sein konnte. Dies gilt umso
32 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 ff.
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Betriebsübergang bei Fortführung durch gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen
mehr, als Patente und „Know-How“ für sich betrachtet keine organisatorischen Gesamtheiten sind, welche einen Betriebsteil hätten bilden können33. Berechtigterweise ist damit die Klage abgewiesen worden. Trotz dieser insoweit durchaus einschränkenden Interpretation von § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB sollte in der Zukunft bei der praktischen Vorbereitung entsprechender Übertragungsvorgänge auch geprüft werden, ob die übernommenen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel beim bisherigen Inhaber auch außerhalb einer organisatorischen Zusammenfassung in einer funktionellen Verknüpfung eingesetzt wurden, die – entgegen den Feststellungen des BAG – auf diese Weise doch einen potenziell übertragungsfähigen Betriebsteil bildeten. (Ga)
5.
Betriebsübergang bei Fortführung durch gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen
In seinem Urteil vom 16.2.200634 hatte der 8. Senat des BAG das Vorliegen eines Betriebsübergangs für den Fall, dass die übernommenen Betriebsmittel und/oder Arbeitnehmer durch mehrere Rechtsträger im Rahmen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen zusammengeführt und mit übergreifend gleichartiger Zweckbestimmung eingesetzt werden, noch abgelehnt35. Mit seinem Urteil vom 10.11.201136 hat der 8. Senat des BAG deutlich gemacht, dass an dieser Rechtsprechung in der Zukunft möglicherweise nicht mehr festgehalten werden soll. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist – in Übereinstimmung mit den Vorgaben des EuGH im Urteil vom 11.2.200937 – die Feststellung, dass das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs an die Voraussetzung geknüpft ist, das die hiervon betroffene (wirtschaftliche) Einheit nach dem Inhaberwechsel ihre Identität bewahrt. Dies wird ausdrücklich in Art. 1 Abs. 1 lit. b) Richtlinie 2001/23/EG vorgegeben. Ob diese Voraussetzung auch dann erfüllt sein kann, wenn die Übernahme der wesentlichen Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel durch mehrere Rechtsträger erfolgt, die diese im Anschluss daran im Rahmen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen zum Einsatz bringen, bleibe offen. Denn in jedem Fall obliege es den Arbeitnehmern, die Ansprüche aus
33 34 35 36 37
BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504 ff. Rz. 45 f. 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592 ff. Vgl. B. Gaul, AktuellAR 2006, 542 ff. 8 AZR 546/10, NZA 2012, 509 ff. C-466/07, NZA 2009, 251 ff. – Klarenberg.
227
Betriebsänderung und Betriebsübergang
§ 613 a BGB geltend zu machen, das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen darzulegen und ggf. zu beweisen. Hierfür müsse erkennbar werden, dass die potenziell auf Erwerberseite eintretenden Rechtsträger die Arbeitnehmer und/oder Betriebsmittel in einer Betriebsstätte für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt hätten. Der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft müsse dabei von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden. Mindestens stillschweigend müssten sich die Betriebserwerber zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Diese Voraussetzungen hatte der Kläger nicht ausreichend dargelegt. Insofern musste sich das BAG auch nicht mit den Folgeproblemen einer Anwendung von § 613 a BGB auf diese Form der Fortsetzung eines Betriebs einlassen. Problematisch an der Anerkennung eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs bei der Fortführung eines Betriebs- oder Betriebsteils als gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen ist nämlich der Umstand, dass damit unklar ist, welchen der beteiligten Rechtsträger die gesetzlichen Pflichten als neuen Betriebsinhaber betreffen. Zwar dürfte es ohne weiteres möglich sein, § 613 a BGB insoweit zur Anwendung zu bringen, als Arbeitnehmer durch die am gemeinsamen Betrieb beteiligten Rechtsträger freiwillig eingestellt würden. Diese Arbeitnehmer können sich auf den Inhalts- und Bestandsschutz des § 613 a BGB berufen. Probleme entstehen aber dann, wenn die Rechte von Arbeitnehmern in Rede stehen, die beim bisherigen Betriebsinhaber verblieben sind. Ausgehend davon, dass der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen nicht mit einer Außen-GbR verbunden ist, bleibt offen, welcher der beteiligten Rechtsträger für den Fall des Vorliegens eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs Arbeitgeber dieser Arbeitnehmer geworden ist. Denn ein übergreifend verantwortlicher Rechtsträger, der auch Arbeitgeber der im gemeinsamen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sein könnte, wird durch die Bildung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen gerade nicht geschaffen. Denn auch die Vereinbarung zur Führung des gemeinsamen Betriebs bewirkt nur, dass eine Innen-GbR entsteht. Diese ist nicht Träger von Rechten und Pflichten gegenüber den in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern und kann deshalb auch nicht als Folge eines Betrieb- oder Betriebsteilübergangs Arbeitgeber geworden sein. Auch wenn die vorstehend aufgeworfenen Fragen durch das BAG damit derzeit noch nicht geklärt sind, sollte die betriebliche Praxis zurückhaltend mit der Überlegung umgehen, das Vorliegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs durch den Einsatz eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen auf Erwerberseite auszuschließen. Denn das Urteil vom
228
Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang
10.11.201138 macht jedenfalls deutlich, dass das BAG nicht ohne Einschränkung die Anwendbarkeit von § 613 a BGB ausschließen will. (Ga)
6.
Es gibt sie doch: Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang
Nachdem das BAG in einer Vielzahl von Entscheidungen die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB stets verschärft hatte und deren Erfüllung in der arbeitsrechtlichen Praxis für den Veräußerer und den Erwerber beinahe unmöglich erschien, hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 10.11.201139 erstmals seit den richtungsweisenden Urteilen vom 13.7.200640 wieder eine Unterrichtung als ordnungsgemäß qualifiziert. Die in der Entscheidung getroffenen Klarstellungen an die einzelnen Unterrichtungsgegenstände sollen hier dargestellt werden und einige praktische Hinweise für die rechtssichere Formulierung eines Unterrichtungsschreibens gegeben werden. Bedeutung gewinnt das bei einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613 a BGB ebenso wie bei einer Umwandlung nach § 324 UmwG erforderliche Unterrichtungsschreiben durch den Umstand, dass der Beginn der Frist für den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a Abs. 6 S. 1 BGB an die Voraussetzung geknüpft ist, dass durch die beteiligten Unternehmen eine ordnungsgemäße Unterrichtung gemäß § 613 a Abs. 5 BGB erfolgt ist. Ist die Unterrichtung unvollständig oder fehlerhaft, setzt sie die Monatsfrist nicht in Gang. Vielmehr kann der Arbeitnehmer in den Grenzen der Verwirkung auch nach Ablauf dieser Frist dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen. War sie vorsätzlich falsch und hat der Arbeitnehmer dies zum Anlass eines Widerspruchs genommen, ist eine Anfechtung nach § 123 BGB denkbar. Losgelöst davon müssen sich die beteiligten Unternehmen mit der Gefahr von Schadensersatzansprüchen auseinandersetzen.
a)
Praxisrelevante Klarstellungen des BAG
Abweichend von zahlreichen Entscheidungen in der Vergangenheit hat das BAG in seinem Urteil vom 10.11.201141 nun (endlich) ein Unterrichtungs-
38 39 40 41
8 AZR 546/10, NZA 2012, 509 ff. 8 AZR 430/10 n. v. 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 ff. und 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 ff. 8 AZR 430/10 n. v.
229
Betriebsänderung und Betriebsübergang
schreiben als ordnungsgemäß angesehen. Der im konkreten Fall erklärte Widerspruch der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses, der erst nach Ablauf der Monatsfrist erfolgt war, war deshalb verspätet und konnte keinen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim übertragenden Rechtsträger mehr bewirken. aa)
Hintergrund der BAG-Entscheidung
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Beklagte als Betriebsveräußerin ihre Mitarbeiter, darunter auch die Klägerin, über den geplanten Übergang des Betriebs der V-GmbH am Standort B auf die TGmbH (T) mit Schreiben vom 25.10.2008 unterrichtet. Der Übergang fand wie geplant am 1.12.2008 statt. Die Klägerin, die in diesem Betrieb als CallCenter-Agentin beschäftigt war, widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zunächst nicht und erbrachte ab dem 1.12.2008 ihre Arbeitsleistung für die T. Ein Widerspruch erfolgte zunächst einmal nicht. Nachdem die Erwerberin am 2.4.2009 allerdings ankündigte, den Standort in B schließen und den Betrieb nach F verlagern zu wollen, widersprach die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 5.5.2009. Losgelöst von einem späteren Aufhebungsvertrag zwischen der Klägerin und T und einem Anschlussarbeitsverhältnis mit einem Konzernunternehmen der D am Standort F begehrte die Klägerin nunmehr die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den 1.12.2008 hinaus mit der Beklagten zu den bisherigen Vertragsbedingungen fortbestanden hatte. Auf dieser Grundlage sollte die Beklagte verurteilt werden, sie bis zum Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen. Die Klägerin bezeichnete die erfolgte Unterrichtung als unvollständig und irreführend. Sie machte insbesondere geltend, dass die Information zur Geltung von Tarifverträgen falsch gewesen sei. Außerdem sei die Unterrichtung zur Geltung von Konzernbetriebsvereinbarungen unzureichend, weil offen geblieben sei, ob die T in den Anwendungsbereich der Konzernbetriebsvereinbarungen falle. Schließlich seien die Ausführungen zu den Folgen des Widerspruchs, d. h. zu den Voraussetzungen einer Kündigung nach dem Widerspruch in Bezug auf den tariflichen Kündigungsschutz unzureichend. bb)
Sinn und Zweck der Unterrichtung
Das BAG ist dem nicht gefolgt und hat festgestellt, dass die Klägerin durch das Unterrichtungsschreiben ordnungsgemäß nach § 613 a Abs. 5 BGB über: • Nr. 1: den geplanten Zeitpunkts des Übergangs,
230
Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang • Nr. 2: den Grund für den Übergang, • Nr. 3: die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und • Nr. 4: die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen
informiert worden sei. Der vom Übergang seines Arbeitsverhältnisses betroffene Arbeitnehmer solle eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchsrechts erhalten42. Vor diesem Hintergrund solle dem Arbeitnehmer auch die Möglichkeit eröffnet werden, sich weitergehend zu erkundigen und gegebenenfalls beraten zu lassen und dann auf dieser Grundlage über einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden43. Entscheidender Zeitpunkt für den Inhalt der Unterrichtung sei der Kenntnisstand des Veräußerers und des Erwerbers im Zeitpunkt der Unterrichtung44; spätere Änderungen als Folge neuer Entwicklungen stehen der Richtigkeit einer Unterrichtung deshalb nicht entgegen.
b)
Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
Wichtig für die Praxis ist zunächst die in dem Urteil vom 10.11.201145 erfolgte Klarstellung in Bezug auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. So ist es namentlich dann Sache des Arbeitnehmers, einen behaupteten Mangel der Unterrichtung näher darzulegen, wenn die Unterrichtung zunächst formal den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere denen nach § 613 a Abs. 5 BGB, genügt und nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Insoweit gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Erst danach obliegt es dem bisherigen Arbeitgeber als potenziellem Beklagten, unter Berücksichtigung
42 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 ff.; BT-Drucks. 14/7760 S. 19; Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 11 Rz. 11. 43 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 31.1.2009 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 f. 44 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 ff.; BAG v. 22.1.2008 – 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547 ff.; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 ff. 45 8 AZR 430/10 n. v.
231
Betriebsänderung und Betriebsübergang
der Klagebegründung mit entsprechenden Darlegungen und Beweisangeboten die Einwände des Arbeitnehmers zu entkräftet46. Eine offensichtlich fehlerhafte Unterrichtung liegt daher im Zweifel nur dann vor, wenn eine Unterrichtung über die Person des Betriebserwerbers und/oder in Bezug auf einen in § 613 a Abs. 5 BGB genannten Umstand fehlt bzw. unverständlich oder auf den ersten Blick mangelhaft ist. Dies war im streitgegenständlichen Unterrichtungsschreiben allerdings nicht der Fall47. Die Unterrichtung muss schon auf den ersten Blick nachvollziehbare Hinweise zum Erwerber und den in § 613 a Abs. 5 BGB genannten Punkten enthalten.
c)
Die Klarstellungen des 8. Senats im Einzelnen
Im Folgenden sollen nun die vom BAG in seinem Urteil vom 10.11.201148 hinsichtlich der einzelnen Unterrichtungstatbestände vorgenommenen Klarstellungen näher erläutert werden. Dabei sind die Vorgaben stets mit Blick auf den Sinn und Zweck einer Unterrichtung im Sinne des § 613 a Abs. 5 BGB zu bewerten. aa)
Unterrichtung über den Betriebserwerber
Das BAG sieht die Unterrichtung über den Erwerber als ordnungsgemäß an, wenn dieser mit vollständiger Firmenbezeichnung, Firmensitz mit vollständiger Anschrift und Angabe des zuständigen Handelsregisters nebst Handelsregisternummer benannt wird. bb)
Unterrichtung über die Haftung nach § 613 a Abs. 2 BGB
Zu den rechtlichen Folgen eines Betriebsübergangs gehört auch die Unterrichtung über die gesamtschuldnerische Haftung des Übernehmers und des Veräußerers und deren Verteilung nach § 613 a Abs. 2 BGB. Ausreichend sei, wenn die Information es der Klägerin ermögliche, im Bedarfsfalle näheren Rechtsrat einzuholen, wer (ggf. in welchem Umfang) für welche ihrer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis haftet49. Nachdem eine Vielzahl von Unterrichtungsschreiben bislang an der zutreffenden Wiedergabe der gesetz46 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2009, 547 ff. 47 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v. 48 8 AZR 430/10 n. v. 49 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.
232
Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang
lichen Haftung gescheitert waren, scheint es, als würde das BAG insoweit seine bislang sehr restriktive und strenge Rechtsprechung50 aufweichen. Eine Unterrichtung könnte beispielsweise wie folgt aussehen: Unterrichtung über die gesamtschuldnerische Haftung des Übernehmers und des Veräußerers und deren Verteilung nach § 613 a Abs. 2 BGB T (Erwerber) haftet auch für Ansprüche aus Ihrem Arbeitsverhältnis, die Ihnen vor dem Betriebsübergang gegen die V (Veräußerer) zustanden. Für Ansprüche, die vor dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges entstanden sind und die vor Ablauf eines Jahres nach diesem Zeitpunkt fällig werden, haften die V und die T als Gesamtschuldner. Dabei ist die Haftung der V für erst nach dem Übergang fällig werdende Ansprüche auf den anteiligen Betrag bis zum Betriebsübergang beschränkt.
Aussagen zu der umwandlungsrechtlichen Haftung und ihr Verhältnis zu § 613 a Abs. 2 BGB enthält das Urteil zwar nicht. Allerdings können Formulierungen auch in entsprechende Beschreibungen einfließen, selbst wenn diese deutlich komplexeren Inhalts sind (vgl. §§ 133, 134 UmwG). cc)
Unterrichtung über die Weitergeltung von Tarifverträgen
Veräußerer und Erwerber müssen über die Frage, ob Tarifverträge nach dem Betriebsübergang als Betriebsvereinbarung oder kollektivrechtlich nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB weitergelten bzw. durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden, informieren. Diese Pflicht hat die Beklagte nach Ansicht des BAG mit der nachfolgenden Formulierung hinreichend erfüllt. Problematisch in diesem Zusammenhang ist die Unterrichtung über die Rechtsfolgen für arbeitsvertragliche Zusagen über die Anwendung von Tarifverträgen (Bezugnahmeklauseln), in die der Erwerber nach § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB tritt. Denn hier stehen nicht nur inhaltlich unterschiedliche Zusagen in Rede. Den an einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang beteiligten Rechtsträgern obliegt es auch, im Rahmen der Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB die Rechtsprechungsänderung in Bezug auf den Umgang mit Zweifeln bei der Auslegung solcher Klauseln zu berücksichtigen, die mit Blick auf die Schuldrechtsmodernisierung zwischen Altverträgen (Abschluss bis 31.12.2001) und Neuverträgen (Abschluss ab 1.1.2002) unterscheidet51. Als wichtige Erkenntnis der Feststellungen des BAG ist dabei festzuhalten, dass der Arbeitgeber diesen Unterschieden in einem einzigen Unterrich50 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 ff. 51 Vgl. nur BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607 ff.
233
Betriebsänderung und Betriebsübergang
tungsschreiben Rechnung tragen kann, also keine arbeitnehmerspezifische Unterrichtung unter Berücksichtigung der individuellen Art der Zusage vornehmen muss. Vielmehr können die denkbaren Rechtsfolgen für die unterschiedlichen Formen und Inhalte einer Bezugnahme in einem Schreiben im Anschluss an die Rechtsfolgen für den Fall einer gesetzlichen Tarifbindung aufgezeigt werden. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber seine ausführlichen Ausführungen zur vertraglichen Bezugnahme wie folgt eingeleitet: Unterrichtung über die Weitergeltung von Tarifverträgen … Sofern tarifliche Regelungen für ihr Arbeitsverhältnis bislang aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel gegolten haben, entscheidet die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die Tarifverträge darüber, ob zukünftige etwaige Tarifverträge der T Anwendung finden oder es bei einer Geltung der bisherigen tarifvertraglichen Regelung bleibt. …
Nach den Feststellungen des BAG sind Ausführungen zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge in Arbeitsverträgen, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, zwar überflüssig in Bezug auf Arbeitnehmer, die Arbeitsverträge nach diesem Datum geschlossen haben. Daraus folge aber nicht, dass die Ausführungen unverständlich seien, solange es dem Arbeitnehmer unschwer möglich sei, anhand der Ausführungen zu ermitteln, ob er von diesen betroffen ist52. In den weiteren Ausführungen hatte der Arbeitgeber ausdrücklich zwischen den Rechtsfolgen für Alt- und Neuverträge unterschieden. Ob dies in dieser Ausführlichkeit notwendig ist, musste das BAG nicht entscheiden. Da sich der Arbeitnehmer bei Bedarf auf der Grundlage der Unterrichtung selbst eingehender informieren und beraten lassen kann53, erscheint es gut vertretbar, hinsichtlich der Bezugnahmeklauseln auch eine kürzere Formulierung zu wählen, die ohne Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverträgen auf die Maßgeblichkeit des Inhalts der individuellen Zusage und den Eintritt des Erwerbers nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB verweist. dd)
Unterrichtung über die Weitergeltung von (Konzern-)Betriebsvereinbarungen
Zutreffend ist eine im Unterrichtungsschreiben erteilte Information, dass - sofern der Betrieb aufgrund des Betriebsübergangs seine Betriebsidentität nicht verliert – die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen auch nach 52 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v. 53 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BT-Drucks. 14/7760, 19.
234
Die ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang
dem Betriebsübergang kollektivrechtlich weitergelten. Ausdrücklich bestätigt das BAG insoweit auch, dass es nicht notwendig sei, alle Betriebsvereinbarungen der Beklagten zu bezeichnen54. Es genügt, dass abstraktgenerell die Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen festgehalten werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Angabe nicht zu beanstanden, dass Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen weitergelten. Dies gilt jedenfalls dann – wenn wie im vorliegenden Fall – das andere Unternehmen keinen Betrieb führte und die übertragenen Betriebe ihre Identität wahren. Obwohl das BAG dies bislang nur für Gesamtbetriebsvereinbarungen ausdrücklich entschieden hat,55 ist die Auffassung auch für Konzernbetriebsvereinbarungen zumindest eine rechtliche vertretbare Position und damit für eine ordnungsgemäße Unterrichtung ausreichend56. Denn eine Unterrichtung über komplexe Rechtsfragen genügt im Rahmen des § 613 a Abs. 5 BGB, wenn der Arbeitgeber bei angemessener Prüfung der Rechtslage, die ggf. die Einholung von Rechtsrat über die höchstrichterliche Rechtsprechung beinhaltet, eine rechtlich vertretbare Positionen vertritt.57 Der Hinweis, dass Betriebs-, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen als Betriebsvereinbarungen – bei Wahrung der Betriebsidentität – weitergelten, ist ausreichend, sofern nicht – beispielsweise als Folge des Wechsels eines Versorgungsträgers oder der Ablösung einer Betriebsvereinbarung durch eine beim Erwerber geltende Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung – für einzelne Rechte oder Pflichten für den Arbeitnehmer wesentliche Änderungen eintreten. Dann muss dies konkretisiert werden. Da die beiden im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Konzernbetriebsvereinbarungen nicht zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen der Klägerin zählten, war der allgemeine Hinweis auf die Existenz der im Konzern der T bestehenden Konzernbetriebsvereinbarungen im vorliegenden Fall ebenfalls hinreichend58. Vor diesem Hintergrund bedurfte es richtigerweise auch keiner Bezeichnung der – möglicherweise – anwendbaren Kon-
54 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89 ff. 55 BAG v. 19.9.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 672 ff. 56 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; B. Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 25 Rz. 52. 57 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273 ff. 58 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; zur Konkretisierung notwendiger Informationen durch das NachwG: BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268 ff.
235
Betriebsänderung und Betriebsübergang
zernbetriebsvereinbarungen. Mit dem Hinweis auf die Existenz der beiden Konzernbetriebsvereinbarungen war die Klägerin in der Lage, sich nach Erhalt der Unterrichtung eingehender zu informieren59. ee)
Unterrichtung über kündigungsschutzrechtliche Folgen nach Widerspruch
Konsequenterweise hat das BAG auch den Hinweis der Beklagten auf den möglichen Ausspruch betriebsbedingter Beendigungskündigungen als ausreichend angesehen, der ausdrücklich die Notwendigkeit einer „Prüfung der individuellen Voraussetzungen“ enthielt. Zum einen ist es richtig, nur die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Falle des Widerspruchs im Unterrichtungsschreiben zu nennen60. Zum anderen besteht – wie das BAG zutreffend ausführt – keine Verpflichtung auch über die einzelnen Kündigungsvoraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung durch den Veräußerer nach einem Widerspruch zu unterrichten. Schließlich kann der Arbeitnehmer keine individuelle Rechtsberatung verlangen61. Für eine rechtliche Bewertung der Kündigungsmöglichkeiten im Einzelfalle muss sich der Arbeitnehmer selbst erkundigen bzw. Rechtsrat einholen. Weitergehende Voraussetzungen einer Kündigung sollten deshalb im Unterrichtungsschreiben nicht genannt werden. Das Risiko einer fehlerhaften Unterrichtung wird sonst unnötig erhöht. Wichtig ist allerdings, dass besondere Regelungen zum Schutz vor Entlassungen (z. B. Ausschluss ordentlicher Kündigungen) erwähnt werden müssen.
d)
Fazit
Bemerkenswert ist, dass das BAG im konkreten Fall die Unterrichtung trotz seiner selbst aufgestellten und beinahe der Unmöglichkeit nahekommenden Vorgaben als ordnungsgemäß angesehen hat. Deutlich wird, dass eine sorgfältige Vorbereitung und die ausführliche Darstellung der Folgen des Übergangs und denkbarer Maßnahmen nach dem Übergang helfen, auch bei den Gerichten eine hohe Akzeptanzbereitschaft zu wecken. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung für die betriebliche Praxis nach wie vor kaum erfüllbar sind. Es
59 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v. 60 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.; Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung § 11 Rz. 16. 61 BAG v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 n. v.
236
Anfechtung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
bleibt zu hoffen, dass hier durch das BAG eine weitergehende Toleranz in Bezug auf denkbare Beschreibungen entwickelt wird. (Ga/Hi)
7.
Anfechtung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB
In den vergangenen Jahren haben wir uns mehrfach mit dem Umstand befasst, dass die fehlerhafte Unterrichtung anlässlich eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nach § 613 a Abs. 5 BGB den Arbeitnehmer berechtigt, auch nach Ablauf der in § 613 a Abs. 6 BGB enthaltenen Monatsfrist dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Das BAG hatte diese Möglichkeit des Widerspruchs damit begründet, dass die Frist in § 613 a Abs. 6 BGB nur beginne, wenn die an einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang beteiligten Rechtsträger eine ordnungsgemäße Unterrichtung gemäß § 613 a Abs. 5 BGB vorgenommen hätten62. Sei dies nicht der Fall, könne dem Übergang des Arbeitsverhältnisses in den Grenzen der Verwirkung widersprochen werden. Dieses Risiko trifft vor allem den Betriebsveräußerer, der noch nach einigen Jahren als Konsequenz solcher Widersprüche mit der Rückkehr von Arbeitnehmern rechnen muss. Mit seinem Urteil vom 15.12.201163 hat der 8. Senat des BAG deutlich gemacht, dass eine fehlerhafte Unterrichtung im Vorfeld eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs auch Wirkung für die Arbeitnehmer haben kann, die fristgerecht bzw. in den Grenzen der Verwirkung bereits dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen haben. Denn diese Arbeitnehmer können die fehlerhafte Unterrichtung zum Anlass nehmen, die Erklärung des Widerspruchs wegen Täuschung nach § 123 BGB anzufechten. Konsequenz dieser Anfechtung ist, dass das Arbeitsverhältnis doch noch auf den Erwerber übergeht. In dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall befand sich der Kläger in der Freistellungsphase der Altersteilzeit, als der Betrieb auf einen anderen Rechtsträger überging. Losgelöst von dem allgemeinen Unterrichtungsschreiben nach § 613 a Abs. 5 BGB erhielt der Kläger eine weitere Unterrichtung, die sich mit Besonderheiten der Altersteilzeit befasste. In diesem Unterrichtungsschreiben war u. a. ausgeführt worden: Zusätzlich wird Ihr Entgeltanspruch gegen Insolvenz durch die R abgesichert. Dazu müssen Sie eine Erklärung durch die Versicherung abgeben.
62 B. Gaul, AktuellAR 2010, 245 ff.; 2011, 581 ff. 63 8 AZR 220/11 n. v.
237
Betriebsänderung und Betriebsübergang
Noch innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Schreibens widersprach der Kläger dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, wie dies auch vom bisherigen Betriebsinhaber angeregt worden war. Als der frühere Betriebsinhaber allerdings zu einem späteren Zeitpunkt in die Insolvenz geriet und der Kläger feststellen musste, dass keine Insolvenzsicherung seines Wertguthabens erfolgt war, focht er die Erklärung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses an. Der 8. Senat des BAG hat diese Anfechtung des Widerspruchs für berechtigt gehalten. Nach seiner Auffassung lag eine Täuschung des Klägers durch Verschweigen wesentlicher Umstände vor, die für die Insolvenzsicherung des Wertguthabens während der Altersteilzeit maßgeblich waren. Denn mit ihren Ausführungen im Informationsschreiben hatte die Betriebsveräußerin den Eindruck erweckt, dass im Zusammenhang mit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses an sich eine freiwillige Insolvenzsicherung vorgenommen werde. Sie hatte aber verschwiegen, dass bereits kraft Gesetzes (§ 8 a ATZG) eine Pflicht bestand, das Wertguthaben gegen das Risiko der Zahlungsunfähigkeit abzusichern. Ebenso wurde verschwiegen, dass darüber ein Nachweis zu führen war und die Arbeitnehmer berechtigt waren, Sicherheit zu verlangen. Unabhängig davon ist der 8. Senat des BAG davon ausgegangen, dass mit der Formulierung, der Entgeltanspruch des Klägers „wird … abgesichert“ der Eindruck geweckt werde, die R GmbH betreibe im Zeitpunkt des Informationsschreibens alles, um das Wertguthaben abzusichern. Dies aber war nicht der Fall. Denn trotz mehrfacher Aufforderungen der zur Insolvenzsicherung eingeschalteten Versicherung war der bisherige Betriebsinhaber untätig geblieben. Hinzu kam, dass durch den Hinweis, „dazu“ müsse der Kläger eine Erklärung für die Versicherung abgeben, der unzutreffende Eindruck erweckt wurde, diese Erklärung allein sei der noch fehlende Baustein zu einer ansonsten fertig vorbereiteten Insolvenzsicherung. Insofern lag wider besseres Wissen eine Falschinformation über die Absicherung des Wertguthabens in Form des Informationsschreibens vor. § 123 Abs. 1 BGB berechtigt den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer, seinen Widerspruch anzufechten, wenn er zur Abgabe dieser Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt wurde. Hiervon ist das BAG im vorliegenden Fall ausgegangen. Entgegen den sonstigen Ausführungen zum Widerspruch bei vorangehend fehlerhafter Unterrichtung, der in den einzelfallbezogenen Grenzen der Verwirkung erklärt werden kann, ist die Anfechtung nach § 124 BGB allerdings an eine gesetzliche Frist geknüpft. Sie muss binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeit238
Anfechtung des Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
punkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt. Sie ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. Auch diese Entscheidung macht noch einmal deutlich, dass sich die an einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang beteiligten Unternehmen sorgfältig auf eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB vorbereiten müssen. Denn weder der fehlende Eingang eines Widerspruchs innerhalb der Monatsfrist noch die Abgabe eines solchen Widerspruchs befreit die beteiligten Rechtsträger von dem Risiko, dass bei fehlerhafter Unterrichtung die zunächst eingetretene Rechtsfolge durch einen späteren Widerspruch oder die Anfechtung des bereits erklärten Widerspruchs abgeändert wird. Dieses Risiko sollte deshalb auch in den Vereinbarungen zwischen den beteiligten Rechtsträgern berücksichtigt werden, die die wechselseitigen Pflichten im Zusammenhang mit der Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB regeln. (Ga)
239
J.
1.
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht Neufassung des SGB III
Bereits im Herbst hatten wir auf die Neufassung des SGB III hingewiesen1. Inzwischen ist das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt im Bundesgesetzblatt veröffentlicht2. Die wesentlichen Änderungen im SGB III, die insbesondere eine Neuordnung zur Folge haben, sind am 1.4.2012 in Kraft getreten. Sie seien hier zusammengefasst genannt:
a)
Änderungen zum 28.12.2011
Der Gründungszuschuss unterliegt nun dem Ermessen des Vermittlers bei der Agentur für Arbeit. Er wird in Höhe des zuletzt gezahlten Arbeitslosengeldes zuzüglich 300 Euro Pauschale für die soziale Absicherung nicht mehr neun sondern nur noch sechs Monate bezahlt. Die zweite Phase, in der die Förderung 300 Euro monatlich beträgt, wurde von sechs auf neun Monate verlängert. Statt 90 Tagen ist nun ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 150 Tagen Voraussetzung für den Zuschuss. Die Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld, die mit Blick auf die Wirtschaftskrise geschaffen wurden, sind entfallen. Ausgenommen hiervon ist nur die Regelung, dass Betriebssicherungsvereinbarungen, die vor dem Bezug von Kurzarbeitergeld abgeschlossen werden, um Arbeitsplätze zu erhalten, sich nicht mindernd auf die Höhe des anschließenden Kurzarbeitergeldes auswirken.
b)
Änderungen zum 1.1.2012
Der Umlagesatz, den der Arbeitgeber zur Finanzierung des Insolvenzgeldes zu leisten hat, beträgt 2012 0,04 Prozent bezogen auf das Arbeitsentgelt. Maßgeblich ist das Arbeitsentgelt, nach dem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die im Betrieb Beschäftigten einschließlich der Auszubildenden bemessen werden.
1 2
B. Gaul, AktuellAR 2011, 315 ff. BGBl I 2011, 2854 ff.
241
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
c)
Änderungen zum 1.4.2012
aa)
Vermittlungsgutschein/Erprobungsphase
Der frühere Vermittlungsgutschein wurde weiterentwickelt. So gibt es nun einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein (AVGS). Der Vermittlungsgutschein für die Beauftragung privater Arbeitsvermittler wurde für alle Arbeitssuchenden als dauerhafte Ermessensleistung in die Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung integriert. Bezieht jemand Arbeitslosengeld, so entsteht nach sechs Wochen ein Rechtsanspruch auf einen AVGS; vorher liegt seine Vergabe im Ermessen der Agentur für Arbeit. Die mögliche Dauer einer betriebsnahen Erprobungsphase wurde auf bis zu sechs (vorher vier) Wochen, für Langzeitarbeitslose und Menschen mit schweren Vermittlungshemmnissen auf bis zu 12 Wochen, erhöht. bb)
Berufliche Weiterbildung
Zur Förderung der Weiterbildung älterer Beschäftigter in kleinen und mittleren Unternehmen besteht die Möglichkeit, dass die Agentur für Arbeit Teile der Weiterbildungskosten übernimmt. Diese Möglichkeit besteht auch für Beschäftigte unter 45 Jahren, ist dann allerdings auf 36 Monate befristet. Mindestens 50 Prozent der Kosten müssen vom Arbeitgeber übernommen werden. cc)
Eingliederungszuschuss/Eingliederung von Selbständigen
Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, erhalten die Förderhöchstdauer von 36 Monaten beim Eingliederungszuschuss für weitere drei Jahre bis zum Ende des Jahres 2014. Für Menschen mit Behinderungen gelten wie vorher erweiterte Fördertatbestände. Die Förderung Selbstständiger im Leistungsbezug des SGB II (§ 16 c SGB II) wurde erweitert. So kann nun gezielt Beratung und Kenntnisvermittlung gefördert werden. Dazu gehört sowohl die Förderung von Coaching als auch die Begleitung bei der Unternehmensabwicklung.
d)
Fazit
Arbeitsrechtlich haben die Änderungen im Grunde keine Bedeutung. Wichtig ist aber, die in der Praxis üblichen Bezugnahmen auf die Vorschriften des SGB III insbesondere in Aufhebungsverträgen oder Sozialplänen auf die neue Bezifferung anzupassen. (Ga/SL))
242
Bericht der Bundesregierung zum Flexi-Gesetz
2.
Bericht der Bundesregierung zum Flexi-Gesetz
Im März hat die Bundesregierung den Bericht über die Auswirkungen des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vorgelegt. Im Wesentlichen geht es dabei um die gesetzlichen Regelungen zu Wertguthaben und ihre Absicherung in der betrieblichen Praxis. Der Bericht zeigt, dass die Bundesregierung mit den geltenden Regelungen in § 7 ff. SGB IV sehr zufrieden ist. Dies gilt auch für die Regelungen in Bezug auf den Insolvenzschutz und die Portabilität entsprechender Wertguthaben. Eine Anpassung der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen wird nicht angestrebt. Die Bundesregierung geht als Ergebnis der zugrundeliegenden Studie indes davon aus, dass sich Vereinbarungen über diese Form der Arbeitszeitflexibilisierung in der Praxis weiter verbreiten werden. Obwohl dabei nicht immer die notwendigen Formerfordernisse, insbesondere in Bezug auf die Wertguthabenvereinbarung, beachtet werden, wird auch insoweit kein Klarstellungs- oder Ergänzungsbedarf gesehen. (Ga)
3.
Steuerfreiheit der Nutzungsvorteile aus Datenverarbeitungsgeräten und Zubehör
§ 3 Nr. 45 EStG sah in der Vergangenheit vor, dass (nur) die Vorteile des Arbeitnehmers aus der privaten Nutzung betrieblicher Personalcomputer und Telekommunikationsgeräten steuerfrei sind. Für die betriebliche Praxis war nicht nur problematisch, welche Geräte unter den Begriff des Personalcomputers gefasst werden konnten. Dabei ging es insbesondere um die Einbeziehung von Smartphones, USB-Sticks, Tablets und dem Zubehör, dass bei der Nutzung solcher Computer Verwendung findet. Umstritten war auch, ob und ggf. in welcher Weise der verbilligte Erwerb von Lizenzen zum sog. „Home-Use“ lohnsteuerrechtlichen Privilegien unterworfen war. Dieser Streit ist rückwirkend für das Kalenderjahr 2000 durch eine Neufassung von § 3 Nr. 45 EStG beendet worden. Steuerfrei sind danach … die Vorteile des Arbeitnehmers aus der privaten Nutzung von betrieblichen Datenverarbeitungsgeräten und Telekommunikationsgeräten sowie deren Zubehör, aus zur privaten Nutzung überlassenen System- und Anwendungsprogrammen, die der Arbeitgeber auch in seinem Betrieb einsetzt und aus dem Zusammenhang mit diesen Zuwendungen erbrachten Dienstleistungen. …
243
Aktuelles aus dem Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht
In Übereinstimmung mit Hechtner3 wird man den Begriff der Datenverarbeitungsgeräte weit verstehen müssen. Es dürfte kennzeichnend sein, dass der Benutzer über Ein- und Ausgabeeinheiten mit den Daten interagiert. Zum Zubehör dürften alle Komponenten rechnen, die in einem Funktionszusammenhang mit dem Datenverarbeitungsgerät stehen. Dabei geht es nicht nur um Laufwerke, USB-Sticks, Webcams etc. sondern auch Transportmedien (z. B. Laptop, Aktentasche) oder Kensington-Schlösser. Einzubeziehen sind auch Headsets, Halterungen oder tragbare Tastaturen. Hinsichtlich der Software wird man den Steuervorteil allerdings schon dem Wortlaut nach auf solche Programme begrenzen müssen, die auch durch den Arbeitgeber zu betrieblichen Zwecken genutzt werden. Eine bestimmte Komplexität oder ein bestimmter Verwendungszweck werden durch den Gesetzgeber nicht bestimmt. Insofern sind auch Apps einzubeziehen, die auf Smartphones (auch) dienstliche Verwendung finden. (Ga)
3
NWB Nr. 15 v. 10.4.2012, 1216 ff.
244
Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen
Abgeltung, Urlaubsanspruch 99 ff. Ablösungsprinzip, Betriebsvereinbarung 196 AEntG, Änderung 11 f. AGB-Kontrolle - Änderungsvereinbarung 166 ff. - Angemessenheit 71 f. - Ausbildungskosten 47 ff. - Ausschlussfrist 59 - Bezugnahmeklausel 165 f., 173 ff. - Blue-Pencil-Test 175 - Freiwilligkeitsvorbehalt 68 ff. - geltungserhaltende Reduktion 48 f. - kollektive Günstigkeit 194 ff. - Rückzahlungsklausel 47 ff.; 73 - salvatorische Klausel 49 f. - Stichtagsregelung 73 ff. - Transparenz 49, 50, 70 f. - Überstundenabgeltung 63 ff. - Unklarheitenregel 165 - Urlaubsabgeltung 100 - Weiterbildungskosten 47 ff. - Widersprüchlichkeit 70 Allgemeinverbindlicherklärung 11 f. Alter, Sozialauswahl 119 ff. Altersdiskriminierung - Kündigungsfrist 12 f.; 124 f. - Rechtfertigung 106 ff. - Sozialauswahl 117 ff.; 119 ff. - Tarifvertrag 90 ff. - Urlaub 105 ff. Altersgruppen - Massenentlassung 122 - Sozialauswahl 123 ff.
Änderungskündigung - Annahmeverzug 137 f. - ultima ratio 127 f. Anderweitiger Erwerb, Annahmeverzug 137 f. Anfechtung - Betriebsratswahl 179 ff.; 181 ff. - Drohung 238 f. - Täuschung 238 f. Annahmeverzug - Änderungskündigung 137 f. - anderweitiger Erwerb 137 f. - Kündigungsschutzprozess 135 f. - vertragswidrige Tätigkeit 137 f. - Zumutbarkeit 136 Anschlussbeschäftigung, Urlaubsanspruch 109 f. Arbeitnehmerbegriff, BetrVG 217 ff. Arbeitnehmerentsendung 22 ff. Arbeitnehmerfreizügigkeit - Arbeitsgenehmigung 22 - Bulgarien 22 - Rumänien 22 Arbeitnehmerüberlassung - Beitragsnachforderung 164 - Betriebsänderung 217 ff. - BetrVG 217 ff. - Bezugnahmeklausel 173 ff. - CGZP 163 f. - christliche Gewerkschaften 163 f. - Dauer 54 f. - DrittelbG 219 - Equal-Treatment-Gebot 55; 173 ff. - Erlaubnis 55 245
Stichwortverzeichnis
Arbeitnehmerüberlassung - Konzern 52 ff. - Konzernprivileg 53 ff. - mehrgliedrige Tarifverträge 173 ff. - MitbestG 219 - Mitbestimmung Betriebsrat 199 ff. - Schwellenwerte 217 ff. - Sozialversicherung 154 - Unzuverlässigkeit 57 - Vergaberecht 57 - vorübergehende 56 f., 199 ff. - Zustimmungsverweigerung 199 - Zweck 54 f. Arbeitsentgelt, Mitbestimmung Betriebsrat 202 ff. Arbeitsgenehmigung - Bulgarien 22 - Fachkräfte 22 - Rumänien 22 Arbeitskampf - Abwehraussperrung 159 - Arbeitskampfparität 160 - Betriebsrisiko 160 - Betriebsstilllegung 159 ff. - Entgeltfortzahlung 160 f. - Gegenmaßnahmen 160 ff. - Gesetz 10 f. - Koalitionsfreiheit 155 - Streik 155 ff. - suspendierende Betriebsstilllegung 159 ff. - Unterstützungsstreik 157 f. - Verhältnismäßigkeit 157 f. Arbeitslosengeld, Karenzentschädigung 139 f. Arbeitsort, Direktionsrecht 51 f. Arbeitsschutz - Mitbestimmung Betriebsrat 206 ff. 246
Arbeitsschutz - Unterweisung 206 ff. Arbeitsunfähigkeit → krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitsvertrag - Ablösung Betriebsvereinbarung 196 f. - Altvertrag 165 - Änderung 86 ff., 166 ff. - Änderungskündigung 127 f. - Ausschlussfrist 57 ff. - befristeter → befristeter Arbeitsvertrag - betriebliche Einheitsregelung 194 f. - Betriebsübergang 87 ff. - betriebsvereinbarungsoffen 194 ff. - Gleichbehandlungsgrundsatz 86 ff. - Gleichstellungsabrede 164 ff. - kollektive Günstigkeit 194 f. - Kündigungsfrist 124 f. - ruhender → ruhender Arbeitsvertrag - Überstundenabgeltung 63 ff. - Urlaubsabgeltung 99 ff. - Vertragsmuster 86 ff. Arbeitsverweigerung - Glaubensfreiheit 128 ff. - Kündigung 128 ff. Arbeitszeitflexibilisierung, Wertguthaben 243 Arbeitszeitkonto - Kürzung 66 f. - Verrechnung 66 f. ArbGG, Mediation 3 ff. Aufhebungsvertrag - Ausgleichsklausel 153 f. - Insolvenz 135 ff. - Rücktritt 133 ff.
Stichwortverzeichnis
Aufsichtsrat, Frauenquote 13 ff. Ausbildung, Rückzahlungsklausel 47 ff. Ausgleich Nachtarbeit 210 ff. Ausgleichsklausel, Herausgabeanspruch 153 f. Auskunftsanspruch - Betriebsrente 143 ff. - Bewerber 44 ff. - Wissenserklärung 144 Ausländer, Arbeitsgenehmigung 22 Ausschlussfrist - AGB-Kontrolle 59 - Arbeitsvertrag 57 ff. - Beginn 59 f. - Schadensersatz 57 ff. - Tarifvertrag 57 ff. - Urlaubsabgeltung 101 ff. - Vorsatz 57 ff. Außerordentliche Kündigung - Arbeitsverweigerung 128 ff. - Betriebsratsmitglied 187 ff. - Glaubensfreiheit 130 AVR-Bezugnahme, Ablösung 172 ff.
BBG-Sprung, Betriebsrente 141 ff. BDSG → Beschäftigtendatenschutz Befristeter Arbeitsvertrag - Absolventenbefristung 37 - Arbeitsbedingungen 32 f. - Ausbildung 37 f. - Berufsausbildungsverhältnis 35 ff. - EG-Richtlinie 29 ff. - Einstellungsanspruch 34 f. - Elternzeit 29 ff. - Haushaltsbefristung 31 f. - Inhaltsschutz 32 f. - Kettenbefristung 29 ff. - Maßregelungsverbot 33 ff.
Befristeter Arbeitsvertrag - Prognoseentscheidung 30 f. - Rechtsmissbrauch 30 f., 32 f. - sachgrundlos 35 ff. - Schadensersatz 34 f. - Traineeprogramm 37 - Übernahme 32 ff. - Verlängerung 29 ff. - Vertragsfreiheit 34 - Vertretung 29 ff. - Vorbeschäftigung 35 ff. - Weiterbildung 37 f. Beherrschungsvertrag, DrittelbG 212 f. Behinderte Menschen → Schwerbehinderte Menschen Beitragsbemessungsgrenze, Betriebsrente 141 ff. BEM, Datenschutz 206 ff. Benachteiligung → Diskriminierung Berufliche Weiterbildung, SGB III 241 Beschäftigtendatenschutz - Anwendungsbereich 19 f. - Auftragsdatenverarbeitung 21 - automatisierte Verarbeitung 19 - BDSG-Änderung 1 f. - BEM 206 ff. - Betriebsvereinbarung 1, 20 f. - Datei 19 f. - Datenschutzbeauftragter 21 - Datenschutzgrundverordnung 19 ff. - Datensicherheit 21 - Dienstleistungsfreiheit 17 f. - Dokumentationspflichten 21 - EG-Datenschutzrichtlinie 1, 17 ff. - Eingliederungsmanagement 206 ff. - Einwilligung 1, 20 247
Stichwortverzeichnis
Beschäftigtendatenschutz - EU-Recht 17 ff. - Gesetzesänderung 1 f. - Interessenabwägung 18 f. - Konzern 1 - Mindestschutz 17 - Screening 1 - Tarifvertrag 1, 20 f Betrieb, Tarifpluralität 10 f. Betriebliche Altersversorgung - Anpassung → Betriebsrentenanpassung - Anpassungsentscheidung 145 ff. - Auskunftsanspruch 143 ff. - BBG-Sprung 141 ff. - Beitragsbemessungsgrenze 141 ff. - Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) 141 - Insolvenzsicherung 27 - Kaufkraftverlust 145 ff. - Pensionskasse 27 - Pensionssicherungsverein 27 - Portabilität 26 f. - Schuldanerkenntnis 143 - Solvabilität II 27 - Unverfallbarkeit 26 f. - Weißbuch 26 f. - Wissenserklärung 144 Betriebliche Einheitsregelung - Betriebsvereinbarung 191 ff. - kollektive Günstigkeit 194 f. Betriebliche Übung - Begriff 69 - Freiwilligkeitsvorbehalt 69 f. - konkludentes Verhalten 70 Betriebliches Eingliederungsmanagement 206 ff. - Auskunftsanspruch Betriebsrat 208 f. 248
Betriebsänderung - Leiharbeitnehmer 217 ff. - Nachteilsausgleichsanspruch 220 f. - Schadensersatz 84 ff. - Scheitern Interessenausgleichsverhandlungen 220 ff. - Schwellenwerte 216 ff. Betriebsbedingte Kündigung - Altersgruppen 123 ff. - Änderungskündigung 127 ff. - Betriebsratsanhörung 114 ff. - freier Arbeitsplatz 117 ff. - Leiharbeitnehmer 117 ff. - Massenentlassung 127 ff. - Personalreserve 120 f. - Schwerbehinderung 114 ff. - Sonderleistung 75 - Sozialauswahl 114 ff. - Sozialdaten 114 ff. - Stellungnahme Betriebsrat 127 ff. - Vertretungskräfte 120 f. Betriebsbegriff, Betriebsratswahl 181 Betriebsrat - Ersatzmitglied 187 ff. - Freistellungen 219 - Leiharbeitnehmer 217 ff., 221 - Zuständigkeit 187 ff. Betriebsratsgröße, Leiharbeitnehmer 219 Betriebsratsmitglied - Erholungsurlaub 188 - Kündigung 187 ff. - Verhinderung 188 Betriebsratswahl - Abbruch 179 ff. - Anfechtung 179 ff., 181 ff. - Nichtigkeit 178 - Unterlassungsverfügung 179 ff.
Stichwortverzeichnis
Betriebsrente → betriebliche Altersversorgung Betriebsrentenanpassung 145 ff., 147 ff. - Bündelung 145 - 3-Jahres-Zeitraum 145 - Eigenkapitalausstattung 148 - Eigenkapitalverzinsung 148 ff. - Fiktion 147 ff. - Kaufkraftverlust 145 ff. - nachholende 148 - nachträgliche 148 - Preisindex für die Lebenshaltung 146 - Prognose 148 - Prüfungstermine 145 - Rückrechnungsmethode 146 - unterbliebene Anpassung 147 ff. - Unterrichtung nach § 16 Abs. 4 S. 2 BetrAVG 147 ff. - Verbraucherpreisindex 146 - Widerspruch 148 Betriebsstilllegung - Streik 159 ff. - suspendierende 159 ff. Betriebsteilübergang → Betriebsübergang Betriebsübergang - Arbeitnehmer 224 - Arbeitsvertragsänderung 87 ff. - Betriebsmittel 224 - Betriebsteil 224 f. - Betriebsvereinbarung 232 ff. - Bezugnahmeklausel 169 f. - funktionelle Verknüpfung 224 ff. - gemeinsamer Betrieb 229 ff. - Gesamtbetriebsvereinbarung 232 ff. - Gleichbehandlung 87 - Haftung 232 f. - Identitätswahrung 224 f.
Betriebsübergang - Kennzeichnung 224 ff. - Klarenberg 224 ff. - Know How 224 - Konzernbetriebsvereinbarung 232 ff. - Kundenkartei 224 - Kündigung 234 - organisatorische Einheit 224 f. - Patente 224 - Produktnamen 224 - Tarifbindung 169 ff. - Tarifvertrag 231 f. - Teilbetriebszweck 224 - Unterrichtung → Unterrichtung Betriebsübergang - Widerspruch → Widerspruch Betriebsübergang - Widerspruchsrecht 27 Betriebsvereinbarung - Ablösung Einzelarbeitsvertrag 193 ff. - Ablösungsprinzip 196 - Arbeitsvertrag 193 ff. - Arbeitszeitkonto 66 f. - Betriebsübergang 232 ff. - Bonuspool 80 ff. - Datenschutz 1, 20 f. - Geschäftsgrundlage 80 - Günstigkeitsprinzip 194, 196 - Handlungspflicht 80 ff. - Inhaltskontrolle 72 - kollektive Günstigkeit 194 ff. - Schadensersatz 80 ff. - Sonderleistung 72 - Stichtagsregelung 72 - Überleitungsbetriebsvereinbarung 215 f. - Whistleblower 9 - Zusammenschluss Betriebe → Betriebszusammenschluss 249
Stichwortverzeichnis
Betriebszusammenschluss 213 ff. - Betriebsvereinbarung 215 ff. - Übergangsmandat 215 f. BetrVG, Arbeitnehmerbegriff 217 ff. Beweislastumkehr, Whistleblower 6 Bewerber - Auskunftsanspruch 44 ff. - Behinderung 38 ff. - Diskriminierung 38 ff. - Einstellungsstopp 38 ff. - Fragepflicht 42 - Fragerecht 42 - Schwerbehinderung 38 ff. - Vorstellungsgespräch 39 Bewerbungsverfahren, Auskunftsanspruch 44 ff. Bezugnahme Tarifvertrag - AGB-Kontrolle 165 f., 173 ff. - Altvertrag 164 ff. - Änderungsvereinbarung 166 ff. - AVR-Bezugnahme 172 f. - Betriebsübergang 233 f. - Blue-Pencil-Test 175 - ergänzende Auslegung 169 ff. - Gleichstellungsabrede 164 ff. - mehrgliedrige Tarifverträge 173 ff. - Neuvertrag 165 ff., 234 - Schuldrechtsmodernisierung 165 - Tarifsukzession 171 f. - Überleitungstarifvertrag 170 - Unklarheitenregel 165 - Unterrichtung Betriebsübergang 231 f. Bezugnahmeklausel, kirchliche Arbeitsbedingungen 172 f. Billiges Ermessen - Bonuspool 79, 82 - Direktionsrecht 51 f. 250
Bonus → Sonderleistung - Mutterschaftsgeld 67 f. Bonuspool 76 ff. - Betriebsvereinbarung 79 ff. - Bindungswirkung 76 ff. - Ermessen 79, 82 - Ermessensbonus 76 ff. - Schadensersatz 80 ff. - Wissenserklärung 78
CGZP - Equal-Treatment-Gebot 163 - Tariffähigkeit 163 f. - Tarifzuständigkeit 163 - Vertrauensschutz 164 Christliche Gewerkschaften, Leiharbeit 163 f. Computer, Steuerfreiheit 243 f.
Datenschutz → Beschäftigtendatenschutz Datenschutzbeauftragter 21 Datenschutzgrundverordnung 19 ff. Datenschutzrichtlinie 1,17 ff. Direktionsrecht - Arbeitsort-Änderung 51 f. - billiges Ermessen 51 f. - Interessenabwägung 51 f. - SGB III 52 - Zumutbarkeit 52 Diskriminierung - Alter 105 ff., 119 ff. - Auskunftsanspruch 44 ff. - Ausschlussfrist 43 f. - Beweislastumkehr 41 - Bewerber 38 ff., 40 ff. - Elternzeit 63 - Entschädigung 43 f. - Erholungsurlaub 105 ff. - Frauenquote 13 ff. - Frist 43 f.
Stichwortverzeichnis
Diskriminierung - legitimes Ziel 92 f., 106 f. - Schadensersatz 43 f. - Schwangerschaft 61 ff. - Schwerbehinderte 40 ff. - Sozialauswahl 119 ff. - Tarifvertrag 90 ff. - Übergangsregelung 90 ff. Dividende, Tantieme 82 ff. DrittelbG - Beherrschungsvertrag 212, 213 - Kommanditgesellschaft 213 - Konzernunternehmen 212 f. - Leiharbeitnehmer 219 - Personengesellschaft 213 - Schwellenwert 212 - Wahlberechtigung 212 f.
EG-Richtlinie -
Arbeitnehmerüberlassung 54 f. Arbeitszeit 96 ff. befristete Arbeitsverträge 29 ff. Betriebsrenten 26 f. Datenschutz 1, 17 ff. Diskriminierungsschutz 91 f., 124 ff. - Elternzeit 61 f. - Entsendung 22 ff. - Erholungsurlaub 96 ff. - Gleichbehandlung 91 f., 124 ff. - grenzüberschreitende Dienstleistung 22 ff. - Leiharbeitnehmer 54 f. - Mutterschutzurlaub 62 - Portabilität 26 f. - Rechtsformänderung 24 - Verlegung von Unternehmenssitzen 24 ff. - vorübergehender Einsatz 23 f. Eingliederungsmanagement, Datenschutz 206 ff.
Eingliederungszuschuss, SGB III 241 Einigungsstelle - Aufklärungspflicht 210 - Nachtarbeitsausgleich 209 - Protokoll 223 f. - Rechtsfrage 223 - Regelungsfrage 223 - Tarifvorbehalt 202 Einigungsstellenspruch, Anfechtung 206 ff. Einstellungsstopp, Bewerber 38 ff. Einwilligung, Datenschutz 1, 20 Elternzeit - Beendigung 61 ff. - befristeter Arbeitsvertrag 29 ff. - Diskriminierung 63 - Härtefall 61 - Schwangerschaft 61 ff. Entschädigung - Ausschlussfrist 43 f. - Diskriminierung 43 f. Entsenderichtlinie 22 ff. Entsendung, Arbeitnehmer 22 ff. Equal-Treatment-Gebot - Bezugnahmeklausel 173 ff. - CGZP 163 - mehrgliedriger Tarifvertrag 173 ff. - Mitbestimmung Betriebsrat 199 ff. Ergänzende Vertragsauslegung, Bezugnahmeklausel 169 ff. Erholungsurlaub - Abgeltung 99 ff., 101 ff. - altersabhängige Staffel 105 f. - Anrechnung 109 f. - Anschlussbeschäftigung 109 f. - Arbeitsunfähigkeit 96 ff. - Ausschlussfrist 101 ff. - Betriebsratsmitglied 188 251
Stichwortverzeichnis
Erholungsurlaub - Dauer 105 ff. - Doppelanspruch 109 f. - Ersatzmitglied Betriebsrat 187 ff. - IAO 97 - Kündigung 109 f. - langandauernde Arbeitsunfähigkeit 96 ff. - ruhender Arbeitsvertrag 96 ff. - Schwerbehinderung 104 f. - Surrogationstheorie 101 f. - Übertragungszeitraum 96 ff., 100 f. - Verfall 97 - Zusatzurlaub 104 f. Ermessen → billiges Ermessen Erprobungsphase 242 Ersatzmitglied Betriebsrat - Kündigung 187 ff. - Nachrücken 188 Europäische Genossenschaft 28 Europäischer Betriebsrat, Gesetz 5
Familienpflegezeit 5 Flexi-Gesetz, Bericht 243 Förderung Selbständiger, SGB III 242 Fragerecht, Schwerbehinderung 114 ff. Frauenquote 13 ff. Freistellung, Betriebsrat 219 Freiwilligkeitsvorbehalt 68 ff. - betriebliche Übung 69 f. Friedenspflicht, Streik 155 ff. Fristlose Kündigung → außerordentliche Kündigung Führungskräfte, Frauenförderung 13 ff. 252
Gefährdungsanalyse, Arbeitsschutz 208 f. Geltungserhaltende Reduktion, AGB-Kontrolle 48 f. Gemeinsamer Betrieb - Außen-GbR 228 - Betriebsübergang 229 ff. - Innen-GbR 228 Gesamtbetriebsrat, Zuständigkeit 189 ff. Gesamtbetriebsvereinbarung, Betriebsübergang 232 ff. Geschäftsführung, Frauenquote 13 ff. Gesundheitsschutz, Mitbestimmung Betriebsrat 210 ff. Gewissensfreiheit, Kündigung 128 ff. Glaubensfreiheit, Kündigung 128 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz - Arbeitsvertrag 86 ff. - Begriff 86 - Betriebsübergang 87 - Entgelterhöhung 86 f. - Sonderleistung 88 f. - Teilzeitbeschäftigung 88 f. - Zweckbestimmung 89 f. Gleichstellungsabrede, Tarifvertrag 164 ff. Grundrechtscharta, Kündigung 113 Gründungszuschuss 241 Güterichter, Mediation 3 f.
Haushaltsbefristung, Arbeitsvertrag 31 f. Herausgabeanspruch - Arbeitsunterlagen 152 - Ausgleichsklausel 153 f. - Umfang 152 - Whistleblower 152 ff.
Stichwortverzeichnis
Herausgabeanspruch - Zurückbehaltungsrecht 153 Hinweisgeber → Whistleblower
Inhaltskontrolle, Betriebsvereinbarung 72 Insolvenz, Aufhebungsvertrag 135 ff. Insolvenzgeld, Umlage 243 Insolvenzschutz, Wertguthaben 243 Integrationsamt, Kündigung 114 ff. Interessenausgleich - Massenentlassung 127 ff. - Nachteilsausgleich 220 f. - Scheitern 220 ff.
Jahressonderzahlung → Sonderleistung Jüngere Arbeitnehmer, Kündigungsfrist 12, 114, 126 f.
Karenzentschädigung - anderweitige Einkünfte 139 ff. - Anrechnungsgrenze 140 - Arbeitslosengeld 139 f. Kaufkraftverlust, Betriebsrente 145 ff. Kettenbefristung, Arbeitsvertrag 29 ff. Kirchliche Arbeitsbedingungen, Bezugnahmeklausel 172 f. Kollektive Einheitsregelung, Begriff 193 f. Kollektive Günstigkeit - AGB-Kontrolle 196 f. - Betriebsvereinbarung 194 ff. Kommanditgesellschaft, Konzern 213 Konzern - Arbeitnehmerüberlassung 52 ff. - Datenschutz 1
Konzern - Drittelbeteiligung 212 f. - Kommanditgesellschaft 213 - Leiharbeit 52 ff. - Personengesellschaft 213 Konzernbetriebsrat, Zuständigkeit 189 ff. Konzernbetriebsvereinbarung, Betriebsübergang 232 ff. Konzernprivileg, Arbeitnehmerüberlassung 53 ff. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit - Streik 160 ff. - Urlaub 96 ff. - Urlaubsabgeltung 101 ff. - Zusatzurlaub 104 f. Kündigung - betriebsbedingte → betriebsbedingte Kündigung - Betriebsübergang 234 - Gewissensentscheidung 128 ff. - Glaubensfreiheit 128 ff. - GRC 113 - Leiharbeitnehmer 117 ff. - Probezeit 114 f. - ultima ratio 127 f. - Urlaubsanspruch 109 f. - Vertretungsbefugnis 109 ff. - Vollmachtsurkunde 109 ff. - Wahlbewerber ff. - Wartezeit 114 f. - Whistleblower 131 f. - Zurückweisung 109 ff. Kündigungsfrist, - Altersdiskriminierung 12 f., 124 f. - jüngere Arbeitnehmer 114, 126 f. Kündigungsschutz, Ersatzmitglied Betriebsrat 187 ff. 253
Stichwortverzeichnis
Kündigungsschutzprozess - Annahmeverzug 135 f. - Wiederaufnahme 131 f. Kurzarbeitergeld, Neuregelung 241
Langandauernde Arbeitsunfähigkeit, Urlaub 96 ff. Leiharbeit → Arbeitnehmerüberlassung Leiharbeitnehmer - BetrVG 217 ff. - Bewerbungsverfahren 39 f. - DrittelbG 219 - Kündigung 117 ff. - MitbestG 219 - Schwellenwerte 217 ff. - Wahlberechtigung 217, 219 f.
Massenentlassung -
Altersgruppen 124 Interessenausgleich 127 ff. Namensliste 127 f. Schriftformerfordernis 127 Sozialauswahl 122 Stellungnahme Betriebsrat 127 ff. Maßregelungsverbot - befristeter Arbeitsvertrag 33 ff. - Whistleblower 5 ff. Mediation 2 ff. - ArbGG 3 ff. - Gesetzentwurf 2 ff. - Güterichter 3 f. - Zwangsvollstreckung 4 - Gesetzentwurf 3 - Zertifizierung 3 Mindestlohn - Gesetz 11 f. - Tarifvertrag 11 f. MitbestG, Leiharbeitnehmer 219 254
Mitbestimmung Betriebsrat - Arbeitsentgelt 202 ff. - Arbeitsschutz 206 ff. - Ausgleich Nachtarbeit 210 ff. - BEM 206 ff. - Betriebsnorm 203 - Bonuspool 79 f. - Eingliederungsmanagement 206 - Einstellung 199 ff. - Entlohnungssystem 205 - Equal-Treatment-Gebot 201 ff. - Gefährdungsanalyse 210 f. - Gehalt 202 ff. - Gesundheitsschutz 210 ff. - Gewerkschaftsmitgliedschaft 205 - Leiharbeitnehmer 199 ff. - Lohngerechtigkeit 202 ff. - Nachtarbeit 210 ff. - Tarifvorbehalt 202 ff. - Verteilungsgrundsätze 206 f. - Whistleblower 9 - Zuständigkeit 187 f., 190 - Zustimmungsverweigerung 199 Mutterschaftsgeld - Bonus 67 f. - erfolgsabhängige Vergütung 67 f. - Provision 67 f.
Nachteilsausgleichsanspruch, Betriebsänderung 220 f. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot - anderweitige Einkünfte 139 ff. - Anrechnung Arbeitslosengeld 139 ff. - Karenzentschädigung 139 ff. Namensliste, Massenentlassung 127 f. Nichtigkeit, Betriebsratswahl 182
Stichwortverzeichnis
Organmitglieder, Frauenquote 13 ff.
Pensionskasse - Eigenkapital 27 - Insolvenzsicherung 27 - Solvabilität II 27 Pensionssicherungsverein 27 Personengesellschaft, Konzern 213 Pflegezeit - Gestaltungsrecht 94 f. - Höchstdauer 94 - Inanspruchnahme 93 ff. - mehrmalige Inanspruchnahme 93 ff. - Verlängerung 94 - Verteilung 95 Pflichtverletzung, Ausschlussfrist 57 ff. Probezeit, Kündigung 114 f. Provision - Mutterschaftsgeld 67 f. - Organisationsänderung 84 ff. - Schadensersatz 84 ff. Punkteschema, Sozialauswahl 122 f.
Quote, Frauenförderung 13 ff. Restrukturierung → Betriebsänderung Rücktritt, Aufhebungsvertrag 133 ff. Rückzahlungsklausel - AGB-Kontrolle 73 - Weiterbildungskosten 47 ff. Ruhender Arbeitsvertrag, Urlaubsanspruch 96 ff.
Sachgrundlose Befristung 35 ff.
Salvatorische Klausel, AGBKontrolle 49 f. Schadensersatz - Ausschlussfrist 43 f., 57 ff. - Betriebsänderung 84 ff. - Bonuspool 80 ff. - Diskriminierung 43 f. - Unterrichtung Betriebsübergang 229 Schriftform, Massenentlassung 127 Schwangerschaft - Diskriminierung 61 ff. - Elternzeit 61 ff. - Mutterschaftsgeld 67 f. Schwellenwerte, Betriebsänderung 217 ff. Schwerbehinderter Mensch - Ausgleichsabgabe 117 - Bewerbungsverfahren 38 ff. - Diskriminierung 40 ff. - Entschädigung 40 ff. - Erholungsurlaub 104 f. - Fragepflicht 42 - Fragerecht 42, 114 ff. - Integrationsamt 114 ff. - Sozialauswahl 114 ff. - Urlaubsabgeltung 102 ff. - Vorstellungsgespräch 40 ff. - Zusatzurlaub 117 Screeening, Datenschutz 1 SGB III-Neufassung 241 ff. Software, Steuerfreiheit 243 f. Sonderleistung - betriebliche Übung 69 f., 83 f. - betriebsbedingte Kündigung 75 - Betriebsvereinbarung 72 - Bindungsfrist 72 f. - Dividende 82 ff. - Freiwilligkeitsvorbehalt 68 ff., 83 f. - gemischter Zweck 74 255
Stichwortverzeichnis
Sonderleistung - Gleichbehandlung 88 f. - Mischcharakter 74 - Organisationsänderung 84 ff. - Stichtagsregelung 72 ff., 82 f. - Synallagma 73 f. - Weihnachtsgratifikation 74 Sozialauswahl - Alter 119 ff. - Altersdiskriminierung 119 ff., 123 ff. - Altersgruppen 123 ff. - Auskunftsanspruch 115 - EG-Richtlinie 2000/78/EG 119 ff. - Fragerecht 114 ff. - Massenentlassung 122 - Punkteschema 122 f. Sozialversicherung, Arbeitnehmerüberlassung 164 Steuerfreiheit - Computerzubehör 243 - Datenverarbeitungsgerät 243 f. - Home-Use-Programm 243 - Software 243 f. Stichtagsklausel, Kündigung 75 Strafurteil, Wiederaufnahme 131 f. Streik - Arbeitskampf 155 ff. - Friedenspflicht 155 ff. - Gesetz 10 f. - Unterlassungsverfügung 155 ff. - Unterstützungsstreik 157 f. - Verhältnismäßigkeit 157 f. Surrogationstheorie, Urlaubsanspruch 101 f.
Tantieme → Sonderleistung - Dividende 82 ff. Tariffähigkeit - CGZP 163 f. 256
Tariffähigkeit - Prüfverfahren 175 Tarifpluralität, Gesetz 10 f. Tarifsukzession, Bezugnahmeklausel 171 f. Tarifvertrag - Allgemeinverbindlicherklärung 11 f. - Altersdiskriminierung 90 ff. - Ausgleich Nacharbeit 210 ff. - Ausschlussfrist 57 ff. - AVR-Ablösung 172 f. - Betriebsnorm 203 - Betriebsratsstruktur 179 ff. - Betriebsstruktur 213 ff. - Bezugnahmeklausel → Bezugnahme Tarifvertrag - CGZP 163 f. - Datenschutz 1, 20 f. - Diskriminierung 90 ff. - EG-Richtlinie 2000/78/EG 91 ff. - Gleichstellungsabrede 164 ff. - Günstigkeitsprinzip 173 - Inhaltsnorm 203 - Kündigungsfrist 124 f. - mehrgliedriger 173 ff. - Mindestlohn 11 f. - Mitbestimmung Betriebsrat 202 ff. - Tarifpluralität 10 f. - Tarifzuständigkeit 163 - Urlaubsanspruch 96 ff., 99 Tarifvorbehalt - Einigungsstelle 202 - Mitbestimmung Betriebsrat 202 ff. Tarifzuständigkeit - CGZP 163 - Prüfverfahren 175 Teilbetriebsübergang → Betriebsübergang
Stichwortverzeichnis
Teilzeitbeschäftigung, Gleichbehandlungsgrundsatz 88 f. Traineeprogramm, befristeter Arbeitsvertrag 37 Treuepflicht, Auskunftsanspruch 115, 117
Übergangsmandat, Betriebszusammenschluss 215 f. Überleitungstarifvertrag, Bezugnahmeklausel 170 Überstunden - Abgeltung 63 ff. - Ausschlussfrist 66 - Büroleiter 65 - Großkanzlei 64 - Lagerleiter 65 - Vergütung 63 ff. Übertragungszeitraum, Urlaub 96 ff. Überwachungsrecht - Betriebsrat 187 ff. - Gesamtbetriebsrat 190 ff. Ultima ratio, Änderungskündigung 127 f. Umwandlung → Betriebsübergang Unternehmen, Verlegung 24 ff. Unternehmenssitz, Verlegung 24 ff. Unterrichtung Betriebsübergang - Altersteilzeit 237 f. - Altvertrag 231 f. - Änderung Umstände 229 - Anfechtung 237 ff. - arbeitnehmerspezifischer 232 - Betriebserwerber 232 - Betriebsvereinbarung 232 ff. - Beweislast 229 - Bezugnahmeklausel 233 f. - Darlegungslast 231 - Gesamtbetriebsvereinbarung 232 f.
Unterrichtung Betriebsübergang - gesamtschuldnerische Haftung 232 f. - Haftung 232 f. - Konzernbetriebsvereinbarung 232 ff. - Kündigung 238 - kündigungsschutzrechtliche Folge 238 - Neuvertrag 231 ff. - offensichtliche Fehler 231 ff. - Schadensersatz 229 - Selbsterkundigung 229 - streitige Rechtsfrage 233 - Tarifbindung 236 f. - Tarifvertrag 234 - Umwandlung 233 - wesentliche Arbeitsbedingungen 233 - Widerspruchsrecht 227; 238 - Zeitpunkt 229 - Zweck 228 f. Unterstützungsstreik 157 f. Unterweisung, Arbeitsschutz 206 ff. Unverfallbarkeit, Betriebsrente 26 f. Unverzüglichkeit 113 Urlaub → Erholungsurlaub Urlaubsabgeltung 101 ff. - Ausschlussfrist 101 ff. - Schwerbehinderung 102 ff.
Verhaltensbedingte Kündigung, Arbeitsverweigerung 128 ff. Verjährung, vorsätzliche Pflichtverletzung 57 ff. Verlegung - grenzüberschreitende 24 ff. - Unternehmenssitz 24 ff. Vermittlungsgutschein 242 257
Stichwortverzeichnis
Vertragsauslegung, ergänzende 169 ff. Vertretung, befristeter Arbeitsvertrag 29 ff. Vollmachtsurkunde, Zurückweisung 109 ff. Vorstand, Frauenquote 13 ff. Vorstellungsgespräch, Bewerber 39
Wahlberechtigung - Drittelbeteiligung 212 f. - Konzern 212 f. - Leiharbeitnehmer 217, 219 f. Wahlbewerber - Aufstellung 187 - Kündigungsschutz ff. - Wahlvorschlag 187 f. Wartezeit, Kündigung 114 f. Weihnachtsgratifikation, Stichtagsregelung 74 Weissbuch, Betriebsrente 26 f. Weisungsrecht → Direktionsrecht Weiterbildungskosten, Rückzahlung 47 ff. Wertguthaben - Bericht 243 - Insolvenzschutz 243 - Portabilität 243 Wettbewerbsverbot, nachvertragliches → Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Whistleblower 5 ff. - Anzeigerecht 6 f., 8 f.,152 f. - Betriebsvereinbarung 9 - Beweislastumkehr 6 - Datenschutz 7 - Diskriminierungsschutz 5 ff.
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Whistleblower - Herausgabeanspruch 152 ff. - Hinweis 7 - Hinweisgebersystem 9 - Kündigung 131 f. - Kündigungsschutzprozess 131 f. - Maßregelungsverbot 5 ff. - Missstand 7 - Öffentlichkeit 7 ff. - Restitutionsgrund 131 f. - Zurückbehaltungsrecht 153 Widerspruch Betriebsübergang - Anfechtung 237 ff. - Drohung 238 f. - Täuschung 238 f. - Unterrichtungspflicht 236 Widerspruch - Betriebsrentenanpassung 148 - Betriebsübergang 227 ff. Wiederaufnahme - Einstellungsverfügung 134 - Kündigungsschutzprozess 131 f. - Verwaltungsakt 134 Wissenserklärung, Auskunftsanspruch 144
Zertifizierung, Mediator 3 Zeugnis - einfaches 150 - Geheimcode 151 - Gestaltungsspielraum 150 - qualifiziertes 150 - Wahrheitspflicht 150 f. - Wohlwollensgebot 151 Zumutbarkeit, Direktionsrecht 52 Zwangsvollstreckung, Mediation 4